Immobilienökonomie. BAND Immobilienökonomie: Band III: Stadtplanerische Grundlagen [2., vollständig überarb. Aufl.] 9783486714401, 9783486597547

Der Leser merkt schnell, dass dies kein klassisches Lehrbuch ist. Schließlich wirkt eine Vielzahl von ausgewiesenen Expe

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Immobilienökonomie. BAND Immobilienökonomie: Band III: Stadtplanerische Grundlagen [2., vollständig überarb. Aufl.]
 9783486714401, 9783486597547

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Immobilienökonomie

Band III: Stadtplanerische Grundlagen herausgegeben von

Prof. Dr. Karl-Werner Schulte HonRICS 2., vollständig überarbeitete Auflage

Oldenbourg Verlag München

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Dr. Stefan Giesen Herstellung: Constanze Müller Titelbild: iStockphoto Einbandgestaltung: hauser lacour Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Bindung: Buchbinderei Klotz, Jettingen-Scheppach Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-486-59754-7

V

Inhaltsübersicht

Inhaltsübersicht Vorwort des Herausgebers Verzeichnis der Autoren 1 Stadtplanung und Immobilienökonomie

1

Karl-Werner Schulte, Andrea Pelzeter

2 Stadtplanung als Planung städtischer Räume

21

2.1 Ziele und Instrumentarium der Stadtplanung

23

2.1.1 Leitbilder der Stadtplanung

27

Kerstin Lassnig, Wolf Uwe Rilke

2.1.2 Soziologische Bausteine der Stadtplanung

47

Klaus M. Schmals

2.1.3 Akteure, Verfahrens- und Prozessgestaltung

71

Martin Wentz

2.1.4 Bau- und Planungsrecht

85

Michael Krautzberger, Peter Runkel

2.1.5 Kosten und Finanzierung stadtplanerischer Maßnahmen

101

Martin Wentz, Andrea Pelzeter

2.2 Gegenstände der Stadtplanung 2.2.1 Siedlungsplanung

119 123

Herbert Kallmayer

2.2.2 Gewerbeplanung

147

Gerd Hennings, Monika Dobberstein

2.2.3 Freiraumplanung

173

Christiane Ziegler-Hennings unter Mitarbeit von Gisela Schulte-Daxbök

2.2.4 Verkehrsplanung

205

Hans-Georg Retzko

2.2.5 Planung der Versorgung und Entsorgung

235

Karlheinz Jacobitz

2.3 Städtebauliche Denkmalpflege – Städtebaulicher Denkmalschutz

259

Jan Nikolaus Viebrock, Nicola Halder-Haß, Ulrike Wendland

2.4 Nachhaltige Stadtentwicklung

281

Silke Weidner, Jens Gerhardt

2.5 Planungskonzepte im gesellschaftlichen Wandel Kunibert Wachten, Steffen Nadrowski

315

VI

Inhaltsübersicht

3 Städtebau als gestaltende Stadtplanung 3.1 Stadttyp Europäische Stadt

361 365

Wolfgang Christ

3.2 Stadtbausteine 3.2.1 Definition und Typisierung von Stadtbausteinen

413 417

Andrea Pelzeter

3.2.2 Wohnimmobilien

423

Thomas Dilger, Dominique Pfrang, Silke Wittig

3.2.3 Bürogebäude

443

Eckhard Lammel

3.2.4 Bauten für Handel

481

Barbara Walzel, Monika Trabzadah, Silke Wittig

3.2.5 Bauten für Gewerbe und Industrie

519

Gerd Hennings, Monika Dobberstein

3.2.6 Bauten für Verkehr

535

Brigitte Kochta

3.2.7 Bauten für Kultur

557

Hanns Kastner

3.2.8 Bauten für Sport und Freizeit

589

Tobias Müller

3.2.9 Hotelbauten

613

Christian Duch, Olaf Steinhage

3.2.10 Bauten für Gesundheit

649

Christian Pelzeter

3.2.11 Bauten für Bildung

665

Hermann Schnell

3.2.12 Sakralbauten

681

Norbert Verfürth

3.3 Architektur als Element von Gebäudekonzepten

699

Norbert Moest

3.4 Städtebauliche Gestaltung zur Aufwertung gewerblicher Standorte

719

Kunibert Wachten, Steffen Nadrowski

4 Immobilien-Projektentwicklung im Kontext der Stadtplanung 4.1 Projektentwicklung und Stadtentwicklung

747 751

Stephan Bone-Winkel, Andreas Blüml, Nicolai Gerstner

4.2 Immobilienmarketing und Stadtmarketing

783

Elisabeth Kammermeier, Karin Weikamp, Matthias Wiffler

4.3 Stadtentwicklung durch Public Private Partnership

805

Martin Wentz, Thorsten Bischoff, Dörthe Gosewehr

Stichwortverzeichnis

833

Vorwort des Herausgebers

VII

Vorwort des Herausgebers zur ersten Auflage Der interdisziplinäre Ansatz des Fachbereichs Immobilienökonomie hat sich in Deutschland durchgesetzt und gewinnt auch im angloamerikanischen Raum zunehmend an Bedeutung. Da die Betriebswirtschaftslehre die Kerndisziplin der Immobilienökonomie darstellt, war es konsequent, Band I den „Betriebswirtschaftlichen Grundlagen“ zu widmen; dieser liegt inzwischen in der 3. Auflage vor. Es folgten die „Rechtlichen Grundlagen“, deren 2. Auflage im Frühjahr 2005 erscheinen wird. Die Stadtplanung stellt eine weitere Disziplin dar, die für das Fachgebiet Immobilienökonomie wichtige Erkenntnisse liefert. Daher lag es nahe, als dritten Band die „Stadtplanerischen Grundlagen“ den beiden vorliegenden Bänden zur Immobilienökonomie hinzuzufügen. Das Buch richtet sich primär an (angehende) Immobilien-Professionals. Ziel ist, ihnen x

Einblick in die Komplexität einer Planung und eine Übersicht über die zu integrierenden Komponenten, Abhängigkeiten und Bedingungen zu verschaffen,

x

Kriterien für die Beurteilung der Qualität eines städtebaulichen Entwurfs zu vermitteln und

x

die Notwendigkeit der Interaktion mit der Stadtplanung nahezubringen.

Aber auch Studierende des Fachgebiets Raumplanung und Akteure der Stadtplanung mögen dieses Buch mit Gewinn lesen. Von allen Buchprojekten, die seit einem Jahrzehnt „unter meiner Regie“ entstanden sind, war dieses Vorhaben das mit Abstand schwierigste. Zum einen existieren keine Lehrbücher zu Raumplanung, Stadtplanung, Städtebau, etc., sondern nur Aufsätze und Beiträge in Sammelwerken bzw. verschiedenste Monografien, zum anderen kann sich ein Betriebswirt dem Fachgebiet Stadtplanung nur aus seiner fachspezifischen Perspektive nähern. Wie sich herausstellte, besteht unter den Fachwissenschaftlern auch kein Konsens über Begriffsdefinitionen und –abgrenzungen. Bislang hat – außer Hennings (vgl. Kapitel 1) – niemand versucht, eine Brücke zwischen den verwandten Disziplinen zu bauen. Es hat daher recht lange gedauert, bis die Grundstruktur dieses Werkes gefunden war. Es entstand in vielen Gesprächsrunden mit Frau Dipl.-Ing. Architektin Andrea Pelzeter, die eine äußerst kompetente und engagierte Projektleiterin gewesen ist; ihr möchte ich besonders herzlich danken. Auch die Autoren haben wichtige Hinweise zum Aufbau des Buches geliefert. Dafür und für ihre Beiträge gebührt ihnen die Anerkennung des Herausgebers. Die Leser werden relativ schnell bemerken, dass dieses Werk kein typisches Lehrbuch ist. Stadtplanung stellt ein Fachgebiet dar, in dem nur wenige gesicherte Erkenntnisse existieren, die man in Strukturabbildungen und Spiegelstrichen abarbeiten kann. Die Gliederung des Buches zielt daher auf die Zusammenfügung unterschiedlicher Teilaspekte der Stadtplanung zu einer facettenreichen Gesamtschau. So können die meisten Beiträge auch isoliert gelesen und verstanden werden; Wie-

VIII

Vorwort des Herausgebers

derholungen – und auch Widersprüche – zu anderen Beiträgen sind damit jedoch vorprogrammiert. Die Autoren sind Spezialisten auf ihren jeweiligen Gebieten. Sie haben einen unterschiedlichen beruflichen Hintergrund und sind Individualisten im Denken und Schreiben. Das „Briefing“ durch den Herausgeber fand hier seine Grenze. Gerade diese Unterschiedlichkeit macht aber auch den Reiz des Buches aus. Anregungen von Seiten der Leserinnen und Leser sind herzlich willkommen zur Verbesserung dieses Werkes. Die Leserinnen mögen dem Herausgeber aber nachsehen, dass im Interesse einer besseren Lesbarkeit die weibliche Form im Buch nicht verwandt wird. Abschließend danke ich meiner Familie für ihre fortwährende Unterstützung. Nachdem mir meine Frau Gisela sein nunmehr fast 15 Jahren beruflich zur Seite steht, studieren inzwischen auch unsere Söhne Frank-Michael und Kai-Magnus Betriebswirtschaftslehre und Immobilienökonomie und gehören damit zu den verständnisvollen, aber auch kritischen Lesern dieses Werkes. Unser Jüngster, Sven-Marten interessiert sich dagegen für „Sportökonomie“ und hat daher immerhin die Ausführungen über „Bauten für Sport und Freizeit“ mit großem Interesse gelesen.

Johannisberg, im März 2005

Karl-Werner Schulte

Vorwort des Herausgebers

IX

Vorwort des Herausgebers zur zweiten Auflage Erfreulicherweise ist die erste Auflage dieser Monographie auf große Resonanz gestoßen. Daher möchte ich zuallererst den Käufern des Buches für Ihr Vertrauen danken. Für die zweite Auflage wurden alle Beiträge aktualisiert und einige von neuen Autoren bearbeitet bzw. überarbeitet. Die Projektleitung oblag Herrn Dipl. Kfm. Philip-Christian Ebeling und Frau Dipl. Kffr. Silke Wittig, denen ich für ihre engagierte Arbeit herzlich danke. Anregungen von Seiten der Leserinnen und Leser wurden in der zweiten Auflage berücksichtigt, sind aber auch weiterhin willkommen. Abschließend danke ich meiner Familie, meiner lieben Gisela, die seit über 20 Jahren als Geschäftsführerin der IRE|BS IMMOBILIENAKADEMIE meine Arbeit begleitet, und meinen Söhnen Frank-Michael, Kai-Magnus und Sven-Marten, die inzwischen ihr Studium abgeschlossen haben und sich in der Praxis und der Wissenschaft mit Immobilien- und Stadtentwicklungsthemen befassen.

Johannisberg, im Juli 2011

Karl-Werner Schulte

Verzeichnis der Autoren

XI

Verzeichnis der Autoren Dr. Thorsten Bischoff studierte Wirtschaftsingenieurwesen Fachrichtung Bauingenieurwesen an der TU-Braunschweig und der INPG ENSHMG Grenoble in Frankreich. Nach seinem Studium durchlief er bei dem Generalunternehmer Dyckerhoff & Widmann ein zweijähriges TraineeProgramm. Im Anschluss realisierte er in der Bauleitung einige Vorhaben und arbeite im Chancenund Risikomanagement des Unternehmens. 2001 wechselte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die ebs IMMOBILIENAKADEMIE in Berlin. Im gleichen Jahr schloss er die immobilienwirtschaftliche Weiterbildung zum Immobilienökonom (ebs) ab. An der Universität Regensburg promovierte er 2009 im Bereich Public Private Partnership bei Herrn Prof. Dr. Schulte HonRICS CRE zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften. Seit 2002 ist er Dozent an der IRE|BS IMMOBILIENAKADEMIE zu den Themen Hotelimmobilien, Projektmanagement und Projektentwicklung. Von 20042007 entwickelte er als gesamtverantwortlicher Projektleiter bei HOCHTIEF Projektentwicklung GmbH das Projekt OpernCarree. Anschließend leitete er die gewerbliche Projektentwicklung in der Niederlassung Berlin-Brandenburg. In 2011 gründete er sein eigenes Unternehmen, das in den Bereichen Projektentwicklung, Projektmanagement und Asset Management spezialisiert ist. Andreas Blüml studierte von Oktober 2003 bis Februar 2009 Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Immobilienökonomie, Immobilienmanagement und Finanzmarkttheorie an der Universität Regensburg und an der University of Reading, Großbritannien. Nach seinem Abschluss als Diplom-Volkswirt ist er seit März 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Honorarprofessur Immobilienentwicklung am IRE|BS Institut für Immobilienwirtschaft. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Immobilienprojektentwicklung, insbesondere im Sektor Industrieimmobilien. Prof. Dr. Stephan Bone-Winkel, Immobilienökonom (ebs), Jahrgang 1965. BWL-Studium an der Universität zu Köln. Von 1990 bis 1993 wissenschaftlicher Assistent an der European Business School. Promotion 1994. Von 1993 bis 1996 Geschäftsführer der ebs IMMOBILIENAKADEMIE. Von 1996 bis 1997 für den Deutsche Bank Konzern im Bereich Projektentwicklung in Berlin tätig. Seit 1997 geschäftsführender Gesellschafter der BEOS GmbH in Berlin. BEOS ist ein unabhängiger Investor, Projektentwickler und Asset Manager mit Sitz in Berlin. Mit einem interdisziplinären Team von über 40 Mitarbeitern und Büros in Berlin, Hamburg, Frankfurt und Köln führt BEOS heute einen Bestand gewerblicher Immobilien mit einer Mietfläche von über 750.000 qm. BEOS hat sich auf den Ankauf, die Repositionierung und das Management von Unternehmensimmobilien (Gewerbeobjekte mit Büro, Produktion, Logistik und anderen Nutzungen) in den großen deutschen Städten spezialisiert. Mit seinem besonderen Know-how ist BEOS der führende Anbieter in diesem wachstumsstarken Bereich des deutschen Immobilienanlagemarktes. Von 2003 bis 2006 war Dr. Bone-Winkel zugleich Inhaber des Stiftungslehrstuhls Immobilien-Projektentwicklung an der European Business School, Schloss Reichartshausen (ebs) in Oestrich-Winkel. Nachfolgend

XII

Verzeichnis der Autoren

Honorarprofessor für Projektentwicklung am IRE|BS Institut für Immobilienwirtschaft der Universität Regensburg. Dr. Bone-Winkel ist Herausgeber und Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Immobilieninvestment, Projektentwicklung und Asset Management. Prof. Wolfgang Christ geboren 1951 in Engers/Rhein. Dipl.-Ing. Architekt; Architekturstudium an der TH Darmstadt, 1983 bis 1988 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der „Fachgruppe Stadt“ bei Prof. Thomas Sieverts. Von 1989 bis 1993 Lehrbeauftragter an der TH Darmstadt u.a. für „Städtebau und Neue Medien“. Seit 1994 Professor für Entwerfen und Städtebau an der BauhausUniversität Weimar. Mitbegründer des postgradualen Studiengangs „Europäische Urbanistik“. 2006 bis 2008 Direktor des Instituts für Europäische Urbanistik. Seit 1989 als selbstständiger Architekt und Urbanist mit dem Büro „Mediastadt - urbane Strategien“ tätig. Dozent an der International Real Estate Business School (IRE|BS) der Universität Regensburg. Beirat u.a. im Gremium Architektur des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft. Mitherausgeber u.a. der Zeitschrift für Immobilienökonomie (ZIÖ) und der „Shopping-Center-Stadt“ –Reihe. Zahlreiche Publikationen und Vorträge zur aktuellen Stadtentwicklung. Auszeichnung u.a. mit dem Deutschen StädtebauPreis, Sonderpreis 2006 und dem EDRA/Places Award (USA 2001). 2008 Gründung der Urban INDEX Institut GmbH für die Analyse und Zertifizierung von Stadtqualität. Prof. Thomas Dilger wurde 1952 in Stade an der Elbe geboren, studierte Architektur und Stadtplanung an der TU Hannover. Es folgten Stationen als: angestellter Architekt, als Baureferendar, Planungsamtsleiter und Stadtbaurat, technischer Beigeordneter der Stadt Wesel und Stadtentwicklungsdezernent der Landeshauptstadt Wiesbaden. Von 1998 – 2001 war Dilger geschäftsführender Gesellschafter DKS-Städtebau (Dilger, Kramm & Strigl), Darmstadt / Wiesbaden. Seit 2002 ist er Geschäftsführer der Nassauischen Heimstätte, Wohnungs- und Entwicklungsgesellschaft in Frankfurt am Main und seit 2005 zusätzlich Geschäftsführer der Wohnstadt Hessen in Kassel. Thomas Dilger ist Honorarprofessor der Technischen Universität Darmstadt und Lehrbeauftragter der International Real Estate Business School (IRE|BS) der Universität Regensburg, außerdem Präsidiumsmitglied des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA) und der Bundesvereinigung der Landes- und Stadtentwicklungsgesellschaften, Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) sowie des Verbandsrates des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung (DV) und des Kuratoriums des vhw. Prof. Dr. Monika Dobberstein studierte und promovierte an der Fakultät Raumplanung, Universität Dortmund. Für ihre Dissertation über die Prognosefähigkeit von Büromärkten erhielt sie 1997 den gif Immobilienforschungspreis. 1998 wechselte sie zu einer Tochtergesellschaft der IKB Deutschen Industriebank AG. Dort erstellte sie zum einem Markt- und Standortanalysen im Vorfeld von Neufinanzierungen und Nutzungskonzepte für notleidende Engagements. Zum anderen entwickelte sie Immobilienmarkt- und Objektdatenbanken sowie ein Immobilienrating-Modell. Ab 2000 war sie bei der B&L Immobilien AG als Assistentin des Vorstandes eingebunden in die Stra-

Verzeichnis der Autoren

XIII

tegie der börsennotierten Aktiengesellschaft. Von 2002 bis 2007 leitet sie den Lehrstuhl „Gewerbeplanung und Wirtschaftsförderung“ an der TU Hamburg-Harburg. Von dort wechselte sie als Prokuristin in das Investment-Team von Jones Lang LaSalle. Heute ist sie Leiterin der deutschen Niederlassung der Reasult BV, dem niederländischen Marktführer für Projektentwicklungs- und Asset-Management-Software, der aktuell in den deutschen Markt expandiert. In der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. (gif) war sie u.a. 10 Jahre Mitglied des Vorstandes und zuständig für die Hochschulaktivitäten. Sie hat die Zeitschrift ZIÖ Zeitschrift für Immobilienökonomie mitbegründet und war einige Jahre deren Schriftleiterin. Für den Verein "Frauen in der Immobilienwirtschaft e.V.“ hat sie die Region Norddeutschland ins Leben gerufen und einige Jahre geleitet. Prof. Dr. Christian Duch ist gelernter Koch. Mehrere Jahre war er im Ausland im Restaurantservice, danach als Trainee eines Hotelbetriebs beschäftigt. Auf den Abschluss an der Hotelfachschule in Heidelberg folgten Tätigkeiten als Direktionsassistent, als Geschäftsführer kleinerer Betriebe sowie schließlich als stellvertretender Direktor eines Konzernhotels. Mit 27 Jahren entschied sich Duch für ein Hochschulstudium, holte die Hochschulreife nach, schloss sein Betriebswirtschaftsstudium an der Universität Berlin als Diplom-Kaufmann ab und promovierte 1980 an der Universität München. Danach wechselte Duch in die Industrie zu einer namhaften ManagementBeratungsfirma, wo er für Unternehmen unterschiedlichster Branchen Maßnahmenprogramme zur strategischen Zukunftssicherung entwickelte und zuletzt die Position eines Geschäftsgebietsleiters bekleidete. 1985 übernahm er bei der Steigenberger Hotels AG die Verantwortung für neue Projekte und leitete dort bis 2001 den Konzernbereich Unternehmensplanung und –entwicklung, seit 1992 als Generalbevollmächtigter der Gesellschaft. In Anerkennung seiner jahrelangen Lehrtätigkeit an der Fachhochschule Heilbronn verlieh ihm der baden-württembergische Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst 1999 den Professorentitel. 2008 zog sich Duch aus dem aktiven Berufsleben zurück. Jens Gerhardt studierte Architektur an der Bauhausuniversität Weimar sowie Urban Management postgradual an der Universität Leipzig. Nach mehrjähriger Tätigkeit im Architekturbereich arbeitet er seit 2005 forschungs- und lehrbezogen zum Gebiet der Stadtentwicklung am Institut für Bauwirtschaft und Stadtentwicklung (ISB) der Universität Leipzig (bis 2009) und am Lehrstuhl Stadtmanagement der BTU Cottbus. Die Städtische Dimension in der Europäischen Strukturfondsförderung, der Einsatz von Stadtentwicklungsfonds sowie die Kultur- und Kreativwirtschaft repräsentieren Schwerpunktbereiche seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Im Fokus seiner Freiberuflichkeit bei der urban management systems GmbH steht die Konzeption strategischer kommunaler Steuerungsinstrumente und deren Operationalisierung in der Projektplanung. Seit 2010 begleitet er als externer Experte für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) die

XIV

Verzeichnis der Autoren

Erarbeitung und Implementierung des integrierten Altstadtentwicklungskonzept von Lviv in der Westukraine. Dr. Nicolai Gerstner MRICS studierte an der European Business School, Schloss Reichartshausen (ebs) in Oestrich-Winkel, Betriebswirtschaftslehre. Nach seinem Abschluss als Diplom-Kaufmann in

2003

war

er

als

wissenschaftlicher

Mitarbeiter

am

Stiftungslehrstuhl

Immobilien-

Projektentwicklung an der ebs tätig und schloss seine Promotion über Entscheidungsprozesse von Unternehmen bei der Anmietung von Büroimmobilien in 2008 am IRE|BS Institut für Immobilienwirtschaft der Universität Regensburg ab. Seitdem arbeitet er als Asset Manager für ein führendes Asset Managementunternehmen in Hamburg. Dörthe Gosewehr, Immobilienökonom (ebs), studierte Städtebau/Stadtplanung an der TU Hamburg-Harburg. Zwei Jahre war sie bei der ITCM Immobilien Consulting Management, Hamburg, im Bereich Projektentwicklung und Vermietung beschäftigt. 2002 wechselte sie zur KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Frankfurt am Main und ist dort im Bereich Corporate Finance Real Estate mit Schwerpunkt in den Bereichen Immobilienbewertung, Transaktions- und Due Diligence-Beratung tätig. Von 2006 bis 2009 war Dörthe Gosewehr für die internationale Ratingagentur Standard & Poor’s in London im Bereich Structured Finance EMEA tätig, wo sie Commercial Mortgage Backed Securities-Transaktionen analysierte. Seitdem ist sie bei der Scope Analysis GmbH, Berlin als Analyst im Bereich Rating Geschlossener Immobilienfonds, Immobilien-Spezialfonds sowie Management Rating von Emittenten Geschlossener Fonds tätig. Nicola Halder-Haß ist Kunsthistorikerin, Denkmalpflegerin und Immobilienökonom (ebs). Fundierte Kenntnisse des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege erwarb sie während eines zweijährigen Volontariates im Denkmalschutzamt in Hamburg. Ergänzend zu ihrer Beratungstätigkeit ist sie Dozentin für Denkmalschutz an der ebs IMMOBILIENAKADEMIE, Leiterin des Arbeitskreises Denkmalschutz der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. (gif), ständiger Gast des Arbeitskreises „Kommunale Denkmalpflege“ des Deutschen Städtetages und Mitglied des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz. Das Kerngeschäft des Büros HalderHass Denkmalprojekte liegt in der Moderation zwischen Investoren und Denkmalpflegern bei der Projektentwicklung von Baudenkmalen. Ziel ist es, zugleich wirtschaftlich tragfähige und denkmalpflegerisch verträgliche Lösungen zu finden. Prof. Dr. Gerd Hennings hat an der Universität Münster Volkswirtschaftslehre und Soziologie studiert. Von 1969 bis 1974 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen der Universität Münster, von 1975 bis 1980 Akademischer Oberrat am Fachgebiet Volkswirtschaftslehre, insbesondere Raumwirtschaftspolitik, an der Fakultät Raumplanung der Universität Dortmund. Von 1981 bis 2008 war er Universitätsprofessor für Gewerbeplanung an

Verzeichnis der Autoren

XV

der Fakultät Raumplanung. Seine fachlichen Schwerpunkte lagen in den letzten Universitätsjahren bei Themen wie Standort- und Projektentwicklung aller Arten von Gewerbeimmobilien; Künstlichen Erlebniswelten und Planung; Büroflächenentwicklung und Büroflächenpolitik; Wiedernutzung von Industriebrachen in den USA und Deutschland; Regionales Gewerbeflächenmanagement in Public Private Partnership. Von 1990 bis 2000 unterrichtete er an der ebs IMMOBILIENAKADEMIE die Bereiche Gewerbeplanung sowie Markt- und Standortanalysen. Seit 2009 ist er Inhaber des Büros für Gewerbe- und Freiraumplanung in Dortmund und arbeitet zu Themen wie „Bestand von Industrie und Gewerbeflächen für internationale Ansiedlungen in Nordrhein-Westfalen“ sowie „Städtebauliche Qualifizierung von bestehenden Gewerbegebieten im Kontext einer nachhaltigen Gewerbeflächenentwicklung“. Prof. Dr. Karlheinz Jacobitz war von 1972 bis 1981 Professor am Institut für Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung und Raumplanung (bis 1978 Stadtbauwesen) an der Technischen Hochschule Darmstadt, zuletzt als Geschäftsführender Direktor. 1981 folgte er einem Ruf auf eine Professur für Siedlungswasserwirtschaft an der Universität Kaiserslautern. Er leitete das Lehr- und Forschungsgebiet bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im Jahre 1992. Anschließend nahm er im Rahmen eines Hochschullehrervertrages Lehraufgaben auf dem Gebiet „Technische Infrastruktur und Raumplanung“ wahr. 1984 wurde er zum Korrespondierenden Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landesplanung berufen. Prof., Dipl.-Ing., Architekt, Ministerialrat Herbert Kallmayer Geboren 1941 in Kaiserslautern. Studium der Architektur, Mathematik und Philosophie an der Technischen Universität München (TUM) und der Universität Saarbrücken. 1967 Abschluß Diplomingenieur, anschließend Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TUM. 1971 zweite Staatsprüfung, freiberufliche Tätigkeit in Kaiserslautern. 1973 Eintritt in den Staatsdienst im Bayerischen Innenministerium, Oberste Baubehörde, 1976 Bayerische Staatskanzlei (Führungskurs, 15 Monate). 1983 - 1985 Regierungsberater in Riad, Saudi-Arabien. 1986 - 2006 Sachgebietsleiter "Städtebau" in der Obersten Baubehörde. 1986 Berufung in die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung. 1999 Ernennung zum Honorarprofessor an der TUM. Seit 2002 Mitglied im wissenschaftlichen Komitee von EUROPAN Deutschland. 2006 – 2008 Beauftragter der Obersten Baubehörde für China. 2007 Bestellung zum Gastprofessor an der Technischen Universität in Qingdao, China. 2009 Bestellung zum Gastprofessor an der Agraruniversität der Provinz Shandong in Tai’an, China. Elisabeth Kammermeier absolvierte nach dem Studium der Betriebswirtschaft ihren Master of Business Administration an den Universitäten Cardiff/Wales und Hagen. Bevor sie im Jahr 2000 Geschäftsführende Gesellschafterin der Activ Consult Real Estate GmbH wurde, leitete Elisabeth Kammermeier die Öffentlichkeitsarbeit der Vivico Real Estate GmbH, vormals Eisenbahnimmobilien Management GmbH in Frankfurt/Main. Dabei lag ihr Schwerpunkt auf dem Strategischen Marketing. Seit dem Jahr 2001 ist Frau Kammermeier Geschäftsführende Gesellschafterin der

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Verzeichnis der Autoren

Activ Consult Real Estate GmbH mit Sitz in Frankfurt, Berlin und Hamburg. Das 15 Mitarbeiter zählende Unternehmen ist für nationale und internationale Kunden im Bereich Marketing/Kommunikation und Retail Products tätig. Zu den Kunden, die ACRE bundesweit betreut gehören renommierte Unternehmen wie Tishman Speyer Properties, UBS Deutschland AG, IVG, Morgan Stanley, Versicherungskammer Bayern, KanAm, MAB Bouwfonds, SITQ und Allianz Real Estate Germany. Elisabeth Kammermeier ist ausgebildeter Coach und Dozentin an der IRE|BS IMMOBILIENAKADEMIE, der FH Biberach und FH Augsburg. Zu den Themen Marketing und Rating verfasste sie die Fachbücher „Der Plan von der Stadt“ und „Rating von Einzelhandelsimmobilien“. Als Co-Autorin verfasste sie Beiträge im Handbuch für Immobilien-Marketing und Immobilien-Projektentwicklung. Hanns Kastner MRICS, Immobilienökonom (ebs), studierte Architektur an der Technischen Hochschule Karlsruhe und der Technischen Universität Wien. Von 1988 bis 2002 war er Teilhaber des Architekturbüros Schluder/Kastner mit Sitz in Wien und Berlin, 1995 nominiert zum Österreichischen Staatspreis für Architektur. Von 2002 bis 2005 im Stab der IBAG Berlin und Geschäftsführer der BAVARIA Projektentwicklung. Als Abteilungsdirektor bei DEKA Immobilien war er für die Projektentwicklungen und der nicht in Deutschland belegenen Developments und begleitend bei Transaktionen von 2005 bis 2007 tätig. Seit 2008 leitet er die Niederlassung der FRANKONIA Eurobau in Berlin und koordiniert die Aktivitäten der FRANKONIA Polska. Brigitte Kochta studierte Architektur an der Akademie der Bildenden Künste in Wien und an der HdK/TU Berlin. Nach Arbeits- und Stipendiatsaufenthalten in Rotterdam und Zürich gründete sie 1990 ihr eigenes Architekturbüro, dessen Arbeitsspektrum neben konventionellen Architekturthemen auch interdisziplinäre Bereiche aus Landschaftsarchitektur und konstruktivem Ingenieurbau umfasst. Prof. Dr. Michael Krautzberger leitete im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen von 1991 bis 2003 die u.a. für den Städtebau zuständige Abteilung, in der auch die rechtlichen Grundlagen des Städtebaues bearbeitet werden. Er wurde 1993 zum Honorarprofessor an der Fakultät für Raumplanung der Universität Dortmund und 1998 zum Honorarprofessor an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin ernannt. Prof. Krautzberger ist Präsident der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung und Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landesplanung. Er ist u.a. Herausgeber und Mitverfasser von Kommentaren zum Baugesetzbuch. Eckhard Lammel FRICS ist freiberuflich als Bauingenieur tätig. Er ist Mitglied im Sachverständigenausschuss der Deka Immobilien Investment GmbH und darüber hinaus für andere namhafte Immobilienunternehmen beratend tätig. Herr Lammel war viele Jahre als Dozent an verschiedenen Lehrinstituten der Immobilienwirtschaft, u.a. an der ebs IMMOBILIENAKADEMIE und am ebs

Verzeichnis der Autoren

XVII

Department of Real Estate tätig. Vor diesen Tätigkeiten hat er als geschäftsführender Gesellschafter das Unternehmen GBB Projektmanagement GmbH aufgebaut. Unter seiner Federführung entstanden zahlreiche, z. T. namhafte Bauprojekte (u. a. das Bundeskanzleramt, die Hauptstadtniederlassung des ZDF und die Indische Botschaft in Berlin). Herr Lammel ist Chartered Surveyor und war Vorstandsmitglied, Vorstandsvorsitzender und erster hauptamtlicher Geschäftsführer der RICS Deutschland. Er ist Mitglied der RICS Deutschland sowie im Bundesverband der Immobilien Investment Sachverständigen (BIIS). Dipl-Ing. Kerstin Lassnig, Immobilienökonom (ebs), studierte Stadt- und Gebietsplanung an der Bauhausuniversität Weimar sowie Immobilienökonomie an der ebs IMMOBILIENAKADEMIE Oestrich-Winkel und Public Relations an der UMC Potsdam. Nach mehrjähriger Tätigkeit in der Stadtentwicklungsplanung und Kommunalberatung ist sie seit 1999 im Bereich Immobilienmarketing tätig. Seit 2003 arbeitet sie bei der Vivico Real Estate GmbH mit Schwerpunkt Marketing und Vermietung. Sie ist Dozentin und Betreuerin am Real Estate Management Institute der European Business School, Schloss Reichartshausen (ebs) in Oestrich-Winkel. Ihre fachlichen Schwerpunkte liegen in der Stadt- und Immobilienentwicklung, Marketing und Consulting Prof. Norbert Moest studierte Architektur an der Universität Stuttgart, der Architectural Association School of Architecture (AA) in London und der University of California (UCLA) in Los Angeles. Seit 1981 ist er tätig als selbständiger Architekt in Stuttgart, Singen und Konstanz. Er ist Mitglied im Bund Deutscher Architekten (BDA). Seit 1991 unterrichtet er als Professor an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden die Lehrgebiete Entwerfen, Baukonstruktion und Bauphysik. Vor 1991 war er Gastprofessor an der School of Architecture, Syracuse University, New York und Visiting Professor an der ETH in Zürich. Tobias Müller studierte an der European Business School, Schloss Reichartshausen (ebs) in Oestrich-Winkel, an der Universidad Argentina de la Empresa (UADE) in Buenos Aires und an der San Diego State University Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Immobilienökonomie sowie Finanzierung und Banken. Nach seinem Abschluss als Diplom-Kaufmann arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ebs IMMOBILIENAKADEMIE in Berlin. Im Anschluss war er u.a. bei der Wölbern Invest AG mit der Konzeption geschlossener Projektentwicklungsfonds betraut. Gegenwärtig ist er bei der Rampold AG in Hamburg im Bereich Projektentwicklung tätig. Im Rahmen seiner Promotion beschäftigt er sich mit dem Thema Sportimmobilien. Oberbaurat Dipl.-Ing. Steffen Nadrowski ist Leiter des Fachbereichs Bau, Planung und Umwelt der Gemeinde Weyhe. Er studierte Raumplanung an der Universität Dortmund und war von 2000 bis 2005 als Stadtplaner in den Büros Faltin-Scheuvens-Wachten sowie scheuvens+wachten (Dortmund) tätig. Von 2003 bis 2007 war er zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter, später Lehrbeauftragter am Lehrstuhl und Institut für Städtebau und Landesplanung an der RWTH Aachen.

XVIII Verzeichnis der Autoren

Das städtebauliche Referendariat hat er von 2005 bis 2007 bei der Bezirksregierung Düsseldorf und der Stadt Wuppertal absolviert. Prof. Dr. Andrea Pelzeter, Dipl.-Ing. Architektin und Immobilienökonom (ebs), studierte Architektur an der Universität Stuttgart. 1991 bis 1994 war sie für das Berliner Architekturbüro ELW als Projektleiterin für Neubau- und Revitalisierungsprojekte tätig. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder (1994 und 1996) spezialisierte sie sich auf die Detailplanung. Ihre betriebswirtschaftliche Ausbildung begann Frau Pelzeter 2002 mit dem Kontaktstudium Immobilienökonomie an der ebs IMMOBILIENAKADEMIE in Berlin. Als Wissenschaftliche Assistentin erarbeitete sie dort u.a. das Lehrbuch „Immobilienökonomie Band III – Stadtplanerische Grundlagen“. An der European Business School, Schloss Reichartshausen (ebs) in Oestrich Winkel promovierte Frau Pelzeter über „Lebenszykluskosten von Immobilien – Einfluss von Lage, Gestaltung und Umwelt“. In ihrem 2006 gegründeten Unternehmen „Pelzeter • Lebenszyklus-Management“ berät sie Immobilieneigentümer und deren Dienstleister bei der Einführung von Lebenszykluskosten in das Management von Immobilien. Seit 2007 wurde sie auf die Professur Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Facility Management an der Fachhochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Fachbereich Berufsakademie berufen. Dort leitet sie den Studiengang Facility Management. Christian Pelzeter studierte Architektur an der Technischen Universität Berlin. Seit 1994 ist er Partner der Sozietät Heinle Wischer und Partner, Freie Architekten. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Bereich der strategischen Planung komplexer Bauaufgaben, z.B. Bauten für das Gesundheitswesen sowie Universitätsbauten. Christian Pelzeter ist Mitglied des BDA und dort im Arbeitskreis Krankenhausbau und Gesundheitswesen aktiv. Dominique Pfrang, Certified Real Estate Investment Analyst (IRE|BS/DVFA), studierte Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Immobilienökonomie und Marketing an der European Business School, Schloss Reichartshausen (ebs) in Oestrich-Winkel sowie an der University of Technology in Sydney (UTS) und am Instituto Tecnológico y de Estudios Superiores de Monterrey (ITESM) in Guadalajara, Mexiko. Zwischen 2006 und 2010 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Herrn Prof. Dr. Karl-Werner Schulte an der International Real Estate Business School (IRE|BS) der Universität Regensburg, tätig und promoviert derzeit zum Thema Property Brand Management. Prof. Dr.-Ing., Dr.-Ing., e.h. Hans-Georg Retzko studierte Bauingenieurwesen an der damaligen Technischen Hochschule Hannover und promovierte dort als Assistent auf dem Gebiet der Straßenverkehrstechnik. In den Sechziger Jahren war er Baurat und Oberbaurat im Stadtplanungsamt Nürnberg. Anschließend war er Referent für Bauingenieurwesen im Städtebau in einem niedersächsischen Ministerium in Hannover. Im Jahre 1966 wurde er ordentlicher Professor für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der damaligen Technischen Hochschule Darmstadt und Di-

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rektor des gleichnamigen Instituts. Retzko ist Mitglied zahlreicher nationaler und internationaler Organisationen und führte Kongress-, Studien- und Vorlesungsreisen in Europa, Argentinien, Kanada, China, Kolumbien, Hongkong, Israel, Japan, Korea, Mexiko, USA und Vietnam durch. Außerhalb der Technischen Universität Darmstadt ist Retzko als Beratender Ingenieur für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik tätig, von 1980 bis 1998 in einem partnerschaftlich geleiteten Planungsbüro. Über viele Jahre war er Dozent der ebs IMMOBILIENAKADEMIE. Wolf Uwe Rilke studierte Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin. Nach mehrjähriger Tätigkeit in Planungsbüros ist er seit 2001 Geschäftsführender Gesellschafter der Planungsgruppe 4 GmbH, Architekten & Stadtplaner, Berlin und seit 2001 Geschäftsführer von plan 4 21 EWIV european consulting planning coordination. Seit 2005 Mitinhaber der Niederlassung Planungsgruppe 4 LLP, Almaty in Kasachstan. Die Schwerpunkttätigkeiten liegen in den Ländern Italien, Ukraine, Ägypten und Kasachstan. Dr. Peter Runkel leitet im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen die Abteilung Wohnungswesen, nachdem er zuvor im Bereich des Bau- und Planungsrechts verschiedene Aufgaben – zuletzt als Leiter der Unterabteilung Städtebau, Baurecht – wahrgenommen hat. Er ist Herausgeber und Kommentator in verschiedenen Werken des Raumplanungsrechts, ordentliches Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landeskunde sowie Prüfer beim Oberprüfungsamt für die höheren technischen Verwaltungsbeamten im Bereich Städtebau. Ferner war er Dozent der ebs IMMOBILIENAKADEMIE. Prof. Dr. Klaus M. Schmals ist Hochschullehrer für Soziologie an der Universität Dortmund und der Freien Universität in Berlin. Er studierte Ingenieurwissenschaft, Architektur (Vertiefung Städtebau) und Soziologie in München, Stuttgart und Zürich. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf dem sozialen Wandel in altindustrialisierten und modernisierten Stadt-Räumen. Für das Deutsche Volksheimstättenwerk in Berlin forscht er zur nachfrageorientierten Wohnungspolitik. Seit 1990 lehrt er an der IRE|BS IMMOBILIENAKADEMIE (vorher ebs IMMOBILIENAKADEMIE). Prof. Hermann Schnell hat sich nach seinem Architekturstudium spezialisiert auf die Konzeption, Entwicklung und Umsetzung von innovativen Raumkonzepten für komplexe Großprojekte im Büro-, Industrie- und Institutsbau. Er hat an der Schnittstelle von strategischer Beratung, Immobilienmanagement und Bauplanung mehrere Management-Methoden entwickelt und für internationale Auftraggeber implementiert. Er ist Consulting Partner beim QT Quickborner Team und Professor an der GJU German Jordanian University, Amman. Prof. Dr. Karl-Werner Schulte HonRICS wurde 1946 in Warstein/NRW geboren. Im Jahre 1970 schloss er sein Studium der Betriebswirtschaftslehre als Diplom-Kaufmann an der Universität Münster ab und promovierte dort 1974 zum Dr. rer. pol. Im Jahre 1986 wurde er von der European

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Verzeichnis der Autoren

Business School, Schloss Reichartshausen (ebs) in Oestrich-Winkel auf eine Professur für Investition und Finanzierung berufen. Im Jahre 1990 gründete er die ebs IMMOBILIENAKADEMIE und war deren Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführender Gesellschafter bis 2006. Im Jahre 1994 übernahm er den Stiftungslehrstuhl Immobilienökonomie, der zum ebs Department of Real Estate ausgebaut wurde. Im Herbst 2006 wechselten das Department of Real Estate und die Immobilienakademie an die International Real Estate Business School (IRE|BS) der Universität Regensburg. Seitdem ist Prof. Dr. Schulte Inhaber der ECE Stiftungsprofessur für Immobilienwirtschaft am IRE|BS Institut für Immobilienwirtschaft und wissenschaftlicher Leiter der IRE|BS IMMOBILIENAKADEMIE. Professor Dr. Karl-Werner Schulte ist Gründungspräsident der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. (gif) und war Präsident der ERES European Real Estate Society und der IRES International Real Estate Society. Derzeit ist er als IRES Director für die Fortentwicklung von Real Estate Education und Research in Afrika zuständig. Prof. Dr. Schulte wurde als Ehrenmitglied der RICS Royal Institution of Chartered Surveyors (HonRICS), der gif Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. und der Ehemaligenvereinigung IMMOEBS gewählt. Für seine besonderen Verdienste wurde ihm 1999 der IRES Service Award, 2001 der ERES Achievement Award, 2005 der Award of Excellence des German Council of Shopping Centers e.V., 2008 der ULI Germany Leadership Award, 2009 der immobilienmanager Lifetime Award und 2011 der ARES Pioneer Award verliehen. Die renommierte amerikanische Immobilienvereinigung CRE Counselors of Real Estate nahm ihn als ersten Deutschen als Mitglied auf. Als Mitglied in zahlreichen Beiräten namhafter Immobilienunternehmen und (Mit-) Herausgeber immobilienökonomischer Bücher und Zeitschriften verbindet Professor Dr. Karl-Werner Schulte die praktische und theoretische Seite der Immobilienökonomie. Dr. Gisela Schulte-Daxbök studierte Biologie und Medizin an der Universität Münster und war mehrere Jahre als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Pharmakologie und Toxikologie beschäftigt. Im Jahre 1982 promovierte sie mit einer Arbeit über das Thema „Ingestives Verhalten und Körpergewicht während chronischer Nicotinzufuhr und nach Entzug“ zum Dr. rer. medic. Nach der Geburt von drei Kindern und dem Umzug in den Rheingau unterstützte sie ihren Mann in den Jahren 1989/90 beim Aufbau der ebs IMMOBILIENAKADEMIE und übernahm mit ihm gemeinsam die Geschäftsführung der neu gegründeten GmbH. Ihr wissenschaftliches Hauptinteresse gilt der Weiterbildung für Immobilienberufe im internationalen Vergleich und der Schnittstelle zwischen Biologie und Immobilienökonomie. Nach dem Wechsel der Immobilienakademie an die Universität Regensburg ist sie Geschäftsführerin der IRE|BS IMMOBILIENAKADEMIE. Sie ist dort Leiterin des Prüfungsamts und für die Bereiche Qualitätsmanagement, Personal sowie internationale Kontakte zuständig. Dipl.-Ing. Olaf Steinhage, Immobilienökonom (ebs), geboren im Februar 1963, war nach dem erfolgreichen Abschluss seines Architekturstudiums an der TU Hannover von 1991 bis 1993 bei der

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SUTER+SUTER AG in Basel tätig. Seinen Aufgabenbereich umfassten u.a. Portfolioanalysen und Immobilienberatung, Markt – und Standortanalysen sowie die Projektentwicklung. Weiterhin erlangte er 1993 den Abschluss des Immobilienökonoms an der ebs IMMOBILIENAKADEMIE. Von 1993 bis 1997 war Olaf Steinhage als Assistent der Geschäftsleitung und im Real Estate Development bei der Deutsche Interhotel GmbH mit Sitz in Berlin tätig. 1997 wechselte er zur BKatz Unternehmensgruppe und verantwortete dort als Geschäftsführer die Entwicklung, Realisierung und Markteinführung des Resorts „Land Fleesensee“ in Mecklenburg-Vorpommern. 1998 eröffnete Olaf Steinhage sein eigenes Hotel „Kleines Meer“ in Waren an der Müritz (MecklenburgVorpommern). Als Geschäftsführer der Drees & Sommer GmbH Berlin war er von 2002 bis 2005 für die Projektentwicklung sowie den Bereich Hotelimmobilien verantwortlich. Seit März 2005 ist Olaf Steinhage geschäftsführender Gesellschafter der hcb hospitality concepts berlin GmbH. Darüber hinaus ist er Dozent der IRE|BS IMMOBILIENAKADEMIE und der Internationalen Fachhochschule Bad Honnef Bonn mit Themen der Projektentwicklung und der Hotelimmobilien. Monika Trabzadah studierte Nordamerikanistik und Romanistik an der FU Berlin sowie Immobilienökonomie und Handelsimmobilien an der ebs IMMOBILIENAKADEMIE (heute IRE|BS IMMOBILIENAKADEMIE). Nach zwölf Jahren Berufstätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ebs IMMOBILIENAKADEMIE in Berlin sowie als Projektassistentin für ein inhabergeführtes Beratungsunternehmen der Immobilienwirtschaft wechselte sie zur von Arnim Personalberatung. Seit 2011 verstärkt Frau Trabzadah das Real Estate Executive Research Team der Bernd Heuer & Partner Human Resources GmbH, Niederlassung Berlin als Senior Beraterin. Dr. Norbert Karl Verfürth studierte an der Universität Essen und der Universität Kassel Architektur und ist Mitglied in der Architektenkammer (AKNW) seit 1986. Er promovierte 1997 bei dem Kirchenbauarchitekten Prof. Dr. habil. Tadeus Zipser im Fachbereich Ingenieurwissenschaften mit dem Thema Sakralarchitektur. Im Jahr 1986 gründete er das Architekturbüro Verfürth Architekten. Seit 1999 ist er Mitglied im Bund Deutscher Architekten (BDA). Jan Nikolaus Viebrock ist Justitiar und Stellvertreter des Präsidenten beim Landesamt für Denkmalpflege Hessen. Er ist Mitautor des Kommentars zum Hessischen Denkmalschutzgesetz und verschiedener Handbücher zu Denkmalschutz und Denkmalpflege. Zu seinen Schwerpunkten zählen u.a. die steuerrechtliche Behandlung von denkmalpflegerischen Maßnahmen sowie Fragen aus den Überschneidungen von Bau- und Denkmalschutzrecht. Prof. Kunibert Wachten ist Professor für Städtebau und Landesplanung an der RWTH Aachen und seit 1990 Dozent an der IRE|BS IMMOBILIENAKADEMIE (vorher ebs IMMOBILIENAKADEMIE). Zuvor leitete er Städtebau-Lehrstühle in Bochum und Wien. Er ist Mitinhaber des Planungsbüros scheuvens+wachten (Dortmund) und darüber hinaus tätig als Berater zahlreicher In-

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stitutionen vor allem in der Regionalentwicklung. Er ist u.a. Vorsitzender einiger Beiräte und Kuratorien. Barbara Walzel studierte Amerikanistik an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Nach ihrem Abschluss (Magister Artium) war sie Mitarbeiterin der SCC Shopping Center Consulting GmbH, einem Projektentwickler von Handelsimmobilien. 1993 war sie Gründungsmitglied des German Council of Shopping Centers e.V. (GCSC) und Mitglied des Vorstands und Leiterin der Geschäftsstelle bis 1998. 1994 entwickelte sie in einer Zusammenarbeit mit der ebs IMMOBILIENAKADEMIE das Intensivstudium Handelsimmobilien. 1997 gründete sie das Unternehmen Shopping Centers & Retail Relations, welches sich mit der Erstellung von Markt- und Standortanalysen, Öffentlichkeitsarbeit und Weiterbildungsmaßnahmen sowie der Beratung in Projektentwicklung und Management von Handelsimmobilien beschäftigt. Im März 2002 ist Frau Walzel in die Geschäftsführung der ebs IMMOBILIENAKADEMIE eingetreten und leitete einige Jahre die Niederlassung Rhein-Ruhr in Essen. Prof. Dr. Silke Weidner, SRL, studierte Raum- und Umweltplanung an der Universität Kaiserslautern, promovierte an der Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, 2004 zum Dr.-Ing. auf dem Gebiet der Strategischen Stadtentwicklungsplanung in Schrumpfenden Städten und war dort Mitbegründerin des Postgradualen Studiengangs Urban Management. Folgend auf eine Juniorprofessur an der Universität Leipzig ist sie seit 2009 Inhaberin des Lehrstuhls Stadtmanagement an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (BTU). Darüber hinaus lehrt sie an verschiedenen Standorten der IRE|BS IMMOBILIENAKADEMIE, an der European Business School, Schloss Reichartshausen (ebs) in Oestrich-Winkel, sowie an der Universität Zürich (CUREM). Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Steuerung von Transformationsprozessen in Städten und Quartieren (Akteure, Instrumente, Förderung), funktional steht neben dem integrierten Ansatz u.a. der Handel als Motor von Stadtentwicklung im Fokus. Hier setzt auch ihre langjährige praktische Tätigkeit an, die sie zunächst in verschiedenen Planungsbüros, seit 2004 mit Kollegen im eigenen Planungs- und Beratungsbüro urban management systems GmbH Leipzig und seit 2009 als Assozierte von RKW Städtebau & Architektur sowie als freie Beraterin leistet. Sie engagierte sich als Regionalgruppensprecherin bei der Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SRL), ist seit 2009 im Vorstand der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. (gif) , leitet im Zentralen Immobilienausschuss e.V. den Arbeitskreis Bildung & Forschung und ist Mitherausgeberin der ZIÖ Zeitschrift für Immobilienökonomie. Karin Weikamp MRICS, Immobilienökonom (ebs), ist seit nunmehr 20 Jahren in der Immobilienwirtschaft/Projektentwicklung tätig. Nach ca. 3 Jahren Unternehmensgruppe Dr. Jürgen Schneider im Bereich Akquisition, 3 Jahren Deutsche Bank AG im Bereich Beratung vermögender Privatkunden sowie Kreditrisikomanagement (Business Review), war sie über 3 Jahre bei der Vivico Real Es-

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tate Management GmbH als Projektleiterin im Bereich der Projektentwicklung tätig. Im Sommer 2000 gründete sie als geschäftsführende Gesellschafterin die Beratungsgesellschaft Activ Consult Real Estate GmbH, Darmstadt, Frankfurt und Berlin. Nach ihrem Ausstieg 2006 baute sie den Bereich Investment Advisory für die REAG GmbH in Frankfurt auf. Nach weiteren zwei Jahren im Bereich des Asset Managements eines Private Ecquity Unternehmens, der FREO Financial & Real Estate Operations GmbH wechselte sie zum Jahresbeginn 2011 zur IVG Institutional Funds GmbH als Senior Fundmanager. Ferner ist sie Dozentin der IRE|BS IMMOBILIENAKADEMIE (vorher ebs IMMOBILIENAKADEMIE), Mitglied in der Landesfachkommission Immobilien sowie Vorstandsmitglied der Sektion Frankfurt des Wirtschaftsrats Deutschland. Dr. Ulrike Wendland wurde 1960 in Braunschweig geboren. Zwischen 1980 und 1987 studierte sie Kunstgeschichte, Archäologie und Italianistik an der Universität Hamburg. Gefolgt von einem Denkmalpflege Aufbaustudium an der Universität Bamberg (1987-1988). Anschließend arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt Emigration deutschsprachiger Kunstwissenschaftler (DFG) am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg. 1996 promovierte sie an der Universität Hamburg. Bis 1998 arbeitete sie als Postdoktorandin des Graduiertenkollegs Kunstwissenschaft – Bauforschung – Denkmalpflege an der Universität Bamberg und der TU Berlin und danach bis 2001 als wissenschaftliche Assistentin am Fachgebiet Denkmalpflege des Instituts für Stadt- und Regionalplanung. Darauf folgten zwei Jahre in der Schweiz, wo Sie als Oberassistentin am Lehrstuhl für Denkmalpflege der ETH Zürich tätig war. Für über 3 Jahre war sie anschließend Leiterin des Landesdenkmalamtes des Saarlandes (2002-2005). Seit Oktober 2005 ist sie Landeskonservatorin im Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in Halle. Die Schwerpunkte in Lehre und Forschung liegen auf Geschichte und Theorie der Denkmalpflege / Flächenhafter Denkmalschutz (Denkmalpflege und Planung, Städtebauliche Denkmalpflege, Pflege der historischen Kulturlandschaft) / Denkmalpflege und Öffentlichkeit, Denkmalpflege und Politik sowie Denkmalkunde. Prof. Dr. Martin Wentz studierte Physik und promovierte 1974 zum Dr. phil. nat. 1989 wurde er zum hauptamtlichen Stadtrat und Dezernenten für Planung der Stadt Frankfurt am Main gewählt. 2000 wechselte er in das Baudezernat. Nach Ablauf der Wahlzeit im Juni 2001 gründete er die Firma Wentz Concept Projektstrategie GmbH. Zu Themen der Stadtentwicklung und des Städtebaus hat er u.a. die Buchreihe „Zukunft des Städtischen“ herausgegeben. Er war viele Jahre Dozent an der ebs IMMOBILIENAKADEMIE und danach an der IRE|BS IMMOBILIENAKADEMIE, lehrte bis 2001 an der Universität Kaiserslautern und war von 2001 bis 2004 Gastprofessor an der Universität Karlsruhe. 2003 erfolgte seine Berufung zum Honorarprofessor für Stadtplanung an der European Business School, Schloss Reichartshausen (ebs) in Oestrich-Winkel. Er wechselte 2006 auf eine entsprechende Professur an das IRE|BS Institut für Immobilienwirtschaft der Universität Re-

XXIV Verzeichnis der Autoren

gensburg. Er ist Mitglied in DASL, Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, Stiftungsrat Lebendige Stadt u.a. Organisationen. Matthias Wiffler studierte 1999 bis 2004 an der European Business School, Schloss Reichartshausen (ebs) in Oestrich-Winkel, an der University of Florida in Gainesville (USA) sowie der UNITEC Institute of Technology in Auckland (Neuseeland) Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Immobilienökonomie und Marketing. Für seine Diplomarbeit zum Thema Immobilienmarketing erhielt Matthias Wiffler den Immobilien-Marketing-Award der Zeitschrift Immobilienwirtschaft und Recht. Nach seinem Abschluss als Diplom-Kaufmann arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am ebs Department of Real Estate und wechselte im Jahr 2006 an die International Real Estate Business School (IRE|BS) der Universität Regensburg. Herr Wiffler ist Doktorand von Prof. Dr. Karl-Werner Schulte und arbeitet an einer Promotion zum Thema „Käuferverhalten von institutionellen Immobilieninvestoren“. Seit 2007 ist Matthias Wiffler für die IVG Institutional Funds GmbH (vormals Oppenheim Immobilien KAG) tätig und verantwortet dort als Fondsmanager Immobilienportfolien mit deutscher und pan-europäischer Ausrichtung. Silke Wittig, Retail Property Manager (IRE|BS/GCSC), studierte Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Immobilienmanagement und Immobilienökonomie an der Universität Regensburg. Nach ihrem Abschluss als Diplom-Kauffrau ist sie seit 2007 Doktorandin bei Herrn Prof. Dr. Karl-Werner Schulte HonRICS CRE am IRE|BS Institut für Immobilienwirtschaft der Universität Regensburg und Mitglied im gif Arbeitskreis Einzelhandel. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit dem Branchenmixmanagement und den Auswirkungen innerstädtischer Shopping Center. Dr.-Ing. Christiane Ziegler-Hennings hat an der TU München Landschaftsplanung studiert. Nach dem Studium arbeitete sie drei Jahre in freien Planungsbüros. Seit 1978 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Landschaftsökologie/Landschaftsplanung der Fakultät Raumplanung, TU Dortmund. Ihre Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind Stadtökologie und Freiraumplanung. Daneben arbeitete sie in zahlreichen Stadtplanungsprojekten in der Praxis, häufig in Arbeitsgemeinschaften mit Stadtplanern. C. Ziegler-Hennings unterrichtete zehn Jahre im englischsprachigen Studiengang SPRING für Planer aus Entwicklungsländern, Forschungsaufenthalte in Tansania und Thailand. Sie war über 20 Jahre Partnerschaftsbeauftragte der Kooperation mit dem Urban/Regional Planning Program der Michigan State University, USA und führte dort zahlreiche gemeinsame Studentenprojekte durch, ebenso wie die Teilnahme an Tagungen und Vorlesungen. Von dieser Fakultät wurde sie 1995 zum Adjunct Professor (Apl. Professor) ernannt. Seit 1990 unterrichtet sie an der IRE|BS IMMOBILIENAKADEMIE (vorher ebs IMMOBILIENAKADEMIE) die Bereiche Stadtökologie und Freiraumplanung. Christiane Ziegler-Hennings ist verheiratet mit Prof. Dr. Gerd Hennings und hat eine Tochter, Juliane.

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1 Stadtplanung und Immobilienökonomie Karl-Werner Schulte, Andrea Pelzeter

1.1 Einleitung

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1.2 Immobilienökonomie

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1.3 Stadtplanung

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1.4 Städtebau

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1.5 Immobilien-Projektentwicklung

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1.6 Ausblick

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1 Stadtplanung und Immobilienökonomie Karl-Werner Schulte, Andrea Pelzeter 1.1 Einleitung Der Mensch verbringt einen großen Teil seines Lebens in Gebäuden. In den Industrienationen schätzt man diesen Anteil auf ca. 85% (vgl. Schulte, 2004a). Auch nach dem Verlassen eines Gebäudes befindet man sich i.d.R. weiterhin in gebauter Umwelt, meist auf den Straßen und Plätzen einer Stadt. In den Industrieländern leben 75% der Einwohner in Städten, mit noch immer steigender Tendenz (vgl. DSW). Für Deutschland beträgt der Anteil der Städter ca. 85% (vgl. Statistisches Bundesamt).

Quelle: Carla, 7 Jahre

Abbildung 1: Bild der Stadt Damit muss man die Stadt als den eigentlichen Lebensraum des Menschen betrachten; sie bestimmt mit über seine Lebensqualität (vgl. Abbildung 1: Stadtbild der Berliner Schülerin Carla, 7 Jahre). Die Frage nach dem Wie und Warum einer Stadt kann jedoch nicht allein durch die theoretischen Grundlagen der räumlichen Planung beantwortet werden. Planung steht immer im Kraftfeld von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozessen. Diese Zusammenhänge zu verdeutlichen, ist das Ziel des vorliegenden Buches.

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Dieses Eingangskapitel möchte die Zusammenhänge zwischen Stadtplanung und Immobilienökonomie aufzeigen und zugleich begriffliche Abgrenzungen zu Städtebau und Architektur vornehmen.

1.2 Immobilienökonomie Die Immobilienökonomie ist im Vergleich zur räumlichen Planung eine junge Disziplin, die durch Abgrenzung, Ordnung und planmäßige Untersuchung zu einer Wissenschaft herangereift ist (vgl. Hennings, S. 54). Daher wird der Darstellung ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und ihrer wissenschaftlichen Entwicklung eine Definition vorangestellt. 1.2.1

Begriffsdefinition

Immobilienökonomie führt die Begriffe „Immobilie“ und „Ökonomie“ zusammen. Ökonomie wird im Etymologischen Wörterbuch als „Wirtschaftswissenschaft, wirtschaftliche Strukturen, sparsame Wirtschaftsführung, Wirtschaftlichkeit“ definiert. Der Begriff geht zurück auf das griechische Wort „oikonomia“: Hauswirtschaft, Verwaltung (vgl. dtv). Für Immobilie halten weder Sprachgebrauch noch Wissenschaft eine einheitliche Definition bereit. Das lateinische Wort „immobil“ steht für unbeweglich und bezeichnet damit ein wesentliches Charakteristikum der Immobilie: ihre Ortsgebundenheit. Ihr Bedeutungsraum reicht von Grundstück, über Gebäude, Liegenschaft, Grundbesitz, etc. bis hin zu grundstücksgleichem Recht (vgl. Bone-Winkel/Schulte/ Focke, S. 7ff.). „Im Mittelpunkt der Immobilienökonomie steht die Erklärung und Gestaltung realer Entscheidungen von mit Immobilien befassten Wirtschaftssubjekten.“ (Schulte/Schäfers, S. 57). Diese Entscheidungsprozesse werden unter verschiedenen Aspekten analysiert: unter ManagementAspekten, unter institutionellen, typologischen und interdisziplinären Aspekten. Die „Interdisziplinären Aspekte“ enthalten auf der Basis der Betriebswirtschaftslehre die Perspektiven von Volkswirtschaftslehre, Rechtswissenschaft, Stadtplanung, Architektur und Ingenieurwesen. Darauf bauen die „Typologischen Aspekte“ auf mit Gewerbe-, Wohn-, Industrie- und Sonderimmobilien, sowie die „Institutionellen Aspekte“, die die verschiedenen Akteure der Immobilienwirtschaft umfassen: Immobilienprojektentwickler, Immobilieninvestoren, Bauunternehmen, Immobilienfinanzinstitutionen, Immobiliendienstleister und Immobiliennutzer. Übergeordnet befinden sich die „Management-Aspekte“, unterteilt in strategiebezogene Aspekte (Portfoliomanagement, Corporate Real Estate Management sowie Public und Private Real Estate Management), funktionsspezifische Aspekte (Immobilienanalyse, -bewertung, -finanzierung, -investition, -marketing) und phasenspezifische Aspekte (Projektentwicklung, Bau-Projektmanage

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ment, Facilities Management). Eine graphische Aufarbeitung der genannten Aspekte zum „Haus der Immobilienökonomie“ zeigt Abbildung 2.

Immobilienökonomie Management-Aspekte Portfoliomanagement

CREM

PREM

Immobilien- Immobilienanalyse bewertung

Bau-Projekt- Facilities Immobilien- Immobilien- Projektinvestition marketing entwicklung management Management

Funktionsspezifische Aspekte

Phasenorientierte Aspekte

Immobilienprojektentwickler

Gewerbeimmobilien

Immobilieninvestoren Wohnimmobilien

Bauunternehmen Immobilienfinanzinstitutionen

Industrieimmobilien

Immobiliendienstleister

Sonderimmobilien

Immobiliennutzer

Typologische Aspekte

Institutionelle Aspekte

Strategiebezogene Aspekte

Immobilienfinanzierung

Interdisziplinäre Aspekte Volkswirtschaftslehre

Rechtswissenschaft

Stadtplanung

Architektur

Ingenieurwesen

Betriebswirtschaftslehre Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 2: Haus der Immobilienökonomie 1.2.2

Bedeutung der Immobilienwirtschaft

Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Immobilienwirtschaft lässt sich anhand von Kennzahlen bzgl. ihrer Anteile am Volksvermögen, am Bruttoinlandsprodukt und an der Gesamtheit der Beschäftigten verdeutlichen. Aufgrund ihres hohen Investitionsvolumens haben Immobilien einen wesentlichen Anteil am Gesamtvermögen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind 85% des deutschen Bruttoanlagevermögens in Immobilien gebunden, vgl. Abbildung 3. Davon entfallen ca. 49% auf Wohnbauten und ca. 36% auf andere Gebäudearten.

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Bruttoanlagevermögen: 13,1 Mrd. € (zu Wiederbeschaffungswerten in 2010)

Immaterielle Anlagegüter 0,124 Mrd. €

Ausrüstungen 1,868 Mrd. €

Nichtwohnbauten 4,802 Mrd. €

Wohnbauten 6,482 Mrd. €

Quelle: Statistisches Bundesamt 2010

Abbildung 3: Die Immobilie als Vermögensgegenstand Laut der 2009 veröffentlichten Studie über Immobilien als Wirtschaftsfaktor (Voigtländer u.a., S. 65ff.) vereinigt die Immobilienwirtschaft „22% aller Unternehmen, 10% aller Erwerbstätigen und 7,5% aller Umsätze auf sich.“ In absoluten Zahlen erwirtschafteten über 3,8 Mio. Menschen einen Umsatz von rund 380 Mrd. Euro. Immobilienfinanzierungen beanspruchen ca. 55% aller Kredite. Eine statistische Betrachtung der Mittelverwendung gibt ebenfalls Auskunft über die wirtschaftliche Bedeutung von Immobilien. Die Aufwendungen für das Wohnen betragen fast ein Drittel der privaten Ausgaben: 30,8% der Konsumausgaben privater Haushalte wurden im April 2010 ausgegeben für „Wohnung, Wasser, Strom, Gas u.a. Brennstoffe“. Bei den Bruttoanlageinvestitionen machten Bauinvestitionen mit 244,4 Mrd. Euro sogar 57% aus (vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland 2010). Mit 18,6% oder 390 Mrd. Euro (Daten aus dem Jahr 2006, vgl. Voigtländer u.a., S. 79) trägt die Immobilienwirtschaft wesentlich zur Bruttowertschöpfung in Deutschland bei.

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Anteil an Bruttowertschöpfung (in Mrd. €) durch: Architekten, Ingenieure

9,44

Baugewerbe

80,35

Immobilienfinanzierung

38,30

Grundstücks- und Wohnungswesen sonstige Bruttowertschöpfung gesamt:

251,28 10,10 389,47

Quelle: Voigtländer u.a., S. 80f.

Tabelle 1: Erwerbstätige in der Immobilienwirtschaft in Deutschland Zur Vertiefung der volkswirtschaftlichen Relevanz der Immobilienwirtschaft wird Kapitel 1.2 „Bedeutung der Immobilienwirtschaft“ in der 4. Auflage von „Immobilienökonomie Band I – Betriebswirtschaftliche Grundlagen“ sowie Immobilienökonomie Band IV – Volkswirtschaftliche Grundlagen“ empfohlen. 1.2.3

Entwicklung der Immobilienökonomie als wissenschaftliche Disziplin

Wie oben dargestellt, erfasst das Statistische Bundesamt nicht den Bereich der Immobilienwirtschaft als Ganzes, sondern lediglich die Bauwirtschaft. Immobilienbezogene Dienstleistungen werden nicht gesondert ausgewiesen. Dies ist symptomatisch für die gesellschaftliche Wahrnehmung der Immobilienwirtschaft. Abgesehen davon, dass sich alle Immobilienprofessionals – bedingt durch medienwirksame Skandale – dem Gruppenverdacht mangelnder beruflicher Ethik ausgesetzt sehen (vgl. Schulte/Kolb S. 91ff.), wurde ihr Berufsfeld für lange Zeit nicht als Einheit betrachtet. Es zerfiel stattdessen in einzelne Fachbereiche unterschiedlicher Disziplinen. Vor betriebswirtschaftlichem Hintergrund entwickelte sich beispielsweise die „Planungs- und Bauökonomie“, welche aus der Perspektive des Bauherrn und der für ihn Planenden (Stadtplaner, Architekten, Bauingenieure) eine Optimierung von Planungs-, Bau- und Nutzungsprozessen untersucht (vgl. Schulte/Schäfers, S. 47ff.). Aus volkswirtschaftlicher Perspektive entstand die Wohnungswirtschaftslehre. Sie analysiert die politischen und ökonomischen Aspekte der Befriedigung des Grundbedürfnisses „Wohnen“. Soziologie und Psychologie bilden die Experten für Marktforschung aus, etc. Für eine ganzheitliche Optimierung des Lebensraumes Stadt ist es jedoch erforderlich, alle Teilbereiche zu einer Synopse zusammenzubringen: alle Institutionen, alle Phasen, alle Dienstleistun-

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gen, alle Typologien. Erst eine integrierte Sichtweise erlaubt es, die komplexen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten der Immobilienwirtschaft zu erfassen. Mit dieser Zielvorstellung wurde 1990 die ebs IMMOBILIENAKADEMIE gegründet, gefolgt von der Gründung des Stiftungslehrstuhls Immobilienökonomie 1994. Was in Deutschland ein Startsignal setzte für die Entwicklung einer fachübergreifenden immobilienbezogenen Forschung und Lehre, besitzt im anglo-amerikanischen Kulturbereich bereits eine längere Tradition. So gründete die Universität Wisconsin im Jahr 1926 das „Institute for Research in Land Economics and Public Utilities“ (vgl. Schulte/Schäfers, S. 52ff.). Zur Abgrenzung der Immobilienökonomie von anderen wissenschaftlichen Disziplinen wird nicht der sonst übliche Weg der Ausgrenzung beschritten; vielmehr ist es die oben beschriebene Integration verschiedener Disziplinen, die ein wesentliches Merkmal dieser jungen Wissenschaft darstellt.

1.3 Stadtplanung War schon die Definition der Immobilienökonomie geprägt von unterschiedlichen Herangehensweisen, so gilt dies für die Stadtplanung in noch stärkerem Ausmaße. Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen von dem, was Stadtplanung beinhaltet. Als Schnittmenge der möglichen Inhalte kommt der „Raum“ in Frage: dreidimensionaler Raum, der analysiert, geplant und gestaltet wird, in den unterschiedlichsten Maßstäben und Dimensionen. Im vorangegangenen Kapitel war zunächst einmal von räumlicher Planung die Rede. Sie könnte als Oberbegriff gelten, da sie nicht unterscheidet nach Maßstab, Zweck, Stadt oder Land. Ebenso umfassend war der Begriff Raumplanung angelegt bei seiner Einführung zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Es hat sich jedoch im allgemeinen Sprachgebrauch eine Bedeutungsverengung vollzogen, sodass damit heute i.d.R. die großmaßstäbliche Planung bezeichnet wird, die sich auf die regionale und nationale Ebene bezieht. Dennoch existieren weiterhin beide Auffassungen – die generelle und die spezifische – nebeneinander; beide haben ihre akademischen Befürworter. Entsprechend gibt es einerseits die Universität Dortmund, die Raumplanung als eine eigene Fakultät führt, und andererseits Universitäten, in denen sie integraler Bestandteil der Architektur-Fakultät ist (z.B. TU München, Lehrstuhl für Raumentwicklung, ehemals Raumplanung, am Institut für Entwerfen, Stadt-, Regional- und Freiraumplanung). Für ein gleichberechtigtes Nebeneinander hat sich die Universität Wien entschieden mit einer Fakultät für Architektur und Raumplanung, wie auch die Universität Kaiserslautern, deren Fachbereich Architektur, Raum- und Umweltplanung sowie Bauingenieurwesen zusammenfasst. Die Themen der Raumplanung differieren von denen der Stadtplanung insbesondere hinsichtlich der überörtlichen Planungsebene, d.h. durch die Betrachtung nationaler und internationaler

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Raumplanung sowie durch eine stärkere Einbeziehung politischer und volkswirtschaftlicher Themenfelder. Ache et al. geben folgende Definition der Raumplanung: „Raumplanung ist das gezielte Einwirken auf die räumliche Entwicklung der Gesellschaft, ihrer Wirtschaft und der natürlichen, gebauten und sozialen Umwelt.“ (Ache et al., S. 7).

Raumplanung Raumordnung Raumordnungsprogramme, r äumliche Leitbilder, Steuerungsprinzipien, Raumordnungsverfahren

Landesplanung Regionalplanung Stadtplanung Bauleitplanung

Quelle: nach Velsinger/Lienkamp 1996, S. 46

Abbildung 4: Raumplanung Bei den Begriffen Raumordnung und Raumplanung gibt es ebenfalls unterschiedliche Meinungen darüber, welches der Oberbegriff sein soll. Nach Kunzmann/Klotz befasst sich die Raumordnung mit strukturräumlichen Gegebenheiten bzw. mit der Zuordnung von Gesellschaft, Wirtschaft und Raum (vgl. Kunzmann/Klotz, S. 213f.). Die Raumplanung ist zuständig für die Realisierung der in der Raumordnung dargestellten, gesellschaftspolitischen Leitbilder. Die Maßnahmen der Raumordnung wiederum setzen die Vorgaben des Raumordnungsgesetzes (ROG) um, welches Leitlinien auf Bundesebene definiert. Daher schlagen Velsinger und Lienkamp die in Abbildung 4 dargestellte Hierarchisierung vor. Raumplanung wirkt sich durch die ordnungspolitischen Entscheidungen über alle Ebenen hinweg bis auf einzelne Investitionsvorhaben aus. Sie ist jedoch – anders als die Stadtplanung – aus der Perspektive von Immobilien-Projektentwicklern und Investoren praktisch nicht zu beeinflussen. Aus diesem Grunde wird die Stadtplanung im Fokus dieses Buches stehen. Stadtplanung hat zur Aufgabe, die Entwicklung der Stadt zum Wohle der Allgemeinheit zu lenken (vgl. Pahl-Weber, S. 489). Dazu benötigt sie einerseits klare, bauliche und gesellschaftliche Leitbilder, die die Richtung weisen, und andererseits ein gesichertes Instrumentarium zur Umsetzung der erkannten Ziele. Für beides gibt es gesetzliche Grundlagen, deren Kenntnis für eine erfolgreiche Umsetzung von Bauprojekten erforderlich ist. Aus den Rechtsgrundlagen haben sich Entscheidungsstrukturen entwickelt, die zwar den Verfahrensablauf in gewisser Weise vorbe-

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stimmen, den Akteuren aber auch Möglichkeiten zur Prozessgestaltung lassen. Nicht zuletzt entscheiden die finanziellen Randbedingungen über den Erfolg einer Planung. Im Folgenden werden die verschiedenen Autorenbeiträge inhaltlich kurz vorgestellt und in das Themenfeld von Immobilienökonomie und Stadtplanung eingeordnet. x

Leitbilder der Stadtplanung, Kapitel 2.1.1 Die Formulierung von Zielvorstellungen ist der erste Schritt einer stadtplanerischen Aktivität. Er gibt Orientierung für die Ableitung und Auswahl sämtlicher, erforderlicher Teilschritte. Die Autoren Kerstin Lassnig und Wolf Uwe Rilke geben einen Überblick über historische und aktuelle Leitbilder. Daraus entwickeln sie Anforderungen, die ein tragfähiges Leitbild zu erfüllen hat.

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Soziologische Bausteine der Stadtplanung, Kapitel 2.1.2 Eine Stadt ist das steinerne Abbild einer Gesellschaft. Klaus M. Schmals erläutert, wie gesellschaftliche Entwicklungen die Entstehung neuer Raumkonzepte beeinflussen. Dem nachfrageorientierten Projektentwickler gibt er soziologische Bausteine an die Hand, um die aktuelle Gesellschaftssituation zu analysieren und um künftige Entwicklungen zu prognostizieren.

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Akteure, Verfahrens- und Prozessgestaltung, Kapitel 2.1.3 Das Wissen um Zuständigkeiten und Verfahrensabläufe erleichtert es dem Unternehmer, die Möglichkeiten zur Prozessgestaltung zu identifizieren und kreativ zu nutzen. Martin Wentz weist in diesem Zusammenhang auf gesellschaftspolitisches Konfliktpotenzial hin und erläutert die neuen Formen des Stadtmanagements.

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Bau- und Planungsrecht, Kapitel 2.1.4 Grundkenntnisse des Bau- und Planungsrechts sind eine wesentliche Voraussetzung für die Kommunikation mit Planungsbehörden wie auch für jede Abschätzung von Verwirklichungschancen von Immobilienprojekten. Michael Krautzberger und Peter Runkel erläutern zu diesem Zweck die Systematik des Baugesetzbuches und der Landesbauordnungen.

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Kosten und Finanzierung stadtplanerischer Maßnahmen, Kapitel 2.1.5 Eine präzise Planung von Erst- und Folgekosten sowie eine verlässliche Finanzierungsstrategie sind unerlässliche Vorbedingungen für die Realisierung stadtplanerischer Maßnahmen. Martin Wentz und Andrea Pelzeter stellen Motivation und Handlungsoptionen der Kommunen dar. Daraus leiten sie Ansatzpunkte ab für eine erfolgreiche öffentlich-private Kooperation.

Das vielfach erforderliche Spezialwissen zur kompetenten Integration aller Planungsdetails hat zur Herausbildung verschiedener Fachplanungen geführt. Als wichtigste Disziplinen werden in die-

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sem Rahmen Siedlungs-, Gewerbe-, Freiraum- und Verkehrsplanung sowie die Planung der Verund Entsorgung vorgestellt. x

Siedlungsplanung, Kapitel 2.2.1 Auch ungeplante Siedlungen entwickeln sich nach bestimmten Mustern, welche in sog. „Schwarzplänen“ gut zu erkennen sind. Die Struktur dieses Musters vorzugeben und die räumlichen, klimatischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen abzuwägen, ist Aufgabe der Siedlungsplanung. Herbert Kallmayer stellt unterschiedliche Siedlungstypen in ihrem historischen Kontext dar und zeigt Perspektiven auf, wie eine Verlangsamung des Flächenwachstums durch Nachverdichtung und Revitalisierung verwirklicht werden kann.

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Gewerbeplanung, Kapitel 2.2.2 Der wirtschaftliche Strukturwandel in den Großstädten Deutschlands erfordert gezielte Strategien zur Bestandssicherung und zur Förderung von Modernisierung und Innovation im Gewerbe- und Industriesektor. Auch die Beziehung zwischen Gewerbeplanung und Dienstleistungen werden von den Autoren Gerd Hennings und Monika Dobberstein beleuchtet.

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Freiraumplanung, Kapitel 2.2.3 Freiraumplanung bezieht sich sowohl auf den Landschaftsraum außerhalb als auch auf die nicht für Bebauung genutzten Flächen innerhalb einer Siedlung. Freiflächen haben verschiedene Funktionen zu erfüllen, die sich teilweise überlagern können: sie dienen ökologischen, sozialen, ästhetischen wie auch wirtschaftlichen Zwecken. Die Autorinnen Christiane ZieglerHennings und Gisela Schulte-Daxbök geben Beispiele für verschiedene Typologien von Freiflächen und weisen auf die durch die Novellierung des Umweltrechtes verschärften Bestimmungen zur Beachtung ökologischer Vorgaben hin.

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Verkehrsplanung, Kapitel 2.2.4 Als Aufgabe der Verkehrsplanung definiert Hans-Georg Retzko die Fundierung und Gestaltung von Entscheidungsprozessen mit dem Ziel, ganzheitlich optimierte Verkehrsabläufe zu verwirklichen. Dazu sind Gesamtkonzepte erforderlich, die sowohl die Stadt als auch das Umland betrachten. Die Umsetzung der dargestellten Strategien des Verkehrsmanagements und der Verkehrsvermeidung wird anhand von Kennzahlen für konkrete Erschließungs- und Verkehrsanlagen veranschaulicht.

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x

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Planung der Versorgung und Entsorgung, Kapitel 2.2.5 Die Erschließungsanlagen der Ver- und Entsorgung sind zwar weniger sichtbar als die des Verkehrs, dafür aber nicht weniger wichtig. Karlheinz Jacobitz gibt in diesem Kapitel eine Einführung in die Fachplanungen für Wasser, Abwasser, Abfall und Energie hinsichtlich der entsprechenden Produktionsanlagen wie auch der Verteilungsnetze.

Ganz gleich welcher der o.g. Gegenstände der Stadtplanung betrachtet wird, immer sind die politischen Konsequenzen der Planung, ihre wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen vorauszudenken. Diese werden in den Kapiteln über Denkmalschutz und Nachhaltigkeit aufgegriffen. x

Städtebauliche Denkmalpflege – Städtebaulicher Denkmalschutz, Kapitel 2.3 Die gesellschaftliche Wahrnehmung des Wertes von Denkmälern befindet sich in einem Prozess des Wandels: aus einem Verwaltungsakt, der als „notwendiges Übel“ hingenommen werden musste, entwickelt sich ein Instrument, das Lifestyle ausdrücken und als Indiz für Wertsteigerungspotenziale gelten kann. Vor diesem Hintergrund erläutern die Autoren Jan Nikolaus Viebrock und Nicola Halder-Hass zunächst die Rechtswege für Schutz und Pflege eines Denkmals, um anschließend die Erfolgsfaktoren für das Baudenkmal als Anlageprodukt herauszuarbeiten.

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Nachhaltige Stadtentwicklung, Kapitel 2.4 Eine zunehmende Ressourcenverknappung, die Notwendigkeit zur Ressourcenschonung auf Grund vielschichtiger Aspekte und die Verstärkung sozialer Verwerfungen der Städte seit Ende der 1980iger Jahre gaben den Anlass für eine veränderte Lesart von Stadt und die Neuausrichtung ihrer Entwicklungsinstrumente. Diese drei Eckpositionen umschließen die unmittelbar stadtrelevanten und eng miteinander verwobenen Prozesse der Globalisierung, des demografischen,

strukturellen

und

klimatischen

Wandels,

der

Verschärfung

von

Umweltproblemen, der sozialen Polarisierung und räumlichen Fragmentierung, sowie der Einengung von (finanziellen) Handlungsspielräumen der öffentlichen Hand. Die Städte auf diese hochkomplexe und hochdynamische Gemengelage von Herausforderungen einzustellen, ist Ziel einer Nachhaltigen Stadtentwicklung. Einen Ausblick auf aktuelle Entwicklungen in der Praxis der Stadtplanung gibt das abschließende Kapitel: x

Planungskonzepte im gesellschaftlichen Wandel, Kapitel 2.5 Kunibert Wachten und Steffen Nadrowski konstatieren einen Pendelschlag der Planungskonzeptionen als Reaktion auf den gesellschaftlichen Wandel. Die derzeitige Renaissance der

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„großen Pläne“ wird anhand von aktuellen Handlungsfeldern, u.a. am Stadtumbau in der schrumpfenden Stadt illustriert. Stadtplanung befindet sich in der Basis des Hauses der Immobilienökonomie (vgl. Abbildung 2). Sie ist einer der interdisziplinären Aspekte, die zum Gelingen eines Immobilienprojektes beitragen. Die in Kapitel 2 zusammengestellten Informationen sollen die Komplexität stadtplanerischer Zusammenhänge veranschaulichen. Stadtplanung wird in der Immobilienwirtschaft vielfach als Risiko betrachtet, da Beschlusszeitpunkt und –inhalt der von ihr vorbereiteten Bebauungspläne schwer vorhersehbar sind. Ein besseres Verständnis für die multiplen Bedingungen von stadtplanerischen Entscheidungen wird jedoch helfen, die Akteure der Stadtplanung nicht als Gegenspieler der Immobilienwirtschaft wahrzunehmen, sondern vielmehr die möglichen Synergieeffekte zu erkennen und kreativ zu nutzen.

1.4 Städtebau Die Begriffe Stadtplanung und Städtebau werden mitunter synonym verwendet. Dies ist naheliegend, da die gebaute Stadt das Ziel der Planung darstellt und damit in planerischen Prozessen immer gegenwärtig ist. Hier soll jedoch Städtebau als Realisierung der Stadtplanung verstanden werden. Das Faktische der Stadt, ihre Entwicklungsprozesse und Strukturen sind Gegenstand des dritten Kapitels. Dabei erschöpft sich der Städtebau keineswegs im sog. „Urban Design“, der Gestaltung von Straßenmöbeln wie Laternen, Brunnen, etc. Vielmehr umfasst er die Beziehungen sämtlicher Elemente der Stadt zueinander und zum Ganzen. Das Kapitel beginnt mit einer geschichtlichen Herleitung städtischer Typologien und ihrer Strukturen. x

Stadttyp Europäische Stadt, Kapitel 3.1 Wolfgang Christ entwickelt eine Morphologie der europäischen Stadt, mit deren Hilfe sich alle parallel existierenden Strukturen einer Stadt charakterisieren lassen. Die Typologie umfasst die mittelalterliche Behälterstadt, die „fordistische“ Industriestadt, Slaburbia, Zwischenstadt sowie die fraktale und die künstliche Stadt. Letztere wird z.B. durch den New Urbanism geprägt. Das Unterscheiden der Stadttypen erleichtert im folgenden Schritt das Verstehen von Entwicklungstendenzen, die Christ als Zentrierung, Komprimierung, Dehnung und Fragmentierung beschreibt.

Da das Funktionieren einer Stadt ganz entscheidend von der Zuordnung der einzelnen Nutzungsbereiche abhängt, widmet sich das folgende Kapitel 3.2 den spezifischen Anforderungen der als Stadtbausteine bezeichneten, durch eine bestimmte Nutzung geprägten Einheiten.

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Dabei impliziert die Unterscheidung verschiedener Funktionen nicht, dass diese auch getrennt voneinander anzusiedeln sind, im Gegenteil: auf die Erkenntnis, dass die über weite Teile des 20. Jahrhunderts favorisierte Funktionstrennung, der sog. „Fordismus“, zum Auseinanderfallen der Städte geführt hat, folgt nun die Gegenbewegung der Reintegration. Das erneute Zusammenführen unterschiedlicher Nutzungen vollzieht sich zwischen räumlicher Nähe und multifunktionalen Gebäuden. Die im Folgenden vorgestellten Kapitel charakterisieren die Funktionselemente der Stadt hinsichtlich ihrer Beziehung zur Stadt bzw. zu anderen Stadtbausteinen, durch städtebauliche Kennzahlen, Funktionsdiagramme, Dimensionierung, Anforderungen an die bauliche Struktur, Kostenkennwerte, Akteure, Finanzierung, rechtliche Erfordernisse und Entwicklungstendenzen. Für die Praxis von besonderem Interesse sind dabei die Hinweise auf kritische Aspekte und Stolpersteine, die für die dargestellte Nutzung spezifisch sind. x

Definition und Typisierung von Stadtbausteinen, Kapitel 3.2.1 In einem einführenden Kapitel beschreibt Andrea Pelzeter die möglichen Betrachtungsebenen und Eigenschaften, die zur Charakterisierung einer durch ihre Funktion geprägten städtebaulichen Einheit dienen.

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Wohnimmobilien, Kapitel 3.2.2 Wohnungen sind ein zentrales Element des Städtebaus. Zahlreiche staatliche Regelungen und Fördermaßnahmen spiegeln die Bedeutung des Wohnens als Grundbedürfnis. Rüdiger Wiechers veranschaulicht darüber hinaus, dass Wohnbedürfnisse dynamisch betrachtet werden müssen, woraus die Forderung nach einer Anpassungsfähigkeit von Wohngrundrissen resultiert. Grund dafür ist nicht nur die Individualisierung der Gesellschaft, sondern auch der Wandel von Wohnbedürfnissen im Ablauf der verschiedenen Lebensphasen des Menschen.

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Bürogebäude, Kapitel 3.2.3 Auch die Konzeption einer Büroimmobilie sollte von den Bedürfnissen des Menschen – am Arbeitsplatz – ausgehen. Darauf aufbauend stellt Eckhard Lammel verschiedene Büroraumkonzepte vor, die wiederum ihre Entsprechung in der Gebäudekonzeption und im städtischen Umfeld finden. Konkrete Hinweise zu Ausbaurastern und technischer Ausstattung illustrieren die Vielzahl von Erfolgsfaktoren, die bei der Planung eines Bürogebäudes berücksichtigt werden müssen.

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Bauten für Handel, Kapitel 3.2.4 Die Autorinnen Monika Trabzadah und Barbara Walzel informieren über die spezifischen Anforderungen des Einzelhandels hinsichtlich seiner Beziehung zur Stadt, Baurecht und Gestaltung, Funktionskonzept und Kostenkalkulation. Dabei gehen sie auch auf Aspekte der Vermie-

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tung und Vermarktung ein, z.B. auf die Kriterien für die Miet- und Kaufpreisfindung oder auf die Bedeutung des Centermanagements für den Erfolg eines Shopping Centers. x

Bauten für Gewerbe und Industrie, Kapitel 3.2.5 Den praktischen Aspekte, die bei der Entwicklung und Vermarktung von Gewerbe- und Technologieparks bzw. –zentren, Logistikimmobilien und Gewerbehöfen zu beachten sind, gilt das Augenmerk der Autoren Gerd Hennings und Monika Dobberstein.

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Bauten für Verkehr, Kapitel 3.2.6 Verkehrsbauwerke, von der Brücke bis zum Flughafen, sind Impulsgeber für die städtische Entwicklung. Brigitte Kochta illustriert das kreative Spannungsfeld zwischen Ingenieurbaukunst und Architektur, im dem diese Bauten entstehen, sowie die neuen Anforderungen, die sich z.B. aus Sicherheitserfordernissen oder Finanzierungsoptionen ergeben.

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Bauten für Kultur, Kapitel 3.2.7 In der Dienstleistungsgesellschaft ist Kultur zu einem ökonomischen Faktor geworden. Hanns Kastner weist auf die damit einhergehende Auflösung der Kategorien, die Entwicklung der sog. „Crossborder-Kultur“ hin. Darüber hinaus gibt er einen Überblick über die immobilienökonomischen Parameter von Kulturbauten, auch für neue Typologien wie das Edu- und das Infotainment.

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Bauten für Sport und Freizeit, Kapitel 3.2.8 Die zunehmende Freizeit und der demografische Wandel der Gesellschaft führen zu einer starken Ausdifferenzierung und Dynamisierung im Sport- und Freizeitsektor. Der Autor Tobias Müller zeigt mögliche Herangehensweisen an die Entwicklung einer multifunktionalen Sportimmobilie anhand einer Fallstudie auf.

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Hotelbauten, Kapitel 3.2.9 Auf den gesättigten Hotelmarkt reagiert die Branche mit Differenzierung: hinsichtlich der Hotelklasse wie auch der Thematik eines Hotels. Entsprechend gliedern die Autoren Christian Duch und Olaf Steinhage ihre Darstellung der spezifischen Anforderungen von Hotels an Lage und Ausstattung nach Hoteltypen. Konkrete Hinweise für die Konzeption von Hotelprojekten geben die Abschnitte über Hotelrentabilität und Vertragsformen.

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Bauten für Gesundheit, Kapitel 3.2.10 Die Entwicklung vom Krankenhaus zum Gesundheitszentrum zeugt von der steigenden Bedeutung der Vorsorge in einer „alternden Gesellschaft“. Christian Pelzeter verdeutlicht die Zusammenhänge zwischen zunehmend privat finanzierter Inanspruchnahme von Gesundheits-

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Dienstleistungen und wachsenden Ansprüchen an Lage und bauliche Gestalt des Ortes der Dienstleistungserbringung. x

Bauten für Bildung, Kapitel 3.2.11 Was der Industriesektor zu großen Teilen bereits bewältigt hat, steht dem Bildungsbereich noch bevor: die Modernisierung überalterter, unattraktiver Gebäudebestände bei sinkender Nachfrage und unzureichenden Finanzmitteln. Hermann Schnell führt an einem Hochschulbau exemplarisch vor, wie diese Herausforderung angenommen werden kann.

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Sakralbauten, Kapitel 3.2.12 Kirchen besitzen nach wie vor einen hohen symbolischen Wert für das Bild unserer Städte. Da sie jedoch ihre einstige Funktion vielfach eingebüßt haben, steht ihre Drittverwendungsfähigkeit zur Debatte. Der Autor Norbert Verfürth nimmt eine baugeschichtliche Einordnung vor und erläutert die Charakteristika einer „sakralen Stätte“.

Diese keineswegs abschließende Auflistung von Stadtbausteinen gibt einen Überblick über die sehr spezifischen, nutzungsbedingten Zusammenhänge, die im Rahmen stadtplanerischer Überlegungen mit einbezogen werden müssen. Neben den funktionalen Aspekten aus Kapitel 3.2 sind die gestalterischen Aspekte von nachhaltigem Einfluss auf die Qualität eines Standortes. x

Architektur als Element von Gebäudekonzepten, Kapitel 3.3 Stein für Stein, Haus für Haus wird eine Stadt gebaut: Auf der Ebene einzelner Gebäude wird Stadtplanung zur Realität. Die Möglichkeit, Orte durch die Gestaltung von Gebäuden zu definieren, führt zu einer Wechselbeziehung zwischen Architektur und Städtebau. Norbert Moest beschäftigt sich mit der Frage, wie qualitätvolle Architektur entsteht. Qualität wird dabei als Mehrwert verstanden, der über die Erfüllung der funktionalen, wirtschaftlichen und rechtlichen Anforderungen hinausgeht. Ausgehend vom Prozess des Planens und Entwerfens veranschaulichen verschiedene architektonische Themen die Vorgehensweise von Architekten.

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Städtebauliche Gestaltung zur Aufwertung gewerblicher Standorte, Kapitel 3.4 Anhand von Beispielen, die zeigen, wie Adressbildung durch städtebauliche Maßnahmen, z.B. durch Anlage eines begrünten Platzes, unterstützt werden kann, erläutern Kunibert Wachten und Steffen Nadrowski die gestalterischen Möglichkeiten auf städtebaulicher Ebene.

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1.5 Immobilien-Projektentwicklung Stadtplanung wird in zunehmendem Maße von Projektentwicklern initiiert. Mit dem Ziel, Baurecht für ein geplantes Projekt zu schaffen, werden stadtplanerische Prozesse angestoßen und Teile der zugehörigen Leistungen von privater Seite erbracht. Die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen dieser Interaktion sowie eine Analyse der damit verbundenen Chancen und Risiken sind Gegenstand von Kapitel 4. Immobilien-Projektentwicklung definiert Kapitel 4.2.1.2 in Band I als Zusammenführung der Faktoren Standort, Kapital, Nutzung und Zeit (vgl. Bone-Winkel/Isenhöfer/Hofmann, S. 233f.). Insbesondere die Faktoren Zeit und Standort können durch den kompetenten Umgang mit kommunalen Entscheidungsträgern positiv beeinflusst werden. x

Projektentwicklung und Stadtentwicklung, Kapitel 4.1 Nach einer Einführung in die Grundlagen der Projektentwicklung zeigen die Autoren Stephan Bone-Winkel und Nicolai Gerstner die Potenziale auf, die in einer prozessorientierten Koordination von Projekt- und Stadtentwicklung liegen.

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Immobilienmarketing und Stadtmarketing, Kapitel 4.2 Aus einem ganzheitlichen Marketingansatz folgt die Notwendigkeit einer intensiven Verzahnung mit dem Prozess der Immobilien-Projektentwicklung. Elisabeth Kammermeier, Karin Weikamp und Matthias Wiffler stellen einen mehrstufigen Verfahrensablauf des ImmobilienMarketings vor und verdeutlichen das Zusammenspiel mit dem Stadtmarketing.

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Stadtentwicklung durch Public Private Partnership, Kapitel 4.3 Das Erkennen und Fördern der Ziele beider Seiten ist wesentliche Voraussetzung für das Gelingen einer öffentlich-privaten Zusammenarbeit. Des Weiteren analysieren die Autoren Martin Wentz, Thorsten Bischoff und Dörte Gosewehr die damit verbundenen Chancen bzw. Risiken und schlagen organisatorische Strategien zur Sicherung der Vertragserfüllung vor.

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1.6 Ausblick Die Bedeutung der Stadtplanung für die Verwirklichung immobilienökonomischer Zielsetzungen wird von allen beteiligten Akteuren zunehmend wahrgenommen. Durch das gewachsene Interesse der Bürger an einer Mitsprache bei stadtplanerischen Entscheidungen wird das Planungsmanagement, verbunden mit einem entsprechenden Kommunikationskonzept zu einem erfolgsbestimmenden Faktor. Umgekehrt werden auch seitens der Stadtplanung die wirtschaftlichen Aspekte der städtischen Entwicklung stärker in die Überlegungen mit einbezogen, da die kommunalen Haushalte nur noch wenige Investitionsmaßnahmen finanzieren. Damit steigt die Bedeutung der privaten Investitionen für die Umsetzung öffentlicher Entwicklungsziele. Nach dem oben gegebenen Überblick über Ziele und Inhalte der Stadtplanung und einer Verdeutlichung der bilateralen Beziehungen zur Immobilienökonomie werden in den folgenden Kapiteln die genannten Einzelaspekte ausgeführt. Dabei kann entsprechend der Interessenslage ein einzelnes Kapitel herausgegriffen werden, ohne dass die Lektüre des Vorangegangenen zwingend erforderlich wäre. Dennoch ergibt sich erst aus der Synopse aller Themen ein Verständnis für die Komplexität stadtplanerischer Zusammenhänge, das als Basis für ganzheitliche Optimierungsansätze erforderlich ist.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 1 Ache, P./Freundt, A./von Petz, U./Wegener, M.: Vorwort in: Kunzmann, K. R./Institut für Raumplanung (Hrsg.): Reflexionen über die Zukunft des Raumes, Universität Dortmund 2004, S. 7-8. Bone-Winkel, S./Isenhöfer, B./Hofmann, P.: Projektentwicklung, in: Schulte, K-W. (Hrsg.): Immobilienökonomie Band I – Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4. Aufl., München 2008, S. 231-300. Bone-Winkel, S./Müller, T./Pfrang, D.: Bedeutung der Immobilienwirtschaft, in: Schulte, K-W. (Hrsg.): Immobilienökonomie Band I – Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4. Aufl., München 2008, S. 27-45. Bone-Winkel, S./Schulte, K-W./Focke, C.: Begriff und Besonderheiten der Immobilie als Wirtschaftsgut, in: Schulte, K-W. (Hrsg.): Immobilienökonomie Band I – Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4. Aufl., München 2008, S. 3-26. DSW: Deutsche Stiftung Weltbevölkerung: DSW-Datenreport 2009, www.weltbevoelkerung.de, Abruf 21.05.2010. dtv (Hrsg.): Etymologisches Lexikon des Deutschen, Berlin 1993. Hennings, G.: Immobilienökonomie – ein innovatives Lehr- und Forschungskonzept?, in: Schulte, K-W. (Hrsg.): 10 Jahre ebs IMMOBILIENAKADEMIE – Festschrift, Frankfurt a. M. 2000, S. 48-57. Kunzmann, K. R./Klotz, A.: Zur Ausbildung von Raumplanern – Vorschlag für ein „Wiener Modell“, in: Vorwort in: Kunzmann, K. R./Institut für Raumplanung (Hrsg.): Reflexionen über die Zukunft des Raumes, Universität Dortmund 2004, S. 213-225. Pahl-Weber, E.: Stadtplanung, in: Planen – Bauen – Umwelt, Henckel u.a. (Hrsg.), Wiesbaden 2010, S. 489493. Schulte, K-W.: Immobilien-Entwicklungshilfe, FAZ, 17. September 2004, Nr. 217, S. 45. Schulte, K-W. (Hrsg.): Immobilienökonomie Band II – Rechtliche Grundlagen, 2. Aufl., München 2006. Schulte, K-W. (Hrsg.): Immobilienökonomie Band I – Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4. Aufl., München 2008. Schulte, K-W./Kolb, C.: Ethik für Immobilienberufe, in: Schulte, K-W. (Hrsg.): Immobilienökonomie Band I – Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4. Aufl., München 2008, S. 91-113. Schulte, K-W./Schäfers, W.: Immobilienökonomie als wissenschaftliche Disziplin, in: Schulte, K-W. (Hrsg.): Immobilienökonomie Band I – Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4. Aufl., München 2008, S. 47-70. Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr.237 vom 30.05.2005, www.destatis.de. Voigtländer, M. u.a.: Wirtschaftsfaktor Immobilien – Die Immobilienmärkte aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, Zeitschrift für Immobilienökonomie, Sonderausgabe 2009.

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Velsinger, P./Lienkamp, R.: Raumwirtschaftslehre, in: Jenkis, H. W. (Hrsg.): Raumordnung und Raumordnungspolitik, München 1996.

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2 Stadtplanung als Planung städtischer Räume

2.1 Ziele und Instrumentarium der Stadtplanung

2.2 Gegenstände der Stadtplanung

23

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2.3 Städtebauliche Denkmalpflege –Städtebaulicher Denkmalschutz 259 Jan Nikolaus Viebrock, Nicola Halder-Haß, Ulrike Wendland

2.4 Nachhaltigkeit in der Stadtentwicklung

281

Silke Weidner

2.5 Planungskonzepte im gesellschaftlichen Wandel Kunibert Wachten, Steffen Nadrowski

315

21

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2.1 Ziele und Instrumentarium der Stadtplanung

2.1.1

Leitbilder der Stadtplanung

27

Kerstin Lassnig, Wolf Uwe Rilke

2.1.2

Soziologische Bausteine der Stadtplanung

47

Klaus M. Schmals

2.1.3

Akteure, Verfahrens- und Prozessgestaltung

71

Martin Wentz

2.1.4

Bau- und Planungsrecht

85

Michael Krautzberger, Peter Runkel

2.1.5

Kosten und Finanzierung stadtplanerischer Maßnahmen

Martin Wentz, Andrea Pelzeter

101

23

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2.1.1

Leitbilder der Stadtplanung

27

Kerstin Lassnig, Wolf Uwe Rilke 2.1.1.1 2.1.1.2 2.1.1.3

Einführung und Begriffsdefinition Entstehung und Funktion städtebaulicher Leitbilder Städtebauliche Leitbilder der Gegenwart 2.1.1.3.1 Leitbild: „Die Europäische Stadt“ am Beispiel Berlin 2.1.1.3.2 „Kompakte Stadtmitte“ am Beispiel der Stadt Ravensburg 2.1.1.3.3 Leitbild: „Nachhaltige Stadtentwicklung“, am Beispiel HafenCity Hamburg 2.1.1.3.4 Leitbild: „New Urbanism“ als internationales Beispiel 2.1.1.4 Zusammenfassung – Notwendigkeit und Anforderungen an Leitbilder Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.1.1

27 28 31 32 33 35 38 41 43

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2.1.1

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Leitbilder der Stadtplanung

Kerstin Lassnig, Wolf Uwe Rilke 2.1.1.1

Einführung und Begriffsdefinition

Geradezu inflationär wurden städtebauliche Leitbilder im letzten Jahrzehnt in der Planungspraxis präsentiert – die „kompakte europäische Stadt“, „kritische Rekonstruktion“, „nachhaltige Stadtentwicklung“, etc. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Auslösern für die Entstehung von Leitbildern; deren Funktion, Notwendigkeit und Anforderungen. Dabei werden, ausgehend von der Begriffsdefinition, städtebauliche Leitbilder der Gegenwart anhand von Beispielen beschrieben. Ziel ist die Untersuchung der Notwendigkeit von Leitbildern für die gegenwärtige und zukünftige städtebauliche Planung und Entwicklung. Nach Kuder (vgl. Kuder, S. 27) findet der Begriff Leitbild seine erstmalige Verwendung in einem wissenschaftlichen Zusammenhang durch den Psychologen Klages im Jahr 1906, der in einem Aufsatz über „Das persönliche Leitbild“ die These aufstellt, dass jede menschliche Spontanbewegung von einem unbewusst zugrunde liegenden persönlichen Leitbild mitbestimmt wird (vgl. Kuder, S. 27). Im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelte sich der Begriff des Leitbildes zu einem Grundbegriff der Psychologie. Hier wird das Leitbild mit einem nachahmenswertem Vorbild assoziiert. Der Leitbildbegriff wurde in den 1940er Jahren in die Sozialwissenschaften übernommen. Unter einem „kollektiv übergreifendem Leitbild“ wird eine „dominierende Idee“ einer ganzen Epoche verstanden. Im Wörterbuch der Soziologie wird der Leitbildbegriff beschrieben als „... für einzelne Personen, für Gruppen, Schichten oder ganze Gesellschaften als erstrebenswert geltende und im Handeln und bei Entscheidungen tatsächliche Orientierung und Absichten leitende Vorstellung“ (Kuder, S. 29). In die Ökonomie wird der Leitbildbegriff ebenfalls in den 1940er Jahren aufgenommen. In einer Festschrift für Ludwig Erhard wird der Begriff Leitbild 1957 als „Richtschnur für menschliches Handeln und Gestalten“ definiert und von „Ordnung“ als etwas konkret Realisiertem unterschieden. Der Leitbildbegriff wird vermutlich 1953 erstmals auf die räumliche/städtebauliche Planung bezogen. In der Folgezeit werden von Erich Dittrich, einem Begründer der neueren Raumplanung, zahlreiche Artikel zum Leitbildbegriff veröffentlicht. Nach seinem Verständnis (Dittrich, S. 108) prägen „... die Auffassungen und Leitbildvorstellungen über Aufbau und Funktion des gesellschaftlichen Gefüges primär auch die Beziehungen zum Raum ...“. Mitte der 1960er Jahre befasst sich Albers aus der Sicht von Planung und Städtebau mit dem Verhältnis zwischen übergeordnetem gesellschaftlichen Trend als „Resultante aus verschiedenen Einzelkräften“ und Leitbildern als

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Zielvorstellungen (vgl. Albers, S. 1ff.). Er weist Leitbildern die Funktion zu, den gesellschaftlichen Wandel anhand von aktuellen Wertmaßstäben zu überprüfen und verantwortungsvoll zu lenken. Durch Martin Daub wird 1973 im Kontext einer Theorie und Methode der Bebauungsplanung auf Leitbilder Bezug genommen (vgl. Daub, S. 67). Leitbilder sind bei ihm die Summe aller Vorstellungen einer künftig erwünschten gesellschaftlich/räumlichen Entwicklung, die sich in komplexen Abstimmungsprozessen aus einer umfassenden Vielzahl von subjektiven bzw. individuellen Leitvorstellungen heraus bilden. Darüber hinaus werden heute (räumliche/städtebauliche) Leitbilder auch als Hilfestellungen zur Kommunikation und Kooperation betrachtet: „Leitbilder sind Zielvorstellungen von besonderer Qualität. Sie sind themenübergreifende Ziele und dienen damit der Orientierung. Sie sind verdichtete Ziele, das heißt, in ihnen wird eine gewisse Anzahl von Zielen gebündelt. Sie haben visionären Charakter und beinhalten damit ein utopisches Moment. Sie sind bildlich fassbar und rufen damit beim Menschen hinreichend konkrete Vorstellungen hervor. Sie werden nicht nur von einem einzelnen Individuum, sondern von einer ganzen Gruppe von Menschen angestrebt. Konkret übernehmen Sie eine kollektive (Leit-) Funktion und eine individuelle (Bild-) Funktion. Durch beide Funktionen weben sich die Leitbilder in die Wahrnehmungs-, Denk-, Entscheidungs- und Verhaltensmuster der am politischen Prozess Beteiligten ein – unter Umständen, ohne dass sie dessen gewahr werden.“ (Schell, Walser, S. 267ff.). 2.1.1.2

Entstehung und Funktion städtebaulicher Leitbilder

Die Entwicklung und Integration von städtebaulichen Leitbildern in die Planung im heutigen Sinne vollzog sich in Deutschland erst in den Aufbaujahren nach dem 2. Weltkrieg. Dennoch wurden seit der Entstehung der Städte diese auch nach bestimmten Vorstellungen angelegt und gestaltet. Von der Antike an waren religiöse Vorstellungen („Die Stadt als Abbild des Himmels“), gesellschaftliche Hierarchien („Die Stadt als streng durchgeordnetes hierarchisches Gebilde“) und die Funktionen der einzelnen Elemente („Die Stadt als Gebilde aus in sich geordneten, in wechselseitiger Abhängigkeit befindlichen Elementen“) Leitmotiv für die Stadtgestaltung. Immer wieder wurde auch versucht, in der Stadtgestaltung einen Ausdruck für die ideale menschliche Gemeinschaft zu finden. Die Stadtgeschichte ist deshalb gleichzeitig auch die Geschichte von Utopien und Visionen. Seit der Herausbildung der Disziplin „Städtebau“ im letzten Quartal des 19. Jahrhunderts wird die fachliche und öffentliche Diskussion geprägt von widerstreitenden Zielvorstellungen und Leitbildern. Grundkonflikt ist die Sehnsucht nach Kleinstadtidylle im Widerspruch zur Faszination großer Städte. Ernüchternde Erfahrungen mit alten Vorstellungen oder bestimmten Entwicklungen lösten die (teilweise radikale) Hinwendung zu neuen aus. Verursacht durch zwei Weltkriege, ge-

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waltige gesellschaftliche Veränderungen und einen rasanten technischen Fortschritt wurde die gewachsene (europäische) Stadt mit ihrer gründerzeitlichen Prägung insbesondere seit Mitte des 20. Jahrhunderts immer wieder grundsätzlich in Frage gestellt. Die städtebaulichen Leitbilder der Moderne sind vor allem als eine Reaktion auf die als Missstand empfundene Wohnsituation breiter Bevölkerungsschichten während Gründerzeit zu verstehen. „Licht, Luft und Sonne“ sind die Schlagworte, die den Städtebau im 20. Jahrhundert prägten. Nach Sieverts (vgl. Sieverts, S. 30 ff.) gab es im 20. Jahrhundert sechs grundsätzliche städtebauliche Leitbilder, die sich zu drei Paaren ordnen lassen: x

„Gartenstadt“ vs. „Futuristisches Stadtideal“ (Anfang des 20. Jahrhunderts)

x

„Historismus mit Heimatstil“ vs. „Klassische Moderne“ (1920er Jahre)

x

„Gegliederte aufgelockerte Stadt“ vs. „Urbanität durch Dichte“ (seit 1960er Jahren).

Diese städtebaulichen Leitbilder wirken bis in die Gegenwart. In Deutschland haben sich diese grundsätzlichen Stadtauffassungen immer wieder überschnitten und haben hier – stärker als in anderen Ländern – im Kampf miteinander gestanden. Besonders deutlich wurde dieser Kampf beim Streit um die Wiederaufbaukonzepte nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Diskussion standen in den 1990er Jahren vor allem jene Städte, deren Stadtzentren in den 1950er – 1970er Jahren nach den Prinzipien der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ umgestaltet wurden und die heute mit einem Identitätsverlust und breiten, den städtischen Zusammenhang zerschneidenden, Verkehrstraßen zu kämpfen haben (vgl. Punkt 2.1.1.3 Beispiel Berlin). In den letzten Jahren traten den städtebaulichen Leitbildern zunehmend außen- und marketingorientierte Leitbilder zur Seite. Hier geht es darum, die individuelle Kompetenz einer Stadt vornehmlich auf wirtschaftlichen Feldern herauszuarbeiten und darzustellen. Städtebauliche Leitbilder können Bestandteil dieser marketingorientierten Leitbilder sein. Als Auslöser für die verstärkte Entstehung von städtebaulichen Leitbildern wirken städtebauliche Missstände und gesellschaftliche Umbrüche. Visionen und Leitbilder gewinnen an Bedeutung, wenn „das integrierende Normgefüge und die sich daraus ergebenen Orientierungsfixpunkte und Handlungsmuster abhanden gekommen sind und durch einen neuen „künstlichen“ Orientierungsrahmen ersetzt werden müssen.“ (Streich, S. 135). Im Unterschied zu Visionen, die subjektiver Natur sind, haben Leitbilder den Anspruch Orientierung zu geben (zu leiten), auf Konsens zu basieren und umgesetzt zu werden. Das Wiederaufleben der städtebaulichen Leitbilder zu Beginn der 1990er Jahre (vgl. Sbecker, Jessen, Sander, S. 11) resultiert aus gewaltigen gesellschaftlichen Veränderungen, die durch den politischen Umbruch in Europa und den weltweiten ökonomischen Strukturwandel (Globalisierung) ausgelöst wurden. Die Stadtregionen, aber auch die privaten Investoren sind sich durch den ver-

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schärften Wettbewerb ihrer ökonomischen Basis nicht mehr sicher. Architektur und Städtebau übernehmen immer mehr eine Rolle als wichtiger Standort- und Imagefaktor. Vor diesem Hintergrund gewinnen städtebauliche Leitbilder als Bestandteil von Entwicklungsstrategien und Immobilienprojekten weiterhin an Bedeutung. Aufgrund dieser Entwicklungen hat sich auch die Rolle von Stadtplanung geändert. Es erfolgte in den 1990er Jahren eine Abkehr von langfristigen, operationalisierten Zielvorgaben hin zu einer stärker projektbezogenen Planung und Entwicklung. Die Umsetzung der städtebaulichen Projekte ist heute aufgrund der Finanzknappheit der Kommunen und des veränderten Rollenverständnisses der öffentlichen Hand viel stärker geprägt vom Engagement privater Investoren (Public Private Partnership). Die Konzeptfindung und Umsetzung erfolgt in offenen Prozessen und Verständigungsdiskursen mit gemeinsam entwickelten und anerkannten Ideen. Dabei haben städtebauliche Leitbilder als Mittel der Orientierung, Motivierung, Koordinierung und Kommunikation eine große Bedeutung. Städtebauliche Leitbilder haben sich auf alle Bereiche der Stadt ausgedehnt. Sie dienen nicht mehr vorrangig der Klärung fachinternen Selbstverständnisses (wie z. B. in den 1960er Jahren), sondern erreichen eine breite Öffentlichkeit. Sie sind gegenwärtig auch Orientierungsrahmen für die kommunale Politik und Diskussionsgrundlage bei Bürgerbeteiligungen. Über rein rationale Bezüge hinaus vermitteln sie heute auch emotionale Bezüge, Stimmungen und Atmosphäre. Der größte Unterschied im Verfahren besteht heute darin, dass Leitbildformulierung und –umsetzung nicht mehr in einer zeitlichen Abfolge einzelner Schritte, sondern gleichzeitig und in Wechselwirkung verlaufen. Städtebauliche Leitbilder beinhalten, wie auch Planung selbst, ein dynamisches und ein statisches Element. Der teilweise statische Charakter gerät immer wieder in die Kritik. Die Leitbilder können aber nur in einer (ggf. langen) konsensgetragenen Phase der Stabilität den erwarteten Erfolg zeigen. In dieser Phase der Stabilität sinkt der arbeits- und kommunikationsintensive Begründungsdruck, womit jedoch die Möglichkeit der Verfeinerung und fallbezogenen Spezifizierung besteht. Die Dynamik entsteht durch Weiterentwicklung, Modifikation und das Infragestellen. Städtebauliche Leitbilder finden auf allen Ebenen und auf unterschiedliche Art und Weise Eingang in die Planungen sowie in Gesetze und Regelwerke. x

Raumordnung, Landesentwicklungsprogramme, Bauleitplanungen: Zielformulierungen, Leitstrategien zur städtebaulichen Entwicklung, auch als Argumentationshilfe zur räumlichen, zeitlichen und thematischen Prioritätssetzung (z. B. „Stadt der kurzen Wege“, „Dezentrale Konzentration“).

x

Rahmenplanungen: Bestandsanalysen, Handlungsalternativen, alternative Szenarios, zeitliche Umsetzungsperspektiven (z. B. „kritische Rekonstruktion“, „Historischer Stadtgrundriss“).

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x

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Projekte und Maßnahmen mit definiertem Leitbildbezug (z. B. Projekt „media spree“ Berlin, Projekt MediaCityPort“ Hamburg).

x

Baugesetzbuch (z. B. „nachhaltige städtebauliche Entwicklung“).

Städtebauliche Leitbilder haben gegenwärtig ihre scharfen Konturen verloren. Das Spektrum dessen, was unter „Städtebaulichem Leitbild“ firmiert, reicht vom synonymen Gebrauch für Ziele, Prinzipien und Konzepte von Städtebau, Stadtplanung und Raumordnung über die bloße Etikettierung ohnehin ablaufender Trends und die Formulierung pathetischer Leitformeln bis zum Motivangebot für Imagepflege und Public-Relations-Strategien. Trotzdem können städtebauliche Leitbilder nur auf der Basis realer Voraussetzungen entwickelt werden, nicht aus virtuellen Wünschen. Leitbilder in Planungsprozessen sind komplexe, anschaulich verdichtete Zielvorstellungen. Es wird eine „LEIT“ und eine „BILD“-Funktion unterschieden. In den sehr komplexen Entwicklungsprozessen wird durch sie sichergestellt, dass in die gleiche grob vorentschiedene Richtung gedacht, gewünscht und agiert wird. Gleichzeitig leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur Koordinierung des Handelns der verschiedenen Beteiligten und mildern auftretende Spannungen und Konflikte (Anleitung und Orientierung). Die Bildfunktion vermittelt Anschaulichkeit, Stärke, Anziehungskraft und Stabilität des Leitbildes. Sie dient der verständlichen Wiedergabe sowie der Motivation. Die Bildfunktion gewinnt an Bedeutung, da die kulturellen Unterschiede zwischen den Beteiligten immer größer werden (z.B.: öffentliche Hand – Investor – Anwohner – potenzieller Nutzer) (vgl. Kuder, S. 118 ff.). Hinsichtlich der „Richtigkeit“ oder „gesellschaftlichen Wahrhaftigkeit“ stellen Leitbilder keine absolut beweisbaren Positionen dar. Sie gründen sich in weiten Teilen auf Plausibilität, Interpretation, Beobachtung und Prognose. Sie brauchen öffentliche Aufmerksamkeit und Verständigung als Fundament. Der Erfolg städtebaulicher Leitbilder hängt deshalb davon ab, inwieweit diese Verständigung langfristig gelingt. 2.1.1.3

Städtebauliche Leitbilder der Gegenwart

Städtebauliche Leitbilder haben sich in der gegenwärtigen städtebaulichen Praxis wieder als wichtiges Mittel etabliert. Die nachfolgenden Beispiele zeigen die Bandbreite dessen, was unter städtebaulichen Leitbildern aktuell verstanden wird. 2.1.1.3.1 Leitbild: „Die Europäische Stadt“ am Beispiel Berlin Die „Europäische Stadt“ ist eines der am häufigsten gebrauchten Leitbilder in der Diskussion um die städtebauliche Entwicklung von Städten in Europa. In der Debatte um die städtebauliche Entwicklung Berlins nach 1990 spielte dieser Begriff frühzeitig eine entscheidende Rolle. Mit der Wiedervereinigung von West- und Ost-Berlin stellte sich die Frage nach einem gesamtstädtischen

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Leitbild für die zukünftige Stadtentwicklung der Metropole Berlin im europäischen und internationalen Kontext. Das geteilte Berlin war Sinnbild für städtebauliche Entwicklungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Konstellationen und (teilweise ideologisch begründet) nach unterschiedlichen städtebaulichen Leitbildern (vgl. Schwedler, S. 25). Im ehemaligen Westberlin wurde nach dem II. Weltkrieg versucht einen städtebaulichen Masterplan auf der Basis einer polyzentrischen Raumstruktur zu entwickeln. Im Ostteil der Stadt entstand, bedingt durch die Vorgaben des Staates, ein monozentrisches städtebauliches Leitbild. In beiden Teilen Berlins erfolgte eine Abkehr von den historischen Stadtstrukturen. So unternahm beispielsweise die Internationale Bauausstellung Berlin 1957 (Interbau) den Versuch, eine moderne Stadt nach dem Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ (Charta von Athen) in die Innenstadt zu implementieren. In den 1960er und 1970er Jahren führte eine am Auto orientierte Stadt- und Verkehrsplanung insbesondere im Westteil der Stadt zu tiefgreifenden Überformungen des historischen Stadtgrundrisses. In Anlehnung an amerikanische Stadt- und Verkehrsplanung sollte Stadtentwicklung durch den Bau von Schnellstraßen vorangetrieben werden. Schnellstraßendurchbrüche wurden – ohne Rücksicht auf bestehende Strukturen – durch die Altbauquartiere geführt. Der Ostteil der Stadt wurde geprägt von sozialistischen Großbauten, weitläufigen Platzanlagen und Verkehrstrassen. Größere zusammenhängende Siedlungen wurden seit Anfang der 1950er Jahre zunehmend an der städtischen Peripherie gebaut. Erst in den 1980er Jahren rückten die historischen Strukturen wieder in das Bewusstsein, was zu einer verstärkten Orientierung auf Sanierungsmaßnahmen führte. Die Rekonstruktion des alten Stadtgrundrisses und die behutsame Stadtsanierung wurden als Konsequenz der sich verändernden gesellschaftlichen Haltung gegenüber der historischen Bausubstanz thematisiert. Nach 1990 ergab sich zwangsläufig die Frage nach dem zukünftigen Leitbild der Stadt als Ganzes: nach der Verbindung beider Stadthälften, nach neuen Leitbildern für das historische Zentrum in Mitte und für die City-West, nach Anknüpfungspunkten für eine gemeinsame Stadtentwicklung. Die historisch bedeutendsten Innenstadtbereiche wie der Potsdamer Platz, die Friedrichstraße, Alexanderplatz und Schlossplatz standen aufgrund der Überformungen der 1950er bis 1980er Jahre städtebaulich zur Disposition. Gleichzeitig gab es dort massives Investionsinteresse privater Immobilienunternehmen. Darüber hinaus sollten die bestehenden Gründerzeitquartiere saniert werden und in Anbetracht des prognostizierten Wachstums neue Vorstädte entstehen. Der alte Flächennutzungsplan Westberlins von 1988 und der Generalbebauungsplan Ostberlin waren überholt, so dass das gesamte räumliche Gefüge der Stadt zur Planung anstand.

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Schon bald wurde bereits im Rahmen der Erstellung des neuen Flächennutzungsplanes der Stadt Berlin vom Leitbild der „Europäischen Stadt“ gesprochen. Damit verband sich u. a. auch die Sehnsucht nach der historischen Stadt mit ihrer klaren Gliederung durch öffentliche Straßen, Plätze, Boulevards und Parkflächen, einer zusammenhängenden Bebauung mit definierten Baufluchten und Räumen, d. h. einer kompakten, durch Urbanität geprägten Stadt anstelle der undefinierten Siedlungsräume der Nachkriegsmoderne. „Das Modell der traditionellen europäischen Stadt lebt als gesellschaftliche Form vom Spannungsverhältnis bzw. von der Trennung privater und öffentlicher Nutzungen. In der baulichen Konkretisierung heißt das zu unterscheiden zwischen rechtlich privat besessenen Häusern und öffentlichen Straßen und Plätzen. Dabei ist nicht das Bild der Stadt ausschlaggebend, sondern die mit der Widmung einhergehenden unterschiedlichen Rechte.“ (Stimmann, S. 113 f.). Dabei spielt für den Berliner Stadtbausenator Stimmann die Parzelle, die sukzessive durch die Konzentration der Nutzungen und der Eigentumsverhältnisse durch den Siedlungsbau großer Genossenschaften oder anonymer Kapitalgesellschaften vergrößert wurde, eine gewichtige Rolle, neben der Traufhöhe der Gebäude, der Wiederaufnahme der alten Baufluchten, der Blockbebauung und der Anlehnung an traditionelle Architektur. In diesem Kontext wurde 1996 bis 1999 das „Planwerk Innenstadt“ in einem umfangreichen Diskussionsprozess mit Bürgern, Fachleuten, Verwaltung sowie Interessenvertretern erarbeitet. Mit dem „Planwerk Innenstadt“ wurde im Maßstab 1:5.000 ein städtebauliches Entwicklungskonzept nach dem Leitbild der „europäischen Stadt“ für den Bereich zwischen Alexanderplatz und Zoologischem Garten vorgelegt. Mit diesem Leitbild verband sich eine Strategie zur Reurbanisierung und Revitalisierung der Innenstadt, bei Orientierung am historischen Kontext einer europäischen Städtebautradition. Grundsatz der Planung war die Wiederannäherung an den historischen Stadtgrundriss unter Berücksichtigung der bestehenden Strukturen und Planungen. Das „Planwerk Innenstadt“ wurde 1999 durch den Senat als Selbstbindung beschlossen und bildet die Grundlage für die räumlich angelegten, bezirklichen Bereichsentwicklungsplanungen (BEP) und die Bebauungspläne der Innenstadtbezirke. Auf der Basis des Planwerks Innenstadt wurden in den letzten Jahren neue Stadtquartiere mit vorwiegend Wohnungsbau beispielsweise in Berlin-Mitte am Auswärtigen Amt (Townhouses) sowie der sogenannte Diplomatenpark in Berlin-Tiergarten realisiert. 2.1.1.3.2 „Kompakte Stadtmitte“ am Beispiel der Stadt Ravensburg Viele Städte und Gemeinden in Deutschland stehen vor der Problematik der Nachnutzung brachgefallener innenstadtnaher Bahn- und Industrieflächen. In der Stadt Ravensburg stand die „Bahnstadt“, ein ca. 46 ha großes ehemaliges Bahnareal unmittelbar am westlichen Rand der Altstadt zur Disposition. Dabei war die Stadt das erste Mal mit der Umstrukturierung einer innerstädtischen

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Fläche in dieser Größenordnung konfrontiert. Entsprechend der Komplexität dieser Aufgabenstellung sollte für die Umstrukturierung der „Bahnstadt“ ein stadtplanerischer Ansatz angewendet werden, der über die klassischen Stadtentwicklungsinstrumente hinausgeht. Da wirtschaftliche und städtebauliche Entwicklungen immer weniger vorhersagbar sind, reicht es nicht mehr aus, lediglich ein städtebauliches Bild als wünschenswerten Endzustand zu fixieren und anschließend zu versuchen, dieses Bild umzusetzen. Gebraucht werden stattdessen flexible, prozessorientierte Entwicklungskonzeptionen, die auch über längere Planungszeiträume hinweg sich ändernde Rahmenbedingungen aufnehmen und gestalten können. Das Nutzungsgefüge des Areals ist geprägt durch die ehemaligen Bahnflächen sowie typische, sich im Bahnumfeld ansiedelnde Gewerbebetriebe, wie Maschinenfabrik, Schlachthof, Lagerflächen und Produktionsflächen. Es erfolgte zuerst die Untersuchung der Gesamtstadt in der Region und die Beschreibung regionaler Entwicklungstrends. Aus der Situationsanalyse (Funktionsgefüge) erfolgte die Leitbildentwicklung für die Gesamtstadt und daraus abgeleitet die Leitbildentwicklung für die Bahnstadt. Ein Wirtschaftsgutachten der empirica, Wirtschaftsforschung und Beratung GmbH (vgl. Planungsgruppe 4) zeigte auf, dass Ravensburg Flächenbedarf und Potentiale in den Bereichen der Bürodienstleistungen, Einzelhandel, Fremdenverkehr und des klassischen Gewerbes hat, die in der „Bahnstadt“ umgesetzt werden können. Daraus wurde die Möglichkeit abgeleitet, eine zentrale, innerörtliche Fläche im Kontext der Kernstadt zu entwickeln, deren Nutzung und Gestaltungsqualität eine neue „Adresse“ in Ravensburg schafft. Die Bahnstadt soll sich langfristig als neuer Stadtteil mit städtischer Funktionsmischung und Erweiterung der Innenstadt, jedoch mit eigener gestalterischer Ausprägung, entwickeln. In diesem Zusammenhang wurde im Rahmen der „Entwicklungsstrategie Bahnstadt Ravensburg“ das folgende städtebauliche Leitbild entwickelt: x

Entwicklung der neuen Flächen aus der Maßstäblichkeit, Dichte und Funktion der historischen Innenstadt, jedoch mit eigener Gestaltung als klar ablesbarer Stadtteil.

x

Ausbildung eines möglichst breiten Entwicklungsspektrums, vorerst ohne ein konkretes städtebauliches Erscheinungsbild, Einfügung flexibler und überschaubarer Strukturbausteine in ein offenes räumliches Grundgerüst „Bahnstadt“.

x

Funktionsmischung mit Handel, Wohnen und Arbeiten als zentrale Entwicklungsaufgabe.

x

„Ravensburger Impuls“ – Konzeption eines Entwicklungsschwerpunktes durch zeitgemäße Neuinterpretation des traditionellen Charakters der Altstadt (z.B. Modell „Ravensburger Höfe“ als Mischung aus Kultur/Freizeit, Einzelhandel, Handwerk) als Trittstein in die „Bahnstadt“.

Zunächst sollte der Fokus auf bestimmte Bereiche im Gesamtgebiet gerichtet werden, die als Initialmaßnahmen aktiviert erste Entwicklungsimpulse setzen können.

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Die Entwicklungsstrategie Bahnstadt Ravensburg wurde 1999 bis 2000 als informelle Planung unter Einbeziehung aller wichtigen städtischen Akteure erarbeitet und von der Stadt als Zielplanung beschlossen. Daraus abgeleitet wurde im Jahr 2001 zur Umsetzung des Konzeptes das Areal der Bahnstadt als „Sanierungsgebiet“ festgesetzt. Mittlerweile wurde das Bahnhofsumfeld aufgewertet (u.a. mit neuer Fußgängerunterführung und Parkterrasse am Fluss) und der Busbahnhof (ZOB) neu errichtet. Weitere Impulsprojekte, die auch architektonisch Akzente gesetzt haben, waren der Neubau der Technischen Werke und die Entwicklung des ehemaligen Schlachthofareals zu einem Fachmarktzentrum. Für das ehemalige Postareal sowie das Gelände des Güterbahnhofes werden weiterhin umsetzungsfähige Nachnutzungskonzepte gesucht.

Quelle: planungsgruppe 4 2009

Abbildung 5: Neue Projekte in der "Bahnstadt" Ravensburg 2.1.1.3.3 Leitbild: „Nachhaltige Stadtentwicklung“, am Beispiel HafenCity Hamburg Seit dem Ausbau des Containerumschlages Ende der 1960er Jahre verlagerte sich der Schwerpunkt des Umschlaggeschäftes von den traditionellen citynahen Hafen- und Kaianlagen weg in die modernen Hafenanlagen Hamburgs südlich der Elbe. Die historischen Hafenanlagen mit ihrer be-

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rühmten Speicherstadt waren zunehmend durch Leerstand und Verfall bedroht. Mit der durch die Hamburger Bürgerschaft 1997 beschlossenen Entwicklung der HafenCity besteht für die Stadt Hamburg das Ziel, durch die Revitalisierung des Hafengeländes das Zentrum der Stadt zu erweitern und an die Elbe heranzuführen (vgl. Website HafenCity). Das Projekt ist das größte stadtentwicklungspolitische Vorhaben der Stadt Hamburg zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Geplant ist die schrittweise Entwicklung (über einen Zeitraum von 25 Jahren) der ca. 155 ha historischen Hafenflächen (inklusive Wasserflächen). Durch die Umstrukturierung sollen insgesamt 1,5 Mio. m² Bruttogeschossfläche gebaut werden. Wohnungen für 10.000 bis 12.000 Einwohner und Dienstleistungsflächen für etwa 30.000 bis 40.000 Arbeitsplätze wurden Ende der 1990er Jahre prognostiziert. Die Hamburger City soll um einen Stadtteil mit einer metropolen Mischung aus Wohnen, Kultur, Freizeit, Tourismus, Handel und Gewerbe erweitert werden. Dies soll auch ermöglichen, nachhaltige und langfristig wirksame Wertschöpfungsketten mit stabilisierenden Effekten auf Stadtgesellschaft und Stadtwirtschaft anzulegen. „Auf dem Terrain der HafenCity, das nahe der historischen Keimzelle Hamburgs liegt, soll eine Stadt am Wasser entstehen, ein innerstädtisch verdichtetes Areal, das sich mit entsprechender Nutzungsmischung mit der nördlich anschließenden Speicherstadt und der bestehenden Innenstadt verwebt. ... Mit der Umnutzung bisher hafengewerblich genutzter Flächen sollen ökologisch und gestalterisch nachhaltige Effekte für ein zukunftsfähiges Milieu der HafenCity erzielt werden.“ (Website der HafenCity).

Quelle: GHS, Illustration: Schiebel 2003

Abbildung 6: HafenCity Hamburg

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Um ein möglichst breites Ideenspektrum für die zukünftige Gestalt der HafenCity zu erhalten, wurde 1999 ein städtebaulicher Ideenwettbewerb durchgeführt. Als Gewinner ging das deutschniederländische Team Hamburgplan/Kees Christiaanse/ASTOC hervor. Der Entwurf des ersten Preisträgers aus dem internationalen städtebaulichen Wettbewerb HafenCity und die Masterplankonzeption aus dem Jahre 1998 bildete die Grundlage für den Masterplan HafenCity, der am 29. Februar 2000 vom Senat der Stadt Hamburg beschlossen wurde. Der Masterplan wird fortlaufend weitere entwickelt. Den Ausgangspunkt für die neuen Überlegungen bildeten u.a. die besonderen Herausforderungen für eine urbane Stadtentwicklung der östlichen HafenCity. Räumlich sind die Quartiere nicht so kompakt und nicht so integriert – weder mit Blick auf die bestehende Innenstadt noch mit Blick auf die bereits sich entwickelnde HafenCity. Städtebauliches Leitbild für die Entwicklung der HafenCity ist die Wahrung der hafentypischen Strukturen von Land- und Wasserflächen. Ziel ist es, ein Gebiet mit innerstädtischem Charakter zu entwickeln, das die städtebaulichen Voraussetzungen für eine urbane Nutzungsstruktur durch innerstädtische Dichte, eine Bebauung im städtebaulichen Zusammenhang und eine abwechslungsreiche Folge öffentlicher Räume bietet. Basis für die räumliche Gestalt der HafenCity sind einzelne Quartiere mit unterschiedlichen städtebaulichen Typologien, die jeweils aus der Umgebung der zu entwickelnden Quartiere abgeleitet sind.

Quelle: www.spiegelgruppe.de

Abbildung 7: Neubau für die SPIEGL-Verlagsgruppe

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„Der Masterplan sieht vor, neben der Speicherstadt als einem Denkmal von nationaler und internationaler Bedeutung auch andere erhaltenswerte Bauwerke der Hafengeschichte wie Hafenbecken, Kaimauern, Brücken, Kräne usw. in die neuen städtebaulichen Strukturen zu integrieren, wenn es im Hinblick auf die künftigen städtebaulichen Erfordernisse vertretbar ist. Der Sandtorhafen, der Grasbrookhafen und der Magdeburger Hafen sind als älteste erhaltene Hafenbecken des Hafenausbaus im 19. Jahrhundert von historischer Bedeutung und werden erhalten. Die Kaispeicher A und B, der Altbau des Verwaltungsgebäudes von Strom- und Hafenbau, die Oberhafenkantine, das Betriebsgebäude des Schuppens 24 und das Fernbahnviadukt sind als denkmalwürdig eingestuft und werden in der Darstellung des Masterplanes berücksichtigt.“ (Website der HafenCity). Die Umsetzung des Masterplanes ist schrittweise und in der Entwicklung von Teilquartieren über den Zeitraum von 25 Jahren geplant. Prinzipiell ist eine Entwicklung von West nach Ost vorgesehen. Eine Streuung der Bauaktivitäten über das gesamte Gebiet der HafenCity soll vermieden werden. Die HafenCity befindet sich überwiegend im Eigentum der Stadt Hamburg, die die Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung mbH (GHS) mit dem Entwicklungsmanagement der HafenCity beauftragt hat. Die Vergabe der Grundstücke erfolgt auf der Basis des Masterplans über Investorenauswahlverfahren. Nahezu die Hälfte des vom Masterplan zugrunde gelegten Bauvolumens ist entweder fertiggestellt, im Bau oder durch Grundstücksverkauf und Bauverpflichtung gesichert. Grundlage für die Entwicklung der östlichen HafenCity wird eine fortgeschriebene und überarbeitete Fassung des ursprünglich im Jahr 2000 beschlossenen Masterplans. Im März 2010 leben etwa 1.500 Menschen in den neu entstandenen Quartieren; rund 6.000 arbeiten dort. gibt derzeit viele Projekte, wie beispielsweise der Neubau für den Spiegel-Verlag (vgl. Abbildung 7), die sich in der Umsetzung befinden. 2.1.1.3.4 Leitbild: „New Urbanism“ als internationales Beispiel Der „New Urbanism“ entstand in den 1990er Jahren zur Neubegründung und Wiederbelebung von städtischen Kommunen in Nordamerika, durch einen Zusammenschluss von Stadtplanern, Architekten, Sozialwissenschaftlern, Politikern, Developern und Umweltaktivisten. Der wirtschaftliche Boom Nordamerikas führte in dieser Zeit zu einer verstärkten Nachfrage nach Wohneigentum in den Vororten. Breite Bevölkerungsschichten verließen die Großstädte und zogen in Einfamilienhaus-Vorortsiedlungen, die durch die monotone Aneinanderreihung von gleichartigen Wohngebäuden ohne öffentliche Gebäude, öffentliche Räume und Plätze, o.ä. geprägt waren. Es kam zu einer weiteren umfangreichen Zersiedlung der Landschaft bei gleichzeitiger Verödung und massivem Verfall der Innenstädte.

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Als Ergebnis einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen Entwicklungen entstand mit dem „New Urbanism“ eine der erfolgreichsten Städtebau-Reformbewegungen Nordamerikas. Es heißt in der Charta des New Urbanism “...New Urbanism sieht Investitionsabbau in den zentralen Innenstädten, ein Ausbreiten der Zersiedlung, die zunehmende räumliche Trennung nach Rasse und Einkommen, die Verschlechterung der Umwelt, den Verlust an landwirtschaftlichen Flächen und Naturraum sowie die Erosion des baulichen Erbes der Gesellschaft als eine Herausforderung, Gemeinschaft zu stiften ... Wir vertreten eine breite Bürgerschaft, die sich aus leitenden Persönlichkeiten des öffentlichen und privaten Sektors, aus Gemeindeaktivisten und Fachleuten aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammengesetzt. Wir haben uns der Aufgabe verschrieben, die Beziehung zwischen Baukunst und Gemeinwesenentwicklung durch die Beteiligung der Bürger bei der Planung und Gestaltung wiederherzustellen ...“ (Congress for the New Urbanism). Der Fokus dieser Reformbewegung richtet sich auf den Städtebau. Das gleichlautende Leitbild beinhaltet: x

soziale Mischung

x

Nutzungsmischung

x

Dichte

x

Orientierung an historischen Stadtgrundrissen und regionalen Architekturtraditionen

x

Fußgängerfreundlichkeit

x

Entwicklung des ÖPNV

x

architektonische Vielfalt.

Der „New Urbanism“ versucht die funktionalen Bestandteile von Siedlungen – Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Erholung – als Mischnutzung in kompakten und fußgängerfreundlichen Projekten umzusetzen. Der hohe Stellenwert des Städtebaus ist bei den Projekten des „New Urbanism“ durch seine Dominanz über die Architektur gekennzeichnet. Der städtebauliche Masterplan definiert den Stadtgrundriss und verteilt die öffentlichen und privaten Nutzungen. Darüber hinaus gibt es ein „städtebauliches Regelwerk“, den sog. „Urban Coach“, der die Vorgaben für die Architektur (Materialien, Gebäudehöhen, Bauformen, etc.) definiert. Auch in der Realisierung der Projekte dominiert die städtebauliche Komponente. Zuerst werden Straßen und Plätze, landschaftliche Elemente und die öffentlichen Grünanlagen angelegt, erst danach erfolgt die Realisierung der Gebäude. Die Siedlungsgrundrisse orientieren sich an traditionellen Städtebauprinzipien mit Achsen und Diagonalen, die an barocke Anlagen bzw. die Gartenstadtbewegung erinnern.

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Ingmar Schäfer beschreibt es so: „Die Straßen haben Bürgersteige für Fußgänger, sie sind immer hierarchisiert: So gibt es Hauptstraßen oder Boulevards, Nebenstraßen und oft Garagenstraßen, die sogenannten Alleys. Plätze artikulieren Zentren oder Nebenzentren, sie sind in der Regel als grüne Schmuckplätze angelegt. An den Zentren und Nebenzentren liegen die öffentlichen Gebäude und Einrichtungen, aber auch der Einzelhandel und Büroflächen.“ (Schäfer, S. 5). Ein wesentlicher Aspekt ist die Sicherheit innerhalb der Siedlung. „Die Wiederbelebung der städtischen Plätze hängt von der Sicherheit und dem Schutz ab. Die Konzipierung von Straßen und Gebäuden sollte die Sicherheit der Umgebung verstärken, jedoch nicht zu Lasten der Zugänglichkeit und Offenheit ...“. Prinzip des „New Urbanism“ ist es, möglichst viele öffentliche Funktionen innerhalb der Siedlung zu verteilen. Dem Fußgänger wird ein besonderer Stellenwert gegenüber dem Auto eingeräumt. „Viele Aktivitäten des täglichen Lebens sollten innerhalb erlaufbarer Entfernungen stattfinden, so dass diejenigen, die nicht fahren können, insbesondere Ältere und Jüngere ebenso unabhängig sind. Straßenverbindungsnetze sollten so angelegt werden, dass sie zum Laufen ermutigen, um dadurch die Zahl und die Länge der Autofahrten zu reduzieren und Energie zu sparen.“ (Schäfer, S. 5). Neuartig sind auch die Verfahren, in denen die Planer den Masterplan gemeinsam mit den Bauherren, Vertretern öffentlicher Institutionen und gesellschaftlicher Gruppen erarbeiten. Eines der ersten realisierten Projekte, auf das sich der „New Urbanism“ gründet, ist die Feriensiedlung „Seaside“ in Florida von 1990. Diese Siedlung wurde in Anlehnung an die historische amerikanische Kleinstadt mit ihren überschaubaren Nachbarschaften konzipiert. Die (insbesondere europäische) Kritik am „New Urbanism“ ist vor allem durch dieses Vorbild – die amerikanische Kleinstadt – beeinflusst. Kritiker verweisen außerdem darauf, dass die Projekte des „New Urbanism“ zu einer weiteren Zersiedlung an den Stadträndern beitragen, da die meisten Projekte auf der „grünen Wiese“ entstehen. Die Zielgruppen der meist privaten Immobilienentwickler sind vorwiegend die besserverdienende, weiße amerikanische Mittelschicht. Viele der Projekte werden außerdem als abgeschlossene Siedlungen konzipiert, zu denen nur Einheimische und deren Besucher Zutritt haben. Trotz dieser teilweise berechtigten Kritik muss darauf verwiesen werden, dass erstmalig wieder in der amerikanischen Stadtplanung Siedlungen als geschlossene Einheit betrachtet wurden, dass dem Fußgänger und dem ÖPNV Priorität gegenüber dem privaten PKW eingeräumt und dass der Identifizierung mit dem Lebensraum wieder Bedeutung beigemessen wurde. Das Konzept des „New Urbanism“ hat mittlerweile viele Nachahmer auf der ganzen Welt gefunden. So wurden beispielsweise Ferien- und Wohnsiedlungen in Deutschland, Italien und Frankreich nach diesem Vorbild konzipiert. Port Grimaud beispielsweise ist eine vom Architekten François Spoerry gegründete, seit den 1960er Jahren bestehende südfranzösische Tourismussied-

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lung, mit dem Charakter einer postmodernen Planstadt, die sich bewusst an traditionelle mediterrane Bauformen anlehnt und damit Vorbild zahlreicher ähnlicher Vorhaben wurde (von Puerto de Mogan auf Gran Canaria bis hin zu den Palm Islands von Dubai). Insbesondere auch in den osteuropäischen Staaten gibt es jedoch auch problematische Nachahmungen dieser Bewegung. Es entstanden teilweise an der Peripherie der Städte hermetisch abgeriegelte Wohnanlagen, die mit einer Wehrmauer vor Eindringlingen geschützt werden. Die Architektur der Gebäude erinnert an künstliche Spielzeugsiedlungen. Kritiker sprechen hier auch von „Dirty Urbanism“. Leitbilder haben in der Stadtplanung/-entwicklung wieder an Stellenwert gewonnen: „Die europäische Stadt, „Kompakte Stadtmitte“, „Nachhaltige Stadtentwicklung oder „New Urbanism“ sind nur einige Beispiele für die Suche nach neuer Positionierung in der 1. Dekade des 21. Jahrhunderts. 2.1.1.4

Zusammenfassung – Notwendigkeit und Anforderungen an Leitbilder

Wie oben beschrieben wird die verstärkte Entstehung von Leitbildern durch gesellschaftliche Umbrüche und Missstände herbeigeführt. Sie gewinnen an Bedeutung, wenn es der Ablösung von überkommenen Werten und weiterreichender Innovationen bedarf. Die neuen Produktions- und Organisationskonzepte der Wirtschaft, der verschärfte Wettbewerb von Städten und Regionen, die wachsende Globalisierung und der weitere gesellschaftliche Wandel – verbunden mit unsicheren Zukunftsaussichten – werden die Entwicklung von Leitbildern auch in der Zukunft notwendig machen. Sie werden zum einen als marketingorientierte Leitbilder für die Städte/Regionen und zum anderen als Städtebauliche Leitbilder in der Stadtplanung für große wie für kleine Projekte weiterhin an Bedeutung gewinnen. Einheitliche Rezepte für den Erfolg von Leitbildern gibt es nicht. Es lassen sich dennoch einige grundsätzliche Aspekte ableiten, die bei der Umsetzung von Leitbildern berücksichtigt werden sollten. Beispielsweise setzt eine nachhaltige und erfolgreiche Stadtplanung heute eine frühzeitige Leitbilddiskussion auf allen Planungsebenen – von informeller bis zur formellen Planung – mit allen am Prozess beteiligten Akteuren voraus. Dabei gilt es, verstärkt stadtwirtschaftliche und immobilienwirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen. Die Bandbreite der städtebaulichen Leitbilder reicht von sogenannten „Ad-hoc-Leitbildern“ bis zu „aus dem Bestand unterlegten Leitbildern“, die in diskursiven Verfahren mit allen am Planungsprozess Beteiligten entwickelt werden. Die in der Praxis unter Stadtplanern erprobte Methodik der Entwicklung von städtebaulichen Leitbildern basiert auf der Analyse des Ist-Zustandes, einer Stärken-Schwächen-Potenzialanalyse und der Prognose der Trends zur Beschreibung zeitnaher oder zukunftsorientierter städtebaulicher Leitbilder und Entwicklungskonzepte.

42

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Städtebauliche Leitbilder sind in der Regel nicht flächengenaue Abbildungen eines in die Zukunft gedachten baulich/funktionalen Zustandes einer Kommune oder eines Projektes. Die Konzentration auf prägnante und charakteristische Handlungsfelder ist Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Leitbilddiskussion und –entwicklung. Städtebauliche Leitbilder stehen zwischen Statik, Pragmatik und Vision einer zukünftigen städtebaulichen Entwicklung. Dem städtebaulichem Leitbild sind oft Planungsvarianten/Vorkonzepte vorgeschaltet. Sie dokumentieren den Abwägungsprozess und dienen der Akzeptanz des städtebaulichen Leitbildes bei allen Beteiligten. Der Erfolg städtebaulicher Leitbilder lässt sich am besten an der Realisierbarkeit der aus ihnen abgeleiteten Konzepte bewerten. Nicht die idealisierten Vorstellungen einer Utopie sind zu überprüfen, sondern die Umsetzbarkeit in konkreten Projekten. Städtebauliche Leitbilder sollten nicht nur von Stadtplanern oder Architekten, sondern von allen Beteiligten –auch von Immobilienspezialisten – gemeinsam entwickelt werden. Aus dem o.g. lassen folgende Anforderungen an Leitbilder ableiten: x

Stark vereinfacht und verständlich

x

Konzentriert auf langfristig stabile Grundzüge

x

Konsensfähig und kulturell übergreifend

x

Bewahrend und stabilisierend sowie gleichzeitig visionär und orientierend

x

Offen genug für Veränderungen

x

Konkret genug, um als Handlungsanleitung zu dienen.

Von Städten und Projektträgern werden verstärkt (marketingorientierte) Leitbilder benutzt, um die individuellen Merkmale der Stadt oder des Projektes im Wettbewerb mit anderen Städten/Projekten herauszuarbeiten. Im Unterschied zu städtebaulichen Leitbildern geht es hier vorwiegend darum, Kompetenz und ökonomische Kraft darzustellen. Es ist das Ziel, die Beteiligten auf eine gemeinsame Vision einzuschwören und Ressourcen zu bündeln, um die gesteckten Ziele zu verwirklichen. Im Wettbewerb ist es wichtig, frühzeitig die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen, um Marktanteile zu sichern. Hierfür bedarf es flexibler Instrumente, die zwar Orientierung bieten, die aber auch genügend Anpassungsfähigkeit aufweisen, um auf die sich immer schneller verändernden Ansprüche des Marktes reagieren zu können. Die Realisierung von Immobilienprojekten erfordert zunächst Planung, d.h. die Auseinandersetzung mit der Zukunft. Ohne die Entwicklung einer Vision, eines Leitbildes und damit einer positiven Annahme von Zukunft, ist die Realisierung und Vermarktung einer Immobilie undenkbar.

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43

Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.1.1 Albers, G.: Städtebau zwischen Trend und Leitbild, Dortmund 1965. Becker, H./Jessen, J./Sander, R.: Auf der Suche nach Orientierung - das Wiederaufleben der Leitbildfrage im Städtebau, in: Becker, H./Lessen, J./Sander, R. (Hrsg.): Ohne Leitbild? Städtebau in Deutschland und Europa, Stuttgart, Zürich 1998. Congress For The New Urbanism: Charta des New Urbanism, Übersetzung: Kegler, H. in Kooperation mit Bodenschatz, H./Rost, F., www.cnu.org/pdf/Charta_deutsch, 1998. Daub, M.: Bebauungsplanung, Theorie – Methode – Kritik, Stuttgart 1973. Dittrich, E.: Das Leitbild und seine Problematik, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Raumforschung, Bremen 1960. Hafencity Hamburg: ww.hafencity.com. Kuder, Th.: Städtebauliche Leitbilder – Begriff, Inhalt, Funktion und Entwicklung, gezeigt am Beispiel der Funktionstrennung und –mischung, Dissertation, Berlin 2001. planungsgruppe 4 Berlin: Stadt Ravensburg Entwicklungsstrategie Bahnstadt 1999 – 2000, Berlin 1999/2000. Schäfer, I.: NewUrbanism, www.urz.tu-dresden.de/~cf320483/6.htm, Dresden 2003. Schell, K. D./Walser, M.: Räumliche Leitbilder – Hilfestellung zur Kommunikation und Kooperation, in: RaumPlanung H. 70, Dortmund 1995. Schwedler, H.-U.: Aus Politik und Zeitgeschichte B 34-35, Berlin 2001. Sieverts, T.: Was leisten städtebauliche Leitbilder? in: Becker, H./Lessen, J./Sander, R. (Hrsg.): Ohne Leitbild? Städtebau in Deutschland und Europa, Stuttgart, Zürich 1998. Stimmann, H.: Die Parzelle als Stadtmodell der Zukunft, in: Mönninger, M.: Stadtgesellschaft, Frankfurt/M. 1999. Streich, B.: Grundzüge einer städtebaulichen Leitbildtheorie, Bonn 1988.

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2.1.2

Soziologische Bausteine der Stadtplanung

47

Klaus M. Schmals 2.1.2.1 2.1.2.2 2.1.2.3

Vorbemerkungen Eine neue Ordnung der Stadtplanung Stadtplanerische Ideen zwischen "Charta von Athen" und "New Urbanism" 2.1.2.3.1 Fordismus 2.1.2.3.2 Die "Charta von Athen" 2.1.2.3.3 Von der homogenen zur heterogenen Stadt 2.1.2.4 Die neue Gesellschaft als Rahmen von Stadtplanung und Projektentwicklung 2.1.2.4.1 Eigenes Leben 2.1.2.4.2 Wandel der Werte 2.1.2.4.3 Milieuzentrierte Lebensstile 2.1.2.4.4 Selektive Mobilität und Segregation 2.1.2.4.5 Größe, Dichte, Mischung, Nachbarschaft, Bau- und Infrastruktur 2.1.2.4.6 Von der Bauleitplanung zur Entwicklungsmaßnahme 2.1.2.4.7 Nachfrageorientierte Stadtplanung und Projektentwicklung 2.1.2.5 Ausblick: Nachfrageorientierte Stadtplanung als Ideenwerkstatt Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.1.2

47 49 50 50 52 54 58 58 58 59 60 61 63 64 65 66

45

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2.1.2

47

Soziologische Bausteine der Stadtplanung

Klaus M. Schmals 2.1.2.1

Vorbemerkungen

Städtische Neubauquartiere wie das "Kirchsteigfeld" in Potsdam (vgl. Abbildung 8), "IJburg" in Amsterdam oder das "Französische Viertel" in der Tübinger Südstadt rufen bei vielen von uns positive Reaktionen hervor. In ihnen sind – durch einen differenzierten städtischen Grundriss, menschengerecht gestaltete öffentliche Räume und gut proportionierte Fassaden – die vielfältigen Ideen des städtischen Miteinander ablesbar und erlebbar. Konzeptionell finden sie sich in einer langen und differenzierten "Geschichte der Stadtplanung" verankert (vgl. Lichtenberger, S. 41ff.).

Quelle: Krier/Kohl 1997, S. 74 ff.

Abbildung 8: "Kirchsteigfeld" in Potsdam Sie erinnern uns – im Gegensatz zur vielfach unhistorisch gedachten und realisierten "Stadtplanung der Moderne" – nicht nur an überkommene Lebensweisen und Verhaltensformen in der Stadt, an traditionelle Bauformen und Baumaterialien, sondern auch an ein vielfach buntes Leben auf den öffentlichen Plätzen, Straßen und in den städtischen Parks (vgl. Sennett, S. 324ff.). Nicht zuletzt rufen sie uns auch wieder alltagspraktische Ideen wie Nutzungsmischung, flexible Grundrisse, nachbarschaftliche Beziehungsmuster oder gruppenspezifische Begegnungsräume in

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Erinnerung und erzeugen so ein identitätsstiftendes Image bei Nutzern und Projektentwicklern (vgl. Abbildung 9). Entsprechende Bedingungen und Potentiale zu entwickeln – so die erste These – ist die Aufgabe der Stadtplanung.

Quelle: Feldtkeller 2001, 55 ff.

Abbildung 9: Tübinger Südstadt Belebt ein wieder erwachendes Interesse an Stadt, an der Komplexität städtischen Lebens auch den Wettbewerb um die besten Angebote gegenüber den Nutzern auf dem Immobilienmarkt und beschleunigt diese Entwicklung auch einen Paradigmenwechsel der Stadtplanung? Einen entsprechenden Perspektivenwechsel könnte man grob charakterisieren durch einen "schlanker" werdenden Staat auf der einen Seite und durch "souveränere Konsumenten" auf dem Immobilienmarkt und gegenüber der Projektentwicklung auf der anderen Seite. Etwas differenzierter ausgedrückt würde dies einerseits eine Entwicklung weg vom bürokratischen und technokratischen Bevormundungs- und Regulierungsstaat, weg von der standardisierten und betriebswirtschaftlich kalkulierten Einheitsimmobilie (der "Immobilie von der Stange") und weg vom nur formalen Miteinander von Staat, Bürokratie und Gesellschaft bzw. den Nutzern auf dem Immobilienmarkt bedeuten. Andererseits eröffnet ein Paradigmenwechsel

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die

Chancen

hin

zu

mehr

Akzeptanz

selbstbewusster

Konsumenten,

zu

49

einem

konsumentenorientierten Verhandlungsklima zwischen Bürokraten, Projektentwicklern und Nutzern sowie zur Beachtung differenzierter und dynamisch werdender Bedürfnisse und Gestaltungskonzepte. Insgesamt könnten in diesem Wandlungsprozess die Chancen einer Wende hin zu maßgeschneiderten bzw. kundenorientierten Immobilien gestärkt werden. Bei allem berechtigten Pessimismus gegenüber der gegenwärtigen Praxis der Stadtplanung ändern sich heute – wie noch genauer zu sehen ist – ihre Rahmenbedingungen doch in bemerkenswerter Form. Sind damit auch positive Veränderungen auf dem Immobilienmarkt zu erwarten? Wenn ja, wie könnten sie aussehen? Im Folgenden wird eine disziplinäre Neuordnung der Stadtplanung vorgeschlagen. Sodann werden einige Entwicklungsschritte der Stadtplanung vor, in und nach der Moderne dargestellt und zentrale Bausteine einer nachfrageorientierten Stadtplanung entwickelt, um nicht zuletzt die Anforderungen der Projektentwicklung an die Stadtplanung zusammenzufassen. 2.1.2.2

Eine neue Ordnung der Stadtplanung

Wenngleich unter völlig veränderten Bedingungen wie noch vor 30 Jahren kehrt heute das "Leitbild der kompakten Stadt" ins Bewusstsein vieler Bürger und Stadtplaner zurück (vgl. Schmals 1997, S. 399ff. und 2000, S. 30ff.). Im Rahmen dieses Bewusstseinswandels gegenüber der Stadt und ihrer Planung ist in begrifflicher Hinsicht darauf aufmerksam zu machen, dass die seit dem Zweiten Weltkrieg praktizierte disziplinäre Arbeitsteilung zwischen Baukonstruktion, Architektur, Städtebau, Stadtplanung, Stadtentwicklung und Raumplanung in Ausbildung und beruflicher Praxis eine künstliche und ideologische und wesentlich der "funktionalistischen Kultur" des 20. Jahrhunderts geschuldete ist (vgl. Braam, S. 1ff. und Spitzer, S. 57ff.). So ist es auch wenig erstaunlich, dass in der Fachliteratur nur in der Ausnahme plausible Abgrenzungen der Aufgaben, der inhaltlichen Grundlagen und der Arbeitsweisen dieser Disziplinen zu entdecken sind (vgl. Sieverts, S. 23ff.). Die genannten Teildisziplinen drücken die verschiedenen Aufgaben, Potentiale und Techniken aus, das außergewöhnlich komplexe und interessante Objekt, die (Wohn-, Gewerbe- und Infrastruktur-)Immobilie, zu entwickeln. Eine für Nutzer, Stadtpolitik, Stadtplanungsverwaltung, Stadtplaner und Investoren wertvolle Immobilie ist – unter dem systematischen Einbezug der Mikro- und Makroökonomie – nur unter inhaltlicher Vernetzung der eben genannten Teildisziplinen möglich (vgl. Schmals, 2002, S. 91ff.). Jede dieser um die Immobilie – mehr oder weniger komplex – kreisenden Disziplinen – so die zweite These – ist, entsprechend ihrer soziokulturellen, konstruktiven, gestalterischen oder

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50

vernetzenden Leistungskraft, auf die anderen angewiesen. So hat Stadtplanung – um die es hier geht – einerseits x

Baukonstruktion (die konstruktive Gestaltung und statische Sicherheit von Gebäuden),

x

Architektur

(der

Entwurf

von

Gebäuden

und

ihre

Einordnung

in

städtische

Lebenszusammenhänge) und x

Städtebau (die Übersetzung gesellschaftlicher in baulich-räumliche Strukturen, wie offene und/oder geschlossene Bauweisen, Trennung und/oder Mischung der Nutzungen, Ver- und Entsorgungsstrukturen) einzubeziehen und andererseits

x

Stadtentwicklung (die Anpassung der Stadtstruktur an den sozialen Wandel der Gesellschaft) oder

x

Raumplanung (die Organisation gesellschaftlicher Nutzungen in größeren regionalen, nationalen und internationalen Raumzusammenhängen) mitzudenken.

Unter Beachtung dieser (inter)disziplinären Zusammenhänge hat Stadtplanung – so die dritte These – das zivile Zusammenleben von Menschen in städtischen Räumen konzeptionell zu antizipieren (vgl. Albers, S. 1). Wie dieses Konzept in der Praxis von Stadtplanung und Projektentwicklung aussehen kann, zeigt Feldtkeller in der Publikation "Städtebau: Vielfalt und Integration". 2.1.2.3

Stadtplanerische Ideen zwischen "Charta von Athen" und "New Urbanism"

Seit den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts bildet die "Charta von Athen" das vorherrschende Leitbild für die Stadtplanung (vgl. Conrads, S. 84ff.; Hilpert, S. 116ff.; und MüllerRaemisch, S. 21ff.). Die Konsequenzen dieses inzwischen globalisierten Ideengebäudes sind – ob wir uns nun in La Defense in Paris, in den Borgate in Rom (z.B. in Tor Bella Monaca) oder in Berlin-Marzahn befinden – im Rahmen der räumlichen Trennung von Wohnen, Arbeiten, Kultur und Freizeit mehr als bekannt. In unserer Lebenssituation ist es schwer, von der Qualität der "Stadt der Moderne" mit ihren Charakteristika der langen Wege, der durch Schadstoffe belasteten Umwelt, des Verlusts öffentlicher Räume, der menschlichen Isolierung und Vereinsamung in uniformen Bürokästen, Wohnsilos oder Automobilen nicht betroffen zu sein. Seit einiger Zeit wird dieses "stadtplanerische Jahrhundertprojekt" aber auch in Frage gestellt, kritisch analysiert und nach Alternativen gesucht. Eines dieser Planungskonzepte, die Stadt neu zu denken, ist der "New Urbanism". 2.1.2.3.1 Fordismus Von einer Gruppe bedeutender, international tätiger Architekten und Stadtplaner in den Jahren zwischen 1928 und 1933 entwickelt, diskutiert und verabschiedet, wurde die "Charta von Athen"

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im Jahr 1943 von Le Corbusier redigiert und – in 95 Paragraphen untergliedert – publiziert (im Jahr 1962 wurde sie auch ins Deutsche übersetzt). Diese engagiert vorgetragene "Charta" manifestiert die Schnittstelle unterschiedlicher historischer Entwicklungen und Leitbilder. Gemeint sind Ideen europäischer Utopisten (wie Morus, Owen, Garnier oder Howard), zentrale Gehalte europäischer Revolutionen und Bewegungen (mit ihren Forderungen nach Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit/Solidarität) und der Einbezug einer technokratischen

Machtbarkeitsvorstellung

in

die

Planung

der

Städte

kapitalistischer

Industriegesellschaften (vgl. Kruft, S. 309ff.). Nicht zuletzt bildet die "Charta von Athen" das stadtplanerische Leitbild des Fordismus: "In seinem Modell hat (der Künstler, Architekt, Städtebauer und Stadtplaner, A.d.V.) Le Corbusier die soziale Grundlage für eine neue Stadt des 'Maschinenzeitalters' mit jener Organisationsweise großindustrieller Produktion identifiziert, die im Taylorismus und Fordismus nordamerikanischer Trusts als eine neue Form organisierter und rationaler Überflußproduktion verkörpert schien. In seinem Konzept für die Rückführung der chaotischen Großstadt in den Rahmen einer 'finiten' Stadt wird die wiedergewonnene Einheit der Lebensvollzüge nur zu einer gesamtgesellschaftlichen Rationalisierung" (Hilpert, S. 30f.). Welche Anliegen charakterisieren den "Fordismus" und welche seiner Ideen prägen das Konzept der "Charta von Athen", die zu Beginn der 30er Jahre im 20. Jahrhundert auf einer Schiffsreise von Genua nach Athen von einer Gruppe von Architekten, Städtebauern und Stadtplanern verabschiedet wurde? "Fordismus" bezeichnet eine an der Wende zum 20. Jahrhundert entstehende und sich zügig universalisierende Produktionsweise (vgl. Hirsch/Roth, S. 28ff.). Ausgangspunkte waren die Zerlegung der Industriearbeit (vgl. zuerst das Beispiel der "Stecknadelfabrik" bei Smith) und ihre erneute Zusammenführung unter Gesichtspunkten der Leistungs- und Ertragssteigerung (Taylor war zu dieser Zeit "Betriebsingenieur" des Autobauers Ford). Vor diesem Hintergrund entfaltete sich – so die vierte These – schrittweise nicht nur die großindustrielle Organisation der industriellen Massenproduktion. Hierdurch erhöhten sich auch die Löhne der Industriearbeiter (Ford machte sich auch einen Namen als Sozialpolitiker), woraus wiederum ein Anwachsen ihrer Kaufkraft bzw. der Nachfrage nach Industriegütern resultierte. Dieser Transformationsprozess zwang nicht nur immer mehr Menschen in die Industriestädte, sondern erhöhte auch die Nachfrage nach Wohnraum (der im Raum um Chicago frühzeitig auch nach "fordistischen Gesichtspunkten" erstellt wurde), städtischer Infrastruktur, Bürokratie und sozialräumlicher Planung (vgl. Borst u.a., S. 7ff.). Dieses zuerst betriebliche, dann regionale und zuletzt globale Modell bildet die sozioökonomische Grundlage der "Charta von Athen".

52

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2.1.2.3.2 Die "Charta von Athen" In der "Erklärung von La Sarraz" – einer Grundlage der "Charta von Athen" – heißt es zum Verhältnis von Wirtschaft/Wirtschaftlichkeit und Architektur/Stadtplanung: Die Ausrüstung eines Landes verlangt eine innige Verbindung von Architektur und Wirtschaft. (...) Die echte Wirtschaftlichkeit wird die Frucht einer Rationalisierung und einer Normung sein, die ebensogut anzuwenden ist auf architektonische Planungen wie auf industrielle Methoden der Ausführung" (Hilpert, S. 96). In seinen "Leitsätzen zum Städtebau" arbeitete Le Corbusier dieses Bild genauer heraus: "Die Stadt ist ein Arbeitswerkzeug. (...) Sie ist die Beschlagnahme der Natur durch den Menschen. (...) Die Geometrie ist das Mittel, das wir selbst uns geschaffen haben, um die Umwelt zu erfassen und um uns auszudrücken. (...) Die Maschine geht hervor aus der Geometrie. (...) Die (Stadt als, A.d.V.) Maschine schenkt unseren Träumen ihre Kühnheit: sie können verwirklicht werden. (....) Die Stadt der Geschwindigkeit ist die Stadt des Erfolgs" (Conrads, S. 84ff.).

Quelle: Neue Heimat 1967, S. 62

Abbildung 10: Neuperlach in München Perspektive Vor diesem Weltbild wurden die Ziele der "Stadtplanung/des Städtebaus der Moderne" formuliert: Er/Sie "kann nicht mehr ausschließlich den Gesetzen eines willkürlichen Ästhetizismus

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53

unterworfen sein. Seinem Wesen nach ist er funktioneller Natur. Die drei grundlegenden Funktionen, (..), sind 1. wohnen; 2. arbeiten: 3. sich erholen. Sein Gegenstand sind a) Aufteilung des Bodens; b) Organisation des Verkehrs; c) Gesetzgebung" (Hilpert, S. 96). So ließ sich mit den Mosaiksteinen der "Charta" ein modernes Bild bzw. eine moderne Struktur städtischen Lebens, das Bild einer funktionalistischen Stadt der Leistungs- und Ertragsstärke zusammensetzen (vgl. Abbildung 10 und Abbildung 11): Ähnlich wie dies Taylor erfolgreich für den Arbeits- und Produktionsprozess vorgeführt hatte, wurden nun Ziele, Strukturen, Funktionen und Prozesse "der Stadt zerlegt (analysiert), homogenisiert und in Zonen neu organisiert" (Ipsen 1987, S. 144). In dieser Form kam die kapitalistische Industrie- und Dienstleistungsstadt als kalkulierbare, als objektivierbare und – über Daten, Gesetze und Renditen – steuerbare bzw. planbare auf uns zu. Ihr wurden zuerst mit dem Bundesbaugesetz (1960) und später mit dem Baugesetzbuch (BauGB) passende bau- und planungsrechtliche Zügel angelegt (vgl. §§ 1, 5, 8 und 9 BauGB sowie die BauNVO). Mit ihnen konnte dieses städtische Leitbild bis heute verteidigt und der Einbezug des sozialen Wandels in Stadtplanung, Städtebau und städtisches Leben bau- und planungsbürokratisch gebremst werden.

Quelle: Neue Heimat 1967, S. 65

Abbildung 11: Neuperlach in München, Bebaungsplan

54

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Kritische Reaktionen auf den auch bau- und planungsrechtlich legitimierten Zerstörungsprozess unserer Städte und den Wertminderungsprozess vieler Immobilien reichen bis in die frühen 60er Jahre zurück und sind eng mit Arbeiten – wie "Die Unwirtlichkeit unserer Städte – Anstiftung zum Unfrieden" – von Mitscherlich (1965) und "Die moderne Großstadt" von Bahrdt (1971) verknüpft. So wurde 1971 das Städtebauförderungsgesetz (StBauFG) verabschiedet, um unsere (Kern-)Städte vor dem Abriss zu retten, um schrittweise ein Bewusstsein für die Qualität des Bestandes bzw. den Wert von Bestandsimmobilien entstehen zu lassen und um die Bedürfnisse und Rechte dort arbeitender oder wohnender Stadtbewohner zu schützen. 2.1.2.3.3 Von der homogenen zur heterogenen Stadt Parallel zu den Prozessen der "Modernisierung unserer Städte" x

durch den Abriss alter Bausubstanz (vgl. Schleich "Die zweite Zerstörung Münchens" (1978) oder Bodenschatz "Platz frei für das neue Berlin!" (1987)),

x

durch die Maßstabsvergröberung städtischer Quartiere (vgl. z.B. den Bau des Europäischen Patentamtes am bis dahin kleinteilig bzw. gründerzeitlich genützten Isarufer in München) und

x

durch die Nutzungshomogenisierung ganzer Stadtbereiche (wie die Tertiärisierung der Innenstädte in Stuttgart oder Hannover)

wandelte sich ab den 70er Jahren in Westdeutschland die Sozial- und damit auch Raumstruktur der Gesellschaft. Die Sozialstruktur (Alter, Geschlecht, Bildung, Beruf, Familienform, Nationalität oder Religion) und die Segregation sozialer Gruppen im Raum entsprachen im beginnenden und sich entfaltenden 20. Jahrhundert dem "Fordismus" und der "Charta von Athen" durch ihre relative Homogenität (abbildbar u.a. zuerst durch ihre Klassen- und ab der Mitte des 20. Jahrhunderts durch ihre Schichtungsstruktur, vgl. Abbildung 12). Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts löste sich diese nun langsam auf und entwickelte sich in Richtung einer "Milieu- und Lebensstilgesellschaft" (vgl. Bourdieu, S. 115ff.; sowie Vester u.a., S. 23ff.). Dieser Prozess vollzog sich zwischen Nordamerika, England, Frankreich und Deutschland – entsprechend ihrer Geschichte – ungleichzeitig. Er wurde nicht nur beeinflußt durch den Wandel der Werte, durch Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse, durch die Entfaltung einer Wissensgesellschaft,

durch

Informatisierungs-,

Flexibilisierungs-,

Globalisierungs-

und

Vernetzungsprozesse in Produktion, Tausch und Konsumtion. Er wurde auch bestimmt durch den Verfall alter und die Entstehung neuer Organisations-, Entscheidungs- und Kooperationsformen zwischen Staat und Gesellschaft (vgl. Konzepte des Stadtmarketings oder der "public-privatepartnerships"), durch "selektive Mobilität" und nicht zuletzt durch den Wandel der Familien-,

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herrschende Klasse

beherrschte Klasse

deklassierte Gruppen

Klassengesellschaft

Statusaufbau und Schichtung der westdeutschen Bevölkerung (60er Jahre)

Bezeichnung der Statuszone

Status entsteht aus: •Beruf/Einkommen

Anteil

Oberschicht

ca. 2 %

Obere Mitte

ca. 5%

•Geschlecht •Wohnform •Wohnort

Mittlere Mitte

ca. 14%

•Nationalität

Untere Mitte

ca. 29%

•Religion

Unterste Mitte/oberes Unten

ca. 29%

Unten

ca. 17%

Sozial Verachtete

ca. 4%

•Alter 58%

Soziales Prestige

Schichtgesellschaft

Oberschicht Obere Mittelschicht

Konservatives gehobenes Milieu

Technokratischliberales Milieu

9%

Mittlere Mittelschicht

Alternatives/Linkes Milieu 4%

9%

Kleinbürgerliches Milieu

Untere Mittelschicht

Hedonistisches Milieu

28% Austiegsorientiertes Milieu

9%

21% Unterschicht

Traditionelles Arbeitermilieu 10%

Sozial Verachtete Traditionelle Grundorientierung

Traditionsloses Arbeitermilieu 10%

Materielle Grundorientierung

Postmaterielle Grundorientierung

Wertewandel

Milieugesellschaft

Quelle: eigene Darstellung nach Geißler 1987

Abbildung 12: Wandel der Sozialstruktur

Wandel der Sozialstruktur

•Fam. Stellung

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Lebens- und Beziehungsformen (von Einpersonenhaushalten über die Patchworkfamilie bis hin zu "Living apart together – Lebensformen"). Diese Aspekte bilden die soziologischen Bausteine einer neuen Gesellschaft. Letztere stellt den Rahmen für eine veränderte Stadtplanung und eine noch zu entwerfende "nachfrageorientierte Projektentwicklung" im Raum dar. Mit dem Verblassen fordistisch geprägter Gesellschaften verändern sich – aufeinander bezogen – die Sozial- und Raumstruktur und somit auch auch die Basis für die Projektentwicklung. Die Sozialstruktur wird heterogener, die Mobilität nimmt zu und die Nutzungen im Raum, auf dem städtischen Boden werden differenzierter und kurzlebiger. Insgesamt verzahnen sie sich zu neuen Formen. Dabei entsteht keine einfachere, sondern – im Gegenteil – eine in politischer, wirtschaftlicher, demographischer, familiärer und normativer Hinsicht kompliziertere bzw. widersprüchlichere Gesellschaft. D.h., auf die alte Gesellschaft haben wir uns eingerichtet. Die neue Gesellschaft müssen wir erst verstehen lernen: Weltweiten politischen Konflikten steht dabei die prinzipielle Offenheit unserer Gesellschaft und das Verlangen der Bürger nach Sicherheit gegenüber. In Verlängerung hierzu verknüpft nicht nur das Internet die globale und lokale Welt miteinander. Es macht unsere Welt auch zu einem nicht abschließbaren und zu einem jederzeit und für Jedermann verfügbaren Raum. Dabei steht einer fortschreitenden, auf Wissen und Technologie aufbauenden Produktivität die Zerklüftung der Gesellschaft in ungleich versorgte Lebensstilgruppen gegenüber. Ihre Mitglieder kombinieren in vielfältigen Modulierungen Arbeit, Wohnen, Freizeit, Kultur und Mobilität. Entsprechend des Wandels der Arbeit und der Geschlechterfrage entfaltet sich mit dem Funktionswandel von Familie und sozialer Beziehungen auch ein neues und dabei bürgerorientiertes Infrastrukturkonzept. Parallel zu dem Wandel der Werte und der Verstärkung von Individualisierungsprozessen erwächst dem Entwickler von Immobilien ein selbstbewusstes und interessantes Gegenüber. Und nicht zuletzt entstanden mit der aktuellen Wirtschaftsflaute und dem geschichts- und krisenbedingten Leerstand von Gewerbe- und Wohnimmobilien (Krise als Chance) Freiräume für einen attraktiven Markt aus Angebot und Nachfrage durch Konsumenten und Investoren. Durch diese "Neue Unübersichtlichkeit" (Habermas, S. 141ff.) entstanden auf der "Umbaustelle Stadt" große und interessante Experimentierräume für Projektentwickler. Entsprechende Spielräume könnten prinzipiell dafür genutzt werden, um das bürgerschaftliche Interesse, ein "eigenes Lebens" zu führen, zu berücksichtigen. Sie können weiterhin dafür verwendet werden, um "Globalität und Lokalität" im Rahmen individueller werdender Lebensentwürfe zu bewältigen (vgl. Dürrschmidt, S. 25ff.). Alltagsaktivitäten wie Arbeit, Wohnen, Beziehung, Freizeit, Mobilität

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57

oder Kultur werden dabei jeweils unterschiedlich kombiniert. Der Erfolg von Projektentwicklern könnte schließlich daran gemessen werden, inwieweit es diesen gelingt, die differenzierten Interessen ihres Klientels, "ein gutes Leben" – im Sinn von nachbarschaftlich, gesund und nachhaltig – zu führen, zu berücksichtigen. Viele der an der "Charta von Athen" geübten Kritikpunkte werden gegenwärtig im Planungskonzept des "New Urbanism" berücksichtigt. Mit dieser ersten konzeptionell ernstzunehmenden Stadtplanungskonzeption nach der "Charta von Athen" versuchen deren Vertreter vor die Zeit des entstehenden "Fordismus" zurückgehen und die stadtplanerischen Weichen anders zu stellen als dies Ch. Taylor/ H. Ford und die Stadtplaner der "Charta von Athen" taten. Die Vertreter dieses Leitbilds

wollen

nicht

weiterhin

die

Trennung

der

Funktionen

zur

Erhöhung

der

Leistungsfähigkeit und der Ertragsoptimierung praktizieren, sondern an die vielfältige "Geschichte der Stadtplanung" anknüpfen und ganzheitliche städtische Situationen schaffen (vgl. neben zahlreichen Projekten in den USA wie z.B. "Seaside" die aktuellen Pläne des Investors Fundus für das "Johannis- oder Tacheles-Quartier" in Berlin-Mitte an der Oranienburger Strasse).

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 13: Quartier am Tacheles, Berlin Die dargestellte "neue Unübersichtlichkeit" der Gesellschaft zu akzeptieren und die dadurch entstehenden Spielräume zu nutzen sind – so die fünfte These – die Aufgaben einer "nachfrageorientierten Stadtplanung" im Interesse der "maßgeschneiderten Projektentwicklung".

58

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2.1.2.4

Die neue Gesellschaft als Rahmen von Stadtplanung und Projektentwicklung

Soziologische Bausteine einer schrittweise entstehenden neuen Gesellschaft sind "eigenes Leben", Milieu und Lebensstil, "selektive Mobilität", Dichte und Mischung, Nachbarschaft und die Modernisierung der Bau- und Planungsgesetze. Charakteristika dieser neuen Gesellschaft sind ihre Offenheit, Vielfalt, Komplexität und die schrittweise entstehende Souveränität der Nutzer. 2.1.2.4.1 Eigenes Leben Kern und Ziel des "Projekts der Moderne" ist das Versprechen eines "eigenen Lebens" (Beck, S. 9ff.). "Eigenes Leben" meint – nach einem langen abendländischen Prozess der Aufklärung, Individualisierung und Säkularisierung – eigenes Wissen, einen eigenen Beruf, eine eigene Beziehung, einen eigenen Mann, eine eigene Frau, eine eigene Familie, eigene Kinder, eine eigene Wohnung, ein eigenes Büro(haus) oder ein eigenes Auto haben zu wollen. Dieses Ziel, ein dem eigenen

"Ich"

gehorchendes,

"souveränes

Leben"

zu

realisieren,

konnte

mit

großen

Kraftanstrengungen und mit gewaltigen Konsequenzen inzwischen in allen Lebensbereichen unserer Gesellschaft durchgesetzt werden. Das Ergebnis dieses Prozesses nennt Beck "paradoxe Vergesellschaftung". D.h., je mehr "eigenes Leben" wir in unserer Gesellschaft realisieren, desto mehr von uns sind auf die Anderen, auf soziale Gruppen, auf Institutionen oder auf die Gesellschaft angewiesen. Mit Individualisierung, Privatisierung und Dezentralisierung explodierte unsere Gesellschaft nicht nur, indem sich z.B. die (Einpersonen-)Haushalte vermehrten, sondern sie implodierte auch, indem sich diese neuen Haushalte – von der Wohnung, über die Musikanlage bis hin zum Auto – auch den jeweils leistbaren Ausstattungsstandard zulegten. So lautet die sechste These: mit Prozessen der Individualisierung vervielfältigen und differenzieren sich Nachfrage und Aufgaben der Projektentwickler um ein Vielfaches. Ein Prozess der sich heute – in Deutschland – erst an seinem Anfang befindet (vgl. Schmals 2001a, S. 173). 2.1.2.4.2 Wandel der Werte Mit dem Wandel von Werten, Interessen und Bedürfnissen im Entfaltungsprozess von Individualismus und fordistischen Produktionsverhältnissen traten "physiologische Bedürfnisse" oder "Sicherheitsbedürfnisse" durch die allgemeine Wohlfahrtsentwicklung etwas in den Hintergrund gegenüber Bedürfnissen nach "Zugehörigkeit, Achtung oder Selbstverwirklichung" (vgl. Maslow, 1981, S. 62ff., vgl. Abbildung 14). Parallel hierzu tritt aber auch eine "Ethik der Projektentwicklung" ins Zentrum unserer Arbeit: "Selbstverwirklichung" in Beruf und Lebensalltag ist auf Dauer nur unter Beachtung des Gemeinwohls denkbar.

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Postfordistische Gesellschaft

Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung Bedürfnisse nach Achtung

Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Liebe Sicherheitsbedürfnisse Physiologische Bedürfnisse Fordistische Gesellschaft

A. H. Maslow´s Theorie der Grundbedürfnisse Quelle: eigene Darstellung nach Maslow 1991, S. 62

Abbildung 14: Wandel der Werte gegenüber den Grundbedürfnissen nach Maslow 2.1.2.4.3 Milieuzentrierte Lebensstile Das sozialstrukturelle Konzept der Lebensstile ist eng mit der Arbeit "Die feinen Unterschiede" (1991) von Bourdieu verbunden. Hiernach ist das moderne Individuum – bei seiner Interpretation von Gesellschaft – vor allem "Habitus-Träger". Der Habitus eines Menschen wird durch das Repertoire "kultureller Praktiken" zum Ausdruck gebracht. Diese "kulturellen Praktiken" (Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einschätzungen) weisen ihn nicht nur als Mitglied der Gesellschaft, sondern auch bestimmter soziokultureller Gruppen, eben Lebensstilgruppen, aus. Diese "kulturellen Praktiken" wiederum definierte und strukturierte Bourdieu nach den jeweils verfügbaren Anteilen ökonomischen Kapitals (wie Vermögenstitel, Geldeinkommen oder Sozialtransfers), kulturellen Kapitals (Bildung und akademische Titel) und sozialen Kapitals (Kompetenzen, sich im Alltag zurecht zu finden). In kapitalistischen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften ist ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital unterschiedlich verteilt (vgl. Perry, S. 17ff.). Auch die Dominanz einzelner Kapitalsorten verändert sich in der Zeit (heute z.B. werden Bildung und soziale Kompetenzen bei der Orientierung in unserer Gesellschaft immer wichtiger). Bourdieu benutzt nicht zuletzt die Geschmackskategorie (bezogen auf Wohnung, Kleidung, Möbel, Musik oder Trinkgewohnheiten) um die Gesellschaft nach Lebensstilgruppen im gesellschaftlichen Feld bzw. im Raum (eines städtischen Quartiers) zu unterscheiden.

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Mobilität von Lebensstilgruppen zwischen den Wohnungsteilmärkten

Stadtrand Ein- und Mehrfam.siedlung

Innenstadtrandgebiet - Altbau

Innenstadt Altbau

Innenstadtrandgebiet - Platte

Milieugruppe 1

Biographie 1

Milieugruppe 2

Biographie 2

Milieugruppe 3

Biographie 3

Milieugruppe 4

Biographie 4

Milieugruppe n

Teilmarkt A

Stadtrand Großsiedlung

Biographie n

Teilmarkt B

Teilmarkt C

Teilmarkt D

Teilmarkt n

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 15: "Selektive Mobilität" und "Wohnungsteilsmärkte" Habitus und Raum sind – so lautet die siebte These – zwei zentrale soziologische Bausteine (oder Mittel der Distinktion), um die räumliche Wahl von Nachfragern nach (Wohn- und Gewerbe-) Immobilien im Raum nachvollziehen zu können. Die Ausprägung des Feldes oder des Raumes, in dem ein Habitusträger arbeitet oder wohnt, wird häufig auch als Milieu bezeichnet. Mit dem inhaltlichen Bezug von "Habitus und Raum" kommt sodann der für die Stadtplanung wichtige Begriff der "milieuzentrierten Lebensstile" zustande (vgl. Schmals, 2001b, S. 252ff.). 2.1.2.4.4 Selektive Mobilität und Segregation Seit geraumer Zeit verstärkt sich die Wanderung sozialer Gruppen im Raum. Dabei wird Wanderung häufig in großräumige Wanderung (Migration) und kleinräumige Wanderung (berufliche, schulische oder residentielle Mobilität) unterteilt. Kleinräumige Mobilität zwischen Stadt und Land, innerhalb der Stadt und in städtischen Quartieren nahm in den zurückliegenden Jahren unterschiedlich zu. Gegenwärtig zieht z.B. die Berliner (Wohn-)Bevölkerung – was die Zahl der Umzüge anbetrifft – alle sechs bis sieben Jahre einmal um. Einerseits nimmt dabei die mikroräumliche Mobilität zu. Andererseits tritt – als Kriterium der Standortwahl – das Lebensstilkonzept prägend hinzu (vgl. Schmals/Wolff, S. 24ff.). Beeinflusst durch den sozialstrukturellen Wandel der Gesellschaft zieht es vermehrt "Gleiche zu Gleichen". Ein Vorgang der differenzierte Mobilitätsmuster nach sich zieht: Sozial stabile

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Gruppen (wie Beamte oder Angestellte) verharren häufig in ihren angestammten Lebensräumen. Negativ betroffene Gruppen geraten in Abwärtszirkel "erzwungener Mobilität" und gut verdienende Gruppen wählen ihr Arbeits- und Wohnquartier selbst: damit ist "selektive Mobilität" gemeint. Im Rahmen von Individualisierung, Lebensstilorientierung und differentieller Mobilität entsteht – so die achte These – ein neuer Segregationstypus von Stadt, der – entsprechend ihrer Wohnungsteilmärkte – mit einem "Leopardenfell" oder einem "Patchwork sozialer Gruppen im Raum" zu vergleichen ist. Vergleichbare Prozesse sind heute auch bezüglich der Mobilität von Gewerbebetrieben bekannt. Mit Erfolg oder Misserfolg steigen sie einerseits auf der Leiter der Standortqualitäten einer Stadt von Teilmarkt zu Teilmarkt auf oder ab. Andererseits strukturieren sie ihre Betriebe nach Leitungs- und Ausführungsfunktionen und nutzen die Leiter der kommunalen Standortqualitäten in unterschiedlichen Richtungen. 2.1.2.4.5 Größe, Dichte, Mischung, Nachbarschaft, Bau- und Infrastruktur Wirth definierte im Jahr 1938 Stadt einfach und einprägsam als "eine relativ große, dicht besiedelte und dauerhafte Niederlassung gesellschaftlich heterogener Individuen" (Wirth, S. 245). Selbstverständlich ist heute die reine Größe (die Zahl z.B. der Bewohner) einer Stadt oder eines Quartiers kein bestimmendes Kriterium der Stadtplanung mehr (die Zahl der in Betrieben beschäftigbaren Menschen war zur Zeit der Industrialisierung zentral). So nimmt man die 3,4 Mio. Einwohner Berlins deshalb nicht wahr, weil man in lebensstilzentrierten Quartieren (Kiezen) lebt oder arbeitet. Größe spielt jedoch normativ und unbewusst sowie in Relation zur Dichte, Differenziertheit der Sozial- und Raumstruktur sowie zur Infrastruktur (Versorgung der Stadtbewohner mit öffentlichen Gütern) eine Rolle. Differenzierung – der Grad an Homogenität und Heterogenität – der Sozialstruktur (Grad der sozialen Mischung) ist historisch, politisch, stadtstrukturell, kulturell oder ethnisch bedingt. So lebten in der feudalistischen und/oder frühkapitalistischen Stadt die einzelnen Stände oder Klassen relativ homogen miteinander (oder besser nebeneinander). Mit der Entstehung von "milieuzentrierten Lebensstilgesellschaften" wird die Stadt insgesamt heterogener. Einerseits können wir uns Stadtquartiere vorstellen (etwa Berlin-Charlottenburg oder München-Schwabing), in denen Bürger unterschiedlicher Lebenstilgruppen zusammen leben. Andererseits wissen wir natürlich

auch

von

"heterogener

Homogenität"

in

Stadtquartieren,

in

denen

sich

Lebensstilgruppen kleinräumig organisieren und dabei – entsprechend des gelebten Habitus – auch abschotten. Homogenität und Heterogenität sozialer Gruppen in der Stadt oder in Stadtquartieren sind weiterhin durch die Gestaltung der Baustruktur und Bauform (welche Nutzergruppen werden durch sie jeweils angezogen) sowie durch die Auslegung der Infrastruktur (Zielgruppen, Versorgungsgrad und Einzugsbereiche) – zumindest in gewissen Grenzen – planbar. Baustruktur

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und Bauform meinen einerseits Blockrandbebauung oder offene Bauweise (Hochhäuser, Reihenhäuser oder freistehende, eingeschossige Wohnhäuser). Sie charakterisieren andererseits Gebäude mit Gewerbenutzung, öffentlicher Infrastruktur oder Wohnnutzung (untergliedert nach Eigentum, Miete oder Genossenschaft). Infrastruktur meint Kindergärten (inwieweit können Frauen ihren Beruf ausüben), Schulen (gibt es weiterführende Schulen), Einzelhandel, Einrichtungen der Altenpflege und Gesundheitsvorsorge, Kultur- und Sicherheitseinrichtungen (gibt es Einrichtungen

für

unterschiedliche

Religionsgemeinschaften),

Grünanlagen,

Cafe's

und

Restaurants sowie Ver- und Entsorgungssysteme (etwa im öffentlichen Personennahverkehr). Je nach Ausstattung, Nutzungs- und Bauformenmix kann eine Stadt oder ein Stadtquartier eine homogene oder heterogene Sozialstruktur zum Ziel haben bzw. entstehen lassen (dabei kann die Interaktionsdichte in einer Zechensiedlungen im Revier ebenso groß sein (vgl. die Margarethenhöhe in Essen) wie z.B. in einem gründerzeitlichen Block in Essen-Rüttenscheid). Je nach Sozial-, Infra- und Raumstruktur eines Stadtquartiers spricht man von unterschiedlichen "Dichtegraden in der Stadt". Dichte wird in der Regel in Distanzen gemessen. Die Beziehungen zwischen Personen, die Erreichbarkeit von "Gelegenheiten" (wie Kindergarten, Schule, Arbeitsplatz, Kneipe, Fitnesstudio, Grünanlage oder Kaufhaus), die Mobilität von Personen und der Grad ihrer Annäherungsbereitschaft lassen sich als Distanz – in Distanz- und Interaktionsraumanalysen – untersuchen und messen. Friedrichs unterscheidet z.B. in "räumliche, soziale und ökologische Distanz" (vgl. Friedrichs, S. 84). Hall differenziert soziale Distanz weiter und unterteilte sie in "intime, persönliche, soziale und öffentliche Distanz" (Hall zitert nach Piper, S. 40). Nun kann man sich gut vorstellen, dass in einer Stadt, in der die Lebensstile im Raum bereits erkennbar ausgeprägt entwickelt sind, das Netzwerk der Distanzen ein wesentlicher Standortfaktor

(soziales

Kapital)

für

eine

nachfrageorientierte

und

maßgeschneiderte

Projektentwicklung ist. Neben "sozialräumlichen Distanzmustern" ist Nachbarschaft ein wieder wichtiger gewordener Baustein für eine "bewohnerorientierte Stadtplanung". Traditionell war Nachbarschaft ein Gemeinschaften charakterisierender Indikator. Er war aufgefüllt mit lokalen Hilfs-, Erziehungs-, Konfliktschlichtungs-, Sicherheits- und Geselligkeitsfunktionen. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wurde die Lösung von immer mehr gesellschaftlichen Problemen in diesen Lebens-, Versorgungs- und Interakionsbereich verlagert. In diesem Verlagerungsprozess entstand u.a. der Begriff der "überforderten Nachbarschaften". Als Überforderungsprofile im Nachbarschaftszusammenhang wurden benannt "alteingessene und neuankommende Bürger" miteinander zu versöhnen, Ungleichgewichte in der Sozialstruktur auszugleichen, Ausbildungsdefizite von Jugendlichen in den Griff zu bekommen, gerissene staatliche Versorgungsnetze nachbarschaftlich zu flicken oder die baulich-räumlichen Defizite "stadtplanerischer Leitbilder" auszugleichen (vgl. BdW). Unter der Last dieser Anforderungen

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63

brachen natürlich viele Nachbarschaften zusammen. Erstaunlicherweise wird Nachbarschaft in einer Lebensstilgesellschaft, in einer Gesellschaft, in der die Bürger ihr "eigenes Leben" leben wollen und hierfür "soziales Kapital" benötigen und auch entwickeln, wieder zentraler. Nachbarschaft wird unter neuen gesellschaftlichen Bedingungen abermals zum "sozialen Kitt" in lokalen Milieus der Stadt. Nicht zuletzt ist das Verhältnis der eben entfalteten "soziologischen Bausteine der Stadtplanung" insofern "normativ", als man durch ihre stadtstrukturelle Komposition unterschiedliche sozialräumliche Ausprägungen erzielen kann und man diese in Bezug auf die Qualität eines Standortes bzw. vor dem Hintergrund eines Projekts bewerten kann. Größe, Dichte, Lebensstil, Homogenität, Heterogenität, Nachbarschaft, Bau- und Infrastruktur sind im Verhältnis zueinander, als städtisches Milieu – so die achte These – für die Stadtplanung, für eine städtische Immobilie und damit für die Projektentwicklung von bestimmender Bedeutung. Entsprechend seiner Qualität lassen sich in Bewertungsverfahren z.B. beharrende, stagnierende oder dynamische Milieus in der Stadt herausarbeiten und für eine Standortanalyse nutzbar machen. 2.1.2.4.6 Von der Bauleitplanung zur Entwicklungsmaßnahme Bereits unter 2.1.2.2 wurde die Funktion des Bau- und Planungsrechts und dort die legitimierenden Aufgaben der Bauleitplanung für die "funktionalistische Stadt" angesprochen. Parallel zum Wandel der Gesellschaft begann auch die "Novellierung" des 1986 beschlossenen und seitdem – vielfach ergänzten – Baugesetzbuches. Von einer vom Deutschen Volksheimstättenwerk eingerichteten Arbeitsgruppe zur Novellierung des BauGB werden aktuell Ergänzungen zum allgemeinen und besonderen Städtebaurecht (§ 11 und §§ 165ff.) vorgetragen: Hiernach sollen die Fragen des Umbaus unserer Städte "vorrangig im Einvernehmen zwischen der privaten Wirtschaft und den Eigentümern sowie der öffentlichen Verwaltung gelöst werden. Der Abschluss von städtebaulichen Verträgen nach § 11 BauGB ist dazu ein bewährtes Instrument. Folglich ist das Instrumentarium des Städtebaurechts nur dann anzuwenden, wenn einvernehmliche Lösungen nicht zustande kommen" (vhw, S. 4). Diese gestärkte Position der "akteurszentrierten Aushandlung" von Verträgen zur Entwicklung von Immobilien kommt an zentraler Stelle dem oben vorgetragenen Wandel der Gesellschaft entgegen. Verstärkt werden könnte diese Position durch eine weitere Aufwertung der §§ 165ff. (Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen) und der §§ 172ff. (Erhaltungssatzung). In dieser Richtung wurde insbesondere die Tübinger Südstadt (das "Französische Viertel") entwickelt (vgl. Feldtkeller, S. 41ff.).

64

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2.1.2.4.7 Nachfrageorientierte Stadtplanung und Projektentwicklung Im Jahr 1990 wurden durch den Abzug der "Französischen Garnison" innerstädtische Areale (ca. 60 Hektar) in der Südstadt Tübingens frei. Der gesamte Konversionsbereich war von recht unterschiedlicher Qualität und Gestalt. Vor dem Leitbild der "europäischen Stadt" versuchten Fachleute in das Quartier ein "städtebauliches Rückgrat" einzubeziehen, das die unterschiedlichen Teile der Südstadt baulich-räumlich und sozio-kulturell zusammenführt, im Teilraum neuen Wohnraum entstehen lässt und im Quartier ein zukunftsweisendes Konzept aus Nutzungsmischung, Dichte, Parzellierung, Baugemeinschaften, ein Konzept für das Verhältnis von öffentlichen und privaten Räumen, ein angepasstes Verkehrskonzept, Bürgerbeteiligung und nicht zuletzt ein zukunftsweisendes Gestaltungs- und Managementkonzept zulässt. Um entsprechende Ziele zu erreichen, verwirklichte die Stadt Tübingen im Jahr 1991 ihre Absicht, einen "Städtebaulichen Entwicklungsbereich" festzulegen. Alsbald schrieb sie einen städtebaulichen Wettbewerb aus, der 1992 entschieden wurde. Im Jahr 1993 wurde der Rahmenplan und 1996 der erste Bebauungsplan durch den Gemeinderat verabschiedet. Insgesamt

entwickelte

eine

akteurszentrierte

Projektgruppe

einen

zukunftsweisenden

"planungsrechtlichen Werkzeugkasten". Dabei griffen die Stadtplaner auf das Instrument der "Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme" (§ 165 BauGB) zurück (auch um die Bodenpreise kontrollieren und die Gesamtentwicklung steuern zu können), das 1990 in das Planungsrecht eingefügt wurde. Ein weiteres Steuerungswerkzeug war der "Städtebauliche Rahmenplan" (vgl. § 169, Abs. 6 BauGB). Durch ihn wurden die Stadtstruktur, die Flächennutzung, Belange der Stadtkultur und des Verkehrs sowie Verfahrensaspekte (Bauen im Quartier, Beteiligung der Investoren, Bürgerbeteiligung) geregelt. Nicht zuletzt wurden nach § 166 BauGB für den "Städtebaulichen Entwicklungsbereich" Bebauungspläne aufgestellt und verabschiedet. Alle Flächen wurden dabei nach § 6 BauNVO als "Mischgebiete" ausgewiesen. Ohne die städtebauliche Entwicklung dieses Gebietes nun im Einzelnen darstellen und interpretieren zu können, gelang es in Tübingen nicht nur den Belangen der (Stadt-)Gesellschaft, sondern auch zukünftigen Entwicklungen der Gesellschaft im Raum – Aufgabe der Stadtplanung – in kreativer Form und unter innovativer Weiterentwicklung des Baugesetzbuches und der Beachtung der "soziologischen Bausteine der Stadtplanung" gerecht zu werden. Dabei entstanden – so die neunte These – durch eine sensible und ideenreiche Stadtplanung Bedingungen, die es Projektentwicklern ermöglicht, renditestarke Projekte mit einer langen Nutzungsdauer für die Konsumenten zu realisieren.

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2.1.2.5

65

Ausblick: Nachfrageorientierte Stadtplanung als Ideenwerkstatt

Durch den Wandel der Gesellschaft haben sich die Anforderungen der Projektentwicklung an die Stadtplanung stark verändert. Der bislang omnipotente Staat mit seiner nachgeordneten Bürokratie tritt heute ebenso in den Hintergrund wie das Leitbild einer "funktionalistischen Stadtplanung": Auf die Bühne der städtischen Projektentwicklung treten zunehmend private Investoren und Konsumenten. Sie können heute "Städtebauliche Verträge" aushandeln, "Rahmenoder Masterpläne" sowie "Entwicklungsmaßnahmen" erarbeiten. In diesem Veränderungsprozess wird Projektentwicklung schrittweise zum Aushandlungsprojekt privater und öffentlicher Anliegen. Bestimmend dabei ist – so ein thesenhafter Ausblick – eine Konzeption von Stadtplanung, die eine Ethik der Projektentwicklung beachtet. In ihrem Rahmen können der individuelle Erfolg der Projektentwickler, die Bedürfnisse der Nutzer und das gesellschaftliche/städtische Gemeinwohl zur Einheit gebracht werden. Es kann eine Konzeption von Stadtplanung genutzt werden, die den sozialen Wandel der Gesellschaft, die Aufgaben von Raumplanung, Stadtentwicklung, Städtebau, Architektur, Bautechnik und die Ökonomie der Projekte interdisziplinär vernetzt und dabei das "zivile Zusammenleben" von Menschen in städtischen Räumen als zentralen Maßstab akzeptiert. Nicht zuletzt wird so für Projektentwickler eine Konzeption von Stadtplanung verfügbar, die den Wandel und die Inhalte soziologischer Bausteine wie Größe, Dichte, Homogenität und Heterogenität der Sozialstruktur, Milieu und Lebenstil, Nachbarschaft, Bau- und Infrastruktur adäquat beachtet. In dieser Form kann sie ihren Projekten situations- und klientelspezifisch zugrunde gelegt werden. Durch

Stadtplanung

entsprechend

vernetzt,

bieten

die

soziologischen

Bausteine

der

Projektentwicklung den Entwicklern von Projekten den differenzierten Rahmen, um für souveräner werdende Konsumenten auf dem Immobilienmarkt erfolgreich tätig zu sein.

66

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.1.2 Albers, G.: Stadtplanung – Eine praxisorientierte Einführung, Darmstadt 1988. Bahrdt, H.P: Die moderne Großstadt, Hamburg 1971. Baugesetzbuch (BauGB), 2002. Beck, U.: Eigenes Leben, in: Beck, U., u.a. (Hrsg.): Eigenes Leben, München 1995. Borst, R./Krätke, S./Mayer, M./Roth, R./Schmoll, F.: Das neue Gesicht der Städte, Basel, Boston, Berlin 1990. Bodenschatz, H.: Platz frei für das neue Berlin!, Berlin 1987. Bourdieu, P.: Sozialer Sinn.Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt a. M. 1987. Braam, W.: Stadtplanung – Aufgabenbereiche Planungsmethodik Rechtsgrundlagen, Düsseldorf 1993. BdW, Bundesverband deutscher Wohnungsbauunternehmen : Überforderte Nachbarschaften, Köln 1998. Conrads, U.: Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts, Braunschweig 1984. Feldtkeller, A. (Hrsg.): Städtebau – Vielfalt und Integration, Stuttgart und München 2001. Friedrichs, J.: Stadtanalyse, Reinbek bei Hamburg 1977. Geißler, R.: Die Sozialstruktur Deutschlands, Opladen 1987. Habermas, J.: Die Neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt/Main 1985. Hall, E.T.: The Anthropology of Space, in: Proshansky, H. M. u.a. (Ed.): Environmental Psychology, New York 1970. Hilpert, Th. (Hrsg.): Le Corbusiers "Charta von Athen", Braunschweig 1988. Hirsch, J./ Roth, R.: Das neue Gesicht des Kapitalismus, Hamburg 1986. Ipsen, D.: Raumbilder – Zum Verhältnis des ökonomischen und kulturellen Raumes, in: Prigge, W. (Hrsg.): Die Materialität des Städtischen, Basel 1987, S. 139-152. Krier, R./Kohl, Ch.: Potsdam Kirchsteigfeld – Eine Stadt entsteht, Bensheim 1997. Kruft, H.W.: Geschichte der Architekturtheorie, München 1991. Lichtenberger, E.: Die Stadt. Von der Polis zur Metropolis, Darmstadt 2002. Maslow, A.H.: Motivation und Persönlichkeit, Reinbek bei Hamburg 1991. Mitscherlich, A.: Die Unwirtlichkeit unserer Städte – Anstiftung zum Unfrieden, Frankfurt/Main 1965. Müller-Raemisch, H.-R.: Leitbilder und Mythen in der Stadtplanung 1945-1985, Frankfurt/Main 1990. Neue Heimat (Hrsg.): Entlastungsstadt Perlach in München, München 1967.

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67

Piper, R.: Soziologie im Städtbau, Stuttgart 1979. Perry, Th.: Die Sinus-Milieus – ein Überblick, in: Zeitschrift für Wohneigentum in der Stadtentwicklung und Immobilienwirtschaft, Heft Nr. 1, Berlin 2003, S. 17-20. Schleich, E.: Die zweite Zerstörung Münchens, Stuttgart 1978. Schmals, K.M./Wolff, A.: Nachfrageorientierte Wohnungspolitik in ausgewählten deutschen Städten, in: Zeitschrift für Wohneigentum in der Stadtentwicklung und Immobilienwirtschaft, Heft Nr. 1, Berlin 2003, S. 24-41. Schmals, K.M.: Projektentwicklung in postmodernen Gesellschaften, in: Schulte, K.-W./Bone-Winkel, S. (Hrsg.): Handbuch Immobilien-Projektentwicklung, Köln 2002, S. 91-112. Schmals, K.M.: Souveräne KonsumentInnen in einer zivilen Stadtgesellschaft, in: Zeitschrift für Wohneigentum in der Stadtentwicklung und Immobilienwirtschaft, Heft Nr. 4, Berlin 2001 (a), S. 173-180. Schmals, K.M.: Aktivierungspotentiale für das Wohnen in der Zivilgesellschaft, in: Zeitschrift für Wohneigentum in der Stadtentwicklung und Immobilienwirtschaft, Heft Nr. 5, Berlin 2001 (b), S. 252-257. Schmals, K.M.: Die zivile Stadt, in: Wentz, M. (Hrsg.): Die kompakte Stadt, Frankfurt/Main 2000, S. 30-46. Schmals, K.M.: Zivile Urbanität, in: Schmals, K.M./Heinelt, H. (Hrsg.): Zivile Gesellschaft, Opladen 1997, S. 399-423. Sennett, R.: Fleisch und Stein, Frankfurt/Main 1997. Sieverts, Th.: Zwischenstadt, Braunschweig/Wiesbaden 1998. Spitzer, H.: Einführung in die räumliche Planung, Stuttgart 1995. Stadtbauwelt: New Urbanism, Jg. 91, Heft Nr. 12, Berlin 2000. Vester, M. u.a.: Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel, Frankfurt/Main 2001. vhw Volksheimstättenwerk: Novelle zum BauGB, in: Mitgliederversammlung, Potsdam 2003. Wirth, L.: Urbanität als Lebensform, in: Schmals, K.M. (Hrsg.): Stadt und Gesellschaft, München 1938/1983, S. 341-358.

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2.1.3

Akteure, Verfahrens- und Prozessgestaltung

71

Martin Wentz 2.1.3.1 Planungshoheit und Planungsstrukturen 2.1.3.2 Strategische Ansätze in der Stadtentwicklung 2.1.3.3 Gesellschaftspolitische Aspekte der Stadtplanung 2.1.3.4 Neue Formen des Stadtmanagements Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.1.3

71 73 76 79 82

69

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2.1.3

71

Akteure, Verfahrens- und Prozessgestaltung

Martin Wentz 2.1.3.1

Planungshoheit und Planungsstrukturen

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gibt den Gemeinden zwei unabdingbare, unveräußerliche Rechte, die ihnen nicht strittig gemacht werden können: •

das Recht der Finanzhoheit, also das Recht, (neben dem Bund und den Ländern) alleine Steuern erheben zu können, und



die Planungshoheit, also das Recht, im Rahmen des Baugesetzbuches (BauGB) für ihr Gemeindegebiet ausschließlich und abschließend die planungsrechtlichen Festsetzungen treffen zu können.

Verantwortlich für die Anwendung des Planungsrechts in den Gemeinden sind letztlich deren Körperschaften, die Legislative (das Parlament) und die Exekutive (z.B. der Magistrat). Die Aufgabenverteilung zwischen diesen beiden Körperschaften ist wiederum im Baugesetzbuch und den jeweiligen Landeskommunalgesetzen festgelegt. Zur administrativen Ausgestaltung dieser Rechte bedienen sich die Kommunen ihrer „Planungsämter“, in denen beamtete oder angestellte Fachleute, vorrangig Architekten sowie Stadt- und Raumplaner, die jeweiligen planungsrechtlichen Grundlagen entwickeln und auch interpretieren. Diese zumeist in einem streng hierarchischen System wirkenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die wichtigsten Ansprechpartner für Investoren und Projektentwickler. Deren Grundeinstellung, Fachverständnis, Verantwortung und Motivation gilt es zu verstehen. Diese orientieren sich, abgeleitet aus der Planungshoheit, im Wesentlichen an den Interessen des Gemeinwohls, also dem Anspruch, durch Planungsentscheidungen das Wohl der Allgemeinheit, das heißt möglichst aller Menschen des Gemeinwesens (der Kommune) zu mehren. Die primäre Aufgabenstellung der Planungsämter aus der Innensicht heraus ist also nicht, den Interessen der Investoren und Projektentwicklern zum Erfolg zu verhelfen. Vielmehr haben sie die Verantwortung für die Entwicklung der gesamten Stadt entsprechend und entlang der von Legislative und Exekutive definierten Planungspolitik wahrzunehmen. Selbstverständlich gibt es in dieser Aufgabenerfüllung im Einzelnen eine große Bandbreite möglicher Interpretationen des Gemeinwohls. Das Recht und die Pflicht der abschließenden Entscheidung liegen aber bei den zuständigen Fachämtern und Körperschaften der Gemeinden. Letztere tragen alleine die Verantwortung; im Zweifelsfalle um den Preis, bei einer falsch verstandenen

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Vorstellung vom Gemeinwohl bei den nächsten Wahlen die Zustimmung der Bevölkerung zu ihrer Politik zu verlieren. Diese Rahmenbedingungen zeigen, dass den Investoren und Projektentwicklern mit ihren letztlich und notwendigerweise an Renditen orientierten Interessen in den Kommunen und deren Ämtern eine vorerst diametral entgegen gesetzte Gedankenwelt gegenüber steht. Für einen produktiven, erfolgreichen Umgang mit den Gemeinden gilt es, diese Struktur nicht nur zu verstehen, sondern auch zu respektieren. Bei einer idealistischen Betrachtungsweise der Stadtplanung und des Städtebaus fallen Planen und Bauen in unterschiedliche Einflusssphären: die Kommune plant und hiervon entkoppelt baut später der Bauherr oder Investor. Die tatsächliche Stadtentwicklung sowie das reale Baugeschehen weichen von diesen Idealen jedoch weitgehend ab. Während für den Außenbereich einer Stadt, also das Bauen auf vorher nur landwirtschaftlich genutzten Flächen, tatsächlich noch die dem Baugeschehen vorlaufende reine Planung (Bebauungsplan) und Baulandaufbereitung (Bodenordnung, Erschließung) erforderlich ist, stellt sich das Planen und Bauen im Innenbereich, also den bereits bebauten Teilen der Stadt und damit Regelfall, sehr viel differenzierter dar. Neben der auf ein ausreichendes Bauflächenangebot orientierten Planung gelten heute die Prozessgestaltung und ein Flächenmanagement als wichtige Instrumente. Die frühzeitige, konstruktive und Interessen ausgleichende Zusammenarbeit zwischen den kommunalen Planern sowie den Projektentwicklern und Investoren ist i.d.R. mittlerweile Teil des Planungsverständnisses geworden. Die gegenseitige, frühzeitige Offenbarung der Ziele und Ansprüche von Planung und Investition kann die Planungsprozesse und Investitionsinteressen erfolgsorientiert führen. Diese Form der umsetzungsorientierten Stadtplanung muss sich als Koppelung zwischen Planen und Bauen, zwischen theoretischen Leitbildern und praktischen Handlungsbausteinen, als feedback- und projekt-orientierter Prozess verstehen. Ein solches Planungsverständnis mit reduziertem hoheitlichem Anspruch und intensivem Umsetzungsinteresse bereitet den Weg für zielgerichtete Investitionen. Projektentwicklung wird damit gefördert, Projekte können gesicherter realisiert werden, was für eine Stadt, die sich weiter entwickeln will, von großer Bedeutung ist. Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen eines solchen Prozesses ist aber auch das Eingehen der Bauherren auf die Bedürfnisse und Zwänge der jeweiligen Kommune. Mit dem Baugesetzbuch und den Bauordnungen der Länder verfügen die Gemeinden über eine starke hoheitliche Stellung gegenüber den Bauherren. Auf der einen Seite geben diese Rechtsregeln zwar den Bauherren und Investoren die Baufreiheit, d. h. bei Einhaltung der öffentlich vorgegebenen „Bauregeln“ gibt es ein Recht darauf, tatsächlich auch bauen zu dürfen. Auf der anderen Seite können die Gemeinden dank ihrer Planungsfreiheit beispielsweise über Bebauungspläne das Bau-

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geschehen weitestgehend reglementieren. Bis in einzelne Gebäudedetails können den Bauherren Vorgaben gemacht werden, unabhängig davon, ob das Bauen dann noch wirtschaftlich durchgeführt werden kann. Diese hoheitliche Kompetenz kann und darf nach deutschem Recht auch nicht auf private Unternehmen oder „Partner der Gemeinde“ übertragen werden. Zwar kann die Gemeinde außerhalb ihrer Verwaltung Bebauungspläne erarbeiten lassen, die Verantwortung für diese muss sie aber immer durch eine abschließende Entscheidung ihrer Körperschaften übernehmen. Damit bestimmt die Gemeinde den Rahmen der Handlungsmöglichkeiten jedes Investors, wenn sie das Planungsund Baurecht wirklich nutzen will. Die Schattenseite dieser hoheitlichen Stärke liegt allerdings darin, dass die Gemeinde grundsätzlich keinen potenziellen Bauherren oder Investor zum Bauen zwingen kann. So werden diese, sollten die kommunalen Bauvorgaben kein, eine ausreichende Rendite sicherndes Projekt ermöglichen, im Zweifelsfall ihr Bauvorhaben aufgeben. Zwar kann im Einzelfall der Gemeinde eine solche Entscheidung gleichgültig sein. Als Regelfall allerdings würde der Gemeinde durch die unterlassenen Reinvestitionen in ihrem Stadtgebiet schon mittelfristig erheblicher Schaden entstehen. Insofern unterliegt die Planungshoheit der Gemeinden ständig einem „Kompromiss“ mit der Baufreiheit. Oder anders ausgedrückt: Planen und Bauen müssen sich für eine konstruktive Stadtentwicklung in einem kontinuierlichen Dialog befinden. Die projektorientierte Partnerschaft zwischen städtischen Planern und privaten Investoren ist hierfür nur eine besondere, aber bewährte und erfolgreiche Form dieses Dialogs. Ihre Rechte und Pflichten behält die Gemeinde dabei unabänderlich. Es ist ihre freie Entscheidung, in wie weit sie Investorenwünsche bei ihren Planungen und Beschlüssen berücksichtigt. 2.1.3.2

Strategische Ansätze in der Stadtentwicklung

Stadtentwicklungsplanung wird als ein permanenter Prozess definiert, um Zielkonflikte rechtzeitig zu erkennen, Entwicklungschancen zu nutzen und Korrekturprozesse frühzeitig einzuleiten. Entwicklungsplanung reduziert sich dabei nicht nur auf räumliche Planungen und Zielaussagen. Sie muss, insbesondere angesichts der Begrenztheit der Ressourcen Fläche und Finanzmittel projektbezogene Leitlinien, Strategien und Maßnahmen zur Steuerung öffentlicher und privater Investitionen definieren. Dies war nicht immer so. Bis in die sechziger Jahre wurde Stadtentwicklung im Rahmen des Wiederaufbaus und der Wohnungs- und Arbeitsstättenvorsorge mehr zur Sicherung der unmittelbaren Bedürfnisse betrieben. Ende der sechziger Jahre etablierte sich dagegen eine verwissenschaftlichte und technokratisch geprägte Form der Stadtentwicklungsplanung, die im Sinne einer

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Generalplanung die ressortübergreifende Koordination und Integration aller entwicklungsrelevanten Handlungsbereiche umfassen sollte (vgl. Kapitel 2.5). Diese Vorstellung einer nahezu vollständig operationalisierten Stadtentwicklung ließ sich schon aus finanziellen und administrativen Gründen nicht umsetzen. Deshalb wurde sie schon in den achtziger Jahren wieder durch einfache, teilräumliche Entwicklungskonzepte und eine vehemente Hinwendung zu architektonischen Einzellösungen abgelöst. Heute bilden räumliche Teil- und Leitkonzepte den Schwerpunkt stadtentwicklungspolitischer Planungen. Ihnen liegt nun allerdings der modifizierte Ansatz einer "Strategischen Planung" zugrunde. Strategische Entwicklungsplanung versucht die langfristig für wichtig erkannten ökonomischen, kulturellen und sozialen Entwicklungsziele der Stadt mit den aktuellen teilräumlichen Vorhaben und den tatsächlich anstehenden privaten und öffentlichen Bauprojekten zu verknüpfen. Diese Planungsmethode lässt sich also nicht auf den Versuch eines stringenten Verfolgens planerischer Endzustände verkürzen. Sie kann aber auch nicht als ein Nachverfolgen der aktuellen Bauvorhaben privater Investoren und Projektentwickler denunziert werden. Dieser methodische Ansatz verwebt also übergeordnete Verfahrens- und Entwicklungsziele mit konkreten Projektbausteinen. Neben den für jede Stadt durchaus unterschiedlichen langfristigen strategischen Entwicklungszielen sind die folgenden Planungsansätze typisch für diese beschriebene Stadtentwicklungspolitik: •

Das Begriffspaar Bewahren und Ausbauen steht für das Ziel, einerseits bestehende städtische Strukturen und Identitäten zu erhalten, auszuformen und zu optimieren, andererseits aber einzelne Teilbereiche der Stadt im Wege der räumlichen Vorsorge mit Nachdruck neu zu entwickeln.



Verdichtung und Nutzungsmischung umschreiben den ressourcenschonenden Rückgriff auf bestehende Strukturen, zielen aber auch auf den Abbau räumlicher Funktionstrennung und ermöglichen so zugleich mehr Vielfalt und Urbanität in der Stadt.



Hinter der Forderung nach Umweltverträglichkeit schließlich steht das an der Schwelle zum Dritten Jahrtausend unumstrittene Leitbild einer nachhaltigen und wirkungsbezogenen räumlichen Planung. Sie muss gegenwärtigen wie zukünftigen Erfordernissen gerecht werden, ohne die notwendigen Lebensgrundlagen von morgen zu gefährden.

Entgegen diesem strategischen Ansatz haben in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die großen Städte vielfach den Verlust von Menschen und Unternehmen an ihr jeweiliges Umland bewusst hingenommen. So wurden beispielsweise potenzielle Wohnungsbauflächen aufgegeben, um möglichen Planungskonflikten und öffentlichen Auseinandersetzungen auszuweichen.

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Das Umland förderte dagegen die Siedlungsentwicklung, und dies häufig mit Bauformen, die gezielt auf wirtschaftlich stärkere Einkommensschichten ausgelegt waren. Die negativen strukturellen Folgen solcher Disparitäten zwischen den großen Städten und ihrem Umland blieben zumeist Dank der positiven Entwicklung des allgemeinen Wirtschaftswachstums über Jahrzehnte verdeckt. In den neunziger Jahren wurden schließlich die Folgen dieser Planungs- und Siedlungspolitik auch wirtschaftlich deutlich erkennbar. Nicht nur erhebliche Teile der einkommensstärkeren Mittelschichten waren inzwischen ins Umland gezogen. Ebenso wurde deutlich, dass der Wegzug von Unternehmen in preisgünstigere und inzwischen gut erschlossene Gewerbeflächen der Umlandgemeinden kaum noch durch Neuansiedlungen in den Städten ausgeglichen werden konnte. Auch im Bereich des Einzelhandels fand mit dem Aufbau großer Shopping Center vor den Städten eine Verlagerung des Umsatzes in die Umlandgemeinden statt. Dieser neu entwickelten, an den Konsumentenwünschen orientierten Einkaufsform hatten die Städte nur Konzepte der Fußgängerzonen entgegengesetzt. Diese Entwicklung der „Speckgürtel“ mit ihren überproportional hohen Steuereinnahmen führte einerseits zur Forderung eines Finanzausgleichs mit den „verarmten“ Kernstädten, einem Begehren, dem eine gewisse Naivität anhaftete. So wurde geflissentlich übersehen, dass die entstandenen finanziellen Disparitäten zum Teil hausgemacht waren. Nur wenn die großen Städte als Oberzentren ihre Aufgaben wieder selbstbewusst in die Hand nehmen und die bestehende Konkurrenz zu den Gemeinden des Umlands tatsächlich wahrnehmen, können sie dem entstanden Dilemma entgegenwirken. Vorwürfe an das Umland verhindern nur einen rationaleren Umgang mit den wichtigen Themen der zukünftigen Regionalplanung, einer konstruktiven regionalen Zusammenarbeit oder aber der langfristig sicher notwendigen Eingemeindung. Die Stadtentwicklungspolitik sollte also wieder als ein wesentlicher Teil des Ausbaus der ökonomischen Grundlagen einer Stadt angesehen werden. So war das ausgehende 19. Jahrhundert für viele Städte eine Zeit des Um- und Aufbruchs, in der trotz tief greifender wirtschaftlicher Probleme und Krisen viele stadtentwicklungspolitisch wichtige Planungsvorhaben umgesetzt und dadurch die mit diesen einhergehenden neuen Wertschöpfungen ermöglicht wurden. Die sozialen und ökonomischen Früchte einer solchen strategischen Stadtentwicklungsplanung können allerdings häufig erst viele Jahre später geerntet werden. Gerade in Krisensituationen sind also die knappen Finanzmittel zu bündeln und entsprechend einer langfristigen Entwicklungsstrategie für die Stadt effektiv einzusetzen.

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2.1.3.3

Gesellschaftspolitische Aspekte der Stadtplanung

Komplexere Planungs- und Bauvorhaben bedürfen zumeist eines langen Atems. So können die Zeitabläufe von der ersten Planungsidee über das Erstellen entsprechender Rechtspläne bis zur baureifen Aufbereitung des Baulands leicht bis zu zehn Jahre betragen. Planungsprozesse bedürfen deshalb häufig über Legislaturperioden hinweg immer wieder neuer politischer Entscheidungen, möglicherweise auch mit wechselnden politischen Mehrheiten. Damit werden die einzuschlagende Strategie und die Strukturierung des (politischen) Planungsprozesses zu einer zentralen Aufgabe für den Erfolg von Planungsvorhaben. Wird dies übersehen, können die besten Vorhaben unter scheinbar nicht sachgerechte Zwänge kommen, oder sogar scheitern. Werden beispielsweise komplizierte oder gar strittige Entscheidungen den politischen Gremien während eines Wahlkampfes abverlangt, können unvorhersehbare Entwicklungen eintreten. Zu einer erfolgreichen Arbeit gehört deshalb auch das Erkennen der jeweiligen politischen und sozialen Wirklichkeit in den Kommunen, von den politischen Gremien bis hinunter in die einzelnen Ämter. Hinzu kommt, dass spätestens seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts breite Teile der Stadtbevölkerung wesentlichen, ihr Umfeld beeinflussenden Bauvorhaben mit erheblicher Skepsis gegenüber stehen können. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch mehrere Faktoren: x

Schon die nach der Kriegszerstörung in vielen Städten betrieben Neuüberplanung der Innenstädte wurde vielfach als zweite Stadtzerstörung empfunden. Der gute Wille hinter solchen Planungen, die moderne, funktionale Stadt zu bauen, stieß mit seiner Realisierung auf ein immer stärker werdendes Unbehagen.

x

Neue gewerblich genutzte Flächen in den Stadtteilen, sterile Wohngebiete und zusätzliche Verkehrsflächen wurden zu Lasten der historischen Bausubstanz geschaffen. Tragischerweise war es gerade die unter sozialen Ansprüchen zum Wiederaufbau angetretene Generation der Stadtplaner, die mit ihren Vorstellungen einer modernen neuen Stadt in Konflikt geriet mit den sich emanzipierenden Teilen der Bevölkerung, die ausbrechen wollten aus den erstarrten Sozial- und Wirtschaftsstrukturen der Nachkriegsgesellschaft.

x

Diese Entwicklung fand ihren besonderen Ausdruck in den Studentenunruhen der „68er Jahre“, die ihre grundsätzliche Gesellschaftskritik verbanden mit einer massiven Kritik an der zeitgenössischen Architektur und Stadtentwicklung der „Moderne“, die als brutal und menschenverachtend empfunden wurde. So wurde einerseits diese „Moderne“, die selber einen emanzipatorischen Anspruch verfolgte, von aus ihrer Sicht städtebaulich-architektonisch restaurativen Kräften verunglimpft, die scheinbar nur die alte, überkommene Stadt bewahren wollten. Und andererseits betrachteten die jungen, ihren Protest artikulierenden „fortschrittli-

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chen“ Gesellschaftsschichten die Vertreter der architektonischen Moderne als Apologeten der Stadtzerstörung. Das aus dieser Situation entstandene Misstrauen gegen das Werk der Stadtplaner konnte bis heute nicht aufgelöst werden. Hinzu kommt die heute verstärkte soziale Unabhängigkeit eines großen Teils der Menschen, verbunden mit der Befähigung, sich zu beliebigen Anlässen selbst zu organisieren und die eigenen Interessen nachhaltig in die Öffentlichkeit einzubringen. Die ausdifferenzierten Formen der pluralen Lebensstile verleihen der städtischen Gesellschaft höchste Komplexität. Die Individualisierung der Gesellschaft hat solidarische Elemente wie persönliche Verantwortung und die Bereitschaft, für das Gemeinwohl eigene Interessen zurückzustellen, schwinden lassen. Aus der Sicht der Politik werden damit die sozialen Kollektive und Milieus unberechenbarer, das Konfliktpotenzial der Gesellschaft erhält ein erweitertes Profil. Populistische Initiativen können bei größeren Projekten relativ leicht Widerspruch oder Widerstand artikulieren und organisieren. Auf das hiermit verbundene Echo in den Medien werden die politisch Verantwortlichen reagieren. In unserer heutigen, saturierten Gesellschaft werden einschneidende Veränderungen als besondere Risikofaktoren wahrgenommen. Größere Projekte und weitreichende Entscheidung erscheinen riskant, weil sie nicht nur für Laien einen Prozess von Ungewissheit mit zum Teil nur schwer beantwortbaren Fragen auslösen. Deshalb provozieren sie geradezu Widerspruch. Je komplexer Vorhaben sind und deshalb differenziertere Betrachtungen erfordern, desto eher werden sie aus Ängsten, aber auch fachlichem und analytischem Unverständnis heraus nach vereinfachten Entscheidungsmustern beurteilt. An die Stelle komplexer, verfahrensorientierter Handhabungen und Beurteilungen treten deshalb häufig simple Interpretationen, die dem eigentlichen Vorhaben nicht gerecht werden. Mangelnder Einblick in Sachverhalte fördert Vorurteile oder am Freund-Feind-Verhalten orientierte Einordnungen. Planungs- und Bauvorhaben mit öffentlichen Auswirkungen – dies können durchaus auch kleinere Projekte sein – müssen deshalb ein Risikomanagement beinhalten. Die Grundzüge eines solchen Risikomanagements bilden: x

Offenheit gegen Kritik,

x

Transparenz des Vorhabens und

x

Integration aller Interessierten.

Eine besondere Schwierigkeit komplexer Vorhaben ist das Problem, nicht im Vorfeld und zum Zeitpunkt politischer Entscheidungen die Gesamtheit der fachlichen Aspekte mit ausreichender Tiefe beschreiben zu können. Ein Teil des notwendigen Detailwissens kann erst während der spä-

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ter folgenden Bearbeitung gewonnen werden. Diese im Rahmen einer Projektbearbeitung vertraute, von Außen jedoch unbefriedigend erscheinende Situation lässt sich nur auflösen, wenn grundsätzliches Vertrauen in die Kompetenz und das weitere Vorgehen der verantwortlichen Personen dahingehend besteht, dass sie die Planungs- und Entscheidungsprozesse im Sinne der verabredeten Ziele weiter führen. Hier werden dann schnell die Grenzen des jeweiligen politischen Selbstverständnisses der interessierten Öffentlichkeit, der Parteien, der parlamentarischen Fraktionen und der Verwaltung erkennbar. Verstärkt wird diese politische Unsicherheit durch die gesellschaftspolitische Erosion der traditionellen politischen Loyalitäten. Proteste gegen Planungsvorhaben lösen sich von politischen Überzeugungen sowie Loyalitäten und orientieren sich stärker an den jeweiligen örtlichen, und häufig partikularen Interessen. Die Auswirkungen solcher Interventionen sind hinlänglich bekannt: Planungshorizonte dehnen sich aus, der Finanzierungsrahmen wird schwerer kalkulierbar, dringend erforderliche Maßnahmen können nicht rechtzeitig realisiert werden. Zugleich können die kommunalen Verwaltungen, die kommunalen Körperschaften aber auch die politischen Parteien in eine zusätzliche Legitimationskrise geraten. Einerseits sollen und wollen sie Handlungsfähigkeit zeigen, andererseits wird ihnen das aber als eine Aufgabe ihrer Entscheidungsfreiheit und als Abbruch des „Dialogs“ angekreidet. So können fast unüberwindbare Spannungen zwischen aktiven Bevölkerungskreisen und den politisch Verantwortlichen entstehen, die dann dem betroffenen Vorhaben zusätzliche Unsicherheiten und Verzögerungen bringen. Angesichts der angeführten Risiken wird es verständlich, warum langfristige und komplexe Entwicklungsvorhaben gerne von den politisch Verantwortlichen gemieden werden. Die Gefahr ihres Scheiterns mit dem damit verbundenen politischen Schaden schreckt ab. Solche Projekte sollten deshalb von Anfang an auf Kooperation angelegt sein, da sie im hohen Maße von einem breiten politischen Konsens abhängig sind. Gerade diesen über längere Entwicklungszeiten sicherzustellen, ist angesichts der beschriebenen Risiken eine strategisch anspruchsvolle Aufgabe, der sich Investoren und Projektentwickler nicht entziehen dürfen. Die Disziplinen der Stadtplanung und des Städtebaus sind sich ständig ändernden Anforderungen, auch Moden und Ideologien ausgesetzt. Das macht sie wenig allgemeingültig, auch wenn dies hin und wieder propagiert wird. In diesem Sinne bewegen sich Stadtplanung und Städtebau auch zwischen Wissenschaft und Handwerk. Ihre Konzepte sind, kaum erprobt, wieder neuen Gegebenheiten anzupassen. Planungsprozesse und ihre Ergebnisse sind immer auch Teil eines gesellschaftlichen Prozesses. Sie sind daher auch ein seismografisches Forum für öffentliche Stimmungen und Zeitgeist.

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Die planenden Institutionen und die Instrumente der Planung haben sich im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts sehr weitgehend spezialisiert und ausdifferenziert. Gleichzeitig entsprechen sie den heutigen Ansprüchen eines lokal gebundenen und dezentralen Demokratieverständnisses. Einfach lernbar ist beispielsweise der Naturschutz, wenn er mit einem klaren Nein gegen jede weitere Nutzung eines bestimmten Gebiets ausspricht; schwer lernbar sind dagegen die Probleme, die aus dem Mangel an Entwicklungsflächen oder der Not wohnungssuchender Menschen entstehen, obwohl diese genauso erfahren werden können. 2.1.3.4

Neue Formen des Stadtmanagements

Zu Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts haben sich die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung bedeutsam verschoben. Als Stichworte seien hier angeführt: x

Die deutsche Wiedervereinigung mit der durch sie ausgelösten Binnenwanderung aus den neuen Bundesländern,

x

die Öffnung des osteuropäischen Raumes mit den Aus- und Übersiedlern,

x

die Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien sowie

x

die Migrationströme aus den Dritte-Welt-Ländern.

Die meisten deutschen Städte, insbesondere in den alten Bundesländern, erlebten damit eine völlig ungewohnte Einwohnerentwicklung. Auf diese waren sie nicht ausreichend vorbereitet. So stand beispielsweise selten hinreichend aufbereitetes Bauland zur Verfügung. Diese Zurückhaltung, sowie eine völlige Fehleinschätzung der Entwicklung des Wohnungsbedarfs hatten schon Ende der achtziger Jahre wieder dazu geführt, dass in fast allen größeren Städten von einer neuen Wohnungsnot gesprochen wurde. Die zuvor beschriebene Zuwanderung verstärkte diese Situation. Parallel hierzu kam ein großer Teil der Kommunen in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Die Haushaltseinnahmen verschlechterten sich bei steigenden Ausgaben drastisch. Einerseits nahmen bedingt durch die nationale wirtschaftliche Entwicklung die Steuereinnahmen deutlich ab, andererseits verlagerten der Bund und die Länder Aufgaben auf die Kommunen ohne finanziellen Ausgleich. Darüber hinaus mussten die überproportional durch Arbeitslosigkeit steigenden Aufwendungen für Sozialhilfe von den Gemeinden aufgefangen werden. Die Sanierung der kommunalen Haushalte wurde damit zum zweiten zentralen Thema der Gemeinden. Die erforderlichen finanziellen Mittel für aufwendige Stadtentwicklungsprojekte konnten deshalb von den meisten Kommunen nur noch bedingt aufgebracht werden. Die Stadtentwicklungspolitik versuchte deshalb, neue Wege einzuschlagen. Aus ökologischen Gründen sollten die neuen Baugebiete insbesondere auf innenstadtnahen Brachen oder minderge-

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nutzten Flächen ausgewiesen werden. Dem Geschosswohnungsbau wurde wieder mehr Gewicht gegeben. Vorrangig sollte sich die Stadtentwicklung also zunächst im Rahmen einer Innenentwicklung durch Modernisierung, Umwidmung und Verdichtung bereits genutzter und teilweise noch bebauter Gebiete vollziehen. Bei den entstehenden Planungen handelte es sich um ein umfassendes Konzept des Stadtumbaus: Transformation und Flächenrecycling von Industriestrukturen zur Ansiedlung von Wohnquartieren und Dienstleistungsunternehmen. Städtebauliche Erfahrungen und Konzepte für die Entwicklung solcher Stadtquartiere mit höheren baulichen Dichten standen den kommunalen Verwaltungen jedoch kaum mehr zur Verfügung. Für die Umsetzung dieser Aufgaben konnte weder auf die städtebaulichen Vorstellungen der zwanziger Jahren zurückgegriffen werden, noch ließen sich die Wohnstrukturen der Siedlungen, die in den sechziger und siebziger Jahren im Umfeld der Städte entstanden, im Innenbereich einfach nachbauen. Die an den Straßenräumen orientierte dichte Gründerzeitbebauung setzte von ihrem städtebaulichen Ansatz her noch am ehesten Maßstäbe für die geplanten innenstadtnahen Quartiere. Zwanzig Jahre Abstinenz von der komplexen Aufgabe, neue Stadtquartiere zu entwickeln, hatten also zu einem Verlust an Wissen und Erfahrung innerhalb der Verwaltungen geführt. Darüber hinaus waren die Verfahren dank zusätzlicher rechtlicher Vorgaben erheblich komplizierter geworden. In der Folge wurden viele Kommunen eher zögerlich, die notwendigen Projekte alleine mit eigenen Kräften zu entwickeln. Es entstand eine neue Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen, um an deren Erfahrungen teilzuhaben und eigene Umsetzungsprobleme und -risiken zu minimieren. Für die Lösung dieser Aufgabe mussten also neue Formen des Projektmanagements gefunden werden. Im Rahmen eines sich entwickelnden Verständnisses von Stadtmanagement entstand zum einen „Public-Private-Partnership“ als neue Formen der Kooperation zwischen der öffentlichen Hand und privaten Investoren (vgl. Kapitel 4.3). Diese wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Kommunen und privaten Unternehmen bot die Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit und Erfahrung privater Partner auch für die Aufgabenerfüllung der Kommunen zu nutzen, ohne dass diese ihre hoheitlichen Rechte und Pflichten vernachlässigen mussten. Ein solches Vorgehen setzte allerdings bei den Kommunen die Bereitschaft voraus, die Planungs- und Bauaufgaben von Anfang an auch ökonomischen Kriterien zu unterwerfen. Hinter dieser Entwicklung stand auch die Auffassung, dass vieles dessen, was aus Tradition noch in den Aufgabenkatalog der öffentlichen Hand fällt, dort nicht entsprechend den Regeln wirtschaftlicher Sparsamkeit und mit der notwendigen Effizienz bearbeitet wird. Ein wirtschaftlicherer Einsatz der Finanz-, Personal- und Zeitressourcen bei öffentlichen Planungs- und Bauaufgaben

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gehört heute - nicht nur als Folge der kommunalen Haushaltssanierungen - zu den Aufgaben zeitgemäßer Verwaltungsreformen. Zum anderen stellt sich in den Kommunen die Frage, ob die öffentliche Hand nicht Teile der bisher von ihr ausgeübten Aufgaben auch auf private Unternehmen übertragen kann. Die Gemeinden stehen vor der Situation, dass sie für die komplexer gewordenen Aufgaben und Herausforderungen der Stadtentwicklung nur noch über sehr begrenzte eigene Personal- und Sachressourcen verfügen. Hinzu kommt häufig eine wenig flexible Managementsituation, da sich die Verwaltungen insbesondere in den Großstädten in den letzten zwanzig Jahren zu sehr vielschichtigen Gebilden mit fest gefügten Binnenstrukturen entwickelt haben. So ist es in den meisten Gemeinden zur Regel geworden, dass – ein entsprechendes Vertrauen in die privaten Investoren und Projektentwickler vorausgesetzt – die Verwaltung Teilaufgaben ihres gewöhnlichen Planungs- und Bearbeitungsprozesses wie Recherchen und Gutachten extern und auch im Auftrag der privaten Seite erarbeiten lässt. Selbst die Projektsteuerung kann den Privaten übertragen werden, da sie – in der Privatwirtschaft üblich – noch nicht unbedingt zum Repertoire der öffentlichen Verwaltung gehört. Die inhaltliche Aufgabenstellung des Planen und Bauens, also die Erarbeitung der Bauleitplanung, der notwendigen Verträge, der Bodenordnung oder Erschließungsmaßnahmen bis hin zu den Baugenehmigungsverfahren werden selten als ein umfassendes, auch innerhalb der Verwaltung zu koordinierendes Projekt aufgefasst. Noch seltener jedoch wird eine von den inhaltlichen Aufgaben getrennte Projektsteuerung zur Überwachung und Koordination des Ressourceneinsatzes sowie der Arbeits- und Zeitabläufe eingesetzt. Ein solches Vorgehen sollte jedoch zumindest bei großen Planungs- und Bauprojekten zur Regel werden. Hierfür ist es möglich, auch privates Fachwissen und Können in die kommunale Projektbearbeitung einzubringen. Die gewonnene Transparenz und wirtschaftliche Effizienz rechtfertigen ein solches Vorgehen für beide Seiten, selbst wenn im Ergebnis nur ein optimaler Projektverlauf bestätigt würde.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.1.3 Wentz, M.: Sozialer Wandel und Planungskultur, in: Wentz, M. (Hrsg.): Planungskulturen, Frankfurt a. M. 1992, S. 10-19. Wentz, M.: Errungenschaften und Problematik eines Planungsdezernenten im gesellschaftlichen Umbruch, in: Wentz, M. (Hrsg.): Hans Kampffmeyer Planungsdezernent in Frankfurt am Main 1956-1972, Frankfurt a. M. 2000, S. 260-267. Wentz, M.: Die kompakte Stadt, in: Wentz, M. (Hrsg.): Die Zukunft des Städtischen – Die kompakte Stadt, Frankfurt a. M. 2000, S. 9-15.

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2.1.4

Bau- und Planungsrecht

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Michael Krautzberger, Peter Runkel 2.1.4.1 2.1.4.2

Überblick Bauleitplanung 2.1.4.2.1 Aufgabe und Grundsätze der Bauleitplanung 2.1.4.2.2 Verhältnis zu anderen Planungen 2.1.4.2.3 Verfahren zur Aufstellung der Bauleitpläne 2.1.4.2.4 Kooperative Handlungsformen 2.1.4.3 Sicherung der Bauleitplanung 2.1.4.3.1 Veränderungssperre, Zurückstellung von Baugesuchen 2.1.4.3.2 Gesetzliche Vorkaufsrechte der Gemeinde 2.1.4.4 Planungsschäden 2.1.4.5 Zulässigkeit von Bauvorhaben 2.1.4.5.1 Bebauungsplangebiete 2.1.4.5.2 Innenbereich 2.1.4.5.3 Außenbereich 2.1.4.6 Verwirklichung der städtebaulichen Ordnung 2.1.4.6.1 Bodenordnung 2.1.4.6.2 Enteignung 2.1.4.6.3 Erschließung 2.1.4.6.4 Städtebauliche Gebote 2.1.4.7 Städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen, Stadtumbau und Soziale Stadt 2.1.4.7.1 Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen 2.1.4.7.2 Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen 2.1.4.7.3 Stadtumbau, Soziale Stadt, Private Initiativen und Stadtentwicklung 2.1.4.8 Erhaltungsgebiete 2.1.4.9 Bauordnungsrecht 2.1.4.9.1 Rechtsquellen des Bauordnungsrechts 2.1.4.9.2 Materielles Bauordnungsrecht 2.1.4.9.3 Formelles Bauordnungsrecht - Verfahren 2.1.4.9.4 Prinzipien des Baugenehmigungsverfahrens 2.1.4.9.5 Baulasten und Baulastenverzeichnis Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.1.4

85 85 85 86 87 87 88 88 88 88 89 89 89 89 90 90 90 90 91 91 91 92 92 93 93 93 94 95 95 96 98

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2.1.4

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Bau- und Planungsrecht

Michael Krautzberger, Peter Runkel 2.1.4.1

Überblick

Das öffentliche Baurecht umfasst die Gesamtheit der Rechtsvorschriften, die die Zulässigkeit und die Grenzen, die Ordnung und die Förderung der baulichen Nutzung des Bodens betreffen, insbesondere durch Errichtung, bestimmungsgemäße Nutzung, wesentliche Veränderung und die Beseitigung baulicher Anlagen. Die Gesetzgebungskompetenz für das öffentliche Baurecht ist nach dem Grundgesetz zwischen dem Bund und den Ländern aufgeteilt. Das vom Bund geregelte öffentliche Baurecht umfasst das Städtebaurecht sowie zahlreiche fachgesetzliche Vorschriften über das Baugeschehen. Die wichtigste Rechtsquelle des Städtebaurechts ist das Baugesetzbuch (BauGB). Zum Städtebaurecht des Bundes zählen weiterhin die Baunutzungsverordnung, die Wertermittlungsverordnung und die Planzeichenverordnung. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Städtebaurecht und damit für das Baugesetzbuch ergibt sich aus Art. 74 Nr. 18 des Grundgesetzes. Danach hat der Bund das Gesetzgebungsrecht für das Bodenrecht. Unter Bodenrecht sind die öffentlich-rechtlichen Rechtsnormen zu verstehen, die die rechtlichen Beziehungen des Menschen zu Grund und Boden regeln. Im Einzelnen ergeben sich hieraus Gesetzgebungszuständigkeiten für folgende Bereiche: Recht der städtebaulichen Planung, Recht der Grundstücksumlegung und –zusammenlegung, Recht der Bodenbewertung sowie Enteignungs- und Erschließungsrecht. Das Bauplanungsrecht wird ergänzt durch das Bauordnungsrecht der Länder. Die Bauordnungen regeln im Wesentlichen die von den Bauwerken ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung – materielles Bauordnungsrecht – und das Baugenehmigungsverfahren einschließlich des Vollzugs der planungsrechtlichen Zulässigkeitsvorschriften – formelles Bauordnungsrecht. Zum materiellen Bauordnungsrecht gehören neben Vorschriften zur Gefahrenabwehr, wie Standsicherheits- und Brandschutzvorschriften, auch Vorschriften zur Gestaltung der Gebäude (Verunstaltungsverbot und positive Gestaltungsanforderungen aufgrund kommunaler Gestaltungssatzungen) oder auch Vorschriften zur Sicherung sozialer und ökologischer Standards für ein gesundes Wohnen und Arbeiten. 2.1.4.2

Bauleitplanung

2.1.4.2.1 Aufgabe und Grundsätze der Bauleitplanung Die Bauleitplanung ist im Baugesetzbuch (BauGB) als zentrales Instrument des Städtebaurechts ausgeformt. Die Bauleitpläne sind nach § 2 Abs. 1 S. 1 BauGB von der Gemeinde in eigener Ver-

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antwortung aufzustellen. Die Bauleitplanung ist ein Kernbestandteil der kommunalen Planungshoheit und damit des verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrechts der Gemeinde für die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft (Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes). Die Bauleitplanung regelt die Nutzung von Grund und Boden; sie steht damit in einem unmittelbaren Bezug zu dem durch Artikel 14 des Grundgesetzes geschützten Eigentum. Die Baufreiheit im Sinne der baulichen Nutzbarkeit eines Grundstücks beruht nicht auf einer öffentlichrechtlichen Verleihung, sondern ist Bestandteil des Eigentumsrechts. Nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 des Grundgesetzes werden Inhalt und Schranken der eigentumsrechtlichen Baufreiheit durch Gesetze bestimmt. Die Bauleitplanung – ergänzt um die sonstigen Zulässigkeitsregelungen des BauGB – formt und beschränkt dieses Nutzungsrecht inhaltlich. Der Schutz des Wesensgehalts des Eigentumsrechtes setzt der Ausgestaltung des Eigentums durch die Bauleitplanung Schranken. Das Baugesetzbuch regelt im Einzelnen den Flächennutzungsplan als vorbereitenden und den Bebauungsplan als verbindlichen Bauleitplan. Im Flächennutzungsplan wird die beabsichtigte städtebauliche Entwicklung des Gemeindegebiets in den Grundzügen dargestellt. Er hat Programmcharakter und ist Koordinierungsinstrument. Der Bebauungsplan regelt als verbindlicher Bauleitplan die rechtsverbindlichen Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung durch Festsetzungen, die für die Zulässigkeit von Vorhaben maßgeblich sind; er hat Rechtsnormcharakter (Satzung). Die Gemeinden haben die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Ordnung und Entwicklung erforderlich ist. Die Bauleitpläne sollen eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung und eine dem Wohl der Allgemeinheit entsprechende sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten. Sie sollen dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern sowie die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln. Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. 2.1.4.2.2 Verhältnis zu anderen Planungen Gegenstand der gemeindlichen Bauleitplanung sind alle Flächen des jeweiligen Gemeindegebiets. Im Verhältnis zu benachbarten Gemeinden ergibt sich hieraus ein horizontaler Abstimmungsbedarf. Daher sollen die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abgestimmt werden. Das Gemeindegebiet ist nicht nur Gegenstand der Bauleitplanung und sonstiger gemeindlicher Planungen, sondern es ist auch durch überörtliche Planungen erfasst: Landesplanung einschließlich der Regionalplanung (Raumordnungspläne) beplanen denselben Raum wie die Bauleitplanung. Wie bei der Bauleitplanung handelt es sich dabei um räumliche Gesamtplanungen, die jedoch ein überörtliches Gesamtkonzept verfolgen. Die Umsetzung und Konkretisierung dieser überörtlichen

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Planungen geschieht über die Anpassungspflicht der Bauleitpläne an die Ziele der Raumordnung gemäß § 1 Abs. 4 BauGB. Das Gemeindegebiet ist neben überörtlichen Gesamtplanungen auch von sonstigen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen anderer Hoheitsträger betroffen. Öffentliche Planungsträger sind an der Vorbereitung der Bauleitplanung zu beteiligen. Sie haben ihre Planungen dem Flächennutzungsplan anzupassen. Sie können dem Plan nur widersprechen, wenn sie Belange geltend machen, welche die sich aus dem Flächennutzungsplan ergebenden städtebaulichen Belange wesentlich übertreffen. Im Verhältnis zur Bauleitplanung ist den Planfeststellungsverfahren für Vorhaben von überörtlicher Bedeutung ein Vorrang eingeräumt (§ 38 BauGB). Voraussetzung ist, dass die Gemeinde beteiligt wird und städtebauliche Belange berücksichtigt werden. Dieser Vorrang bezieht sich zum einen auf die materielle Freistellung des Fachplanungsträgers von den Vorschriften über die Zulässigkeit von Vorhaben. Sie bezieht sich zum anderen auf einen Vorrang gegenüber der Bauleitplanung und ihrer Bindungswirkungen. 2.1.4.2.3 Verfahren zur Aufstellung der Bauleitpläne Bei der Aufstellung, Ergänzung, Änderung und Aufhebung von Bauleitplänen ist ein bestimmtes Verfahren gesetzlich festgelegt (§§ 2-4c, 6, 10, 13, 13a BauGB). Die Verfahrensregelungen stellen sicher, dass die Öffentlichkeit vor der Beschlussfassung über den Bauleitplan Betroffenheiten, Interessen und sonstige für die Planung relevante Belange vortragen können. Sie sollen damit auch die Gemeinde in die für die Abwägung erforderliche Kenntnis setzen. Das BauGB enthält weiterhin Regelungen, in welchen Fällen und in welchem Umfang die Rechtsaufsicht vor Wirksamwerden des Flächennutzungsplanes und des Bebauungsplanes zu beteiligen ist. 2.1.4.2.4 Kooperative Handlungsformen In §§ 11 und 12 BauGB sind mit dem städtebaulichen Vertrag sowie dem Vorhaben- und Erschließungsplan kooperative Handlungsformen geregelt, durch welche private Initiativen im Städtebau unterstützt und abgesichert werden sollen. Die Gemeinden sollen hierdurch auch in die Lage versetzt sein, städtebauliche Aufgaben auf Private zu übertragen bzw. anstelle hoheitlicher Anordnungen vertragliche Regelungen zu treffen.

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2.1.4.3

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Sicherung der Bauleitplanung

Das BauGB enthält mehrere Vorschriften zur Sicherung einer Bauleitplanung, insbesondere die Veränderungssperre, die Zurückstellung von Baugesuchen und die gemeindlichen Vorkaufsrechte. 2.1.4.3.1 Veränderungssperre, Zurückstellung von Baugesuchen Die Bauleitplanung kann dadurch erschwert werden, dass während der Aufstellung eines Bebauungsplanes tatsächliche Veränderungen eintreten, die dem künftigen Bebauungsplan widersprechen. Hierdurch kann die Verwirklichung der Planung behindert oder unmöglich gemacht werden. Mit dem Erlass einer Veränderungssperre (Satzung) hat die Gemeinde deshalb die Möglichkeit, zur Sicherung der mit einem Aufstellungsbeschluss eingeleiteten Bebauungsplanung Veränderungen der Grundstücke sowie die Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung oder Beseitigung baulicher Anlagen zu untersagen (§ 14 BauGB). Dauert die Veränderungssperre länger als vier Jahre, ist den Betroffenen für dadurch entstandene Vermögensschäden eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen (§ 18 BauGB). Liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre vor, kann die Gemeinde durch Antrag bei der Baugenehmigungsbehörde im Einzelfall auch ohne Erlass einer Satzung die Zurückstellung von Vorhaben für den Zeitraum bis zu zwölf Monaten veranlassen (§ 15 BauGB). 2.1.4.3.2 Gesetzliche Vorkaufsrechte der Gemeinde Auch die gemeindlichen Vorkaufsrechte (§§ 24-28 BauGB) dienen der Sicherung der Bauleitplanung, aber auch der Sicherung weiterer städtebaulicher Maßnahmen (z.B. Umlegung und Sanierung). Der Gemeinde steht danach ein Vorkaufsrecht für bestimmte im Bebauungsplan festgesetzte Flächen (Gemeinbedarfs-, Wohnbau- und naturschutzrechtliche Ausgleichsflächen) zu. Ein Vorkaufsrecht besteht weiterhin in den Umlegungs- und Sanierungsgebieten, in den Entwicklungsbereichen sowie in den Gebieten mit einer Erhaltungssatzung. Ein Vorkaufsrecht besteht auch an allen Wohnbauflächen sowie an den Flächen, die für den Hochwasserschutz von der Bebauung frei zu halten sind. Die Gemeinde kann darüber hinaus durch Satzung ein besonderes Vorkaufsrecht begründen (§ 25 BauGB). Das BauGB enthält spezielle Regelungen über die Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts und über Abwendungsrechte des Käufers. 2.1.4.4

Planungsschäden

Im Baugesetzbuch ist geregelt, wann und in welchem Umfang Entschädigungen zu leisten sind, wenn durch Planung die Bodennutzbarkeit betroffen ist (§§ 39ff. BauGB). Das Planungsschadensrecht gewährt Entschädigungen für Fälle, in denen durch Änderung oder Aufhebung der Festset-

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zung eines Bebauungsplanes die Bebaubarkeit eines Grundstücks eingeschränkt oder hinsichtlich sonstiger Nutzungsmöglichkeiten beschnitten wird. Das Planungsschadensrecht soll in erster Linie den Wertverlust ausgleichen, der in der Differenz zwischen dem Grundstückswert vor und nach der Planung besteht. 2.1.4.5

Zulässigkeit von Bauvorhaben

Die Bestimmungen über die Zulässigkeit von Vorhaben unterscheiden Vorhaben x

im Geltungsbereich eines „qualifizierten“ Bebauungsplanes,

x

im „Innenbereich“ ohne qualifizierte Bebauungspläne und

x

im „Außenbereich“

2.1.4.5.1 Bebauungsplangebiete Die Zulässigkeit von Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplanes bestimmt sich städtebaurechtlich ausschließlich nach dessen Festsetzungen (§ 30 Abs. 1 BauGB). Ein „qualifizierter“ Bebauungsplan liegt vor, wenn er Vorschriften über Art und Maß der baulichen Nutzung, über die überbaubaren Grundstücksflächen sowie über die örtlichen Verkehrsflächen enthält. Auch im Geltungsbereich eines Vorhaben- und Erschließungsplanes („vorhabenbezogener Bebauungsplan“) ist die Zulässigkeit abschließend bestimmt (§ 30 Abs. 2 BauGB). Einfache Bebauungspläne (§ 30 Abs. 3 BauGB) steuern die Zulässigkeit von Vorhaben entsprechend ihren jeweiligen (begrenzten) Inhalten in den Gebieten nach §§ 34 Abs. 35 BauGB. 2.1.4.5.2 Innenbereich § 34 BauGB regelt die Zulässigkeit von Vorhaben in den im Zusammenhang bebauten Ortsteilen (Innenbereich), für die es keinen oder keinen qualifizierten Bebauungsplan gibt. Vorhaben sind danach grundsätzlich nur zulässig, wenn sie sich in die vorhandene Bebauung „einfügen“. 2.1.4.5.3 Außenbereich Wenn ein Grundstück nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplanes liegt und auch nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles, dann bestimmt sich die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 35 BauGB (Außenbereich). Der Außenbereich soll im Grundsatz von der Bebauung frei gehalten werden. Im Wesentlichen dürfen hier nur die sog. „privilegierten Vorhaben“ errichtet werden (z.B. land- und forstwirtschaftliche Anlagen oder ortsgebundene gewerbliche Betriebe), aber auch Vorhaben, die wegen ihrer nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder ihrer besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden sollen.

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Sonstige Vorhaben können im Außenbereich im Einzelfall zugelassen werden, wenn hierdurch öffentliche Belange nicht beeinträchtigt werden. Besondere Begünstigungen bestehen dabei z.B. für die Umnutzung bisher landwirtschaftlich genutzter Bestände. 2.1.4.6

Verwirklichung der städtebaulichen Ordnung

Das BauGB stellt der Gemeinde zur Verwirklichung der städtebaulichen Ordnung eine Reihe von speziellen Rechtsinstrumenten zur Verfügung, insbesondere die Bodenordnung, die Enteignung, die Erschließung sowie die städtebaulichen Gebote. 2.1.4.6.1 Bodenordnung Die Bebauungspläne setzen die zulässigen Nutzungen unabhängig vom Verlauf der Grundstücksgrenzen innerhalb des Plangebiets fest. Eine Verwirklichung der plangemäßen Nutzung ist häufig ohne Neuordnung von Grund und Boden nicht möglich. Mit den Instrumenten der Bodenordnung (§§ 45-84 BauGB) können die erforderlichen Neuordnungen von Grundstücksgrenzen („innerstädtische Flurbereinigung“) mit dem Ziel durchgeführt werden, nach Lage, Form und Größe für die bauliche oder sonstige Nutzung zweckmäßig gestaltete Grundstücke zu schaffen. 2.1.4.6.2 Enteignung Die Enteignung ist das letzte Mittel, wenn die öffentliche Hand ein Grundstück (oder bestimmte Rechte an einem Grundstück) benötigt und der Eigentümer sich nicht zu einem Verkauf gegen ein angemessenes Entgelt bewegen lässt. Die Voraussetzungen der Enteignung, das Verfahren und die Enteignungsentschädigung sind im BauGB (für städtebauliche Zwecke) umfassend geregelt (vgl. §§ 85-122 BauGB). 2.1.4.6.3 Erschließung Ein Baugebiet ist dann in vollem Umfang sozialgerecht nutzbar, wenn es „erschlossen“ ist. Zur Erschließung in diesem umfassenden Sinn gehört, dass das Gebiet in verkehrlicher, technischer und sozialer Hinsicht erschlossen ist. Die Sicherstellung einer umfassenden Erschließung (Infrastruktur) obliegt der Gemeinde im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben der Daseinsvorsorge. Dies bedeutet nicht, dass die Gemeinde alle Anlagen auch selbst herstellen muss. Hierfür kommen vielmehr nach Vorschriften außerhalb des BauGB auch andere Träger in Betracht, so z.B. der Bund oder das Land als Träger der Straßenbaulast für die Ortsdurchfahrten ihrer überörtlichen Straßen. Das BauGB regelt u.a. die zum Zweck der Baureifmachung erforderlichen Erschließungsmaßnahmen, und zwar insbesondere die Herstellung der Erschließung (gemeindliche Aufgaben, Zeit und Umfang der Erschließung sowie Pflichten der Eigentümer) und den Erschließungsbeitrag, den die

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Gemeinde von den Grundstückseigentümern zu erheben hat. Die Erschließungsaufgaben können von der Gemeinde vertraglich auf Erschließungsträger übertragen oder durch Vorhabenträger übernommen werden. 2.1.4.6.4 Städtebauliche Gebote Das BauGB ermächtigt die Gemeinde durch die Anordnung städtebaulicher Gebote in besonderer Weise, die Verwirklichung der städtebaulichen Ordnung und Entwicklung zu erreichen. Auch wenn die kommunale Praxis von einvernehmlichen, vielfach auch vertraglichen Regelungen zur Verwirklichung der städtebaulichen Ordnung geprägt ist, so stehen der Gemeinde auch hoheitliche Durchsetzungsinstrumente bestimmter Baupflichten zur Verfügung. Das Gesetz (§§ 175-179 BauGB) enthält im einzelnen Regelungen über das Baugebot, das Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot, das Pflanzgebot sowie das Rückbau- und Entsiegelungsgebot. 2.1.4.7 Städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen, Stadtumbau und Soziale Stadt 2.1.4.7.1 Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen Das BauGB enthält in §§ 136-164b gesetzliche Sonderbestimmungen für städtebauliche Sanierungsmaßnahmen, durch die ein Gebiet zur Behebung städtebaulicher Missstände wesentlich verbessert oder umgestaltet werden soll. Das Sanierungsrecht soll es der Gemeinde ermöglichen, in Gebieten mit besonders hohem städtebaulichem Handlungsbedarf einen planmäßigen und aufeinander abgestimmten Erneuerungsprozess durchzuführen („städtebauliche Gesamtmaßnahme“). Das BauGB gibt der Gemeinde hierzu besonders weit reichende Instrumente. Das Gesetz unterscheidet zwei Grundfälle der Sanierung: die Sanierung zur Beseitigung ungesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse – dazu gehört auch die Beseitigung von Gefahren für die Sicherheit („Substanzschwächensanierung“) – und die Sanierung zur Behebung von „Funktionsschwächen“ eines Gebiets. Die Gemeinde legt das Gebiet, in dem eine städtebauliche Sanierungsmaßnahme durchgeführt werden soll, durch Beschluss förmlich als Sanierungsgebiet fest, und zwar durch gemeindliche Satzung. Der Gemeinde obliegen u.a. die Aufgaben der Vorbereitung einer Sanierung, die Durchführung der erforderlichen Ordnungsmaßnahmen sowie die Gesamtverantwortung für die Durchführung der Baumaßnahmen. Die konkreten Bauaufgaben werden in der Verantwortung der jeweiligen Aufgabenträger (private oder öffentliche Bauherren) durchgeführt. Das Gesetz enthält eingehende Regelungen über die Mitwirkungsrechte und –pflichten der von der Sanierung Betroffenen, d.h. der Eigentümer und Mieter, sowie über die Beteiligung weiterer öffentlicher Aufgabenträger.

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Im Geltungsbereich der Sanierungssatzung stehen der Gemeinde weit reichende bodenrechtliche Steuerungsmöglichkeiten zur Verfügung. Sofern die Gemeinde nichts anderes beschließt, bedürfen im Sanierungsgebiet Vorhaben, Teilungen und Rechtsvorgänge der gemeindlichen Genehmigung. Die Genehmigung darf (nur) versagt werden, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass hierdurch die Sanierung unmöglich gemacht, wesentlich erschwert oder den Zielen und Zwecken der Sanierung zuwiderlaufen würde. Sofern die Gemeinde in der Sanierungssatzung nichts anderes bestimmt, gelten Sonderregelungen für die Behandlung der Bodenwerte. So werden bei der Bemessung von Ausgleichs- und Entschädigungsleistungen solche Werterhöhungen nicht berücksichtigt, die lediglich durch die Aussicht auf die Sanierung, ihre Vorbereitung oder Durchführung eingetreten sind. Nach Abschluss der Sanierung hat der Eigentümer an die Gemeinde einen Ausgleichsbetrag in Höhe der sanierungsbedingten Erhöhung des Bodenwertes zu entrichten. Der Gemeinde steht im Sanierungsgebiet ein besonderes Vorkaufsrecht zu. Die Gemeinde kann weiterhin u.a. Miet- und Pachtverhältnisse zur Verwirklichung der Sanierungszwecke aufheben oder verlängern. Soweit sich städtebauliche Sanierungsmaßnahmen voraussichtlich nachteilig auf die persönlichen Lebensumstände der in dem Gebiet wohnenden oder arbeitenden Menschen auswirken, hat die Gemeinde einen Sozialplan zu entwickeln und fortzuschreiben. 2.1.4.7.2 Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen Weitgehend angelehnt an die Rechtsgrundsätze des Sanierungsrechtes steht für die Schaffung neuer Orte oder Ortsteile oder die städtebauliche Neuordnung das Recht der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme zur Verfügung (§§ 165-171 BauGB). Das städtebauliche Entwicklungsrecht gibt der Gemeinde die Möglichkeit, Teile des Gemeindegebiets durch gemeindliche Satzung als Entwicklungsbereich festzusetzen und damit zu entwickeln oder neu zu ordnen. Die bodenrechtliche Ausgestaltung geht weiter als das Sanierungsrecht. So ist die Enteignung im Entwicklungsbereich auch ohne Bebauungsplan zulässig. Weiterhin hat die Gemeinde eine Grunderwerbspflicht, mit der eine (spätere) Veräußerungspflicht korrespondiert. 2.1.4.7.3 Stadtumbau, Soziale Stadt, Private Initiativen zur Stadtentwicklung Die demographischen Veränderungen in vielen Regionen des Landes mit der Folge leerstehender Wohnungen und Gebäude und nicht mehr in Anspruch genommener Infrastruktur erfordern spezielle Strategien des Stadtumbaus. Das Baugesetzbuch gibt dazu in den §§ 171 a bis d BauGB einen ordnungspolitischen Rahmen vor. Die Probleme vernachlässigter Stadtquartiere machen gleichfalls neue stadtentwicklungspolitische Strategien erforderlich, die das BauGB in § 171 e zusam-

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menfasst. § 171f enthält eine bodenrechtliche Bestimmung zu gebietsbezogenen Maßnahmen, mit denen – nach Maßgabe des Landesrechts – in privater Verantwortung und auf der Grundlage eines mit den städtebaulichen Zielen der Gemeinde abgestimmten Konzepts standortbezogene Maßnahmen durchgeführt werden, die der Stärkung oder Entwicklung von Bereichen der Innenstädte, Stadtteilzentren, Wohnquartiere und Gewerbezentren sowie von sonstigen für die städtebauliche Entwicklung bedeutsamen Bereichen dienen. Zur Finanzierung der Maßnahmen und gerechten Verteilung des damit verbundenen Aufwands können durch Landesrecht Regelungen getroffen werden. Voraussetzung für solche Gebietsfestlegungen ist ein entsprechendes Landesgesetz. 2.1.4.8

Erhaltungsgebiete

Zur Erhaltung und Erneuerung von Städten und Dörfern enthalten die §§ 172-174 BauGB – „Erhaltungssatzung“ – ein Instrument, mit dem die Gemeinde Gebiete festlegen kann, in denen der Abbruch, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen einer besonderen Genehmigung bedarf. Die Festlegung der Gebiete dient der Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets (Schutz des Ortsbildes, der Stadtgestalt, des Landschaftsbildes, der Erhaltung städtebaulich bedeutsamer baulicher Anlagen), der Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung oder der Sicherung des sozialgerechten Ablaufs städtebaulicher Umstrukturierungen. Zum Schutz der städtebaulichen Gestalt bedarf auch die Errichtung baulicher Anlagen einer besonderen Genehmigung. Die Länder können in den Gebieten zum Schutz der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung auch die Begründung von Wohnungseigentum unter einen gemeindlichen Genehmigungsvorbehalt stellen. Bei der gemeindlichen Genehmigung ist darauf abzustellen, ob das jeweilige Vorhaben den mit der Erhaltungssatzung verfolgten Zielen entspricht. Zur Sicherung der Erhaltungszwecke steht der Gemeinde weiterhin ein besonderes Vorkaufsrecht zu. Die Regelungen über die Erhaltungssatzung werden um landesrechtliche Bestimmungen des Denkmalschutzes oder des Bauordnungsrechtes (z.B. Gestaltungssatzungen) ergänzt. 2.1.4.9

Bauordnungsrecht

Das Bauordnungsrecht hat sich aus dem früheren Baupolizeirecht entwickelt. Es dient im Schwerpunkt der Abwehr von Gefahren, die von der Errichtung baulicher Anlagen und ihrer Nutzung ausgehen können. 2.1.4.9.1 Rechtsquellen des Bauordnungsrechts Das Bauordnungsrecht ist Landesrecht. In jedem Bundesland gilt daher eine andere Bauordnung. Die Vergleichbarkeit der einzelnen Landesbauordnungen untereinander soll eine Musterbauord-

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nung herstellen, die von der Bauministerkonferenz erarbeitet wird. Sie hat gegenüber den Landesgesetzgebern keine bindende Wirkung, sondern entfaltet nur eine Vorbildfunktion. Z.Zt. gilt die Musterbauordnung (MBO) in der Fassung vom November 2002. Die Landesbauordnungen werden ergänzt durch Durchführungsverordnungen, die Anforderungen u.a. an Feuerungsanlagen und Garagen enthalten. Hinzu kommen Verordnungen über Prüfingenieure, Prüfämter und Prüfsachverständige, die in bauaufsichtlichen Verfahren bestimmte hoheitliche Aufgaben übernehmen bzw. materielle Anforderungen bescheinigen können, und die Bauvorlagenverordnungen, die Umfang, Inhalt und Zahl der erforderlichen Verfahrensunterlagen festlegen. Daneben gelten in den Ländern – weitgehend gleichlautende – Sonderbauverordnungen für Hochhäuser, Geschäftshäuser, Versammlungsstätten, Krankenhäuser etc. Ergänzt wird das Bauordnungsrecht durch zahlreiche technische Regeln, die von den obersten Bauaufsichtsbehörden durch öffentliche Bekanntmachungen als Technische Baubestimmungen eingeführt werden. Schließlich ermächtigen die Landesbauordnungen die Gemeinden, durch Satzung örtliche Bauvorschriften zu erlassen. Diese können auch Inhalt eines Bebauungsplans sein. Sie betreffen z.B. besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen wie Dachformen und Dachneigungen sowie Materialwahl und Farbgebung der Fassaden. Die örtlichen Bauvorschriften bezwecken insbesondere die Erhaltung und Gestaltung der Ortsbilder. 2.1.4.9.2 Materielles Bauordnungsrecht Zum materiellen Bauordnungsrecht gehören zunächst die Anforderungen an die Nutzung des Grundstücks und seine Bebauung. Sie betreffen die verkehrliche Erschließung von Baugrundstücken, wie die Lage in angemessener Breite an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche sowie Regelungen darüber, dass Hinterliegergrundstücke einer öffentlich-rechtlich gesicherten Zufahrt bedürfen, die für Feuerwehrfahrzeuge geeignet ist. Breiten Raum nehmen die Abstandsvorschriften ein, die ein gesundes Wohnen und Arbeiten sichern sollen. Sie richten sich danach, ob eine offene oder geschlossene Bauweise vorgeschrieben ist. Die Abstandsflächen müssen in der Regel auf dem Grundstück selbst liegen. Die Tiefe der Abstandsflächen ergibt sich in Relation zur Höhe des geplanten Gebäudes (z. B. 0,4 H). In den Abstandsflächen sind z. B. Garagen zulässig. Die Abstandsfläche beträgt in der Regel mindestens 3,0 m. Die nicht mit Gebäuden oder vergleichbaren baulichen Anlagen überbauten Flächen sind zu begrünen oder zu bepflanzen. Das Bauordnungsrecht enthält ferner allgemeine Anforderungen zur Einrichtung der Baustelle sowie zur Standsicherheit, zum Brandschutz, zum Wärme-, Schall- und Erschütterungsschutz sowie zur Verkehrssicherheit. Sie werden ergänzt durch technische Anforderungen an das Brand-

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verhalten von Baustoffen und Bauteilen in Wänden, Decken und Dächern. Breiten Raum nehmen auch die zur Gefahrenabwehr angeordneten Anforderungen an Rettungswege, Treppen und Flure sowie Fenster ein. Diese Vorschriften dienen der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in den Bereichen Brandschutz, Standsicherheit und Verkehrssicherheit. Sie werden ergänzt durch Anforderungen an die technische Gebäudeausrüstung wie Aufzüge, Leitungsanlagen, Installationsschächte und –kanäle, sowie Lüftungsanlagen. Schließlich enthalten die Landesbauordnungen zunehmend auch soziale Anforderungen an gesundes und barrierefreies Bauen. 2.1.4.9.3 Formelles Bauordnungsrecht - Verfahren Die materiellen Anforderungen der Landesbauordnungen werden ergänzt durch Regelungen zur Genehmigungspflicht und Genehmigungsfreiheit von baulichen Anlagen. Zu unterscheiden sind genehmigungspflichtige, genehmigungsfreigestellte und verfahrensfreie bauliche Vorhaben. Der Grundsatz ist die Genehmigungspflicht im Sinne einer präventiven Kontrolle einschlägiger öffentlich-rechtlicher Vorschriften. Dies gilt für die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung baulicher und diesen gleichgestellter Anlagen. Das Baugenehmigungsverfahren untergliedert sich einmal in das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren für Vorhaben mittlerer Komplexität, insbesondere Wohngebäude. In diesem verkürzten Verfahren wird vor allem die städtebauliche Zulässigkeit geprüft, nicht dagegen die materiellen bauaufsichtlichen Anforderungen, wobei diese jedoch gleichfalls einzuhalten sind. Daneben steht das umfassende Baugenehmigungsverfahren für komplexere Bauten, insbesondere für alle Sonderbauten. Das Verfahren umfasst das volle Prüfprogramm aus städtebaurechtlichen und bauaufsichtlichen Anforderungen. Die Bauordnungen kennen ferner – in unterschiedlicher Ausprägung – sog. Genehmigungsfreistellungen für Wohngebäude im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans, für die keine Ausnahmen und Befreiungen erforderlich sind. In diesen Fällen muss die Erschließung gesichert sein. Ferner darf die Gemeinde nicht innerhalb eines Monats nach Vorlage der erforderlichen Unterlagen durch den Bauherren beantragen, dass ein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren durchgeführt werden soll. Alle Bauordnungen enthalten schließlich einen Katalog von städtebaulich und sicherheitsmäßig weniger relevanten baulichen Anlagen, für die zwar das materielle Bauordnungsrecht gilt, deren Errichtung und Änderung aber genehmigungsfrei gestellt ist (verfahrensfreie Bauvorhaben). 2.1.4.9.4 Prinzipien des Baugenehmigungsverfahrens Das Baugenehmigungsverfahren ist ein mitwirkungsbedürftiges Verwaltungsverfahren und bedarf daher eines schriftlichen Antrags durch den Bauherrn. Mit dem Bauantrag sind alle für die Beurteilung des Bauvorhabens erforderlichen Unterlagen entsprechend der jeweiligen Bauvorlagenverordnung vorzulegen. Die Bauvorlagen sind vom Entwurfsverfasser zu unterschreiben. Der

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Entwurfsverfasser muss zur Bauvorlage berechtigt sein. Es muss sich also in der Regel um einen Architekten oder Ingenieur der Fachrichtung Bauwesen handeln, der in der Liste der jeweiligen Berufskammern des Landes eingetragen ist. Der Antrag kann von vornherein auf einzelne Fragen des Bauvorhabens beschränkt werden, wie auf die städtebauliche Zulässigkeit (sog. Bebauungsgenehmigung). Das kann sinnvoll sein, um Grundfragen der Bebauung vorab zu klären, ehe weitere Planungskriterien anfallen. Der daraufhin ergehende Vorbescheid hat drei Jahre Gültigkeit. Die Baugenehmigungsbehörde soll binnen zwei Wochen nach Eingang des Antrags prüfen, ob die Bauvorlagen vollständig sind und ggf. Nachforderungen mit Fristsetzung stellen. Unvollständige und mangelhafte Bauanträge sollen nach Verstreichen der Nachforderungsfrist zurückgewiesen werden. Die Bauaufsichtsbehörde führt alle notwendigen Beteiligungen anderer Stellen durch, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften dem Vorhaben zustimmen müssen. Die Beteiligung der Nachbarn ist in den einzelnen Bauordnungen unterschiedlich geregelt; sie hat zumindest vor der Erteilung einer Befreiung stattzufinden. Die Bauaufsichtsbehörde hat regelmäßig über den Bauantrag innerhalb eines Monats nach Eingang aller Stellungnahmen zu entscheiden. Auf die Erteilung der Baugenehmigung besteht ein Rechtsanspruch, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Es gehört zu den Amtspflichten der Mitarbeiter der Bauaufsichtsbehörde gegenüber dem Bauherrn, einen vollständigen Bauantrag zügig zu verbescheiden. Die Baugenehmigung erklärt als feststellender Teil die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem öffentlichen Recht, soweit es Gegenstand der Prüfung war. Die Baugenehmigung bedarf der Schriftform. Die Genehmigungsurkunde bezeichnet man auch als „Bauschein“. Die Baugenehmigung kann mit Nebenbestimmungen versehen werden, häufig sind es sog. modifizierende Auflagen. Die Baugenehmigung gilt auch für und gegen den Rechtsnachfolger des Bauherrn. Sie ergeht unbeschadet der privaten Rechte Dritter. Mit dem Zugang der Baugenehmigung darf regelmäßig mit der Bauausführung begonnen werden. Nachträgliche Anforderungen dürfen nur gestellt werden, um bei der Genehmigung nicht vorhersehbar gewesene Gefahren abzuwenden. Die Baugenehmigung erlischt, wenn innerhalb von drei Jahren nach Erteilung der Genehmigung mit den Ausführungen des Bauvorhabens nicht begonnen oder die Bauausführung länger als ein Jahr unterbrochen worden ist. Die Frist kann auf Antrag jeweils um zwei Jahre verlängert werden. 2.1.4.9.5 Baulasten und Baulastenverzeichnis Wegen der ungünstigen Beschaffenheit oder Lage von Grundstücken ist es manchmal nicht möglich, alle bauaufsichtlichen Anforderungen auf dem Grundstück selbst zu erfüllen, wie z. B. Abstandsflächen, Zufahrten etc. Die Baugenehmigung müsste deshalb versagt werden. Hier kann die Baulast helfen. Durch sie übernehmen Grundstückseigentümer durch Erklärung gegenüber der

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Baugenehmigungsbehörde öffentlich-rechtliche Verpflichtungen zu einem ihr Grundstück betreffenden Tun, Dulden oder Unterlassen, die sich nicht schon aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben, wie der Übernahme einer notwendigen Abstandsfläche des Nachbargrundstücks auf ihrem Grundstück. Baulasten werden unbeschadet der Rechte Dritter mit der Eintragung in das Baulastenverzeichnis wirksam und wirken auch gegenüber dem Rechtsnachfolger. Die Baulast geht nur durch schriftlichen Verzicht der Bauaufsichtsbehörde nach Durchführung eines Beteiligungsverfahrens unter. Wer ein berechtigtes Interesse darlegt, kann in das Baulastenverzeichnis Einsicht nehmen.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.1.4 Battis, U./Krautzberger, M./Löhr, R.-P.: Baugesetzbuch, 8. Aufl. München 2002. Ernst, W./Zinkahn, W./Bielenberg, W./Krautzberger, M.: Baugesetzbuch, Loseblatt-Kommentar, 5. Aufl. München. Stüer, B.: Der Bebauungsplan, 2. Aufl., München 2001. Usinger, H./Minuth, K. (Hrsg.): Immobilien - Recht und Steuern, 3. vollst. überarb. und erweiterte Auflage, Köln 2004.

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2.1.5

Kosten und Finanzierung stadtplanerischer Maßnahmen

101

Martin Wentz, Andrea Pelzeter 2.1.5.1

Stadtplanerische Maßnahmen 2.1.5.1.1 Bauleitplanung 2.1.5.1.1.1 Art der baulichen Nutzung 2.1.5.1.1.2 Maß der baulichen Nutzung 2.1.5.1.2 Infrastrukturmaßnahmen 2.1.5.1.3 Revitalisierung 2.1.5.2 Kosten stadtplanerischer Maßnahmen 2.1.5.2.1 Planungskosten 2.1.5.2.2 Grundstückskosten, Baulandbereitstellung 2.1.5.2.3 Baukosten 2.1.5.2.4 Folgekosten für Unterhalt und Betrieb 2.1.5.3 Finanzierungsmöglichkeiten 2.1.5.3.1 Wertabschöpfung durch Bodenordnung 2.1.5.3.2 Erschließungsbeiträge 2.1.5.3.3 Fördermittel 2.1.5.3.4 Haushaltsmittel 2.1.5.3.5 Öffentlich-private Zusammenarbeit 2.1.5.4 Ausblick Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.1.5

101 101 102 102 103 105 105 105 106 108 109 110 110 114 115 115 116 117 118

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2.1.5

101

Kosten und Finanzierung stadtplanerischer Maßnahmen

Martin Wentz, Andrea Pelzeter In den vorangegangenen Kapiteln wurden die Zielsetzungen, die fachlichen Inhalte und die rechtlichen bzw. gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Stadtplanung dargestellt. Sobald jedoch Stadtplanung konkret umgesetzt wird, verursacht sie Kosten. Im Folgenden wird, nach einer Charakterisierung der stadtplanerischen Maßnahmen, auf deren Kosten näher eingegangen. Die Möglichkeiten zu ihrer Finanzierung, welche mit über die Chancen einer Realisierung entscheiden, sind Gegenstand des dritten Abschnittes. Damit greift dieses Kapitel wesentliche Inhalte der Stadtökonomie auf, die als eigener Arbeitsbereich jedoch zusätzlich eine Betrachtung der verschiedenen Märkte, u.a. des Wohnungs- und des Bodenmarktes beinhaltet. 2.1.5.1

Stadtplanerische Maßnahmen

Maßnahmen der Stadtplanung dienen i.d.R. der Stadtentwicklung. Sie differieren stark in ihrer Struktur: Es kann sich dabei um planerische Festlegungen der Bauleitplanung handeln, um Baumaßnahmen zur Erweiterung oder Erneuerung der Infrastruktur bis hin zum Betreiben von Infrastruktureinrichtungen, wie Kindergärten oder Krankenhäusern. Das Zusammenspiel aller dieser Maßnahmen wird am Beispiel der Revitalisierung von Stadtvierteln erläutert. 2.1.5.1.1 Bauleitplanung Wie in Kapitel 2.1.2.2 erläutert, liegt die Verantwortung für die Bauleitplanung bei den Kommunen. Mit dem Ziel einer nachhaltigen, sozialgerechten Bodennutzung regeln sie die Art und das Maß der baulichen Nutzung. Dafür bedienen sie sich eines durch das Baugesetz (BauGB) geregelten, zweistufigen Verfahrens: im die Bauleitplanung vorbereitenden, rechtlich nicht abschließend verbindlichen Flächennutzungsplan wird die „Art“ der vorgesehenen Bodennutzung dargestellt. Auf dieser Grundlage wird der verbindliche Bebauungsplan entwickelt, der neben der weiter ausdifferenzierten „Art“ der Nutzung auch zusätzliche Aussagen über das „Maß“ der baulichen Nutzung enthält. Bei der Aufstellung von Bauleitplänen müssen gemäß § 3 und § 4 BauGB sowohl die Bürger als auch die Träger öffentlicher Belange beteiligt werden. Einen Monat lang liegen dafür die Planungsentwürfe öffentlich aus. Während dieser Frist können die Bürger Anregungen vorbringen, welche dann geprüft werden müssen. Parallel dazu werden die von der Planung berührten Behörden und die weiteren Träger öffentlicher Belange zu einer Stellungnahme aufgefordert. Die Anregungen der Bürger und die eingeholten Stellungnahmen sind dann untereinander und gegen die

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sonstigen privaten und öffentlichen Interessen abzuwägen. Werden Anregungen nicht aufgegriffen, bedarf es einer entsprechenden schriftlichen Begründung seitens der Gemeinde. 2.1.5.1.1.1 Art der baulichen Nutzung Für den potenziellen Bauherren ist die Zulässigkeit bestimmter Nutzungen von entscheidender Bedeutung. Die möglichen Arten baulicher Nutzung werden in der Baunutzungsverordnung §§115 BauNVO geregelt. Sie werden geordnet nach dem Ausmaß der von ihnen ausgehenden Beeinträchtigungen der Umgebung in: Wohnbauflächen (W), Gemischte Bauflächen (M), Gewerbliche Bauflächen (G) und Sonderbauflächen (S). Jede dieser Flächenarten wird noch weiter untergliedert in verschiedene Gebietstypen, jeweils mit Hinweis auf die zulässigen oder genehmigungsfähigen Ausnahmen. Beispiel: nach § 4 BauNVO sind in „allgemeinen Wohngebieten“ (WA) außer Wohngebäuden zulässig: Läden für die Versorgung des Gebietes, Schank- und Speisewirtschaften, nicht störende Handwerksbetriebe, sowie Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale oder gesundheitliche Zwecke. Ausnahmsweise können Betriebe des Beherbergungsgewerbes, sonstige nicht störende Gewerbebetriebe, Anlagen für Verwaltung, Gartenbaubetriebe und Tankstellen zugelassen werden. Für eine einheitliche Codierung der geplanten Festlegungen in den Bauleitplänen ordnet die Planzeichenverordnung (PlanzV) den Flächenarten spezifische Farben zu. Die PlanzV gibt zwar alternativ zur farblichen Markierung auch Schraffurarten vor, aber wegen der leichteren Lesbarkeit werden Flächennutzungspläne meist farbig dargestellt. x

Wohnbauflächen (W)

- rot

x

Gemischte Bauflächen (M)

- braun

x

Gewerbliche Bauflächen (G)

- grau

x

Sonderbauflächen (S)

- orange

2.1.5.1.1.2 Maß der baulichen Nutzung Neben der Nutzungsart entscheidet das Maß der maximal zugelassenen baulichen Nutzung über die Grundzüge der städtebaulichen und architektonischen Bebaubarkeit eines Grundstücks und damit über seine wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten, also i.d.R. über den Grundstückspreis. Bestimmungen zum Maß der baulichen Nutzung von Grundstücken trifft der zweite Abschnitt der BauNVO, §§ 16 - 21a. Die BauNVO kennt einerseits absolute Maßvorgaben z.B. die Größe von Grundfläche, Geschoßfläche und Baumasse, sowie:

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x

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Anzahl der Vollgeschosse Welche baulichen Gegebenheiten zur Geltung als Vollgeschoss führen, ist in den einzelnen Landesbauordnungen geregelt. Dies spielt für die Anrechnung von Sockel- und Dachgeschossen eine besondere Rolle. Darstellung nach PlanzV: Römische Ziffer im Kreis

x

Gebäudehöhe Die Festsetzung einer Gebäudehöhe (Trauf- und/oder Firsthöhe) erfordert gleichzeitig die Bestimmung eines entsprechenden Bezugspunktes (§ 18 BauNVO).

Andererseits definiert die Baunutzungsverordnung relative Maßfaktoren - Zahlen also, die auf die Größe des jeweiligen Grundstücks bezogen werden. x

Grundflächenzahl (GRZ): max. zulässige m² Gebäude-Grundfläche je m² Grundstücksfläche, auch bezeichnet als „Fußabdruck“ der baulichen Anlagen. Darstellung nach PlanzV: Dezimalzahl

x

Geschossflächenzahl (GFZ): max. zulässige m² Geschossfläche je m² Grundstücksfläche. Darstellung nach PlanzV: Dezimalzahl im Kreis

x

Baumassenzahl (BMZ): Sie bestimmt, wieviel m³ Baumasse je m² Grundstücksfläche „umbaut“ werden dürfen. Darstellung nach PlanzV: Dezimalzahl im Rechteck

x

Brutto-Grundfläche (BGF) Summe der Grundflächen aller Grundrißebenen eines Bauwerks.

(Für weitere Informationen vgl. Kapitel 2.2: Art und Maß der baulichen Nutzung, Immobilienökonomie Band I, 4. Auflage). 2.1.5.1.2 Infrastrukturmaßnahmen Infrastruktur umfasst „die Gesamtheit aller materiellen, institutionellen und personellen Anlagen, Einrichtungen und Gegebenheiten..., die den Wirtschaftseinheiten im Rahmen der arbeitsteiligen Wirtschaft zur Verfügung stehen.“ (Institut WAR, S. 12-1). Im stadtplanerischen Zusammenhang interessiert dabei primär die materielle, d.h. die gebaute Infrastruktur. Man unterscheidet dabei zwischen technischer und sozialer Infrastruktur. Die technische Infrastruktur einer Gemeinde besteht in der öffentlichen Erschließung. Dazu gehören Verkehrsanlagen, Erschließungsgrün, Immissionsschutzanlagen sowie Ver- und Entsorgungs-

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anlagen und deren Leitungs- und Verteilungsnetze. Grünflächen und Parks gelten als Folgeeinrichtungen bzw. als soziale Infrastruktureinrichtungen. Die Qualität der technischen Infrastruktur entscheidet mit über den späteren Wert von Grundstücken. So sind beispielsweise Wohngebäude, die durch fußläufig erreichbare S-Bahn-Stationen an eine Großstadt angeschlossen sind, zu einem höheren Preis zu vermieten als die Häuser im übrigen Umland. Umgekehrt betrachtet kann eine solche Infrastrukturmaßnahme weitere Immobilieninvestitionen anziehen. Sie wird damit zu einem Instrument der Stadtentwicklungsplanung. Dies ist übertragbar auf jede Art von Knotenpunkt im Verkehrs- und Kommunikationsnetz. Wie sich Bahnhöfe, Flughäfen oder auch Autobahnausfahrten auf ihre Umgebung auswirken, hängt jeweils von den betrachteten Nutzungen ab. Eine zunehmende Verkehrsdichte lässt z.B. die Wohnqualität sinken durch die verkehrsbedingte Belastung der Luft mit Emissionen von Lärm und Abgasen. Zur sozialen Infrastruktur zählen Einrichtungen für Bildung, Gesundheit, Verwaltung, Seelsorge und auch für Kultur. Mit diesen Einrichtungen erfüllt die Kommune ihre Pflicht zur örtlichen Daseinsvorsorge (Grundgesetz Art. 28, Absatz 2). Wie schon für die Erschließung gilt auch für die soziale Infrastruktur, dass sich ihre Qualität wertbildend auswirkt. So beeinflusst u.a. die unterschiedlich ausgeprägte Versorgung eines Stadtviertels mit Schulen, Kindertagesstätten (Kitas), etc. die jeweilige Einstufung im Mietspiegel zu einfacher, mittlerer oder guter Wohnlage und damit die Grenzen, in denen sich die Mieten zu bewegen haben. Die Planung des Bedarfs an Infrastruktureinrichtungen erfolgt überwiegend anhand von Einwohnerzahlen. Für Einrichtungen, die den Bedürfnissen bestimmter Altersgruppen entsprechen wie z.B. Kita, Schule oder Altenpflege, sollte darüber hinaus – soweit absehbar – auch die Altersstruktur der örtlichen Bevölkerung berücksichtigt werden. Dies kann am Beispiel einer Neubausiedlung veranschaulicht werden: bei Fertigstellung ziehen überwiegend junge Familien ein, die in der Folge einen überproportionalen Bedarf an Kita- und Grundschulplätzen entstehen lassen. Vierzig Jahre später wohnen die meisten der vormals jungen Eltern noch immer dort, nachdem ihre Kinder in den neuen begehrten Stadtvierteln ihren eigenen Haushalt begründet haben. Nun schließen die Jugendeinrichtungen mangels Nachfrage und im Gegenzug steigt der Bedarf an Altenpflege. Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen: x

Kitas und Schulen sollten umnutzbar geplant werden, entsprechend dem Lebenszyklus der Bewohner, oder

x

die Stadtplanung sollte das altersgemischte Wohnen durch geeignete Maßnahmen stärker fördern.

x

Kennzahlen für die Bedarfsplanung werden in Kapitel 3.2: Stadtbausteine, bezogen auf die unterschiedlichen Nutzungen gegeben.

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2.1.5.1.3 Revitalisierung Die Wiederbelebung brachgefallener Stadtflächen ist keine neue Kategorie stadtplanerischer Maßnahmen, sondern vielmehr ihre Anwendung auf einen speziellen Fall. Ziel der Revitalisierung ist es, Löcher im Stadtnetz mit neuen Nutzungen zu füllen, bzw. ihre Entstehung schon im Vorfeld zu vermeiden. Die erneute Nutzung bereits bebauter Flächen – das sog. Flächenrecycling – trägt dazu bei, den städtischen Bedarf an Erweiterungsflächen zu reduzieren, und ist damit ein Instrument des nachhaltigen Bauens. Die im Vergleich zur Neubauland-Ausweisung komplizierten Rahmenbedingungen eines Stadtumbaus, z.B. mit Alteigentümern, unzweckmäßigen Parzellenzuschnitten oder denkmalwerter Bausubstanz, haben zur Ausbildung spezieller Rechtsinstrumente geführt. Diese werden im Zweiten Kapitel des Baugesetzbuches als „Besonderes Städtebaurecht“ zusammengefasst. Dort unterscheidet man städtebauliche Sanierungsmaßnahmen (§ 136ff., siehe auch Kapitel 2.1.2), städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen (§ 165ff.), Erhaltungssatzung (§ 172ff.) und städtebauliche Gebote (§ 175ff.), z.B. das Baugebot. 2.1.5.2

Kosten stadtplanerischer Maßnahmen

Inwieweit Kosten zum begrenzenden Faktor für die Stadtplanung werden, hängt einerseits von ihrer tatsächlichen Höhe und dem zeitlichen Ablauf ihres Anfalls ab, andererseits von ihrer Finanzierbarkeit. Im Folgenden werden die Kosten stadtplanerischer Maßnahmen nach ihrem Verwendungszweck aufgegliedert. 2.1.5.2.1 Planungskosten Die Mitarbeiter eines Stadtplanungsamtes verursachen Personalkosten, die der allgemeine Kommunalhaushalt zu tragen hat. Wird das Planungspersonal aus Kostengründen reduziert, so führt dies i.d.R. zu verlängerten Planungs- und Genehmigungsabläufen. Die Aufstellung eines Bebauungsplanes kann dadurch mehrere Jahre in Anspruch nehmen, was u.U. ein Investitionshemmnis darstellt. Im extremen Fall werden Bebauungspläne auf Grund des mit ihnen verbundenen Aufwandes nie zur Rechtskraft gebracht. Die Gemeinde begnügt sich dann mit halbfertigen, „planreifen“ Plänen, mit denen eingeschränkt nach § 33 BauGB Baugenehmigungen ausgesprochen werden können. Für extern vergebene Stadtplanungs-Aufträge oder Gutachten sind jedoch operative Mittel zu verwenden. Die Berechnung der entstehenden Planungskosten erfolgt nach HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, weitere Informationen in Kapitel 7.2, Band II). In Zeiten von Haushaltsengpässen kann sich dies zu einem Zwangspunkt für Prozesse der Stadtplanung entwickeln. So kann die Bauleitplanung ins Stocken geraten, weil wegen fehlender Mittel die erforderli-

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chen Gutachten z.B. Landschaftsplanerische Begleitgutachten, Eingriffs-Ausgleichs-Bilanzierung o.ä. nicht eingeholt werden können. An diesem Punkt kann eine privat-öffentliche Kooperation ansetzen, indem vorhabenbezogene Planungen von privater Hand erstellt werden. Dadurch kann die Gemeinde von bis zu 60% der mit der Baurecht-Schaffung verbundenen Aufgaben entlastet werden. Hoheitliche Funktionen können jedoch nicht an Dritte vergeben werden. Diese sind: x

Offenlage, Bürgerbeteiligung Neben der öffentlichen Auslegung, die gemäß § 3, Absatz 2 BauGB „ortsüblich bekannt gemacht“ werden muss, ist auch eine förmliche Bürgerbeteiligung als öffentliche Anhörung durchzuführen.

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Beteiligung der Träger öffentlicher Belange (§ 4 BauGB) Die Anzahl der zu beteiligenden Träger öffentlicher Belange ist abhängig von der Größe einer Gemeinde. Mit steigender Gemeindegröße werden die Ämter stärker ausdifferenziert in Straßenbauamt, Grünflächenamt, Schulbauamt, etc. Jedes Amt verfolgt im Abstimmungsprozess seine spezifischen Interessen, was die Lösungsfindung komplexer und langwieriger werden lässt. Darüber hinaus gehören staatliche Behörden, Unternehmen der Ver- und Entsorgungswirtschaft und auch sog. „Nicht-Regierungs-Organisationen“ wie Naturschutzverbände zu den Trägern öffentlicher Belange.

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Abwägung der Eingaben Alle fristgerecht eingegangenen Anregungen seitens der Bürger und Stellungnahmen seitens der Trägerämter müssen von der Gemeinde geprüft und untereinander abgewogen werden. Punkte, die nicht in die Planung aufgenommen werden, erfordern eine schriftliche Stellungnahme in Form einer „Abwägung“, in der die Anregungen (oder Einwände) den Planzielen gegenübergestellt und bewertet werden. Insbesondere diese Abwägungen sind juristisch überprüfbar.

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Beschlussfassung § 10 BauGB, Abschnitt 1: „Die Gemeinde beschließt den Bebauungsplan als Satzung.“ Nach ggf. erforderlicher Genehmigung durch eine höhere Verwaltungsbehörde wird der Satzungsbeschluss „ortsüblich“ bekanntgegeben. Erst danach hat die Satzung Rechtskraft erhalten: Der Bebauungsplan ist jetzt rechtsverbindlich.

2.1.5.2.2 Grundstückskosten, Baulandbereitstellung Die Kosten für Baulandbereitstellung und Erschließung können für Wohneinheiten einen Anteil an den Gesamtkosten von bis zu 50% erreichen (BRB, S. 6). Sie setzen sich zusammen aus den mit der Bodenordnung und der Erschließung verbundenen Aufwendungen. Im Rahmen der Bodenord-

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nung kann die Gemeinde den Grundstückseigentümern Flächenanteile für die Erschließungs- und Infrastrukturflächen abziehen. Diese Flächenanteile sollten 30% der „eingeworfenen“ Grundstücke nicht übersteigen, können aber auch leicht – entsprechend den Anforderungen des Bebauungsplans – über 40% betragen. Darüber hinaus kann die Gemeinde Teile der Bodenwertsteigerung aus der Baulandumlegung abschöpfen. Einen Rechtsanspruch auf die Durchführung einer Bodenordnung (Umlegungsverfahren) und der Erschließung der Grundstücke haben die Grundstückseigentümer nicht. Die Erschließungskosten werden grundsätzlich nach entstandenem Aufwand von der Gemeinde abgerechnet, allerdings unter relativ komplexen Rahmenbedingungen. Die Gemeinde kann zum Erwerb der erforderlichen Grundstücke auch von ihrem gesetzlichen Vorkaufsrecht (§ 24-28 BauGB) Gebrauch machen, das bei jeder Grundstückstransaktion abgefragt werden muss. Die Marktpreise für Grundstücke bestimmen sich aus dem Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Es liegt im Interesse von Gemeinden, diese Preise auf einem stabilen bis günstigen Niveau zu halten, indem sie das Baulandangebot ausweitet. Auch bei stagnierenden oder schrumpfenden Bevölkerungszahlen dient diese Maßnahme dem Erhalt der Einwohnerzahl, bzw. der Attraktion neuer Einwohner, da der Trend zu sinkenden Haushaltsgrößen den Wohnflächenbedarf weiter steigen lässt. Den Kosten für die Baulandbereitstellung stehen drohende Einnahmeverluste gegenüber, die für jeden abgewanderten Haushalt mit 1.000 - 1.500 Euro im Jahr beziffert werden (vgl. Dransfeld, S. 10). Je nach dem von der Gemeinde eingeschlagenen Weg der Baulandbereitstellung sind die von ihr zu tragenden Kosten unterschiedlich hoch. Betreibt sie eine reine Angebotsplanung, so trägt sie ggf. die entstehenden Kosten des Zwischenerwerbs, die Vorfinanzierung der Ausgleichs– und Ersatzmaßnahmen (§ 135a BauGB), die Vorfinanzierung der Erschließungskosten, die Kosten für Folgeeinrichtungen sowie den nicht umlegbaren Teil der Erschließungskosten (vgl. Kapitel 2.1.5.3.2). Da die Kosten einer Vorfinanzierung eine zeitbezogene Größe darstellen, sind Einsparungen zu erzielen, wenn die damit verbundenen Prozesse in ihrem zeitlichen Ablauf optimiert werden. Die Zwischenerwerbskosten lassen sich reduzieren, wenn sich die Gemeinde die Verfügungsgewalt über Grundstücke z.B. durch Optionsverträge sichert (vgl. Dransfeld, S. 35). Das Risiko, dass nicht alle baureif gemachten Grundstücke zeitnah bebaut werden oder für diese keine Erschließungsbeiträge eingefordert werden können, stellt einen zusätzlichen Kostenfaktor für die Gemeinde dar. Das Gegenstück zur Angebotsplanung stellt die „Developer“-Entwicklung bzw. die Nachfrageorientierte Planung dar. Abhängig vom Inhalt eines möglicherweise zwischen Developer und Kommune abgeschlossenen „Städtebaulichen Vertrages“ (§ 11 BauGB) können bis zu 100% der anfallenden Kosten für städtebauliche Infrastruktur dem privaten Developer übertragen werden.

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Zwischen den genannten Extremen bestehen zahlreiche Übergangsformen, die in Kapitel 2.1.5.3.1: Wertabschöpfung durch Bodenordnung, näher dargestellt werden. 2.1.5.2.3 Baukosten Die Schätzung von Baukosten hat für die Gemeinden einen hohen Stellenwert, da sie die benötigten Mittel in ihrem Haushalt bereitstellen muss. Für den Antrag der Haushaltsmittel wird eine Haushaltsunterlage-Bau (HUBau) erstellt. Sie besteht in einer Kostenberechnung entsprechend DIN 276: Kosten im Hochbau. Die DIN verlangt für eine Kostenberechnung die Ermittlung der voraussichtlichen Baukosten ab Vorentwurfs- oder Entwurfsplanung, gegliedert mindestens bis zur 2. Ebene, d.h. nach Decken, Außen-, Innenwänden, Dach, etc. Abweichend davon wird eine HUBau häufig nach der Bauelemente-Methode berechnet. Dies entspricht der 3. Ebene der Kostengliederung, z.B. wird eine Innenwand weiter untergliedert in tragend, nicht-tragend, Tür- und Fensteröffnung, Bekleidungen, etc. Abgesehen von der Gliederungstiefe hängt die Qualität einer Kostenermittlung maßgeblich von der für das Objekt erreichten Planungstiefe hinsichtlich der architektonischen Details sowie von der Treffsicherheit der verwendeten Kennwerte ab. Zusätzlich zu den privatwirtschaftlichen Kostendatenbanken für den Hoch- und Tiefbau gibt es Datensammlungen verschiedener Architektenkammern, sowie die Datenbanken der öffentlichen Bauverwaltung auf Bundes- und auf Länderebene, welche jedoch nicht frei zugänglich sind. Da Kostenkennwerte nur im Zusammenhang mit den konkret geforderten Standards aussagekräftig sein können, ist es dringend zu empfehlen, diese fallspezifisch vor Ort bei den zuständigen Behörden abzufragen. Die unterschiedlichen Kostendokumentationen und Richtlinien können nur grobe Anhaltspunkte geben. Unterschiede im Standard können u.U. zu Schwankungsbreiten von 100% führen. Beim Vergleich mit privatwirtschaftlichen Kennwerten ist zu beachten, dass die für öffentliche Aufträge verpflichtende Einhaltung der Vergaberichtlinien (VOB Teil A) das Preisniveau beeinflusst. Privatwirtschaftlich mögliche Verhandlungen der Angebote und Pauschalverträge, z.B. über einen „Gesamten Maximalpreis“ (GMP) können um 10-20% niedrigere Baukosten bewirken. Gebäudeleasing ist eine aktuelle Entwicklung, die es den Kommunen erlaubt, öffentliche Gebäude erstellen zu lassen, ohne die volle Höhe der Herstellungskosten in den Haushalt einstellen zu müssen. Stattdessen werden laufende Leasingraten bezahlt, die je nach Vertrag auch die Betriebskosten beinhalten. Analog zur üblichen Kreditfinanzierung werden auch hier Kosten auf zukünftige Haushalte verschoben. Rationalisierungseffekte durch das private Bauen und Betreiben können jedoch für die Gemeinde von Vorteil sein.

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2.1.5.2.4 Folgekosten für Unterhalt und Betrieb Die Folgekosten einer sozialen Einrichtung übersteigen i.d.R. ihre Baukosten bereits nach wenigen Jahren. Dafür sind in erster Linie die Kosten für das Betriebspersonal verantwortlich. Auch wenn die Gehälter für im Gebäude tätiges Personal beiseite gelassen werden und man nur die gebäudebezogenen Kosten für Reinigung, Energie, Instandsetzung etc. betrachtet, summieren sich diese zum Ende des Lebenszyklus eines Gebäudes auf ein Mehrfaches der anfänglichen Herstellungskosten. Allein für die Bauunterhaltung wird gewöhnlich mindestens 1% des Neubauwertes pro Jahr angesetzt. Entsprechend ihrer Verpflichtung zu wirtschaftlichem Handeln (§ 65 Haushaltsgrundsätzegesetz, HGrG) sollten die Kommunen daher die Folgekosten von Infrastrukturmaßnahmen mit in ihre Entscheidungsprozesse integrieren. Eine ganzheitliche Optimierung von Gebäuden über ihren Lebenszyklus hinweg kann durch die Berechnung von Lebenszykluskosten insbesondere in der Planungsphase erreicht werden. Dazu werden sämtliche während der Lebensdauer der Anlage anfallenden Kosten auf einen Bezugszeitpunkt hin diskontiert (auf- bzw. abgezinst). Das Resultat unterstützt die Auswahl der langfristig vorteilhaftesten Planungsalternative. Die Erneuerung von technischer Infrastruktur ist gemäß dem Kommunalabgabengesetz (KAG) teilweise umlagefähig: § 11 KAG erlaubt die Erhebung von Beiträgen für Um- und Ausbau von Straßen, Wegen und Plätzen. Abhängig vom Anteil des Nutzens für die Allgemeinheit, der bei Anliegerstraßen niedriger und bei überörtlichen Durchgangsstraßen höher angesetzt wird, dürfen nach Fertigstellung (auch von Teilabschnitten) bis zu 75% der Kosten per Satzung von den „dauerhaft begünstigten“ Grundstückseigentümern erhoben werden. Dieser Weg wird jedoch selten von den Kommunen beschritten, da er wie ein zweiter Erschließungsbeitrag wirkt und deshalb höchst unpopulär ist. In Fragen der öffentlichen Versorgung mit Dienstleistungen wie öffentlicher Nah- und Fernverkehr, Wasser, Strom, Telefon, etc. hat i.d.R. erst seit den Vorschriften der Europäischen Union zum Abbau von Wettbewerbshemmnissen ein Umdenken stattgefunden. Nach Jahrzehnten der öffentlichen Leistungserbringung werden diese Versorgungsleistungen für den Wettbewerb geöffnet. Dies widerspricht nicht dem öffentlichen Auftrag der Daseinsvorsorge, solange die öffentliche Hand für Rahmenbedingungen sorgt, die eine sozial-gerechte Versorgung gewährleisten (vgl. Gegner, S. 24). Durch eine schrumpfende Bevölkerung und bundesweite Migration bedingt, kann auf die Gemeinden eine neue Art von Folgekosten zukommen: Rückbaukosten. Anhaltender Wohnungsleerstand führt in Kommunen, die verstärkt von Abwanderung betroffen sind, zu akutem Handlungsbedarf. Leerstand produziert nicht nur Kosten, er kann auch den Eindruck von Verwahrlosung nach sich ziehen und damit dem Migrationsprozess weiteren Anschub geben. Da-

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her gibt es zunehmend Initiativen für eine Wohnumfeldverbesserung durch partiellen Abriss bzw. Umbau insbesondere in Hochhaussiedlungen. Eine Orientierung über die Größenordnungen der einzelnen Kostenarten bei der Bereitstellung von Bauland gibt Abbildung 16.

Baulandbereitstellung: Aufteilung der Kosten am Beispiel eines größeren Wohngebietes innere ErschließungGrundstücksbereich 2%

innere Erschließungöffentlicher Bereich 20%

äußere Erschließung 16%

öffentliche Folgeeinrichtungen 62%

Quelle: eigene Darstellung nach Dransfeld 2003, S. 32

Abbildung 16: Kosten der Baulandbereitstellung am Beispiel eines größeren Wohngebietes 2.1.5.3

Finanzierungsmöglichkeiten

Bei der Finanzierung städtebaulicher Maßnahmen sind die Kommunen einerseits an gesetzliche Vorgaben gebunden aus BauGB und KAG, andererseits eröffnen sich neue Möglichkeiten der Mischfinanzierung durch eine verstärkte öffentlich-private Zusammenarbeit. 2.1.5.3.1 Wertabschöpfung durch Bodenordnung Der Wert eines Grundstücks ist abhängig von seinem Entwicklungszustand. Idealtypisch folgt die Entwicklung von unbebauten Grundstücken einem Prozess, der vom Ödland zur baureifen Parzelle führt (vgl. Focke et al., Band I, 3. Auflage, Kapitel 2.2; im Folgenden: Kurzfassung von Kapitel 2.2).

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Ödland: Unter Ödland oder Unland versteht man Flächen, die vom Menschen weder baulich noch für Zwecke der Land- und Forstwirtschaft genutzt werden können, nur eine jagdliche Nutzung ist möglich.

x

Agrarland sind laut § 4 Abs. 1 WertV Flächen der Land- und Forstwirtschaft, die in absehbarer Zeit nur diesen Zwecken dienen werden. Agrarland entsteht aus Ödland durch die „Urbarmachung“. Welche Flächen land- und forstwirtschaftlich nutzbar sind, hängt maßgeblich vom Stand der Technik ab.

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Begünstigtes Agrarland sind Flächen der Land- und Forstwirtschaft, die auch für andere Nutzungen geeignet sind (§ 4, Abs. 1, Nr. 2 WertV). Oft zeichnen eine gute Verkehrsanbindung und die Nähe zu Siedlungsgebieten diese Flächen aus.

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Bauerwartungsland (§ 4, Abs. 2 WertV): Darunter versteht man Flächen, die in absehbarer Zeit eine bauliche Nutzung erwarten lassen. Vor allem eine Darstellung im Flächennutzungsplan, das Planungsverhalten der Gemeinde oder die allgemeine städtebauliche Entwicklung des Gemeindegebiets sind Indizien, die eine Bauerwartung begründen können.

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Rohbauland (§ 4, Abs. 3 WertV) bezeichnet Flächen, die nach §§ 30, 33 oder 34 BauGB für eine bauliche Nutzung bestimmt sind. Zwar liegt für das Gebiet ein Bebauungsplan vor, jedoch ist entweder die Erschließung des Grundstücks nicht gesichert, oder Lage, Form oder Größe stehen einer Bebauung noch entgegen. Der Wert orientiert sich an dem baureifer Flächen, abzüglich ggf. noch aufzuwendender Beiträge (Flächenanteile, Geld) im Rahmen einer Bodenordnung bzw. der Erschließung und abzüglich eines Risikoabschlags für verbleibende Planungsunsicherheiten und Abzinsungen für die erwartete Dauer bis zur endgültigen Baureife.

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Baureifes Land (§ 4, Abs. 4 WertV) kann nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften bebaut werden.

Die in Abbildung 17 angegebenen Prozentzahlen, die den Wert von Flächen auf einer bestimmten Entwicklungsstufe im Verhältnis zum Wert der baureifen Fläche (100%) beziffern, sind als grobe Orientierungswerte zu verstehen (vgl. Focke et al., Band I, 4. Auflage, Kapitel 2.2). Aus den Wertunterschieden zwischen Bauerwartungsland und baureifem Land generiert sich die Wertschöpfung durch Baulandentwicklung. Die Kommune hat an dieser Aufwertung den entscheidenden Anteil dank der Ausübung ihrer hoheitlichen Funktionen, d.h. durch das Beschließen eines Bebauungsplanes als Satzung, die Durchführung der Bodenordnung und die Erschließung. Je nachdem ob sie Eigentümerin der betroffenen Grundstücke ist, ob sie selbst oder durch einen Eigenbetrieb/Treuhänder als Zwischenerwerber auftritt oder dies durch private Investoren ge-

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schieht, ergeben sich für die Gemeinde unterschiedliche Finanzierungsmöglichkeiten und Finanzierungsrisiken. Die zugehörigen Verfahrenswege werden im Folgenden erläutert:

Quelle: Focke et al. 2004, S. 147

Abbildung 17: Wertentwicklung von Grundstücken x

Kommune ist/wird Eigentümer

Der Zwischenerwerb durch die Kommune – alternativ durch einen für die Grundstücksentwicklung gegründeten Eigenbetrieb/Treuhänder – erfolgt idealerweise zu einem möglichst frühen Zeitpunkt, z.B. noch vor der Flächenwidmung im Flächennutzungsplan, d.h. vor der Wertsteigerung vom begünstigten Agrar- zum Bauerwartungsland. Beim späteren Verkauf der baureifen Grundstücke besteht die Möglichkeit, die angefallenen Kosten für die städtebauliche Infrastruktur aus der realisierten Wertsteigerung der Grundstücke zu finanzieren. Ein separater Erschließungskostenbeitrag wird nicht erhoben. Der Betrieb der Folgeeinrichtungen ist dagegen i.d.R. aus Haushaltsmitteln zu bestreiten. Ähnlich verhält es sich bei Städtebaulichen Entwicklungs-Maßnahme (SEM) nach § 165ff BauGB. Sie gelten als „ultima ratio“ der Stadtplanung. Da sie einen weitgehenden Eingriff in die Rechte der Eigentümer darstellt, darf sie nur angewendet werden, wenn ein besonderer Bedarf bzgl. des entsprechenden Baulandes besteht, eine zügige Durchführung gewährleistet ist und andere Ver-

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fahren z.B. der freihändige Erwerb oder ein städtebaulicher Vertrag nicht eingesetzt werden können. Die Differenz zwischen dem entwicklungsunbeeinflussten Anfangswert, den die Alteigentümer als Kaufpreis erhalten, und dem Endwert in Höhe des Verkehrswertes darf von der Kommune zur Finanzierung sämtlicher entstehender Kosten verwendet werden. Ein möglicher Gewinn muss an die ehemaligen Eigentümer verteilt werden (§ 171 BauGB). x

Einige (wenige) Private sind/werden Eigentümer

Die sog. Developer-Entwicklung setzt voraus, dass der Private durch Ankauf, Kaufoption oder Verfügungsvollmacht über die betroffenen Grundstücke verfügen kann. Die Kommune kann diesen Developer im Rahmen eines Städtebaulichen Vertrages oder eines Erschließungsvertrages mit der Herstellung der städtebaulichen Infrastruktur auf seine Kosten beauftragen. Je nach Vertragsgestaltung kann darin auch der Bau von Folgeeinrichtungen beinhaltet sein. § 11 BauGB begrenzt die möglichen Leistungsvereinbarungen mit dem Kriterium der „Angemessenheit“ (vgl. 2.1.5.2). Die Gemeinde verpflichtet sich zumeist, im Gegenzug das entsprechende Bauplanungsrecht zu schaffen. Die späteren Baulandpreise beinhalten in diesem Falle nicht nur die Kosten der Baulandbereitstellung sondern auch den Unternehmergewinn. x

Vielzahl privater Eigentümer

Wenn die bestehende Gestaltung der Grundstücke hinsichtlich ihrer Lage, Form oder Größe eine Verwirklichung des Bebauungsplans nicht zulassen, kann ein Umlegungsverfahren von der Gemeinde beschlossen werden. Bei der amtlichen Umlegung (§ 45ff. BauGB) werden von der Gesamtheit der Grundstücke im Umlegungsgebiet, der sog. „Umlegungsmasse“, Verkehrsflächen und Flächen für Parkierung, Grünanlagen, Spielplätze, Kindergärten, Schulen, ökologische Ausgleichsflächen und Emissionsschutzanlagen abgezogen (§ 55 BauGB). Anlass zu Konflikten kann hierbei der maximale Anteil an der Gesamtfläche ergeben, der für den öffentlichen Bedarf eingezogen wird. Ein Wert von maximal 30-40% wird empfohlen (vgl. BRB, S. 6). Die verbleibende Fläche, die sog. „Verteilungsmasse“ wird unter den Eigentümern nach Werten oder nach Flächen verteilt. Über diese Flächenabschöpfung kann die Gemeinde auch in einem Umlegungsverfahren Anteile der wirtschaftlichen Wertsteigerung abschöpfen. Dies ist allerdings nur bis maximal zum gutachterlich festgestellten Endwert (Verkehrswert des baureifen Landes) möglich. Die Kosten für Folgeeinrichtungen trägt der Gemeindehaushalt. Die freiwillige Umlegung verknüpft die Vorteile des Städtebaulichen Vertrages mit den Regelungen der amtlichen Umlegung. In dem frei verhandelbaren Vertrag kann auch eine „Übernahme von Folgekosten durch die Grundstückseigentümer vereinbart werden.“ (Dransfeld, S. 19). Eine Überleitung der freiwilligen Umlegung in ein amtliches Umlegungsverfahren ist möglich, bietet darüber hinaus den Vorteil der Befreiung von der Grunderwerbsteuer (Dransfeld, S. 20).

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2.1.5.3.2 Erschließungsbeiträge Die verauslagten Kosten zur Herstellung von Erschließungsanlagen kann die Gemeinde von den Eigentümern der erschlossenen Grundstücke gemäß den gesetzlichen Regelungen im BauGB §§ 123-135 zurückverlangen. Erschließungsanlagen nach § 127 BauGB sind die „öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen, Wege und Plätze, incl. nicht befahrbarer Fuß- und Wohnwege, sowie Sammelstraßen innerhalb der Baugebiete, Parkflächen, Grünanlagen und Immissionsschutzanlagen. Als Erschließungsaufwand gilt der „Erwerb und die Freilegung der Flächen“ sowie die „erstmalige Herstellung“ der Erschließungsanlagen (§ 128 BauGB). Dazu zählt auch der Wert von Flächen, die aus dem Vermögen der Gemeinde bereitgestellt wurden. Kosten für Brücken, Tunnels und Unterführungen wie auch für Ortsdurchfahrten von Landes- oder Bundesstraßen gehören nicht zum Erschließungsaufwand. Als Verteilungsmaßstab können „Art und Maß der baulichen oder sonstigen Nutzung“, die „Grundstücksflächen“, die „Grundstücksbreite“ oder eine Mischung der verschiedenen Maßstäbe verwendet werden (§ 131 BauGB). Durch Satzung legt die Gemeinde alle kostenbedingenden Parameter fest. Grundsätzlich ist eine Gemeinde zur „kostengünstigen“ Herstellung von Erschließungsanlagen verpflichtet (§ 123 BauGB). Darüber hinaus hat sie ein eigenes Interesse an einem effektiven Mitteleinsatz, da sie nach § 129 BauGB mindestens 10% des beitragsfähigen Erschließungsaufwandes selber tragen muss. Das Bundesbauministerium hat in seiner 1998 herausgegebenen Studie über „Kostensenkung bei der Erschließung und Bereitstellung von Wohnbauland“ (BRB 1998, S. 21ff) folgende Maßnahmen zur Kostendämpfung vorgeschlagen: x

Auswahl eines geeigneten Grundstücks: Eine ungünstige Topographie, anstehendes Grundwasser und mögliche Altlasten können die Erschließungskosten überproportional erhöhen.

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Nutzung bestehender Infrastruktur: Durch Flächenrecycling und Nachverdichtung können vorhandene Erschließungsanlagen intensiver genutzt werden.

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Effizienz der Erschließung: Flächensparendes Bauen und beidseitig angebaute Straßen tragen dazu bei, das Verhältnis zwischen Nettobauland und Flächen für den öffentlichen Bedarf zu optimieren. Jeder Fachbereich hat darüber hinaus spezifische Ansätze: Hoch- und Tiefbau können durch Bodenmanagement, z.B. indem sie Aufschüttungen und Abgrabungen vorsehen, die Masse des zu bewegenden Erdreichs und den Abraum begrenzen. Versickerungsflächen reduzieren das Abwasservolumen und damit die erforderlichen Kanalarbeiten, etc.

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Planungsmanagement: Erst die Koordinierung aller betroffenen Fachbereiche bereits im Anfangsstadium einer Planung ermöglicht die Ausnutzung aller Effektivitätspotentiale durch frühzeitige Integration in den Planungsprozess. Eine frühzeitige Einbindung von Bauinteressenten verbessert zusätzlich die späteren Vermarktungschancen der erschlossenen Grundstücke.

Erschließungskosten sind abzugrenzen gegen Anschlusskosten. Diese werden separat erhoben für die Hausanschlüsse von Strom, Wasser/Abwasser, Gas, Telefon, etc. 2.1.5.3.3 Fördermittel Auf Bundes- und auf Länderebene gibt es eine große Zahl von Förderprogrammen. Förderungsfähig sind alle Infrastrukturmaßnahmen, die nicht zum Erschließungsaufwand gerechnet werden dürfen. Grundsätzlich gilt, dass die Bauausführung nicht vor Erteilung der Förderzusage begonnen werden darf. Eine Umgehung dieser Bedingung ist möglich durch einen sog. Vorsorgebescheid, den die Förderstelle, z.B. das jeweilige Land, ausstellt. Dieser ermöglicht einen vorgezogenen Baubeginn, ohne dass die prinzipielle Förderfähigkeit verloren geht. Es besteht für die Gemeinde in diesem Fall jedoch kein Rechtsanspruch auf eine spätere tatsächliche Förderung des begonnenen Vorhabens. Hier einige Beispiele: Qualifizierte Straßen können von Bund und Land nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungs-Gesetz gefördert werden. Überregionale Verbindungen erhalten möglicherweise auch EU-Förderung, z.B. für den Bau von Brücken. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) vergibt seit Anfang 2003 auch zinsverbilligte Kredite für den Stadtumbau Ost zur Aufwertung und zum Abriss von Wohnungen. 2.1.5.3.4 Haushaltsmittel Zum Jahrtausendwechsel hat sich die kommunale Haushaltssituation erneut dramatisch verschärft. Gründe dafür sind einerseits sinkende Einnahmen durch eine negative Konjunkturentwicklung wie auch – insbesondere in den Kernstädten – die Abwanderung der Steuerzahler in das nahegelegene Umland. Andererseits stiegen die Ausgaben durch Aufgabenverlagerung von Bund und Ländern auf die Gemeinden. So haben die Kommunen wegen andauernder Arbeitslosigkeit steigende Ausgaben für Sozialhilfe zu tragen. Alle Kosten für stadtplanerische Maßnahmen, die nicht durch Bodenordnung, Erschließungsbeiträge oder Fördermittel finanziert werden können, müssen in den Haushalt eingestellt werden. Dabei wird unterschieden zwischen dem Verwaltungshaushalt, der für den Betrieb und den Unterhalt von Infrastruktur und Folgeeinrichtungen aufkommen muss, und dem Vermögenshaushalt, der für investive Ausgaben zuständig ist. Planungsmittel, auch für externe Gutachten müssen

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aus dem Verwaltungshaushalt finanziert werden. Sie können nur dann in den Vermögenshaushalt umgebucht werden, wenn sie direkt einem Objekt zugeordnet werden können, das sich tatsächlich im Bau befindet. Da die vorhandenen Investitionsmittel den Gemeinden nur noch einen geringen Handlungsspielraum ermöglichen, werden zunehmend private Partner für die Realisierung öffentlicher Bauaufgaben gesucht. 2.1.5.3.5 Öffentlich-private Zusammenarbeit

Quelle: eigene Darstellung nach Dransfeld 2003, S. 32

Abbildung 18: Refinanzierung der Baulandbereitstellung mit städtebaulichen Verträgen Voraussetzung für eine erfolgreiche öffentlich-private Zusammenarbeit ist das partnerschaftliche Anerkennen der unterschiedlichen Zielsetzungen. Während die öffentliche Hand die wirtschaftlichen Interessen des Privaten nicht nur akzeptieren, sondern auch fördern sollte, obliegt es dem In-

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vestor, die Förderung des Gemeinwohls durch die öffentliche Hand nicht nur als lästiges Übel, sondern als wesentlichen Vertragsinhalt zu betrachten. Nur wenn ein gegenseitiger Nutzen realisiert werden kann (Win-win-Situation), lässt sich die öffentlich-private Zusammenarbeit konstruktiv gestalten (vgl. Kochendörfer, S.382). Eine besondere Form dieser Zusammenarbeit stellt die sog. Public-Private-Partnership (PPP) dar. Bei dieser Form der Partnerschaft werden i.d.R. die aus dem gemeinsam betriebenen Vorhaben entstehenden (wirtschaftlichen) Chancen und Risiken von beiden Partnern getragen (vgl. Kapitel 2.1.5.2). Abbildung 18 zeigt am Beispiel eines größeren Wohngebietes, welche Kostenanteile der Baulandbereitstellung durch städtebauliche Verträge auf private Investoren übertragen werden könnten. Die Gesamtsumme der Kosten setzt sich aus verschiedenen Kostenarten zusammen. An den Kosten für öffentliche Folgeeinrichtungen wie z.B. Schule, Kindertagesstätte, Sportplatz, Kirche, etc., mit einem Anteil von ca. 62% der Gesamtkosten, kann der Developer neben Land, Gemeinde und Kirche/Wohlfahrtsverbänden mit bis zu 39% beteiligt werden. Die äußere Erschließung bezeichnet örtliche und überörtliche Straßen. Die innere Erschließung, d.h. die Straßen innerhalb des Planungs- bzw. Baugebietes können vollständig privat finanziert werden. Damit kann sich der privat zu finanzierende Anteil an den Gesamtkosten der Baulandbereitstellung auf 69% addieren. 2.1.5.4

Ausblick

Nach einer Definition stadtplanerischer Maßnahmen wurden die Parameter für die entstehenden Kosten und ihre Finanzierung erörtert. Trotz der finanziellen Engpässe in vielen Gemeindehaushalten kann – aufgrund der stets wachsenden Wohnfläche pro Kopf – auf eine aktive Stadtentwicklungsplanung nicht verzichtet werden, wenn die Kommune ihre Einwohner auf Dauer halten, wenn nicht gar vermehren möchte. Dazu kann die Gemeinde ihren Anteil an der Wertschöpfung bei der Baulandentwicklung einsetzen, den sie durch die Ausübung ihrer hoheitlichen Funktionen erwirtschaftet.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.1.5 BauGB: Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004. BauNVO: Baunutzungsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 1990. BRB Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.): Kostensenkung bei der Erschließung und Bereitstellung von Wohnbauland, Bonn 1998. DIN 276: Kosten im Bauwesen - Teil 1: Hochbau, 11/2006. DIN 277: Grundflächen und Rauminhalte von Bauwerken im Hochbau, 2/2005. Dransfeld, E.: Wirtschaftliche Baulandbereitstellung, Bonn 2003. Focke, C./Pelzeter, A./Schulz-Eickhorst, A.: Art und Maß der baulichen Nutzung, in: Immobilienökonomie Band I, Schulte (Hrsg.), 4. Aufl., München 2008, S.141-165. Gassner,E./ Thünker, H.: Die technische Infrastruktur in der Bauleitplanung, Berlin 1996. Gegner, M.: Nahverkehr als kommunale Leistung, in: WZB-Mitteilungen 97, September 2002. Grundgesetz: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, vom 23. Mai 1949, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29. Juli 2009. HGrG: Haushaltsgrundsätzegesetz vom 19. August 1969, zuletzt geändert in 2009. HOAI: Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, in der ab 11. August 2009 gültigen Fassung. Institut WAR: Institut für Wasserversorgung und Grundwasserschutz, Abwassertechnik, Abfalltechnik, Industrielle Stoffkreisläufe, Umwelt- und Raumplanung, Technische Universität Darmstadt, Fachgebiet Umwelt- und Raumplanung: www.iwar.bauing.tu-darmstadt.de, Lehre Kapitel 12: Kommunale Infrastruktur 2003. KAG: Kommunalabgabengesetz, wird jeweils von den Bundesländern erlassen. Kochendörfer, B.: Public Private Partnership bei baulichen Anlagen, in: Planen – Bauen – Umwelt, Henckel D. (Hrsg.), Wiesbaden 2010, S. 382-385. PlanzV: Planzeichenverordnung 1990 vom 18. Dezember 1990. VOB Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen, Ausgabe 2006.

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2.2 Gegenstände der Stadtplanung

2.2.1

Siedlungsplanung

123

Herbert Kallmayer

2.2.2

Gewerbeplanung

147

Gerd Hennings, Monika Dobberstein

2.2.3

Freiraumplanung

173

Christiane Ziegler-Hennings mit Gisela Schulte-Daxbök

2.2.4

Verkehrsplanung

205

Michael Krautzberger, Peter Runkel

2.2.5

Planung der Versorgung und Entsorgung

Karlheinz Jacobitz

235

119

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2.2.1

Siedlungsplanung

123

Herbert Kallmayer 2.2.1.1 Einführung 2.2.1.2 Entwicklungslinien in der Siedlungsplanung 2.2.1.3 Einfamilienhausbebauung und Flächenverbrauch 2.2.1.4 Kosten- und flächensparende Wohngebiete 2.2.1.5 Siedlungsmodelle Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.2.1

123 124 133 135 139 144

121

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2.2.1

123

Siedlungsplanung

Herbert Kallmayer 2.2.1.1

Einführung

„Moderner Siedlungsbau ist nachhaltiger Städtebau“. Dieser Forderung nach Qualität und Innovation muss sich die Stadtentwicklung heute mehr denn je stellen. Soziale, ökologische und wirtschaftliche Ansprüche sind in einem Maße gestiegen, dass sie mit herkömmlichen Konzepten immer weniger zu befriedigen sind. Wohnungswirtschaft, politische Entscheidungsträger und Planer stehen vor der Aufgabe, mit innovativen Lösungen die berechtigten, aber auch im Widerspruch zueinander stehenden Forderungen nach Umweltverträglichkeit, nach einem breiten, bezahlbaren Angebot für unterschiedliche Wohnbedürfnisse und nicht zuletzt nach Finanzierbarkeit zur Deckung zu bringen. Dabei eröffnet sich zwangsweise ein weiteres Spannungsfeld zwischen den Polen „Innovation“ und „Marktgängigkeit“, denn das Neue hat nicht von vorneherein einen Markt. Im Gegenteil: Oft bedarf es kräftiger Anschubhilfen, damit neue, ungewohnte Lösungen erstmals realisiert werden und sich später am Markt durchsetzen können. Diese Problemstellung ist nicht neu. Wohn-Siedlungsplanung umfasst in Deutschland - nach Aufgabe der mittelalterlichen, barocken und klassizistischen Stadtbefestigungen - eine Zeitspanne von etwa 150 Jahren, in denen die Städte nach sehr unterschiedlichen Leitbildern erweitert und später auch umgebaut wurden. Die Entwicklung reicht vom gründerzeitlichen Geschosswohnungsbau und den Villenkolonien des 19. Jahrhunderts über die Gartenstädte und Großsiedlungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis hin zu Vorstädten und Trabantenstädten der Nachkriegszeit und schließlich den sich ausbreitenden, in großem Umfang die Fläche beanspruchenden Einfamilienhausgebieten jüngerer Prägung. Obwohl sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Rahmenbedingungen für den Siedlungsbau mehrfach grundlegend geändert haben, sind doch einige durchgängige Entwicklungslinien zu erkennen. So hat das Ziel, auch für weniger Privilegierte angemessenen Wohnraum zu schaffen, den Siedlungsbau des gesamten vergangenen Jahrhunderts getragen. Auch die Notwendigkeit, mit der Ressource Boden wirtschaftlich umzugehen, ist zu verschiedenen Zeiten ablesbar – wenn auch mit unterschiedlichen Lösungsansätzen. Einige davon werden heute als Irrwege eingestuft, andere haben in ihrer Aktualität erstaunlich wenig eingebüßt. Siedlungsbau ist folglich keineswegs immer neu zu erfinden. Es geht heute mehr denn je darum, Entwicklungslinien zu erkennen und unter den heutigen Rahmenbedingungen so fortzuführen, dass daraus langfristig tragfähige Konzeptionen entstehen. Dafür gibt es bemerkenswerte aktuelle Beispiele. Je überzeugender sich die darin verwirklichten Ideen bewähren, desto größer ist die Chance, dass sie sich auch bei künftigen Pro-

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jekten in dem komplexen Wirkungsgeflecht zwischen Architektur, Städtebau, Nutzeransprüchen und Bauwirtschaft durchsetzen. 2.2.1.2

Entwicklungslinien in der Siedlungsplanung

Die fortschreitende Industrialisierung und der starke Anstieg der Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gingen mit einem sprunghaften Wachstum der Städte einher. Neue Stadtteile mit stark verdichtetem Geschosswohnungsbau, aber auch zahlreiche Villenkolonien für das Bürgertum erweiterten die Siedlungsflächen deutscher Großstädte um ein Vielfaches. Getragen von der Kritik an den teilweise völlig unzureichenden Wohnverhältnissen in den Mietskasernen setzte um die Jahrhundertwende eine starke sozialreformerische Gegenbewegung zu dem Städtewachstum der Gründerzeit ein.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 19: Lageplan der Gartenstadt Hellerau bei Dresden

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Gartenstädte Die in England von Howard in „To-Morrow: A Peaceful Path to Real Reform“ (1898) und „Garden Cities of To-Morrow“ (1902) als Gegenentwurf zur Großstadt entwickelten Konzeptionen für „Gartenstädte“ wurden nun auch in Deutschland aufgegriffen. „Eine Gartenstadt ist eine planmäßig gestaltete Siedlung auf wohlfeilem Gelände, das dauernd im Obereigentum der Gemeinschaft … erhalten wird, derart, dass der Wertzuwachs der Gemeinschaft gesichert bleibt. Diese soziale und wirtschaftliche Grundlage bringt und erhält der neu entstehenden Stadt auch den Garten – selbst für den Minderbemittelten –, macht sie zur Gartenstadt.“ (Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft, 1911, vgl. Reinborn, S. 71f.). Als herausragendes Beispiel gilt die Hellerau bei Dresden (vgl. Abbildung 19), die 1908 als erste deutsche Gartenstadt gegründet wurde (Architekt: Riemerschmid). Sie entwickelte sich mit ihrer räumlich differenzierten Anlage schnell zum Vorbild zahlreicher weiterer Gartenstadt-Gründungen in ganz Deutschland. Zeilen von „Kleinhäusern“, die von einer Baugenossenschaft an ihre Mitglieder vermietet wurden, bilden in Hellerau geschwungene Straßen- und Platzräume aus; freistehende „Landhäuser“ auf größeren Parzellen ergänzen die städtebauliche Anlage.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 20: Lageplan der Römerstadt in Frankfurt

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Neues Bauen Die Wohnungsnot nach dem 1. Weltkrieg zwang dazu, für breite Bevölkerungskreise schnell preiswerten, gesunden Wohnraum zu schaffen. Knüpften die neuen Siedlungen der 20er Jahre zunächst noch an frühere Gartenstadt-Konzeptionen an, wurden die Neugründungen bald nach wirtschaftlichen und hygienischen Gesichtspunkten weiter optimiert und später in reiner Zeilenbebauung errichtet. Meilensteine sind die Siedlungen des „Neuen Frankfurt“ von May aus den Jahren 1925-1932. Am Ende dieses städtischen Wohnungsbauprogramms wohnten über 10% der Frankfurter Bevölkerung in den neuen Stadtteilen. Die wohl bekannteste dieser Siedlungen ist die 1.200 Wohnungen zählende Römerstadt (vgl. Abbildung 20). Lange Reihenhauszeilen bilden zusammen mit Geschossbauten an den Rändern der Siedlung zum Abschluss nach Osten hin geschwungene, ansonsten geradlinige Straßenräume aus. Dem Ziel, kostengünstigen Wohnraum mit hohem Gebrauchswert zu schaffen, entsprechen die serielle Bauweise mit Flachdächern, die nach funktionalen Gesichtspunkten entworfenen Wohnungsgrundrisse und die Ausstattung mit Zentralheizung, Bad und der (nach ergonomischen Grundsätzen entwickelten) „Frankfurter Küche“ der Architektin Schütte-Lihotzky - alles dies Elemente des „Neuen Bauens“.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 21: Lageplan der Siedlung Dammerstock in Karlsruhe Als weitere „Klassiker der Moderne“ gelten die Berliner Siedlungen Britz („Hufeisensiedlung“, 1925-1931) und „Onkel Toms Hütte“ (1926-1932) der Architekten Taut und Wagner sowie die „Siemensstadt“ von Scharoun und Wagner (1929-1932). Die Siedlung Dammerstock in Karlsruhe

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(1928-1929, Architekten: Gropius und Haesler, vgl. Abbildung 21) markiert mit ihrer – später teilweise in Doppelhäuser aufgelösten – reinen Zeilenbebauung einen typologischen Endpunkt bei der Anlage von Großsiedlungen der 20er Jahre. Mit den nach der Weltwirtschaftskrise 1929 errichteten Kleinsiedlungen und den Heimstättensiedlungen des Dritten Reiches fand das „Neue Bauen“ ein jähes Ende. Die „aufgelockerte Stadt“ Bei den im 2. Weltkrieg zerstörten deutschen Städten stellte sich zum einen die Frage nach „Wiederaufbau“ oder „Neuordnung“ des alten Stadtgrundrisses. Zum anderen machte die Wohnungsnot – die Verluste an Wohnraum betrugen in den Großstädten bis zu 70% – große Neubausiedlungen am Stadtrand erforderlich. Diese Aufgabe wurde auch als Chance verstanden, neuen (teilweise bereits in den 40er Jahren entworfenen) Leitbildern zu folgen und daraus zeitgemäße Siedlungs- und Stadttypen zu entwickeln. Drei epochemachende Bücher stehen für diese Konzepte: Reichows „Organische Stadtbaukunst. Von der Großstadt zur Stadtlandschaft“ aus dem Jahr 1948 und „Die autogerechte Stadt“ von 1959 (nach Einschätzung des Autors selbst ein missverständlicher Titel für die Idee einer „Autostadt nach menschlichem Maßstab“) sowie „Die gegliederte und aufgelockerte Stadt“ von J. Göderitz, R. Rainer und H. Hoffmann aus dem Jahr 1957. Reichow konnte seine Ideen einer in Nachbarschaften gegliederten, organisch geformten und autogerechten Stadtlandschaft zwischen 1956 und 1965 mit der „Sennestadt“ bei Bielefeld (vgl. Abbildung 22) umsetzen. Auf 400 ha wurde eine eigenständige Siedlung realisiert – ursprünglich mit 2.000, im Endausbau mit 6.000 Wohnungen für 25.000 Einwohner –, die sich in einen bewussten Gegensatz zur historischen, kompakten Stadt stellt. Ausgehend von einer „grünen Mitte“ verästeln sich zwei Haupterschließungsstränge nach Norden und zwei kleinere Stränge nach Süden. Die parallel gereihten Hauszeilen sind überwiegend senkrecht oder leicht schräg zu den Erschließungsstraßen gestellt, so dass sich die Bebauung kammartig mit den rückwärtigen Grünbereichen verschränkt. Diese laufen in breiten Grünzügen zusammen, in denen auch das vom Fahrverkehr getrennte Fußwegenetz verläuft. Aber nicht nur an den Stadträndern, sondern auch auf innerstädtischen Flächen fanden die neuen Leitbilder ihren Niederschlag. Ein weithin bekanntes Beispiel ist das Hansaviertel in Berlin, das – im Krieg nahezu vollständig zerstört – 1953-1958 im Rahmen der „Interbau“ unter Beteiligung von rund 50 Architekten (u. a. Gropius, Aalto) neu entworfen wurde (vgl. Abbildung 23). An Stelle des alten Stadtgrundrisses mit Straßenraster, Block und Parzellen wurde ein Stadtteil in „lockerer Bauweise“ (so die damalige Diktion) mit Wohnhochhäusern und geschwungenen Straßen in einem parkartigen Gelände realisiert. Erstaunlich ist, dass sich mit der neuen Konzeption die Geschossflächenzahl trotz Hochhausbebauung von 2,2 auf 0,9 reduzierte.

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100 m Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 22: Lageplan Sennestadt bei Bielefeld Aus der Liste von bemerkenswerten Siedlungen der Nachkriegszeit ragen die Parkwohnanlage München-Bogenhausen (1954-1956, Architekt: Ruff), die Gartenstadt Vahr in Bremen (1955-1959, Architekt: May) und die Wohnsiedlung Charlottenburg-Nord in Berlin (1956-1960, Architekt: Scharoun) hervor. Der Stadtteil Nürnberg-Langwasser (1. Abschnitt 1956-1960, Architekt: Reichel) spiegelt – ähnlich wie die Gropiusstadt in Berlin – mit seinen weiteren Bauabschnitten über 40 Jahre Siedlungsplanung in Deutschland mit einer Fülle unterschiedlicher Bauformen und Bauprogramme wider.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 23: Lageplan Hansaviertel in Berlin (vor der Zerstörung und Neukonzeption der "Interbau") Urbanität und Dichte Mit einer neuen Generation von Siedlungen fand in den 60er Jahren ein Paradigmenwechsel statt. Bestimmte bis dahin der sozialpolitisch ausgerichtete Wohnungsbau die Stadtentwicklung des 20. Jahrhunderts, so drängten nun – bei sich noch beschleunigender Wohnungsproduktion – zunehmend wirtschaftliche Kräfte in den Vordergrund. Im Verbund damit schritt die Trennung der Lebensbereiche Wohnen – Arbeiten – Freizeit fort. Das Ergebnis waren monofunktionale Trabantensiedlungen von teilweise Maßstab sprengender Größe. War die Stadtentwicklung bis dahin eine Domäne der Architekten und Stadtplaner, so geriet sie nun zunehmend in das Blickfeld der Gesellschaftswissenschaften. Der Psychoanalytiker Mitscherlich kritisierte in seinem wegweisenden Buch „Die Unwirtlichkeit der Städte“ (1965) die Zerstörung gewachsener Strukturen und den Verlust städtischer Qualitäten in den Neubausiedlungen. Im Zentrum der soziologischen Debatten stand die Forderung nach einer kompakten, „urbanen“ Stadt – ein Begriff, der bereits 1960 von Salin eingeführt worden war. Allerdings fand diese Kritik an den Leitbildern der 50er Jahre ihren Niederschlag hauptsächlich in der verkürzten, nicht zuletzt auch investorenfreundlichen Formel „Urbanität durch Dichte“. Eine starke horizontale und vertikale Verdichtung der Bebauung in überwiegend geometrischen, kristallinen Großformen wurde charakteristisch für den Siedlungsbau der 60er Jahre. Das Märkische Viertel in Berlin (1963-1972, Architekten: Düttmann u.a.) – als zukunftsweisendes Projekt geplant, später vielfach kritisiert – gilt als Prototyp dieser Siedlungsentwicklung (vgl. Abbildung 24). Die 13.000 Wohnungen, gestapelt und gereiht in einer scheinbar endlosen Abfolge

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von Hochhausbändern mit bis zu 18 Geschossen, zeugen auch von dem enormen Volumen des Wohnungsbaus dieser Zeit. Mitte der 60er Jahre wurden in der Bundesrepublik jährlich mehr als 600.000 Wohnungen gebaut – heute liegen die Fertigstellungszahlen in den alten Bundesländern bei gerade noch 240.000.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 24: Lageplan Märkisches Viertel Berlin

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Ort Berlin

Jahr um 1900

Frankfurt Berlin

Siedlung Gründerzeit Gartenstadt Hellerau Römerstadt Hufeisensiedlung

Berlin

Onkel Toms Hütte

1926-32

Berlin

Siemensstadt

1929-32

Karlsruhe

Dammerstock

1928-29

Berlin

Hansaviertel

1953-58

München

Parkwohnanlage Bogenhausen

1954-56

Bremen

Gartenstadt Vahr

1955-59

Bielefeld

Sennestadt

1956-65

Dresden

Berlin Nürnberg

CharlottenburgNord Langwasser Teil1 Langwasser Teil 2

1909-14 1927-28 1925-31

1956-60 1956-60 1960-82

Bremen

Neue Vahr

1957-62

Stuttgart

Fasanenhof Chorweiler / Seeberg

1960-65

Berlin

Märkisches Viertel

1963-74

Frankfurt

Nordweststadt

1963-68

München

Neuperlach

1967-85

Hamburg Kassel München München Berlin Hannover Berlin

Steilshoop Documenta Urbana Berliner Straße Freimanner Heide Rauchstraße Laher Wiesen Tegeler Hafen

1970-76 1979-82 1982-92 ab 1983 1983-85 1984 1987

Quelle:

eigene Darstellung

Köln

1960-90

Charakteristik Blockbebauung Kleinhäuser und Landhäuser bilden geschwungene Straßenräume geschwungene Reihenhauszeilen zweigeschossige Reihenhäuser zwei- bis viergeschossige Reihenhausbebauung viergeschossige Zeilenbebauung Reihenhäuser in reiner Zeilenbauweise Zeilen- und punktförmige Hochhäuser Reihen- und Mehrfamilienhäuser bis zu 15 Geschosse Reihen- und Mehrfamilienhauszeilen in Parklandschaft aufgelockerte Zeilenbebauung, Punkthäuser und Flachbauten viergeschossige geknickte Zeilen, je zwei Zeilen bilden einen Wohnhof aufgelockerte Zeilenbebauung Blockbebauung, bis 15 Geschosse aufgelockerte viergeschossige Zeilenbebauung, Punkthäuser, bis 14 Geschosse reiner Zeilenbau, bis 22 Geschosse mäanderförmige Gebäude, bis 30 Geschosse mäanderförmige Gebäude, bis zu 18 Geschosse Zeilen und punktförmige Wohngebäude, bis 13 Geschosse diffuse Struktur mit „Wohnring“, bis 18 Geschosse 20 Baublöcke Muster-Wohnbauten, 3 Geschosse Blockrandbebauung Blockrandbebauung Stadtvillen Reihenhäuser Geschosswohnungsbau

GFZ 3,0

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Wohnungen 149 (bis 1910) 1.200 1.072 2.000 1.678 750

0,9 ca. 2.000 1.700 ca. 6.000 0,8

ca. 5.000

0,9

ca. 17.500 (Teil 1 und 2)

0,7

ca. 10.000 2.800 ca. 10.000 17.000

0,85

ca. 7.000

0,96

ca. 27.000

1,12

6.700 137 1.700 2.800 220 69 360

Abbildung 25: Wohnsiedlungen von 1900 bis 1987 Entsprechend lang ist die Liste der Großsiedlungen aus den 60er und frühen 70er Jahren. Sie reicht vom Fasanenhof in Stuttgart (1960-1965, Stadtplanungsamt) und der Neuen Vahr in Bremen (1957-62, Architekten: May, Reichow u.a.) über die Nordweststadt in Frankfurt (1963-1968, Architekt: Schwagenscheidt) bis zu Köln-Chorweiler (1960-1990, Architekt: Pecks u. a.) und MünchenNeuperlach (1967-1985, Architekt: Lauter u.a.). Hamburg-Steilshoop (1970-1976, Architekten: Bur-

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mester + Ostermann u.a.) verweist mit seinen 20 strengen Baublöcken typologisch bereits auf Projekte der späten 70er und 80er Jahre. Das Ende der Großsiedlungen Die politischen und wirtschaftlichen Probleme Mitte der 70er Jahre („Ölkrise“ 1973/74) und das steigende Bewusstsein für die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen (Bericht des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“, vgl. Meadows/Meadows/Zahn/Milling) gingen mit einer deutlichen Abschwächung der Siedlungstätigkeit einher. Die Phase der Großsiedlungen ging zu Ende, die bauliche Entwicklung verlagerte sich zunehmend in die Innenstädte - zunächst noch als „Flächensanierung“, später als „erhaltende Erneuerung“ – und ab Mitte der 90er Jahre verstärkt auf Konversionsflächen von Militär, Gewerbe oder Bahn im gesamten Stadtgebiet.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 26: Lageplan des Wohngebietes Berliner Straße in München Typologisch lief die städtebauliche Entwicklung Ende der 70er Jahre auseinander. Ein Phänomen stellte der unverblümte Rückgriff auf Vorbilder des 19. Jahrhunderts (Blockrandbebauung und „Villa“) im Zuge der „Postmoderne“ dar. Die Internationale Bauausstellung (IBA) Berlin 1987 hat für diesen Städtebau der 80er Jahre einige charakteristische Beispiele hervorgebracht, so die Wohnanlage am Tegeler Hafen von Moore (1987) – eine teilweise schlossartig anmutende Wohnbebauung aus mäandrierenden Großformen und Einzelgebäuden – und die „Stadtvillen“ an der Rauchstraße von Krier, Hollein, Rossi, Kollhoff u.a. (1983-1985). Einige der an der IBA Berlin beteiligten Architekten hatten zuvor bereits an der „documenta urbana“ in Kassel mitgewirkt (1979-

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1982, Hertzberger, Steidle, Hilmer + Sattler, Rainer, Baller + Baller u.a.), einer städtebaulich heterogenen Musterschau des Wohnungsbaus im Rahmen der documenta d7. Zu den größten innerstädtischen Projekten der 80er Jahre zählen die „Berliner Straße“ (1982-1992, vgl. Abbildung 26) und die „Freimanner Heide“ (ab 1983) von Petzold in München, bei denen die Blockrandbebauung der gründerzeitlichen Nachbarschaft fortgeführt wird. Eine entgegen gesetzte Strömung repräsentieren die „Laher Wiesen“ in Hannover (1984, Architekten: Boockhoff + Rentrop) – mit Reihenhäusern in Holzkonstruktion, Wintergärten und Grasdächern eine der ersten Siedlungen des „ökologischen Bauens“ in Deutschland. Abbildung 25 zeigt die aufgeführten Wohnsiedlungen im Überblick. 2.2.1.3

Einfamilienhausbebauung und Flächenverbrauch

Parallel zur Entwicklung großer Siedlungen bestimmte ein weiterer Prozess die Siedlungsstruktur in Deutschland: die oft schleichende Ausbreitung von Einfamilienhäusern über den Stadtrand hinaus in das weitere Umland. Ehemals landwirtschaftlich geprägte Dörfer verwandelten sich so zu Schlafstädten von teilweise beachtlicher Größe. Im Ergebnis verloren die Kernstädte erheblich an Einwohnern und in der Folge auch Arbeitsplätze, Schulen, Einkaufszentren, etc. an das Umland. Die ausufernden Einfamilienhausgebiete trugen ganz wesentlich zu dem hohen Verbrauch an Grund und Boden für Siedlungs- und Verkehrsnutzungen bei, der in Bayern beispielsweise im Jahr 1992 bei 18 ha/Tag lag und 2000 auf eine Höchstmarke von 28,4 ha/Tag angestiegen ist. Damit wurde allein in diesem Bundesland jedes Jahr rein rechnerisch die Siedlungs- und Verkehrsfläche der Stadt Nürnberg in Anspruch genommen (vgl. Abbildung 27). Zwar ist derzeit ein spürbarer Rückgang zu verzeichnen; ob damit allerdings schon eine Trendwende erreicht wurde, ist zumindest fraglich. So weisen alle Prognosen für die maßgeblichen gesellschaftlichen Faktoren zumindest für die nächsten 10 Jahre noch auf einen anhaltend hohen Flächenverbrauch hin. Bereits heute liegt die Zahl der Einpersonenhaushalte in München bei 50%; es wird erwartet, dass die Zahl der Ein- und Zweipersonenhaushalte auch bundesweit weiterhin überproportional zunehmen und 2015 bei insgesamt etwa 73% liegen wird (vgl. Bucher/Schlömer). Die Wohnfläche pro Person, die derzeit bei 41,6 m² liegt, wird nach einer empirica-Studie auf 52 m² im Jahr 2030 ansteigen (vgl. Simons). Weitere Steigerungen sind auch beim Verkehrsaufkommen zu erwarten; nach einer Prognose der Bundesregierung werden für 2015 22% mehr Autofahrten erwartet als 1997, der Lkw-Verkehr soll sich nahezu verdoppeln (vgl. Süddeutsche Zeitung). Es ist deshalb mehr als vordringlich, die vorhandenen und erprobten Möglichkeiten für eine flächensparende Siedlungsentwicklung jetzt und konsequent zu nutzen. Dazu wurde in Bayern zwischen Behörden, Verbänden und Institutionen ein „Bündnis zum Flächensparen“ geschlossen, um neben der kommunalen und staatlichen Seite auch die Bau- und Wohnungswirtschaft, Planer und

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Banken auf das Ziel des Flächensparens zu verpflichten. Der Staat selbst schreibt in dem Landesentwicklungsprogramm einen Vorrang der Innenentwicklung gegenüber der Erweiterung am Ortsrand und ein flächensparendes Bauen verbindlich vor.

Quelle: Kallmayer/Klar 2003, S. 196

Abbildung 27: Entwicklung der Siedlungs- und Verkehrsfläche im Vergleich zu Bevölkerung und Erwerbstätigen in Bayern Noch scheint der Drang zum Eigenheim aber ungebrochen. Allgemeiner Wohlstand, wachsende Mobilität und auch Begünstigung durch staatliche Förderung haben immerhin 34% der Bevölkerung in die Lage versetzt, ihren Traum vom Einfamilienhaus zu erfüllen – und zwar zu großen Teilen in freistehenden Einfamilienhäusern. Intelligente Bauformen in verdichteter Flachbauweise (z.B. Atriumhäuser) sind eher die Ausnahme. Jüngere Untersuchungen weisen allerdings darauf hin, dass das gängige Klischee vom „Einfamilienhausglück im Grünen“ allenfalls in Teilen richtig ist. Dem geht auch eine Studie der Stadt München aus dem Jahr 2002 nach. Da die Stadt im Zuge der Suburbanisierung jährlich zwischen 6.000 und 7.000 Einwohner an ihr Umland verliert, wurden 10.000 ehemals Münchner Haushalte nach ihren Motiven für den Ortswechsel befragt. Zu den überraschenden Ergebnissen

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der Untersuchung gehört, dass der Umzug in das Umland offenbar keine „Wohlstandswanderung“ ist. Die umgezogenen Haushalte spiegeln vielmehr das breite Spektrum der Münchner Stadtgesellschaft wider und wohnen in der Mehrzahl auch nach dem Umzug zur Miete. Auch der Begriff „Stadtflucht“ ist unzutreffend, denn zwei Drittel der befragten Haushalte – vor allem Haushalte mit Kindern – wären gerne in der Stadt geblieben, wenn sie eine passende Wohnung gefunden hätten. Für sie waren umweltbezogene und soziale Gründe nicht umzugsauslösend; im Vordergrund stand vielmehr der Wunsch nach mehr Wohnfläche und tragbaren Kosten, nicht das freistehende Einfamilienhaus im Grünen (vgl. Landeshauptstadt München). Diese Ergebnisse legen zwei Schlussfolgerungen nahe: Wenn es zum ersten gelänge, den Wunsch nach größeren Wohnungen zu tragbaren Kosten auch im Stadtgebiet zu erfüllen, könnte ein erheblicher Teil der Stadt-Umland-Wanderung abgefangen werden. Zum zweiten sollten die Wohnwünsche des verbleibenden Drittels der Haushalte, die das Umland bevorzugen, mit flächensparenden Siedlungsformen erfüllt werden, die aber in ihrem Wohnwert dem freistehenden Einfamilienhaus ebenbürtig sind. 2.2.1.4

Kosten- und flächensparende Wohngebiete

Die Vorteile kosten- und flächensparender Wohngebiete liegen auf der Hand; Erhebungen mit quantifizierbaren Nachweisen sind allerdings eher die Ausnahme. Zu ihnen gehört eine Untersuchung aus dem Jahr 2001, bei der sechs exemplarische Wohngebiete – vom herkömmlichen Einfamilienhausgebiet mit freistehenden Einzelhäusern (dem „Standardfall“) bis zu kompakten Wohnanlagen mit Doppel- oder Reihenhäusern – hinsichtlich ihrer Effizienz in der Lage und Ausnutzung des Grundstücks und ihres Erschließungsaufwandes verglichen wurden (vgl. Abbildung 28, Bayer. Staatsministerium des Innern, 2001b). Der Vergleich eines konventionellen Gebietes (Unterfeld – freistehende Einfamilienhäuser auf 650 m² großen Grundstücken) mit einer kompakten Wohnanlage (Prosa – Doppelhäuser auf 206 m² großen Grundstücken) zeigt, dass auf gleicher Fläche Bruttobauland 2,4mal so viele Wohneinheiten unterzubringen sind – und zwar bei einer signifikanten Verbesserung der Wohnqualität (vgl. Abbildung 30). Sie wird u.a. durch breite, durchwegs südorientierte Haustypen, abgeschirmte und gut nutzbare Gartenflächen und ein störungsfreies Wohnen durch Bündelung der Stellplätze erreicht. Aber auch schon durch eine intelligente Anordnung freistehender Baukörper auf dem Grundstück (Hüttenthaler Feld – grenzständige Einfamilienhausbebauung auf durchschnittlich 357 m² großen Grundstücken) sind auf gleicher Fläche rund 50% mehr Wohneinheiten unterzubringen.

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Unterfeld, 6,5 ha freistehende Einfamilienhäuser EG+Dach 1990-1998

Hüttenthaler Feld 4,5 ha grenzständige Einfamilienhäuser EG+1.OG 1995-1998

Prosa 0,5 ha Doppelhäuser EG+1.OG+Dach 1996

Quelle: Bayer. Staatsministerium des Innern, 2001b

Abbildung 28: Vergleichende Übersicht von drei der untersuchten Siedlungen Auch für den Erschließungsaufwand hat die Untersuchung erhebliche Einsparpotenziale aufgezeigt. Die durchschnittliche Erschließungsfläche je m² Wohnfläche (Straßen und Wege) liegt im Gebiet Prosa bei 0,5 m², im Gebiet Unterfeld bei 1,1 m² – eine Differenz von mehr als 100%. Auch hier macht das Hüttenthaler Feld mit 0,7 m² den – nicht zuletzt materiellen – Wert sorgfältiger Planung deutlich (vgl. Abbildung 30). Aufgrund dieses günstigen wirtschaftlichen Verhältnisses von Wohn- zu Erschließungsfläche konnten in den Wohngebieten Prosa und Hüttenthaler Feld größere öffentliche Freiflächen eingeplant werden, die allen Anwohnern zu Gute kommen.

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Quelle: Bayer. Staatsministerium des Innern, 2001b (Zusammenfassung)

Abbildung 29: Vergleich Nettobauland- und Erschließungsflächenbedarf

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 30: Wohngebietsvergleich auf 1 ha Bruttobauland bezogen Die durchgeführte Untersuchung zeigt des Weiteren auf, wie die Wahl des Wohnstandortes die Aufwendungen für die Mobilität beeinflusst. Vergleicht man zwei Wohnstandorte derselben Gemeinde – der eine am Hauptort, der andere rund 3,5 km entfernt in einem abgelegenen Ortsteil – so ergibt sich für letzteren das 7fache an Fahrtstrecken zu den Versorgungseinrichtungen, und

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zwar sowohl bei Erledigungen des täglichen als auch des periodischen Bedarfs (vgl. Abbildung 31).

Quelle: Bayer. Staatsministerium des Innern, 2001b

Abbildung 31: Fahrten zu Versorgungseinrichtungen

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Das Ergebnis lässt sich auch auf das erforderliche Straßen- und Wegenetz, Kanalnetz und Energieversorgungsnetz übertragen. Die bei disperser Siedlungsstruktur zusätzlich benötigten Netzlängen bedeuten für den Einzelnen erhebliche Mehrkosten, für die Volkswirtschaft fehlgeleitete Investitionen und für die Umwelt unnötige Belastungen. Die Gemeinden haben es in der Hand, durch eine verantwortungsvolle Bauleitplanung diese Fehlentwicklungen zu vermeiden und die Weichen für eine nach Kosten- und Umweltgesichtspunkten sinnvolle und damit nachhaltige Siedlungsentwicklung zu stellen. 2.2.1.5

Siedlungsmodelle

Die Auseinandersetzung mit dem modernen, nachhaltigen Siedlungsbau zeigt, dass sich innovative Konzeptionen noch vergleichsweise leicht formulieren lassen. Sie gewinnen aber erst dann an Wert, wenn sie tatsächlich im Maßstab 1:1 realisiert und erprobt sind. Nach dieser Maxime fördert Bayern seit nahezu 20 Jahren Modellvorhaben des experimentellen Wohnungsbaus mit thematischen Schwerpunkten, so beispielsweise „Wohnungen in Holz-Systembauweise“, „Barrierefreies und integriertes Wohnen“ oder „Kostengünstiger Wohnungsbau“. Auf diesen Erfahrungen aufbauend wurde 1994 das staatliche Sonderprogramm „Siedlungsmodelle“ ins Leben gerufen, um die drei Zielebenen des ökologischen, sozialen und preiswerten Bauens gebündelt und in einem größeren Maßstab mit modellhaften Stadtquartieren und Siedlungsgebieten zwischen 120 und 1.000 Wohnungen umzusetzen. Mittlerweile sind bei den insgesamt 12 Siedlungsmodellen 1.660 Wohnungen fertig gestellt und bezogen, weitere 620 sind im Bau und 460 in Planung. Für rund 3.800 Einwohner sind die Siedlungsmodelle inzwischen eine neue Heimat geworden. Fachlicher Anspruch Modellvorhaben machen nur dann wirklich Sinn, wenn die Messlatte bei den fachlichen Zielen so hoch gehängt ist, dass über das bereits Marktgängige deutlich hinausgehende Ergebnisse zu erwarten sind. Besonders für das staatliche Engagement in diesem Bereich muss der Anspruch, innovative, zukunftsweisende Ansätze zu realisieren, unverzichtbare Grundvoraussetzung sein. Für das ohnehin Marktgängige ist die Wirtschaft dagegen mehr als gut gerüstet, staatliche Beteiligung würde hier eher Sand in das Getriebe bringen als von Nutzen sein. Die Förderung der Innovation im Städte- und Wohnungsbau stellt allerdings eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar, denn Bau- und Wohnungswirtschaft setzen gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten vor allem auf das Konventionelle, Bewährte. Ohnehin liegen die Ausgaben der deutschen Bauindustrie für Entwicklung und Forschung bei lediglich 0,1% des Produktionswertes, in Japan dagegen bei 1%, bei anderen Industriezweigen sogar zwischen 2% und 3%. Bauherren und Unternehmen müssen also zunächst dafür gewonnen werden, Neues zu wagen und auf dem Markt zu vertreten. Bei alledem ist unbestritten, dass jedes Experiment dort seine na-

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türliche Grenze findet, wo Ergebnisse erzielt werden, die vom Markt nicht mehr akzeptiert werden. Bei dem Programm „Siedlungsmodelle“ wurden die städtebaulichen Konzeptionen grundsätzlich über Ideenwettbewerbe gefunden. Sie sind das nachvollziehbare Ergebnis der vorgegebenen Ziele eines sozial ausgerichteten, flächensparenden und kostengünstigen Siedlungsbaus. Es überrascht deshalb nicht, dass die Siedlungsmodelle in ihren Grundkonzeptionen auch an – nach teilweise ähnlichen Zielsetzungen ausgerichteten – Vorbildern der 20er Jahren anknüpfen. Zeilenbau, Reihung, Mischung von verdichteter Einfamilienhaus- und Geschossbebauung sowie serielle Produktion sind prägende Merkmale der Siedlungsmodelle.

Quelle: Bayer. Staatsministerium des Innern 2001a

Abbildung 32: Lageplan Passau "Kohlbruck": frühere Konzeption In Passau „Kohlbruck“ wurde beispielsweise mit der Aufnahme in das Förderprogramm eine frühere Planung mit 100 freistehenden Einfamilienhäusern verworfen; mit der Neukonzeption einer verdichteten Einfamilienhausbebauung in streng gereihten Zeilen (Architekt: Landbrecht) wurde die Zahl der Häuser auf rund 250 erhöht (vgl. Abbildung 32 und Abbildung 33). Die Kon-

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141

zeption steht durchaus in einer Verbindung zu Karlsruhe Dammerstock und anderen Siedlungen des Neuen Bauens. In Passau bedeutet sie allerdings nicht nur eine einfachere Erschließung, niedrigere Grundstückskosten und ein breiteres Wohnungsangebot; gleichzeitig wurde auch ein spannungsreiches Wechselspiel zwischen Bebauung und großzügigen, gliedernden Freiflächen erreicht, das dem Gebiet hohe räumliche Qualitäten verleiht.

Quelle: Bayer. Staatsministerium des Innern 2001a

Abbildung 33: Lageplan Passau "Kohlbruck": Neuplanung Die Siedlungsmodelle weisen somit einige Parallelen zu den Siedlungen der 20er Jahre auf, im Detail allerdings offenbart sich, dass mehr als 70 Jahre Siedlungsbau zwischen den Projekten liegen. Eine weitgehende Barrierefreiheit der Wohnungen und des Wohnumfeldes, hoher Wärmedämmstandard (das bereits Mitte der 90er Jahre in den Verträgen mit den Kommunen vereinbarte Anforderungsniveau entspricht dem der heute gültigen Energieeinsparverordnung), neue Lösungen für den Umgang mit Regenwasser (oberflächige Ableitung und Versickerung in Mulden-RigolenSystemen, Regenwassersammlung und -nutzung) und innovative Verkehrslösungen zeigen, dass der Siedlungsbau heute weitaus höheren Anforderungen genügen muss. Neue Wege sind auch bei der Unterbringung des ruhenden Verkehrs gefordert, der vielfach – als vermeintlich einfachste Lösung – in kostspieligen, unflexiblen Tiefgaragen untergebracht wird. In

142

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Erlangen „Röthelheimpark“ wurden dagegen alle Stellplätze der Anwohner in zwei oberirdischen Parkhäusern zusammengefasst, die so konstruiert sind, dass sie bei verändertem Bedarf erweitert oder rückgebaut werden können (vgl. Abbildung 34). Die einzelnen Häuser sind zwar anfahrbar, die Wohnwege dienen aber nicht dem Parken. Auf diese Weise wird der Autoverkehr weitgehend aus dem Wohngebiet herausgenommen.

Quelle: Bayer. Staatsministerium des Innern 2001a

Abbildung 34: Lageplan Erlangen "Röthelheimpark" Ungewohnte Architektursprache Schon der Siedlungsbau vergangener Jahrzehnte hat gezeigt, und die Siedlungsmodelle bestätigen dies, dass die Umsetzung neuartiger Ziele auch neue, vielfach ungewohnte Architektursprachen hervorbringt. Sie erweisen sich als nicht unerhebliche Erschwernis für die Vermarktung, denn leider scheint das Verständnis für das, was gute, aus den Bedürfnissen heraus entwickelte Architektur auszeichnet, in weiten Kreisen verschwunden zu sein. Von vielen Bauherren, Käufern und Mietern wird die Qualität eines Hauses heute überwiegend an überflüssigem und teurem Zubehör festgemacht. Auf der Strecke bleiben all diejenigen Qualitäten, die nicht aus oberflächlichen Applikationen, sondern aus funktionalen Zusammenhängen, konstruktiven und energetischen Erfordernissen sowie ökologischen und sozialen Zielsetzungen heraus resultieren. Auch hier müssen Modellvorhaben ansetzen. Die Erfahrungen der „Siedlungsmodelle“ zeigen, dass neue Formen vor allem dann überzeugen und Akzeptanz finden können, wenn die Qualität in der Gestaltung mit einem hohen Ge-

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143

brauchswert einhergeht. In diesem Punkt hat sich in den vergangenen 150 Jahren Siedlungsplanung in Deutschland wohl nichts geändert.

144

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.2.1 Bayer. Staatsministerium des Innern, Oberste Baubehörde: Arbeitsblätter für die Bauleitplanung Nr. 13 – Flächensparende Wohngebiete, Bearbeiter Prof. Herbert Kallmayer, Elmar Dittmann u.a., Nachdruck der Auflage von 1993, München 2001a. Bayer. Staatsministerium des Innern, Oberste Baubehörde: Arbeitsblätter für die Bauleitplanung Nr. 16 – Kosten- und flächensparende Wohngebiete, Bearbeiter Prof. Herbert Kallmayer, Prof. Matthias ReichenbahKlinke u.a., München 2001b. Bucher/Schlömer: Die privaten Haushalte in den Regionen der Bundesrepublik Deutschland, in: Informationen zur Raumentwicklung (BBR) 11/12.1999, S. 785ff. Göderitz, J./Rainer, R./Hoffmann, H.: Die gegliederte und aufgelockerte Stadt, Tübingen 1957. Howard, E.: To-Morrow: A Peaceful Path to Real Reform, London 1898. Howard, E.: Garden Cities of To-Morrow, London 1902. Kallmayer, H./Klar, P.: Flächensparende Siedlungsentwicklung, in: „bau intern“ 10/2003, Oberste Baubehörde im Bayer. Staatsministerium des Innern, S. 196. Landeshauptstadt München: Raus aus der Stadt, München 2002. Meadows, De./Meadows, Do./Zahn, P./Milling, P.: Die Grenzen des Wachstums. Bereicht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Reinbek bei Hamburg 1973. Mitscherlich, A.: Die Unwirtlichkeit der Städte, Frankfurt a.M. 1965. Reichow, H. B.: Organische Stadtbaukunst. Von der Großstadt zur Stadtlandschaft, Braunschweig 1948. Reichow, H. B.: Die autogerechte Stadt, Ravensburg 1959. Reinborn, D.: Städtebau im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1996. Simons, H., empirica: Perspektiven des westdeutschen Wohnungs- und Büromarktes bis 2030, in: Informationen zur Raumentwicklung (BBR) 11/12.1999, S. 749. Süddeutsche Zeitung Nr. 210, 12.09.2000.

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2.2.2

Gewerbeplanung

147

Gerd Hennings, Monika Dobberstein 2.2.2.1 2.2.2.2 2.2.2.3

Zum Begriff der Gewerbeplanung Wirtschaftlicher Strukturwandel in den Großstädten der BRD Strategien der Gewerbeplanung zur Sicherung des Bestandes der industriellen Basis in den Großstädten 2.2.2.3.1 Sicherung und Neuerschließung von Gewerbegebieten innerhalb der Stadt 2.2.2.3.2 Gewerblich-industrielle Wiedernutzung von Brachflächen 2.2.2.3.3 Entwicklung und Betrieb von Gewerbehöfen 2.2.2.4 Strategien der städtischen Gewerbeplanung zur Modernisierung und Erneuerung der industriellen Basis in den Großstädten 2.2.2.4.1 Attrahierung von modernen Existenzgründern und High-Tech-Betrieben 2.2.2.4.2 Lokale Technologie- und Existenzgründungspolitik 2.2.2.4.3 Lokale Clusterpolitik 2.2.2.5 Gewerbeplanung und Dienstleistungen 2.2.2.6 Zusammenfassung Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.2.2

147 148 151 152 153 155 157 157 159 161 163 166 167

145

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2.2.2

147

Gewerbeplanung

Gerd Hennings, Monika Dobberstein 2.2.2.1

Zum Begriff der Gewerbeplanung

Der Bereich Gewerbeplanung als Teilbereich der Stadtplanung befasst sich im Kern mit den Wechselwirkungen zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und räumlichen Planungen der Städte. Diese Wechselwirkungen haben in den vergangenen fünfzehn Jahren erheblich an Bedeutungen gewonnen: x

immer mehr beeinflussen Stadtplanung und Städtebau die wirtschaftliche Entwicklung und Wirtschaftsförderungsprojekte der Städte

x

umgekehrt wirken wirtschaftliche Entwicklung und Wirtschaftsförderungsprojekte verstärkt auf Stadtentwicklung, Stadtplanung und Städtebau ein.

Dazu hat u.a. die Tendenz beigetragen, dass städtebauliche Qualitäten und Images im internationalen Wettbewerb der Städte eine große Rolle spielen und dass Stadtplanung und Städtebau dabei wichtige Rahmenbedingungen für Wirtschaftsförderung und Immobilienentwicklung setzen. Gleichzeitig hat sich auch die kommunale Wirtschaftsförderung deutlich verändert. Während sie lange Zeit nur auf eine Neuansiedlungspolitik konzentriert war, ist sie mittlerweile zu einem querschnittsorientierten Handlungsfeld geworden, das viel mit Stadterneuerung und Stadtplanung, aber auch mit Technologieentwicklung sowie großen Entwicklungsprojekten im Entertainment-Bereich zu tun hat – um nur einige der neuen Handlungsfelder zu nennen. Die Konsequenz dieser Veränderungen ist, dass sich die Gewerbeplanung nicht unmittelbar in einem Amt oder in einer städtischen Gesellschaft findet, sondern dass die verschiedensten Akteure zusammenarbeiten müssen, um gewerbeplanerisch erfolgreich zu sein. Zu den Akteuren gehören insbesondere die Wirtschaftsförderungsämter bzw. die –gesellschaften einerseits und die Stadtplanungsämter andererseits. Zu den Akteuren gehören aber auch die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern sowie die verschiedenen GmbHs im öffentlichen Eigentum oder in Public – Privat Partnership, die in den letzten Jahren entstanden sind (z.B. Flächenentwicklungsgesellschaften, Hafengesellschaften, Flughafengesellschaften etc.) Den Hintergrund dieser Veränderungstendenzen stellt aber vor allem der wirtschaftliche Strukturwandel dar, der das Gesicht unserer Städte, insbesondere aber der Großstädte, die für die Immobilienwirtschaft von vorrangigem Interesse sind, deutlich verändert hat. Auf diese Veränderungen wird im Folgenden eingegangen.

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148

2.2.2.2

Wirtschaftlicher Strukturwandel in den Großstädten der BRD

Seit etwa Mitte der 1970er Jahre wird immer deutlicher, dass die Städte der BRD, insbesondere die Großstädte, die für die Immobilienbranche von besonderer Bedeutung sind, nicht mehr die erste Wahl für Industrieansiedlungen bzw. für Industrieentwicklungen generell sind. In einem langfristigen Prozess bauen die Industriebetriebe in den bundesrepublikanischen Großstädten ihre Beschäftigung überproportional ab, während die ländlichen Regionen regelmäßig die relativ besten Zahlen bei der Entwicklung der Industriebeschäftigten vorweisen können. Dieser Prozess der regionalen Neuverteilung der Industriebeschäftigung vollzieht sich vor dem Hintergrund eines starken Industriebeschäftigtenverlustes in der Bundesrepublik insgesamt. So ist die Beschäftigung des produzierenden Gewerbes (Industrie plus Baugewerbe) in der BRD von 1996 bis zum Jahre 2007 um rd. 33 Prozent zurückgegangen. In derselben Zeit ging die Beschäftigung des produzierenden Gewerbes in Hamburg um 19 Prozent, in München um rd. 14 Prozent, in Stuttgart um 15 Prozent, in Düsseldorf um rd. 22 Prozent, in Frankfurt am Main um 33 Prozent und in Berlin sogar um 38 Prozent zurück (vgl. Tabelle 2). Ähnliche Ergebnisse gelten für Köln, für Essen und Dortmund ebenso wie für Dresden und Leipzig. Dagegen haben die eher ländlich geprägten Regionen der BRD bei der Entwicklung der Industriebeschäftigung deutlich besser abgeschnitten. Dabei geht es schon längst nicht mehr um einen Prozess der Suburbanisierung aus den Kernen der Verdichtungsräume in die Ballungsrandzonen. Sondern auch die weiter entfernt von den Verdichtungsräumen liegenden ländlichen Regionen verzeichnen durchgängig absolute und relative Gewinne bei der Industriebeschäftigung. Offensichtlich ziehen sich die Unternehmen des Produzierenden Gewerbes Stück für Stück aus den Großstädten und Verdichtungskernräumen zurück. Es findet eine regionale Dekonzentration der industriell geprägten Arbeitsplätze statt, von der insbesondere die ländlichen Regionen profitieren (vgl. Bade, S. 1ff.; Kiehl/Panebianco, S. 1ff.). Die Ursachen dieses „industrial decline“ der Großstädte sind zwar bisher nicht systematisch erforscht worden, wohl aber die Ursachen für den relativen industriellen Beschäftigungsgewinn der ländlichen Räume (vgl. Kiel/Panebianco, S. 1ff.). Aus diesen Ergebnissen kann man rückschließen, dass es insbesondere wachsende Ballungsnachteile sind, die zur sinkenden Bedeutung der Großstädte als Industriestandorte beitragen. Dazu zählen vor allem: x

hohe Gewerbeflächenpreise bei insgesamt knappem Gewerbe- und Industrieflächenangebot

x

städtebauliche, immissionsschutzrechtliche und planerische Auflagen, die nicht unerhebliche Kosten verursachen

x

höhere Arbeitskosten aufgrund eines insgesamt höheren Lohnniveaus

x

höhere Konkurrenz um Arbeitskräfte mit dem Dienstleistungssektor

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x

149

innerurbane Erreichbarkeitsnachteile durch häufige Überlastungen der Verkehrsinfrastruktur und ungünstige Lagen der Gewerbegebiete

x

insgesamt höhere Lebenshaltungskosten und ökologische Überlastungserscheinungen.

1996 Berlin Warenproduz. Gewerbe

Anteil 1996

2007

Anteil

Wachstum

2007

1996-2007

348,3

21,9%

214,8

13,5%

-38,3%

1.239,5

78,1%

1.384,2

86,5%

+11,7%

85,4

19,8%

67,8

14,3%

-21,7%

345,4

80,2%

405,3

85,7%

+17,3%

202,2

20,0%

163,3

15,0%

-18,5%

799,1

80,0%

921,2

85,0%

+15,3%

96,6

17,4%

64,7

10,7%

-33,1%

am Main Dienstleistungen

458,7

82,4 %

538,6

89,3%

+17,4%

München Warenproduz. Gewerbe

194,5

22,4%

168,3

18,0%

-13,5%

674,0

77,6%

768,0

82,0%

+13,9%

123,8

27,7%

104,8

22,5%

-15,4%

323,0

72,3%

360,5

77,5%

+11,6%

11.886,0

32,5% 10.120,1

25,5%

-14,9%

26.641,0

67,5% 28.754,4

75,5%

+16,7%

Dienstleistungen Düsseldorf Warenproduz. Gewerbe Dienstleistungen Hamburg Warenproduz. Gewerbe Dienstleistungen Frankfurt Warenproduz. Gewerbe

Dienstleistungen Stuttgart Warenproduz. Gewerbe Dienstleistungen Bundesrep. Warenproduz. Gewerbe insgesamt Dienstleistungen

Quelle: Erwerbstätigenstatistik des Bundes und der Länder, eigene Zusammenstellung

Tabelle 2: Entwicklung des warenproduzierenden Gewerbes und des tertiären Sektors in ausgewählten Großstädten der Bundesrepublik Deutschland (Erwerbstätige in 1000) Die früher für sie wichtigen Urbanisationsvorteile fallen zumindest für die klassischen mittelständischen Industriebetriebe immer weniger ins Gewicht. Verbesserte Erreichbarkeitsverhältnisse des suburbanen und ländlichen Raumes ermöglichen auch nicht urbanen Standorten eine Teilnahme an den Vorteilen des urbanen Lebens. Auf der anderen Seite sind in derselben Zeit die Beschäftigen im Dienstleistungssektor deutlich gewachsen. Zwar erreichen die Großstädte auch im Dienstleistungsbereich nur unterdurchschnittliche Wachstumsraten, in absoluten Zahlen dehnen sie jedoch ihren Vorsprung gegenüber den anderen Regionstypen weiter aus. Die absoluten Beschäftigungszuwächse in den Großstädten der BRD sind trotz bestehender hoher Beschäftigtenanteile immens. So gewinnt z.B. Düsseldorf zwischen 1996 und 2007 rd. 60.000 Arbeitsplätze hinzu. In Hamburg wuchs die Zahl der Dienstleis-

150

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tungsbeschäftigten in derselben Zeit um 122.000, in Frankfurt am Main um 80.000. München erzielte einen Zuwachs von 68.000 Beschäftigten und Berlin eine absolute Steigerung von rd. 145.000. Die höchsten Zuwächse innerhalb des tertiären Sektors werden bei den unternehmensorientierten Dienstleistungen erzielt. In allen diesen Großstädten überwiegen mittlerweile bei weitem die Beschäftigtenanteile der Dienstleistungen. Mit Ausnahme von Stuttgart haben die wichtigsten Großstädte der BRD nur noch Anteile der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe zwischen 10,7 Prozent (Frankfurt am Main) und 18,0 Prozent (München). Bedenkt man, dass auch die statistisch als Industriebeschäftigte Ausgewiesenen zu mehr als der Hälfte Dienstleistungen erbringen, dann wird deutlich, dass reine Produktionstätigkeiten nur noch einen verschwindend geringen Bestandteil der Tätigkeiten der Großstadtgesellschaft ausmachen. Der Prozess der Rückbildung der gewerblich-industriellen Aktivitäten vollzieht sich in längeren Zeiträumen. Dabei überlagern sich verschiedene Prozesse: x

die Großstädte haben nur wenige Chancen, industrielle Neuansiedlungen auf sich zu ziehen. Alle Vermarktungsanstrengungen der Wirtschaftsförderer haben äußerst geringe Erfolge gezeitigt. Zwar gibt es keine umfassenden Untersuchungen über die industriellen Neuansiedlungsquoten in den wichtigsten Großstädten der BRD, aber nordrhein-westfälische Erfahrungswerte geben einen gewissen Eindruck von der Dimension. Danach lag schon in den 80er Jahren die jährliche industrielle Neuansiedlungsquote in den Ober-Zentren NordrheinWestfalens bei deutlich weniger als 0,1 Prozent der bestehenden Industriebeschäftigten (vgl. Bauer/Bonny, S. 57).

x

In den meisten Fällen geschieht der Industriebeschäftigtenverlust der Großstädte durch Betriebsstillegungen der ortsansässigen Betriebe. Die Betriebe können im strukturellen Wandel nicht mehr mithalten. Sie lassen ihre Produktionen schrittweise auslaufen oder werden durch Konkurse zum schnellen Aufgeben gezwungen.

x

Andere Prozesse laufen im Rahmen von Betriebsverlagerungen ab. Dabei ist die Gesamtverlagerung einer mittelständischen Betriebes ins Umland oder in weiter entfernt liegende ländliche Räume eher selten. Häufiger werden im Rahmen von betrieblichen Umstrukturierungen Teilverlagerungen vorgenommen. Investitionen für z.B. innovative Produktlinien finden nicht mehr am alten Standort statt, sondern an einem neuen. Die alten Produktlinien laufen langsam aus. Häufig bleiben die Firmensitze zunächst noch am bisherigen Standort, aber über kurz oder lang werden auch sie verlagert.

x

Im Rahmen dieser Prozesse werden die bestehenden alten Gewerbegebiete Stück für Stück umgewandelt. Die Nachfolgenutzungen liegen in der Regel im Dienstleistungsbereich (vgl. Bonner, S. 6).

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151

Insgesamt scheint dieser Prozess irreversibel. Eine Re-Industrialisierung der großen Städte Deutschlands ist unter der gegenwärtigen Rahmenbedingung der Globalisierung unwahrscheinlich und wird auch von den Wirtschaftsförderern nicht angestrebt. Dennoch hat die gewerblich-industrielle Komponente der Beschäftigtenentwicklung der Großstädte immer noch einen wichtigen Stellenwert im Rahmen von Wirtschaftsförderungsstrategien. Dabei lassen sich zwei Schwerpunkte der Tätigkeiten der Wirtschaftsförderer identifizieren, die jeweils verschiedene komplexe Handlungsfelder beinhalten. x

Bestandssicherungsstrategien

Mit ihnen wird versucht, die bestehende industrielle Basis der Beschäftigtenentwicklung der Großstädte zu erhalten, zu sichern, zu pflegen und zu entwickeln. Hierzu gehören Handlungsfelder wie die Entwicklung von neuen Gewerbegebieten, die gewerblich-industrielle Wiedernutzung von Industriebrachen und die Entwicklung von Gewerbehöfen. x

Modernisierungs- und Innovationsstrategien

Mit ihnen wird versucht, die bestehende Industriestruktur zu modernisieren bzw. neue moderne Industriestrukturen aufzubauen. Im Rahmen der Innovationsstrategien fahren die meisten Großstädte eine systematische Existenzgründungspolitik. Weiter gehören zum Wirtschaftsförderungskatalog der großen Städte vor allem lokale Innovations- und Technologiepolitiken, von denen sog. Technologie- und Gründerzentren sowie Technologieparks in den vergangenen 15 Jahren die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. In den letzten Jahren versuchen die Großstädte vermehrt, über sog. Kompetenz-Cluster die Innovationsaktivitäten für bestimmte Zielgruppen zu bündeln und dabei Kompetenz-Netzwerke zu fördern. 2.2.2.3

Strategien der Gewerbeplanung zur Sicherung des Bestandes der industriellen Basis in den Großstädten

Nicht alle Industrieunternehmen verlassen die Städte. Ein gewisser Teil der industriellen Mittelbetriebe sind aus verschiedenen Gründen an den Standort gebunden, an dem der Betrieb gewachsen ist und schon seit Jahrzehnten besteht. Diese Betriebe sind durchaus in der Lage, am Strukturwandel teilzunehmen und gewisse Standortnachteile zu überwinden. Häufig werden sie erst durch Flächenengpässe am alten Standort zur Suche nach einem neuen Betriebsgrundstück gezwungen. Verlagerungen werden dann im Wesentlichen innerstädtisch realisiert, wenn es der Wirtschaftsförderung gelingt, durch ein gutes Gewerbeflächenangebot und moderne Dienstleistungen den Ansprüchen der Unternehmen zu entsprechen. So zeigt eine neuere Untersuchung der Stadt Hamburg, dass zwischen den Jahren 2000 und 2006 rd. 12 ha Gewerbe- und Industriefläche auf dem eigenen Stadtgebiet verkauft wurde (vgl. Statistisches Amt Für Hamburg und Schleswig-

152

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Holstein 2007, S. 68). Der überwiegende Teil der Kaufvorgänge waren Ergebnis einer innerstädtischen Betriebsverlagerung. Die wichtigsten Handlungsfelder einer gewerbeplanerischen Strategie zur Bestandssicherung der industriellen Basis in den großen Städten sind dementsprechend: x

Die Sicherung und Neuerschließung von Gewerbegebieten innerhalb der Stadt.

x

Die gewerblich-industrielle Wiedernutzung von Industrie- und Gewerbebrachen.

x

Die Entwicklung und der Betrieb von Gewerbehöfen.

2.2.2.3.1 Sicherung und Neuerschließung von Gewerbegebieten innerhalb der Stadt Nachdem die Großstädte längere Zeit dem langsamen Abbau von industriellen Arbeitsplätzen eher tatenlos zugesehen haben, haben die meisten der hier interessierenden Städte mittlerweile ihr Augenmerk wieder auf Standorte für gewerblich-industrielle Unternehmen gerichtet. Dabei ist allerdings klar, dass die Flächenreserven für neue Gewerbe- und Industriegebiete „auf der grünen Wiese“ begrenzt sind oder nur in ökologisch empfindlichen Stadtgebieten entwickelt werden können. Entsprechend langwierig sind daher die Auseinandersetzungen mit Nachbarschaften und ökologischen Interessengruppen. Die Städte, die sich dennoch vorgenommen haben, neue Gewerbegebiete zu erschließen, gehen daher von einem längeren Planungsvorlauf aus. Gleichzeitig werden in der Regel Sicherungsprogramme für die bestehenden Gewerbegebiete entwickelt und Maßnahmen ergriffen, die verhindern sollen, dass die bestehenden Produktionsbetriebe aus ihren Standorten durch andere Nutzungen verdrängt werden. Die meisten der Großstädte haben besondere GewerbeflächenAktivierungsprogramme, die sich auf Beschlüsse der Stadträte stützen können. In Städten wie Düsseldorf, Frankfurt am Main, München, Stuttgart und Düsseldorf bestehen nur noch geringe Möglichkeiten zur Entwicklung von neuen Flächen. Umso wichtiger sind Strategieelemente, die auf die Sicherung der vorhandenen Flächen und Betriebe gerichtet sind. Anders sieht die Situation in Hamburg und Berlin aus. Dort können offensichtlich in ausreichendem Maße neue Flächen durch die Wirtschaftsförderung auf den Markt gebracht werden. So setzt z.B. Hamburg seit Ende der 90er Jahre ein gesamtstädtisches Entwicklungsprogramm „Gewerbliche Bauflächen“ in die Tat um. Dazu gehört, dass am 03.04.2002 die Senatskommission für Stadtentwicklung ein „Sofortprogramm Gewerbeflächen für die wachsende Stadt“ beschlossen hat (Staatliche Pressestelle der Freien und Hansestadt Hamburg, S. 27). Ähnlich führt die Stadt Berlin ein sog. „Entwicklungskonzept für den produktionsgeprägten Bereich“ durch, das 17 Bereiche mit 47 Teilgebieten und einer Fläche von 3.300 ha umfasst (vgl. Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen der Stadt Berlin, S. 8). Daneben werden in beiden Städten aber auch Flächensicherungsmaßnah-

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153

men ergriffen. Auch die großen Ruhrgebietsstädte Essen und Dortmund haben noch erhebliche Flächenreserven für Neuentwicklungen – meistens allerdings im Rahmen der Reaktivierung von Industriebrachen. Ziele und Maßnahmen dieser Strategien zur Sicherung von Gewerbegebieten in den Großstädten sind u.a.: x

Sicherung bestehender GE- und GI- Gebiete und ihrer Betriebe durch Neuüberplanung der Gebiete und Ausschluss bestimmter Nutzungen wie Einzelhandel, Büros und Freizeiteinrichtungen.

x

Bereitstellung von neuen Gewerbeflächen für Betriebsverlagerer, die expandieren wollen und einen besseren Standort suchen.

x

Weiterentwicklung und Profilierung bestehender und neuer gewerblicher Flächen für einzelne Wirtschaftssektoren, Branchen oder Betriebstypen durch spezielle Gewerbegebiets-Konzepte, städtebauliche Rahmenpläne, Bebauungspläne und ein entsprechendes Bodenmanagement, offensive Vermarktung und Belegung der Flächen entsprechend der Profile.

x

Unterstützung der Trends zur Spezialisierung und engeren Vernetzung zwischen Betrieben des produzierenden Gewerbes sowie mit produktionsorientierten Dienstleistungsunternehmen durch entsprechende Gewerbeflächenkonzepte und ein Mischungen unterstützendes Gebietsmanagement.

Alle diese Maßnahmen sind – wie oben betont - nicht darauf gerichtet, in starkem Maße industriell-gewerbliche Neuansiedlungen in die Großstädte zu ziehen, sondern darauf, die bestehende gewerblich-industrielle Struktur zu sichern, zu fördern, weiterzuentwickeln und Raum für Modernisierungen zu bieten. 2.2.2.3.2 Gewerblich-industrielle Wiedernutzung von Brachflächen Alle großen Städte der Bundesrepublik weisen in unterschiedlichem Maße und aus verschiedenen Gründen Brachflächen auf. Dazu gehören Industriebrachen, brachgefallene Flächen auf Grundstücken der Nachfolgegesellschaften der ehemaligen Deutschen Bundesbahn, Hafenbrachen, Militärbrachen (Konversionsflächen), etc. Bei großer wirtschaftlicher Dynamik in den modernen Großstädten der BRD macht die Wiedernutzung von Industriebrachen keine großen Probleme. Die Nachfrager nach derartigen Flächen sind in der Regel Dienstleistungsunternehmen: großflächige Einzelhandelsbetriebe, Großhandelsunternehmen, Logistikbetriebe, aber auch Büros. Die Wiedernutzung ist umso leichter, je größer der Bodenpreisunterschied zwischen der alten Nutzung und der neuen Nutzung ist. Dann sind auch Fragen der Kontamination und die Kosten der Sanierung kein ernsthaftes Problem.

154

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Ungleich schwieriger ist es sicherzustellen, dass Brachflächen gewerblich-industriell wieder genutzt werden. Insofern überrascht es kaum, dass in den Gewerbeflächen-Programmen der Großstädte eine gewerbliche Wiedernutzung von Brachflächen selten erwähnt wird und faktisch keine Rolle spielt. Die Wiedernutzung wird in der Regel dem Markt überlassen, und dieser ermöglicht eine gewerblich-industrielle Wiedernutzung nur in besonderen Ausnahmefällen. So kommt es, dass trotz einer generellen Knappheit an gewerblich-industriell nutzbaren Flächen Industrie-, Bahn- und Militärbrachen lange Zeit keine neue Nutzung finden. Die Kosten der Wiedernutzung (Sanierungskosten, Rückbaukosten und Entwicklungskosten) sind zu hoch und führen zu Bodenpreisen, die von Industrie- und Gewerbebetrieben nicht bezahlt werden können. Wenn die Gemeinden nicht das nötige Planungsrecht für eine höherwertige Nachnutzung zur Verfügung stellen, bleiben die Flächen längere Zeit liegen. Eine gewerblich-industrielle Nachnutzung auf Recycling-Flächen kommt daher nur durch ein entschiedenes Eingreifen der Stadtplanung und Wirtschaftsförderung zustande und bedarf häufig einer öffentlichen Subventionierung bzw. einer Quersubventionierung innerhalb eines größeren Projektes. So hat die Stadt Frankfurt am Main im Rahmen des bekannten Westhafen-Projektes einen kleinen Teil der Flächen für ein Gewerbezentrum vorgesehen, in dem großzügig bemessene Logistikflächen vorgesehen sind. Gleichzeitig wurden allerdings die noch auf der Fläche befindlichen Industrie- und Hafennutzungen aus dem Gelände entfernt und die großen Logistik-Unternehmen verlagert (vgl. Schelte, S. 105f.). Die Stadt München entwickelte im Rahmen ihres Projektes Messestadt Riem bewusst zwei Gewerbegebiete – rd. 10 ha für High-tech und höherwertiges Gewerbe und rd. 8 ha für verarbeitendes Gewerbe und Handwerk (vgl. Reiß-Schmidt, S. 52). In großem Stil haben sich allerdings nur die Ruhrgebietsstädte einer Strategie der gewerblichen Wiedernutzung von Industriebrachen zugewandt. Das hängt sicher damit zusammen, dass der Schrumpfungsprozess des Bergbaus und des Stahlbereichs viele sehr große Gewerbe- und Industriebrachen zurückgelassen hat. So warten allein in der Stadt Dortmund z.Zt. über 500 ha ehemaliger Industrieflächen auf eine Neunutzung. Die Stadtverwaltungen, die LEG NRW und die Grundstücksentwicklungsgesellschaften

der

ehemaligen

Bergbau-

und

Stahlwerksgesellschaften

verfügen mittlerweile über ein erfahrenes Reaktivierungsmanagement. Zu den einzelnen Schritten der gewerblichen Wiedernutzung von Industriebrachen gehören u.a. (vgl. Westdeutsche Immobilienholding GmbH, S. 64): x

Management der städtebaulichen Planungen: Hier geht es um städtebauliche Wettbewerbe, um städtebauliche Rahmenpläne, um städtische Bebauungspläne, um Vorhaben- und Erschließungspläne, um Städtebauliche Verträge, etc.

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x

155

Projektentwicklung: Standort- und Marktanalysen, Nutzungskonzepte für realisierbare Nutzungen, Wirtschaftlichkeitsanalysen, Strategien, etc.

x

Flächenmanagement: Altlastenuntersuchungen, Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen, Flächenerwerb, Bodenordnung, Altlastensanierung, Grundstücksfreilegung und Baureifmachung, etc.

x

Realisierungsmanagement: Flächenerschließung, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, Bauplanung und -Realisierung, Qualitäts- und Kostenkontrolle, Vermarktung, etc.

Die großen Reaktivierungsmaßnahmen sind komplexe Projekte, die nur durch intensive Kooperation und auf Konsens angelegte Kommunikation aller beteiligten Träger gelingen. Dabei hat es sich herausgestellt, dass insbesondere Entwicklungsgesellschaften verschiedenster Akteure in der Lage sind, die zahlreichen Managementaufgaben erfolgreich zu bewältigen. Mittlerweile gibt es viele recht erfolgreiche Projekte. Insbesondere die gewerblich-industriellen Wiedernutzungen von Industriebrachen sind allerdings keine Selbstläufer. Die meisten Projekte sind auf öffentliche Subventionen angewiesen. Selbst dann benötigen die Projekte eine geraume Zeit, bis die Flächen vermarktet werden können. 2.2.2.3.3 Entwicklung und Betrieb von Gewerbehöfen Gewerbehöfe als Einrichtungen zur gemeinsamen Unterbringung mehrerer kleiner und mittlerer Betriebe der Industrie und des Handwerks stellen eine traditionelle Form des städtischen Gewerbeflächenangebotes dar. Sie sind in der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts entstanden, als es noch eine sehr enge Nutzung von Wohnen und Arbeiten gab. Inbegriff dieser traditionellen Mischung ist der Berliner Gewerbehof. In den städtebaulichen Blockstrukturen entstanden insbesondere in den Hinterhöfen Gewerbebauten, die als „Mietfabriken“ an kleine und mittlere Betriebe des produzierenden Gewerbes vermietet wurden. Heute definiert man Gewerbehöfe als Gebäude oder Gebäudekomplexe, die zur Miete angeboten werden und zur gemeinsamen Unterbringung mehrerer, rechtlich und finanziell voneinander unabhängiger Betriebe dienen. Grundsätzlich kommen für einen Gewerbehof alle Branchen des produzierenden Gewerbes, des Handels oder des Dienstleistungsbereichs in Betracht. Dabei handelt es sich i.d.R. um Klein- und Mittelbetriebe aus dem Industriebereich, aus dem Bereich des Reparatur- und Ausbauhandwerks und aus dem Bereich verwandter Handels- und Dienstleistungsbereiche, ohne Ladengeschäft und größeren Publikumsverkehr (vgl. Baumgart, S. 47f.).

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Ein solcher Gewerbehof kann in unterschiedlichen Gebäudearten – Flachbau oder Stockwerksbau, Neubau oder Altbau – realisiert werden. Gemeinschaftseinrichtungen wie Kantine, Telefonzentrale oder Schreibzentrale stellten ursprünglich kein prägendes Element dar. Häufig sind hingegen gemeinsame technische Einrichtungen wie Heizungsanlagen und insbesondere Lastenaufzüge in mehrgeschossigen Gebäuden notwendig (vgl. Henckel, 1981, S. 9ff.). Zum Gewerbehofkonzept gehört die einheitliche Planung, Errichtung, Vermarktung und Betriebsbetreuung durch einen besonderen Träger. Zum Gewerbehofkonzept gehört auch eine Preisgestaltung, die deutlich unter den üblichen Büromieten liegt. Bei öffentlichen Projekten sind die Mieten häufig subventioniert. Die Städte Hamburg, Berlin und München sind bekannt für ihre z.T. kommunalen Gewerbehofgesellschaften, die eine Vielzahl von städtischen Gewerbehöfen entwickelt haben und betreiben. In anderen Städten gibt es eher einzelne Träger für besondere Projekte. Es gibt aber auch sehr viele privat betriebene Gewerbehöfe, allerdings fehlen umfassende Untersuchungen über ihre Bedeutung in den einzelnen Großstädten. Für Hamburg liegt seit längerem eine derartige Untersuchung vor. Dabei wurden allein im Jahre 1987 mindestens 86 private Gewerbehöfe identifiziert und in eine Längsschnittuntersuchung einbezogen (vgl. Baumgart, S. 107ff.). Die privat betriebenen Gewerbehöfe haben ihren Schwerpunkt nicht eindeutig im Bereich des produzierenden Gewerbes, sondern sind auch eher geneigt, Dienstleistungsunternehmen verschiedener Art, vor allem Bürobetriebe, aufzunehmen. Der Übergang zu anderen Formen von Gewerbezentren, z.B. Existenzgründungszentren, Technologiezentren und Gewerbeparks wird dabei fließend. Auf die Bedeutung privater Gewerbehöfe für die Immobilienwirtschaft wird in Kapitel 3.2.5.6 näher eingegangen. Den kommunalen Gewerbehofgesellschaften sind Zielsetzungen vorgegeben, die sich aus unterschiedlichen stadtentwicklungspolitischen Interessen ableiten. So entstand die bekannteste Gewerbehofgesellschaft, die GewerbeSiedlungs-Gesellschaft Berlin (GSG) , im Jahre 1965 als Reaktion auf die Erkenntnis, dass im Rahmen der damals üblichen Flächensanierungen viele Gewerbebetriebe aus ihren alten Standorten verdrängt wurden und keine neuen Standorte fanden. Hier diente die Entwicklung von Gewerbehöfen zunächst vor allem dazu, sanierungsverdrängten Betrieben einen neuen Standort anzubieten, der nicht allzu weit vom alten Standort entfernt lag. Später – nach dem Übergang von der Flächensanierung zur behutsamen Stadterneuerung – wurde das Ziel der Erhaltung von Mischstrukturen von Wohnen und Gewerbe sehr stark handlungsleitend. Alte Gewerbehöfe wurden saniert und modernisiert, aufgegebene Fabriken in der Nähe zur Wohnnutzung wurden zu Gewerbehöfen umgebaut und entsprechend mit Erfolg vermarktet. Nach der Wiedervereinigung Berlins hatten sich die Maßnahmen in den Osten Berlins verlagert. Im Rahmen einer sozial orientierten Stadterneuerung kommt der Instandsetzung und Modernisierung des Wohnungsbestandes eine wichtige Rolle zu. Explizit sollte aber gleichzeitig die vorhandene Gewerbestruktur gesichert und entwickelt werden (vgl. Baumgart, S. 107ff.). Zusätzliche Be-

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deutung gewann auch die Schaffung von Arbeitsplätzen, so dass das Berliner Gewerbehofprogramm deutlicher als zuvor mit der Existenzgründungsförderung verknüpft wurde. Die strukturpolitische Zielsetzung wurde auch dadurch unterstrichen, dass ausdrücklich Mittel der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ und Fördermittel des „Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)“ für die laufenden Projekte eingesetzt wurden (vgl. Wirtschafts- und Arbeitsmarktbericht – Berlin 2003). Im Jahre 2007 wurde die Gewerbesiedlungsgesellschaft (GSG) an die ORCO-Gruppe und die USInvestment Bank Morgan Stanley verkauft. Seitdem firmiert sie als ORCO – GSG. Als privater Immobilienentwickler bleibt sie weiter einer der größten Anbieter von Büro und Gewerbeflächen für Klein- und Mittelbetriebe in Berliner Gewerbehöfen. Auch die Stadt München führt seit langem eine eigene Gewerbehofpolitik durch. So gründete die Landeshauptstadt zusammen mit IHK und Handwerkskammer 1981 die MGH – die Münchner Gewerbehofgesellschaft mbH als Entwicklungs- und Betreibergesellschaft für Gewerbehöfe. Im Jahre 1993 beschloss die Stadt München ein Gewerbehofprogramm, das darauf abzielt, ein flächendeckendes Netz von Gewerbehöfen in den einzelnen Stadtteilen Münchens zu entwickeln. Die Ziele der Münchner Gewerbehofpolitik sind vor allem (vgl. MGH-Münchner Gewerbehofgesellschaft mbH, S. 1ff.): x

die sog. „Münchner Mischung“, eine Mischung von insbesondere produzierenden Klein- und Mittelbetrieben sowie Handwerksbetrieben, soll erhalten bleiben.

x

verdrängten Betrieben sollen wohnstandortnahe Gewerbeflächen zu günstigen Preisen verfügbar gemacht werden. Es sollen funktionsgemischte lebendige Stadtteile erhalten bleiben.

x

bestehende wohnstandortnahe Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben sowie neue geschaffen werden. Die Erosion wohnstandortnaher Arbeitsplätze soll aufgehalten werden.

Die MGH hat seit 1981 sieben Gewerbehöfe mit rd. 90.000 qm Mietfläche entwickelt sowie das MTZ, das Münchner Technologiezentrum. Ein weiteres Projekt ist in Planung. (vgl. Landeshauptstadt München, Referat für Arbeit und Wirtschaft, Dezember 2009, S. 2f.). 2.2.2.4

Strategien der städtischen Gewerbeplanung zur Modernisierung und Erneuerung der industriellen Basis in den Großstädten

2.2.2.4.1 Attrahierung von modernen Existenzgründern und High-Tech-Betrieben Wenn die Großstädte sich z.Zt. keine besonderen Chancen im Wettbewerb um die Neuansiedlung von „durchschnittlichen“ Industriebetrieben ausrechnen können, so haben sie dennoch Chancen bei einem bestimmten Typ von gewerblich-industriellen Unternehmen, der – ähnlich wie die mo-

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dernen Dienstleistungsbetriebe – auf städtische Urbanisationsvorteile angewiesen ist: bei modernen Existenzgründern und High-Tech-Betrieben. Diese Chancen haben unmittelbar etwas damit zu tun, dass im wirtschaftlichen Strukturwandel die traditionelle Massenproduktion in wachsendem Maße durch Unternehmen abgelöst wird, die Spezialprodukte in kleinen Serien herstellen, die ständig Innovationen hervorbringen müssen, um im Wettbewerb bestehen zu können, und die flexibel auf sich schnell ändernde Marktbedingungen reagieren können. Diese Unternehmen der flexiblen Produktion und Spezialisierung finden eher in den Großstädten das für sie geeignete Umfeld als in den Klein- und Mittelstädten und den ländlichen Regionen. Wichtige Faktoren dafür sind: x

die Nähe zu zahlreichen Universitäten, die als Zentren der Forschung und Herausbildung von innovativen Milieus und Netzwerken eine immer größere Rolle für die regionale Entwicklung spielen

x

die Größe eines höchst differenzierten Arbeitsmarktes, der alle benötigten Spezialqualifikationen zur Verfügung stellt

x

die Nähe zu anderen Unternehmen in ähnlichen Unternehmenssituationen, mit denen relativ leicht Kontakt aufgenommen werden kann, um Netzwerke aufzubauen. Unternehmensnetzwerke sind für die positive Entwicklung von innovativen Unternehmen bekanntlich heute besonders wichtig. Dabei sind vor allem Netzwerke gesucht, die es ermöglichen, Dienstleistungen für industriell gefertigte Produkte zu bündeln und in sie „hinein zu komponieren“. Im Wettbewerb der Spezialmärkte und Hochtechnologien ist diese Bündelung von Produktion und Dienstleistungen besonders wichtig (vgl. Henckel, 1995, S. 21)

x

die Vorteile eines breiten und vielfältigen Angebotes von Konsum-, Dienstleistungs- und Kultureinrichtungen, die den hochqualifizierten „Kreativen“ die Möglichkeiten bieten, alle denkbaren Lebensstile zu realisieren, und die insgesamt eine besondere „Anregungsvielfalt“ (vgl. Brake, S. 33) vorweisen, die stimulierend wirkt.

Aus diesem Grunde haben die Bemühungen der Städte, im Rahmen von Existenzgründungs- und Innovationspolitiken zur Modernisierung und Erneuerung der gewerblich-industriellen Basis beizutragen, einige deutlich sichtbare Erfolge getragen. In den letzten Jahren sind diese Handlungsfelder weiter professionalisiert worden. Sie sind spezialisierter und komplexer geworden und zielen vor allem darauf ab, die neuen Unternehmen in Kompetenznetzwerke einzubinden und sie dadurch weiter zu unterstützen und zu fördern. Derartige Technologienetzwerke um die neuen und innovationsfähigen Unternehmen herum werden generell als Cluster bezeichnet – die entsprechenden Tätigkeiten als Clusterpolitik.

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2.2.2.4.2 Lokale Technologie- und Existenzgründungspolitik Zu Beginn der 80er Jahre wurden Existenzgründungs- und Innovationsdefizite der bundesrepublikanischen Wirtschaft in den Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Diskussion gestellt. Seitdem gibt es eine deutliche Ausdehnung der wirtschaftspolitischen Aktivitäten in diesen Bereichen. Die Beratungsaktivitäten wurden verstärkt, einige Bundesländer haben sog. Gründungsoffensiven ausgerufen. Viele neue Instrumente wurden geschaffen. Das bei den Städten beliebteste Instrument einer lokalen Gründungs- und Technologiepolitik ist mit Abstand das Technologie- und Gründerzentrum. Technologie- und Gründerzentren, oder auch Innovations- und Gründerzentren, sind seit 1985 in großer Zahl, mit unterschiedlichen Schwerpunkten, Konzepten und Erfolgen an den verschiedenen Standorten entwickelt worden. Technologie- und Gründerzentren sind Gebäude bzw. Gebäudekomplexe, die von einer Trägergesellschaft zumeist mit öffentlichen Mitteln gebaut werden und technologieorientierten Unternehmen zur Miete angeboten werden. In ihnen sollen junge, häufig neu gegründete Unternehmen unterstützt werden, die innovative Produkte, Verfahren und Dienstleistungen entwickeln und auf den Markt bringen. Zur Entwicklung eines Technologie- und Gründerzentrums gehört unverzichtbar die aktive Suche nach Nutzern, bzw. das aktive Zusammenführen von potentiellen Nutzern, dazu das Angebot zahlreicher Beratungsdienstleistungen. Als besonders erfolgreich gelten Technologie- und Gründerzentren in der Nähe von Technischen Universitäten oder Großforschungseinrichtungen wie Max-Planck-Instituten oder Fraunhofer-Gesellschaften. Reine Gründerzentren entwickeln in der Regel keinen besonderen Anspruch an die Technologie-Orientierung ihrer Firmen. Sie können auch an anderen Standorten erfolgreich sein. Zu den wichtigsten Leistungen, die Technologie- und Gründerzentren ihren Mietern zur Verfügung stellen, zählen x

hochwertige Flächen zu mittleren Preisen

x

ein flexibles Raumangebot

x

zusätzliche Dienstleistungen (Empfangsdienst, Konferenzräume, Veranstaltungsmanagement, etc.)

x

Beratung (Gründungsberatung, Rechts- und Steuerberatung (nur Vermittlung), Marketing und Vertriebsberatung, Coaching)

x

eine gute Adresse durch Architektur und Innenarchitektur

x

ein gutes Image

x

die Vermittlung von Kontakten zu potentiellen Kunden, Kooperationspartner, Finanzierungsinstituten und „Venture Capital“ Gebern

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x

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Weiterbildung im Bereich „Management“.

Von Nutzern der Technologie- und Gründerzentren werden besonders das hohe Image des Standortes sowie die gute Ausstattung des Zentrums - verbunden mit den geringen Kosten - geschätzt. Ohne Zweifel ziehen Technologie- und Gründerzentren die Aufmerksamkeit von Nutzern und Kunden auf sich. Technologie- und Gründerzentren gelten als gute Adresse und sind Kristallisationspunkte von innovationsorientierten Unternehmen. Ihre generelle ökonomische Bedeutung ist allerdings umstritten – verschiedene Erfolgskontrolluntersuchungen kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen im Hinblick auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, im Hinblick auf die Gründungshäufigkeit und die Überlebenswahrscheinlichkeit von Existenzgründern in Technologie- und Gründerzentren. Eindeutig ist allerdings, dass Städte, die derartige Innovationszentren entwickeln, einen Vorsprung haben im Hinblick auf die Akquirierung und Entwicklung von neuen innovativen Unternehmen (vgl. Elle u. Partner, S. 192): die stadtökonomischen Effekte sind daher positiv. Technologie- und Gründerzentren haben allerdings für die Entwicklung der Industriebeschäftigung in den Städten keine große Bedeutung. Der überwiegende Teil der Unternehmen in Technologiezentren hat seinen Tätigkeitsschwerpunkt im Bereich der unternehmensorientierten Dienstleistungen. So sind z.B. nur 13% der in den Technologie- und Gründerzentren NordrheinWestfalens registrierten Unternehmen dem Industriebereich zuzuordnen – 72% hingegen dem Bereich der „Dienstleistungen und freien Berufe“ (Elle, S. 211). Damit leisten die Technologiezentren einen Beitrag zur Diversifizierung und Modernisierung der städtischen Wirtschaftsstruktur. Sie passen sehr gut in die neue Wirtschaftsstruktur der flexiblen Spezialisierung, für die Großstädte immer noch Standortvorteile haben. Neben den Technologiezentren haben sich Technologieparks als wichtiges Mittel der lokalen Technologiepolitik etabliert – wenn es auch viel mehr Technologiezentren gibt als Technologieparks. Im Unterschied zu Technologiezentren stellen Technologieparks ein großflächiges Gewerbeflächenangebot zum Verkauf an Eigennutzer dar. In ihnen sollen Unternehmen angesiedelt werden, die Güter und Dienstleistungen produzieren, die am Anfang ihres Produktlebenszyklus stehen, auf neuesten Technologien beruhen und denen besondere Wachstumschancen zugebilligt werden. In der Regel haben die in Technologieparks hergestellten Güter und Leistungen die erste Markteinführungsphase hinter sich. Im Optimalfall stellen Technologieparks ein Flächenangebot für Unternehmen zur Verfügung, die ihre Inkubatorzeit im Technologiezentrum erfolgreich hinter sich gebracht haben, dieses nun verlassen und in eigenen Gebäuden die nächsten Wachstumsphasen bewältigen. Die Großstädte der BRD haben sich in unterschiedlichem Maße einer lokalen Technologiepolitik mit Hilfe von Technologiezentren und Technologieparks zugewandt. Zu den Vorreitern einer

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städtischen Innovations- und Technologiepolitik gehört Berlin. Das damalige Westberlin hatte mit dem „Berliner Innovations- und Gründerzentrum (BIG)“ schon 1983 auf sich aufmerksam gemacht. Inzwischen sind nach diesem Modell allein in Berlin insgesamt neun Technologiezentren entstanden. In ihnen waren nach Angaben der Technologiestiftung im Jahre 1999 rund 300 Unternehmen mit etwa 2.000 Beschäftigten tätig (vgl. Jahreswirtschaftsbericht Berlin, S. 4). Im Jahre 1996 hat das Land Berlin eine Gründungsoffensive zur besonderen Förderung von Existenzgründungen ins Leben gerufen. Teil dieser Gründungsoffensive ist die Schaffung zahlreicher „Bezirklicher Gründungszentren“, die möglichst in allen Bezirken Berlins als Impulszentren aufgebaut werden sollen. Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist der Technologiepark Berlin-Adlershof. Der 76 ha große Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Berlin-Adlershof, kurz WISTA genannt, wird von der WISTA-Management GmbH als Standort für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und technologieorientierte Unternehmen sowie Teile der mathematisch-naturwissenschaftlichen Institute der Humboldt–Universität zu Berlin entwickelt. Gemessen an diesen Projekten Berlins nehmen sich die technologiepolitischen Ansätze der anderen großen Städte bescheidener aus. München hat bisher ein städtisches Technologiezentrum als Teil seiner Gewerbehofstrategie entwickelt. Hamburg hat die Anfangsphase von zwei Technologiezentren mit finanziert, dann aber die weitere Entwicklung und das Management weitgehend privaten Akteuren überlassen. Frankfurt am Main entwickelt erst im Jahre 2003 ein erstes Technologiezentrum – das Frankfurter Innovationszentrum Biotechnologie (vgl. o.V., S. 15). In Stuttgart basiert die Technologiepolitik weitgehend auf den Aktivitäten der Steinbeis-Stiftung und darauf, dass Professoren der Universität und der Fachhochschule Stuttgart ein eigenes Technologiezentrum sowie ein Transfer- und Gründerzentrum betreiben. Anders dagegen sieht die Situation wiederum in Dortmund aus. Seit 1985 wurden dort weitgehend mit Mitteln des Landes NordrheinWestfalen und der Stadt Dortmund fünf Gewerbegebäude mit unterschiedlichen technologischen Profilen als Technologiezentrum Dortmund errichtet. In unmittelbarer Nachbarschaft entstand ein 11 ha großer, sehr erfolgreicher Technologiepark, der mittlerweile voll belegt ist. In diesem technologiepolitischen Gesamtkomplex direkt neben der Universität Dortmund sind nach Angaben der Wirtschaftsförderung Dortmund z.Zt. etwa 8.000 hochqualifizierte Arbeitskräfte beschäftigt. 2.2.2.4.3 Lokale Clusterpolitik Man geht heute davon aus, dass Städte und Regionen nicht in allen Zukunftsbranchen und Innovationsfeldern Erfolg haben können. Vielmehr kommt es darauf an, sich auf Schwerpunktbereiche zu konzentrieren, in denen vielversprechende, lokale unternehmerische Ansätze bestehen und hier eine cluster-orientierte, lokale Wirtschaftspolitik zu betreiben. Dabei versteht man unter einem Produktionscluster eine kritische Masse an vor Ort verfügbaren Fertigkeiten, Expertisen, Zulieferern, Aus- und Weiterbildungseinrichtungen sowie effektiven lokalen Institutionen, die sich auf

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bestimmte Kompetenzen konzentrieren. Nur bei einem Vorhandensein von starken Clustern sind Städte und Regionen in der globalen Welt wettbewerbsfähig, können überregional anerkannte Identität

gewinnen

und

sich

als

Standort

für

Ansiedlungen

attraktiv

machen

(vgl.

Rehfeld/Wompel, S. 13; Porter, S. 48ff.). Konsequenterweise bemühen sich die Wirtschaftsförderer seit einigen Jahren darum, ihre lokalen Technologiepolitiken zu einer cluster-orientierten Politik weiterzuentwickeln. In den meisten Großstädten steckt eine derartige Politik allerdings noch in den Kinderschuhen und bedarf einer erheblichen Weiterentwicklung. Hamburg z.B. will sich auf zahlreiche Cluster konzentrieren: Life Sciences, Nano- und optische Technologien, IT und Medien, Luftfahrtindustrie, Hafen und Logistik, China (vgl. Staatliche Pressestelle der Freien und Hansestadt Hamburg, S. 31ff). In Berlin gibt es Ansätze einer cluster-orientierten Wirtschaftspolitik in den Bereichen Biotechnologie, Medizintechnik, Informationstechnologie und Neue Medien, Solartechnik, Optische Technologien und Verkehrssystemtechnik. Frankfurt entwickelt einen Cluster im Bereich Biotechnologie, Stuttgart in den Bereichen Biotechnologie, Mobilität und Medien. Am konsequentesten hat wohl Dortmund seine Wirtschaftspolitik auf die Entwicklung von Clustern ausgerichtet. Angestoßen durch die Thyssen–Krupp AG und die Unternehmensberatung McKinsey & Company wurde gemeinsam mit der Stadt Dortmund das sog. „dortmund-project“ initiiert. Dieses Projekt, eine Public Private Partnership mit vielen Partnern, hatte zum Ziel, Dortmund innerhalb von 10 Jahren vom einstigen Standort der Montanindustrie zu einem wichtigen Technologiestandort in Europa zu machen. Die cluster-orientierte Politik des „dortmund-project“ konzentriert sich auf die Bereiche: IT, Software, E-/M-Commerce, Logistik und Mikrosystemtechnik. Um jede dieser Schlüsselbranchen sind systematisch Netzwerke gebildet worden von Vertretern der Stadt, der Landesregierung, von ansässigen und auswärtigen Unternehmen und Forschungseinrichtungen sowie erfahrenen Privatpersonen. Das Bündel der netzwerk-orientierten Maßnahmen umfasst jeweils „start to grow“-Wettbewerbe, d.h. eine sehr aktive Existenzgründungspolitik, die darauf gerichtet ist, neue Unternehmen zu schaffen und von außen anzusiedeln. Zu dem Konzept gehört zum einen die Unterstützung der jungen Unternehmen mit Venture Capital Fonds sowie die Beratung und Beteiligung durch sog. „Business Angles“ – erfolgreiche Unternehmer, die den jungen Unternehmen Kapital und Beratung zur Verfügung stellen. In Dortmund kommen die Business Angels in der Regel aus dem Umfeld des Technologieparks Dortmund. Zum Konzept gehört weiter die Bereitstellung von Mietflächen, z.B. in einem privaten E-CommerceCenter, in einem stadteigenen E-Port-Center sowie einem E-Log-Center etc. Die vielfältigen Maßnahmen werden unmittelbar mit Projekten der Wiedernutzung von Industriebrachen verknüpft. So wurden auf der ehemaligen Stahlwerksfläche Phoenix-West eine Software-Halle, die Mikrostruktur-(MSt)-Factory sowie ein Zentrum für Produktionstechnologie gebaut, Gründer- und Innovationszentren für verschiedene Branchen.

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Das „dortmund-project“ konzentriert sich allerdings nicht nur auf den unmittelbaren Wirtschaftsförderungsbereich, sondern entwickelt Programme für den Aus- und Weiterbildungsbereich und wirkt mit einem umfassenden Maßnahmenbündel auf den Wohn- und Freizeitbereich ein. Insgesamt wird ein sehr stark ganzheitlich geprägter Ansatz einer neuen Wirtschaftspolitik in die Tat umgesetzt. Der Ansatz des „dortmund-projects“ hat zu ersten sichtbaren Erfolgen geführt. Die Zahl der Existenzgründungen in den o.g. Schlüsselbranchen hat deutlich zugenommen. In wachsendem Maße können in den drei Kompetenzbereichen Ansiedlungen von außen gewonnen werden. Insbesondere im Logistik-Bereich hat Dortmund in den letzten Jahren sichtbare Beschäftigtenzuwächse registrieren können. Dieses Logistik-Cluster hatte im Jahr 2007 schon rd. 25.000 Beschäftigte – seit 1998 gab es einen absoluten Zuwachs von 10.000 Beschäftigten in diesem Bereich. Insgesamt realisiert Dortmund eine cluster-orientierte Politik zum Aufbau vollständig neuer Wirtschaftsstrukturen mit einer Konsequenz, die in der Bundesrepublik z.Zt. relativ einmalig ist. 2.2.2.5

Gewerbeplanung und Dienstleistungen

So systematisch die meisten Ansätze der Gewerbeplanung in Bezug auf die Sicherung des Bestandes, die Modernisierung und die Erneuerung der industriellen Basis heute sind, so wenig sind entsprechende Ansätze für den Dienstleistungsbereich bekannt. Zwar spielen moderne Dienstleistungen in den o.g. Ansätzen selbstverständlich eine Rolle, insbesondere in der Technologiepolitik und der Clusterpolitik, zwar gibt es auch Ansätze zur Stärkung und Entwicklung des Logistikbereiches, aber darüber hinaus haben planerische Ansätze für Dienstleistungen vor allem den Charakter der Unterstützung von Einzelprojekten wie innerstädtischen Shopping-Centern, Entertainment – Projekten, Stadien und Arenen etc. Daneben stellen Ansätze für den Dienstleistungsbereich eher auf die Standortlenkung innerhalb der Stadt oder innerhalb von Stadtregionen ab. Das ist besonders auffällig im Bereich des Einzelhandels. Ausgehend von der Tatsache, dass der innerstädtische Einzelhandel in den letzten Jahren in starkem Maße gegenüber dem dezentralen großflächigen Einzelhandel an Bedeutung verloren hat, was vor allem an wachsenden Leerständen in Citybereichen und in Stadtteilzentren deutlich wird, fühlen sich die meisten Großstädte heute in einer Situation, in der es darauf ankommt, den City-Einzelhandel zu stärken und die Einzelhandelsstandorte auf der „Grünen Wiese“ in ihrem weiteren Wachstum zu begrenzen. Um diese Ziele zu erreichen, bedient man sich zunehmend umfangreicher Lenkungskonzepte, die darauf abstellen, die Entwicklung der Einzelhandelsstandorte systematisch zu steuern. Die meisten Städte arbeiten dabei mit sog. Zentrenkonzepten, in denen die innerstädtische Zentrenstruktur, d.h. das Nebeneinander von Cities, Stadtteilzentren, Nebenzentren und peripheren Standorten, analysiert und bewertet und in denen Ziele und Maßnahmen formuliert werden, die vor allem als Richtschnur für die Genehmigung oder Nichtgenehmigung von Einzelhandels-

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vorhaben dienen sollen. Derartige Konzepte tragen zwar unterschiedliche Namen, aber ähneln sich in ihren Inhalten. In Hamburg zum Beispiel gibt es seit Mitte der 1970er Jahre einen „Ordnungsplan Zentrale Standorte – Flächen des Einzelhandels“. Im Rahmen der Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes Ende der 1990er Jahre ist dieser Ordnungsplan überprüft und modernisiert worden. Die Ergebnisse finden sich in den „Leitlinien für den Einzelhandel im Rahmen der Hamburger Stadtentwicklungspolitik“, die von der Senatskommission für Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr“ im Jahre 1996 beschlossen wurden (vgl. Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Bau und Verkehr – Landesplanungsamt). In München gibt es ein ähnliches Zentrenkonzept, das von einem hierarchisch geprägten Zentrengefüge ausgeht, sich vor allem aber mit der Lage in den sog. „Nahbereichszentren“, den „Quartierszentren“ und den „Stadtteilzentren“ auseinandersetzt. Für den Citybereich Münchens gibt es darüber hinaus besondere Konzepte. München betont sehr deutlich das Leitbild einer dezentralen Versorgungsstruktur. „In einem polyzentrischen Siedlungsgefüge sollen neben der Innenstadt in einer Vielzahl zentraler Orte wohnortnah Versorgungseinrichtungen für die örtliche Bevölkerung angeboten werden.“ (Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung, S. 3). Entsprechend dieser Zentrenstruktur gibt es Maßnahmenkonzepte für die einzelnen Zentren. Auch dezentrale großflächige Einzelhandelszentren werden berücksichtigt. Auch die Stadt Dortmund hat seit den 70er Jahren ein Zentrenkonzept, das sog. Multizentrische Modell. Dieses ist bei der Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes bestätigt worden und in Bezug auf den Einzelhandel durch einen sog. Masterplan Einzelhandel weiterentwickelt worden. Dieser legt Maßnahmen für die einzelnen Zentrentypen fest und beinhaltet auch ein Konzept für die Standorte des großflächigen Einzelhandels (vgl. Stadt Dortmund, Stadtplanungsamt). Insbesondere im Hinblick auf die Cities der Städte hat sich darüber hinaus in den letzten Jahren ein Instrumentarium entwickelt, das nicht nur auf räumliche Lenkung der Einzelhandelsvorhaben abstellt, sondern die Attraktivität des entsprechenden Stadtzentrums für Käufer und damit für die Einzelhandelsbetriebe erhöhen soll. Hier gibt es sehr viele unterschiedliche Initiativen: Zahlreiche Städte haben ein sog. Citymanagement eingerichtet, das darauf abzielt, in Kooperation mit dem Einzelhandel Methoden des Centermanagements auf die Innenstädte zu übertragen. Ähnliche Aufgaben haben die vielen neuen Gesellschaften zum City- und Stadtmarketing, die in der Regel aus den Werbegemeinschaften der örtlichen Einzelhändler entwickelt worden sind und häufig Public-Private-Partnership-Gesellschaften sind. Zahlreiche Bundesländer unterstützen innenstadtbezogene Initiativen mit entsprechenden städtebaupolitischen Programmen unter dem Schlagwort: „Ab in die Mitte!“ Das erste dieser Programme hat das Land Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht. Mittlerweile gibt es derartige Programme auch in anderen Bundesländern, z.B. in

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Niedersachen, in Hessen und Sachsen, um nur einige zu nennen (vgl. City- und Stadtmarketing, 2003). Das neueste Instrument zur Stärkung der von Niedergang bedrohten Innenstädte und Stadtteilzentren sind die sog. „BID“s. Das amerikanische Konzept der „Business Improvement Districts“ ist in den letzten zwei Jahren sehr stark in der BRD diskutiert worden und in vielen Bundesländern eingeführt. Nach diesem Konzept schließen sich Gewerbetreibende und Immobilieneigentümer in einem Zentrenbezirk zusammen, initiieren Maßnahmen zur Aufwertung des Standortes und finanzieren diese Maßnahmen gemeinsam. Wird juristisch ein derartiger BID gegründet, sind alle Unternehmen zur Teilnahme verpflichtet. Gutachten haben die Möglichkeit, dieses Modell auf die BRD zu übertragen geprüft und sind zu einem positiven Urteil gekommen. Als Konsequenz hat das Land Hamburg als erstes Bundesland ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, das am 1.1.2005 in Kraft getreten ist. Der erste Business Improvement District in der Bundesrepublik war in Hamburg der Standort „Neuer Wall“. Seitdem haben auch Hessen, Bremen, Schleswig - Holstein, Saarland und Nordrhein-Westfalen entsprechende Gesetze in Kraft gesetzt. Dabei sind die verwendeten Begriffe und Regelungen im Einzelnen zwar unterschiedlich, laufen aber auf dasselbe hinaus – eine Public-Private-Partnership, bei der die öffentliche Hand die rechtlichen Grundlagen schafft, und die privaten Akteure die finanziellen Belange und realen Maßnahmen übernehmen (ein systematischer Überblick über den Stand der gesetzlichen BID-Regeln in den einzelnen Bundesländern findet sich auf dem Internetportal der HCU – Hamburg unter der Begriff Urban Improvement Districts). Eine große Rolle im Rahmen der Einzelhandelspolitik spielt seit einiger Zeit die Betrachtung des örtlichen Einzelhandels im regionalen Zusammenhang. Um zu verhindern, dass die Oberzentren und ihr Umland in der Frage der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe gegeneinander ausgespielt zu werden, gewinnen sog. „Regionale Einzelhandelskonzepte“ seit einigen Jahren eine wachsende Bedeutung. In der Region Dortmund wurde eines der ersten derartigen Konzepte erarbeitet und von den beteiligten Gemeinden verabschiedet (Regionales Einzelhandelskonzept Östliches Ruhrgebiet). Ähnliche Konzepte sind in den letzten Jahren in vielen Regionen der Bundesrepublik entstanden. Sie tragen in erheblichem Maße zu einer besseren Abstimmung unter den regionalen Akteuren bei der Diskussion um neue großflächige Einzelhandelsvorhaben bei, wenn auch nicht alle Regionale Einzelhandelskonzepte in der Realität große Erfolge sind. Während also der Einzelhandelsbereich in der Gewerbeplanung recht systematisch behandelt wird, gibt es für andere Dienstleistungsbereiche keine derartig umfassenden Konzepte. Zu erwähnen ist allenfalls noch der Bürobereich. Hier gibt es in den größeren Bürostädten in der Regel eine grobe Auflistung möglicher Bürostandorte. Manche Gemeinde haben sich durch externe Gutachter Büroflächenprognosen und Büroflä-

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chenkonzepte anfertigen lassen. Zu einer systematischen Büroflächenpolitik haben sich aber derartige Ansätze nicht weiterentwickelt. 2.2.2.6

Zusammenfassung

Trotz der beschäftigungsmäßig abnehmenden Bedeutung des produzierenden Gewerbes in Städten haben Strategien für die Entwicklung von Arbeitsplätzen in der Industrie und angrenzenden Dienstleistungsbereichen in den meisten der großen Städte der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnen. Dabei geht es zum einen um die zur Verfügung-Stellung von neuen Flächen für das produzierende Gewerbe, um Gewerbehöfe und um die Wiedernutzung von ehemals industriell genutzten Flächen. Andererseits geht es um die Modernisierung der Wirtschaftsstrukturen durch eine explizite Existenzgründungs- und Innovationspolitik, die in ihrer modernsten Variante zur Clusterpolitik weiterentwickelt wird. Vor allem in diesen modernen Bereichen geht es um eine Vernetzung von produzierenden und dienstleistenden Unternehmen, für die gerade große Städte besonders gute Standortvoraussetzungen bieten. Neben den o.g. Handlungsfeldern der Gewerbeplanung spielt in den letzten Jahren vor allem der Einzelhandelsbereich eine wachsende Rolle. Hier ist in den meisten Großstädten über Zentrenkonzepte, städtische Einzelhandelskonzepte sowie Masterpläne Einzelhandel ein relativ geschlossenes System der Standortlenkung im Einzelhandelsbereich entwickelt worden. Dieses innerörtliche System wird zunehmend ergänzt durch die regionale Dimension. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Ansätze zur Attraktivierung von Cities und anderen Zentren. Insgesamt hat sich der Bereich Gewerbeplanung in den letzten zwanzig Jahren zu einer zunehmend querschnittsorientierten Fachplanung im Rahmen der Stadtplanung entwickelt, die sich mit immer komplexeren Fragestellungen auseinandersetzen muss. Die Gewerbeplanung muss insbesondere ein gutes Verhältnis zu der Immobilienwirtschaft herstellen, denn zahlreiche Projektentwickler, die sich auf Gewerbeimmobilien konzentrieren, übernehmen damit Aufgaben der Gewerbeplaner im Rahmen der Standort- und Flächenentwicklung und leisten privatwirtschaftlich einen nicht unerheblichen Beitrag zur Gewerbeentwicklung und Wirtschaftsförderung.

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Weiterführende Fachliteratur Hahne, P./Paul, G.: Gewerbehöfe im Städtebau, herausgegeben vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung NRW (ILS), Dortmund 1982. IKB Deutsche Industriebank AG: Gute Zukunftschancen für Logistikdienstleister: Strukturwandel im Speditionsgewerbe, Branchenbericht Januar 2002. Vielberth, J.: Das große Handbuch Gewerbeparks, Regensburg 1999. Sternberg, R./Behrendt, H./Seeger, H./Tamásy, C.: Bilanz eines Booms. Wirkungsanalyse von Technologieund Gründerzentren in Deutschland. Ergebnisse aus 108 Zentren und 1021 Unternehmen. Dortmunder Vertrieb für Bau- und Planungsliteratur, Dortmund 1996.

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169

Tantzen, H.: EU-Osterweiterung - Chance und Herausforderung für die norddeutsche Logistikwirtschaft, Vortrag auf der „Expansion“ am 16.06.03 in Hamburg, Präsentationsunterlagen verfügbar auf http://www.expansion-hamburg.de/, Zugriff am 19.12.03.

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2.2.3

Freiraumplanung

173

Christiane Ziegler-Hennings unter Mitarbeit von Gisela Schulte-Daxbök 2.2.3.1 2.2.3.2

Einführung

der Stadt Funktionen von Freiflächen/Grünflächen Typologie von Freiflächen 2.2.3.4.1 Öffentliches Grün 2.2.3.4.2 Grünflächen in Wohngebieten 2.2.3.4.3 Grünflächen in Büro- und Gewerbegebieten 2.2.3.4.4 Exkurs: Brachflächen 2.2.3.5 Rechtliche Grundlagen und Instrumente der Freiraumplanung in Verbindung mit der Immobilienentwicklung 2.2.3.5.1 Flächennutzungsplan, Landschaftsplan 2.2.3.5.2 Bebauungsplan, Eingriffs-/Ausgleichsregelung (Grünordnungsplan, ökologischer Begleitplan) 2.2.3.6 Immobilienentwicklung und Freiraumplanung – Konzepte und Empfehlungen für die Zukunft Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.2.3 2.2.3.3 2.2.3.4

173

Definition, Entwicklung und heutige Situation von Freiräumen in 173 176 180 181 184 188 190 192 192 195 197 200

171

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2.2.3

173

Freiraumplanung

Christiane Ziegler-Hennings unter Mitarbeit von Gisela Schulte-Daxbök 2.2.3.1

Einführung

Die Planung von Siedlungsflächen und die Entwicklung von Bauprojekten in Städten sind immer sehr eng verbunden mit der Sicherung und der Planung von Freiräumen und Grünflächen. Zum einen gehen durch die Bauflächen Freiräume verloren, zum anderen haben Umfang und Qualität der Grünflächen starken Einfluss auf den Wert und die Qualität der Baugebiete. Die Größe und die Struktur der Grünflächen auf dem Grundstück und im Umfeld der Immobilie bestimmen nicht nur den ökonomischen Wert mit, sondern beeinflussen auch die Akzeptanz und Wertschätzung der Nutzer. Ein „grünes“ Umfeld mit hoher ästhetischer Qualität oder hohem Aufenthaltswert, möglichst verknüpft mit ökologischen Funktionen, leistet einen wichtigen Beitrag zu der Werterhaltung von Immobilienprojekten. Der kontinuierliche Verbrauch von Landschaft, Freiraum, Fläche wird aus stadtökologischer Sicht als problematisch angesehen. Nach dem Bundesnaturschutzgesetz und dem Baugesetzbuch wird dafür ein ökologischer Ausgleich gefordert. Nachhaltige Stadtentwicklung ist ein zentraler Begriff für die zukünftige Entwicklung der Städte. Dies beinhaltet die Verpflichtung, aber zugleich auch die Chance, die Bauprojekte so umweltverträglich wie möglich zu entwickeln und innerhalb der Projektgebiete einen Beitrag zu der Entwicklung von Grünflächen zu leisten. Darüber hinaus müssen die verbleibenden negativen Umweltauswirkungen durch ökologische Kompensationsprojekte, möglichst an anderer Stelle im Stadtgebiet, kompensiert werden. Die Freiraumplanung beinhaltet daher fünf unterschiedliche Aufgabenstellungen: x

Sicherung vorhandener Freiräume,

x

Reduzierung des weiteren Freiraumverbrauchs,

x

Rückgewinnung von Freiräumen,

x

Schaffung bzw. Verbesserung der Zugänglichkeit und Erreichbarkeit,

x

Verbesserung der Nutzbarkeit von Freiräumen (vgl. Bochnig/Selle, 1993, S. 29).

Insbesondere die letzten drei Punkte sind eng mit der Immobilienentwicklung verbunden. 2.2.3.2

Definition, Entwicklung und heutige Situation von Freiräumen in der Stadt

Die Begriffe „Landschaftsraum“, „Freiraum“, „Freifläche“ und „Grünfläche“ werden häufig synonym oder ungenau verwendet. Teilweise werden die Flächenkategorien „Landschaft“ und „Frei-

174

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raum“ im Gegensatz zum Siedlungsraum gesehen, während „Freiflächen“ oder „Grünflächen“ häufig als Bestandteile von Siedlungsräumen gelten. Für diese Flächenkategorien gibt es verschiedene Definitionen, von denen einige hier aufgeführt werden. So werden im Handwörterbuch der Raumordnung „Freiflächen“ oder „Grünflächen“ dahingehend charakterisiert, dass sie x

im Siedlungsbereich liegen,

x

in aller Regel durch Vegetation bestimmt sind

x

und für Freizeit, Erholung, Naturerleben genutzt werden (Akademie für Raumforschung und Landesplanung, S. 443).

Im Gegensatz dazu werden diejenigen Räume als „Freiräume“ bezeichnet, die außerhalb des Siedlungsraums liegen und primär eine ökologische Grundfunktion oder Ressourcenfunktion haben (vgl. ebenda, S. 315). Sie werden forstwirtschaftlich oder überwiegend landwirtschaftlich genutzt. Landwirtschaftliche Flächen sind in der Regel der Flächentypus, der in Siedlungsfläche umgewandelt wird. Luther, Gruehn, Kenneweg gehen in ihrer Studie „Die Bedeutung von Freiräumen und Grünflächen für den Wert von Grundstücken und Immobilien“ ebenfalls auf die ungenaue Abgrenzung zwischen Freiraum und Freifläche/Grünfläche ein. Hier werden „Freiräume“ als diejenigen Flächen bezeichnet, die nach oben hin offen, also nicht überbaut sind. Erst mit einem „nennenswerten“ Grünanteil kann man von „Grünflächen“ sprechen. Offen bleibt hierbei, ob es sich um einen Ergänzungsraum oder um einen Bestandteil des Siedlungsraumes handelt (vgl. Luther/Gruehn/Kenneweg, S. 120). Garbrecht, Matthes verwenden den Begriff „Freiraum“ und verstehen darunter alle unbebauten Räume innerhalb und außerhalb des Siedlungsgebietes (vgl. ILS Garbrecht/Matthes, S. 24ff.). Bei der Bearbeitung des Themas Immobilienentwicklung und Freiraumplanung erscheint es sinnvoll, sich überwiegend auf die verwendeten Begriffe im Baugesetzbuch zu beziehen. Das Gesetz spricht, sowohl auf der Ebene des Flächennutzungsplans wie auch des Bebauungsplans von „Grünflächen“, wenn es um die Ausweisung beispielsweise von Parkanlagen, Dauerkleinanlagen, Friedhöfen, Spielflächen, etc. geht. Flächen für Land- oder Forstwirtschaft oder Flächen für den Schutz, die Pflege und Entwicklung der Landschaft werden gesondert aufgeführt (vgl. BauGB in d. Fassung von 2004, § 5 und §9). Den Begriff „Freiraum“ für Flächen außerhalb des Siedlungsraums zu verwenden, ist vor allem deshalb sinnvoll, weil in der Regel von Freiraumverbrauch gesprochen wird, wenn es um die Umwandlung von unbebauten Flächen in Siedlungsflächen geht. Dieser Freiraumverbrauch ist ein wichtiges Thema in der Diskussion der nachhaltigen Stadtentwicklung.

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In seinen Ausführungen „Auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Flächennutzung“ beschreibt Dosch sehr genau die tägliche Zunahme der Siedlungsfläche um derzeit 129 ha pro Tag (vgl. Dosch, S. 31ff.). Seit 1950 konnte eine stetige Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche von 7,1% auf 12,7% im Jahr 1992 verzeichnet werden. Zwischen 1992 und 2001 verlief diese Entwicklung in den alten und neuen Bundesländern mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. In den alten Bundesländern stieg der Anteil auf 13,8% an; der Zuwachs in den neuen Bundesländern von 6,1% auf 8,9% verlief weitaus schneller (vgl. ebenda, S. 33). Es ist jedoch notwendig, bei der Kategorie „Siedlungs- und Verkehrsflächen“ in die einzelnen Flächentypen zu unterscheiden; hierzu gehören sowohl Gebäude- und Freiflächen als auch Verkehrsflächen und Erholungsflächen. Ihr Anteil an der Siedlungsfläche ist verschieden, und auch ihre Entwicklung von 1997 – 2001 verlief sehr unterschiedlich. So haben die Gebäude- und Freiflächen um ca. 5% zugenommen und liegen bei ca. 52% an der Gesamtfläche, die Verkehrsflächen, mit 39% Anteil, nahmen um ca. 2% zu. Interessant ist, dass die Erholungsflächen mit 12% gegenüber 1997 deutlich zugenommen haben, ihr Anteil an der Siedlungsfläche liegt jedoch nur bei ca. 6% (vgl. hierzu: Dosch, S.33 und Bundesamt für Naturschutz, S. 16ff.). Dies bedeutet, dass zwar keineswegs die gesamte Siedlungsfläche überbaut ist, jedoch ein großer Anteil versiegelt ist und große zusammenhängende Grünanlagen, die zu den Erholungsflächen zählen, nur einen geringen Anteil an der Siedlungsfläche haben. Umso wichtiger ist die Größe und qualitätvolle Gestaltung der Grünflächen an den Immobilienprojekten. Es ist interessant, dass bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt die stetige Siedlungsflächenzunahme problematisiert wurde, da sie mit negativen Umweltauswirkungen verbunden ist. „Von der Siedlungsfläche können erhebliche nachteilige Wirkungen für den Naturhaushalt ausgehen ... Diese bebauten Flächen unterbrechen oder behindern ... klimatische, hydrologische und biologische Funktionszusammenhänge und Regenerationsprozesse" (Umweltbundesamt, 1986, S. 131). Der Verlust an fruchtbaren Böden, die Zerschneidung größerer Landschaftsräume, die Zunahme des Verkehrsaufkommens, der Qualitätsverlust der städtischen Umwelt, all dies sind Probleme, die im Zusammenhang mit zunehmender Siedlungsfläche genannt werden. Entgegen dieser Kritik und der Forderungen nach schonendem Umgang mit Boden und Fläche, vollzog sich die reale Siedlungsflächenentwicklung nahezu ungebremst. Im Rahmen der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung 2002 wurde daher zum ersten Mal die quantitative Begrenzung der Flächeninanspruchnahme auf 30 ha/Tag bis zum Jahr 2020 gefordert (vgl. Dosch, S. 32). Das Bewusstsein für städtische Freiflächen als ein wichtiger Bestandteil der Lebensqualität in der Stadt und als ein Element nachhaltiger Stadtentwicklung ist sowohl in der Planung als auch bei den Bürgern sehr ausgeprägt vorhanden (vgl. u.a. Neumeyer/Hufnagel/Kieslich). Neben Innenentwicklung und dem sparsamen Umgang mit Boden gilt auch die Qualifizierung von Freiräumen

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176

als eine wichtige Aktivität der nachhaltigen Flächennutzung in Deutschland (vgl. Dosch, S. 36ff.). Nur so können sie einen positiven Beitrag zur Stadtentwicklung leisten. Auf die einzelnen Funktionskomplexe wird im Folgenden näher eingegangen. 2.2.3.3

Funktionen von Freiflächen/Grünflächen

Freiräume oder Grünflächen übernehmen in der Stadt und für die Bewohner wichtige Funktionen. Sie können die unterschiedlichen Ansprüche jedoch nur erfüllen, wenn sie in ausreichender Größe, Verteilung und Ausstattung in den unterschiedlichen Stadtteilen vorhanden sind. Bei der Entwicklung von Immobilienprojekten ist daher stets zu prüfen, welche Anforderungen durch ihre Realisierung an das Umfeld gestellt werden und welchen Beitrag das jeweilige Projekt zu einer Freiflächenentwicklung leisten kann. Bei der Betrachtung von Freiraumfunktionen sind folgende Aspekte zu beachten. Es ist sinnvoll, eine Mischung von Bau- und Freiflächen anzustreben, damit die Grünflächen gut erreichbar sind und die an sie gestellten Aufgaben im Sinne der Funktionsmischung auch übernehmen können. Und die Funktionen, die Freiflächen zugewiesen werden, hängen sehr stark von der jeweiligen gesellschaftlichen Wertschätzung ab, unterliegen also einem steten Wandel. So standen beispielsweise während der 70er Jahre eher das Stadtklima und die Luftverbesserung im Vordergrund, während in den 80er/90er Jahren die Aspekte der Wohnumfeldverbesserung und des Kinderspiels eine wichtige Rolle spielten. Auch für die Struktur der Freiräume entwickelten sich unterschiedliche Vorstellungen in der Gesellschaft. Eine Veränderung von der Planung und Gestaltung ordentlicher, gepflegter Grünflächen hin zu dem „Wilden Grün“ der Städte wurde deutlich. Generell kann bei Freiräumen und der Zuordnung von unterschiedlichen Funktionen in vier wesentliche Teilkomplexe unterschieden werden: x

die ökologische Funktion,

x

die soziale Funktion,

x

die ästhetische, gliedernde Funktion,

x

die wirtschaftliche Funktion.

Die Funktionskomplexe können sich teilweise überlagern, aber auch miteinander auf einer Fläche konkurrieren. Beispielsweise kann es durchaus zu Konflikten zwischen der Funktion der intensiven Erholung und der Naturschutzfunktion kommen. Auf der anderen Seite bedeutet die Überlagerung verschiedener Funktionen bei entsprechender Größe der Grünfläche, z.B. Erholungs- und Klimafunktion, durchaus eine höhere Inwertsetzung der Fläche. Schwarze, Rüdisüli nehmen in ihrer Studie „Grünraum in der Stadt“ eine differenziertere Unterteilung der Freiraumfunktionen vor. Die ökologische Funktion untergliedern sie in: Klimaverbes-

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serung/Lufthygiene, Boden und Wasserhaushalt, Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Zu der sozialen Funktion zählen: Freizeit- und Lebensraum, psychohygienische Funktion und auch kulturelle und Kultfunktion. Raumgliederung und Stadtbild werden ebenfalls als Funktion genannt. Unter wirtschaftlicher Funktion werden die wirtschaftliche Produktionsfunktion, z.B. Landwirtschaft und die volkswirtschaftliche Funktion, in Form von Einfluss auf Bevölkerungsstruktur und Finanzkraft verstanden (vgl. Schwarze/Rüdisüli, S. 7). In einer der grundlegenden Arbeiten befassten sich Garbrecht/Matthes bereits 1980 mit den verhaltenswissenschaftlichen und den naturwissenschaftlichen Grundlagen der Freiraumplanung. Ausgehend von der Nutzung und der Inanspruchnahme von Freiflächen durch unterschiedlichste Aktivitäten der Bewohner, beispielsweise spazieren gehen und Freiraum besuchen, und der stadthygienischen Bedeutung, z.B. für Klima, Luft und Lärm, formulieren sie bestimmte Leitsätze und Empfehlungen (vgl. ILS Garbrecht/Matthes, S. 41ff.). Gälzer unterteilt die „Funktionen der Grünräume in der Stadt“ im Wesentlichen auch in die vier Oberbegriffe: ökologisch, sozial, gliedernd und wirtschaftlich (vgl. Gälzer, S. 23ff.). Den ökologischen Komplex untergliedert er nochmals in den biotischen Bereich – Lebensraum für Pflanzen und Tiere – und in den stadthygienischen Bereich – Stadtklima und Lärm. Stadtökologie, als ein Teilbereich der Ökologie, befasst sich mit dem „Ökosystem Stadt“, das besonderen Umweltbedingungen unterliegt. Neben den abiotischen Faktoren, Boden, Wasser, Luft und den biotischen Komponenten, Pflanzen und Tiere, ist die Stadt gekennzeichnet durch eine Fülle von technischen Elementen und Strukturen, die die natürlichen Faktoren verändern. Verursacher ist der Mensch, d.h. die Veränderungen sind anthropogen bedingt. Die hohe Konzentration von Menschen, Arbeitsstätten, Gebäuden und Verkehr führt in der Regel zu einer Verschlechterung der Umweltsituation in der Stadt. Aufgrund der Verbesserung durch den technischen Umweltschutz sollen vor allem die Grünflächen in der Stadt die negativen Umweltauswirkungen minimieren oder kompensieren. Die positiven Wirkungen werden insbesondere hinsichtlich des Stadtklimas erwartet. Die höheren Temperaturen, vor allem im Sommer, und die erhöhte Konzentration an Schadstoffen stellen eine Belastung für die Stadtbewohner dar. Die verbessernde Wirkung reicht jedoch nur bei großen Grünflächen (mehrere ha) über die Fläche hinaus in die Baugebiete. Ähnliches gilt für die Reduzierung von Stäuben und Gasen. Flächen mit einer Mischung von Rasen und Baumbeständen zeigen den größten Effekt. Die besten positiven Wirkungen werden auf den Flächen selbst erzeugt, daher ist ein System mehrerer kleiner und mittlerer Grünflächen einzelnen großen Flächen vorzuziehen (vgl. ILS Garbrecht/Matthes, S. 286ff.). Die Bewohner haben dann nur kurze Wege, um in den Genuss der positiven stadtklimatischen Wirkungen zu kommen.

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Biotop- und Artenschutz spielen eine zunehmend wichtige Rolle, auch im besiedelten Bereich. Zum einen bestehen aufgrund der Biotopkartierungen bessere Informationen über den Bestand an schutzwürdigen Pflanzen und Tieren, zum anderen wurde die Bedeutung von städtischen Grünflächen als Lebensräume, auch vor dem Hintergrund strukturarmer Ackerflächen, erkannt. Geschützte Landschaftsbestandteile und selbst Naturschutzgebiete finden sich häufig im Siedlungsraum und stellen ein wichtiges Potenzial für den Naturschutz und die Artenerhaltung dar. Der sozialen Funktion von städtischen Freiräumen wird in der Regel die größte Priorität beigemessen. Der Freiraum als Raum für die sinnliche Wahrnehmung der Natur, als Aufenthaltsraum für Erholung, für Bewegung und Spiel, vor allem für Kinder, ist enorm wichtig für ein gesundes Wohnumfeld. Gerade in den Städten, gekennzeichnet durch technische und umweltbelastende Strukturen, gewinnt er an Bedeutung. Da nur ein relativ geringer Anteil der Bewohner über ein Haus mit Garten verfügt (unter 25%), ist der Zugang zu halböffentlichen und öffentlichen Freiräumen wichtig. Dies muss auch bei der Neuplanung von Immobilien berücksichtigt werden. Garbrecht/Matthes haben bei Untersuchungen festgestellt, dass ca. 75 % der Freizeit im Haus oder in der Nähe verbracht werden; und dass „Spazierengehen“ zu der am häufigsten genannten Aktivität gehört (vgl. ILS Garbrecht/Matthes, S. 248). Es gibt umfassende Literatur über die Bedeutung von Freiräumen für Kinder und deren Entwicklung. Diese Räume dienen der Aneignung, der Bewegung, dem Naturerleben und dem kreativen Spiel (vgl. Blinkert; Hohenauer; Kleeberg). Wichtig ist ihre Nähe zum Wohnen. Freiräume sollen in der Stadt gestaltende und gliedernde Funktionen übernehmen. Sie tun dies, indem sie zum einen grüne Verbindungen zwischen unterschiedlichen Nutzungen und Strukturen darstellen und angenehme fußläufige Verbindungen schaffen. Grüne lineare Verbindungen zwischen Stadtteilen oder „grüne Brücken“ zur Überquerung von Verkehrstrassen sind Beispiele dafür. Besonders deutlich wird dies an dem Unterschied zwischen begrünten und nicht begrünten Straßen. Freiräume mit hohem Gehölzanteil erreichen oft eine gute und gliedernde Wirkung zwischen unterschiedlichen Nutzungen, z.B. Wohnen und Gewerbe, oder bei der „Abpflanzung“ unattraktiver Gebäude. Die ökonomische Funktion von Freiräumen lässt sich untergliedern in die direkte wirtschaftliche Funktion, z.B. als landwirtschaftliche Produktionsfläche oder als potenzielles Bauland, und in indirekte wirtschaftliche Funktionen. Hierzu zählt beispielsweise der Beitrag zur Attraktivität und zum positiven Image einer Stadt. Sie bewirken eine entsprechende Wertschätzung der Bewohner und verhindern dadurch die Stadtflucht. Standortentscheidungen, gerade von Familien und höher verdienenden Einkommensgruppen, sind oft gebunden an die Quantität und Qualität der Grünflächen und des Wohnumfeldes.

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Wichtig ist ein ausreichender Bestand an kleinen wohnungsnahen und großen, multifunktionalen Grünflächen im Stadtgebiet, ebenso wie eine Vernetzung der unterschiedlichen Grünflächen. Dies gilt sowohl für die ökologische Funktion, als auch für die Nutzung durch den Menschen. Abbildung 35 stellt die unterschiedlichen Funktionen dar, die sich in Freiräumen überlagern.

Lebensraum für Pflanzen und Tiere

Flächenreserve für zukünftige

„ökologische Nischen“

Siedlungsentwicklung

Erholung

Arten und Biotopschutz Bodenschutz,

Lagewert, Standortqualität für

Wasserfilter, Grundwasserneubildung

Einzelgrundstücke, Stadtteile und als Standortfaktor für Stadtentwicklung

Stadtklima, Luftaustausch,

Kulturell-ästhetische Funktion, Raumgliederung, historische Bedeutung, Naturleben

Kommunikation Produktionsfläche für Land-

Temperaturausgleich,

und Forstwirtschaft,

Sauerstoffangebot,

Abbaugebiete, Lagerfläche

Luftfilter, Lärmschutz

Sozialisation, Bewegungsraum und Lebensraum (insbesondere für Kinder)

Ökologische Funktion

Ökonomische Funktion

Freifläche

Quelle: eigene Darstellung verändert nach nibis

Abbildung 35: Funktionsbereiche von Freiräumen

Soziale Funktion

180

2.2.3.4

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Typologie von Freiflächen

Öffentliche, zugängliche Freiflächen/ Grünflächen • Stadtwälder • Landwirtschaftliche Fl ächen • Parks • Flächen an Gewässern

Halböffentliche Freiflächen/ Grünflächen • Kleingärten • Spielplätze • Friedhöfe • Grünflächen an Bildungsbauten und Kulturbauten

Privates Grün in Wohngebieten • Mehrgeschossige Wohnanlagen • Einfamilienhausgebiete

Freiflächen /Grünflächen in Gewerbe- und Bürogebieten • z.B. Abstandsgrün in Industriegebieten • Aufenthaltsgrün in Büroparks

Brachflächen

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 36: Typisierung von Freiflächen Gälzer spricht von einem „Baukastensystem“, wenn es um die Typologie von Freiräumen geht, und betont die große Vielfalt an Freiräumen in der Stadt mit ihrer unverwechselbaren Identität (vgl. Gälzer, S. 163ff.). Er teilt die Freiräume auf in Kategorien wie: allgemein nutzbare Grünräume, Grünräume an Wohnhäusern, an Betriebs- und Gemeinschaftsbauten, Verkehrsgrün und Sonderformen von Grün (vgl. ebenda, S. 164ff.). Luther et al. gehen sehr stark auf die Problematik der Klassifizierung und Typisierung der Freiräume ein (vgl. Luther/Gruehn/Kenneweg, S. 120ff.). Aus der Analyse unterschiedlichster Klassifizierungsansätze entwickeln sie ein System von 15 Freiraum-Haupttypen, die durch sog. ergän-

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zende Variablen konkretisiert werden (vgl. ebenda, S. 132ff.). Die Liste der Freiraum-Haupttypen entspricht weitestgehend den in Abbildung 36 aufgeführten Freiflächentypen. Die konkretisierenden Variablen reichen von Erreichbarkeit/Zugänglichkeit über Vegetationscharakteristika bis hin zu dem Gesamteindruck der infrastrukturellen/personellen Ausstattung. Eine derart differenzierte Unterteilung würde bei dem vorliegenden Beitrag zu weit gehen. Für die Immobilien-Projektentwicklung sind in erster Linie der Versorgungsgrad mit Freiräumen im Stadtteil, der ökologische Ausgleich und die Gestaltung des Umfeldes der Immobilie von Interesse. Daher wurde eine zusammenfassende Darstellung der Freiraumtypen vorgenommen, die vor allem die Zugänglichkeit der Grünflächen und die Immobilientypen berücksichtigt. Abbildung 36 gibt einen Überblick über die verschiedenen Freiflächen. 2.2.3.4.1 Öffentliches Grün Städtische Parkanlagen stellen ein wichtiges Element der Freiraumversorgung in der Stadt dar. Ihre Nähe und Verfügbarkeit als sog. „weiche" Standortfaktoren beeinflussen stark den Wert der Wohnimmobilien. „Wohnen am ...Park" ist ein Logo, mit dem häufig für neue Wohnprojekte geworben wird, selbst bei gewerblichen Standorten werden gerne Begriffe wie „Gewerbe-/Büropark“ oder „Arbeiten im Park" verwendet. Traditionell wird der Begriff Park primär mit öffentlichen Stadtparks assoziiert, doch sind in den vergangenen Jahren auch zunehmend Parks aufgrund privater Initiativen entstanden. Eine Sonderform stellen Parks auf gewerblichen Brachflächen dar. Viele städtische Parkanlagen haben ihren Ursprung in den feudalistischen Anlagen des Adels. Sie wurden als Schlosspark oder Jagdgebiet genutzt und waren für die Bürger nicht zugänglich. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts wurden sie geöffnet. Typische Beispiele sind Versailles bei Paris, Sanssouci in Potsdam, der Charlottenburger Schlosspark in Berlin, die Herrenhäuser Gärten in Hannover und der Wiener Prater (vgl. Gälzer, S. 173). Der Englische Garten in München und der Tiergarten in Berlin sind bereits Beispiele für den Übergang vom Adelspark oder der Militäranlage zum Volkspark. Als englische Landschaftsgärten angelegt, wurden sie mit dem sozialen Ziel weiterentwickelt, den Bürgern der Stadt einen Ort der Ruhe, Erholung und des Freizeitvergnügens zu geben. Im 19. Jahrhundert entstanden die ersten Volksparks. Typische Beispiele hierfür sind der Central Park in New York, der Battersea Park in London, der Volkspark in Wien, der Bürgerpark in Bremen, die Elbgärten in Hamburg und der Volkspark Wuhlheide in Berlin-Köpenick (vgl. Krause et al.). Fürst Pückler brachte die Idee des Volksparks nach Muskau, als er ein 500 ha großes Gelände mit der Bevölkerung und für die Bevölkerung planen ließ. Die zugrunde liegende Idee in den stark wachsenden Großstädten war, für die Bewohner mit teilweise sehr schlechten Wohnverhältnissen

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bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Diese Parkanlagen existieren zum großen Teil heute noch, bilden einen wichtigen Bestandteil des städtischen Grünflächensystems und haben einen hohen Identifikationswert bei der Bevölkerung. Die Parks lassen sich nach Größe und Zuordnung unterscheiden. Ihr Spektrum reicht von den Quartierparks oder sog. „Westentaschenparks" für die Tageserholung, über die Stadtteilparks in fußläufiger Entfernung, bis hin zu den großen Stadtparks, die eher am Wochenende aufgesucht werden. Bei der Verteilung und Planung ist davon auszugehen, dass zahlreiche kleine Grünanlagen besser sind, als wenige große Parks (vgl. ILS Garbrecht/Matthes, S. 64ff.). Dies zielt vor allem darauf ab, dass immobile Gruppen wie Kinder und alte Menschen nur kurze Wege zum Freiraum zurücklegen können. Für Kleinkinder gilt eine Entfernung bis zu 50 m Luftlinie als ideal, der Freiraum muss gefahrenfrei erreicht werden. Für alte Menschen sollte der Freiraum in höchstens 200 m Luftlinie entfernt liegen (vgl. ebenda, S. 66ff.). Daher ist bei der Ausweisung und Planung, beispielsweise neuer Wohnimmobilien, auf ausreichende Versorgung zu achten. An die Stadtparks werden andere Anforderungen gestellt. Für ihre multifunktionale Nutzung ist von einer Mindestgröße von 10 ha auszugehen. Nur so können sie die verschiedenen Anforderungen nach ruhigem Spazierengehen, nach Sport, Spiel und Veranstaltungen, verbunden mit naturnahen Vegetationsbereichen, erfüllen. Große Parks bis zu einer Größe von hundert ha sind bei den klassischen Landschafts- oder Volksparks keine Seltenheit (vgl. Gälzer, S. 173). Ergänzend zu den traditionellen Parks entstanden in den letzten Jahrzehnten auch zahlreiche neue Parkanlagen unterschiedlicher Größe. Die Gebiete der Bundes- oder Landesgartenschauen sind typische Beispiele für die Entwicklung und Neuanlage von Stadtparks. Die Internationale Bauausstellung Emscher Park hat eine Fülle neuer Parks, vor allem auf Gewerbebrachen entwickelt (vgl. Kapitel 2.2.3.4.4). Die Leitidee, der Emscher Landschaftspark selbst, ist die großräumige Verknüpfung der regionalen Grünzüge mit dem Ost-West-Grünzug Emschertal. Ähnlich groß dimensioniert ist die Idee des Grüngürtels Frankfurt, eines ringförmigen Stadtparks, der aus unterschiedlichen Freiraumstrukturen besteht. Im Zuge der Umgestaltung und Neuplanung von Quartieren gibt es interessante neue Parkanlagen. Dazu zählen z.B. der Parque André Citroen in Paris, die Henriette Herz/Tilla Durieux Parkanlagen in Berlin, der Park der Autostadt Wolfsburg, der Ostpark in München, der Uni-Park Zürich, der Campuspark an der Dortmunder Universität; die Reihe ließe sich lange fortsetzen. Zwei Dinge sind dabei wichtig: Zum einen ist es möglich, neue Parkanlagen in der Stadt zu schaffen und damit die Attraktivität der Stadtteile zu erhöhen. Zum Zweiten ist der Typus der neuen Parkanlagen sehr unterschiedlich, er reicht vom intensiv gestalteten Stadtpark bis zum fast naturnahen Landschaftspark am Siedlungsrand.

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Aufgrund der finanziellen Probleme der Städte wird versucht, die Unterhaltungskosten der Parkanlagen zu reduzieren. Dies führt fast automatisch zu einer größeren Naturnähe. Rasenflächen werden zu Wiesen, die nur noch zweimal jährlich gemäht werden und einen hohen Artenreichtum entwickeln. Gehölzbereiche werden nicht mehr intensiv gepflegt und entwickeln sich als wichtiger Biotop für Tiere. Naturnahe Wasserflächen sind preisgünstiger und ökologisch sinnvoller als kunstvoll gestaltete Wasserbecken. Wasserflächen stellen ein besonderes Potenzial in Städten dar. Auch hier reicht das Spektrum von der intensiv gestalteten Wasserfläche am Gebäude, über Versickerungsbereiche des Oberflächenwassers bis zum Flusslauf. Im Zuge der letzten Jahrzehnte ist die Bedeutung der Gewässer als attraktives Element für die Stadt deutlich erkannt worden, und die Städte haben sich zu den Gewässern geöffnet oder die Bachläufe renaturiert. Bei den naturnahen Gewässern treten häufig Konflikte zwischen Naturschutz und Erholungsnutzung auf, die durch sorgfältige Planung und Erschließung gesteuert werden müssen. Am Stadtrand befinden sich in der Regel die landwirtschaftlichen Flächen und die Waldgebiete. Auch wenn sie häufig in privatem Besitz sind, sind sie doch öffentlich zugänglich. Neben ihrer positiven stadtökologischen Funktion sind sie wichtige Aufenthaltsräume für die Erholung. Besonders deutlich ist dies bei den Wäldern, in denen die wirtschaftliche Holzertragsfunktion der Wohlfahrtswirkung untergeordnet ist. Sie erreichen Größenordnungen bis zu einigen hundert ha. Bei einer Tragfähigkeit von ca. 30 bis 50 Personen pro ha stellen sie einen wichtigen Bestandteil der landschaftsbezogenen Erholung in der Stadt dar und genießen hohen Schutzcharakter. Landwirtschaftliche Flächen im urbanen Raum haben ebenso multifunktionale Bedeutung. Es sind dies Produktion, Erholung und stadtökologische Funktion. Diese Flächen unterliegen jedoch einer besonderen Problematik. Sie sind der Flächentypus, der überwiegend zu Bauland umgewandelt wird, und auf ihnen soll auch in der Regel der ökologische Ausgleich für die „baulichen Eingriffe – Neubebauung“ stattfinden. Dies bedeutet, dass die landwirtschaftlichen Betriebe im Ballungsraum doppelt vom Flächenverlust betroffen sind. Häpke macht dieses Problem am Beispiel des Ruhrgebietes und der IBA Emscher Park deutlich. Einerseits sind die Parkanlagen und Waldflächen um ca. 1.500 ha gewachsen; im selben Zeitraum (1989-1999) haben die landwirtschaftlichen Flächen jedoch um ca. 3.300 ha abgenommen. Es gab also einen dramatischen Verlust an Wiesen- und Ackerflächen. Neben der unwiederbringlichen Zerstörung an fruchtbaren landwirtschaftlichen Flächen hat diese Entwicklung auch einen weiteren ökonomischen Aspekt. Die Subventionskosten pro Flächeneinheit für landwirtschaftliche Flächen sind verschwindend gering im Vergleich zu den Unterhaltungskosten für Parkanlagen. Es ist daher durchaus sinnvoll, die bäuerliche Kulturlandschaft im Ballungsraum zu erhalten (vgl. Häpke, S. 34ff.).

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Die überlagernden Funktionen unterstützen diese Argumentation. Aspekte wie die verbrauchernahe Produktion ökologischer Nahrungsmittel, die Erlebnisbereiche für Kinder und die Aufgabe in der Landschaftspflege sind wichtige Gründe für die Sicherung der landwirtschaftlichen Flächen. Seit einiger Zeit ist dieses Problem erkannt. Es werden nun Programme entwickelt, um den Erhalt und die Umweltorientierung der Landwirtschaft als ökologischen Ausgleich für bauliche Eingriffe zu fördern (Beispiel: Stadt Dortmund). 2.2.3.4.2 Grünflächen in Wohngebieten Mittlerweile haben neue Wohnbauflächen mit ca. 50% den höchsten Anteil an der Siedlungsflächenzunahme (vgl. Dosch/Beckmann, S. 3). Hochqualitative Freiflächengestaltung trägt dabei nicht nur zur langfristigen Werterhaltung bei, sondern stellt ein zusätzliches Marketingtool in schwierigen Märkten dar (Beispiel Chemnitz, Ruhrgebiet). Mangelnde oder nicht mehr zeitgemäße Qualität im Umfeld bestehender Wohnquartiere, insbesondere im Mietgeschosswohnungsbau, führen zu Leerstand und letztlich zur Abwanderung aus den Städten ins Umland mit den entsprechenden Umweltproblemen wie Freiraumverbrauch, zusätzliche Infrastruktur und wachsendem Verkehrsaufkommen. Dabei wird Qualität nicht von der Größe determiniert; zunehmend gewinnen jedoch Moden und ökonomische Anforderungen an Einfluss – das „Produkt Garten“ wird zum Trendthema (vgl. Leppert, S. 8). Grünflächen innerhalb von Wohngebieten haben neben ihrer gestalterischen Bedeutung vor allem eine soziale Funktion, insbesondere für Kinder und Menschen, die stark an das Umfeld gebunden sind. Zudem haben Befragungen bei Stadtbewohnern über 16 Jahre ergeben, dass ca. 75% der Freizeit zu Hause, im Garten oder in der Nähe der Wohnung verbracht werden (vgl. ILS Garbrecht/Mattes, S. 239). Mit dem zunehmenden Anteil alter Menschen steigt auch hier die Relevanz für soziale Kontakte (vgl. Jacobs). Neben der Freizeitfunktion haben Grünflächen nicht zu unterschätzende Bedeutung für das Kleinklima und die Bewahrung der Artenvielfalt durch naturnahe Gestaltung. Bei der Planung ist es daher sehr wichtig, genau abzuklären, welchen Schwerpunkt die jeweiligen Freiflächenkonzepte haben sollen. Im Wesentlichen muss zwischen Einfamilienhausgebieten und Geschosswohnungsbau differenziert werden; beide erfordern grundlegend unterschiedliche Freiraumkonzepte. Bei den Einfamilienhausgebieten befinden sich die Hausgärten in der Regel in privatem Besitz. Hier ist der Einfluss auf die Gestaltung der Grünflächen durch die öffentliche Hand oder den Investor relativ begrenzt. Es wird teilweise versucht, die Hausbesitzer durch Beratung und entsprechende Pflanzlisten zu motivieren, standortgerechte Pflanzen zu verwenden und damit mehr Naturnähe zu erreichen. Die Gestaltung von Außenanlagen stellt mittlerweile ein Wahlkriterium für

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die Mietung oder den Kauf von Immobilien dar, dessen Potenzial zur Kundenbindung und Renditesteigerung noch lange nicht ausgeschöpft ist (vgl. Seveneick, S. 42). Untersuchungen zeigen, dass die Identifikation mit dem Hausgarten vor allem bei Frauen sehr groß ist (vgl. Gälzer, S. 225ff. und „Mein schöner Garten“). Der Garten wird hauptsächlich als ein Ort der Erholung, Ruhe und Entspannung gesehen (vgl. ebenda, S. 11), der Nutzgarten ist nur noch regional von Bedeutung. Bei der Planung und Anlage muss daher darauf geachtet werden, dass der Hausgarten als privater Bereich entsprechend abgeschirmt und uneinsehbar ist. Hierbei kommt es nicht nur auf eine günstige Ausrichtung mit möglichst ebener Lage nach Süden oder Südwesten und vielseitiger Funktionalität an, sondern auch auf die Gestaltung der halböffentlichen Bereiche durch Erhalt vorhandener Baumbestände und Schaffung kindgerechter Erlebnisbereiche. Bei der Planung neuer Einfamilienhausgebiete ist genau zu überlegen, welche Käufer- und Nutzergruppen angesprochen werden sollen. Große Gärten sind in erster Linie eine Frage des Preisniveaus; sie entsprechen aber auch nicht der Forderung nach verdichteter Siedlungsweise. Hinzu kommt der Aspekt des Pflegeaufwands. „Als Faustregel gilt: 1 qm Gartenfläche bedeutet eine Arbeitsstunde pro Jahr, bei 500 qm sind dies etwa 60 Arbeitstage“ (Gälzer, S. 226). Selbst „pflegeleichte“ Gärten verursachen einen erheblichen Arbeitsaufwand; dies ist in Zeiten hoher Berufsbelastung von Frauen und Männern häufig nicht mehr erwünscht. Ausnahmen stellen die sog. „Prestigegärtner“ dar, für die ihr Garten Teil ihres Lifestyle ist und daher hohen Aufwand bei der Gestaltung

betreiben

(vgl.

Mein

schöner

Garten,

S.

21).

Für

Kinder,

auch

in

Einfamilienhausgebieten, ist es wichtiger, „wilde“ Grünräume zu haben, in denen sie sich mit anderen Kindern treffen und kreativ spielen können. Im Geschosswohnungsbau stellt sich die Freiraumsituation wesentlich anders dar. Die Bewohner haben in der Regel Wohnungen, bestenfalls mit Balkon. Hier ist die Qualität des grünen Umfelds sehr wichtig, gerade für Familien. In den Wohnsiedlungen gibt es private, halböffentliche und öffentliche Grünräume mit unterschiedlicher Zuordnung. In den vergangenen 20 Jahren hat ein Umdenken, auch bei den Investoren, hinsichtlich der Gestaltung und Nutzbarkeit von wohnungsnahen Freiflächen stattgefunden. „Freiraumqualität“ statt „Abstandsgrün“ lautet die Forderung, um das Wohnen im (Miet-) Geschosswohnungsbau attraktiv(er) zu gestalten (vgl. Spitthöver). Die Wohnungsbauunternehmen sehen die Anlage und Pflege der Außenanlagen im Wesentlichen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Aufgrund der negativen Erfahrungen mit dem schlechten Wohnumfeld der Siedlungen der 60er/70er Jahre, häufig verbunden mit einer Wertminderung der

Immobilien,

wurden

Konzepte

und

(Förder-)

Programme

für

die

notwendige

Wohnumfeldverbesserung entwickelt. Darauf aufbauend fand ein Umdenkungsprozess bei der Gestaltung neuer Wohnanlagen statt. „Auch seitens der Bauträger wird klarer, dass ziel- und nut-

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zergruppenorientierte Konzepte notwendig sind, um eine entsprechende Funktionalität des Freiraums als Feld sozialer Begegnung und Gemeinschaftlichkeit der Bewohner zu gewährleisten“ (Breitfuß/Klausberger, S. 118). Attraktiver und vielfältig nutzbarer Freiraum erhöht den sozialen Gebrauchswert der Freiräume und bewirkt eine höhere Identifikation der Bewohner. Sie sind dann eher bereit, auch Verantwortung für die Grünflächen zu übernehmen. Dies wiederum führt zu niedrigeren Instandhaltungskosten, so dass die finanzielle Bilanz durchaus positiv ist (vgl. Spitthöver, Band 2, S. 193ff.). Wenn möglich, sollten daher Ideen für die Freiraumgestaltung mit den zukünftigen Bewohnern zusammen entwickelt werden. Denn nach einer Beteiligung ist die spätere Eigeninitiative und Pflegebereitschaft weitaus höher. Bei den Frei- oder Grünräumen im mehrgeschossigen Wohnungsbau unterscheidet man folgende Typen: x

Private Grünräume, teilweise in direkter Verbindung zur Wohnung, und Mietergärten

x

Gemeinschaftliche Grünräume wie Spielbereiche, Sitzbereiche und Plätze

x

Öffentliche Freiräume, die auch für andere Stadtbewohner zu nutzen sind.

Bei der Gesamtfläche der Außenanlagen im Geschosswohnungsbau wird von Richtwerten von ca. 25 qm pro Wohnung ausgegangen. Die Gärten der Erdgeschosswohnungen sollen etwa eine Tiefe von 4 bis 6 m haben. Für die Mietergärten der Bewohner der oberen Geschosse wird eine Größe von etwa 60 bis 100 qm angegeben (vgl. Gälzer, S. 238). Besonderes Gewicht bei den Freiräumen im Geschosswohnungsbau ist auf die Gestaltung der Spielbereiche zu legen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Qualität dieser Flächen gleichermaßen wichtig ist für Kinder und Eltern und die Wohnstandortentscheidung von Familien stark beeinflusst. „Die Nutzung des gemeinschaftlichen Freiraums vermittelt sich ganz eindeutig zu allererst über die Betreuung von Kindern“ (Spitthöver, S. 29). Bei Fallbeispielen mit hoher Freiraumqualität, u.a. aus Hamburg, dem Ruhrgebiet und Köln wurde festgestellt, dass der wohnungsnahe Freiraum ideal für das Kinderspiel war (ebenda). Der Trend geht von gebauten und reglementierten Spielplätzen mehr und mehr zu Naturbereichen, die offenes Spiel erlauben. Ideal sind Elemente wie Wasser, Sand, modelliertes Gelände und natürliche Baumaterialien, um den Kindern kreatives Bewegungsspiel und Rollenspiel zu ermöglichen (vgl. Breitfuß/Klausberger, S. 59). In der Regel sind diese Spielbereiche in Anlage und Unterhalt wesentlich billiger als konventionelle Spielplätze. Spitthöver kommt in ihrer Studie zu dem Schluss, dass sowohl in der Bauleitplanung als auch bei den Investoren der Freiraumqualität weniger Wert beigemessen wird als der Gebäudequalität (vgl. Spitthöver, Bd. 2, S. 218). Allerdings beginnen auch die Wohnungsunternehmen zu erkennen,

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dass langfristig ein qualitätvoller Freiraum mit hohem sozialen Gebrauchswert lohnt (ebenda) und dass diese Investition nicht nur unter ökologischen und sozialen Kriterien, sondern auch unter ökonomischen Aspekten sinnvoll ist. Dies setzt jedoch bei der Ausbildung von Garten- und Landschaftsbauern ein entsprechendes wirtschaftliches Grundwissen und interdisziplinäres Denken voraus. Der Zusammenhang zwischen Freiräumen/Grünflächen und dem Wert von Grundstücken wird derzeit in einer Forschungsarbeit untersucht (vgl. Luther/Gruehn/Kenneweg). Ausgehend von einer Vorstudie in Berlin läuft ein dreijähriges Forschungsprojekt zu diesem Thema. In Berlin konnte der signifikant positive Einfluss von qualitätvollen Freiräumen auf den Wert von Immobilien nachgewiesen werden. Als Einflussfaktoren werden u. a. „Entfernung zu Spielplätzen“, „Gartendenkmäler in der Umgebung“ und „Gewässerfläche in der Umgebung“ genannt. Diese ersten Untersuchungsergebnisse werden nun bundesweit in Mittel- und Großstädten überprüft. In einer ersten Stufe sollen allgemeingültige Aussagen zum Einfluss freiraumbezogener Faktoren auf den Grundstückswert formuliert werden. Darauf aufbauend sollen dann die unterschiedlichen Parameter hinsichtlich ihrer Bedeutung eingestuft werden. Diese ökonomische Bewertungsgrundlage soll, ergänzend zu dem ökologischen und sozialen Wert von wohnungsnahen Freiräumen, als weiterer Faktor in der Argumentation dienen. Sie kann damit als zusätzliche Begründung für den Erhalt von Freiflächen in der Stadt herangezogen werden (vgl. Gruehn/Luther und Luther/Gruehn/Kenneweg). Abschließend sollen hier als besonderer Typus die ökologischen Wohnsiedlungen angesprochen werden, ohne im Detail auf die Aspekte ökologischen Bauens einzugehen. Diese Siedlungsformen sind jedoch häufig auch im Freiraumbereich beispielhaft und dies unter sozialen und ökologischen Aspekten. Die Bewohner sind oft von Beginn an Diskussionspartner oder Initiatoren der Siedlung mit entsprechenden umweltfreundlichen Gebäuden, naturnahen Grünflächen und offenen Freiräumen für die Kinder. Auch hier sind private Bereiche zur individuellen Gestaltung wichtig, doch wird den halböffentlichen Flächen, vor allem als Raum zum Spiel viel mehr Toleranz entgegengebracht. Zahlreiche Beispiele vermitteln interessante Eindrücke und Anregungen zur alternativen Freiraumgestaltung im Wohnungsbau. Zu nennen sind hier unter vielen anderen im ganzen Bundesgebiet die Siedlungen: Hannover, Siedlung Kronsberg; Kamen, Gartenstadt Seseke; Karlsruhe, Siedlung Geroldsäcker und Tübingen, Siedlung Schafbrühl. Der begonnene Umdenkungsprozess vom ordentlichen „Abstandsgrün“ hin zu sozial nutzbaren, naturnah gestalteten, offenen Grünflächen, die dann auch von den Bewohnern angenommen und betreut werden, ist ökonomisch sinnvoll und sollte daher auch von den Investoren aufgegriffen werden.

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2.2.3.4.3

Grünflächen in Büro- und Gewerbegebieten

Bei der Planung und Entwicklung von Gewerbegebieten hat sich in den letzten 20 Jahren eine deutliche Veränderung abgezeichnet. Die Gestaltung des Umfeldes und der Freiflächen gewann an Bedeutung. Sicherlich muss dabei unterschieden werden zwischen Industrieanlagen und Büroimmobilien. Gerade bei der Verwertung von Büroimmobilien wird zunehmend auf ein grünes, gut gestaltetes Umfeld Wert gelegt; Begriffe wie „Büropark“ oder „Technologiepark“ machen dies deutlich. Doch häufig wird der Begriff „Park“ inflationär verwendet (vgl. Gälzer, S. 249). Nicht immer verbirgt sich hinter diesem Begriff ein attraktives Umfeld für die dort Arbeitenden. Auch ist die Bereitschaft, ökologische Aspekte bei der Umsetzung der Projekte zu berücksichtigen, oft gering. Starre Festsetzungen in Bebauungsplänen zeigen nicht die gewünschte Wirkung und werden nicht umfassend realisiert (vgl. Ziegler-Hennings/Grote). Es ist daher wichtig, mit den Projektentwicklern und den Investoren zu sprechen und die Bereitschaft zu erreichen, ökologische und freiraumplanerische Belange zu realisieren. Gute Beispiele gibt es ausreichend. In einer der ersten umfassenden Arbeiten hat Grub die Möglichkeiten für das „Unternehmen Grün“ aufgezeigt (vgl. Grub). Einen umfassenderen Ansatz haben Steinebach und Schaadt mit ihrer Studie 1996 zu „Stadtökologie in neuen Gewerbegebieten“ verfolgt. So beginnt die Umweltorientierung bereits bei der Standortwahl für die Gewerbegebiete. Auf den Flächen selbst sind die Nutzungs-, Gestaltungs-, und Erschließungskonzepte von Bedeutung (vgl. Steinebach/Schaadt, S. 77ff.). Zu diesem Zeitpunkt sind bereits die Gespräche mit den Immobilienentwicklern wichtig, um die ökologischen Möglichkeiten in Bezug auf Boden, Wasser, Freiraum abzuklären. Neben den ökologischen Aspekten spielen auch soziale Belange eine Rolle. Eine wichtige Aufgabe ist die Gestaltung der Freiflächen als Aufenthaltsräume für die Angestellten. Hier sind vor allem Elemente der Gartenarchitektur, in Verbindung mit ruhigen Räumen, gefragt. Wasser ist ebenfalls ein beliebtes Gestaltungselement. Nur so können qualitätsvolle Erholungsräume für die Arbeitspausen erreicht werden. Umfragen haben ergeben, dass ein entsprechend gestalteter Außenraum hohes Ansehen bei den Mitarbeitern genießt und selbst die Arbeitsmotivation steigert (vgl. Gälzer, S. 251). Die Firmen in Business- oder Technologieparks legen in der Regel Wert auf sorgfältig gestaltete Eingangsbereiche als einen Beitrag zu der „guten Adresse“. Und es gibt eine Fülle von Beispielen dafür, dass dies nicht mit den eintönigen, immergrünen Bodendeckern geschehen muss. Eine Fachberatung durch Garten-, und Landschaftsarchitekten ist sinnvoll, um pflegeleichte und attraktive Eingangsbereiche zu erhalten. Bei Industriegebieten geht es in der Regel darum, die sehr massiven Baukörper einzugrünen und die dichten Pflanzungen als Immissionsschutz einzusetzen. Trotz des hohen Anteils an Erschlie-

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ßungsflächen besteht bei guter Planung zumindest die Möglichkeit, umfangreiche Randpflanzungen mit standortgerechten, heimischen Gehölzen vorzunehmen (Listen sind bei den örtlichen Grünflächenämtern verfügbar), oder die Parkplätze mit großkronigen Bäumen zu begrünen. Und dies ohne Verlust an Stellplätzen. Bei der Neugestaltung von Gewerbegebieten ist im Rahmen der nachhaltigen Stadtentwicklung auf den sorgsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen zu achten. Dies bedeutet im Einzelnen für den Bereich x

Boden: Möglichst geringer Versiegelungsgrad. Alle Erschließungsflächen, bei denen es möglich ist, sind mit wassergebundener Decke anzulegen. Der Mutterboden ist zu sichern.

x

Wasser: Sorgsamer Umgang mit der Ressource Wasser. Sammeln von Oberflächenwasser zur direkten Versickerung. Überprüfung der Möglichkeit, Wasserkreisläufe einzurichten.

x

Klima/Luft: Emissionen sind soweit wie möglich zu vermeiden. Grünflächen sind zur kleinräumigen Klima- und Luftverbesserung anzulegen.

x

Energie: Möglichkeiten der energiesparenden Bauweise sowie der Dach- und Fassadenbegrünung überprüfen.

x

Flora/Fauna: Zusammenhängende Grünflächen schaffen, die eine Verbindung mit städtischen Grünflächen haben. Industriegrundstücke sind in den Randbereichen oft wenig benutzt und abgeschlossen. Sie können daher Rückzugsräume für die Natur bilden.

Grundsätzlich ist eine naturnahe und extensive Gestaltung der Grünflächen wünschenswert (z.B. Blumenwiesen). Dies ist auch ökonomisch sinnvoll, da sie sowohl in der Anlage als auch im Unterhalt wesentlich kostengünstiger sind. Inzwischen gibt es zahlreiche Beispiele für eine nachträgliche Umfeldverbesserung in bestehenden Gewerbegebieten. Ein interessantes Modellprojekt ist der Entwurf für das Gewerbegebiet „Dorstfeld-West“ in Dortmund, bei dem die Möglichkeiten für die einzelnen Umweltbereiche und Freiraumtypen ausgezeichnet dokumentiert wurden. Sie können als Grundlage für Initiativen in anderen bestehenden Gewerbegebieten dienen. Es gibt sehr unterschiedliche Programme zur Förderung von Gewerbegebieten mit hoher Umfeldqualität. Der Bundeswettbewerb „Industrie im Städtebau“ ist hierfür ein Beispiel. Eine interessante Initiative gibt es in der Schweiz. Bei der Stiftung „Natur und Wirtschaft“ können Betriebe einen Beratungsantrag zur naturnahen Gestaltung ihrer Grundstücke stellen, und bekommen anschließend ein Zertifikat. 2.500 ha, ein Zehntel aller Schweizer Firmenareale, sollen naturnah gestaltet werden, um wichtige Lebensräume zurückzugewinnen. Im Jahr 2002, fünf Jahre nach der Gründung, waren bereits 700 ha zu neuen Naturräumen entwickelt worden; 166 Firmen hatten

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sich an dem Programm beteiligt (vgl. Stiftung Natur und Wirtschaft, Schweiz). Eine Initiative, die sicher auch bei deutschen Firmen auf positive Resonanz treffen würde, wenn entsprechende Förderung und Vermarktung damit verbunden wären. 2.2.3.4.4 Exkurs: Brachflächen Städtische Brachflächen stellen eine besondere Kategorie der Siedlungsflächen dar. In den letzten 20 Jahren gewannen sie bei der Diskussion um Innenentwicklung, um Freiraumschutz und um nachhaltige Stadtplanung stark an Bedeutung. „Flächenrecycling“ und „Flächenmanagement“ stellen zunehmend einen wichtigen Aufgabenbereich auch in der Projektentwicklung dar. Eine gesetzliche Definition für diesen Flächentypus, z.B. im Baugesetzbuch, fehlt. In der Regel werden unter Gewerbe- oder Industriebrachen Flächen verstanden, die aufgrund der Schließung der Betriebe oder Aufgabe der Nutzung nicht mehr oder nur minder genutzt sind (vgl. DIfU; Keil). Da sie sich in Größe und Struktur sehr stark unterscheiden, sagt der Begriff „Brachfläche“ zu wenig aus. Erläuterungen zu ihrer Lage in der Stadt, zu der früheren Nutzung, zur Umweltbelastung und zur Gebäude- und Vegetationsstruktur geben einen ersten Eindruck von der Fläche. Ebenso sind Aussagen zu den Besitzverhältnissen und der planungsrechtlichen Situation für eine Analyse notwendig. Der Bestand an Brachflächen ist schwer einzuschätzen und variiert je nach einbezogenen Brachflächentypen. Die Baulandumfrage des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung ergab etwa 44.000 ha (vgl. DIfU, S. 23). Das Umweltbundesamt ermittelte einen städtischen Brachflächenbestand von ca. 128.000 ha, der auch ehemalige Bahnanlagen und Militärflächen mit einschließt (vgl. ebenda, S. 24). Der tatsächliche Bestand ist kaum zu ermitteln, denn ständig entstehen neue Brachflächen durch Aufgabe der Nutzung. „Industrie- und Brachflächenreaktivierung. Herausforderung und Chance für die Stadtentwicklung und Immobilienwirtschaft“ lautet der Titel einer Fachstudie der Westdeutschen Immobilien Holding. Sie macht den Zusammenhang zwischen „Sustainable Development“, städtebaulichem Instrumentarium und „Public Private Partnership“ sehr deutlich. Flächenmanagement und -recycling sind daher typische Beispiele für interdisziplinäres Handeln. Die Behörden und die privaten Akteure müssen kooperieren. Flächenmanagement umfasst in erster Linie die Vermeidung neuer Brachflächen; Recycling bedeutet, möglichst schnell eine Nachnutzung zu finden, die auch städtebaulich gewünscht ist. Die Entwicklung von Brachflächen ist ebenso interessant wie schwierig. Hemmnisse bei der Wiedernutzung können durch die Besitzverhältnisse und vor allem durch die Altlastensituation und die damit verbundenen Sanierungskosten entstehen. Die Entwicklung städtischer Brachen ist in mehrerlei Hinsicht eng mit der Freiraumplanung verbunden. Ihre Wiedernutzung trägt zum Schutz des Landschaftsraumes vor Zersiedlung bei. Zu-

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dem wird die vorhandene Infrastruktur genutzt und der motorisierte Individualverkehr reduziert, beides Ziele der nachhaltigen Entwicklung (vgl. Westdeutsche Immobilienholding, S. 18ff.). Die unterschiedlichsten Brachetypen bieten die einmalige Chance, in der Stadt neue Mischgebiete mit den Nutzungen Wohnen, Arbeiten und Grün zu schaffen. Beispiele hierfür sind u.a. Freiburg, Vauban-Viertel; Potsdam, Bornstedterfeld; München, Messestadt Riem. Kartierungen seit etwa 20 Jahren haben gezeigt, dass sich auf vielen Brachflächen wertvolle und naturschutzwürdige Biotoptypen entwickelt haben. Diese Flächen sind häufig Rückzugsgebiete für gefährdete und seltene Arten, die sonst in der Stadt keinen Lebensraum mehr finden. Es ist primär eine politische Entscheidung, ob diese Flächen erhalten werden sollen; doch gibt es inzwischen viele ausgewiesene Naturschutzgebiete auf diesen urbanen Flächen. Zum dritten bieten Brachflächen die Chance, neue Grünflächen, z.B. in unterversorgten Stadtteilen zu schaffen. Es ist daher sorgfältig abzuwägen, für welche Art der Nachnutzung entschieden wird und welchen Anteil die Grünflächen haben werden. In den letzten Jahren ist eine Reihe von neuen sog. „Industrieparks“ entstanden, die eine interessante Ergänzung zu den traditionellen Stadtparks darstellen. Sie sind insbesondere für die extensive Tageserholung/Spazierengehen und für das freie Spiel der Kinder von Bedeutung. Als „Naturerfahrungsräume“ in der technisierten Stadt leisten sie einen wichtigen Beitrag zu Erleben und Wertschätzung der Natur durch die Kinder (vgl. Schemel). Es gibt in Deutschland zahlreiche Beispiele für die erfolgreiche Planung und Gestaltung von Industrieparks (vgl. Rebele/Dettmar; Keil). Die Internationale Bauausstellung Emscher Park hat im Ruhrgebiet eine Reihe von diesen Grünflächen bewirkt. Der bekannteste ist sicherlich der „Landschaftspark Duisburg Meiderich“ (vgl. Dettmar/Ganser). Andere Beispiele finden sich unter anderem im Saarland, Eisenhütte Völklingen. Doch auch kleinteilige Parkanlagen in Stadtquartieren entstanden auf Industriebrachen. Der „Tremoniapark“ im Dortmunder Kreuzviertel, kostengünstig angelegt auf einer Zechenbrache, ist dafür ein Beispiel. Die Planung, Sicherung und Entwicklung dieser Flächen erhöht zum einen die Qualität des Wohnumfelds, zum anderen kann ihre Entsiegelung und Aufwertung als Grünfläche durchaus als Kompensation für eine Neubebauung gelten. Damit gewinnen Stadtbrachen als ökologische Ausgleichsräume große Bedeutung. Immobilienentwickler zeigen häufig nur sehr zögernd Interesse an diesen Flächen. Dies liegt zum einen an der Haftungsfrage, z.B. für Altlasten. Die Haftung muss geklärt sein und kann nicht zu Lasten des neuen Eigentümers oder Nutzers gehen. (In den USA beispielsweise gibt es dafür eindeutige gesetzliche Regelungen, vgl. Davis). Das zweite Problem sind die hohen Sanierungskosten, die sich auf den Bodenpreis auswirken. Dieses Problem kann nur durch andere Finanzierungs- und Preiskonzepte gelöst werden.

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Solange Bauland im Stadtumland preisgünstiger ist als die nachhaltige Wiedernutzung von Brachen, wird eine konsequente Umsetzung dieses umweltverträglichen und freiraumschonenden Konzeptes schwierig sein und die Zersiedlung weiter gehen. 2.2.3.5 Rechtliche Grundlagen und Instrumente der Freiraumplanung in Verbindung mit der Immobilienentwicklung Wenn es um die Sicherung, Entwicklung, Planung und Gestaltung von Freiräumen und Grünflächen geht, wird in der Regel der Begriff „Freiraumplanung“ verwendet. Dabei werden alle Flächentypen, von der wohnungsnahen Grünfläche bis zum Wald am Stadtrand miteinbezogen. Bochnig/Selle verwenden den Begriff „Freiraumentwicklung“ als Teil einer sozial und ökologisch orientierten Stadtpolitik. Bei der Frage nach geeigneten Instrumenten unterscheiden sie zwischen regulativen Instrumenten und anderen Instrumententypen, z.B. Förderprogrammen oder kooperativen Ansätzen (vgl. Bochnig/Selle, S. 7ff.). Abbildung 37 gibt eine Übersicht über die verschiedenen Gesetze und die damit verknüpften Instrumente und Pläne. Als Informationsgrundlage oder rechtsverbindlicher Plan sind vor allem der Landschaftsplan und die Eingriffs-/Ausgleichsregelung, in Verbindung mit dem Bebauungsplan, von Bedeutung. 2.2.3.5.1 Flächennutzungsplan, Landschaftsplan Seit Inkrafttreten des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatschG) 1976 sind die Belange von Natur und Landschaft rechtlich verankert. Im § 1 wird folgendes Ziel formuliert: „Natur und Landschaft sind im besiedelten und unbesiedelten Bereich ... zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln...“. Damit wird klargestellt, dass sich Naturschutz und Landschaftspflege auch auf Siedlungen/Städte beziehen, einschließlich der dicht bebauten Bereiche (vgl. Auhagen/Ermer/Mohrmann, S. 11ff.). Das BNatschG beinhaltet eine Reihe von Planungsinstrumenten, deren wichtigstes sicherlich der Landschaftsplan darstellt. Er gilt als das „zentrale Instrument zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege“ (Riedel/Lange, S. 63).

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Bundesnaturschutzgesetz 2002/2008 Landschaftsprogramme, Landschaftsrahmenpläne, Landschaftspläne, naturschutzrechtliche Eingriffsregelung (Verhältnis zum Baurecht, §8a) und die entsprechenden Ländergesetze Bundes-Bodenschutzgesetz 2001/2009 Regelt insbesondere den Umgang mit Altlasten und den sorgsamen Umgang mit Fläche. Sanierungsplan für Altlasten Baugesetzbuch 2004/2009 Flächennutzungsplan, Bebauungsplan (Grünordnungsplan), baurechtliche Eingriffsregelung Baunutzungsverordung (in der Fassung von 1993, im Rahmen des Bau- und Raumordnungsgesetztes von 1998 modifiziert) Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung 2005/2009 (landschaftspflegerischer Begleitplan) Fachgesetze: z.B. Flurbereinigungsgesetz von 1976/1991 Wasserhaushaltsgesetz von 2002/2009 (landschaftspflegerischer Begleitplan) Fauna-Flora-Habitat – Richtlinie 1992 (übernommen in das aktuelle BNatschG und BauGB), FFH -Verträglichkeitsprüfung Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 37: Relevante Gesetze und Instrumente für die Freiraumplanung Gerade im Siedlungsbereich ist das Verhältnis von Naturschutzrecht und Baurecht von großer Bedeutung. „Das im Baugesetzbuch (BauGB) normierte Bau- und Planungsrecht ist das wichtigste Instrument der ... Planungshoheit von Städten und Gemeinden“ (Ermer/Hoff/Mohrmann, S. 239). Daher ist eine genaue Kenntnis des Rechtsverhältnisses der Bauleitpläne und des Landschaftsplans wichtig. In den meisten Bundesländern werden die Aussagen und Anforderungen der Landschaftspläne erst über die Bauleitplanung, insbesondere den Flächennutzungsplan (FNP), rechtskräftig. Der FNP enthält dann bereits Aussagen zu Grünflächen und zu Flächen „... für

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Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft (BauGB, 2004, § 5). Ausnahme ist Nordrhein-Westfalen, wo es einen eigenen rechtsverbindlichen Landschaftsplan gibt. Aussagen des Landschaftsplanes und des Flächennutzungsplanes dürfen einander nicht widersprechen. Im Konfliktfall hat die Bauleitplanung Vorrang (vgl. Reidel/Lange, S. 173ff.). Für eine fundierte Flächennutzungsplanung, die das Abwägungsgebot erfüllen muss, sind jedoch die landschafts- und freiraumrelevanten Aussagen des Landschaftsplanes von Bedeutung. Er enthält einen Grundlagen- und Bewertungsteil sowie ein Zielkonzept und einen Entwicklungsplan. Darüber hinaus wird i.d.R. ein Handlungs-/Maßnahmenprogramm erarbeitet sowie Aussagen zu der Realisierung/Umsetzung getroffen. Seit der Novellierung des Baugesetzbuchs zur Anpassung an das EU-Recht muss sowohl auf der Ebene des Flächennutzungsplans als auch für den Bebauungsplan ein sog. Umweltbericht erarbeitet werden, der alle Umweltinformationen bündelt. Für den Immobilienentwickler oder Bauherrn ist es auf jeden Fall sinnvoll, sich über den Landschaftsplan zu informieren. Dadurch bekommt er zum einen Kenntnisse über ausgewiesene Schutzgebiete. Besonderen Schutzcharakter genießen sog. FFH-Gebiete nach der europäischen Fauna-Flora-Habitat Richtlinie. Die neueren Landschaftspläne enthalten bereits Aussagen zu den Ausgleichsflächen für bauliche Eingriffe (siehe Eingriffsregelung). Zum Zweiten können Entwicklungsziele für Freiräume, die in der Nachbarschaft von Baugebieten liegen, von Bedeutung sein. Die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) galt lange Zeit als das wichtige Instrument für Umweltvorsorge und Vermeidung der Naturzerstörung. Diese Hoffnungen wurden nicht erfüllt. Es wurden durchaus nicht immer die umweltverträglichsten Varianten realisiert. Die UVP spielt bei der Bauleitplanung dann eine Rolle, wenn mit Bebauungsplänen ein sog. „UVP-pflichtiges Vorhaben“ (§ 3 UVP-Gesetz) vorbereitet werden soll. In diesem Fall muss ein „Umweltbericht“ erstellt werden, der Angaben über Umfang des Vorhabens und die Umweltsituation macht, und der die Umweltauswirkungen und die kompensatorischen Maßnahmen enthält. Für den Projektentwickler ist die Umweltverträglichkeit nur dann von Bedeutung, wenn er ein UVP-pflichtiges Projekt plant. Derzeit liegt ein Gesetz im Entwurf vor, das die sog. Plan-UVP zum Inhalt hat. Danach müssen alle Pläne, auch die Bauleitpläne, einer strategischen Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden. 2.2.3.5.2 Bebauungsplan, Eingriffs-/Ausgleichsregelung (Grünordnungsplan, ökologischer Be gleitplan) Abgeleitet aus dem Flächennutzungsplan werden für einzelne Bereiche des Stadtgebietes Bebauungspläne entwickelt. Sowohl im Flächennutzungsplan als auch im Bebauungsplan muss der § 1a, „Umweltschützende Belange in der Abwägung“ berücksichtigt werden. Er beinhaltet in Ab-

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satz 2 „... die Vermeidung und der Ausgleich der zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft...“, die in der Abwägung zu berücksichtigen sind (BauGB, 2004, § 2). Mit der „Eingriffsregelung“ nach dem BauGB soll „... sichergestellt werden, dass unnötige Belastungen von Natur und Landschaft vermieden werden und nicht vermeidbare Beeinträchtigungen kompensiert werden“ (Ermer/Hoff/Mohrmann, S. 182).

Bebauungsplan und Immobilienprojekt: baulicher Eingriff Gestalt- oder Nutzungsänderung Erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigung Ja

Vermeidung Alle erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigungen werden vermieden

nein

ja

Verfahren abgeschlossen

Ausgleich Alle erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigungen werden ausgeglichen

nein

ja

Ersatzmaßnahmen

Verfahren abgeschlossen

Alle nicht ausgleichbaren Beeinträchtigungen werden durch Ersatzmaßnahmen nein kompensiert

ja Verfahren unzulässig

Abwägung Die Belange von Natur und Landschaft gehen in der Abwägung vor

nein

ja Verfahren abgeschlossen

Ökokonto

Geldleistungen

Flächenpool

Quelle: eigene Darstellung verändert nach Köppel 1998

Abbildung 38: Ablauf einer Eingriffs-/Ausgleichsprüfung Auch wenn die Eingriffs-/Ausgleichsregelung auf der Ebene des Bebauungsplanes abgearbeitet wird, ist sie doch für den einzelnen Bauherrn von Bedeutung. In den entsprechenden Begleitplänen (Grünordnungsplan, ökologischer Begleitplan) werden die Minimierungs- und Ausgleichsmaßnahmen festgelegt. Die Durchführung oder Finanzierung wird jedoch i.d.R. dem einzelnen Bauherrn zugeordnet. Abbildung 38 zeigt den Ablauf einer Eingriffs-/Ausgleichsregelung. Wichtig ist, dass zu Beginn des Projektes die „Vermeidung“ von Beeinträchtigungen steht, der dann

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der „Ausgleich“ und die „Ersatzmaßnahmen“ folgen. Als letzte Möglichkeit können die Eingriffe auch durch Geldleistungen der „Verursacher“, also der Bauherren, kompensiert werden. Dies erfolgt durch eine „Kostenerstattung“ durch die Vorhabensträger oder die Eigentümer. Diese Mittel fließen dann in den sog. „Flächenpool“ für die ökologischen Ausgleichsflächen im Stadtgebiet (vgl. Jessel). Einen Sonderfall stellen die Vorhaben- und Erschließungspläne dar. Hier muss der private Vorhabensträger, der unmittelbar Verursacher der Eingriffe in Natur und Landschaft ist, diese direkt behandeln. In der Regel erfolgen die Aussagen zur Kompensation in einem landschaftspflegerischen Fachbeitrag (vgl. Köppel et al.).

Quelle: eigene Darstellung verändert nach Bayerisches Staatsministerium 1990

Abbildung 39: Immobilienprojekt und ökologischer Ausgleich im Bebauungsplan Abbildung 39 gibt einen schematischen Überblick über die Verortung der Ausgleichsmaßnahmen auf dem Baugrundstück selbst, im Bebauungsplan oder an anderer Stelle im Stadtgebiet. Es ist deutlich, dass bei einer möglichst umweltverträglichen Bauweise die Kompensationskosten geringer sind. Bei der Immobilienentwicklung sollte daher genau überlegt werden, wie die negativen Auswirkungen der Bebauung auf Boden, Wasser, Luft, Pflanzen und Tiere möglichst gering gehalten werden. Wichtig ist auch, die Kompensationsmaßnahmen rechtzeitig in die Projektplanung mit einzubeziehen. In der Regel werden die Ausgleichsmaßnahmen auf dem Grundstück von dem Bauordnungsamt überprüft. Die Kontrolle ist oft schwierig. Damit liegt die Verantwortung für die Realisierung der ökologischen Maßnahmen stark bei dem Projektentwickler. Anders ist die Situation bei dem Ausgleich innerhalb des Flächenpools. Hier tritt die Stadt in Vorleistung und entwickelt die ökologischen Ausgleichsflächen. Bei der Planung und Realisierung eines Immobilienprojektes sind eine Reihe von Instrumenten und Plänen von Bedeutung. Für den Entwickler und Besitzer einer Immobilie ist es wichtig, sich über die Vorgaben aus freiraumplanerischer Sicht zu informieren und die Festsetzungen hinsicht-

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lich der Grünräume zu kennen. Eine befriedigende Regelung beinhaltet immer auch die Kommunikation mit dem Umweltamt oder der unteren Landschaftsbehörde. Dadurch können zu einem frühen Zeitpunkt Lösungen für die Berücksichtigung der Freiraumbelange gemeinsam erarbeitet werden. Abbildung 40 gibt einen Überblick über die relevanten Pläne, die für ein Immobilienprojekt von Bedeutung sein können.

Landschaftsprogramm Landschaftsplan Landschaftsrahmenplan

Fauna-FloraHabitat-Richtlinie

Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP Immobilienprojekte und Freiraumplanung Eingriffs-/ Ausgleichsregelung Freiraumgestaltungsplan

Grünordnungsplan

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 40: Relevante Pläne für Immobilienprojekte und Freiraumplanung 2.2.3.6 Immobilienentwicklung und Freiraumplanung – Konzepte und Empfehlungen für die Zukunft Die Zukunft unserer Städte hängt auch sehr stark von der Lebens- und Umweltqualität ihrer Bewohner ab. „Die Berücksichtigung einer intakten grünen Umwelt ist inzwischen zum festen Bestandteil jeder verantwortungsvollen Stadtentwicklungspolitik geworden. ... Man hat erkannt, dass Investitionen ins Grün Investitionen für Generationen sind“ (Grünführer Expo 2000, S. 24). Für den einzelnen Bauherrn und Projektentwickler mögen in erster Linie ökonomische Aspekte von Bedeutung sein. Doch auch für ihn sind interessante Freiraumkonzepte wichtig. Eine hohe Qualität des Umfelds sichert den Wert der Immobilie. Eine hohe Qualität der Grünräume ist im Interesse der Bauherrn, der Nutzer und der (nachhaltigen) Stadtplanung. Eine anspruchsvolle Ge-

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staltung der Grünflächen bedeutet nicht automatisch hohe Kosten. Gerade die naturnahen, extensiven Grünbereiche haben hohen ökologischen Wert und verursachen relativ niedrige Ausgaben. Von 2006 bis 2010 wurde an der TU Dortmund eine Studie erstellt, die den Einfluss von Grün- und Freiräumen auf den Wert von Grundstücken und Immobilien untersuchte. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes belegen eindeutig die positive Wirkung von Freiräumen auf den Bodenrichtwert in deutschen Groß- und Mittelstädten. „Zusammengerechnet können freiraumbezogene Parameter in Abhängigkeit vom Gebietstyp und Wirkraum den Bodenrichtwert zu 25% bis 37% beeinflussen “(Hoffmann, Gruehn 2010, S.71). Hiermit wird zum ersten Mal quantitativ belegt, dass innerstädtische Freiflächen im Umfeld von Immobilien zu einer Wertsteigerung führen und ihre Realisierung daher auch aus Investorensicht sinnvoll ist. Bei der Planung und Entwicklung von Immobilienprojekten können eine Reihe von Modellvorhaben für den Bereich Umwelt- und Freiraumplanung als Vorbild und Empfehlung dienen. Einige sollen hier angesprochen werden. Sie können als Grundlage für weitere Informationen verwendet werden. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung hat eine Sammlung „Innovativer Projekte im Städtebau, IPROS“ im Internet veröffentlicht. Hier werden realisierte Projekte zu den Handlungsfeldern „Haushälterisches Bodenmanagement“ und „Vorsorgender Umweltschutz“ aus ganz Deutschland präsentiert. In unterschiedlichen „Gebietstypen“, z.B. „Einfamilienhausgebiet“ und bei unterschiedlichen „Maßnahmetypen“, z.B. „Freiraumentwicklung“ kann man sich über einzelne Bauvorhaben informieren und so Anregungen für die eigene Projektentwicklung gewinnen. Das Spektrum ist groß, es reicht von neu entwickelten Brachflächen für Mischnutzung, Aufwertung des Wohnumfeldes und „Null-Energiehäusern“ bis zu neuen, innovativen Freiraumprojekten. Die einzelnen Projekte sind kurz beschrieben; die Liste ist offen und wird ständig ergänzt. Die „Internationale Bauausstellung Emscherpark“, 1989-1999, hat eine Fülle interessanter städtebaulicher und freiraumplanerischer Projekte hervorgebracht. In den Kategorien „Wiederaufbau der Landschaft-Emscher Landschaftspark“, „Arbeiten im Park“ und „ Wohnen in der Siedlung – Gartenstadtidee“ finden sich Projekte mit beispielhafter Freiraumgestaltung. Für die einzelnen Projektkategorien wurden Grundsätze entwickelt, die bei den Planungen und Realisierungen umgesetzt werden sollten. Die Qualitätsziele für „Arbeiten im Park“ beinhalten u.a. einen hohen Freiraumanteil im Projektgebiet und die ökologische Ausrichtung der Erschließungssysteme (Beispiele: Gewerbe- und Wohnpark Holland, Bochum; Gewerbepark Erin, Castrop-Rauxel; Öko-Zentrum NRW, Hamm). Die Wohnprojekte beinhalten auch das Ziel „ressourcenschonend bauen“ und „Anlage von Freiraumverbindungen“ (Beispiele: Küppersbusch-Siedlung, Gelsenkirchen; CEAG Siedlung, Dortmund; Wohnen auf Zeche Holland, Bochum).

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Zwei weitere Ausstellungen sollen kurz genannt werden, da sie wichtige Anregungen und Projekte zum Thema „Freiraum und nachhaltige Stadtplanung“ enthalten. Die EXPO 2000 in Hannover und die Bundesgartenschau 2001 in Potsdam. Beide haben neben dem eigentlichen Ausstellungsgelände eine Fülle von neuen Grünprojekten im Wohn- und Gewerbebereich hervorgebracht. Das Thema „Nachhaltigkeit und Umweltorientierung bei Immobilien“ gewinnt in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung. Hierzu gehört neben der grünen Umfeldgestaltung und dem sorgsamen Umgang mit Oberflächenwasser auch die Energieeffizienz. In den USA wurde 1998 von dem U.S. Green Building Council die sogn. LEED Zertifizierung entwickelt (LEED bedeutet: Leadership in Energy and Environmental Design). Das Ziel war einerseits die Ermittlung, andererseits aber auch die Entwicklung der Nachhaltigkeit von Immobilien. Im Jahr 2007 wurde die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen gegründet. Die Organisation, bestehend aus Wissenschaftlern, Planern, Architekten, Investoren und Bauprodukteherstellern, hat das Ziel, nachhaltiges Bauen zu implementieren und Immobilien hoher Umweltqualität zu fördern. Sie vergibt ein Zertifikat (DGNB-Qualitätszeichen), mit dem der langfristige Wert einer Immobilie dargestellt wird. Freiraumplanung als Element einer nachhaltigen Stadtentwicklung hat eine wichtige Funktion bei der Planung und Realisierung und dem Werterhalt von Bauprojekten, bei der qualitätsvollen Entwicklung der Quartiere und bei der Sicherung und Entwicklung des Landschaftsraums in der Stadt. Durch die entsprechende Gesetzgebung wurde ihre Position gestärkt. Doch der Erfolg kann nur sichergestellt werden, wenn Stadtplaner, Landschaftsarchitekten und Projektentwickler miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten.

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203

Relevante Gesetze zu Kapitel 2.2.3 BNatSchG: Bundesnaturschutzgesetz, vom 2008. BBodSchG: Bundesbodenschutzgesetz, letzte Änderung 2009. BauGB: Baugesetzbuch, letzte Änderung 2009. WHG: Wasserhaushaltsgesetz, letzte Änderung 2009. UVPG: Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, letzte Änderung 2009.

Empfohlene Literatur zu Kapitel 2.2.3 Bochnig, S./ Selle, K.: Freiräume für die Stadt, Band 1, Wiesbaden und Berlin 1992. Bochnig, S./ Selle, K.: Freiräume für die Stadt, Band 2, Wiesbaden und Berlin 1993. Gälzer, R.: Grünplanung für Städte, Stuttgart 2001. Kommunalverband Ruhrgebiet: Naturnahe Umgestaltung des Gewerbegebietes Dortmund Dorstfeld-West, Essen 1992. Luther, M./ Gruehn, D./ Kenneweg, H.: Die Bedeutung von Freiräumen und Grünflächen für den Wert von Grundstücken und Immobilien, Zwischenbericht, Berlin 2002. Riedel, W./ Lange, H.: Landschaftsplanung, Berlin 2002. Spitthöver, M. (Hrsg.): Freiraumqualität statt Abstandsgrün, Band 1 und Band 2, Kassel 2002. Umweltbundesamt (Hrsg.): Daten zur Umwelt, Berlin 2000.

204

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2.2.4

Verkehrsplanung

205

Hans-Georg Retzko 2.2.4.1 2.2.4.2 2.2.4.3

Grundlagen, Begriffe, Merkmale, Zusammenhänge, Instrumente Prozess der Verkehrsplanung Probleme und Lösungsansätze der städtischen und regionalen Verkehrsplanung 2.2.4.4 Verkehrserschließung und Verkehrserschließungsplanung Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.2.4

205 215 222 223 230

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2.2.4

205

Verkehrsplanung

Hans-Georg Retzko 2.2.4.1

Grundlagen, Begriffe, Merkmale, Zusammenhänge, Instrumente

Im technischen Sprachgebrauch versteht man unter Verkehr die Ortsveränderung von Personen, Gütern, Nachrichten und Energie. Verkehr ist ein Bestandteil des menschlichen Lebens. Schon immer hat das vorherrschende Verkehrsmittel die Siedlungsstruktur beeinflusst. Umgekehrt hat schon immer eine bestimmte Siedlungsstruktur ein bestimmtes vorherrschendes Verkehrsmittel erfordert (vgl. Abbildung 41).

Erschließung durch die Eisenbahn

Erschließung durch die Straßenbahn Erschließung durch den Bus Erschließung durch den Pkw

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 41: Siedlungsstruktur und vorherrschendes Verkehrsmittel Verkehr kann Selbstzweck oder Mittel zum Zweck sein. Als Selbstzweck entsteht er aus dem Grundbedürfnis des Menschen nach Ortsveränderungen schlechthin; als Mittel zum Zweck entsteht er aus Art, Maß und Verteilung von räumlichen Nutzungen (für Wohnen, Arbeiten, Bilden, Versorgen und Erholen) und ermöglicht durch Raumüberwindung das Funktionieren dieser Nutzungen in ihren gegenseitigen Abhängigkeiten. Verkehr ist überwiegend Mittel zum Zweck. Verkehr entsteht nicht aus sich selbst; Verkehr hat Ursachen; Verkehr ist eine Folgegröße.

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Ist die Art der (baulichen) Nutzung gemischt, so ist auch der Verkehr gemischt. Ist das Maß der (baulichen) Nutzung groß, so ist auch der Verkehr stark; sind die Nutzungen verschiedener Art räumlich weit voneinander getrennt, wird die Benutzung bestimmter Verkehrsmittel erforderlich. Art, Maß und Verteilung der Flächennutzung beeinflussen also Art, Stärke und Weg von Verkehrsströmen; letztere bedingen Art, Kapazität und Struktur von Verkehrssystemen, die ihrerseits wiederum Vorgaben für Art, Maß und Verteilung der Flächennutzung sein können (vgl. Abbildung 42).

Art, Maß und Verteilung der Flächennutzung

Art, Kapazität und Struktur von Verkehrssystemen

Art, Stärke und Weg von Verkehrsströmen

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 42: Zusammenhänge zwischen Flächennutzung und Verkehr Wo immer die Flächennutzungsplanung (im weiteren Sinne gemeint) diese Zusammenhänge nicht oder nicht gebührend berücksichtigte, wurde bereits durch die Planung vermeidbarer Verkehr erzeugt, und es wurden Verkehrsmittelwahl und Verkehrswegewahl durch die Verkehrsteilnehmer in nachteiliger Weise präjudiziert. Dabei hätte und hat die räumliche Planung fast immer die Möglichkeit, auch das künftige Verkehrsgeschehen zielorientiert zu beeinflussen bzw. die politischen Entscheidungsträger hätten diese Möglichkeit gehabt. Sie wurde vielerorts nicht genutzt. Die dadurch erzeugten Verkehrsprobleme sind langlebig. Je nachdem, ob die Ortsveränderung aktiv oder passiv erfolgt, könnte man zwischen Verkehr und Transport (Beförderung) unterscheiden. Diese Unterscheidung ist im deutschen Sprachgebrauch aber nicht üblich. Personen, Güter, Nachrichten und Energie, die eine Ortsveränderung erfahren können, kann man als Verkehrselemente bezeichnen. Sie bedienen sich bei Ortsveränderungen der Verkehrssysteme, das sind technische, organisatorische und sonstige Einrichtungen. Eine Einteilung der ver-

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schiedenen Verkehre nach den Verkehrselementen führt zu den Begriffen Personenverkehr, Güterverkehr, Nachrichtenverkehr und Energieverkehr. Eine Einteilung der verschiedenen Verkehre nach den Verkehrseinrichtungen kann nach dem Verkehrsmittel (oder Verkehrsträger) und nach dem Verkehrsweg vorgenommen werden. Nach dem Verkehrsmittel kann man den Verkehr in zwei große Gruppen aufteilen, in den individuellen Verkehr (oder privaten Verkehr) IV und in den kollektiven Verkehr (oder öffentlichen Verkehr) ÖV. Die Verkehrsaufteilung nennt man Verkehrsmittelwahl oder Modal Split. Der einfache Modal Split unterscheidet nur zwischen IV und ÖV, der mehrfache Modal Split kann unterscheiden zwischen Fußgänger, Fahrrad, Kraftfahrzeug, Bus, Straßenbahn, Stadtbahn, Eisenbahn usw.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 43: Relative Verkehrsarten Nach dem Verkehrsweg kann man die Verkehre einteilen in Wasserverkehr, Landverkehr (Schienenverkehr, Straßenverkehr, Leitungsverkehr) und Luftverkehr. Personen- und Güterverkehr tritt also als Wasserverkehr, Schienenverkehr, Straßenverkehr und Luftverkehr auf. Nachrichtenverkehr ist - sofern die Nachrichtenübermittlung körperlich erfolgt - beim Wasser-, Schienen-, Straßen- und Luftverkehr im Güterverkehr enthalten (Postwesen); sonst erfolgt der Nachrichtenverkehr durch Draht oder drahtlos (Fernmeldewesen). Energieverkehr tritt nur als Leitungsverkehr auf. Man kann ferner verschiedene Verkehrsarten definieren. Eine Unterscheidung des Verkehrs in Bezug auf ein bestimmtes Gebiet hinsichtlich der Fahrtrichtung führt zu den beiden (relativen) Verkehrsarten einstrahlender Verkehr und ausstrahlender Verkehr. Eine Unterscheidung des Ver-

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kehrs hinsichtlich Quelle und Ziel in Bezug auf ein bestimmtes Gebiet führt zu den (relativen) Verkehrsarten Durchgangsverkehr, Zielverkehr, Quellverkehr und Binnenverkehr. Das Bezugsgebiet ist in aller Regel der Untersuchungsraum, in dem der Planungsraum liegt, für den eine Verkehrsplanung erarbeitet werden soll. Bei städtischen Verkehrsplanungen ist das Stadtgebiet der Planungsraum, und Stadt und Umland sind – wegen der mannigfachen Verflechtungen (z.B. durch Pendlerverkehre) – der Untersuchungsraum (vgl. Abbildung 43). Den Untersuchungsraum kann man in Verkehrsbezirke einteilen, den Planungsraum in Verkehrszellen. Die Verkehrsbeziehungen zwischen den Bezirken und Zellen kann man in einer Matrix quantifiziert darstellen (vgl. Abbildung 44).

Planungsraum 1

101 103

104

2 102 Untersuchungsraum

1

Verkehrsbezirke im Untersuchungsraum

101 Verkehrszelle im Planungsraum Zählstelle

nach von 1 2 101 102 103 104

1

2

101 102 103 104

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 44: Verkehrsbezirke, Verkehrszellen und Verkehrsbeziehungsmatrix Betrachtet man bei der Einteilung der Verkehre den Verkehrszweck, so erhält man als (absolute) Verkehrsarten z.B. Berufsverkehr, Schülerverkehr, Einkaufsverkehr und Freizeitverkehr. Im Straßenverkehr kann man beim individuellen Fahrzeugverkehr die beiden Verkehrsformen des fließenden und des ruhenden Verkehrs bilden. Das tatsächliche Verkehrsgeschehen ist ein Konglomerat aus verschiedenen Verkehrssystemen mit den unterschiedlichsten Eigenarten und Erscheinungsformen. Die verschiedenen Verkehrssysteme sind daher in unterschiedlichster Weise zur Erschließung von Gebieten geeignet.

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empfindlich gegen • Umwege • Entfernungen • Steigungen • Witterung

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• zielreiner Betrieb • unbeschränkte zeitliche Freizügigkeit • gering beschränkte räumliche Freizügigkeit

• Linienbetrieb

• Linienbetrieb,

• beschränkte zeitliche Freizügigkeit

• beschränkte zeitliche Freizügigkeit

• gering beschränkte räumliche Freizügigkeit

• beschränkte räumliche Freizügigkeit

spurgebunden

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 45: Eigenarten der Landverkehrsmittel In Abbildung 45 sind einige wesentliche Eigenarten wichtiger Landverkehrsmittel genannt und in Abbildung 46 Vorteile und Nachteile dieser Verkehrsmittel. Daraus ergeben sich ihre prinzipiellen Einsatzbereiche (vgl. Abbildung 47). Die unterschiedlichen generellen Einsatzbereiche des ÖPNV können wie folgt formuliert werden: x

ÖPNV als Vorrangsystem zur Übernahme eines überwiegenden Teils der Verkehrsnachfrage in Gebieten und zu Zeiten starker Verkehrskonzentration,

x

ÖPNV als Konkurrenzsystem zum IV in Gebieten und zu Zeiten, in denen die Nutzbarkeit beider Verkehrssysteme nebeneinander für die Abwicklung des Verkehrs nötig ist,

x

ÖPNV als Vorsorgesystem in Gebieten und zu Zeiten, in denen geringe Verkehrskonzentrationen auftreten (vgl. Kirchhoff, S. 9ff.).

In Deutschland erbrachten die verschiedenen Personenverkehrssysteme im Jahr 2000 folgende Verkehrsleistungen (Pers. * km/Jahr [%], vgl. BMVBW/DIW, S. 215): x

MIV 79,1%

x

öffentlicher Straßenpersonenverkehr 8,3%

x

Eisenbahnverkehr 8,0%

x

Luftverkehr (Inland) 4,6%

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Damit wird die relative Bedeutung der verschiedenen Verkehrssysteme deutlich.

+ individuell verwendbar + gesund + umweltfreundlich - nur geringe Strecken möglich - gepäckfeindlich

+ + + + -

preisgünstig bei voller Besetzung bequem schnell gepäckfreundlich umweltfeindlich durch Lärm und Abgase Flächeninanspruchnahme an Quelle und Ziel sowie auf dem Fahrtweg

+ umweltfreundlich (außer Lärm) + umweltfreundlicher Betrieb möglich + unschädliche Flächeninanspruchnahme an Quelle und Ziel der Fahrt + flexibel einsetzbar - begrenzte Beförderungsleistung - wenig bequem

+ unschädliche Flächeninanspruchnahme an Quelle und Ziel der Fahrt + hohe Beförderungsleistung + bequem - nicht flexibel einsetzbar

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 46: Vorteile und Nachteile der Landverkehrsmittel Beim Güterverkehr wird zwischen privatem Verkehr und Wirtschaftsverkehr unterschieden. Den Wirtschaftsverkehr ohne Gütertransport kann man Dienstleistungsverkehr nennen und den Wirtschaftsverkehr mit Gütertransport Güterverkehr (was sprachlich unbefriedigend ist). Im Güterfernverkehr sind die wichtigsten Verkehrsmittel LKW, Eisenbahn, Schiff, Flugzeug und Rohrfernleitungen; im innerstädtischen Güterverkehr dominiert der Güterkraftwagen. Die prinzipiellen Vorteile der verschiedenen Güterverkehrssysteme können schlagwortartig wie folgt benannt werden: x

hohe Flexibilität des LKW bei der Verteilung von Gütern,

x

hohe Umweltverträglichkeit der Eisenbahn beim Einsatz auf langen Strecken,

x

kostengünstiger Transport von Massengütern durch Binnenschiffe,

x

schnelle Überwindung von sehr großen Entfernungen für hochwertige Güter durch Flugzeuge.

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• Nahverkehr

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• Nah-, Regional- und Fernverkehr • flächenhafte Erschließung

• Nah- und Regionalverkehr • selbständiges Verkehrssystem, Zubringersystem, Verkehrssystem für Sonderverkehre

• Nah-, Regional- und Fernverkehr • linienhafte Erschließung • Verbindung von Siedlungsschwerpunkten

• flächenhafte Erschließung

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 47: Prinzipielle Einsatzbereiche der Landverkehrsmittel Im sogenannten Kombinierten Verkehr werden verschiedene Güterverkehrssysteme zum Zwecke der Bildung von Transportketten kombiniert. Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit sollen durch Ausnutzung der spezifischen Vorteile der einzelnen Verkehrssysteme jeweils optimiert werden. Die Transportketten befördern dabei standardisierte Ladeeinheiten (Behälter, Paletten, paketierte Ladeeinheiten, etc.). Durch Einrichtung von Güterverkehrszentren erwartet man folgende Nutzeneffekte: x

Rationalisierungsmöglichkeiten durch gemeinsame Nutzung von Serviceeinrichtungen,

x

gemeinsame Beladung der Fahrzeuge durch verschiedene Speditionen je nach Zielgebiet,

x

Standortsicherung für das Güterverkehrsgewerbe in Ballungszentren,

x

Erhöhung der Chancen zur Wahrung der unternehmerischen Eigenständigkeit für mittelständische Unternehmen durch freiwillige Kooperation,

x

bessere Flächenausnutzung.

Wichtige Bestandteile von Güterverkehrszentren sind: x

leistungsfähige Anbindung an Straße und Schiene (sowie ggf. an Wasserweg),

x

Umschlagplätze (Ladegleis, Lkw-Umschlag, ggf. Hafenanlage),

x

Lagerflächen, Lagerhallen, Speziallager für Kühlgut und Gefahrgut,

x

interne Transportwege im Güterverkehrszentrum,

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x

Büroflächen,

x

Serviceeinrichtungen (Tankanlagen, Waschanlagen, Palettenlager, Kantine, etc.).

Aufgabe der Verkehrsplanung im weiteren Sinne ist die auf der Grundlage multidisziplinärer wissenschaftlicher Erforschung des Phänomens Verkehr betriebene, vorausschauende systematische, zielorientierte Vorbereitung und Durchführung von Entscheidungsprozessen mit der Absicht, in einem Planungsraum durch bauliche, betriebliche und sonstige Maßnahmen ein hinsichtlich

Sicherheit,

Sozialverträglichkeit,

Umweltverträglichkeit,

Leistungsfähigkeit

und

Wirtschaftlichkeit optimales Verkehrsgeschehen zu erhalten. Aufgabe der Verkehrsplanung im engeren Sinne ist die Gestaltung von Verkehrsanlagen und die Beeinflussung von Verkehrsabläufen. Auch die Verkehrsplanung kann man nach verschiedenen Gesichtspunkten einteilen, z.B. nach der Planungsebene, nach dem Planungsobjekt und nach dem Planungsmaßstab. Bei der Einteilung nach der Planungsebene könnte man zwischen Bundesverkehrsplanung, Landesverkehrsplanung, Regionalverkehrsplanung und Gemeindeverkehrsplanung (speziell: Stadtverkehrsplanung) unterscheiden. Bei der Einteilung der Verkehrsplanung nach dem Planungsinhalt kann man zunächst die drei Teilverkehrsplanungen Landverkehrsplanung, Wasserverkehrsplanung und Luftverkehrsplanung bilden, die jeweils wieder unterteilt werden könnten, so z.B. die Landverkehrsplanung in Schienenverkehrsplanung, Straßenverkehrsplanung und Leitungsverkehrsplanung. Alle Teilverkehrsplanungen zusammen ergeben die Gesamtverkehrsplanung. Bei der Einteilung der Verkehrsplanung nach dem Planungsmaßstab kann man zwischen Generalverkehrsplanung und Detailverkehrsplanung unterscheiden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass diese Einteilung zu relativierten Begriffen führt. So ist z.B. eine Gemeindeverkehrsplanung vom Standpunkt der Landesverkehrsplanung aus betrachtet eine Detailverkehrsplanung. Die Generalverkehrsplanung ist für die (kleinmaßstäblichere) Detailverkehrsplanung also stets eine leitbildartige Rahmenplanung. Bei der gemeindlichen Verkehrsplanung kann man die Generalverkehrsplanung der vorbereitenden Bauleitplanung (Flächennutzungsplanung) und die Detailverkehrsplanung der verbindlichen Bauleitplanung (Bebauungsplanung) zuordnen. Gemeindliche Generalverkehrsplanung und Detailverkehrsplanung sind also in die überfachlichen gemeindlichen Gesamtplanungen (Flächennutzungsplanung bzw. Bebauungsplanung) zu integrierende Fachplanungen. Der (großmaßstäblich gemeinte) Begriff Generalverkehrsplanung wurde inzwischen verdrängt durch die Begriffe Verkehrsentwicklungsplanung und Verkehrskonzeptentwicklung. Besonders verbreitet hat sich der Begriff Verkehrsentwicklungsplanung. Der Verkehr in allen seinen Arten und Formen hat positive und negative Wirkungen. Verkehr als abhängige Variable von Art, Maß und Zuordnung räumlicher Nutzungen ist prinzipiell unver-

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zichtbar. Er ist ein Grundbedürfnis des Menschen und ermöglicht (als Mittel zum Zweck) – wie bereits einleitend gesagt - durch Raumüberwindung das Funktionieren aller menschlichen Aktivitäten in ihren wechselseitigen Abhängigkeiten. Das sind die positiven Wirkungen des Verkehrs. Die negativen Wirkungen des Verkehrs treffen den Menschen selbst und seine Umwelt. Wir subsumieren die negativen Wirkungen auf den Menschen unter Begriffen wie Behinderungen, Belästigungen und Gefährdungen, und die negativen Wirkungen auf die Umwelt unter Flächeninanspruchnahme, Trennwirkungen, Beeinträchtigungen von Stadt- und Landschaftsbild, Energieverbrauch sowie Immissionen (vor allem Lärm und Abgase).

10,9 % Luftverkehr

3,0 % Schienenverkehr 0,4 % Binnenschifffahrt

35,5 % Güterverkehr

85,7 % Straßenverkehr

62,7 % Personenverkehr MIV

1,8 % Personenverkehr ÖV

Quelle: eigene Berechnungen nach: BMVBW/DIW, S. 273

Abbildung 48: Anteile der Verkehrsmittel am End-Energieverbrauch Der grundlegende Zielkonflikt zwischen Verkehr und Umwelt besteht in der Gewährleistung bzw. Verbesserung möglichst guter Erreichbarkeit und Zugänglichkeit von Nutzungen durch den Verkehr einerseits und der Gewährleistung eines ausreichenden Schutzes der Umwelt vor den nachteiligen Auswirkungen des Verkehrs andererseits. Dabei ist der Mensch zugleich Verursacher und Empfänger von Umweltbeeinträchtigungen, und er ist Teil der Allgemeinheit, welche die Kosten für präventive Schutzmaßnahmen und für Umweltschäden tragen muss. Die Flächeninanspruchnahme durch Verkehrssysteme ist – großräumig betrachtet – relativ gering. So betrug im Jahre 2001 der Anteil aller Verkehrsflächen an der Bodenfläche nur 4,8% (vgl. Statisti-

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sches Bundesamt). Dabei beanspruchen alle „reinen“ Verkehrsflächen nur 1,2%, die restlichen 3,6% sind Flächen für Böschungen, Randstreifen und Folgeeinrichtungen (wie Parkierungsflächen). Engräumig betrachtet können aber die Verkehrsflächen – zum Beispiel in Innenstädten – höhere Anteilswerte haben. Betrachtet man als weitere Umweltbeeinträchtigung durch den Verkehr zum Beispiel den Energieverbrauch, so mag folgender Befund interessant sein (vgl. Abbildung 48). Und als Beispiel für Schadstoffemissionen durch den Verkehr im Vergleich mit anderen Emittenten soll Abbildung 49 dienen. Sowohl die positiven als auch die negativen Wirkungen können oft zwar objektiv gemessen werden, in aller Regel werden sie aber subjektiv empfunden. Es besteht heute mehrheitlich die Auffassung, dass das Verkehrsgeschehen sozialverträglich und umweltverträglich sein soll. Dabei kann sozialverträglich definiert werden als „mit einem Maximum an sozialen Vorteilen im Sinne der jeweils ortsspezifisch maximalen Gewährleistung zweckgerechter Ortsveränderungen von Personen, Gütern, Nachrichten und Energie, also zweckgerechtem Verkehr, und gleichzeitig mit einem Minimum an sozialen Nachteilen (Behinderungen, Belästigungen und Gefährdungen)…“ (Beckmann). Umweltverträglich bedeutet „mit einem Minimum an Nachteilen für die Umwelt, in der Stadt z.B. also mit einem Minimum an Flächeninanspruchnahme, Beeinträchtigungen des Stadtbildes, Energieverbrauch und Immissionen“ (Beckmann). Das Problem liegt darin, dass die jeweiligen Extrema der sozialverträglichen und umweltverträglichen Wirkungen ortsspezifisch und subjektiv definiert werden müssen. Beschränkt man sich auf den städtischen Personenverkehr, so kann man für unsere großen Städte in (Nord-)Europa Konsens darüber feststellen, dass ihr Verkehr dann als sozialverträglich + umweltverträglich = stadtverträglich empfunden wird, wenn der motorisierte Individualverkehr (MIV) – insbesondere in verkehrssensiblen Bereichen – auf das kleinstmögliche Maß beschränkt wird. Das kleinstmögliche Maß muss dabei jeweils ortsspezifisch festgesetzt werden. Dabei sollte als Bewertungsgrundsatz gelten, vom Grad der Zumutbarkeit der Belastung für Mensch und Umwelt durch den MIV auszugehen. Als Anhaltswerte sind Grenzbelastungen von Lärm und Schadstoffen sowie Anhaltswerte zu Nutzungsmöglichkeiten des städtischen Straßenraumes in Abhängigkeit von der Stärke des MIV bzw. zum Raumbedarf von Fußgängern, Radfahrern und öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) sowie zur Stadtbildgestaltung einschließlich Begrünung zu definieren. Grundsätzliche Forderung ist also: soviel MIV wie notwendig, soviel Fußverkehr, Radverkehr und ÖPNV wie möglich, sowie stadtverträglichere Abwicklung des nicht verzichtbaren (notwendigen) MIV.

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215

Anteile der Emittenten [%] Schadstoff

kt / Jahr

Straßenverkehr

übriger Verkehr

Industrie, Kraftwerke

Haushalte, Kleinverbr.

53,0 20,3

3,4 2,0

26,0 57,8

17,8 20,0

50,9 3,1

13,0 0,6

29,1 83,8

7,0 12,5

20,4

3,1

9,3*

3,5

13,5

7,3

48,4**

13,5

Kohlenmonoxid (CO) 4.952 Kohlendioxid 859.000 (CO2) Stickstoffoxide (NOx) 1.637 Schwefeldioxid 831 (SO2) Organische 1.651 Verbindungen Staub 259

* ohne Gewinnung und Verteilung von Brennstoffen 3,3 % und Lösemittelverwendung 60,6 % ** ohne Schüttgutumschlag 17,1% Quelle: BMVBW/DIW, S. 281-282

Abbildung 49: Kenndaten der Schadstoffemissionen 1999 (vorläufige Werte) 2.2.4.2

Prozess der Verkehrsplanung

Da der Verkehr im Allgemeinen nicht an Verwaltungsgrenzen gebunden ist, müssen die im Rahmen der Verkehrsplanung durchzuführenden Untersuchungen in der Regel über den betreffenden Planungsraum (Land, Region, Gemeinde) hinaus ausgedehnt werden. Der so entstehende Untersuchungsraum (Planungsraum + verkehrlicher Einflussbereich) muss sachgerecht abgegrenzt werden (vgl. Kapitel 2.2.4.1). Hierbei sind bevorzugt verkehrsrelevante Abgrenzungskriterien zu verwenden. Da der Verkehr eine Einheit bildet, müssen grundsätzlich Gesamtverkehrsplanungen erarbeitet werden. Es muss also der Verkehr in allen seinen Arten und Formen – soweit sie im konkreten Fall vorhanden sind – berücksichtigt werden. (Diese Forderung ist uralt, wird aber heute unter zeitgemäßen Begriffen wiederholt neu erfunden.) Der zeitliche Wirkungsbereich einer Verkehrsplanung soll überschaubar sein. Er ist im Allgemeinen abhängig vom Umfang und vom Inhalt der Verkehrsplanung. Je größer Umfang und Inhalt einer Verkehrsplanung sind, desto größer sind im Allgemeinen der Planungszeitraum und auch die Bearbeitungszeit und desto weniger verbindlich sind die Ergebnisse. Die Verkehrsplanung muss dann in bestimmten kürzeren Abständen überprüft werden.

216

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Die Verkehrsplanung ist – wie jede Planung – ein Prozess. Planungstätigkeit unterscheidet sich von Entwurfstätigkeit grundlegend vor allem dadurch, dass sie sich in einem äußerst komplexen System sozioökonomischer, politischer und technischer Strukturen und dementsprechend mit wiederholten Rückkoppelungen, mit viel Öffentlichkeitsarbeit und mit aufwändigen, kontrovers geführten Diskussionen der Beteiligten und der Betroffenen vollzieht. Planung unterliegt politischen Einflüssen und hat selbst politische Komponenten.

Phase der Vororientierung Phase der Problemanalyse

Vororientierung Auslöser: Mängelhinweise und Konzeptvorschläge gesetzliche Aufträge

Problemanalyse Erarbeitung von Leitlinien/ Zielvorstellungen

Analyse des Zustandes

Feststellung von Mängeln und Chancen

Phase der Maßnahmenuntersuchung

Maßnahmenuntersuchung Entwicklung von Handlungskonzepten

Abschätzen der Wirkung

Bewertung

Phase der Abwägung und Entscheidung

Abwägung und Entscheidung Umsetzung und Wirkungskontrolle

Phase der Umsetzung und Wirkungskontrolle

Realisierung des Handlungskonzeptes in Stufen ’ 1. Realisierungsstufe ’ 2. Realisierungsstufe

Wirkungskontrolle

Quelle: eigene Darstellung nach FGSV 1995

Abbildung 50: Prozess der Verkehrsplanung Im Gegensatz zur Tätigkeit des Entwerfens, Konstruierens und Dimensionierens z.B. eines Verkehrsbauwerkes, die letztendlich zum Ziel hat, eine dem vorgegebenen Zweck entsprechende funktionstüchtige bauliche Anlage zu erstellen, muss man den Prozess der Verkehrsplanung verstehen als Steuerung der Veränderung eines als negativ bewerteten Zustandes im Verkehrswesen und in den vom Verkehr beeinflussten Bereichen in Richtung auf mehrheitlich akzeptierte Zielzustände. Dabei wird – wie als Aufgabe der Verkehrsplanung bereits genannt – eine vorausschauende, systematische, zielorientierte Vorbereitung und Durchführung von Entscheidungsprozessen betrieben. Planung hat – im Gegensatz zum Entwerfen, Konstruieren und Dimensionieren – kei-

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217

nen Anfang, und sie hat kein Ende. Sie ist ein kontinuierlich ablaufender Prozess mit ständig wiederkehrenden internen Rückkoppelungen zwischen den einzelnen Planungsphasen und innerhalb der Planungsphasen zwischen den einzelnen Tätigkeitsbereichen. Auch ein Plan, also die Dokumentation

eines

momentanen

Zustandes

im

Planungsprozess

(Generalverkehrsplan,

Verkehrsentwicklungsplan oder Verkehrskonzept), ist nichts Endgültiges, nichts Abgeschlossenes. Kaum, dass er vorliegt, ist er schon wieder mannigfachen Einflüssen zur Veränderung ausgesetzt. Planung vollzieht sich bzw. muss sich vollziehen im Rahmen der jeweiligen ortsspezifischen und zeitspezifischen gesellschaftlichen Gegebenheiten. Das gilt auch für die Fachplanung für den Verkehr, also für die Verkehrsplanung. Der standardisierte Prozess der Verkehrsplanung ist in fünf Planungsphasen gegliedert. Sein wichtigstes Charakteristikum sind die wiederholten Rückkoppelungen zwischen den einzelnen Tätigkeitsbereichen und deren Interdependenzen untereinander (vgl. Abbildung 50). Nicht expressiv verbis genannt sind die verschiedenen Verträglichkeitsuntersuchungen, die kontinuierlich im Verkehrsplanungsprozess integriert werden. Dieser standardisierte Verkehrsplanungsprozess – schon vor Jahrzehnten konzipiert, nun aktualisiert und stark ausdifferenziert – soll nachfolgend in einigen Teilen kommentiert und problematisiert werden. In der Phase der Problemanalyse sind zum Beispiel Mängel und Chancen festzustellen. Mängel sind dabei Diskrepanzen zwischen dem angestrebten Zustand bzw. zwischen den angestrebten Zuständen und dem heute vorhandenen Zustand. Mängel sind nun aber nur zum Teil objektiv zu ermitteln. Was die eine gesellschaftliche Gruppe subjektiv als Mangel empfindet, kann für eine andere Gruppe ein erstrebenswerter Zustand sein. Oder: es können Diskrepanzen zwischen zukünftigen und heutigen Zuständen durchaus auch – und zwar ebenfalls objektiv wie subjektiv – positiv einzustufende Chancen sein. Dementsprechend müssen Mängel und Chancen gruppenspezifisch ermittelt werden. Dabei sollten zugleich auch schon die subjektiv angestrebten Ziele und die mutmaßlich Akzeptanz findenden Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele im Sinne einer ersten Vorsondierung mit erfragt werden. Hier sind auch Meinungen, Wünsche und Hoffnungen zu analysieren. Im Tätigkeitsbereich „Erarbeitung von Leitlinien / Zielvorstellungen“ in der Phase der Problemanalyse, der mit dem Tätigkeitsbereich „Feststellung von Mängeln und Chancen“ wie gerade angedeutet – verzahnt ist, wäre die Erarbeitung eines Zielkonzeptes sachlich nicht immer richtig. Es können und müssen unter Umständen mehrere Zielkonzepte sein, oder das zunächst angenommene und politisch grundsätzlich beschlossene Zielkonzept wird im Sinne eines Regelkreises permanent modifiziert durch wiederholte Rückkoppelungen mit den in der Phase der Maßnahmenuntersuchung

abgeschätzten

und

bewerteten

Wirkungen

für

Handlungskonzepte

(Maßnahmenbündel). Wirkungsuntersuchungen können zunächst durchaus die einzelnen Wir-

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kungsbereiche, die zum Beispiel die Umweltverträglichkeit, die Sozialverträglichkeit und die Sicherheitsverträglichkeit, aber auch andere technische und nichttechnische Wirkungsbereiche (auch außerhalb der Verkehrsrelevanz) betreffen, separat voneinander behandeln; sie sollten dann aber ganzheitlich im Sinne der Prüfung auf Gesamtverträglichkeit integriert werden. Die erarbeiteten Leitlinien und Zielvorstellungen können hierarchisch geordnet und als Zielsystem dargestellt werden (vgl. Abbildung 51).

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 51: Beispiel für ein Zielsystem In der Phase der Maßnahmenuntersuchung im standardisierten Verkehrsplanungsprozess werden zunächst Handlungskonzepte entwickelt. Genauer gesagt: es werden Konzeptvorschläge gesammelt und (vielleicht) einige wenige dazu neu entwickelt. Früher wurden hier – ingenieurmäßig korrekt – jeweils in sich geschlossene Alternativen definiert, die zunächst vor Beginn der Ermittlung, Beschreibung und Bewertung ihrer jeweiligen (positiven, neutralen und negativen) Wirkungen gleichberechtigt nebeneinander standen. Diese Vorgehensweise kann auch heute noch zweckgerecht und sachlich richtig sein. In der städtischen und regionalen Gesamtverkehrsplanung setzt

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219

sich aber mehr und mehr die Szenario-Technik durch. Dabei können zum Beispiel für verschiedene mögliche vorstellbare Zustände für ein jeweils in sich geschlossenes System bestimmter angenommener sozioökonomisch-technischer Parameter Szenarios konzipiert und die zugehörigen Handlungskonzepte, die diese Szenarios bewirken würden, ermittelt werden. Dadurch entstehen dann Ziele-Maßnahmen-Systeme. Auf der Grundlage von Wirkungsanalysen und Wirkungsprognosen können dann – wie früher – eine vergleichende Bewertung dieser Szenarios und die Erarbeitung von „Wenn/Dann-Aussagen“ erfolgen. Es kann aber auch von einem einzigen GrundSzenario ausgegangen werden, das dann über Ermittlung, Beschreibung und Bewertung von Wirkungen und über die sich daraus ergebenden Folgerungen Schritt für Schritt iterativ zu einem demokratisch-mehrheitlich konsensfähigen Ziel-Szenario mit dem dazugehörigen Maßnahmenbündel, das dieses Ziel-Szenario bewirken würde, entwickelt wird. Dabei können selbstverständlich Alternativen oder Varianten für bestimmte Maßnahmen oder für bestimmte Gruppen von Maßnahmen des Grund-Szenarios untersucht werden. Demokratisch-mehrheitliche Konsensfähigkeit über das so ermittelte „optimale“ Maßnahmenbündel wird in aller Regel dann erreicht werden können, wenn alle verkehrsplanungsrelevanten Personen und Institutionen, also alle gesellschaftlichen Akteure (mit ihren unterschiedlichen Rollen), wozu insbesondere die positiv oder negativ von der Realisierung der Planung Betroffenen (also die Begünstigten und die Benachteiligten) der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gehören, permanent interaktiv am Planungsprozess beteiligt werden. Damit gewinnt die (nicht nur technisch, sondern auch soziopsychologisch fundierte) Moderation von Verkehrsplanungsprozessen, insbesondere im Rahmen von Bürgerbeteiligungen, mit dem vorrangigen Ziel der Konfliktaufdeckung und der Konfliktlösung, also das Konfliktmanagement, stark an Bedeutung. Allerdings sollte nicht versucht werden, durch Konfliktmanagement die ingenieurmäßige Verkehrsplanung zu ersetzen. Ein weiteres Beispiel für die in der Praxis des standardisierten Verkehrsplanungsprozesses auftretenden Probleme ist die lapidar mit Abwägung und Entscheidung bezeichnete Phase der Verkehrsplanung. Natürlich ist es verfahrensmäßig grundsätzlich richtig, dass am jeweils vorläufigen Ende eines jeden Planungsprozesses eine politische Entscheidung über das zu realisierende Maßnahmenbündel stehen muss. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der gesamte Prozess der Verkehrsplanung ständig von Teil-Entscheidungen unterschiedlicher Art mit sachlich und juristisch unterschiedlichen Wirkungen durchzogen ist. Einige Beispiele hierzu: Schon wenn eine für die Planung zuständige Institution, zum Beispiel eine Stadtverwaltung, beschließt, überhaupt eine neue Verkehrsplanung zu erarbeiten mit dem Ziel, einen gegenwärtigen Zustand zu verändern, wird eine sachlich-inhaltliche Entscheidung getroffen. Wenn dann diese Verwaltung beschließt (bzw. beschließen lässt), die Verkehrsplanung einem externen Planer zu übertragen, bedeutet dies eine weitere sachlich-inhaltliche Entscheidung. Die nächste sachlich-inhaltliche Entscheidung fällt mit der Wahl eines bestimmten Planungsbüros, das eine bürospezifische Pla-

220

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nungsphilosophie vertritt, entsprechende Methoden und Verfahren einsetzt und für bestimmte Planungsideen reputiert ist. Weitere Entscheidungen fallen bei der Auswahl der Mängel und Chancen und insbesondere der Ziele, die den folgenden Planungstätigkeiten als Grundlagen dienen. Insbesondere bei der Entwicklung von Handlungskonzepten, bei der Abschätzung ihrer Wirkungen und bei deren Bewertung fließen mannigfache Entscheidungen – bewusst oder unbewusst – ein. Schon der Ausschluss einer bestimmten, weil zum Beispiel als demokratisch-mehrheitlich nicht konsensfähig erachteten Maßnahme, ist eine Vorwegnahme einer Entscheidung. Oder aber: die Auswahl der Wirkungsbereiche, die einzusetzenden Methoden und Verfahren der Wirkungsanalysen und Wirkungsprognosen oder die Interpretation der gewonnenen Ergebnisse und die daraus gezogenen Folgerungen enthalten mannigfache Entscheidungen. Daneben können weitere Entscheidungen außerhalb des parlamentarischen Entscheidungsfindungsprozesses anfallen, zum Beispiel in Form von Absprachen zwischen leitenden Verwaltungsangehörigen verschiedener Ämter, oder zwischen parteipolitisch gebundenen Verwaltungsangehörigen und den jeweiligen politischen Fraktionen des Parlaments, oder durch Absprachen zwischen einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe und der mit dieser Gruppe sympathisierenden politischen Partei, oder aber durch Verständigungen mit wechselseitigen Zugeständnissen zwischen verschiedenen politischen Fraktionen, etc. Durch derartige Vorentscheidungen wird nicht nur das „offizielle“ Entscheidungspotential, sondern auch der fachliche Handlungsspielraum des Planers stark eingeschränkt. Alle diese Tatsachen müssen den am Planungsprozess Beteiligten und vom Planungsprozess Betroffenen bewusst sein bzw. bewusst gemacht werden. Das führt zum Qualitätsmanagement des Verkehrsplanungsprozesses. Städtische und regionale Verkehrsprobleme können heute nicht mehr allein mit bautechnischen und mit betrieblichen Maßnahmen gelöst werden; organisatorische, wirtschaftliche, wirtschaftspolitische und ordnungspolitische Maßnahmen sind zumindest gleichberechtigt im zielorientiert einzusetzenden

Handlungskonzept

(Maßnahmenbündel)

enthalten.

Und

es

treten

verbal-

argumentative Empfehlungen an die Seite bautechnischer Entwürfe und betriebstechnischer Konzepte. Es darf ferner noch einmal daran erinnert werden, wie stark die politische Komponente eines Verkehrsplanungsprozesses ist und wie stark politische Kräfte (nicht nur Politiker, sondern alle politisch agierenden Personen, Gruppen und Institutionen) diesen Prozess bestimmen können. Dementsprechend ist Planung nicht nur eine fachwissenschaftliche Tätigkeit, sondern auch ein wechselweise wirkender Lernprozess für alle und insbesondere eine fachwissenschaftlich fundierte Politikberatung. Sie sollte zwar fachlich jeweils das Optimum anstreben, sie muss sich dabei aber auch stets der mannigfachen restriktiven Determinanten bewusst sein, die den politischen

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221

Entscheidungsprozess beeinflussen. Und sie muss auch die Restriktionen und Rücksichtnahmen zu verstehen versuchen, denen politische Entscheidungsträger unterliegen. So kann es manchmal – auch sachlich – richtiger sein, eine zweitbeste Lösung eines bestehenden Verkehrsproblems vorzuschlagen, weil ihre Realisierungschancen groß sind, als eine objektiv beste, für die aber – aus welchen Gründen auch immer – eine mehrheitliche Akzeptanz nicht vermutet werden kann. Das alles gehört zur Kunst des Entscheidungsmanagements. Grundsätzlich muss Verkehrsplanung – insbesondere in Städten und ihren Regionen – auf zwei Ebenen unterschiedlich betrieben werden, und zwar auf der Ebene der Generalverkehrsplanung, der Verkehrsentwicklungsplanung oder der Verkehrskonzeptentwicklung vorwiegend nachfragesteuernd und auf der Ebene der Detailverkehrsplanung, des Entwurfs und des Betriebs vorwiegend nachfrageabhängig. Damit ist der aktuelle Aufgabenbereich Verkehrsmanagement als bedeutsamer Bestandteil der Verkehrsplanung angesprochen. Man kann Verkehrsmanagement kurz und knapp definieren als die Beeinflussung des Verkehrsgeschehens durch ein Bündel von Maßnahmen mit dem Ziel, die Verkehrsnachfrage und das Angebot an Verkehrssystemen optimal aufeinander abzustimmen. Nachfragesteuernd werden Maßnahmen (besser: Maßnahmenbündel) vorrangig eingesetzt zur präventiven Verkehrsvermeidung, zum Beispiel bereits in der überfachlichen Flächennutzungsplanung durch verkehrsreduzierende Planung von Art, Maß und Verteilung von verkehrserzeugenden und verkehrsanziehenden Nutzungen sowie zur Verkehrsverlagerung (zeitlich, räumlich und auf andere Verkehrsmittel), also zum Beispiel durch Arbeitszeitstaffelung und durch Maßnahmen, welche die Zielwahl oder Wahl des Verkehrsmittels beeinflussen. Nachfrageabhängige Verkehrslenkung, also das Management des Verkehrsangebots, erfolgt vorrangig beim Betrieb von Verkehrsanlagen. Oberstes Ziel ist dabei, den nicht vermeidbaren („notwendigen“) MIV stadtverträglicher abzuwickeln. Nachfragesteuernd kann grundsätzlich bedeuten nachfragedämpfend und nachfragefördernd. Nachfragedämpfende Maßnahmen richten sich in Stadt und Region in aller Regel auf den MIV, nachfragefördernde Maßnahmen zielen auf Fußverkehr, Fahrradverkehr und ÖPNV. Maßnahmen, die nicht die aktuelle Verkehrssituation beeinflussen, sondern grundsätzlich auf das Verkehrsgeschehen einwirken, nennt man auch statisches Verkehrsmanagement. Dagegen zählt man Maßnahmen, welche die aktuelle Verkehrssituation steuernd beeinflussen, zum dynamischen Verkehrsmanagement. In beiden Teilbereichen haben die mannigfachen modernen Techniken der Verkehrstelematik z.Zt. einen hohen Stellenwert und zunehmende Einsatzfelder. (Telematik ist ein neumodisches Kunstwort aus Tele-kommunikation und Infor-matik.)

222

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Es bleibt noch nachzutragen, dass die Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung, zur Verkehrsverlagerung und zur Verkehrslenkung nicht säuberlich in die beiden Gruppen nachfragesteuernder und nachfrageabhängiger (angebotssteuernder) Maßnahmen aufgeteilt werden können. Es bleibt ferner nachzutragen, dass die „weichen“ Maßnahmen des Verkehrsmanagements (vor allem Information) unter dem Oberbegriff Mobilitätsmanagement zusammengefasst werden. 2.2.4.3

Probleme und Lösungsansätze der städtischen und regionalen Verkehrsplanung

Die meisten Verkehrsprobleme basieren auf dem grundlegenden Zielkonflikt zwischen Verkehr und Umwelt. Die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Europa tragen weiterhin dazu bei, dass der Personenverkehr und der Güterverkehr stark anwachsen und damit die Probleme zwischen Verkehr und Umwelt noch größer werden. Die Probleme werden verschärft durch die immer noch zunehmende Motorisierung des Verkehrs. Die z.Zt. diskutierten Lösungsvorschläge sind widersprüchlich. Die Variationsbreite dieser Lösungsvorschläge wird von zwei sehr extremen Positionen markiert. So wird einerseits gefordert, den Autoverkehr durch Verlagerung von Autofahrten auf den ÖPNV, auf Radverkehr und auf Fußverkehr radikal zu reduzieren, und auf der anderen Seite werden nachdrücklich der forcierte Ausbau von Straßen und die Schaffung von weiterem Parkraum gefordert. Es setzt sich jedoch mehr und mehr die Auffassung durch, dass nur sozial- und umweltverträgliche Gesamtkonzepte, in denen die verschiedenen Verkehrssysteme entsprechend ihren spezifischen Eigenschaften in optimaler Weise kooperieren, grundlegende Abhilfe schaffen können. In einem derartigen Gesamtverkehrskonzept muss ein zielorientiert einzusetzendes Bündel aus nachfragedämpfenden Maßnahmen im MIV und nachfragefördernden Maßnahmen im Fußverkehr, Radverkehr und öffentlichen Personennahverkehr wirksam werden. Nachfragefördernde Maßnahmen im ÖPNV können nur dann wirksam werden, wenn gleichzeitig nachfragedämpfende Maßnahmen im MIV eingesetzt werden. Im Güterverkehr wird es darauf ankommen, möglichst viele Güterverkehrsströme von der Straße weg auf Bahn und Schiff zu verlagern. Das ist leicht gesagt, aber schwer getan. Es besteht – wie in der Vergangenheit – die Gefahr, dass bei der Lösung von Verkehrsproblemen bevorzugt an den Personenverkehr gedacht wird und dabei nur an den Personenverkehr in den Städten oder gar nur in den Innenstädten. Das ist unzureichend und führt zu unzulänglichen Lösungen. In räumlicher Hinsicht müssen die Überlegungen und Untersuchungen auf Stadt und Umland, also auf die Regionen und auf deren Vernetzung untereinander ausgedehnt werden. In inhaltlicher Hinsicht sind verstärkt die Probleme des Güterverkehrs zu behandeln. In der Verkehrsplanung mangelt es noch immer an multidisziplinärer Grundlagenforschung. Insbesondere die Gesellschaftswissenschaften sind gefordert, die anderen Planungsdisziplinen bei

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der weiteren Erforschung des Phänomens Verkehr zu unterstützen. Ferner fehlen Untersuchungen über die Problematik der Akzeptanz von verkehrsplanerischen Lösungsvorschlägen bei Politikern und Bürgern. Die Wirtschaftswissenschaftler sollten sachkundige Beiträge zu einer besseren (sprich: gerechteren) Finanzierung der verschiedenen Verkehrssysteme beitragen, weil nur eine echte marktwirtschaftliche Behandlung des Verkehrs zu einem optimalen sozialverträglichen und umweltverträglichen Verkehrsgeschehen führen kann. 2.2.4.4

Verkehrserschließung und Verkehrserschließungsplanung

Unter Erschließung versteht man die Gesamtheit der im öffentlichen und privaten Bereich zu treffenden Maßnahmen, die es ermöglichen sollen, dass Grundstücke genutzt und an das öffentliche Verkehrsnetz und an die öffentlichen Versorgungs- und Entsorgungsnetze angeschlossen werden können. Man unterscheidet dabei äußere und innere Erschließung. Nach Baugesetzbuch (BauGB) ist die Erschließung Aufgabe der Gemeinde. Im Flächennutzungsplan sind für die Verkehrserschließung die Flächen für den überörtlichen Verkehr und für die örtlichen Hauptverkehrszüge darzustellen (§ 5 BauGB) sowie im Bebauungsplan die Verkehrsflächen sowie die Verkehrsflächen besonderer Zweckbestimmung, wie Fußgängerbereiche, Flächen für das Parken von Fahrzeugen festzusetzen (§ 9 BauGB). Die Kosten für die Herstellung von öffentlichen Straßen, Wegen, Plätzen (einschl. Fuß- und Wohnwegen, Sammelstraßen, Anlagen des ruhenden Verkehrs), Grünanlagen und Immissionsschutzanlagen werden durch die Erhebung der Erschließungsbeiträge gedeckt (§§ 127ff. BauGB). Die Anlagen des ÖPNV (Haltestellen, Schienenstrecken) werden durch Landeszuschüsse nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) sowie ggf. durch Erhebung von Beiträgen nach dem Kommunalabgabengesetz (KAG) finanziert. Die verschiedenen Verkehrssysteme haben verschiedene Erschließungswirkungen. Ein einfaches fiktives Zahlenbeispiel soll das quantifiziert erläutern. Den einzelnen Verkehrssystemen werden unterschiedliche mittlere Geschwindigkeiten zugeordnet. Alle Verkehrssysteme sollen dieselbe Zeit unterwegs sein. Dazu wird eine einheitliche Reisezeit (Zeit für das Zurücklegen einer Distanz „von Tür zu Tür“ also zum Beispiel von der Wohnungstür bis zur Tür der Arbeitsstelle, einschließlich aller Aufenthalte an Haltestellen usw.) angenommen. Für diese Reisezeit und mit den unterschiedlichen Geschwindigkeiten ergeben sich dann unterschiedliche zurückgelegte Wege und damit unterschiedlich große erschlossene Flächen (vgl. Abbildung 52). Man erkennt zum Beispiel, dass der PKW die größte Erschließungswirkung hat.

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224

Geschwindigkeit

Reisezeit

zurückgelegter Weg

erschlossene Fläche

[ km/h ]

[ min ]

[ km ]

[ km2 ]

zu Fuß

4

45

3,0

28,3

Fahrrad

14

45

10,5

346,4

Pkw

35

45

26,5

2165,0

Bus

20

45

15,0

707,0

Straßenbahn

20

45

15,0

707,0

Eisenbahn

30

45

22,5

1590,6

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 52: Theoretische Erschließungswirkungen verschiedener Verkehrssysteme Die Erschließungsplanung ist eine multidisziplinäre und interdisziplinäre Aufgabe. Neben den ingenieurmäßigen Aspekten des Verkehrs und der Ver- und Entsorgung sind Aspekte der Stadtplanung und der Landschaftsplanung sowie der Architektur zu berücksichtigen und zu integrieren. Der Prozess der Verkehrserschließungsplanung ist in schematisierter Form (ohne interne Rückkoppelungen) in Abbildung 53 dargestellt. Der Prozess der Verkehrserschließungsplanung ist als Detailverkehrsplanung ein auf der Ebene der Bebauungsplanung ablaufender spezifizierter Teil-Prozess des auf der Ebene der Flächennutzungsplanung ablaufenden Verkehrsplanungsprozesses gemäß Abbildung 50. Die materiellen Grundsätze der Verkehrserschließungsplanung können wie folgt formuliert werden. Anlagen der Verkehrserschließung sollen x

in den Netzzusammenhang eingebunden sein,

x

für alle Verkehrsarten in sich geschlossene Netze bilden,

x

die verschiedenen Nutzungsansprüche ausgewogen und angemessen berücksichtigen (Erschließung œ Verbindung œ Aufenthalt),

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x

225

hierarchisch differenziert sein (bei größeren Gebieten: Hauptverkehrsstraße Ÿ Hauptsammelstraße Ÿ Anliegerstraße Ÿ Anliegerweg).

gesamtplanerisches Grundkonzept

städtebaulicher Entwurf erste quantitative Abschätzung der Nutzungsansprüche an den Straßenraum

Flächennutzungsplan Lage und Größe des Gebietes, allgemeine Art und Maß der Nutzung

städtebaulicher Vorentwurf

Dimensionierung/ Vorentwurf der Verkehrsanlagen: Straßenbreiten, Knotenpunktformen, Maßnahmen zur Geschwindigkeitsdämpfung, ...

qualitative Einschätzung der Nutzungsansprüche an den Straßenraum

architektonischer Entwurf

Bebauungsplan

quantitative Ermittlung der Nutzungsansprüche an den Straßenraum

Form und Lage des Verkehrsnetzes, Anschlüsse an bestehendes Netz, Vordimensionierung der Verkehrsanlagen

Ausführungspläne, Pflanzpläne, Beschilderung, Lichtsignalprogramme, ...

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 53: Prozess der Verkehrserschließungsplanung Verkehrserschließungsanlagen sind sämtliche Verkehrswegenetze (Straßen- und Wegenetze, Schienennetze) sowie Flächen für das Parken von Fahrzeugen. Grundlagen für den Entwurf und für die Dimensionierung der Verkehrserschließungsanlagen sind die heute vorhandenen und künftig zu erwartenden Verkehrsbelastungen. Es gibt eine umfang- und inhaltsreiche Fachliteratur der ingenieurwissenschaftlich fundierten und betriebenen Verkehrsplanung und Verkehrstechnik (vgl. Literaturverzeichnis). Sie enthält auch Methoden und Verfahren der Verkehrserhebung und der Verkehrsprognose. Ihre Anwendung erfordert solide ingenieurwissenschaftliche Kenntnisse und Erfahrungen. Es gibt darüber hinaus einfach zu handhabende, überschlägige Verfahren, die auch von Nicht-Fachleuten des Verkehrs zur groben Abschätzung von Verkehren, die durch bestimmte bauliche Nutzungen mutmaßlich entstehen, angewendet werden können. Als Beispiel sei hier die sehr praxisorientierte Schrift der Hessischen Straßen- und Verkehrsverwaltung „Integration von Verkehrsplanung und räumlicher Planung – Teil 2: Abschätzung der Verkehrserzeugung durch Vorhaben der Bauleitplanung“ (vgl. Bosserhoff) genannt. Zwei Beispiele mögen den Inhalt dieser Schrift charakterisieren (vgl. Abbildung 54 und Abbildung 55).

226

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Gewerbegebiet Büronutzung

Quelle: eigene Darstellung nach Bosserhoff 2000, S. 99

Abbildung 54: Schätzwerte für maximales Kfz-Aufkommen je ha Als einschlägiges Beispiel für die überschlägige Abschätzung des von bestimmten Flächennutzungen erzeugten Verkehrs soll hier das Arbeitspapier der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen „Verkehrliche Wirkungen von Großeinrichtungen des Handels und der Freizeit“ (FGSV, 1999) genannt werden. Für den Entwurf und die Dimensionierung von Straßenverkehrsanlagen hat die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen eine große Anzahl Technischer Regelwerke und Arbeitspapiere erarbeitet (vgl. Literaturverzeichnis). Das Standardwerk für Erschließungsstraßen sind die von Ingenieuren gemeinsam mit Architekten und Stadtplanern erarbeiteten „Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsstraßen – EAE 85/95“ (FGSV, 1995). Sie sind als spezifizierte Ergänzung zu den „Empfehlungen für die Anlage von Hauptverkehrsstraßen – EAHV 93“ (FGSV, 1993 und 1998) zu sehen, weil sie für flächenerschließende und untergeordnete Straßenverbindungen sowie für Wegeverbindungen gelten. Als Beispiel für die in den EAE 85/95 gegebenen Empfehlungen soll die Abbildung 56 dienen. Sie zeigt an Prinzipskizzen die Vorteile und die Nachteile verschiedener Erschließungsstraßensysteme. In der Realität treten meist Mischungen und Modifikationen dieser prinzipiellen Netzformen entsprechend den örtlichen Gegebenheiten und Ansprüchen auf.

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227

Quelle: eigene Darstellung nach Bosserhoff 2000, S. 100

Abbildung 55: Schätzwerte für maximales Kfz-Aufkommen je ha Verkehrswegenetze bestehen – wie alle Netze – aus Strecken und Knoten. Letztere werden im Straßenwesen meist Knotenpunkte genannt und sind Einmündungen oder Kreuzungen, speziell auch Kreisverkehrsplätze. An plangleichen Knotenpunkten wird der Verkehr in nur einer Ebene abgewickelt. Sie sind die Regelform in der Verkehrserschließung. An planfreien Knotenpunkten wird der Verkehr in mehreren Ebenen mit Über- oder Unterführungsbauwerken abgewickelt; Kreuzungsvorgänge werden dadurch ganz oder teilweise vermieden, was die Sicherheit und die Kapazität erhöht. Planfreie Knotenpunkte können am Rande größerer Gebiete auftreten, wenn ein Anschluss an eine hochrangige überörtliche Straße notwendig ist. Einzelheiten von Entwurf und Dimensionierung von Straßenverkehrsanlagen sind den sehr differenzierten Empfehlungen und Richtlinien der Technischen Regelwerke der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen zu entnehmen (vgl. FSGW). Für den Entwurf von Flächen für parkende Fahrzeuge ist zunächst zu betonen, dass Art, Maß und Verteilung dieser Flächen nicht nur die Erreichbarkeit und die Zugänglichkeit des zu erschließenden Gebietes durch den MIV bestimmen, sondern auch die Wahl des Verkehrsmittels (Fußverkehr, Fahrradverkehr, MIV, ÖPNV) maßgeblich beeinflussen.

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Quelle: eigene Darstellung nach EAE 85/95, FGSV 1995

Abbildung 56: Vorteile und Nachteile verschiedener Erschließungsstraßensysteme Die Anzahlen der erforderlichen bzw. zulässigen Stellplätze für Kraftfahrzeuge sind den jeweiligen Landes-Bauordnungen und den kommunalen Stellplatzsatzungen und Stellplatzeinschrän-

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kungssatzungen zu entnehmen. Bleiben beim Individualverkehr noch die Fahrradfahrer und die Fußgänger zu erwähnen. Bei der Anordnung von Fahrradabstellanlagen sind vor allem die Aspekte Zielnähe, gute Anfahrbarkeit, sicherer und wettergeschützter Stand des Fahrrades sowie Anschließmöglichkeit zu beachten. Fußwegenetze sollten die wichtigsten Ziele auf kürzesten Wegen anbinden. Im Übrigen wird auch hier wieder auf die einschlägige Fachliteratur, insbesondere auf die Technischen Regelwerke der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen verwiesen (vgl. FSGW). Für die Erschließung durch den ÖPNV sind nachfolgend einige wichtige Anforderungen aufgelistet: x

frühzeitige Einrichtung des ÖPNV-Angebotes,

x

Integration in das vorhandene ÖPNV-Netz,

x

gute städtebauliche Integration von Schienenstrecken,

x

behinderungsfreie Führung des ÖPNV,

x

attraktive Haltestellen an gut zugänglichen, städtebaulich markanten Stellen,

x

Zugangswege kürzer als 300 bis 500 m.

Insbesondere bei Planung, Entwurf und Dimensionierung von ÖPNV-Anlagen empfiehlt sich dringend die Zusammenarbeit mit Experten.

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230

Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.2.4 Kirchhoff, P.: Mit offensiven Maßnahmen größere Verkehrspotentiale gewinnen, in: Der Nahverkehr, Heft 1, 1987. Beckmann, K. J.: Stadtentwicklung und Verkehr – neue Konzepte und neue Erfahrungen bei der Verkehrsbeeinflussung, unveröffentlichtes Manuskript, Braunschweig, April 1991. Retzko, H.-G.: Gesamtverkehrsplanung, Generalverkehrsplanung, Verkehrsentwicklungsplanung, Verkehrskonzeptentwicklung – Was ergibt stadtverträglichen Verkehr? in: Straßenverkehrstechnik, Heft 1, 1992. Retzko, H.-G.: Verkehrsplanung, in: Handwörterbuch der Raumordnung, Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Hannover 1995. Retzko, H.-G.: Zur Flexibilität von Verkehrsplanern und Verkehrsplanungen, in: Straßenverkehrstechnik, Heft 7, 1996. Bosserhoff, D.: Integration von Verkehrsplanung und räumlicher Planung, Teil 2: Abschätzung der Verkehrserzeugung durch Vorhaben der Bauleitplanung, Heft 42 der Schriftenreihe der Hessischen Straßenund Verkehrsverwaltung, Wiesbaden 2000. Retzko, H.-G.: Bemerkungen eines Ingenieurs zur Bürgerbeteiligung in der städtischen Verkehrsplanung, in: Straßenverkehrstechnik, Heft 11, 2001. Lehrmaterialien des Fachgebietes Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der Technischen Universität Darmstadt, von 1966 bis 1997 geleitet vom Verfasser, seit 1997 geleitet von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Manfred Boltze (sämtliche Abbildungen ohne Quellenangabe entstammen diesen Lehrmaterialien). Technische Regelwerke und Arbeitspapiere der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V., Köln, (FGSV Verlag GmbH Köln), ausgewählt aus nachfolgender Liste: Regelwerke Richtlinien für die Anlage von Straßen (RAS): x

Teil: Leitfaden für die funktionale Gliederung des Straßennetzes (RAS-N), Ausgabe 1988.

x

Teil: Knotenpunkte (RAS-K), Abschnitt 1: Plangleiche Knotenpunkte (RAS-K-1), Ausgabe 1988, Berichtigter Nachdruck 2001.

x

Teil: Linienführung (RAS-L), Ausgabe 1995, Berichtigter Nachdruck 1999.

x

Teil: Querschnitt (RAS-Q), Ausgabe 1996.

Empfehlungen für Verkehrserhebungen (EVE), Ausgabe 1991.

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231

Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsstraßen (EAE 85/95), Ausgabe 1985, ergänzte Fassung 1995. Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 95), Ausgabe 1995. Empfehlungen zur Straßenraumgestaltung innerhalb bebauter Gebiete (ESG 96), Ausgabe 1996. Empfehlungen für die Anlage von Hauptverkehrsstraßen (EAHV), Ausgabe 1993, berichtigter Nachdruck 1998. Richtlinien für Lichtsignalanlagen (RiLSA) – Lichtzeichenanlagen für den Straßenverkehr – Ausgabe 1992, berichtigter Nachdruck 1998. Hinweise zur verkehrlichen Erschließung von Innenstadtbereichen, Ausgabe 1999. ÖPNV und Siedlungsentwicklung, Planungshilfe für die kommunale Bauleitplanung, Ausgabe 1999. Leitfaden für Verkehrsplanungen, Ausgabe 2001. Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS), Ausgabe 2001. Merkblatt zur Umweltverträglichkeitsstudie in der Straßenplanung (M UVS), Ausgabe 2001. Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen (EFA), Ausgabe 2002. Arbeitspapiere Güterverkehr in Städten – Maßnahmenübersicht, Ausgabe 1992. Wieviel Autoverkehr verträgt die Stadt? – Verträglichkeitsanalysen in der kommunalen Verkehrsplanung, Ausgabe 1996. City-Logistik – Eine Einführung für Stadtplaner und Verkehrsplaner, Ausgabe 1997. Verkehrliche Wirkungen von Großeinrichtungen des Handels und der Freizeit, Ausgabe 1999. Verkehrsmanagement – Einsatzbereiche und Einsatzgrenzen, Ausgabe 2002. Beurteilung und Abwägung in der Verkehrsplanung mit Hilfe des Formalisierten Abwägungs- und Rangordnungsverfahrens (FAR), Ausgabe 2002.

Weiterführende Literatur Steierwald, G./Künne, H.-D. (Hrsg.): Stadtverkehrsplanung – Grundlagen, Methoden, Ziele, SpringerVerlag, Berlin/Heidelberg/New York 1994. Schnabel, W./Lohse, D.: Grundlagen der Straßenverkehrstechnik und der Verkehrsplanung, Band 1 und 2, Verlag für Bauwesen, Berlin 1997.

232

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Ingenieurbau, Band: Verkehr – Straße, Schiene, Luft, Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH, Berlin 2001. Kirchhoff, P.: Städtische Verkehrsplanung – Konzepte, Verfahren, Maßnahmen, Verlag B.G. Teubner GmbH, Stuttgart/Leipzig/Wiesbaden 2002. Fiedler, J./Kolks, W. (Hrsg.): Verkehrswesen in der kommunalen Praxis, Band I, Planung – Bau – Betrieb, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2003.

Fachzeitschriften Straßenverkehrstechnik, Kirschbaum Verlag GmbH, Bonn. Internationales Verkehrswesen, Deutscher Verkehrs-Verlag GmbH, Hamburg. Der Nahverkehr, Alba Fachverlag GmbH & Co. KG, Düsseldorf. Verkehr und Technik, Erich Schmidt Verlag, Berlin/Bielefeld/München. Traffic Engineering & Control (tec), Hemming Group, London.

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2.2.5

Planung der Versorgung und Entsorgung

235

Karlheinz Jacobitz 2.2.5.1 2.2.5.2 2.2.5.3

Begriffsbestimmung und Merkmale der Versorgung und Entsorgung Struktur der Versorgungs- und Entsorgungssysteme Wasserversorgung 2.2.5.3.1 Aufgabe und Aufbau öffentlicher Wasserversorgungsanlagen 2.2.5.3.2 Wassergewinnung und Wasserschutzgebiete 2.2.5.3.3 Wasseraufbereitung 2.2.5.3.4 Wasserverteilung 2.2.5.4 Abwasserbeseitigung 2.2.5.4.1 Aufgabe und Ziele der Abwasserbeseitigung 2.2.5.4.2 Planungsgrundsätze 2.2.5.4.3 Aufbau des Abwasserbeseitigungssystems 2.2.5.4.4 Entwässerungsverfahren 2.2.5.4.5 Bemessungsgrundlagen für Abwasserkanäle und Kennzahlen 2.2.5.4.6 Abwasserreinigung 2.2.5.5 Abfallentsorgung 2.2.5.5.1 Abfallwirtschaftskonzept 2.2.5.5.2 Abfallsammlung und -transport 2.2.5.5.3 Abfallbehandlung und -ablagerung 2.2.5.6 Energieversorgung 2.2.5.6.1 Kommunales Energiekonzept 2.2.5.6.2 Stromversorgung (Elektrizitätsversorgung) 2.2.5.6.3 Gasversorgung 2.2.5.6.4 Wärmeversorgung 2.2.5.7 Versorgungs- und Entsorgungsanlagen als Elemente der Erschließung Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.2.5

235 235 237 237 238 239 239 240 240 241 241 243 243 245 246 246 248 248 249 249 250 250 251 251 254

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2.2.5

235

Planung der Versorgung und Entsorgung

Karlheinz Jacobitz 2.2.5.1

Begriffsbestimmung und Merkmale der Versorgung und Entsorgung

„Versorgung und Entsorgung“ bedeutet die Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft mit Trink- und Betriebswasser, die Behandlung und Beseitigung von Abwässern und festen Abfallstoffen sowie die Versorgung mit Energie und die Entsorgung der bei energetischen Umwandlungsprozessen anfallenden Reststoffe. Die Anlagen und Betriebsmittel der Versorgung und Entsorgung (technische Infrastruktur) sind Teil der materiellen Infrastruktur, des Kernbereiches der gesamten Infrastruktur, und machen einen Teil des Sachkapitals der Volkswirtschaft aus. Ihre Nutzung stellt Vorleistungen für die Produktion dar und ermöglicht die dauerhafte Versorgung der Haushalte. Die technische Infrastruktur beeinflusst unmittelbar das Versorgungsniveau der Bevölkerung und wirkt damit auf den Lebensstandard ein. Als wichtige Merkmale der Versorgungs- und Entsorgungssysteme sind neben dem Vorleistungscharakter die technische Unteilbarkeit der Systemelemente, die Standortgebundenheit, die lange Lebens- und Nutzungsdauer, die hohen Kapitalaufwendungen und lange Planungs- und Realisierungszeiträume zu nennen. Die Sicherstellung der Versorgung und Entsorgung ist mit Eingriffen in den Naturhaushalt verbunden. Es werden natürliche Ressourcen genutzt, diese zugleich aber auch in quantitativer und qualitativer Weise gefährdet, durch übermäßige Entnahme, durch Umwandlung und Verbrauch, verbunden mit dem Anfall von flüssigen und festen Reststoffen. Versorgungs- und Entsorgungssysteme sind aber auf dauerhaft nutzbare Ressourcen und funktionierende Stoffkreisläufe angewiesen. Angesichts der Knappheit der Ressourcen und ihrer begrenzten Belastbarkeit durch Entnahme und Schadstoffeintrag ist es erforderlich, alle Planungen an den Gesetzmäßigkeiten des Naturhaushaltes und an der Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung auszurichten. 2.2.5.2

Struktur der Versorgungs- und Entsorgungssysteme

Die Systeme der technischen Infrastruktur sind aus folgenden Hauptelementen aufgebaut: • Anlagen zur Gewinnung bzw. Erzeugung von öffentlichen Versorgungsgütern wie Wasser, Elektrizität, Gas und Wärme sowie zur Abwasserbehandlung und zur Aufbereitung von festen Abfallstoffen für die stoffliche oder energetische Verwertung bzw. für eine umweltverträgliche Beseitigung (Produktionsanlagen im engeren Sinne).

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• Vermittlungsanlagen, die der Umwandlung und Übertragung von technischen Ressourcen dienen, wie Umspannanlagen der Stromversorgung, Pumpwerke der Wasserversorgung, Druckregelungsanlagen der Gasversorgung (Produktionsanlagen im weiteren Sinne). • Netze, die dem Transport der Versorgungsgüter bzw. des Abwassers und vereinzelt auch der festen Abfallstoffe dienen und Produktions- und Verbrauchsstandorte miteinander verbinden. (Für den Abfalltransport werden in der Regel die Straßen benutzt.) Die Netze sind die eigentlichen räumlichen Erschließungselemente und bestimmen die Größe der Versorgungs- oder Einzugsgebiete. Allen an Systeme der technischen Infrastruktur angeschlossenen Haushalten und Betrieben ist es möglich, an der rationellen Herstellung von Versorgungsgütern bzw. an der rationellen Aufbereitung von Abwässern und Abfallstoffen teilzuhaben. Um Mengenvorteile auszunutzen, werden die Erzeugungs- und Aufbereitungsprozesse an bestimmten Standorten konzentriert. Nach ihrer räumlichen Funktion und Reichweite sind zu unterscheiden: • Dezentrale Anlagen: (Kleinanlagen)

Anlagen, die der Versorgung und Entsorgung von Grundstücken, Hausgruppen und kleineren Siedlungseinheiten dienen (z.B. Kleinkläranlagen)

• Örtliche Systeme: (Versorgungsnetze) • Regionale Systeme: (Verteilungsnetze) • Überregionale Systeme: (Verbundnetze)

Anlagen und Netze, die der Erschließung einer Gemeinde oder von Teilgebieten einer Gemeinde dienen Systeme, deren räumliche Funktion über ein Gemeindegebiet hinausreicht (z.B. Gruppenwasserversorgung) Systeme, deren Elemente durchweg überregionalen und gebietsverbindenden Charakter haben (z.B. Hochspannungsnetz der öffentlichen Stromversorgung).

Die Reichweite der Systeme wird bestimmt durch die Kapazitäten der Erzeugungs- und Aufbereitungsanlagen sowie durch die Wirtschaftlichkeit des Transports der Versorgungsgüter bzw. des Abwassers und der festen Abfallstoffe, die von technologischen Gesetzmäßigkeiten abhängig ist. Bedingt durch die enge Verknüpfung und funktionale Abhängigkeit der Elemente unterschiedlicher räumlicher Ebenen können die Anlagen und Netze mit überregionaler Funktion und Reichweite auch Aufgaben für ein Teilgebiet übernehmen. Beispiel: Ein Großkraftwerk, das in das Stromverbundnetz der Bundesrepublik Deutschland integriert ist, kann auch den eigenen Standortbereich über Anlagen und Netze untergeordneter Funktion versorgen.

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Unter dem Einfluss ökologischen Denkens und der Forderung nach einer nachhaltigen räumlichen Entwicklung dürfte es zukünftig zu Veränderungen in der Struktur der Versorgungs- und Entsorgungssysteme kommen. Der Trend geht zu dezentralen Anlagen. 2.2.5.3

Wasserversorgung

2.2.5.3.1 Aufgabe und Aufbau öffentlicher Wasserversorgungsanlagen Eine zentrale öffentliche Wasserversorgungsanlage soll Trinkwasser in genügender Menge, von einwandfreier Beschaffenheit, jederzeit mit ausreichendem Druck an jeden Ort des Versorgungsgebietes liefern können (vgl. DIN 2000). Im Allgemeinen hat sie auch Wasser zur Brandbekämpfung (Löschwasser) im Rahmen der technischen, betrieblichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten bereitzustellen. Der Bedarf an Betriebswasser für Gewerbe und Industrie sollte  sofern er sich in Grenzen hält  ebenfalls durch die Anlage gedeckt werden. Größere Wassermengen, z.B. für ein chemisches Werk, sind allerdings von der Industrie selbst zu beschaffen. Der Wasserbedarf wird aus dem Produkt der Zahl der Verbraucher und angenommenen Einheitswasserverbrauchswerten berechnet. Gegenwärtig beträgt der spezifische Wasserverbrauch für Haushalte und Kleingewerbe knapp 130 l pro Einwohner und Tag (vgl. BMU/UBA, 2001, S. 3). Eine zentrale Wasserversorgungsanlage (vgl. Abbildung 57) besteht in der Regel aus folgenden Teilen: x

Wassergewinnung (Wasserfassung)

x

Wasseraufbereitung

x

Wasserförderung

x

Wasserspeicherung

x

Wasserverteilung öffentliche Anlage mit Zubringerleitung, Rohrnetz mit Hauptleitung und Versorgungsleitungen und nicht öffentliche Anlage mit Hausanschlussleitung und Verbrauchsleitungen (vgl. DIN 1988).

Die Sicherstellung der örtlichen Wasserversorgung ist oft nur  über Gemeindegrenzen hinaus  im Rahmen von Gruppenwasser-, Verbundwasser- und Fernwasserversorgungen möglich. Einzelwasserversorgungen für einzelne Grundstücke nach DIN 2001 kommen dort in Betracht, wo ein Anschluss an eine zentrale Wasserversorgung aus wirtschaftlichen Gründen ausscheidet.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 57: Aufbau öffentlicher Wasserversorgungsanlagen - schematischer Überblick 2.2.5.3.2

Wassergewinnung und Wasserschutzgebiete

Für die Trinkwassergewinnung in der Bundesrepublik ist Grundwasser die wichtigste Ressource. Mehr als 70% des heute von der öffentlichen Wasserversorgung gewonnenen Wassers stammen aus Grundwasser einschließlich Quellwasser. Das Grundwasser wird überwiegend in Vertikalfilterbrunnen (Tiefen bis zu 500 m), seltener in Horizontalfilterbrunnen gefasst. Zum Schutz der Trinkwassergewinnungsanlagen werden Wasserschutzgebiete ausgewiesen, in denen bestimmte menschliche Aktivitäten untersagt sind. Die Richtlinien des DVWG „W 101  Richtlinien für Trinkwasserschutzgebiete I. Teil: Schutzgebiete für Grundwasser“ gliedern das Wasserschutzgebiet in drei Zonen. Die Schutzzone I erstreckt sich auf den unmittelbaren Fassungsbereich (Eigentum des Wasserwerks) und soll die Gewinnungsanlage vor jeglichen Verunreinigungen und Beeinträchtigungen schützen. In der Zone II, der engeren Schutzzone, ist in der Regel jede Bebauung untersagt, während sie in der weiteren Schutzzone (Zone III) unter bestimmten Auflagen und Einschränkungen zugelassen werden kann.

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2.2.5.3.3 Wasseraufbereitung Grund- und Oberflächenwasser erfüllen in natürlichem Zustand nur in wenigen Fällen die Güteanforderungen an Trink- und Betriebswasser. Der überwiegende Teil der Rohwässer muss je nach der beabsichtigten Verwendung aufbereitet werden, um sie hygienisch einwandfrei abgeben zu können und sie chemisch schadlos zu machen. Die Maßnahmen zur Aufbereitung sind darauf gerichtet, arteigene Inhaltsstoffe, die im Allgemeinen nicht gesundheitsschädlich sind, aber bei der Verwendung des Wassers stören, zu verändern bzw. aus dem Wasser auszuscheiden (z.B. Eisen, Mangan, freie Kohlensäure). Es lassen sich physikalische, chemische und bakteriologischbiologische Aufbereitungsverfahren unterscheiden. Meist sind mehrere Verfahren  folgerichtig nacheinander geschaltet  nötig, um bestimmte Wassereigenschaften zu erreichen. Die Entkeimung, d.h. die Zerstörung evt. vorhandener Krankheitskeime, spielt heute eine wichtige Rolle, weil auch auf Wasser zurückgegriffen werden muss, das nicht dauerhaft mikrobiologisch einwandfrei ist. Der Verbraucher hat das Anrecht auf ein einwandfreies Trinkwasser, das allen in der Trinkwasserverordnung (TrinkwV, 2000) genannten Anforderungen genügt, aber nicht den Anspruch auf Trinkwasser einer bestimmten Qualität. 2.2.5.3.4 Wasserverteilung Das Ortsnetz beansprucht den größten Teil der Investitionen (ca. 60%) von Wasserversorgungsanlagen. Je weiträumiger die Bebauung, je geringer die Anschlussdichte (E/km²), umso größer ist der Aufwand. Bemessen wird das Netz für den höchsten stündlichen Wasserbedarf, der am Tage des maximalen täglichen Bedarfs auftritt (Richtwerte vgl. DVGW-Regelwerk W 403). Das Netz muss folgenden Forderungen genügen: • das System muss auch bei örtlichen Störungen weitgehend funktionsfähig bleiben • Druckverluste sollen möglichst gering sein • Bau- und Betriebskosten sind niedrig zu halten. Die technischen Forderungen sind nur durch geschlossene (vermaschte) Leitungssysteme (Umlauf- und Ringnetz, vgl. Abbildung 57) einzuhalten. Bei einem reinen Verästelungsnetz kann ein Schadensfall unter Umständen die gesamte Versorgung eines Stadtgebietes unterbrechen. Die Ortsnetzleitungen sind Druckleitungen und können sich jeder gewünschten Linienführung anpassen, weitgehend unabhängig von der Topografie. Das Straßengefälle ist ohne Einfluss. Aus betrieblichen Gründen, zum Einbau von Entleerungseinrichtungen (Hydranten) und Entlüftungsventilen, ist ein Mindestgefälle von 1 - 4‰  in wechselnden Richtungen  erforderlich.

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In jeder anbaufähigen Straße ist eine Versorgungsleitung  vorzugsweise im Gehweg  vorzusehen, in breiten Straßen möglichst auf beiden Seiten. Von den Versorgungsleitungen, die im Allgemeinen einen kleinen Querschnitt aufweisen (Mindestdurchmesser 100 mm), zweigen die Hausanschlussleitungen ab, die bis zum Wasserzähler oder Hauptabsperrorgan auf den Grundstücken führen. Um eine störungsfreie Wasserverteilung sicherzustellen, werden an geeigneten Standorten Speicheranlagen (Hochbehälter, Tiefbehälter) angeordnet. Während Tiefbehälter nur der Wasserspeicherung dienen und ohne Einfluss auf den Versorgungsdruck sind, erlauben es die Hochbehälter (Erdbehälter oder Wassertürme), die stetigen Schwankungen zwischen Wasserförderung und -verbrauch auszugleichen, den erforderlichen Betriebsdruck zu gewährleisten, Druckschwankungen aufzufangen und eine Löschwasser- und Betriebsreserve vorzuhalten. Das Wasser wird dem Versorgungsnetz aus dem Hochbehälter mit freiem Gefälle zugeleitet. Die Höhenlage des Behälters wird durch den erforderlichen Betriebsdruck bestimmt, der so hoch sein muss, dass das Wasser aus den höchstgelegenen Zapfstellen mit einem Mindestfließdruck von 0,5 - 1 bar frei ausfließen kann. Die Höhe des Versorgungsdrucks (Mindestüberdruck im Rohrnetz bei maximaler Wasserentnahme) ist abhängig von der Geschosszahl und der Ausstattung der Häuser. Der minimale Versorgungsdruck  von der Straßenoberfläche aus gerechnet  beträgt ca. 2 bar; der maximale Betriebsdruck sollte 6 - 8 bar nicht überschreiten, um zu hohe Beanspruchungen des Netzes und der Entnahmeeinrichtungen zu vermeiden. In Gebieten mit großen Höhenunterschieden sind mehrere Druckzonen einzurichten. Hochhäuser werden im Allgemeinen mit eigenen Druckerhöhungsanlagen ausgestattet. Bei entsprechenden topografischen Verhältnissen wird grundsätzlich angestrebt, Erdbehälter anzulegen, die in baulicher, betrieblicher und wirtschaftlicher Hinsicht Vorteile bieten. Der Bau eines Wasserturms kommt in Betracht, wenn in günstiger Lage zum Versorgungsgebiet die für die Errichtung eines Erdbehälters erforderlichen Geländehöhen nicht vorhanden sind. Manchmal werden Wassertürme nicht nur für die Wasserspeicherung verwendet, sondern auch anderweitig genutzt (u.a. als Aussichtsturm oder Restaurant). 2.2.5.4

Abwasserbeseitigung

2.2.5.4.1 Aufgabe und Ziele der Abwasserbeseitigung Abwasser ist das durch häuslichen, gewerblichen, industriellen oder sonstigen Gebrauch in seinen Eigenschaften veränderte Trink- und Betriebswasser („Schmutzwasser“), das in die Ortsentwässerung gelangende Niederschlagswasser sowie das zusammen mit Schmutz- und Niederschlagswasser in der Kanalisation abfließende sonstige Wasser („Fremdwasser“).

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Nach § 18a WHG ist Abwasser „so zu beseitigen, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird.“ Daraus leiten sich die folgenden Ziele ab: x

Sammeln, Fortleiten und Behandeln aller in einem Gemeindegebiet anfallenden Schmutzwässer (häusliches, gewerbliches und industrielles Abwasser) in der Weise, dass weder gesundheitliche und ästhetische Missstände in den Siedlungsbereichen noch Schädigungen der Gewässer (vgl. § 1a WHG) bzw. des Bodens, die letzten Endes die Abwässer aufzunehmen haben, hervorgerufen werden.

x

Durch Niederschlagswässer bedingte Überschwemmungen einzuschränken. (Regen ist ein Zufallsereignis!).

2.2.5.4.2 Planungsgrundsätze Die gemeindliche abwassertechnische Planung (vgl. ATV-A 101, 1992) muss sich in die übergeordneten, großräumigen wasserwirtschaftlichen Planungen (Maßnahmenprogramm für eine Flussgebietseinheit (§ 36 WHG), Bewirtschaftungsplan (§ 36b WHG)) einfügen, in denen u.a. die Standorte für bedeutsame Abwasserbehandlungsanlagen und ihr Einzugsbereich festgelegt werden. Im Rahmen der überörtlichen Planungen ist zu untersuchen, ob es zweckmäßig ist, mehrere Gemeinden an eine gemeinsame Abwasserreinigungsanlage (Gruppenklärwerk) anzuschließen. Das bisherige Konzept der Abwasserbeseitigung beruhte darauf, das „überschüssige“ Regenwasser zusammen mit dem Schmutzwasser so rasch und so vollständig wie möglich in Kanalnetzen aus dem Siedlungsbereich abzuleiten (absolutes Ableitungsprinzip). Aufgrund der ungünstigen wasserwirtschaftlichen Auswirkungen einer solchen Praxis und der steigenden Kosten für Regenwasserableitung und -behandlung wird heute angestrebt, den Wasserkreislauf  analog den Verhältnissen in der Natur  kleinräumig zu schließen. Es wird das Ziel verfolgt, so viel Regenwasser wie möglich am Entstehungsort unmittelbar versickern zu lassen und nur so viel wie unbedingt nötig zu sammeln und  möglichst mit Verzögerung  abzuleiten. Die Nutzung des Regenwassers als Brauchwasser trägt zur Verminderung des Regenwasserabflusses und des Trinkwasserbedarfs bei. 2.2.5.4.3 Aufbau des Abwasserbeseitigungssystems Die Schmutzwässer und ein Teil der Niederschlagswässer werden in Kanalsystemen, deren Aufbau sich nach den Gelände- und Vorflutverhältnissen richtet, gesammelt und auf möglichst kurzem Wege einer Abwasserreinigungsanlage oder Regenauslässen zugeleitet (vgl. Abbildung 58). Nicht oder kaum verschmutztes Niederschlagswasser sollte nicht in die Kanalisation gelangen.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 58: Schema des Abwasserbeseitigungssystems Aus wirtschaftlichen Gründen wird angestrebt, den größten Teil des Abwassers mit natürlichem Gefälle abzuleiten, dabei aber die Leitungen (mit freiem Wasserspiegel) nicht tiefer als notwendig zu verlegen. Abwasserpumpwerke und -druckleitungen werden im Allgemeinen nur dort vorgesehen, wo dies unumgänglich ist (Anschluss von Tiefgebieten). Die Lage der Hauptsammler ist durch die topografischen Verhältnisse, durch die Abgrenzung des Entwässerungsgebietes und den Standort der Abwasserreinigungsanlage weitgehend vorbestimmt. Für Teilgebiete sind oft mehrere Lösungen möglich. Aufgrund dessen gibt es keine einheitliche Gestaltung von Entwässerungsnetzen. Die Schmutzwässer von Einzelgehöften, Kleinsiedlungen und Hausgruppen, für die ein Anschluss an die öffentliche Entwässerung aus wirtschaftlichen Gründen ausscheidet, sind auf den Grund-

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stücken zu behandeln und gegebenenfalls zu verwerten. Die Richtlinien der DIN 4261 „Kleinkläranlagen“ (d 50 E, d 8 m³/d) sind maßgebend. 2.2.5.4.4 Entwässerungsverfahren Die herkömmlichen Entwässerungsnetze sind entweder nach dem Mischverfahren oder nach dem Trennverfahren aufgebaut. Beim Mischverfahren werden Schmutzwässer und Niederschlagswasser gemeinsam in einem Kanal abgeleitet. Da der Regenwasserabfluss mehr als das 100fache des Schmutzwasserabflusses betragen kann, wachsen die Leitungsquerschnitte mit größer werdendem Entwässerungsgebiet sehr stark an. Um die Querschnittsgrößen zu begrenzen, werden an geeigneten Stellen des Kanalnetzes Regenentlastungsbauwerke  Regenüberläufe, Regenüberlaufbecken  oder Regenrückhaltebecken angeordnet. Beim Trennverfahren werden Schmutz- und Niederschlagswasser in zwei verschiedenen Entwässerungsleitungen abgeführt. Die Schmutzwasserkanäle führen zur Abwasserreinigungsanlage, der Regenwasserabfluss wird in den Regenwasserkanälen einem nahen Gewässer oder einer Versickerungsanlage zugeleitet. Die Grundstücksentwässerungen sind auf das Entwässerungsverfahren abzustimmen. Das Trennverfahren macht also auch zwei getrennte Leitungen auf den Grundstücken erforderlich. Seit einigen Jahren werden  vor allem aus wasserwirtschaftlichen Gründen  Modifikationen der gebräuchlichen Verfahren immer häufiger angewandt. Beim modifizierten (qualifizierten) Trennverfahren wird z.B. das Niederschlagswasser der Verkehrsflächen in geschlossenen Regenwasserkanälen, das kaum verunreinigte Regenwasser der Wohnbereiche dagegen oberirdisch in Gräben oder Rasenmulden abgeleitet, in denen es versickern kann. Dezentrale Versickerung von Regenwasser, Rückhaltung des Regenwassers in offenen Becken oder Teichen, Gründächer und die Regenwassernutzung sind wichtige Elemente der Konzepte zur Regenwasserbewirtschaftung. Es wird angestrebt, den Wasserhaushalt eines Siedlungsgebietes demjenigen des unbebauten Zustandes anzunähern. Das Mulden-Rigolen-System, in seiner allgemeinsten Form eine Kombination von Reinigung, Versickerung, Speicherung und gedrosselter Ableitung des Regenwassers, die einzige „echte“ Alternative zur herkömmlichen Regenentwässerung, entspricht weitgehend dieser Zielsetzung (vgl. Sieker, S. 31). Für die Ableitung des Schmutzwassers können besondere Fördertechniken wie Druck- oder Unterdruckentwässerung verwendet werden, vor allem bei kleineren Gemeinden mit weiträumiger Bebauung oder bei schwierigen Untergrundverhältnissen. 2.2.5.4.5 Bemessungsgrundlagen für Abwasserkanäle und Kennzahlen Die Menge des häuslichen Abwassers ergibt sich aus der Einwohnerzahl [E] und dem auf die Einwohnerzahl bezogenen mittleren Wasserverbrauch [l/(E˜d)]. Der spezifische Abwasseranfall

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wächst im Allgemeinen mit der Größe der Gemeinde. Für die Bemessung der Schmutzwasserleitungen ist der höchste stündliche Abwasseranfall, 1/8  1/16 der täglichen Abwassermenge, maßgebend. Anhaltswerte sind dem Arbeitsblatt ATV-A 118 zu entnehmen. Der Abwasseranfall in den einzelnen Industriezweigen ist weitgehend durch die unterschiedlichen Verwendungsarten des Wassers bestimmt, die von den Verschiedenheiten der Rohstoffe, der Erzeugnisse und der Produktionsverfahren abhängen. Richtwerte lassen sich nur schwer angeben. Für in Bauleitplänen ausgewiesene Industrie- und Gewerbeflächen kann der mittlere Schmutzwasseranfall mit 1,0  2,0 l/(s˜ha) angesetzt werden. Der Regenwasserabfluss, der für die Bemessung von Regen- und Mischwasserleitungen maßgebend ist, wird aus der Fläche F des Niederschlagsgebietes [ha], der ortsabhängigen Regenspende r [l/(s˜ha)] und dem Abflussbeiwert \ [] berechnet: Abfluss = Abflussbeiwert x Fläche x Regenspende [l/s]. Die Leitungen werden nicht für den ungünstigsten Regen, der nach den Beobachtungen zu erwarten ist, bemessen, sondern für einen Regen bestimmter statistischer Überschreitungshäufigkeit, Spende und Dauer, den sog. „Bemessungsregen“. Überlastungen der Leitungen sind danach nicht zu vermeiden. Auftreten und Ausmaß der jährlichen Überlastungen hängen ab von der Häufigkeit des Bemessungsregens n [1/a]. Die möglichen Schäden, die durch eine Leitungsüberlastung entstehen können, sind dabei zu berücksichtigen. Bebauungsdichte, Flächennutzung, Gebäudewerte und Tiefenlage der Leitungen spielen eine Rolle. Es wird mit Häufigkeiten der Bemessungsregen von 1-mal in 1 bis 1-mal in 10 Jahren, differenziert nach Siedlungsstruktur bzw. Nutzungen des Einzugsgebietes, gerechnet. Als untere Grenze für die Dauer eines Bemessungsregens werden in der Regel gewählt: 15 min im Flachland, 10 min im Hügelland und 5 min im Bergland. Der Abflussbeiwert \, der das Verhältnis zwischen Abfluss und Regen für eine Fläche angibt, ist abhängig von der Oberflächenbeschaffenheit (Bebauung, Bodenart, Bodenbewuchs, Geländeneigung) und den örtlichen klimatischen Gegebenheiten (Regendauer, Regenstärke, Temperatur, Feuchtigkeitsverhältnissen). Es ist mit Werten zwischen \ = 0,05  0,20 für Park- und Gartenflächen und \ = 0,8  0,95 für Dächer zu rechnen. Für Entwässerungsleitungen sind aus betrieblichen Gründen folgende Mindestdurchmesser zu verwenden: Grundstücksanschlüsse 150 mm, Schmutzwasserkanäle 250 mm, Regen- und Mischwasserkanäle 300 mm. Leitungen bis zu einer Nennweite von 500 mm sind üblicherweise kreisförmig, für größere Profile kommen auch genormte Ei- und Maulquerschnitte sowie zahlreiche nicht genormte Querschnittsformen, u.a. Rinnenquerschnitte, in Betracht. Maßgebend für die Tiefenlage der Leitungen sind Faktoren wie Kellerentwässerung, Frostsicherheit, Grundwasserstand und Sicherheit gegen statische und dynamische Beanspruchungen. Als

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Anhaltswerte für die Mindesttiefe der Kanalsohle unter Straßenoberkante von Schmutz- und Mischwasserkanälen können 2,5  3,0 m für Außengebiete und 3,0  3,5 m für die Innenstadt gelten; die entsprechenden Mindesttiefen für Regenwasserkanäle betragen 1,8  2,0 m bzw. 3,0 m. Das Gefälle der Leitungen (Sohlgefälle) sollte der Längsneigung der Straßen angepasst werden, doch ist ein bestimmtes Mindestgefälle einzuhalten, um ausreichende Abflussgeschwindigkeiten  t 0,5 m/s bei Teilfüllung  zu gewährleisten (Verhindern von Ablagerungen und Fäulnis!). Gängig sind folgende Gefällswerte: 3  10 ‰ in Anfangsstrecken mit kleineren Querschnitten, 2  3 ‰ im mittleren Bereich, 1  2 ‰ in Endstrecken mit größeren Querschnitten. 2.2.5.4.6 Abwasserreinigung Das aus den Siedlungsgebieten abfließende Schmutzwasser muss vor der Einleitung in ein Gewässer nach den geltenden gesetzlichen Anforderungen, die dem Stand der Technik entsprechen (vgl. § 7a WHG), gereinigt werden. Beschränkten sich die Anforderungen früher nur auf die Parameter für die organischen Verschmutzungen (Kohlenstoffverbindungen), gemessen am BSB (biochemischer Sauerstoffbedarf) und CSB (chemischer Sauerstoffbedarf), so sind sie heute auch auf die Nährstoffe Stickstoff (N) und Phosphor (P) ausgedehnt (vgl. AbwV  Abwasserverordnung). Die Anforderungen lassen sich in kommunalen Kläranlagen im Allgemeinen durch kombinierte mechanisch-biologische Abwasserreinigung einhalten (vgl. Abbildung 59). Im ersten, dem mechanischen Teil der Kläranlage, werden dem Abwasser ungelöste Schmutzstoffe entnommen: Durch Rechen- und Siebanlagen werden Grobstoffe zurückgehalten; in Absetzbecken wird durch Verringerung der Fließgeschwindigkeit des Abwassers das Absetzen mitgeführter Schwebestoffe und das Aufschwimmen von Schwimmstoffen bewirkt. In der nachfolgenden biologischen Reinigungsstufe werden mithilfe von Kleinlebewesen (Mikroorganismen), die zur Energiegewinnung Sauerstoff benötigen, nicht absetzbare Schwebestoffe sowie echt und kolloidal gelöste Stoffe in abscheidbare ungelöste Stoffe übergeführt. Die Mikroorganismen können entweder auf Oberflächen angesiedelt sein, wie beim Tropfkörperverfahren, oder sich frei als Belebtschlammflocken im Abwasser bewegen (Belebungsverfahren). Für die biologische Reinigung nach dem Belebungsverfahren ist die Anreicherung der Biomasse im Belebungsbecken mithilfe des Nachklärbeckens Voraussetzung. In geringem Umfang werden chemische Verfahren zur Unterstützung und Ergänzung der anderen Reinigungsprozesse (z.B. zur Phosphorelimination) angewandt. In den einzelnen Behandlungsstufen der Abwasserreinigung werden Schmutzstoffe aus dem Abwasser ausgeschieden. Der dabei in Vorklär- und Nachklärbecken anfallende Klärschlamm (Schlamm-Wasser-Gemisch) ist so aufzubereiten, dass er umweltverträglich entsorgt werden kann.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 59: Abwasser- und Schlammbehandlung in einer konventionellen Kläranlage Naturnahe Abwasserreinigungsverfahren (Abwasserteiche, Wurzelraumverfahren, bewachsene Bodenfilter u.a.), die sehr flächenintensiv sind, kommen für kleinere Gemeinden in Betracht. Für den Standort einer Kläranlage sind in erster Linie wasserwirtschaftliche, topografische und bautechnische Gegebenheiten wichtig. Aber auch raumplanerische Aspekte spielen eine Rolle: genügender Abstand der Kläranlage von Wohnbauten und Gemeinbedarfseinrichtungen, einwandfreie Gestaltung und Anpassung an die Umgebung in Freizeit- und Erholungsgebieten sowie in Landschaftsschutzgebieten und ausreichende Erschließung durch Verkehrs- und Versorgungsanlagen. Für Kläranlagen ab einer Ausbaugröße von 50.000 EW (Einwohnerwerten) ist im Zuge des Planfeststellungsverfahrens auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen (§ 18c WHG). 2.2.5.5

Abfallentsorgung

2.2.5.5.1 Abfallwirtschaftskonzept Abfallentsorgung umfasst die Verwertung und Beseitigung von Abfällen. Planungsgrundlage für eine Gemeinde ist das Abfallwirtschaftskonzept (§ 19 KrW-/AbfG), das die öffentlich-rechtlichen

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Entsorgungsträger (i.Allg. Kreise und kreisfreie Städte) nach den Vorgaben der Abfallwirtschaftsplanung der Länder (§ 29 KrW-/AbfG) für ihr Gebiet aufzustellen haben. In ihm sind die getroffenen und geplanten Maßnahmen zur Abfallvermeidung, zur Verwertung (stoffliche Verwertung oder Gewinnung von Energie) und zur Beseitigung von Abfällen darzustellen. Zur Umsetzung des Abfallwirtschaftskonzeptes für Hausmüll und hausmüllähnliche Abfälle (vgl. Abbildung 60) sind folgende Verfahrensschritte erforderlich: x

Getrennte Sammlung von verwertbaren Stoffen und Restmüll

x

Transport der Abfälle zu den entsprechenden Aufbereitungsanlagen

x

Behandlung von Abfällen zur Verwertung

x

Behandlung von Restmüll und Sortierresten

x

Ablagerung von Reststoffen.

Quelle: eigene Abbildung

Abbildung 60: Abfallwirtschaftskonzept - Teilkonzept Hausmüll und hausmüllähnliche Abfälle Mit der Verwirklichung des Konzeptes sind für die Gemeinden neben organisatorischen auch räumliche Probleme verbunden: Flächenverbrauch für Abfallentsorgungsanlagen, Umweltbelastung, Konkurrenz zu anderen Flächenansprüchen (die notwendigen Flächen müssen gegenüber anderen gesellschaftlichen und privaten Ansprüchen durchgesetzt werden).

248

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2.2.5.5.2 Abfallsammlung und -transport Verwertbare Stoffe und Restmüll sind grundsätzlich getrennt zu sammeln. Als Sammelverfahren kommen in Betracht: Umleerverfahren, Wechselverfahren, Einwegverfahren (Bereitstellen von Abfällen in Säcken), systemlose Sammlung (bei Sperrmüll und Elektronikschrott). Zu jedem Verfahren gehören zueinander passende Behältersysteme und Fahrzeuge mit entsprechenden Einfüllvorrichtungen (vgl. Bilitewski u.a., S. 39ff.). Sonderverfahren, wie das Absaugen und das Abschwemmen der Abfälle in Leitungen, sind sehr selten und von geringer praktischer Bedeutung. Im Bereich der Restmüllsammlung werden heute Systemmülltonnen mit 70 l und 110 l Inhalt und Müllgroßbehälter (MGB) bis zu 1.100 l Inhalt eingesetzt. Für die Wertstoffsammlung werden hauptsächlich genormte Müllgroßbehälter von 1.100, 2.500 und 5.000 l Inhalt verwendet. Sammelbehälter für Restmüll werden im privaten Grundstücksbereich aufgestellt, die Wertstoffbehälter entweder am Anfallort (Holsystem) oder in der Nähe des Anfallortes (Bringsystem) im Straßenraum, auf Plätzen und Freiflächen. Voraussetzung ist eine systematische Planung, bei der Behältervolumen, Standort und Einzugsbereich für die einzelnen Stoffgruppen aufeinander abgestimmt werden. Wesentliche Gesichtspunkte für die Festlegung von Behälterstandorten sind: Erreichbarkeit, Empfindlichkeit der Umgebung gegenüber Lärm, Verkehr und Verschmutzung, gute städtebauliche Einbindung (Unterstützung durch die Bauleitplanung). Einzelstandplätze kommen für Einzelhäuser in Betracht; aus gestalterischen Gründen werden Mülltonnenschränke bevorzugt. Bei Wohnwegerschließung sind gemeinsame Müllbehälterstandplätze in der Nähe der Straßen (max. Entfernung 15 m) anzulegen, günstig in Kombination mit Kfz-Stellplatzanlagen. Vorschriften über die Anlage, den Bau und die Gestaltung von Behälterstandorten finden sich in den Landesbauordnungen, den Ortssatzungen und in technischen Richtlinien des VDI. Die Belange der Abfuhr und des Transports der Abfälle sind bei der Gestaltung des Straßennetzes zu berücksichtigen: Mindestbreite der Straßen 4,5 m; Straßenbefestigung für eine Achslast von 10 t; Anlage von Wendeplätzen an den Enden der Stichstraßen. Das Straßennetz in der Nähe einer größeren Abfallentsorgungsanlage muss höchsten Anforderungen genügen, da Fahrzeuge in geringen Zeitabständen an- und abfahren. Bei größeren Transportentfernungen sind Umladestationen vorzusehen. Wohngebiete sollten durch reine Transportfahrzeuge nicht belastet werden. 2.2.5.5.3 Abfallbehandlung und -ablagerung Abfälle, die nicht verwertet werden können, sind dauerhaft von der Kreislaufwirtschaft auszuschließen und zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit zu beseitigen (§ 10 KrW-/AbfG). Der Gesetzgeber verlangt eine umweltverträgliche Beseitigung nach dem Stand der Technik. So fordert

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die 1993 eingeführte Technische Anleitung Siedlungsabfall (TASi), dass nur noch weitgehend mineralisierte und stabilisierte Abfälle abgelagert werden dürfen, von denen keine Gefahr für Grundwasser und Luft ausgeht. Das bedeutet, dass nicht verwertbare organische oder organisch verunreinigte Reststoffe vorzubehandeln sind. Die Grenzwerte der TASi lassen sich nur mit thermischen Verfahren erfüllen. Nach der im März 2001 in Kraft getretenen Abfallablagerungsverordnung (AbfAblV), die die wichtigsten Anforderungen der TASi übernommen hat, ist ebenfalls eine mechanisch-biologische Vorbehandlung zugelassen, die auch in kleinen, dezentralen Anlagen stattfinden kann. Die Einrichtung und der Betrieb von ortsfesten Abfallbeseitigungsanlagen bedürfen einer Genehmigung nach den Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG). Für die Errichtung und den Betrieb einer Deponie ist ein Planfeststellungsverfahren einschließlich Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen (§ 31 KrW-/AbfG). 2.2.5.6

Energieversorgung

2.2.5.6.1 Kommunales Energiekonzept Basis für die Energieversorgung einer Gemeinde ist das kommunale Energiekonzept als Ergebnis eines Planungs- und Entscheidungsprozesses, in den die kommunalen Planungsstellen, die Energieversorgungsunternehmen und die einzelwirtschaftlichen Investoren einbezogen sind (vgl. Lutter, S. 220). Nach seiner Aufstellung dient das Konzept als verbindliche Entscheidungshilfe. Heutige Ziele des Konzeptes bestehen darin: x das Stadtklima von Luftschadstoffen (SO2, NOx, CO) zu entlasten x die günstigste Mischung von Energiebedarfssenkung und rationeller Energieversorgung darzustellen x örtliche Energieangebotspotenziale und erneuerbare Energien (Wind, Wasserkraft, Sonnenenergie, Biomasse als Brennstoff, Erdwärme) nach Maßgabe des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) so weit wie möglich zu nutzen. Die Grundlage für die Entwicklung des Konzeptes bildet die vorgegebene Wirtschafts-, Siedlungsund Sozialstruktur der Gemeinde. In der Regel besteht ein Energiekonzept aus einem Rahmenkonzept für das gesamte Gemeindegebiet und aus mehreren räumlichen oder sachlichen Teilkonzepten, die aus dem Rahmenkonzept hergeleitet werden (vgl. Lutter, S. 221). Im Mittelpunkt des Energiekonzeptes, das als Fachplanung (Teilentwicklungsplanung) im Rahmen der kommunalen Entwicklungsplanung, der Bauleitplanung oder der Ortserneuerung umgesetzt wird, steht die Deckung des Wärmebedarfs von Haushalten, Gewerbe und Industrie durch

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die leitungsgebundenen Energieträger Elektrizität, Gas und Wärme. Entscheidend für die Frage, ob einschienige Versorgung (nur Elektrizität) oder zweischienige Versorgung (Elektrizität und Gas) gewählt wird, ist, ob an nahegelegene Gasversorgungsanlagen angeschlossen werden kann und welche Tarife für den Bezug der beiden Energiearten angeboten werden. Bei einer zweischienigen Energieversorgung bestimmt der Bauherr, welche Energieart für die Wärmeversorgung verwendet wird. Es wird angestrebt, elektrische Energie und Wärme in thermodynamisch hochwertigen Koppelprozessen (Kraft-Wärme-Kopplung) zu erzeugen und einzusetzen (z.B. Heizkraftwerke und Blockheizkraftwerke anstelle von Heizwerken). 2.2.5.6.2 Stromversorgung (Elektrizitätsversorgung) Die Basis der Stromversorgung in der Bundesrepublik Deutschland ist ein dreistufiges Verbundund Verteilungssystem. Der Landesversorgung dienen die Hochspannungsnetze (110, 220 und 380 kV). In Umspannwerken nahe den Industrieanlagen und Wohngebieten wird die Hochspannung in Mittelspannung (60  10 kV), diese in Ortsnetzumspannstationen in die für Kleinverbraucher erforderliche Niederspannung (220/380 V) des Ortsnetzes transformiert. Die Versorgung mit Niederspannung ist durch wirtschaftliche Höchstquerschnitte und die Länge der Leitungen in der Übertragungsfähigkeit begrenzt. Die Ortsnetzleitungen, die heute in der Regel als Erdkabel verlegt werden, folgen dem Verlauf der Straßen und Wohnwege. An Kreuzungen und Abzweigungen werden oberirdische Verteiler angeordnet. Die Elektroinstallation der einzelnen Gebäude ist über einen Hausanschluss mit dem Ortsnetz verbunden. Am Hausanschlusskasten im Gebäudekeller endet die Eigentumsgrenze des Energieversorgungsunternehmens (vgl. Müller, S. 483). 2.2.5.6.3 Gasversorgung Die Gasversorgung in der Bundesrepublik gründet im Wesentlichen auf einem ausgedehnten Erdgasnetz, in dem importiertes und heimisches Erdgas als sogenanntes Ferngas unter hohen Drücken (16  65 bar) transportiert wird. Das Ferngas durchläuft bei der Weiterleitung als Ortsgas die Hoch- und Mitteldrucknetze in Druckstufen bis zu 16 bar und wird schließlich über Druckregelstationen in das zu den Endverbrauchern führende Niederdrucknetz mit Drücken von 0,1  1 bar eingespeist (vgl. Ahlheim, S. 114). Die Rohrleitungen des Ortsnetzes sind über Hausanschlussleitungen mit der Gasinstallation der einzelnen Häuser verbunden. Neben den privaten Haushalten werden kleine und mittlere Gewerbebetriebe aus dem Niederdrucknetz versorgt, während gewerbliche und industrielle Großverbraucher unmittelbar aus dem Mittel- oder Hochdrucknetz gespeist werden (vgl. Müller, S. 487).

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251

2.2.5.6.4 Wärmeversorgung Die leitungsgebundene Wärmeversorgung führt zum Fortfall zahlreicher Einzelfeuerstätten und dient den Bestrebungen zur Reinhaltung der Luft. Im Gegensatz zu den anderen Energieversorgungssystemen haben Fernwärmeversorgungssysteme nur eine maximale Reichweite von 50 km. Die Fernwärmenetze sind meist aus zweisträngigen isolierten Rohrleitungen aufgebaut, deren Durchmesser zwischen 25 und 700 mm betragen (vgl. Ahlheim, S. 116). Als Energieträger dient heute in der Regel warmes Wasser (früher: Dampf) mit einer Betriebstemperatur von 110 °C. Eine Fernwärmeversorgung ist in größeren Gebieten mit hoher Anschlussdichte (ab 40 MW/km²) und einem relativ gleichmäßig über das Jahr verteilten Wärmebedarf gut geeignet. Nachteilig ist, dass Fernwärmenetze großen Temperaturspannungen und hohen Drücken ausgesetzt sind und ihre Herstellung sehr aufwendig und schwierig ist (vgl. BMBau, S. 45). Kleinere dezentrale Nahwärmenetze unter Einsatz von Blockheizkraftwerken (BHKW) haben gegenüber konventionellen Fernwärmenetzen den Vorteil, dass sie stufenweise auszubauen sind und kostengünstig hergestellt werden können. Sie lassen sich bei einer Betriebstemperatur von 90 °C bei niedrigerem Druck betreiben und es können flexible Leitungen (Kunststoffrohre) verwendet werden. Bei einer kombinierten Heizungs- und Warmwasserversorgung sind Wärmeaustauscher erforderlich. Bei Warmwasserversorgung mit Strom können diese entfallen. Die rechtlichen und technischen Voraussetzungen für den Einsatz von Blockheizkraftwerken sind im Rahmen von Konzessionsverträgen sicherzustellen (vgl. BMBau, S. 44). Für die Wärmeversorgung der Haushalte ist die Energieeinsparverordnung (EnEV) vom Februar 2002 von Bedeutung. Sie lässt dem Bauherrn die Wahl, ob er spezifische energetische Gebäudekennwerte durch eine verbesserte Wärmedämmung, durch energiesparende Heizsysteme oder den Einsatz erneuerbarer Energien erreicht (vgl. BMU, S. 103). 2.2.5.7

Versorgungs- und Entsorgungsanlagen als Elemente der Erschließung

Versorgungs- und Entsorgungsanlagen sind neben den Verkehrsanlagen wichtige Voraussetzungen für die Erschließung der Grundstücke. Dazu gehören einmal die öffentlichen und nichtöffentlichen im Gemeinbereich liegenden Anlagen. Es sind dauerhafte Einrichtungen, die im Rahmen der Stadtplanung bestehen bleiben müssen, auch wenn die Bebauung und die Nutzung der Grundstücke sich ändern. Daneben gibt es Erschließungsanlagen, die auf den Grundstücken selbst für die geplante Nutzung erforderlich sind (Außenanlagen des Hochbaus). Dazu zählen Hausanschlussleitungen, gegebenenfalls auch Brunnen und Kleinkläranlagen, die beim Fehlen zentraler Anlagen notwendig werden. Die Anordnung der Gebäude auf den Grundstücken und der Grad der Erschließung im öffentlichen Bereich beeinflussen den „privaten Erschließungsaufwand“.

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Die Gemeinde hat grundsätzlich für die Wasserversorgung und für die Beseitigung der Abwässer und der festen Abfallstoffe zu sorgen. Oft sind dafür jedoch kommunale Gemeinschaftseinrichtungen (z.B. Wasser- oder Abwasserzweckverband, Abfallentsorgungsverband) vorhanden. Für die Erschließung eines Baugebietes mit Elektrizität, Gas und Wärme sind die entsprechenden Versorgungsunternehmen (öffentlich oder privat) zuständig. Die Gemeinde kann im Bebauungsplan (§ 9 BauGB) oder im Vorhaben- und Erschließungsplan (§ 12 BauGB) Vorsorge für die Versorgungs- und Entsorgungsanlagen treffen. Die Sicherung der Erschließung ist Voraussetzung für die Zulässigkeit von Bauvorhaben (§ 30 BauGB). Rechtsgrundlagen für die Herstellung und den Betrieb der Versorgungs- und Entsorgungsanlagen sind besondere Ortssatzungen. In ihnen werden Anschluss- und Benutzungsrecht, Anschluss- und Benutzungszwang sowie Beiträge und Gebühren geregelt. Die kommunalen Versorgungs- und Entsorgungssysteme stellen in der Regel  abgesehen von Einrichtungen wie Wasserwerk, Wasserbehälter, Kläranlage oder Heizkraftwerk  keine eigenen Flächenansprüche. Die Leitungen (Kabel, Rohre, Abwasserkanäle) mit den dazugehörigen Einzelbauwerken wie Einsteigschächte, Rückhaltebecken, Pumpensümpfe und Verteilerbauwerke, werden überwiegend im öffentlichen Bauraum des Untergrundes der Straßen untergebracht, von wo aus die anliegenden Grundstücke am leichtesten zu bedienen sind. Dort sind die Anlagen auch unabhängig von privaten Grundstücksinteressen und Schadenersatzansprüchen. Ebenfalls sind Überwachung, laufende Unterhaltung, Ergänzung und Erneuerung in öffentlichen Straßen ohne weiteres möglich. Die DIN 1998 regelt die Nutzung des Untergrundes, eine Maßnahme, die bei der Vielzahl und Verschiedenartigkeit der Ansprüche der einzelnen Leitungsarten, die spezifischen Planungs- und Trassierungsgrundsätzen unterliegen, unvermeidlich ist. Art, Anzahl und Verteilung der Leitungen in einem Straßenquerschnitt sind in erster Linie von den besonderen örtlichen Gegebenheiten, wie Nutzung der anliegenden Grundstücke (Wohnen, Gewerbe, Industrie), Bebauungsweise, Straßenbreite und Entwässerungsverfahren abhängig. Grundsätzlich sollen die Versorgungsleitungen außerhalb der Fahrbahn in Gehwegen, Radwegen, Parkbuchten oder Grünstreifen, gegliedert in Zonen (Elektrizitäts-, Gas-, Wasser- und Postzone), die Abwasserleitungen innerhalb der Fahrbahn untergebracht werden (vgl. Abbildung 61). Reicht der Raum außerhalb der Fahrbahn nicht aus, sind vor allem Haupt- und Fernleitungen in der Fahrbahn zu verlegen. Wasser- und Abwasserleitungen erfordern eine frostsichere Verlegung. Der Widerstreit der vielfältigen Interessen an der Nutzung des Straßenuntergrundes erfordert ein rechtzeitiges Zusammenarbeiten aller an der Planung und ihrer Realisierung Beteiligten. Entsprechende Hinweise zur Abstimmung der Einzelplanungen und zur Ordnung der Planungs- und Bauarbeiten geben die Kommunalen Koordinierungs-Richtlinien, KKR. Zweckmäßig ist die Einrichtung einer Koordinierungsstelle bei der Gemeindeverwaltung.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 61: Unterbringung von Leitungen in Zonen - Beispiel nach DIN 1998 Die zukünftige Entwicklung dürfte dahin gehen, Versorgungs- und Entwässerungsleitungen dort, wo es die bauliche Verdichtung verlangt, in eigenen unterirdischen Räumen (begehbare Leitungsgänge, Leitungstunnel, Infrastrukturkanäle) unterzubringen. Fast alle bei der klassischen Erdverlegung auftretenden Probleme lassen sich ausschalten und es kann eine zukunftssichere Gestaltung des knappen unterirdischen Bauraums vorgenommen werden. Die Flexibilität der Leitungsnetze wird erhöht. Außerhalb der Stadtkerne können die Versorgungs- und Entwässerungsleitungen gemeinsam in besonderen Erschließungstrassen unter besonders leicht befestigten Oberflächen (Parkstreifen längs der Straße; Grünstreifen, der Fahrbahn und Gehweg trennt; breiter Gehweg) untergebracht werden.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.2.5 AbfAblV: Verordnung über die umweltverträgliche Ablagerung von Siedlungsabfällen, 2001 (BGBl I Nr. 10). AbwV (Abwasserverordnung): Verordnung über Anforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer vom 15.10.2002 (BGBl I S. 4047). Ahlheim, K.-H. (Hrsg.): Wie funktioniert das? Die Energie, Bibliographisches Institut AG, Mannheim/Wien/Zürich 1983. ATV A 101 (Arbeitsblatt): Planung von Entwässerungsanlagen  Neubau-, Sanierungs- und Erneuerungsarbeiten, ATV-Regelwerk, GFA, St. Augustin 1992. ATV A 118 (Arbeitsblatt): Richtlinien für die hydraulische Berechnung von Schmutz-, Regenwasser- und Mischwasserkanälen, ATV-Regelwerk, GFA, St. Augustin 1977. Baugesetzbuch (BauGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.08.1997 (BGBl I S. 2081). Bilitewski, B., G. Härdtle und K. Marek: Abfallwirtschaft  Eine Einführung, Springer Verlag 1990. BMBau (Hrsg.): Kostensenkung bei der Erschließung und Bereitstellung von Wohnbauland, Bonn-Bad Godesberg 1998. BMU (Hrsg.): Erneuerbare Energien und nachhaltige Entwicklung, Berlin 2002. BMU/UBA (Hrsg.): Der Wassersektor in Deutschland  Methoden und Erfahrungen, Berlin, Bonn 2001. DIN 1988: Technische Regeln für Trinkwasser-Installationen (TRWI) Planung und Ausführung; Bauteile, Apparate, Werkstoffe, 1989. DIN 1998: Unterbringung von Leitungen und Anlagen in öffentlichen Flächen  Richtlinien für die Planung, 1979. DIN 2000: Leitsätze für Anforderungen an Trinkwasser; Planung, Bau und Betrieb der Anlagen, 1973. DIN 2001: Eigen- und Einzeltrinkwasserversorgung; Leitsätze für Anforderungen an Trinkwasser; Planung, Bau und Betrieb der Anlagen, 1983. DIN 4261: Kleinkläranlagen Teil I (1991) und Teil II (1984), Beuth-Verlag, Berlin. DVGW: Technische Regel, Arbeitsblatt W 101, Richtlinien für Trinkwasserschutzgebiete, I. Teil: Schutzgebiete für Grundwasser, 02.1995. DVGW: Technische Regel, Merkblatt W 410, Wasserbedarfszahlen, 01.1995.

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255

KKR (Kommunale Koordinierungs-Richtlinien): Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände, 1967. KrW-/AbfG (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz): in der Fassung vom 27.09.1994 (BGBl I S. 2705) zuletzt geändert am 03.05.2000 (BGBl I S. 362). Lutter, H.: Energiekonzepte, regionale und kommunale, in: Handwörterbuch der Raumordnung, Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL), S. 220  221, Hannover 1995. Müller, W.: Städtebau, 3. Aufl., BG Teubner, Stuttgart 1979. Sieker, F.: Evolution in der Siedlungswasserwirtschaft: Das Zeitalter der strikten Regenwasserableitung geht zu Ende, in: Heiden/Erb/Sieker (Hrsg): Hochwasserschutz heute  Nachhaltiges Wassermanagement, Initiativen zum Umweltschutz, Bd. 31, 2001. TASi (TA Siedlungsabfall): Technische Anleitung zur Verwertung, Behandlung und sonstigen Entsorgung von Siedlungsabfällen, Bundesanzeiger, Köln 1993. TrinkwV (Trinkwasserverordnung): Verordnung über Trinkwasser und über Wasser für Lebensmittelbetriebe in der Fassung vom 05.12.1990 (BGBl I S. 2612) zuletzt geändert 2000 (BGBl I S. 1045). WHG (Wasserhaushaltsgesetz): Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts in der Fassung vom 12.11.1996 (BGBl I S. 1696).

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2.3

Städtebauliche Denkmalpflege Städtebaulicher Denkmalschutz

259

Jan Nikolaus Viebrock, Nicola Halder-Haß, Ulrike Wendland 2.3.1 2.3.2 2.3.2.1 2.3.2.2 2.3.2.3 2.3.2.4 2.3.2.5 2.3.2.6 2.3.2.7

Einführung Rechtliches Instrumentarium städtebaulicher Denkmalpflege Flächennutzungspläne und Bebauungspläne Erhaltungssatzung nach § 172 BauGB Sanierungssatzung nach § 136 BauGB Sanierungsrecht Gestaltungssatzungen nach den LBauO Einfache Stadterneuerung, Dorferneuerung Denkmalschutzrechtliche Instrumentarien – Umgebungsschutz von Kulturdenkmalen 2.3.2.8 Denkmalschutzrechtliche Instrumentarien – Gesamtanlagen 2.3.2.9 Denkmalpflegepläne 2.3.3 Städtebaulicher Standortfaktor Baudenkmal 2.3.3.1 Attraktivität weicher Faktoren für Nutzer und Eigentümer 2.3.3.2 Baudenkmäler als Immobilienanlageprodukte 2.3.3.3 Steuerliche Vergünstigungen von Baudenkmälern 2.3.3.4 Erfolgsfaktor: Nutzungskonzept Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.3

259 261 261 263 266 267 268 268 269 269 271 272 272 273 273 274 276

257

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259

2.3 Städtebauliche Denkmalpflege- Städtebaulicher Denkmalschutz Jan Nikolaus Viebrock, Nicola Halder-Haß, Ulrike Wendland 2.3.1

Einführung

Unter dem Stichwort „Städtebauliche Denkmalpflege” werden alle Instrumente der Bauleitplanung, der strukturellen Erneuerung von Städten und Dörfern und der Ortsgestaltung zusammengefasst, die auch die historischen, gewachsenen Stadt- und Dorfstrukturen als „Quellen und Zeugnisse menschlicher Geschichte und Entwicklung” (§1 Abs. 1 DSchG Hessen) respektieren und eine behutsame, erhaltungsfreundliche Erneuerung und Revitalisierung begünstigen. „Städtebaulicher Denkmalschutz” verweist indessen auf die in nur wenigen Vorschriften des BauGB enthaltenen Tatbestände, die von Seiten des Bundesrechts hoheitliche Befugnisse von Trägern der Planungshoheit in Bezug auf Kulturdenkmäler statuieren, sowie auf Vorschriften der Denkmalschutzgesetze zu Denkmalensembles, zu städtebaulich begründeten Baudenkmälern sowie auf Vorschriften des Umgebungsschutzes. Der amtlichen Denkmalpflege kommt hierbei eine wichtige Bündelungsfunktion zu, indem sie den planenden Akteuren die Denkmalwerte von Ensembles und Einzelbauten benennt und begründet, die Erarbeitung der planerischen, bodenrechtlichen, bauordnungsrechtlichen u. a. Zielstellungen mit steuert und für die praktische Verwirklichung der definierten Ziele das denkmalfachliche Know-how zur Verfügung stellt. Städtebauliche Denkmalpflege hat sich als Teil der praktischen Baudenkmalpflege aus der Einsicht entwickelt, dass die Summe der erhaltenen Einzeldenkmäler noch lange keine Stadterhaltung gewährleistet (vgl. Mosel, S. 8). Planungsbezogene Erhaltungsstrategien werden vielmehr aus der Notwendigkeit entwickelt, dass die Ziele der Denkmalpflege in alle Ebenen der kommunalen Planung Eingang finden müssen, um verwirklicht zu werden. Dies fordern auch ausdrücklich die meisten der Denkmalschutzgesetze in ihren Einführungsparagrafen (vgl. z.B. § 1 Abs. 3 DSchG Sachsen). Die Palette denkmalpflegerelevanter Planungen reicht von überregionalen und regionalen Raumordnungsplänen über kommunale strategische Planungen wie Verkehrsentwicklungsplanungen, über bodenrechtliche Globalsteuerung wie Flächennutzungsplanung bis hin zu konkreter Verwirklichungsplanung, so vor allem dem Bebauungsplan. Flankierend stehen diesen Instrumenten mit oftmals weitreichender Einwirkung auf langfristige Entwicklungs- und Erhaltungsstrategien die konkreten kommunalrechtlichen Steuerungsinstrumente der Erhaltungssatzung und der Gestaltungssatzung zur Seite. Als Handlungsinstrumente städtischer Sanierungspolitik in jedweder Hinsicht waren die Instrumente der Städtebauförderung die erhaltende Entwicklung für deutsche Städte. Ohne das Um-

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schwenken bei den Sanierungszielen vom neubauorientierten Flächenabriss zur erhaltungsfreundlichen Stadterneuerung wären die Erfolge der Denkmalpflege heute kaum vorhanden. Für die ostdeutschen Bundesländer hat das Bund-Länder-Programm „Städtebaulicher Denkmalschutz” nach 1991 neue Wege gewiesen. International bislang ohne Vorbild, verfolgt das Programm das Ziel, das vorgefundene „städtebaukulturelle” Erbe zu erhalten und behutsam, sozialverträglich

und

ressourcenschonend

sowie

„nachhaltig”

zu

erneuern

(vgl.

Verwa-

ltungsvereinbarung 1997, S. 65; BMBau). In Verbindung mit den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aspekten der Städtebauförderung will das Programm die historischen Stadtkerne als Ensembles sichern und erhalten. Die Konzentration auf wenige, vordringliche Fördertatbestände wie x

die Sicherung erhaltenswerter Gebäude, Ensembles oder sonstiger baulicher Anlagen von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung,

x

die Modernisierung und Instandsetzung oder den Aus- und Umbau dieser Gebäude oder Ensembles,

x

die Erhaltung und Umgestaltung von Straßen- und Platzräumen von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung (vgl. Verwaltungsvereinbarung 1991, S. 18)

sicherten die Wirksamkeit dieses mit erheblichen Mitteln ausgestatteten Programms (Einzelheiten in: BMVBW). Es ist hauptsächlich dafür verantwortlich, dass in den vergangenen 20 Jahren ein beispielloses, erfolgreiches Instandsetzungs- und Revitalisierungsprogramm der wertvollen ostdeutschen Stadtdenkmale stattfand. Seit 2009 kommen auch Städte westdeutscher Bundesländer in den Genuss dieses Förderprogramms. Hauptverantwortlicher der städtebaulichen Denkmalpflege ist im deutschen öffentlichen Baurecht die Gemeinde, weswegen der ihr im Städtebau zustehenden Planungs- und Gestaltungshoheit im Folgenden besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Auch die flankierenden Fachplanungen, wie z. B. Verkehrsrahmenplanungen etc., haben oft ausschlaggebende Bedeutung für die Erhaltung historischer Quartiere, werden aber erst mit ihrer rechtlichen Umsetzung in kommunale Flächennutzungs- und Bebauungsplanung erhaltend wirksam. Die folgende Darstellung städtebaulicher Rechtsinstrumente geht daher von der Ebene kommunaler Zuständigkeiten aus, wohl wissend, dass auch die Aussagen regionaler Raumordnungs- und Landesentwicklungspläne auf die Erhaltungschancen stadträumlicher Denkmalwerte einwirken können.

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2.3.2

Rechtliches Instrumentarium städtebaulicher Denkmalpflege

2.3.2.1

Flächennutzungspläne und Bebauungspläne

261

Denkmalschutz und Denkmalpflege gehören nach § 1 Abs. 5 Nr. 5 BauGB zu den ausdrücklich aufgeführten Abwägungsbelangen bei der Aufstellung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen. Die Gemeinden haben danach „insbesondere die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege sowie der erhaltenswerten Ortsteile, Straßen und Plätze von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung zu berücksichtigen”, unabhängig davon, ob letztere auch als Kulturdenkmale eingetragen sind (OVG Münster, RdL 1996, 220). Die genannte Vorschrift gehört mit dieser Formulierung zum Kernbestand dessen, was mit städtebaulicher Denkmalpflege im Sinne einer bodenrechtlicher Materie (vgl. BVerfG, DVBl. 1987, 465 sowie § 172, Rn 1) bezeichnet wird (vg. Battis/Krautzberger/Löhr, § 1 Anm. 62) Die Vorschrift stellt ausdrückliche Anforderungen an die bauleitplanerische Abwägung und stärkt die Beteiligung von Bürgern und von Denkmalbehörden als Träger öffentlicher Belange. Zwar geben die genannten denkmalpflegerischen Vorgaben keinen absoluten Abwägungsvorrang her, so die Rechtsprechung (z.B. VGH München, BRS 38, Nr. 39). Aus dem Merkmal „insbesondere” ist aber wegen der Unersetzlichkeit der Denkmäler zumindest ein relativer Vorrang zu folgern, zu einer Gewichtungsvorgabe, die die Kommune nur bei besonderer Gewichtigkeit anderer abwägungsrelevanter Belange übergehen darf (vgl. Moench, NVwZ 1984, 146, 153). Die Nichtbeachtung dieser Belange in der Planabwägung ist zwar ein beachtlicher Fehler für den Bestand der Satzung(OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1990, 342), kann aber nach den Vorschriften der §§ 215 und 215a BauGB entweder wegen Fristablaufs unbeachtlich sein oder behoben werden. Beachtliche Mängel in der Abwägung führen seit 1998 immerhin nicht mehr zur Nichtigkeit des Bebauungsplanes, die Satzung entfaltet allerdings bis zur Behebung des Mangels keine Rechtswirkungen, § 215a Abs. 1 Satz 2 BauGB. Das planerische Instrumentarium für die Erstellung eines Bebauungsplanes (§ 9 BauGB) bietet eine Fülle von Möglichkeiten zu erhaltungsfördernden Festsetzungen. So kann den betroffenen Bauwerken, Häuserzeilen oder Stadtvierteln jeweils eine Nutzung zugewiesen werden, die eine erhaltende und zugleich wirtschaftlich sinnvolle Verwendung langfristig ermöglicht. Das für das Erscheinungsbild eines Baudenkmals nicht selten wichtige Umfeld kann etwa durch Freihaltung von Flächen (z.B. zur Erhaltung von Sichtbezügen) oder maßstäblich rücksichtnehmende Bebauung entsprechend strukturiert werden. Allen diesen Möglichkeiten ist eines gemeinsam: Sie können den Anreiz zur Beseitigung erhaltungswürdiger Bausubstanz weitgehend beseitigen, etwa dadurch, dass durch stark gegliederte Festsetzungen die künftig zulässige Bebauung nach Art und Maß, Höhe, Breite und Tiefe der

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Bauwerke, Bauweise und Stellung der baulichen Anlage sowie ihrer Nutzung am vorhandenen denkmalwürdigen Bestand orientiert und damit die ein Abrissverlangen motivierenden Möglichkeiten anderweitiger, insbesondere intensiver Neubebauung beschnitten werden. Die durch § 9 Abs. 3 BauGB eröffnete Möglichkeit, aus städtebaulichen Gründen Nutzungsbestimmungen bis ins Detail festzulegen, kann auch denkmalschützerisch eingesetzt werden. Rechtlich verhindert werden kann eine gleichwohl beabsichtigte Beseitigung von Baudenkmälern durch den Festsetzungskatalog des § 9 Abs. 3 BauGB jedoch nicht. Weiter stellen für den Flächennutzungsplan § 5 Abs.4 BauGB, und § 9 Abs. 6 BauGB für den Bebauungsplan wichtige Maßgaben der Ausgestaltung des Stadtplanungsrechts dar, nach denen Denkmalensembles in den Flächennutzungsplan (§ 5 Abs. 4 BauGB) und Einzeldenkmäler in den Bebauungsplan (§ 9 Abs. 6 BauGB) nach Landesrecht „nachrichtlich” aufzunehmen sind. Insbesondere durch den Inhalt von Denkmaltopografien und anderen Ergebnissen der Denkmalkunde können erhebliche konservatorische Interessen in die Bebauungspläne steuernd mit einfließen. Schließlich haben die Gemeinden bereits im Flächennutzungsplan die Möglichkeit, durch intelligente Anwendung der Baunutzungsverordnung (BauNVO) die bauliche Entwicklung ihrer Planungsgebiete so zu steuern, dass in historischen Ortskernen erhaltungsfreundliche Wohnnutzungen ex ante Vorrang vor der Intensivnutzung durch Gewerbe und Verwaltung bekommen: eine Steuerung, die viel mehr bewirken kann als zahllose denkmalschutzrechtliche Einzelfallentscheidungen der Schutzbehörden. Für die Ausweisung von Flächen für Handel und Gewerbe in dichten historischen Innenstädten sieht die BauNVO die Möglichkeit der Ausweisung von Kerngebieten (MK) vor. Diese Ausweisung eines Kerngebietes schafft jedoch ganz anderes Baurecht als das erhaltungsfördernde „besondere Wohngebiet” und wird durch den hohen Druck in diesen Gebieten zu Spekulation, zu hohen Ausnutzungen und zu einem tendenziell hohen Austausch der Gebäudesubstanz führen. „Die BauNVO bietet eigentlich nur ein Gebietskennzeichen für dicht bebaute historische Ortskerne an. Die Charakterisierung als besonderes Wohngebiet (WB), im § 4a der BauNVO als Gebiet zur Erhaltung und Entwicklung der Wohnnutzung bezeichnet, ist die einzige Gebietscharakteristik ohne definitive Ziffern der Baudichte und zugleich eine Charakteristik mit der Nutzungsbreite, die für ein Altstadtgebiet existentiell erforderlich ist.” (Mosel, S. 29). Die Ansiedlung großer Einkaufszentren und sog. „factory outlets” vor den Toren von Städten und Gemeinden droht die gewachsenen Strukturen des Einzelhandels im inner-städtischen Bereich auszutrocknen und die für die Bewohner notwendige Attraktivität des Einzelhandels im Ortszentrum zu zerstören. Auch hier hat die Bauleitplanung die verantwortungsvolle Aufgabe, den Ausgleich zwischen Expansion und innerörtlicher Lebendigkeit der historischen Orte herbeizuführen.

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2.3.2.2

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Erhaltungssatzung nach § 172 BauGB

Erhebliche Bedeutung im Hinblick auf die bodenrechtlichen Erhaltungsstrategien für historische Ortskerne und -teile kommt der Möglichkeit der Gemeinden zu, zur „Erhaltung baulicher Anlagen und der Eigenart von Gebieten” Erhaltungssatzungen zu erlassen. Nach § 172 BauGB kann städtebauliche Erhaltung aus den dort einzeln aufgeführten Zielvorstellungen: a) Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt, b) Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung, c) Städtebauliche Umstrukturierungen, in der Form von Satzungen betrieben werden. Für die städtebauliche Denkmalpflege sind vor allem die unter a) genannten Motive wichtige Parameter zur Erhaltung historischer Bausubstanz. Die baurechtliche Literatur verwendet bezeichnenderweise hier – und nur hier – den dem BauGB fremden Begriff des „städtebaulichen Denkmalschutzes”. Angesprochen ist damit der gegenwärtige Gestaltwert aus aktuellen städtebaulichen Gründen. Der Sache nach darf nämlich mit dem bundesrechtlichen § 172 BauGB nicht (dem Landesrecht folgenden) Denkmalschutz betrieben werden, so das BVerwG in seinen Urteilen vom 3.7.1987 (NVwZ 1988, 357) und vom 18.5. 2001 (NVwZ 2001, 1044 = EzD Nr. 2.2.2 Nr. 12). Erhaltung der baulichen Anlagen aus historischen Gründen ist allein Sache des Denkmalschutzes. Die Städtebauliche Denkmalpflege in diesem Sinne hat durch das letztgenannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes im Jahre 2001 eine deutliche Hervorhebung und Abgrenzung zum landesrechtlichen Denkmalschutz erfahren: „§ 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 BauGB, nach dem bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege sowie der erhaltenswerten Ortsteile, Straßen und Plätze von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung in der planerischen Abwägung zu berücksichtigen sind, bestätigt die Aufgabenteilung zwischen den Regelungsbereichen des Städtebaus und des (landesrechtlichen) Denkmalschutzes. Die Vorschrift stellt sicher, dass die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege in die Bauleitplanung einbezogen werden, ohne den Gemeinden eine denkmalschutzrechtliche Regelungskompetenz zu verleihen. Die Gemeinde ist nicht bloß berechtigt, sondern je nach der konkreten Planungssituation nach Maßgabe des § 1 Abs. 6 BauGB auch verpflichtet, sich mit diesen Belangen im Wege der Abwägung auseinander zu setzen. Stellt sie diese Belange in Verfolgung städtebaulicher Ziele mit dem Gewicht, das sie ihnen aufgrund der jeweiligen Gegebenheiten beimessen darf, in die Abwägungsentscheidung ein, so greift sie nicht in den Zuständigkeitsbereich der Fachbehörden über, denen die Aufgaben des Denkmalschutzes obliegen. § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 BauGB bringt überdies zum Aus-

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druck, dass sich die Bauleitplanung nicht einseitig in der Erneuerung und Fortentwicklung bestehender städtebaulicher Strukturen erschöpft (vgl. auch § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 BauGB). Die Vorschrift stellt klar, dass zulässiger Inhalt eines Bebauungsplans auch Festsetzungen sein können, die dazu bestimmt sind, historisch gewachsene und als schutzwürdig erachtete Verhältnisse der Bodennutzung zu erhalten ('zu konservieren'). Dabei können gerade auch denkmalgeschützte Anlagen den Anknüpfungspunkt für städtebauliche Festsetzungen bilden – sei es, dass sie z.B. Art und Maß denkmalrechtlich geschützter Gebäude bestimmen (Festsetzung einer die Erhaltung des Denkmals gewährleistenden Bodennutzung) oder dass sie Maßnahmen des Denkmalschutzes ergänzen, indem sie nutzungsbedingte Beeinträchtigungen von Baudenkmälern oder Denkmalbereichen abwehren oder mindern (Freihalten von Sichtschneisen, Vermeidung einer die Aufgaben des Denkmalschutzes störenden Nutzung in der Umgebung des geschützten Bereichs). Zugleich trägt § 1 Abs.5 Satz 2 Nr. 5 BauGB dem Umstand Rechnung, dass der Schutz erhaltenswerter Ortsteile, Straßen und Plätze städtebauliche Relevanz unabhängig davon erlangen kann, ob diese Bereiche die Voraussetzungen für eine UnterschutzsteIlung nach dem Landesdenkmalschutzrecht erfüllen. Daraus folgt: Ein Bebauungsplan, der insgesamt oder in Teilen auf die Erhaltung eines historisch gewachsenen – denkmalgeschützten oder (schlicht) erhaltenswerten – Ortsteils gerichtet ist, überschreitet den Rahmen städtebaulicher Zielsetzungen im Sinne von § 1 Abs. 1, 3 und Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 BauGB nicht, wenn seine Festsetzungen darauf zielen, die überkommene Nutzungsstruktur und/oder prägende Bestandteile des Orts- und Straßenbildes um ihrer städtebaulichen Qualität willen für die Zukunft festzuschreiben. Die Überplanung historischer Stadtviertel beruht in diesem Fall auf der städtebaulichen (bodenrechtlichen) Entscheidung, dass die überkommene Nutzungsstruktur und die historisch gewachsene Stadtgestalt, gemessen an den heutigen sozialen und wirtschaftlichen Anforderungen sowie an den Erfordernissen zeitgerechter Raumgestaltung, sinnvollerweise auch künftig für die städtebauliche Ordnung des Stadtviertels (Ortsteils) maßgeblich bleiben sollen. Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB, die aus solchen Gründen die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege berücksichtigen und fördern, verlieren ihren städtebaulichen Charakter nicht.“ (BVerwG, Urt. V. 18.5.2001, NVwZ 2001, 1044 = EzD 2.2.2 Nr. 12) Der Denkmalwert des Erhaltungsgebietes oder der darin enthaltenen Objekte ist kein Aspekt, der den Erlass einer Erhaltungssatzung rechtfertigen könnte. Wohl aber können sich die genannten städtebaulichen Erhaltungsgründe aus dem Denkmalwert ergeben. Bei der Beurteilung der städtebaulichen Erhaltungswürdigkeit kann also durchaus auch an den Denkmalcharakter angeknüpft werden. Entscheidend aber ist allein, dass die Wahrung der städtebaulichen Funktion das Erhaltungsziel darstellt. Das Gebiet kann also, muss aber nicht Denkmalqualität besitzen. Das Instrument der Erhaltungssatzung ermöglicht, auch Gebiete mit alter, abwechslungsreicher Bausubstanz von guter Wohnqualität, jedoch ohne geschichtlichen oder künstlerischen Erhaltungswert im Sin-

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ne des Denkmalrechts, zu schützen, ebenso charakteristische Neubaugebiete (vgl. FranzmeyerWerbe, S. 41). Die Festsetzung des Erhaltungsgebietes erfolgt durch Satzung der Gemeinde. Die Festsetzung löst einen Genehmigungsvorbehalt der Gemeinde aus, der unabhängig von einem Erlaubnisvorbehalt nach Landesbauordnung gilt, und begründet ein kommunales Vorkaufsrecht. Eine besondere Erhaltungsverpflichtung wie z.B. dem Denkmalschutzrecht eigen, wird dadurch allerdings nicht begründet. In dem hier interessierenden Erhaltungsziel des § 172 Abs. 1 Nr. 1 BauGB darf die Genehmigung für den Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung nur versagt werden, „wenn die bauliche Anlage allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen das Ortsbild, die Stadtgestalt oder das Landschaftsbild prägt oder sonst von städtebaulicher, insbesondere geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung ist” (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 BauGB). Trotz der Formulierung „darf … nur” folgert eine beachtliche Auffassung der baurechtlichen Literatur hieraus die Berechtigung der Behörden, einen Ermessensspielraum zugunsten des Bürgers auszuüben (vgl. Brohm, RdNr. 27f. zu § 7, mit dem Stand der Meinungen). Nicht prägende oder unbedeutende Objekte im Ortsbild oder der Stadtgestalt nehmen – anders als im Denkmalrecht bei Denkmalensembles – nicht am Satzungsschutz teil. Bauordnungsrechtliche Details scheiden als Elemente des Schutzes ebenfalls aus. Von § 172 BauGB wird nicht die bloße Instandsetzung und Restaurierung von Einzelobjekten erfasst. Dies ist nur mit den Instrumentarien der Denkmalschutzgesetze oder der Landesbauordnungen (Gestaltungssatzungen) möglich. Im Gegensatz zu den städtebaulichen Maßnahmen nach §§ 136 BauGB (vgl. gleich weiter unten) findet im Rahmen von § 172ff. BauGB nur eine reaktive Steuerung städtebaulicher Sanierungsziele statt. Zu Einzelfragen hinsichtlich der Versagungsbegründung und der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung wird auf die Darstellung von Franzmeyer-Werbe (S. 43f.) und die planungsrechtliche Literatur verwiesen. Rechtstatsächlich hat § 172 BauGB bei dem in den ostdeutschen Bundesländern mit großer Resonanz und weitreichenden positiven Folgen durchgeführten Programm „Städtebaulicher Denkmalschutz” zwischen 1991 und 2008 neben der Sanierungsförderung von ca. 4,5 Mrd. € (Bund 40%, Land 40%, Kommune 20%) eine zentrale planungsrechtliche Rolle gespielt. In einer flankierenden Rechtstatsachenforschung des BMVBS trat in den untersuchten Kommunen die Erhaltungssatzung entweder mit Denkmalschutzgesichtspunkten verquickt auf oder es wurde eine Art Aufgabenteilung in der Satzung vorgenommen. Die de facto verfolgten Ziele des Programms waren und sind daher:

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x

Verhinderung gestalterisch unzureichender baulicher Umgestaltung (hier also Konkurrenz zur Gestaltungssatzung), in Verbindung mit der

x

Verhinderung von Abbruch (Kontrolle der Bauordnungsämter der Landkreise und Kommunen durch die Gemeinden als wichtiger Sekundäreffekt).

2.3.2.3

Sanierungssatzung nach § 136 BauGB

§ 136 BauGB umschreibt in Abs. 2 städtebauliche Sanierungsmaßnahmen als solche, durch die ein Gebiet zur Behebung städtebaulicher Missstände wesentlich verbessert und umgestaltet wird. Neu in diesem seit 1987 geltenden Städtebauförderungsrecht des BauGB ist gegenüber dem Vorgängergesetz (StBauFG) die für die Denkmalerhaltung entscheidende Zielvorgabe in § 136 Abs. 4 Nr. 4, nach der „die vorhandenen Ortsteile erhalten, erneuert und fortentwickelt werden, die Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes verbessert und den Erfordernissen des Denkmalschutzes Rechnung getragen werden können”. Ziel sind also die umfassenden städtebaulichen Verbesserungen. Diese können x

durch Förderung von Maßnahmen

x

durch Steuerung von Maßnahmen (Modernisierung- und Instandsetzungsgebot, Sozialpläne, etc.) verwirklicht werden.

Zentrales Steuerungsinstrument ist dabei die förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes, die durch Satzung geschieht, § 142 BauGB. Dabei steht der Gemeinde bereits ein Beurteilungsspielraum zu bei der Frage, ob sie das spezielle Sanierungsrecht aufgrund einer Satzung nach § 142 oder nach Allgemeinem Städtebaurecht und den übrigen Vorschriften der §§ 136ff. BauGB durchführt. Durch die förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes werden insbesondere die umfangreichen Genehmigungspflichten nach §§ 144 und 145 ausgelöst, darunter – hier uns interessierend – Vorhaben nach § 29 BauGB und erhebliche, genehmigungsfreie Veränderungen an Grundstücken, § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB. Hierbei ist interessant, dass nur die grundsätzliche Übereinstimmung mit den Sanierungszielen erforderlich ist, um die Genehmigung der Gemeinde zu erhalten. Hier sind durch die Gemeinde keine Gestaltungsvorstellungen im Einzelnen durchsetzbar, d. h. zur Voraussetzung der Sanierungsgenehmigung machbar. Gleichwohl ist das Projekt „Sanierungsgebiet” ein wichtiges globales Steuerungsinstrument zur Substanzmängel- oder Funktionsmängelbeseitigung (§ 136 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2). Bei vorausschauender Planung mithilfe der sanierungsrechtlichen Instrumentarien kann der Zerstörung und Veränderung auch der denkmalgeschützten Bausubstanz vor allem durch Nicht-Nutzung, durch Falsch-Nutzung oder durch Über-Nutzung wirkungsvoll Einhalt geboten werden.

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Die Genehmigungen, für die die Gemeinden zuständig sind, geben dazu ein geeignetes Kontrollmittel, die separat neben der Baugenehmigung der Bauaufsicht einzuholen sind. Wenn eine Sanierungsgenehmigung der Gemeinde bestandskräftig versagt ist, muss auch eine Baugenehmigung des Kreises zwingend versagt werden, so die Rechtsprechung (hier VGH Mannheim, Urt. vom 2.10.1989, Az. 8 S 2419.88). 2.3.2.4

Sanierungsrecht

Die förmliche Festsetzung eines Sanierungsgebietes in Form der Satzung schafft für die betroffenen Grundstücke örtlich und zeitlich begrenztes Sonderrecht. Zu den wesentlichen Instrumenten der Planverwirklichung zählen: x

Beteiligung und Mitwirkung der öffentlichen Aufgabenträger (§ 139)

x

Genehmigungspflicht für alle baulichen Vorhaben, Grundstücksteilungen und langfristigen Rechtsgeschäften wie z.B. Verkäufe und Belastungen (§ 144),

x

Beeinflussung der Bodenpreisentwicklung, d.h. Ausschluss von sanierungsbedingten Werterhöhungen (§ 153),

x

Einsatz eines Sanierungsträgers (§ 157),

x

Aufstellung eines Sozialplanes incl. Härteausgleich (§ 180,181),

x

Ausspruch von städtebaulichen Geboten (§ 176ff.): Baugebot, Modernisierungsgebot, Instandsetzungsgebot, Durchführung der Enteignung.

„Das Geld ist aber der eigentliche Motor der Sanierung” (Fröschl, S. 39). Geld hat nach Fröschl eine dreifache Bedeutung im Sanierungsgeschehen: Es spielt als Gewinnerwartung bei privaten Investitionen eine Rolle, dient der Entschädigung bei Ordnungsmaßnahmen und hilft als Anreiz bei Modernisierungsmaßnahmen. Die öffentliche Förderung beruht dabei auf indirekten Hilfen, nämlich den Steuerpräferenzen insbesondere des § 7h EStG, auf direkten Hilfen der staatlichen Zuschüsse nach Maßgabe der Haushaltsordnungen und -pläne sowie der maßgeblichen Städtebauförderungsrichtlinien, zur Umsetzung der jeweils bereitgestellten Finanzmittel.

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2.3.2.5

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Gestaltungssatzungen nach den LBauO

Die Bauordnungen der Länder weisen der kommunalen Selbstverwaltung durch die Einräumung von Satzungsrecht die Möglichkeit zu, auf die bauliche Gestaltung des einzelnen Objekts in bestimmter Richtung Einfluss zu nehmen, und zwar so, dass eine gestalterische Baukultur tradiert oder wieder neu belebt wird. Sie sind deshalb in die Gesetzgebungskompetenz der Länder gelegt, weil dort der Bezug zur Bauausführung des einzelnen Vorhabens enger ist als zum Planungsrecht. Kommunale Gestaltungssatzungen regeln also die Gestaltung von Neu- und Umbauten. Gestalterische Fragen der Ortsbildpflege stehen dabei im Vordergrund, im Gegensatz zu den oben genannten Instrumentarien sind hiermit aber keine stadtplanerischen Ziele verbunden. Sie sind gegenüber dem Denkmalschutzrecht nachrangig, wenn in einem Gebiet echte Konkurrenz für ein denkmalgeschütztes Objekt vorliegt, das auch in den Anwendungsbereich der Gestaltungssatzung fällt (Bayerisches Staatsministerium des Innern (Hrsg.): Alte Städte – Alte Dörfer, Ziff. 15.4). Grundsätzlich soll zwar die Gestaltungssatzung Regeln für eine orts- und regionalbaugerechte Gestaltung von Neubauten aufstellen. Im Bereich des Ensembleschutzes können sich aber häufig Überschneidungen mit denkmalpflegerischen Zielen ergeben. Hier muss die Gestaltungssatzung eindeutige Anwendungsregeln enthalten (Viebrock, in: Martin/Krautzberger, Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege, F 114). 2.3.2.6

Einfache Stadterneuerung, Dorferneuerung

Diese Förderprogramme sind keine gesetzlich verankerten, sondern subventionsgebundene, freiwillige Steuerungsinstrumente der Leistungsverwaltung. Dementsprechend beruhen ihre Rechtsgrundlagen allein auf ministeriellen Erlassen. Sie machen ihren Erfolg von der Motivation der Bürger, ausgelöst durch finanzielle Anreize, abhängig und sind so wesentliche Motoren für die Umsetzung entsprechender Struktur- und Gestaltungsvorstellungen in Stadt und Land. Nicht zwingend erforderlich, aber häufig ratsam ist die vorhergehende Untersetzung dieser Programme durch eine gemeindliche Gestaltungs- oder Erhaltungssatzung, oder einen Bebauungsplan. Um eine planvolle Zielverwirklichung zu erreichen, ist aber auch ohne rechtliches Planinstrument z.B. in der Dorferneuerung ein Dorfentwicklungsplan als Rahmenplan zu erstellen, der die betroffenen Belange im Hinblick auf das Förderziel abstimmt. Wesentliches Element der Förderpraxis ist die Beratungstätigkeit der Programmträger, um die Eigentümer zum Mitmachen beim Verwirklichen des Förderziels zu bewegen.

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2.3.2.7

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Denkmalschutzrechtliche Instrumentarien – Umgebungsschutz von Kulturdenkmalen

Die Befassung der Denkmalpflege mit der Umgebung von Einzelkulturdenkmalen soll hier nur kurz gestreift werden (vgl. hierzu ausführlich die Darstellung von Weber, Instrumente und Grenzen des Umgebungsschutzes). Der Umgebungsschutz eignet sich nicht für eine gemeindliche planerische Einflussnahme auf investorische Vorhaben, geht dieser denkmalschutzrechtliche Gesetzesbegriff doch von den Zuständigkeiten der staatlichen Denkmalverwaltung aus und stellt er somit eine Gestaltungs- und Einflussnahmemöglichkeit der staatlichen Denkmalpflege dar. Sein Aktionsradius ist, abhängig von der Fernwirkung und Bedeutung des Denkmals, in der Regel kleinräumig (Ausnahme: Fernwirkung von Windkraftanlagen z.B. auf bedeutende Burgen oder Ortsansichten) gering. Nur die aktuellen straßenräumlichen Sichtbeziehungen des zumeist exponiert gelegenen Denkmals werden hier erfasst. Für lang vorbereitete Planungs- und Konzeptionsvorhaben ist diese Einflussnahme der Denkmalpflege erst im Verlauf eines Genehmigungsprozesses oftmals überraschend und kurzfristig, und trägt nicht zu einer erwünschten langfristigen Steuerung dieser Planungsprozesse bei. Umso mehr kommt dem Umgebungsschutz Bedeutung bei der Aufstellung von Bebauungsplänen im Sinne einer vorausschauenden Konfliktvermeidung zu (Wurster, Denkmalschutz und Erhaltung, Rdnr. 499). Schließlich kann Umgebungsschutz stattfinden in Form von sogenannten „denkmalpflegerischen Interessengebieten” in Planungen der Gemeinden, sei es in Form von Bebauungsplänen, sei es in Form von Gestaltungssatzungen. Sie beruhen auf Erkenntnissen der Denkmalinventarisation und betreffen Bausubstanz, die entweder gerade unterhalb der Denkmalkategorien oder in enger Nachbarschaft z.B. von als Ensembles geschützten historischen Stadtkernen liegt. 2.3.2.8

Denkmalschutzrechtliche Instrumentarien – Gesamtanlagen

Die Gesamtanlage stellt die engsten Verbindungen der gemeindlichen Planungen mit der staatlichen Denkmalpflege dar, stellen doch die Denkmalbehörden zahlreiche gemeindliche Straßenzüge, Plätze, Ortsbilder, etc. nach Maßgabe der Landesdenkmalschutzgesetze unter Schutz. Die Abhängigkeiten zu den Ausweisungen in Bebauungsplänen, die Möglichkeiten von direkten Konflikten, eklatanten Widersprüchen oder erfolgreichen Harmonisierungen sind evident. „Die” Gesamtanlage oder „das” Ensemble gibt es weder im Denkmalschutzrecht der Länder noch in der Denkmalpflege. In seiner Ganzheit ist jedes Ensemble, jede Gesamtanlage ebenso individuell wie das Einzelkulturdenkmal. Die Eigenart des Ensembles erfordert eine mindest gleich sorgfältige Analyse und Begründung des Denkmalwertes des Flächendenkmals, ja vielleicht noch eine tiefergehende Bestimmung seiner Schutzqualitäten. Dies gilt umso mehr, als aus der Begründung

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zugleich die Elemente seines Schutzes und seiner Pflege abzuleiten sind. Der Umfang der Genehmigungsfähigkeit von Vorhaben innerhalb einer Gesamtanlage ist also nur aus solcher Art analysierten Gesamtanlagen einwandfrei zu bestimmen. „Städtebaulich” wirkt der denkmalrechtliche Schutz der Ensembles durch seine Einbeziehung in, bzw. durch seine Vorgaben für städtebauliche Entscheidungsprozesse, wie dies z.B. § 1 S. 1 DSchG Thüringen vorschreibt. Nicht allein die Denkmalbehörden, sondern auch die Kommunen werden durch die Gesetze insoweit verpflichtet, vgl. § 1 Abs. 2 DSchG Thüringen.

Quelle: Landesamt für Denkmalpflege Hessen 2002

Abbildung 62: Gesamtanlage Historischer Stadtkern Alsfeld, Hessen

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Gewissermaßen im Gegenstromprinzip wirken diese Ensembleausweisungen auf den Bebauungsplan durch die bundesrechtlichen Vorschriften, vor allem die o.g. §§ 1 Abs. 5, Abs. 7 und § 9 Abs. 6 BauGB ein, nach denen die bauliche Entwicklung auf den geschützten Bestand der Kulturdenkmäler Rücksicht nehmen soll und die Kulturdenkmäler in die Bauleitpläne nachrichtlich aufzunehmen sind. Die Zusammenschau von Liegenschaftskarte und denkmalrelevanten Daten eines historischen, mittelalterlichen Stadtkernes in Abbildung 62 machen die besonderen städtebaulichen und stadtbaugeschichtlichen Rahmenbedingungen einer denkmalgeschützten Gesamtanlage wie am Beispiel Stadt Alsfeld deutlich. Der Bereich der historischen Burg- und Stadtmauer ist als Gesamtanlage (Ensemble) nach Hessischem Denkmalschutzgesetz geschützt und hellgrau schraffiert, die dunkleren Einzelgebäude sind Einzelkulturdenkmäler im Sinne von § 2 Abs. 1 DSchG. 2.3.2.9

Denkmalpflegepläne

Berlin (§ 8 Abs. 3 DSchG Berlin), Brandenburg (§ DSchG Brandenburg) und Thüringen (§ 3 DSchG Thüringen) haben nach Vorbild von NRW (§ 25, vgl. hierzu Memmesheimer/Upheimer/Schönstein, Anm. zu § 25) ein spezielles denkmal-schutzrechtliches Planungs- und Mitwirkungsinstrument geschaffen, das den Gemeinden durch die Erstellung von Denkmalpflegeplänen, gerade im Bereich des Denkmalschutzes, Einwirkungs- und Mitwirkungsrechte verschaffen soll. Aber auch ohne gesetzliche Grundlage hat die Idee eines spezifisch denkmalfachlich orientierten Planes als denkmalpflegerische Zielstellung (so das frühere DDR-Denkmalschutzgesetz) oder als denkmalpflegerische Zielplanung (so heute Schleswig-Holstein) Eingang in die Praxis der Denkmalbehörden gefunden (vgl. Kaster, S. 67f.). Als Beispiel mag § 3 DSchG Thüringen dienen: „(1) Im Einvernehmen mit den Denkmalfachbehörden sollen die Gemeinden für Denkmalensembles nach § 2 Abs. 3 bis 5 Denkmalpflegepläne als Satzung aufstellen. (2) Der Denkmalpflegeplan gibt die Ziele und Erfordernisse des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege sowie die Darstellungen und die Festsetzungen für die Bauleitplanung wieder. Er enthält: a) die Bestandsaufnahme und Analyse des Plangebietes unter denkmalfachlichen und denkmalschutzrechtlichen Gesichtspunkten, b) die topografischen Angaben über Lage und Ausdehnung der Denkmalensembles und der Bodendenkmale in Schrift und Plan, c) die denkmalpflegerischen Zielstellungen, unter deren Beachtung die Pflege und Erhaltung der Denkmalensembles und Bodendenkmale jeweils zu verwirklichen ist.”

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Unabhängig von den unterschiedlichen Schutzformen, in die die Gesamtanlagen eingekleidet sind, kommt es darauf an, mit den Denkmalpflegeplänen ein gesichertes Handlungs- und Pflegekonzept zu gewinnen, das die Bewertung der einzelnen Maßnahmen an einem Einzeldenkmal oder – wichtiger noch – von unzähligen kleinen bis großen Maßnahmen in einem Denkmalensemble voraussehbar und berechenbar macht. Der Denkmalpflegeplan steht gewissermaßen hinter den rechtsförmlichen Instituten wie Satzung, Rechtsverordnung und Liste und gibt die konkreten denkmalpflegerischen Zielstellungen für Maßnahmen und Entscheidungen in einer Gesamtanlage, einem Stadtkern oder einer Ortslage wieder. 2.3.3

Städtebaulicher Standortfaktor Baudenkmal

2.3.3.1

Attraktivität weicher Faktoren für Nutzer und Eigentümer

Heute herrscht im Bewusstsein der Bevölkerung ein breiter Konsens im Bestreben um die Erhaltung von Kulturdenkmälern. Sie sind ein wichtiger Standortvorteil des „alten Europas“ geworden. Die gebaute Geschichte zeichnet die Städte aus, weil sie sie für Touristen attraktiv und für die Bürger vertraut macht. Baudenkmale – die guten alten Bekannten – sind ein hoher Wohlfühlfaktor für Bürger. In einer sich immer schneller entwickelnden Gesellschaft dienen sie als Orientierungshilfen. Die immer stärkere Individualisierung der Gesellschaft wird auch im Nutzeranspruch an Gebäude sichtbar. Daher erstaunt es wenig, dass ein Teil der Gesellschaft die bewusste Entscheidung trifft, in Baudenkmälern zu arbeiten, zu wohnen bzw. die Freizeit zu verbringen. Manche Unternehmen unterstreichen gerne mit einem Baudenkmal ihre Corporate Identity. In der Regel sind es Dienstleistungsunternehmen, die weder DIN-genormte noch auf Mitarbeiterhierarchien abgestimmte Grundrisse beachten müssen. Großzügigere Raumstrukturen, die Individualität und Ästhetik von Baudenkmalen werden nicht nur im Büro, sondern auch im Wohn- und Freizeitbereich von bestimmten Nutzerschichten gesucht. Historische Bausubstanz gepaart mit neuen Einbauten steht für eine ebenso funktionale wie ästhetisch ansprechende und damit zeitgemäße Architektursprache. Sind umgenutzte Bestandsbauten denkmalgeschützt, bürgt der Denkmalschutz für architektonische Qualität. Zwei Studien zu gewerblich genutzten Baudenkmälern belegen eindrucksvoll, dass die weichen Faktoren wie Einzigartigkeit und Repräsentativität sowohl für den Nutzer als auch für den Eigentümer in erheblichem Maße die Miet- bzw. Investitionsentscheidung tragen. Die Studien setzen sich mit Hilfe von statistischen Erhebungen von Eigentümern und Nutzern dieser Gebäude mit der Mietattraktivität, Nutzbarkeit, Standortqualität, Projektentwicklung und den Investitionskriterien von gewerblich genutzten Baudenkmälern in den Städten Hamburg und Berlin auseinander

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(vgl. Kulturbehörde/Denkmalschutzamt Hamburg, Jones Lang Wootton GmbH; HalderHaß/Haspel/Lorenz). 2.3.3.2

Baudenkmäler als Immobilienanlageprodukte

Baudenkmäler können für einen langfristigen Werterhalt stehen. Ihre Architektur bürgt für Qualität und die Geschichte hat gezeigt, dass historische Bauten, je älter sie werden, im Bewusstsein der Menschen immer schöner werden. Der Denkmalschutz sorgt für ihren Erhalt, denn Abriss und Neubau an gleicher Stelle ist nicht ohne weiteres möglich. Die im Vorangegangenen beschriebenen weichen Faktoren erhalten aus wirtschaftlicher Sicht bei kontinuierlicher Instandhaltung des Gebäudes eine zusätzliche Dimension, da davon auszugehen ist, dass die Affinität nach gebauter, vertrauter Umgebung kein kurzweiliger Trend ist, sondern ein Grundbedürfnis von Dauer. Die Rentabilität hängt von vielen Faktoren, wie z. B. dem Zustand der Bausubstanz, den Instandsetzungskosten, dem Nutzungskonzept, den erwartbaren Mieten etc., ab. Eine nicht unerhebliche Rolle für das Erzielen von Rentabilität spielen die steuerlichen Vergünstigungen für die Investitionen in die Instandsetzung, bieten sie doch die letzten verbliebenen Möglichkeiten für steuerliche Vergünstigungen im Immobilienbereich. Stehen diese Faktoren in einem wirtschaftlich darstellbaren Verhältnis zueinander, können Baudenkmäler zu einem attraktiven Immobilienanlageprodukt avancieren. Die Hamburger und Berliner Studie belegen, dass die Gruppe der Anleger, die in Deutschland investiert, vielschichtig ist. Es lässt sich aber dennoch eine Tendenz erkennen: Zu den stärksten Gruppen gehören Einzelinvestoren und Investorengemeinschaften, gefolgt von Anlegern, die in Fonds investieren (vgl. Kulturbehörde/Denkmalschutzamt Hamburg, Jones Lang Wootton GmbH; Halder-Haß/Haspel/Lorenz). 2.3.3.3

Steuerliche Vergünstigungen von Baudenkmälern

Im deutschen Einkommenssteuerrecht werden in verschiedenen Vorschriften die steuerlichen Vergünstigungen für den denkmalpflegerischen Mehraufwand geregelt. Dreh- und Angelpunkt für die steuerliche Abschreibungsmöglichkeit ist § 7 i EStG. Er regelt u. a., unter welchen Voraussetzungen und nach welchem Verfahren steuerliche Grundlagenbescheide der zuständigen Denkmalbehörden erteilt werden. Diese denkmalrechtlichen Bescheinigungen bilden die Grundlage steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten.

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Nach § 7 i EStG können von den erhöhten Absetzungen im Jahr der Fertigstellung und in den folgenden sieben Jahren jeweils bis zu 9% und in den folgenden vier Jahren jeweils bis zu 7% der Herstellungskosten für Baumaßnahmen, die nach Art und Umfang zur Erhaltung des Gebäudes als Baudenkmal oder zu seiner sinnvollen Nutzung erforderlich sind, geltend gemacht werden. Der Steuerpflichtige kann die erhöhten Absetzungen im Jahr des Abschlusses der Baumaßnahme und in den folgenden elf Jahren auch für Anschaffungskosten unter bestimmten Voraussetzungen in Anspruch nehmen, soweit diese nach dem rechtswirksamen Abschluss eines obligatorischen Erwerbsvertrags oder eines gleichstehenden Rechtsakts durchgeführt worden sind. Der § 7 i EStG regelt die in Ansatz zu bringenden Kosten, die den denkmalpflegerischen Mehraufwand ausgleichen helfen sollen. Danach müssen die Baumaßnahmen nach Art und Umfang der Erhaltung und der sinnvollen Nutzung des Denkmals auf Dauer dienen. Der § 7 i EStG sieht vor, dass der Eigentümer, der die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen möchte, vor Baubeginn feststehen muss. Die Maßnahmen müssen zwingend vor Beginn mit der zuständigen Denkmalbehörde des jeweiligen Bundeslandes abgestimmt sein. Eine Baugenehmigung ist allein nicht ausreichend. Außerdem muss es sich bei den steuerlichen Vergünstigungen von Baudenkmalen nach § 7 i EStG um Gebäude handeln, die dem/der Steuerpflichtigen zur Erzielung von Einkünften dienen, d.h. sie müssen vermietet oder verpachtet sein. Werden sie selbst genutzt, ist eine Absetzung nach § 10 f EStG als Sonderausgabe möglich (10 Jahre jeweils 9%). Jedes Bundesland hat zu diesen steuerlichen Möglichkeiten Richtlinien und Steuertipps veröffentlicht, die i.d.R. auf den Homepages der Denkmalämter zu finden sind. 2.3.3.4

Erfolgsfaktor: Nutzungskonzept

Ob Baudenkmal oder Neubau, entscheidend ist für jede Immobilie, dass ein Nutzungskonzept existiert, das tatsächlich auch Nutzer generiert. Für Baudenkmäler gilt: Nicht jedes Nutzungskonzept passt in jedes Baudenkmal. Die Baugattung bestimmt das Nutzungskonzept. Aus denkmalpflegerischer Sicht ist bei den Planungsüberlegungen zur zukünftigen Nutzung eines Baudenkmals entscheidend, dass nach der Umnutzung auch weiterhin die konstituierenden Merkmale eines Denkmals außen wie innen vorhanden sind. Beispielsweise sollte in einer Villa der historische Grundriss erhalten bleiben und eine ehemalige Fabrik, die zu Lofts umgebaut wurde, sollte nach Möglichkeit keine Balkone an den Straßenfassaden tragen. In der Gesamtbetrachtung belegen die schon zitierten Studien, dass Baudenkmäler flexibel nutzbar sein können. Für gewerblich genutzte Baudenkmäler gibt es mehrere Möglichkeiten: Entweder altbewährte Nutzungen wie z.B. Büro, Einzelhandel, Wellness oder Hotel werden von dem Stand-

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ort getragen oder es werden im Sinne der nutzerorientierten Themenimmobilie Konzepte entwickelt, die neue Märkte erschließen (z.B. Oldtimer-Zentrum im Meilenwerk, Berlin). Das Baudenkmal kann durch die Verbindung von wirtschaftlicher Rentabilität, ästhetischer Attraktivität und geschichtlicher Verankerung als Immobilienanlageprodukt besonders attraktiv sein.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.3 Bayerisches Staatsministerium des Innern (Hrsg.): Alte Städte – Alte Dörfer, Gestalten und Erhalten durch örtliche Bauvorschriften, 4. Aufl., München 1991. Battis, U./Krautzberger, M./Löhr, R.-R.: Baugesetzbuch, 11. Aufl., München 2009. BMBau (Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau): Merkblatt „Finanzhilfen des Bundes zur Städtebauförderung in den neuen Ländern“. BMVBW (Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen) (Hrsg.): Wirkungsanalyse des Programmbereichs Städtebaulicher Denkmalschutz der Städtebauförderung in den neuen Ländern – Forschungsbericht 1999, erarbeitet durch das Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Berlin und Bonn 1999. Brohm, W.: Öffentliches Baurecht, 3. Aufl. München 2008. Franzmeyer-Werbe, W.: Die bodenrechtliche Erhaltungssatzung, in: Instrumente der Städtebaulichen Denkmalpflege, Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Bad Homburg 1995, S. 41ff. Fröschl, R.: Sanierungsrecht, in: Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Instrumente der Städtebaulichen Denkmalpflege Bad Homburg 1995, S. 37ff. Halder-Haß, N./Haspel, J./Lorenz, G. (Hrsg.): Das Denkmal als Immobilie, Denkmalstudie Berlin, Wiesbaden 2002. Kaster, G.: Denkmalpflegepläne, in: Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Instrumente der Städtebaulichen Denkmalpflege, Bad Homburg 1995, S. 67ff. Kulturbehörde/Denkmalschutzamt Hamburg, Jones Lang Wootton GmbH: Studie zu gewerblich genutzten und gesetzlich geschützten Denkmalen in Hamburg, Hamburg 1997. Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.): Denkmaltopographie Deutschland, Kulturdenkmäler in Hessen - Stadt Alsfeld, 2002. Martin, D./Krautzberger, M. (Hrsg.): Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege, in Zus.arb. m. d. Deutschen Stiftung Denkmalschutz, 3. überarb. u. wes. erw. Aufl., München 2010. Memmesheimer, P./Upheimer, D./Schönstein, H.: Denkmalrecht NRW, 2. Aufl. 1989. Mosel, M.: Bauleitplanung, in: Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Instrumente der Städtebaulichen Denkmalpflege, Bad Homburg 1995, S. 28ff. Verwaltungsvereinbarung des Bund/Länder-Programms für 1991, in: Informationsdienste Städtebaulicher Denkmalschutz 1/1991.

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277

Verwaltungsvereinbarung des Bund/Länder-Programms für 1997, in: Informationsdienste Städtebaulicher Denkmalschutz 19/1997. Weber, M.: Instrumente und Grenzen des Umgebungsschutzes bei Baudenkmälern, Diss. Köln 1998. Wurster, H.: Denkmalschutz und Erhaltung, in: Hoppenberg, M./de Witt, S.(Hrsg.): Handbuch des öffentlichen Baurechts, 29.Aufl., München 2010. Weiterführende Fachliteratur Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Arbeitsblätter der Arbeitsgruppe „Städtebauliche Denkmalpflege“: x

Nr. 2

Denkmäler und kulturelles Erbe im ländlichen Raum, 1988.

x

Nr. 6

Zur Erneuerung historischer Stadtbereiche, 1990.

x

Nr. 4

Straßen und Plätze in historisch geprägten Ortsbereichen, 1990.

x

Nr. 17

Denkmalpflegerische Prüfung von Bebauungsplänen im Rahmen der Beteiligung als Träger öffentlicher Belange, 2001.

x

Nr. 16

Denkmalpflege und Kulturlandschaft, 2001.

x

Nr. 18

Denkmalpflegerische Prüfung von Flächennutzungsplänen im Rahmen der Beteiligung als Träger Öffentlicher Belange, 2001.

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2.4

Nachhaltige Stadtentwicklung

281

Silke Weidner, Jens Gerhardt 2.4.1 2.4.1.1 2.4.1.2 2.4.1.3 2.4.2 2.4.3 2.4.3.1 2.4.3.2 2.4.3.3 2.4.3.4 2.4.3.5 2.4.4

Der Nachhaltigkeitsbegriff Ursprung des Nachhaltigkeitsbegriffs und seine Dimensionen Der Weg des Nachhaltigkeitsbegriffs in der Stadtentwicklung Operationalisierung und Monitoring von Nachhaltigkeit Konzept und Herausforderungen einer Nachhaltigen Stadtentwicklung gem. Leipzig Charta Raumpolitische Steuerungsebenen der Nachhaltigen Stadtentwicklung Europäische Ebene Nationalstaatliche Ebene Landes- und regionale Ebene Städte und Gemeinden Private und Einzelinitiativen Ausgewählte Zukunftsthemen und -aufgaben der Nachhaltigen Stadtentwicklung

2.4.4.1 Klimawandel 2.4.4.2 Zertifizierung der Nachhaltigkeit von Stadtbausteinen 2.4.5 Fazit Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.4

281 281 284 288 289 292 294 296 299 300 304 304 304 305 308 309

279

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281

2.4 Nachhaltige Stadtentwicklung Silke Weidner, Jens Gerhardt Eine zunehmende Ressourcenverknappung, die Notwendigkeit zur Ressourcenschonung auf Grund vielschichtiger Aspekte und die Verstärkung sozialer Verwerfungen der Städte seit Ende der 1980iger Jahre gaben den Anlass für eine veränderte Lesart von Stadt und die Neuausrichtung ihrer Entwicklungsinstrumente. Diese drei Eckpositionen umschließen die unmittelbar stadtrelevanten und eng miteinander verwobenen Prozesse der Globalisierung, des demografischen, strukturellen und klimatischen Wandels, der Verschärfung von Umweltproblemen, der sozialen Polarisierung

und

räumlichen

Fragmentierung,

sowie

der

Einengung

von

(finanziellen)

Handlungsspielräumen der öffentlichen Hand. Die Städte auf diese hochkomplexe und hochdynamische Gemengelage von Herausforderungen einzustellen, ist Ziel einer nachhaltigen Stadtentwicklung, deren aktueller Ansatz den Kerngegenstand der folgenden Ausführungen darstellt. Hierzu werden zunächst dessen geschichtliche und inhaltliche Fundamente geklärt, in den Kontext der Nachhaltigkeitsdebatte gestellt sowie die Operationalisierung und das Monitoring von stadtrelevanten Nachhaltigkeitszielen aufgezeigt. Auf diesen Ausführungen aufbauend kann das Modell der Nachhaltigen Stadtentwicklung ausgeleuchtet werden, wie es in der Leipzig Charta von den 27 EU-Mitgliedsstaaten 2007 beschrieben wurde. Daran schließt sich die Erläuterung und Einordnung aktueller Steuerungsstrategien der verschiedenen raumpolitischen Steuerungsebenen EU, Bund, Länder, Städte und Gemeinden sowie Privater an, die sich u. a. in Instrumenten wie Förderprogrammen und Entwicklungskonzepten manifestieren, aber auch andere Formen der Zielerreichung testen. Ausblickend richtet sich der Fokus auf Zukunftsthemen und –aufgaben der Nachhaltigen Stadtentwicklung. 2.4.1

Der Nachhaltigkeitsbegriff

2.4.1.1

Ursprung des Nachhaltigkeitsbegriffs und seine Dimensionen

Der Nachhaltigkeitsbegriff (Synonym Sustainable Development) wurde in der globalen Debatte um ein verändertes Lebensmodell der Menschheit als Antwort auf unübersehbar irreparable und folgenreiche Schäden am Ökosystem geprägt, welche ein dynamisiertes Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum auslösten. Diesen Paradigmenwechsel in der Bewertung des Wirtschaftswachstums stieß zentral der Club of Rome an (vgl. z. B. Meadows et al.), der 1968 auf Initiative von Aurelio Peccei, Mitglied der Geschäftsleitung von FIAT, sowie dem damaligen Generaldirektor der OECD Alexander King gegründet wurde und als Diskussionsplattform zahlreiche wirtschaftswachstumskritische Berichte vorlegte. Weltweite Aufmerksamkeit erhielt der Club of Rome 1972

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mit der Veröffentlichung seiner in Auftrag gegebenen Studie Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit der Wissenschaftler Donella und Dennis L. Meadow sowie Jay W. Forresters. Deren Arbeit umfasste u. a. den Aufbau eines Systemmodells, welches die globalen Entwicklungstendenzen Bevölkerungswachstum, Umweltzerstörung, Rohstoffgewinnung, Industrialisierung und Unterernährung abbilden sollte. Aufbauend auf der Fortschreibung des damaligen Status Quo dieser fünf Bereiche prognostiziert der Bericht das folgenreiche Erreichen der absoluten globalen Wachstumsgrenzen innerhalb von hundert Jahren (vgl. Erbrich). Die Vereinten Nationen kanalisierten diese Diskussion mit der Einberufung der Weltkommission zur Umwelt und Entwicklung (World Commission on Environment and Development [WCED]) im Jahre 1983, welche unter dem Vorsitz der norwegischen Premierministerin Gro Harlem Brundtland agierte. Ein Schlüsselergebnis der fünfjährigen Arbeit der Kommission bestand im Abschlussbericht Unsere gemeinsame Zukunft (Our Common Future), der unter der Bezeichnung Brundtland Report bekannt wurde. In diesem Dokument wird erstmals nachhaltige Entwicklung umfassend als dauerhafte Entwicklung definiert, „welche die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.” (Brundtland et al., 1987) Das Modell der Nachhaltigkeit im Brundtland Report setzt sich aus den Dimensionen Wirtschaftswachstum, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit zusammen, die im menschlichen Handeln gleichzeitig und gleichgewichtet berücksichtigt werden sollen. Keine Dimension soll auf Kosten der anderen Ausprägung finden. Das Zusammenspiel dieser drei Dimensionen ging in die Literatur als Nachhaltigkeitsdreieck ein, innerhalb dessen, stark verkürzt formuliert, Interventionen liegen müssen, um das Attribut nachhaltig für sich beanspruchen zu können. In gleichem Zusammenhang, aber in der Schrittfolge an Komplexität zunehmend, wurden in der Stadtplanung und -entwicklung über die Jahre der Nachhaltigkeitsdebatte zunächst Begrifflichkeiten wie nachhaltige Siedlungsentwicklung (hier kam der Bestandsgedanke zu kurz) und kommunale Nachhaltigkeit (Einbettung in weitere Maßstabsebenen und überörtliche Stoffkreisläufe kam zu kurz) verwendet. Erst die Nachhaltige Stadtentwicklung verfolgt den umfassenden Ansatz und ist mit diesem erweiterten Verständnis herausgelöst aus der rein ökologischen Betrachtung - sie ist inzwischen anerkannt als ein übergreifendes Entwicklungsleitbild. Anstatt die "Grenzen des Wachstums" (Meadows et al.) und damit Verzicht und Rückentwicklung in den Vordergrund zu stellen, setzt nachhaltige Entwicklung vielmehr auf Vorsorge, Effizienzerhöhung, Wiedernutzung, Integration und Innovation, begleitet durch einen partnerschaftlichen Aushandlungsprozess. Für die raumbezogenen Disziplinen übersetzt bedeutet das in der konkreten Verortung die Umnutzung von gebrauchten Flächen (Brachflächenrecycling), den Bedeutungszuwachs – insbesondere unter dem Aspekt der Schrumpfung – von Renaturierung sowie Innenentwicklung vor Außenentwicklung und damit die Renaissance des Siedlungsmodells der kompakten, funktionsgemischten Stadt (Europäischer Stadtgedanke). Unter diesem übergreifen-

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283

den Entwicklungsbild können nun auch singuläre planerische Leitvorstellungen der Vergangenheit, wie autofreie Quartiere, ökologisches Bauen, energieeffiziente Gebäude, klimagerechte Siedlungsstrukturen, sozialverträgliche Projektentwicklungen etc. subsumiert werden, um nur einige Stoßrichtungen aufzuführen. Ökologische Dimension und deren Merkmale Der Bereich der Ökologie kann als der Auslöser bzw. die Basis des Nachhaltigkeitsdreiecks bezeichnet werden, der dann im Zuge des integrierten Vorgehens um die soziale und ökonomische Dimension erweitert wurde. Diese beiden Dimensionen erhielten durch die zunehmende Diskrepanz untereinander Bedeutung. Die ökologische Dimension bestimmt im Kern die Frage des Umgangs mit natürlichen Ressourcen: in welchem Umfang werden diese genutzt und belastet. Im Sinne einer ökologischen Nachhaltigkeit sollten Ressourcen auf Dauer nicht über das Maß hinaus genutzt werden, in dem sie (sich) regenerier(en)t oder in all ihren Funktionen substituiert werden können. Dies betrifft auch die Umweltmedien

Wasser,

Luft

und

Boden

als

Ressourcen,

die

über

ihre

Trag-

oder

Assimilationsfähigkeit nicht auf Dauer zu belasten sind (vgl. Umweltbundesamt). Zudem kann als Komponente der ökologischen Dimension die Vermeidung von Gefahren und unvertretbaren, nicht abschätzbaren Risiken für den Menschen und die Umwelt durch anthropogene Einwirkungen genannt werden (vgl. Umweltbundesamt, 1998). Als aktive und reaktive Interventionsmaßnahmen schließt diese Dimension die Reparatur bzw. Kompensation von entstandenen Umweltschäden, die Entsorgung von umweltbeeinträchtigenden Stoffen und Produkten, die ökologische Modernisierung von Produktionsprozessen und Produkten sowie Strukturveränderung ein, welche umweltbelastende Formen von Produktion und Konsum substituieren (vgl. Jänicke). Soziale Dimension und deren Merkmale Die soziale Dimension rahmen die Werte Menschenwürde und Chancengleichheit, deren Toleranz und Akzeptanz in ein nachhaltiges Handeln einfließen sollten. Die Wahrung der Würde des Menschen gewährleistet u. a. die Sicherstellung seiner Grundbedürfnisse in Form des Angebots von Mindeststandards bei Wohnraum, Bildung, Gesundheit, Ernährung und Möglichkeiten des Einkommenserwerbs. Die Forderung der Chancengleichheit stellt auf die Verteilung und den Zugang zu Ressourcen ab, die nicht von Merkmalen des Geschlechtes, der sozialen Stellung, der Nationalität und physischen sowie psychischen Beeinträchtigungen abhängig zu machen sind. Diese Wertvorstellungen sind unmittelbar an die Zivilisation als Solidargemeinschaft und ihre Gerechtigkeitsempfinden adressiert und können von ihr realisiert werden, indem zwischen Leistungserbringung und –erträgen ein angemessen ausgeglichenes Verhältnis besteht. Der individuel-

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le Beitrag zur Solidargemeinschaft sollte dementsprechend der jeweils eigenen Leistungsfähigkeit entsprechen (vgl. Empacher et al.). Ökonomische Dimension und deren Merkmale Die ökomische Dimension der Nachhaltigkeit umfasst u. a. die Aspekte des Charakters und der Stabilität der Märkte sowie die Qualität und Quantität des Wirtschaftswachstums. In den Kanon des Leitbilds einer ökonomischen Nachhaltigkeit fügt sich zum einen die Forderung nach offenen und transparenten Märkten ein, solange diese keine destabilisierende Wirkung entfalten. Deren funktionsfähige Preissysteme sollten nicht nur die Zahlungsbereitschaft der Akteure abbilden, sondern auch die vorher genannten Fragestellungen der ökologischen und sozialen Dimension berücksichtigen. Zum anderen besteht der Anspruch nachhaltigen Wirtschaftens darin, dass das Privateigentum als weiteres Marktmerkmal stärker in der Haftung beim Verursachen negativer externer Effekte gesehen wird und diese nicht auf die Allgemeinheit umwälzt werden (vgl. EnquêteKommission 1994). Vor dem Hintergrund einer unverändert stark wachsenden Weltbevölkerung, deren Grundbedürfnisse aktuell längst nicht befriedigt sind, stellt ein angemessenes Wirtschaftswachstum ein fundamentales Wesensmerkmal ökonomischer Nachhaltigkeit dar. Triebkräfte des Wirtschaftswachstums sind Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen, die sich u. a. in technologischem Fortschritt abbilden. 2.4.1.2

Der Weg des Nachhaltigkeitsbegriffs in die Stadtentwicklung

Die beschriebene Nachhaltigkeitsdebatte betraf die Stadtentwicklung unmittelbar und stellte indirekt traditionelle Leitbilder wie die autogerechte Stadt in einer Zeit in Frage, in der ca. 80 % der Treibhausgase in Städten emittiert wurden (vgl. Drewes et al.), Städte den überwiegenden Teil der Energie verbrauchten und sich die Zivilisation auf das sog. Urban Age, das 21. Jh., zubewegte, in dem nunmehr ein Urbanisierungsgrad von über 50% (vgl. Burdett et al.) zu verzeichnen ist und in dem 60% der Bevölkerung der Europäischen Union in Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern leben (vgl. EU-KOM 2007). Städte sind auf Grund ihres Ressourcenbedarfs und als Orte, an denen die Bevölkerung in vielen Teilen der Welt am dynamischsten wächst, Kristallisationspunkte der Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung. Folgerichtig erhielt im Follow-Up-Prozess des Brundtland Reports die Stadt eine zunehmende Aufmerksamkeit als wichtige Stellschraube für die zukünftige globale Perspektive. Dem ging zunächst die Überführung der Ziele des Brundtland Reports auf eine raumbezogene Handlungsebene voraus. Unter dem Motto „Global denken, lokal handeln“ („Think global, act local“) wurde auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (United Nations Conference on Environment and Development [UNCED]) 1992 in Rio de Janeiro die Bedeutung

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285

lokaler Aktionen zur Durchführung der nachhaltigen Entwicklung herausgearbeitet und ein Aktionsprogramm mit Handlungsaufträgen, die zu zwei Drittel lokale Behörden betreffen, verabschiedet. Bekannt ist dieses Aktionsprogramm unter der Bezeichnung Agenda 21 (Agenda für das 21. Jahrhundert). Als Agendathemen sind hier soziale und umweltbezogene Probleme, wie Luftverschmutzung, Entwaldung, Verlust der Artenvielfalt, Gesundheit, Überbevölkerung, Armut, Energieverbrauch, Abfallerzeugung und Transportprobleme gesetzt. Mit ihrem Programm forderten die Kongressteilnehmer im Kapitel 28 der Agenda lokale Behörden auf, gemeinsam mit den lokalen Akteuren individuell zugeschnittene Agenden zu verfassen: „Jede Kommunalverwaltung soll in einen Dialog mit ihren Bürgern, örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft eintreten und eine ‚kommunale Agenda‘ beschließen. Durch Konsultation und Herstellung eines Konsenses würden die Kommunen von ihren Bürgern und von örtlichen Organisationen, von Bürger-, Gemeinde-, Wirtschafts- und Gewerbeorganisationen lernen und für die Formulierung der am besten geeigneten Strategien die erforderlichen Informationen erlangen.“ (BMU 1992). Diese Empfehlungen griffen über 39 europäische Staaten auf der Ersten Europäischen Konferenz zukunftsbeständiger Städte und Gemeinden (1th European Sustainable Cities and Towns Conference) 1994 in Aalborg auf, deren Charta bis dato mehr als 2.600 europäische Kommunalverwaltungen unterzeichneten (vgl. www.aalborgplus10.dk). Ihr Inhalt lässt sich in den folgenden Punkten zusammenfassen: x

Anerkennung der tragenden Rolle der Europäischen Städte und Gemeinden,

x Erarbeitung von städtischen, ganzheitlichen, integrierten Handlungsprogrammen mit eine langfristigen Zeithorizont, x

Aufbau zukunftsbeständiger Flächennutzungsstrukturen,

x Gleichzeitige und ausgewogene Betrachtung der Themen städtische Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit, städtische Mobilität, Umwelt und Klima sowie x

Partizipation der Bürger als Schlüsselakteure im Prozess einer nachhaltigen Stadtentwicklung.

Lokale Agenda 21 Die Kongresse in Rio de Janeiro und Aalborg gaben den Anstoß für die Kampagne Lokale Agenda 21 – eine Bewegung innerhalb der Stadtverwaltungen und –parlamente, die örtliche Wirtschaft, Interessensgruppen und engagierte Bürger gemeinsame Dialogrunden konstituierten, in denen lokale Maßnahmen zur Umsetzung der Charta von Aalborg erarbeitet wurden. Im Jahr 2000 lagen in ca. 1.300 deutschen Städten und Gemeinden Ratsbeschlüsse dazu vor, diese Maßnahmenprogramme im breiten Dialog zu formulieren, was 2002 bereits auf 2.042 und damit auf ca. 16 % der Städte und Gemeinden in Deutschland zutraf (vgl. Ruschkowski). Die Agenda 21-Prozesse leiten ihre Handlungsstrategien zumeist aus den Elementen Standortbestimmung sowie Leitbildfindung ab, die in ihrem Abstraktionsgrad auf der gesamtstädtischen

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Ebene oft eine Herausforderung für die Beteiligung lokaler Akteursgruppen darstellen können (vgl. Hermanns). Als außerparlamentarische Bewegung sieht sich der Lokale Agenda 21-Prozess vor der weiteren Schwierigkeit der Implementierung seiner Maßnahmenprogramme. Nur in den Fällen, in denen der Prozess eng mit der letztlich entscheidenden Lokalpolitik verknüpft ist, ohne dieser hörig und von ihr abhängig zu sein, können konkrete Umsetzungsschritte der Lokalen Agenda vollzogen werden (vgl. Ruschkowski). Leipzig Charta Den einstweilig europäischen Höhepunkt der Zusammenführung der Themenfelder Nachhaltigkeit und Stadtentwicklung markierte das Bekenntnis aller 27 EU-Mitgliedsstaaten zur nachhaltigen europäischen Stadt auf dem informellen EU-Bauministertreffen im Mai 2007, das unter deutscher Ratspräsidentschaft in Leipzig abgehalten wurde und in der Unterzeichnung der Leipzig Charta mündete: einem konsensfähigen, definitorischen Rahmen von Nachhaltiger Stadtentwicklung auf europäischer Ebene. Der Weg hin zu diesem Meilenstein setzte sich aus Vorstößen der Europäischen Kommission sowie aus einzelnen Initiativen von Mitgliedsstaaten (vgl. Tabelle 3) zusammen, die Nachhaltige Stadtentwicklung schrittweise in das Blickfeld der Europäischen Union rückten. Als Aktionsfelder der Kommission sind beispielhaft Diskussionspapiere (Grün- und Weißbücher) sowie Mitteilungen und Vorschläge zur Ausgestaltung der europäischen Strukturfonds zu nennen. Als Möglichkeit des Agendasettings nutzten verschiedene Mitgliedsstaaten ihre Ratspräsidentschaft und trieben die Berücksichtigung städtischer Fragen in Form von hierauf konzentrierten, ministeriellen Arbeitsgruppen voran, deren Ergebnisse Handlungsprogramme und Charten zusammenfassten. Tabelle 3 zeichnet das Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Akteure und ihrer Instrumente als Wegbereiter der Leipzig Charta nach.

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Zeitl. Einordnung

Akteursebene

1990

EU-Kommission (KOM) EU-KOM

1994 - 1999

EUMitgliedsstaaten (MS)

287

Ergebnis Grünbuch über die städtische Umwelt: Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Parlament (KOM(90) 218, Juni 1990) - Erstmalig integrierte Betrachtung der sektoralen Themen Umwelt sowie Verkehr und des räumlichen Themas Stadt Europäische Gemeinschaftsinitiative URBAN - Von der EU-KOM verwaltetes Förderprogramm - Begünstigte: 118 Städte (davon 12 deutsche Städte) - Programmgebiete: benachteiligte Stadtquartiere Mitteilung „Wege zur Stadtentwicklung“

1997

EU-KOM

- Herausarbeitung des indirekten Einflusses der Europäischen Politik, obwohl diese in Städtefragen keine Handlungskompetenz besitzt, auf die Entwicklung der Städte Mitteilung „Nachhaltige Stadtentwicklung in der Europäischen Union: ein Aktionsrahmen“

1998

EU-KOM

- Aufriss bereits betriebener europäischer Städtepolitik - Zielsystem und Handlungsprogramm zur Aufgabe einer Nachhaltigen Stadtentwicklung - Aktuelle Geschäftsgrundlage der EU-KOM Agenda 2000

1999

EU-MS

2000

Informelles Bauministertreffen der EU-MS unter französischer EURatspräsidentschaft

2001/2003

Informelles Bauministertreffen der EU-MS unter belgischer EURatspräsidentschaft, EU-KOM

- Aktionsprogramm und Finanzrahmen für die Strukturfondsperiode 20002006 - Einführung der Städte als Förderkategorie - Förderung der Erneuerung von städtischen Problemgebieten (Art. 2, (1), b), ii) EFRE-VO 1783/1999) - Fortführung der Gemeinschaftsinitiative URBAN in Form von URBAN II (Art. 3 EFRE-VO 1783/1999): 70 begünstigte Städte, davon 12 dt. Städte Aktionsprogramm von Lille - Definition von neun Schwerpunkthandlungsfeldern der EU in städtischen Fragen - Gemeinsames Fundament der Mitgliedsstaaten zum integrierten Umgang mit benachteiligten Stadtquartieren - Starke Übereinstimmung mit der Mitteilung der EU-KOM von 1998 Gemeinschaftsinitiative URBACT (laufendes Programm) - Netzwerk zur Steuerung und Verstetigung des Transfers der Erfahrungen der URBAN-Modellregionen - 2003: Arbeitsbeginn des URBACT-Sekretariats in Paris

Rotterdam / Bristol Urban Acquis

2004/2005

Informelles Bauministertreffen der EU-MS unter niederländischer / britischer EURatspräsidentschaft

Anreicherung des Aktionsprogramms von Lille durch die neuen Aspekte: - Ausgleich von Top-Down-Politiken durch partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Kommunen und lokalen Akteuren - Neudefinition der Stadt-Umland-Beziehungen - Förderung des Botschaftermodells Good-Practise - Anstoß der Implementierung staatlicher kredit- und bürgschaftsbasierter Stadtentwicklungsinstrumente als Alternative zur Zuschussförderung

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288

Agenda 2007 Aktionsprogramm und Finanzvorschau für die Strukturfondsperiode 200713 Eigener Artikel für die Förderung in der EFRE-VO 1083/2006: Art. 8 „Nachhaltige Stadtentwicklung“ Angebot von Stadtentwicklungsfonds Überführung der Gemeinschaftsinitiativen in die EFRE-Regelförderung

2005

EU-MS

-

2007

Informelles Bauministertreffen der EU-MS unter deutscher EURatspräsidentschaft

Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt -

-

Konsenspapier aller 27 EU-MS zum Ansatz der integrierten (an den Zielen der Nachhaltigkeit orientierte, bürgerorientierte und fachübergreifend konzipierte) Stadtentwicklungsplanung Anerkennung benachteiligter Stadtquartiere in ihrer Existenz und Entwicklungsaufgabe in den Städten

Verständigung über die Erarbeitung eines Referenzrahmens Nachhaltige Stadtentwicklung

2008

EU-MS unter französischer EURatspräsidentschaft

-

-

Entwicklung eines Monitoring- und Evaluationstools, das Aussagen zur Nachhaltigkeit von gesamtstädtischen Strategien oder städtischen Projekten treffen soll Direkte Einbeziehung von Städten in die Erstellung des Tools Juli 2010: Beginn der Testphase des Tools in 50-70 Städten der EU

Tabelle 3: Wegbereitende Instrumente der Leipzig Charta (Quelle: nach Eltges, Nickel 2007, Eigene Darstellung und Fortschreibung) 2.4.1.3

O perationalisierung und Monitoring von Nachhaltigkeit

Die internationale Nachhaltigkeitsdebatte begleiten seit 1990 zahlreiche Ansätze, Indikatorensysteme auf allen raumpolitischen Ebenen im wissenschaftlichen wie (kommunal-) praktischen Verständnis zu entwickeln, wie z. B. die Nachhaltigkeitsziele der Helmholtz-Gemeinschaft (Kopfmüller et al.), die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie in Deutschland (Bundesregierung), die Monitoringansätze der Lokalen-Agenda-Prozesse (Agenda Transfer GmbH) oder die Indikatoren – NRW (Energieagentur NRW 2003). Zielstellung dieser und vieler weiterer Ansätze ist es, die Nachhaltigkeit stadtentwicklungspolitischer und raumwirksamer Maßnahmen operationalisieren und beurteilen zu können. Im Zuge dessen wurden wiederkehrend Versuche unternommen, die drei klassischen Themenfelder Ökonomie, Soziales und Ökologie zu erweitern und inhaltlich zu untersetzen. So rückte bspw. das Projekt „Städte der Zukunft“ (BBR 2004, S. 7) Themen wie Bodenmanagement, Wohnungsversorgung und Mobilitätssteuerung zusätzlich in den Fokus der Betrachtung. Darüber hinaus wurden diese Aspekte mit konkreten und überprüfbaren Zielvorstellungen, wie z.B. Stadtverträglichkeit und Sozialverantwortlichkeit versehen (Ringel 2008, S. 33). Auch die innerstädtische Raumbeobachtung des Bundes (BBSR) wurde entsprechend erweitert und qualifiziert. Die Erfassung und Pflege von Daten gem. eines Indikatorensets dient themenunabhängig dazu, Entwicklungsprozesse zu beschreiben, zu bewerten und zu evaluieren. Sektorale Systeme wie

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Wirtschaftsmonitoring,

Sozialmonitoring/

-berichterstattung,

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Umweltmonitoring/

-berichterstattung etc. finden in Fachressorts seit vielen Jahren Anwendung (Weidner, S. 126 ff.). Deren Zusammenführung zu einer stärker integrativen Betrachtung in

bspw. einem

Nachhaltigkeitsmonitoring gestaltet sich aber aus Zuständigkeits- und Komplexitätsgründen nach wie vor schwierig. Die Abbildung der ökologischen Dimension ist noch am ehesten fundiert, die ökonomische schon weitaus weniger und im sozialen Bereich existieren trotz regem Engagement der letzten Jahre im Themenfeld ‚Soziale Stadt‘ noch immense Erfassungs- und Bewertungsprobleme. Ein wesentlicher Grund hierfür ist in den statistischen Quellen zu finden, die nur teilweise dem Informationsbedarf für eine nachhaltige Entwicklung entsprechen. Desweiteren ist die quantitative Einstufung von soziokulturellen Gegebenheiten schwierig und zuweilen auch heikel. Solange solche konkreten Indikatoren zur nachhaltigen Entwicklung fehlen, fällt es schwer, Nachhaltigkeit präzise zu definieren. Entsprechend bleiben große Interpretationsspielräume je nach fachlicher Herkunft, thematischer Motivation etc. 2.4.2 Konzept und Herausforderungen einer Nachhaltigen Stadtentwicklung gem. Leipzig Charta Das in der Leipzig Charta beschriebene Konzept der Nachhaltigen Stadtentwicklung wird in seiner Vielschichtigkeit und Konsistenz im regionalen, nationalen und europäischen Maßstab als Leitbild und Arbeitsgrundlage angenommen, der sich bspw. Bund und Länder im Bereich der Städtebauförderung bedienen. Unterstrichen werden kann, dass die Leipzig Charta als tatsächlich mitgliedsstaatliches Dokument zu sehen ist, in dessen Erarbeitung mehrere hundert Beiträge zu Teilthemen von verschiedenen Staaten eingeflossen sind (vgl. www.bmvbs.de). Vor diesem Hintergrund wird im Weiteren auf diesen konsenstauglichen Ansatz als Referenzmodell für die Nachhaltige Stadtentwicklung zurückgegriffen. Grundsätzlich beschreibt die Charta den Prozess, wie Nachhaltigkeit von Stadtentwicklungspolitik und jeglichem auf Stadtentwicklung ausgerichteten Handeln erreicht werden kann. Im Kern sieht dieses Konzept als prozessuale Basis die ausgewogene und gleichzeitige Integration vor von: a) städtischen Politikfeldern und Maßnahmen in ihren zeitlichen, fachlichen und räumlichen Kontext. Der Ausführungszeitpunkt bzw. die Kurz-, Mittel- oder Langfristigkeit von einzelnen Stadtentwicklungsstrategien/-interventionen sollte demnach mit anderen Vorhaben dergestalt abgestimmt sein, dass sie systematisch aufeinander aufbauen oder parallel verlaufen anstatt sich bspw. gegenseitig zu behindern. Dies soll u. a. die Einbindung unterschiedlicher, relevanter Fachressorts und -planungen in die Entwicklung einer Strategie oder einer Umsetzungsmaßnahme gewährleisten. Hierbei werden fast zwangsläufig oft nicht bewusste thematische Querbezüge aufgedeckt, wie sie bspw. zwischen sozialen Infrastrukturmaßnahmen der Schulentwicklungsplanung

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(z. B. kurzfristige Sanierungsvorhaben zur Aufwertung von Schulbeständen) und der Stadtplanung (ggf. langfristige Rückbaustrategien von Wohnbebauung) als Aufgaben unterschiedlicher Fachressorts bestehen. Desweiteren meint dieser Integrationsaspekt die Rückkopplung der Auswirkung und Kohärenz von Leitlinien und Maßnahmen unterschiedlicher räumlicher Maßstäbe, wie sie das Quartier, die Gesamtstadt oder das Umland darstellen, was ebenfalls Synergien befördern und Konfliktsituationen abbauen soll. b) Akteuren außerhalb der eigenen lokalen Stadtpolitik und -administration. Hierin eingeschlossen sind Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Interessensgruppen und Bürger auf supranationaler (EU), staatlicher (Bund), regionaler (Länder) und kommunaler Ebene. Deren Einbeziehung hat das Ziel einer bedarfsgenauen Stadtentwicklungspolitik (z. B. die Entwicklung von nachfrageorientierten Förderprogrammen), der Erschließung zusätzlich ideeller (z. B. Erfahrungen, Netzwerke) und materieller Ressourcen. Als weiteres Ergebnis sollte dieser Verhandlungsprozess einen Interessen- und z. T. Lastenausgleich darstellen. Die Akteursintegration ist horizontal und vertikal zu unterscheiden. Horizontal sollen verschiedene Fachressorts /-politiken, die auf einer Ebene agieren, innerkommunal oder interkommunal berücksichtigt werden. Vertikal empfiehlt die Leipzig Charta, höhere Regierung- und Verwaltungsebenen (z. B. Bund und Länder) sowie Akteure außerhalb der politischen Vertretung, wie NGOs, in den Stadtentwicklungsprozess zu integrieren. Als Instrumente, diesen Ansatz auf den Weg zu bringen und zu flankieren, werden in der Leipzig Charta integrierte Stadtentwicklungsprogramme (vgl. Pkt. 2.4.3.4Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.) sowie eine Good Urban Governance, die auch das Stadtmanagement und Partizipationstechniken umfasst, aufgeführt.

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Bund, Land, Städte Integration städtischer Politikfelder und Maßnahmen

Politik

Verwaltung räumlich

fachlich

zeitlich

Wirtschaft Interessensgruppen Bürger

Integrierte Stadtentwicklungsprogramme

Akteure

Partizipation

Instrumente Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 63: Integrierter Ansatz der Leipzig Charta (Quelle: Eigene Darstellung) Europäische Stadt Als Leitbild für Stadtbestandsentwicklung und -neuplanung, dem der integrierte Ansatz Mittel zum Zweck ist, stellen die 27 EU-Mitgliedsstaaten die nachhaltige europäische Stadt in den Mittelpunkt. In diesem Stadtmodell sind für eine Siedlungsstruktur sowohl die Chancen, die sich aus ihrer Entstehungsgeschichte ergeben, als auch der Anspruch an ihre Weiterentwicklung beschrieben, was Gegenstand der weiteren Ausführungen ist. Auf Grund ihrer Morphogenese verfügt(e) die gewachsene europäische Stadt über folgende urbane Nachhaltigkeit begünstigende Merkmale: x Kompaktheit/ Dichte, welche u. a. das Potential kurzer Wege, die Reduzierung von Flächenverbrauch und intensive wirtschaftliche Vernetzungsprozesse (Polyzentralität) impliziert. Kompaktere Baustrukturen, wie sie in innerstädtischen Blockstrukturen vorliegen, stellen sich zudem im Vergleich zu aufgelockerten suburbanen Siedlungsbereichen effizienter in ihrer infrastrukturellen Versorgung dar: Leitungsnetzte und öffentliche Verkehrsmittel schließen hier prozentual eine größere Anzahl an Bewohnern an, die hohe Bewohnerdichte begünstigt Konzepte der dezentralen Energieversorgung wie z. B. Blockheizkraftwerke. x Multifunktionalität/ Mischung, welche u. a. aufbauend auf dem Nebeneinander gewerblicher, Wohn- und Erholungsfunktionen (funktionale Mischung) das Potential der Mehrfachnutzung von Infrastrukturen und der Erhöhung der Lebendigkeit (Urbanität) von Stadt birgt.

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x Vielfältigkeit, welche u. a. auf die Toleranz fördernde Koexistenz unterschiedlicher Lebensstile, Einkommens- und Haushaltssituationen in einem Raum abstellt. Indem Bevölkerungsgruppen, die sich in diesen genannten Merkmalen unterscheiden, gemischt sind, wird der Segregation vorgebeugt, die Gesellschaftssichten räumlich ausdifferenzierend elitäre gated communities oder benachteiligte Stadtquartiere hervorbringen kann. Diese Merkmale des europäischen Stadtmodells garantieren per se und auf Dauer jedoch nicht ihre Nachhaltigkeit, was sich auch am Vorhandensein benachteiligter Stadtquartiere nachvollziehen lässt. Teilräumlich konzentrieren sich innerhalb vieler Städte städtebauliche Missstände (Sanierung- und Anpassungsstau im Wohnungsbestand, Minderangebot an qualitätsvollen öffentlichen Räumen etc.), soziale Probleme (hohe Arbeitslosigkeit, hoher Anteil an Bewohnern mit Migrationshintergrund, geringes Bildungsniveau etc.) und negative Umweltfaktoren (Lärm- und Geräuschemission von Durchgangsverkehren, ungenügende Durchlüftung etc.), die sich schnell zu einer Abwärtsspirale und z. T. zur Wahrnehmung dieser Quartiere als no-go-areas führen können. Um die Europäische Stadt mit ihren anerkannten Qualitätsmerkmalen zu sichern bzw. weiter zu qualifizieren, bedarf es vielschichtiger Aktivitäten, die im Folgenden dargelegt werden. 2.4.3

Raumpolitische Steuerungsebenen der Nachhaltigen Stadtentwicklung

Da die Nachhaltige Stadtentwicklung über ihren dargestellten Werdegang mehr und mehr auch zu einem politischen Leitbild wurde, ist es sinnvoll, das System der raumpolitischen Steuerungsebenen (Subsidiaritätsprinzip im Mehrebenensystem) im Einzelnen zu beleuchten. Die Ebenen stellen die Struktur der Planung (als Prozess), der Pläne (als Instrumente), des maßstäblichen Austauschs und der Anpassung (Kommunikation und Kooperation, u.a. im Sinne des Gegenstromprinzips) dar. Die involvierten Akteure sind entsprechend ihrer Funktion und institutionellen bzw. interessensgeleiteten Zuordnung schwerpunktmäßig auf einer der (Maßstabs-) Ebenen in Fragen der Nachhaltigen Stadtentwicklung eingebettet. Entsprechend finden sich die Ansatzpunkte aber vor allem auch Herausforderungen, für die Verankerung einer Nachhaltigen Stadtentwicklung bei den Akteuren und Instrumenten der jeweiligen Ebene und in deren Zusammenspiel. Die Nachhaltige Stadtentwicklung stellt damit ein Mehrebenen-Governance-Konzept dar, in dem die Steuerung der Prozesse durch alle politischen Ebenen erfolgt und die Konkretisierung von Leitbildern sowie Konzepten das Zusammenwirken verschiedener Akteure und den Ausgleich von Interessen erfordert (vgl. die Entwicklung von Stuttgart 21).

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Welt Europa (EUREK) Bund – Rahmenkompetenz (Leitbilder und Grundsätze) Ministerkonferenz für Raumordnung (Koordination Bund / Länder)

Länder – Landesplanung

Planungsregionen – Regionalplanung

(Landesentwicklungspläne und –programme)

Ziele und Vorgaben der Regionen in Regionalplänen

Kommunen - Kommunale Entwicklungsplanung formelle Planungsverfahren: Bauleitplanung, Flächennutzungsplanung informelle Planungsverfahren: INSEK, Masterpläne Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 64: Raumpolitische Steuerungsebenen (Quelle: Eigene Darstellung) Die Nachhaltigkeitsdebatte in der Stadtentwicklungsplanung zielte von Anfang an auf Ganzheitlichkeit ab, ein Grundverständnis, das der Stadtplanung von jeher systemimmanent ist. Insofern sind weder die übergeordnet definierten Zieldimensionen der Nachhaltigkeit noch die Forderungen zur Einhaltung dieser im Grundsatz neu für die Planung, zumindest in Deutschland und Westeuropa. Neu ist lediglich der globale gesellschaftliche Konsens zu diesen Zielen und Erfordernissen, in den sich nun Planungsaufgaben einordnen lassen. Entsprechend profitiert die formelle Planung zwar durch die forcierte rechtliche Verankerung, aber wie so häufig (vgl. auch Stadtumbau) hängt das Erreichen einer Nachhaltigen Stadtentwicklung vielmehr davon ab, wie konsequent die vorhandenen formellen und vor allem informellen Instrumente angewandt werden und Akzeptanz finden. Die Programmatik des Leitbildes der Nachhaltigen Stadtentwicklung und dessen Vermittlung stellen somit die großen Herausforderungen aktueller Stadtentwicklungsplanung dar. Angesichts der Bandbreite von Ausgangssituationen, Entwicklungsrichtungen und Geschwindigkeiten von Stadtentwicklungsprozessen – und angesichts unterschiedlicher Interessenlagen – kann es keinen allumfassenden Leitfaden Nachhaltiger Stadtentwicklung geben. Stattdessen findet auf allen Ebenen eine spezifische Untersetzung und maßstabsangemessene Konkretisierung in Pro-

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grammen, Instrumenten, Plänen und Vorgehensweisen statt, die im Folgenden überblicksartig dargestellt werden. 2.4.3.1

Europäische Ebene

Für die raumpolitische Ebene der EU wurden bereits im Zuge des (förderpolitischen) Weges der Nachhaltigen Stadtentwicklung in Kapitel 2.4.2 Aussagen getroffen. Die Leipzig Charta wurde als grundlegendes Element der Nachhaltigen Stadtentwicklung im aktuellen Verständnis erläutert, nicht weil die EU als Auslöser oder maßgeblicher Wegbereiter einer Nachhaltigen Stadtentwicklung gelten soll, sondern weil viele bereits vor diesem europäischen Prozess bzw. parallel dazu verlaufende

Ansätze

ein

‚Dach‘

erhielten,

Durchsetzungskompetenz

erlangten

und

Anreizmechanismen bekamen. Über die mitgliedsstaatliche Willenserklärung der Leipzig Charta (demnach ein informelles Instrument) hinaus reichen die konkreten Rahmensetzungen, die die EU im Zuge ihrer Programmgestaltung zur Nachhaltigen Stadtentwicklung trifft. Obwohl der EU in Fragen der Städtepolitik die formale Kompetenz fehlt, da der EU-Vertrag lediglich auf die regionale Ebene vordringt und die Städtepolitik kein Handlungsfeld bspw. in Form eines eigenen Generaldirektorates der Europäischen Kommission darstellt, besitzt die europäische Strukturfondspolitik als formelles Instrument eine Vielzahl von Bezügen zur (Nachhaltigen) Stadtentwicklung. Mit Blick auf den zunehmenden Einfluss der europäischen Ebene auf die (lokale) Stadtentwicklung wird der Betrachtungswinkel in der Umschreibung dieser raumpolitischen Ebene hier etwas weiter gefasst: Globalisierungstendenzen, europäisiertes Marktgeschehen (grenzüberschreitende Direktinvestitionen durch einheitliches Währungssystem etc.) und postfordistischer Wandel (stärkere Dezentralisierung von Produktionsstandorten; internationale Ausweitung bei der Suche Privater nach Investitionsstandorten) führen auch aus EU-Sicht zu Transformationsprozessen in den Städten (www.sowi.uni-oldenburg.de) und bilden damit überall ähnlich auftretende gewandelte Rahmenbedingungen. Diese inzwischen erkannten ökologischen, sozialen und ökonomischen Schieflagen bzw. sogar Verwerfungen in den Städten und Regionen veranlassten zu einer mitgliedsstaatenübergreifenden Rahmensetzung zur Fokussierung auf ‚Stadt‘. Tabelle 3 zeichnete vom Grünbuch (1990) bis zur Erarbeitung eines Referenzrahmens Nachhaltige Stadtentwicklung (2008) die Entwicklungsgeschichte der Nachhaltigen Stadtentwicklung nach. Einen sehr wichtigen Meilenstein darin markiert auf der hier zu beleuchtenden europäischen Ebene die EFRE Rahmenverordnung mit Artikel 8 (2005/2006). Mit dem Ziel der stärkeren Verbreitung der Stabilisierungs- und Aufwertungsstrategie der europäischen Gemeinschaftsinitiative URBAN wurde u. a. auf Bestreben der nationalen und europäischen Städteverbände dieses Sonderprogramm in Form des Artikel 8 „Nachhaltige Stadtentwicklung“ in die Regelprogramme der Strukturfondsförderung überführt – ein Vorgang, der in die

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Europäische Städteförderung als Mainstreaming eingegangen ist (vgl. Gerhardt et al.). Auf diese Weise sollte eine größere Zahl an Städten Zugang zu diesem Förderbereich erlangen und dieser mit einem höheren Budget unterlegt werden. Entsprechend dem Artikel 8 verfügen die Mitgliedsstaaten in der Förderperiode 2007-2013 über die Option, mit EU-Strukturfondsmitteln partizipative, integrierte und nachhaltige Strategien zu unterstützen, „mit denen der starken Konzentration von wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Problemen in den städtischen Gebieten begegnet werden soll“ (Rat der Europäischen Union, 2006). Als Maßnahmenbereich für eine Nachhaltige Stadtentwicklung werden hier die Erarbeitung und Umsetzung von stadtbezogenen Strategien zur Steigerung des Wirtschaftswachstums, die Sanierung der physischen Umwelt, die Neuerschließung brachliegender Flächen, die Erhaltung und Aufwertung des Natur- und Kulturerbes, die Förderung der unternehmerischen Initiative, der lokalen Beschäftigung und der kommunalen Entwicklung sowie die Bereitstellung von Dienstleistungen für die Bevölkerung empfohlen. Dieser Artikel 8 ist seitdem wesentliche Grundlage für die sog. „Städtische Dimension“. Die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit, insbesondere die Unterstützung bei der Finanzierung und damit Umsetzung von nachhaltigen Stadtentwicklungsmaßnahmen/-projekten, wurde von der Europäischen Kommission und der Europäischen Investitionsbank (EIB) in Zusammenarbeit mit der Entwicklungsbank des Europarates (CEB) durch die sog. JESSICA-Initiative (Joint European Support for Sustainable Investment in City Areas) ins Visier genommen. Dieses auf EUEbene neue, revolvierende Finanzierungsinstrument ermöglicht es den Mitgliedstaaten nun, einen Teil der EU-Zuschüsse aus den sog. Strukturfonds für rückzahlbare Finanzierungen zur Realisierung von solchen Projekten zu nutzen, die Bestandteil integrierter Pläne (vgl. Kapitel 2.4.3.4) für die Nachhaltige Stadtentwicklung sind (www.eib.org). Das Instrumentarium JESSICA findet bis dato allerdings nur schleppend Eingang in das Handeln lokaler Akteure. Dafür gibt es zahlreiche Gründe, die zum einen in der Gestaltung der Richtlinien durch EU und Bundesländer und zum anderen in einer noch traditionell zuschussorientierten verhafteten Planungs- und Entwicklungsphilosophie sowohl der privaten Investoren als auch der öffentlichen Hand zu finden sind. Eine Beispieluntersuchung für das Land Brandenburg, das als erstes Bundesland in Deutschland den EU-Rahmen genutzt und einen sog. Stadtentwicklungsfonds aufgelegt hat, zeigt, welche Hemmnisse und Chancen das neue Instrument mit sich bringt. Demnach resultierte die Zurückhaltung in der Inanspruchnahme des Fonds daraus, dass sich die zuschussbasierte, nationale Städtebau- und europäische Strukturförderung sowie die bestehenden, restriktionsfreieren Kreditangebote für städtische Gesellschaften und Private, die nicht wesentlich höheren Zinskonditionen aufwiesen, den Kommunen als attraktivere Angebote darstellten. Zudem hielten die engen Vorgaben zu den Einsatzbereichen des Stadtentwicklungsfonds die Kommunen z. T. von der Anwendung dieses neuen Instrumentes ab (vgl. Gerhardt et al.).

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Bereits vor den beschriebenen Aktivitäten im Zuge der Strukturfondsförderung und der Leipzig Charta etc. existierte als gemeinsamer Planungsrahmen für das Territorium der EU das Europäische Raumentwicklungskonzept (EUREK; erste Vorschläge aus den 1960-70er Jahren). Dieses definiert politische Ziele und allgemeine Raumentwicklungsprinzipien auf europäischer Ebene im Hinblick auf die Gewährleistung einer nachhaltigen und ausgewogenen Entwicklung des europäischen Gemeinschaftsraumes unter Berücksichtigung seiner vielfältigen Einzelmerkmale. Das EUREK dient mit seinem zwischenstaatlich unverbindlichen Charakter als politischer Orientierungsrahmen (informell) zur Verbesserung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der einzelnen Fach- und Ressortpolitiken der Gemeinschaft mit hoher Raumwirkung (Bevölkerung, Verkehr, Wirtschaft, Umwelt) (www.europa.eu). Die Nachhaltigkeit ist hier zwar bereits erwähnt, jedoch nicht derart ins Zentrum der Betrachtung gerückt wie in den später folgenden Aktionen, die in Pkt. 2.4.1.2 dargelegt wurden. Die Wahrnehmung bzw. Bedeutung des EUREK für die nachhaltige Stadtentwicklungsplanung kann im Vergleich als untergeordnet eingestuft werden. 2.4.3.2

Nationalstaatliche Ebene

In Anbetracht der erheblichen ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgewirkungen von der über Jahrzehnte zu beobachtenden hohen Inanspruchnahme von Freiflächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke stellt das Flächenmanagement ein zentrales Handlungsfeld der Nachhaltigen Stadtentwicklung dar. Die Ebene des Bundes scheint die geeignete, um diese Herausforderung sowie langfristige allem Handeln übergeordnete Zielstellungen zu erwähnen. Die Bundesregierung Deutschland verfolgt seit über zehn Jahren die beiden flächenpolitischen Ziele der Mengensteuerung sowie der Qualitätssteuerung, die in der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie 2002 „Perspektiven für Deutschland“ festgeschrieben wurden. Die Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt anhand der vier Leitlinien Generationengerechtigkeit, Lebensqualität, sozialer Zusammenhalt und Internationale Verantwortung eine Vision für die Zukunft Deutschlands. Das aufgeführte Mengenziel beinhaltet dabei die Reduzierung der täglichen Flächenneuinanspruchnahme von Boden für Siedlungs- und Verkehrsflächen von aktuell etwa 90 ha auf 30 ha bis zum Jahr 2020. Unter dem Qualitätsziel soll der Innen- vor der Außenentwicklung im Verhältnis 3:1 Vorrang gegeben werden. Unter den Begriffen Flächen(haushalts)politik, Flächenkreislaufwirtschaft, Vermeidung der Flächeninanspruchnahme wurden in den letzten Jahren zahlreiche Untersuchungen angestellt, deren Ergebnisse in Handlungsempfehlungen an Bund, Länder und Gemeinden mündeten (so z. B. aus dem BMBF-Programm REFINA). Die Flächenhaushaltspolitik bspw. räumt der Bestandsnutzung (Recycling) Vorrang vor einer Neuausweisung von Siedlungsflächen ein. Dabei zielt die Wiedernutzung nicht nur auf die Fläche an sich ab, sondern bezieht ebenso Wohnfolge- und Infrastruktureinrichtungen aus dem Bestand ein.

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In der formellen Ausgestaltung und Untersetzung dieser Zielstellungen stößt man auf der raumpolitischen Ebene des Nationalstaates in Deutschland auf das Raumordnungsgesetz (ROG) und das Baugesetzbuch (BauGB), welche die entsprechenden Kerninstrumentarien darstellen. Der Begriff der Nachhaltigkeit findet sich bereits seit der Novellierung des Planungsrechts 1998 in BauGB und ROG wieder. Das novellierte BauGB schreibt im § 1 (5) seitdem vor, dass die Bauleitpläne eine nachhaltige (statt der vorher ‚geordneten‘) städtebauliche Entwicklung gewährleisten sollen. Auch bei der Abstimmung der unterschiedlichen Anforderungen an den Raum und die Vorsorge für die Raumfunktionen und -nutzungen ist nach § 1 (1) und (2) des ROG bereits seit 1998 die Leitvorstellung der nachhaltigen Raumentwicklung zu berücksichtigen. In der Einordnung der europäischen Nomenklatur ist auf der informellen Seite der Nationale Strategische Rahmenplan (NSRP) der Bundesregierung ergänzend zu erwähnen, der für den Einsatz der EU-Strukturfonds 2007-2013 gem. EFRE-Verordnung in der Bundesrepublik Deutschland 2007 erstellt wurde (www.bmwi.de). Mit dem NSRP soll die Übereinstimmung der Gemeinschaftsziele der EU und der Strukturfondsförderung, welche Bund und Länder mit Hilfe der OPs als Handlungsinstrument koordinieren, sichergestellt werden. Die Nachhaltige Stadtentwicklung stellt keine Kernprioritäten im NSRP dar, sondern wurde hier lediglich als Querschnittsziel verankert (vgl. BMWi, 2007), das abseits des BMVBS für andere Fachressorts eine Herausforderung in der Operationalisierung bedeutet. Hier schließt dann in der Mehrebenenlogik auch die teilweise mit EFRE und ESF gekoppelte Städtebauförderung als Instrumentarium zur Steuerung einer Nachhaltigen Stadtentwicklung an. In der Verwaltungsvereinbarung zur Städtebauförderung regeln Bund, hier BMVBS, und Länder die nach Artikel 104 d des Grundgesetzes festgelegten Finanzhilfen zur Förderung städtebaulicher Maßnahmen (VV Städtebauförderung 2010). Der Bund stellt den Ländern bspw. für das Jahr 2010 Finanzhilfen von gut 534 Mio. Euro zur Verfügung, da er die Städtebauförderung als einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung der Leipzig Charta und der Nationalen Stadtentwicklungspolitik (siehe folgender Absatz) ansieht und sich wichtige struktur-, innen- und kommunalpolitische Impulse erhofft. Inhaltlicher Hauptansatz der vielfältigen Städtebauförderprogramme mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung (z.B. Soziales/ Integration: Soziale Stadt, Innenentwicklung/ Handel: Aktive Stadt- und Ortsteilzentren etc.) ist es, die Stadtquartiere unter Berücksichtigung aktueller Rahmenbedingungen und Herausforderungen (vor allem Klimaschutz, Bildung) an die Bedürfnis der Bürgerschaft anzupassen. Damit stellt die Städtebauförderung ein zentrales Instrument der Nachhaltigen Stadtentwicklung dar. Immer in Verbindung mit den vorher genannten Verfahrensweisen und Möglichkeiten haben derzeit die informellen Aktivitäten besondere Relevanz. So ist Nachhaltige Stadtentwicklung in Deutschland nicht zuletzt durch die 2008 initiierte Nationale Stadtentwicklungspolitik (NSP) ein öffentliches Thema geworden. Die NSP stellt den national-mitgliedsstaatlichen, hier den deut-

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schen, Folgeprozess der Leipzig Charta und damit die aktuell übergeordnete Strategie zur Nachhaltigen Stadtentwicklung informeller Art dar. Ihr Ansatz ist es, Handelnde und Interessierte zum Thema Stadt zusammen zu bringen, Plattformen für einen Informationsaustausch zu Strategien des Umgangs mit Transformation zu schaffen, aktuelle stadtgesellschaftliche und städtebauliche Trends zu thematisieren und beispielhafte Handlungs- und Lösungsansätze aufzugreifen (www.nationale-stadtentwicklungspolitik.de). Die zwischenzeitlich ca. 100 geförderten Projekte des Handlungsfeldes zeigen, wie in den verschiedenen Themenbereichen integrierte Stadtentwicklungsplanung z.B. durch Ressortgrenzen übergreifendes Agieren funktionieren kann. Die Projekte zielen ab auf die Qualität von Stadt als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung, der Innovation und Integration sowie der ressourcenschonenden Siedlungsform Stadt. Im weiteren Handlungsfeld der „Guten Praxis“ werden bereits bestehende nationale Förderprogramme gemäß der anstehenden Herausforderungen an die Städte angepasst und fortgeschrieben. Ein Vorläufer der Nationalen Stadtentwicklungspolitik im informellen Sektor ist die bereits langjährig betriebene Initiative „Werkstatt-Stadt“ des Bundes. Werkstatt-Stadt informiert als Internetseite des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) über innovative Lösungsansätze, die es wert sind, mit ihren Erfahrungen, Erkenntnissen und Erfolgen in die breite Öffentlichkeit und die städtebauliche Praxis getragen zu werden. „Innovation“ versteht sich dabei weniger als Neuheit, sondern vielmehr als Synonym für beispielgebende und nachahmenswerte Praxis (best practice) – ein Ansatz wie er in der NSP auch fortgeführt wird. Der jeweilige innovative Charakter kann sich auf die Gesamtprojektidee, das Planungsverfahren, den Umsetzungsprozess sowie auf einzelne Komponenten beziehen. Die inzwischen umfassende Beispielsammlung beinhaltet städtebauliche Projekte, die bereits realisiert sind oder sich in der Realisierung befinden und Beiträge zu einer Nachhaltigen Stadtentwicklung leisten. Die Beiträge können sich auf unterschiedliche räumliche Ebenen und Maßnahmen beziehen und auch Prozesse der Beteiligung und Kooperation darlegen (www.werkstattstadt.de). Ein Vorreiter dieser Sensibilisierung für Nachhaltigkeit auf Bundesebene ist mit dem Leitfaden nachhaltiges Bauen auf der Objektebene, also zunächst baulich motiviert, zu finden. Das damalige Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) hat im Jahr 2001 federführend unter der Beteiligung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) diesen Leitfaden für Baumaßnahmen des Bundes erarbeitet. Es sollten bauliche Lösungen gefunden werden, die ökologisch verträglich sowie ökonomisch akzeptabel sind und den Menschen einbeziehen – also nachhaltig sind (www.nachhaltigesbauen.de).

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2.4.3.3

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Landes- und regionale Ebene

Der vorgenommenen Untergliederung der vorangegangenen Kapitel folgend kann auch auf Bundesländerebene in verschiedene Ansätze zur Unterstützung und Steuerung der Nachhaltigen Stadtentwicklung differenziert werden. Zum einen formulieren die Länder in ihren Operationellen Programmen (OP) die Rahmenvorgaben der Europäischen Strukturfondsförderung (EFRE, ESF) aus und zum anderen entwickeln sie entsprechend der regionalen Spezifika eigene Strategien um ihre Städte und Regionen wettbewerbsfähig aufzustellen, die dann von den relevanten Akteuren der jeweiligen Region in partizipativer Weise umgesetzt werden (sollen). So existieren in den einzelnen Bundesländern vielfältige informelle Landesprogramme und –initiativen, die die Nachhaltige Stadtentwicklung voranbringen sollen, wie z.B. die Wettbewerbe „Ab in die Mitte!“ (Orientierung auf Handel), die Regelungen zu Business (BID) und/ oder Housing Improvement (HID) Districts oder das EFRE-Städtenetzwerk in Brandenburg. Formelles Instrumentarium auf dieser raumpolitischen Ebene sind die Landesentwicklungs- und Regionalpläne. Sie stellen das eigentliche Steuerungsinstrumentarium für die überörtliche Entwicklung der Landschafts-, Infra- und Siedlungsstrukturen dar. Ihre Durchsetzungskraft hinsichtlich der besonders in dieser Maßstabsebene gefragten Flächenpolitik ist ein eigens zu diskutierendes Thema. Zusammenfassend kann aber konstatiert werden, dass in den letzten Jahren kaum nennenswerte Impulse von der Landes- und Regionalplanung ausgingen, um Raum- und Stadtentwicklung unter Nachhaltigkeitsaspekten auf eine neue Qualitätsstufe zu heben. Folgendes Zitat nennt Gründe und bringt die Problematik auf den Punkt: „Regionen sind die adäquate räumliche Ebene, um Konzepte nachhaltiger Raumentwicklung zu erstellen und umzusetzen, sie sind aber in der Regel nicht politisch verfasst, sie haben kaum Finanzmittel und wenig Kompetenzen“ (ARL 2005, S. 682). Die auf diesen Ebenen zur Verfügungen stehenden Instrumente der Landesentwicklungs- und Regionalpläne wären also aufgrund ihres Betrachtungsmaßstabs sehr gut geeignet und auch gefordert, gerade Fragen z.B. des Klimaschutzes resp. der Klimaanpassung zu behandeln sowie Ressourcenschonung und Verkehrsthemen zu steuern - sie leisten dies derzeit aber keineswegs. Ihr Einfluss und ihre Bedeutung müssten in den nächsten Jahren noch bzw. wieder gesteigert werden um dem Nachhaltigkeitsaspekt auch wirklich gerecht zu werden. Schon erfolgreicher sind die Planungen und Leitgedanken, die im Zuge von sog. Regionalen Entwicklungskonzepten (REK) auf informeller Basis entstehen. Sie schaffen es vielerorts, neben den intraregionalen auch interregionale Austauschprozesse anzustoßen und in flächen- und ressourcenbezogene Abstimmungsprozesse und Prioritätsentscheidungen einzubeziehen. Wie unter Kapitel 2.4.3.2 beschrieben, ist die Städtebauförderung aufgrund ihrer finanziellen Untersetzung ein ‚hartes‘ Kernelement zur Steuerung einer Nachhaltigen Stadtentwicklung. Die Bundesländer können die Mittelzuweisung des Bundes entsprechend ihrer spezifischen Potenziale

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oder Hemmnisse kanalisieren und thematisch wichten. So hat der Freistaat Sachsen bspw. seinen Auslegungsspielraum in der Hinsicht genutzt, dass er die Revitalisierung von Brachflächen als konkretes Förderprogramm aufgelegt hat (in Verbindung mit dem EFRE). 2.4.3.4

Städte und Gemeinden

Aus den in Kapitel 2.4.3.1 genannten, übergeordneten ökonomischen und gesellschaftlichen „Megaentwicklungen“ lassen sich für die Städte, die lokale Ebene, zwei wesentliche Folgen ableiten: sie haben als Betrachtungsebene grundsätzlich an Aufmerksamkeit und Bedeutung gewonnen (als Standort, Integrationsmotor etc.) und sie benötigen für das neue Aufgabenspektrum alternative städtische Steuerungsformen, um den gewandelten Herausforderungen auch gerecht zu werden, denn: x

für die Städte bedeutet die wachsende Internationalisierung (von Unternehmen) nicht nur, dass lokale Eigenheiten zu verschwinden drohen, sondern dass spezifische lokale Kontexte eine steigende Bedeutung haben und daraus eine Erweiterung des Handlungsspielraumes entstehen kann;

x

Stadtpolitik hat in der postfordistischen Zeit einen weitaus größeren Management- und Empowerment-Charakter - es steht nicht mehr vordringlich die Distribution im Mittelpunkt;

x

Städte stehen im Mehrebenensystem der EU nicht mehr nur im Nationalstaat (hier: Bund)Land-Kommune Verhältnis, sondern können mittels EU erweiterte Fördermöglichkeiten nutzen und eine zusätzliche Option der Interessensvertretung aufbauen, ihr Handlungsspielraum wächst also, wie in den vorangegangenen Kapiteln dargestellt wurde;

x

es entsteht bzw. verschärft sich durch diese drei Triebkräfte auch der interkommunale Wettbewerb um Arbeitsplätze/ Unternehmen, um qualifizierte Arbeitnehmer, um ‚weiche‘ Qualitätskriterien wie Nachhaltigkeit, um Fördermittel etc. (vgl. hierzu Florida mit seinen „winners“, „loosers“ und „also-rans“ in der kreativen Ökonomie sowie Sassen, die den Wandel in der Bedeutsamkeit durch Transformation an Industriemetropolen vs. heutigen Finanzmetropolen aufzeigt, Florida; Sassen).

Diese vier Eckpfeiler (vgl. Sinnig) des kommunalen Handelns sind an dieser Stelle aufgeführt, da die Diskussion um ein zunehmendes Missverhältnis zwischen kommunaler Selbstverwaltung resp. kommunale Planungshoheit und dem ‚Durchgriff‘ der EU rege in Wissenschaft und Praxis geführt wird. Die Kommunen stellen vor diesem Hintergrund den konkreten und aktuell stark geforderten Handlungsraum für das nachhaltige Vorgehen sowohl auf strategischer als auch auf Umsetzungsebene dar. Hier müssen die Anforderungen einer Nachhaltigen Stadtentwicklung gesamtstädtisch wie teilräumlich so weit operationalisiert werden, dass sie in kleinräumigen Handlungsstrategien

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und konkreten Maßnahmen erkenn- und messbare Wirkung erzielen. Die kommunale Daseinsvorsorge, die verfassungsrechtlich im Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz verankert ist und in den Gemeindeordnungen der Bundesländer konkretisiert wird und der Stadtverwaltung und -politik verpflichtet sind, beinhaltet die Ausprägungen aller drei Dimensionen der Nachhaltigkeit - sie gehören damit bereits zum klassischen Aufgabenfeld der Stadtplanung und entwicklung. Aber auch hier wird dem Ansatz der Nachhaltigkeit i.S. der Ganzheitlichkeit seit einigen Jahren eine völlig neue Bedeutung beigemessen. Dies spiegelt sich vor allem in den zur Anwendung kommenden Verfahrensweisen wieder. Gesamtstädtisch Nachhaltige Stadtentwicklung kommt nicht umhin, die Stadt als Ganzes zu betrachten. Seit ca. 2008 allgemein anerkanntes und von Bund und Ländern z. T. eingefordertes Kernelement der ganzheitlichen Vorgehensweise, des integrierten Handels und damit der Nachhaltigen Stadtentwicklung steuerungsseitig ist auf kommunaler Ebene das sog. Integrierte Stadtentwicklungskonzept (INSEK, informell). Es sieht eine Bündelung verschiedener Politikfelder ebenso wie eine Verzahnung von sektoralen Einzelmaßnahmen zu komplexen Schlüsselmaßnahmen vor. Abbildung 65 zeigt den INSEK-Kreislauf als Rahmen für alle zu koordinierenden Einzelarbeitsschritte der integrierten Stadtentwicklungsplanung auf.

302

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Bestandsaufnahme, Situationsanalyse

Prozessbegleitung

Monitoring

Prognose

INSEK

Umsetzung, Projekte

Szenarien

Handlungsansätze

Leitbild

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 65: Arbeitsbausteine eines Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes (Quelle: Weidner, 2005; S.238) Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept dient den Städten und Gemeinden dazu, auf umfänglicher Datenbasis (Bestandsaufnahme und Situationsanalyse sowie Prognosen) eine Zielrichtung und Entwicklungsstrategie (Szenarien und Leitbildentwicklung) zu schaffen und Möglichkeiten zum

Umgang

mit

der

Situation/

Problemlage

(Handlungsansätze

und

Projekt-/

Maßnahmenrealisierung) aufzuzeigen (den Weg oder das konkrete Ziel). Über die intensive Prozessbegleitung kann das dringende Erfordernis der Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure in den Entwicklungs-, Entscheidungs- und Umsetzungsprozess erfolgen. Damit ermöglicht es diese Struktur, in einem offenen Planungsverständnis sowohl die unerlässlichen Minimalaufgaben der immensen Transformationsprozesse im „Tagesgeschäft“ strukturiert und abgestimmt anzugehen als auch langfristige Visionen darzustellen und deren jeweilige Abhängigkeiten und Erfordernisse für alle Akteure kenntlich zu machen. Leider sind diese Integrierten Stadtentwicklungskonzepte vielerorts nach wie vor noch kein wirkliches Arbeitsmittel der Kommunen zur Gewährleistung von Nachhaltiger Stadtentwicklung, sondern werden mit Blick auf Fördermittelakquise für Ministerien und andere Mittelgeber in einer Art „institutionellem Gehorsam“ erstellt und somit mehr als lästige Pflichtaufgabe denn als hilfreiches interdisziplinäres Steuerungsinstrument verstanden. Neben dem an Bedeutung gewinnenden INSEK steht als klassisches Steuerungsinstrument für die gesamtgemeindliche Entwicklung der Flächennutzungsplan (§ 5 BauGB ff.) zur Verfügung. Dieser sog. vorbereitende Bauleitplan, hat keine unmittelbare rechtliche Wirkung gegenüber der Zivilgesellschaft sondern beinhaltet lediglich behördenintern bindende Vorgaben hinsichtlich der der aus

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ihm zu entwickelnden Bebauungspläne sowie unverbindliche Hinweise zur Entscheidung über Genehmigungen von Vorhaben. Damit kann er aber auch zur Weichenstellung hinsichtlich einer Nachhaltigen Stadtentwicklung herangezogen werden und die Grundzüge dieser darstellen, so z.B. bei Flächen für Nutzungsbeschränkungen, Flächen zum Ausgleich von Eingriffen in Natur und Landschaft etc. Teilräumliche und Sektorale Ansätze Abgeleitet aus dem gesamtstädtischen Ansatz definieren die Kommunen für prioritäre Teilräume (z. B. Quartiere, Stadtteile, Blöcke, Straßenzüge von Magistralen) Konzeptionelle Stadtteilentwicklungskonzepte als ebenso integrative Instrumente, die durch ähnliche Verfahrensweisen gekennzeichnet sind und deswegen hier nicht im Detail weiter erläutert werden. Der Schwerpunkt liegt im teilräumlichen Bereich auf den in der Leipzig Charta als benachteiligte Stadtquartiere bezeichneten Quartieren. Hier setzt bspw. auch das in Pkt. 2.4.3.2 erwähnte Bund-LänderFörderprogramm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt“ an. Dieses gilt für Stadtteile, die infolge von sozialräumlicher Segregation davon bedroht sind, ins soziale Abseits zu geraten (Abwärtsspirale, down-cycle-process). Sie weisen Defizite in den Bereichen baulicher

Zustand/

Sanierungsgrad,

lokalökonomische

Situation

sowie

Wohnungs-

und

Wohnumfeldqualität auf. Ansatzpunkt ist es, durch einen effizienten Fördermitteleinsatz mit investiven ebenso wie nicht investiven Maßnahmen (meist Quartiersmanagement u.ä.) die Lebenssituation der Bewohner zu verbessern. Einsparungen in der Städtebauförderung bedrohen aktuell vor allem dieses erfolgreiche Förderprogramm. Darüber hinaus existieren entsprechend der Funktionslayer von Stadt auch sektorale Konzepte, wie z. B. Wohnraumversorgungskonzepte, Einzelhandelskonzepte, die weniger integrativ motiviert sind. Das Pendant zum o. g. Flächennutzungsplan auf teilräumlicher kommunaler Ebene stellt der Bebauungsplan (§9 BauGB ff.) als sog. verbindlicher Bauleitplan dar. Ebenso wie der Flächennutzungsplan dient er der Steuerung der städtebaulichen Entwicklung, hier als formelles, gegenüber Dritten verbindliches Instrument der Stadtverwaltung/-politik. Über seine Festsetzungen werden vor allem die Art (Funktion) und das Maß der baulichen Nutzung (Dichte) geregelt. Diese und weitere Festsetzungsmöglichkeiten ermöglichen es, zumindest theoretisch, starken Einfluss auf die Einhaltung von Nachhaltigkeitsaspekten zu nehmen und in der Summe von mehreren Bebauungsplänen dann auch Erfolge zu verzeichnen.

304

2.4.3.5

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Private und Einzelinitiativen

Neben den Ansätzen der öffentlichen Hand im weiteren Sinne zeichnen sich ergänzend vermehrt private Initiativen ab, die sich in ihrem unternehmerischen Handeln und ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement mit der Nachhaltigen Stadtentwicklung auseinandersetzen. Diese sind flankierend von großer Bedeutung, da die auftretenden unvermeidbaren (Ziel-) Konflikte zwischen den Dimensionen nicht alleine im politisch-administrativen System gelöst werden können. Mit teilweiser Gewichtsverlagerung auf eine Dimension der Nachhaltigkeit, hier meist die ökologische bzw. energetische Ausprägung, finden sich exemplarisch Ansätze wie die Smart City Konzepte oder der von Siemens mit Verve betriebene German Green City Index. Neben diesen technisch motivierten und ausgestalteten Vorhaben gibt es auch – wie in der Planungsgeschichte an wichtigen (gesellschaftlichen) Wendepunkten wiederkehrend – Visionen und Experimente für zukünftige Lebens- und Siedlungsformen. So einzuordnen wäre bspw. Masdar City, die ZeroEmissions-City. Sie bietet eine Projektion möglicher Entwicklungsrichtungen, die auf dem technischen Entwicklungsfortschritt und veränderten Verhaltensmustern der Bevölkerung dieses Jahrhunderts basieren. Masdar City wird seit 2008 (Fertigstellung ursprünglich für 2010 geplant) etwa 30 Kilometer östlich der Hauptstadt von Abu Dhabi errichtet. Die Planstadt von Foster & Partners soll auf einer Fläche von 6 km² etwa 47.500 Einwohner und rund 1.500 Firmen und Institute aus dem Ökologiesektor (Wissenschaftsstadt) beherbergen. Der Öffentliche Personennahverkehr sowie die erneuerbaren Energien in geschlossenen Stoffkreisläufen spielen in dieser „Ökostadt“ eine tragende Rolle des Konzepts der Nachhaltigkeit. Das Projekt ist im Zuge der Finanzkrise 2009 allerdings in zeitlichen Verzug geraten. 2.4.4

Ausgewählte Zukunftsthemen und -aufgaben der Nachhaltigen Stadtentwicklung

Wie z. T. in den vorangegangenen Ausführungen deutlich wurde, ist die Philosophie der Nachhaltigen Stadtentwicklung über ihre Entwicklungsgeschichte bereits breit verankert, gesellschaftlicher Konsens und Tagesgeschäft von Planern, Architekten und Immobilienwirtschaftlern. Allerdings deuten sich immer neue Herausforderungen an, die dazu führen, dass sich weitere damit einhergehende Zukunftsthemen und –aufgaben bereits jetzt abzeichnen. 2.4.4.1

Klimawandel

Dominierendes Thema in wissenschaftlichen Diskussionen wie Alltagsdebatten zu zukünftigen Herausforderungen ist der Klimawandel. Für eine nachhaltige Stadtentwicklungsplanung sind hier zwei Betrachtungs- und Handlungsrichtungen relevant. Zum einen ist dies die Vermeidung von „klimaschädigendem Verhalten“, die sog. Mitigation, zum anderen steht die Anpassung der

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Regionen, Städte und Stadtbausteine an veränderte klimatische Bedingungen im Fokus, die sog. Adaption. Anhand von festgestellter Vulnerabilität gegenüber den daraus erwachsenden Einflüssen der Städte und Quartiere je nach Lage etc. werden auf instrumenteller Ebene seit ca. drei Jahren Klimaschutzkonzepte (sektorale informelle Konzeptionen) erstellt, die beide Stoßrichtungen berücksichtigen und entsprechende Maßnahmen dazu entwickeln. Hier werden zahlreiche Ansätze aus technischer planerischer sowie „aufklärerischer“ Sicht zusammenführt, wie z. B. der Einsatz regenerativer Energien, die Forcierung der Einrichtung von geschlossenen Stoffkreisläufen, die Umsetzung integrativer Mobilitätskonzepte etc. Diese Konzepte werden für verschiedene Maßstabsebenen mit entsprechender Detaillierung erarbeitet. Es gibt bereits Erfahrungen damit, so z. B. in der Stadt Freiburg im Breisgau, die als eine der ersten mit umfassendem Ansatz (Beachtung der demografischen Verschiebungen etc.) ein derartiges Konzept erstellt hat. 2.4.4.2

Zertifizierung der Nachhaltigkeit von Stadtbausteinen

Aus diesem Verständnis leitet sich zumindest partiell auch ein weiteres Zukunftsthema ab: Die Nachhaltigkeitsdebatten am Objekt sind in der Bau- und Immobilienbranche (Green Building etc. als Resultat aus gebäudebezogenen Zertifizierungssystemen) inzwischen allgegenwärtig, nun aber auch mit globalem Bezugsrahmen (Klimawandel, Erderwärmung) aus der Fachdiskussion auf die Disziplin übergreifende Tagesordnung geholt. Die Herangehensweise, Gegebenheiten und Entwicklungsoptionen im Kontext der Nachhaltigkeit zu bewerten und nach standardisierten Verfahren zu zertifizieren, resultieren damit fachlich/thematisch aus der Immobilienwirtschaft bzw. beispielgebend aus dem angloamerikanischen Raum. In dieser Sparte bzw. diesen Ländern nehmen Entwicklungs- und Anlagestrategien die Nachhaltigkeit mittlerweile konkret und zentral in den Fokus. Hintergrund des Ansatzes der Zertifizierung von Stadtquartieren, also das Gebäudezertifikat auf die Quartiersebene zu übertragen, ist es, ein einzelfallübergreifendes und Vergleiche erlaubendes wertorientiertes Verfahren zu entwickeln und damit z. B. Investitionsentscheidungen transparent und nachvollziehbar zu machen. Ob ähnliche Parameter im Sinne von Nachhaltigkeit für die Stadtentwicklungsplanung von Nutzen sein können, hat vor allem das BMVBS durch eine Kommission untersuchen lassen, die 2009/2010 ein Meinungsbild zum Nutzen von Zertifizierungssystemen entwickeln und gegebenenfalls konkrete Handreichungen für deren Anwendung erarbeiten sollten (DV 2010). Soll diese Übertragung diskutiert werden, muss rekapituliert werden, welchen Hintergrund das Verfahren in der Immobilienwirtschaft hat. Hier werden private und öffentliche Unternehmen resp. deren Objekte auf eigenes Drängen zertifiziert, um ihre Marktchancen zu erhöhen – der „flo-

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rierende Green Building Markt“ ermuntert dazu. Dies geht mit einer steigenden Nachfrage nach vergleichbaren Messgrößen/Zertifikaten für bauliche Qualitäten einher. Für den städtebaulichen Maßstab könnte man zum Einstieg Ansätze aus England entlehnen, die bereits Erfahrung mit der Bewertung von Städten bzw. Quartieren gesammelt haben, so bspw. BREEAM-Communities (www.breeam.org). Eine besondere Schwierigkeit für eine Anwendung eines Zertifizierungssystems auf Stadtquartiere besteht ganz grundlegend in der existierenden Vielfalt der Typen von Stadtquartieren und deren Eigenschaften (Altbauquartier, Großwohnsiedlung/ Plattenbaugebiet, Einfamilienhausgebiet). Reiß-Schmidt bringt es wie folgt auf einen Nenner: „Städte sind mehr als die Summe ihrer Gebäude und Infrastrukturen. Ihre geografische, historische, soziale und kulturelle Individualität und Identität entzieht Städte in ihrem Wesenskern der Reproduzierbarkeit und der Standardisierung“ (Pahl-Weber, 2010). Aus England sind die Ansätze also bekannt, in Deutschland ruht die Diskussion – bis auf die von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ab Anfang 2011 angebotene Zertifizierung von Masterplänen als eine erste Ausweitung von der Objekt- auf die Flächenebene (dieses Verfahren funktioniert mittels einer vorzertifizierten Baubeschreibung für Neubauprojekte in den Nutzungsprofilen Industrie, Handel, Hotel und Wohnen) - etwas seit Fertigstellung des o. g. sich zurückhaltend positionierenden Gutachtens. Vielleicht unerwartet intensiv setzen sich aber derzeit die USA mit dem nachhaltigen Bauen auseinander – sicherlich als Resultat aus der sehr schweren Immobilienkrise dort. Sind in Deutschland die Aktivitäten von der DGNB und damit durch technische Merkmale und leicht messbare Kriterien dominiert, so stellt sich die USA breiter auf: Verschiedene Verbände kooperieren übergreifend, so z. B. Umweltverbände, Städtebauverbände und Zertifizierungsverbände für nachhaltiges Bauen, um gemeinsam Richtlinien für nachhaltige Quartiere zu erstellen. Wie in Kapitel 2.4.2 bereits deutlich wurde, stellt die Operationalisierung der konsensualen Nachhaltigkeitsziele eine große Herausforderung dar. Von den quartiersbezogenen Indikatoren, die im Zuge einer Zertifizierung definiert werden müssten, werden Aussagen und somit Rückschlüsse erhofft, an welchen Dimensionen des Nachhaltigkeitsdreiecks der jeweils größte Handlungsbedarf besteht bzw. welche Themen den geringsten Zielerreichungsgrad aufweisen. Die Zertifizierung würde also einen nächsten „wertenden“ Schritt nach der Indikatorenentwicklung und dem Monitoring darstellen, denn das Endergebnis eines Zertifizierungsverfahrens impliziert eine vorausgegangene Messung und Bewertung von Qualitäten. Die Diskussion um die Entlehnung der inzwischen erprobten Vorgehensweise aus der Immobilienwirtschaft bzw. dem anglo-amerikanischen Raum in die Stadtentwicklungsplanung ist noch nicht abgeschlossen. Die Vor- und Nachteile einer Zertifizierung sollten vor deren Einführung als

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Instrument sensibel abgewogen werden. Für eine Art Zertifizierung im Sinne des dargelegten Erfordernisses von Nachhaltigkeitsaspekten könnten sprechen: x

Beitrag zur Umsetzung/Operationalisierung der Leipzig Charta: Ziele wie Nachhaltigkeit sind zwar eher konsensfähig, solange sie abstrakt bleiben und nicht konkret mit Anforderungsniveaus unterlegt sind. Für die Umsetzung von Zielen ist eine solche Konkretisierung jedoch unabdinglich. Ein Zertifizierungssystem, also eine Bewertung von Qualitäten, kann wirksam werden über Marktmechanismen, über die allmähliche Änderung von Wertvorstellungen oder über die Verankerung in gesetzlichen Normen/Vorschriften. Die ersten beiden Wege sind besonders geeignet, Dynamik und Flexibilität der Systeme zu erhalten.

x

Beitrag zur Transparenz und Vergleichbarkeit von Qualitäten: Ein Zertifizierungssystem kann die Qualität von Quartieren für Investoren und Verbraucher, für Politik und Verwaltung transparent machen und der Beliebigkeit von Begriffsverwendungen wie nachhaltige Stadt entgegenwirken.

x

Wissensgenerierung auf Quartiersebene: Im Bereich des Klimaschutzes konzentriert sich die Diskussion bislang vor allem auf die Gebäude- und die globale Ebene. Zur Bedeutung von Siedlungsstrukturen etc. existieren umfangreiche Wissensdefizite, die es zu schließen gilt.

Gegen dieses Vorgehen einer Zertifizierung sprechen u. a.: x

Generelle Fehleranfälligkeit solcher Systeme in hochkomplexen Strukturen wie sie Quartiere darstellen. Alle Systeme bilden die Realität immer nur in Teilen ab (Auswahl einzelner Dimensionen, Wahl der Kriterien, Wichtung etc.).

x

Stigmatisierung benachteiligter Gebiete: Weitere Abwertung ohnehin benachteiligter Stadtquartiere und wenig marktgängiger Bestände, ggf. sogar physische Abgrenzung zwischen hoch zertifizierten und niedrig bewerteten Quartieren (‚gated community vs. red line district‘) zur Absicherung des erreichten Qualitätsstandards.

x

Kontraproduktive kommunalpolitische und privatwirtschaftliche Reaktionen: Politik wird ausgerichtet am Ziel, die Kriterien zu erfüllen/der Statistik zu genügen sowie ergänzend ausbleibende privatwirtschaftliche Investitionen aufgrund des Imagefaktors (verstärkend zur tatsächlichen Situation).

In diesem Handlungsfeld wird sich in den nächsten Jahren eine dynamische Entwicklung zeigen. Zunächst könnten exemplarische Erprobungen in der Praxis ein nächster Schritt sein. Mindestan-

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forderungen an solche Zertifizierungssysteme als unterstützende Instrumente zur Gewährleistung von Lebensqualität in den Stadtquartieren wären klare Zieldefinitionen, nachvollziehbare Bewertungen, Handhabbarkeit für alle Akteure/Betroffenen, Neutralität auf Seiten der Systemanbieter, Wirksamkeit und eine zu Grunde liegenden Freiwilligkeit, also eine Steuerung über Anreizsysteme. 2.4.5

Fazit

Zu konstatieren ist ein erfreulich fortgeschrittener Prozess der Implementierung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Stadtentwicklung auf breiter Front und auf allen Steuerungsebenen – jedoch ist zur Erreichung der Zielstellung bzw. zur Vorbereitung auf weitere Herausforderungen eine intensive Fortentwicklung des bereits Erreichten dringend erforderlich. Vielfach ist nach wie vor eine Diskrepanz zwischen allgemeinen Bekenntnissen zum Leitbild der Nachhaltigen (Stadt) Entwicklung und den konkreten Programmen und Maßnahmen festzustellen. Soll die Nachhaltige Stadtentwicklung weiter qualifiziert und implementiert werden, ist es erforderlich, die Auseinandersetzung mit den notwendigen und möglichen Steuerungsinstrumenten zu forcieren und dabei darauf zu achten, die Begrifflichkeit nicht weiter über zu strapazieren. Nicht eingegangen werden konnte in den vorangegangenen Ausführungen auf die zahlreichen existierenden Instrumente und Handlungsweisen (vor allem auch politische), die das Leitbild und die Handlungsmaxime der Nachhaltigen Stadtentwicklung nach wie vor konterkarieren. Ein langfristiges, auf Ausgleich, also eine Balance von Ökologie, Ökonomie und Soziokultur gewährendes, angelegtes Konzept in gesellschaftlichem und politischem Konsens erfordert nicht nur in den Disziplinen der Stadtentwicklung, Stadtplanung, Architektur, Bauwesen und Immobilienwirtschaft umorientiertes Denken. Im Diskurs um eine Nachhaltige Stadtentwicklung, also eine kritische Reflexion von Governanceaspekten gegenüber der Diskussion allgemeiner Zielvorstellungen, und die Durchführung konkreter Einzelmaßnahmen muss noch mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Dazu fehlen jedoch noch angemessene Analyse- und Bewertungsinstrumente. Sowohl ein regelmäßiges Monitoring als auch die Bewertung der realen Stadtentwicklungsprozesse im Hinblick auf die Ziele einer Nachhaltigen Stadtentwicklung existieren bisher nur in Modellen und Beispielen, nicht jedoch in der alltäglichen Praxis vor Ort. Aktuell werden diese Indikatorensysteme erneut weiterentwickelt vor dem Hintergrund der geforderten Evaluation des Fördermitteleinsatzes.

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abgerufen

am

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2.5

Planungskonzepte im gesellschaftlichen Wandel

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Kunibert Wachten, Steffen Nadrowski 2.5.1 2.5.2 2.5.2.1 2.5.2.2

Einleitung Werte, Leitbilder, Konzepte in der Stadtplanung Planungsverständnis und planerisches Handeln Planungskulturen seit 1945 – eine Annäherung 2.5.2.2.1 Wiederaufbau und Auffangplanung 1945 – 1959 2.5.2.2.2 Integrierte Entwicklungsplanung 1960 – 1975 2.5.2.2.3 Kleinteilige Stadterneuerung 1975 – 1989 2.5.2.2.4 Nachhaltige Stadtentwicklung der 1990er Jahre 2.5.2.2.5 Demographischer Wandel und soziale Spaltung im 21. Jahrhundert 2.5.2.3 Pendelschlag der Planungskonzeptionen 2.5.2.3.1 Wandel städtebaulicher Leitbilder und Planungsverständnisse 2.5.2.3.2 Wissensressourcen der Planungspraxis 2.5.3 Konzeptionelle Ansätze in aktuellen Handlungsfeldern 2.5.3.1 Strukturumbrüche in Wirtschaft und Gesellschaft 2.5.3.2 Konzepte gestaltender Regionalplanung 2.5.3.2.1 Der Bedeutungsgewinn der Region 2.5.3.2.2 Die REGIONALE in Nordrhein-Westfalen 2.5.3.2.3 Strukturentwicklung durch Gestaltqualität 2.5.3.3 Strategische Planung in der Stadtentwicklung 2.5.3.3.1 Neue Formen übergreifender Konzepte 2.5.3.3.2 Werkstattverfahren in der Stadtentwicklung – der „Schwerter Weg“ 2.5.3.3.3 Wissensressourcen in der strategischen Planung 2.5.3.4 Die City als Werkstatt 2.5.3.4.1 Innenstädte unter Druck 2.5.3.4.2 „Werkstatt Innenstadt“ – Konzepte aus Rheinland-Pfalz 2.5.3.4.3 Innenstadtentwicklung im Netzwerk 2.5.3.5 Soziale Stadt – Stadtteilentwicklung im Dialog 2.5.3.5.1 Das Programm „Soziale Stadt“ 2.5.3.5.2 Konzepte zur Quartiersentwicklung in Aachen 2.5.3.5.3 Kooperative Konzeptentwicklung in der Stadtteilwerkstatt 2.5.3.6 Stadtumbau in der schrumpfenden Stadt 2.5.3.6.1 Die Herausforderung des demographischen Wandels 2.5.3.6.2 Stadtumbau West als ExWoSt-Forschungsfeld 2.5.3.6.3 Essen – schrumpfende Stadt im Ruhrgebiet 2.5.4 Die Renaissance der großen Pläne Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.5

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2.5 Planungskonzepte im gesellschaftlichen Wandel Kunibert Wachten, Steffen Nadrowski 2.5.1

Einleitung

Stadtplanung mit ihren Leitbildern, Konzepten und Instrumenten entwickelt sich aus ihren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen heraus, um auf wechselnde Herausforderungen zu reagieren. Dieser Wandel der Stadtplanung steht jedoch selbst in eigener Tradition und Geschichte: Neue Trends in der Planung dürfen daher nicht nur als Reaktion auf aktuelle Erfordernisse verstanden werden, sondern sind auch Ausdruck bewusster Gegenbewegungen und verarbeiteter Erfahrungen aus vorangegangenen Planungsphasen. Um gegenwärtige Strategien und konzeptionelle Ansätze der Stadtplanung einordnen und bewerten zu können, ist daher nicht nur ein Blick in die Gesellschaft erforderlich, sondern auch ein Blick in die jüngere Geschichte der Planung. In historisch-theoretischer Annäherung wird unter 2.5.2 die Geschichte der Planungskultur in Deutschland seit dem Ende des zweiten Weltkrieges umrissen. Dabei werden die jeweils entstandenen Leitbilder, Konzepte und Instrumente aus ihren gesellschaftlichen Notwendigkeiten heraus begründet. Der Streifzug durch die Geschichte zeigt, unter welchen Bedingungen stadtplanerische Konzepte entstanden sind, die auch heute noch Anwendung finden. Deutlich wird jedoch auch, dass für eine Bewertung der Zukunftsfähigkeit planerischer Konzepte nicht nur die Konzepte selbst von Bedeutung sind, sondern auch der gesellschaftliche Kontext, die Rezeption anstehender Aufgaben und das jeweilige Planungsverständnis, in dem Konzepte Anwendung finden. Der Blick in die Geschichte wird in 2.5.3 um einen Blick in die gegenwärtige Stadtentwicklung ergänzt. Soziale, wirtschaftliche und politische Umbrüche in Deutschland bedeuten neue Herausforderungen für die Stadtplanung. Traditionelle Konzepte werden unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und mit einem neuen Planungsverständnis auf aktuelle planerische Probleme angewendet und erfahren dadurch eine Weiterentwicklung. Um dies zu illustrieren, werden exemplarisch fünf aktuelle Handlungsfelder der Stadtplanung herausgegriffen, die in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen haben und weiter gewinnen werden. An ihrem Beispiel wird aufgezeigt, wie sich die gegenwärtige Entwicklung stadtplanerischer Konzepte in der Dialektik aus historischer Erfahrung und neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vollzieht. Der letzte Abschnitt verdeutlicht in einer übergreifenden Analyse der unterschiedlichen Praxisfelder die gemeinsamen Muster in der Genese von Planungskonzepten und entwirft ein Bild gegenwärtiger Planungskultur.

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2.5.2

Werte, Leitbilder, Konzepte in der Stadtplanung

2.5.2.1

Planungsverständnis und planerisches Handeln

Eine Region hat mit dem Verlust großer Unternehmen zu kämpfen. Planer analysieren die Wettbewerbsfähigkeit der Region, decken neue Positionierungsmöglichkeiten auf und entwickeln Strategien zur regionalen Profilierung. Ein Stadtteil droht aus dem sozialen Gleichgewicht zu geraten. Seine Struktur wird analysiert, Programme werden aufgestellt, Konzepte entwickelt, ein Stadtteilmanagement eingesetzt. Die einleuchtende Folge von der planerischen Problemstellung über die Analyse zum Konzept und schließlich zur Umsetzung suggeriert eine ewig währende Gültigkeit dieser Schritte auf allen Maßstabsebenen. Zu Recht – dieser Ablauf macht einen großen Teil unseres Verständnisses von Planung aus. Und dennoch wird das jeweilige „Konzept“ nicht nur aus der akuten Situation heraus entwickelt. Der routinierte Griff in den planerischen Werkzeugkoffer lässt vergessen, wie sich dieser im Laufe der Geschichte gefüllt hat und welche Kräfte heute zu einem ganz bestimmen Werkzeug greifen lassen, während andere unbeachtet bleiben. Auch in den genannten Beispielen sind wesentliche Entscheidungen über die Konzeptentwicklung bereits weit vor der Analyse des räumlichen Problems gefallen. Allein die Feststellung, eine Situation erwecke Handlungsbedarf, beruht auf einem umfassenden Gerüst an Werten und Normen. Das Erkennen des Phänomens, die Rezeption des Problems durch den Planer ist ebenso vorbelastet wie sein Handeln – beides ist geprägt durch persönliche und fachliche Biographien, durch den kollektiven Erfahrungshorizont der Disziplin, durch politische Abhängigkeiten, durch planerische Traditionen und Moden, durch haushaltspolitische Spielräume und zahlreiche weitere Einflüsse. Dieser Gedanke lässt sich konkretisieren, indem zwei Seiten differenziert werden, die das Planungsverständnis und planerisches Handeln in einer Epoche maßgeblich prägen: eine „äußere“ Seite, die die aktuellen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen und Aufgabenstellungen umfasst, und eine „innere“ Seite, die sich aus der Entwicklung der Stadtplanung selbst, ihrer Tradition, ihrer Abfolge von Leitbildern, städtebaulichen Debatten und Planungsauffassungen ergibt. Dabei geht die äußere Seite unaufhörlich in das herrschende Planungsverständnis und damit auch in den historischen Erfahrungsschatz der Disziplin ein, so dass von einem Wechselverhältnis der beiden Seiten gesprochen werden kann. Unter 2.5.2.2 wird der Blick auf die jüngere historische Entwicklung der Stadtplanung gerichtet, um dieses Wechselverhältnis in historischer Perspektive darzustellen. Es wird aufgezeigt, wie die jeweiligen äußeren Rahmenbedingungen planerisches Handeln im gesellschaftlichen Kontext ausformen, aber auch, wie historische Erfahrungen die Konzeptentwicklung in jeder Epoche prägen. Unter 2.5.2.3 wird die Schlussfolgerung gezogen, dass die Entwicklung stadtplanerischer Leitvor-

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stellungen im historischen Ablauf einem Pendelschlag zu gleichen scheint, der nicht nur im Wechsel städtebaulicher Leitbilder deutlich wird, sondern ebenso im Wandel planerischer Methodologie. 2.5.2.2

Planungskulturen seit 1945 – eine Annäherung

Der geläufige Umgang mit dem Begriff der „Stadtplanung“ täuscht darüber hinweg, dass die Disziplin vergleichsweise jung ist: Die Begründung ihrer industriegesellschaftlich geprägten Tradition lässt sich auf den Beginn des 20. Jahrhunderts festlegen. Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges lassen sich fünf Phasen der Stadtentwicklung und Stadtplanung definieren, die kurz umrissen werden sollen, um die jüngste von ihnen eingehender beleuchten zu können (vgl. u.a. Harlander, Sieverts/Ganser, Mayer/Siebel). 2.5.2.2.1 Wiederaufbau und Auffangplanung 1945 – 1959 Die erste Phase der Nachkriegs-Stadtentwicklung in der Bundesrepublik ist geprägt durch den Wiederaufbau der deutschen Städte und Regionen bis zum Ende der 1950er Jahre. Anknüpfend an die Vorkriegserfahrungen stellte sich in den Wiederaufbauplänen eine konzeptionelle Bandbreite dar, die von der historisch-genauen Rekonstruktion bis zum radikal-modernen Konzept ohne Rücksicht auf den bestehenden Stadtgrundriss reichte. In einem Punkt jedoch waren sich Traditionalisten und Modernisten einig: in der radikalen Ablehnung der historischen gründerzeitlichen Stadt mit ihren dichten Blockstrukturen, Korridorstraßen und den unhygienischen und überfüllten Mietskasernen und Hinterhäusern. Das Trümmerfeld, das der Krieg hinterlassen hatte, wurde als Chance begriffen, um die aus der Jahrhundertwende stammenden Konzepte der Auflockerung und der Entwicklung zur Stadtlandschaft umzusetzen und eine organisch gegliederte Stadtstruktur mit fließenden Räumen und leistungsfähigen Verkehrsadern einzuführen. Die städtebaulichen Leitideen der Wiederaufbauphase zeichneten Bilder einer gegliederten, aufgelockerten und autogerechten Stadt. Wie die neuere Forschung zeigt, wurde damit personell und konzeptionell an die Stadtplanung der letzten Kriegsjahre angeknüpft (vgl. Durth/Gutschow). Viele für den Wiederaufbau maßgebliche Konzeptionen stammten von genau den Stadtbauräten, die bereits im „Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte“ des Rüstungsministers Albert Speer in den letzten Kriegsjahren ihre Ideen formulierten. Die 1950er Jahre waren durch eine Generation von Stadtplanern bestimmt, die einen wesentlichen Teil ihrer beruflichen Erfahrung zwischen 1933 und 1945 gesammelt hatten. Harlander sieht in dieser Kontinuität einen „Schlüssel zum Verständnis der so seltsam widersprüchlichen, so unpolitisch-technokratischen und sozial so wenig visionären Planungskultur der 50er Jahre“ (Harlander, S. 4).

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Mit Forderungen nach Funktionstrennung, Zonierung und Ausbau der Verkehrswege enthielt das Geburtsdokument der modernen Großstadt, die international bedeutsame „Charta von Athen“, vergleichbare Leitideen. Sie verbreitete sich in Deutschland ab etwa 1947. Die Planungskultur dieser ersten Phase nachkriegsdeutscher Planung war geprägt von einem weitreichenden gesellschaftlichen Konsens, der aus der offensichtlichen Not erwuchs und – auf der Grundlage der einfachen „Aufbaugesetze“ – zu schnellen Entscheidungen und Umsetzungen führte. Die „starken Stadtbauräte“ galten oft als unangefochtene Autoritäten eines Städtebaus, der als Technik und Handwerk verstanden wurde. Bedingt durch die private Massenmotorisierung in den 1950er Jahren wandelten sich die Aufgabenstellungen der Stadtplanung. Das Auto galt seit dem „Wirtschaftswunder“ auch in Deutschland als Symbol für Fortschritt und Wohlstand – die junge Republik knüpfte damit an eine Entwicklung an, die in den USA bereits dreißig Jahre früher eingesetzt hatte. Neben den neuen technischen Herausforderungen der Straßenplanung und Verkehrsabwicklung ermöglichte die Erhöhung des Motorisierungsgrades die flächendeckende Erschließung des Raumes – und damit auch die Suburbanisierung, das Zerfließen der Städte in ihr Umland. Bereits mit dem Ende der 1950er Jahre wuchs das Umland erstmals schneller als die Kernstädte. Kritik am Wiederaufbau und seinen „verpassten Chancen“ setzte ein, auf die die meisten Städte mit dem Bemühen um eine systematische Grundlegung ihrer Stadtentwicklung reagierten. Durch Vergabe von Gutachten an Hochschulprofessoren und den Einbezug von Ökonomen und Soziologen versuchte man, die handwerkliche Tätigkeit des Städtebauers auf ein wissenschaftliches Fundament zu stellen. Die gesetzlichen Grundlagen, aber auch geringe finanzielle Spielräume und die Organisation der Verwaltung erschwerten jedoch eine Realisierung der in den Gutachten enthaltenen Aussagen. 2.5.2.2.2 Integrierte Entwicklungsplanung 1960 – 1975 Mit dem Beginn der 1960er Jahre war der überwiegend auf die Stadtkerne bezogene Wiederaufbau weitgehend abgeschlossen und die Versorgung mit Wohnungen sichergestellt. Die neue Mobilität erforderte nun den Bau von leistungsfähigen Straßen und Trassen für den öffentlichen Personennahverkehr. Gleichzeitig wandelte sich das Gesicht der Innenstädte: Angestammte Nutzungen wurden durch Handel, Banken und Büros verdrängt, der Tertiarisierungsprozess durch den Blick auf das Vorbild der US-amerikanischen Central Business Districts verstärkt. Flächen für die funktional entmischten Innenstädte wurden bis in die 1970er Jahre hinein ohne Rücksicht auf historische Werte oder soziale Belange durch den großflächigen Rückbau von gründerzeitlichen Arbeiterquartieren in Innenstadtrandlage beschafft. Parallel zu dieser Entwicklung und erst durch die Motorisierung ermöglicht, bildeten sich am Stadtrand und in den Vororten Ei-

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genheimsiedlungen der Besserverdienenden heraus, während die Schichten am anderen Ende des gesellschaftlichen Spektrums in den Stadtkernen zurückblieben oder in die neuen Satellitenstädte und Großsiedlungen des sozialen Mietwohnungsbaus einzogen. Die neuen Siedlungen waren überwiegend als hochverdichtete und meist monofunktionale Schlafstädte konzipiert. Das Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ aus der Zeit des Wiederaufbaus entsprach nicht mehr der Dynamik des bis in die 1970er Jahre hinein ungebrochenen Wirtschaftswachstums und wurde zudem durch eine neue Planergeneration in Frage gestellt, die der drohenden Unwirtlichkeit der Städte – theoretisch begleitet durch Autoren wie Bahrdt, Mitscherlich oder Jacobs – die Idee einer „Urbanität durch Dichte“ gegenüberstellte. Die drängenden Probleme, die einerseits auf die gestiegene Motorisierung zurückzuführen waren, aber auch auf die raumfunktionale Arbeitsteilung und neue Ansprüche an die soziale Infrastruktur, erforderten die Entwicklung neuer Planungs- und Finanzierungsinstrumente. Der Komplexität der städtischen Entwicklung wurde die Verwissenschaftlichung von Planung gegenübergestellt, deren Hauptinstrument die „integrierte Stadtentwicklungsplanung“ war. Sie sollte nicht nur die Fachplanungen koordinieren, sondern auch die öffentlichen Haushalte als Motor einer zielgerichteten Gesamtentwicklung einsetzen (vgl. Sieverts/Ganser, S. 32ff.). Neben der Ausdifferenzierung der Förderinstrumente entstanden interdisziplinär besetzte Stadtentwicklungsabteilungen in den Verwaltungen und die Regionalplanung wurde in unterschiedlicher Form organisiert. Die Planungseuphorie dieser Phase, die maßgeblich auf einem weitgehend ungebrochenen Glauben an die technische Machbarkeit der Umwelt beruhte, führte zum Einsatz von modernen Planungsmethoden und Systemtheorien, von mathematischen Simulationsmodellen und dem Versuch einer aktiven Steuerung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Zusammenhänge. In zum Teil enger Kooperation mit Universitäten löste die integrierte Entwicklungsplanung die „Auffangplanung“ der primär rahmensetzenden Bauleitplanung ab, die die vorangegangen Jahre bestimmte. Bereits in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre folgte die Ernüchterung. Die Frustration bezog sich auf Erfahrungen mit den Unzulänglichkeiten der Entwicklungsplanung, die Sieverts und Ganser beschreiben: x

zu hohe Komplexität und daraus resultierende geringe Transparenz, öffentliche Resonanz und Akzeptanz,

x

mangelnde Präzision – der Entwicklungsplaner war dem Fachplaner unterlegen, wenn es um genaue Problembeschreibungen ging,

x

schwerfällige Korrigierbarkeit der Stadtentwicklungsplanung,

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x

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die unstete öffentliche Finanzpolitik infolge weltwirtschaftlicher Verwerfungen erschwerte langfristige Entwicklungsplanung,

x

Wachstumsgläubigkeit,

x

mangelhafte Prognosefähigkeit – erst im Laufe der 1970er Jahre setzte sich das Wissen über die geringe Prognostizierbarkeit komplexer Systeme durch,

x

mangelnde Sensibilität gegenüber ökologischen Themen (vgl. Sieverts/Ganser, S. 33).

Neben der Erkenntnis, dass die Möglichkeiten des Verwaltungshandelns angesichts der wachsenden Komplexität städtischer Wirklichkeit offenbar überschätzt worden waren, drängten auch die weltweiten ökonomischen Umbrüche zu neuen Denkweisen. Die mit der integrierten Entwicklungsplanung formulierten Ansprüche waren eng gebunden an das wirtschaftliche Wachstum und die Umverteilungsspielräume der 1950er und 1960er Jahre, die jedoch durch den Ölpreisschock und die „Grenzen des Wachstums“, die der „Club of Rome“ 1973 aufzeigte, pessimistischer eingeschätzt wurden. Das einsetzende Bekenntnis zur Deregulierung und die monetaristische Wirtschaftspolitik entzogen der Entwicklungsplanung die finanziellen Grundlagen, Planungen wurden entfeinert und mit Schwerpunkten versehen, einfache Zusammenhänge und schnelle Korrigierbarkeit standen im Vordergrund. 2.5.2.2.3 Kleinteilige Stadterneuerung 1975 – 1989 Die Phase der großen Stadterneuerungen und des Großsiedlungsbaus am Stadtrand war abgeschlossen, und im Zeichen eines postmodernen Wertewandels kam es ab Mitte der 1970er Jahre zu einer bemerkenswerten Verknüpfung von teils rückwärtsblickenden, restaurierenden Tendenzen mit zukunftsorientierten ökologischen Perspektiven des Stadtumbaus. Das „Europäische Denkmalschutzjahr 1975“ markiert diese Zäsur europaweit. Im Vordergrund der Stadtplanung stand nun die „Innenentwicklung“, in deren Zusammenhang der historische Stadtgrundriss eine ungeahnte Wertschätzung erfuhr. Der neue Historismus führte zu einer Orientierung auf die urbanen Qualitäten gründerzeitlicher Blockrandbebauung, die verheerenden „Flächensanierungen“ der 1960er Jahre wurden abgelöst durch inkrementalistische Stadterneuerungsprojekte und eine verstärkte Hinwendung zu denkmalpflegerischen Maßnahmen. In diesem Rahmen erhielten erstmals auch ökologische oder partizipative Aspekte eine besondere Bedeutung – wenngleich trotz aller Bemühungen in der Sozialplanung und Bürgerbeteiligung der Schutz der vorhandenen Sozialstruktur nicht immer gewährleistet werden konnte. Der Zielkonflikt lag in der eigentlichen Absicht der innerstädtischen Aufwertung selbst begründet: Durch die Revitalisierung der Stadtkerne sollte deren drohendem sozialen Abstieg entgegengewirkt werden – Attraktivierung musste dabei planmäßig auch soziale Aufwertung bedeuten. Indem die Innenstädte für die vermögenderen Mittelschichten wieder als attraktiver Wohnstandort hergestellt

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wurden, konnte die finanziell folgenreiche Stadtflucht zwar nicht gestoppt, aber doch vermindert werden. Die Innenstädte und Innenstadtrandlagen der Großstädte verzeichneten bereits in den 1980er Jahren wieder positive Wanderungssalden, so dass auch in quantitativer Hinsicht von einer Reurbanisierung gesprochen werden kann. Harlander weist jedoch darauf hin, dass insbesondere die nicht als Sanierungsgebiete festgelegten Quartiere von Gentrifizierungs- und Verdrängungsprozessen betroffen waren, die aufgrund der anhaltenden Wohnungsnöte vor allem auf den unteren Wohnungsteilmärkten eine bis heute anhaltende kommunalpolitische Herausforderung darstellen (vgl. Harlander, S. 7). Wenngleich auch die Innenstädte konsolidiert werden konnten – die Konzentration auf die Innenentwicklung führte zu einer Vernachlässigung der peripheren Großsiedlungen, mit denen sich zahlreiche Städte eine soziale Hypothek aufgeladen hatten, die erst in den 1990ern in ihrer wirklichen Bedeutung abgeschätzt werden konnte. In den industrialisierten Regionen Deutschlands wurde die bestandsorientierte Bewältigung der Innenentwicklung von einem weiteren Problemfeld überlagert, das sich seit den 1970ern gravierend auf die Stadtentwicklung auswirkte. Die zunehmende Globalisierung und Flexibilisierung ökonomischer Prozesse weltweit und der damit verbundene Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft hatte zahlreiche Arbeitsplatzverluste auch in den Stadtregionen Deutschlands zur Folge. In das Sichtfeld der Planung rückten nicht nur die durch Deindustrialisierungsprozesse ausgelösten Aufgaben des urbanen Strukturwandels, sondern auch die Frage der verschärften Standortkonkurrenz und der Herausbildung eines regionalen Profils. Angesichts der strapazierten kommunalen Haushalte waren diese Aufgaben nur unter Beteiligung privater Investoren lösbar. Die

Planungskultur

dieser

Phase

war

geprägt

durch

zahlreiche

Einzelmaßnahmen

(Inkrementalismus), die oft durch das informelle Instrument des städtebaulichen Rahmenplanes miteinander verknüpft wurden. Der Einbezug privater Akteure schließlich wurde seit 1993 mit den Instrumenten des Vorhaben- und Erschließungsplanes oder städtebaulicher Verträge im Rahmen von „Public Private Partnerships“ geregelt. 2.5.2.2.4 Nachhaltige Stadtentwicklung der 1990er Jahre Das Thema der ökonomischen Schrumpfung ist mit den Folgen der Deindustrialisierung insbesondere durch die Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher Park bereits seit Ende der 1980er Jahre auf die Agenda gesetzt worden. Nur selten wird jedoch erwähnt, dass auch die zweite große Sphäre des Schrumpfung, der natürliche Rückgang der Bevölkerungszahlen, bereits gegen Ende der 1980er Jahre thematisiert wurde.

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Mit dem Fall des eisernen Vorhangs 1989 und der Wiedervereinigung wurden die Effekte des demographischen Wandels in Westdeutschland jedoch verdeckt von kurzzeitigen Wanderungsgewinnen. Diese Bewegung ist auch der Grund für das Strohfeuer konjunktureller Belebung in den 1990er Jahren sowie für den Bauboom, den zahlreiche Städte in dieser Dekade erlebt haben. Die Welle von Zu- und Einwanderungen u.a. in Folge der Öffnung des ehemals sozialistischen Lagers und neuer Kriege in Europa führte in Verbindung mit weiteren Faktoren wie der zunehmenden Zahl von Haushalten und dem weiter steigenden individuellen Wohnflächenkonsum erstmalig seit den 1970er Jahren zur Realisierung neuer großflächiger Stadterweiterungen in den 1990er Jahren. Hierbei standen überwiegend vormoderne städtebauliche Formen Pate – gemischte, kompakte, dicht überbaute Blockrandbebauung entsprach am ehesten dem neuen Leitbild der „Nachhaltigen Stadtentwicklung“ (sustainable development), die seit der Rio-Konferenz 1992 sowie der Verabschiedung der Charta von Aalborg 1994 zum gängigen Leitbild der Stadtentwicklung geworden war. Eine lokale Reaktion auf globale Prozesse (Lokale Agenda) ist ebenso Bestandteil dieses Leitbildes wie die Absicht, soziale, ökonomische und ökologische Entwicklungen miteinander zu vereinen. Dabei ist eine Trendumkehr im Wohn- und Siedlungsflächenverbrauch sowie im Umgang mit Ressourcen und Energie wichtigstes und bis heute unerreichtes Ziel. Kritische Stimmen schätzen das Leitbild der Nachhaltigkeit daher als „letzte große Erzählung“ ein – einzureihen in die Liste der gesellschaftlicher Utopien, die als Anspruch an die städtebauliche und soziale Entwicklung im vergangenen Jahrhundert zwar immer wieder formuliert wurden, aber in der Realisierung weit hinter ihren Ansprüchen zurückbleiben mussten. Wie in vielen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft tritt in der Stadtentwicklung der ausgehenden 1990er Jahre die materielle Erweiterung zurück hinter die Qualifizierung der Bestände zu effizienten Bausteinen der Stadt. Die Planungskultur dieser Jahre ist maßgeblich durch das Vorbild der IBA Emscher Park und den „perspektivischen Inkrementalismus“ bestimmt. Stadtplanung wurde vorzugsweise durch Projekte gestaltet, die angesichts großer Unsicherheiten schnelle Ergebnisse versprachen und Diskurse über Stadtentwicklung rasch konkret werden ließen. Angesichts der schwachen Wachstumsimpulse bedeutete dies auch den Abschied von der Illusion einer flächendeckenden Planung: Die Stadtlandschaft in den Ballungsräumen wird als gegeben akzeptiert, um in ihr neue Gestaltungspotenziale zu entdecken und durch vernetzte Projekte – vergleichbar einer Akupunktur – das Gesamtbild zu verändern. Die Maximierung von Synergieeffekten, das Entwickeln von Projekten in Netzwerken mit übergeordneten Leitbildern findet nun in allen Maßstäben statt. Planung und Projekte sind dabei weniger das Resultat von umfangrei-

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chen räumlichen Analysen als ein Produkt von Aushandlung und Moderation unterschiedlicher Interessen im Raum. Kennzeichen dieser projektorientierten Planung sind nach Mayer und Siebel: x

Ziele sind in Worten formuliert statt in Plänen,

x

Bilder und Symbole spielen eine wichtige Rolle,

x

Software ist wichtiger als Hardware – die Problemdefinitionen, die Motivation der Akteure und ihre Werthaltungen sollen beeinflusst werden, Bauten sind da oft nur Mittel zum Zweck,

x

Vertrauen ersetzt die hoheitliche Satzung als Basis der Planung,

x

Kooperation tritt an die Stelle der Hierarchie, Konsens an die Stelle der Weisung,

x

Planung verfährt zunehmend informell, weniger formell,

x

es entsteht ein breites Spektrum an Akteuren und neuen Organisationen, die Aufgaben der Planung übernehmen,

x

Planung zieht sich auf punktuelle Interventionen zusammen, ihre Eingriffe sind räumlich, inhaltlich und zeitlich begrenzt, der Anspruch auf flächendeckende, umfassende und langfristige Planung wird aufgegeben,

x

die Umsetzung rückt in den Vordergrund,

x

es dominieren marktförmige Steuerungsprinzipien,

x

der Umgang mit Zeit wird bewusster, Befristung und Zeitdruck werden gezielt eingesetzt (vgl. Mayer/Siebel, S. 4).

2.5.2.2.5 Demographischer Wandel und soziale Spaltung im 21. Jahrhundert Mit Beginn des 21. Jahrhunderts wird zunehmend deutlicher, dass die Effekte des vorprogrammierten demographischen Umbruchs durch das „Wendewachstum“ nur verschoben, nicht jedoch ausgeräumt wurden. Die neuen Bundesländer setzen den „Stadtumbau Ost“ auf die Tagesordnung, der das Überangebot an Wohnraum stadtverträglich reduzieren soll, erste westdeutsche Städte und Regionen übertragen die Rückbau-Strategien unter dem Stichwort „Stadtumbau West“ auf ihre Verhältnisse. Nach der Diskussion um das ökonomische und soziale Nord-Süd-Gefälle in der Bundesrepublik der 1980er Jahre wird der fachliche Diskurs nun bestimmt durch die absehbaren Folgen des Bevölkerungsrückgangs und der Verschiebungen in der Altersstruktur, die sich in den Regionen unterschiedlich materialisieren. Der demographische Umbruch zeichnet sich durch eine gute Berechenbarkeit in seinen räumlichen Wirkungen aus, so dass erstmals seit vielen Jahren wieder ausführliche Analysen und Prognosen in der Stadtplanung gefragt sind. Dennoch stößt die Botschaft der unausweichlichen Rück-

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entwicklung der überwiegenden Zahl deutscher Städte insbesondere in Westdeutschland zunächst auf wenig Gehör – viele Kommunen setzen immer noch auf die Ausweisung neuer Wohnbauflächen, um Alterungs- und Abwanderungstendenzen zu vermindern. Nur langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass insbesondere den Großstädten das bauliche Kleid nicht nur in Ostdeutschland zu groß geworden ist. In das 2004 novellierte Baugesetzbuch wird neben dem Stadtumbau auch das zweite große Thema der stadtplanerischen Gegenwart aufgenommen: die Soziale Stadt. Die anhaltende wirtschaftliche Krise mit hoher Abhängigkeit von Transferleistungen großer Teile der Bevölkerung und der Fortzug derer, die es sich leisten können, aber auch die auslaufenden Bindungen im sozialen Wohnungsbau haben zu einer Spaltung der Großstädte geführt, die nun immer häufiger „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf“ feststellen. Das gleichnamige Bund-Länder-Programm versucht mit integrierten und ressortübergreifenden Ansätzen die Abwärtsspirale sozialräumlicher Segregation aufzuhalten. Dabei haben zahlreiche Städte die Notwendigkeit erkannt, strategische Pläne zu entwickeln – von der regionalen bis zur Stadtteil-Ebene. Der Plan scheint wieder gleichberechtigt neben das Projekt zu treten – wenngleich seine Steuerungsfunktion heute weniger in seinen Darstellungen selbst liegt als im Diskurs, der über ihn geführt wird. So dienen die neuen Pläne, die äußerlich der integrierten Stadtentwicklungsplanung von einst ähneln, eher als Mittel zur breiten Verständigung über die möglichen Zukünfte der Stadt. 2.5.2.3

Pendelschlag der Planungskonzeptionen

Der kurze Abriss von Planungsphasen im Nachkriegsdeutschland hat gezeigt, dass nicht nur veränderte politische Kräfteverhältnisse und technische Errungenschaften, soziale und ökonomische Trends Einfluss auf die Pläne und Konzepte der Stadtplanung haben, sondern auch das Echo der Geschichte, insbesondere die zu verarbeitenden Erfahrungen der jeweils vorangegangenen Planungsphase. Definiert man das Planungsverständnis als die Gesamtheit der dominanten Auffassungen in einer Planergeneration, lässt sich der Wandel im Planungsverständnis stark vereinfacht mit dem Bild des Pendelschlages beschreiben. Jede Planungsphase zeichnet sich dabei durch eine graduelle Ablehnung der vorangegangenen Planungskultur aus, die oft auch in den städtebaulichen Debatten zwischen den Protagonisten des Neuen und denen des Traditionellen nachvollziehbar wird. Hier scheint der Mechanismus eines kollektiven Lernprozesses auf, den die Disziplin durchläuft, und der sich sowohl auf das Objekt des Interesses, die Stadt, richtet, als auch auf das Subjekt, die Rolle der Stadtplaner und ihre Methodik.

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2.5.2.3.1 Wandel städtebaulicher Leitbilder und Planungsverständnisse So folgen auf die Erfahrungen mit der ungesunden Dichte der europäischen Stadt zum Ausgang des 19. Jahrhunderts die Nachkriegsleitbilder der Stadtlandschaft. Die Idee der gegliederten und aufgelockerten Stadt wird jedoch wieder abgelöst durch neue, diesmal sozial motivierte Dichtevorstellungen. Das Pendel des Verhältnisses von Stadt und Landschaft wird im Laufe des Jahrhunderts noch mehrmals hin- und herschlagen, zuletzt mit dem von Sieverts angestoßenen Diskurs zur „Zwischenstadt“ (vgl. Sieverts 1998). Weitere Pendelbewegungen sind in der Maßstäblichkeit von Planung zu beobachten. Auf die flächenhaften Abrisse der 1960er Jahre folgt die kleinteilige und behutsame Erneuerungsstrategie der 1980er Jahre, die – beinahe in einer gewissen Dankbarkeit um die wiedererlangte Möglichkeit machtvoller Eingriffe – durch das Denken in Großprojekten und ganzen Stadterweiterungen in den 1990er Jahren abgelöst wird. Das einfache Bild des Pendels muss allerdings bei genauerer Betrachtung der Komplexität versagen, denn es kommt teilweise auch zu einer Überlagerung der Leitbilder: Elemente vorangegangener Planungsphasen werden beibehalten, finden sogar – wie die Nachhaltigkeit oder Aspekte der Stadterneuerung – ihren Weg in kodifiziertes Recht oder dienen insbesondere zum Ausgang des Jahrhunderts als „Best Practice“. Oft bezeichnet diese Klassifizierung jedoch nur die guten Ausnahmen von einer ansonsten durch gegenläufige Trends geprägten Zeit. Das „gute Beispiel“ scheint sich schließlich zur postmodernen Form des städtebaulichen Leitbildes gemausert zu haben, nachdem übergreifende Leitbilder angesichts der augenscheinlichen Widersprüchlichkeit stadtplanerischer Aufgaben und dem Respekt vor dem konkreten Ort nicht mehr vorstellbar sind. So lassen sich die jeweils herrschenden Planungsverständnisse am ehesten nach den Gemeinsamkeiten der guten Beispiele beurteilen, die in ihrer Gesamtheit das LeitbildSurrogat der Postmoderne geworden sind. Diese konzeptionellen Gemeinsamkeiten sollen an aktuellen planerischen Handlungsfeldern in den nächsten Abschnitten herausgearbeitet werden. Die Pendelbewegung mit ihrer Ablehnung des Vorangegangenen lässt sich nicht nur in den Leitbildern, die auf das Objekt des Interesses gerichtet sind, sondern im Selbstverständnis der Disziplin und in ihrer Methodik wiederentdecken. Jeder rückwärtige Pendelausschlag wird dabei von „mahnender Kritik, gedämpfter Euphorie und resignierendem Fatalismus begleitet. Nach geraumer Zeit pflegen sich dann die Bewegungen in einer Mittellage ausgependelt zu haben“ (Frey et al., S. 13). So ist offensichtlich, dass nach dem pragmatisch-technisch geprägten Verständnis des Städtebaus in der Nachkriegszeit der Versuch der wissenschaftlichen Fundierung planerischen Handelns einsetzt, die ihren Gipfel in der integrierten Stadtentwicklungsplanung findet. Deren Scheitern jedoch lockert den Bezug von Planungswissenschaften und Planungspraxis wieder, die Berührungspunkte beider Stränge nehmen ab.

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Die Ablehnung der fundierten Analyse und des übergreifenden Planes, die Orientierung auf kurzfristig erfolgreiche Projekte, die handlungsorientiert entwickelt werden und keiner theoretischen Fundierung bedürfen, sind Ausdruck dieser Pendelbewegung, die sich auch in der Geringschätzung planungsbezogener Theorie an den Universitäten ablesen lässt. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts und neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen scheinen jedoch auch die Grenzen einer auf sich selbst orientierten Planungspraxis und allenfalls heuristischer, unmittelbar verwertbarer „Begleitforschung“ deutlicher. Die Kritik an verschenkten Synergien durch unverbundene Projekte, die zaghafte Wiedereinführung übergreifender Pläne und die Forderung nach wissenschaftlicher Begleitung bei großer Orientierungslosigkeit in der Praxis sind Ausdruck dieser Bewegung. Schließlich zwingen Phänomene wie der demographische Wandel, Alterung und Rückgang der Bevölkerung, die katastrophalen Folgen der sozialen Spaltung unserer Städte und der Zwang zu höchst effizientem Einsatz von Haushaltsmitteln zur Neuorientierung auf eine wissenschaftliche Folgenabschätzung, sogar zu neuer Grundlagenforschung – diesmal jedoch in besserem Wissen um die begrenzte Reichweite planerischen Handelns in einer komplexen Wirklichkeit. 2.5.2.3.2 Wissensressourcen der Planungspraxis Das Verhältnis von Planungspraxis und Planungswissen(schaft) lässt sich noch mit anderen Bildern beschreiben. Unterstellen wir planungsbezogene Theorie als nur eine Wissensquelle der Planungspraxis, neben der es weitere geben kann. In diesem Licht betrachtet werden auch die oft nur unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten beleuchteten Aspekte der Bürgerbeteiligung, der kooperativen Planungsstrategien, der diskursiven Planung zu Wissensquellen, die die akademische Wissenschaft in der Planung zunehmend ersetzt haben. Die Darstellung der Planungsphasen in Deutschland zeigt hierzu, dass die Abkehr von wissenschaftlich-theoretischer Fundierung der Praxis zusammenfällt – in der Frage der öffentlichkeitsuntauglichen Stadtentwicklungsplanung sogar kausal verknüpft scheint – mit der wachsenden Bedeutung von Kooperation und Kommunikation. Die Informations- und Wissensressource „Wissenschaft“ wird teilweise ersetzt durch die Wissensressource „Bürger“, später auch durch andere Akteure raumbezogenen Handelns. Das Expertenwissen beispielsweise des Bürgers um seine Wohnsituation scheint vielen praxiserprobten Planern unmittelbarer, authentischer und verlässlicher als das Expertenwissen z.B. des Stadtsoziologen (der als Quelle seiner Erkenntnis wohlgemerkt auch nur soziales Handeln und soziale Strukturen reflektieren wird). Diese Form der Akquise von Wissen korrespondiert mit einer direkten, konkreten und umsetzungsorientierten Praxis, die überwiegend durch Projektentwicklung geprägt ist. Bewahrheitet sich jedoch die im vorangegangenen Kapitel aufgestellte These der

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Rückkehr strategischer Pläne und übergreifender Konzepte, wird jedoch ein Rückgriff auf komplexere Wissensressourcen unausweichlich. Mit dem Eintritt in eine neue Planungsphase, deren Beginn wie bereits beschrieben für die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts vorgeschlagen wird, lässt sich folgerichtig beobachten, dass die Strategien zur Gewinnung planungsbezogenen Wissens in der Gegenwart sich wieder deutlich vervielfältigen. Um bei unserem einfachen Bild zu bleiben: das Pendel scheint zurückzuschlagen. Neben dem Erfahrungswissen des Planers und dem Alltagswissen von Betroffenen der Planung – den „Bürgern“ – verlagert sich die Aufmerksamkeit zunehmend auf weitere – nicht nur raumrelevante – Akteure, so auf Experten aus der Immobilienökonomie, den Sozialwissenschaften, aber auch den Medienwissenschaften oder der Philosophie. Im Rahmen diskursiver und kooperativer Planung werden die fundierten Kenntnisse dieser Akteure nun ebenso geschätzt wie vor einigen Jahren noch das Alltagswissen Betroffener. Über diese Öffnung der Planungspraxis gegenüber weiteren professionellen Akteuren erhalten auch die raumbezogenen Wissenschaften als Quelle raumbezogenen Wissens wieder neue Profilierungsmöglichkeiten. Die bisherigen Betrachtungen lassen sich zusammenfassen in der These, dass nicht nur der Wandel städtebaulicher Leitbilder, sondern auch der Wandel des Planungsverständnisses einer historischen Pendelbewegung gleicht. Das Pendel scheint nach der jüngsten Phase einer Orientierung auf Projekte und einer Geringschätzung wissenschaftlicher Fundierung nun auf eine Wiederkehr der „großen Pläne“ und eine damit einhergehende Diversifizierung planerischer Wissensakquise zu zeigen. Im Unterschied zur integrierten Stadtentwicklungsplanung oder vergleichbaren Planwerken der Vergangenheit scheinen die neuen strategischen Planwerke deshalb weniger mit der Absicht der Determinierung, sondern eher als Mittel zum Diskurs über mögliche Zukünfte eingesetzt zu werden. Diese These soll in den folgenden Betrachtungen erhärtet werden. Um die Merkmale des gegenwärtigen Planungsverständnisses genauer herausarbeiten und in einen historischen Kontext stellen zu können, werden im folgenden Abschnitt Handlungsfelder und konzeptionelle Ansätze aus der aktuellen Planungspraxis dargestellt, die an Bedeutung gewinnen. Dabei wird das jeweilige Handlungsfeld aus seinen äußeren, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen heraus begründet, im Anschluss die verwendeten Planungskonzepte beschrieben und auf Merkmale untersucht, die auf einen gegenwärtigen, übergreifenden, methodisch-konzeptionellen Konsens schließen lassen. Der Begriff des „Konzeptes“ leitet sich von lat. conceptio ab und meint „das Zusammenfassen“. In der stadtplanerischen Alltagssprache kann der Begriff des Konzeptes bezogen sein auf eine Leitidee, einen Plan, einen Entwurf oder ähnliches. Diese Unschärfe soll hier zunächst nicht aufgehoben, sondern bewusst genutzt werden, um in der Entwicklung von Planungskulturen in Deutschland grundsätzliche und phasenübergreifende Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich

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machen zu können. Zu einem späteren Zeitpunkt soll dann die begriffliche Präzision vergrößert und eine konkretere Definition vorgeschlagen werden. 2.5.3

Konzeptionelle Ansätze in aktuellen Handlungsfeldern

2.5.3.1

Strukturumbrüche in Wirtschaft und Gesellschaft

Unabhängig davon, ob man die Feuilletons der überregionalen Zeitungen, die Berichte von Forschern verschiedener Provenienz oder amtliche Prognosen unterschiedlicher Behörden berücksichtigt, so herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass Deutschland in eine Phase gesellschaftlichen Strukturwandels eingetreten ist, die sich von den Entwicklungsmustern der vergangenen Jahrzehnte stark unterscheidet. Die sich immer rascher intensivierenden globalen Wirtschaftsbeziehungen führen zu einem Bedeutungsgewinn von räumlichen Einheiten oberhalb der Stadt, da offenbar nur regionale Verbünde wirtschaftliche Kompetenzfelder zu entwickeln vermögen, die im internationalen Wettbewerb bestehen können. Darüber hinaus haben auch die gestiegene individuelle Mobilität und die geringen Kosten der Raumüberwindung zu einem Bedeutungsverlust räumlicher Distanzen geführt, so dass sich auch Privatpersonen schon lange nicht mehr nur primär auf den Wohnort orientieren, sondern zahlreiche regionale wirtschaftliche Verflechtungen eingehen. Die Stadt- und Regionalplanung antwortet mit immer neuen Konzepten zur Profilierung der neu entdeckten Region, z.B. mit der ersten regional ausgerichteten Internationalen Bauausstellung Emscher Park oder dem nordrheinwestfälischen Programm der REGIONALE. Aber auch die Städte selbst versuchen durch Leitbilder und Entwicklungspläne ihre Position neu zu bestimmen. Strategische Pläne für Stadt und Region werden dabei immer öfter im Dialog vieler Akteure entwickelt, so dass Planern neben der fachlichen Beratung auch die an Bedeutung gewinnende Aufgabe der Moderation zufällt. Mit der Veränderung der Wirtschaftsstruktur, z.B. der anhaltenden Konzentration im Einzelhandel und dem Ersatz von Personal durch Verkaufsfläche, aber auch mit der Ausdehnung der individuellen Reichweiten der Konsumenten verändert sich die Zentrenstruktur innerhalb der Regionen. Stadtkerne und integrierte Ortsteilzentren verlieren an Bedeutung, während Standorte an leistungsfähigen Verbindungsachsen – seien es Bahnhof oder Flughafen, Fachmarkt oder Tankstelle – einen Großteil der Kaufkraft abschöpfen können. Mit dem Niedergang der Leitfunktion der Stadtmitte, des Einzelhandels, geht jedoch auch der Verlust vieler Nebenfunktionen der Innenstadt einher. Ihre Bedeutung als soziale Mitte, als Ort der Begegnung und der Einübung von Toleranz in der vielfältig gewordenen städtischen Öffentlichkeit droht zu verschwinden. Mit der Wiederentdeckung der Qualitäten der Europäischen Stadt ist

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deshalb auch das Feld der Innenstadterneuerung zu einer Hauptaufgabe gegenwärtiger Stadtplanung geworden. Das gleichzeitige Wachstum am oberen und am unteren Ende der Einkommensskala führt zu einer Polarisierung innerhalb der Gesellschaft, die auch räumlich nicht ohne Folgen bleibt. Soziale Ungleichheit materialisiert sich in der Herausbildung von Stadtteilen mit hohen Anteilen von Armen, Arbeitslosen, alten Menschen und Bürgern mit Migrationshintergrund, aber auch in der Abschottung der sozial homogenen Vorortsiedlungen der Besserverdienenden. Die Spaltung der Städte ist ohne integrierte sozial- und stadtpolitische Erneuerungsstrategien, ohne staatliche Intervention nicht abzuwenden, so dass auch die Bedeutung dieses Handlungsfeldes für die Stadtplanung in Zukunft weiter wachsen wird, zumal sich die sozialräumliche Situation unter den Bedingungen einer älter werdenden Stadtgesellschaft verschärfen wird. Der demographische Wandel mit einem steigenden Überschuss der Sterbefälle über die Geburten zieht einen veränderten Altersaufbau der Gesellschaft nach sich, der langfristig den Rahmen für die Stadtentwicklung neu ziehen wird. Da diese Phänomene erstmals in entwickelten Industriegesellschaften zu beobachten sind, soll angenommen werden, dass die sich abzeichnenden Strukturumbrüche in Wirtschaft und Gesellschaft auch in eine neue Phase der Stadtentwicklung einleiten. Nach der knappen – und zwangsläufig exemplarischen – Skizze einiger Handlungsfelder, die im beginnenden Jahrhundert die stadtplanerischen Debatten beherrschen, stellt sich die Frage, in welchem Rahmen die neuen Aufgaben auch zur Entwicklung neuer Konzepte führen. Lassen sich die gegenwärtigen Herausforderungen mit einem Werkzeugkoffer angehen, der aus einem vergangenen Jahrhundert stammt? Welche der Werkzeuge sind auch unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu gebrauchen? Oder lassen sich Ergebnisse mit traditionellen Werkzeugen erzielen, wenn sie nur in einem neuen Planungsverständnis angewendet werden? Die beispielhafte Betrachtung von konzeptionellen Ansätzen in den fünf genannten Handlungsfeldern Regionalisierung, strategische Planung, Innenstadtentwicklung, soziale Stadtentwicklung und demographischer Wandel kann Antworten auf diese Fragen geben. Die Auswahl der Beispiele erfolgt mit der Absicht, verschiedene raumplanerische Maßstäbe von der Region bis zum Stadtteil abzudecken und gleichzeitig die These des vorangegangenen Kapitels zu erhärten: dass über alle Handlungsfelder hinweg festgestellt werden kann, dass nach einer Phase der projektorientierten Planung der „große Plan“ zurückgekehrt ist, wenngleich auch nun in der Rolle des Mediums, als Mittel zur diskursiven Raumentwicklung.

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2.5.3.2

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Konzepte gestaltender Regionalplanung

2.5.3.2.1 Der Bedeutungsgewinn der Region Die klassische, als Strukturpolitik betriebene Regionalentwicklung ist in den letzten Jahren in Nordrhein-Westfalen ergänzt worden um Förderprogramme, die der wachsenden Bedeutung regionaler Kompetenzfelder und weicher Standortfaktoren gerecht werden und auf eine regionale Profilierung abzielen. Im entsprechenden Runderlass des Ministeriums für Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen heißt es dazu: "Für einen erfolgreichen ökonomischen Strukturwandel wird es immer wichtiger, im internationalen Wettbewerb ein regionales Profil durch eine regionale Vernetzung und Qualifizierung von Kultur-, Freizeit-, Erholungs-, Gesundheits-, Sport- und Tourismusangeboten mit dem ökonomischen Prozess zu verknüpfen." Diese Feststellung verdeutlicht den Bedeutungszuwachs, den die Region in den letzten eineinhalb Jahrzehnten erfahren hat. Regionalisierung ist eine notwendige Antwort auf die Umstrukturierung des sozioökonomischen Systems im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft und der europäischen Integration. Kommunales Handeln allein zeigt kaum noch Wirkung. Die Wettbewerbsfähigkeit von Städten und die Nachhaltigkeit ihrer Strukturen beweist sich in der Qualität regionaler Kooperation, Qualifizierung und Profilierung sowie regionalen Marketings. Auch in der Bevölkerung wächst das Interesse an – und das Bewusstsein für die Region. Die europäische Integration mit ihrer Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen ruft den Wunsch nach regionaler Identität und raumtypischen Eigenheiten wach. Die Regionen werden die identitätsstiftenden Aktionsräume wirtschaftlicher und kultureller Zukunftsgestaltung. Um sich gemeinsam als Lebens- und Wirtschaftsraum zu profilieren, müssen die regionalen Akteure der Politik, Wirtschaft und Kultur kooperativ handeln und die Ziele und Maßstäbe für Qualitäten und Innovationen in der Entwicklung des Landschaftsraumes, von Siedlungen, der Infrastruktur, Kultur und Wirtschaft im Diskurs entwickelt und in einem regionalen Gesamtkonzept festgehalten werden. Dies verlangt einen wesentlichen höheren Aufwand an Zusammenarbeit, Aushandlung und Abstimmung und eine wesentlich größere Bereitschaft, über gemeinsame Entwicklungsziele nachzudenken und sich mit dem regionalen Nutzen kommunaler Aktivitäten auseinanderzusetzen, als dies die bisherigen Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse wie auch Politikformen auf kommunaler Ebene verlangt haben. Es müssen also Wege gefunden werden, die mit vielfältigen, regional wohl dosierten Prozessschritten und geeigneten Organisationsformen die Bereitschaft zu Kooperation, Qualifizierung und Innovation in der Region fördern und umsetzen.

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2.5.3.2.2 Die REGIONALE in Nordrhein-Westfalen Die REGIONALE – eine Wortschöpfung aus „Region“ und „Biennale“ – ist ein offenes, ressortübergreifend angelegtes Programm, das den Regionen des Landes Nordrhein-Westfalen die Chance gibt, maßgeschneidert für ihre jeweiligen Belange und Eigenheiten sowie für ihre jeweils spezifischen Handlungserfordernisse Konzepte regionaler Entwicklung zu erarbeiten und diese in beispielgebende, innovative, nicht alltägliche Projekte hoher Qualität zu übersetzen. Dieses Strukturprogramm folgt in seiner Förderlogik nicht dem oftmals praktizierten „Gießkannenprinzip“, sondern konzentriert räumlich und thematisch mit zeitlicher Befristung die Fördermittel in einer Region, die sich ein ambitioniertes Entwicklungsziel setzt. Das Programm der REGIONALE besitzt keine eigenen Fördermittel, sondern sieht eine geschickte Bündelung vorhandener Förderangebote aller, jeweils relevanten Ressorts der Landesregierung vor. Für den Einsatz des Programmes der REGIONALE müssen sich die interessierten Regionen des Landes im Wettbewerb untereinander bewerben. Im Rhythmus von zwei Jahren wird die REGIONALE ausgetragen. Angelehnt an das Prinzip von „Bauausstellungen“ unterliegen die austragenden Regionen dem Zwang zur Präsentation ihrer Projekte und Initiativen. Sich im Rahmen einer Schlusspräsentation zeigen und stellen zu müssen, ist ein wichtiger Antrieb, Qualitätsanforderungen auch wirklich einzulösen und nicht nur zu proklamieren. Die REGIONALE ist eine geschickte Verbindung von regionaler Strukturpolitik und Festivalisierung der Regionalplanung, bei der die Strukturpolitik ihren „hölzernen“ Charakter verliert und die Festivalisierung eine sinnvolle strategische Einbettung erfährt. Für die Auswahl der Regionen, die sich bei den jeweiligen Programmausschreibungen im Wettbewerb untereinander bewerben, sind vielzählige Kriterien entscheidend. Die wichtigsten Auswahlgesichtspunkte sind: x

Schlüssigkeit der regionalen Abgrenzung,

x

Herausstellen des spezifischen, regionalen Handlungserfordernisses,

x

Akzentuierung regionsspezifischer Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmale über innovative Leitprojekte und deren Einbindung in ein regionales Gesamtkonzept,

x

Strukturwirksamkeit und Innovationsgehalt des Programms und der Projekte,

x

Präsentierbarkeit und Realisierbarkeit der Projekte‚

x

Gestaltung und Verankerung des Entwicklungs- und Planungsprozesses der REGIONALE,

x

Verknüpfung öffentlicher und privater Aktivitäten sowie

x

Form und Strategie der Kommunikation und der Präsentation der REGIONALE.

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Vorläuferprogramm der REGIONALE war die Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher Park im Ruhrgebiet. Erstmals und ohne Vorbilder hat die IBA Emscher Park zwischen 1989 und 1999 für den strukturellen Wandel einer alt- und großindustriell geprägten Stadtregion – für das nördliche Ruhrgebiet – Städtebau-, Umwelt- und Kulturpolitik als Strukturpolitik profiliert. Mehr als 120 Projekte des Umbaus der Emscherregion hat die IBA Emscher Park nach zehnjähriger Arbeit zu ihrem Finale im Jahr 1999 der Öffentlichkeit präsentiert. Mit dieser Strategie ist es gelungen, das Image und die Attraktivität der Region deutlich zu verbessern, sie ins Gespräch und in die Feuilletons zu bringen. Die Industrieregion des nördlichen Ruhrgebietes hat sich zu einem neuen Typus von Stadt- und Kulturlandschaft gewandelt. Mit ihren neuen, spezifischen Qualitäten und Angeboten ist sie eher in der Lage, ihre Bewohner, Unternehmen und Einrichtungen halten und neue anziehen zu können. Industrienatur und Industriekultur, Baukultur, kulturelle Aktivitäten und künstlerische Inszenierungen sind die unverwechselbaren Kennzeichen eines strukturellen Wandels, eines neuen „Layouts“ für künftige wirtschaftliche Entwicklungen. Die gestiegene Bedeutung des Ruhrgebiets im Städte- und Kulturtourismus mag bei allen Problemen der Messbarkeit wirtschaftlicher Effekte durch Architektur-, Landschafts- und Kulturprojekte dennoch als ein Beleg für einen erfolgreichen Ansatz der strukturellen Modernisierung und des Zugewinns an verbessertem Image gewertet werden. Dennoch besteht eine häufig geäußerte Kritik an der IBA Emscher Park in der Vielfalt der Projekte, die trotz Leitprojekten und Projektfamilien nur wenige Bezüge zueinander aufbauen konnten. Der Schlachtruf „Projekte statt Pläne“ hat nicht zuletzt zu einem bunten Reigen an unvernetzten Einzelvorhaben geführt, die auf der Grundlage eines integrierenden Gesamtkonzeptes noch effektiver hätten wirken können. Wie in der Strategie der IBA Emscher Park soll in der REGIONALE mit Hilfe einzelner Projekte der Kultur und Kunst, der Architektur und Landschaftsgestaltung die stadt- und naturräumliche, die kulturelle und die ökologische Basis für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung von Städten und Gemeinden im regionalen Verbund verbreitert werden. Obwohl nicht der flächendeckende Plan, sondern Projekte auf hohem konzeptionellem Niveau mit besonderer Ausstrahlung den Qualitätsanspruch der künftigen Entwicklung der Regionen demonstrieren sollen, gibt es die Aufforderung zur Entwicklung eines integrierten Gesamtkonzeptes, das die Einzelprojekte in einen Zusammenhang stellt. Trotz Wiederentdeckung des Gesamtplanes ist die REGIONALE jedoch nicht vergleichbar mit der herkömmlichen Regionalplanung, die vorrangig ordnenden und sichernden, nicht jedoch animierenden und imageprägenden Charakter hat. Sie ist eher eine Sonderform regionalisierter Strukturpolitik, sie setzt Impulse und Zeichen im regionalpolitischen Alltagsgeschäft. Und sie hat innovative, integrative und kommunikative Ansprüche. Auch in weiteren Merkmalen orientiert sich

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die REGIONALE an der Vorlage der IBA Emscher Park: Es ist ein befristetes Programm mit prioritärer Förderung – es gibt ein Präsentationsjahr mit einem Präsentationszwang. Dieser Kompressionseffekt hilft, die üblichen Hürden administrativer Prozesse zu überwinden. Die Regionalplanung herkömmlicher Art kann die Impulse, die von einem Förderprogramm wie dem der REGIONALE ausgehen, vertragen: Sie braucht jeweils spezifische, maßgeschneiderte Entwicklungsprogramme und vor allem Bilder, die Visionen vermitteln und die Programmatik anschaulich machen. Sie braucht aber auch Projekte, die regionale Dimensionen thematisieren und die Programmatik beispielhaft konkret machen. Anschauliche und konkrete Projekte sind auch notwendig, um ein größeres öffentliches Bewusstsein für die Bedeutung regionaler Entwicklungen zu erzeugen. Die erste REGIONALE ist mittlerweile längst abgeschlossen. Sie fand in der Region um Bielefeld statt. Sie hat die Nähe und den Zeitpunkt der EXPO 2000 in Hannover genutzt, um einen korrespondierenden Beitrag zu leisten, der die Region insbesondere als Gesundheits-, Energie- und Kulturregion profiliert hat. Dabei ist es gelungen, die private Wirtschaft der Region intensiv einzubinden und stabile Netzwerke aufzubauen. Die zweite REGIONALE in der Region um Düsseldorf und Teilen der Niederlande mit dem Namen EUROGA 2002plus wurde Ende 2003 abgeschlossen und hat die Reichhaltigkeit der Kulturund Naturschätze der Region, insbesondere ihren Reichtum an historischer und zeitgenössischer Gartenkunst präsentiert. Damit zeichnen sich touristische Effekte ab, die der Region auch eine veränderte Aufmerksamkeit zukommen lassen. Die dritte REGIONALE fand im Jahr 2004 in der Region „Links und rechts der Ems“ statt und die vierte wird für 2006 im „Bergischen Städtedreieck“ unter dem Motto „Spurwechsel„ vorbereitet. Im Jahr 2008 wird die REGIONALE grenzüberschreitend in drei Ländern rund um Aachen als „EuRegionale“ und im Jahr 2010 im Köln-Bonner Raum ausgerichtet. Die Beobachtung der derzeitigen REGIONALE-Prozesse wie der jüngsten Bewerbungsverfahren zeigt, welche Wirkungen dieses Programm für eine spezifische und innovationsorientierte Regionalpolitik und -entwicklung bislang schon entfaltet hat. Ein Einblick in die derzeitigen Vorbereitungen der „EuRegionale 2008“ kann den Charakter gestaltender Regionalplanung, wie er durch das Programm der REGIONALE intendiert ist, gut illustrieren. Die Drei-Länder-Region rings um Aachen zeigt auf engem Raum höchst unterschiedliche Gesichter. Das Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen und Sprachräume und eine wechselvolle politische Geschichte führten zu einer vielfältigen Region, in der Internationalität den Alltag beeinflusst. Von außen betrachtet gilt die Region mit ihrer besonderen Dichte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen auch als herausragende Technologieregion. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die Region grenzüberschreitend auch Räume mit erheblichen Strukturdefiziten aufweist.

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Der Nordraum der Drei-Länder-Region, das älteste Bergbaurevier Europas, ist gezwungen, die Folgen der Deindustrialisierung aufzufangen. Dafür werden aus diesem Raum eine Vielzahl von Projekten für die EuRegionale 2008 angemeldet, mit denen versucht wird, durch Umgestaltung und -nutzung der ehemaligen Bergbauflächen in den einzelnen Gemeinden neue Entwicklungen einzuleiten. Einzelne Maßnahmen und einzelne Standortentwicklungen werden aber isoliert nicht in der Lage sein, Struktur und Image in diesem Raum nachhaltig zu verbessern und den Raum attraktiv zu machen. Um Ideen und Konzepte für die grenzüberschreitende Entwicklung in diesem Raum zu erhalten, die die lokal initiierten Projekte regional verknüpfen und thematisch verbinden, wurde ein international und interdisziplinär angelegtes Wettbewerbsverfahren ausgelobt. Ein Team unter der Federführung des Büro Agence Ter aus Paris und Karlsruhe hat diesen Wettbewerb mit einem Konzept zweier Routen unterschiedlichen Charakters, die miteinander korrespondieren, gewonnen. Diese durchziehen teilweise parallel verlaufend, teilweise sich kreuzend die Drei-Länder-Region in einer Längenausdehnung von rund 70 Kilometer. Sie zeigen jeweils andere Facetten des Bildes dieser industriell geprägten Region, die in der Ballung der größeren und kleineren Städte, in der statistischen Größenordnung, in der Breite und Vielfalt kultureller, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Einrichtungen eine „Metropole“ sein könnte und die auf den ersten Blick auch ungewöhnlich ländliche Züge zeigt und sehr grün ist. Tatsächlich ist diese Region wie viele andere, die industriell bedingt in wenigen Jahrzehnten sprunghaft als Summe „kleiner Einheiten“ gewachsen ist, weder eine Metropole noch ein ländlicher Raum. Agence Ter titelt deshalb diese Region „Grünmetropole“. Die eine Route verbindet die Orte landschaftlicher Schönheiten in den Bachund Flusstälern, kulturhistorische Anlagen, Erholungs- und Freizeiteinrichtungen. Die andere Route verknüpft die Ortskerne und die Halden, an deren Füßen die alten Industrieflächen in Standorte für neue Technologie-, Kultur- und Bildungseinrichtungen verwandelt werden sollen. Die Routen sollen der Region eine Adresse verleihen und durch besondere Gestaltung und Erlebnisdichte als Band die imageprägende Wirkung erlangen wie man es von anderen touristisch etablierten Routen kennt, wie beispielsweise von der „Weinstraße“. Diese sind in der Lage, im regionalen Maßstab gute Adressen abzugeben. Auch dieses Projekt, das noch reifen und einige administrative Hürden in den drei beteiligten Ländern nehmen muss, macht den Anspruch gestaltender Regionalplanung deutlich. 2.5.3.2.3 Strukturentwicklung durch Gestaltqualität Landschafts- und Architektur-, Kunst- und Kulturprojekte sind in der Politik und in der Öffentlichkeit – gerade in Zeiten knapper Kassen – der Gefahr ausgesetzt, in ihrer Strukturwirksamkeit gegenüber den gängigen Maßnahmen der Wirtschafts- und Strukturförderung diskreditiert und als entbehrliche Beigabe zum Alltagsgeschäft abgestempelt zu werden. Strategisch richtig einge-

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setzt – mit einem spezifischen Thema am richtigen Ort – können sie sehr wohl strukturpolitische Wirkungen entfalten. Dies muss jedoch auch jeweils aufgezeigt werden. Es sei nur daran erinnert, wie vielfältig in der Struktur und reich an guten Lagen viele Städte durch den Bau von Parkanlagen zu Beginn des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden, wie groß der Attraktivitätsund Imagegewinn einiger Städte durch die Gestaltung öffentlicher Räume und den Bau herausragender Gebäude war. Heutzutage sind derartige Maßnahmen und Projekte auch in regionale Maßstäbe zu übertragen und in regionale Strukturprogramme einzubinden. Das Erzeugen von spezifischer Standortqualität, die Entwicklung „guter Adressen“, die Steigerung der Attraktivität der Lebens-, Kultur- und Wirtschafträume der Regionen des Landes, um die Bewohner und Unternehmer in einer Region zu halten und auch Touristen zu gewinnen, sind wichtige Intentionen der REGIONALE, die wirtschaftliche Effekte zeigen, auch wenn dies nicht immer unmittelbar nachweisbar ist. Die REGIONALE muss als eine Facette strukturwirksamer Programme verstanden werden. Sie versteht sich nicht als Alternative zur herkömmlichen, regionalen Wirtschafts- und Strukturförderung. Sie ist aber eine wichtige Bereicherung des „Sets“ staatlicher Angebote. Die REGIONALE-Prozesse in Nordrhein-Westfalen zeichnen sich dadurch aus, dass einerseits an das Vorbild der IBA Emscher Park angeknüpft wird, indem der Diskurs zur regionalen Entwicklung an konkreten, ortsbezogenen Projekten geführt wird. Dennoch wird auch in jeder REGIONALE das Streben nach einer stringenten Verknüpfung der Projekte deutlich, um zu zeigen, wie Projekte aufeinander Bezug nehmen, sich ähneln oder ergänzen und damit tatsächlich zur regionalen, nicht nur zur lokalen Entwicklung beitragen. Hier steht jede REGIONALE vor dem Dilemma, übergreifende Pläne vorweisen zu müssen, obwohl die Projekte von unten, aus den Städten und Gemeinden heraus entwickelt werden. Dieser Mechanismus stellt jedoch nichts anderes als eine informelle Form des auch in der bundesdeutschen formalisierten Planung herrschenden Gegenstromprinzips dar. Aus planungstheoretischer Sicht ist an den generierten Plänen zur Verknüpfung lokaler Projektideen allerdings nicht der Planinhalt selbst bedeutend, sondern eher der Prozess, in dem der Plan entwickelt wird sowie die Debatte, die das Konzept auslöst. Das Beispiel der REGIONALE zeigt, wie auch in der Entwicklung übergreifender Konzepte konsequent das Wettbewerbsprinzip umgesetzt wird und wie auch regionale Gestaltung auf diese Weise den Charakter der Weisung verloren und den des Diskurses angenommen hat. 2.5.3.3

Strategische Planung in der Stadtentwicklung

2.5.3.3.1 Neue Formen übergreifender Konzepte Die „Strategische Planung“ erlebt spätestens seit den 1990er Jahren eine Wiedergeburt. Beinahe jede größere Stadt versucht ein „Leitbild“ zu erarbeiten. Erst vor wenigen Jahren sind, unterstützt

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durch die EU, in den Städten London, Wien und Berlin Studien zur gesamtstädtischen Entwicklung erarbeitet worden, die wie eine Neuauflage ambitionierter Stadtentwicklungskonzepte aus früheren Tagen wirken, jedoch um Nachhaltigkeitsforderungen und zivilgesellschaftliche Elemente ergänzt wurden. Einen anderen Weg schlagen etwa Hamburg oder Bremen ein, die ihre gesamtstädtische Entwicklungspolitik ausdrücklich auf Strategien zur Schaffung neuen Wirtschaftswachstums ausrichten. In einigen Städten des Ruhrgebiets wiederum sind im Rahmen von Modellprojekten strategische Pläne entstanden, die im engen Dialog mit vielfältigen Akteuren erarbeitet worden sind. Mit der Entwicklung von Leitbildern, durch Partnerschaften und sektorenübergreifende Strategien versuchen Städte und Regionen also, den Strukturwandel aktiv zu gestalten und sich im „Wettbewerb der Metropolen“ zu positionieren. Veränderte Rahmenbedingungen wie Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen, zunehmende „Supranationalisierung“ sowie Vereinheitlichung politischer Entscheidungsfindung und verstärkte Ausdifferenzierung der Gesellschaft bezüglich der sozialen Lage und der Lebensstile („Individualisierung“) erhöhen den Druck auf einen Wandel der nachgeordneten politisch-administrativen Systeme und damit auch der Stadt- und Regionalplanung. Strategische Ansätze begegnen diesen Herausforderungen mit einer gleichzeitigen Berücksichtigung von ökonomischen, ökologischen, politischen und sozialen Aspekten in der Planung und einer Einbeziehung aller relevanten „stakeholder“ in den Prozess der Entwicklung von Leitbildern, Programmplänen und Maßnahmen. Im Rahmen dieser Integration von Themen und Akteuren wird Planung zur Aushandlung und Vermittlung zwischen teils konträren Interessen. Eine so verstandene Planung kann eine zentrale Rolle in der Gestaltung der Gesellschaft einnehmen, aus stadtplanerischer Sicht sind an den Planungsprozess aber bestimmte Qualitätskriterien anzulegen. Strategische Planung auf gesamtstädtischer Ebene ist – als ein später Nachfahre der integrierten Entwicklungsplanung – oft eng verknüpft mit der Flächennutzungsplanung. So haben zahlreiche Kommunen in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Neuaufstellung ihrer Flächennutzungspläne (FNP) stadtweite Diskurse über die Stadtentwicklung angestoßen, die oft in informelle Planwerke münden, um die Erarbeitung des FNP vorzubereiten. Hierbei handelt es sich um unterschiedlich benannte Planwerke mit verschiedenen Konkretisierungsgraden: „Leitbild“, „Strategie-“ oder „Masterplan“, „Stadtentwicklungs-“ oder „Strukturkonzept“ sind Begriffe, mit denen die strategischen Pläne belegt werden. Das Verhältnis zwischen vorbereitender Bauleitplanung und den informellen Prozessen ist dabei demjenigen vergleichbar, das bereits für das Gespann aus klassischer Regionalplanung und dem Programm REGIONALE beschrieben wurde: Der formellen Planung werden greifbare und attraktive Visionen und Bilder der Stadtentwicklung zur Seite gestellt und als Einladung zum stadtwei-

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ten Diskurs angeboten. Während der FNP wenig über räumliche Qualitäten aussagt und aufgrund seiner Struktur nur unzureichend Entwicklungsschwerpunkte, zeitliche Prioritäten oder Wenn-Dann-Regeln setzen kann, können Leitbilder oder Strategiepläne entsprechende Aussagen enthalten und sind damit eher geeignet, ein spezifisches Profil der Stadt zu beschreiben. Und während sich der FNP wegen Inhalt, Form und Verfahren für einen breit angelegten kommunalen Diskurs oft als zu sperrig erweist, vermag eine informelle Planung – nicht zuletzt aufgrund ihres zunächst unverbindlich wirkenden Charakters – stadtweite Diskussionen eher zu entfachen als ihr formelles Pendant. 2.5.3.3.2 Werkstattverfahren in der Stadtentwicklung – der „Schwerter Weg“ Flächennutzungspläne gehören im Planungssystem der Bundesrepublik derjenigen Gattung von Plänen an, die einen überaus weiten Prognosehorizont erfordern. Ihre Rechtswirksamkeit erstreckte sich bisher nicht selten weit über zwei Dekaden – oft mit entsprechend zahlreichen Änderungen. In einer spätmodernen Gesellschaft, in der räumliche Prozesse zunehmend unter Entscheidungsunsicherheit organisiert werden, weil sich die Handlungsoptionen von Individuen vervielfacht haben, muss sich auch die inhaltliche Ausgestaltung des seit Jahrzehnten unveränderten Planungsinstrumentes ändern. Zu beobachten sind gravierende Neuerungen in der Handhabung des Instrumentes der Flächennutzungsplanung: x

die Laufzeit der Pläne wird von vornherein weniger optimistisch eingeschätzt (10 bis 15 Jahre),

x

die Regelungsdichte und -tiefe wird stark reduziert („schlanke Planung“),

x

das Planwerk wird flexibilisiert durch Wenn-Dann-Regeln und die Einführung von Darstellungen auf Zeit,

x

es kommt verstärkt zu kooperativen und akteursoffenen Planungsverfahren, die im Rahmen von Kooperationsstrategien deutlich über das nach § 3 BauGB übliche Maß an Bürgerbeteiligung hinausgehen und dem eigentlichen FNP-Verfahren vorgeschaltet werden.

Die Erfahrungen im Umgang mit diesen Neuerungen, insbesondere der diskursiven Entwicklung des Planwerks, lassen sich am Beispiel des Mittelzentrums Schwerte am südöstlichen Rand des Ruhrgebietes veranschaulichen. Nach über 20 Jahren Rechtswirksamkeit und etwa 90 Änderungen sollte der Flächennutzungsplan (FNP) der Stadt Schwerte zu Beginn des neuen Jahrhunderts neu aufgestellt werden. Neue Rahmenbedingungen wie der demographische Wandel, ein verändertes Wanderungsverhalten und gestiegene Anforderungen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der Planung haben die Stadt Schwerte zu einem ungewöhnlichen Verfahren motiviert, das nicht nur mit dem Nachhaltigkeitspreis des Landes NRW ausgezeichnet wurde, sondern inzwischen als „Schwerter Weg“ Vorbildfunktion für andere Kommunen erlangt hat.

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Das Mittelzentrum am südöstlichen Ballungsrand des Ruhrgebietes ist Lebensmittelpunkt für etwa 52.000 Einwohner. Aufgrund der Lage an der Ruhr und der räumlichen Gliederung in überschaubare und eigenständige Ortsteile ist Schwerte seit vielen Jahren attraktives Ziel für kleinräumige Wanderungen aus dem Ballungskern. Dennoch wird durch den absehbaren demographischen Wandel auch in der Mittelstadt der Bedarf an neuem Wohnbauland in Zukunft zurückgehen. Die Hauptaufgaben der Planung verlagern sich von der Stadterweiterung auf das effiziente Management der Bestände. Der neue Flächennutzungsplan von Schwerte basiert auf einer Entwicklungsplanung, die in einem kooperativen Planungsprozess induktiv – ausgehend von den Bedürfnissen in den Ortsteilen – entwickelt wurde. Kern des Verfahrens war eine Folge von öffentlichen Planungswerkstätten. Die erste Phase umfasste eine einjährige Ortsteilentwicklungsplanung, in deren Verlauf in jedem der sieben Ortsteile drei öffentliche Planungswerkstätten durchgeführt wurden. In einer zweiten, ebenfalls einjährigen Phase wurde in enger Zusammenarbeit von Kommunalpolitikern, der Stadtverwaltung und Mitarbeitern des beauftragten Planungsbüros aus der Ortsteilentwicklungsplanung ein Flächennutzungskonzept abgeleitet. Der so entstandene Entwurf zum Flächennutzungsplan wurde in allen Ortsteilen im Rahmen der frühzeitigen Bürgerbeteiligung erneut zur Diskussion gestellt. Die Planungswerkstatt, neuerdings auch umschrieben mit Begriffen wie „Charette“ oder „Community Planning Weekend“, ist eine Planungsmethode, mit deren Hilfe sich die Öffentlichkeit konsequent in die Planung einbeziehen lässt. Komplexe Probleme der Stadt- und Regionalentwicklung lassen sich in kurzen Zeiträumen effektiv bearbeiten. In einer oder mehreren öffentlichen Veranstaltungen finden sich Bürgerinnen und Bürger, Vereine, Verwaltung und Politik, externe Fachleute, Projektentwickler und andere „stakeholder“ zusammen, diskutieren und entwickeln gemeinsam Ziele, Leitbilder, Konzepte und Maßnahmen für den jeweiligen Planungsraum. Durch die breite Öffnung des Verfahrens können unterschiedliche Interessen frühzeitig austariert werden. Der Stadtplaner überschreitet in der Planungswerkstatt die Rolle des Moderators: Er setzt die Hinweise der Teilnehmer in Pläne und Konzeptbausteine um und dient als fachlicher Berater. Der Prozess einer Planungswerkstatt gliedert sich oft in die Phasen Problemanalyse, Konzeptentwicklung und Ergebnispräsentation. Dabei ist von der Aufgabenstellung abhängig, ob für jede Phase eine separate Werkstattveranstaltung durchgeführt wird oder ob die Arbeitsschritte in einer Werkstatt gebündelt werden. Die Planungswerkstatt orientiert sich an folgenden Prinzipien: x

Arbeit vor Ort oder in räumlicher Nähe zum Plangebiet,

x

kurze Rückkopplungszyklen während der Planungszeit,

x

konzentrierter und zeitlich begrenzter Arbeitsprozess,

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x

interdisziplinäre Arbeit im Team,

x

Verknüpfung von lokalem mit externem Wissen,

x

direkte Beteiligung von Betroffenen,

x

transparente und umfassende öffentliche Kommunikation,

x

Realisierbarkeit der Planung.

339

Die Bearbeitung der sieben Ortsteile wurde im Jahresverlauf nacheinander organisiert. Der ersten, d.h. der Analyse-Werkstatt in jedem Ortsteil ging eine Ortsbegehung durch das moderierende Planungsteam voran, um sich mit dem Ort vertraut zu machen. Bereits zur Bestandsaufnahme wurde die Bevölkerung des Ortsteils mit Flyern und Antwortpostkarten beteiligt und um eine Einschätzung ihres Stadtteils gebeten. Zur ersten Werkstatt wurde eine Präsentation der Eindrücke des Moderationsteams vom Ort gegeben sowie eine Auswertung der Rückmeldungen vorgestellt. Durch das Wiedererkennen eigener Hinweise auf den Plakaten, aber auch durch die Ortskenntnis der Moderatoren konnte von Beginn an ein Vertrauensverhältnis zwischen Planern und Teilnehmern begründet werden. Die Bestandsaufnahme wurde in der Werkstatt ausgeweitet und vertieft. Erste Ziele zur Ortsteilentwicklung wurden abgeleitet und durch Teilnehmer und Planungsteam in Karten und Flipcharts festgehalten. Das entstandene Bild war Grundlage für einen ersten, noch groben Ortsteilentwicklungsplan, den das Planungsteam im Anschluss an die Analyse-Werkstatt auf Grundlage der geäußerten Ideen ausarbeitete. Der Plan wurde in der zweiten, d.h. der Konzept-Werkstatt als Entwurf präsentiert. Dabei wurde die Vorläufigkeit des Planes auch grafisch deutlich sichtbar gemacht, um seine Veränderbarkeit zu signalisieren. Mit allen Teilnehmern wurde der Ortsteilentwicklungsplan weiter ausgearbeitet, die Ergebnisse der Konzept-Werkstatt wurden durch das Planungsteam für die dritte Werkstatt als Ergebnispräsentation aufbereitet. Durch die Annäherung über zwei Werkstätten konnte das Wissen der Bürger vor Ort, die als „Experten für ihr Wohnumfeld“ teilnahmen, mit dem Fachwissen der Planer verknüpft werden. Zahlreiche Interessengruppen aus dem Naturschutz, der lokalen Wirtschaft und anderen Bereichen haben sich intensiv in die Planung eingebracht. Im Anschluss an die Präsentationsveranstaltung wurden die Planungen für jeden Stadtteil in einer Broschüre dokumentiert und für den politischen Abstimmungsprozess festgehalten. Das gesamte Verfahren war von der lokalen Presse über den Zeitraum eines Jahres umfassend begleitet worden und hat so zu einer Verankerung im lokalen Bewusstsein geführt. Die Planungswerkstätten haben ein umfassendes Bild jedes Stadtteils vermittelt. Ihre Ergebnisse bestanden jedoch in fachlich integrierten Zukunftsentwürfen der Ortsteile und waren daher nicht ohne weitere Bearbeitung für einen Flächennutzungsplan zu verwerten. In einer zweiten Phase wurden die Ortsteilentwicklungspläne nach den sektoralen Handlungsfeldern des FNP

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(Wohnen, Gewerbe, Freiraum, Versorgung, Verkehr etc.) aufgefächert und flächennutzungsplanrelevante von den nicht im FNP darstellbaren Ergebnissen differenziert. Hierzu wurde eine Projektgruppe eingesetzt, die sich aus Mitgliedern aller im Stadtrat vertretenen Fraktionen, der planenden Verwaltung sowie einem Mitarbeiter des beauftragten Planungsbüros zusammensetzte. Sie trat über ein Jahr acht mal zusammen und entwickelte auf Grundlage der Werkstattergebnisse Szenarien zur Stadtentwicklung, ein Flächennutzungskonzept, ein Freiraumkonzept sowie einen Maßnahmenplan. Im Maßnahmenplan wurden alle Projektideen aus der Ortsteilentwicklung in einem gesamtstädtischen Überblick festgehalten, soweit sie nicht im Flächennutzungsplan darstellbar sind. 2.5.3.3.3 Wissensressourcen in der strategischen Planung Das Beispiel induktiver strategischer Planung in Schwerte steht stellvertretend für die zahlreichen Diskurse, die in Städten unterschiedlicher Größenordnung über die Ortsteil- und Stadtentwicklung geführt werden. Ebenso wie im Beispiel der REGIONALE zeigt sich auch in Schwerte das Dilemma, strategische Planung im gesamtstädtischen Maßstab aus lokalen Projekten und kleinteiligen Bildern der Ortsteilebene abzuleiten. Anknüpfend an Abschnitt 2.5.2 lässt sich feststellen, dass das Problem gelöst wurde, indem das notwendige, planerisch verwertbare Wissen aus beiden Richtungen, sowohl auf der Ortsteilebene als auch auf der Ebene der Gesamtstadt, durch externe Akteure beschafft wurde und damit eine maßstabsgerechte Diversifizierung der Wissensakquise betrieben wurde. Durch lokale Planungswerkstätten wurde in besonderem Maße die lokale Bevölkerung zur Genese planerisch verwertbarer Information herangezogen. Dadurch wurde der Aufwand des beteiligten Planungsbüros in der Bestandsanalyse reduziert und die Planung gleichzeitig auf die Bedürfnisse vor Ort ausgerichtet. Durch den Schritt der Planungswerkstätten konnte die Ortsteilentwicklungsplanung lokal stark im Bewusstsein der Bevölkerung verankert werden. Auch die Zusammenführung der Ergebnisse zu einer strategischen, gesamtstädtischen Planung wurde als kooperativer Prozess angelegt – allerdings unter Ausschluss der Bevölkerung – indem politisches und fachbezogenes Wissen durch die kommunale Arbeitsgruppe gebündelt wurden. Obwohl die Bürgerinnen und Bürger an dieser Phase der strategischen Planung nicht mehr beteiligt waren, hat der Akzeptanzeffekt durch die Ortsteilwerkstätten auch in der weiteren Planung angehalten.

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2.5.3.4

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Die City als Werkstatt

2.5.3.4.1 Innenstädte unter Druck Zentren und damit in besonderem Maße Innenstädte definieren sich durch ihren Bedeutungsüberschuss, den sie gegenüber ihrem Umland aufweisen. Nach planerischer Vorstellung bilden sie „die Knotenpunkte wirtschaftlicher und sozialer Beziehungen in der Stadt. In ihnen konzentriert sich das öffentliche Leben. Gleichzeitig übernehmen sie wichtige Versorgungsfunktionen für Bewohner und Beschäftigte in der näheren Umgebung und im weiteren Einzugsbereich. Sie sind geprägt durch eine Mischung unterschiedlichster Dienstleistungen privater und öffentlicher Art. Sie schließen den sozialen und gesellschaftlichen Bereich ebenso mit ein wie kulturelle Einrichtungen. Vor allem aber bestimmt der Einzelhandel das Bild der Zentren, er ist die Basis für ein pulsierendes öffentliches Leben und Ansatzpunkt für weitere zentrenbildende Einrichtungen und Angebote“ (SenBau, S. 69). Überlegungen zur Stabilisierung und Aufwertung der Innenstadt müssen sich an diesen, ihnen idealtypisch zugewiesenen Aufgaben orientieren. Zur bewussten Abgrenzung von anderen Bereichen der Stadt können weiter vertiefende Kriterien herangezogen werden (vgl. Curdes; Hatzfeld et al.): x

Ein grundsätzliches Merkmal von Innenstädten ist ihre Multifunktionalität. Innenstädte sind eine auf einem engen Raum konzentrierte, damit relativ verdichtete und massierte Ballung vieler Einzelnutzungen. Sie ermöglichen in einem hohen Maße Aktivitätskopplungen.

x

Innenstädte sind aufgrund ihres multifunktionalen Angebotes auch die Orte innerhalb der Städte, die am meisten öffentliches Leben generieren. Sie benötigen Dichte und Masse, was auch soziale Dichte umfasst. Innenstädte müssen als Orte der Kommunikation zudem über ausreichend attraktiv gestaltete öffentliche Räume und Plätze verfügen.

x

Innenstädte haben als Kristallisationspunkte unterschiedlicher Nutzungen und Funktionen darüber hinaus eine entscheidende ökonomische Bedeutung für die Gesamtstadt. Der Austausch von Waren und Gütern sowie die Versorgung der Wohnbevölkerung ist auch heute noch das Fundament von Innenstädten.

x

Vielschichtig und heterogen zeigen sich Innenstädte auch durch ihr abwechslungsreiches Äußeres. Sie weisen aufgrund der verschiedensten Gestaltungs- und Architekturelemente eine häufig hohe gestalterische Attraktivität und Ausstrahlung auf.

x

Vielfalt und Mischung im funktionalen, gestalterischen Sinne und in Bezug auf die Unterschiedlichkeit der Nutzer machen Innenstädte zu Orten, die am stärksten öffentliches Leben erzeugen (können). Sie stellen damit nicht nur (teilweise) geographisch sondern insbesondere auch symbolisch den Mittelpunkt der Stadt dar. Diese Symbolik ist auch baulich ablesbar auf-

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grund der höheren baulichen Dichte oder durch bestehende herausragende (historische) Gebäude. x

Aufgrund ihrer Bedeutung innerhalb der Siedlungsstruktur weisen Innenstädte meist die beste Erreichbarkeit für alle Verkehrsträger auf. Idealtypisch sind Innenstädte so in die Siedlungsstrukturen integriert, dass sie „Wegekostenminimalpunkte“ darstellen.

x

Innenstädte sind durch die sich ändernden gesellschaftlichen Ansprüche und Bedürfnisse einem permanenten Zwang zur Veränderung ausgesetzt. Wird die erforderliche Anpassung nicht vorgenommen, verlieren einzelne Innenstädte vielfach über die Zeit an Bedeutung und übertragen indirekt ihre Funktion auf andere Siedlungsbereiche (im Handelssektor z.B. der „Grünen Wiese“).

Seit einer ganzen Reihe von Jahren sind die Innenstädte immer mehr unter Druck geraten und können ihre Rolle als zentrale Bereiche in der Stadt nur noch schwer ausfüllen. Gründe für diese krisenhafte Entwicklung sind vor allem in folgenden Punkten zu sehen: x

Die insgesamt stagnierende bzw. zurückgehende Bevölkerungsentwicklung führt zu einem sinkenden Nachfragepotenzial.

x

Gleichzeitig sorgt der fast unvermindert anhaltende Trend von Handels-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen in Richtung nicht-integrierte Lagen für deutliche Frequenzverluste.

x

Hinzu kommt, dass das festzustellende Größenwachstum der einzelnen Einrichtungen dazu führt, dass viele neue Einrichtungen nur noch schwer in das räumliche Gefüge zu integrieren sind.

x

Die Suburbanisierung der Wohnstandorte der Bevölkerung verändert bestehende Einzugsbereiche.

x

Die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung drückt unmittelbar auf die Kaufkraft. Gerade bei der innerstädtischen Leitfunktion dem Handel, aber auch bei Gastronomiebetrieben ergibt sich daraus eine erhebliche Schwächung.

x

Zudem entstehen bei den Nachfragen immer neue und vielfältigere Anforderungen, die von den gewachsenen Innenstädten oft nur ungenügend erfüllt werden können.

x

Neue Verhaltensweisen in Verbindung mit der Möglichkeit der schnellen Raumüberwindung führen zu einer großen Wahlfreiheit hinsichtlich der Zielorte.

Als Folge dieser Entwicklungen ist ein eher negatives Bild der heutigen Situation der Innenstädte zu zeichnen. Zwar boomen einige nach wie vor oder können ihre Situation behaupten, die meisten haben sich jedoch mit einem erheblichen Trading down-Prozess auseinander zu setzen. Die Stadt-

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kerne wirken zunehmend gesichtsloser und austauschbarer – ihre zentrale Rolle als soziale Mitte der Stadt, als Ort des Austausches und der Kommunikation ist gefährdet. 2.5.3.4.2 „Werkstatt Innenstadt“ – Konzepte aus Rheinland-Pfalz Dem Abwertungsprozess gilt es mit innovativen, integrierten und partizipativen Strategien zu begegnen. Unter den Bedingungen desolater öffentlicher Haushalte ist auch im Handlungsfeld der Innenstadtentwicklung das Eingehen neuer Partnerschaften gefragt, um die Vielfalt der urbanen Kernbereiche zu sichern. Hier geht es auch darum, durch Erhöhung der Prozessqualität die Ergebnisqualität zu erhöhen. Innenstadtentwicklung soll verstärkt als Gemeinschaftsaufgabe und Gemeinschaftswerk der Politik, der Verwaltung, der Wirtschaft und der Bürgerschaft verstanden werden. Nur eine gemeinsam getragene, ganzheitliche Zielperspektive und ein hierauf abgestimmtes Handeln kann eine Stärkung und Attraktivierung der Zentren bewirken. Die Initiative „Werkstatt Innenstadt Rheinland-Pfalz“, ein Förderprogramm des Innenministeriums Rheinland-Pfalz setzt hier an: Innerhalb nur eines Jahres sollten im Rahmen eines Wettbewerbs beispielgebende Projekte und Strategien der Innenstadtentwicklung gefunden, entwickelt und in ihrer Umsetzung gefördert werden. Die von den Kommunen zu erarbeitenden Beiträge sollten über die klassischen Inhalte eines Innenstadtkonzeptes hinausgehen. Dabei steht die Überführung der Maßnahmen in ein konkretes Handlungskonzept mit Zeit- und Finanzbezug sowie die Organisation eines partizipativen Verfahrens zur Umsetzung im Vordergrund. Zur Unterstützung der Städte und Gemeinden wurde der Wettbewerb „Werkstatt Innenstadt Rheinland-Pfalz“ ausgelobt. Die „Werkstatt Innenstadt Rheinland Pfalz“ ist ein zweistufiges Verfahren zur Qualifizierung der Innenstädte. Die erste Stufe (2004) diente der Auswahl von Modellstädten und der Qualifizierung von Projektideen. Sie bestand aus zwei Phasen: aus einem landesweiten Wettbewerb der Städte und Gesamtgemeinden, der zu einer Auswahl von Modellstädten in drei Größenkategorien führte, und aus der sich daran anschließenden Werkstattphase, in der die Modellgemeinden in der Qualifizierung ihrer vorbildlichen Projekte durch das Land Rheinland-Pfalz unterstützt und begleitet wurden. Die zweite Stufe schließlich ist für 2005 vorgesehen und besteht in der Realisierung der Modellprojekte unter priorisierter Förderung und Beratung durch das Land Rheinland-Pfalz. Alle Städte und Gemeinden in Rheinland-Pfalz mit mehr als 10.000 Einwohnern waren in der ersten Stufe aufgerufen, über ihren (Ober-)Bürgermeister einen Wettbewerbsbeitrag einzureichen. Kooperationen von Städten und Gemeinden untereinander oder mit Akteursgruppen aus Wirtschaft, Kultur und Bürgerschaft waren zulässig und gewünscht. Ziel war die Sicherung und Entwicklung der funktionalen und gestalterischen Vielfalt in den rheinland-pfälzischen Innenstädten, aber auch die Entwicklung neuer Strategien und Partnerschaf-

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ten in der Aufwertung von Innenstädten. Gesucht und gefördert wurden deshalb kreative und innovative Ansätze x

zur wirtschaftlichen Stärkung und Aufwertung der Stadtkerne,

x

zur Sicherung und Entwicklung attraktiver innerstädtischer Wohnangebote,

x

zu außergewöhnlichen kulturellen und sozialen Initiativen oder

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zu zukunftsweisenden öffentlich-privaten Partnerschaften.

Die Konzepte waren nicht auf bauliche Aspekte beschränkt – gerade neue Beteiligungsformen oder innovative Entwicklungsstrategien konnten beispielhafte Konzepte für die „Werkstatt Innenstadt Rheinland-Pfalz“ werden. Aus allen Einsendungen wählte eine Jury aus Politik, Verwaltung und Fachexperten zwölf Städte und Gemeinden aus, die mit innovativen Ideen eine vorbildliche Herangehensweise zur Innenstadt-Entwicklung versprachen. Die ausgesuchten Städte erhielten die Möglichkeit, der Jury persönlich und vor Ort ihre Konzeptideen zu präsentieren. Auf Grundlage der Präsentationen sowie der eingesandten Arbeiten wurden dann sechs Modellstädte ausgewählt, die in die zweite Phase der „Werkstatt Innenstadt“ aufgenommen wurden, die als Werkstattphase organisiert wurde. In mehreren themenspezifisch durchgeführten Werkstätten wurden Einzelaspekte der Innenstadtentwicklung diskutiert und gemeinsam Lösungsstrategien entwickelt. Ziel war, durch die intensive Zusammenarbeit der Modellstädte, der Entwicklungsagentur des Landes Rheinland-Pfalz sowie externer Fachberatung kontinuierlich Strategien und ein qualifiziertes Netzwerk zu entwickeln. Die ausgewählten Modellgemeinden wurden durch die koordinierenden Planungsbüros und die Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz vor Ort fachlich beraten. Dies umfasste auch ein auf die Konzepte und Projekte zugeschnittenes Finanzcoaching. Die Modellgemeinden bildeten darüber hinaus ein „Network of Excellence“ zum Know-How-Transfer. Im Rahmen von Werkstätten und Expertenhearings wurde der Erfahrungsaustausch organisiert. Hierzu wurden auch externe Experten in die Projektqualifizierung eingebunden. Die Modellgemeinden werden bei der beispielhaften Umsetzung ihrer Projekte durch das Land ab 2005 weiter begleitet und unterstützt. Durch eine Fördermittelpriorisierung wird die zügige Umsetzung der qualitätvollen Modellprojekte ermöglicht. Die Wettbewerbsbeiträge und die Erfahrungen der Modellstädte werden ausführlich dokumentiert und kommen künftig allen Gemeinden in Rheinland-Pfalz zugute.

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2.5.3.4.3 Innenstadtentwicklung im Netzwerk Das beispielgebende Verfahren aus Rheinland-Pfalz zeigt, wie unter Einsatz des Wettbewerbsprinzips Impulse zur Innenstadtentwicklung gegeben werden können. Da zur Teilnahme nur grobe Konzeptideen eingereicht werden mussten, konnte die Hemmschwelle stark gesenkt werden. So konnte etwa ein Drittel der Gemeinden von Rheinland-Pfalz trotz beachtlicher finanzieller und personeller Engpässe auf kommunaler Seite und trotz eines eng gespannten Zeitrahmens zur Teilnahme bewegt werden. Die Verfahrensskizze macht deutlich, dass dem Prozess der Qualifizierung von Konzeptideen in einem Netzwerk aus Land, externer Beratung und den ausgewählten Kommunen große Bedeutung zukam. Es handelt sich um einen der bundesweit ersten Wettbewerbe, in denen der erste Preis nicht in erster Linie in einer Fördersumme, sondern im Angebot zur Teilnahme an einem Qualifizierungsprozess zu begreifen ist. So ist auch das durch den Prozess hergestellte Netzwerk aus teilnehmenden Kommunen zum Know-how-Transfer die eigentlich dauerhafte Struktur, die – vielleicht effektiver als die jeweils ausgewählten Projektideen selbst – zur Stabilisierung der rheinland-pfälzischen Innenstädte beitragen wird. 2.5.3.5

Soziale Stadt – Stadtteilentwicklung im Dialog

2.5.3.5.1 Das Programm „Soziale Stadt“ Die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Veränderungen seit Ende der 1960er Jahre führen zu einer wachsenden sozialen und stadträumlichen Fragmentierung, die eine selektive Auf- und Abwertung einzelner Stadtteile nach sich zieht (vgl. Difu 2003, S. 10ff.). Eine wesentliche Bedeutung kommt dabei der starken Segmentierung des Wohnungsmarktes zu: Die Zahl der Belegungsbindungen hat sich seit den 1980er Jahren bei gleichzeitig starkem Anstieg von Haushalten, die auf den Bezug von Transferleistungen angewiesen sind, bundesweit mehr als halbiert. Alternativen auf dem sich in vielen Städten entspannenden freien Wohnungsmarkt sowie die eher geringe Attraktivität der verbliebenen Sozialwohnungen veranlassen Bewohnerinnen und Bewohner mit vergleichsweise höheren Einkommen zum Fortzug aus den benachteiligten Gebieten. In die frei werdenden Wohnungen ziehen dann vor allem Haushalte mit Migrationshintergrund (in Westdeutschland) und einkommensschwache deutsche Haushalte. Durch die fortschreitende soziale Segregation und die dadurch entstehende Konzentration benachteiligter Haushalte wachsen und verstärken sich in vielen Quartieren soziale Konfliktpotenziale. Solche Stadtteile sind meistens durch eine Mischung komplexer, miteinander zusammenhängender Probleme charakterisiert. Zu den häufigsten gehören (ebd.):

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Problematische gebietliche Bedingungen: z.B. Wohnungs- und Wohnumfeldmängel, Fehlen von Grün- und Freiflächen, Mangel an Infrastruktureinrichtungen, Freizeit- und Beratungsangeboten, Defizite in der Nahversorgung, Lärm- und Abgasbelastung, Leerstand, Fehlen von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, problematische Schulsituation, Zusammenleben von Bevölkerungsgruppen aus sehr unterschiedlichen Herkunftsmilieus, Rückgang von Gewerbe, Handel und Dienstleistungen

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insbesondere das Gebietsimage belastende Probleme: z.B. Verfall, Desinvestition, Verwahrlosung, Vandalismus, soziale Konflikte, negative Innen- und Außenwahrnehmung

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Probleme der individuellen Lebenslage: z.B. Einkommensarmut, Arbeitslosigkeit, Abhängigkeit von Transfereinkommen, geringe Berufsqualifikation, niedrige Kaufkraft, Krankheit, Suchtprobleme, Hilfebedürftigkeit, mangelhafte Deutschkenntnisse

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psychische Probleme als Folge von erschwerten Lebensbedingungen und geringen Lebenschancen: z.B. Vereinsamung, Resignation, Rückzugstendenzen, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit, Unsicherheitsgefühle.

In vielen benachteiligten Quartieren gibt es keine ausgeprägten sozialen Netzwerke mehr. In einigen Gebieten ist die Entstehung einer »abweichenden Kultur« von Kindern und Jugendlichen zu beobachten, die in einem Umfeld mit nur wenigen positiven Vorbildern und Repräsentanten eines »normalen« Lebens den Sinn von Schule, Ausbildung und Beruf nicht mehr vermittelt bekommen (vgl. Difu 2002, S. 17). Staatliche Transferleistungen und Kleinkriminalität ersetzen in einem durch Arbeitslosigkeit geprägten Umfeld oftmals Arbeit als materielle Basis für Lebensunterhalt und Konsum. Vielen Stadtteilen haftet dabei ein Negativimage an, das bis zur Stigmatisierung reicht. Je mehr sich die problematische Situation in den Gebieten verfestigt, desto stärker wirken die Quartiere zugleich auch benachteiligend – zumindest aber die gesellschaftliche Randlage verfestigend. Die dort lebenden Bewohnerinnen und Bewohner sind gleich mehrfach ausgegrenzt: in ökonomischer Hinsicht, da vielen von ihnen aufgrund des Mangels an passenden Qualifikationen der Zutritt zum ersten Arbeitsmarkt dauerhaft verwehrt bleibt; kulturell durch den Verlust des Selbstwertgefühls aufgrund von Stigmatisierung und Diskriminierung; in sozialer Hinsicht durch Abkopplung von der gesellschaftlichen Mehrheit »aufgrund sozialer Isolation und einem Leben in einem geschlossenen Milieu« (Häußermann, S. 13); und schließlich institutionell, da der Kontakt zwischen Betroffenen und politischen oder sozialstaatlichen Institutionen immer schwächer wird. Die hier ablaufenden Prozesse verstärken sich selbst, wenn sie nicht durch koordinierte Anstrengungen von Politik, Verwaltung, Bewohnerinnen und Bewohnern, Wirtschaft und lokal relevanten Akteuren unterbrochen werden. Es sind Ansätze einer integrierten Stadtteilpolitik notwendig, die sich auf das Quartier als Ganzes richten und die es erlauben, die vorhandenen Potenziale zur Verbesserung der lokalen Lebensverhältnisse und den Aufbau möglichst selbsttragender Strukturen

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zu fördern. Für diese Aufgabe sind die bisherigen sektoralen Vorgehensweisen der einzelnen Fachbereiche nicht mehr geeignet; außerdem lässt sich eine zunehmende Diskrepanz zwischen sozial-ökonomischen Problemen und baulich-technischen Maßnahmen konstatieren. Auf Anregung der Ministerkonferenz der Länder konnte 1999 das Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“ initiiert werden. Im Jahr 2004 zählen 249 Stadtteile in 184 Städten und Gemeinden als Programmgebiete der Sozialen Stadt, die neuen Bundesländer sind mit einem Fünftel der Gebiete beteiligt. Das Programm strebt an, die physischen Wohn- und Lebensbedingungen (überwiegend durch baulich-investive Maßnahmen und Projekte), die individuellen Lebenschancen (durch Vermittlung von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen, Eröffnung von Zugangsmöglichkeiten in den Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie Hilfen zur Selbsthilfe) sowie Gebietsimage, Stadtteilöffentlichkeit und Identifikation mit den Quartieren (auf Basis konkreter Stabilisierungs- und Revitalisierungsmaßnahmen) zu verbessern. Ziele und Instrumente des Programms sind integrativer Natur (vgl. Difu 2003, S. 12 f.). Mit dem Schlüsselinstrument Quartiermanagement soll eine horizontal und vertikal vernetzte Kooperations- und Managementstruktur auf Verwaltungs- und Quartiersebene, zwischen diesen Ebenen sowie mit allen anderen lokal relevanten Akteuren gewährleistet werden, um insbesondere die Aktivierung und Beteiligung sowie die Vernetzung von Bewohnerschaft und lokalen Akteuren zu fördern und zu stützen. Das Steuerungs- und Koordinierungsinstrument Integriertes Handlungskonzept dient dazu, im Dialog zwischen den entsprechenden Verwaltungsressorts, der Quartiersbevölkerung und den lokalen Akteuren alle notwendigen Politik- und Handlungsfelder in die Entwicklung der Konzepte, ihre Fortschreibung und Umsetzung einzubeziehen. Unter dem Ziel Ressourcenbündelung sollen vorhandene Förderprogramme für den Einsatz in den Programmgebieten zusammengeführt und harmonisiert werden. Der Titel des Programms Soziale Stadt deutet auf ein weiteres Integrationsziel: Die Auswahl der Gebiete – der besondere Entwicklungsbedarf – setzt den Vergleich mit der Gesamtstadt voraus und rückt damit das Verhältnis von Stadtteil und Gesamtstadt ins Blickfeld; vor allem aber sollen die stadtteilbezogenen Integrierten Handlungskonzepte in Korrespondenz mit gesamtstädtischen Entwicklungskonzepten erarbeitet und umgesetzt werden. Voraussetzung für den Einsatz von Mitteln der Städtebauförderung – dies gilt auch für das Programm Soziale Stadt – ist die Ausweisung von Gebieten. Die Gebietskulisse der Sozialen Stadt ist sehr heterogen, sie umfasst aber ausschließlich Gebiete mit hoher Problemdichte. Mit 54% liegt etwa die Hälfte der Programmgebiete in Großstädten mit mehr als 100 000 Einwohnern, davon 23% in Städten mit über 500.000 Einwohnern. Zwei Quartierstypen zeichnen sich als Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf ab: zum einen verdichtete, häufig gründerzeitliche, auch altindus-

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trialisierte, teilweise vernachlässigte Altbaugebiete, manchmal mit einem vielfältigen Nebeneinander kleinteiliger Siedlungsstrukturen, und zum anderen überwiegend industriell gefertigte Neubausiedlungen der 60er- bis 80er-Jahre, die westlichen Großtafel- und die östlichen Plattensiedlungen, die mit 44% fast die Hälfte der Gebiete ausmachen. Der Bund stellt für das Programm, das wie die Städtebauförderung jährlich fortzuschreiben ist, seit dem Jahr 2001 ca. 75 Mio. Euro bereit. Da Länder und Kommunen die Bundesförderung mit weiteren 150 Mio. Euro kofinanzieren, steht für das Programm z.Zt. ein Gesamtvolumen von rund 230 Mio. Euro jährlich zur Verfügung. Diese Summe soll im Rahmen einer Verstetigung des Programms möglichst gehalten werden. 2.5.3.5.2 Konzepte zur Quartiersentwicklung in Aachen Der Stadtteil Aachen-Ost, bestehend aus den Quartieren Ostviertel und Rothe Erde, ist als altindustriell geprägtes, hochverdichtetes Wohn- und Mischgebiet in Innenstadtrandlage gekennzeichnet durch einen hohen Anteil an Altbausubstanz, einen geringen Freiflächenanteil und einen hohen Grad an Nutzungsmischungen und -konflikten. Mit ihren vielschichtigen sozialen, infrastrukturellen und wirtschaftlichen Problemen gehören die Quartiere zu den typischen Erneuerungsgebieten im Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt – Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“. Beide Quartiere sind unter anderem geprägt von einem überdurchschnittlich hohen Anteil an sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen, von einem niedrigen Bildungsniveau, von einer problematischen Situation für Kinder und Jugendliche und einer Konzentration von Sozialwohnungen und Obdachlosenunterkünften. Die Quartiere weisen ein schlechtes Image und eine schwach ausgeprägte Ortsteilidentität auf. Neben den offensichtlichen Defiziten müssen auch die besonderen Qualitäten der Quartiere gesehen werden, die vor allem in der potenziell urbanen Stadtstruktur, der kleinteiligen Nutzungsmischung und in der multikulturellen Vielfalt der Stadtteilbewohner angelegt sind. Der augenscheinliche Handlungsbedarf sowie die Anregungen von Personen und Vereinen aus Ostviertel und Rothe Erde haben den Stadtentwicklungsausschuss der Stadt Aachen im Mai 1999 veranlasst, sich für die Aufnahme in das damals noch von Land Nordrhein-Westfalen durchgeführte Programm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ zu bewerben. Ende 1999 erhielten die beiden Stadtviertel den Zuschlag. Die Gründung der ressortübergreifenden verwaltungsinternen Arbeitsgruppe (VAG) im Januar 2000 war ein wichtiger Schritt zur Schaffung geeigneter Organisationsstrukturen. Eine erste Aufgabe bestand darin, über eine detaillierte Erfassung der Ist-Situation den Bedarf an Fördermitteln, vor allem aber die erforderliche Bereitschaft von Bevölkerung und Institutionen zur Eigeninitiative zu belegen. Insgesamt mündete diese Untersuchung

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in ein Handlungskonzept, das seitdem die inhaltliche Grundlage der weiteren Planungen in Aachen-Ost bildet. Voraussetzung und Bedingung einer integrierten Erneuerungsstrategie ist eine intensive Zusammenarbeit von Planern, Bürgern, Politik und Verwaltung. In Aachen-Ost findet diese unter anderem ihren Ausdruck in der Gründung eines Stadtteilbüros, welches als Anlauf- und Beratungsstelle zum wichtigen Bindeglied zwischen Bürgerschaft und Verwaltung wird. Zudem wurde aus Schlüsselpersonen (Multiplikatoren) und Lokalpolitikern eine Lenkungsgruppe gebildet, um die koordinierte Arbeit vor Ort mit Bürgern sowie die politische Akzeptanz des Projektes sicherzustellen. Mit dem Entwurf eines integrierten Handlungskonzeptes hat die Stadt Aachen damit begonnen, die notwendigen Erneuerungsmaßnahmen ressortübergreifend vorzubereiten. Im Vordergrund stehen dabei nicht nur städtebauliche und stadtgestalterische Maßnahmen, sondern die integrierte Gesamtentwicklung der Quartiere unter Einbeziehung aller Lebensbereiche. Zur Konkretisierung des integrierten Handlungskonzeptes wurde Anfang 2001 eine städtebauliche Rahmenplanung in Auftrag gegeben. Als übergreifendes Leitbild zur Stadtteilerneuerung soll dieser Rahmenplan für Aachen-Ost die Orientierung und die Grundlagen zur Realisierung konkreter städtebaulicher, freiraum- und verkehrsplanerischer Projekte innerhalb des Förderprogramms schaffen. Unter einem langfristig orientierten Zeithorizont muss diese Rahmenplanung dazu eine grundlegende Übersicht aufeinander abgestimmter Handlungsvorschläge ergeben. Mit kurzfristigen Projektbausteinen müssen aber gleichzeitig tragfähige planerische und konzeptionelle Grundlagen für erste Realisierungen geliefert werden. Die städtebauliche Rahmenplanung versteht sich dabei als eine Planung, die sich nicht allein an Förderprogrammen und -möglichkeiten orientiert, sondern flexibel auf die örtlichen Gegebenheiten reagiert. Sie wird zur Konzeption für Planungen, Planungsinstrumentarien und Maßnahmen, die zur Sicherung und Entwicklung des Stadtteils beitragen. Dies stellt besondere Anforderungen an die Verfahrensstrukturierung und an Beteiligungsformen. Eine integrierte Erneuerungsstrategie kann nur über eine aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger zum Tragen kommen. Als Expertinnen und Experten für ihr Quartier besitzen gerade sie die Qualifikation, Probleme und Qualitäten in ihrem direkten Wohn- und Lebensumfeld zu benennen und Lösungsansätze zu entwickeln. Ausgehend von der These, dass die Qualität des Planungsprozesses in entscheidender Weise die Qualität der Planungsergebnisse beeinflusst, wurden im Zuge der Rahmenplanung Plattformen einer unkonventionellen und effektiven Form der aktiven Bürgerbeteiligung geschaffen. Die Vorbereitung, Moderation und Auswertung dieses diskursiven Planungsprozesses nahm einen hohen Stellenwert in der Erarbeitung der Rahmenplanung ein. Den Auftakt bildeten zwei

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vorbereitende Werkstätten, zu denen Ziele und Ablauf des Rahmenplanprozesses mit zahlreichen Vertretern der Bürgerschaft, der Parteien, der Verwaltung, der Kirchen, aus Wirtschaft und Kultur sowie mit Vertretern lokaler Institutionen und Vereine diskutiert wurden. Die Vorbereitungswerkstätten dienten der gegenseitigen Information über das Verfahren und der Erarbeitung eines inhaltlich-konzeptionellen Programms zur Rahmenplanung. Auf diese Weise war es möglich, eine Vielzahl interessierter Akteure aktiv in die Vorbereitungsarbeit zur nachfolgenden Stadtteilwerkstatt einzubeziehen. Inhaltlich ergänzt wurden diese Vorbereitungswerkstätten um die Ergebnisse verschiedener Aktionen der aktivierenden Bürgerbeteiligung des Stadtteilbüros Aachen-Ost. In die Konzepte der Planer eingeflossen sind außerdem Ratsanträge von Stadtteilkonferenz, Parteien und Bürgern, außerdem Ergebnisse der Aktionsgruppen „Mütter sehen Rothe Erde“, eine Befragung von Schulklassen der Grundschulen sowie die Ergebnisse einer Verkehrssicherheitsaktion mit Kindern. Mittelpunkt des Planungsverfahrens zur Rahmenplanung war die einwöchige Stadtteilwerkstatt, die im August 2001 in einem Festzelt im Stadtteilpark – dem Kennedypark – stattfand. 2.5.3.5.3 Kooperative Konzeptentwicklung in der Stadtteilwerkstatt Zur Stadtteilwerkstatt waren alle interessierten Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Initiativen, Schulen und Kindergärten aufgefordert, ihre Ideen und Vorschläge zur Erneuerung der Stadtviertel einzubringen. In unterschiedlichen Arbeits- und Entwurfsgruppen befasste man sich mit konkreten Projekten, Planungsansätzen und Aufgaben der Stadtteilentwicklung. In einer Arbeitsgruppe geschah dies auch in türkischer Sprache. Parallel dazu setzten sich Vertreter aus Verwaltung und Wissenschaft in öffentlichen Expertengesprächen mit spezifischen Fragestellungen der sozialen Integration, der Verkehrssicherheit, des Handels und Gewerbes sowie der Selbsthilfe auseinander. Inhalte und Programm der Stadtteilwerkstatt waren zuvor in einer Werkstattzeitung ausführlich dargestellt worden. Diese erreichte als Sonderbeilage der neu herausgegebenen Stadtteilzeitung eine Woche vor Auftakt jeden Haushalt und stellte so die öffentliche Wirkung der Stadtteilwerkstatt her. In der Stadtteilzeitung wurde auch ein erster vorläufiger Entwurf zu einem Rahmenplan für Aachen-Ost zur Diskussion gestellt. Auf diese Weise konnten sich Interessierte im Vorfeld ein Bild von den geplanten Einzelveranstaltungen machen und sich über die skizzierten Vorschläge der Planer zu eigenen Ideen anregen lassen. Auch Plakate, Straßenbanner und Flyer machten auf das bevorstehende Ereignis aufmerksam. Die einwöchige Stadtteilwerkstatt mit ihren Einzelveranstaltungen, Diskussionsforen, Expertenhearings und einem umfassenden kulturellen Rahmenprogramm war nicht der Abschluss, sondern der Kern des Planungsprozesses. Damit unterscheidet sich der eingeschlagene Weg von übli-

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chen Bürgeranhörungen im Rahmen formeller Planverfahren. Die aktive Mitwirkung vieler Akteure in der Werkstattwoche war Grundlage für die weitere Ausarbeitung des städtebaulichen Rahmenplanes für Aachen-Ost. Bereits während der Werkstatt wurden die in den Arbeitsgruppen und Expertengesprächen gewonnenen Erkenntnisse vom Planungsteam analysiert, zusammengefasst und in eine Rahmenplanung zur Stadtteilentwicklung eingearbeitet. Die Vorschläge und Ideen der Bürgerinnen und Bürger fanden damit ihren Eingang in die Entwicklung konkreter Planungskonzepte, die am letzten Tag der Werkstatt im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung präsentiert wurden. Im Nachgang wurden die Werkstattergebnisse weiter aufgearbeitet, gebündelt und im Sinne einer Maßnahmenund Strategiekonzeption konkretisiert. 2.5.3.6

Stadtumbau in der schrumpfenden Stadt

2.5.3.6.1 Die Herausforderung des demographischen Wandels Die Deindustrialisierung in Regionen wie dem Ruhrgebiet und der flächenhafte Leerstand in ostdeutschen Städten haben in den 1990er Jahren die städtebauliche Diskussion dafür sensibilisiert, dass sich Stadtentwicklung in Zukunft nicht mehr nur auf die räumliche Verteilung von Zuwächsen konzentrieren wird. In den Vordergrund rückt die Aufgabe, Rück- und Umbauprozesse zu gestalten. Der Diskurs über die demographische Entwicklung der deutschen Bevölkerung hat diese Debatte noch verstärkt und dabei den Fokus auch auf die Städte in Westdeutschland gelenkt. Das Geflecht an Ursachen für Rückentwicklungen in Westdeutschland ist vielschichtig. Drei maßgebliche Faktoren

für

Schrumpfungsphänomene

in

Städten

und

Regionen

lassen

sich

nennen:

Deindustrialisierung, Suburbanisierung und demographischer Wandel. Besonders ausgeprägt sind Einwohnerverluste und Leerstände in Kernstädten von Regionen, in denen der wirtschaftsstrukturelle Wandel ganze Industriezweige zum Niedergang gebracht hat. Hier kann von Deindustrialisierung als Ursache der Schrumpfung gesprochen werden. Diese Prozesse ähneln denen in Ostdeutschland – allerdings mit dem Unterschied, dass sich die westdeutschen Rückentwicklungsprozesse über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten erstrecken und ein geringeres Ausmaß annehmen. Die anhaltende Suburbanisierung von Wohn- und Gewerbenutzungen lässt sich als zweiter Faktor im Ursachengefüge nennen. Die Ausweisung von günstigem Bauland, die Eigenheimzulage sowie empfundene Attraktivitätsmängel urbanen Wohnens veranlassen immer mehr Menschen dazu, die Städte zu verlassen. Inzwischen handelt es sich nicht mehr nur um Familien mit Kindern, die der Stadt den Rücken kehren, sondern auch um Schwellenhaushalte und kinderlose Ein-

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und Zweipersonenhaushalte. Die Abwanderung von Gewerbe-, Einzelhandels- und Freizeitunternehmen an verkehrsgünstige Stadtrandlagen unterstützt darüber hinaus die Entleerung der Kernstädte. Die demographische Entwicklung stellt den dritten wichtigen Einflussfaktor der Rückentwicklungsprozesse dar. Seit Anfang der 1970er Jahre werden in Deutschland weniger Kinder geboren als zur langfristigen Erhaltung der Bevölkerungszahl notwendig wären. Für die Bestandserhaltung der Bevölkerung müsste die durchschnittliche Geburtenziffer bei 2,1 Kindern pro Frau liegen, sie liegt jedoch bei 1,4 Kindern pro Frau. Die niedrige Geburtenrate bewirkt, dass die jeweils nachfolgende Generation um ein Drittel reduziert wird, so dass sich im Abstand von nur zwei Generationen die Ausgangsbevölkerung halbiert. Das Geburtsverhalten in entwickelten Gesellschaften ist keine vorübergehende Erscheinung, sondern eine langfristig stabile Größe, mit der zwei für die Stadtentwicklung wesentliche Folgen einhergehen: eine drastische Reduzierung der Bevölkerungszahl sowie eine Verschiebung der Altersstruktur hin zu einem deutlich höheren Anteil alter Menschen. Bei steigender Lebenserwartung und abnehmenden Geburten steigen die Anteile älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung. Mit dieser Änderung des Altersaufbaus wandeln sich die Ansprüche an Wohnraum in westdeutschen Städten weiter, die schon durch die Pluralisierung der Lebensstile und die veränderten Haushaltsstrukturen Ausdifferenzierungen erfahren haben. Der Schrumpfungsprozess der inländischen Bevölkerung ist kein überraschendes Phänomen, sondern wurde bereits in den 1970er Jahren eingeleitet. Im Westen der Bundesrepublik wurde er jedoch bis in die Gegenwart durch Zuwanderung von Ausländern, Rückwanderung von Deutschstämmigen aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion sowie ab 1990 durch die Binnenwanderung von Ostdeutschen nach Westdeutschland nicht nur ausgeglichen, sondern positiv überdeckt. Die westdeutsche Bevölkerung ist seit 1990 sogar um ca. vier Millionen Einwohner gewachsen; die Bevölkerung Ostdeutschlands hat im gleichen Zeitraum um ca. eine Million Einwohner abgenommen. Aus diesen Gründen findet sich die quantitative Problematik des Wohnungsleerstandes überwiegend in den neuen Ländern. Das Problem des massiven, flächendeckenden Leerstands hat den Westen Deutschlands noch nicht erreicht – weder im physischen Sinn noch mental: Viele Entscheidungsträger in den alten Bundesländern sind sich der Tatsache noch nicht bewusst, dass die heute in Ostdeutschland zu beobachtenden Entwicklung nahezu unausweichlich auch im Westen stattfinden wird. Auch die Bevölkerung in den alten Bundesländern wird – mit unterschiedlichen regionalen Schwerpunkten – schrumpfen. Dabei bewegen sich die prognostizierten Rückgänge in einer Größenordnung, die durch internationale Zuwanderung nicht mehr ausgeglichen werden kann, zu-

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mal durch Zuwanderung die Problematik der Alterung nicht vermindert werden kann. Auch Zuwanderer unterliegen dem Alterungsprozess, und internationale Erfahrungen zeigen, dass sich das Gebärverhalten von Migranten mit zunehmender Integration der heimischen Bevölkerung angleicht. 2.5.3.6.2 Stadtumbau West als ExWoSt-Forschungsfeld Dauerhafte Wohnungsleerstände, großflächige Industriebrachen und leer stehende Einzelhandelsimmobilien in einigen westdeutschen Städten werden folgerichtig in den Zusammenhang von regionalen Schrumpfungsprozessen und allgemeingültigen Trends der Bevölkerungsentwicklung gestellt. Die Analyse, in welchen Regionen oder auch Teilräumen von Städten welche Problemlagen auftreten, ist daher auch schon fortgeschritten. Wie zukunftsfähige Leitbilder für von Rückentwicklung betroffene Städte und Stadträume aussehen müssen und welche Strategien zum Umbau der Städte Erfolg versprechen, ist dagegen noch weitgehend unklar. Um entsprechende Erfahrungen von Städten in Schrumpfungsprozessen zu sammeln und auszuwerten, wurde daher das ExWoSt-Forschungsfeld „Stadtumbau West“ initiiert. Mit dem Forschungsprogramm Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) fördert der Bund seit über 15 Jahren in Form von wissenschaftlich begleiteten Modellvorhaben innovative Planungen und Maßnahmen in wichtigen städtebau- und wohnungspolitischen Forschungsfeldern. Im Forschungsfeld „Stadtumbau West“ sollen die städtebaulichen Instrumente einschließlich der Städtebauförderung des Bundes überprüft und Ansätze zu deren Weiterentwicklung gewonnen werden. Dies betrifft insbesondere deren Eignung, rückläufige Entwicklungen, soweit sie auch im Westen Deutschlands prägend sind oder sein werden, räumlich zu steuern. Neben der Eignung bestehender Instrumente, ihres Flexibilisierungsbedarfs oder Fragen der Finanzierung werden auch Kooperations- und Akzeptanzaspekte beim Stadtumbau untersucht. Dabei bedarf es der Pilotprojekte, die klären helfen, wie der Bund den zu erwartenden Wandel in nicht mehr durch Wachstum geprägten Stadtregionen, Städten und Stadtteilen positiv unterstützen kann. Vor diesem Hintergrund wurden seit Sommer 2002 16 Pilotstädte in ganz Westdeutschland ausgewählt, die beispielhaft Stadtumbaustrategien erproben sollen. Ein Großteil der Pilotstädte weist eine relativ periphere Lage in Westdeutschland oder eine eher siedlungsräumliche Randlage auf. Die Größe der Kommunen und Gemeinden variiert zwischen Großstädten wie Essen mit ca. 590.000 oder Gelsenkirchen mit über 270.000 Einwohnern und einer kleinen ländlichen Gemeinde wie Wildflecken mit ca. 3.500 Einwohnern.

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Hinsichtlich ihres Stadtumbauprofils können die Pilotstädte unterschieden werden in solche Städte, deren thematischer Schwerpunkt im wirtschaftlichen Strukturwandel mit seinen städtebaulichen Folgen liegt und in solche Städte, die sich mit Fragestellungen des „Wohnens im Wandel“ auseinandersetzen. 2.5.3.6.3 Essen – schrumpfende Stadt im Ruhrgebiet Die Stadt Essen, geographisches Zentrum der Metropolregion Ruhrgebiet, als Bürostandort „Schreibtisch des Ruhrgebiets“, Sitz international bedeutender Konzerne, Messe- und Universitätsstadt mit weltweiter Geltung im Bereich des Gesundheitswesens, ist im Jahr 2004 mit 586.750 Einwohnern eine der herausragenden Städte des Ruhrgebiets. Auf den bereits in den 1960er Jahren einsetzenden, montanindustriellen Strukturwandel in der ehemaligen Bergbaustadt Essen folgten schon früh starke Bevölkerungsrückgänge. Mit einem Verlust von über 35.000 Einwohnern zwischen 1992 und 2002 verzeichnet Essen auch noch in der jüngeren Vergangenheit vergleichsweise starke Rückgänge im Ruhrgebiet, die nach allen Prognosen in Zukunft anhalten und bis 2015 einen weiteren Verlust von bis zu 45.000 Einwohnern mit sich bringen werden. Diese Einwohnerverluste resultieren aus Sterbeüberschüssen bei der deutschen Bevölkerung, die durch Geburtenüberschüsse bei Einwohnern mit Migrationshintergrund nicht ausgeglichen werden. Wanderungsgewinne und -verluste sind mittlerweile ausgeglichen, wobei sich die Fortzüge weniger auf Gebiete mit ländlicher Raumstruktur, sondern auf andere Ballungsraumkernbereiche konzentrieren. Die Bevölkerung altert überdurchschnittlich schnell. Historisch und naturräumlich bedingt unterteilt sich das Essener Stadtgebiet in den dicht besiedelten Norden und den durch ausgedehnte Grün- und Freiraumstrukturen geprägten Süden. Auch sozialräumlich betrachtet lässt sich ein Unterschied feststellen: Pointiert ausgedrückt kann man vom „armen, multiethnischen, jungen Norden“ und vom „reichen, deutschen, alten Süden“ sprechen. Im Rahmen des ExWoSt-Forschungsfeldes Stadtumbau West erarbeitet Essen ein Stadtentwicklungskonzept „Essen-Perspektive 2015+“. Die zentrale Frage lautet, mit welchen flächenbezogenen Strategien in den Bereichen Wohnen, Gewerbe und Infrastruktur die Stadt Essen den erwarteten Bevölkerungsverlusten, Alterungstendenzen und räumlichen Segregationsprozessen begegnen kann. Unter dem Motto „Agieren statt reagieren“ ist der Diskussionsprozess bereits in Essen initiiert worden. Das funktionierende gesamtstädtische Zentren-System und der relativ stabile Arbeitsmarkt besonders im zukunftsträchtigen tertiären Sektor werden als solide Grundlage für Stadtumbaustrategien gewertet, die die besondere Bedeutung Essens als Konzern- und Dienstleistungsstandort für eine ganze Region berücksichtigen. Zur Eindämmung der Wanderungsverluste hat die Stadt Essen ein Wohnungsbauprogramm 2001 bis 2003 mit dem Ziel aufgelegt, durch Baulandausweisungen insbesondere im Bereich der

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Einfamilienhausbebauung Haushalte in ihrer Gründungsphase im Stadtgebiet zu halten. Über das Wohnungsbauprogramm hinaus werden weitere Maßnahmen erforderlich sein, um mit den oben skizzierten Entwicklungen eine sinnvolle „Perspektive 2015+“ gestalten zu können. Die langjährige Praxis mit der Aufgabe „ Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“ stellt einen Erfahrungshintergrund dar, der für die Stadtumbauprozesse fruchtbar eingesetzt werden kann. Auch die eingeübte Zusammenarbeit der Kommune mit ansässigen Wohnungsunternehmen sowie die Kooperation von zehn Unternehmen im Rahmen des wohnungswirtschaftlichen Aufwertungs- und Anpassungsprojektes „Wohnen in Essen“ erleichtern es der Stadt, erfolgversprechende Ansätze zur Bewältigung der Bevölkerungsverluste, Alterungs- und Segregationsprozesse zu entwickeln. 2.5.4

Die Renaissance der großen Pläne

Die Stadtplanung in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg hat einige Phasen durchlaufen, die sowohl hinsichtlich der jeweils gültigen städtebaulichen Leitbilder als auch hinsichtlich des Planungsverständnisses und der planerischen Methodologie deutlich voneinander unterscheidbar sind. Die vereinfachende Metapher der Pendelbewegung hat unter 2.5.2 dazu gedient, die Dynamik dieser Entwicklung zusammenzufassen. Die historische Betrachtung wurde mit der Vermutung abgeschlossen, dass in der gegenwärtigen Phase eine Renaissance der „großen Pläne“ und der übergreifenden Konzepte zu beobachten ist, nachdem die vergangene Dekade von einer Planungshaltung geprägt war, in deren Mittelpunkt oftmals die Entwicklung konkreter Projekte stand. Dabei wurde die These aufgestellt, dass entsprechend umfassend angelegten, strategischen Planungen heute – im Gegensatz z.B. zur integrierten Stadtentwicklungsplanung der 1970er Jahre – eher die Rolle eines Mediums zukommt, das einen stadt- oder regionalpolitischen Diskurs abbildet. Beispiele aktueller Handlungsfelder der Raumplanung in 2.5.3 haben diesen Verdacht auf verschiedenen Maßstabsebenen erhärtet. Darüber hinaus hat die Sammlung „guter Beispiele“ ergeben, dass sich Planung „entstandardisiert“ hat (vgl. Frey, S. 13ff.). Räumliche Planung kennt mithin nicht nur eine Arbeitsform, ein gesetzlich vorgeschriebenes Prozedere, sondern sie bedient sich vieler Instrumente gleichzeitig. Dabei stehen formelle und informelle Planungen komplementär zueinander. Auch ist die Rückkehr strategischer Pläne auf keinen Fall gleichbedeutend mit der Abkehr vom „Projekt“. Vielmehr werden dort, wo Strategien überwiegend durch punktuelle Eingriffe in Form von Projekten verfolgt werden, diese immer häufiger in übergreifende Konzepte eingeordnet, die über die prosaische Definition von „Projektfamilien“ hinausgehen und ernsthafte Synergien mit räumlichen Wirkungen anstreben.

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Strategische Planung bedient sich in der gegenwärtigen Planungsphase der Projektentwicklung und macht sich hierdurch erst diskursfähig. Projekte selbst hingegen bedürfen dieses Rahmens, die Vielzahl von Einzelentscheidungen verlangt nach Rahmensetzung und Koordination. Das macht die Rückbesinnung auf strategische Konzepte, die diese Funktion wahrnehmen können, plausibel (vgl. Frey, S. 13ff.). Die Vielfalt übergreifender Planung macht darüber hinaus deutlich, dass eine Typisierung zunächst nicht möglich ist. Ihr gemeinsamer Nenner scheint in ihrer Individualität zu bestehen, in ihrer Angepasstheit an den Ort oder die Region und den sachlichen Kontext. Die Renaissance strategischer Planungen ist daher weniger inhaltlich zu begreifen, wie Frey et al. feststellen, sondern eher thematisch: „Man denkt wieder in großen räumlichen oder entwicklungsperspektivischen Perimetern. ... 'Große Pläne' sind mehr als früher planerische Maßarbeit.“ (vgl. Frey, S. 14). Hinsichtlich der Maßstäbe, Inhalte und Erarbeitungswege der neuen „großen Pläne“ lassen sich daher unterschiedliche Beobachtungen machen. Gegenwärtige strategische Planung bezieht sich oft auf den stadtregionalen Maßstab und knüpft als neue Generation von Stadtentwicklungs- oder Regionalplänen an die klassischen Planwerke an, hebt sich jedoch durch die Vermittlung von Visionen und Bildern sowie den starken Einsatz von Projekten von traditioneller Gesamtplanung ab. Andere Formen strategischer Planung werden wiederum erst aus Großprojekten abgeleitet und verweisen auf diese Art auf die Komplementarität der beiden Planungsmethoden. Auch auf Stadtteilebene gibt es inzwischen strategische Konzepte, wie der Stadtumbau in den neuen Bundesländern mit langfristig angelegten, aber flexiblen Rückbauplanungen eindrucksvoll zeigt. Strategische Planungen können darüber hinaus nichträumlichen Charakters sein, aber räumliche Konsequenzen aufweisen, wie z.B. regionale Masterpläne zur Tourismusentwicklung. Die Inhalte der „großen Pläne“ sind dabei abhängig vom räumlichen Kontext sowie den verhandelten Aufgabenstellungen. Frey et al. stellen jedoch fest, dass „der Spagat zwischen der Feststellung unsicherer Entwicklungsverläufe und dem berechtigten Wunsch nach Zukunftssicherung“ (vgl. Frey, S. 14) in der strategischen Planung adäquat reflektiert werden muss. Die Pläne schaffen daher für bestimmte Entwicklungsziele und –abschnitte eine verbindliche Grundlage, während sie darüber hinaus für unerwartete Entwicklungen offen sind. Bereits erwähnt wurde der Umstand, dass strategische Planungen der Einbeziehung und Einbindung vieler Akteure dienen, um eine möglichst große Übereinkunft über die Ziele und ihre Verbindlichkeit zu erzielen. Die angeführten Beispiele haben gezeigt, in welchem Ausmaß insbesondere dem Prozess der kooperativen Planentwicklung heute besondere Bedeutung beigemessen wird – der Prozessqualität wird in vielen Fällen ein direkter Einfluss auf die Ergebnisqualität bescheinigt.

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Um den seit Punkt 2.5.2.3.2 noch offenen Begriff des „Konzeptes“ nun stärker einzugrenzen, dient die Interpretation seiner sprachlichen Herkunft: In der „Zusammenfassung“, mehr aber noch im „Zusammenfassen“ scheint neben dem dinglichen Ergebnis immer auch das Prozesshafte auf. Im gegenwärtigen Planungsverständnis verschiebt sich diese Konnotation recht eindeutig: Der Wiederkehr „großer Pläne“ zum Trotz erscheint das planerische Konzept heute stärker denn je als Prozess.

358

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 2.5 Curdes, G.: Stadtstruktur und Stadtgestaltung. Stuttgart, Berlin, Köln 1993. Difu, Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.): Die Soziale Stadt. Eine erste Bilanz des Bund-LänderProgramms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“. Berlin 2002. Difu, Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.): Strategien für die Soziale Stadt. Erfahrungen und Perspektiven – Umsetzung des Bund-Länder-Programmes „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“. Berlin 2003. Durth, W./Gutschow, N.: Träume in Trümmern. Stadtplanung 1940-1950, München 1993. Frey, O./Keller, D. A./Klotz, A./Koch, M./Selle, K.: Rückkehr der großen Pläne? Ergebnisse eines internationalen Workshops in Wien. In: DISP 153, 2003, S. 13-18. Harlander, T.: Stadtplanung und Stadtentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. In: DISP 132, 1998, S. 4-9. Hatzfeld, U./Junker, R.: Innenstädte: Probleme und Handlungsoptionen Mitte der 90er Jahre. In: Handbuch Kommunale Politik. Stuttgart 1994, S. 3-4. Häußermann, H.: Die Krise der „sozialen Stadt“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 10–11, 2000, S. 13–21. Mayer, H-N./ Siebel, W.: Neue Formen politischer Planung: IBA Emscher Park und Expo 2000 Hannover, in: DISP 134, 1998, S. 4-11. MSWKS, Ministerium für Städtebau, Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Architektur als Element des Städtischen. Kolloquium in Köln am 28./29.9.1999, Düsseldorf 2000. SenBau, Der Senator für Bau, Verkehr und Stadtentwicklung der Freien Hansestadt Bremen (Hrsg.): Stadtentwicklungskonzept Bremen, Bremen 1999. Siebel, W.: Zukunft der europäischen Stadt. In: MSWKS (2000), S. 26-28. Sieverts, Th.: Zwischenstadt, zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land, 2. Auflage, Braunschweig 1998. Sieverts, Th./Ganser, K.: Vom Aufbaustab Speer bis zur Internationalen Bauausstellung Emscher Park und darüber hinaus. Planungskulturen in der Bundesrepublik Deutschland, In: DISP 115, 1993, S. 31-37.

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Weiterführende Fachliteratur Graham, D. (Hrsg.): The Suburban City, Basel 1997. Koolhaas, R.: Die Stadt ohne Eigenschaften. In: Graham 1997, S. 13-23.

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3 Städtebau als gestaltende Stadtplanung

3.1 Stadttyp Europäische Stadt

365

Wolfgang Christ

3.2 Stadtbausteine

413

Andrea Pelzeter

3.3 Architektur als Element von Gebäudekonzepten

699

Norbert Moest

3.4 Städtebauliche Gestaltungsansätze zur Aufwertung gewerblicher Standtorte Kunibert Wachten, Steffen Nadrowski

719

361

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3.1

Stadttyp Europäische Stadt

365

Wolfgang Christ 3.1.1 Stadt 3.1.1.1 Stadtkultur 3.1.1.2 Städtebau 3.1.1.3 Stadtwert 3.1.2 Typologie 3.1.2.1 Behälterstadt 3.1.2.2 Industriestadt 3.1.2.3 Slaburbia 3.1.2.4 Zwischenstadt 3.1.2.5 Fraktale Stadt 3.1.2.6 Künstliche Stadt 3.1.3 Entwicklung 3.1.3.1 Zentrierung 3.1.3.2 Komprimierung 3.1.3.3 Dehnung 3.1.3.4 Fragmentierung Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.1.

365 365 369 373 379 379 382 391 394 398 401 402 403 404 405 406 408

363

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365

3.1 Stadttyp Europäische Stadt Wolfgang Christ 3.1.1

Stadt

3.1.1.1

Stadtkultur

Quelle: eigene Darstellung nach dtv Lexikon 1992

Abbildung 66: Verstädterung in Deutschland Mit dem Begriff der Europäischen Stadt verbindet sich ein Stadttyp, der sich zu einem Bild formen lässt. Im Vergleich etwa mit der nordamerikanischen Stadt, die im offenen, grenzenlosen JeffersonRaster immer nur in unkonturierten Ausschnitten gezeigt werden kann, ist das Bild der europäischen Stadt ein abgeschlossenes, in sich ruhendes. Wir sehen einen bewusst gefügten Raum voller Zeichen von Bedeutung für Geschichte, Regionalität und lokale Identität. Vom „himmlischen Jerusalem“ über die merianschen Stadtprospekte bis zu den Ansichtspostkarten der Tourismusbranche wird die Stadt europäischen Typs als etwas Begreifbares und im ganzen Vorstellbares vermittelt. Die europäische Stadt wird mit metaphorischen Szenen in Fotografie und Film assoziiert, denen gemeinsam ist, dass sie immer auch auf das verweisen, was nicht im Bild ist: auf den Stadtzusammenhang. So dürfte ein Platz mit Markttreiben die Mitte der Stadt anzeigen. Cafés am Straßenrand werden mit einem Boulevard verbunden und dieser lässt Bahnhof, Kaufhäuser, Theater oder eine Parkanlage erahnen. Beim Anblick einer Altstadtgasse ist es selbstverständlich, dass Kirchen, Stadtmauer und Stadttore nahe sind. Schließlich sind die Wohnblocks des sozialen Woh-

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366

nungsbaus ein untrügliches Zeichen für die sozialstaatliche Verfassung der Stadt im Industriezeitalter. Die Stadt europäischen Typs ist in ihren Eigenschaften gleichsam visuell identifizierbar. Ihr Inhalt und Aufbau ist ästhetisch codiert. Als Ganzes bleibt sie dennoch ein Mythos, also eine Erzählung, die Identität zu stiften vermag, die aber nur lebendig wird, wenn man sie, versehen mit neuen Folgen, weitererzählt und dabei neu deutet. Vom 11. bis zum 14. Jahrhundert werden im deutschen Sprachraum ca. 3.000 Städte gegründet. Im statistischen Durchschnitt ist dies pro Monat eine neue Stadt! Etwa 150 Städte existierten bereits. Sie gehen auf frühmittelalterliche Handelsplätze und römische Gründungen zurück. In der Neuzeit kommen weniger als 50 Städte hinzu, z.B. Mannheim (1606), Neuwied (1653), Wolfsburg (1937) oder Eisenhüttenstadt (1952). Das Spektrum der Stadt europäischen Typs ist indes weiter gespannt: dazu zählen die aus der antiken Polis entstandenen Städte Griechenlands ebenso wie die 21 „New Towns“, die nach dem 2. Weltkrieg in Großbritannien gebaut werden. Teil des europäischen Städtebaus sind aber auch die islamischen Wurzeln z. B. in Cordoba, das um das Jahr 1000, als die christlichen Städte Deutschlands nur wenige tausend Einwohner haben, eine hoch entwickelte Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern ist. Die enorme Vielfalt der europäischen Stadtkulturen verbietet eine nivellierende Kategorisierung. Eine städtebauliche Typisierung der europäischen Städte kann daher auch nur ihre gemeinsamen Eigenschaften sammeln. In den von Rietdorf 2001 und Hassenpflug 2002 publizierten Texten zur europäischen Stadt lassen sich als positive Merkmale des Stadttyps herausgreifen: x

lang andauernde Stadtkultur,

x

hohe bauliche Dichte und die Integration heterogener soziokultureller und ethnischer Gruppen,

x

Ferment des sozialen Wandels,

x

Ort des westlichen rationalen, fortschrittlichen Lebensmodells,

x

konsumtiv und wirtschaftend,

x

identitätsstiftend und Orientierung ermöglichend,

x

in Geschichte eingebunden und für Zukunft offen; Raum der Zivilgesellschaft,

x

lokale Utopie in globaler Solidarität, etc.

Diese unvollständige Aufzählung darf nicht vergessen machen, dass dabei die Wirkung und Bedeutung eines Gegenstandes gemessen wird, dessen Jahrhunderte lange Entwicklung von Konflikten und Katastrophen gekennzeichnet ist.

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367

Was uns heute wie auf einem Tableau als attraktive städtebauliche Figur angeboten wird, ist auch das Ergebnis von verlustreichen, schlimmstenfalls tödlich verlaufenen Prozessen. Gewalt und Willkür, Pest, Cholera, Tuberkulose, Brand und Krieg, harte gesellschaftliche Regeln und individuelle Pflichten, Revolution und Restauration prägen die europäische Stadt. Das „typisch europäische“ in unseren alten Städten ist – auch wenn es original erscheint – vom Leben der Jahrhunderte befreit. In der Regel ist es ein vielfaches „upgrade“ der ursprünglichen Version. Besonders augenfällig trifft dies auf die Kernstadt, die City, zu: Straßen, die heute dem Stadtmarketing als Erlebniswelt authentischer historischer Stadt dienen, sind bis zur Erfindung des Bürgersteigs und der Einführung der Kanalisation (Berlin ab 1858, Paris ab 1852) etwa „in Balzacs Paris Orte des Kots, der Pfützen, Regengüsse, des Abfalls und Gestanks“ (Hartung 1997, S. 31). Datiert man den Ursprung der Stadt europäischen Typs auf die Gründung der mittelalterlichen Handwerker- und Handelsstädte, dann verdichtet sich im Begriff der europäischen Stadt die Stadtentwicklung eines Jahrtausends. Der Stadttyp vereint sowohl die Botschaft der gelebten Stadtgeschichte, als auch diejenige des „Überbaus“, der Ideengeschichte der europäischen Stadt- und Planungskultur. Wenn im Folgenden von der Europäischen Stadt die Rede ist, dann immer im Bewusstsein einer Verknüpfung von gebauter und gedachter Stadt. Die Stadtentwicklung wird von Anfang an von Diskursen begleitet, die sie idealisieren – etwa der Idealstädte der Renaissance – oder sie dämonisieren, als biblische „Hure Babylon“ oder Unterwelt- und Hochhausmoloch „Metropolis“ im Film von Fritz Lang. Eine weitere grundlegende Annahme betrifft die zeitliche Dimension des Begriffs. Die „europäische Stadt“ wird vom Verfasser als Summe all ihrer Entwicklungsphasen begriffen. „Europäisch“ ist also auch die offensichtliche Antithese zur traditionellen Stadt, die Satellitenstadt. Eine dritte notwendige Klarstellung bezieht sich auf die partielle Trennung von Form und Inhalt in der städtebaulichen Perspektive auf die Europäische Stadt. Es ist unzweideutig, dass es sich bei der Stadtentwicklung von mehr als tausend Jahren um eine hochgradig differenzierte Gemengelage aus soziokulturellen, ökonomischen, politischen und physisch-materiellen Kräften handelt. Doch hat der Raum im Verlauf dieses Prozesses eine morphologische und ikonografische Qualität angenommen, die nun im städtebaulichen Konzept der europäischen Stadt des 21. Jahrhunderts eine neue Bedeutung erlangen kann. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die Europäische Stadt als Raumfigur zu lesen: Stadt-Mitte, Stadt-Raum, Stadt-Grenze, Stadt-Landschaft und Städte-Netz bilden das städtebauliche Grundmuster des Stadttyps. Dieser methodische Zugang zur europäischen Stadt leugnet nicht deren Vielschichtigkeit, sondern entwickelt retrospektiv – von der Form ausgehend – die kulturellen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Begabungen des Stadttyps für die Zukunft der Stadt.

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Die Europäische Stadt, die immer mit der Vorstellung „der Befreiung von Etwas“ (Siebel, S. 151) verbunden ist, provoziert auch heute Hoffnungen, z.B. auf eine „Wiedergewinnung des Politischen“: „Dementsprechend heißt die Aufgabe, immer neue lebensqualitätsbewusste Städte zu produzieren, mental, politisch, sozial, kulturell, ökologisch, ökonomisch, technisch. Die europäische Stadt hat eine Zukunft, wenn es gelingt, den stetigen, historisch belegten Dialog als Prozess in der Wiedergewinnung des Politischen zu realisieren.“ (Böhme 2002, S. 93ff.) Das Vokabular der Europäischen Stadt ist z.Zt. dort am intensivsten in Gebrauch, wo Stadt im traditionellen Sinne nur rudimentär existiert: in den USA. Die Anti-Sprawl-Bewegung nutzt seit Mitte der 80er Jahre die Stadt europäischen Typs als Referenz für „New Urbanism“ (vgl. Bodenschatz/Schönig, Kap. 2.2). Dabei wird immer wieder auf die Kompatibilität von europäischer Urbanistik und hoher Immobilienrendite verwiesen. Eine langfristig stabile Immobilienentwicklung verlangt eine ebensolche Stadtentwicklung.

Quelle: Federal Reality Investment Trust 2000, Torti Gallas and Partners 2002

Abbildung 67: Werbung in der Fachzeitschrift ‘Urban Land’ Als Voraussetzung gelten die europäischen Standards x

Mischnutzung,

x

soziale und ethnische Mischung,

x

Straßen-orientierte Läden,

x

flanierfähige Straßenräume,

x

öffentlicher Personennahverkehr,

x

öffentliches Grün und öffentliche Dienstleistungen in fußläufiger Entfernung.

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369

Die Propagierung dieser Stadtqualität bedient sich typisch europäischer Stadtbilder, z.B. des Boulevards in der Werbung eines Projektentwicklers: „Imagine a street like this“ (vgl. Abbildung 67). 3.1.1.2

Städtebau

Entgegen dem Mythos von der organisch, also „natürlich“ gewachsenen mittelalterlichen Stadt, weisen Humpert und Schenk durch akribische Rekonstruktion zahlloser Stadtgrundrisse überzeugend nach, dass die Grundform der europäischen Stadt planerischem Kalkül zu verdanken ist. Stadtgründer

beauftragen

demnach

Stadtvermesser,

um

detailliert

die

„Behälterstadt“

(Humpert/Schenk, S. 8) zu konstruieren. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bleibt sie in ihren Grundzügen unverändert. Sie ist räumlich kompakt, überschaubar, fußläufig in kurzer Zeit zu erschließen, nach außen oft noch mit einer Mauer abgegrenzt. Stadtwachstum ist für Jahrhunderte gleichbedeutend mit funktionaler und baulicher Verdichtung des Bestandes. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzt die „Stadterweiterung in technischer, baupolizeilicher und wirtschaftlicher Hinsicht“ erste Maßstäbe einer ordnenden Stadtplanung. Mit dem gleichnamigen Buch begründet 1876 Baumeister Städtebau als Planungsdisziplin (vgl. Baumeister). Der moderne Städtebau setzt mit der Stadttechnik ein, die eine unterirdische Infrastrukturwelt aus Abwasserkanälen, Wasser- und Gasleitungen, Straßentunneln und U-Bahnnetzen aufbaut und oberirdisch befestigte Straßen, Bürgersteige, Telegraphieverbindungen und Straßenbeleuchtung anlegt. Das Straßenbahn- und Eisenbahnnetz versetzt Städte und Unternehmer in die Lage, Wohnvorstädte und Fabriken weit außerhalb der historischen Städte zu errichten und bis dato ungeahnte Waren- und Menschenmengen in die Städte zu transportieren. So ist der Städtebau des sich entfaltenden Industriezeitalters damit beschäftigt, die schnell wachsende Stadt infrastrukturell zu vernetzen, den Siedlungsraum großflächig zu ordnen und Wege aus dem ebenfalls schnell wachsenden Wohnungselend der städtischen Bevölkerung zu finden. Städtebau vereint als Begriff und Disziplin die im angelsächsischen Raum getrennten Felder der architektonischen Gestaltung („urban design“) und der räumlichen Planung („urban planning“). In Deutschland tritt Städtebau in Lehre und Praxis mit dem Anspruch auf, in den Prozess der Stadtentwicklung alle notwendigen funktionalen, ökonomischen, sozialen, ökologischen und ästhetischen Belange zu integrieren. Ziel der städtebaulichen Planung ist die Stadt in der dritten Dimension: als Ort komplexer Nutzungen, Wirkungen und Bedeutungen. Städtebau arbeitet mit den Instrumentarien der (verwissenschaftlichten) Planung und der (künstlerischen) Architektur im Medium des Raumes. Eine Vielzahl von sog. Handbüchern des Städtebaus entfalten seit Ende des 19. Jahrhunderts Idee und praktische Umsetzung einer gestaltenden Stadtplanung. Zu den Autoren berühmter und einflussreicher Handbücher zählen z.B. der Kölner Stadtbaurat Stübben, dessen 1890 publiziertes

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Buch „Der Städtebau“ als „gemeinsame Grundlage, als gemeinsamer Rahmen“ die Reihe „Handbuch der Architektur“ als 9. Band beschließt. Die grundlegende Bedeutung des Buchs zeigt sich auch darin, dass es 1981 ins Französische übersetzt wurde. Von Rudolf Eberstadt, Professor an der Universität Berlin, stammt das „Handbuch des Wohnungswesens“ (1909). In der 4. Auflage 1919 betont er im Vorwort: „… im Zusammenwirken der drei großen Disziplinen (Verwaltungslehre, Technik und Volkswirtschaft) entsteht die Wissenschaft des Städtebaues.“ (vgl. Abbildung 68). Der englische Architekt Unwin, dessen „Grundlagen des Städtebaus“ erstmals 1910 in deutscher Übersetzung vorliegen, baut u.a. die erste Gartenstadt Letchworth 1903 nördlich von London. Im Vorwort heißt es: „Städtebau ist seit einigen Jahren zur Disziplin geworden. Sozialwissenschaftler, Architekten, Kunstästhetiker und Ingenieure tragen die Resultate ihrer Wissenschaft und praktischen Erfahrungen zur gemeinsamen Lehre vom Städtebau zusammen.“ 1949, geprägt von der Zerstörung der deutschen Städte im 2. Weltkrieg, erscheint „Ein Buch vom Häuserbau und Städtebau, von kleinen und großen baulichen Dingen“: „Die Raumstadt“ von Schwagenscheidt. Die Forderung darin: „Es ist doch wohl selbstverständlich, dass die zerstörten Städte, wenn sie wieder aufgebaut werden, vollständig anders aufgebaut werden!“ verweist auf die Hoffnung der „Stunde Null“, Fehler der Vergangenheit vermeiden zu können.

Quelle: Brinkmann 1921, Sierks 1926, Eberstadt 1919

Abbildung 68: Historische Handbücher des Städtebaus Ein weiteres zeittypisches Beispiel ist das 1954 von der Bauakademie der DDR publizierte „Handbuch für den Architekten“, fußend auf den 1950 von der Regierung der DDR beschlossenen 16 Grundsätzen des Städtebaus (vgl. Deutsche Bauakademie). Der 14. Leitsatz etwa fordert: “Die zentrale Frage der Stadtplanung und der architektonischen Gestaltung der Stadt ist die Schaffung

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eines individuellen einmaligen Antlitzes der Stadt. Die Architektur muss dem Inhalt nach demokratisch und der Form nach national sein.“ Städtebau ist ein Reflex der europäischen Stadt: In dem Maße, wie die raumfunktionale Arbeitsteilung die Stadtfunktionen aus dem „Behälter“ alte Stadt löst und dabei Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Freizeit voneinander entfernt, entwickeln die Städtebauprotagonisten Europas Modelle für einen neuen räumlichen Zusammenhang. Auf den ökonomisch-technischen Ansatz Baumeisters antwortet der Wiener Architekt Sitte 1889 mit einem „Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen“ und führt damit den Begriff Städtebau mit der Kategorie des Stadtbildes und der Raumqualität in den Planungsdiskurs ein. Der englische Parlamentsstenograf Howard veröffentlicht 1902 sein Konzept für „Garden Cities of Tomorrow“ und schlägt darin den Bau von Gartenstädten vor, die das Beste vom Leben in Stadt und Land verbinden sollen. Die Größe einer Kleinstadt mit 32.000 Einwohnern soll nicht überschritten werden. Um eine Kernstadt ringförmig angeordnet, seien sie so attraktiv, dass die überfüllten Großstädte Einwohner verlieren und schließlich selbst Gartenstädte werden würden. Der französische Architekt Garnier entwirft 1904 die „Cité industrielle“ als ideale Industriestadt – in Lyon zum Teil gebaut. In der Sowjetunion plant Miljutin 1920 Städte wie ein Fließband zu organisieren. Seine „Montage-Bandstadt“ fügt parallel geschichtet Fabrikstandorte, Grün und Wohnen zu einem Endlosband entlang der Eisenbahn aneinander (vgl. Miljutin). Von Reichow stammt das Konzept der „autogerechten Stadt“ (1959), die Stadt und Verkehr einerseits unmittelbar aneinander bindet, dies aber mit dem Ziel, Stadt so weit wie möglich von den negativen Auswirkungen des Automobils zu verschonen. Mit der Begründung des Städtebaus als gestaltende Stadtplanung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts setzt aber auch eine konfliktreiche Geschichte um Leitbilder, Methoden und Instrumente ein. Der Städtebau ist auch in dieser Hinsicht ein Kind des Industriezeitalters. Entstanden und großgeworden in der Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Industriestadt, ihren Verheißungen und ihrem Elend, hat sich aus einer anfänglich technisch-organisatorischen Disziplin, die sich bald als Wissenschaft einer menschenwürdigen Umwelt versteht, Schritt für Schritt in den totalitären Staaten Europas ein ideologisches Herrschaftsinstrument entwickelt. Neben der vergleichsweise zeitlich kurzen, aber folgenreichen Geschichte des Städtebaus im Dritten Reich (vgl. Durth/Gutschow) hat insbesondere der Städtebau der funktionalistischen Moderne in den sozialistischen Staaten das Ziel verfolgt, nicht nur die Natur der Stadt, sondern mit ihr als Instrument zugleich die Natur des Menschen radikal umzuformen. „Neue Stadt“ und „Neuer Mensch“ sind als Programm endgültig erst mit der Wende der 80er und 90er Jahre in Europa auch politisch gescheitert.

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Städtebau ist also weder ein neutraler noch ein abstrakter Begriff. Seine inhaltlichen Ausprägungen unterliegen der soziokulturellen Entwicklung. Sie müssen daher immer wieder überprüft und neu gefasst werden. Die Wandlungen des Begriffs in Folge der Entwicklung der Industriegesellschaft und ihrer kulturellen Leitbilder, sollen drei jeweils zeittypische Positionen anschaulich werden lassen: Der Pragmatismus der Gründerzeit spiegelt sich in der Einleitung von Stübbens Städtebauhandbuch: „Der Städtebau bereitet also in der Tat den allgemeinen Boden vor, auf welchem sich die bauliche Einzeltätigkeit entfaltet, er schafft die örtlichen Vorbedingungen, welche für das bürgerliche Wohnen, den städtischen Verkehr, die Besorgung der öffentlichen Angelegenheiten vorhanden sein müssen; er stellt den Rahmen auf, welcher die miteinander wetteifernden und sich bekämpfenden Einzelbestrebungen umfasst, das Programm, nach welchem private und öffentliche Bautätigkeit, so wie der große und kleine Verkehr sich einrichten sollen.“ (Stübben 1890, S. 1). Fortschrittsoptimismus und Planungseuphorie der funktionalistischen Moderne kommen in den „Lehrsätzen“ der „Charta von Athen“ (1933) des „Congrès Internationaux d´Architecture Moderne“ – CIAM – zum Ausdruck, dessen Autor der Schweizer Architekt Le Corbusier ist: „Die Stadt wird den Charakter eines im Voraus durchdachten Unternehmens annehmen, das den Regeln eines allgemeinen Planes unterworfen ist. Kluge Voraussicht wird ihre Zukunft skizziert, ihren Charakter beschrieben, das Ausmaß ihrer Entwicklung vorhergesehen und deren Exzesse im Voraus eingeschränkt haben.... Ihre Entwicklung wird – anstatt in eine Katastrophe zu führen – die Vollendung bedeuten.“ (Conrads, S. 143). Ende des 20. Jahrhunderts ist der Städtebau nicht mehr Agent eines „im Voraus durchdachten Unternehmens“, sondern, wie zu Beginn, auf der Suche nach „gültigen Antworten“. Im Editorial der Schweizer Fachzeitschrift „werk, bauen und wohnen“ (Zürich, 11/1999) heißt es: „Im Hinblick auf die Erarbeitung gültiger städtebaulicher Antworten in Sachen Stadtentwicklung muss die architektonische Disziplin gleich mehrfach nachholen: sie muss lernen Stadtentwicklungsphänomene auf deren räumlichen, funktionalen, strukturellen und konstruktiven Implikationen zu durchleuchten, sie muss lernen Städtebau konzeptionell und als Prozess, dass heißt als offenes Entwurfsmodell, zu denken, und sie muss vor allem lernen, echt interdisziplinär und kooperativ zu arbeiten – was gleichzeitig bedeutet, die eigene Zuständigkeit laufend zu hinterfragen, um sie inhaltlich und argumentativ zu verschärfen.“ Auch in dieser neuen Rolle würde der Städtebau die aktuelle Verfassung der Stadt reflektieren. Auf eine bislang unbekannte Weise, sieht sich der Städtebau durch neue Wirkkräfte strukturell in Frage gestellt: im 19. und 20. Jahrhundert können die potenziell stadtauflösenden Kräfte – Industrie, Verkehr, Arbeitsteilung, Wohn-Suburbanisierung – noch in ein Raum-Zeit-Kontinuum eingebunden werden, auch wenn es, wie die Bandstadt, weit gespannt ist. Stadt bindet im 21. Jahrhun-

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dert nicht mehr Menschen und Güter a priori an sich, sondern wird zunehmend selbst angebunden, etwa an das Netz der Global Cities oder an das ICE-Netz in Deutschland. Die Teilhabe an Netzwerken, die tendenziell technischer Natur sind, ist sowohl für Individuen und Unternehmen, als auch für Standorte und ganze Städte überlebenswichtig geworden (vgl. Rifkin, S. 294ff.). Dieser Zusammenhang gilt seit den mittelalterlichen Stadtbünden wie der „Hanse“ (1370) oder dem „Rheinischen Bund“ (1381). Doch haben sich die Machtverhältnisse heute umgekehrt: Eine Hanse ohne Hansestädte ist nicht vorstellbar – ein Internet ohne Städte jedoch sehr wohl! 3.1.1.3

Stadtwert

Solange der Raum und Orte darin für Menschen existentielle Bedeutung haben, ist der Zusammenhang zwischen dem strukturellen Aufbau und dem Charakter z.B. einer Stadt und den Nutzungen – bzw. den Nutzern – eng und vielschichtig. Die Tempelstädte Mesopotamiens künden davon ebenso wie die „Polis“ Griechenlands, die „Urbs“ des römischen Imperiums oder die hochmittelalterliche Handwerker- und Handelsstadt. Deren Produkte und Dienstleistungen sind so einzigartig wie ihre Produzenten. Die Persönlichkeiten der Bürger waren von der Persönlichkeit der Stadt nicht zu trennen. Augsburg ist im 14. und 15. Jahrhundert die Stadt der Fugger und Welser (vgl. Ogger, S. 206ff.). Doch sowohl die Waren, als auch die Städte sind zu jener Zeit knappe Güter. Vergleichsweise wenige genießen das Privileg, an beiden Welten und ihrer jeweiligen Aura zu partizipieren. Das ändert sich mit dem Fordismus des Industriezeitalters. Die Städte werden tendenziell wie die Waren: reproduzierbar, maschinell gefertigt, seriell, normiert, anonym, in Massen arbeitsteilig und preiswert herstellbar. Die Stadt des Industriezeitalters ist für die Massen erreichbar. So zeugen zwei vordergründig völlig verschiedene Stadtformen von ein und derselben industriekulturellen Wirkkraft: „Suburbia“ in den USA am deutlichsten ausgeprägt und „Slaburbia“ (slab = engl. Platte) , in Russland (UDSSR) am konsequentesten verwirklicht. Beide entstammen eindimensionaler ökonomischer und technischer Rationalität. Sie spiegeln eine Wohn- und Stadtbaukultur, die auf ortsunabhängige, in großen Stückzahlen zentral zu steuernde, schnell und billig am Fließband zu produzierende Wohneinheiten für eine wachsende Arbeiter- und Angestelltenschicht ausgelegt ist. Suburbia wird aus vorgefertigten Kantholzrahmen, Spanplatten, Hammer und Nägeln in Windeseile gebaut wie Slaburbia mit Hilfe von Betonfertigteilen, Kränen und Schraubenschlüssel. Dazu werden große und einheitliche Areale benötigt, die man nur außerhalb bestehender Städte findet, z.B. als Ranch in den USA oder als kollektiviertes Land im sozialistischen Machtbereich.

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In beiden Fällen ist der Massenwohnungsbau Voraussetzung und Motor industriellen Wachstums. So wird z.B. „Lakewood“ südlich von Los Angeles von 1949 bis 1954 von drei Unternehmern als Einfamilienhausstadt mit 17.500 Fertighäusern neben den McDonald-Douglas Flugzeugwerken gegründet (vgl. Waldie). Wolfen-Nord entsteht in den 70er und 80er Jahren als Plattenbausiedlung für mehr als 30.000 Einwohner im Zusammenhang mit der ORWO-Filmfabrik Wolfen in SachsenAnhalt.

Quelle: eigene Darstellung nach Kress/Rietdorf 1973, Kuhn 1985, BfLR 1994

Abbildung 69: Wohnungen in Montagebauweise Suburbia und Slaburbia kennzeichnen eine Stadtentwicklung ohne Stadt. In den USA leben heute mehr als 50% der Einwohner im suburbanen Raum. In Russland beträgt der Anteil der Wohnungen im Plattenbau ca. 70%. In der DDR leben 1989 ca. 29% im industriellen Wohnungsbaumilieu. In Westdeutschland sind es vergleichsweise 3% (vgl. Abbildung 69). Am Beispiel der „Neuen Stadt Hochdahl“, die in den 60er Jahren als Satellitenstadt Düsseldorfs errichtet wird, lässt sich zeigen, worauf im Industriezeitalter städtebaulich Wert gelegt wird. Es geht um einen in Zahlen quantifizierbaren materiellen Fortschritt: ein Mehr an Wohnfläche und ein Weniger an Lärm und Gestank; kurze Wege zum Einkaufen, zum Kindergarten und zur Schule; unmittelbare Nähe von Grün und Parkplätzen und ein dichtes ÖPNV-Netz. Das zugehörige städtebauliche Leitbild ist die „gegliederte und aufgelockerte Stadt“ (vgl. Göderitz). Der Städtebau versteht Stadtentwicklung generell als Aufgabe, die raum-funktionale Arbeitsteilung konsequent in einer Trennung von Wohnen, Arbeiten, Versorgung, Freizeit und Verkehr durchzusetzen. Die Annahme ist, dass sich so die Konflikte aus der Unverträglichkeit eines engen räumlichen Miteinanders im Zeitalter rauchender Schlote und einer ungebrochenen Zunahme der Anzahl von Verkehrstoten bewältigen lassen.

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Die alte Stadt, die ja gerade durch räumliche Nähe und Unmittelbarkeit im Kontakt der Akteure gekennzeichnet ist, ist den Anforderungen des Industriezeitalters offensichtlich nicht gewachsen. Also ist es verständlich und attraktiv für Planer und Bürger, eine neue Stadt zu fordern, die genügend Abstand zwischen ehemals vereinten urbanen Funktionen sicherstellt. Die Neue Stadt wird konstruiert und als eine große Ingenieurleistung gepriesen. Das neue Zentrum ist daher ein Spiegelbild maschineller, auf Effektivität abzielender Transport- und Produktionsabläufe. Die Stadtmitte z.B. Hochdahls ist ein Innenraum, unübersehbar verschachtelt, sehr groß und im Gegensatz zum aufgelockerten Raum ringsum von hoher baulicher Dichte: Alles unter einem Dach (vgl. Abbildung 70).

Quelle: Entwicklungsgesellschaft Hochdahl mbH (links) 1972, Eternit (rechts) 1965

Abbildung 70: Prospekt Neue Stadt Hochdahl (links), Werbung Eternit (rechts) Vor dem Hintergrund des Elends der Industriestadt des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und der unvergleichlichen Herausforderungen des „Maschinenzeitalters“ hinsichtlich eines bis dato unbekannten Maßes an Wachstum – Siedlungsfläche, Bevölkerung, Infrastruktur, Wirtschaftsleistung, individueller Wohlstand – und den damit verbundenen Konsequenzen, muss die Leistung des Städtebaus gewürdigt werden (vgl. Sieverts, 2001, S. 145ff.). Mit dem aktuellen Strukturwandel der Industriegesellschaft als Großgruppen- und Massengesellschaft hin zur Informations-. Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft, die eher auf individuellen Biografien aufbaut, wandeln sich die Bedingungen der Stadtentwicklung grundlegend. Ein städtebauliches Zeichen für die neuen Wirkkräfte der Flexibilisierung, Globalisierung, Individualisierung und Medialisierung ist die von Sieverts so genannte „Zwischenstadt“ (vgl. Sieverts, 1997). Neben Suburbia und Slaburbia ist die Zwischenstadt das dritte große Siedlungsphänomen

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außerhalb der kompakten Stadt. Hier ist nicht der „große Plan“ oder der „große Planer“ tätig und eine Entwicklung aus einer kommunalen oder privaten Hand spürbar, sondern eine Collage isolierter Einzelentscheidungen. In einem städtebaulichen laissez-faire-Milieu am Stadtrand, an der Umgehungsstraße oder an der Autobahn gedeiht das Bauen auf der grünen Wiese. Preisgünstigere Grundstücke, geringe Regelungsdichte, hervorragende verkehrliche Anbindung an Autobahn und oft Flughafen und der Aufbau neuer Logistik-Netzwerke mit dem LKW, genügend Parkplätzen und Ausbaureserven haben die zwischenstädtischen Standorte zum Schwerpunkt der Siedlungsentwicklung seit den 90er Jahren werden lassen.

Quelle: Bölling 2004, S. 94ff.

Abbildung 71: Streifzüge durch die Zwischenstadt: Gewerbegebiet Eschborn-Süd (links), Main-Taunus Zentrum Sulzbach (rechts) Brake zitiert den Raumordnungsbericht 2000 des Bundes mit der Feststellung, dass die suburbanen Gürtel um die Kernstädte ca. 56% aller Arbeitsplätze und 67% aller Bewohner aufweisen, und dass der engere suburbane Raum (ca. 10-20km) etwa 70% des in den 90er Jahren realisierten Beschäftigungszuwachses auf sich zieht. Eine ungebrochene Suburbanisierung habe nach einer Ruhephase in den 1970/80er Jahren zu einer Erhöhung der Abwanderungsquote von 382 auf 575 pro 100.000 Einwohner geführt. Die Oberzentren haben demnach in nur fünf Jahren zwischen 1993 und 1998 „rund 2.7 Millionen Einwohner an ihre Umlandgebiete verloren, in Saldo waren es knapp 1 Million.“ (Brake, S. 18). Ein Paradebeispiel für eine Zwischenstadt – und ihren absehbaren Strukturwandel – ist EschbornSüd (vgl. Abbildung 71). Die Bürostadt mit heute ca. 25.000 Arbeitsplätzen wächst seit den 60er Jahren zwischen der Stadtgrenze Frankfurts und dem ehemaligen Dorf Eschborn an der Autobahn und hat mittlerweile eine eigene Skyline ausgebildet. Gleichwohl vereint Eschborn-Süd prototypische Eigenschaften der Zwischenstadt: öffentlicher Raum fehlt; die Nutzungen sind introvertiert; das Erschließungsnetz ist einseitig ein Auto-Mobilitätsraum ohne Aufenthaltsqualität; räumlich

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weder nach innen, noch nach außen Anschluss suchend; in der architektonischen Selbstdarstellung ambitionslos (Kistenarchitektur) oder auf einfache Zeichen reduziert (Hochhaus) (vgl. Bölling, S. 94ff.). Der Stadtwert der Zwischenstadt wird in extremem Maß von externen Faktoren bestimmt. In Eschborn z.B. als Reflex des hohen Gewerbesteuerhebesatzes der Stadt Frankfurt, der Autobahnund Flughafennähe. Wegen des Ortes Eschborn dürfte noch keine Ansiedlungsentscheidung gefallen sein. Die Orte der Zwischenstadt sind Standorte. Sie dienen einem fest umrissenen Zweck und das oft auch nur für einen begrenzten Zeitraum. Über ihnen schwebt das Damoklesschwert der Austauschbarkeit. Standorte werden verlegt. Standorte ohne Eigenschaften sind potenziell Transitorte der globalen Arbeitsteilung auf dem Weg zum nächst günstigeren Anbieter. Die Zwischenstadtentwicklung der letzten Jahrzehnte ist vergleichsweise ein Billigprodukt des Städtebaus. Die von der Zwischenstadt geprägten suburbanen Räume übertreffen dabei das 5 bis 10fache der Fläche der bis zur Gründerzeit gewachsenen Stadtkerne, welche weitgehend die Aufgabe lokale Identität zu stiften, alleine erfüllen müssen. Für Suburbia, Slaburbia und Zwischenstadt gelten gemeinsame städtebauliche Eigenschaften. Sie sind: x

zweckrational produziert,

x

monofunktional optimiert,

x

räumlich nicht integriert,

x

anonym in der Bauherrnschaft,

x

weder auf Landschaft noch auf Geschichte, noch auf regionale Eigenheiten ausgerichtet und

x

zunehmend von der Kernstadt funktional abgelöst.

Diese Stadtausprägungen repräsentieren gleichwohl fundamentale Leistungen des Industriezeitalters z.B. in der totalen infrastrukturellen Erschließung des Raumes und der Bereitstellung weitgehend gleicher „harter“ Standortfaktoren. Ihre Leistungsfähigkeit ist für eine auf quantitatives Wachstum orientierte Ökonomie ausgerichtet. In Zeiten qualitativen Wachstums und einer auf die Produktion von Wissen angelegten Ökonomie geraten die Raumkreationen des 20. Jahrhunderts in eine Krise. Diese betrifft zuerst die Montanregionen. Die „Internationale Bauausstellung Emscher Park“ (1989 bis 1999, vgl. Ganser) und die von 2001 bis voraussichtlich 2011 agierende „Industriekultur Saar GmbH“ verfolgen daher das Ziel, die „weichen“ Standortfaktoren schöne Landschaft, intakte Natur, urbane Städte und darin das industrielle bauliche Erbe nachhaltig zu stärken, z.B. in der „Cité der Industriekultur Saar“ (vgl. Christ, 2003).

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Zu den brachgefallenen Industrie-, Gewerbe- und Infrastrukturarealen kommen in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts die suburbanen Einfamilienhausstandorte in den USA und die Plattenbaustandorte in Mittel- und Osteuropa als Sanierungsfälle hinzu. In den USA greift die Immobilienwirtschaft die von einer zivilgesellschaftlichen Bewegung ausgehenden Impulse der „AntiSprawl“ und „Smart Growth“-Initiativen auf. Das „Urban Land Institute“ z.B. propagiert die Zusammenarbeit von Investoren, Städten und Bürgern zwecks Urbanisierung Suburbias. In Deutschland treten traditionell der Bund und die Länder als koordinierende und anregende Kräfte des Strukturwandels auf. Programme wie „soziale Stadt“, „Stadtumbau“ und „Stadt 2030“ dienen diesem Ziel. In der Gründerzeit der Wissensgesellschaft ändern sich die Wertstrukturen des Raumes tiefgreifend (vgl. Christ, 1997, S. 1244). Standorte mit „inneren“ Werten bilden die Avantgarde der Immobilien- und Stadtentwicklung. Dabei zeigt es sich, dass urbane Qualitäten in den Vordergrund der Projektentwicklung treten. Beispiele wie die „Autostadt“ in Wolfsburg (und insgesamt der Umbau der Industriestadt durch die „Wolfsburg AG“), die „Frankfurter Welle“ des Difa-Fonds, die „Hafencity“ in Hamburg oder die geplanten neuen „Siemens-Städte“ in München, Erlangen und Frankfurt belegen den Wandel. Dabei vollziehen Architektur und Städtebau den Strukturwandel der Industriekultur nur nach: von der Serie zur Persönlichkeit; vom Endprodukt zur Systemkomponente; von der Ware zur Dienstleistung – wenn z.B. wie beim Car-Sharing nicht mehr das Produkt Auto gekauft wird, sondern die Dienstleistung Mobilität. In den USA werden im Kontext des New Urbanism auch keine Wohneinheiten mehr auf den Markt gebracht, sondern Community. Projektentwickler, Investoren und Architekten verstehen sich als aktive „Community Builder“. Die erste Aufgabe lautet dann immer: „place making“. Wenn der Philosoph Böhme davon spricht, dass „das primäre Thema von Sinnlichkeit nicht die Dinge [sind], die man wahrnimmt, sondern das, was man empfindet: die Atmosphäre“ (Böhme, 1995, S. 15), dann zeigen die Standorte mit inneren Werten den Weg zu einer zukünftigen Stadtentwicklung. Zum weiterhin selbstverständlichen materiellen Gebrauchswert von Architektur, Stadt und Standorten tritt tendenziell immer stärker der kulturelle, immaterielle „Stadtwert“. Nur ein im wörtlichen Sinne Wert-voller Ort dürfte auf werthaltige, ökonomische Werte generierende Nutzungen anziehend wirken. Paradigmatische Beispiele für diese Hypothese sind die bedeutenden Universitätsstädte Cambridge, Oxford, Boston, aber auch der Technologiepark der Universität Dortmund. Ein anderes Beispiel ist Potsdam: „Software wird da gemacht, wo es besonders schön ist. Da habe ich mir gedacht, das müsste in Potsdam ganz gut gehen.“ SAP-

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Mitbegründer und Aufsichtsratchef Plattner (FAZ 22.02.2004) zur Stiftung des „Hasso Plattner Instituts für Softwaresystemtechnik“ in der Unesco-Weltkulturerbe-Stadt Potsdam. Hafenareale eignen sich offensichtlich als Qualitäts-Cluster ganz besonders für eine StadtwertStrategie. Sie sind in der Regel im Besitz eines Eigentümers – oft ist es die Kommune – sind räumlich eigenständig und doch meist citynah. Ihre Lage am Wasser steigert den weichen Faktor Atmosphäre. Erfolgreiche Projektentwicklungen finden sich z.B. in Düsseldorf, Duisburg und Frankfurt. Bartetzko (FAZ 24.02.2004) lobt die Realisierung der vom ehemaligen Frankfurter Planungsdezernenten Wentz 1994 als Modellfall von „Public Private Partnership“ initiierten Westhafenentwicklung als neue „Stadt in der Stadt“ und als „atemberaubend schönes Quartier“ (220.000 m2 BGF, davon 40% Wohnen). Kulturell aufgeladene, intelligente Produkte, die „Werte“ repräsentieren und eine „Markenpersönlichkeit“ darstellen, werden an kulturell aufgeladenen Standorten entstehen. Die städtebauliche Disziplin wird also wieder stärker am inhaltlichen Begriff der Stadt arbeiten. Städtebau im 21. Jahrhundert wird weniger an ha besiedelter Fläche und einem reibungslosen Verkehrsfluss gemessen, als an der Fähigkeit, Urbanität zu stiften. Es gilt, die urbane Batterie von Städten wieder aufzuladen! Zwischenstadt, Suburbia und Slaburbia werden daneben eigene städtebaulich-urbanistische Wertstrukturen aufbauen müssen, um untereinander, mit den gewachsenen Städten und in internationalem Rahmen zukünftig konkurrenzfähig zu sein. IBA-Emscher Park, New Urbanism und Stadtumbau sind in diesem Sinne urbanistische Impulsgeber für einen möglichst hohen Stadtwert in der Wissensgesellschaft. 3.1.2

Typologie

3.1.2.1

Behälterstadt

Die europäische Stadt gleicht in ihrer mittelalterlichen Grundfigur der „Behälterstadt“ in vieler Hinsicht einem Hühnerei, das im Nest liegt (vgl. Abbildung 72). Das Ei ist im Nest eingebettet, wie die Stadt in der Landschaft. Das Nest symbolisiert dabei die vom Menschen nur wenig in ihrer Erscheinung manipulierte Natur. Die Stadt existiert in einer symbiotischen Beziehung zu ihrem unmittelbaren Umfeld. Sie ist die besondere Figur auf dem weiten Grund der Landschaft. Das Ei im Nest ist ein Teil der ländlichen Ökonomie der Selbstversorgung und des lokalen Handels. Die Stadt ist ebenfalls eingebunden in Netzwerke, z.B. des regionalen und transkontinentalen Handels und der parallel zur Gründungsphase der europäischen Städte sich etablierenden Geldwirtschaft. So wird das erste Bankhaus der Welt, „Monte dei Paschi“, im 13. Jahrhundert in Siena gegründet.

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Die Metapher des Hühnereis wird in der Analogie von Stadtfigur und Eifigur besonders anschaulich: Beide Körper sind mit einer festen „Schale“ ausgestattet, die in jeweils geometrisch optimierter Form so effektiv wie möglich den Inhalt schützt. Von den ersten Stadtgründungen um die Jahrtausendwende bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bleibt die Figur der europäischen Stadt nahezu konstant. So wie Schale, Eigelb und Eiweiß eine Einheit bilden, ist die alte Stadt zwischen Stadtmauer, Wall oder Graben, Stadtquartieren und Stadtmitte eine räumlich-funktionale Ganzheit.

Quelle: eigene Darstellung (links), nach Lautinger (rechts) 1997

Abbildung 72: Alte Stadt Die Behälterstadt ist eine langfristig stabile Investition, denn sie überdauert nahezu 700 bis 800 Jahre. Ein entscheidender Grund hierfür liegt in der von Anfang an vergleichsweise großzügig bemessenen Raumdimension, die z.B. in Dortmund noch im Jahr 1610 einen Anteil von 50% der städtischen Nutzfläche für Landwirtschaft (innerhalb der Stadtmauern!) erlaubt (vgl. Kreibich, S. 41): „Die Stadt Dortmund ließ um das Jahr 1610 ein maßstabsgetreues Stadtmodell anfertigen, das erhalten geblieben ist und viele Gärten und landwirtschaftliche Nutzflächen und die dazugehörigen Ställe, Scheunen und Schuppen innerhalb des Befestigungsrings erkennen lässt. Rund die Hälfte des ummauerten Areals war landwirtschaftlich genutzt und landwirtschaftlicher Nebenerwerb eine wesentliche Stütze des städtischen Wirtschaftslebens. … Im Jahre 1798 wurden im Stadtgebiet rund 1.200 Kühe gezählt. Ein Zeitungsartikel aus dem Jahr zuvor schildert die Stadt als befestigtes Dorf: 'Dortmund … ist selbst ein großes Dorf mit Mauern, eine Stunde im Umkreiß, worin alle Bürger Ackerleute sind. Der Boden ist fruchtbar.' “ (Luntowski u.a. 1994, S. 139) Fast 250 Jahre später war diese Stadtstruktur noch weitgehend unverändert erhalten (Kreibich, S. 42). Eberstadt weist darauf hin, dass bis zur Entwicklung der Festungsstadt im 16. Jahrhundert „mit Leichtigkeit Stadterweiterungen vorgenommen wurden, deren Abmessungen dem Bevölkerungs-

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stand zum Teil weit vorauseilten. War die bebauungsfähige Fläche der Stadt aufgebraucht, so wurde der Mauerring um eine größere Strecke hinausgeschoben, wobei man häufig die Türme der Innenmauer als monumentale Bauwerke erhielt und sie inmitten der erweiterten Stadt stehen ließ (Nürnberg, Rothenburg, etc.). In der Stadt Straßburg wurden während des Mittelalters vom Jahre 1200 bis 1450 nicht weniger als vier Stadterweiterungen ausgeführt. In der Neuzeit dagegen hat von 1580 bis 1870, während die Bevölkerung sich verdreifachte, das Stadtgebiet fast keinerlei topografische Veränderung erfahren.“ (Eberstadt, S. 35ff.). Die Geschlossenheit der europäischen Stadt in ihrer ersten lang andauernden Entwicklungsphase drückt sich in „ihrem Drang, hoch hinauf, bis in den Himmel zu bauen,“ aus. Der französische Historiker Le Goff erklärt die Figur der mittelalterlichen Stadt aus der Symbolik des „Vertikalimus“: „In der Antike verlief die Hauptrichtung des genutzten Raumes von links nach rechts. Nutzen hieß, nach rechts zu streben. Im Mittelalter verlief diese Richtungsachse von unten nach oben ... die ideale mittelalterliche Stadt [ist] zumindest ihrer Form nach – … Manhattan. … letztlich kündigt San Gimignano schon Manhattan an,…“ (Le Goff, S. 122ff.). In diesem Zusammenhang passt dann auch die Repräsentation der Stadt als Bild: Erst im 15. Jahrhundert werden Stadtpläne gezeichnet, die über die Darstellung einzelner Parzellen hinausgehen. Die Stadt wird als „veduta“ in ihrer Gesamtansicht dargestellt. Im Panorama der Stadt in der Landschaft zeigt sich die überragende Bedeutung des Stadtbildes. Die Ikonografie des Stadtbildes verkünden die Bettelorden – vor allem Franziskaner und Dominikaner – , die „nicht aus den Städten wegzudenken [waren]. Sie entwarfen eine Vorstellung davon, wie eine Stadt zu sein hatte: ein Ort des Friedens, der Gerechtigkeit und der Sicherheit.“ (Le Goff, S. 86ff.). Die Integration von Ansicht und Grundriss in symbolhafter Form gelingt erst dem absolutistischen Städtebau der Könige und Landesfürsten. Die ideale Festungsstadt ist klar konturiert. Ihre äußere Form ist eine geometrische Figur, die als Fünfeck oder Achteck im Kalkül der Feuergeschütztechnik genügend tote Winkel zur Verteidigung der Stadt bietet. Die Dominanz des Staates über die Städte erlaubt den Bau von Städten, in denen sämtliche Elemente einer vorgegebenen Ordnung folgen. „Der Gegensatz zu dem Mittelalter lässt sich knapp dahin ausdrücken: das Mittelalter baute eine Stadt und legte einen Mauerring herum; der neuzeitliche Festungsbaumeister entwirft eine Festungsanlage und zeichnet die Stadt hinein.“ (Baumeister, S. 59). Am Beispiel der 1607 gegründeten, 1622 und 1689 zerstörten und wieder aufgebauten Stadt Mannheim lässt sich ein durchgehendes Strukturelement der Behälterstadt illustrieren: die Durchmischung von Nutzungen und sozialen Schichten. Ein typischer Baublock dieser Zeit vereint etwa je zur Hälfte große und kleine Parzellen. Baumeister betont vor dem Hintergrund der „Mietskasernenstadt“ des 19. Jahrhunderts die integrative Dimension der Stadtanlage und spricht von den „vorsorglichen Aufgaben der staatlichen Verwaltung“, die sich in der „sozialen Fürsorge“ mittels differenzierter Bodenparzellierung niederschlägt (Baumeister, S.73).

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Wir begegnen diesem Prinzip erst wieder am Ende des 20. Jahrhunderts in Tübingen, in dem mit dem deutschen (2001) und europäischen Städtebaupreis (2002) ausgezeichneten Projekt der Südstadt (vgl. Feldtkeller). 3.1.2.2

Industriestadt

Quelle: eigene Darstellung (links), Schulz/Matschenz (rechts) 2002

Abbildung 73: Industriestadt Die Raumfigur der Stadt europäischen Typs wandelt sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts radikal. In einem Prozess, der sich über ein ganzes Jahrhundert hinzieht, wird aus der Handwerker- und Handelsstadt, der Residenz- oder Festungsstadt eine Stadt des Industriezeitalters. Die neuen Wirkkräfte prägen den räumlich-funktionalen Aufbau des Typs der Industriestadt und lassen eine Figur entstehen, die man in der Folge der Ei-Metapher als Spiegelei vorstellen könnte (vgl. Abbildung 73). So wie die Schale des Eies zerbrochen wird und mit der Hilfe von Energie, technischer Infrastruktur und technischem Gerät Eiweiß und Eigelb in der Pfanne von Koch oder Köchin zum Spiegelei zubereitet werden, wird die Stadt mehr und mehr zu einem Produkt technischer Zivilisation. Im Vergleich von Spiegelei und Industriestadt lassen sich drei Parameter bestimmen, die kennzeichnend für die neue Raumfigur sind: Entgrenzung (1) In der ersten Phase der europäischen Stadt bleibt die Bevölkerungszahl in Europa vergleichsweise konstant. Epidemien wie die Pest um das Jahr 1350 und Kriege, wie der Dreißigjährige Krieg 1618-

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1648, haben den Verlust von bis zu einem Drittel der Bevölkerung zur Folge. Hohe Sterblichkeitsquoten sorgen zudem dafür, dass bis 1800 die Zahl von 185 Mio. Menschen nicht überschritten wird. „Von 1800 bis 1940 ist dagegen die Bevölkerung Europas auf über 500 Millionen Einwohner gewachsen, die Bevölkerung im deutschen Reichsgebiet von 25 auf fast 70 Millionen. ... Um 1870 lebten im deutschen Reichsgebiet noch etwa zwei Drittel der Bevölkerung in ländlichen Gemeinden mit bis zu 2.000 Einwohnern, 1939 nur noch ein Drittel. Die Zahl der deutschen Großstädte (> 100.000 Einwohner) stieg von nur 2 zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf 8 im Jahre 1871 und auf 56 im Jahre 1939“ (Tamms/Wortmann, S. 35). Fortschritte in Landwirtschaft, Medizin und Hygiene – vor allem nach der verheerenden Choleraepidemie der Jahre 1830 bis 1832, die ganz Europa heimsucht – Ende der Leibeigenschaft (Bauernbefreiung) führen, angetrieben von der industriellen Revolution, zum exponentiellen Stadtwachstum des 19. Jahrhunderts. Die Mauern fallen, Gräben und Wälle werden übersprungen. An ihre Stellen treten z.B. Bahntrassen, oder „Wallanlagen“ und „Stadtring“. In Frankfurt am Main beschließt die Bürgerschaft der freien Reichsstadt ein so genanntes „Wallservitut“, in dem sich die Stadt bis heute verpflichtet, den Anlagenring als Grüngürtel um die Innenstadt vor Bebauung zu schützen. Einzige bedeutende Ausnahme davon ist der Bau der Alten Oper. In Wien wird 1857 die Befestigungsanlage aufgegeben und durch ein Dekret des Kaisers „..., dass die Erweiterung der inneren Stadt Wien mit Rücksicht auf eine entsprechende Verbindung derselben mit den Vorstädten ehemöglichst in Angriff genommen und dabei auch auf die Regulierung und Verschönerung meiner Residenz- und Reichshauptstadt Bedacht genommen werde, …“ (Hoffmann, S. 120) der zur Verfügung stehende Raum als Prachtstraße mit öffentlichen Repräsentationsbauten und Grünanlagen gewidmet. Ein internationaler Wettbewerb liefert dann im Jahre 1862 die Grundlage für die Ringstraßenbebauung. Eine 60 Meter breite und ca. 5,2 km lange baumbestandene Allee versammelt und inszeniert in beispielloser Weise die gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Zentren der Donaumonarchie an der Schnittstelle zwischen Altstadt und Stadterweiterung. Paris nutzt den Funktionsverlust der Begrenzung durch die Anlage von Boulevards. Der Begriff Boulevard leitet sich aus dem deutschen Wort „Bollwerk“ ab. Unter Baron Haussmann, 1851 bis 1871 Präfekt von Paris, wird der Boulevard mit seinen Fußgängerpassagen, Caféhäusern und Unterhaltungstheatern nun zur Vitrine des Luxus und der Moden, zum Exerzierplatz der Eitelkeiten (vgl. Jordan). „Haussmann drängte Industrie und Armut aus der Innenstadt hinaus, weitblickend ließ er Vororte eingemeinden, förderte zwei Weltausstellungen, öffnete dadurch das Zentrum der Stadt für den Massentourismus und verlagerte die Zone des Wohlstands immer weiter in den Westen. Durch ihn wurde Paris endgültig zu einer Stadt des Luxus.“ (Wiegand, S. 58ff.).

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Abbildung 74: Stadtwachstum Mainz, 20. Jahrhundert Die Stadt Mainz wird von der Reichsregierung gezwungen, ihre Stadtmauer und die weit vorgelagerten Festungsbastionen aus militärischen Erwägungen eines eventuellen Krieges mit Frankreich bis zur Jahrhundertwende aufrecht zu erhalten. Mainz ist ein anschauliches Beispiel für die Transformation der gebauten Stadtgrenze in eine „weiche“ und eine infrastrukturelle Grenzlinie: um die mittelalterliche Altstadt, die barocke Stadterweiterung und die gründerzeitliche Neustadt verläuft ein schmaler Grüngürtel. Daran schließt die Siedlungsentwicklung des 20. Jahrhunderts an, die ehemalige Dörfer integrierend nun einen Stadtgürtel entlang des Mainzer Autobahnrings mehr und mehr zusammenwachsen lässt (vgl. Abbildung 74). Grüngürtel und Autobahnring, in Paris der „Boulevard Peripheric“, in London die M5, in Berlin auch der Autobahnring und der SBahnring – bilden die aktuellen städtebaulichen Schnittstellen zwischen Stadt und Umland. Wachstum (2) Mit dem Fall der Befestigungsanlagen und dem daran anschließenden Prozess der Stadterweiterung und Suburbanisierung verändert sich der strukturelle Aufbau des Stadtgrundrisses von der konzentrischen zur radialen Stadtanlage. „Wenn wir die Verschiedenheit der beiden Systeme knapp zusammenfassen wollen, so dürfte der Satz etwa lauten: die Grundform der älteren Stadt wird gebildet durch den Abschluss, die der neueren durch die Ausbreitung.“ (Eberstadt, S. 233). Der Durchmesser der repräsentativen mittelalterlichen Stadt übertrifft selten 800 m. Bis ans Ende des 19. Jahrhunderts wächst die historische Stadt durch die Anlage von Wohnvorstädten noch in vergleichsweise kompakter Form. „Die Bebauung hielt sich in einem Halbmesser von etwa 4 km um den Stadtkern.“ Trotz Pferdeschienenbahn und Pferdeomnibussen bleibt die Industriestadt des 19. Jahrhunderts eine Fußgängerstadt. Eine Ausnahme bilden die Großstädte und Metropolen, die mit Hilfe von dampfbetriebener Stadtbahn, U-Bahn und Eisenbahn einen öffentlichen Personennahverkehr ins Umland ermöglichen. „Der Durchmesser des geschlossenen Stadtgebietes betrug 1870 in London (1800: 850.000 Einwohner – 1870: 3,2 Millionen Einwohner) 12 km, in Paris (1800:

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550.000 Einwohner – 1870: 2,2 Millionen Einwohner) 10km, in Berlin (1800: 130.000 Einwohner – 1870: 1,1 Millionen Einwohner) 6 km.“ (Tamms/Wortmann, S.50). Mit der „Spiegelei-Figur“ der Industriestadt wandelt sich das Verhältnis von Stadt und Landschaft, Kultur und Natur in vielfältiger Weise. Die gewohnt unmittelbare Nähe und Nutzbarkeit von freiem Raum und Gärten z.T. innerhalb der Stadt, aber generell vor der Stadt, nimmt mit jeder Stadterweiterungswelle ab. Die „Mietskasernenstadt“ Berliner Prägung wird bald als Fehlentwicklung erkannt: der Bebauungsplan, von Hobrecht 1860 aufgestellt, regelt im Wesentlichen die flächige Erschließung blockartig addierter Vorstadtquartiere mittels bewusster Führung und Gestaltung der Hauptstraßen, z.B. durch die Bildung von sternförmigen Straßenknoten. Hobrecht überlässt aber die Parzellierung und Bebauung privaten Baugesellschaften ohne Festlegung von baulichen Dichtemaßen. Mehrere hintereinander geschaltete Hinterhöfe mit mangelhafter Durchlüftung und Besonnung ergeben das Schreckensbild einer rücksichtslosen Boden- und Bauspekulation (vgl. Hecker, S. 273ff.). Die negativen Folgen einer ungehindert sich in die Fläche ergießenden dichten Stadt lassen zwei städtebaulich grundsätzlich verschiedene Lösungsansätze reifen: die Dezentralisierung der Stadt und die Durchgrünung und Durchlüftung der radial sich ausbreitenden Stadt mit Hilfe von „grünen Fingern“ oder „grünen Zungen“ und „Grünringen“ oder „Grüngürtel“. Beim Wettbewerbsentwurf für Großberlin im Jahr 1910 stellen Eberstadt/Möhring/Petersen die radiale Stadtanlage als Leitbild vor (vgl. Abbildung 75). Sie entwickeln das Konzept aus der faktischen Bedeutung der schienengebundenen Verkehrsinfrastruktur als Träger radialer Siedlungsbänder. Die Keilführung grüner Freiflächen soll zwischen den Bebauungsfiguren die für die Luftzufuhr in der Kernstadt notwendigen Schneisen offen halten. Grünzüge sind zudem in der Lage, inselförmige Grün- und Parkanlagen im Stadtraum mit dem Umland – z.B. einem Waldgürtel – zu vernetzen. Grün- und Freiraum als Steuerungselement des Stadtwachstums gewinnt seit der Wende zum 20. Jahrhundert eine paradigmatische Kraft. Den Kritikern des Stadtwachstums gilt Grün nicht nur als raumstrukturierendes Element, das Abstand zwischen Bebauung sichert. Grün wird im Kontext industriellen Wachstums zum Statthalter traditioneller Werte und romantischer Sehnsucht nach der guten alten Zeit. So nimmt Schmidt, Beigeordneter der Stadt Essen, das Beispiel der amerikanischen Nationalparks auf und fordert in einem Memorandum 1912 einen „Nationalpark“ für das Ruhrgebiet (vgl. Schmidt). „Bis 1850 passen sich Nutzung und Besiedlung der Landschaften des Ruhrgebiets im Wesentlichen ihrer natürlichen Ausstattung an. Dieser Weg wird verlassen. Umgeben von der von ihm geschaffenen künstlichen Zwecklandschaft wird der Mensch … danach

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trachten, das beinahe verlorene Paradies im letzten Moment doch noch zu behalten.“ (Pflug, S. 77ff.).

Quelle: Eberstadt 1919, S. 232f.

Abbildung 75: Konzentrische und radiale Stadtanlage Als erster Direktor des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk (SVR) etabliert Schmidt nach 1919 mit den „regionalen Grünzügen“ ein bis heute wirksames Instrument der Stadt- und Regionalplanung. Der „GrünGürtel Frankfurt“ ist die jüngste Manifestation einer „Vision offener Räume“ (vgl. Koenigs) als Stadtentwicklungsstrategie zum kontrollierten, ökologisch und sozialverträglichen Stadtwachstum. Die Grenzen des Stadtwachstums werden heute vor allem in den neuen Megacities offensichtlich. Los Angeles ist ein prototypisches Beispiel: Ende des 19. Jahrhunderts noch eine Missionsstation in der Savanne Südkaliforniens, Mitte der 20er Jahre schon 2,5 Mio. Einwohner groß und heute als Stadt mit ca. 4,5 Mio. Einwohnern und „metropolitan region“ mit ca. 15 Mio. Einwohnern. 1930 beschließen die Verantwortlichen der Stadt, ein visionäres und zugleich auf genauer Kenntnis der Stadtentwicklung basierendes Gutachten, an dem die renommiertesten Planungsbüros der USA drei Jahre lang gearbeitet haben, nicht nur nicht in die Tat umzusetzen, sondern den Inhalt der Öffentlichkeit komplett vorzuenthalten. Anstelle einer langfristig stabilen Entwicklung mit Hilfe einer Regionalpark-typischen Planungsstrategie, wird Los Angeles heute als Stadt nahezu ohne Parks, ohne gliedernde Landschaft, giftiger Abwässer und ökologisch toter Küsten und den schmutzigsten Stränden der USA bezeichnet (vgl. Hise/Deverell). Am Ende des 20. Jahrhunderts wird Deutschland von einem ambivalenten Wachstumsprozess städtebaulich geprägt: einerseits wächst der Flächenverbrauch mit ca. 120 ha pro Tag versiegelter

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Fläche nahezu ungebrochen; andererseits schrumpft die Einwohnerzahl generell der ostdeutschen Städte und zahlreicher westdeutscher Städte z.T. dramatisch. Die städtebauliche Disziplin ist als Antwort auf die Herausforderungen des Wachstums der Städte entstanden. Heute muss sie Schrumpfung als Herausforderung annehmen und ihre Leitbilder, Methoden und Instrumente danach neu ausrichten. Infrastruktur (3) Die alte europäische Stadt ist ein starker Knoten in vergleichsweise schwachen, überaus anfälligen Netzen des Verkehrs und der politischen Herrschaft. Bis zur Ausbildung der Nationalstaaten ist das Territorium unsicher und zersplittert. „Fuhrmannsleut sind lustige Leut“, ein Brettspiel der 50er Jahre lässt erahnen, was es heißt, z.B. von Bagdad nach Leipzig zur Messe zu fahren: „Der Reisende aus Bagdad, ein Mohammedaner, begrüßt in Wien seine alten Freunde und nimmt sich einen Dolmetscher in seine Postkutsche. Setzt einmal aus. Umgestürzte Bäume im Böhmerwald versperren seinen Weg, muss Hilfe holen und zweimal aussetzen. Böhmische Glaswaren erregen sein Interesse, tauscht Glaswaren gegen morgenländische Seide aus. Muss eine 3 würfeln. Volksfest und Tanz in Böhmen. Setzt einmal aus. Prag. Muss eine 6 als Torgeld würfeln. Durch unwegsame Straßen im Erzgebirge Radbruch. Einmal aussetzen. Freiberg. Alte Bergbaustadt. Muss eine 6 als Torgeld würfeln. Hufbeschlag. Einmal aussetzen. Rasttag, da durch unwegsame Straßen die Pferde zu sehr erschöpft sind. Zweimal aussetzen. Grimmaisches Tor Leipzig. Muss auf Punkt 7 nach Freiberg zurück, da einige Ballen Seide liegengeblieben sind. Setzt anschließend zweimal aus.“(Brettspielanleitung in Besitz des Verfassers, Quelle unbekannt). Mit der Sprengung der mittelalterlichen Mauer-Schale und dem Aufbau von regulären Verkehrsverbindungen wandelt sich das urbane Netzwerk in ein Infrastrukturnetzwerk. Die Verhältnisse kehren sich also um: die Stadt schließt nicht mehr an, sondern wird ihrerseits angeschlossen. Das Netz dominiert den Knoten. Im 19. Jahrhundert gewinnt die Eisenbahn, im 20. Jahrhundert das Auto und im 21. Jahrhundert voraussichtlich die Telekommunikation und Hochgeschwindigkeitsmobilität (ICE- und Luftverkehr) stadtbildende Kraft. Das Raumgefüge der Stadt passt sich schnell den Bedingungen der Infrastruktur an. Mit dem Bahnhof gelingt es dem 19. Jahrhundert noch ein vermittelndes Gelenk zu stiften: als Tor zwischen innen und außen kündigt der Bahnhof das Ziel der Reise und seinen eigenen Ort architektonisch an. Dieser Dualismus spiegelt sich in dem Nebeneinander von gusseiserner Bahnsteighalle und steinerner Bahnhofshalle. Die Infrastruktur wird im Ingenieurbauwerk fortgesetzt. Der Architekt ist für die Stadtseite zuständig und entwirft ein repräsentatives, öffentliches Bauwerk, das sich bis in den Grundriss der Stadt via Bahnhofsplatz, Bahnhofsstrasse und Bahnhofsquartier fortschreibt.

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Quelle: Camusso 1990, S. 35 (links), Cohen 1995, S. 30 (rechts)

Abbildung 76: Mittelalterliche und gründerzeitliche Infrastruktur Schivelbusch weist in seiner „Geschichte der Eisenbahnreise“ (vgl. Schivelbusch) die weit reichende Wirkung der neuen Erfahrung von Raum und Zeit auf den Städtebau des 19. Jahrhunderts nach. Danach zwingt die Fahrt mit der Bahn den Reisenden, anstelle den Vordergrund zu betrachten – wie bei der Fußreise oder der Kutschfahrt notwendig – den Mittel- und Hintergrund zu fixieren (um nicht schwindelig zu werden). Die Perspektive der Weite setzt sich dann in den neuen Stadtachsen der Boulevards fort. Ein weiterer Eingriff der Bahn in den Ort ist die Etablierung einer einheitlichen „Bahnzeit“ 1885. Bis dahin hat jeder Ort im Deutschen Reich eine „Eigenzeit“, die zwischen Ostpreußen und dem Rheinland um eine Stunde differiert. Die Industriestadt braucht in ihrem stetigen Wachstum nach außen Landschaft und landwirtschaftliche Fläche auf und wird in ihrem Inneren in Folge der rapiden baulichen Verdichtung endgültig deagrarisiert. Damit schwinden auch die für die Ver- und Entsorgung der Stadt so wichtigen natürlichen Ressourcen. Mit Hilfe der Stadttechnik gelingt es, den Organismus Stadt funktionsfähig zu erhalten. „Den Ausgangspunkt bildete die Innenstadtsanierung, berechtigterweise eine Aufgabe des Ingenieurs. Hier galt es, rücksichtslos durch das Gelände durch zu schneiden, breite kostspielige Straßenzüge zu schaffen, dem Verkehr leistungsfähige Wege zu bieten.“ (Eberstadt, S. 84). Paris ist neben Berlin, Wien, London und Madrid als „Hauptstadt des 19. Jahrhunderts“ der immer wieder kopierte Prototyp der Transformation der mittelalterlichen in die industrielle Stadt. Die Choleraepidemien 1832 und 1849 stoßen einen grundsätzlichen Umbau der Stadt mit an. David Jordan berichtet, dass nur 3 von 100 Haushalten im Jahr 1852 einen Wasseranschluss haben (vgl. Jordan, S. 287). Das Leitungsnetz hat eine Länge von ca. 700 km, das der Kanalisation ist ca.

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107 km lang. Das Gros der Haushalte wird von Wasserträgern versorgt, die der Seine und ca. 1.500 Stadtbrunnen Wasser entnehmen. 17 Jahre später, am Ende der Amtszeit des Baron Haussmann erstreckt sich das Leitungsnetz über 1.547 km und die Länge der Kanalisation bemisst sich auf 560 km. Die Pariser erhalten nun ihr Trinkwasser aus 150 km entfernter Quelle und Fluss. Das Wasser der Seine dient nur noch der Straßenspülung.

Quelle: Benevolo 1991, S. 836

Abbildung 77: Stadtdurchbrüche in Paris, Mitte 19. Jh. „Die Kanalisation war der Inbegriff der Reinlichkeit, mit ihr triumphierte die Ordnung über das Chaos, setzen der wissenschaftliche, insbesondere der medizinische Fortschritt und die Aufklärung ihr Licht dem Dunkel entgegen ... Haussmanns Kanalisation war dermaßen erfolgreich, dass sie die größte Attraktion des neuen Paris, wenn nicht gar den Weltwundern zugerechnet wurde. Bei der Weltausstellung 1867 begannen die Stadtwerke zum Stolz ihrer Ingenieure, Rundfahrten durch „das andere, das unterirdische Paris“ anzubieten (Jordan 1996, S. 293). Mit der 1860 vollzogenen Erweiterung von Paris wird das Stadtgebiet verdoppelt und damit die Voraussetzung für die Verbindung des Zentrums mit der Peripherie geschaffen. Entlang den neuen Straßen- und Eisenbahnachsen kann Paris potenziell endlos wachsen. Die Straße des alten Paris, „war Arbeitsraum, Werkbank, Markt, Garküche des Volkes“. Der Boulevard wird zur Schlagader des neuen Paris. Es entsteht ein Straßenraum (vgl. Abbildung 77), der

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„eine neue Choreographie großstädtischer Bewegungsform organisiert.“ (Hartung, S. 33). Und er wird zum Schauraum, zur Bühne der Stadt. Für Berlin schlägt Lenné 1840 einen „Schmuck- und Grenzboulevard“ vor, „denn je weiter ein Volk in seiner Kultur und in seinem Wohlstand fortschreitet, desto mannigfaltiger werden auch seine sinnlichen und geistigen Bedürfnisse“ (Hartung, S. 44). Hartung führt weiter aus, dass „mit dem Fall der Festungsmauern … die Grenze zwischen Stadt und umgebender Natur bewusst gestaltet, inszeniert und hervorgehoben [wird]. Das Stadtbild, das derart entsteht, wird als Gestaltungsprinzip in die innerstädtischen Boulevards hineingezogen. Auf den ehemaligen Wallanlagen werden auch die differenzierten Bedürfnisse des Großstädters nach Vergnügen, Erholung und gesellschaftlichem Umgang kodifiziert und zum Programm der Straße erhoben.“ Der Boulevard als in die Stadt gestülpte Landschaft taucht z.B. zu Beginn der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts im Konzept der „Parkways“ für Los Angeles auf (vgl. Hise/Deverell). Der Umbau, die „Neuerschaffung“ von Paris und die Ausdehnung der Stadt auf die Vororte folgen einem Ordnungsprinzip aus städtebaulichen Brennpunkten (im positiven Sinne!), die mit Boulevards verbunden werden. Generell führt Haussmann drei Zielpunkte ein: öffentliches Bauwerk, Platz und Monument. Diese Orte sind jeweils auch Mittelpunkt ihres Stadtquartiers. Mit dem Boulevard-Knoten-System löst Haussmann Paris von einem statischen, konzentrischen Stadtgrundriss ab und führt die Stadtmitte in ein Geflecht permanenter Zirkulation über. Stadttechnik und Städtebau schaffen einen rational geplanten und geometrisch geordneten Raum. Die Industriestadt wird durchgängig als ein Netz öffentlicher Infrastruktur und öffentlicher Räume entwickelt. Dabei bedient sich Haussmann offensiv des Kapitalmarktes. Das neue Paris wird von privaten Investoren finanziert. Die Tilgungszeit reicht bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhundert. Grundlage einer systematischen und mit dem privaten Sektor eng verknüpften Stadt- und Immobilienentwicklung ist ein objektiver, exakt vermessener Stadtplan. Nur so lassen sich Fluchtlinien vorschreiben und eine unterirdische Parallelstadt anlegen. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit beauftragt Haussmann die Vermessung von Paris. Mit dem „Plan de Paris“ im Maßstab 1:5.000 erhält die Stadtverwaltung das Werkzeug, um die Großstadtentwicklung beherrschen zu können. „Von der Straße aus und für die Straße wurden Städte geplant. Der großstädtische Städtebau war nunmehr eigentlich Straßenbau.“ (Eberstadt, S. 84). Die Straße dient nun nicht mehr in erster Linie der Erschließung der an sie anschließenden Parzellen und Grundstücke, sondern der Mobilität im Netz. Demzufolge wird in Paris alles auf die Wirkung der Straße als Bewegungsraum und öffentlicher Repräsentationsraum angelegt. Die Fassaden werden in Höhe und architektonischer Struktur einheitlich ausgeführt. Geschosszahl und Baumaterial werden von Haussmann persönlich je nach Quartier vorgeschrieben. Bauherren und Architekten folgen den Maßgaben der Einheitlichkeit aber auch ohne Zwang und planen „den Balkon in

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der ersten Etage und am Dachgeschoss über dem Sims, ein bedeutendes Element der HaussmannÄra, … von sich aus.“ (Jordan, S. 187). Die Fassaden unterscheiden sich nur durch ornamentale Details. Die ordnende Hand des Staates soll sich deutlich zeigen. So lässt Haussmann sieben Grundformen von Laternen entwickeln und in 78 Variationen fertigen und aufstellen. Gleiches gilt für Kanalroste, Gitter, Zäune, Geländer, Tore und Bänke. „Das Zubehör von Paris ist ein Resultat des Industriekapitalismus.“ (Jordan, S. 187). Die infrastrukturelle Basis des Stadtumbaus ermöglicht eine bauliche Verdichtung des Zentrums zum Zwecke des bürgerlichen Wohnens und die Anlage gesellschaftlicher Mittelpunkte – vom Bahnhof über Oper, Theater bis zum Warenhaus – und die Verknüpfung all dessen mit einem neuen Wohnkomfort und hygienischem Standart. Die außerordentliche Mobilität nach innen und außen geht einher mit Bodenspekulation und massiver Verdrängung armer Bevölkerung an den Stadtrand. Haussmann leitet eine neue Größenordnung der Segregation ein. „In Haussmanns 17jähriger Amtszeit stiegen die Gebäudewerte von knapp 2,6 Millionen auf gut 6 Milliarden Francs.“ Dagegen machte Haussmann die eingegliederten Vorstädte – die Banlieue – „zur Heimat der Verbannten und Entwurzelten.“ (Jordan, S. 307). Der Städtebau des liberalistischen Industriezeitalters ist an sozialen Fragen nicht interessiert. Für Haussmann gelten sie als Privatangelegenheit. „Haussmann wollte bloß eine öffentliche Metropole: Straßenbau, sanitäre Einrichtungen, Beleuchtungen und Parks dienten allen gleichermaßen!“ (Jordan, S. 312). Letztere zählte fortan selbstverständlich zur Infrastruktur und Kultur der Industriestadt: “1850 hatte die Stadt 47 ha Parks, 20 Jahre später … dagegen 4.500. Haussmann bescherte Paris 18 neue Plätze – im Annexionsgebiet – weitere sieben – und verdoppelte fast die Zahl der Bäume entlang der Alleen und Boulevards.“ (Jordan, S. 294). 3.1.2.3

Slaburbia

Das 20. Jahrhundert hat Stadt ebenso wie Natur in den Prozess der Industrialisierung integriert. So lässt sich der Zusammenhang zwischen industriellem Bauen in Gestalt von Satellitenstadt, Großsiedlung und Plattenbau und der Herstellung industrieller Nahrung skizzieren. Instant-Ei wird in Großküchen oder in den Bistros der Bahn AG u.a. aus hygienischen Gründen aus den Komponenten Eipulver und Wasser gemischt und dann gebraten (vgl. Abbildung 78).

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Quelle: eigene Darstellung (links), Rietdorf, S. 122 (rechts) 1976

Abbildung 78: Großsiedlung Das exponentielle Wachstum der Städte im 19. Jahrhundert bringt die Notwendigkeit der Versorgung großer Bevölkerungsmassen in extremer räumlicher Enge mit sich. Mit Hilfe von Fleischextrakt (1867), Corned Beef oder Puddingpulver kann Nahrung in konzentrierter Form haltbar, über weite Strecken transportierbar und ohne besondere Maßnahmen gelagert und schnell verfügbar gemacht werden. „… für das Funktionieren einer industriell organisierten Ernährung [ist es] wichtig, dass alle Exemplare eines Produktes von gleicher Beschaffenheit und Qualität sind. Dem diente ebenfalls die Separierung und Portionierung, vor allem aber das Bestreben, schon das Rohmaterial in den seriellen und gleichförmigen Zustand einer Industrieware zu bringen. Die Landwirtschaft wurde auf industrieähnliche Produktionsmethoden umgestellt; die bedeutsamste Umwälzung

auf

diesem

Gebiet

war

die

Einführung

der

künstlichen

Düngung.

Die

Nahrungsmittelproduktion nahm dadurch an Unabhängigkeit von den naturgegebenen Einflüssen … zu … 1846-49 herrschte auf dem europäischen Kontinent die letzte auf Naturkatastrophen … rückführbare Hungersnot.“ (Engell, S. 12). Die industrielle Stadt folgt den Strukturprinzipien der Industrieproduktion. Engell führt in seine „Theorie zur Filmgeschichte“ über die Metapher des Brühwürfels ein, der im gleichen Jahr auf den Markt kommt wie die Kinematographie (1895). Seiner Argumentation folgend, geht mit Brühwürfel respektive Eipulver der sinnlich erfahrbare Zusammenhang zwischen „Rindvieh auf der Weide“ und Suppe auf dem Tisch oder zwischen Huhn auf dem Hof und Ei auf dem Teller endgültig verloren. „Der Brühwürfel wird möglich, als der Zusammenhang schon so weit entzerrt ist, dass er von einem einzelnen Individuum nicht mehr durch Erleben oder Handeln erfahrbar ist, andererseits stellt der Brühwürfel die Möglichkeit weiterer Entzerrung bereit … Der Brühwürfel … ba-

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siert also darauf, erfahrbare Zusammenhänge durch vorstellbare zu ersetzen, und er ermöglicht einen weiteren Ausbau dieser Verschiebung.“ (Engell, S. 10f.). Für Engell liegt die Vermutung nahe, dass ein „Zerfallen des sachlichen, sozialen und zeitlichen Zusammenhangs“ abgefangen oder kompensiert werden muss. Bei der Entwicklung der Stadt kommt dem Verkehr die Rolle der Wiederherstellung des räumlichen Zusammenhangs zu. Von besonderem Interesse ist dabei die visuelle Wahrnehmung der Fahrenden. Das sich schnell bewegende Fahrzeug „zwingt den sich bewegenden Betrachter zur Selektion; und damit wiederum geschieht ein fundamentaler Wandel: der räumliche Zusammenhang, das Bewegungskontinuum, das die heterogenen städtischen Zonen wieder zusammenfügt zu querlaufenden Linien der Erfahrung, ist nicht mehr als Zusammenhang erfahrbar, sondern nur mehr als Folge von Einzeleindrücken, als Mosaik, als Collage. Die Raumwahrnehmung wird atomisiert.“ (Engell, S. 18f.).

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 79: Wohnungsbestand Großwohnsiedlung Die reine Wohnsiedlung oder Bürosiedlung, in der Fertigung, im räumlichen Gefüge, in der Erschließung und in der Ästhetik industriellen Parametern folgend, dekontextualisiert die Stadt. Der Kontext wird aus der Erfahrung herausgenommen. „Die Erfahrung von Zusammenhang in einem System wird als wesentlicher Bestandteil der Sinnerfahrung überhaupt gesehen, so dass systemtheoretisch gesehen, die Erfahrbarkeit von Sinn da zurücktritt, wo Zusammenhänge undurchschaubar werden.“ (Engell, S. 16). Die Großsiedlung ist seit den 70er Jahren in Westdeutschland und seit der Wende in Ostdeutschland zum Sanierungsfall en gros geworden (vgl. Abbildung 79). Die Strategien und Maßnahmen lassen sich generell als Versuch der Urbanisierung werten. Ziel ist es, Funktionen zu mischen, heterogene soziale Schichten zu integrieren, eine Vielfalt an Bautypologien zu erhalten, den öffentli-

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chen Raum mit öffentlichen Nutzungen im Erdgeschoss zu stärken, Gebäude und Freiraum zu individualisieren, den Gebrauch durch Eigentum zu stärken, Verantwortung durch Partizipation und Eigentumsbildung zu festigen, Orientierung von technischen Infrastrukturen und bildhaften Zeichen auf Räume und Raumgefüge zu transformieren und Quartiere eigener Identität um eine eindeutige Mitte zu gruppieren. Die Zukunft der Stadt aus industriellen Rohstoffen und Fertigprodukten wird also – neben demographischen Faktoren – vor allem davon abhängen, ob es gelingen kann, Sinnerfahrung von Stadt als ein System von Zusammenhängen möglich zu machen. Sieverts führt einen weiteren, für die Zukunft außerordentlich wichtigen Aspekt hinzu: „… fast alle diese geschlossenen Wohngebiete aus den sechziger und siebziger Jahren wurden für eine vollbeschäftigte, gut verdienende und abgesicherte Industriegesellschaft gebaut. Diese Art von Wohnsiedlungen der Moderne verliert rapide ihre sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen. Auch dann, wenn sie gegenwärtig nach Augenschein noch sozial unauffällig sind, müssen sie weiterentwickelt werden für eine neue Bewohnerschaft mit voraussichtlich vielen Arbeitslosen und Unterbeschäftigten, mit vielen Alten und vielen Ausländern, die mit ihren traditionellen Qualifikationen am Arbeitsmarkt keine Chance haben. Diese Wohngebiete müssen ausgebaut werden zu neuen, urbanen Lebensfeldern für Menschen, die ihren Lebenssinn und ihre materielle Existenz nicht mehr wie selbstverständlich in einer disziplinierenden, Sicherheit und Lebenshalt gebenden Arbeit außerhalb des Wohngebiets finden. Sie müssen zu einem großen Teil Existenz und Lebenssinn in neuen produktiven und kulturellen Tätigkeiten und gegenseitigen sozialen Nachbarschaftshilfen innerhalb der Wohngebiete selbst suchen. Dies geht nicht ohne zum Teil weitgehende Umnutzungen des Bestands.“ (Sieverts 2001, S. 170). 3.1.2.4

Zwischenstadt

1997 erscheint das Buch „Zwischenstadt – zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land“. Mittlerweile liegt es in vierter Auflage vor und ist der urbanistische Bestseller deutscher Sprache. Eine englische und eine französische Ausgabe belegen das weltweite Interesse an der Analyse dessen, was der Autor Sieverts die „verstädterte Landschaft“ oder „verlandschaftete Stadt“ nennt: „Es ist die Stadt zwischen den alten historischen Stadtkernen und der offenen Landschaft, zwischen dem Ort als Lebensraum und den Nicht-Orten der Raumüberwindung, zwischen den kleinen örtlichen Wirtschaftskreisläufen und der Abhängigkeit vom Weltmarkt. (Sieverts 1997, S. 7). Die Zwischenstadt lässt sich mit dem Bild des Rühreis vergleichen: die natürliche Substanz ist kaum wieder zu erkennen, Eiweiß und Eigelb sind zu einer neuen Masse unter Zuhilfenahme von Hitze (Energie/Infrastruktur) verschmolzen und mit dem Rührbesen lässt sich das Ganze in viele

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395

Teile zerschlagen (vgl. Abbildung 80). Man könnte auch sagen, dass die Zwischenstadt wie Eiweiß und Eigelb beim Rührei, Stadt und Land vermischt, also beide Begabungen vereint – doch keine wirklich ausprägt. Es lassen sich fünf Bedingungen der Zwischenstadtentwicklung skizzieren: x

Flächendeckender Ausbau und eine weitgehende Autonomie technischer Mobilitäts- und Kommunikationsinfrastruktur

x

Unabhängigkeit von natürlichen Standortbedingungen

x

Hochgradig entwickelte raumfunktionale Arbeitsteilung

x

Tendenzielle Unabhängigkeit von der Zentralität und den Fühlungsvorteilen der Stadt

x

Fehlen oder Schwäche einer regionalplanerischen „Gestaltungshoheit“.

Quelle: eigene Darstellung (links), Probst 2003 (rechts)

Abbildung 80: Zwischenstadt Die Zwischenstadt ist somit ein baulich-räumlicher Ausdruck für den Paradigmenwechsel der Industriegesellschaft im Hinblick auf eine zunehmende Flexibilisierung, Individualisierung, Medialisierung und Globalisierung. Grundlage ihrer Existenz ist die Chance, den „Stadtverband“ verlassen zu können. Dies wird mit Hilfe der neuen technischen Netzwerke des 20. Jahrhunderts möglich. Während die Bahn strukturbedingt nur ein lineares System und als solches ein Streckennetz mit relativ wenigen Knoten auszubilden vermag – insbesondere je höher die Geschwindigkeit darin ist (ICE) – ist das Straßennetz potenziell ubiquitär. Jeder Punkt einer Fläche kann erschlossen werden. Dies bedarf der Ergänzung durch eine entsprechende Kommunikationstechnologie: Parallel zum Ausbau der Bahninfrastruktur wird im 19. Jahrhundert als Begleitmedium die elektrische Telegraphie genutzt. Diese löst sich von der Bahn und hält Einzug in die Stadt. Mit dem Telefon,

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dem Mobiltelefon und dem Internet werden alle technischen Voraussetzungen für das Verlassen des Knotens Stadt geschaffen. Es ist ein typisches Zeichen der Stadtentwicklung, dass neue Technologien mit Basischarakter unmittelbar in baulich-räumliche Figuren umgesetzt werden: „Road-Town“, „Bandstadt“ und „Gartenstadt“ nutzen in unterschiedlicher Intensität und ästhetischer Direktheit die Bahn als Formgeber. „Cité Radieuse“, „Broadacre City“, „Suburbia“ und die „autogerechte Stadt“ folgen den strukturellen Eigenschaften des Automobils. In jedem Fall aber finden sich Beispiele für eine Mystifizierung der Technik durch Architektur oder Städtebau. Der Stadtumbau und die Stadterweiterungen des 19. Jahrhunderts nutzen die neuen Technologien zur Modernisierung der kompakten Stadt. Die entfalteten Technologien des 20. Jahrhunderts provozieren eine „tabula rasaHaltung“. Vor dem ersten Weltkrieg fordert die italienische Gruppe der „Futuristen“ mit ihrem Sprecher Sant´Ellia: „Wir müssen unsere Stadt der Moderne ex nuovo erfinden und aufbauen wie eine ungeheure, vor Erregung glühende Schiffswerft, aktiv, voller Bewegung und rundherum dynamisch, und jedes Bauwerk der Moderne muss wie eine gigantische Maschine sein ... die Straße selbst wird ... den Verkehr der Großstadt in sich aufnehmen und für die notwendigen Umsteigemöglichkeiten mit metallenen Laufstegen und Transportaufzügen von hoher Geschwindigkeit ausgerüstet sein.“ (Müller, S. 61). Für die Architekten Le Corbusier und Wright ist bei aller baukünstlerischen und städtebaulichen Differenz eines unbestritten, dass der Mensch den Raum der Stadt vom Auto aus erleben wird und dieser daher durch das Auto organisiert werden muss (vgl. Abbildung 81). So ist die Straße der Moderne von Anfang an enturbanisiert. Die Zwischenstadt knüpft an das Potenzial der technischen Infrastruktur an, ohne dass jedoch dabei vorgezeichnete städtebauliche oder architektonische Qualitäten zum Tragen kämen. Die Hoffnung, den Raum der Region oder auch nur die Peripherie der Städte in den planerischen Griff zu bekommen, hat sich bis heute nicht erfüllt. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die Autonomie, die die technischen Netzwerke auszeichnet. An der Entwicklung der Straße wird dies deutlich: in der alten Stadt ist die Straße das Resultat des Abstandes der Bebauung. Die mittelalterliche Stadtplanung legt auch nur diejenigen Straßen fest, die öffentliche Gebäude und Einrichtungen verbinden – also nur die Hauptstraßen. Die Stadtquartiere werden privat erschlossen (und sind daher so schmal!). Die Stadt des Industriezeitalters entwickelt die Prachtstraße als Arrangement von Perspektive, Repräsentanz und Raumwirkung. Die begleitenden Bauten werden über ihre Fassaden Teil der Inszenierung urbaner Atmosphäre. Ausfallsstraße, Umgehungsstraße und Autobahn sind dagegen reiner Verkehrsraum. Die zunehmende Begleitung durch Lärmschutzwände isoliert die Straße vom umgebenden Raum und gibt ihr das Gepräge eines exterritorialen Gebildes.

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Quelle: Wright 1958, S. 181 (links), S. 116 (rechts)

Abbildung 81: Broadacre City von Wright, Perspektive (links) und Knotenpunkt (rechts) Einerseits verselbstständigt sich die technische Infrastruktur, andererseits personalisiert sie sich: Autos (aber auch Fahrräder), „Handys“ und Internet brauchen keinen Bahnhof, also keine öffentliche Vermittlung. Das Infrastrukturnetz ist so fein gesponnen, dass es eher als perforierte Fläche wirkt. So wie sich Personen „einloggen“, kann ein Wohn-Arbeits-Freizeit-Bildungsstandort potenziell grenzenlos „ans Netz“ gehen. Im Laufe des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts hat sich die Zwischenstadt zum Siedlungsschwerpunkt entwickelt. Rhein-Main Region, z.B.: von 1980 bis 2000 erhöhte sich die Bevölkerungszahl um 600.000 Einwohner (7,5%). Zwischen 1981 und 1992 stieg die Siedlungs- und Verkehrsfläche um 16,9%. In den letzten 40 Jahren kam es zu einem explosionsartigen Wachstum der Siedlungsfläche: die Netzlänge des Autobahnnetzes nahm von 481 km im Jahr 1963 auf 1.129 km im Jahr 1995 um 135% zu. Die Fahrleistung stieg von 9,8 Mio. Fahrzeug-km auf 69,5 Mio. Fahrzeug-km an. 1997 lebte fast die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands in Verdichtungsräumen. Darin beträgt der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche häufig mehr als 40%, in einigen Großstädten bereits mehr als 70%. (vgl. BBR). Am Beginn des 21. Jahrhunderts lässt sich feststellen, dass die Zwischenstadt „erwachsen“ wird, und das heißt, dass sie zunehmend funktional komplex ist, ihre eigenen Wertstrukturen aufbaut und damit von der Kernstadt unabhängig(er) wird (vgl. Brake, S. 37). Mit der Zwischenstadt lassen sich – auch mit Blick auf die Rühreimetapher – fünf typische „Stadteigenschaften“ des beginnenden 21. Jahrhunderts verbinden: x

Verlust der Innen-Außen Hierarchie.

x

Lösung der Verklebung mit dem Stadtraum.

x

Stadt ist potenziell überall.

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x

Die Identifizierbarkeit von Stadt schwindet.

x

Der Rand wird tendenziell zur Mitte.

Im Verlauf des Stadtwachstums der Industriestadt beginnt sich die Mitte-Rand-Relation zu verändern. Die Stadt insgesamt differenziert sich funktional aus und dabei verliert die Mitte ihre Bedeutung als Wohn- und Produktionsstätte. Sie wird zum Geschäfts- und Verwaltungszentrum. Der hochwertigste Wohnstandort ist nun nicht mehr innen, sondern außen: am Stadtrand in den neuen Vororten bzw. Satellitenstädten oder gar im Umland. Mit den wachsenden Belastungen durch Industrie und Verkehr werden Lagen im Grünen mit dem Prädikat Licht, Luft und Sonne attraktiver als „mittendrin“. Zwar bleibt das Stadtzentrum Mittelpunkt des ÖPNV-Netzes, doch für die motorisierte Infrastruktur wird zunehmend der Tangentialverkehr bedeutsamer. Mit der Ausbildung neuer Zentren in der „Leere“ der Zwischenstadt entwickelt sich ein disperses Zentrengemisch, das immer weniger den Vorgaben des Zentrale-Orte-Modells der Raumordnung folgt. Ein Versuch, diese immer komplexere Raumstruktur planerisch zu erfassen und über ein entsprechendes Modell wieder Ordnungs- und Gestaltungskompetenz zu gewinnen, ist die „Netzstadt“ von Oswald und Baccini (vgl. Oswald/Baccini). Die Netzstadt zeigt, dass sich die Zwischenstadt einer einfachen visuellen Abbildbarkeit verweigert. Es werden naturwissenschaftliche Kenntnisse und entsprechende Darstellungsmethoden gebraucht, um Komplexität zu reduzieren und Strukturkonzepte entwickeln zu können. Die Zwischenstadt bricht mit dem Raum- und Zeitkontinuum, das die Stadt auszeichnet. 3.1.2.5

Fraktale Stadt

Im Rührei-Bild der Stadtentwicklung kommt als fünftes strukturprägendes Phänomen der Bedeutungsgewinn des urbanen Randes gegenüber der Fläche und dem Zentrum zum Ausdruck. Das Rührei wird als Figur von einer zerklüfteten, zerfransten und perforierten Oberfläche geprägt (vgl. Abbildung 82). Eine selbstreferenzielle Raumstruktur wird sichtbar: egal, welchen quantitativen Ausschnitt man betrachtet, die Formen gleichen sich. Die „fraktale Geometrie der Natur“ (vgl. Mandelbrodt) löst die euklidische Geometrie in der Beschreibbarkeit der urbanen Räume des 20. im Übergang zum 21. Jahrhundert ab. Eine Forschungsgruppe der Universität Stuttgart hat mit „Fundamental Principles of Urban Growth“ (vgl. Humpert/Brenner/Becker) eine Studie vorgelegt, die den „Paradigmenwechsel von der „Container-Stadt“ zur „offenen“ oder „fraktalen“ Stadt anhand von weltweit 57 analysierten Stadtgrenzen nachweist. Die zentralen Erkenntnisse sind: x

Agglomerationsräume zwischen 100 und 2.000 km2 (zum Vergleich: Rhein-Main 7.400 km2, vgl. Abbildung 83) zeichnen sich im Verhältnis von Fläche und Umfang durch einen konstanten Wert aus, der im Mittel 2,4 beträgt. Fläche und Linie bemessen sich dabei aus der Addition

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der besiedelten Flächen und der jeweiligen Ränder. Danach weisen die metropolitanen Räume des 21. Jahrhunderts ein abstraktes Maß an Kompaktheit auf, das dem der mittelalterlichen Stadt Lübeck mit einem Durchmesser von 1,6 km entspricht. x

Die genauere Betrachtung der realen Geometrie der Stadtregionen lässt erkennen, dass sich die Länge der Ränder parallel zum Wachstum der Fläche verhält: die Siedlungen produzieren Randlagen. Eine Fortsetzung des Typs der Behälterstadt hätte in diesem Fall zur Folge, dass ein lineares Wachstum des Randes ein Flächenwachstum im Quadrat ergeben würde.

x

Der Abstand von Siedlungsmitte und Siedlungsrand beträgt maximal 6,0 km. Wachstum darüber hinaus wird von Perforation geprägt, erfolgt in Form von Inseln oder Satelliten im Freiraum, oder im Anschluss an Grüngürtel bzw. Grünzungen: Je höher der Grad an Fragmentierung, desto stärker wächst die Randlänge.

x

Je höher der Motorisierungsgrad – und damit der Wohlstand – einer Gesellschaft, desto fraktaler ist der Grundriss der metropolitanen Regionen.

x

Fraktales Wachstum produziert tendenziell ein Maximum an ausgefransten Rändern außen und innen. Mit wachsender Entfernung vom Siedlungsschwerpunkt nimmt der Anteil fragmentarischer Räume zu. Binnenwachstum lässt ebenfalls Randlagen wachsen, und zwar im linearen Verhältnis zur Fläche.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 82: Stadt und Rand Die Autoren werten ihre Feststellungen grundsätzlich als Beleg einer anthropologischen Konstante in der Raumentwicklung: als natürliches Wesen ist der Mensch seiner humanen Prägung durch das Leben am Waldrand und in der Savanne verhaftet. Prägend ist dabei die Fähigkeit, ein be-

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stimmtes Verhältnis von Distanz und Nähe zu wahren. Von Tucholski stammt das Idealbild des Wohnortes mit der Ostsee vor dem Haus, der Friedrichsstraße dahinter und dem freien Blick auf die Zugspitze. Die einst nur dem Adel und den Reichen vergönnte Lebensweise der Residenz in der Stadt(-mitte) und der Villa auf dem Land hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts in den hochentwickelten Industriestaaten demokratisiert. Ganz offensichtlich geht die Zunahme an Wohnfläche pro Einwohner von 20 m² im Jahr 1960 auf 40 m² im Jahr 2000 einher mit dem Wachstum von Randlagen, die den Komfort von Urbanität und Landschaft tendenziell vereinen. (Die Studie endet mit einer diesbezüglichen Karte der Stadt Freiburg, auf der die Wohnstandorte der Architekten verzeichnet sind, die selbstverständlich Randlagen bevorzugen.)

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 83: Region Rhein-Main 1925 (links) und 1990 (rechts) Prinzipiell ändern lässt sich der Prozess der fraktalen Stadtentwicklung – so die Studie eindeutig – nicht. Die einzigen Stellschrauben der Stadt- und Regionalplanung sind demnach allein die Verkehrsinfrastruktur und die Ausweisung geschützter Freiräume, wie z.B. den Regionalpark RheinMain oder den Emscher Park im Ruhrgebiet. Zudem sei nachweisbar, dass die fragmentarischen Randsiedlungen zunehmend unabhängigere Mittelpunkte würden. Es entstünden „Areas of their own right“. Das große Verdienst der Studie ist es, mit empirisch klaren Analysen der quantitativen Raumstrukturentwicklung die Qualität der aktuellen Diskussion um die Zukunft der Stadt europäischen Typs bereichert zu haben. Mit dem Nachweis des Bedeutungszuwachses des urbanen Randes und dessen strukturbestimmender Rolle wird der Streit um kompakte vs. Zwischenstadt versachlicht. Die Folgerung lautet, dass in Zukunft die gesamte urbanisierte Fläche einschließlich der grü-

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401

nen, offenen Innenräume ohne Wertehierarchie in der Planung betrachtet – und gewürdigt – werden muss. 3.1.2.6

Künstliche Stadt

Quelle: eigene Darstellung (links und rechts)

Abbildung 84: Erlebniswelt Abschließend soll noch eine typisch postindustrielle Form der Transformation des Hühnereis erwähnt werden: das Stangenei. Dabei wird ein Rohr mit Eigelbmasse gefüllt, erhitzt und dann in einem zweiten Rohr mit Eiweiß umhüllt. Das potenziell unendliche Stangenei kommt z.B. in der Wurstherstellung und in den Großküchen zum Einsatz. Seine Qualitäten sind eindeutig: es vereint alles Positive vom Ei, ohne Abfall wie stumpfes und spitzes Ende, und ist in gleichbleibender Form überall und jederzeit verfügbar. Im übertragenden Sinn auf die Stadt bezogen heißt das, dass einzelne Bausteine der Stadt, wie das Shopping Center oder das „City Quartier“ und ganze Städte wie – bislang nur in den USA – „Celebration“ oder „gated communities“, Stadt als schönes Bild verstehen. Ausschließende Mechanismen wie hoher Preis, polizeiadäquate Kontrollen oder physische Zugangsbeschränkung sichern Räume, die von Widersprüchen, Konflikten und selbststeuernden Prozessen befreit sind. Es sind i.d.R. einheitlich geplante, finanzierte, gebaute und gemanagte Einheiten. Auch im Fall der Stangenei-Stadt handelt es sich um eine selektive Wahrung urbaner Zusammenhänge, um fragmentarische Räume mit Rändern, die Abstand anzeigen. Gerade weil diese Orte und Räume „Urbanität“ versprechen, ist ihre Integration in den Sinnzusammenhang der alltäglichen Stadt europäischen Typs keine geringere Herausforderung, als die Urbanisierung zweckrationaler Raumstrukturen des Industriezeitalters.

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3.1.3

Entwicklung

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 85: Stadtentwicklung Die europäische Stadt hat im Verlauf ihrer eintausendjährigen Entwicklung in jeder Hinsicht eine unvergleichliche Komplexität erreicht. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die darin aufgehobenen städtebaulichen Wertstrukturen zu vermitteln. Methodologisch ist dabei von besonderem Gewicht, dass die europäische Stadt als eine ununterbrochene Geschichte der Urbanisierung begriffen wird. Der Fortschritt schließt also Bruchstellen, Widersprüche und existenzielle Konflikte ein. Diese führen nicht weg vom Typ der europäischen Stadt, sie sind vielmehr Bestandteil ihres reifen Charakters. Das nun abschließende Kapitel folgert daraus die Hypothese, dass die chronologisch identifizierbaren Entwicklungsphasen von der Burg-Stadt zur Global City nicht nacheinander verlöschen, sondern nebeneinander präsent bleiben. Die Parallelität der geschichtlich kodifizierten Eigenschaften ist der große Reichtum europäischer Stadtkultur. Es gilt, die vielfältigen Begabungen der europäischen Stadt in Strategien der Integration zur Entfaltung zu bringen. Die Charakterprägung der europäischen Stadt kann für die Vergangenheit und Gegenwart als Spiegelung von vier paradigmatischen Wirkkräften skizziert werden: x

Zentrierung

x

Komprimierung

x

Dehnung

x

Fragmentierung

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Als entscheidender fünfter Schritt steht für die Zukunft Integrierung an (vgl. Christ 2003, S. 26). Um die Aufgabe einer „Integrationskultur“ bestimmen zu können, sollen die vier Wirkkräfte in ihrer bis heute lebendigen strukturellen Qualität skizzenhaft erläutert werden. 3.1.3.1

Zentrierung

In allen Kulturen und zu allen Zeiten ist es das hervorstechende Merkmal der Stadt, dass sie Orte bereithält, an denen sich jene Kräfte entfalten können, die von zentrierenden Impulsen angetrieben werden. Das sind kultische, religiöse, machtpolitische, kulturelle, ökonomische und schließlich technologische Strukturen, die danach streben, jeweils für sich und zusammengenommen „die“ Mitte zu markieren; ohne Mitte keine Stadt. Auf diese Weise ist Stadt Ort der Herrschaft und Kontrolle, aber auch der Gemeinschaft, der Öffentlichkeit und der Kommunikation. Orte werden gebraucht um Zentrierung sichtbar zu machen. Dies ist so im Babylon des 6. Jh. vor Christus, dessen Mauerringe von 600 Türmen überragt werden und wo in mehr als fünfzig Tempeln 1.300 Altäre zur Götterverehrung angeboten werden. Das Pantheon Roms hält „die riesige Peripherie“ des Imperiums „durch eine Macht ausstrahlende und sammelnde Mitte“ zusammen (Sloterdijk, S. 459). Das World Trade Center ist nach seiner Zerstörung mehr noch als zuvor die reale und virtuelle Mitte einer weltumspannenden Ökonomie westlich kultureller Prägung. Zentrierung geschieht von innen, durch Markierung eines Ortes, oder von außen, durch Anschluss an ein Netz, ein System, eine Kultur. Der Begriff der Stadt leitet sich in der mediterranen Welt von „Urbs“, der Stadt Rom, ab. Deren Gründungsmythos besagt, dass Romulus seinen Bruder Remus als ewige Mahnung erschlägt, weil dieser die Stadtgrenze in Gestalt einer Furche im Boden verletzt, indem er sie einfach überspringt. Der Städter ist also derjenige, der kulturelle Werte respektiert, der Urbanität lebt, und das heißt – etymologisch rekonstruiert – „vornehm“, „gebildet“, „geistreich“ und „weltläufig“ ist. Das nordeuropäische Mittelalter leitet den Begriff Stadt von der Burg ab. Der Bürger ist hier der Burgverteidiger. Mauern machen Stadt. In der Kultur Roms ist es der Städter, der Stadt macht. Vom 11. bis 14. Jahrhundert haben sich die stadtbildenden Kräfte in Europa seit dem Niedergang des römischen Staates vom 3. bis 7. Jh. soweit erholt, dass erneut zentrale Orte gebraucht werden. Eine einzigartige Gründungswelle setzt ein, die Stadt als den besonderen Ort charakterisiert, der bis heute funktionaler und kultureller Mittelpunkt ist. Trotz weit reichender Transformation jener zentralisierenden Kräfte, bleiben wir auf absehbare Zeit auf dieses Kondensat der Geschichte in Gestalt der mittelalterlichen Stadt fixiert: „Es genügt uns nicht, eine uns bekannte Stadt, nicht einmal die eigene Heimatstadt, ohne historischen Kern vorzustellen, obwohl die besiedelte Fläche außerhalb des historischen Kerns mindestens zehnfach größer ist“ (Sieverts, 1997, S. 30).

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Die Fixierung auf die „Alte Stadt“ (vgl. Sieverts 1997) macht sich als aktuelles Beispiel „Ab in die Mitte – Die City Offensive NRW“ (vgl. Imorde) zu nutze und wirbt seit 1999 jährlich in einem Wettbewerb für ein neues gemeinschaftliches Engagement der Städte und der Wirtschaft – speziell des Handels. Ziel ist die Stärkung der historischen Stadtzentren als bürgerschaftliche und kommerzielle Mitte. Andere Bundesländer folgen dem Beispiel. Der Initiative liegt ein urbanistisches Kalkül zugrunde, das eine Rückgewinnung von Kultur- und Städtebaupolitik als Einheit anstrebt. „Vielleicht kann man von so etwas wie einem gemeinsamen Zielsystem oder Orientierungsmuster ausgehen: die Suche nach Individualität, Authentizität und vielleicht auch die Suche nach Schönheit. Wie die Kunst besitzt die Stadt „eine utopische Dimension, weil sie sich jenseits der natürlichen Ordnung situiert“ (Groys, S. 35), „künstlerische Aktivität und Städtebau wollen – jeweils mit ihren Mitteln – Visionen für ein besseres Leben entwickeln.“ (Hatzfeld, S. 9f.). 3.1.3.2

Komprimierung

Nach der Gründungsphase entwickelt sich die europäische Stadt zu einem „Bienenstock“: Handwerker stellen alle möglichen Waren her und verkaufen sie über Läden; Händler gehen ein und aus; Landwirtschaft ist noch für lange Zeit innerhalb der Mauern selbstverständlich und auch Weinberge gehören dazu, um sie im Ernstfall vor der Zerstörung schützen zu können. Die Ummauerung ist im Übrigen so angelegt, dass die zur Stadt zählende Landbevölkerung in ihr Platz finden würde. Städter und Dorfbewohner müssen gemeinsam für den Bau und die Wartung der Mauer aufkommen. Häuser und Stadt dienen der gesamten Produktions- und Distributionskette vorindustrieller Ökonomie. Eine kontextuelle Architektur vermittelt alle städtischen Nutzungen. Nach dem 15. Jahrhundert schlägt sich zunehmender Wohlstand und ein wachsendes Heer von Lohnarbeitern in Wohnpalästen und engen, dichten und aufgestockten Wohnhäusern nieder. In Berlin ist noch bis 1880 das Stadthaus repräsentativ für die mittelalterlich gemischte Stadt: „...Kleinadel über Besitzbürger, Beamte, Angestellte und Hauspersonal bis zu Kleinhandwerkern und Gelegenheitsarbeitern, wohnten in ein- und demselben Gebäudekomplex, oftmals in den verschiedenen Etagen ein- und desselben Gebäudes. Hinzu kamen Werkstätten und Lager in den Hinterhöfen und -häusern; gelegentlich auch Wohnstätten der Arbeiter in den Hinterhäusern.“ (Engell 1995, S. 17). In der Phase der Komprimierung der Nutzungen und Interaktionen im Raum der Stadt bilden sich jene Eigenschaften heraus, die heute als städtebauliche Werte der europäischen Stadtkultur gelten können. In sieben Stichwörtern, die alle mit dem Buchstaben K beginnen, lässt sich ein Idealbild der europäischen Stadt zeichnen: x

Sie ist räumlich kompakt und

x

ihre Figur ist eindeutig konturiert;

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x

sie ist funktional komplex gefügt und

x

vermittelt doch den Eindruck von Kohärenz;

x

sie ist der Raum der Kultur und damit eng verflochten,

x

des Kapitals und

x

schließlich ist die Stadt Ort und strukturierendes Milieu personaler Kommunikation.

405

Diese 7 K-Eigenschaften dienen heute – unter gänzlich veränderten Voraussetzungen – dennoch als Leitbild der Revitalisierung und Urbanisierung. In Deutschland zählen dazu die von der Raumordnungspolitik vertretenen Leitbilder der „Innenentwicklung“, der „Stadt der kurzen Wege“, der „Mischung von Funktionen“, der „Siedlung an Knotenpunkten des ÖPNV“ und das „flächen- und energiesparende Bauen“. In jedem Fall gewinnt der Raum als vermittelnde Instanz tendenziell jene Bedeutung zurück, die ihm im Zeitalter der „Dehnung“ und der Funktionstrennung abhanden kommt. Komprimierung als Wirkkraft der Stadtentwicklung verlangt die Entschärfung von potenziellen Nutzungskonflikten, da heute keine Mauer mehr die Flucht in eine besser organisierte Umwelt verhindert. Auch am Beispiel der „Alten Stadt“ kann man lernen, welche Qualität Gestaltung haben muss, damit für alle Beteiligten möglichst eine „win-win-Situation“ dabei herauskommt. Baukultur und eine auf Synergieeffekte orientierte Stadtbaukultur sind die Voraussetzung für eine Reformulierung der Stadt europäischen Typs. 3.1.3.3

Dehnung

Stadt dehnt sich in vielfältiger Weise: die infrastrukturellen Netze des 19. und 20. Jahrhunderts erlauben die Trennung und Verlagerung der städtischen Funktionen an Orte, die jeweils optimale Nutzungsbedingungen versprechen. Segregation und Suburbanisierung entflechten die komprimierte Stadt. Im Bild der Dehnung ist jedoch immer noch der Zusammenhalt präsent. Der historische Stadtkern behält bis zum Ende des 20. Jahrhunderts seine bindende Kraft. Dies ist zur Blütezeit der griechischen Polis nicht anders: im vierten vorchristlichen Jahrhundert leben bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 150.000 bis 250.000 Einwohnern ca. 20.000 bis 30.000 Bürger in Athen. Davon wiederum können sich etwa 40% ein Leben außerhalb der Stadtgrenze „weiter als 24 km vom Stadtzentrum“ leisten (Sennett, 1995, S. 67). Im Barockzeitalter werden im Umland italienischer Städte wie Rom, Neapel oder Genua, an den Ufern lombardischer Seen und in Venetien „Tausende ... Prunkvillen mit Parks, künstlichen Seen, Jagdpavillons, monumentalen Springbrunnen und ähnlichem mehr“ gebaut (Fazio, S. 141). Das Barockzeitalter erprobt die Macht und die notwendigen Methoden und Instrumente einer ganzheitlichen Planung riesiger Landschaftsräume. Die Perspektive erlaubt die Dehnung des Herr-

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schaftsraumes in die potenzielle Unendlichkeit der Achse und des Point de Vue, die Parkanlagen wie Versailles auszeichnen. Die gestalterische Beherrschung der Natur bildet die Voraussetzung zur planerischen Beherrschung der Stadt. Im Idealplan für die neue Salinenstadt in Chaux ist die Stadt grenzenlos und wird zum Bestandteil der Landschaft. Der Architekt Ledoux entwirft 1790 ein visionäres Bild der Stadt des 20. Jahrhunderts: in der Dehnung nach außen gewinnt die Stadt die Landschaft als neuen urbanen Raum hinzu (vgl. Eaton, S. 111). Sieverts spricht daher von verlandschafteter Stadt und verstädterter Landschaft. Die InWert-Setzung der grünen Freiräume, die Stadt sich dehnend einverleibt, ihre konsequente Transformation vom exterritorialen Schutzraum historischer Natur oder industrieller Landwirtschaft zum urbanen, „freien“ Innenraum, ist das Programm aller Metropolregionen. „New Urban Landscapes“ werden integrativer Bestandteil der europäischen Stadt (vgl. Orth). Sie gewinnt damit eine Dimension zurück, die sie bis zum 15. Jahrhundert auszeichnet: ein etwa gleichgewichtiges Verhältnis von gebautem und naturnahem Raum. 3.1.3.4

Fragmentierung

Die europäische Stadt hat im Laufe ihrer Entwicklung mehr und mehr Orte zentraler Bedeutung versammelt, dabei den gebauten Raum als eigenständiges Medium hervorgebracht und nicht zuletzt die einst verachtete und verdrängte Natur in ein potenziell partnerschaftliches Verhältnis integriert. Die Qualität der Stadt beruht auf der Vielfalt ihrer Angebote und der Chance, dass diese von allen so optimal wie möglich genutzt werden können. Neben Stadt und Landschaft, Ort und Raum tritt heute endgültig Technik, d.h. Zeit und technische Infrastruktur als eigener Topos ins Rampenlicht der Stadtentwicklung. Bahn, Auto, Flugzeug, Fotografie, Film, Telefon und Fernsehen gehen auf Erfindungen des 19. Jahrhunderts zurück. Jede Technologie für sich hat Fähigkeiten mit sich gebracht, die die Unabhängigkeit von der Stadt erhöhen. Doch erst die Kombination aller neuen Medien und Mobilitätstechnologien und ihre systematische Integration – z.B. im Navigationssystem des PKW – erlaubt die tendenzielle Emanzipation der Nutzungen und Nutzer vom „Bindemittel“ Stadt. Stadt-Simulierung in virtuellen Räumen und Stadt-Fragmentierung im physischen Raum ist die absehbare Konsequenz der technologischen Entwicklung des 21. Jahrhunderts. Dabei kann der reale Raum von der Region bis zum Globus gedehnt sein. Der Standort der Fragmente Bürostadt, Headquarter, Backoffice, Produktionshalle, Shopping Center oder Golf Community ist immer dem Bedarf entsprechend vernetzbar. Fragmentierung reicht vom einzelnen Haus, das als suburbane Villa in schöner Landschaft „access“ zu allen modernen Netzwerken hat, bis zu hochspezialisierten neuen urbanen Knoten wie Airport Cities. „Aerotropolis“ als neue urbane Form reagiert auf die Anforderungen nach Flexibilität, schneller Lieferung von Waren und Fühlungsvorteile für Führungskräfte (vgl. Kasarda, S. 32).

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Stadt-Fragmentierung läuft als Prozess im Kontext der Bildung von Stadtregionen ab. Es tritt also keine disperse Verteilung von urbanen Bruchstücken irgendwo auf, sondern Fragmente werden von der Schwerkraft der Metropolregionen angezogen. Nun kommt es darauf an, die Region als neuen städtebaulichen Maßstab anzuerkennen. Im Mittelpunkt planerischer Qualifizierung wird daher alles stehen, was verbindet, vernetzt und bewegt: das Autobahnnetz und Raststätten, Aufund Abfahrten, Lärmschutzwände und Grünstreifen; das Schienennetz mit Bahnhöfen und Stationen, Trassenverlauf und Trassengestaltung; natürliche Netzwerke wie Wasserläufe und Grünzüge; virtuelle Netzwerke wie die der Print- und elektronischen Medien. Die Orte dazwischen, das sind die Orte der Region (vgl. Christ, 2004, S. 62ff.)! Der Städtebau ist am Beginn des 21. Jahrhunderts am Stadtrand, vor der Stadt, in Suburbia, in der Zwischenstadt, in der Stadtregion angekommen. Dann gilt: Stadt ist Region – Region ist Stadt. Mit der neuen Dimension des Planungsraumes wird sich die Disziplin, die vor mehr als hundert Jahren angetreten ist, die Kraft und das Elend der Industriestadt zu bändigen, tiefgreifend wandeln. Wir wissen, Gestaltung verlangt Sympathie, wenn nicht sogar mitfühlendes Engagement für den Gegenstand oder den Kontext des Interesses, sei es ein Auto, eine Immobilie oder ein Feuchtbiotop. Gestaltung im Maßstab einer Stadtregion – in der mittlerweile ca. die Hälfte der Bundesbürger wohnen – erfordert neue Methoden und Instrumente, Leitbilder und Strategien, Akteure und Instanzen, z. B. ein gewähltes Regionalparlament wie in der Region Stuttgart seit 1994. Städtebau in der Stadtregion bedeutet einen prinzipiellen Übergang von einer Grenzen ziehenden, Abstand sichernden, Nutzungen trennenden, Technik, Kultur und Natur scheidenden, eindimensionale Standorte generierenden Regionalplanung hin zu einer Raum und Zeit, Ort und Welt, Stadt und Land integrierenden Planungs- und Projektkultur. Dabei könnte sich eine Raumfigur der Stadtregion einprägen, die den unvergleichlichen Bilderreichtum der europäischen Stadt unmittelbar erlebbar macht und die narrative Substanz dieses besonderen Raumes in der Postmoderne produktiv werden lässt. Voraussetzung wäre, dass Differenz als Grundbedingung von Identität neu interpretiert werden müsste. Die Zeiten sind vorbei, da etwa Innen und Außen mit Hilfe einer Stadtmauer oder eines Grünzuges unterschieden werden können. Ziel sollte es vielmehr sein, die Stadtregion als artifiziellen Innenraum eines mehr als tausendjährigen Sedimentes gelebter Geschichte von der Mitte-Kultur bis zur Rand-Kultur, vom Knoten zum Netz, vom Raum-Zeit-Kontinuum zur Raum-Zeit-Simulation als neue Sphäre der Urbanität anzuerkennen. In einer Kultur der feinkörnigen Differenz müssen wir uns darin einüben, das „Andere“ als Komplementärmilieu zum „Eigenen“ als Bereicherung lieben zu lernen.

408

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3.2 Stadtbausteine

3.2.1

Definition und Typisierung von Stadtbausteinen

417

Andrea Pelzeter 3.2.2

Wohnimmobilien

423

Thomas Dilger, Dominique Pfrang, Silke Wittig 3.2.3

Bürogebäude

443

Eckhard Lammel 3.2.4

Bauten für Handel

481

Barbara Walzel, Monika Trabzadah 3.2.5

Bauten für Gewerbe und Industrie

520

Gerd Hennings, Monika Dobberstein 3.2.6

Bauten für Verkehr

536

Brigitte Kochta 3.2.7

Bauten für Kultur

558

Hanns Kastner 3.2.8

Bauten für Sport und Freizeit

589

Tobias Müller 3.2.9

Hotelbauten

613

Christian Duch, Olaf Steinhage 3.2.10

Bauten für Gesundheit

649

Christian Pelzeter 3.2.11

Bauten für Bildung

665

Hermann Schnell 3.2.12

Sakralbauten

Norbert Verfürth

681

413

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3.2.1

Definition und Typisierung von Stadtbausteinen

417

Andrea Pelzeter 3.2.1.1 Definition 3.2.1.2 Typisierung Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.1

417 417 420

415

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3.2.1

417

Definition und Typisierung von Stadtbausteinen

Andrea Pelzeter 3.2.1.1

Definition

Der Begriff Stadtbaustein wird hier definiert als Gebäude oder Gebäude-Ensemble mit charakteristischer Funktion für eine städtische Einheit. Dahinter steht die Idee, dass die Stadt auf jeder hierarchischen Ebene – z.B. auf den Ebenen von Nachbarschaft, Stadtteil und Stadtregion – aus einer Mischung von verschiedenen Nutzungen bestehen muss, um zu einem funktionierenden, lebendigen Ganzen zu werden. Der Begriff Stadtbaustein wurde gewählt, um anschaulich zu machen, dass die verschiedenen Funktionen aufeinander aufbauen, d.h. in Wechselwirkung zueinander stehen, sich teilweise gegenseitig bedingen oder auch ausschließen. Diese Definition unterscheidet sich von der Konzeption des Städtebaulichen Institutes der Universität Stuttgart, wo die Stadtbausteine nach ihrer räumlich-plastischen Struktur eingeteilt werden in Regel-, Sonder- und Kleinbausteine (ähnlich auch in Bürklin/Peterek, S. 9). „Regelbausteine“ sind z.B. freistehende, gereihte Häuser, Blockbebauung etc., welche durch ihre Dimension die Korngröße einer Stadt bestimmen. „Sonderbausteine“ beinhalten übergeordnete Nutzungen; sie dienen außerdem der Orientierung und der Identifikation. „Kleinbausteine“, z.B. Brunnen, Denkmäler, Bushaltestellen, könnten auch als Stadtmöbel oder Urban Design bezeichnet werden (vgl. Herrmann, S. 50). Andere Gliederungen sind denkbar: Albers unterscheidet zwischen Bau-, Frei- und Verkehrsflächen. Die für Gebäude vorgesehenen Bauflächen werden dann nach ihrer Nutzung weiter unterteilt in Flächen für Wohnen, für Arbeiten und für Gemeinbedarf. Er geht davon aus, dass die Zweckbestimmung meist am Gebäudeäußeren erkennbar ist an „Größe und Baumasse, Stockwerkshöhen und Fensteranordnung“ (Albers, S. 171). Darüber hinaus lassen sich die verschiedenen Nutzungstypen charakterisieren durch Raumprogramm, Art der Vernetzung mit der Stadt, rechtliche Besonderheiten, etc. 3.2.1.2

Typisierung

Aus diesem Grunde wird an der Typisierung von Stadtbausteinen entsprechend ihrer Nutzung festgehalten. Unter den Funktionen, die im Folgenden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – dargestellt werden, steht das Wohnen an erster Stelle, da es den flächenmäßig größten Anteil einnimmt. Der Bereich Arbeiten ist weiter untergliedert in Büro, Handel und Gewerbe/Industrie. Die

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Bauten für Gemeinbedarf entsprechen in etwa den o.g. „Sonderbausteinen“; sie umfassen Bauten für Verkehr, Kultur, Sport, Gesundheit, Bildung, sowie Hotels und Sakralbauten. Betrachtungsebenen In der letztgenannten Gruppe unterscheiden sich die baulichen Einrichtungen sehr danach, welche hierarchische Ebene der Stadt betrachtet wird. Die kleinste Einheit oberhalb der Häusergruppe wurde oben als Nachbarschaft bezeichnet. Sie hat ungefähr die Größe einer Gemeinde oder eines Dorfes, ca. 400 bis 500 Einwohner lt. Alexander und enthält alle Einrichtungen zur Deckung des Tagesbedarfs (vgl. Alexander, S. 88). Sie ist fußläufig zu durchqueren, daher kennt man die Gebäude und teilweise auch die Bewohner vom Sehen. Die Funktion Bildung würde auf dieser Ebene durch eine Kindertagesstätte repräsentiert. Die nächstgrößere Einheit ist der Stadtteil, auch als Stadtviertel, Quartier oder Stadtfeld bezeichnet. Es hat sein eigenes Stadtteilzentrum. Häufig sind die Begrenzungen der Stadtteile historisch bedingt durch die verschiedenen Phasen der Stadterweiterung. Ein typisches Gebäude für Bildung wäre die Schule. Zwischen einem Stadtteil und einer Stadtregion (Stadt incl. Pendlereinzugsgebiet) oder einer Großstadt lassen sich anhand der Einwohnerzahl verschiedene Hierarchiestufen bilden. Eine Großstadt beginnt nach der deutschen Statistik ab 100.000 Einwohnern; im Bereich Bildung könnte sie über eine Fachhochschule oder über eine Universität verfügen. Charakterisierung In den folgenden Kapiteln werden die jeweiligen Stadtbausteine charakterisiert hinsichtlich ihrer spezifischen, durch die Nutzung bedingten Eigenschaften. Dies betrifft alle Aspekte, die für eine Planung oder Projektentwicklung von Bedeutung sein können, u.a.: x

Beziehungen zur Stadt, zu anderen Stadtbausteinen: z.B. Nähe zu Bahnhof/Flughafen oder zu Freizeiteinrichtungen erforderlich.

x

Städtebauliche Kennzahlen: z.B. für Grenzwerte (Kindertagesstätte erforderlich ab XX Einwohnern), Einzugsgebiete (XX Haushalte für Einkaufszentrum ab YY m²) oder max. Distanz in Minuten, abhängig vom Verkehrsmittel.

x

Funktionsdiagramm: typische Elemente eines Raumprogramms, Zuordnungs-Schema verschiedener räumlicher Einheiten, z.B. Eingang, öffentliche und nicht-öffentliche Bereiche, Technik- und Lagerräume, etc. Besondere Bedeutung hat das Erschließungskonzept incl. Anlieferung, Parkplätzen, etc.

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x

419

Dimensionierung: bauliche Kennzahlen, Mindestgrößen, z.B. Versammlungsraum: XX m² je Person, Hoteldoppelzimmer: min XX m², oder anzustrebender Anteil von Hauptnutzfläche an Bruttogeschossfläche von XX%, etc.

x

Konstruktion: Anforderungen an die bauliche Struktur, z.B. Raumhöhen, an Installation und Technik, etc.

x

Kostenstruktur: Kostenkennzahlen (um Dimensionen erkennen zu können): Baukosten je m² Hauptnutzfläche, je Arbeitsplatz o.ä., Betriebskosten, typische Kostentreiber, lohnende Ausgaben, z.B. für Oberflächenqualität wegen Image, Pflegeeigenschaften, etc., Marktsituation.

x

Akteure, Finanzierung: z.B. typische Beziehung zwischen Eigentümer, Finanzierer, Betreiber und Nutzer. Beteiligung der Öffentlichen Hand. Mögliche Interessenkonflikte, Beteiligungsmodelle, Synergieeffekte, etc.

x

Rechtliche Erfordernisse, Vorschriften: z.B. Baurecht, Verfahrensabläufe, erforderliche Genehmigungen: u.a. Betriebsgenehmigungen, zuständige Behörden, „Anerkannte Regeln der Technik“, deutsche und europäische Normen, Arbeitsstättenrichtlinien, etc.

x

Entwicklungstendenzen, internationaler Vergleich

x

kritische Aspekte, Stolpersteine: Hinweise aus der Praxis, K.O.-Kriterien, Moderation, Krisenmanagement, etc.

Diese Charakterisierung kann, gemessen an der tatsächlichen Vielfalt der Nutzungsdifferenzierungen, nur im Sinne einer groben Richtschnur oder einer Planungs-Checkliste erfolgen.

420

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.1 Albers, G.: Stadtplanung: eine praxisorientierte Einführung, 2. durchges. und erg. Aufl., Darmstadt 1996. Alexander, Ch., u.a.: Eine Mustersprache. Städte, Gebäude, Konstruktionen, deutsche Ausgabe, Wien 1995. Bürklin, Th./Peterek, M.: Stadtbausteine, Basel/Boston/Berlin 2008. Herrmann, Th.: Stadtbausteine, Bauwerke als „Halbzeug“ des Städtebaus, in: Einführung Städtebau, Arbeitsmaterialien, 2. Aufl., Hrsg.: Städtebauliches Institut der Univ. Stuttgart 1989.

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3.2.2

Wohnimmobilien

423

Thomas Dilger, Dominique Pfrang, Silke Wittig 3.2.2.1 3.2.2.2

Einführung Historische Entwicklung und Grundlagen des Wohnungs- und Städtebaus 3.2.2.2.1 Historische Entwicklung des Wohnungs- und Städtebaus 3.2.2.2.2 Grundlagen des Wohnungs- und Städtebaus 3.2.2.3 Wohnungs- und Städtebau in der Gegenwart 3.2.2.3.1 Die Rolle des Staates: Planungsrechtliche Grundlagen und Förderung 3.2.2.3.2 Demografische und stadtsoziologische Trends und ihre Auswirkungen auf dem Wohnungsmarkt 3.2.2.4 Zusammenfassung und Ausblick Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.2

423 424 424 426 427 427 429 438 439

421

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3.2.2

423

Wohnimmobilien

Thomas Dilger, Dominique Pfrang, Silke Wittig 3.2.2.1

Einführung

Im Kontext der Stadtentwicklung ist der Bereich des Wohnungs- und Städtebaus von überragender Bedeutung, da bedarfsgerechter Wohnraum eines der elementarsten menschlichen Bedürfnisse darstellt. Tatsächlich sind 60% unserer gebauten Umwelt Wohnimmobilien. Dieses Mengenverhältnis spiegelt sich heute allerdings nicht in den Herstellungszahlen von Wohnbauten wieder. Im Jahr 2009 wurden lediglich 180.000 Wohnbaufertigstellungen registriert. Damit entfiel ein Investitionsvolumen von 24,7 Mrd. Euro auf den Wohnungsbau (Gewerbebau 30,8 Mrd. Euro, öffentlicher Bau 26,7 Mrd. Euro). Der überwiegende Teil der Wohnungsbauinvestitionen floss in Bestandssanierungen, die Modernisierung wird auch weiter an Bedeutung zunehmen, während der Wohnungsneubau auch in absehbarer Zukunft in Deutschland eine eher untergeordnete Rolle spielen wird – 2009 war mit 117.825 Fertigstellungen das Jahr mit dem geringsten Neubauvolumen seit 1949 (vgl. Destatis 2010, S. 3f.). Gerade in Zeiten gesellschaftlichen Wandels und wachsender regionaler Disparitäten steht die Entwicklung des Wohnungs- und Städtebaus vor anspruchsvollen Herausforderungen, insbesondere vor dem Hintergrund der starken Verknüpfung stadtplanerischer Aufgaben mit soziologischen Überlegungen. Für die Wohnungswirtschaft, für Projektentwickler, für Stadtplaner und Architekten gilt es, Potenziale des Bestandes aufzuspüren, Quartiere zu entwickeln, zu modernisieren, umzubauen, nicht zu haltende Bestände abzureißen und diese durch zeitgemäßen Neubau zu ersetzen. Wohnungs- und Städtebau erschöpft sich nicht auf Errichten einer Gebäudehülle, sondern es müssen Ansprüche und Bedürfnisse verschiedenster Interessengruppen bewertet und abgewogen, sowie die Wirkungen geplanter Maßnahmen abgeschätzt werden. Umfassende Kenntnisse des Wohnungsmarktes sind ebenso unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Weiterentwicklung wie das Verständnis für die gesellschaftlichen und stadtentwicklungspolitischen Rahmenbedingungen. Grundlage hierfür ist die Einsicht in die historische Entwicklung des Wohnungsmarktes, die konzeptionellen Grundlagen des Wohnungs- und Städtebaus, sowie relevante demografische, soziologische, architektonische und bautechnische Trends und Tendenzen. Aus diesem Grund gibt das vorliegende Kapitel zunächst einen kurzen Überblick über die historische Entwicklung des Wohnungs- und Städtebaus und fasst dessen konzeptionelle Grundlagen zusammen. Daraufhin soll es sich den Fragestellungen der Gegenwart widmen, wobei besonders die Rolle des Staates, sowie demografische und stadtsoziologische Entwicklungstendenzen im Vordergrund stehen. Abschließend werden die Hauptargumente des Kapitels zusammengeführt und ein Ausblick auf zukünftige Herausforderungen gegeben.

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3.2.2.2

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Historische Entwicklung und Grundlagen des Wohnungs- und Städtebaus

3.2.2.2.1 Historische Entwicklung des Wohnungs- und Städtebaus Während der tatsächliche Ursprung der Stadt als Erscheinungsform menschlichen Zusammenlebens vor circa 8.000 Jahren nach wie vor unklar ist, herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass im Zusammenhang mit einer fortschreitenden Arbeitsteilung die Entwicklung von Märkten als Stätten des Austausches von Gütern und Dienstleistungen eine Hauptursache der Entwicklung von Städten war. In gleicher Weise führte die Errichtung von Zwingburgen und spirituellen Stätten zu Ansiedlungen, die mit deren Betrieb und Versorgung befasst waren. Erst vor dem Hintergrund der beginnenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert spielten in der europäischen Stadt entwicklungsstrategische Überlegungen eine Rolle, bis hin zur Erkenntnis, dass obrigkeitliche Eingriffe und eine staatliche Steuerung für die städtebauliche Entwicklung erforderlich sind. In dieser Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs und einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung erlaubten massive Fortschritte in der Landwirtschaft und in der hygienischen Versorgung ein bisher ungekanntes Bevölkerungswachstum, das sich auf die arbeitsplatzbietenden Städte konzentrierte. Der rasante Bevölkerungsanstieg führte zu erheblichen Verdichtungen der Wohnstrukturen und zu einer anhaltenden Wohnungsknappheit, teilweise Wohnungsnot. Dementsprechend fokussierte sich die Planung von Städten vor allem auf eine sinnvolle Steuerung des Wachstums, wobei obrigkeitliche Eingriffe zunächst nur dort vorgenommen wurden, wo Belange der Hygiene, der Feuersicherheit und der Wasserversorgung betroffen waren. Die Wohnungsnot der kleinen Leute in großen Städten wurde zu einem der zentralen sozialpolitischen Themen dieser Zeit, wie sie auch von Huber (1857) seinerzeit im Detail diskutiert wird. Die unübersehbaren sozialen Folgen der städtischen Verdichtung läuteten Ende des 19. Jahrhunderts schließlich Gegenbewegungen ein. Eine ganzheitlichere Sichtweise des Städtebaus zeichnete sich ab, mit der eine intensive Auseinandersetzung mit Nutzungsstrukturen, der Steuerung des Stadtwachstums und der Grundbesitzverhältnisse sowie der städtebaulichen Gestaltung einherging. Die Kritik der Dichte mündete in Reformbewegungen, wie der Gartenstadt, das wohl einflussreichste Werk dieser Zeit schrieb Ebenezer Howard mit dem Titel „Garden Cities of tomorrow“ (zentraler Grundgedanke der Bewegung war, die rapide Verstädterung und deren negative Entwicklungen durch die Gründung von in ihrer Einwohnerzahl begrenzten und „ländlich“ geprägten Städten aufzufangen, statt existierende Städte weiter zu vergrößern.).

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Darauf aufbauend entwickelte sich in den 1920er Jahren eine neue Vorstellung von Stadtplanung, die sich systematischer Planungsansätze bediente und rationale Modelle der Entwicklung städtischer Nutzungsstrukturen ins Zentrum ihres Interesses stellte. In diesem Zusammenhang entfaltete sich auch der Einfluss des 1919 gegründeten „Bauhaus“, das durch auf Typisierung und Normierung ausgerichtete Methoden maßgebliche Impulse für die Schaffung günstigen Wohnraums gab. Als Meilenstein der Moderne gilt weiterhin die „Charta von Athen“, die 1933 grundlegende Prinzipien einer funktionalen Stadtplanung zusammenfasste und für die Entflechtung städtischer Funktionsbereiche und die Schaffung von lebenswerten Wohn- und Arbeitsumfeldern in der Zukunft entstand. Der Wohnungs- und Städtebau wurde in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg als wesentliche staatliche Aufgabe verstanden. 80% des Wohnungsbauvolumens wurde staatlich durch Instrumente der Wohnungsbauförderung organisiert. Die soziale Wohnraumförderung war auch nach dem Zweiten Weltkrieg das entscheidende Instrument zur Beseitigung der Wohnungsnot für die Bewohner der kriegszerstörten Städte und die Flüchtlinge aus ehemaligen deutschen Gebieten. Der Wohnungsneubau stellte eine der bedeutendsten politischen Aufgaben dar. Zur Beseitigung der enormen Wohnungsnot wurde in dieser Zeit Massenwohnungsbau in serieller Fertigung für breite Schichten der Bevölkerung betrieben. Die Wohnsiedlungen entstanden zunächst an den Stadträndern nachdem Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt aber schon in den 60er Jahren wurde über die alten Stadtgrenzen hinaus Stadterweiterung forciert. Es entstanden Trabantenstädte, die Städte und die umgebenden Ortschaften wuchsen vielerorts zusammen. Dieser Suburbanisierungsprozess, der bis heute anhält, veränderte das deutsche Siedlungsgefüge nachhaltig, aus benachbarten Städten wurden Agglomerationen. Die sogenannte Zwischenstadt (Thomas Sieverts) nimmt vielerorts mehr Fläche in Anspruch als die „gewachsene“ Stadt und die mit Gestaltungsanspruch geplanten städtischen Quartiere. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, nach Beseitigung der größten Wohnungsengpässe stand die Anpassung der Altstädte und der Stadtquartiere des 19. Jahrhunderts an moderne Wohnverhältnisse (städtebauliche Sanierungsmaßnahmen) und schließlich der Umgang mit den Folgen der monostrukturierten Siedlungsentwicklung im Vordergrund der Stadtplanung. Grenzen des Wachstums zeichneten sich zunehmend ab, die Mischung der Funktionen Wohnen, Arbeiten und Freizeit wurde zum Leitbild der postindustriellen Stadtstruktur. Mit dem „Gesetz zur Überführung der Wohnungsgemeinnützigkeit in den allgemeinen Wohnungsmarkt“ (1988), fand die Ära der Gemeinnützigkeit in der Wohnungswirtschaft ihr Ende. Der deutsche Mietwohnungsbau wurde in die Marktwirtschaft entlassen. Staatliche Steuerung findet im Wesentlichen nur noch

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über Transferleistungen (Wohngeld) oder Aktivitäten der Städtebauförderung statt. In den 1980er Jahren wurde das Problem der Bevölkerungsschrumpfung erkannt, Konsequenzen daraus wurden allerdings erst in den 2000er Jahren gezogen. Die Deutsche Einheit brachte für die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts einen Entwicklungsschub in den neuen Ländern, mit umfangreichen Stadtsanierungen und neuen Wohn- und Gewerbegebieten. Da die Modernisierung der Wirtschaftsstruktur in den neuen Ländern nicht im gleichen Tempo erfolgte waren die 90er Jahre ebenso geprägt durch eine starke Binnenwanderung aus den neuen Ländern in die Ballungsräume des westlichen Bundesgebietes. Dies führte zu deutlichen Wohnungsüberhängen im Osten und einem angespannten Wohnungsmarkt in den wirtschaftlichen Zentren Deutschlands. Um einem Zusammenbruch des Wohnungsmarktes in den neuen Bundesländern entgegenzuwirken, musste deshalb Bausubstanz vom Markt genommen werden, zur Finanzierung des Abbaus von Wohnungsüberhängen in den ostdeutschen Ländern wurde in den 2000er Jahren das Städtebauförderungsprogramm Stadtumbau Ost aufgelegt. Bis heute wurden laut Meldungen der Länder an den Bund in diesem Rahmen bereits rund 299.000 Wohnungen abgerissen (individuelle Auskunft des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung; die Angabe enthält sowohl Wohnungen, deren Abriss aus Mitteln des Bund-LänderProgramms „Stadtumbau Ost“ erfolgte, als auch solche, deren Abriss über ergänzende Landesprogramme finanziert wurde (Stichtag: 31.12.2010). Inzwischen wird die negative Bevölkerungsentwicklung als Realität im gesamten Bundesgebiet wahrgenommen. Das Thema Schrumpfung mit allen Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung, für den Wohnungsmarkt, für die Entwicklung der Städte und ihre soziale und technische Infrastruktur ist heute als gesamtdeutsches Phänomen für weitere Regionen erkannt. In Kapitel 3 wird das Thema vertieft. Um den Anforderungen heutiger Städte gerecht zu werden, sind daher konzeptionelle Grundlagen notwendig die auf die sehr stark divergierenden Entwicklungsperspektiven der Regionen reagieren. 3.2.2.2.2 Grundlagen des Wohnungs- und Städtebaus Vor dem Hintergrund der aufgezeigten historischen Zusammenhänge ist das heutige Planungsverständnis seit dem 19. Jahrhundert als eine normative, d.h. als Handlungsempfehlungen gebende, auf die Praxis ausgerichtete Disziplin zu verstehen. Stadtplanung lässt sich daher definieren „…als das Bemühen um eine dem menschlichen Bedürfnissen entsprechende Ordnung des räumlichen Zusammenlebens – auf Ebene der Stadt oder der Gemeinde. […] Es geht also um eine Einflussnahme auf die räumliche Entwicklung, auf die bauliche und sonstige Nutzung des Bodens im städtischen und gemeindlichen Siedlungsbereich, auf die Art und die Gestalt der Gebäude, der Straßen, Plätze und anderen Anlagen.“ (Albers, S. 5).

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Demgegenüber weist der Städtebau einen klaren Raum- und Architekturbezug auf, der Begriff der Stadtbaukunst rückt hingegen den künstlerischen Bezug in den Vordergrund. Grundsätzlich ist Stadtplanung als eine politische Aufgabe mit großer Spannweite und Verantwortung zu verstehen. Zum Einen soll die Stadtplanung den heutigen Anforderungen an eine räumliche Ordnung nach BauGB im Sinne einer geordneten, städtebaulichen Planung genügen, gleichzeitig jedoch auch für künftige Entwicklungen offenbleiben. Dabei gilt es an erster Stelle, die Interaktion zwischen allen Beteiligten zu koordinieren. Planer, Auftraggeber und Bauherren von Großprojekten, Politiker sowie Nachbarn, Bewohner, Mieter und Eigentümer sind in diese Prozesse ebenso involviert wie Institutionen des Umweltschutzes, der Denkmalpflege, soziale Einrichtungen und beteiligte Fachbehörden. Historisch gesehen vollzog sich ein Wandel von einer reaktiven Stadtplanung, welche gesellschaftliche Veränderungen im Nachhinein korrigierte, hin zu einer proaktiven Disziplin, die versucht, Zusammenhänge und Trends der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung in den Städten zu erkennen und entsprechend gestaltend darauf Einfluss zu nehmen (vgl. Feldmann). Aktuelle Trends wie der demografische Wandel oder der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft schaffen veränderte Rahmenbedingungen für Stadtentwicklung und somit auch für die Wohnungsmärkte und führen zu einem veränderten „Anforderungsprofil“ an die moderne Stadt, denen Bund, Länder und Gemeinden bei stadtplanerischen Überlegungen Rechnung tragen müssen. 3.2.2.3

Wohnungs- und Städtebau in der Gegenwart

3.2.2.3.1 Die Rolle des Staates: Planungsrechtliche Grundlagen und Förderung Die Schaffung von Wohnraum wurde in Deutschland seit 100 Jahren als politische Aufgabe verstanden und in Folge dessen stark administriert (siehe Kapitel 3.2.2.2.1). Das heute geltende deutsche Planungsrecht hingegen ist noch verhältnismäßig jung. Das Bundesbaugesetz und das Städtebauförderungsgesetz, heute zusammengefasst im Baugesetzbuch, stammen aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Bundesgesetzgebung wurde ergänzt durch Verordnungen wie die Baunutzungsverordnung, Planzeichenverordnung. Die Länderebene hingegen ist für das konkrete Bauvorhaben in seiner Ausführung zuständig, mit Hilfe des Bauordnungsrechtes, das mit den Baupolizeiverordnungen ältere Vorläufer hat. Die Regelungen auf Städte- und Gemeindeebene werden als Satzungen bezeichnet, die sich wiederum nach den bundesrechtlichen Bestimmungen zu richten haben. Ein Bebauungsplan zum Beispiel ist eine städtische Satzung, auf der Basis von Bestimmungen des Baugesetzbuchs, genehmigt von der Mittelinstanz einer Landesbehörde. Neben dem Planungsrecht an sich gilt es relevantes Fachrecht

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(Umwelt- und Naturschutzrecht) sowie Verordnungen, Erlasse und sonstige Regelungen zu berücksichtigen. Zielsetzung der Bauleitplanung nach BauGB ist die Sicherung einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung, die die sozialen wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt und einem dem Wohl der Allgemeinheit dienende, sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten soll. Sie soll dazu beitragen eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, natürliche Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln, sowie die städtebauliche Gestalt und das Landschaftsbild baukulturell zu erhalten und zu entwickeln (§ 1 BauGB). Mit dem besonderem Städtebaurecht (§ 136 ff BauGB), den Vorschriften die aus dem Städtebauförderungsgesetz übergeleitet und ergänzt wurden, verfolgt der Gesetzgeber über die allgemeine Rahmengesetzgebung des BauGB hinaus das Ziel, die Städte und Gemeinden zu unterstützen wenn städtebauliche Fehlentwicklungen sichtbar werden. Die Kommunen werden dabei durch besondere Rechte aber auch durch Fördermittel unterstützt und damit ist die Städtebauförderung von elementarer Bedeutung für das Funktionieren moderner Städte. Im § 136 BauGB sind die Gründe für die Durchführung eines Sanierungsverfahren im Einzelnen benannt. Sowohl für die städtebauliche Sanierungsmaßnahme (§136-164 BauGB) als auch für die anderen Maßnahmen des besonderen Städtebaurechtes wie die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme, die Stadtumbaumaßnahmen oder Maßnahmen der Sozialen Stadt gilt als entscheidendes Motiv für den Eingriff des Staates, die Beseitigung von städtebaulichen Missständen. Der Staat greift also zum Wohle der Allgemeinheit dort ein wo die regulierende Wirkung des Marktes nicht ausreicht. Die städtebaulichen Missstände können sowohl baulicher Art sein (Wohn- und Arbeitsverhältnisse, Funktionsfähigkeit im Bezug auf Verkehr ) wie auch sozialer Art (städtebauliche Maßnahmen der Sozialen Stadt zur Stabilisierung und Aufwertung von durch soziale Missstände benachteiligten Ortsteilen oder anderen Teilen des Gemeindegebietes in denen ein besonderer Entwicklungsbedarf besteht, § 171 e BauGB). Für Städtebauförderungsmaßnahmen die im Bund-Länder-Programm gemeinschaftlich vom Bund, Ländern und den Gemeinden finanziert werden, stehen im Laufenden Jahr 455 Mio. Euro von Seiten des Bundes zur Verfügung, damit 25 % weniger als im Vorjahr. Perspektivisch wird mit einem weiteren Rückgang der Fördermittel gerechnet, dieses gilt auch für die von Seiten der EU zur Verfügung gestellten Infrastrukturfördermittel, so dass eine Reihe neuer Finanzierungsansätze für Stadtentwicklungsmaßnahmen wie Regionalbudgets oder Stadtentwicklungsfonds diskutiert werden. Auch die Einbindung privaten Investments in Vorhaben die im öffentlichen Interesse liegen, wird in Zukunft eine größere Rolle spielen. Die Idee der Public-Private-Partnership (PPP) wird trotz der immer wieder geäußerten Kritik an Bedeutung gewinnen. Der Vertragsstädtebau

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wird in vielfältiger Art ausgebaut werden, neue Verfahrensweisen werden erprobt, vor dem Hintergrund der EU-Vergabevorschriften kommt insbesondere dem Wettbewerblichen Dialog, der für Einzelbauprojekte geübte Praxis darstellt, auch für komplexe städtebauliche Vorhaben eine wachsende Bedeutung zu. 3.2.2.3.2 Demografische und stadtsoziologische Trends und ihre Auswirkungen auf dem Wohnungsmarkt Stadtentwicklung als fortlaufender Prozess steht immer im engen Spannungsfeld zwischen wechselnden Trends und Tendenzen. An dieser Stelle soll insbesondere auf die soziodemografische Ausgangslage, die Bevölkerungsentwicklung, sowie die großen Themen Integration, Klimaschutz und als Folge der wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung die Spaltung der Wohnungsmärkte eingegangen werden. Soziodemografische Ausgangslage und Bevölkerungsentwicklung Bereits seit den 80er Jahren ist bekannt, dass sich die Gesellschaft im Umbruch befindet und maßgeblich verändern wird. Der Altersaufbau der Bevölkerung wird sich dahingehend wandeln, dass bis zum Jahr 2050 die Zahl der Geburten um 28% und die Zahl der Beschäftigten um 25% sinken wird. Der Anteil der über 60jährigen wird um 44% steigen, bei den Hochbetagten über 85 Jahre wird sogar eine Erhöhung um 185% vorausgesagt (vgl. Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte / Wohnstadt, S. 19). Abbildung 86 illustriert nochmals die zu erwartende demografische Entwicklung innerhalb der deutschen Bevölkerung. Die deutsche Bevölkerung schrumpft seit vielen Jahren konstant, was zu einer Reduzierung der Güter- und Dienstleistungsnachfrage führen wird. In der Folge ist mit weniger Arbeitskräften bei einer massiven Zunahme von Menschen im Rentenalter und gleichzeitig mehr Transferleistungsempfängern zu rechnen. Auch der Wohnungsmarkt wird in Folge dessen schwerwiegende Veränderungen durchlaufen. Antworten auf den gesellschaftlichen Umbruch im Sinne eines anderen Zusammenlebens wie Wohngruppen, Mehrgenerationenwohnen werden punktuell erprobt, scheitern häufig aber am zu hohen Anteil des nicht rentierlichen Aufwandes. Vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Brisanz werden Wohnungswirtschaft, Architekten und Projektentwickler an wirtschaftlich vertretbaren alternativen Wohnformen noch arbeiten müssen. Es ändert sich jedoch nicht nur der Altersaufbau der Bevölkerung, sondern auch deren Zusammensetzung in Hinblick auf die Lebensformen, Familiengrößen oder Herkunft der Bevölkerung. Diese Pluralisierung der Zielgruppen macht die traditionelle Einteilung der Bevölkerungsschichten nach sozialen Status oder Alter obsolet. Heute weisen Personen mit gleichen soziodemografischen Kenndaten häufig völlig andere Le-

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bensstile auf, weswegen eine weitere Unterteilung der Milieus vor allem auch für Wohnungsbauentwickler nötig sein wird.

Quelle: Deutsches Statistisches Bundesamt 2009, S. 15.

Abbildung 86: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland Zur Zielgruppe der Familien, also der Zielgruppe, für die von 1950 – 1980 fast ausnahmslos gebaut wurde, sind inzwischen andere Gruppen hinzugekommen, die mit adäquatem Wohnraum versorgt werden müssen. Studierende und junge Akademiker suchen nach wie vor kostengünstigen Wohnraum. Die Zahl der kinderlosen 1-2-Personen Haushalte verschiedenster Einkommensschichten ist rapide angewachsen, 2-Personenhaushalte in der nachfamiliären Phase, die sich heute im Gegensatz zu früher häufig noch einmal umorientieren, sind ein ernstzunehmender Kundenkreis am Wohnungsmarkt, die sehr unterschiedlichen Alten in allen Wohnformen und allen Ein-

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kommensschichten

insgesamt;

hinzu

kommen

ökologisch

orientierte

Milieus

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und

Experimentalisten, die zukünftig individuelle Wohnraumlösungen fordern werden. Diese Aufzählung von Zielgruppen kann nicht abschließend sein, da mit fortschreitender Individualisierung der Gesellschaft auch eine weitere Differenzierung von Milieus erfolgt. Der negativen demografischen Entwicklung stehen allein ein erhöhter, individueller Wohnflächenbedarf und die zunehmende Bildung von Wohneigentum entgegen. Eine steigende Anzahl an Singlehaushalten schwächt die wohnungsmarktrelevanten Folgen. Die tatsächliche Neubaunachfrage wird aber auch beeinflusst von der Marktfähigkeit des Bestandes, dessen Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Neubau und letztlich den Investitionsstrategien der Wohnungsanbieter. Ein nicht zu unterschätzender Einfluss auf die Neubaunachfrage sind auch die Stadtentwicklungsstrategien der Kommunen. Abbildung 87 zeigt nochmals eine kurze Übersicht der prognostizierten Strukturveränderungen bei deutschen Haushalten. Integrationspolitik Auch in Hinblick auf die ethnische Zusammensetzung unterliegt die deutsche Gesellschaft einem starken Wandel. Seit Jahren ist Deutschland Einwanderungsland, so dass mittlerweile etwa jeder fünfte Einwohner einen Migrationshintergrund aufweist. Deutschland befindet sich somit im europäischen Vergleich im oberen Drittel, nur Österreich und die Schweiz haben einen höheren Zuwandereranteil. Migranten sind in Deutschland in höherem Maße von struktureller Arbeitslosigkeit betroffen als Deutsche. So hat sich der Anteil der Arbeitslosen in dieser Bevölkerungsgruppe zwischen 1985 und 2002 in den alten Bundesländern von 13,9 auf 17,8 % erhöht, der Gesamtdurchschnitt (vgl. Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte / Wohnstadt, S. 24) der Arbeitslosigkeit in Westdeutschland ist im selben Zeitraum jedoch von 9,3 auf 7,9% gefallen. Darüber hinaus ist die Zuwandererbevölkerung tendenziell jünger, hat eine höhere Geburtenrate und ist oft nicht ausreichend integriert.

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Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2007, S. 29.

Abbildung 87: Struktur deutscher Haushalte nach Haushaltsgröße (in %) Zuwanderung findet vor allem in größere Städte statt, da diese und besonders die Ballungsräume mit ihrer kulturellen Vielfalt differierende Lebensstile ermöglichen. Großstädte wie München, Stuttgart, Frankfurt oder Hamburg weisen einen Anteil von Bewohnern mit Migrationshintergrund von ca. 30% auf; in Innenstadtquartieren und benachteiligten Stadtteilen übersteigt diese Quote oft 50% (vgl. Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte / Wohnstadt, S. 18). Solche homogenen Wohnstrukturen sind kritisch zu bewerten, da Armut, Arbeitslosigkeit und kumulierte Hoffnungslosigkeit sozialen „Sprengstoff“ darstellen. Die Integration der Zuwanderer findet neben den Schulen insbesondere in den Wohnquartieren der Wohnungswirtschaft statt. Diese wurde mit den Integrationsaufgaben jahrelang allein gelassen, die kritische Situation in vielen Quartieren wurde von der Politik verdrängt, so dass kein öffentlicher Diskurs über Lösungsansätze stattfand. Allerdings ist anzumerken, dass das vorherrschende Idealbild der kulturellen Durchmischung rechnerisch und auch inhaltlich auf Grund der quantitativen Bevölkerungsentwicklung nicht zu erreichen ist. Bewohnerquoten, wie sie in der Vergangenheit angestrebt wur-

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den, sind heute aufgrund der niedrigen Geburtenraten der Deutschen schlichtweg nicht umzusetzen. Da bei den unter 5-Jährigen der Zuwandereranteil bereits bei ca. einem Drittel liegt (vgl. PahlWeber, S. 25), sollten Integrationsbemühungen vielmehr darauf abzielen, bessere Bildungschancen für breitere Bevölkerungsschichten zu bieten. Bereits heute ist für jede zweite Umzugsentscheidung von Mietern das Bildungsangebot im Quartier ausschlaggebend. Für den Wohnungs- und Städtebau bedeutet dies konkret, dass Wohnquartiere unter unterschiedlichsten Gesichtspunkten modernisiert und revitalisiert werden sollten, um einen Beitrag zum sozialen Frieden zu leisten, soziale Segregation zu minimieren und ethnische Segregation weitgehend zu verhindern. Staatliche Aufgabe ist dabei, Bildungsangebote sicherzustellen und eine soziale Durchmischung zu gewährleisten. Umweltschutz und Umgang mit dem Bestand Zu den wachsenden Aufgaben der Stadtentwicklung und ganz besonderes des Wohnungs- Städtebaus gehört auch die Berücksichtigung von Umweltschutzaspekten. Die deutsche Immobilienbranche ist für mehr als 20% der CO2-Belastung in Deutschland verantwortlich, 15% allein sind auf Wohngebäude zurückzuführen (vgl. Pfnür). Der Staat fördert bereits heute die energetische Modernisierung von Wohnungen mit speziellen KfW-Programmen. So wurden zwischen 2006 und 2009 Sanierung und Neubau von 1,4 Mio. Wohnungen gefördert. Das in diesem Rahmen vergebene Kreditvolumen betrug ca. 30 Mrd. Euro, mit dessen Hilfe eine Verringerung des CO2-Ausstoßes um 4 Mio. Tonnen p.a. erreicht werden konnte (vgl. Pahl-Weber, S. 27). Ein Großteil der Wohnungsbauunternehmen in Deutschland plant zukünftig entsprechend energetische Sanierungsmaßnahmen und Investitionen. Die Politik ist auch hier gefragt, da ohne Anreize die Finanzierung der ehrgeizigen Klimaziele für Unternehmen nur schwer möglich sein wird. Die Branche fordert daher bessere Förderbedingungen und reduzierte Mehrwertsteuersätze bei energetischen Sanierungen (vgl. IZ vom 20.05.2010: „Wohnungsunternehmen fordern Anreize für energetisches Sanieren“). Eine verfehlte (vgl. IZ vom 11.11.2010: „Passivhaus weniger wirtschaftlich als Effizienzhaus70“) auf unzureichender Sachkenntnis gegründete Klimaschutzpolitik kann hingegen Investitionen bremsen und eine Erhöhung des Mietniveaus nach sich ziehen. Vor dem Hintergrund der großen Zahl von Wohngebäuden aus den 50er -70er Jahren mit einer in energetischer Hinsicht außerordentlichen schlechten Bausubstanz stellt sich den Verantwortlichen die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der Gebäude der ersten Nachkriegsjahrzehnte. Zur Überprüfung des erheblichen Anpassungsbedarfes an heutige Wohnbedürfnisse ist eine umfassende Bewertung der Objekte bzw. der gesamten Quartiere nach ihrer Lage, Erschießung, den städtebauli-

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chen Rahmenbedingungen, Freiraumqualitäten und hochbaulichen Möglichkeiten erforderlich. Als Stärken der Nachkriegssiedlungen insbesondere der 50er Jahre erweisen sich oftmals eine heute zentrale Lage großzügige Hausabstände, ein beachtlicher Baumbestand und ausreichend flexible Grundrisse. Dem gegenüber resultieren die massiven Schwächen dieser Objekte aus der Typologie des Zeilenbaus: fehlender Schallschutz bei quergestellten Zeilen, der Konflikt zwischen öffentlichen und privaten Flächen sowie Orientierungsprobleme stellen immer wieder Herausforderungen für Modernisierung, Umbau und Nachverdichtung dar. Alle Möglichkeiten der baulichen Ergänzung sind zu prüfen, denkbar sind je nach individueller Situation Anbauten vor Kopf, das Schließen von Zeilen zu halbgeschlossenen Blöcken, das Ergänzen durch freistehende Gebäude aber auch Aufstockungen oder Ergänzungen von einzelnen Bauteilen wie Aufzügen und Balkonen. Insbesondere die Gebäude aus den 50er Jahren sind hinsichtlich des Wärme- und vor allen Dingen des Schallschutzes stark nachbesserungsbedürftig, wobei es gilt, die typischen Modernisierungsfehler die häufig zu Schimmelbildung führen zu vermeiden. Im Einzelfall wird man wegen nicht herstellbaren Schallschutzes oder aber auch weil der Sanierungsaufwand insgesamt zu hoch ist zu Abriss und Neubau von Einzelobjekten und auch ganzen Quartieren kommen müssen. Hierin kann je nach Einzelfall im Übrigen auch eine große Chance für die Stadtentwicklung und die Hauseigentümer gesehen werden, in energetischer Hinsicht sind Neubauten, die heutigen energetischen Anforderungen entsprechen, ohnehin einer Modernisierung vorzuziehen. Neben der Berücksichtigung der Umweltaspekte kommt der Frage der Altengerechtigkeit der Bestände eine besondere Bedeutung zu. Die Modernisierung von Wohnungsbeständen kann nur in einer geringen Zahl der Fälle zu barrierefreien Grundrissen führen aber es ist sehr wohl möglich Gebäude aus den 20, 50, 60, 70iger Jahren des 20. Jahrhunderts barrierearm auszugestalten.

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Gespaltene Wohnungsmärkte Einen bedeutsamen Trend mit enormen Auswirkungen für den Wohnungsmarkt stellen die Binnenwanderungen in Deutschland dar. Es wird weiterhin mit einer deutlichen Bevölkerungsabnahme im Osten des Landes aber auch in vielen Regionen des Westens beispielsweise im nördlichen Ruhrgebiet, im Raum Bremerhaven, im Saarland oder im Osthessen gerechnet. Demgegenüber gewinnen Großstädte und Ballungsräume wie München, Hamburg, Stuttgart, Köln, das Rhein-Main und das Rhein-Neckar Gebiet an Attraktivität. Diese Entwicklung ist insbesondere auch darauf zurückzuführen, dass urbane Standorte und Milieus mit Dienstleistungsangeboten und Netzwerken für Kinderbetreuung und Altenpflege als Voraussetzung für die modernen Lebensformen der Arbeitskräfte gelten. Die zunehmende ökonomische Bedeutung von Städten und Ballungsräumen führt auch zu einer gesteigerten Nachfrage nach Wohnraum. Negative Folgen sind erhöhte Mieten durch überwiegend hochwertigen Wohnungsneubau, teurere Büroarbeitsplätze, Verdrängungseffekte und eine Verstärkung der sozialen Segregation. Abbildung 88 illustriert nochmals die für die Zukunft zu erwartenden geografischen Unterschiede bei der Entwicklung der Bevölkerungszahlen. Gestiegene Energiekosten, die das Pendeln teurer machen und somit der immer noch anhaltenden Suburbanisierung entgegenwirken, tragen zum Anstieg der Wohnungsnachfrage in den Zentren der Ballungsräume und wirtschaftlich starken Großstädte bei. Die Stadtentwicklungsplanung muss sich also dem Trend nach gestiegenem Mobilitätsbedarf und gestiegenen Mobilitätskosten stellen und dabei hohe Ölpreise berücksichtigen. Dem Siedlungsdruck in Ballungsräumen kann durch Erschließung der inneren Peripherien, durch Konversionen und Verdichtungen entgegengewirkt werden. Die Städte haben die Chance und Aufgabe, öffentliche Räume neu aufzuwerten und in bisherigen Industrie-, Gewerbe- oder Militärbrachflächen oder ehemaligen Häfen und Gleisanlagen Wohnraum zu entwickeln. Die Chance auf die Art und Weise bürgerliche Schichten aus den „Speckgürteln“ aus der urbanen Peripherie wieder zurück in die Stadt zu holen wird vielfach genutzt und kann als hilfreich für eine qualitative Renaissance der Stadt angesehen werden. Gleichzeitig ist aber darauf zu achten, dass nicht durch Verdrängungseffekte in benachbarten dann auch aufgewerteten Stadtquartieren ein Wanderungsmechanismus in Gang gesetzt wird, dass statt der Wohlhabenden die vorher an der Peripherie waren jetzt nur einkommensschwache Schichten in den Vorstädten wohnen.

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Quelle: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Ref. 13 2004.

Abbildung 88: Veränderung der Bevölkerungszahl zwischen 2002 und 2020 Dem Druck auf den Wohnungsmarkt in den wirtschaftsstarken Zentren steht ein drastisch wachsender Wohnungsleerstand in den Gebieten mit abnehmender Bevölkerung entgegen. Die Wohnungswirtschaft muss gemeinsam mit den Kommunen und dem Staat in den nächsten Jahren Lösungen für den wachsenden Leerstand suchen und vielerorts auch gezielt Rückbau betreiben, analog zum Stadtumbau Ost. Schätzungen gehen davon aus, dass von der Schrumpfung circa 70% der Fläche Deutschlands betroffen sind. Das Rückbaumanagement in diesen Gebieten betrifft aber keineswegs nur den Wohnungsbestand, sondern erstreckt sich über alle Lebensbereiche. Soziale Infrastruktur muss umgestellt werden, technische Infrastruktur ist zurückzubauen, komplexe Systeme teilweise wieder zu dezentralisieren, Splittersiedlungen sind zurückzubauen und städtische Kerne auch in Schrupfungsgebieten müssen wieder gestärkt werden. Schließlich sind die Chancen, die Schrumpfung auch bieten kann, aufzuzeigen, vom Tourismus über Wanderwege, Radwege bis hin zu neuen technologischen Ansätzen. Die Aufgaben in den von der demografischen Entwicklung besonders betroffenen Gebieten mit negativer Bevölkerungsentwicklung werden sich aber

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weitgehend nicht mehr im kommunalen Rahmen allein lösen lassen, sondern nur durch interkommunale Kooperation. Vor diesem Hintergrund ist es eine notwendige Voraussetzung modernen Wohnungs- und Städtebaus, zunächst relevante Nutzergruppen zu definieren und darauf aufbauend eine konkrete Zielgruppenauswahl zu treffen. Die wirtschaftliche und soziale Tragfähigkeit von Projekten sollte stets im Rahmen eines iterativen Prozesses durch eine Analyse der Nachbarschaft und der vorhandenen Altsubstanz geprüft werden. Für Wohnungsunternehmen bedeutet diese Entwicklung, dass in Zukunft stärker abgewogen werden muss, wo welches Investment für welche Zielgruppen in Frage kommt. Eine optimale Kombination des „Magischen Fünfecks“ aus Zielgruppe, Produkt, Ambiente, Standort und Preis wird zukünftig über den ökonomischen und sozialen Erfolg von Projekten entscheiden. Es wird deutlich, dass eine nachhaltige und erfolgreiche Stadtentwicklung eine fächerübergreifende Querschnittsaufgabe darstellt. Dem Wohnungs- und Städtebau kommt dabei nicht nur eine bauliche, sondern auch eine soziale Funktion zu. 3.2.2.4

Zusammenfassung und Ausblick

Im vorliegenden Beitrag wurde zunächst ein Überblick über die historische Entwicklung des Wohnungs- und Städtebaus und dessen konzeptionelle Grundlagen gegeben, um ein grundsätzliches Verständnis für den Themenkreis zu schaffen. Weiterhin wurde die Rolle des Staates in Hinblick auf Aufgabenstellungen und Förderprogramme beleuchtet und demografische sowie sozioökonomische Hauptströmungen aufgezeigt, die es im Rahmen des modernen Wohnungs- und Städtebaus aus stadtplanerischer Sicht zu berücksichtigen gilt. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Stadtplanung im Hinblick auf den Wohnungsund Städtebau künftig vor einer Reihe neuer Herausforderungen steht. Der Umgang mit Bestandsbauten, deren Modernisierung und energetische Sanierung und das Aufbereiten von Quartieren werden in Zukunft massiv an Bedeutung gewinnen, um ein qualitätsvolles Zusammenleben und eine Identifikation der Bewohner mit ihrem Umfeld zu gewährleisten. Innovative Quartiersentwicklungen sind notwendig, die innerstädtisch im Spannungsfeld zwischen Wachstums-, Stagnations- und Abwanderungsprozessen als Wohnstandort dienen. Dabei steht die Stadtplanung in einem doppelten Spannungsverhältnis: Einerseits besteht ein Zielkonflikt zwischen ideologischem Anspruch (Ausgewogenheit zwischen sozialen, ökonomischen und ökologischen Bedürfnissen) und den Realitäten einer heterogenen Gesellschaft mit konkurrierenden Ansprüchen. Andererseits muss zwischen den Wertvorstellungen gegenwärtiger und zukünftiger Generationen vermittelt werden.

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Als Lösungsansatz bietet sich insbesondere eine verstärkte, aktive Bürgerbeteiligung bei stadtplanerischen Aufgaben an. Auf diese Weise können bürgerliche Bedürfnisse, sowie kulturelle Identitäten besser berücksichtigt werden. Mit einem derartigen partizipatorischen Ansatz kann der soziale Zusammenhalt unter dem Motto „Stadt neu denken“ deutlich gefördert und ein Beitrag zur Integration geleistet werden. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Städte als Zentren und Spiegel globaler Veränderungsprozesse gelten können: Einerseits bieten sie gesellschaftliche und wirtschaftliche Chancen, andererseits treten im urbanen Raum verstärkt soziale Ungleichheiten und ökologische Probleme auf. Stadtentwicklung kann daher nur nachhaltig erfolgreich sein, wenn sie dauerhaft als Gemeinschaftsaufgabe verstanden und bedürfnisgerecht umgesetzt wird.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.2 Albers, G. A: Stadtplanung – Eine praxisorientierte Einführung, Darmstadt 1996. Albers, G./Wékel, J.: Stadtplanung – eine illustrierte Einführung, Darmstadt 2008. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Ref. 13 2004. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnen: CO²-Gebäudesanierung – Energieeffizient Bauen und Sanieren: Die Fakten, URL: http://www.bmvbs.de/SharedDocs/ DE/Artikel/SW/co2-gebaeudesanierungenergieeffizient-bauen-und-sanieren-die-fakten.html?nn=35752, Abrufdatum: 14.02.2011. Deutsches Statistisches Bundesamt (destatis): Bauen und Wohnen – Bautätigkeit, Fachserie 5, Reihe 1, Wiesbaden 2010. Deutsches Statistisches Bundesamt (destatis): Bevölkerung Deutschlands bis 2060 – 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden 2009. Feldmann, P.: Die strategische Entwicklung neuer Stadtquartiere – Unter besonderer Berücksichtigung innenstadtnaher oder innerstädtischer, brachgefallener Industrieareale, in: Schulte, K.-W. (Hrsg.): Schriften zur Immobilienökonomie, Band 53, Köln 2009. Huber, V. A.: Die Wohnungsnoth der kleinen Leute in großen Städten, Leipzig 1857. O.V.:

Wohnungsunternehmen fordern Anreize für energetisches Sanieren, in: Immobilienzeitung, 20.05.2010.

O.V.:

Energieeffizienter Wohnungsbau – Passivhaus weniger wirtschaftlich als Effizienzhaus 70, in: Immobi-

lienzeitung, 11.11.2010. Pahl-Weber, E.: Trends in der Stadtentwicklung, Berlin 2010. Pfnür, A.: „Bezahlbarer Klimaschutz. Ein Neun-Punkte-Programm für die Klimapolitik aus immobilienwirtschaftlicher Sicht“, in: FAZ vom 07.01.2011. Statistische Ämter des Bundes und der Länder: Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung im Bund und in den Ländern, in: Demografischer Wandel in Deutschland, Heft 1, Wiesbaden 2007. Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte / Wohnstadt: Wohnungswirtschaftliche und Stadtentwicklungspolitische Aspekte von Integration und Segregation – Handlungsrahmen und Beispiele, Frankfurt am Main 2008.

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3.2.3

Bürogebäude

443

Eckhard Lammel 3.2.3.1

Einleitung 3.2.3.1.1 Bauten für Dienstleistungen und Verwaltung 3.2.3.1.2 Standorte, Lagen 3.2.3.1.3 Städtebauliche Einbindung und Anbindung 3.2.3.1.4 Märkte und Nutzer 3.2.3.2 Der Arbeitsplatz Büro 3.2.3.2.1 Büroraumkonzepte 3.2.3.2.2 Psychologische Bedürfnisse am Arbeitsplatz 3.2.3.2.3 Ergonomische Anforderungen an den Arbeitsplatz 3.2.3.2.4 Typologie der Raumkonzepte 3.2.3.2.5 Flächenbedarf 3.2.3.3 Typologie der Gebäudekonzepte 3.2.3.4 Qualitätsfaktoren bei Bürogebäuden 3.2.3.4.1 Hauptkriterium Flexibilität 3.2.3.4.2 Öffentlicher Personennahverkehr 3.2.3.4.3 PKW / Parken 3.2.3.4.4 Andienung / Ver- und Entsorgung 3.2.3.5 Die drei Strukturen 3.2.3.5.1 Primärstruktur 3.2.3.5.2 Sekundärstruktur 3.2.3.5.3 Tertiärstruktur 3.2.3.6 Zukunftsaspekte Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.3

443 443 444 445 446 447 447 449 450 451 453 454 458 458 459 460 460 461 462 466 469 475 477

441

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3.2.3

443

Bürogebäude

Eckhard Lammel 3.2.3.1

Einleitung

3.2.3.1.1 Bauten für Dienstleistungen und Verwaltung Seit geraumer Zeit ist die sozialwirtschaftliche Entwicklung, nicht nur in der Bundesrepublik, stark geprägt durch eine Abnahme des produzierenden Gewerbes und einer Zunahme des Dienstleistungssektors. Eine besondere Dynamik erhielt diese Entwicklung in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung. Nach wie vor lässt sich dieser Strukturwandel in zahlreichen Stadtquartieren in augenfälliger Deutlichkeit mitverfolgen. Was gestern ein durchaus noch funktionierender Gewerbe- und Industriestandort oder ein Hafengebiet war, erfährt heute eine lebhafte Entwicklung zum Dienstleistungszentrum. In vielen Fällen sogar ohne vorher den Weg über eine Industriebrache genommen zu haben. Gemessen an der wirtschaftlichen und vor allen Dingen städtebaulichen Bedeutung, die der Sektor Büro- und Verwaltungsbauten einnimmt, wurde dieser über lange Jahre mit einer gewissen Stiefmütterlichkeit, behandelt. Wenngleich es durchaus hervorragende historische Beispiele gibt, an denen sich noch heute ablesen lässt, mit welcher vorausschauenden Umsicht geplant wurde. Im Gegenzug hierzu stossen wir auch heute noch auf Strukturen deren vom Bedarf gedrängtes Wachstum den städtebaulichen Planern offensichtlich aus der Hand geglitten ist. Verödete Innenstädte,

abgelöst

durch

ebenso

lebensunfreundliche

Bürosatellitenstandorte.

Die

hineinverfügte (und häufig genug wieder herausverhandelte) und in jedem Falle ungeliebte 20%Zwangswohnnutzung, bildet keine Gewähr für ein harmonisches Lebensumfeld. Unzweifelhaft werden häufig sehr hohe Anforderungen an die Städtebaupolitik gestellt. Hier im Grenzfeld von dynamischer, wirtschaftlicher Entwicklung und städtebaulichen Regelungen, die beide letztendlich den nutzenden Menschen und sein Wohlbefinden zum Ziel haben sollten, liegt ein riesiges städtebaupolitisches Aufgabenpaket. Nur allzu oft zeigt sich erst im Rückblick auf vor Jahren getroffene Entscheidungen, ob diese die beabsichtigten Erfolge gebracht haben. Echte Qualität zeigt sich, wie in vielen anderen Lebensbereichen, oft erst nach Jahren.

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3.2.3.1.2 Standorte, Lagen Das einzig unveränderbare an einer Immobilie (daher ihr Name) ist die Lage. Wohl kann sich das Umfeld einer Immobilie verändern und zwar in beide Richtungen, also zum Positiven sowohl als auch zum Negativen. Lagen kann man auch durch langfristige umsichtige Planung schaffen, auch können Immobilien (wenn sie dominant genug sind) selbst ihre eigene Lage kreieren, also einen guten Standort erst zu einem solchen machen. Es sind wenige Hauptkriterien, aus denen sich die Qualität einer Lage herleitet. Allerdings sind diese Kriterien äußerst facettenreich und lassen somit sehr hohe Qualitätsunterschiede entstehen. x

Sehr gute Erreichbarkeit mit öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln. Wenn wir an Fernverkehrsmittel (Bahn, Flugzeug) denken, sollte dieser Satz noch erweitert werden um: sehr gute Erreichbarkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Qualitätsunterschiede ergeben sich hier aus der Anzahl der öffentlichen Verkehrsmittel, aus deren Taktzeiten im Fahrplan, aus der Länge der jeweiligen Verbindungswege, aus der direkten Anfahrbarkeit im Gegensatz zu häufigem Umsteigen – unter Umständen auch noch auf unterschiedliche Verkehrsmittel – sowie aus Qualität und Image der Verkehrsmittel. Wie sieht es bei Spätfahrten aus? Wie schnell und wie häufig sind die Verbindungen zu den Fernverkehrsmitteln (Flughafen, Bahn)? Wie nah ist der nächste Taxistand? Wie lange brauchen Taxis zur Anfahrt bei Bestellung? Genauso wichtig ist die Erreichbarkeit mit dem privaten Verkehrsmittel, d. h. mit dem PKW aber auch mit dem Fahrrad. Das Vorhandensein ausreichender Abstellmöglichkeiten (bei Fahrrädern in gesicherten Bereichen) ist ein ganz wesentliches Qualitätskriterium für die Immobilie selbst, aber auch für ihre Lage. Dabei geht es nicht nur um die Nutzer der Immobilie selbst, sondern auch um deren Besucher.

x

Umfeld mit gehobenem Image Auch dieses Kriterium kann sich facettenreich darstellen: Welche Unternehmen sind in der Nachbarschaft angesiedelt? Welche Qualität, welchen Ruf haben eventuelle Wohnviertel in der Nachbarschaft? Befinden sich öffentliche Einrichtungen mit "Qualität" in der Nachbarschaft (Theater, Oper, Parkanlagen, etc.)? Wie "sicher" ist das Geschehen auf den benachbarten Straßen und Wegen (Kleinkriminalität, Belästigungen, etc.)?

x

Nahversorgung in unmittelbarer Nachbarschaft Dies ist ein nicht zu unterschätzendes Thema und für die im Büro beschäftigten Menschen ebenso wichtig wie die beiden bereits genannten Punkte. Kann ich den täglichen Bedarf an

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Einkäufen in unmittelbarer Nachbarschaft in ausreichender Qualität und Auswahl decken? Befindet sich ausreichend Gastronomie in möglichst vielen Kategorien in unmittelbar erreichbarer Nachbarschaft? (Das gilt auch bei Vorhandensein einer eigenen Kantine.) Zur Nahversorgung gehören außerdem Einrichtungen für Sport und Erholung sowie die ärztliche Versorgung. Bei sorgfältiger Betrachtung der oben aufgeführten Kriterien zeigt sich sehr rasch, dass zwar die viel gepriesene Innenstadtlage zweifellos eine Reihe von Vorteilen besitzt, insbesondere was das Image anbelangt, aber die Lage im Außenbezirk, sofern die obigen Anforderungen schon bei der Planung z. B. des gesamten Stadtviertels, sorgfältig berücksichtigt und dann auch in die Realität umgesetzt wurden, kann hier durchaus sehr hohe Qualitätsansprüche befriedigen und in vielen Fällen mit der Innenstadtlage konkurrieren, besonders dann, wenn man die Mietdifferenz in die Überlegungen mit einbezieht und sie möglicherweise sogar in Form von großzügiger geschnittenen Büroflächen dem einzelnen Mitarbeiter zugute kommen lässt. 3.2.3.1.3 Städtebauliche Einbindung und Anbindung Die in weiten Bereichen als total zu bezeichnende Zerstörung der städtischen Bausubstanz in unseren deutschen Städten im Kriege einerseits und der sowohl durch diese Zerstörung als auch durch die einsitzende Dynamik entstehende Bedarf an Flächen (nicht nur Büroflächen) andererseits, sowie eine gewisse Hilflosigkeit und Unerfahrenheit der Planungsverantwortlichen, hat zum Teil skurrile Blüten bei einzelnen Entwicklungen getrieben. Das Vorhandensein oder die Eigenart mancher Immobilie lässt sich nur aus ihrer städtebaulichen Historie erklären. Ortssatzungen, die eine Richtlinie hätten sein können, steckten noch in den Kinderschuhen. Ganz zu schweigen davon, dass es auch heute den einen oder anderen unsensiblen Architekten gibt, der es trotz vorhandener Satzungen versteht, ein Stadtbild zu beschädigen. Wenn man bedenkt, wie viel Streit, Diskussionen (fruchtbare und fruchtlose), politische Ränkespiele und dergleichen mehr es gegeben hat, bis Frankfurt seine Skyline mit berechtigtem Stolz und aller Schönheit, die sie heute hat, präsentieren konnte, kann man ein Gefühl dafür entwickeln, wie schwierig es ist und was es bedeutet, guten Städtebau weitsichtig zu planen und zu realisieren. Für einen guten Planer ist es nicht damit getan, das ihm anvertraute Objekt nach allen Regeln und in aller Schönheit und Vollkommenheit zu planen, sondern er muss auch in den Dimensionen des Umfeldes, in

den Dimensionen des

Stadtraumes denken und planen

können. Eine

Gestaltungssatzung kann gar nicht so eng geregelt sein - schließlich muss dem Architekten auch noch ein gewisser Freiraum gelassen werden - als dass sie nicht doch Möglichkeiten für Entgleisungen gibt.

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Sensibilität, Umsicht und Weitblick aller Planungsverantwortlichen sind die Voraussetzung, dass das Nebeneinander historischer und neuer Bauten in einer Stadt zu einem Miteinander werden: Ein interessantes, menschengerechtes, lebenswertes Gesamtgebilde, dessen einzelne Bausteine sowohl durch ihre innere Qualität, als auch durch ihre äußerliche Erscheinungsform positiv zur soviel zitierten Urbanität beitragen. 3.2.3.1.4 Märkte und Nutzer Es sind die Büro- und Verwaltungsbauten, die das Rückgrat all jener Kapitalsammelstellen bilden, die auf Immobilienwerten aufbauen. Gleichzeitig sind es diese Gebäude, die ganz wesentlich das Bild unserer Städte bilden - nicht nur das Bild der Innenstädte, sondern auch das Bild in peripheren Lagen, wo sich diese Gebäude häufig zu Bürostädten agglomerieren. Nicht weil die Kapitalsammelstellen diese Gebäudeformen als Anlageobjekt auserkoren haben, werden sie errichtet, sondern weil diese Form von Gebäuden von einer Vielzahl von Nutzern benötigt wird und diese bereit sind, für die Nutzung mehr oder weniger hohe Nutzungsentgelte, also Mieten, zu entrichten, bilden diese Immobilien eine hervorragende Kapitalanlagemöglichkeit. Die Immobilie erfüllt in nahezu idealer Weise die Kriterien von nach Anlage suchendem Kapital: x

Langfristigkeit

x

Sicherheit

x

Rendite

Die Ersteller von Bürogebäuden lassen sich in 2 wesentliche Gruppen unterscheiden (dies gilt nicht nur für Bürogebäude sondern trifft eigentlich auf jede Art von Bauwerk zu): x

die Eigennutzer, die ihr Gebäude unternehmensbezogen für die Bedürfnisse des eigenen Betriebes erstellen,

x

die Ersteller von spekulativ errichteten Gebäuden. Hier ist die Triebfeder die relativ sichere Anlage von Kapital in Immobilien.

Eine nicht ungeschickte Mischung beider Interessentengruppen ergibt sich dann, wenn ein Eigennutzer seine Immobilie zugleich als Kapitalanlage für Dritte zum Einsatz bringt (Beispiel: Bankentürme in Frankfurt/Main). Die von Konzeption und Architektur her interessanteren Gebäude sind in aller Regel die Gebäude für den Eigennutzer. Spekulativ errichtete Gebäude werden in aller Regel etwas "bodenständiger" ausfallen. Die angestrebte hohe Wirtschaftlichkeit in Überlagerung mit der Abdeckung möglichst breit gefächerter Nutzungsmöglichkeiten führt zwangsläufig zu einer mehr sachlichen

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Architektur. Wobei es herausstechende Beispiele gibt, die durchaus gegenteilige Eindrücke vermitteln können. Die Zyklizität der Immobilienmärkte (wie auch vieler anderer Märkte) ist inzwischen kein unbekanntes Phänomen mehr, aber dennoch nie berechenbar. Abweichend von den Erfahrungen früherer Zyklen, geschieht es vermehrt, dass sich Vermietungsmarkt und Investmentmarkt voneinander lösen und sich gegenläufig bewegen. Ursache hierfür ist, dass das anlagesuchende Kapital aufgrund der Negativerfahrungen auf dem Aktienmarkt nach solider und sicherer Anlage sucht, die sich ihm besonders im Immobilienmarkt bietet. Der Bedarf an guten Immobilienanlagen ist sehr groß und wächst nach wie vor. Gegenläufig hierzu ist der Nutzermarkt, nicht zuletzt aufgrund der derzeitigen Verwerfungen auf dem Kapitalmarkt, stark rückläufig. Fehlende Mieter/Nutzer bewirken eine rückläufige Entwicklung bei den Mieten, wodurch sich das Angebot an renditeträchtigen (gut vermieteten) Immobilien reduziert. Auf diese Situation drängt andererseits der Kapitalmarkt mit seinem Anlagebedarf. Eine Schere, die sich dramatisch weit öffnet. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Anleger, aufgrund der Produktverknappung, scharfe Konkurrenzkämpfe liefern. Eine der Folgen dieser Situation ist die Kapitalanlage in Immobilien entfernter, zum Teil exotischer Märkte mit all ihren Risiken oder die Akzeptanz äußerst geringer Renditen. Langfristig wird sich diese Situation auf die Anlagerenditen auswirken, was letztendlich einen gewissen "Selbstheilungsprozess" zur Folge haben müsste. Sobald die Immobilienrenditen ein Niveau erreicht haben werden, das deutlich unter anderen, wenn auch risikoreicheren, Anlagemöglichkeiten liegt, werden die Mittelzuflüsse nachlassen und der Anlagedruck schwinden. Bleibt zu hoffen, dass der Umschwung nicht heftig erfolgt, so dass rasante Mittelabflüsse zu Notverkäufen von Immobilien führen, was zwangsläufig einen Wertverfall im Immobilienbereich zur Folge hätte. Die sich in einem solchen Fall deutlich herausstellende Tatsache, dass hochwertige, also flexible Immobilien sich weitaus besser im Markt behaupten, als ein minderwertiges Produkt, wäre für alle Beteiligten ein nur schwacher Trost. 3.2.3.2

Der Arbeitsplatz Büro

3.2.3.2.1 Büroraumkonzepte Wie jede gute Gebäudeplanung sollten auch oder gerade Bürogebäude "von innen heraus" entwickelt werden, nämlich ausgehend vom täglichen Nutzer der Immobilie, dem Menschen, von seinem Arbeitsplatz mit seinen psychologischen und ergonomischen Anforderungen. - Die Planung und deren Umsetzung in den Maßstab 1:1 ist eine äußerst komplexe Aufgabe. Je nach Arbeits- und Ablauforganisation summiert sich eine Vielzahl von Tätigkeiten bei den unterschiedlichsten Unternehmen. Die logische Folgerung: Es existiert keine Büroform, die gleichzeitig allen Nutzern gerecht wird. Sogar innerhalb des gleichen Unternehmens wird es unterschiedliche Nutzungsansprüche an die Raumkonfigurationen geben.

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Unter diesen Voraussetzungen haben sich 4 Raumkonzepte entwickelt. Bis zu einem gewissen Grad könnte man diese Konzepte, zumindest ihre jeweilige Blütezeit, historischen Zeitabschnitten zuordnen. Es handelt sich um die vier Grundformen: x

das Großraumbüro

x

das Gruppenbüro

x

das Zellenbüro

x

das Kombibüro.

Jede Büroraumnutzung lässt sich einer dieser vier Grundformen zuordnen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Das in letzter Zeit viel zitierte "Non-territoriale Büro" ist kein Raumkonzept sondern ein Nutzungskonzept. Seine Bezeichnung bezieht es daher, dass der Nutzer dieses Konzeptes keinen ihm fest zugeordneten Arbeitsplatz besitzt, sondern diesen von Fall zu Fall neu zugewiesen bekommt. Entwickelt hat sich diese Nutzungsform aus der Erkenntnis, dass in einigen Berufssparten (z. B. Wirtschafts-Prüfer und -Berater, Steuerberater und ähnliche Dienstleister) die ständige Präsenz der Mitarbeiter am Sitz des Unternehmens nicht erforderlich ist. Es bestehen bereits heute schon Organisationskonzepte, bei denen die Bürofläche auf einen maximalen Spitzenbesetzungsgrad zwischen 50% und 75% "eingedampft" wird. Der Mitarbeiter hat keinen festen Arbeitsplatz. Beim Betreten des Bürogebäudes löst die Chipkarte des Angestellten zugleich den Transport seines in einem Lagerraum verstauten Rollcontainers aus. Ebenfalls über seine Chipkarte bekommt er seinen heutigen Arbeitsplatz zugewiesen und im Idealfall ist sein Arbeitsplatz zum Zeitpunkt zu dem er ihn erreicht, bereits einsatzfertig für ihn ausgestattet. Inwieweit die nachfolgend aufgezeigten psychologischen Bedingungen des Arbeitsplatzes dann noch zutreffen, ist fraglich. Ob es möglich ist, Mitarbeiter für eine solche neue Arbeitsmentalität zu motivieren, muss sich noch zeigen und inwieweit die Einsparungen bei der Raumfläche durch die aufwendige Infrastruktur und durch die reduzierte Arbeitskraft ausgeglichen werden, sollte sehr sorgfältig untersucht werden. (Oder: Wie finde ich den Mitarbeiter, den Kollegen, ohne aufwendiges Personenverfolgungssystem? Datenschutz!).

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3.2.3.2.2 Psychologische Bedürfnisse am Arbeitsplatz Es sind zwei wesentliche Kriterien bei der Errichtung eines Arbeitsplatzes zu beachten: x

Die Erfüllung ergonomischer Anforderungen. (Optimaler Ablauf von Funktionen)

x

Die Erfüllung psychologischer Bedürfnisse.

Unser Arbeitsrecht, aber auch die Erkenntnis, dass qualifiziertes und dementsprechend hochbezahltes Personal mehr Kreativität und höhere Leistungsfähigkeit zeigt, sofern die Leistungsvoraussetzungen entsprechend vorteilhaft sind, sprechen deutlich dafür, dass psychologische Bedürfnisse am Arbeitsplatz weitgehend erfüllt werden. Die wesentlichen psychologischen Bedürfnisse am Arbeitsplatz: Privatsphäre, Territorialität, Kommunikationsmöglichkeit, Selbstbestimmung der physikalischen Umgebungsbedingungen, Bezug zur Natur, Behaglichkeit der Umgebung sowie Statussymbole. Privatsphäre x

Schutz der Persönlichkeitssphäre durch den räumlichen Bereich

x

Abschirmen für konzentriertes Arbeiten

x

Physikalische Störungsfreiheit, visuell und akustisch

x

Psychologische Störungsfreiheit Vermeidung "Präsentiertellereffekt", Vermeidung von Störungen bei der Arbeit durch Andere, Akustische Abschirmung vor Mithören, Vermeidung des Gefühls jederzeitiger Präsenzverpflichtung.

x

Freie Wahl zwischen Abgeschirmtheit und Teilnahme am allgemeinen Bürogeschehen.

Territorialität x

Jeder Mensch beansprucht "seinen Platz".

x

Sicherung gegen "feindliche Übernahme".

x

Territorialer Besitzstand.

x

Nichtanerkennung des Territoriums führt zu irrationalen Reaktionen und sind dem Arbeitsklima und der Leistung nicht förderlich.

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Kommunikationsmöglichkeit x

Steigender Einsatz von Bürotechnik löst verstärktes Kommunikationsbedürfnis aus.

x

Vereinsamung hinter dem Bildschirm.

x

Schaffung von Kommunikationsgelegenheiten.

x

Besprechungsmöglichkeit am Arbeitsplatz.

Selbstbestimmung der physikalischen Umgebungsbedingungen x

Steuerung von: Beleuchtungsanlage, Raumtemperatur, Klimaanlage, Sonnenschutz, etc.

x

Akzeptanz ist abhängig von der Möglichkeit der individuellen Steuerung.

Bezug zur Natur x

Visueller Kontakt zur Außenwelt.

x

Arbeitsplatz in Fensternähe – "Steht die Welt noch?"

x

Gefühl des Eingebundenseins in die Natur.

Wer die Qualität des "Lebensraums" Büro für seine Mitarbeiter nicht ernst nimmt, mindert deren Kreativität und Leistungsfähigkeit. 3.2.3.2.3 Ergonomische Anforderungen an den Arbeitsplatz Die Skizze in Abbildung 89 zeigt die Minimalanforderungen an einen individuellen Arbeitsplatz, untergebracht in einem Zellenbüro. Kleinste Abmessungen 2,25 m x 4,10 m. Abhängig von der Grundrisslösung und der Wahl des Konstruktionsrasters könnte dieses Einzelbüro auch eine "Luxusgröße" von 2,60 x 5,40 m haben. Darüberhinaus könnte dieser Arbeitsplatz auch in seinen Funktionen sowie in seiner Anordnung auch in anderen Büroraumkonzepten angeordnet werden. Die Wahl der Büroraumkonzeption unterliegt vielfältigsten Kriterien. Aufgrund der unterschiedlichen Raumnutzungsprofile der einzelnen Unternehmen, wird es nie eine allgemein gültige Büroraumkonzeption geben.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 89: Mindestgröße eines individuellen Arbeitsplatzes Um die Funktionalität, die Forderungen des Arbeitsrechts und nicht zuletzt die oben erwähnten psychologischen Bedürfnisse zu erfüllen, ergeben sich zwangsläufig gewisse Mindeststandards. Die optimale Funktion der einzelnen Bürotätigkeitsabläufe finden sowohl im inneren als auch im äußeren Erscheinungsbild ihren konstruktiven und architektonischen Rahmen. Erreichbarkeit des Gebäudes sowohl zu Fuss als auch mit dem Fahrzeug und die Optik der Fassade bilden stets den ersten Eindruck eines Gebäudes. Logik und Übersichtlichkeit der inneren Erschliessung sind ein weiterer

Qualitätsmaßstab.

Hierzu

gehören

auch

Funktion

und

Handhabbarkeit

der

Vertikalförderanlagen. Ganz wesentlich ist die Wirtschaftlichkeit der Flächenzuschnitte. Ziel ist eine optimale Flächennutzung mit dem günstigsten Verhältnis genutzte (gemietete) m²/Mitarbeiter ohne, dass hierbei die Qualität des Arbeitsplatzes in Mitleidenschaft gezogen wird. Wichtig, weil kostenbeeinflussend, ist das Verhältnis der reinen Büro- zu den Nebenflächen. 3.2.3.2.4 Typologie der Raumkonzepte Von der Typologie her lassen sich alle Konzepte in folgende vier Grundformen einordnen: das Großraumbüro, das Gruppenbüro, das Zellenbüro und das Kombibüro.

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Das Großraumbüro Es tritt als Bürosaal, Bürolandschaft oder Großraum mit Raum in Raum System in Erscheinung. Merkmale: x

Raumfläche: min. 400 bis über 1.000 m² für 80 und mehr Mitarbeiter

x

Raumtiefen von min. 20 bis 30 m

x

Vollklimatisierung der gesamten Fläche

x

In der Innenzone ständig künstliche Beleuchtung

x

Fenster nicht öffenbar

x

Nur wenige Arbeitsplätze im Fensterbereich.

Das Gruppenbüro Dabei kann es sich um abgeschlossene Gruppenräume, Gruppenräume innerhalb einer Großraumstruktur oder um ein Milieubüro handeln. Merkmale: x

Raumfläche: min. 100 bis 300 m² für 15 bis 25 Mitarbeiter

x

Teilklimatisierung oder Teilzeitklimatisierung (unterstützende Be- und Entlüftung)

x

Fenster teilweise zu öffnen

x

Viele Arbeitsplätze am Fenster.

Das Zellenbüro Es gibt Zellenbüros für eine oder mehrere Personen. Merkmale: x

Feste oder flexible Raumaufteilung

x

Ein- bzw. zweibündige Bauweise

x

Räume von 12 bis 40 m² mit Raumtiefen von 4 bis 6 m

x

Ohne oder mit Klimatisierung.

Das Kombibüro Variabel mit Standardarbeitsraum für eine oder auch zwei Personen mit zentralem, gemeinsam nutzbarem "Multiraum".

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Merkmale: x

Persönliche Büros für jeden Mitarbeiter (Arbeitsraum) ca. 10-12 m²

x

Anordnung der Arbeitsräume um den zentralen "Multiraum" mit diesem durch Glaswand verbunden

x

Der "Multiraum" wird gemeinschaftlich von Abteilungen bzw. Arbeitsgruppen genutzt. Hier laufen Aktivitäten wie Archivierung, Besprechung, Postverteilung, Kopieren, Fax, temporäre Arbeitsplätze, Bibliothek, Pausen, Verkehrswege etc.

x

Flexible

Möblierung

des

Arbeitsraumes

unter

Nutzung

von

Bildschirm

und

Arbeitsplatzdrucker sowie Besprechungen am Arbeitsplatz mit bis zu 2 Besuchern. x

Thermische Bedingungen und Beleuchtung im Arbeitsraum sind vom Mitarbeiter selbst zu bestimmen. Der zentrale Multiraum bedarf in aller Regel künstlicher Beleuchtung und mechanischer Be- und Entlüftung.

Großraum- und Gruppenbüro bedingen eine sehr spezifische unternehmensbezogene Nutzung. Spekulativ errichtete Büroimmobilien werden derartige Büroraumkonzepte, wenn überhaupt, so nur in geringen Teilbereichen beinhalten. Die Büroraumkonzepte Zellenbüro und Kombibüro, wobei bei geschickten Grundrisslösungen beide Konzeptionen in der gleichen konstruktiven Gebäudehülle untergebracht werden können, sind die geläufige Form der spekulativ errichteten Büroimmobilie. 3.2.3.2.5 Flächenbedarf Bei Planung, Erstellung, Vermarktung, Kostenermittlung etc. ist es wichtig, für die ersten Grundsatzüberlegungen eine Faustformel bei der Hand zu haben. Wie viel Fläche benötige ich pro Mitarbeiter. Zahlreiche diesbezügliche Untersuchungen wurden bereits angestellt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen pendeln sich im Bereich von 25 m²/Mitarbeiter ein. Selbstverständlich ergeben sich aufgrund der verschiedenen Abhängigkeiten zum Teil deutliche Abweichungen. Welche Raumkonzepte kommen zur Anwendung, wie großzügig oder wie spartanisch werden die Mitarbeiter

mit

Büroflächen

bedacht?

In

welchem

Verhältnis

stehen

Sonderflächen

(Besprechungsräume, Ausstellungsflächen, Flächen für Publikumsverkehr, Kantinenbereiche etc.) zu den reinen Büroflächen. Eine solide und zweifelsfreie Entscheidungsgrundlage wird sich jedoch erst ergeben, wenn die jeweils zur Entscheidung anstehenden Objekte mit einem Belegungsplan überplant worden sind. Eine Empfehlung für die Praxis: Jeder Nutzer auf Flächensuche oder auch nur auf der Suche nach möglichen Einsparungen, ist gut beraten, einen unabhängigen Spezialisten mit einer

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vergleichenden Belegungsplanung zu beauftragen. Oft zeigt sich erst so die Qualität eines Gebäudes. 3.2.3.3

Typologie der Gebäudekonzepte

In Abhängigkeit vom "Inhalt" nämlich dem Büroraumkonzept also Großraum-, Gruppen-, Zellenund Kombibüro, ergeben sich zwangsläufig unterschiedliche Grundrissgestaltungen, die einen erheblichen Einfluss auf die gesamte Konfiguration des Baukörpers haben. Einbündige Anlage

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 90: Einbündige Anlage Nur der Vollständigkeit halber gezeigt. Wirtschaftlichkeit zu Lasten sehr tiefer Büroräume. Vorschriften der Arbeitsstättenverordnung nur erschwert einzuhalten. In den USA gebräuchlich. Findet bei uns nur Anwendung, wenn äußere Zwangspunkte vorliegen (schmale Grundstücke, einseitige Anbauten, Verbindungsbereiche z. B. an Innenhöfen, etc.).

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Zweibündige Anlage Die wohl häufigste Form der spekulativ errichteten Büroimmobilie. Wirtschaftliche Bauweise insbesondere bei guter Auslegung des Gebäuderasters. Hoher Anteil an Nettonutzfläche. Zellenbüros aber auch Gruppenräume und ggf. auch Kombibürolösungen möglich.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 91: Zweibündige Anlage Dreibündige Anlage Häufig verwendete Form für Hochhausgrundrisse. Hohe Anteile an Verkehrswegen. Weite Verbindungswege zwischen gegenüberliegenden Räumen. Sollte nicht mit der Gliederung des Kombibüros verwechselt werden, der innere Kern dient hier lediglich der Verkehrserschließung und zur Unterbringung der Nassräume.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 92: Dreibündige Anlage Flurlose Anlage Unterbringung von Großräumen oder Gruppenräumen. Wirtschaftlich aber allen Nachteilen des Großraumes. Es besteht die Gefahr, im Widerspruch zu den Arbeitsstättenverordnungen zu planen.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 93: Flurlose Anlage

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Kombibüro Kombibüros lassen sich zwar auch in einem für Zellenbüros vorgesehenen Grundriss unterbringen, doch wird für ein "reinrassiges" Kombibüro eine größere Gebäudetiefe erforderlich (vgl. Abbildung 94).

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 94: Kombibüro Gliederung um einen zentralen Erschließungskern Typische Grundrissvariante für Punkthochhäuser. Enorm ungünstiges Verhältnis. BGF zu Nettonutzfläche. Ursache hierfür der grosse Querschnitt des zentralen Erschließungskerns.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 95: Zentraler Erschließungskern am Beispiel des Messeturms, Frankfurt

458

3.2.3.4

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Qualitätsfaktoren bei Bürogebäuden

3.2.3.4.1 Hauptkriterium Flexibilität Wir alle kennen die inzwischen etwas abgegriffene Aussage hinsichtlich der drei Hauptkriterien einer Immobilie: "Die Lage, die Lage, die Lage". Gültigkeit lässt sich der Aussage nur dann zumessen, wenn es sich lediglich um das unbebaute Grundstück handelt. Die Bebauung ist es, die das Grundstück veredelt oder verschandelt. Ein Objekt in allerbester Immoblienlage, das den gestellten Nutzungsanforderungen in keinster Weise entspricht, wird mit Sicherheit nicht das Ergebnis einfahren (wenn es denn, wie heutzutage nicht selten der Fall, überhaupt ein Ergebnis einfährt), dass es aufgrund seiner Lage eigentlich zeigen müsste. Wenn es nicht möglich ist, ein Immobilienobjekt ständig in einem baulichen, technischen und architektonischen Zustand zu halten, dass es stets den Anforderungen eines breit gefächerten Nutzungsspektrums gerecht wird, so wird der Eigentümer wenig Freude an dieser Immobilie haben, egal in welcher Lage sie sich befindet. Sorgfältige und kompetente Planung stellt sicher, dass ein Gebäude zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung den Marktanforderungen optimal entspricht. Allerdings wissen wir nicht, welche zukünftigen Innovationen auf uns zukommen. Es gibt kompetente Forschungsanstalten, die den Arbeitsplatz Büro unter Zukunftsaspekten aus allen Blickwinkeln beleuchten. Aber auch hier kann man nur auf der Basis heute bekannter Fakten arbeiten. Über zwei Wege lässt sich sicherstellen, zukünftigen (heute noch unbekannten) Anforderungen an ein Bürogebäude gerecht zu werden. Der eine Weg ist rasch abgehandelt: Es wäre die Entwicklung einer "Wegwerfimmobilie", die aus enorm preiswerten und weitgehend wieder verwertbaren Bauelementen besteht und nach einer kurzen Lebensspanne (15 - 25 Jahre) preiswert demontiert und in veränderter Form wieder verwendet werden kann. Angesichts der Tatsache, dass man durchaus immer wieder auf "junge Immobilien" stösst, die heutigen Nutzungsanforderungen keineswegs mehr entsprechen (wenn sie Ihnen denn je entsprochen haben) und ein dementsprechendes un- oder untervermietetes Dasein fristen, eine nicht unrealistische Überlegung. Der Gedanke der "Wegwerfimmobilie" wurde durchaus, zumindest in Ansätzen, schon gedacht. Vielleicht wäre es wert, ihn konsequent weiterzuverfolgen. Der zweite Weg, und er ist zumindest noch der wirtschaftlichere, ist der Weg über ein Maximum an Flexibilität. Nur bei permanenter und konsequenter Beachtung dieses Kriteriums wird es möglich sein, ein Gebäude über einen langen Lebenszyklus hin stets allen Anforderungen gerecht werden zu lassen.

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Echte Flexibilität hat ihre Ansätze schon in der frühesten Planungsphase des Gebäudes. Eine scharfe Abgrenzung der einzelnen Gebäudestrukturen voneinander, ist eine der Voraussetzungen für diese Flexibilität (die Strukturen sind im nachfolgenden beschrieben). Die Flexibilität findet ihre Fortsetzung im Größenzuschnitt der einzelnen Mieteinheiten. So sollte ein Gebäudekomplex, besonders dann, wenn es sich um eine spekulativ errichtete Immobilie handelt, kleinstmögliche und dennoch völlig eigenständige Mieteinheiten beinhalten. Selbständige Mieteinheit bedeutet: x

separater Zugang,

x

eigene Nassräume,

x

eigene Unterverteilungen,

x

separate Messstellen für alle Versorgungsmedien, etc.

Diese kleinteilige Flexibilität setzt sich fort in der Möglichkeit einer realen Teilbarkeit eines größeren Gebäudekomplexes. Die Flexibilität in der Teilbarkeit bedeutet, dass zusätzliche Eingangsanlagen, zusätzliche Erschließungskerne und zusätzliche Nasszellen einzurichten sind. Kein Zweifel, Flexibilität hat ihren Preis, aber sie ist nun einmal das Hauptkriterium einer Immobilie, die stets ihre Daseinsberechtigung durch ihre hohe Rentabilität beweist. 3.2.3.4.2 Öffentlicher Personennahverkehr Ohne Zweifel wird die Qualität einer Büroimmobilie ganz erheblich von ihrer Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr mit beeinflusst. Es wäre allerdings kurzsichtig, wollte man sich hier mit den Entfernungsangaben zu den nächsten Haltestellen von Bus, U-Bahn, S-Bahn oder sonstigen öffentlichen Verkehrsmitteln abgeben. Die Betrachtungen müssen schon etwas umfassender angestellt werden: x

Welche Verbindungsfrequenzen herrschen an den jeweiligen Stationen?

x

Wie sieht es mit den weiterführenden Verbindungen aus?

Es ist die gesamte Verkehrsinfrastruktur, die stets in Betracht gezogen werden muss. Ihre Qualität bestimmt nicht nur die einzelnen Bürostandorte, sondern ganz maßgeblich auch die Attraktivität einer jeden Wirtschaftsregion. Die Entscheidung für einen Bürostandort (wie für viele andere Nutzungsbereiche auch) hängt ganz stark davon ab, dass alle Verkehrsträger leistungsfähig ausgebaut sind. Ganz besonders wichtig ist dabei, dass sowohl auf kommunaler als auch auf regionaler Ebene eine optimale

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Verknüpfung zwischen den einzelnen Verkehrsträgern vorhanden ist und das geht hin bis zu den Trägern des Fernverkehrs, also Fernbahn, Flughafen und Fernstrassennetz. 3.2.3.4.3 PKW / Parken Sicherlich hat die Qualität der Anbindung an den ÖPNV einen gewissen Einfluss auf die Forderung nach PKW-Einstellplätzen. Dennoch ist die Anzahl der in einem Büroobjekt oder zumindest in seiner unmittelbaren Nähe vorhandenen PKW-Einstellplätze ein ganz wesentlicher Qualitätsfaktor. Umfragen bei Büroimmobilien-Nutzern zeigen immerwieder, dass Stellplätze ganz oben auf der Liste wichtiger Kriterien stehen. Völlig widersprüchlich zu dieser Forderung ist daher die restriktive Politik nahezu aller Kommunen gegenüber dem Individualverkehr. Die jeweiligen Ortssatzungen machen zum Teil ganz erhebliche Einschränkungen hinsichtlich der Genehmigung von Stellplätzen. Diese Restriktionen gipfeln darin, dass rein bautechnisch errichtbare und vom Bauherrn gewünschte Stellplätze nicht genehmigt werden. Im Gegenzug hierfür jedoch ganz erhebliche Ablösesummen gefordert werden. Aufgrund der geschilderten Situation ist es fast müßig, so etwas wie ideale Verhältniszahlen zwischen Nutzfläche und Anzahl der PKW-Einstellplätze zu nennen. Ein wünschenswertes Verhältnis wäre zum Beispiel 1 PKW-Einstellplatz je 60 m² Bruttogeschossfläche. - Eine Zahl, die bestenfalls "auf der grünen Wiese" erreichbar ist, was sich durchaus positiv für diese Standorte auswirkt. 3.2.3.4.4 Andienung / Ver- und Entsorgung Ein weiteres Kriterium für die Qualität eines Bürostandortes sind die Möglichkeiten der Ver- und Entsorgung. Diese Faktoren werden bei der Planung nur allzu leicht übersehen oder zumindest nicht ausreichend beachtet. Die Kapitelüberschrift beinhaltet zwei Aspekte. Zum einen handelt es sich um die Andienung des Gebäudes durch die verschiedensten Lieferanten bzw. im Falle der Entsorgung um die Müllabfuhr. Zum anderen handelt es sich um die Nahversorgung der Büronutzer mit den Mitteln des täglichen Bedarfs. Die Lieferandienung von Bürogebäuden mit Möbeln, Papier, Catering, Kurierdienste, Wartungsdienste etc., wird allein vom Umfang her nur allzu leicht unterschätzt, Insbesondere innerstädtische Lagen sind häufig besonders schwer zu bedienen. Erschwerend kommt dann noch hinzu, wenn die innere Gebäudestruktur hinsichtlich der Verkehrswege und der Aufzugsanlagen

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die Anlieferung sperriger Güter nur unter erschwerten Umständen zulässt. Ein gleiches gilt für die Entsorgung, wobei es sich hier keineswegs nur um Müll, sondern durchaus auch um ausgemusterte Büromöbel, technische Geräte etc. handelt. Viele Gebäude besitzen hier keine Zwischenlagerkapazitäten in Form von ausreichend bemessenen Müllräumen, die zudem noch so gelegen sein sollten, dass die Andienung der eigentlichen Müllabfuhr möglichst reibungslos abgewickelt werden kann. Selbst bei kleineren Bürogebäuden ist es durchaus wert, über Müllkomprimierungsanlagen

nachzudenken,

deren

Anschaffung

durch

die

reduzierten

Abfuhrgebühren durchaus amortisiert werden können. Das zweite Thema, die Versorgung der Mitarbeiter mit Waren des täglichen Bedarfs, hat sehr viel mit der Infrastruktur in unmittelbarer Nachbarschaft des Bürogebäudes zu tun. Das Fehlen dieser Infrastruktur (Läden und Gastronomie) zeigt sich besonders nachteilig bei dezentralen Standorten. Die ersatzweise Schaffung "hausinterner" Versorgungseinrichtungen entschärft zwar die Situation, doch lassen sich diese Einrichtungen unter rein wirtschaftlichen Aspekten (Mieteinnahme für Kantinenflächen) nur in den seltensten Fällen realisieren. 3.2.3.5

Die drei Strukturen

Es ist bereits angeklungen, neben dem großen Planungsgrundsatz "Planen und Bauen für den Menschen" ist ein ganz wesentliches Planungskriterium die Flexibilität und die Nachhaltigkeit (Sustainability). Ein Qualitätsmaßstab, dessen Erfüllung sich wie ein roter Faden von den ersten Planungsschritten durch das gesamte Leben einer Immobilie sogar bis hin zu ihrem Abriss zieht. Echte Flexibilität und Nachhaltigkeit haben ihre Ansätze bereits bei den ersten planerischen Grundgedanken. Eine Gliederung des Gesamtbauwerkes in 3 Grundstrukturen, hilft bei der konsequenten Umsetzung des Gedankens der Flexibilität und Nachhaltigkeit. Bauwerke lassen sich in 3 Strukturen gliedern: x

Primärstruktur (Rohbau mit der wetterschützenden Hülle)

x

Sekundärstruktur (Innenausbau)

x

Tertiärstruktur (Haustechnik).

Jedes Bauelement läßt sich einer dieser 3 Strukturen klar zuordnen und somit auch klar von den anderen Bauelementen abgrenzen. Wichtig ist dabei die konsequente Planung und Ausführung von Schnittstellen, also der Bereiche, an denen sich die Strukturen berühren. Dies gilt nicht nur für die Schnittstellen der drei Strukturen, sondern sollte sich konsequent durch das ganze Gebäude fortsetzen. Beispiel: Ich werde eine leichte Trennwand nur dann wirklich kostengünstig versetzen können, wenn sie auf der Fußbodenkonstruktion steht und unter der abgehängten Decke.

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(Durchdringt die Trennwand die Fußbodenkonstruktion und/oder die Deckenkonstruktion, so muss beim Versetzen der Trennwand zusätzlich im Boden und Deckenbereich nachgearbeitet werden.). Der Grundgedanke sollte also immer sein: "Wie halte ich den Aufwand für den späteren Austausch eines einzelnen Bauelementes so kostengünstig und so umweltverträglich wie möglich." Im folgenden sind die wesentlichen Merkmale der 3 Strukturen aufgezeigt. 3.2.3.5.1 Primärstruktur Rastersysteme Bevorzugte Konstruktionen für Bürobauten sind Stahlbetonskelettbauten. Häufige Verwendung von Stahlskeletten in USA beruhen zum Teil auf "weicheren Vorschriften" hinsichtlich der statischen Festigkeit und hinsichtlich des Brandverhaltens. Skelette bestehen aus Stützen, darüberliegenden Unterzügen, die ihrerseits wiederum Deckenfelder tragen. Hinzu kommen aussteifende Wandelemente, die die Konstruktion gegen horizontale Kräfte sichern. Kerne für Naßzellen, Treppenhäuser, Luftschächte, Aufzüge, etc. können ebenfalls zur Aufnahme von Horizontallasten Verwendung finden. Skelettbau bietet hervorragende Möglichkeiten für Veränderbarkeit und Anpassungsfähigkeit an neue Erfordernisse späterer Nutzungen. Scharfe Abgrenzung zwischen Rohbau und Ausbau. Tragwerk bildet die Primärstruktur oder das Primärsystem. Der Ausbau, die Sekundärstruktur oder das Sekundärsystem. Die Gewerke der Haustechnik bilden danach das sogenannte Tertiärsystem. Die Überlegungen optimale Raumnutzung, Flexibilität, wirtschaftliche Konstruktion führen zwangsläufig zu Rastersystemen. Je nach Wichtung der Schwerpunkte bestehen hier unterschiedliche Ansichten über die Abmessungen der Rasterabstände. Man unterscheidet zwischen Ausbauraster und Konstruktionsraster. Verallgemeinert kann gesagt werden: x

Große Ausbaurasterung (z. B. 1,80 m und größer) = geringere Baukosten, allerdings auch geringere Flexibilität und nur großteilige Räume

x

Kleine Rasterung (kleiner 1,25 m) = höhere Baukosten aber zugleich höhere Flexibilität und kleine Raumaufteilungen.

Ein Rastermaß, welches sowohl ein Maximum an Raumflexibilität und wirtschaftlicher Raumnutzung als auch durchaus vertretbare Baukosten gestattet, ist das Rastermaß von 1,35 m. 4 Einzelraster lassen sich zusammenfassen zum Konstruktionsraster von 5,40 m bzw. 8,10 m bei 6

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Einzelrastern. Das Konstruktionsraster ist also immer ein Vielfaches des Ausbaurasters. Die Systeme sind somit abhängig voneinander. Im Büroflächenbereich des Gebäudes muß es möglich sein, in jeder 1,35-m-Achse eine Bürotrennwand zu stellen. Das heißt, der kleinste mögliche Raum hat eine Breite von 2 x 1,35 m = 2,70 m ./. 0,10 m Wandstärke = 2,60 m. Bei einer lichten Raumtiefe von maximal 5,75 m ergibt dies ein vernünftiges Einzelbüro von 14,95 oder ca. 15 m². Genau die richtige Größe für die konzentrierte Arbeit in einem 1-Mann-Büro und gleichzeitig die minimale Größe um die Arbeitsplätze zweier Sekretärinnen unterzubringen. Das 3-Achs-Büro mit seinen ca. 22,7 m² ergibt bereits ein 1-Mann-Büro mit einer akzeptablen Besprechungsecke

oder

zwei

komfortable

Arbeitsplätze

für

Sekretärinnen.

Den

Erweiterungsmöglichkeiten bis hin zum Großraumbüro sind keine Grenzen gesetzt. Die ideale Gebäudetiefe ergibt sich aus der 10fachen 1,35 m-Achse, wenn man für den Mittelflur einschließlich der Flurtrennwände das Maß von 2,0 m ansetzt, ergibt sich eine Bürotiefe von 5,75 m. Das konstruktive Raster als Basis für die statische Berechnung sollte in der Längsachse 4 Einzelraster, also 5,40 m betragen und in der Querrichtung liegt das Stützenraster außermittig, also bei 5,40 m und 8,10 m, so dass der Mittelflur an den Stützen seitlich vorbei läuft und die Stützen jeweils auf der Raumseite untergebracht sind, wo sie dann entweder sichtbar bleiben oder sehr leicht in Schrankwände integriert werden können. Ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt dieses Konstruktionsrasters von 5,40 m ist, dass es sich im Untergeschoß ideal für die Unterbringungen der PKW-Einstellplätze eignet. 5,40 x 5,40 m sind unter Abzug der Konstruktionsstärke für Stützen die ideale Abmessung für die Unterbringung von zwei PKW-Einstellplätzen. Die Tabellen zeigen Büroraumgrößen in Abhängigkeit vom Ausbauraster. Berücksichtigt man dabei die Tatsache, dass kleinteilige Rasterungen die Baukosten erhöhen, so zeigt die Tabelle, dass ein Ausbauraster von 1,35 m bei einer Raumbreite von 2 Ausbaurastern günstige Abmessungen sowohl für ein Kombibüro (10,50 m²) als auch für ein Zellenbüro (14,00 m²) ergibt.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 96: Raumgrößen in m², resultierend aus verschiedenen Ausbaurastermaßen Gebäude- und Geschosshöhe Mindestanforderung nach Landesbauordnung bzw. Arbeitsstättenverordnung ist eine lichte Raumhöhe für Arbeitsstätten von 2,50 m. Die Raumgröße ist dann begrenzt auf 50 m². Es empfiehlt sich daher eine lichte Raumhöhe von 2,75 m. Die Richtlinien gestatten dann Raumgrößen von bis zu 2000 m². (In Verbindung mit einer mechanischen Be- und Entlüftung).

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465

Um zur Konstruktionshöhe für 1 Stockwerk zu gelangen, müssen ca. 15 cm für den Installationsboden und ca. 20 cm für die Deckenstärke hinzukalkuliert werden. Die Höhe von 40 cm zur Unterbringung der abgehängten Decke mit integrierter Beleuchtung und weiterer haustechnischer Komponenten (Klima) ist als Mindestmaß zu betrachten. Es ergibt sich somit eine Konstruktionshöhe von 3,50 m. Bei 6 Stockwerken also eine Gesamthöhe von 6 x 3,50 m = 21 m. Es verbleibt also noch 1 m bis zur markanten 22 m Linie. Diesen Meter kann man entweder dem Erdgeschoß zuschlagen, so dass dieses eine Konstruktionshöhe von 4,50 m erhält oder 16-cmweise auf sämtliche Geschosse verteilen. Bedeutung der 22-m-Linie: Jedes Gebäude benötigt zwei voneinander unabhängige Rettungswege. Bis zu einer Höhenlage des obersten Geschoss-Fußbodens von 22 m ist der 2. Rettungsweg die Drehleiter der Feuerwehr also: Anleiterbarkeit durch die Feuerwehr = oberster Geschoßfußboden, maximal 22 m über Geländeoberkante. Gebäude, deren oberste Geschoßfußböden deutlich oberhalb der 22-m-Höhe liegen, sind Hochhäuser. Um die für die Errichtung und den Betrieb von Hochhäusern geltenden Gesetze und Vorschriften einzuhalten, sind erhebliche Mehrkosten aufzuwenden. Wetterschützende Hülle Dach Zur Primärstruktur, die man auch als wetterschützende Hülle bezeichnen kann, gehören auch Dach und Fassade. Beide Gebäudekomponenten können völlig separat betrachtet werden und sollten so, wie alle anderen Komponenten auch, mit größtmöglicher Unabhängigkeit geplant und ausgeführt werden. Sind doch gerade diese beiden Komponenten am heftigsten der Witterung und damit dem Verschleiß ausgesetzt, so dass gerade bei diesen Bauelementen wichtig ist, Wartung,

Reparatur

und

ggf.

kompletten

Austausch

von

vorneherein

in

die

Planungsüberlegungen mit einzubeziehen. Auch nur stichpunktartig auf die zahlreichen Ausführungsmöglichkeiten einzugehen, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Fassade In viel stärkerem Maße als die Dachkonstruktion, prägt die Fassade den Charakter des Gebäudes und dieser nimmt wiederum starken Einfluss auf die Einbindung des Gebäudes in sein Umfeld. Technische Entwicklungen im Fassadenbau, aber durchaus auch Modeerscheinungen, zum Teil auch gestützt durch die technischen Entwicklungen, lassen eine nahezu jahrgangsgenaue Einordnung eines Gebäudealters zu. Will man heute einen Trend aufzeigen, so könnte man sagen,

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dass es einen Weg hin zur großflächigen, weitgehend rahmenlos verglasten Fassade gibt. Damit einhergehende

Energieprobleme

werden

durch

hochwertige

Sonnenschutzgläser

und

Beschattungsvorrichtungen (Sonnenschutzanlagen) nach Möglichkeit ausgeglichen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass die Fassadenkonstruktion logischerweise Abhängigkeiten sowohl zum Ausbau- als auch zum Konstruktionsraster hat. Schließlich muss die Flexibilität der Raumaufteilung auch entsprechende Fassadenanschlüsse vorfinden. 3.2.3.5.2 Sekundärstruktur Die

Sekundärstruktur

besteht

im

wesentlichen

aus

den

raumbildenden

(besser:

innenraumbildenden) Elementen. Die mehrfach erwähnte Unabhängigkeit von den übrigen Strukturen ist bei der Sekundärstruktur besonders wichtig, da gerade sie häufig der Gegenstand von Umstrukturierungen und Modernisierungen ist. Maßungenauigkeiten bei der Primärstruktur, selbst solche, die sich außerhalb der zulässigen Toleranzen bewegen, lassen sich durch eine umsichtig gewählte Konstruktion der Sekundärstruktur mühelos ausgleichen. Lässt man die unterschiedlichsten Oberflächenbehandlungen einmal außer Acht, so sind die raumbildenden Elemente, die Decke, der Boden und die Wände. Decke Bei der Behandlung der Decke besteht grundsätzlich die Möglichkeit, die konstruktive Decke gleichzeitig als Raumabschluss zu verwenden. Die Überlegung steht im engen Zusammenhang mit

der

Art

der

Gebäudeklimatisierung.

Es

gibt

Klimatisierungstechniken,

die

die

Speicherkapazität der konstruktiven Baumassen in die Funktion mit einbeziehen. Die unmittelbare thermische Zugänglichkeit der in der Konstruktion vorhandenen Speichermasse ist deshalb unabdingbar, wobei die massiven Decken mit ihrer Betonmasse eine wichtige Rolle spielen. Regelausführung ist heute nach wie vor die abgehängte Decke. Die Decke wird als Hängekonstruktion von der konstruktiven Decke her abgehängt. Unterschieden werden muß in Deckensysteme die akustisch wirksam sind und Systeme, bei denen die akustische Wirksamkeit vernachlässigt ist, also lediglich der Einblick in den darüberliegenden Deckenhohlraum verhindert werden soll. Zur Gewährleistung der Flexibilität der Raumtrennwände (leichte Versetzbarkeit und Austauschbarkeit) muß die abgehängte Decke durchgängig unter der Primärkonstruktion montiert werden.

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Bei richtiger Ausbildung übernimmt die Decke somit die Luftschalldämmung von Raum zu Raum. Akustisch wirksam wird der doppelte Schall-Durchgang. Bei Mängeln in der Schalldämmung liegt hier das Problem selten in der Decke selbst sondern bei den Nebenwegen. Besonderes Augenmerk ist deshalb zu richten auf die Ausbildung der Deckenanschlüsse an die konstruktiven Bauteile sowie auf die Öffnungen innerhalb der Decke. Hier sind es insbesondere die Einbauleuchten, die unbedingt in die Schalldämmungsmaßnahmen mit einbezogen werden müssen. Boden Nach wie vor und mit zunehmender Tendenz wird der Bürobetrieb mit Hilfe von elektrischen / elektronischen Geräten abgewickelt. Der Betrieb dieser Geräte verlangt einen hohen Grad an Starkund Schwachstromverkabelung. Um hier die größtmögliche Flexibilität zu gewährleisten bietet sich die Installation dieser Verkabelung unterhalb eines Doppelbodens an. Im freien Installationsraum unterhalb des Doppelbodens können die Kabel mit großer Flexibilität verlegt werden. Der Zugang zu den Kabeln ist durch Herausnehmen der einzelnen Doppelbodenplatten jederzeit und an jeder Stelle möglich. Die Kabelauslässe (Fußbodentanks) können ebenfalls mit großer Flexibilität (in einem Raster von 60 cm) an nahezu jeder beliebigen Stelle montiert werden. Eine uneingeschränkte Platzierung der Arbeitsplätze und der zugehörigen Büromöbel ist somit sichergestellt. Es gibt andere Systeme der Unterflurverkabelung von Büroräumen (Hohlraumboden, Installationskanäle) die zwar preiswerter sind, aber bei weitem nicht die Flexibilität und Qualität eines hochwertigen Doppelbodens erreichen. Gerade im Hinblick auf den sich immer heftiger vollziehenden Wandel zur Informations- und Dienstleistungsgesellschaft,

werden

Bürogebäude

in

zunehmendem

Maße

multimedial

ausgestattet. Es ist sicherlich nicht überzogen zu sagen, dass die modernen Informations- und Kommunikationstechniken die Arbeitswelt im Büro radikal und mit hoher Geschwindigkeit verändern werden. Diese sich deutlich abzeichnende bzw. bereits eingetretene Realität zu übersehen und im Bereich der Verkabelungsmöglichkeiten nicht allerhöchsten Wert auf Flexibilität zu legen, wäre kurzsichtig und leichtsinnig. Zwischen diesen beiden Ebenen der Sekundärstruktur, also dem Doppelfußboden und der abgehängten Decke, können nunmehr Wandelemente gestellt werden. Wände Abgesehen von den in der Primärkonstruktion enthaltenen Wänden, werden Büroräume heute durch sogenannte leichte Trennwände unterteilt. Bei den im Büroausbau verwendeten

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Trennwänden handelt es sich in aller Regel um Gerippe- oder Montagewände. Die heute verwendeten Leichtbauwände lassen sich in zwei Hauptgruppen unterteilen: x

Metallständerwände mit Gipskartonbeplankung

x

Sogenannte "leicht versetzbare" Elementmontagewände.

Die Gipskartonständerwand wird auf der Baustelle montiert. Nach Fertigstellung der abgehängten Decken bzw. des Deckenputzes, wird ein umlaufendes Rahmengerüst aus verzinkten Blech-UProfilen montiert. Die Wandstärke beträgt in aller Regel 10 cm. Je nach Schallschutzanforderung an die Wand, erfolgt eine einfache oder doppelte Beplankung mit Gipskartonplatten. Für besondere Anforderungen können Wandstärken auch in 75 mm bzw. 125 mm Stärke hergestellt werden. Passend zu diesem Wandsystem gibt es Türzargen und auch Glaselemente. Im Gegensatz zu den meisten leicht versetzbaren Elementtrennwänden, bieten die Gipskartonständerwände den Vorteil, dass sie bei entsprechender Konstruktionsweise auch hohe Brandschutzforderungen erfüllen. Obgleich es in Deutschland bekanntermaßen in jeder Stadt "anders brennt" (zumindest wenn man den Verordnungen folgt), sind in der Regel Flurtrennwände mit Sicherheit dann, wenn es sich um Fluchtwege handelt, mit Brandschutzauflagen versehen. Besonders zu beachten ist dabei, dass es sich stets um die Brandklasse A, also nicht selbstbrennend, handelt. Brandklasse B würde bedeuten, dass der Fluchtweg wegen Rauchentwicklung möglicherweise nicht mehr passierbar ist. Die flexiblen oder leicht versetzbaren Trennwandsysteme werden von verschiedenen Herstellern angeboten. Es gibt hier hervorragende Systeme, die häufig auch in Verbindung mit Einbauschrankelementen stehen. Den Vorteil der leichten Versetzbarkeit sollte man allerdings nicht überbewerten, denn in aller Regel sind auch hier größere Montageleistungen zu vollbringen. Die

wirklich

guten

Systeme

sind

entsprechend

teuer.

Im

Vergleich

zu

einer

Gipskartonständerwand muß man mindestens mit dem doppelten Quadratmeterpreis rechnen und auch hochwertige Systeme überstehen nur eine begrenzte Zahl von Umbauten. Auch bedeutet Flexibilität in diesem Falle ein hohes Maß an Lagerhaltung von Zusatzelementen, Türen, Zargen und Passelementen. Noch ein generelles Wort zum Zusammenspiel zwischen Primär- und Sekundärkonstruktion. Die Entwicklung im Baugeschehen der letzten Jahre hat - ohne, dass dies eine Zielvorgabe gewesen wäre - mehr und mehr dazu geführt, dass die Konstruktion des Innenausbaues weitgehend unabhängig - also ohne zwingende Verbindung - von der Konstruktion der Tragelemente geworden ist. Eine Entwicklung, von der man wünschen sollte, dass sie konsequent weiterverfolgt wird, weil sich hieraus zahlreiche Vorteile ergeben:

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x

Rohbautoleranzen können bei der Durchführung des Innenausbaues ausgeglichen werden.

x

Die Auftragsvergabe kann – sofern man nicht eine totale Einzelvergabe vorzieht – in sauber getrennten Paketen erfolgen (z.B. Tiefbau, Rohbau, Fassade, Innenausbau, Haustechnik, Außenanlagen).

x

Die endgültige Form und Qualität des Innenausbaus, zumindest jedoch die Raumaufteilung, kann zu einem sehr späten Zeitpunkt festgelegt werden, was insbesondere bei spekulativ ausgeführten Bauvorhaben den Vorteil hat, dass der Mieterausbau absolut an die Anforderungen des Mieters angepasst werden kann.

x

Zukünftige Gebäuderenovierungen können auch in umfangreicher Form erfolgen, ohne dass die Primärstruktur hiervon betroffen wird.

3.2.3.5.3 Tertiärstruktur Heizung , Klimatisierung Ersteres benötigen wir unbedingt in unseren Breitengraden. Letzteres unterliegt häufig kontroversen Diskussionen. Bei der Festlegung von Qualitäten ist die Entscheidung hinsichtlich der Klimatisierung von grundlegender Bedeutung. Der Einbau einer Klimaanlage bedingt zahlreiche und erhebliche konstruktive Vorkehrungen in vielen Bereichen des Baukörpers. Obgleich die Klimatisierung eines Gebäudes im Bereich der Tertiärstruktur, also den haustechnischen Einrichtungen eines Gebäudes, angesiedelt ist, beeinflusst sie die Primärstruktur in erheblichem Umfang. Es gibt Bauwerke bzw. Standorte, wo die Gegebenheiten klar für oder gegen eine Klimatisierung sprechen. x

für eine Klimatisierung: Hochhäuser, Großraumbüros, Bereiche, die starken Emissionen ausgesetzt sind

x

gegen eine Klimatisierung: Gebäude in ruhigen Lagen, besonders ausgeglichene Klimazonen.

Zwischen beiden Extremen liegt ein sehr breiter Bereich, in welchem das Für und Wider der Klimatisierung oft heftig diskutiert wird. Pro-Argumente: x

unabhängig von äußeren Witterungseinflüssen, optimales Raumklima,

x

Abschirmung von störenden Umwelteinflüssen (Gerüche, Verschmutzungen, Lärm),

x

Vermietbarkeit an Nutzer, bei denen eine Büroraumklimatisierung zum Selbstverständnis gehört (z. B. aus den USA oder Japan),

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x

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Störunanfälligkeit empfindlicher EDV-Systeme.

Kontra-Argumente: x

höhere Betriebskosten,

x

höhere Herstellungskosten,

x

Verlust potentieller Mieter wegen höherer Miete und Betriebskosten,

x

Nach wie vor für manche Mitarbeiter gewöhnungsbedürftig, deshalb Ablehnung.

Vollklimatisierung bedeutet, dass die Aufbereitung der zur Klimatisierung verwendeten Luft alle zur Verfügung stehenden Behandlungen erfährt. Im Einzelnen sind dies: x

hoher Reinigungsgrad der eingesaugten Luft (Pollenschutzfilter),

x

langsame Luftgeschwindigkeiten, um Zugerscheinungen und Geräuschbildung zu vermeiden,

x

temperaturmäßige Vorkonditionierung der eingeblasenen Luft (Erwärmung, Kühlung),

x

Vorkonditionierung der eingeblasenen Luft hinsichtlich der Luftfeuchtigkeit (Trocknung, Befeuchtung),

x

Feinaussteuerung der eingeblasenen Luft durch raumthermostat-gesteuerte Induktionsgeräte (individuelle Steuerung je Raum),

x

automatische Abschaltung der Luftzuführung bei Fensteröffnung ebenfalls raumweise.

Die raumbezogene Steuerung der Anlage bedeutet ein hohes Maß an Vorkehrungen im Bereich der Installation, um spätere Veränderungen der Raumkonfiguration auch haustechnisch nachvollziehen zu können. Elektro Beleuchtung Die Arbeitsstättenverordnung erfordert eine Beleuchtung am Arbeitsplatz von 500 Lux. Diese Ausleuchtung soll zudem möglichst gleichmäßig sein. Um diese Beleuchtung zu erreichen, eignen sich am besten Leuchtstofflampen, die in Deckeneinbaurasterleuchten montiert werden. Die Rasterleuchten lassen sich hervorragend in Bandrasterdecken, wie sie als abgehängte Decken Verwendung finden, unterbringen. Ein Büroraum von ca. 5,50 m Raumtiefe wird mit 2 Bandrastern auskommen. Das innere Bandraster wird bei klimatisierten Räumen die abzuführende Primärluft der Klimaanlage aufnehmen (Nebeneffekt: Kühlung der Leuchtröhren).

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Um bei späterer Veränderung der Raumaufteilung nicht sämtliche Leuchten neu verdrahten zu müssen, empfiehlt es sich, die Verkabelung der einzelnen Leuchten oberhalb der abgehängten Decke in die Flurbereiche zu verziehen und dort in sogenannten Rangierverteilern durch einfaches Umklemmen die Beleuchtung entsprechend der jeweiligen Raumkonfiguration schalten zu können. Energieversorgung Neben der Beleuchtung sind die Büroarbeitsplätze mit der erforderlichen Elektroenergie zu versorgen. Das Thema Elektroversorgung über Installationsböden wurde bereits behandelt, dennoch sollte an dieser Stelle nochmals deutlich darauf hingewiesen werden, dass angesichts der unaufhaltsamen Fortentwicklung im Bereich Kommunikation und Medien, die Bedeutung der Flexibilität, insbesondere zur jederzeitigen Einbringung von Innovationen, mit allergrößter Deutlichkeit hervorgehoben werden muss. In aller Regel werden Gebäude mit einer Grundausstattung versehen, die die normale Stromversorgung für die üblichen Bürogeräte sicherstellt. Bei einer höherwertigen Ausstattung wird für die Stromversorgung der EDV-Anlagen ein eigenes Netz eingerichtet. Dieses Netz erhält besondere Schutzvorrichtungen, gegen Spannungsschwankungen. Eine nächsthöhere Komfortstufe ist es, wenn diese Netz an eine Notstromversorgung (mit Batteriepufferung) angeschlossen ist. Steckdosen für diese Netze sind in der Regel in einer anderen Farbe (meist orange) ausgeführt und sollten tunlichst nicht für andere Geräte verwendet werden. Ebenso werden Telefonverkabelungen mit entsprechenden Telefonsteckdosen vorgerichtet. Die EDV-Verkabelung wird wegen der unterschiedlichen Arten von Datenkabeln nach wie vor häufig vom jeweiligen Nutzer der Büroräume selbst erstellt. Eine wichtige, jedoch selten konsequent durchgeführte Maßnahme ist es, genaue Planunterlagen über die durchgeführten Verkabelungen, insbesondere im Bereich der Datenkabel zu führen. Andernfalls geschieht es nur allzu leicht, dass Installationsböden oder Installationskanäle in kürzester Zeit von Kabeln verstopft sind, die von nirgendwo nirgendwo hin führen, jedoch nicht entfernt werden, weil man ihnen nicht ansieht, ob sie einer Verwendung unterliegen oder nicht. Beim Auszug eines Mieters aus Büroräumen ist es deshalb eine zwingende Maßnahme, dass sämtliche von ihm verlegte Kabel restlos aus den Installationsbereichen entfernt werden. (Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes).

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Natürlich wurde zwischenzeitlich die Problematik der rigorosen Entfernung von Datenkabeln beim Mieterwechsel erkannt. Zum einen werden hier sehr große Werte vernichtet, die zum anderen auch noch hohe Kosten bei der Entsorgung verursachen. Sorgfältige, voraussschauende Planer und gewissenhafte Bauherren gehen deshalb dazu über, eine Basisversorgung mit Datenkabeln zu erstellen, in deren System sich der spätere Nutzer (Mieter) mit seinen Geräten nur noch einzustecken hat. Einerseits besitzen derartig ausgerüstete Gebäude einen gewissen Wettbewerbsvorteil auf dem Markt, schließlich spart der Nutzer bei der Anmietung erhebliche Kosten für die Verkabelung ein, zum anderen allerdings, ist der Nutzer gezwungen, sich aufgrund der vorgegebenen Verkabelungen, zumindest in einer gewissen Bandbreite, sich mit seinen Geräten einzurichten. Zudem wird die Flexibilität hinsichtlich der Größen der Mieteinheiten eingeschränkt, da die Größen weitgehend durch die installierten Datenkreise vorgegeben sind. Sanitär Die Tertiärstruktur des Gebäudes wäre nicht vollständig behandelt, wenn nicht auch über diesen Bereich gesprochen werden würde. Wer sich mit der Vermietung und Vermarktung von Bürogebäuden beschäftigt, wird wissen, dass fast alle Mietinteressenten ihre Eindrücke von der anzumietenden oder zu erwerbenden Immobilie in folgenden Stufen sammeln: x

Äußerer Eindruck (Fassade)

x

Eingangshalle, Empfang, Treppenhaus bzw. Aufzugsanlagen

x

Sanitärräume.

Erst danach erfolgt die Bewertung der sonstigen Kriterien. Eine statistische Erhebung darüber, wie häufig der Blick hinter die Türen mit den Symbolen für männlich bzw. weiblich über Anmietung oder Kauf entscheiden, ist nicht bekannt, doch wäre das Ergebnis sicherlich hochinteressant. Abgesehen davon: Wir bauen für den Menschen und gerade deshalb sollte hochwertiges Bauen und Qualität vor diesem Bereich nicht halt machen. Wir brauchen keine "vergoldeten Armaturen" aber wartungsfreie Qualitäten, die eine hohe Lebensdauer versprechen, sollten schon verwendet werden. Das gleiche gilt für das Sanitärporzellan und die übrigen kleinteiligen Einrichtungsgegenstände: x

Lebensdauer (Alterungsbeständigkeit)

x

Wartungsfreundlichkeit bzw. Wartungsfreiheit

x

Optimale Sauberhaltung.

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Naßzellen werden vorzugsweise in Innenzonen, also ohne natürliche Belichtung errichtet, das bedeutet künstliche Belichtung mit guter Ausleuchtung (Schminkspiegel). Separate Schaltungen, idealerweise über Bewegungsmelder, der einzelnen Kabinen (sparsame Mitarbeiter versetzen sonst unter Umständen beim Verlassen des Raumes die gesamte Anlage in Dunkelheit ohne Rücksicht auf eventuell weitere Anwesende). Wegen der Innenlage ist eine optimale Lüftungsanlage erforderlich. Leichte Geräuscherzeugung der Lüftungsanlage ist erwünscht. Apropos Lüftung und Geräusch, es gibt Trennwandprodukte - und sie werden von Bauherren, die hier am falschen Platz sparen, auch tatsächlich verwendet - die der sinnlichen Wahrnehmung bis hin zu Sehen, keinerlei Widerstand entgegen setzen. Die Kosten für eine leichte Massivwand beiderseits gefliest und eine solide Kabinentür nehmen vom gesamten Baukostenbudget einen fast nicht auszudrückenden dezimalen Prozentwert ein, sodass an dieser Stelle nun wirklich nicht gespart werden muß. Warmwasser gehört heutzutage zum Standard, allerdings ist es in Bürogebäuden nicht erforderlich,

eine

zentrale

Warmwasserversorgung

zu

haben.

Dezentrale

Untertischwarmwasserspeicher sind völlig ausreichend. Dafür sollte man nicht auf den Fußbodeneinlauf und das Zapfventil mit Schlauchanschluß für die Großreinigung verzichten. Beim Wandbelag muß es nicht deckenhoher Naturstein sein, eine hochwertige, weiße Verfliesung auf Wand und Boden, evtl. sogar im gleichen Format und in gleicher Qualität genügt vollauf. Die ausreichende Zuteilung von WC-Anlagen für jede separate Mieteinheit sollte vorhanden sein, die gemeinsame Nutzung durch mehrere Mieter ist nach Möglichkeit zu vermeiden. Ebenfalls jeder Mieteinheit zugeteilt, sollten eine Teeküche und ein Putzraum sein. Bei entsprechend großen Mieteinheiten kann die Teeküche durchaus mit Bistrotischen oder sogar mit Tischen und Stühlen ausgestattet sein. Sofern im Gebäude oder in unmittelbarer Nachbarschaft keine Kantine vorhanden ist, ist dies immernoch eine bessere Lösung als die Einnahme von Mittagessen zwischen den Akten auf dem eigenen Schreibtisch. Ganz abgesehen von der Aufwertung der Teeküche zur Kommunikationsfläche. Aufzüge Nur der Vollständigkeit halber noch ein paar Worte über die Vertikalfördermittel. Bürohäuser sollten generell mit Aufzugsanlagen ausgestattet sein. Neben einer ansprechenden und übersichtlichen Kabinenausstattung sollte bei einer Gebäudenutzung durch mehrere Mieter die Etagenbeschilderung im Aufzug nicht fehlen. Ein Spiegel in der Kabine und kratz- und beschriftungsunfreundliche Kabinenverkleidungen reduzieren den Vandalismus.

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Entscheidend für den Komfort einer Anlage ist die Wartezeit. Die Planer rechnen hier für eine hochwertige Anlage mit einer maximalen Wartezeit von 30 Sekunden. Die Fördergeschwindigkeit als solche - außer bei Hochhäusern - ist von geringerer Bedeutung als zum Beispiel die Öffnung durch Teleskoptüren, die schon in der Einfahrtsphase mit dem Öffnungsvorgang beginnen. Unsere Gebäude werden größer, höher, komplexer. Damit steigen auch die Anforderungen an die Planung der Architekten und Ingenieure hinsichtlich der Aufzugsanlagen. Faustregel der Planer: 15% der Nutzer des Gebäudes müssen innerhalb von 5 Minuten befördert werden können. Die Fahrtzeit von der untersten bis zur obersten Etage darf nicht länger als 2 Minuten dauern. Positionierung und Anzahl der Aufzugsschächte bestimmen wesentlich den Gebäudegrundriss eines Hochhauses. Grundrisse hoher Gebäude zeigen, dass mehr als 30% der Bruttogeschossfläche für Aufzugsanlagen zur Verfügung stehen müssen. Die Herausforderung an die Planer ist es, mit diesen Zwangsvorgaben möglichst effektiv nutzbare (vermietbare) Grundrisse zu erarbeiten. Die Stoßzeiten des "Füllbetriebes" und "Entleerungsbetriebes", insbesondere bei Hochhäusern, stellen die größte Herausforderung für die Planer dar. Die Anforderungen an die Anlagen, aber auch der Wettbewerb zwischen den Anlagenherstellern, führen zu weiteren Optimierungen der Anlagen. Eine Neuentwicklung heißt "Zielwahlsteuerung". Der Nutzer gibt an der Starthaltestelle die beabsichtigte Zieletage ein und bekommt dann diejenige Aufzugsanlage zugewiesen, die ihn auf dem kürzesten Wege (möglichst ohne Zwischenhalt) an das gewünschte Ziel befördert. Die Sammlung der Nutzer mit derselben Zielhaltestelle erhöht die Förderleistung erheblich. Zu jeder Aufzugsgruppe gehört mindestens ein Lastenaufzug, der gleichzeitig behindertengerecht ausgelegt ist und zudem auch in der Lage ist, eine Krankentrage aufzunehmen. Wie für alle haustechnischen Einrichtungen, ist die Qualität und Preiswürdigkeit der Wartung ein wesentliches Entscheidungskriterium für die Auftragsvergabe. 3.2.3.6

Zukunftsaspekte

Einsam im Team? Wenn wir zukünftige Ereignisse und Funktionen bereits heute kennen würden, wären sie schon keine Zukunft mehr sondern wir würden uns gegenwärtig bereits darauf einrichten. Das gilt für alle Lebensbereiche. In unserem speziellen Fall würden wir also die Konzeption, die Planung, den Bau und die Einrichtung von Büroräumen so vornehmen, wie sie den, uns dann ja bekannten, Anforderungen entsprechen würden. Dennoch oder gerade deshalb ist es wichtig, dass wir, die wir unser Arbeitsfeld im Bereich der Immobilie haben, stets die Hand am Puls des Geschehens behalten, neue Trends aufgeschlossen, aufmerksam und dennoch mit der nötigen Portion Skepsis und Umsicht betrachten. Ein

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unverkäufliches

Design

von

Schokoladenosterhasen

läßt

sich

notfalls

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in

Schokoladenweihnachtsmänner umschmelzen. Eine Immobilieninvestition hat eine längere Lebensdauer und erfordert einen höheren Kapitaleinsatz. Es wäre also verantwortungslos, hier jedem sich abzeichnenden Trend folgen zu wollen ohne sorgfältige Analysen angestellt zu haben. Einige der Fakten, die auf unser Produkt Büroimmobilie verstärkt Einfluss nehmen werden, sind uns bekannt: x

Der Transport von Wissen und Ideen wird immer schneller, umfassender und zugleich kostengünstiger als jemals zuvor.

x

Zugleich wird die Halbwertzeit unseres Wissens immer kürzer.

x

Viele Menschen können zumindestens einen Teil ihrer beruflichen Arbeit Zuhause abwickeln.

x

In vielen Berufssparten ist die Präsenz am Arbeitsplatz nicht mehr gleichbedeutend mit der Effektivität der geleisteten Arbeit.

Die Folgen dieses Wandels bleiben nicht aus. Es entsteht eine wachsende Anzahl von "Büronomaden". Als Planer sollten wir dennoch realistisch bleiben. Die Schar der "ModemCowboys" wird sich in Grenzen halten. Die Zahl derer, die ihre Arbeit mit Freizeit und umgekehrt verquicken können, wird sich in einer überschaubaren Größe halten. Diese Idee klingt so fantastisch und erstrebenswert, dass sie von Medien und Trendforschern nur allzu gerne überzogen dargestellt wird. Natürlich gibt es in der modernen Büroarbeitswelt eine zunehmende Zahl von "Telearbeitern". Der größte Teil von ihnen sind sogenannte mobile Telearbeiter. Sie arbeiten an wechselnden Orten im Außendienst oder in den Betrieben ihrer Kunden oder Lieferanten. Nur eine geringe Zahl der Telearbeiter erbringt die Leistung ausschließlich Zuhause. Wenngleich die hierdurch nicht mehr genutzte Bürofläche (zumindest in Bürogebäuden nicht genutzte Bürofläche) sicherlich etliche 100.000 m² betrifft, so bedeutet dies noch lange nicht das Aus für die Büroimmobilie. Allerdings ist es sicherlich richtig, diese Entwicklung zum Denkanstoß für neue Planungen zu wählen. Ich bin sicher, dass das Büro der Zukunft nach wie vor der Unternehmensidentifizierung dienen wird. Man wird einen Ort brauchen, um Kollegen zu treffen, um mit Geschäftspartnern die persönliche Begegnung zu haben. Geschäfte werden immer noch zwischen Personen abgewickelt und das Gelingen eines jeden Projektes hängt sehr stark von den Persönlichkeiten ab, die damit befaßt sind. Man wird einen Ort brauchen, um der Vereinsamung zu entfliehen und um Selbstwertgefühl "aufzutanken".

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Es besteht kein Zweifel daran, dass das Bürogebäude der Zukunft eine noch größere Flexibilität aufweisen wird. Mit anderen Worten: Der Raum, der am Morgen noch für eine Projektbesprechung genutzt wurde, könnte am Nachmittag bereits in mehrere Einzelbüros aufgeteilt sein, in welchem konzentrierte Denkarbeit von Einzelpersonen geleistet wird. Versierte und vorausschauende Planer, unterstützt durch zukunftsorientierte Forschung, werden alles daran setzen, dass die heute von ihnen geplante Büroimmobilie auch den heute noch unbekannten Innovationen Raum und Inhalt bieten wird. Darum an dieser Stelle und noch einmal mit allem Nachdruck: Einer der wesentlichsten Qualitätsmaßstäbe einer Büroimmobilie ist ihre Flexibilität, durch welche sichergestellt wird, dass das Objekt allen zukünftigen Anforderungen weitgehend gerecht wird.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.3 Weiterführende Literatur Bullinger, H.-J.: Zukunftsoffensive OFFICE 21: Büroarbeit in der dotcom-Gesellschaft gestalten, Fraunhofer – IAO (Hrsg.), Köln 2000. Grosz, A./Witt, J.: Living at Work, München/Wien 2004. Harriehausen, C.: Die Bürolandschaft in Deutschland verändert sich, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 5. Dez. 2004, S. V15. IHK Berlin, Deutscher Werkbund Berlin e.V. (Hrsg.): Büroarbeit von morgen in den Büros von heute?, Berlin 1997. Philipp Holzmann AG (Hrsg.): Gebäude von morgen, Frankfurt 1996. Spath, D./Kern, P.: Office 21 – Mehr Leistung in innovativen Arbeitswelten, Fraunhofer – IAO (Hrsg.), Köln 2004.

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Bauten für Handel

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Barbara Walzel, Monika Trabzadah, Silke Wittig 3.2.4.1 3.2.4.2

Einführung Entwicklung des Einzelhandels 3.2.4.2.1 Vom Marktplatz zum Urban Entertainment Center 3.2.4.2.2 Passagen und Warenhäuser 3.2.4.2.3 Shopping Center in den USA 3.2.4.2.4 Shopping Center in Deutschland 3.2.4.3 Beziehung zur Stadt 3.2.4.3.1 Der Standort: Erfolgsfaktoren für einzelhandelsgenutzte Immobilien 3.2.4.3.2 Centertypen und ihre Bedeutung für die Stadtentwicklung 3.2.4.4 Baurecht 3.2.4.4.1 Planungsrechtliche Grundlagen für die Zulassung von Handelsimmobilien 3.2.4.4.2 Schaffung von Planungsrecht für Handelsbetriebe 3.2.4.4.3 Besonderheiten bei der Genehmigung von Handelsimmobilien 3.2.4.5 Gebäudekonzeption 3.2.4.5.1 Architektur und Gestaltung einer geplanten Handelsimmobilie 3.2.4.5.2 Funktionskonzept und Flächenmix 3.2.4.5.3 Flächendefinitionen 3.2.4.6 Baukostenkalkulation 3.2.4.7 Vermietung und Vermarktung 3.2.4.7.1 Kriterien für die Miet- und Kaufpreisfindung im Handel 3.2.4.7.2 Besonderheiten in der Mietvertragsgestaltung 3.2.4.7.3 Centermanagement 3.2.4.8 Neue Handelsformen und Handelsstandorte 3.2.4.9 Ausblick Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.4

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3.2.4

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Bauten für Handel

Barbara Walzel, Monika Trabzadah, Silke Wittig 3.2.4.1

Einführung

„Handel ist Stadt: Diese Aussage kennzeichnet zwar nicht alle Aspekte der Stadt, fixiert jedoch eines ihrer wesentlichen Merkmale. Mit dem Kommerz ist auch ein erheblicher Teil des öffentlichen Lebens verzahnt: Kommunikation und Geselligkeit, Kultur und Traditionsbewusstsein sowie die Repräsentation.“ (Brune, S. 95). Der Handel als Stadtbaustein hat eine wesentliche Funktion für die Nutzungsmischung einer Stadt. Einzelhandel, Kultur- und Freizeitangebote sind die Faktoren, die das Wohnen und Arbeiten in der Stadt ermöglichen. Vom kleinteiligen Angebot der inhabergeführten Fachgeschäfte über die großen Konsumtempel der Warenhäuser in ihrer Blütezeit bis hin zu den Shopping Centern als moderne Ikonen des Kommerz – die Vielfalt der Handelsbauten ist geprägt durch die verschiedenen Nutzungen und den Wandel im Verhalten von König Kunde. Einzelhandel erzeugt bzw. fördert urbane Bedingungen wie Dichte, Frequenz und Mischung. Zu Recht werden dem Handel stadtbildende Funktionen zugesprochen, denn städtisches Leben, urbane Attraktivität und Multifunktionalität sind ohne Handel kaum vorstellbar. Im Zuge des Strukturwandels im Einzelhandel und hier vor allem der Suburbanisierung der Handelsstandorte hat der Handel jedoch viel von seiner stadtbildenden Funktion verloren. Das Verhältnis von Stadt und Handel hat sich verändert. Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich mit dem Einzelhandel und seinen unterschiedlichen Ausprägungen, von den Fachgeschäften und Filialisten in den 1a-Lagen der Innenstädte über die Nahversorgungsstrukturen von Fachmärkten in Stadtteillagen bis zu den überregionalen Shopping Centern, die – in ihren Ursprüngen nach amerikanischem Vorbild geformt – das aktuelle Angebot bestimmen. Es wird dabei auf die jeweiligen Besonderheiten eingegangen im Hinblick auf den Standort mit seinen Bestimmungs- und Erfolgsfaktoren, die Architektur und Gestaltung mit den damit verbundenen Funktionalitäten (Branchen- und Mietermix) sowie die Vermietung, Vermarktung und das Management. Was verstehen wir unter Handel? Handel bedeutete ursprünglich die Übertragung materieller bzw. (be)greifbarer Dinge in Form des Tausches. Im Wort Handel verbirgt sich nicht von ungefähr der Begriff Hand. Er zeigt zudem eine unmittelbare Verwandtschaft mit verhandeln, aber auch handeln im Sinne von tun. Handel war, ist und bleibt stets planmäßige Aktion. Etwa auf Verhandlung beruhender Güteraustausch von Hand zu Hand oder anders: von Angesicht zu Angesicht.

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Der Begriff Handel wird sowohl funktionell als auch institutionell verstanden. Im funktionellen Sinne ist er die wirtschaftliche Tätigkeit, die den Austausch der Betriebsleistungen zwischen den Wirtschaftseinheiten vollzieht. Im institutionellen Sinne umfasst er die Betriebe, die ausschließlich oder überwiegend Handel im funktionellen Sinne betreiben. Einzelhandel im funktionellen Sinne ist die wirtschaftliche Tätigkeit des Absatzes von Waren an Letztverbraucher; er umfasst die Betriebe, die ausschließlich oder überwiegend dieser Tätigkeit nachgehen. Betriebsformen oder auch Betriebstypen des Einzelhandels im institutionellen Sinne werden vor allem durch Branche (Sortiment, Preisniveau, Bedienungsform), Fläche (Geschäfts- und Verkaufsfläche), Standort und Filialisierung beschrieben. Einzelhandelsbetriebe können im Wesentlichen wie folgt gegliedert werden: Fachgeschäfte, Spezialgeschäfte, Kaufhäuser, Warenhäuser, Gemeinschaftswarenhäuser, Diskont-Geschäfte (Discounter), Supermärkte sowie Verbrauchermärkte und Selbstbedienungswarenhäuser (vgl. Katalog E, S. 28 u. 41). Ob auch Shopping Center als Betriebsform des Einzelhandels bezeichnet werden können, ist in Deutschland umstritten. Einige Experten sind der Ansicht, ein Shopping Center sei keine reale Betriebsform wie beispielsweise ein Warenhaus oder ein Fachgeschäft. Vielmehr setze es sich aus verschiedenen Betriebsformen zusammen, sei letztlich eine Mischung aus den diversen Betriebsformen. Andere betrachten Shopping Center dann als eigenständige Betriebsform, wenn die unternehmerische Funktion des Centermanagements stark ausgebildet ist, d.h. das Management ist für die einzelnen Mieter mitverantwortlich und kann in entscheidendem Maße die Anpassung an Marktveränderungen beeinflussen. 3.2.4.2

Entwicklung des Einzelhandels

3.2.4.2.1 Vom Marktplatz zum Urban Entertainment Center Seit dem 20. Jahrhundert verlieren die Städte in einem bis heute andauernden Prozess der Segregation und der Suburbanisierung Stadtbausteine wie Industrie, Gewerbe und Handwerk, aber auch Büroarbeitsplätze und vor allem das Wohnen. Allein der Einzelhandel behält nach wie vor einen Schwerpunkt in der Stadt: Ohne einen gut funktionierenden, erfolgreichen Einzelhandel sind die Innenstädte zum Aussterben verurteilt. Und wenn die Attraktivität einer Innenstadt nachlässt, zieht der Handel an den Stadtrand oder verlässt die Region sogar ganz. Presseschlagzeilen wie „Verödung der Innenstädte“, „neue Identitäten für die Innenstädte schaffen“ ebenso wie Initiativen nach dem Vorbild von „Ab in die Mitte“ oder die Schaffung von „Business Improvement Districts“ deuten auf die derzeitigen Probleme hin. Damit Handel entstehen kann, ist eine größere Ansammlung von Menschen und damit potenziellen Kunden notwendig. Neben dem innerstädtischen Marktplatz hat sich der Handel entlang der

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stark frequentierten Verkehrswege entwickelt, so z.B. entlang der historisch belegten „Alten Salzstraße“ (Handelsweg zwischen Lüneburg und Lübeck) und der „Seidenstraße“ (von China durch Zentralasien bis zum Mittelmeer). Der westfälische „Hellweg“ in Dortmund ist noch heute eine der großen Einzelhandelsadressen in Deutschland. Dabei findet Handel grundsätzlich in zwei unterschiedlichen Erscheinungsformen statt. Der stationäre Händler bietet seine Waren in festen Gebäuden an; seine Kunden kommen zu ihm. Im Mittelalter wurden in den „Ladenstraßen“ und -gassen einer Stadt die verschiedenen Waren nach Zünften und Gilden getrennt voneinander angeboten: so gab es die Straße der Bäcker, der Ledergerber oder der Goldschmiede. Diese Gruppe von Einzelhändlern zog mit ihren Ladengeschäften im 19. Jahrhundert in die Erdgeschossflächen der dichtbelegten Miethäuser ein. Vermutlich stammt aus dieser Zeit auch der Begriff „Laden“ für ein Einzelhandelsgeschäft. Die Handels- und Produktionsflächen im Erdgeschoss wurden durch Öffnen des Fensterladens zugänglich gemacht. Der nicht-stationäre Einzelhändler war zunächst der „fliegende Händler“. Er zog von Stadt zu Stadt, von Handelsort zu Handelsort und brachte neben einem zumeist bunten Warensortiment auch neueste Nachrichten, Gerüchte und Geschichten mit. Heute unterscheidet man im nichtstationären Handel besonders den Versandhandel und auch die aktuellen Formen des Internethandels vom klassischen Einzelhandel. Der Marktplatz als zentraler Handelsort ist so alt wie die Menschheit. Die Vorteile des Schutzes der Handelsgüter vor Wind und Wetter lagen auf der Hand, und daher sind Überdachungen, Arkaden und auch Frei-Haus-Lieferungen schon seit der Antike bekannt. Eine kulturelle Weiterentwicklung der Ladenstraße und des Marktplatzes stellt die einheitlich geplante und gestaltete Passage oder Galerie dar. 3.2.4.2.2 Passagen und Warenhäuser Über die Jahrhunderte bis heute haben sich einige typische Formen von Handelsimmobilien nebeneinander entwickelt. Unterschiedliche Schwerpunkte prägen sie. Das Wort Passage kommt aus dem französischen Sprachgebrauch und bezeichnet dort die engen Privatstraßen, die das Innere größerer Baublöcke erschließen. Im baugeschichtlichen Zusammenhang bezeichnet die Passage einen zwischen belebten Straßen hindurch geführten, glasüberdachten Verbindungsgang, auf beiden Seiten gesäumt von einzelnen Geschäften. Läden, Werkstätten, Büros und Wohnungen können in den oberen Geschossen angesiedelt sein. Die Passage ist nur dem Fußgänger zugänglich. Sie bietet ihm Abkürzung, Verkehrserleichterung und Schutz vor der Witterung. In anderen europäischen Sprachen wird das Wort Passage oft durch folgende Worte ersetzt: Arcade, Bazar, Boulevard, Colonnade, Corridor, Galerie, Galleria, um nur die gängigsten zu nennen. Namen von Orten, Personen oder lokalen Besonderheiten werden ergänzend hinzuge-

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fügt, um eine Passage zu bezeichnen, so zum Beispiel Kö-Galerie, Spandau-Arcaden oder HanseViertel. Sie alle bezeichnen jedoch denselben Bautyp. Als Bautyp ist die Passage eine Erfindung des späten 18. Jahrhunderts. Ihre Blütezeit erlebt sie in den nachfolgenden 150 Jahren bis zum Ersten Weltkrieg. Später taucht sie in abgewandelter Form in den Shopping Centern Nordamerikas auf und wird dann mit einer zeitlichen Verzögerung von ein bis zwei Jahrzehnten auch in Europa wieder aktuell, wo sie seit den 1980er Jahren eine Renaissance in den Stadtzentren erlebt. Ein Vorbild hat die Passage in den orientalischen Basaren, die wiederum stark vom Aufbau der islamischen Stadt beeinflusst sind. Eine Definition aus Sicht des Planers bietet Geist: „Die Passage ist eine Organisationsform des Detailhandels. Sie ist das Angebot öffentlichen Raumes auf privatem Gelände ... (Ihr) Angebot soll sich umsetzen in den geschäftlichen Erfolg der Mieter der Räume der Passage und damit ihres Eigentümers.“ Seit ihren Anfängen ist die Passage „im hohen Maße abhängig von dem städtebaulichen Zusammenhang, in den sie eingebettet ist. Sie kann nur existieren, wenn sie im Hauptgeschäftsgebiet der Stadt liegt und zwei möglichst gleich stark frequentierte Straßen miteinander verbindet“ (vgl. Geist, S. 12). Auch moderne Passagen greifen das gestalterische Mittel eines gedachten Außenraums als Innenraum auf. Die Fassade mit ihrer Außenarchitektur wird quasi in das Innere des Gebäudes hineingezogen. Dem Besucher soll der Eindruck vermittelt werden, an einer Häuserfront mit Schaufenstern unterschiedlicher Einzelhandelsgeschäfte vorbei zu gehen – so wie es auch die Shopping Center suggerieren. Vor etwa 200 Jahren erhielt in Paris als eine der ersten Passagen die Galérie Vitrée eine Überdachung aus Glas, um Tageslicht einzufangen und mehr Atmosphäre im Inneren zu bieten. In den nächsten Jahren entstanden in den großen europäischen Städten wie Paris, London, Mailand und Berlin prachtvolle Passagen und Galerien. Bis heute sind die Burlington Arcade in London oder die Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand sehenswerte Höhepunkte der damaligen Architektur. In zunehmendem Maße übernehmen die Passagen im ausgehenden 19. Jahrhundert auch kulturelle Aufgaben. In ihren Lesekabinetten und Panoramen treffen sich die Menschen, verweilen und tauschen sich aus. Die Passagen werden in den Städten zu zentralen Treffpunkten der Gesellschaft. Gleichzeitig werden technische und architektonische Details weiterentwickelt. Neue Materialien und bauliche Möglichkeiten prägen zum Beispiel die Glasdachkonstruktionen, die immer gewagter werden. Der Handel, der sich in den erdgeschossigen Flächen etabliert hat, drängt in die Mehrgeschossigkeit. Mit ihrem immer größer werdenden Raum- und Warenangebot sind die Passagen die Vorläufer der Warenhäuser. Mit der Industrialisierung der Textilwirtschaft wird die Konfektionierung der Bekleidung geschaffen. Dies führt zur Gründung der klassischen Kaufhäuser, die als größere Einzelhandelsbetriebe Waren einer oder mehrerer Branchen anbieten (z.B. Herrenausstatter) und später zu Warenhäusern weiterentwickelt werden.

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Eine umfassende Definition liefert das Institut für Handelsforschung (IfH): „Das Warenhaus ist ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb, der in der Regel auf mehreren Ebenen breite und überwiegend tiefe Sortimente mehrerer Branchen mit tendenziell hoher Serviceintensität und mittlerem bis hohem Preisniveau an Standorten in der Innenstadt oder in Einkaufszentren anbietet. Die Warensortimente umfassen überwiegend Nichtlebensmittel der Bereiche Bekleidung, Heimtextilien, Sport, Hausrat, Einrichtung, Kosmetik, Schmuck und Unterhaltung. Dazu kommen Dienstleistungssortimente der Bereiche Gastronomie, Reisevermittlung und Finanzdienstleistungen. Die Verkaufsmethode reicht von der Bedienung (z. B. im Unterhaltungsbereich) über das Vorwahlsystem (z. B. Bekleidung) bis zur Selbstbedienung (z. B. bei Lebensmitteln). Die amtliche Statistik erfasst diese Erscheinungsform als Warenhaus, wenn sie eine Verkaufsfläche von mindestens 3.000 m² hat.“ In Europa wurden um 1860 die ersten Warenhäuser gegründet, wobei Paris eine Vorreiterrolle einnahm. Der Schriftsteller Zola schildert 1882 in seinem, auf der Entstehung des Pariser Warenhauses "Au Bon Marché" basierenden Roman "Au Bonheur des Dames" (Das Paradies der Damen) eindrucksvoll die neuartigen Organisationsprinzipien des Warenhauses, aber auch das Elend der Angestellten und die Verdrängung der kleinen Ladenbesitzer im Einzugsgebiet der Warenhäuser, die mit den niedrigen Preisen der dort in großer Stückzahl verkauften Industrieprodukte nicht mehr Schritt halten konnten.

Quelle: Frei 1998, S. 83

Abbildung 97: Warenhaus Tietz am Alexanderplatz, Berlin

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In Deutschland wurden um die Jahrhundertwende die ersten Warenhäuser gebaut. Das von dem Architekten Messel (1853-1909) am Leipziger Platz in Berlin entworfene und 1892 eröffnete Warenhaus Wertheim war eines des größten Europas. In Berlin entstanden das ebenfalls sehr prachtvoll gestaltete Warenhaus Tietz am Alexanderplatz (1904) (vgl. Abbildung 97), das Kaufhaus des Westens am Wittenbergplatz (1907) und das Warenhaus Karstadt am Hermannplatz (1929). Als Massenumschlagsplätze strukturierten diese Flaggschiffe der Warenhauskonzerne auch die Verkehrsflüsse in den Städten, wurden gleichermaßen zu notwendigen Versorgungseinrichtungen der Bevölkerung wie zu touristischen Attraktionen. Das Warenhaus schien zunächst viele Vorteile gegenüber den Galerien und Passagen zu haben. Denn im Gegensatz zu den Passagen gab es in den Warenhäusern ein genau aufeinander abgestimmtes Sortiment. Die Einkaufsqualität wurde außerdem gewährleistet durch das Verkaufspersonal, welches sich in allen Abteilungen des Hauses bestens auskannte. Durch den zentralen Einkauf in größeren Mengen konnten auch die Preise sehr viel attraktiver als in den vielen einzelnen Geschäften einer Passage gestaltet werden. Auch setzten sich neue Verkaufsprinzipien durch: Warenhäuser boten mehr Kulanz, offerierten Umtausch- oder Rückgaberecht und führten neue Formen der Werbung ein wie Lichtreklame, Zeitungsannoncen oder Sommer- und WinterSchlussverkäufe. Und – ähnlich wie die Shopping Center – setzten auch die ersten Warenhäuser bereits auf eine weithin große Sichtbarkeit, geprägt durch großzügige und in ihrer Formensprache sehr eindeutige Eingänge. In den 1960er Jahren übernahmen die Warenhäuser in den ersten deutschen Shopping Centern (Ruhrpark in Bochum und Main-Taunus-Zentrum in Sulzbach) die sog. Ankerfunktion (anchor store), d.h. sie konnten mit ihren überregional bekannten Markennamen und ihren umfassenden Sortimenten die Funktion des Kundenmagneten ausfüllen. Spätestens seit Beginn der 1990er Jahre wird jedoch nach Ideen und Möglichkeiten gesucht, dem Warenhaus wieder zum Glanz früherer Zeiten zu verhelfen. Nachdem im Zeitraum 2000 bis 2008 die beiden größten Warenhausunternehmen Karstadt und Kaufhof, die nach den Übernahmen von Hertie (1993 durch Karstadt) und Horten (1994 durch Kaufhof) eine marktdominante Stellung besaßen, hat sich in jüngster Vergangenheit gezeigt, dass konventionelle Kaufhäuser nur noch wenig Akzeptanz bei den Konsumenten finden. Dies wurde auch durch die Insolvenzen von Woolworth im Jahr 2009 und der Hertie GmbH ein Jahr davor bestätigt. Auf der Suche nach neuen Investoren sollen Ideen wie Themenwelten als Zukunftsinvestition umgesetzt werden. 3.2.4.2.3 Shopping Center in den USA Ähnlich wie in Europa entstanden im 19. Jahrhundert in US-amerikanischen Städten wie Chicago, New York, Boston und Philadelphia große Warenhäuser, die im Sinne des „alles-unter-einemDach“ eine Vielzahl von Artikeln des täglichen Bedarfs, vor allem aber die Luxusartikel der Zeit

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anboten. Kaufhausmagnaten wie Marshall Field, R.H. Macy und John Wanamaker versuchten sich gegenseitig durch architektonisch außerordentliche Bauwerke zu übertrumpfen und hießen mit neuen Marketingideen den Kunden König. Die Amerikaner, deren große Städte erst kurz zuvor gegründet worden waren, zogen in die Vorstädte. Das Auto ebenso wie öffentliche Verkehrsmittel ermöglichten das schnelle Erreichen der Arbeitsplätze in der Stadt und gleichzeitig das Wohnen im Grünen. Und während man einen monatlichen Einkaufsbummel in die große Welt der Warenhäuser in der Innenstadt unternahm, kaufte man die Artikel des täglichen Bedarfs in den kleinen Geschäften auf den Main Streets der suburbanen Ansiedlungen. Diese Geschäfte wurden in die städtebaulichen Strukturen eingebunden und architektonisch attraktiv gestaltet – bildeten sie doch die Stadtkerne der neuen Siedlungen. Schon 1896 wurden in Roland Park, einem Vorort von Baltimore, mehrere kleine Geschäfte in einem großen Gebäude untergebracht, welches zudem einen Parkplatz direkt hinter dem Haus hatte. 1916 wurde in Lake Forest im Großraum Chicago ein gestalteter Platz mit kleinen Geschäften angelegt und Market Square genannt. In den 1920er Jahren, als in den USA die Bedeutung des Autos und die damit verbundene Mobilität der Bürger einen ersten Höhepunkt erreichte, entstanden die Vorläufer der Shopping Center. Country Club Plaza, 1922 in Kansas City eröffnet, besaß bereits einige der später in der Definition eines Shopping Centers wesentlichen Charakteristika. Es hatte eine einheitliche Architektur der Ladenfronten, rundum Grünflächen und bot jedem Besucher freies Parken. Als wichtigstes Kriterium wurde bereits das gemeinsame Management und Marketing für alle Laden- und Parkflächen erkannt und umgesetzt. Wie unterscheidet sich nun ein Shopping Center von den bisher bekannten Handelsbauten? Das Urban Land Institute definiert das Shopping Center im Jahr 1947 als: „… a group of architecturally unified commercial establishments built on a site that is planned, developed, owned, and managed as an operating unit related by its location, size, and type of shops to the trade area that it serves. The unit provides onsite parking in definite relationships to the types and total size of the stores.” (Beyard, S. 5). Als Shopping Center (in Deutschland auch Einkaufszentrum) wird eine Handelsimmobilie bezeichnet, die architektonisch einheitlich konzipiert ist, deren Mieterbesatz nach vorher bestimmten Kriterien festgelegt wird und für die nach Maßgabe eines Zieles ein gemeinsames Marketingkonzept durch das eingesetzte Management durchgeführt wird. Heute definiert der ICSC (International Council of Shopping Centers) auf Basis einer europaweiten Studie ein Shopping Center als “…a retail property that is planned, built and managed as a single entity, comprising units and “communal” areas, with a minimum gross leasable area (GLA) of 5,000 square metres (m²).” (ICSC 2005). 1954 hatten bereits 91% der amerikanischen Haushalte einen Kühlschrank und damit die Möglichkeit, größere Mengen an Lebensmittel zu lagern, vor allem aber frische Produkte nicht mehr täglich einkaufen zu müssen. Die Supermärkte reagierten mit größeren Ladenflächen und mehr Parkplätzen für die Autos, die jetzt erst recht zum wichtigen

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Transportmittel wurden. Bald ergänzten die Supermarktketten ihre Produkte durch zusätzliche Angebote und Dienstleistungen wie Friseur, Reinigung und Schlüsseldienst, aber auch Schuh- und Bekleidungsgeschäfte oder einen Drugstore. So entstand als erster Centertyp das Strip Center (vgl. Abbildung 98). Ein weiterer Schritt in der Entwicklung zum Shopping Center war der Bau des (heute noch existierenden) Northgate Shopping Center im Raum Seattle im Jahr 1950. Der Architekt legte zwei Ladenzeilen einander gegenüber: die Fronten gingen auf einen Fußgängerbereich – eine Mall – und auf den Rückseiten der Geschäfte befanden sich die Parkflächen. Mehr als zwei Jahre lang konnten die Ladenflächen nicht vermietet werden, denn niemand hatte je zuvor eine solche Handelsimmobilie gesehen. Die perfekte Imitation einer innerstädtischen Einkaufsstraße wurde zusätzlich dahingehend umgesetzt, dass es jeweils mehrere Geschäfte mit gleichem Sortiment gab – wie auf den traditionellen Main Streets. Darüber hinaus war die bequeme Erreichbarkeit mit dem Auto weiterhin gegeben.

Ladenflächen Parkflächen

Hauptstraße

Klassisches Strip Center mit einzeiliger Ladenstra ße und davor liegenden Parkfl ächen

Quelle: eigene Darstellung nach Gruen 1690, S. 76-77

Abbildung 98: erste Shopping Center Typen Im Jahr 1956 wurde dann der Prototyp der modernen Shopping Center in der Nähe von Minneapolis eröffnet. Southdale war das erste geschlossene und klimatisierte Shopping Center der USA. Es hatte zwei Warenhäuser. Der Eigentümer und Entwickler des Centers, das Warenhausunternehmen Dayton Company, konnte seinen direkten Konkurrenten aus der Innenstadt, das Warenhaus Donaldson’s, dazu bewegen, mit in das neue Shopping Center einzuziehen. Es entstand dadurch die exakt gleiche Situation wie in der Innenstadt – für die Bevölkerung lediglich eine Verlagerung der Main Street in eine witterungsunabhängige, geschützte Umgebung. Die Zeit von 1965 bis 1980 wird als die „Golden Period“ der Shopping Center in den USA gesehen. Die Einführung der Zip Codes (Postleitzahlen) und die damit verbundene erstmalige Verfügbarkeit von soziodemographischen Daten ermöglichte zum Beispiel eine verbesserte Standortwahl. Die Projektentwickler sahen ihre Aufgaben immer vielschichtiger und richteten entsprechend viele Abteilungen in ihren Unternehmen ein: Finanzierung und Vermietung, Architektur und Marke-

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ting, Projektsteuerung, Haustechnik und Centermanagement wurden zu einzelnen Schwerpunktbereichen. 1957 wurde das International Council of Shopping Centers (ICSC) als Interessenverband der Shopping Center Branche in New York gegründet. Es hat heute weltweit mehr als 50.000 Mitglieder. Bis Ende der 1960er Jahre hat sich in der Entwicklung der Shopping Center die Knochenstruktur durchgesetzt – ein Ankermieter an jedem Ende, dazwischen kleinteiliger Handelsbesatz (vgl. Abbildung 99). Mit Blick auf die verkehrliche Erreichbarkeit erschließt heute zumeist eine Ringstraße die Grundstücke, zwischen ihr und dem eigentlichen Center befinden sich die Parkflächen.

M

Magnetmieter

M Ladenflächen

Parkflächen

M

Zwei parallel liegende Ladenzeilen mit jeweils einem Großmieter (z.B. Supermarkt und Drugstore)

Quelle: eigene Darstellung nach Gruen 1960, S. 76-77

Abbildung 99: Shopping Center - Knochenstruktur Spätestens seit Beginn der 1990er Jahre gilt Amerika als over-stored. Es gibt zu viele Geschäfte und auch zu viele Shopping Center. Trotzdem wird weitergebaut und mehr denn je gilt, sich von der Konkurrenz abzuheben. Nicht mehr allein die Größe eines Centers, und damit die möglichst lückenlose Präsenz aller großen Einzelhändler, bestimmen den Erfolg, vielmehr sind Spezialisierung und neue Ideen gefragt. 3.2.4.2.4 Shopping Center in Deutschland Erste Generation: Shopping Center nach US-amerikanischem Vorbild (1960 – 70) Die ersten Shopping Center in Deutschland waren gekennzeichnet durch eine enge Anlehnung an die US-amerikanischen Vorbilder. 1964 wurden der Ruhrpark in Bochum und das Main-TaunusZentrum in der Nähe von Frankfurt als offene Malls angelegt. Sie befinden sich an so genannten

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„grüne-Wiese-Standorten“ außerhalb der eigentlichen Städte mit direkter, optimaler Anbindung an den (Auto)-Verkehr. Sie haben eine große Grundfläche, sind in offener Bauweise erstellt und weisen ein, maximal zwei (zumeist nur intern durch die jeweilige Ladenfläche erschlossene) Geschosse auf. Warenhäuser sind die ersten Anker- oder Magnetbetriebe und die Parkflächen befinden sich ohne Überdachung großflächig rund um die Geschäfte, wie z.B. beim Ruhrpark Bochum, der 1964 eröffnet wurde (vgl. Abbildung 100).

Quelle: Ruhrpark Centermanagement

Abbildung 100: Ruhrpark Bochum, Luftaufnahme von 1969 Zweite Generation: Integration über gemischte Nutzungen (1970 – 80) Seit Beginn der 1970er Jahre wurden Shopping Center in geschlossener Bauweise mit zwei und mehr Geschossen sowie mehrstöckigen Parkhäusern errichtet. Die immer noch relativ großen Standorte befinden sich an den Stadträndern, überwiegend in Trabantenstädten. Häufig wurde eine multifunktionale Nutzung aus Handel, Büros, Wohnen, teilweise auch Praxen, Freizeiteinrichtungen und Hotels, angestrebt. Die Ladenstraßen sind relativ dunkel; helle Flächen bieten die Schaufenster. Die einzelnen Geschäfte sind klein. Ergänzend zu den Warenhäusern werden SB-

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Warenhäuser zu Ankerbetrieben. Beispiele sind das Rhein-Ruhr-Zentrum in Mülheim an der Ruhr und das Alstertal-Einkaufszentrum in Hamburg-Poppenbüttel. Dritte Generation: Standort Innenstadt und Rückkehr zur Passage (1980 – 90)

Quelle: Centermanagement Kö-Galerie

Abbildung 101: Kö-Galerie, Düsseldorf In den 1980er Jahren wurden Shopping Center fast ausschließlich an Innenstadtstandorten entwickelt. Die Kö-Galerie in Düsseldorf (vgl. Abbildung 101) oder das Hanse-Viertel in Hamburg sind, teilweise durch direkten Lichteinfall, sehr hell und für den Besucher übersichtlich gestaltet. In dieser Zeit werden die Grundzüge der Passagen wiederbelebt, indem Wegeverbindungen aufgegriffen oder geschaffen werden. Eines der charakteristischen Merkmale ist die Glasüberdachung, die natürliches Licht in die Ladenstraßen hinein lässt. Es wird versucht, mit dem Einkauf auch einen Freizeitwert zu verbinden.

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Vierte Generation: Revitalisierung und Erneuerung (1990 – 1999) Im Mittelpunkt der Entwicklung von Shopping Centern standen in diesen Jahren die veralteten Center der ersten und zweiten Generation und deren Revitalisierung. Gleichzeitig wurden – speziell in den alten Bundesländern – neue Standorte in kleineren Großstädten, Mittel- und sogar Kleinstädten gesucht (und gefunden) und dort neue Konzepte wie z.B. die so genannten City-Points der ECE umgesetzt.

Quelle: CentrO Management GmbH

Abbildung 102: CentrO, Oberhausen Mit der Wiedervereinigung kam zunächst ein Boom von Handelsflächen in den Peripherien der größeren Städte, später die Entwicklung von Flächen in den Innenstädten hinzu. Fachmärkte wurden zu neuen Ankermietern, aber auch Freizeiteinrichtungen wie Kino-Center oder Food Courts –

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viele von ihnen mit lediglich kurzfristigem Erfolg. Die Schaffung eines Einkaufs- und Freizeiterlebnisses ebenso wie die Einbindung in städtebauliche Entwicklungen prägen die vierte Generation der Shopping Center, so zum Beispiel das CentrO in Oberhausen (vgl. Abbildung 102). Fünfte Generation: neue Konzepte (1995 – heute) Charakteristisch für die aktuelle Generation der Einkaufszentren in Deutschland sind spezialisierte Konzepte. Fachmarktzentren und Factory Outlet Center erfreuen sich nicht nur bei Investoren großer Beliebtheit, auch sogenannte Spezialcenter setzen sich durch, in denen räumlich zusammengefasst spezielle Warengruppen gebündelt angeboten werden. So findet man beispielsweise in den Stilwerk Shopping Centern mittlerweile an vier Standorten eine Kombination von Waren aus dem Lifestyle- und Interior- Bereich. Auf der Suche nach innovativen Konzepten werden Verkehrsknotenpunkte als attraktive Standorte entdeckt. Die meist sehr zentralen Innenstadtlagen an Bahnhöfen bieten sowohl Kundenfrequenzen aus den Innenstadtlagen wie auch aus den Pendlern und Reisenden. Die Promenaden im Hauptbahnhof von Leipzig dienen als gelungenes Beispiel für ein auf Reisende und Ansässige spezialisiertes Einkaufszentrum. Auch Flughäfen werden zunehmend als Einkaufsstätte genutzt. Zum Einen bietet der Einzelhandel die Möglichkeit, zusätzlich zum Aviation Geschäft Rendite durch teilweise sehr hohe Ladenmieten und hohe Passantenfrequenzen zu erzielen. So profitiert der Frankfurter Flughafen erheblich von den durchschnittlich 150.000 Passagieren/Tag, von denen ca. 53% umsteigen und daher eine gewisse Verweildauer aufweisen. Zum anderen dienen die exklusiven Shopping Möglichkeiten der Profilierung des Standorts im internationalen Bereich. Ein weiterer Trend liegt in der Entwicklung von Themen-Centern: In diesem individuellen Konzept wird Wert auf „Story-Telling“ gelegt, d.h. das Center ist konsequent auf ein Design-Thema ausgelegt, das durch verschiedene gestalterische Elemente getragen wird. Im 2009 eröffneten Shopping Center LOOP5 in Weiterstadt bei Darmstadt wird das Thema Luftfahrt konsequent als Differenzierungsstrategie zu anderen Einkaufsmöglichkeiten gewählt und baut so ein konkurrenzloses Einkaufserlebnis durch aufwendige Innenarchitektur in Form von großen Propellern oder ganzen Flugzeugen als Dekorationselement auf.

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Quelle: Sevens GbR

Abbildung 103: Foodcourt LOOP5, Weiterstadt 2010 In den kommenden Jahren werden weitere Shopping Center in Deutschland entstehen. Laut Hahn AG verfügt Deutschland zwar über 1,4 m² Verkaufsfläche je Einwohner, jedoch nur über 115 m² Shopping Center Verkaufsfläche je 1000 Einwohner. Da der europäische Durchschnitt jedoch bei 174,4 m² je 1.000 Einwohner liegt, nehmen viele Projektentwickler diese Zahlen zum Anlass, weiter neue Center und somit mehr Fläche zu entwickeln, wobei sie eine sinkende Flächenproduktivität in Kauf nehmen. Die Wirtschaftskrise hat diesen Trend etwas abgeschwächt, da durch schwierige Finanzierungsbedingungen neue Projektentwicklungen verzögert oder vollständig aufgegeben wurden. 3.2.4.3

Beziehung zur Stadt

3.2.4.3.1 Der Standort: Erfolgsfaktoren für einzelhandelsgenutzte Immobilien Location, location, location: der Standort entscheidet über Erfolg oder Misserfolg! Mehr als für die meisten anderen Immobilientypen gilt diese Aussage für einzelhandelsgenutzte Immobilien. Frequenzen und Umsatzpotenziale eines Handelsstandortes sind sowohl aus Sicht des Mieters wie auch des Investors wesentliche Entscheidungsgrundlagen, denn der Standort ist das einzige unveränderbare Kriterium der Immobilie. Doch welche Kriterien charakterisieren einen guten oder schlechten Standort? Welche Bedingungen befördern oder verhindern die Ansiedlung von Einzelhandelsflächen? Worin liegen die Besonderheiten von Einzelhandelsstandorten? Je nach ihrer Lage unterscheidet man die Einzelhandelsimmobilien in 1a-Lagen in der Innenstadt (auch „Konsummeile“ genannt), Nebenlagen in der Innenstadt, Stadtteilzentren und darüber hinaus in Einkaufszentren in integrierten Lagen (z.B. Galerien und Passagen in der Innenstadt, aber auch

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Stadtteilzentren), freistehende Einkaufszentren im Sinne von „stand-alones“, Fachmarktzentren und solitäre Lagen auf der so genannten „grünen Wiese“ (vgl. Abbildung 104). Am Beginn des Planungsvorhabens für eine Handelsimmobilie sollte daher eine umfassende und individuelle Markt- und Standortanalyse stehen. Zu den wesentlichen zu untersuchenden Kriterien sollten gehören: Nachfrage- und Kopplungspotenzial Grundsätzlich sucht der Konsument in der Nachfrage vergleichbarer Angebote die kürzere, ggf. auch die bequemer erreichbare Wegstrecke. Ein Standort abseits der Haupteinkaufsstraße kann daher dann gut sein, wenn er eine für den Kunden erkennbare Abkürzung darstellt. Für den Kunden wird Handel erst durch die Nähe zum Handel interessant. Dies zeigt sich zum Beispiel darin, dass ein bereits existierender Schwerpunkt von Textilanbietern für einen neu hinzukommenden Textiliten immer interessanter ist, als ein Standort, an dem überwiegend andere Sortimente angeboten werden (ein Aspekt, der sich zum einen in der fehlenden Konkurrenzschutzklausel in den meisten Shopping Centern wiederfindet als auch im aktuell diskutierten „Clustering“, bei dem Anbieter gleicher Sortimente zusammengefasst präsentiert werden).

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 104: Einzelhandelstypen und ihre Standorte

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Verkehrsanbindung/Erreichbarkeit Grundsätzlich ist ein Standort auf alle Möglichkeiten der Fortbewegung möglichst gleichwertig zu untersuchen. Neben dem motorisierten Individualverkehr sind der öffentliche Personennahverkehr und auch der Fußgängerverkehr nicht außer Acht zu lassen. Besonders in Nachbarschaften und Innenstädten ist es wichtig, existierende Wegebeziehungen möglichst zu erkennen und aufzugreifen. Lage und gegebenenfalls vorhandene Distanzen zu Hauptpassantenströmen sind von wesentlicher Bedeutung, ebenso wie Ziele und Laufrichtungen. Wenn sie sich nicht in direkter Lauflage befindet, ist die Sichtbarkeit einer Handelsimmobilie Voraussetzung dafür, dass sie leicht gefunden und erkannt wird (ein wesentliches Kriterium auch für Spontanbesuche). Handelsimmobilien sind auf Standorte angewiesen, die einer Handelsnutzung vom Umfeld und vom Image her nicht widersprechen. Dies gilt insbesondere auch für neue Handelsstandorte wie Bahnhöfe und Flughäfen. Um die Erfolgsaussichten eines Einzelhandelsangebotes und damit einer Einzelhandelsimmobilie beurteilen zu können, ist die adäquate Erfassung des relevanten Wettbewerbs von grundlegender Bedeutung. Relevante Wettbewerber sind gleichartige Handelsformate, d.h. Discounter konkurrieren hauptsächlich mit Discountern, SB-Warenhäuser mit SB-Warenhäusern, etc. Je nach geplantem Handelsformat bzw. Immobilientyp ist eine unterschiedlich intensive Untersuchung des vorhandenen Wettbewerbsbestandes notwendig (Shopping Center vs. Fachmarkt). Die Festlegung von Einzugsgebieten ist optimal nach der Methode der modifizierten Zeitdistanz zu ermitteln. Dabei wird der Standort sowohl hinsichtlich der Entfernung des Zielkundengebietes im Hinblick auf die reine Zeit, als auch die räumlich-topographischen Gegebenheiten und vor allem die Erreichbarkeit mit unterschiedlichen Fortbewegungsmitteln erfasst. Auch wesentliche Konkurrenzstandorte werden in diese Bewertung mit einbezogen. Das voraussichtliche Einzugsgebiet ist im Ergebnis abhängig von der Qualität des Standortes, den für bestimmte Handelsformate maximal akzeptierten Zeitdistanzen sowie der regionalen Wettbewerbskonstellation. Besonders die Zeitdistanzen (z.B. ca. 30 min für ein Shopping Center bzw. 20 min für ein SB-Warenhaus) reduzieren sich dabei durch den Einfluss konkurrierender Angebote. Kennzahlen und Kennziffern Kennzahlen prägen die Analyse des Makro- und Mikrostandortes. Zu den Daten, die die Struktur des Makrostandortes bestimmen, gehören die Zahlen zu Wohnbevölkerung, Bevölkerungsdichte, Altersgruppen, durchschnittliche Haushaltsgröße, Ausländeranteil, sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, Beschäftigtenzentralität sowie die Arbeitslosenquote. Wesentliche ladeneinzelhandelsrelevante Kennziffern wie zum Beispiel der Kaufkraftindex und das Kaufkraftvolumen werden von Instituten wie GfK PRISMA in Nürnberg oder der BBE-Unternehmensberatung in Köln herausgegeben.

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Wichtig ist es, die entsprechenden Kennzahlen richtig zu lesen und zu bewerten. So werden etwa von der allgemeinen Kaufkraft diejenigen Ausgaben abgezogen, die nicht dem Einzelhandel zur Verfügung stehen (darunter Wohnung, Reisen, Pkw), um die einzelhandelsrelevante Kaufkraft zu erhalten. Erst wenn man von dieser Zahl nochmals diejenigen Ausgaben abzieht, die zwar dem Einzelhandel, nicht aber dem Ladeneinzelhandel zur Verfügung stehen (zum Beispiel Ausgaben im Baumarkt, an Tankstellen, etc.), so wird die ladeneinzelhandelsrelevante Kaufkraft erkennbar. Die Zentralität(sziffer) eines Standortes und seines Umfeldes ergibt sich aus der Relation von Umsatzkennziffer und einzelhandelsrelevanter Kaufkraftkennziffer. Es lässt sich hieraus ein Kaufkraftzufluss oder –abfluss ersehen und daraus auf die Kaufkraftbindung am Ort schließen. In vielen Fällen, z.B. bei der Umsetzung von großflächigen Einzelhandelsvorhaben, werden Analysen zu Wirkung und Verträglichkeit im Standortumfeld gefordert. Dabei sind sowohl existierende und geplante Versorgungsbereiche in Innenstädten und Nebenzentren, wie auch in benachbarten Orten zu untersuchen. Zur Integration eines Centers in die städtebauliche Situation und seine Anbindung an die Innenstadt werden in der Regel sogenannte Machbarkeitsuntersuchungen erstellt, die sowohl Einzelhandelsgutachten, als auch städtebauliche Gutachten und Verkehrsgutachten enthalten. Die vorgesehene Nutzung und die daraus resultierende Baumasse sind städtebaulich vertretbar, wenn die umgebenden öffentlichen Räume funktional bzw. gestalterisch aufgewertet werden. Durch diese Aufwertung soll eine erkennbare und nachhaltige Verbesserung der Aufenthalts- und Erlebnisqualität der öffentlichen Räume erreicht werden. Wesentliche Merkmale sind dabei hochwertige Material- und Ausstattungsauswahl, um dadurch eine urbane Qualität zu schaffen. Die Schaffung neuer Straßen und Plätze, die Aufnahme vorhandener Richtungsbeziehungen und die Anordnung von außenraumwirksamen Nutzungen (Gastronomie) sowie von Funktionsbereichen (Anlieferungszone, Parkhauseinfahrten) sind ebenfalls wesentliche Ziele im Hinblick auf die Integration eines Shopping Centers. 3.2.4.3.2 Centertypen und ihre Bedeutung für die Stadtentwicklung Eine Übersicht der verschiedenen Typen von Shopping Centern findet sich unter Kap. 2.1.3.2 „Handelsimmobilien“ in der 4. Aufl. von Immobilienökonomie Bd. I– Betriebswirtschaftliche Grundlagen. Um die Bedeutung der Ansiedlung von Shopping Centern (Typenübersicht vgl. Tabelle 4) in Innenstädten deutlich zu machen, reicht es hier aus, die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale zwischen einem „geschlossenen“ und einem „offenen“ Shopping Center aufzuzeigen sowie auf den Unterschied zu Fachmärkten bzw. Fachmarktzentren hinzuweisen.

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Die Charakteristika „geschlossener“ Shopping Center sind u. a.: x

dass das angegliederte Parkhaus als Haupteingang angelegt ist,

x

dass der offizielle, auf das Umfeld ausgerichtete Haupteingang zur "Pforte" geworden ist bzw.

x

dass seine Wahrnehmbarkeit von innen heraus mittels architektonisch-gestalterischer Tricks minimiert wird.

Das geschlossene, selbst bei zentraler Lage meist nur pseudo-integrierte Shopping Center ist wenig urban; es ist beliebig multiplizierbar. In welcher Stadt oder in welchem Umfeld es entsteht, spielt konzeptionell eine untergeordnete Rolle. Typische Merkmale „offener" Shopping Center Im Sinne einer idealen Einbindung in stadträumliche Strukturen stellen „offene“ Shopping Center höhere planerische Anforderungen. Ihre typischen Kennzeichen sind u.a.: 1) Spiegelung räumlich-funktionaler Umfeldbezüge in das Center. Diese sind bei der Festlegung von Nutzungszonen, Eingangssituation und Wegeführung, der Zu- und Abfahrtslösung usw. zu berücksichtigen. 2) Abstimmung des Betriebsgrößenrasters auf Umfeldgegebenheiten. Es geht darum, Synergien durch Nutzung und Ergänzung bestehender, langfristig tragfähiger Muster zu heben und keine Potenziale durch Duplizierung vorhandener Strukturen zu vergeben und 3) Die jeweiligen Center müssen maßstäblich ausgelegt sein, d.h. ihre Größe muss in einem ausgewogenen Verhältnis zum Flächenbestand des jeweiligen örtlichen Zentrums stehen. Aus städtebaulicher Sicht sind die Standorte von vielen gängigen Konzepten kritisch zu betrachten. Vorzugsweise entstehen „geschlossene“ Center, die weitgehend losgelöst von ihrem Umfeld, aus sich heraus funktionieren sollen. Die städtebauliche Dimension findet oftmals zu wenig Berücksichtigung. Auch vertikal angelegte Center wie das Sevens in Düsseldorf und die Zeil-Galerie in Frankfurt am Main zeigen, dass Handel und vertikale Konzepte in Deutschland schwer zu verbinden sind. Während die sog. „vertical malls“ im asiatischen Raum aufgrund der extrem hohen Kundenfrequenzen oft erfolgreich sind, haben entsprechende Standorte in Deutschland mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie stellen extreme konzeptionelle Anforderungen an den Planer, um auch die oberen Stockwerke funktionstüchtig, d. h. mit ausreichender Kundenfrequenz, zu beleben. Selbst in den USA sind bis auf vereinzelte Ausnahmefälle wie beispielsweise dem Water Tower Place in Chicago kaum positive Erfahrungen gemacht worden. Grundsätzlich fanden in jüngster Vergangenheit zahlreiche Diskussionen zwischen Projektentwicklern und den kommunalen Vertretern statt, die eine „Symbiose von Stadt und Handel“ anstreben. Kommunen sind vielerorts auf zentral gelegene, gut integrierte Centerentwicklungen angewiesen, um ihre Innenstädte aufzuwerten und – gerade im Wettbewerb mit der „Grünen Wiese“ oder benachbarten Städten – Kaufkraft zu binden.

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Centertyp

Ø Größe (USA) / Standort

Anker/Mietermix

Besonderheiten

Strip = Streifen, d.h. die Geschäfte liegen nebeneinander, davor befinden sich die Parkflächen

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Strip Center

< 3000 qm

Kleinerer Supermarkt und Dienstleistungen wie Reinigung, Friseur, Schlüsseldienst

Neighbourhood (Nachbarschafts-)Center

3000 bis 10000 qm

Supermarkt / Drugstore Artikel des täglichen Bedarfs

Community (Gemeinde-)Center

8000 bis 25000 qm

Diskontierendes Warenhaus (in D: SB-Warenhaus) überwiegend Nonfood-Angebot

In Deutschland auch als Nahversorgungszentren bekannt.

Regional Mall (regionales Shopping Center)

30000 bis 90000 qm Anfahrt bis zu 30 Min.

ein bis zwei Warenhäuser breites und tiefes Sortiment

In Deutschland auch als Stadtteilzentren mit Verkaufsflächen von bis zu 25000 qm umgesetzt.

Super Regional Mall (überregionales Shopping Center)

> 100000 qm Anfahrt > 45 Min.

mehrere Warenhäuser 150 bis 200 Geschäfte Gastronomie / Entertainment

In Deutschland als Stadt(teil)zentren mit überregionaler Bedeutung und Verkaufsflächen bis 50000 qm.

Mixed-Use Center

Lage in Innenstädten, aber auch an Bürostandorten (z.B. mit Zugang zu ÖPNV)

Mischung aus Einzelhandel, Büro, Wohnen (auch als Hotel). Gastronomie und kleinteiliger Lebensmittelhandel (Deli) für den schnellen Einkauf.

Der Anteil an Einzelhandelsflächen darf nicht zu klein sein; ein ausreichend großes Angebot muss gewährleistet sein.

Vertical Center

Innenstadt, nur in Hochfrequenzlagen

Als Anker kann ein Warenhaus dienen (Magnet); Mietermix häufig modeorientiert.

Vier bis acht Verkaufsebenen sind nur an sehr wenigen Standorten umsetzbar.

Festival Center

Häufig Umnutzung von historischen Gebäuden, z.B. in ehemaligen Hafengebieten, aber auch Bahnhöfe

Kleinteilige Mieterstruktur; Sortimente ausgerichtet auf Spontankäufe; Gastronomie

Erste Entwicklungen in den 1970er Jahren – Vorläufer der Urban Entertainment Center.

Power Center (Fachmarktzentrum)

Stadtteil-/Randlage

Zuerst Power Retailer, in den USA Category Killer genannt, heute großfl., preisorientierte Konzepte mit zunehmend tiefem Sortiment

In Deutschland stark preisaggressiv als Fachmarktzentren entwickelt.

Factory Outlet Center (FOC)

außerhalb der Innenstädte

Hersteller-Outlets, auch Offprice (Verkauf von Markenware durch Zwischenhändler)

In Deutschland nur sehr wenige Beispiele; in den USA mit kleinem, aber stabilem Marktanteil.

Urban Entertainment Center (UEC) oder Urban Entertainment Destination (UED)

Innenstadtentwicklungen, sowohl i.S.v. Shopping Centern als auch als Stadtteile

Aktuelle Handelskonzepte - von Lebensmitteln und Dienstleistungen bis zu Warenhäusern, gute Gastronomiekonzepte, ergänzend kulturelle Angebote

Als Shopping Center-Konzept noch nicht erfolgreich umgesetzt; Entwicklungen gehen in die Richtung der Revitalisierung von Innenstadtbereichen.

(Specialty) Lifestyle Center

In Innenstädten (häufig als UEC), aber auch in Stadtteilen

Lifestyle-Konzepte rund um Heim & Herd, Familie & Kinder, Mode & Unterhaltung

Als Konzept i.S. einer Shopping Center-Entwicklung noch nicht umgesetzt.

Passagen / Galerien

Innenstadt, hohe Frequenzen

Kleinteilige Mieterstruktur

In den USA im Zuge von UEC in den Innenstädte wiederentdeckt.

Tabelle 4: Centertypen

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Typische Merkmale von Fachmarktzentren: Fachmarktzentren haben in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Der Unterschied zu den klassischen Shopping Centern besteht vorwiegend in der Mieterstruktur und der Flächendominanz der Magnetmieter. In der Literatur gibt es für den Immobilientyp Fachmarktzentrum keine eindeutige Definition. Der Fachmarkt ist ein großflächiges und meist ebenerdig angelegtes Fachgeschäft, das ein breites und oft auch tiefes Sortiment aus einem Warenbereich (z.B. Bekleidung, Schuhe), einem Bedarfsbereich (Sportfachmarkt, Baufachmarkt) oder einem Zielgruppenbereich (Möbelfachmarkt für designorientierte Kunden) führt. Die Warenpräsentation ist übersichtlich und das Preisniveau liegt im niedrigen bis mittleren Bereich. Trotz des Selbstbedienungskonzeptes wird dem Kunden auf Nachfrage auch Beratung und Service angeboten. Fachmärkte führen oftmals die von ihnen versorgte

Branche

im

Namen

(z.B.

Elektronikfachmarkt).

Der

Spezialfachmarkt

führt

Ausschnittssortimente (z.B. Fliesenfachmarkt) aus dem Warenangebot eines Fachmarktes (z.B. Baumarkt, vgl. Katalog E, S. 43). Fachmarktzentren liegen an verkehrsgünstigen Stadtrandlagen, sind gut und i.d.R. leicht für das weiträumige Umfeld erreichbar, haben ebenerdige Nutzflächen und überwiegend ebenerdige, umfangreiche Parkflächen. Sie weisen eine schlichte Funktionalität aus, haben gegenüber Shopping Centern vergleichsweise geringe Miet- und Nebenkosten. Der Mieterbesatz setzt sich zusammen aus preisaggressiven, diskontierenden Großflächenanbietern die eine Magnetfunktion erfüllen, ergänzt durch kleinflächige Einzelhandels- und Dienstleistungsangebote. Fachmarktzentren sind i.d.R. SB-Warenhaus-dominiert. Sie haben mindestens zwei Ankermieter (SB-Warenhaus und weiterer Fachmarkt), die baulich über eine Mall mit weiteren Fachmärkten und Shops verbunden sind. Fachmarktzentren sind versorgungsorientiert, haben zwischen 20 und 50 Mieteinheiten in niedriger bis mittlerer Positionierung. Die Verkaufsfläche liegt zwischen 10.000 und 100.000 m² und sie befinden sich vorwiegend in peripherer Lage. Laut Angaben der METRO Group Assetmanagement 2009 verfügt Deutschland derzeit über 19,43 Mio. m² GLA (Bruttogeschossfläche) in solitären Fachmärkten und Fachmarktagglomerationen über 10.000 m² GLA. Worin liegen die Stärken und Chancen aber auch die Schwächen und Risiken dieses Betriebstyps? Wesentliche Erfolgsfaktoren sind die Lage und Erreichbarkeit von Fachmarktzentren verbunden mit kostenlosem Parken, zumeist ebenerdig, sowie die preisgünstigen bzw. preisagressiven Fachmärkte. Durch eine Flexibilität des Baukörpers fällt es dem Management leicht, den Branchen- und Mieterbesatz ständig anzupassen. Als Schwachpunkte gelten zum einen die Vorherrschaft der Ankerbetriebe und damit die Abhängigkeit der anderen Mieter von deren Ausstrahlungskraft und zum anderen die geringe Angebotstiefe sowie die eingeschränkte Außendarstellung der Mietparteien. Zu den Risikofaktoren zählen die Dominanz des Preiswettbewerbs sowie die Störanfällig-

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keit durch eine steigende Distanzsensibilität (Angebotsverdichtung im jeweiligen Marktraum, Kraftstoffpreise sowie erhöhtes Verkehrsaufkommen). Bau- und genehmigungsrechtliche Grenzen müssen ebenfalls beachtet werden. Planungsrechtlich wird zum Schutz der Innenstadt eine weitgehende Einschränkung zentrenrelevanter Sortimente verfolgt. Die Entwicklungen im Einzelhandel zeigen, dass in der Innenstadt nicht genügend ausreichend dimensionierte Flächen zur Verfügung stehen, um Sortimente wie z.B. Möbel und Kraftwagen anzubieten. Diese Sortimente werden daher üblicherweise außerhalb der Innenstadt angesiedelt, meistens in Einzelhandelsgroßprojekten, die dann jedoch keine innenstadtrelevanten Sortimente führen dürfen. Eine eindeutige Definition, was darunter zu verstehen ist, ist bisher rechtlich noch nicht abschließend geklärt. In der Praxis haben sich jedoch Listen bewährt, die nach zentrenrelevanten und nicht-zentrenrelevanten Sortimenten unterscheiden. Die bekanntesten Listen sind die „Kölner Liste“, die „Bielefelder Liste“, die „Berliner Liste“ sowie die „Freiburger Liste“. Diese werden von Stadtplanungsämtern, Senatsverwaltungen oder Bezirksregierungen erstellt oder bei externen Dienstleistern in Auftrag gegeben, um die Ansiedlung zentrenrelevanter Sortimente bedarfsgerecht steuern zu können. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Fachmarktzentren die Gefahr einer unklaren Positionierung hinsichtlich Angebotskompetenz und Profil und damit einer zu geringen Abgrenzung gegenüber Shopping Centern und anderen innovativen Betriebsformen bergen. 3.2.4.4

Baurecht

3.2.4.4.1 Planungsrechtliche Grundlagen für die Zulassung von Handelsimmobilien Aus bauplanerischer Sicht sind Handelsbetriebe solche Betriebe, in denen Waren angeschafft und zum größten Teil unverändert an, entweder Endverbraucher (Einzelhandel) oder an Wiederverkäufer, Weiterverarbeiter oder Großverbraucher (Großhandel) abgegeben werden. Handelsbetriebe zählen zu den Gewerbebetrieben. Das Bauplanungsrecht kennt verschiedene Formen von Handelsbetrieben. Diese werden nach Größe und Zweckbestimmung differenziert (vgl. §§ 2, 3, 4, 4a, 6, 7, 11 BauNVO): x

Läden sind Einzelhandelsbetriebe, die der Versorgung des Gebietes oder der Deckung des täglichen Bedarfs dienen.

x

Bei Einkaufszentren handelt es sich um eine räumliche Konzentration von Einzelhandelsbetrieben verschiedener Art und Größe, zumeist in Kombination mit Dienstleistungsbetrieben. Sie zeichnen sich durch ein gemeinsames Konzept und die Kooperation aus. In der Regel handelt es sich um einen einheitlich geplanten, finanzierten, gebauten und vermarkteten Gebäudekomplex mit einer Mindestverkaufsfläche von 10.000 m².

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x

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Großflächige Einzelhandelsbetriebe sind solche, die über die Nahversorgung durch „Nachbarschaftsläden“ hinausgehen. Dies ist nach Bundesverwaltungsgericht (BVErwG) ab einer Verkaufsfläche von mehr als 700 m² gegeben. Der Schwellenwert von 700 m² wird in den letzten Jahren häufig auf der Grundlage des Strukturwandels im Einzelhandel auf 800 m² erhöht. So werden z.B. Factory Outlet Center (FOC) als großflächige Einzelhandelsbetriebe qualifiziert.

x

Unter sonstige großflächige Handelsbetriebe fallen neben Einzelhandelsbetrieben auch Großhandelsbetriebe.

Die Zulässigkeit von Handelsbetrieben ist aus bauplanerischer Sicht davon abhängig, wo der Betrieb errichtet werden soll. Vier baurechtliche Sachverhalte müssen geprüft werden: x

Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans (§§ 30, 31 BauGB) Bebauungspläne enthalten rechtsverbindliche Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung. Sie treffen u.a. Aussagen über die Art der baulichen Nutzung. Zu vergleichen sind hierzu §§ 211 BauNVO 1990. Die Zulässigkeit von Einkaufszentren, großflächigen Einzelhandelsbetrieben und sonstigen Handelsbetrieben wird durch die Vorschrift des § 11 Abs. 3 BauNVO 1990 beschränkt. Diese trifft Aussagen über „schädliche Umwelteinwirkungen“, „Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung“, „auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder anderen Gemeinden“. Solche Auswirkungen sind anzunehmen, wenn die Geschossfläche eines Einzelhandelsbetriebes über 1.200 m² beträgt. Danach sind diese besonderen Einzelhandelsbetriebe außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig. Nicht nur die Nutzungsart, sondern auch das Maß der baulichen Nutzung wird in Bebauungsplänen i.d.R. festgelegt. Die Vorgaben müssen grundsätzlich beachtet werden; allerdings sind Ausnahmen und Befreiungen nach § 31 Abs. 1 BauGB zulässig.

x

Im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) Liegt die Planung des Handelsbetriebes im Zusammenhang eines bebauten Ortsteiles, für den kein oder nur ein einfacher Bebauungsplan besteht, so ist das Projekt zulässig wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Das heißt, dass in der relevanten Nachbarschaft zumindest ein Einzelhandelsbetrieb vorhanden sein sollte.

x

Im unbeplanten Außenbereich (§ 35 BauGB) Hier unterscheidet man drei Kategorien von Bauvorhaben. Privilegiert, nicht privilegierte und nicht privilegierte, aber bevorzugte Bauvorhaben. Bei den privilegierten Bauvorhaben handelt es sich um Anlagen, die wegen ihrer Zweckbestimmung (Land- oder Forstwirtschaft, Windkraftanlagen) im Außenbereich ausgeführt werden sollen. Handelsbetriebe fallen nicht darunter. Nicht privilegierte Vorhaben sind nur dann

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zulässig, wenn ihre Ausführung oder Nutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und deren Erschließung gesichert ist. Außenbereichsvorhaben sowie auch Handelsbetriebe scheitern oft an öffentlichen Belangen, z.B. der unzumutbaren Lärmbelästigung für die benachbarte Wohnbebauung. x

In einem Planungsaufstellungsgebiet (§ 33 BauGB) Besteht die Notwendigkeit der Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans, so kann die Genehmigung für den Einzelhandelsbetrieb bereits vor Erlass des Bebauungsplans erfolgen. Jedoch muss dafür zumindest der Beschluss über die Aufstellung bzw. Änderung des Bebauungsplans erfasst und die öffentliche Auslegung sowie die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange durchgeführt worden sein.

Im Hinblick auf die Genehmigung von Shopping Centern, im Sinne von großflächigem Einzelhandel, sind neben dem Baurecht auch in Landesentwicklungs- und Regionalplänen sowie in Stadtentwicklungsplänen bestimmte Rahmenbedingungen einzuhalten. Hierzu gehört, dass hinsichtlich der Zulässigkeit, die nach BauGB und BauNVO nur in Kerngebieten und in Sondergebieten möglich ist, vor allem die Auswirkungen auf die Infrastruktur, den Verkehr, die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsgebiet und die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche zu beachten sind. Zu den empfehlenswerten Standorten gehören innerstädtische Standorte in sehr guten Einkaufslagen von Großstädten, innerstädtische Einkaufsschwerpunkte in Oberzentren und in Mittelzentren nahe der Großstädte, Stadtteilzentren, innenstadtnahe Fachmärkte und ggf. Fachmarktzentren in Mittelzentren in der Nähe von Großstädten. Auch Factory Outlet Center (FOC) sind (Einzel-) Handelsbetriebe. Soweit deren Verkaufsfläche, wie dies regelmäßig der Fall ist, 700 m² überschreitet, sind sie i.d.R. als großflächiger Einzelhandel i. S. v. §11 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BauNVO zu qualifizieren. 3.2.4.4.2 Schaffung von Planungsrecht für Handelsbetriebe Ist ein Bauvorhaben nach geltendem Planungsrecht nicht zulässig, muss Planungsrecht geschaffen werden. In der Praxis besteht diese Erfordernis vor allem bei Einkaufszentren und großflächigen Einzelhandelsbetrieben. Dabei ist der Bebauungsplan die wichtigste planungsrechtliche Grundlage. Aus diesem Grund sollte der Investor mit dem Verfahren der Aufstellung eines Bebauungsplans vertraut sein und die möglichen Festsetzungen und inhaltlichen Anforderungen kennen. Dabei besteht neben dem herkömmlichen Bebauungsplan nach § 9 BauGB auch die Möglichkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 BauGB auf Basis eines Vorhaben- und Erschließungsplans sowie eines Durchführungsvertrages. Die Verhältnisse zwischen Investor und öffentlicher Hand können in städtebaulichen Verträgen geregelt werden.

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Seit dem 01. Januar 2007 wurden mit § 9 Abs. 2a BauGB, §12 Abs. 3a BauGB und §13a BauGB neue Planungsinstrumente in das Baugesetzbuch aufgenommen, welche die kommunale Planung im Hinblick auf eine zügige und flexible Bewältigung der anstehenden städtebaulichen Aufgaben unterstützen. 3.2.4.4.3 Besonderheiten bei der Genehmigung von Handelsimmobilien Einzelhandelsbetriebe werden häufig in räumlich und wirtschaftlich sensiblen Bereichen der Innenstadt entwickelt. Daher sind nicht nur planungsrechtliche Fragen von Bedeutung, vielmehr muss auch die (politische) Gesamtsituation betrachtet werden, um mögliche Genehmigungszeiträume einschätzen zu können. Mit der anstehenden Novellierung des Baugesetzbuches werden EU-Richtlinien in das deutsche Recht umgesetzt und zusätzliche Problembereiche, wie z.B. die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsvorhaben geregelt. Erste Änderungen traten bereits im Sommer 2004 in Kraft. Möglichkeiten zur Steuerung, vor allem auch zur Verhinderung von der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe

außerhalb

gewachsener

Handelsstandorte

wurden

verbessert.

Der

Gesetzesentwurf stärkt zum einen die Position von Kommunen, die Einzelhandelsansiedlungen in Nachbargemeinden verhindern wollen. Zum anderen wird die Zulässigkeit von großflächigem Einzelhandel nach §34 BauGB beschränkt. Von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche ausgehen. 3.2.4.5

Gebäudekonzeption

3.2.4.5.1 Architektur und Gestaltung einer geplanten Handelsimmobilie Die Verschiedenartigkeit der Betriebsformen und –typen im Handelsbereich wirkt sich auf zahlreiche Faktoren von Handelsimmobilien, wie beispielsweise die Wahl des Standortes, die erforderliche Verkaufsflächendimension, die notwendige Anzahl von Parkierungsflächen, die Anbindung an das Straßennetz und das Netz des öffentlichen Personennahverkehrs sowie die Notwendigkeit von Lagerflächen aus. Dabei übernimmt der Architekt eine wesentliche Rolle hinsichtlich der Integration der Handelsimmobilie in ihr städtebauliches Umfeld. In einer Zusammenarbeit mit dem Projektentwickler wird er sich mit den planerischen Voraussetzungen für die Funktionsmischungen und den reibungslosen Ablauf in Bezug auf die Nutzung beschäftigen. Zu den Details, die der Architekt sowohl in der Planung als auch in der Ausführung eines Shopping Centers zu beachten hat – und mit denen er das Image und die Atmosphäre wesentlich beeinflussen kann – gehören die vertikalen Erschließungen durch Treppen, Rolltreppen, Aufzüge, die horizontalen Erschließungen durch Balkone und Brücken, die Dachkonstruktion und die Licht-

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öffnungen (und damit die Beleuchtung insgesamt), die Materialien, darunter Bodenbeläge, Handläufe sowie die Mallmöblierung mit Sitzbänken, Pflanzkübeln, etc. aber auch die Hinweisbeschilderung. In den USA sind z.B. Kioske für Kurzzeitmieter beliebt, in Deutschland gibt es sie bisher in erster Linie für Marketingaktionen wie Weihnachts- und Ostermärkte. Wichtig bei der architektonischen Planung eines Shopping Centers ist, dass nicht nur die äußere Hülle, sondern das Verständnis für die Vorgänge im Innern hinsichtlich der problemfreien Nutzung deutlich werden. Von der Müllentsorgung bis zur Nutzung von Wasser und Strom für Marketingaktionen – die Voraussetzungen werden durch die architektonische Gestaltung und die baulichen Details gesetzt. Für das Zusammenspiel von Sortimenten, Mietermix und die Präsentation der einzelnen Geschäfte muss die Architektur die Plattform sein, auf der die einzelnen „Künstler“ agieren. 3.2.4.5.2 Funktionskonzept und Flächenmix Der Branchenmix definiert neben der guten Atmosphäre und der Aufenthaltsqualität die Attraktivität der Handelsimmobilie. Nur durch die Angebotsvielfalt im Rahmen eines professionell entwickelten Branchenmix generieren sich Frequenzen von Lauf- und Zielkunden. Bei der Festlegung des Branchenmix wird grundsätzlich auf das Vorhandensein möglichst aller relevanten Branchen aus allen Bedürfnisbereichen bis hin zum Vollsortiment geachtet. Der Branchenmix wird sensibel auf die bereits vorhandenen Angebots- und Kaufkraftstrukturen ausgerichtet, ohne dabei auf eine angemessene Dimensionierung der Branchen entsprechend Verbrauchervolumen und Wettbewerbssituation zu verzichten. Schaut man sich die größten Mieter in Shopping Centern an (vgl. Tabelle 5), fällt auf, dass die oft zitierte „Deichmannisierung“ der Malls weiter voranschreitet. Der Branchenmix ist abhängig vom Standort und vom Typ eines Shopping Centers. Innerstädtisch gelegene Galerien können in der Lage sein, auch mit wenigen oder sehr spezialisierten Mietern eine gute Ergänzung im Einzelhandelsspektrum einer Stadt zu bieten. Je größer das Einzugsgebiet und das Shopping Center, desto umfassender und vollständiger wird das Angebot. Prägend für ein Einkaufszentrum ist der Magnet-, Groß- oder auch Ankermieter (anchor tenant). Ein Warenhaus steht für ein anderes Preisgefüge als ein SB-Warenhaus oder Fachmarkt. Über eine solche Preisaussage kann das Image des Centers festgelegt – und später nur schwer verändert – werden. Aktuell attraktive Großmieter sind die sog. Vertikalen Konzepte, wie z.B. Hennes & Mauritz und Zara, die besonders im Modebereich zu finden sind. Entwicklung, Herstellung und Verkauf liegen hierbei in einer Hand, wodurch ein sehr aktuelles, weil schnell wechselndes Sortiment und eine ausreichend gute Qualität zu günstigen Preisen ermöglicht wird. Bundesweit tätige Einzelhandelsfilialisten (vgl. Tabelle 5) sowie regionale Einzelhändler und auch Existenzgründer runden den Branchenmix ab. Innerhalb eines Shopping Centers haben die verschiedenen Branchen und Mieter unterschiedliche Bedürf-

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nisse zu Lage, Ladenzuschnitt und -größe, Kundenstrom, Einsehbarkeit, Infrastruktur und Anlieferung. Auch diese müssen berücksichtigt werden. Nicht fehlen darf im Mix eines Shopping Centers die Gastronomie.

Quelle: EHI Retail Institute 2009

Tabelle 5: Die Top-Filialisten in Shopping Centern Food Courts sind eine Entwicklung aus den USA, die bei uns in diesen Tagen immer häufiger umgesetzt wird. Ein Problem in der Umsetzung besteht bisher darin, dass die Kunden eine komfortable und entspannende Umgebung noch nicht mit Fast Food, dem „schnellen Essen“, verbinden. Ganz wichtig zur Etablierung der Food Courts ist daher neben der großzügigen Gestaltung und unbedingter Sauberkeit auch das natürliche Licht (z.B. durch Fenster nach draußen). Restaurants können eine wichtige Signalwirkung nach außen haben. Ihre Eingangsbereiche sollten auch nach Ladenschluss gut erreichbar sein, außerdem müssen ausreichend Parkplätze in unmittelbarer Umgebung vorhanden sein. 3.2.4.5.3 Flächendefinitionen Grundlegend für die Berechnung der Baukosten ist die Darstellung der Flächen. Besonders im internationalen Vergleich gilt dabei für Deutschland, dass an einer einheitlichen Definition der Flächenberechnung weiterhin gearbeitet wird. Zumeist werden die Flächen auf der Grundlage der DIN 277 (Gliederung der Netto-Grundrissflächen nach Nutzungssparten, speziell ihre Unterteilung in Nutz-, Funktions- und Verkehrsflächen) ermittelt, die in ihren Details nicht auf Handels-

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immobilien ausgerichtet ist und auch keine Grundlage für die Berechnung von Mietflächen in Immobilien darstellt. Die Abgrenzung von Bruttogeschossfläche (BGF) als Summe der Grundflächen aller Geschosse z.B. eines Shopping Centers mit sämtlichen begehbaren Flächen innerhalb des Gebäudes (darin Nutzflächen, Funktionsflächen, Verkehrsflächen), sowie Mietflächen (MF) als Summe derjenigen Flächen, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs einer Einzelhandels-, Dienstleistungs- oder Gastronomieeinrichtung notwendig sind und Verkaufsfläche (VF), die ausschließlich dem Verkauf dient und dem Kunden zugänglich ist, ist von entscheidender Bedeutung. 1997 erfolgte durch die gif – Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. die Erarbeitung einer „Richtlinie zur Berechnung der Mietflächen für Handelsraum“, in der die vertraglich auszuweisende Mietfläche (MF-H) sich – entsprechend ihrer unterschiedlichen Nutzungsart – aus zwei Mietflächenarten zusammensetzt. Zum einen aus Flächen, die ausschließlich vom Mieter, d.h. exklusiv, genutzt werden (Mietfläche MF-H 1) und zum anderen aus gemeinschaftlich genutzten Flächen, die von mehreren Mietern genutzt werden können (Mietfläche MF-H 2). Im Hinblick auf die Überarbeitung der „Richtlinie zur Berechnung von Mietflächen für gewerblichen Raum (MFG)“ im Jahr 2004 wurde eine Abstimmung mit dem Normenausschuss Bau erreicht. Derzeit wird eine Überarbeitung der Definition von Verkaufsfläche in den gif Arbeitskreisen angestrebt. Im Unterschied zu Deutschland wird international die GLA (Gross Leasable Area), also brutto vermietbare Geschäftsfläche für sämtliche Berechnungen herangezogen. Definiert ist die GLA nach dem Urban Land Institute wie folgt: “is the total floor area designed for the tenants‘ occupancy and exclusive use – including basements, mezzanines, and upper floors – expressed in square feet and measured from the centerline of joint partitions and from outside wall faces. It is all that area on which tenants pay rent, including sales areas and integral stock areas.” (Beyard, S. 6). 3.2.4.6

Baukostenkalkulation

Im Hinblick auf die Planung der Baukosten für Handelsimmobilien ist entsprechende Erfahrung notwendig, denn speziell hier steht der Anspruch einer frühen Planungssicherheit in Bezug auf Baurecht, Abstimmung mit den Behörden und Kalkulation der Baukosten in einem Widerspruch zu den auf langwierigen und mit vielen Änderungen in Planungsdetails verbundenen Vermietungsgesprächen. Gleichzeitig verhindern spät abgeschlossene Mietverträge die Schaffung von vertraglichen Grundlagen zur Finanzierung des Projektes. Aus diesem Grund beschränkt sich die Kalkulation der Baukosten in der Anfangsphase der Projekte häufig auf Berechnungen von Bruttoflächen der Vorentwurfsplanung und den Abgleich der ermittelten Werte mit Vergleichszahlen anderer Projekte.

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Wesentlich ist die konsequente Trennung der Kostenermittlung in die verschiedenen Funktionsbereiche des Projektes. Hierzu zählen in einem Einkaufszentrum die vermietbare Handelsfläche, die Mallfläche, die ausschließlich für den Handel bestimmten Treppenhäuser und Aufzüge, die sonstigen Verkehrsflächen, Sozialräume, Anlieferung, Funktionsflächen sowie sonstige Flächen wie z.B. Lufträume oder das Malldach. Für Parkhäuser und deren Treppenhäuser, ebenso wie ggf. Büroflächen und sonstige anderweitige Nutzungen – auch z.B. Freizeiteinrichtungen – müssen die Kosten getrennt von den Handelsflächen ermittelt werden. Auch die Art der Vergabe in der Bauausführung ist für die Kostenkontrolle wichtig. Neben den traditionellen Möglichkeiten der Projektsteuerung oder der Generalunternehmervergabe setzt sich im Bereich Einzelhandel das so genannte GMP-Modell durch. Bei diesem „guaranteed maximum price“ (garantierter Maximalpreis) entwickeln Bauherr und Generalunternehmer nach der Entwurfsplanung gemeinsam die Qualitäten des Projektes zu einem für den Bauherrn akzeptablen Preis. Dieser festgelegte Vertragspreis wird bei gleich bleibender Planung nicht überschritten und die Vorteile bei den Vergaben der Einzelgewerke zugunsten des Gesamtpreises werden anteilig an den Bauherrn weitergegeben. Der Kostenvorteil bei dieser Vertragsart liegt darin, dass wie bei einem normalen GU-Vertrag ein garantierter Maximalpreis und ein vereinbarter Fertigstellungstermin fest stehen, gleichzeitig jedoch der Bauherr den Vorteil hat, auch während des Projektablaufs die Kosten steuern zu können. 3.2.4.7

Vermietung und Vermarktung

Die Vermietung und Vermarktung von einzelhandelsgenutzten Immobilien ist neben der Wahl des richtigen Standortes und der baulichen Ausgestaltung der wesentliche Aspekt, der den Erfolg bestimmt. Vorteile können für einen Einzelhändler in der Anmietung von Ladenlokalen innerhalb eines Shopping Centers liegen. So wird der Eigentümer oder Betreiber für einen abgestimmten und dem Standort angepassten Branchenmix sorgen und seine Mietverträge werden eine Vielzahl von Verpflichtungen vorsehen. Darüber hinaus sorgt er für eine gute Vermarktung seines Standortes. Doch auch viele Einzelhändler, die sich an innerstädtischen Einkaufsstraßen niederlassen, werden in der Zwischenzeit durch Makler professionell betreut oder schließen sich in Gruppen zusammen, um mit Citymanagement ihren Standort zu stärken. 3.2.4.7.1 Kriterien für die Miet- und Kaufpreisfindung im Handel Auch für die Gestaltung von Mietpreisen in Handelsimmobilien spielt die Lage eine der wesentlichsten Rollen. Ob in der Innenstadt, wo die besten Lagen in den Fußgängerzonen diejenigen mit der höchsten Frequenz und den höchsten Mieten sind, oder in Shopping Centern, wo die Lage im Erdgeschoss zumeist diejenige in den Ober- und Untergeschossen sowohl hinsichtlich der Attraktivität der Mieter wie auch der Höhe des Mietpreises deutlich übertrifft.

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Zu den Objektkriterien gehören die Größe und Ausstattung eines Ladenlokals, die Gestaltung von Fensterfront und Eingang (möglichst stufenlos), die Anzahl der Verkaufsetagen und ihre interne oder externe Anbindung, die Beschaffenheit von Anlieferung und Lagerflächen und nicht zuletzt die Möglichkeiten der werblichen Darstellung. Das Image des Gebäudes – ob alt und unter Denkmalschutz stehend oder modern und mit der entsprechenden Gebäudetechnik versehen – trägt sowohl zur Atmosphäre eines Ladenlokals wie auch zur Gestaltung des Mietpreises bei. Die Höhe des pro Quadratmeter Ladenfläche geforderten, realisierten oder einzuschätzenden Mietpreises hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Die wichtigsten Größen sind: der Makro/Mikro-Standort, die Lage der Immobilie, die Passantenfrequenz, das Nutzungskonzept, der Mietermix und das Niveau des jeweiligen Angebotes, die Mietbelastbarkeit einzelner Branchen, Flächenangebot und –nachfrage und schließlich die Ladenfläche selbst mit ihrer Größe, Geschossigkeit, Frontbreite sowie Zuschnitt. Alles entscheidender Bestimmungsfaktor jedoch ist der erzielbare Umsatz. Welche Hilfen können nunmehr zur Einschätzung des Mietpreisniveaus herangezogen werden? Zum einen stehen die pauschal nach Stadt, 1a- und 1b-Lagen sowie Nebenzentren differenzierten Mietenspiegel zur Verfügung, z.B. vom Immobilien Verband Deutschland (IVD), vormals Ring Deutscher Makler (RDM) und Verband Deutscher Makler (VDM). Zum anderen gibt es für Idealflächen (Erdgeschoss, bis 100 m², stufenfrei, mindestens 6 Meter Schaufensterfront) in 1a-Lagen gültige Spitzenmieten-Rankings der bundesweit tätigen Einzelhandelsmakler (z.B. Brockhoff, BNP Paribas, JonesLangLasalle, vormals Kemper‘s). Die Mietflächen sollten stützenfrei und mit möglichst wenigen Restriktionen versehen sein. Wenn Stützen notwendig sind, sollten sie so angeordnet sein, dass sie eine Regalierung der Mietflächen zur Präsentation der Ware nicht behindern. Schlauchartig zugeschnittene Ladenlokale mit extremer Tiefe sind weniger nachgefragt. Bei Mietansätzen in solchen Ladenlokalen hat sich die sog. Zoning-Methode durchgesetzt, d.h. Ladenflächen werden in mehrere Zonen mit festgelegter Tiefe unterteilt. Der Umsatz nimmt erfahrungsgemäß mit zunehmender Entfernung von der Straßenfront bzw. Schaufensterfront systematisch ab und daher sinkt auch der Mietwert proportional. Somit kann pro Zone und 1a-Lage ein typischer m²-Mietwert berechnet werden. Das konkrete Ladenlokal ist je nach Größe und Zuschnitt aus unterschiedlich großen Zonen zusammengesetzt. Der Mietpreis berechnet sich dann aus der Zahl der m² pro Zone, multipliziert mit dem berechneten m²-Preis. Eine Unterteilung in drei Zonen hat sich als praktikabel erwiesen. Die ersten beiden sind jeweils sieben Meter tief und die übrige Fläche wird in einer dritten Zone zusammengefasst. Der Mietpreis beträgt für die erste Zone 100%, für die zweite Zone 50% und für die dritte nur noch 25%.

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Was die Zugangsmöglichkeit angeht, wird ein stufenfreier Zugang vorausgesetzt. Sollte es doch Stufen im Eingangsbereich geben, muss mit etwa 10% weniger Umsatz und analog dazu 10% weniger Miete gerechnet werden. Dafür werden transparente Zugangsmöglichkeiten geschaffen, so dass der Kunde von außen den gesamten Laden und dessen Sortiment einsehen kann. Jede Branche hat darüber hinaus unterschiedliche Anforderungskriterien wie z.B. an separat zu steuernde Heizungsanlagen, Klimaanlagen, Aufzüge, Entfernung von Säulen um die Transparenz zu erhöhen. 3.2.4.7.2 Besonderheiten in der Mietvertragsgestaltung So wie die Mietpreisfindung bei einzelhandelsgenutzten Immobilien von einer Vielzahl an Parametern abhängig sein kann, so gelten auch einige Besonderheiten für die Gestaltung von Mietverträgen. Zugrunde liegt einem Mietvertrag für eine Handelsimmobilie zumeist der bauliche Zustand eines „veredelten Rohbaus“. Die Baubeschreibung ist wesentlicher Bestandteil des Mietvertrages, denn der Mieter ist zur Einrichtung und Ausstattung seines Ladenlokals nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet. Dabei erfolgt die Auftragsvergabe zumeist an den im Objekt tätigen Generalunternehmer über den Architekten oder Projektsteuerer des Vermieters. Gestaltungsrichtlinien, z.B. für die Werbeanlagen werden mit dem Architekten abgestimmt. Mit Abschluss des Mietvertrages übernimmt der Mieter die Betriebspflicht, die zu den jeweils üblichen Ladenöffnungszeiten gilt. Er muss außerdem fachkundiges Personal einstellen und sein Geschäftsbetrieb muss den Anforderungen genügen, d.h. Warenangebot und Dekoration sollen ausreichend und für die Kunden attraktiv gestaltet sein. Das Aufstellen von Werbeträgern und Warenständern außerhalb des Mietbereiches in einem Shopping Center wird im Mietvertrag zumeist untersagt. Es gibt in Shopping Centern grundsätzlich keinen Konkurrenzschutz. Umsatzmeldungen sind monatlich oder zumindest quartalsweise an den Vermieter zu geben, auch wenn keine Umsatzmiete vereinbart ist. Es gibt verschiedene Mietzinsmodelle. Von der Vereinbarung einer reinen Festmiete mit und ohne Nebenkostendeckelung, über die Staffelmiete bis zur Umsatzmiete reicht die Bandbreite. Risk-Sharing, d.h. die Rückzahlung von Mietleistungen bei mangelnder Performance im Center, ist eine von erfolgreichen Einzelhändlern immer häufiger nachgefragte Variante. Zu den wertsichernden Methoden gehören u.a. die Anpassung an die Marktmiete, die Indexierung, Staffelmieten, die in festen Zeitabständen um einen fest vereinbarten Satz gesteigert werden. Nebenkosten sind in vielen Shopping Centern heute zu einer 2. Miete geworden. Ihre Deckelung wird häufig von Großmietern oder besonders attraktiven und für ein Center wichtigen Anbietern

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gefordert. Der Beitritt zur Werbegemeinschaft ist für die Mieter der meisten Shopping Center obligatorisch. 3.2.4.7.3 Centermanagement Die Erfolgsgeschichte der Shopping Center gründet sich neben der Angebots- und Geschäftsvielfalt unter einem Dach und der bequemen Erreichbarkeit mit individuellem und öffentlichem Personennahverkehr zunehmend auf die so genannten drei „S“: Sicherheit, Sauberkeit und Service. Diese sind wesentliche Kriterien, die in einem Shopping Center durch ein vom Eigentümer oder Betreiber eingesetztes Centermanagement überwacht werden. Wenn diese Faktoren durch ein aktives Centermanagement ständig gepflegt und weiterentwickelt werden, so kann von einem anhaltenden Erfolg ausgegangen werden, der – beispielsweise für die überwiegend nach wie vor nicht organisierten Einzelhandelsgeschäfte einer Innenstadt – nicht leicht zu kopieren ist. Centermanagement bedeutet das ganzheitliche Betreiben von Einzelhandelsimmobilien in kaufmännischer (Marketing/PR, Werbegemeinschaft, kaufmännischer Hausverwaltung, Vermietungsmanagement, etc.) und technischer (technisches Gebäudemanagement) und infrastruktureller (Serviceangebote) Hinsicht, mit dem Ziel, die Wertschöpfung durch die Immobilie zu optimieren. Eingesetzt wird ein Centermanager zum frühest möglichen Zeitpunkt, d.h. noch in der Bauphase. Kenntnisse über die bautechnischen Ausführungen, die Materialien und Ausstattung der Mall sowie das Raumprogramm hinsichtlich Bewachung, Reinigung und Müllentsorgung sind von großer Bedeutung für das anschließend reibungslose Funktionieren eines Shopping Centers. Die Aufgaben des Centermanagements sind nach kaufmännischen, technischen und infrastrukturellen Maßnahmen zu unterscheiden. Zu den Kernaufgaben des Centermanagers zählen das kaufmännische Mietvertrags- und Berichtswesen, das Marketing und die Öffentlichkeitsarbeit sowie das technische Gebäudemanagement. Wesentliche Aspekte in der Umsetzung der mietvertraglichen Regelungen sind z.B. die Einhaltung der Öffnungszeiten, der Betreibungspflicht, der Teilnahme

an

gemeinschaftlichen

Aktivitäten

und

der

Hausordnung.

Auch

eine

Sortimentsoptimierung und entsprechende Nachvermietungen gehören in einigen Unternehmen zu den Aufgaben des Centermanagers. Das technische Gebäudemanagement bezieht sich u.a. auf die Betreuung der Mieter bei der Umsetzung von Baubeschreibungen, so z.B. der rechtlichen Vorschriften zu Fluchtwegen und zum Brandschutz, sowie auf die Instandhaltung und Instandsetzung. Zu den Aufgabenbereichen im infrastrukturellen Gebäudemanagement gehören u.a. die Reinigung, Bewachung und Entsorgung. Besonders Teilbereiche des infrastrukturellen Managements werden häufig an Drittunternehmen vergeben, die sich mit Facilities Management beschäftigen.

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In Abgrenzung zum Centermanagement in einem Shopping Center versteht man unter Facilities Management die Betrachtung, Analyse und Optimierung aller kostenrelevanten Vorgänge rund um ein Gebäude, ein anderes bauliches Objekt oder eine im Unternehmen erbrachte (Dienst-) Leistung, die nicht zum Kerngeschäft gehört (Definition nach German Facility Management Association (GEFMA) Richtlinie 100). Eine erfolgreiche Handelsimmobilie zeichnet sowohl die Nähe zu Wünschen und Erfordernissen der Kunden, als auch die optimale Nutzung und Gestaltung des gegebenen Standortes aus. Architektur schafft nicht nur den baulichen Rahmen für den Einzelhandel, sondern die Bühne für Produkt und Käufer gleichermaßen. Im Shopping Center gehört die Öffentlichkeitsarbeit ebenso wie das Marketing zu den Aufgaben des Centermanagers. In einer Werbegemeinschaft, in die alle Mieter bei Mietvertragsunterzeichnung eintreten, werden die Aktionen und Events auf der Grundlage des Werbeetats geplant. Vorsitzender der Werbegemeinschaft und in dieser Funktion Koordinator des Marketingplans ist zumeist der Centermanager oder sein Assistent. Aufgrund des hohen Wettbewerbsdruck zu anderen Handelsagglomerationen und ShoppingCentern wird es eine zentrale Rolle spielen, Einkaufszentren stetig auf Kundenfrequenzen, Umsätze und entsprechend Mieten zu untersuchen, um den aktuellen Kundenanforderungen gerecht zu werden. Die Revitalisierung überalterter Projekte stellt daher eine wesentliche Zukunftschance dar, um die Wettbewerbsposition zu stärken und auch in Zukunft marktfähig zu bleiben. 3.2.4.8

Neue Handelsformen und Handelsstandorte

Immobilien-Objekttypen, die weniger mit dem klassischen Verkauf, sondern mehr mit dem Transport bzw. der Personenbeförderung (z.B. Bahnhöfe, Flughäfen, zentrale ÖPNV Bahnhöfe) in Verbindung stehen und die vom Besucher weniger wegen ihrer Einzelhandelsfunktion aufgesucht werden, kommt in diesem Bereich auch in Deutschland immer mehr Bedeutung zu. Bei Flughäfen nimmt die Bedeutung des „non-aviation-Bereichs“, d.h. der Geschäftsfelder, die nicht dem klassischen Flugbetrieb zuzuordnen sind, gegenüber den konventionellen Flugbetriebsaktivitäten der Airports zu. Flughäfen und die dort angegliederten Airport-Center wie z.B. in Frankfurt oder München bieten ein großes Potenzial für Einzelhandelsfunktionen. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Einkaufsbereichen im öffentlich zugänglichen oder im nicht-öffentlichen Bereich, d.h. nur für Flug-Passagiere. Für die Flughäfen stellen die Läden und das Angebot an Dienstleistungsprodukten wichtige Sekundärangebote zum klassischen Flugkerngeschäft dar. Nutzer der Einzelhandelsflächen sind zum einen Flugpassagiere und deren Begleitpersonen sowie die Beschäftigten am Flughafen, zum anderen aber auch in zunehmendem Maße die Bewohner des Umlandes oder gar der Umlandgemeinden, die den Flughafen gezielt wegen dessen Einzelhandels- und Dienstleistungsfunktionen aufsuchen.

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Bereits vor den Flughäfen wurden viele Bahnhöfe modernisiert und zu attraktiven Zentren der Dienstleistung, des Handels und der Gastronomie entwickelt. Beispiele finden sich in Leipzig, Frankfurt, Hannover, Köln oder Freiburg. Der historisch gewachsene Branchen- und Sortimentsmix im Bahnhof war geprägt durch die Ausrichtung an den Grundbedürfnissen des Reisebedarfs. So waren als typische Branchen vertreten: Gastronomie, Buch/Presse, Backwaren, Blumen, Tabak, Reiseproviant. Es bestand ein flächenmäßiges Übergewicht im Bereich Gastronomie und Food. Ziel

bei

neueren

Bahnhofsentwicklungsprojekten,

Teilumbauten

oder

Branchenmix-

optimierungen ist daher eine flächenmäßige Erweiterung des Bereichs Non-Food, die Aufnahme von Filialisten als Ankerbetriebe und das Angebot großflächiger Buch-/Presse- oder Drogerieeinheiten. Die Kernfunktionalität als Verkehrsknotenpunkt und Umsteigeplattform für Reisende sollte stets im Vordergrund bleiben, d.h. es muss für ausreichend und bequeme Wartemöglichkeiten gesorgt werden. Optimalerweise schafft der Bahnhof als Anker am Ende einer Fußgängerzone eine neue Lagequalität (z.B. in Hannover oder Köln) oder er stellt eine Wechselbeziehung zwischen Innenstadt und Bahnhof her, indem die Innenstadt eine klare Stärkung erfährt und von dem Besucherstrom des Bahnhofs profitiert und idealerweise auch umgekehrt. In Leipzig hat die Entwicklung des Bahnhofs in ein Shopping Center dazu geführt, dass weitere Handelsentwicklungen in der Innenstadt folgten. Im Hinblick auf die weitere Entwicklung von Einzelhandel in der Stadt ebenso wie der Revitalisierung und Stärkung innerstädtischer Geschäftsbereiche sind die so genannten BIDs zu nennen, die Business Improvement Districts. Die Idee kommt aus Nordamerika, wo heute bereits etwa 1.200 BIDs existieren; allein New York City verfügt über 64 BIDs, eines der bekannten Beispiele ist der Times Square in New York City. Ziel ist es, bei gerechter Lastenverteilung ganze Geschäftsstraßen unter staatlicher Aufsicht zu revitalisieren. Die Initiative soll von Geschäftsleuten und Grundeigentümern eines Stadtquartiers ausgehen. Wenn deren Konzept bei der Mehrheit der Beteiligten Zustimmung findet, soll ein zu schaffendes Gesetz z.B. Höhe und Art einer Förderabgabe regeln, welche zusammen mit der Grundsteuer über einen begrenzten Zeitraum hinweg (meist über 5 Jahre) erhoben wird. Die Abgabe soll zur Finanzierung einzelner Maßnahmen wie z.B. der zusätzlichen Pflege des öffentlichen Raums, der Durchführung von Veranstaltungen und Events, Werbung und Marketing genutzt werden. Neben der Nutzung neuer Standorte und der Stärkung der Innenstädte ist der Einzelhandel auch bemüht, mit neuen Konzepten und Präsentationsformen die Gunst des Kunden zurück zu gewinnen. In einer Diskussion über die Werte von innerstädtischem Leben wird in den USA der Begriff des Third Place mit neuen Inhalten gefüllt. Es geht dabei neben dem First Place, dem Wohnen,

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und dem Second Place, dem Arbeitsumfeld, um Bereiche, in denen Freizeit im Sinne von „freier Zeit“ verbracht wird. Hierzu zählen zwar auch die großen Sport- und Vergnügungsstätten, vor allem aber ein Angebot von Kultur, Einkaufen und Gastronomie – geprägt durch kleinteilige, städtische Strukturen. Shopping Center, die sich als Third Places verstehen, sind offen gestaltet, sie bieten einen gewissen Schutz vor Wind und Wetter, aber keine umfangreichen Umdachungen oder gar Klimatisierungen mehr. Ihre Angebote verbinden Dienstleistungen, Kleingewerbe und lokale Angebote mit Sortimenten, die sich stark mit Heim & Herd, Wohnaccessoires und Freizeit beschäftigen. Ihre Ansprache an den Markt ist von individuellen Aktionen bis hin zu Nachbarschaftsfesten geprägt. Häufig werden ältere Shopping Center revitalisiert, so zum Beispiel das University Village in Seattle. Ebenfalls im Sinne eines Erlebnisses agieren Brand Parks oder auch Corporate Lands. Dies sind Themenparks, in denen Verbraucher eine Marke hautnah erleben können. In Deutschland existieren sehr unterschiedliche Arten von Brand Parks. Die Palette reicht von Showroom oder Flagship Stores bis hin zu Firmenmuseen, Besucher-/Informationszentren, Wanderausstellungen oder großen Freizeitparks. Die Grenzen sind fließend; eine einheitliche Definition existiert bisher nicht. Ob kleines oder großes Engagement, ob stationäre Anlage oder mobiles Ausstellungskonzept, hängt von den Zielsetzungen des Unternehmens ab. Im Vordergrund steht die Inszenierung, nicht der Verkauf der Ware. Beispiele sind NikeTown, die Autostadt Wolfsburg, aber auch Ausstellungen wie die „Faszination Handel“ des Metro-Konzerns. 3.2.4.9

Ausblick

Das sinkende Bevölkerungswachstum, die zunehmende Zahl älterer Menschen, der Trend zu Kleinhaushalten, die Veränderungen durch Wanderungsbewegungen, das zur Verfügung stehende Einkommen, aber auch die Zeit, die für Einkaufstätigkeiten zur Verfügung steht, beeinflussen das Konsumentenverhalten. Modetrends bewirken, dass bestimmte Betriebsformen des Einzelhandels anderen vorgezogen werden und immer schnelllebiger werden. Die am Markt befindlichen Einzelhändler müssen nicht nur ihr Angebot und ihren Service überdenken, sondern ihre Vertriebsformate den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden anpassen. Einer wachsenden Anzahl von Nahversorgern, Discountern, Fachmärkten und ConvenienceShops stehen die in Stagnation befindlichen Supermärkte und Warenhäuser gegenüber. Verbrauchermärkte und SB-Warenhäuser liegen dazwischen und bewegen sich aufeinander zu. Welche Bedeutung diese Entwicklungen für die Städte und den dort ansässigen Einzelhandel haben, bleibt abzuwarten und zu beobachten. Die Einzelhandelsunternehmen werden zwar internationaler, der

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Einzelhandel selbst aber bleibt größtenteils regional, d.h. es wird Gewinner- und Verliererregionen geben.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.4 Beyard, M. D./O’Mara, W. P.: Shopping Center Development Handbook, 3. Auflage, Washington, D.C. 1999. Brune, W.: Die Stadtgalerie. Ein Beitrag zur Wiederbelebung der Innenstädte, Frankfurt/New York 1996. Cushman & Wakefield: Einzelhandelsimmobilien treiben den europäischen Immobilieninvestmentmarkt, in: Presseinformation, Frankfurt am Main 2010. EHI Retail Institute: Shopping Center Report, Köln 2009.

Fraport: Geschäftsbericht 2009, Frankfurt 2009. Frei, H.: Tempel der Kauflust. Eine Geschichte der Warenhauskultur, Leipzig 1998. GEFMA Deutscher Verband für Facility Management e. V.: GEFMA-Richtlinie 100, Bonn 2004.. Geist, J. F.: Passagen – ein Bautyp des 19. Jahrhunderts, 4. Auflage, München 1982. gif – Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. (Hrsg.): Richtlinie zur Berechnung für gewerblichen Raum (MF-g), Wiesbaden 2004. Gruen, V./Smith, L.: Shopping Towns USA. The Planning of Shopping Centers, New York 1960. Hahn Gruppe: Retail Real Estate Report Germany, Bergisch-Gladbach 2009. Hoffmann-Güth, C./Busse, K.: Bedeutung und Entwicklungspotenziale von Retail Parks aus immobilienwirtschaftlicher Sicht, in: Falk, B./Bays, W. (Hrsg.): Shopping Center Handbuch, Development, Management, Marketing, Starnberg 2009. ICSC – International Council of Shopping Centers: Leisure & Lifestyle Retailing, New York 2003. Institut für Handelsforschung an der Universität zu Köln (IfH): Katalog E, Begriffsdefinitionen aus der Handels- und Absatzwirtschaft, 4. Ausgabe, Köln 1995. International Council of Shopping Centers (Hrsg.): Toward a Pan-European Shopping Centre Standard, New York, 2005. Sturm, V.: Erfolgsfaktoren der Revitalisierung von Shopping-Centern – ein Turnaround-ManagementAnsatz, Köln 2006. Walzel, B.: Unterscheidung nach Immobilienarten, in: Schulte, K.-W. (Hrsg.): Grundlagen der Immobilienökonomie, Bd. I Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 4. Auflage, München 2008, S. 117-140.

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3.2.5

Bauten für Gewerbe und Industrie

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Gerd Hennings, Monika Dobberstein 3.2.5.1 3.2.5.2 3.2.5.3 3.2.5.4 3.2.5.5 3.2.5.6 3.2.5.7

Einführung Gewerbeparks Technologieparks Logistik-Immobilien Private Gründer- und Technologiezentren Private Gewerbehöfe Entwicklung und Vermarktung von klassischen Gewerbe- und Industrieflächen 3.2.5.8 Zusammenfassung Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.5

519 519 520 522 523 526 529 530 531

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3.2.5

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Bauten für Gewerbe und Industrie

Gerd Hennings, Monika Dobberstein 3.2.5.1

Einführung

Immobilienprojektentwicklungen im Gewerbebereich haben sich in den letzten Jahren vor allem auf den Bereich der Büroimmobilien konzentriert und damit auf ein lange Zeit ständig wachsendes Segment der Gewerbeflächennachfrage in Städten. Daneben haben sich aber auch andere Typen von Gewerbeimmobilien etablieren können, die zwar i.d.R. nicht so spektakulär wirken wie moderne Büroimmobilien und darum nicht so viele Schlagzeilen auf sich ziehen. Auch operieren sie in Märkten, die nicht so wachstumsstark sind, wie es lange Zeit die Büroimmobilien waren. Projektentwickler aber, die sich auf diese Märkte konzentriert haben und hier ein besonderes Know How entwickelt haben, operieren durchaus profitabel in diesen kleineren Märkten der Gewerbeflächenentwicklung, wenn sie auf die Besonderheiten der jeweiligen Gewerbeimmobilien reagieren können. 3.2.5.2

Gewerbeparks

Gewerbeparks werden seit dem Ende der 70er Jahre den deutschen Gewerbetreibenden angeboten. Sie werden von privaten Projektentwicklern einheitlich entwickelt und vom Endinvestor einheitlich betrieben. Meist werden die Flächen spekulativ errichtet. Gewerbeparks verfügen über ein attraktives Erscheinungsbild, das sich durch eine vergleichsweise hochwertige Architektur, große, gärtnerisch gestaltete Außenanlagen sowie eine einheitliche Beschilderung auszeichnet. Der Park wird unter einem einheitlichen Namen vermarktet. Standorte von Gewerbeparks liegen normalerweise an dezentralen Orten mit einer hervorragenden Verkehrsanbindung an das Straßennetz bzw. den Flughafen. Projektentwickler aus dem angloamerikanischen Raum brachten diese neue Form der Gewerbeflächen nach Deutschland. In England waren Gewerbeparks bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt worden. Ihre Charakteristik war stark industriell geprägt, und oft wurden sie auf Flächen errichtetet, die mehr als 100 ha groß waren. Auch in der Bundesrepublik hatten Gewerbeparks zunächst einen hohen Anteil an Lagerflächen. In Gewerbeparks späterer Generationen stieg der Anteil der Büroflächen. Die Gewerbeparks der sog. fünften Generation, die ab Mitte der 90er Jahre errichtet wurden, hatten einen Büroflächenanteil von 80 % und mehr. Lagerflächen wurden praktisch nicht mehr angeboten. Sie wurden durch sog. Serviceflächen ersetzt. Dabei handelt es sich mehr oder weniger um minderausgestattete Büroflächen, auf denen z.B. Prototypen gebaut, Produkte endmontiert oder repariert werden sowie

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kleinere Bestände gelagert werden können. Sie befinden sich in den Erdgeschossen, die mit einer großzügigeren Raumhöhe ausgestattet sind. Ab Mitte der 90er Jahre wurden unter dem Label „Gewerbepark“ auch Flächen vermarktet, die reine Büroflächen anboten und bei denen die klassische Kombination von Büro-, Service- und Lagerflächen verloren gegangen war. In Konjunkturphasen mit einem hohen Überangebot an Büroflächen gewinnen aber auch immer wieder Gewerbeparks älterer Generationen mit hohen Lagerflächenanteilen an Bedeutung. Gewerbeparks mit einem paritätischen Anteil an Büro- und Serviceflächen werden hingegen kaum noch errichtet, es dominiert entweder die Büro- oder die Lagernutzung. Derzeit werden kaum neue Gewerbeparks projektiert. Dies liegt zum einen an der derzeitigen Überkapazität auf dem Büromarkt. Zum anderen wird aber auch der Bedeutungsverlust von Lager- und Serviceflächen in Gewerbeparks diskutiert, weil Tätigkeiten, die früher auf Serviceflächen verrichtet wurden, heute vielfach an Logistikunternehmen abgegeben werden. Schwerpunkte der Gewerbeparkentwicklung in Deutschland waren zunächst Düsseldorf und Frankfurt. Heute befinden sich Gewerbeparks aber auch in allen anderen Agglomerationen und vielen Kleinstädten. 3.2.5.3

Technologieparks

Quelle: TechnologieZentrumDortmund GmbH

Abbildung 105: Technologiepark Dortmund

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Wie bei Gewerbeparks wird auf eine attraktive Architektur und Gestaltung der Freiflächen geachtet. Ein Bebauungsplan mit detaillierten Festsetzungen garantiert die städtebauliche Attraktivität des Technologieparks (vgl. Abbildung 106). Darüber hinaus bietet der Entwickler jedoch ein breites Spektrum an Dienstleistungen und Infrastruktureinrichtungen an. So ist der Park beispielsweise Mitglied in einem internationalen Netzwerk von Technologieparks, das den Gedankenaustausch der ansässigen Firmen ermöglicht. In angegliederten, privat betriebenen, oft allerdings öffentlich subventionierten Gründerzentren werden junge Unternehmen gefördert. Ferner vermittelt der Park-Betreiber z.B. Kontakte zu Gründungsberatern, Finanzdienstleistern, Versicherungsunternehmen und Venture Capital Gesellschaften.

Quelle: TechnologieZentrumDortmund GmbH

Abbildung 106: Technologiepark Dortmund, Architekturbeispiel Anders als in Gewerbeparks, in denen Gewerbeflächen normalerweise ausschließlich spekulativ entwickelt und vermietet werden, ist die Bandbreite des Immobilien-Angebots in Technologieparks breiter. In ihnen können Flächen angemietet sowie schlüsselfertige Immobilien oder unbebaute Grundstücke erworben werden. Rund um die Immobilie werden zahlreiche Dienstleistungen angeboten. Diese umfassen z.B. Sekretariats- und Empfangsdienste, das Angebot an Konferenzräumen, Facility Management Dienste, die Installation und den Betrieb von Kommunikationssystemen, Sicherheitsdienste. Darüber hinaus werden Serviceleistungen eines breiten Spektrums vermittelt. Diese reichen vom Einkaufspooling, z.B. für Büromöbel, Hotelkontingenten, Mobilfunkverträgen, Übersetzungsdiensten, etc. bis hin zur Vermittlung von EventmarketingPartnern oder normalen Catering-Diensten.

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3.2.5.4

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Logistik-Immobilien

Seit einigen Jahren strukturiert sich die gesamte Logistikbranche um. So ist zunächst ein starker Trend zum Outsourcing festzustellen. Produzenten, die ihre Transportleistungen früher selbst erbracht haben, betrachten diesen Teil der Wertschöpfungskette nicht mehr als ihr Kerngeschäft und geben diesen ab an spezialisierte Logistikunternehmen. Diese befinden sich in einem Globalisierungsprozess, der den Aufbau von internationalen Netzwerken erfordert. Neben der Ausweitung ihrer regionalen Aktivitäten dehnen die Logistiker zudem ihre Tätigkeiten auf Teile der Wertschöpfungskette aus, die früher nicht zu ihrem Kerngeschäft gehörten. So verlängert sich ihre Wertschöpfungskette sowohl in die Produktion als auch in den Handel hinein. In der Produktion übernehmen sie beispielsweise das Verpacken, Kommissionieren sowie die Qualitätskontrolle, im Handel die eigenständige Regalbestückung sowie die Lagerkontrolle und –verwaltung. Solche Logistiker werden 3rd bzw. 4th-Party Logistics Provider genannt. Die Professionalisierung, die Ausweitung der Wertschöpfungskette sowie die Internationalisierung der Transportdienstleistungen haben zum einen dazu geführt, dass kleine Unternehmen zunehmend vom Markt gedrängt werden, und zum anderen dazu, dass die Branche einen erheblichen Investitionsbedarf hat. Diese Entwicklungen haben auch Auswirkungen auf die Logistikimmobilien. Um ihr Eigenkapital zu schonen und für den Ausbau des Kerngeschäftes zu reservieren, entschließen sich Logistiker heute i.d.R. dazu, ihre Immobilien zu mieten und nicht mehr selbst zu errichten und zu besitzen. Dies hat den weiteren Vorteil, dass sie sich nicht mehr langfristig an einen Standort binden müssen. Da mit Logistikimmobilien im Vergleich zu anderen Immobilien hohe Renditen erwirtschaftet werden können, haben viele Investoren mittlerweile Logistikimmobilien ihrem Portfolio beigemischt. Zum Teil haben sich aber auch Unternehmen gebildet, die sich allein auf die Entwicklung bzw. das Halten von Logistikimmobilien spezialisiert haben. Vor dem Hintergrund der erweiterten Wertschöpfungskette haben sich die Ansprüche an die Immobilien erhöht. So werden zusätzliche Flächen für die Kommissionierung und die Endproduktion benötigt. Hinzu kommen hohe Anforderungen an die Technikausstattung, damit die Steuerung des Logistikvorganges gewährleistet werden kann. Eine ausreichende Deckenhöhe und -tragfähigkeit sowie eine ausgezeichnete Anbindung an alle Verkehrsträger sind weiterhin obligatorisch. Die Errichtung für einen Mietmarkt erfordert zudem die Drittverwendungsfähigkeit. Räumlich sind die Immobilien meist an den Ballungsrändern verortet. Dort treffen sie oft auf erheblichen Widerstand der Bevölkerung. Diese ist häufig aus der Stadt geflüchtet, um im Grünen zu wohnen und eben keine unattraktiven und lärmerzeugenden Industrie- und Gewerbeanlagen

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vor der Haustür zu haben. Anders werden Logistikunternehmen mittlerweile von den Wirtschaftsförderungen betrachtet. Noch in den 80er Jahren als Flächenfresser ohne Arbeitsplätze unerwünscht, werden sie heute willkommen geheißen, weil durch die Ergänzung der Wertschöpfungskette zusätzliche Arbeitsplätze am Standort entstehen und die hochtechnisierte Steuerung des Logistikprozesses zudem hochwertige Arbeitsplätze schafft. 3.2.5.5

Private Gründer- und Technologiezentren

Private Gründer- und Technologiezentren wurden in den vergangenen Jahren aus ganz unterschiedlichen Gründen Bestandteil einer Immobilieninvestition. So versuchten Projektentwickler und Investoren z.B. ihrer Immobilie ein innovatives Image zu verleihen, indem sie kleinere Flächenanteile für Gründerzentren reservierten. Finanziert wurden diese Flächen durch Quersubventionen der übrigen Flächen. Diese Motivation war vor allem in den Boomzeiten der New Economy verbreitet. Zu dieser Zeit gehörten die Unternehmen der Neuen Medien oder der übrigen New Economy zu den stärksten Nachfragern auf dem Büromarkt. Zudem verfügten sie über erhebliche Ressourcen für Mietpreiszahlungen, so dass sie häufig Mietflächen im obersten Preissegment bezogen. Die Unterbringung eines Gründerzentrums in einem Objekt sollte zur Thematisierung und zum Branding der Immobilie als Standort der Neuen Medien bzw. der New Economy beitragen und damit die mietstarken Branchen in das Objekt locken. Häufig erhielt das Gründerzentrum dabei einen neuen Namen: Incubator, eine Folge der allgemein zunehmenden Anglisierung während des Wachstumsprozesses der New Economy. Im MediaCityPort in der Hafencity Hamburg sollte ein Incubator dem Branding der Immobilie dienen (vgl. Abbildung 107). Mit dem Zusammenbruch dieser Branche und der allgemeinen Krise auf dem Immobilienmarkt wurde die Realisierung u.a. dieses Projektes gestoppt. Gründerzentren als Teil einer Gesamtmaßnahme werden zudem im Rahmen von Revitalisierungsmaßnahmen eingesetzt. Bei solchen Projekten werden sie zu Pionierarbeiten herangezogen. Dabei werden ihnen z.T. Bestandsflächen in weitgehend unsaniertem Zustand übergeben. Mietereinbauten und die Pflege des Umfeldes werden dann häufig durch die Mieter übernommen, so dass das Objekt im Laufe der Zeit aufgewertet wird. Im Gegenzug erhalten sie preiswerte Mieten. Teilweise wird aber bereits das Gründerzentrum hochwertig saniert und dient dann als Präsentationsobjekt für weitere Bauabschnitte. Durch die Errichtung von Gründerzentren am Beginn einer größeren Maßnahme hofft der Flächeneigentümer, die Frequenz auf der Fläche zu erhöhen, den Bekanntheitsgrad und das Image des Objektes zu steigern und damit andere Nutzer anzuziehen. Neue Vorvermietungen erlauben dann die Finanzierung weiterer Bauabschnitte.

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Quelle: LIP Ludger Inholte Projektentwicklung GmbH

Abbildung 107: MediaCityPort in der Hafencity Hamburg Hintergrund der Errichtung von Gründer- und Technologiezentren durch Private können auch Festlegungen in städtebaulichen Verträgen und vorhabenbezogenen Bebauungsplänen sein. Im Rahmen solcher Pläne handelt die Kommune konkrete Entwicklungsmaßnahmen mit privaten Investoren aus. Als Kompensation für andere Zugeständnisse an den Investor hat die Gemeinde in

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einigen Fällen verlangt, dass der Investor als Teil der Gesamtmaßnahme auf eigene Kosten ein Gründer- oder Technologiezentrum errichtet und betreibt. Das Gründerzentrum Winsen ist Teil einer Gesamtentwicklung, in deren Rahmen u.a. Verbraucher- und Fachmärkte sowie eine Wohnsiedlung entstanden (vgl. Abbildung 108).

Quelle: Albrecht Vermögensverwaltungs-Aktiengesellschaft

Abbildung 108: Albrecht Gründerzentrum Winsen Private Investoren spielen aber auch in klassischen Gründer- und Technologiezentren eine wachsende Rolle. Eine erste Einbeziehung von privaten Investoren geschieht manchmal bereits in der Expansionsphase. Wenn dem öffentlichen Träger die Mittel fehlen, überlässt er weitere Investitionsmaßnahmen privaten Investoren. So konnte z.B. die Erweiterung des HIT Technologieparks Hamburg-Harburg konnte nur durch einen privaten Investor sichergestellt werden. Auch das Gründerzentrum Bernsdorfstraße in Hamburg wurde durch einen privaten Investor errichtet (vgl. Abbildung 109). Um die niedrigen Mieten zu kompensieren, erhält der private Investor i.d.R. Subventionen, häufig in Form verbilligter Grundstückspreise. Im Gegenzug muss sich der Investor vertraglich verpflichten, die Flächen nur an die gewünschte Zielgruppe, z.B. technologieorientierte Unternehmen, zu vermieten und eine Mietobergrenze zu akzeptieren. Die zweite Phase, in der private Investoren gebeten werden sich zu beteiligen, ist die Bestandsphase. Schrumpfende Haushaltskassen haben bei öffentlichen Trägern den Wunsch geweckt, ihre Gründer- und Technologiezentren abzugeben. Zudem sind Fördermaßnahmen ausgelaufen. So können Centermanager und Gründungsberater teilweise nicht mehr bezahlt werden. In diesen Fällen werden die Zentren zu „normalen“ Immobilien. Für den öffentlichen Träger besteht dann kein Sinn mehr darin, die Immobilie im eigenen Bestand zu halten. Teilweise muss sich der Investor auch bei solchen Transaktionen verpflichten, nur an die vorher definierte Zielgruppe zu vermieten bzw. eine festgelegte Mietpreisgrenze nicht zu überschreiten.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 109: Gründerzentrum Bernsdorfstraße, Hamburg 3.2.5.6

Private Gewerbehöfe

Neben staatlich initiierten und geförderten Gewerbehöfen, die vor allem der Standortsicherung von Kleinbetrieben dienen, haben sich seit dem Ende der 80er Jahre verstärkt auch private Gewerbehöfe etabliert. Oft entstanden diese Gewerbehöfe, weil sich der ehemals produzierende Betrieb auf seiner Fläche verkleinerte oder den Betrieb gänzlich aufgab. In der Regel war der Betriebsinhaber auch der Grundstücks- und Gebäudeeigentümer, der nun die Verwertung seiner Liegenschaft durch die kleinteilige Vermietung anstrebte wie beispielsweise im Büssinghof in Braunschweig (vgl. Abbildung 110). Die Mieteinnahmen solcher Gewerbehöfe sollten für die Altersversorgung eingesetzt werden. Investitionen in den Gewerbehof werden bei dieser Konstellation möglichst gering gehalten. Sie dienen hauptsächlich der Instandhaltung. Darüber hinaus werden Investitionen allenfalls zur Herstellung von kleinteiligen Mieteinheiten getätigt. Die Ausstattung der Fläche wird dem Mieter überlassen, der im Gegenzug eine geringe Miete zahlt. Zu Investitionen, die die Aufwertung des Objektes zum Ziel haben, kommt es meist erst dann, wenn das Objekt in die nächste Generation wechselt oder veräußert wird. Einige Alteigentümer profilieren sich jedoch in dem neuen Geschäftsfeld. Sie nutzen die Erfahrungen, die sie durch die Entwicklung und den Betrieb des Gewerbehofes auf ihrer Altfläche

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Quelle: Stefan Körber Verwaltungs GmbH

Abbildung 110: Büssinghof, Braunschweig gesammelt haben, um weitere Liegenschaften zu erwerben und diese ebenfalls zu entwickeln bzw. zu betreiben. Dabei wird das Geschäftsfeld „Handwerk/Produktion“ zum Teil vollständig aufgegeben, und der Betrieb entwickelt sich zu einem reinen Immobilienunternehmen.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 111: ArtMax, Braunschweig

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So nutzte auch der o.g. Eigentümer des Büssinghofes seine Erfahrungen mit dem Büssinghof dazu, später das ArtMax (vgl. Abbildung 111), eine hochwertige Büroimmobilie zu entwickeln. Sein einziges Geschäftsfeld ist heute die Immobilienentwicklung und –verwaltung. Hinter der Entwicklung anderer Gewerbehöfe steckt die Philosophie des Entwicklers, Synergieeffekte zu erzeugen, indem das Cluster einer Branche über die gesamte Wertschöpfungskette in einem Gewerbehof angesiedelt wird: z.B. vereint der Allgewerkehof Defdahl in Dortmund (vgl. Abbildung 112) die Branchen des Baugewerbes vom Handwerker bis zum Architekturbüro unter einem Dach.

Quelle: www.redaktion.net/transferbrief/alt/9701/eurosola.htm

Abbildung 112: Allgewerkehof Defdahl, Dortmund In fast allen Gewerbehöfen ist seit dem Ende der 80er Jahre der Anteil des tertiären Gewerbes gestiegen. Das gilt auch für die Gewerbehöfe, die im Besitz der Alteigentümer verblieben sind. Besonders stark war diese Entwicklung aber in den Gewerbehöfen, die von Projektentwicklern erworben wurden. Diese hatten das Ziel, das Objekt aufzuwerten. Die angestrebte höherwertige Nutzung ist dann meist eine Büronutzung. Für eine solche Entwicklung werden normalerweise Gewerbehöfe mit einer Lage im Innenstadtrand und einer attraktiven Architektur aus dem Ende des 19. Jahrhunderts gewählt. Insbesondere mit dem starken Wachstum der New Economy erfuhren solche Flächen eine steigende Nachfrage. Die Beschäftigten dieser Industrie schätzen den individuellen Loftcharakter und das urbane Umfeld dieser Liegenschaften. Die Maßnahmen des Entwicklers umfassen vor allem die Sanierung der Fassade, die Gestaltung der Außenflächen, die Modernisierung der Haustechnik sowie die Einbringung einer höherwertigen Ausstattung. Meist verändert die Liegenschaft dabei ihren Charakter derartig, dass kaum noch

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von einem Gewerbehof gesprochen werden kann. Das Objekt wird dann auf dem normalen Büromarkt gehandelt, z.B. Borselhof in Hamburg (vgl. Abbildung 113).

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 113: Borselhof, Hamburg Sofern die Objekte veräußert werden, finden sie sowohl Privatinvestoren als auch institutionelle Anleger als Käufer. Dabei werden nicht sanierte Liegenschaften und kleinere Objekte meist an Privatanleger veräußert, während sanierte Liegenschaften mit einem hohen Büroanteil auch von institutionellen Investoren akzeptiert werden. 3.2.5.7

Entwicklung und Vermarktung von klassischen Gewerbe- und Industrieflächen

Auch in die Vermarktung klassischer Gewerbeflächen werden zunehmend private Akteure eingebunden. Häufig handelt es sich dabei nicht um neue Flächen auf der grünen Wiese, sondern um Altflächen. Bei neuen Flächen tritt die Stadt meist als Zwischenerwerber auf, d.h. sie erwirbt die Flächen als landwirtschaftliche Fläche oder als Bauerwartungsland, schafft dann das Baurecht und veräußert die Flächen anschließend. Beratungsdienstleistungen von Maklern werden sowohl bei der Suche nach einem neuen Standort als auch bei der Vermarktung der Altfläche erbracht. Dabei handelt es sich häufig nicht ausschließlich um die reine Vermittlungsleistung. Das Maklergeschäft wird zunehmend ergänzt durch hochwertige Beratungsdienstleistungen. So wird im Rahmen der Suche nach einem neuen Standort häufig eine Nutzwert- oder Benchmarking-Analyse erstellt. Bei der Vermarktung eines Altstandortes berät der Makler den Verkäufer oft auch planungsrechtlich mit dem Ziel, vor der Vermarktung eine höherwertige Nutzung durchzusetzen (z.B. Büro oder Wohnen statt GE-/GI).

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Bei der Vermarktung der Fläche lässt sich das Maklerunternehmen teilweise auch durch die Wirtschaftsförderung unterstützen. Fast alle Wirtschaftsförderungen pflegen mittlerweile Datenbanken über verfügbare Gewerbe- und Industrieflächen, und viele Gewerbebetriebe laufen bei der Standortsuche zunächst die Wirtschaftsförderung an. Makler speisen ihre Flächenangebote in solche Datenbanken ein. Bei Interesse eines Betriebes leiten die Wirtschaftsförderungen den Interessenten dann an das Maklerhaus weiter. Neben der Vermarktung durch private Akteure wird auch die Entwicklung der vom Betrieb selbst genutzten Fläche von privaten Akteuren betrieben. Immer mehr Betriebe möchten ihre Flächen nicht mehr besitzen, sondern mieten, um ihre Eigenkapitalbasis zu schonen. Durch Basel II wird sich dieser Trend in Zukunft vermutlich weiter verstärken. Mittlerweile ist eine Gruppe von Projektentwicklern und Investoren entstanden, die das entsprechende Angebot für diese Nachfrage bereitstellen. Sofern der Mieter über eine hohe Bonität verfügt, machen lange Vertragslaufzeiten die Entwicklung und Investition zu einem attraktiven Geschäft für die Anbieterseite. Mietverträge laufen trotz der geringen Lebensdauer von Gewerbebauten mindestens 15 bis 20 Jahre. Vor allem die Nachfrager drängen auf diese langen Laufzeiten, weil Umzüge von Gewerbeund Industriebetrieben sehr teuer sind. Zum einen müssen große und schwere Maschinen transportiert werden, zum anderen benötigen diese Maschinen oft besondere Fundamente und andere Sicherheitseinrichtungen. Lange Umzugs- und Montagezeiten lassen zudem die Produktion ruhen und verursachen hohe Ausfallkosten. Projektentwicklungen für Gewerbe- und Industriebetriebe finden sowohl auf der grünen Wiese als auch auf Altstandorten statt. 3.2.5.8

Zusammenfassung

Der Überblick über die Bauten für Gewerbe und Industrie hat gezeigt, dass Projektentwickler, die sich auf diese Bereiche konzentrieren, durchaus die Chance haben, mit entsprechend gut kalkulierten Projekten profitabel am Markt zu operieren. Auch ist deutlich geworden, dass die privaten Akteure durchaus mit attraktiven Projekten auf den Markt gekommen sind. Ebenso sind einige innovative Marktsegmente neu entwickelt worden, die zu einer Bereicherung der Palette der Gewerbeimmobilien beigetragen haben. Die Projektentwickler dieses Bereiches leisten wertvolle Arbeit im Rahmen der Stadtentwicklung und der Gewerbeplanung. Viele der Projekte entstehen in enger Kooperation mit den entsprechenden öffentlichen Trägern.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.5 Weiterführende Fachliteratur Hahne, P./Paul, G.: Gewerbehöfe im Städtebau, herausgegeben vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung NRW (ILS), Dortmund 1982. IKB Deutsche Industriebank AG: Gute Zukunftschancen für Logistikdienstleister: Strukturwandel im Speditionsgewerbe, Branchenbericht Januar 2002. IVG Immobilien AG: Plan - Das Immobilienjournal der IVG, 1/2001. Sternberg, R./Behrendt, H./Seeger, H./Tamásy, C.: Bilanz eines Booms. Wirkungsanalyse von Technologieund Gründerzentren in Deutschland. Ergebnisse aus 108 Zentren und 1021 Unternehmen. Dortmunder Vertrieb für Bau- und Planungsliteratur, Dortmund 1996. Tantzen, H.: EU-Osterweiterung - Chance und Herausforderung für die norddeutsche Logistikwirtschaft, Vortrag auf der „Expansion“ am 16.06.03 in Hamburg, Präsentationsunterlagen verfügbar auf http://www.expansion-hamburg.de/, Zugriff am 19.12.03. Vielberth, J.: Das große Handbuch Gewerbeparks, Regensburg 1999.



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3.2.6

Bauten für Verkehr

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Brigitte Kochta 3.2.6.1 3.2.6.2 3.2.6.3 3.2.6.4 3.2.6.5

Einführung Stadtentwicklung und Stadtstruktur Entwicklung von Verkehrswegen und -systemen Entwicklung von Bauwerk und Material Verkehrsbauten 3.2.6.5.1 Städtische Verkehrswege und Verkehrsbauten 3.2.6.5.2 Verkehrsbauten im Landschaftsraum 3.2.6.6 Nutzungsstrategien 3.2.6.7 Sicherheit im öffentlichen Bereich 3.2.6.8 Finanzierungsoptionen 3.2.6.9 Werthaltigkeit von Verkehrsbauten Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.6

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3.2.6

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Bauten für Verkehr

Brigitte Kochta 3.2.6.1

Einführung

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sieht sich die europäische Stadt als Modell aktuellen gesellschaftlichen Zusammenlebens mehr denn je komplexen Aufgaben und Anforderungen gegenüber. Die Geschwindigkeit des technischen, ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Wandels und das Verblassen tradierter Ideologien erfordern eine kontinuierliche existentielle Hinterfragung und Neudefinition allgemeiner wie individueller Inhalte und Ziele. Dies trifft auch die öffentliche Infrastruktur unserer Städte und Kommunen, deren Existenz, Unterhaltung und freie Nutzung zum selbstverständlichen Bestandteil unseres Alltagslebens geworden ist. Hier gilt es, neue Strategien und Möglichkeiten von Angebot und Nachfrage zu entwickeln. 3.2.6.2

Stadtentwicklung und Stadtstruktur

Betrachtet man die ursprüngliche Entstehung von Städten, so ist das Zusammentreffen von Verkehrsweg und Gemeinschaftsleben die Basis und Grundvoraussetzung weiterer Entwicklung. Die Wichtigkeit eines Verkehrsweges und die Effizienz eines Standortes implizieren neben der Sicherung von Standort und Umland eine Verdichtung von Einwohnern sowie eine zunehmende Bedeutung des Wertes von Grund und Boden. Die Analyse städtischer Strukturen zeigt in allen Epochen und Kulturen zwei prinzipiell verschiedene Stadttypen auf – die voraus geplante, neu gebaute Stadt und die gewachsene Stadt. Diese Dichotomie der Stadtentwicklung mit ihren Formen der Überlagerung von Gittern und radialen Systemen finden sich bis heute in allen Formen städtischer Entwicklung und sind in Verbindung mit ortsspezifischer Topographie und (prä-)urbanen Boden-Besitzverhältnissen maßgeblich für die Struktur der Stadt und die Entstehung und Ausbildung von Verkehrswegen. Unser Verständnis von „Stadt“ ist geprägt von den uns bekannten Mustern städtischen Zusammenlebens. Die europäische Stadt, wie sie sich uns in einer meist touristischen Perspektive darstellt, besitzt ein überschaubares Stadtzentrum, in dem sich traditionell bauliche Spezifika gesellschaftlicher und kultureller Art befinden, sowie stadträumliche Erweiterungen verschiedenster Maßstäbe und Geometrien (Systeme), die eigene Zentren ausbilden oder im Zuge des Wachstums vorhandene Strukturen vereinnahmen (vgl. Abbildung 114). Dabei sind Existenz und Wachstum einer Stadt untrennbar mit den Faktoren von Politik, Ökonomie und sozialen Veränderungen verbunden, die sich im Umgang mit Zu- und Abwanderung, im

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Wandel und Standortwechsel von produktiven Funktionen und in sozialen Verschiebungen artikulierten. Techniken und Instrumente der Stadterweiterung reagieren auf zeitgenössische Anforderungen und Erkenntnisse und leben in der Dualität der Existenz der funktionierenden Stadt mit ihrer traditionellen Stadt-Gesellschaft und des Bildes des Ländlichen, mit dem Heilsversprechen von Überschaubarkeit und gesundem Leben. Die Verbindung dieser Welten gewährleisten nach wie vor der Ausbau und die Optimierung von Erschließungssystemen und Verkehrsmitteln für den Individual- und Massenverkehr als Grundlage jeder Form der Expansion.

Quelle: Kostof 1992, S. 152

Abbildung 114: Barcelona, Altstadt und Stadterweiterung 1858 (Cerdá Plan) 3.2.6.3

Entwicklung von Verkehrswegen und -systemen

Mit der Aufhebung der mittelalterlichen Trennung von Stadt und Land entwickelten sich abhängig von Stadttypus, Topographie, Besitzverhältnissen, Größe und Fluktuation von Menschen und Waren neue Verkehrswege und Verkehrssysteme. Die ursprüngliche Wahrnehmung der städtischen Straße als übrig gebliebener Freiraum zwischen Gebäuden veränderte sich seit der Renaissance zu einem Verständnis der Straße als eigenräumli-

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ches Element mit eigener Wertigkeit. Diese neue Betrachtungsweise artikulierte sich in der Anlage neuer Straßen, die geradlinig zwischen wichtigen öffentlichen Gebäuden angelegt wurden, bis zu Anlage und Ausbau von Sichtachsen und geplanten Plätzen als Grundmotiven der Stadtplanung. Die Konsolidierung und der Ausbau der europäischen Autokratie brachte Wachstum und Prosperität für die Städte und bildete die Grundlage des absolutistischen Städtebaus. Fanden dort die extremen städtebaulichen Umformungen barocker Repräsentation oftmals außerhalb des Zentrums bestehender Stadtstrukturen statt, wurden die sprunghaft gewachsenen Großstädte des 19. Jahrhunderts aus funktionalen und politischen Gründen auch in ihren zentralen Bereichen durch großmaßstäbliche Neustrukturierungen verändert (z.B. Haussmann-Planung für Paris, vgl. Giedion, S. 455).

Quelle: DBAG et al. 1996, S. 23

Abbildung 115: Entwicklung des Berliner Schienennetzes 1846 – 1896 Parallel zu Wachstum und Verdichtung der Städte entwickelte sich die Notwendigkeit dreidimensionaler Kreuzungspunkte zur Entflechtung von Verkehrswegen und Verkehrssystemen. Es entstanden multiple Konstruktionen von Schneisen mit Unter- und Überfahrten, von Tunnels und

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Brückensystemen bis hin zu Ring-, Hoch- und Untergrundbahnen in der städtischen Komplexität des späten 19.Jahrhunderts, die unser Stadtbild auch heute noch prägen (vgl. Abbildung 115). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sehen sich die Nachkommen der europäischen Wohlstandsgesellschaft als Protagonisten der Großstadtgesellschaft in Anbetracht wirtschaftlicher Rezession, den damit verbundenen sozialen Veränderungen und der Agonie des tradierten Sozialstaates einem rapiden Wechsel existentieller Lebensbedingungen ausgesetzt. Kontinuierlich steigende Ein- und Zuwanderung fremder soziokultureller Gruppen aus Armutsund Krisenländern bei parallel erfolgender Abwanderung ehemaliger Stadtbewohner sowie der Abbau und Wegfall staatlich und kommunal finanzierter Leistungen der öffentlichen Bereiche verändern das Leben in unseren Städten maßgeblich. An die Stadt als Lebensraum nicht nur der Alten und der haupterwerbsfähigen Singles wird ein neues Anforderungsprofil gestellt. Die gesteigerte Wahrnehmung ökologischer Aspekte evoziert ein neues Umweltbewusstsein, das neben dem individuellen Umfeld vor allem den individualisierten öffentlichen Raum und seine Nutzer betrifft (z.B. Stadt Kassel). Bestehende Strukturen, die unter dem Gesichtspunkt der Verkehrsgerechtheit und des zeitgenössischen Verständnisses des öffentlichen Raumes in den Expansionsmodellen der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts ihre Berechtigung fanden, werden verkehrsberuhigt, zurückgebaut, umstrukturiert oder durch bauliche Folgemaßnahmen der optischen und akustischen Wahrnehmung im Stadtraum entzogen (vgl. Senat von Berlin, Mobilitätsprogramm 2006). Traditionell gewährleisteten seit dem 19.Jahrhundert öffentliche Einrichtungen für Individual- und Massenverkehr die Möglichkeit der Trennung von Arbeits- und Wohnort. Heute schaffen veränderte Konsumstandorte, ein gesteigertes Umweltbewusstsein sowie ein modifiziertes Technikverständnis und die mediale Vernetzung mit der Option ortsunabhängiger Arbeitsleistungen Möglichkeiten für ein neues, qualifizierteres Mobilitätsverhalten. Verkehrswege, Verkehrssysteme und Verkehrsbauten werden somit neben ihrer reinen Funktionsund Zweckerfüllung zunehmend unter den Qualitätsaspekten von Lage, Angebot, Ökologie und Ästhetik für den Nutzer bewertet. 3.2.6.4

Entwicklung von Bauwerk und Material

Nach den großen Sakralbauten des Mittelalters entwickelte sich seit der Renaissance das Verkehrsbauwerk Brücke zur Herausforderung von Auftraggebern und Baumeistern. Mit massiven Pfeilerkonstruktionen aus Stein erbaut, gewährleisteten sie gegenüber den mittelalterlichen Holzbrücken erhöhte Standsicherheit und Langlebigkeit.

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Diese Bauwerkssicherheit führte in der Dichte einiger großer Städte wie z.B. London oder Paris dazu, diese Verkehrsbauten neben ihrer eigentlichen Funktion als notwendige Verkehrsmaßnahme zur Überquerung eines Flusses auch als ein solides Fundament städtebaulicher Entwicklung zu begreifen und mit einer sekundären Nutzung zu versehen. So wurden diese Brücken beidseitig des eigentlichen Verkehrsweges mit mehrgeschossigen Gebäuden bebaut und entwickelten sich bis ins 18.Jahrhundert zum attraktiven innerstädtischen Standort von Geschäften und Wohnungen (vgl. Abbildung 116).

Quelle: Rudowsky 1995, S. 179

Abbildung 116: London Bridge, (Planer: Visscher) 1616 Die Entwicklung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Technologien seit dem 16. Jahrhundert veränderten das soziale Leben und die existentiellen Bedingungen der Menschen nachhaltig.

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Die Entdeckung und Verwendung neuer Materialien sowie die Möglichkeit der industriellen Produktion revolutionierten Ende des 18. Jahrhunderts auch tradierte Bauweisen und eröffneten neue technische Möglichkeiten und Anwendungsoptionen, die zunehmend Einfluss in allen Bereichen des Bauwesens fanden.

Quelle: Straub 1992, S. 231

Abbildung 117: Severn Bridge Coalbrookdale,(Planer: Darby und Wilkinson) 1775 – 1779 Die Fähigkeit, Eisen zu gießen und zu formen, ließ ein neues Verständnis der Lösung technischer Probleme entstehen und schuf neue Konstruktions-Systeme und Formen. Anstelle der massiven Konstruktionen von Gebäuden und Verkehrsbauten gab es nun die Möglichkeit, auch weite Spannweiten mit schlanken Systemen zu überspannen (vgl. Abbildung 117). Es entstanden filigrane Gebilde, die für eine völlig veränderte Wahrnehmung von Konstruktion und Material im Stadtund Landschaftsraum sorgten (vgl. Stiglat, S. 16ff.) Im Hochbau wurde das neue Material des Gusseisens zuerst als effizienter und kostengünstiger Baustoff hinsichtlich seiner statischen Funktionen eingesetzt (z.B. Watt und Boulton, Baumwollspinnerei Philip und Lee 1801, vgl. Kohlmaier und v. Sartory, S. 183ff). In den Repräsentationsund Nutzräumen des königlichen Pavillons in Brighton (Nash, 1818-1821) werden die schlichten

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Gusseisenstützen zu ästhetischen Elementen, deren unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten zum Merkmal einer ganzen Epoche werden sollten. Die Vielfalt und Schnelligkeit der industriellen Produktionsmöglichkeiten und deren technische Weiterentwicklungen (I-Träger) ermöglichten zunehmend die Bewältigung extremer Bauformen hinsichtlich Höhe und Spannweite. Die Dimensionen, Dispositionen und Konstruktionen in Brücken - und Hallenbauten spiegelten das jeweils höchste Niveau der zeitgenössischen Fähigkeiten im Umgang mit Material und Konstruktion vor dem Hintergrund politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Konstellationen (vgl. Abbildung 118). Mit der Neugründung der École Polytechnique in Paris 1794 (vgl. Straub, S. 377) entstand in Frankreich ein neuer Typ von Lehranstalt als Vorbereitung für die höheren technischen Schulen (École des Ponts et Chaussées, École des Mines, etc.) mit der Funktion, theoretische und praktische Wissenschaften zu kombinieren. Die industriellen Entwicklungen von Produkten und ihre spezifischen Eigenschaften und Anwendungsoptionen, sowie die Erkenntnisse der neuen Baustatik fanden hier mehr Beachtung als in den traditionellen Bauakademien. Der Umgang mit neuen Materialien erforderte neue Kenntnisse und handwerkliche Fähigkeiten; die kontinuierliche Weiterentwicklung im Umgang mit Eisen darüber hinaus ein wissenschaftliches Technikverständnis, das im zunehmenden Maße als ein wichtiger Aspekt von Architektur und damit auch der architektonischen Ausbildung begriffen wurde.

Quelle: Krings 1985, S. 250

Abbildung 118: Hauptbahnhof Frankfurt, Perspektive Perronhallen 1888 Neben der traditionellen Architektenausbildung an den Écoles des Beaux Arts entwickelte sich das neue Berufsbild des Ingenieurs (Gründung des Institute of Civil Engineers, London 1818), dessen

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rapide Entwicklung parallel mit der konstruktiven Entwicklung des 19. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung gewinnt. Kämpfte sich die Mehrzahl der Architekten in existentiellen Stildebatten durch die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wechsel des 19. Jahrhunderts, konzentrierten sich die Ingenieure auf die Anwendungsoptionen von Material und Konstruktion und propagierten die Schönheit der Funktion. Die sich abzeichnende Dichotomie als eine Chance zu einer architektonischkonstruktiven Synthese zu begreifen (vgl. Labrouste, Semper), sollte die Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren jedoch nur selten prägen. 3.2.6.5

Verkehrsbauten

3.2.6.5.1 Städtische Verkehrswege und Verkehrsbauten „…'Eines der solchermaßen von höchster Instanz in die Wege geleiteten Projekte war der von Louis de la Censerie entworfene, im Sommer 1905 nach zehnjähriger Planungs- und Bauzeit in Anwesenheit des Monarchen in Betrieb genommene Zentralbahnhof der flämischen Metropole, in dem wir jetzt sitzen', sagte Austerlitz. 'Das Vorbild, das Leopold seinem Architekten empfahl, war der neue Bahnhof von Luzern, an dem ihn besonders das über die sonst übliche Niedrigkeit der Eisenbahnbauten dramatisch hinausgehende Kuppelkonzept bestach, ein Konzept, das von de la Censerie in seiner vom römischen Pantheon inspirierten Konstruktion auf eine derart eindrucksvolle Weise verwirklicht wurde, dass selbst wir Heutigen', sagte Austerlitz, 'ganz so, wie es in der Absicht des Erbauers lag, beim Betreten der Eingangshalle von dem Gefühl erfasst werden, als befänden wir uns, jenseits aller Profanität, in einer dem Welthandel und Weltverkehr geweihten Kathedrale... '“ (Sebald, S. 14ff.). Die hier beschriebene Antwerpener Centraal Station wurde zu der Zeit gebaut, in der Belgien Ende des 19. Jahrhunderts, mit den Gewinnen aus den Brüsseler Kapitalmärkten und Rohstoffbörsen sowie den kolonialen Unternehmungen, zu einer der kommenden Kapitalmächte gerechnet wurde. Aus den in die Staatskasse fließenden Geldern wurde der Bahnhof mit seiner 60 Meter hohen Kuppel als Symbol für den aufstrebenden Staat und als Garant weltweiten Renommees erbaut. Die Ursachen der belgischen Prosperität – Bergbau, Industrie, Verkehr, Handel und Kapital – fanden sich, symbolisiert und in Stein gehauen, ringsum in der Eingangshalle des Bahnhofes, wo sie die Ankommenden repräsentativ begrüßten. Das parallel zur Bevölkerung wachsende Verkehrsaufkommen von Individual- und Massenverkehr sowie die Diversifikation der Verkehrssysteme und Verkehrsmittel forderte neben der Entflechtung der Verkehrsebenen und der Ausbildung von Kreuzungspunkten – z.B. im Generalregulierungsplan für Wien, 1892 – 1893, von Wagner – auch die Anbindung an das wachsende

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Eisenbahnnetz. Die erste Generation der Stadtbahnhöfe (vgl. Abbildung 119) sah sich mit zunehmender Fluktuation und sich rapide verändernden Technologien konfrontiert, die eine kontinuierliche Adaption an neue Anforderungen und Bedürfnisse erforderte.

Quelle: Mignot 1994, S. 253

Abbildung 119: Crown Street Station, Liverpool, (Planer: Stephenson) 1829 – 1830 Mit der Verstaatlichung der ehemals privaten Bahnlinien und Bahnhöfe wurden in der Zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts neue Möglichkeiten und Größenordnungen von Planungs- und Finanzierungsmitteln freigesetzt, die zentrale Bahnhofsbauten im großen Maßstab ermöglichten. Meist auf noch verfügbaren Glacisflächen außerhalb der existierenden Stadtstruktur gebaut, bildeten sie die erste Grundstruktur neuer städtebaulicher Entwicklungen, die sich in kürzester Zeit um die begehrte Bahnhofsnähe herum manifestierten. Die zunehmende Komplexität und der Umfang des Bauwerkes Großstadtbahnhof hinsichtlich finanziellem, gestalterischem, technischem und zeitlichem Aufwand ließ aus den Nutzbauten des frühen 19.Jahrhunderts Bahnhöfe entstehen, die zu Prestigeobjekten und zunehmend als Repräsentationsarchitektur zu einem exklusiven Ort städtischen Lebens wurden. Aus den Übernachtungsmöglichkeiten und den sich ansiedelnden Versorgungsunternehmen entstanden Orte verschiedenster Kommunikationsformen; Hotels, Märkte und Restaurants, Passagen und Festsäle

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wurden zu Foren höchster staatlicher Repräsentanz wie auch der flüchtigen Begegnung (vgl. Abbildung 120).

Quelle: Krings 1985, S. 256

Abbildung 120: Hauptbahnhof Frankfurt, Wartesaal 1. und 2. Klasse, (Planer: Eggert und Schwedler) 1883 - 1888 Die großen, repräsentativen Gebäude prägten weithin sichtbar das Stadtbild europäischer Großstädte, bis sie in den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und den danach folgenden Modernisierungswellen überformt, transformiert oder neu gebaut wurden. Mit steigendem automobilisiertem Waren- und Individualverkehr und der Entwicklung des Flugzeuges als Transport- und Massenverkehrsmittel verloren Bahn und Bahnhöfe sowie deren städtisches Umfeld an Exklusivität und Attraktivität. Erst in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts findet mit der Wiederentdeckung und der positiven Konnotation von historischer Bausubstanz ein Wandel im Umgang wie auch im Verständnis des Bahnhofes als städtischem Ort statt. Stadtwachstum und neue Anforderungen an Funktionalität, Technik und Service lassen heute jedoch zunehmend die historischen Bahnhöfe und vor allem die Kopfbahnhöfe inmitten der Stadt zu musealen, touristischen Orten werden, die nur durch implantierte Sekundärleistungsangebote (Waren, Konsumgüter, Gewerbeflächen) oder komplett veränderte Nutzungen zumindest substantiell erhalten werden, z.B. Dienstleistungszentrum im Kopfbahnhof Leipzig.

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Die ehemals außerhalb der Stadt liegenden Bahnanlagen wurden längst von der Stadtentwicklung überholt und sind zu Innenstadtstandorten geworden; die Gleiskörper zu Schneisen in der Stadtstruktur. Die hier liegenden Potenziale attraktiver innerstädtischer Flächen für Grünanlagen, Wohnungs- und Gewerbebau sind Anlass und Kalkül, nicht nur grundsätzlich über neue Lösungsansätze hinsichtlich technisch-funktionaler Aspekte wie Verlegung (z.B. Bahnhofsneubau Florenz), Tieferlegung und Ausbau von Kopfbahnhöfen zu Durchgangsbahnhöfen, sondern auch zukünftiger wirtschaftlicher und finanzieller Möglichkeiten der Bahn nachzudenken. Spielten in den städtebaulichen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts die Bahn und ihre Bahnbauten eine maßgebliche Rolle, so wurden städtebauliche Konzeptionen des 20. Jahrhunderts zunehmend von der Dominanz des motorisierten Verkehrs determiniert. Nach der ersten Euphorie der so genannten verkehrsgerechten Planungen von Stadt- und Verkehrsstrukturen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts trat angesichts der dadurch verursachten stadtstrukturellen Zerstörungen und der rapiden, sich potenzierenden Zunahme des Verkehrsaufkommens und den damit verbundenen Erkenntnissen physischer, psychischer und ökologischer Schäden bald Ernüchterung und der Wunsch nach einer Verbesserung der Zustände ein. So hatte die Stadt München die erfolgreiche Bewerbung zur Sommer Olympiade 1972 genutzt, die infrastrukturellen Probleme der An- und Verbindung der Olympiabauten planerisch anzugehen und dabei auch neue Verkehrswege und Verkehrssysteme zu bauen. Im Zuge der Planungen von drei verkehrsgerechten Ringsystemen für den Massenverkehr wurde neben dem Altstadtring auch der so genannte Mittlere Ring ausgebaut, der die Umfahrung der Innenstadtbezirke komplett schloss. Altstadt -, Mittlerer Ring und Autobahn-Umfahrungen (vgl. Abbildung 121): Die 4- bzw. 6-spurige Straße verband die wichtigsten Autobahnen und entlastete damit maßgeblich den Stadtverkehr von Alltags- und Durchgangsverkehr. Allerdings wurden durch den Ausbau des Ringes und der damit verbundenen Radialen auch große städtebauliche Zäsuren geschaffen, die gewachsene Stadtviertel nicht nur trennte, sondern auch stark veränderte. So wanderte der Einzelhandel in die ruhigeren Seitenstraßen; die straßenseitig bestehenden und neu gebauten Wohngebäude zogen auf Grund der veränderten Immobilienkonnotation und Bewertung eine neue Bewohnerstruktur an. Die städtebauliche Verfestigung des Verkehrsweges im Stadtgefüge wie auch die Anbindung an die zwischenzeitlich gewachsenen Stadtviertel und an die Verkehrssysteme des ÖPNV ließen, trotz der über Jahrzehnte gewachsenen Unzufriedenheit, einen Abriss oder Neubau des Mittleren Ringes nicht zu. Die im Jahr 2001 von der Stadt München abgefassten Leitthesen zur weiteren Entwicklung begreifen die Heterogenität des Mittleren Ringes als Ausgangslage, die es als innerstädtische Entwicklungszone hinsichtlich der Stadtgestalt, aber auch der Verkehrseffizienz zu verbessern gilt. Die Maßnahmen beinhalten neben der Tieferlegung und der Entflechtung von Kreu-

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zungsbereichen, dem Bau von Tunnels, Einhausungen und anderen Lärmschutzmaßnahmen auch grünplanerische und bauliche Maßnahmen, die offene Strukturen schließen oder einzelne stadtrelevante Punkte markieren.

Quelle: Landeshauptstadt München 2000, S. 13

Abbildung 121: Ringstraßen – Systeme München Der Mittlere Ring mit seinem täglichen Verkehrsaufkommen von 50.000 bis 150.000 Kraftfahrzeugen wurde damit in Teilbereichen zumindest der stadträumlichen und akustischen Wahrnehmung entzogen und sorgte in Verbindung mit der innerstädtischen Lage und den guten Verbindungen des ÖPNV und des Individualverkehrs für eine Neubewertung der betroffenen Stadtviertel. Diese Neubewertung zog eine ähnliche Umstrukturierung sozialer und ökonomischer Faktoren wie der einstige Bau des Mittleren Ringes nach sich, nur dass jetzt die ehemals unattraktiven Immobilienstandorte als zentrumsnahe und familienfreundliche 1a-Lagen propagiert wurden, deren Auftauchen in den Vermietungs- und Verkaufsofferten für neue Betriebsamkeit in diesen Bereichen sorgten. Den Versuch von Maßnahmen zur Effizienzsteigerung von Verkehrsbauten bei gleichzeitiger Verbesserung städtischer Lebensqualität gibt es in allen europäischen Städten in unterschiedlicher Komplexität und Größenordnung.

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Konnten Städte wie München oder Barcelona mit dem Großvorhaben Olympiade spezielle Möglichkeiten und Mittel der Finanzierung ausschöpfen, stehen heute – mit Ausnahme der EUförderungsfähigen Maßnahmen – nur die Mittel drastisch schrumpfender öffentlicher Haushalte zur Verfügung. Deren Finanzierungsoptionen, wie die Möglichkeit des tatsächlichen Rückbaus von Verkehrsbauten und der Neubebauung städtischer und kommunaler Verkehrsflächen (vgl. Privatisierung der Deutschen Bahn, Flächenverwertung der DB IMM) zum kapitalisierten Flächengewinn für Land und Kommune, sind gering und lassen sich nur dort realisieren, wo, wie z.B. bei den ehemals städtischen Verkehrsflughäfen, die Eigentumsverhältnisse eindeutig oder einvernehmliche Einigungen möglich und entsprechende Rechtsgrundlagen vorhanden sind. Der tatsächlich attraktive Gewinn für Stadt und Kommune ist dabei langfristig grundsätzlich unter stadtstrukturellen und ökologischen Aspekten und erst sekundär unter ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten. Nach dem Fall der Mauer sah sich die wiedervereinte Stadt Berlin mit der Tatsache konfrontiert, dass sie nun nicht nur multiple Universitäten, Krankenhäuser und Theater hatte, sondern auch drei aktive, zivile Flughäfen, von denen einer – der Flughafen Tempelhof – inmitten der Stadt lag. Mit den Plänen zum Großflughafen Berlin-Brandenburg wurde 1996 die Auflassung dieses Flughafens und die Neustrukturierung des Flughafenareals beschlossen. Im Gegensatz zur Stadt München, die nach der Auflassung des am Stadtrand liegenden Flughafens München Riem 1992 das Flughafenareal als normales Stadtentwicklungsgebiet ohne größeren Bezug auf die ehemalige Nutzung bebaut hatte, wurde in Berlin auf dem Flughafengelände des Tempelhofer Flughafens eine große Parkanlage („Wiesenmeer“) geplant, die von einem Ring hochverdichteter, städtischer Wohn- und Gewerbebauten umgeben, das alte Flughafen-Gebäude und Gelände weitgehend erhielt und die Figur des Flugfeldes nachzeichnete. Neben der jahrzehntelangen Verankerung des Areals im Stadtgefüge wie auch der relevanten thermischen Bedeutung für die Luftversorgung der Stadt, ist es hier im Wesentlichen der historische Aspekt des Ortes der „Berliner Luftbrücke“, der in der kollektiven Geschichtswahrnehmung untrennbar mit der Historie Berlins verbunden ist. Die Authentizität des Ortes trägt hier zu einer Möglichkeit der Umnutzung bei, die neben wirtschaftlichen und ökologischen Aspekten einen nur partiell monetären, aber maßgeblich ideellen Gewinn beinhaltet, dessen Attraktivität andernorts mühsam inszeniert wird.

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3.2.6.5.2 Verkehrsbauten im Landschaftsraum Das städtische Wachstum vereinnahmt nicht nur die ehemaligen Randlagen der Bahnhöfe, sondern auch die früher außerhalb der Stadt gelegenen Flughäfen. Dabei sind – neben der Gefährdung der heranrückenden oder sich verdichtenden Stadtviertel und den ökologischen Aspekten – maßgeblich das sich potenzierende Verkehrsvolumen, neue Technologien und neue Anforderungen, die sich auf den existierenden, beschränkten Platzverhältnissen nicht realisieren lassen, Grund und Anlass, eine Verlegung weit außerhalb der Stadt zu planen. Ziel ist es dabei auch, das Neubau-Artefakt in ein strukturschwaches Gebiet zu implantieren, um dort mit der Baumaßnahme und den erforderlichen Anbindungsmaßnahmen an Stadt und Umland neue Märkte zu erschließen bzw. zu schaffen (z.B. TGV-Bahnhof und Stadtentwicklung Masterplan Lille, vgl. Koolhaas, S. 127ff.). Den hohen funktionalen Anforderungen an diese neuen Verkehrswege und Verkehrsmittel wie Bahn oder Schnellbahn hinsichtlich Benutzerfreundlichkeit und Fluktuation wird in dem Maße qualitativ entsprochen, in dem sich der Flughafen, aber auch die Stadt in ihrem Selbstverständnis repräsentieren. Die qualitative Kontinuität der Repräsentation liegt dabei im beiderseitigen Interesse und ist solange gewährleistet, wie Verkehrsbauwerk und Stadt bzw. Umland sich gemeinsam als existentiell-funktionale Synthese begreifen. Diese Form des Synergie-Verständnisses zeigt sich auch in der regen Bautätigkeit und damit verbundenen strukturellen Veränderung im Umfeld der implantierten Artefakte. So entstanden in der bis dato ländlichen Idylle des Erdinger Mooses neben dem Neubau des Münchener Flughafens seit 1992 in den umliegenden Dörfern auch Gewerbe- und Wohnungsbauten, die – flughafennah und nun bestens angebunden – sich als interessante Immobilienstandorte anboten und das allgemeine infrastrukturelle Niveau neu definierten. Die Entscheidung zur Implantierung in eine bestehende Struktur und deren damit verbundene Zerstörung und Neudefinition ist zwingend mit einer kontinuierlichen großmaßstäblichen Betrachtung und Planung des Umfeldes verbunden, um sowohl die Qualität des Landschaftsraumes wie auch die städtebauliche Qualität bestehender Strukturen und zukünftiger Agglomeration zu gewährleisten. 3.2.6.6

Nutzungsstrategien

Strukturelle Veränderungen und neue Technologien führen zu kontinuierlichen Maßnahmen des Upgradings, Um- und Neubaues oder auch zu Auflösung und Abriss von Verkehrsbauten. In Abhängigkeit von der Signifikanz eines Gebäudes und vom zeitgenössischen Markt möglicher Nutzungsoptionen gibt es aber auch die Möglichkeit der Neubewertung und der neuen Nutzung.

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So werden aufgelassene Bahnhöfe zum kulturellen Veranstaltungsort (z.B. Kulturbahnhof Rolandseck) und ehemalige Straßentunnel zu Ausstellungsräumen (z.B. Kunströhre der Neuen Galerie Stuttgart); die Groß-Flughäfen der ersten Generation, die nicht abgerissen wurden, erfuhren u.a. eine Neubewertung als Museum (z.B. Paris Le Bourget) oder als Dienstleistungszentrum und Hotel (z.B. Liverpool Speke Airport). Aber auch die Verkehrsbauten, die in ihrer Primärfunktion erhalten wurden, erfahren als Handlungsort eine Neubewertung durch andere Funktionen. Poststationen, Bahnhöfe und Flughäfen boten und bieten neben ihrer primären Verkehrsfunktion auch Güter an, deren Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit individuell bestimmt ist. Dies reicht von der Versorgung, Unterbringung und Pflege des Reisenden (z.B. Flughafen Charles De Gaulle, Terminal 2 E, Paris) bis hin zum Angebot tertiärer Nutzungsmöglichkeiten wie Gewerbeflächen, Konferenzzentren, Kultureinrichtungen usw. – und als Handlungsplatz jeglicher ökonomischer Transaktion (vgl. Fraport AG). Die heutige Popularität der Sekundärnutzung von Verkehrsbauwerken als Handelsplatz sorgt für eine Entmaterialisierung des Bauwerkes und reduziert seine Wahrnehmung auf die Präsentation eines fast ausschließlich ökonomischen Existentialismus. Nicht nur die Wertigkeit des Faktischen – des Reisens – ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden, sondern auch die frühere Faszination von Mobilität, Schnelligkeit und Exklusivität mit deren Formen der Inszenierung. Diese Selbstverständlichkeit in Verbindung mit der Konformität des allgemeinen Warenangebotes und seiner Präsentation führt zu einer Austauschbarkeit von Ort und Zeit, der nur durch aktives Handeln zu entgehen ist. Da in diesem Szenario die aktiven Handlungsmöglichkeiten eines Reisenden mit wenig Zeit sehr reduziert sind, wird kompensatorisch gekauft – denn nur der gekaufte Gegenstand macht den Ort des Kaufes, die Zeit und die Umstände einer Reise durch die Verdinglichung zu einem reellen und bleibendem Gut, das den Käufer in die Realität einbindet. Die Umsätze der Retailflächen von Bahnhöfen, besonders jedoch von Flughäfen sind zum bestimmenden Faktor wirtschaftlicher Überlegungen von Verkehrsbauten geworden; die Verweildauer der Reisenden und die Zugänglichkeit der Verkaufsflächen zu den wesentlichen Strategieansätzen zeitgenössischer Planungen. Das führt zu einer Verschiebung der funktionalen Wertigkeiten: die frühere Hierarchie der Verkehrsfunktion hat sich zugunsten des Handelsplatzes umgekehrt. Die ehemaligen funktionellen Protagonisten werden nur noch unauffällig zwischen Restauration und Retailflächen integriert, die von den Reisenden durchquert werden müssen, wenn sie – wie z.B. im Kopenhagener Flughafen – zu ihren Abfluggates gelangen wollen. 3.2.6.7

Sicherheit im öffentlichen Bereich

Verkehrsbauten wie Flughäfen und Bahnhöfe, Verkehrssysteme und ihre selbstverständliche Nutzung sind fester Bestandteil unseres Mobilitätsverhaltens und Lebens in der Öffentlichkeit. Die zi-

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vile Gesellschaft als Hauptdarsteller dieser Öffentlichkeit agiert auf der gemeinschaftlichen Basis von Offenheit, Zivilität, Pluralität und Freiheit, deren Verständnis sich auch in unserer (Bau-) Kultur widerspiegelt. Doch diese positiven Errungenschaften der zivilen Gesellschaft beinhalten gleichzeitig auch ihre potenzielle Bedrohung und Zerstörung. Aus den Erfahrungen von Terroranschlägen im öffentlichen Bereich resultiert ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis, dessen hohe Anforderungen sich letztendlich nur durch effiziente (Selbst-) Kontrolle und hohen Überwachungsgrad gewährleisten lässt. Die Akzeptanz dieser Maßnahmen wächst mit der Angst der Benutzer und ist zum Alltag auf Verkehrswegen, in Verkehrsmitteln, auf Bahnhöfen und Flughäfen geworden – benutzerfreundlich unauffällig integriert oder elegant designt. 3.2.6.8

Finanzierungsoptionen

Wirtschaftliche Rezession, Rückgang der Steuereinnahmen und Sperrung von Finanzhaushalten lassen wenig Zukunft für öffentliche Bauvorhaben; die Gegenwart bestehender Bauten ist bereits sichtbar von Mängeln geprägt. Während andere europäische Staaten längst zu Mitteln der Co-Finanzierung bei Verkehrsbauten greifen, gestalten sich diese Maßnahmen in der BRD schwierig und zögerlich (wie z.B. die geplante Einführung der Straßenmaut 2003). Gibt es bei einzelnen Objekten die Möglichkeit, durch kapitalisierten Flächengewinn kleinere Bauvorhaben zu finanzieren, so ist dies bei großen Bauvorhaben nicht mehr realisierbar. Der Ruf nach möglicher privater Finanzierung verhallt im Dschungel komplexer Rechtslagen sowie finanzieller und wirtschaftlicher Risiken. Lediglich im Bereich der Verkehrsbauwerke, die ein eindeutiges, kontrollfähiges Nutzerpotential aufweisen, gibt es Ansätze einer privaten Finanzierung. Materielle Privatisierung: Der deutsche Gesetzgeber hat 1994 ein Gesetz über den Bau und die Finanzierung von Bundesfernstraßen durch Private, das so genannte Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz (FStrPrivFinG), erlassen. Mit diesem Gesetz sollten zwei wesentliche Ziele der öffentlichen Hand erreicht werden: die schnellere und effizientere Realisierung von Straßenbauprojekten und vor allem die Entlastung der öffentlichen Haushalte. Die bisherige Realisierung von erst zwei Beispielen – die Tunnelbauten der Warnow-Querung in Rostock und die Travequerung in Lübeck (Herrentunnel) – lassen die Komplexität der Fragestellungen bei diesen BOT- (Build-OperateTransfer) bzw. Betreibermodellen ahnen (vgl. Abbildung 122). Bei Straßenbauten übernimmt der Private, im Gegensatz zur funktionalen Privatisierung, zwar die Leistungserstellung, die Verantwortung dafür verbleibt gemäß § 1 Abs. 4 FStrPrivFinG jedoch beim öffentlichen Sektor (organisatorische Privatisierung), sodass die Verfassungskonformität des Betreibermodells hinsichtlich der kompetenzrechtlichen Regelungen der Art. 85, 90 GG gesichert

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ist. Es handelt sich bei den von Privaten errichteten und betriebenen Straßen bisher somit um öffentliche Straßen, die lediglich auf besondere Weise finanziert werden. Wesentlich bei allen Verkehrswegen, Verkehrsmitteln und Verkehrsbauten ist und bleibt damit jedoch die Gewährleistung von funktionaler und damit verbundener individueller Sicherheit für die Nutzer. Diese Sicherheitsaspekte bei Verkehrswegen und –mitteln auch bei fortschreitender Privatisierung und konkurrierenden Märkten zu berücksichtigen, wird – bei einer eventuellen Aufgabe des staatlichen Verantwortungsbereiches und der damit verbundenen Kontrollfunktion – nur noch durch die Akzeptanz der Nutzer zu beeinflussen sein; und das in Zeiten knapper Kassen und einem großen Bedarf an Massenverkehrswegen und -mitteln.

Quelle: Thomas 1997, S. 166

Abbildung 122: Grundstruktur Betreibermodell 3.2.6.9

Werthaltigkeit von Verkehrsbauten

Verkehrsbauwerke unterliegen strukturell und technologisch sowie funktional und ästhetisch einer permanenten Veränderung. In Anbetracht des dadurch bedingten Verfallsdatums des jeweiligen Status Quo, stellt sich die Frage nach möglichen immanenten Aspekten der Werthaltigkeit von Verkehrsbauwerken. Größtmögliche Funktionalität, neueste Technologie und höchster Sicherheitsstandard vorausgesetzt, wird die Attraktivität von Verkehrsbauten von den Nutzern über die Nutzerfreundlichkeit definiert. Jenseits des jeweils zeitgenössischen Verständnisses dieses Begriffes gibt es zwei Aspekte, die aus dem komplexen Konglomerat der Attraktivität von Verkehrsbauwerken jeder Art besonders zu berücksichtigen sind.

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Signifikanz und Multifunktionalität: In der uns selbstverständlich gewordenen Mobilität und der damit einhergehenden Beliebigkeit räumlicher Bezüge schafft die Signifikanz eines Verkehrsbauwerkes einen persönlichen Bezug, einen Ort der Identität. Das Transitorische der Mobilität wird an dieser Stelle gebunden und eine persönliche Positionierung als Standortbestimmung in Raum und Zeit ermöglicht.

Quelle: Foto C. Meyer 2000

Abbildung 123: Fuldabrücke Kassel , (Architektin: Kochta, Ingenieur: Grassl) 1997-2001 Darüber hinaus ist die funktionale Mehrdeutigkeit von Verkehrsbauten ein weiterer Garant langfristiger Attraktivität. Sei es indirekt, über die Möglichkeiten der multiplen Sekundär- und Tertiärnutzungen wie bei Bahnhöfen und Flughäfen, oder auch direkt durch Mehrfachkonnotation wie im Straßen- (z.B. Tunneldecke als Grün -und Spielbereich) und Brückenbau, wo das Bauwerk neben seiner Primärfunktion als Verkehrsbauwerk auch städtebauliche Funktionen (Flussbrücke als linearer Stadtplatz vgl. Abbildung 123) übernimmt und erfüllt. Beide Aspekte können maßgeblich über die langfristige Attraktivität unserer Verkehrsbauten entscheiden; beide jedoch bedingen einen expliziten Gestaltungswillen. Diesen zu evozieren, zu pflegen und zu realisieren, bleibt – unabhängig von der Frage öffentlicher oder privater Finanzierungsoptionen und unabhängig von Art und Umfang der Verkehrsbauten – die primäre Aufgabe und der kulturelle Beitrag von Bauherren und Planern für unsere Gesellschaft.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.6 DB AG, BDA, DAZ, v. Gerkan, M. (Hrsg.): Renaissance der Bahnhöfe, Braunschweig/Wiesbaden 1996. Durth, W., Gutschow, N.: Ostkreuz, Aufbau, Frankfurt am Main/New York 1998. FStr.PrivFinG: Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz vom 30.8.1994. Fraport AG (Hrsg.): Informationsbroschüren zum Frankfurt Airport Services Worldwide, Frankfurt/Main 2003. Giedion, S.: Raum, Zeit, Architektur, Zürich/München 1976. Graf, O.A.: Otto Wagner - Das Gesamtwerk, Graz/Wien 1985. Kohlmaier, G./v. Sartory, B.: Das Glashaus. Ein Bautypus des 19. Jahrhunderts, München 1981. Koolhaas, R./Mau, B.: S, M, L, XL. OMA, New York 1995. Kostof, S.: Das Gesicht der Stadt, Frankfurt a. M. 1992. Krings, U.: Bahnhofsarchitektur: Deutsche Großstadtbahnhöfe des Historismus, München 1985. Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung (Hrsg.): Mittlerer Ring. Stadt- und freiraumplanerische Studie, Mai 2000. Mignot, C.: Architektur des 19.Jahrhunderts, Fribourg 1983/Köln 1994. Rudowsky, B.: Straßen für Menschen, Salzburg/Wien 1995. Sebald, W. G.: Austerlitz, München/Wien 2001. Semper, G.: Wissenschaft, Industrie und Kunst, Berlin 1995. Senat von Berlin (Hrsg.): Zukunft Stadt Verkehr, Entwurf zum Mobilitätsprogramm 2006, Berlin 2003. Senat von Berlin (Hrsg.): Stadtentwicklungsplan Verkehr, Berlin 2002. Stadt Kassel, Planungsamt (Hrsg.): Unterneustadt Kassel. Ein Architekturführer, Kassel 2001. Stiglat, K.: Brücken am Weg. Frühe Brücken aus Eisen und Beton in Deutschland und Frankreich, Karlsruhe 1996. Straub, H.: Die Geschichte der Bauingenieurkunst, Basel 1992. Thomas, C.: Die Privatisierung von Bundesfernstraßen, Frankfurt a.M. 1997.



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3.2.7

Bauten für Kultur

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Hanns Kastner 3.2.7.1 3.2.7.2 3.2.7.3

Prolog Historie der Kulturbauten Aktuelle Aufgaben der Kulturbauten 3.2.7.3.1 Kulturbauten als Konversion einer postindustriellen Ökonomie 3.2.7.3.2 Kulturbauten als Katalysatoren der Stadtentwicklung 3.2.7.3.3 Kulturbauten als ökonomischer Faktor in der Dienstleistungsgesellschaft 3.2.7.3.4 Kulturbauten als Imageträger der „creative cities“ 3.2.7.3.5 Kulturbauten und Eventkultur 3.2.7.3.6 Kulturbauten und der gesellschaftliche Pluralismus 3.2.7.4 Tendenzen für Kulturbauten 3.2.7.4.1 Die globalisierte, multikulturelle Gesellschaft 3.2.7.4.2 Crossborder-Kultur, die Aufhebung der Kategorien 3.2.7.4.3 Edutainment und Infotainment statt bildungsbürgerlicher Didaktik 3.2.7.4.4 Temporäre Kultureinrichtungen 3.2.7.4.5 Kulturbauten und Kultureinrichtungen als Aktionsfeld für PPP-Projekte 3.2.7.5 Ikonen der Kulturbauten 3.2.7.5.1 Sachkundliche Museen, Themenparks 3.2.7.5.2 Kunstmuseen, Kunsthallen 3.2.7.5.3 Theater, Tanz, Oper, Konzert 3.2.7.5.4 Bibliotheken, Mediatheken 3.2.7.5.5 Commercial Culture 3.2.7.5.6 Exkurs: Kulturbauten - Baukultur 3.2.7.6 Immobilienökonomische Parameter für Kultureinrichtungen 3.2.7.6.1 Idee und Idealziel 3.2.7.6.2 Analyse der Machbarkeit 3.2.7.6.3 Nachhaltigkeit der Projektidee 3.2.7.6.4 Umsetzung des Projektes, Detailqualität 3.2.7.6.5 Opening, Kommunikation 3.2.7.6.6 Betriebsführung Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.7

557 558 559 559 560 560 561 562 563 563 563 563 564 565 566 567 568 570 572 575 577 579 580 580 581 581 582 582 582 584

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3.2.7

557

Bauten für Kultur

Hanns Kastner 3.2.7.1

Prolog

„Der Zeit ihre Kunst und der Kunst ihre Freiheit“ heißt der Leitspruch über dem Eingang der 1898 errichteten Wiener Sezession. Der italienische Dichter Emilio Marinetti postuliert 1909 in seinem ersten futuristischen Manifest: „...ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken...ein aufheulendes Auto ist schöner... als die Nike von Samothrake“, und „wir wollen (Italien) von seinen unzähligen Museen befreien, die es wie Friedhöfe über und über bedecken.“ (Calvesi, S. 20). Dieser These zum Trotze entwickelt sich vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein offensichtlich unstillbares Interesse für Kunst und Kultur, das sich auch in der Errichtung unzähliger Kulturgebäude widerspiegelt. Es ist wohl kein Zufall, dass das erste Schlüsselbauwerk dieser von den Historikern als „pax americana“ bezeichneten Epoche das 1943 von Wright in New York errichtete Guggenheim Museum darstellt und diese Entwicklung einen Höhepunkt mit der Errichtung des Guggenheim Museums von Gehry in Bilbao, eröffnet 1997, erreicht hat (vgl. Abbildung 124).

Quelle: Solomon R. Guggenheim Foundation

Abbildung 124: Guggenheim Museum New York (Architekt: Wright, links) und Bilbao (Architekt: Gehry, rechts)

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3.2.7.2

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Historie der Kulturbauten

Seit Menschen sich in zivilisierten Gesellschaften organisieren, haben Kulturbauwerke die Aufgabe, die Kultivierung der Menschheit zu symbolisieren. Deshalb zerstört die Barbarei bevorzugt Kulturbauwerke, deshalb werden diese von einer aufgeklärten Gesellschaft unter besonderen Schutz gestellt. Bis in die Zeiten der säkularisierten, bürgerlichen Gesellschaft herauf ist die Geschichte des Kulturbauwerkes direkt verknüpft mit den Bauten religiöser, sozusagen kultischer Einrichtungen. So hatten sich in den asiatischen Gesellschaften und in der abendländischen Antike Kulturbauwerke schon als die Kristallisationspunkte städtischer Siedlungsformen entwickelt. Eines der bekanntesten Beispiele ist die um die Akropolis (Stadt auf dem Hügel) herum entstandene Polis Athen. Um dieses kulturelle und religiöse Zentrum herum bildet sich eine Gemeinschaft freier Bürger, die res publica, eine urbane Organisationsform, die alle späteren Gesellschaften prägen wird. Im Mittelalter stellen die Basiliken der katholischen Kirche mit ihren Vorplätzen, den Märkten den Nukleus einer wieder entstehenden Geschichte städtischer Entwicklung dar. Dabei dienen die kirchlichen Einrichtungen nicht nur der Religionsausübung, sondern übernehmen auch die Funktionen von Meldeämtern (durch das Taufregister), von Krankenhäusern, von Schulen und eben von Kultureinrichtungen. Einen fulminanten Aufschwung der Kulturbauwerke als Identifikationsfaktor städtischen Lebens bringt die Renaissance. Die Konstruktion der perspektivischen Darstellung als Rekonstruktion der subjektiven, menschlichen Wahrnehmung eröffnet den Zugang zu neuen Bauformen. Der Kuppelbau, angelehnt an das römische Pantheon wird zum Symbol des Kosmos. Die Skulptur löst sich vom mittelalterlichen Relief zur freistehenden Plastik, die rundum auf städtischen Piazze, in Rotunden und Arkadenhöfen betrachtet werden können. Diese Bauformen werden für Hunderte von Jahren zu einer Ikonographie der Kulturbauwerke. In einer merkantilen Gesellschaft der Handelsgeschlechter entsteht ein vitaler Kunstmarkt, große Kunstsammlungen werden zusammengetragen. In Florenz schafft Vasari mit den Uffizien 1560 erstmals das Bauwerk einer selbstständigen Kunstgalerie. In Vicenza errichtet 1585 Palladio mit dem Teatro Olimpico das erste freistehende Theater seit der Antike (vgl. Abbildung 125). Doch über allem steht ungebrochen der Glaube an die göttliche Schöpfung. Dieser stabilisiert bis zum Ende des 18. Jahrhunderts das Gefüge streng hierarchisierter Gesellschaften, die nur einen sehr selektierten Zugang zu Kunst und Kultur ermöglichen. Erst nach der französischen Revolution beschließt die Convention 1793, den Louvre in Paris, die ehemalige königliche Residenz, der Öffentlichkeit zur Besichtigung der königlichen Kunstsammlung zu öffnen.

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Doch auch in Ländern, die den Wechsel von einer aristokratisch-feudalen zu einer bürgerlichen Gesellschaft erst wesentlich später vollziehen, dient die Kultur, in Verbindung mit der Suche nach nationaler Identität, als Katalysator der gesellschaftlichen Entwicklung. Getragen wird diese Bewegung von einem Bildungsideal, das durch Persönlichkeiten wie Johann Wolfgang von Goethe und Alexander von Humboldt repräsentiert ist.

Quelle: Centro internationale die Studi di Architettura (links), Sir Norman Foster (rechts)

Abbildung 125: Teatro Olimpico, Vicenza (Architekt: Palladio, links); Britisch Museum, London (Architekt: Smirke, Umbau Foster, rechts) Erst mit der umfänglichen Etablierung demokratischer Gesellschaften entwickelt sich das, was heute als öffentlich-hoheitlicher Bildungsauftrag bezeichnet wird. Damit agiert eine offene Zivilgesellschaft mit einer demokratisch legitimierten Kulturpolitik, die auch für die Einrichtungen ihrer Kulturbauwerke verantwortlich ist. 3.2.7.3

Aktuelle Aufgaben der Kulturbauten

In vielen der jüngst errichteten Kulturbauwerke reflektieren sich die vonstatten gehenden Veränderungen der Gesellschaft. 3.2.7.3.1 Kulturbauten als Konversion einer postindustriellen Ökonomie Seit Warhols „factory“ in New York ist die Nachnutzung der brachliegenden Produktionsstätten zu Kultureinrichtungen „established“. Galten die gründerzeitlichen Stahlglaskonstruktionen der Bahnhofshallen als die Kathedralen des anbrechenden Industriezeitalters, so werden diese Bauwerke 150 Jahre später selbst zu Kathedralen einer kulturellen Selbstdarstellung umfunktioniert, wie z.B. der Gare d´Orsay in Paris, der seit 1986 als Musee d´Orsay eine umfassende Sammlung impressionistischer Kunst beherbergt, wie die New Tate Gallery in London, die ein ehemaliges

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Kohlekraftwerk umfunktioniert und mit neuen Identitäten aufgeladen hat. Angesichts der Vielzahl von stillgelegten Fabriken, Hochöfen, Hafenanlagen und Verschiebebahnhöfen können Kultureinrichtungen diese Aufgabe der Konversion jedoch nur in einem begrenzten Ausmaß übernehmen (vgl. Abbildung 126).

Quelle: Tate Gallery London (links), Perrault Architecte (rechts)

Abbildung 126: Turbin Hall New Tate, London (Architekten: Herzog/De Meuron, links), Bibiliotheque Nationale, Paris (Architekt: Perrault, rechts) 3.2.7.3.2 Kulturbauten als Katalysatoren der Stadtentwicklung Da es sich jedoch oft um Areale in der Größenordnung ganzer Stadtquartiere handelt, sind Kulturbauwerke in ihrer städtebaulichen Tradition dazu prädestiniert, sich an zentralen Positionen als Herzschrittmacher der Stadtentwicklung zu profilieren. Als herausragendes Beispiel sei die Bibliotheque Nationale Francois Mitterand in Paris genannt, die das „inner urban development“ des an der Seine gelegenen Güterbahnhofes Gare aux marchandises initiierte. 3.2.7.3.3 Kulturbauten als ökonomischer Faktor in der Dienstleistungsgesellschaft Gerade die als „Starprojekte“ mit einem international ausgerichteten Marketing lancierten Kulturbauwerke übernehmen auch einen übergeordneten wirtschaftlichen Auftrag. So sollen sie den stets bedeutender werdenden, relativ krisenresistenten Städtetourismus mit den notwendigen Attraktoren ausstatten. Städte und Regionen, die unter Imagedefiziten leiden, instrumentalisieren kulturelle Einrichtungen und ihre Bauwerke bevorzugt zu einem Face-Lifting ihrer Außenwahrnehmung. Somit sind Kulturbauten ein integrativer Bestandteil des City-Marketings geworden. Die Stadt Bilbao, der mit dem Guggenheim-Museum ein Imagetransfer weg von einem mit Terro-

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rismus und Bürgerkrieg assoziierten Platz zu einem global bekannten Zentrum zeitgenössischer Kunst gelungen ist, verzeichnet ein Incoming nur für dieses Haus von 900.000 Personen pro Jahr. Doch auch in klassischen Feriendestinationen kommt den Kultureinrichtungen eine immer größere Bedeutung zu (vgl. Lampugnani/Sachs, S. 13). So generieren Institutionen wie das Kunsthaus und die Seefestspiele in Bregenz, die Schubertiade Hohenems und eine in ihrer Dichte unvergleichliche, zeitgenössische Architektur im österreichischen Bundesland Vorarlberg schon 20% des Tourismusaufkommens von 1,7 Mio. Gästen p.a.

Quelle: Fotograf Ignacio Martinez (links), Fotografin Margerita Spiluttini (rechts)

Abbildung 127: Kunsthaus Bregenz (Architekt: Zumthor, links), Neues Museum Nürnberg (Architekt: Staab, rechts) 3.2.7.3.4 Kulturbauten als Imageträger der „creative cities“ Bei den wirtschaftlichen Hard-Facts, wie Arbeitsplatzbilanzen, erscheint Kulturwirtschaft als eine Komponente mit stetig steigenden, stabilen Zuwachsraten. So ist in Berlin, das sich nach dem Niedergang seiner Industrie nicht nur als wieder erstandenes politisches Dienstleistungszentrum Deutschlands versteht, sondern auch seine Position als Kulturmetropole auszubauen versucht, von 1998 bis 2002 ein Steigerung der Beschäftigten im Bereich Medien/Kultur um 16,4% auf insgesamt 30.000 Arbeitsplätze zu verzeichnen. Die Stadt Nürnberg unternimmt mit dem sehr sensibel konzipierten und ins mittelalterliche Stadtgefüge implementierten Neuen Museum für zeitgenössische Kunst und Design die Anstrengung, ihr Image als Stadt Dürers, mittelalterlicher Fachwerkhäuser und jüngerer politischer Belastungen in Richtung Zukunftsorientierung zu transformieren (vgl. Abbildung 126). Letztendlich ist das Kriterium „kulturelles Angebot“ fixer Bestandteil eines jeden Städte-Rankings. Dazu genügt es nicht mehr, historische Bauwerke im Baedecker zu publizieren, es bedarf einer ak-

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tuellen kulturellen Vitalität. Von Kanada ausgehend hat sich der Begriff der „creative cities“ entwickelt, die sich als Plattformen für verträgliche Entwicklungen einer globalen Zukunft verstehen (vgl. Homepage: takingitglobal.org). Auf der Website: creativeclass.org werden nahezu alle USamerikanischen Städte gerated nach den Kategorien: „creative class“, „hightech“, „innovation“ und „diversity“. 3.2.7.3.5 Kulturbauten und Eventkultur Einer schnelllebigen Zeit entsprechend, sucht auch die Kulturwirtschaft nach einem schnellen Wechsel von Reizen. Dieses Phänomen spannt einen Bogen von einer autark agierenden Szenekultur mit Happening-Charakter, über schon traditionell stattfindende Festspiele und Kunstbiennalen bis hin zu institutionellen Einrichtungen, wie der jährlich wechselnden „Europäische Kulturhauptstadt“. Diese Initiative der europäischen Kommission startete 1985 und hat mittlerweile 29 Städte in ganz Europa erfasst. Graz, die Hauptstadt des österreichischen Bundeslandes Steiermark, richtete diese Veranstaltung 2003 aus. Mit einem Investitionsvolumen von 227 Mio. Euro, von dem ein 75%-iger Anteil in dauerhafte Einrichtungen floss, konnten in 5.000 Veranstaltungen in 108 Projekten 2 Mio. Gäste gewonnen werden (vgl. Abbildung 128). Die schon institutionalisierte „Lange Nacht der Museen“ hatte 2003 beispielsweise in München 30.000, in Berlin 220.000 Besucher. Auch auf kleinmaßstäblicher Ebene von Mittel- und Unterzentren ist eine nahezu explosionsartige Zunahme von Kulturevents, wie Theatersommer, Filmfestspiele u.ä. zu verzeichnen. So entwickelt sich über den Jahresablauf ein buntes Mosaik an kulturellen Betätigungsmöglichkeiten, dessen Vielfältigkeit im Ganzen nicht mehr überschaubar und somit scheinbar unbegrenzt erlebbar ist.

Quelle: Graz 2003

Abbildung 128: Murinsel Graz (Architekt: Acconci, links), Kunsthaus Graz (Architekten: Cook/Fournier, rechts

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3.2.7.3.6 Kulturbauten und der gesellschaftliche Pluralismus Die Postmoderne hat das Humboldt´sche Bildungsideal abgelöst durch den erweiterten Kulturbegriff, der umfassend jedes menschliche Handeln zum kulturellen Artefakt erhebt. Somit kann sich jedes Individuum als Teil eines kulturellen Mosaiks wiederfinden. Keine Musikgattung, keine Kunstrichtung, keine naturwissenschaftliche Erkenntnis, keine technische Errungenschaft, geradezu kein gesellschaftliches Phänomen ist mehr vorstellbar, ohne schon nach kurzer Lebenszeit von der eigenen Musealisierung eingeholt zu werden. Dieser Umstand lässt eine Vielzahl kultureller Bauwerke entstehen, deren Typologie nicht mehr eindeutig festzumachen und aus historischen Vorbildern fort zuschreiben ist. Bei aller Diversifikation stellen jedoch immer die Komponenten der Wahrnehmung, der Didaktik, der gerichteten und interaktiven Kommunikation, der Inszenierung als visible Elemente und darüber hinaus die Komplexität räumlicher Zusammenhänge und funktionaler Abläufe einen entscheidenden Faktor gelungener Umsetzung dar (vgl. Abbildung 129). 3.2.7.4

Tendenzen für Kulturbauten

3.2.7.4.1 Die globalisierte, multikulturelle Gesellschaft Seit 1989 fährt das Institut du Monde Arabe in Paris mit seinem schiffsbugartigen Baukörper am Seineufer – symbolisch – direkt von Osten auf eine Ikone der christlichen Kultur, die Chapelles der Notre Dame auf der Ile de France zu. In einer Gesellschaft, die kulturelle Einflüsse externer Provenienz als gleichberechtigt respektiert, manifestiert sich dies auch mit hochstehenden Kulturbauten. Kunst und Kultur sind dem Zweck ihrer nationalen Identitätsstiftung enthoben, werden Teil eines vielfältigen Netzwerkes, das weit über Grenzen hinaus agiert. Kultureinrichtungen sind oftmals nur mittels Kooperation in der Lage, größere Projekte (Ausstellungen, Forschungen) zu leisten. So verleihen Kulturbauten ihrem Standort und direktem Umfeld einen sehr prononcierten Charakter, gleichzeitig beziehen sie Position in einem, durch mediale Kommunikation gestützten, immer breiter gefächerten internationalen und interdisziplinären Wissensaustausch. 3.2.7.4.2 Crossborder-Kultur, die Aufhebung der Kategorien Zur Interdisziplinarität und Internationalität gesellt sich die Aufhebung einer durch bürgerliche Werte geprägten Qualifizierung einzelner kultureller Aktivitäten. Mit der zunehmenden Bedeutung der Kultur als ökonomischer Faktor klassifiziert sich kulturelle Aktivität nach den Kriterien medialer Präsenz und wirtschaftlichen Erfolges.

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In der sogenannten Quotenkultur verschafft sich Populäres Zutritt auf die Bühnen der heiligen Hallen, wird Oper mitunter im Fußballstadion aufgeführt. Auch bei der Projektierung von Kulturbauten ist die Berücksichtigung der Drittverwendungsfähigkeit Bestandteil des wirtschaftlichen Erfolges.

Quelle: Jmberlin (links), Fotograf Philippe Ruault (rechts)

Abbildung 129: Jüdisches Museum, Berlin (Architekt: Liebeskind, links); Institut du Monde Arabe, Paris (Architekt: Nouvel, rechts) 3.2.7.4.3 Edutainment und Infotainment statt bildungsbürgerlicher Didaktik Die Auflösung tradierter Kommunikationsmuster hin zu interaktivem Dialog, bzw. zu selektierter individueller Wahrnehmung hat ihre Auswirkungen auf die Konzeption von Kulturbauwerken. Hier sind aufgrund der Notwendigkeit, breite Schichten erreichen zu müssen, privatwirtschaftlich geführte Einrichtungen unter größerem Druck, sich effizient zeitgemäße Präsentationsformen anzueignen. Auch technische Museen ermöglichen, thematisch bedingt, eher einen spielerischen Zugang. Nur ein geringerer Teil der Klientel von Kultureinrichtungen bevorzugt eine puristische, direkte Rezeption des Gebotenen. In einem breiter orientierten Angebot möchte der Besucher einer Kultureinrichtung auf der emotionalen Ebene abgeholt werden. Und an diesem scheinbar subjektiven Kriterium entscheidet sich die Qualität der Rezeption einer Einrichtung. Zwischen dem Abgleiten in überfrachtete Banalität und dem Zurücklassen des Eindruckes öder Langeweile gibt es oftmals nur einen schmalen Grat.

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Die Inszenierung soll das Thema stützen, darf es nicht überdecken. Angemessene Präsentationsformen müssen mit einer Ausgewogenheit an Benutzerfreundlichkeit, Benutzeridentifikation, informativem Gehalt und gestalterischer Qualität bestechen. 3.2.7.4.4 Temporäre Kultureinrichtungen Die Eventkultur hat einen eigenen Typus von Kulturbauten geschaffen - das nur kurzfristig errichtete und gebrauchte Veranstaltungsobjekt (vgl. Abbildung 130). Insbesondere die Popmusik hat sich vom einfachen Bühnenauftritt mit akustischer Performance zum in allen Facetten durchinszenierten „Gesamtkunstwerk“ entwickelt. Die stage architecture des Marc Fisher, dem mit der Inszenierung des Pink Floyd Auftrittes „The Wall“ 1990 der große internationale Durchbruch gelang, designt bis zu 30 m hohe Bühnen mit bis zu 700 m² großen Projektionswänden für Aufführungen mit bis zu 100.000 Zuschauern.

Quelle: Fotograf Dietmar Tollerian (rechts)

Abbildung 130: Teatro del Mondo, Biennale 1979, Venedig (Architekt: Rossi, links), Sommertheater Haag (Architektur: non:conform, rechts) Doch auch kleinere, auf kommunaler Ebene organisierte Festivals buhlen mit immer aufwendigeren Inszenierungen um die Gunst des Publikums. Das Phänomen der dauerpartyfeiernden Karawane hat auch die Industrie mit ihren Roadshows der Produktpräsentationen für sich entdeckt. So hat 1997 Mercedes-Benz mit einem millionenschweren Investitionsvolumen für die A-Motion-Tour zur Präsentation der neuen A-Klasse einen transportablen 18x18x18 m großen Kubus entwickeln lassen, der von der katalanischen Avantgarde-Theatergruppe La Fura dels Baus mit einem hoch verdichteten Spektakel an Musik, Lichtinszenierung und Performance bespielt wurde.

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3.2.7.4.5 Kulturbauten und Kultureinrichtungen als Aktionsfeld für PPP-Projekte Ideell vom römischen Feldherrn Maecenas abstammend, haben die Träger von Kultur und Bildung sich immer mit einem heterogenen Spektrum an Motivationen der Förderung kultureller Anliegen verschrieben. Teils ist dies durch eigene Interessen und Leidenschaften, teils durch das Bedürfnis nach Außenwirkung getragen. Nach der Ablösung des Feudalismus hat sich das republikanische Gemeinwesen mit seinem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag als größter Subventionsgeber von Kultureinrichtungen etabliert. So werden durch öffentliche Einrichtungen (Bund, Länder und Kommunen) in der Bundesrepublik jährlich 8,3 Mrd. Euro für Kulturförderung ausgegeben. Dazu kommen 490 Mio. Euro Bundesförderung für Auslandskultur. Diese durchaus beachtliche Summe stellt jedoch andererseits nur 1% der öffentlichen Budgets dar. Mit der sich verstärkt in Realität wandelnden These „weniger Staat“ verliert auch der Kulturbetrieb zunehmend diese scheinbar immer verlässlich verfügbare Stütze. Der in prosperierenden Zeiten vielfach praktizierten Subventionsmechanik der „Gießkanne“ folgt nun die Methode „Rasenmäher“. Sukzessive muss ersatzweise Alimentierung durch Sponsorship und Fundraising beschafft werden, des Öfteren werden diese Anstrengungen zu spät unternommen. Doch die aktuellen Kapazitäten dieser Quellen dürfen nicht überschätzt werden. So fließt nur 1% der in Deutschland getätigten Werbeausgaben in Kultursponsoring. Zur kulturpolitischen Zweierbeziehung von Kunst und Politik gesellt sich die Privatwirtschaft als dritter Partner. Somit eröffnet sich in einem „contrat culturel“ ein weites Feld für PPP-organisierte Kulturprojekte. Als Grundvoraussetzung derartiger Vorhaben muss jedoch zur Kenntnis genommen werden, dass – bis auf wenige Beispiele der popularisierten Massenkultur – nahezu keine Kultureinrichtung aus den Deckungsbeiträgen ihrer Eintrittskarten existieren kann. Ein mittelgroßes Kunstmuseum in einer mittelgroßen Stadt kann maximal 10 bis 15% seines Budgets mit Besuchereintritten abdecken, weitere 5% sind durch Erlöse aus Sonderveranstaltungen und Raummieten erzielbar, der Rest des Finanzbedarfes muss aus anderen Quellen gespeist werden. Diese ökonomischen Rahmenbedingungen erfordern eine hohe Professionalisierung aller in gemischten Konstruktionen involvierten Partner. Zu einem klaren Abstecken der unterschiedlichen Interessenlagen und Erwartungen, Zielrichtungen und Verantwortlichkeiten kommt die notwendige Bereitschaft, sich mittel- bis langfristig in dem Engagement zu binden. In PPP-Projekten anderer Investitionsfelder ist unter auskömmlichen Renditeaspekten eine gewisse Austauschbarkeit der Partner gegeben. Bei den individuellen, von sehr spezifischen Zielvorstellungen getragenen Kultureinrichtungen (wie auch bei Institutionen der Forschung) spielen über das Wirtschaftliche hinaus ideelle Motive eine bedeutende Rolle und verlangen so einen hohen, nachhaltig gelebten Identifikationsgrad.

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Wie präzise die Rollen in einem PPP-Kulturprojekt definiert sein müssen, zeigt das schon erwähnte Beispiel des Guggenheim in Bilbao. Die Stadt hatte sich seit Ende der 1980er Jahre um einen elementaren Imagewechsel bemüht. Nachdem der Direktor der privatwirtschaftlich geführten Solomon R. Guggenheim Foundation mit Sitz in New York jahrelang, letztendlich erfolglos die Ansiedelung einer Dependance in der österreichischen Festspielstadt Salzburg betrieben hatte, fand er in der Hauptstadt und der Provinz des Baskenlandes willige Partner. Guggenheim wollte expandieren, Bilbao brauchte ein herkulisches Zugpferd. Das Grundstück wurde unentgeltlich zur Verfügung gestellt, die 85 Mio. Euro der Bau- und Investitionskosten wurden durch die öffentliche Hand aufgebracht. Ein ansehnlicher Teil des regionalen baskischen Kulturbudgets fließt als Fees für die Namensrechte an die Guggenheim Foundation. Dies ist der Preis dafür, dass die Stadt sich somit weltweit als Kulturstandort etabliert hat. Als sich 2002 zeigte, dass sich die Zentrale in New York mit der „McGuggenheimisierung“ ihres global orientierten Kulturbetriebes übernommen hatte und etliche Aktivitäten eingestellt werden mussten (unter anderem das Projekt des „Mega-Guggenheim“ auf Lower-Manhattan), erwiesen sich die Bindungen mit Bilbao so unverrückbar, dass das dortige Haus nicht zur Disposition stand. Ein PPP-Kulturprojekt ähnlicher Größenordnung ist in Deutschland mit dem „museum kunst palast“ in Düsseldorf 2001 eröffnet worden. In dem jahrzehntelang leerstehenden Architekturensemble Ehrenhof aus den 1920-er Jahren wurden unter Einbeziehung der städtischen Kunstsammlung ein Kunstmuseum, das NRW-Forum Kultur und Wirtschaft, der städtische Konzertsaal für 2.000 Besucher und der Robert-Schumann-Saal für 900 Personen, sowie das Verwaltungszentrum der E.ON AG etabliert. Die Kultureinrichtungen werden getragen von der Stiftung „museum kunst palast“, deren Vermögen sich aus dem Teilverkauf des Komplexes an die E.ON AG für 16 Mio. Euro zuzüglich einer Donation von 5 Mio. Euro durch die E.ON AG, aus Städtebaufördermitteln des Landes NRW in der Höhe von 12 Mio. Euro und einem Beitrag der Stadt Düsseldorf von 4 Mio. Euro zusammenträgt. Für den mittelfristigen Betrieb der kommunalen Einrichtungen sind bis 2009 Mittelzuwendungen der Stadt von 4 Mio. Euro p.a. fixiert, die E.ON AG hat sich zu Zuschüssen von 2,5 Mio. Euro jährlich bis 2004 und von 1 Mio. Euro jährlich bis 2009 verpflichtet. 3.2.7.5

Ikonen der Kulturbauten

Mit den Hauptsparten der antiken Kultur sind das „museon“ als Heimstätte der Musen – die Töchter des Zeus waren die Göttinnen der Künste und der Wissenschaften – , das „teatron“ als Schaustätte von Komödie und Tragödie und die Bibliothek als Sammlung der philosophischen Schriften entstanden (vgl. Abbildung 131). Über Jahrhunderte waren diese Einrichtungen, gemeinsam mit den sakralen Bauten, die Säulen des gebauten Kulturbestandes jeder Gesellschaft. In der neuzeitlichen Geschichte erfahren sie eine Weiterentwicklung, die parallel läuft mit der Diversifizierung des Kulturbegriffes.

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Quelle: Stiftung Preuss. Kulturbesitz (links und mitte), eigene Darstellung (rechts)

Abbildung 131: Nationalgallerie, Berlin (Architekt: Van der Rohe, links); Oper Sidney (Architekt: Utzon, mitte); Bibliothek Stockholm (Architekt: Asplund, rechts) 3.2.7.5.1 Sachkundliche Museen, Themenparks Gleichzeitig mit einer zunehmenden Profanisierung findet eine Selbstinszenierung der Gesellschaft statt, in der das Leben zu einem riesigen Erlebnispark mutiert. Die historisch begründeten Vorläufertypen dieser Einrichtung sind x

Naturhistorische Museen

x

Technische Museen

x

Völker- und volkskundliche Museen

Zu zahlreichen Differenzierungen vor allem im Technologiebereich wie Luftfahrtmuseen, Telekommunikationsmuseen, Industriemuseen präsentieren sich immer mehr Museen, Dokumentationszentren, Veranstaltungshäuser mit einem spezifischen ethnischen, regionalen oder religiösen Bezug. Science-Parks positionieren sich durch direkte Ansprache an Kinder und Jugendliche, im weiteren Sinn an Familien. Unternehmensaffine Einrichtungen widmen sich vordergründig einem Thema (z.B. Automobile, Unterhaltungselektronik) in umfänglicher Breite, im Endeffekt versuchen sie jedoch, alle Assoziationen des Themas auf einen Produktnamen zu bündeln und dies mit einem umfangreichen Merchandising verknüpfen (vgl. Abbildung 132). Der Erfolg derartiger Einrichtungen ist immer abhängig von der Kraft ihrer Konzeption. Dazu gehören die Komponenten: x

der inhaltlichen Dichte und Attraktivität ihrer Thematik, um genügend Publikum neugierig zu machen und anzuziehen.

x

der Weiterentwicklungs- und Ausbaufähigkeit ihres Themas, um nach der spektakulären Ersteröffnung ein wiederkehrendes Publikum anlocken zu können.

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x

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der Möglichkeit, auf Kontexte eingehen zu können, schnelllebige Phänomene zeitnah aufgreifen zu können, um den Aktualitätsbezug nicht zu verlieren.

x

des Aufgreifens einer am Ort vorhanden Hi-Story, die der geschaffenen Kunstwelt eine Qualität der Authentizität, einer spezifischen – nur dort erfahrbaren – Identität verleiht.

x

der sinnesorientierten, interaktiven Inszenierung, die den Besucher zum Protagonisten des Themas macht, um ihn mit einem nachhaltigen Erlebnis in Bann zu ziehen.

x

des Einsatzes aktuellster Präsentationstechniken, die in ihrer Mischung das Einzigartige des dargebotenen Themas kommunizieren.

Quelle: Loisium GmbH & Co. KG (links), Autostadt GmbH (rechts)

Abbildung 132: Weinbauausstellung Loisium, Langenlois (Architekt: Holl, links), Seat-Pavillon, Autostadt Wolfsburg (Architekten: Henn und Partner, rechts) Die Atmosphäre sachkundlicher, mit thematischen Schwerpunkten agierender Einrichtungen hat sich von der didaktischen Vermittlung von Allgemeinwissen zum Platz des Flanierens und des entspannten, spielerischen Konsums entwickelt. Dieser Form des „bunten“, ins Staunen versetzenden Wahrnehmens ist die Anknüpfung an einen urbanen Kontext oder als Alternative die Schaffung eines urbanen Surrogates förderlich. Der US-amerikanische Architekt Jordi hat mit der Gestaltung des artifiziellen „city walk“ bei den Universal Studios in Los Angeles wegweisende Maßstäbe gesetzt.

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3.2.7.5.2 Kunstmuseen, Kunsthallen Die originär festgelegten Aufgaben der klassischen Museen sind: – Sammeln – Bewahren - Forschen – Vermitteln. Da hauptsächlich Letzteres öffentlich wahrgenommen wird, werden bei Neukonzeptionen von diesen Häusern die räumlichen Anforderungen der anderen Funktionen häufig nur unzulänglich berücksichtigt. Vor allem die Depotflächen stellen bei sich ständig erweiternden Sammlungen eine Herausforderung für nachhaltig befriedigende Konzeptionen dar. Die Ursprünge dieser Einrichtungen liegen in den klassischen Einrichtungen der x

Gemäldesammlungen (Pinakotheken) und graphischen Sammlungen

x

Skulpturensammlungen (Glyptotheken)

x

Kunsthandwerksammlungen.

Mit der Zeit haben sich diese Einrichtungen parallel mit dem Kunstbegriff erweitert um die Themen: x

Film und Photographie

x

Präsentationen von Medienkunst

x

die Bereiche der angewandten Kunst, wie Mode, Design, Architektur.

Eine allgemeine Zusammenstellung von Kennzahlen für die Konzeption von Museen und Ausstellungshallen zeigt Tabelle 6. Als Schlüsselprojekt eines neuen Kunst- und Ausstellungsbetriebes ist nach wie vor das 1971 bis 1977 errichtete Centre Pompidou in Paris anzusehen (vgl. Abbildung 133). Durch die bauliche, von außen sichtbare Auslagerung der technischen Infrastruktur und der Wegeführung vor die Fassaden (die kaskadenartige Rolltreppe ist quasi zum „label“ des Centre geworden), werden große zusammenhängende, flexibel nutzbare Flächen für Veranstaltungen und Ausstellungen diversester Art frei. In Kombination mit Shops, Vorführräumen und Gastronomie hat das Centre Pompidou auch erstmals die 24-Stunden-Kulturimmobilie etabliert. Einerseits sind die thematischen Auffächerungen geprägt durch eine grenzüberschreitende Interdisziplinarität in der bildenden Kunst. Fast wie ein Gegengewicht werden dafür private Kunstsammlungen in zunehmendem Ausmaß öffentlich zugängig gemacht, deren Inhalte klassisch durch das Tableau und die Raumskulptur geprägt sind. Häufig werden diese Kollektionen auch in sehr anspruchsvollen, eigens konzipierten Bauwerken präsentiert. Erwähnt seien als spektakuläres Beispiel die „Akropolis“ des Paul Getty Trust in Los Angeles, ein umfassendes Ensemble von Veranstaltungs-, Ausstellungs- und Forschungseinrichtungen, und als autochthones Beispiel die Museumsinsel in Hombroich bei Düsseldorf, ins Leben gerufen von einem Immobilienunternehmer, der dieses Projekt jetzt auf dem Gelände einer ehemaligen US-Raketenstation erweitert.

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Quelle: eigene Darstellung (links), Paul Getty Trust (rechts)

Abbildung 133: Centre Pompidu, Paris (Architekt: Piano, Rogers, links), Paul Getty Museum (Architekt: Meier, rechts) Im Kunstmuseum thematisiert sich am direktesten, am puristischsten das Phänomen der visuellen Wahrnehmung, sowohl in physiologischer als auch in psychologischer Sicht. Die ewig währende Debatte um den Vorzug von Kunst- oder Tageslicht hat neue Impulse bekommen durch die schnelle Weiterentwicklung der Bauglastechnologie. Die lichttechnischen Kriterien an die Präsentationen der Objekte lauten: x

Erscheinen der Dinge in ihrem eigenen Licht.

x

Herstellen einer dem Tageslicht entsprechenden Kunstlichtqualität, vor allem für die tageszeitlichen Übergänge.

x

Wahrnehmung der Veränderung des Umfeldes eines Objektes als informativer Zuwachs (z.B. Skulptur mit harten Schatten bei Tageslicht und weichen Schatten bei Kunstlicht, im Normalfall halb so viel Lichtstärke im Umfeld als auf dem Objekt).

x

Vermeidung ermüdender Begleiterscheinung bei der Wahrnehmung (z.B. Reflexionen auf verglasten Kunstwerken oder Screenpräsentationen).

x

Berücksichtigung konservatorischer Belange zum Licht nach den Kriterien: spektrale Zusammensetzung, Strahlungsstärke und Bestrahlungsdauer.

x

Berücksichtigung konservatorischer Belange zum Raumklima: neueste Tageslichtsysteme können 50% des Lichtes durchlassen und gleichzeitig 85% der Wärme zurückhalten.

Mit zunehmender Entwicklung heliostatischer Systeme wird es künftig möglich sein, auch untere Geschosse mit Tageslicht zu versorgen.

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Die technischen Konditionierungen des „Ausstellungsmilieus“ dienen sowohl der ungetrübten Kunstrezeption des „Vermittelns“ als auch den konservatorischen Erfordernissen des „Bewahrens“ und des „Forschens“. Eine unzureichende Berücksichtigung dieser Kriterien kann die nachhaltige, irreversible Beschädigung von Kulturgütern nach sich ziehen.

Modulare Bezugsgrößen

Bilder : 3-5 m² Hängefläche, 6-10 m² Grundfläche pro Objekt

Geometrie der Wahrnehmung

Vertikaler Blickwinkel 27°, Oberkante max. 5,50 m, Unterkante min. 0,90 m

Bauphysik

relative Luftfeuchte 45-55% (Holz, Papier, Leinwand), 5-40% für Metalle Temperatur 18° C Tageslichthelligkeit 200-2000 lx (tageszeitlich verlaufend), Kunstlicht 200-800 lx Farbwiedergabeeigenscgaften des Lichtes RA=98, minimale UV-Strahlenbelastung

Bautechnik, Sicherheit

Brandschutz, Diebstahl, Vandalismus

Publikumsbereiche

Foyer (min. 100 m²), Garderoben, Gastronomie, Shops, Veranstaltungsbereiche ständige und wechselnde Ausstellungen (Raumtiefe min 9.00 m, Flexibilität) Studienbereiche, Bibliothek

nicht öffentliche Bereiche

Verwaltung und Personal, Registratur, Kuratotium Depots, Restaurierwerkstätten, Labore, Haustechnik Materiallager, Werkstätten und Logistikflächen für Wechselausstellungen

Relation öff. / nicht öff. Bereiche

1:1 bis 1:2

Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 6: Eckdaten Museen und Ausstellungshallen 3.2.7.5.3 Theater, Tanz, Oper, Konzert In seinem Buch „Der leere Raum“ schreibt der englische Regisseur Brook: „am Theater gibt es keine organisatorische Frage, die nicht gleichzeitig eine künstlerische ist.“ (Brook). Im Laufe der Geschichte haben sich die speziellen Spartenhäuser für Theater, Tanz, Oper und konzertante Aufführungen entwickelt. Nicht zuletzt die spezifischen akustischen Bedingungen der einzelnen Aufführungen haben dies forciert. Die sinnliche Wahrnehmung des Hörens ist das zentrale Kriterium der Rezeption. Die Darbietungen haben schnell veränderliche akustisch-physikalische Qualitäten, daher sind keine konstanten Berechnungen möglich. Die Konzeption der Raumakustik basiert großteils auf empirischen Werten. Zu berücksichtigen sind: x

Nachhallzeit (wie lange klingt der Ton nach Verstummen der Quelle nach, bis zu einer Differenz von minus 60 db).

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x

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Reflexion (wieviel akustische Energie wird von Reflexionsflächen absorbiert bzw. zurückgeworfen).

x

Rückwürfe (mit welcher Verzögerung erreicht der Klang nach Reflexion den Zuhörer, entscheidend für den Räumlichkeitseindruck und die Sprachverständlichkeit).

Die Entwurfsmethoden der Raumakustik bedienen sich sowohl der einfachen, geometrischen Konstruktion von Schallstrahlen, als auch der Nachhallberechnungen in Abhängigkeit der raumbegrenzenden Materialität, der Modelluntersuchungen – wobei auch eine „Maßstäblichkeit“ der Klänge zu beachten ist – und in zunehmender Weise der digitalen Simulation der Schallausbreitung. Eine allgemeine Zusammenstellung von Kennzahlen für die Konzeption von Veranstaltungshäusern für Theater, Tanz, Oper oder Konzert zeigt Tabelle 7.

Größenordnung

Schauspiel bis 1.000, Oper bis 3.500 Besucher

Fläche Publikumsbereich

Zuschauerraum 0,5 m², Foyer mit Nebenflächen 0,8 m² pro Besucher

Raumvolumen Auditorium

Schauspiel 4-5 m³, Oper 6-8 m³ pro Besucher

Abstand letzte Reihe - Bühne

Schauspiel 24 m, Oper 32 m

Geometrie der Wahrnehmung

Steigung pro Sitzreihe 6 cm Sehwinkel vertikal 70°, horizontal (ohne Kopfbewegung) 30 - 110°

Bühnenportal Breite : Höhe

1,6 : 1,0 - entspricht ungefähr dem goldenen Schnitt

Orchestergraben vor der Bühne

1,25 m² pro Musiker, 90 - 120 m²

Orchesterbühnen, konzert. Auff.

Fläche 2,0 -2,4 m², Volumen 8,0 - 10,0 m³ pro Musiker

Bautechnik, Sicherheit

Brandschutz, Evakuierung, VStättVO

Publikumsbereiche

Foyer mit Nebenflächen / Garderoben, Buffet, evtl. Ausstellungsbereiche Zuschauerraum / Parkett, Ränge, Logen

nicht öffentliche Bereiche

Bühne / Hauptbühne (mit Bühnenturm), Seitenbühne, Hinterbühne evtl. autark bespielbare Probebühne, Instrumentendepot Künstlergarderoben, Maskenbildnerei, Kostümfundus, Kulissenmagazin Werkstätten, Lager, Logistik, Anlieferungsflächen für externe Produktionen

Relation öff. / nicht öff. Bereiche

1 : 3 bis 1 : 10

Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 7: Eckdaten Theater, Tanz, Oper, Konzert Konzertsäle: Die grundsätzliche Diskussion um die optimale Form des Raumes als Resonanzkörper polarisiert sich zwischen der orthogonalen Box, z.B. Musikvereinssaal in Wien und der amorphen Schale, z.B. Philharmonie in Berlin (vgl. Abbildung 134).

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Räume für konzertante Aufführungen haben zumeist doppelt so lange Nachhallzeiten (über 2 Sekunden) als Sprechbühnen. Damit soll auch ein akustischer Rückfluss auf die Musizierenden gewährleistet werden.

Quelle: eigene Darstellung (links), Akademie der Künste Berlin (rechts)

Abbildung 134: Großer Saal Musikverein Wien (Architekt: Hansen, links), Philharmonie Berlin (Architekt: Scharoun, rechts) Opernhäuser: Nach akustischen Kriterien zwischen musikalischer und sprachlicher Darbietung angesiedelt, ist die Oper die aufwändigste Präsentationsform der darstellenden Kunst. Die Gesamtnutzfläche eines Opernhauses beträgt ca. das 10fache des Publikums- und Bühnenraumes, bei einer durchschnittlichen Sitzplatzkapazität für 1.000 Personen somit 12.000 bis 15.000 m². Da die Oper am kontinuierlichsten das bürgerliche Kulturverständnis repräsentiert, haben sich hier auch am konsequentesten die räumlichen Strukturen und Abläufe des Inszenierens für die Akteure und auch des Selbstinszenierens für das Publikum erhalten. Sprechtheater und Tanztheater: Bei diesen Genres lässt sich am umfassendsten die gefächerte Entwicklung des Kulturbegriffes in der darstellenden Kunst ablesen. Einerseits werden die Häuser des 19. Jahrhunderts mit ihren Guckkastenbühnen fortgeführt und in jüngster Zeit aufwändig modernisiert, andererseits fordert die Experimentalbühne gänzlich neue räumliche Voraussetzungen mit flexiblen Konfigurationen für Bühnen und Tribünen, sowie für Projektionsformen. Ein Schlüsselbauwerk dieser Art war der Umbau des Berliner Universumkinos des Architekten Mendelsohn zur Schaubühne durch Sawade (vgl. Abbildung 135). Ein maschinentechnisches, modulares System aus einzelnen Hubbühnen erlaubt unzählige Variationen von Raumkonstellationen. Dreispartentheater: In kleineren und mittleren Städten ist die Errichtung mehrerer und der Unterhalt spezifischer Häuser nicht leistbar. So werden Bauten geführt, meist mit 600–800 Sitzplätzen,

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die allen Genres genügen müssen und sich in ihrer Konzeption an den Anforderungen der Oper orientieren. In

Deutschland

erfolgt

eine

Klassifizierung

der

Häuser

durch

die

Versammlungsstättenverordnung (VStättVO). Diese teilt ein in Spielstätten mit Kleinbühnen mit weniger als 100 m² Bühnenfläche, bzw. mit maximal 100 Besuchern, und entsprechend mittlere und größere Spielstätten mit Vollbühnen.

Quelle: J. Sawade

Abbildung 135: Universumkino Berlin (Architekt: Mendelsohn, links), Umbau zur Schaubühne, Theaterraum (Architekt: Sawade, rechts) Grundlegend entscheidend für die räumliche Konzeption ist, ob ein Haus mit einem eigenen Ensemble betrieben wird, oder ob Produktionen hauptsächlich zugekauft werden. Schauspielhäuser sollen wechselnd bis zu 12 Inszenierungen, Opernhäuser bis zu 50 Inszenierungen im Repertoire haben. Bei größeren Häusern ist die Einrichtung autonom fungierender Probebühnen notwendig, unter Umständen auch eigener Kulissendepots. Sind diese räumlich ausgelagert, ergibt sich ein erhöhter logistischer Aufwand. 3.2.7.5.4 Bibliotheken, Mediatheken Bibliotheken werden als das kollektive Gedächtnis einer Gesellschaft, zeitgemäßer wohl als deren intelligente Speicher bezeichnet. Ohnehin wandelt sich die Einrichtung der Bibliothek mehr zur Mediathek. Die elektronischen Medien sind als Zeitdokumente mittlerweile genauso etabliert wie das Buch, das immer noch als Symbol des Kulturgutes schlechthin gilt. So umfassend die Wissensgesellschaft ihre Erkenntnisse an solchen Orten zusammenträgt, so sehr findet der Wissens- und Kulturkonsum hier auf höchst individueller Basis statt. Dem entspricht eine Differenzierung verschiedener Bibliothekstypen, vertikal von der Ikone der Nationalbiblio-

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thek bis hin zur mobilen Bezirksausleihe, horizontal von den Universitätsbibliotheken als „Basislager“ wissenschaftlichen Arbeitens bis zu den Volksbüchereien. Die Einrichtungen können solitär (einschichtig) organisiert sein oder als Zentrale mit Zweigstellen (zweischichtig). Durch die Möglichkeiten der elektronischen Datenerfassung scheint auch die ewige Fragestellung nach der sinnvollsten Indexierung eines Bibliothekenbestandes annähernd befriedigend geklärt, da die Abfrage mit Suchbegriffen in mehreren thematischen Sphären agieren kann. In deutschsprachigen Bibliotheken wird zur Archivierung zumeist das OPAC-System verwendet.

Quelle: Architekten: OMA

Abbildung 136: Projektierte Bibliothek, Seattle (links), Funktionsschnitt (rechts) Nahezu jede Bibliothek hat verschiedene Zugangs- und Nutzungsbereiche (vgl. Abbildung 136): x

Lesesäle mit Freihandbibliothek, strukturiert nach Fachgebieten

x

Lounges für Zeitungs- und Zeitschriftenstudium

x

Lesesäle mit Ausleihmagazin (auf Vorbestellung)

x

Magazinbestände für Fernausleihe

x

Bereiche für audio-visuelle Medien

x

unter Umständen eigene Kinder- und Jugendbereiche,

darüber hinaus für das Publikum Nebenbereiche, wie : x

Garderoben

x

Kopier- und Scanstationen

x

Cafeteria

x

unter Umständen Ausstellungs- und Veranstaltungsmöglichkeiten

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sowie für den Betrieb : x

Logistikzonen

x

unter Umständen Restaurierwerkstätten.

Auch bei diesen Bauaufgaben bedarf es sorgfältiger Berücksichtigung der bauphysikalischen Anforderungen, um das sensible Material Papier dauerhaft zu erhalten, und der bautechnischen Anforderungen, um den erhöhten statischen Belastungen und der erhöhten Brandlast Rechnung zu tragen. Abgesehen von der Erweiterung auf die elektronischen Medien sind die Bibliotheken / Mediatheken als „ruhige Oasen jenseits hektischer Betriebsamkeit“ die am konstantesten entwickelten Kulturbauten. Eine Zusammenstellung von Kenndaten zur Konzeption von Bibliotheken zeigt Tabelle 8.

Mindestgrößenordnung

300 m² Nutzfläche mit 10.000 Medieneinheiten

Modulare Bezugsgrößen

Platzbedarf für 1.000 Bände (150 Bände pro lfm Regal mit 6 Fachböden) : im Magazin 4-5 m² Grundfläche, d.h. 180-250 Bände pro m² Grundfläche im Freihandbereich 7-16 m² Grundfläche, d.h. 60-140 Bände pro m² Grundfläche Platzbedarf im Lesesaal : 2,5 m² pro Leseplatz, 4,0 m² pro PC-Platz

Bauphysik

Temperatur im Magazin 18°, im Publikumsbereich 20°, relative Luftfeuchte 50 % Luftwechsel : 3 m³/h pro m2 Magazinfl., 20 m³/h pro Person im Publikumsber.

Bautechnik. Sicherheit

Diebstahl, Brandschutz, statische Belastung 7,5 kN/m² Magazinfläche, bei fahrbaren Regalen 12,5 kN/m²

Relation öff. / nicht öff. Bereiche

1 : 1,5 bis 1 : 2,5

Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 8: Eckdaten Bibliotheken 3.2.7.5.5 Commercial Culture Als im antiken Rom „panem et circenses“ als Motto der Spaßgesellschaft ausgegeben wurde, fand die Populärkultur mit dem Colosseum ihre erste eigene Immobilie. Auch dieser Typus der Kulturbauten hat eine breitgefächerte Differenzierung erfahren, von der Volksbühne über das Lichtspieltheater bis hin zum Kulturkaufhaus. Kinos, Kinocenter: Seit der Existenz des Filmes ist dieses Genre der gelebte Beweis des fließenden Überganges zwischen E- und U-Kultur. Dementsprechend mussten sich Filmproduktion und Ki-

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nobauten einerseits immer an einem funktionierenden Markt orientieren, anderseits versuchen sie in der Form des „Filmtheaters“ in den Olymp der Hochkultur erhoben zu werden. Derzeit stellt sich die Frage nach der Konzeption neuer Kinoeinrichtungen angesichts overscreenter Märkte nur noch in seltenen Fällen. Als Fanal bis dato nicht gekannter Schnelllebigkeit in der Immobilienwirtschaft kommen bei dieser Sonderimmobilie die Kriterien der Drittverwendungsfähigkeit und Nachnutzbarkeit auf den Prüfstand. Zu klären sind: x

Welche Nutzungen sind am Makro- und Mikrostandort noch absorbierbar? Fazilitäten für Veranstaltungen, Kongresse? Spezifische Handelsflächen für Möbel, Sportartikel, Büroausstattungen etc.?

x

Mit welchem baulichen Aufwand kann Tageslicht in die Kinosäle gebracht werden?

x

Mit welchem Umfang konstruktiver Eingriffe sind andere Raumkonfigurationen zu schaffen?

x

Wie können die Nachinvestitionen, deren Umfang leicht die Größenordnung der Neuerrichtung erreichen, finanziert werden?

x

Wie kann aus der Konversion einer „Wohlstandsruine“ mit gezieltem Marketing eine neue Adressenbildung kommuniziert werden?

Letztendlich muss sich bei derartigen Aufgabenstellungen die Kapazität, unkonventionelle Wege zu gehen, beweisen. In Freiburg im Breisgau wurde ein Multiplex-Center teilweise in Büroflächen, teilweise in ein Planetarium adaptiert. Veranstaltungszentren: Beginnend mit dem Boom der Musicaltheater in den 1980er Jahren hat sich ein weitgefächertes Spektrum an Projekten entwickelt, das die Ausrichtung von kulturellen Veranstaltungen zum Thema hat, bis hin zum Typus der Arena. Die zumeist freie Trägerschaft derartiger Vorhaben setzt wettbewerbsresistente Professionalität voraus: x

Ist das zu errichtende bzw. einzurichtende Objekt für verschiedene Funktionen verwendungsfähig? Konzerte, Theater, Performances, Kongresse, road shows, Messen, Sportveranstaltungen, TV-Aufzeichnungen und Übertragungen?

x

Ist die räumliche Qualität und Ausstattung flexibel genug und leicht manipulierbar, um den verschiedenen Verwendungszwecken gerecht zu werden? Variable Bühnenkonfigurationen, variable Bestuhlungslayouts, technische Vorkehrungen für audio-visuelle Projektionen, Logistik für Anlieferungsverkehr?

x

Können mehrere Veranstaltungen gleichzeitig stattfinden, ohne sich zu beeinträchtigen? Indoor- und Outdoor-Aktivitäten?

x

Ist der Standort gut mit individuellen und öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar?

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x

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Sind Standort und bauliche Attraktivität des Objektes ausreichend konditioniert, im lokalen und überregionalen Wettbewerb ein „branding“ als Adresse zu bilden?

x

Ist die Einrichtung mit der direkten Nachbarschaft sozial und ökologisch verträglich? Wird sie als Bereicherung oder als Störfaktor wahrgenommen?

x

Sind realistische Betriebsführungskosten angesetzt?

Wiewohl kommunale Politik gerne dazu neigt, mit Subventionen am Eröffnungserfolg derartiger Einrichtungen zu partizipieren, sollten diese nicht als konstante Mittel kalkuliert werden. Das Projekt muss auch ohne derartige Zuwendungen autark überlebensfähig sein. 3.2.7.5.6 Exkurs: Kulturbauten - Baukultur Durch seine inhaltliche Aufgabe ist das Thema Kulturbauten wie kaum ein anderer Bautyp prädestiniert, sich qualitativ als Baukultur zu definieren (vgl. Köb/Stiller, S. 12). In diesen Bauwerken schlägt sich die Entwicklung der Baukunst seit jeher direkt nieder. Die bleibenden Monumente, die ganzen Städten ihr Image verliehen haben, waren immer, gemeinsam mit den verwandten Sakralbauten, die Architekturen für Einrichtungen der Kunst und Kultur. In ihnen verknüpft sich die Erarbeitung des Experimentellen vor dem Hintergrund der Tradition.

Quelle: Venturi, Scott, Brown (links), Vitra (rechts)

Abbildung 137: "I am a monument" (Venturi, links), Vitra Feuerwehr Station, Weil a.R. (Architektin: Hadid, rechts) Der ökonomische Rahmen bei der Errichtung von Kulturbauten wird meist offener gehandhabt als bei anderen Investitionen vergleichbarer Größenordnungen. Diese Praxis rechtfertigt sich offenbar mit dem hohen ideellen Wert, der sich in Kulturbauten vermittelt. Der hohe Subventionsgrad des

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gesamten Kulturbetriebes gestattet zumeist keinen direkten Nachweis des Return on Investment. Durch ihre Ausstrahlungskraft müssen sich Kulturbauten an ihren Nebeneffekten messen lassen. Durch diese Praxis hat sich in der Architektenschaft eine internationale Nomenklatura gebildet, die immer wieder zur Planung von Bauten kultureller Bestimmung herangezogen wird. Durch das Name-Dropping der Stararchitekten wird versucht, eine Garantie auf die gewünschten Öffentlichkeitseffekte einzulösen. Doch nicht nur im Bereich der Kulturbauten wird dieses Mittel des Corporate Designs eingesetzt. Auch Firmen mit hohem Selbstanspruch an ihre Unternehmenskultur errichten ihre Bauwerke mit hochstehender Baukunst. So hat zum Beispiel der Büromöbelhersteller Vitra in Weil am Rhein ein ganzheitliches, öffentlich zugängiges Ensemble zeitgenössischer Architektur entstehen lassen. Dazu gehören ein Konferenzzentrum von Ando, das Firmenmuseum von Gehry und die Betriebsfeuerwehr von Hadid (vgl. Abbildung 137). Die weltweiten Publikationen dieser Location übersteigen den hypothetischen Gegenwert bezahlter Anzeigen um ein Mehrfaches. 3.2.7.6

Immobilienökonomische Parameter für Kultureinrichtungen

So wie den Kultureinrichtungen und ihren Bauten eine besondere Rolle in ihrem Umfeld zukommt, so unterliegen sie besonderen Kriterien in ihrer Konzeption und Führung. Um einen nachhaltigen Erfolg ausweisen zu können, bedarf es eines stringenten Profils in der Wahrnehmung durch die Außenwelt und der synergetischen Kooperation interdisziplinärer Teams in der Innenwelt des Projektes. „Kulturarbeiter“ zeichnen sich durch einen hohen Grad an Kreativität und an subjektiver Identifikation mit ihrem Auftrag aus. Eine konsequente, dauerhafte Freisetzung dieser Potenziale durch alle Komfortzonen und Konfliktphasen ist der Garant für das Gelingen. 3.2.7.6.1 Idee und Idealziel Der Anstoß zur Etablierung einer Kultureinrichtung erfolgt meist nicht aus ökonomischen Notwendigkeiten, sondern aus einer ideellen Supervision von Initiatoren, deren Motivationen verschieden begründet sein können. So diffus der initiale Impetus sein kann, so grundlegend muss eine Präzisierung des Leitbildes einer kulturellen Einrichtung formuliert werden. Der Inhalt muss einerseits im laufenden Prozess transformiert werden können, andererseits darf sein prinzipieller Charakter nicht verwässert werden. Die Einsetzung eines Beirates/Kuratoriums, wie ein Aufsichtsrat periodisch als Qualitätskontrolle fungierend, kann dies gewährleisten.

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3.2.7.6.2 Analyse der Machbarkeit Das hypothetische Erstellen der Einrichtung als „cultural engineering“ unter Einbeziehen aller endogenen und exogenen Faktoren stellt schnell die Tragfähigkeit des Vorhabens unter Beweis. Damit müssen sich die potentiellen Träger frühzeitig deklarieren und die zur Umsetzung verantwortlichen Spezialisten ihre umfassende Kompetenz ausweisen. Gleichzeitig kann eine parallel laufende transparente öffentliche Kommunikation die Kompatibilität der Einrichtung mit ihrem Umfeld prüfen und gegebenenfalls stärken. 3.2.7.6.3 Nachhaltigkeit der Projektidee Nur eine weit über ihren Eröffnungszeitraum (mindestens 2-4 Jahre) hinaus wirkende Programmatik gewährleistet eine qualitativ hochstehende Präsenz der Einrichtung in der öffentlichen Wahrnehmung. So müssen weiter entwickelbare Potentiale schon in der primären Projektidee implementiert sein und die dafür erforderlichen Mittel schon frühzeitig gesichert sein. Kulturelle Einrichtungen müssen durch stets wiederkehrende Attraktivität die Neugierde ihres Zielpublikums wecken und binden. Dabei kann und soll durchaus die ewig dauernde Diskussion um Kunstverständnis und Verständlichkeit von Kunst instrumentalisiert werden. Rezeption von Kultur ist kein Schonprogramm, sondern wird bei entsprechender Qualität vom interessierten Kulturkonsumenten als geistige Herausforderung angenommen.

Quelle: Dietrich/Untertrifaller (links), eigene Darstellung (rechts)

Abbildung 138: Landesausstellung Vorarlberg, Hohenems (Architekten: Dietrich/Untertrifaller, links), Galeria Querini Stampalia, Venedig (Architekt: Scarpa, rechts)

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3.2.7.6.4 Umsetzung des Projektes, Detailqualität Wie jedes komplexe Vorhaben brauchen auch Kulturbauten eine qualifizierte Projektsteuerung mit entsprechender Expertise. Die integrative Kooperation von Spezialisten für hochstehende Baukultur und für die anspruchsvolle Programmatik des Betriebes ist Basis für ein vom Publikum als ganzheitliches Kulturprojekt wahrnehmbares Engagement. Ästhetische Anforderungen, die gerne in den Vordergrund rücken, müssen mit einem professionellen Funktionsprofil hinterlegt werden. Insbesondere der qualitativen, angemessenen Überlegung und Gestaltung der Details (vgl. Abbildung 138) wächst bei den Kulturbauwerken eine tragende Rolle zu einer stimmigen Projektwahrnehmung zu. Gerade in diesem Segment darf bei Kostendruck in der Projekterrichtung nicht gespart werden, alternativ sind bei Sparnotwendigkeit eher Reduktionen des Projektumfanges vorzunehmen. 3.2.7.6.5 Opening, Kommunikation Eine konsistent zum Projekt entwickelte Kommunikationsschiene muss lokale Nachbarschaften genauso berücksichtigen, wie die mit einer globalisierten Medienstruktur anzusprechenden Interessenten anderer Provenienz. Es muss frühzeitig ein Mediaplan erarbeitet werden, der mit gezieltem Timing auf mehreren Ebenen agiert. Die Ausstattung der Ansprechpartner mit professionellem, technisch und copy-right-freien reproduzierbarem, gegebenenfalls mehrsprachigem Material (Pressemappen, facts&figures, Photographien, CD-roms) ist selbstverständlich. Dabei gilt es, inhaltlich die Phänomene der Kunstvermittlung zu verinnerlichen, die Schwierigkeit und Potenzial zugleich sind. So schreibt van der Koelen Thema Marketing-Ideen im Kunstbetrieb: "Da die Kunst des 20. Jahrhunderts zunächst einmal nicht auf einen bestimmten Zweck gerichtet ist und auch keine Funktion erfüllt, ist es besonders schwierig, Wege zur Beurteilung von Kunst zu finden..." (van der Koelen, S. 353), um dann selbst den Künstler Uecker zu zitieren: "künstlerische Kreativität befindet sich im Widerspruch zu bekannten Normen, grundsätzlich, sonst ist sie nicht kreativ." 3.2.7.6.6 Betriebsführung Wie in anderen Immobiliensparten mit vorrangig öffentlichem Hintergrund wird auch im Bereich der Kulturbauten zunehmend Outsourcing praktiziert. Die öffentliche Gebäudeverwaltung wird zu Public Real Estate Management (PREM). Das gesamte Programm des kaufmännischen, infrastrukturellen und technischen Facilities Managements kann hiervon erfasst werden. Da diese Entwicklung bei Kulturbauten relativ jung ist, existieren hierzu noch keine Erfahrungswerte; als externes Benchmarking können vergleichbar andere öffentliche Einrichtungen wie Universitäten herangezogen werden. Aufschläge aufgrund des

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Umganges mit Objekten mit hohen Versicherungswerten – Schäden sind zumeist irreversibel an Kunstwerken, Musikinstrumenten, historisch wertvollen Originalen, hochwertigen technische Objekten und Einrichtungen – sind zu berücksichtigen. Beim internen Benchmarking sollte ein prozessorientiertes TQM (Total Quality Management) mit Balanced Scorecard eingesetzt werden. Letztendlich setzen in Zeiten knapper werdender Mittel und schärfer werdenden Wettbewerbes in der Kulturpolitik Effizienzoptimierungen Reserven frei, um die Programmatik einer Kultureinrichtung qualitativ optimieren zu können. Da dauerhaft etablierte Kultureinrichtungen zumeist komplexe und sensible Anforderungen an Bautechnik und Bauphysik mit sich bringen, sind integrative, ganzheitliche Planungs- und Bewirtschaftungskonzepte unter Berücksichtigung der Lebenszykluskosten unerlässlich. Kulturbauwerke sind nicht nur „intelligent buildings“, sondern auch „living buildings“, die wie kaum andere räumliche, funktionale und inszenatorische Flexibilität gewähren müssen. "Ohne Geld geht nichts in der Kultur - aber ohne Kultur ist Geld nichts wert" schreiben Ludger Hünnekens und Hilmar Hoffmann in ArtInvestor S. 249 zum Thema Kultur, Wirtschaft und neue Allianzen. Vor allem bei öffentlichen Kultureinrichtungen hat sich zur Erschließung zusätzlicher Einnahmequellen in den letzten Jahren die Vergabe von Nebeneinrichtungen, wie Museumsshops mit intensivem Merchandising, Designstores, Bookstores, Gastronomie und Catering bis hin zu Guide-Services an eigenständige Unternehmer entwickelt. Somit haben sich schon sehr spezielle Formen des Private-Public-Partnership etabliert. Absehbar ist ein Vordringen solcher Strukturen in die zentralen Konstruktionen der Trägerschaft. Prinzipiell sind Kulturbauten auf Grund ihrer mittel- bis langfristigen Konzeptionen prädestiniert für immobilienwirtschaftliche Sale-and-Leaseback-, sowie für Build Operate Transfer (BOT)-Modelle. Hierzu sind projektspezifisch auch fiskalische Effekte der Abschreibungs- und Fördermöglichkeiten für kulturelles Engagement zu berücksichtigen. Insofern steht dem Metier der Kultureinrichtungen und ihrer Bauwerke eine spannende Zukunft mit neuartigen Herausforderungen bevor, deren Ausgang immer von der Kernfrage abzuleiten ist: Wieviel Kultur kann, soll und muss sich eine zivilisierte Gesellschaft leisten?

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.7 Hünnekens, L./Hoffmann, H.: Kultur, Wirtschaft und neue Allianzen, in: Pues, L./Quadt E./Rissa (Hrsg.): ArtInvestor, München 2002 Köb, E./Stiller, A. (Hrsg.): Räume der Kunst / Space for Art, Salzburg 1998. Lampugnani, V. M./Sachs A. (Hrsg.): Museen für ein neues Jahrtausend, München London New York 1999. van der Koelen, D.: Marketing-Ideen im Kunstbetrieb, in: Pues, L./Quadt E./Rissa (Hrsg.): ArtInvestor, München 2002.

Weiterführende Fachliteratur Benjamin, W.: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Paris 1935. Brook, P.: Der leere Raum, Berlin 2004. Calvesi, M.: Futurismus, Köln 1987. De Poli, A.: bibliotheche – architetture 1995 – 2005, Milano 2002. DIW Berlin, im Auftrag der IHK Berlin: Kultur als Wirtschaftsfaktor in Berlin, 2002. Heckl, M./Müller, H.A.: Taschenbuch der Technischen Akustik, Berlin Heidelberg New York 1994. Kahlen, H.: Integratives Facility Management, Management des ganzheitlichen Bauens, Düsseldorf 1999. Köb, E. (Hrsg.): Museumsinsel Hombroich, Stuttgart 1996. Maier-Solgk, F.: Die neuen Museen, Köln 2002. Neufert, E.: Bauentwurfslehre, Wiesbaden 2000. Newhouse, V.: Wege zu einem neuen Museum, Ostfildern-Ruit 1998. Noever, P. (Hrsg.): Visionary Clients for new Architecture, München Wien 2000. Schulte, K.-W./Pierschke, B.: Facilities Management, Köln 2000. Wegmann, N.: Bücherlabyrinthe, Köln Weimar Wien 2000. Zentralinstitut für Bibliothekswesen: Methodische Materialien zur Bibliotheksarbeit, Berlin 1989.

Fachzeitschriften : architektur aktuell 7-8/2002: „cultural structures 1“, Wien 2002. bauwelt 13/01: „Wissen zu transportieren“, Berlin 2001. Eue, R.: Vom Boom zum Overscreening, in bauwelt 44-43/02, Berlin 2002.

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Websites : www.bartenbach.com: Homepage für Konzeptionen zur Tageslichttechnik und Heliostatik. www.bmvbw.de/public-private-partnership: Studie im Auftrag des Deutschen Bundesbautenministeriums zum Thema „PPP im kommunalen Bereich“, erstellt u.a. durch Freshfields Bruckhaus Deringer, PWC, Bauhaus Universität Weimar, publiziert September 2003. www.creativeclass.org : US-amerikanisches Netzwerk zum Thema „creative cities“. www.gscc.osaka-cu.ac.jp : Graduate school for creative cities an der Universität Osaka. www.takingitglobal.org: Plattform kanadischer Institutionen mit Zielrichtung kreativer, innovativer, an Nachhaltigkeit orientierter Stadtentwicklung.

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3.2.8

Bauten für Sport und Freizeit

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Tobias Müller 3.2.8.1 3.2.8.2

Grundlagen Gesellschaftliche Trends als Einflussfaktoren auf Sport- und Freizeitimmobilien 3.2.8.3 Bestand und Investitionsbedarf an Sport- und Freizeitimmobilien in Deutschland 3.2.8.4 Bedarfsplanung für Sport- und Freizeitimmobilien 3.2.8.4.1 Richtwertbezogene Sportstättenentwicklungsplanung 3.2.8.4.2 Verhaltensorientierte Sportstättenentwicklungsplanung 3.2.8.5 Sport- und Freizeitimmobilien als Ankerprojekte wirtschaftlicher Entwicklung - Fallstudie ErlebnisWelt Wolfsburg 3.2.8.6 Zusammenfassung und Ausblick Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.8

589 591 593 595 596 598 603 609 610

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3.2.8

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Bauten für Sport und Freizeit

Tobias Müller 3.2.8.1

Grundlagen

Sport- und Freizeitimmobilien spielen eine essenzielle Rolle im Gefüge moderner Städte. Als wesentliche Ergänzung der Bereiche Wohnen und Arbeiten haben sie seit jeher einen festen Platz bei der Planung städtischer Quartiere. Trotz dieser kontinuierlichen Präsenz im Stadtbild ist dieser Teilbereich der Immobilienwirtschaft jedoch wie kaum ein anderer wechselnden Trends ausgesetzt und so einem steten Wandel unterworfen, der regelmäßig für zahlreiche Neuerungen bereits bekannter Sport- und Freizeitimmobilien, aber auch für gänzlich neue Immobilienformen sorgt. Dabei folgt die Immobilienbranche demografischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Was Freizeit ist und welche sportliche Betätigung diese füllt, entscheidet letztlich jeder individuell und stets neu. Daher ist eine klare Einordnung verschiedener Immobilien in ein bestimmtes Segment schwierig, eine unscharfe Abgrenzung eher die Regel. Die Immobilienbranche muss also neue Projektentwicklungen ständig wechselnden Anforderungen potenzieller Nutzer anpassen, was dazu führt, dass der Markt für Sport- und Freizeitimmobilien im Gegensatz zu anderen Immobilienarten sehr heterogen aufgebaut ist. Einzelne Segmente unterscheiden sich hinsichtlich einer ganzen Reihe von Wesensmerkmalen grundlegend voneinander und spielen entsprechend als Baustein im Gefüge einer Stadt fundamental unterschiedliche Rollen. Wesentliche Unterschiede bestehen beispielsweise hinsichtlich der Größe der Objekte, also des Raumbedarfs, den sie verursachen, hinsichtlich des erforderlichen Einzugsbereiches, also der potenziellen Nutzergruppe, oder aber der von ihnen zu erfüllenden sozialen Funktion. Weitere Abweichungen ergeben sich je nach betriebswirtschaftlicher Zielrichtung bzw. Trägerschaft der Anlage. Sport- und Freizeitimmobilien in öffentlichem Eigentum dienen häufig der Erfüllung des Versorgungsauftrags der öffentlichen Hand. Sie arbeiten meist nicht gewinnorientiert und dienen gleichermaßen dem Breiten- wie auch dem Spitzensport. Private Sport- und Freizeiteinrichtungen hingegen orientieren sich i.d.R. streng an betriebswirtschaftlichen Kriterien und sind daher meist exakt auf eine bestimmte Nutzergruppe zugeschnitten. Je nach gewählter Klassifikation bzw. Typisierung lassen sich Sport- und Freizeitimmobilien in den Bereich der Sonder(stadt-)bausteine bzw. bei einer Gliederung nach für die Gebäude vorgesehenen Flächen in den Bereich der Gemeinbedarfsflächen einordnen. Der in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) verwendete Begriff „Anlagen für sportliche Zwecke“ ist sehr weit gefasst und spiegelt das gesamte Spektrum möglicher Sportimmobilien wider. Er beinhaltet sowohl die

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für jedermann zugänglichen gemeindeeigenen Sportanlagen als auch vereinseigene und gewerblich genutzte Sportanlagen (vgl. Falk, S. 719). Diese sind grundsätzlich in allen nach der Baunutzungsverordnung vorgesehenen Baugebieten zulässig. Dies gilt insbesondere für die Kerngebiete (§ 7 BauNVO), aber z.B. auch für reine Wohngebiete (§3 BauNVO), sofern sie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebietes dienen. Insbesondere größere Anlagen sind wegen des mit ihnen verbundenen Besucher- bzw. Nutzerverkehrs aus diesem Grund in reinen Wohngebieten allerdings unzulässig, da sie den eigentlichen Charakter des entsprechenden Baugebietes beeinträchtigen würden. Um die angesprochene Heterogenität der Immobilien im Bereich Sport und Freizeit zu verringern, werden sie im weiteren Verlauf trotz unterschiedlicher Charakteristika grundsätzlich in die Gruppen Sport-, Freizeit- und Entertainmentimmobilien zusammengefasst, da diese Immobilientypen in wesentlichen Punkten ähnlich ausgerichtet sind. Weiter werden Entertainmentimmobilien nicht gesondert beschrieben, da sie nicht zu den klassischen Stadtbausteinen zählen und für jeden Einzelfall gesonderte Planungen angefertigt werden müssen. Unter Freizeit versteht man allgemein eine subjektiv empfundene Zeitqualität, die sich durch einen hohen Grad an Wahlfreiheit über die Zeitverwendung ausdrückt. Es ist der Zustand, der frei von psychologischen und physiologischen Verpflichtungen ist (vgl. Hiesböck, S. 30). Sport bzw. der Besuch von Entertainmentveranstaltungen aller Art sind demnach also eine mögliche Form der Freizeitnutzung. Die vorgenommene Untergliederung der Immobiliengruppen orientiert sich im Wesentlichen am Grad der Einbindung bzw. der aktiven Beteiligung der Nutzer. Bei Sportimmobilien handelt es sich demnach um Immobilien, die den Nutzern eine aktive körperliche Betätigung in den verschiedensten Sportarten ermöglichen. Entertainmentimmobilien hingegen dienen in erster Linie der Unterhaltung der Nutzer. Diese wird i.d.R. passiv konsumiert wie beispielsweise in einem Musical-Theater. Die Immobilie bildet für vielfältige Unterhaltungsangebote den jeweils adäquaten Rahmen. Freizeitimmobilien sind eine Mischform der beiden Erstgenannten. Sie ermöglichen den Nutzern sowohl, sich passiv unterhalten zu lassen als auch, sich aktiv einzubringen. Dabei wird das von der Immobilie zur Verfügung gestellte Basisangebot aktiv genutzt und so deren Unterhaltungswert gesteigert wie dies etwa in Freizeitparks der Fall ist. Diese Abgrenzung ist allerdings nicht immer trennscharf durchführbar. So sind neue Immobilientypen, wie etwa Science-Center, nicht eindeutig dem Segment Entertainment bzw. Freizeit zuzuordnen, da die Besucher dort sowohl passiv unterhalten werden als auch aktiv am vermittelten Erlebnis teilnehmen.

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3.2.8.2

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Gesellschaftliche Trends als Einflussfaktoren auf Sport- und Freizeitimmobilien

Bei der Analyse des Einflusses gesellschaftlicher Entwicklungen auf den Bedarf und die Ausgestaltung von Sport- und Freizeitimmobilien, ist es sinnvoll, zwei Ebenen zu unterscheiden. Zum einen gibt es eine Reihe von langfristigen, so genannten Megatrends. Diese verändern die Gesellschaft und die Lebensgewohnheiten ihrer Mitglieder von Grund auf. Zum anderen spielen kurzfristige Modeerscheinungen gerade im Freizeit- und Entertainmentbereich eine große Rolle und stellen Entwickler solcher Immobilien immer wieder vor neue Herausforderungen. Zu den Megatrends gehören insbesondere soziodemografische Veränderungen. So war die Geburtenrate in Deutschland seit Ende der 60er Jahre rückläufig und hat sich aktuell auf niedrigem Niveau stabilisiert. Im Jahr 2008 lag sie bei 1,38 Kindern pro Frau. Als Folge dieses Trends werden die Deutschen im Durchschnitt immer älter. Der Jungenquotient, das Verhältnis der unter 20jährigen zu den Erwerbstätigen (20 bis unter 65-jährigen) hat sich seit 1950 von 51 auf 31 im Jahr 2008 verringert. Bis zum Jahr 2060 wird jeder Dritte Deutsche älter als 65 Jahre sein (vgl. Statistisches Bundesamt 2009, S. 17, 20, 24). Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung durch den medizinischen Fortschritt kontinuierlich an, so dass die Menschen sehr viel länger als früher aktiv bleiben und Sport treiben. Diese Veränderungen wirken sich massiv auf den Bedarf und die Gestaltung von Sport- und Freizeitimmobilien aus bzw. lassen gänzlich neue Formen der Freizeitgestaltung entstehen. Bestehende Einrichtungen müssen um eine geringere Zahl potenzieller Nutzer kämpfen oder sich durch eine Anpassung des Angebots neue Zielgruppen erschließen. Auch wirtschaftliche Einflussfaktoren spielen eine wesentliche Rolle. Die Deutschen sind in den 50 Jahren nach dem zweiten Weltkrieg wohlhabender geworden. Das verfügbare Einkommen je Haushalt ist von 1.470 Euro pro Jahr in 1950 auf 33.700 Euro in 2005 gestiegen. Die Reallöhne stagnieren allerdings seit Anfang der Neunzigerjahre. Gleichzeitig hat sich die Arbeitszeit seit 1950 deutlich vermindert, was sowohl für die Wochenarbeitszeit gilt, die um durchschnittlich etwa 20% gesunken ist, als auch die Lebensarbeitszeit, die sich sogar um ein Drittel verringert hat. Auch verändern sich die Formen der Arbeit ständig. Die Arbeitnehmer werden immer mobiler, der Anteil der Teilzeitbeschäftigten an allen Erwerbstätigen steigt stetig an und auch die Orte der Leistungserbringung werden durch den technischen Fortschritt immer vielfältiger. Den Deutschen, vor allem einer wachsenden Zahl älterer Menschen, steht also immer mehr Geld für immer mehr freie Zeit zur Verfügung. Die Bedeutung des Freizeitsektors ist dementsprechend groß. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lagen 2008 die monatlichen Ausgaben für Freizeit je Haushalt bei 232 Euro, was 12% an den gesamten Konsumausgaben (ca. 2.000 Euro) entspricht (vgl. Statistisches Bundesamt 2008, S. 371). Trotz der anhaltenden Entwicklung, wieder länger zu arbeiten und stagnierender Reallöhne ist der prozentuale Anteil relativ konstant.

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Neben den genannten harten Fakten ändern sich auch die Gewohnheiten der Menschen im langfristigen Vergleich. Es kommt zu einer zunehmenden Individualisierung und zu einer Auflösung sozialer Verbände innerhalb der Gesellschaft. Zwar sind in Deutschland nach wie vor rund 27,5 Mio. Menschen und damit fast ein Drittel der Bevölkerung in 91.000 Sportvereinen organisiert. Damit ist der Deutsche Olympische Sportbund die größte Organisation in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Deutscher Olympischer Sportbund). Allerdings nimmt die Bedeutung des unorganisierten Sports stetig zu. Ein großer Teil der Bevölkerung treibt Sport individuell oder in kleinen Gruppen unabhängig von jeglichen Organisationen. Soziale Bindungen werden dabei immer unbedeutender. Die Immobilienbranche muss sich auf diese Entwicklungen mit flexiblen Anlagen einstellen. Weiterhin spielt die Erlebnisorientierung eine wachsende Rolle. Die Menschen sind in der Freizeit auf der Suche nach dem Besonderen, nach einer Abwechslung vom Alltag. Die Faszinationsschwelle steigt dabei stetig an. Dies gilt in besonderem Maße für Personen, denen nur sehr wenig Freizeit zur Verfügung steht. Um diesen ein adäquates Angebot zur Verfügung zu stellen, werden immer aufwendigere und teurere Sport- und Freizeitimmobilien entwickelt. Dies zeigt sich sehr deutlich bei Freizeitparks, die bis zu 20% ihres Umsatzes in neue Attraktionen investieren müssen, um wettbewerbsfähig und für Kunden interessant zu bleiben. Auch gänzlich neue Immobilienformen wie etwa Indoor-Skihallen, die einen erheblichen Investitionsaufwand erfordern und gleichzeitig mit einem großen wirtschaftlichen Risiko behaftet sind, bestätigen diese Entwicklung. Eine weitere wesentliche Entwicklung ist die immer stärkere Ausdifferenzierung bestehender Immobilientypen als Folge einer zunehmenden Zahl sportlicher Betätigungsfelder, um bestimmte Kundensegmente besonders zielgenau anzusprechen. Dies ist in besonderem Maße im Freizeitund Entertainmentbereich von Bedeutung, wo Immobilien für einen bestimmten Zweck maßgeschneidert und gleichzeitig architektonisch aufwendig gestaltet werden, um eine gewisse Einmaligkeit zu erreichen. Diesen Anforderungen entgegen steht der Wunsch nach möglichst großer Flexibilität und Drittverwendungsfähigkeit der Immobilie. Dieser Trend lässt sich beispielhaft bei Fitnessimmobilien zeigen, wo es neben den klassischen Fitnessstudios heute von speziellen Gesundheitsstudios über ausschließlich für Frauen konzipierte Anlagen bis hin zu großen Wellnessanlagen mit angeschlossenem Hallenbad eine Vielzahl verschiedener Angebote gibt. Parallel dazu ist die Bereitschaft in der Bevölkerung, für Freizeitangebote etwas zu zahlen, deutlich gestiegen, was zu einer Kommerzialisierung und zunehmenden Professionalisierung des Sports und der Freizeit führte. Der Anteil privater Investoren steigt und auf Anbieterseite sind verstärkt auch überregional tätige Ketten zu finden.

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Wie zuvor beschrieben, muss die Immobilienbranche beim Bau von Sport- und Freizeiteinrichtungen bzw. müssen die Kommunen bei der Planung öffentlicher Angebote neben langfristigen Trends auch kurzfristige Modeerscheinungen berücksichtigen. Um auf kurzfristige Veränderungen reagieren zu können, ist es wichtig, Immobilien, aber auch die öffentliche Infrastruktur, wie etwa Wege in Parks, flexibel zu gestalten. So können Tennisplätze etwa in Indoor-Soccer-Anlagen oder in Indoor-Beachvolleyball-Anlagen umgestaltet werden und Parkanlagen als Plattform zur Ausübung zahlreicher Sportarten dienen. Hier können längerfristige Trends wie Rollerbladen ohne Eingriffe in die vorhandene Infrastruktur ebenso ausgeübt werden wie kurzfristige Modeerscheinungen wie etwa Nordic Walking. Die Drittverwendungsfähigkeit und Flexibilität der Immobilien ist im Bereich von Sport und Freizeit von sehr großer Bedeutung. Insbesondere bei kostenintensiven Freizeit- und Entertainmentimmobilien kann die falsche Einschätzung von Entwicklungen schwerwiegende finanzielle Folgen haben. 3.2.8.3

Bestand und Investitionsbedarf an Sport- und Freizeitimmobilien in Deutschland

Aufgrund der beschriebenen, schnell wechselnden Nachfragetrends und der demografischen Veränderungen ist es für öffentliche Körperschaften wie auch für private Betreiber von Sportanlagen gleichermaßen wichtig, den genauen Bedarf in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht möglichst exakt zu bestimmen. Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. zeigt den Bestand an Sportinfrastruktur in Deutschland auf. Die Daten stammen, sofern nicht anders vermerkt, aus dem Jahr 1996. Das Deutsche Institut für Urbanistik schätzte im Jahr 2008 den gesamten kommunalen Investitionsbedarf für die Sportstätteninfrastruktur in Deutschland bis zum Jahr 2020 auf rund 35,2 Mrd. Euro. In den alten Bundesländern werden davon rund 5,3 Mrd. Euro für Neubauten und Modernisierungsinvestitionen wie bspw. Investitionen in die Verbesserung der Energieeffizienz und rund 19,2 Mrd. Euro für Ersatzinvestitionen angesetzt. In den neuen Bundesländern entfällt ein Betrag von 1,7 Mrd. Euro auf Neubauten und Modernisierungsinvestitionen. Weitere 4,6 Mrd. Euro sind für die Deckung des Ersatzbedarfs erforderlich. Schließlich bestand 2008 ein Investitionsstau bei kommunaler Sportstätteninfrastruktur von 4,4 Mrd. Euro, wovon 2,6 Mrd. Euro auf die alten Bundesländer und 1,8 Mrd. Euro auf die neuen Bundesländer entfielen (vgl. Reidenbach, S. 273). Im Jahr 2005 investierten Bund, Länder und Gemeinden rund 3,9 Mrd. in den Bau und Betrieb von Sportstätten sowie in die Sportförderung. Aufgrund der angespannten Finanzlage der Kommunen und um Fehlinvestitionen zu vermeiden, ist es von immer größerer Wichtigkeit, eine zwischen öffentlichen Körperschaften, Vereinen und vermehrt auch erwerbswirtschaftlich ausgerichteten Anbietern abgestimmte Planung durchzuführen.

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Sportanlagen / Sportstudios

Anzahl

Turn- und Sporthallen (auch Schulsport)

200.000

Tennisplätze

43.900*

Sport- und Schulsportplätze

34.000

Fußball- und Hockeyplätze

23.500***

Schießsportanlagen

22.200***

Reitsportanlagen

8.000 in 6.600 Reithallen

Öffentliche Bäder

6.500, davon 3.200 Freibäder, 1.800 Hallenbäder und 1.500 Schul- und Lehrbecken*

Kegelbahnen

6.200***

Squash-Plätze

6.000

Sportstudios / Fitnesscenter

5.600**

Beachvolleyball-Anlagen

5.000

Hallentennisplätze

4.250*

Bowlingbahnen

3.700 in 230 Anlagen*

Sportplätze für Leichtathletik

3.200***

Bootshäuser

3.000

Liegeplätze / Steganlagen

1.800

Golfplätze

790*

Eissportanlagen

220

Freizeitbäder

180

Trendsportanlagen Indoor-Go-Kart-Bahnen

200

Drachen- und Gleitschirmplätze

130

Indoor-Kletterhallen

120

Skaterhallen

100

Indoor-Beachvolleyballanlagen

30

Indoor-Skianlagen

5*

Indoor-Tauchparks

1

Quelle: Landessportbund Hessen (Hrsg.) 2001, S. 11. * Angaben der jeweiligen Bundesverbände, 2009. ** Deloitte & Touche (Hrsg.) 2009. *** Breuer (Hrsg.), S. 9

Tabelle 9: Richt- und Bestandswerte für Kernsportstätten im Deutschland Die Kommunen müssen sich in diesem Zusammenhang zunehmend auf die Finanzierung und den Bau der Kernsportstätten Sportplätze, Sporthallen, Freibäder und Hallenbäder konzentrieren und eine ausreichende Versorgung diesbezüglich sicherstellen. Auch letztgenannte werden in immer stärkerem Ausmaß aus dieser Grundversorgung herausgenommen, da moderne Wellnessanlagen im Premiumsegment häufig über Hallenschwimmbäder verfügen. Weiterhin kommt der Kommune die Aufgabe zu, die verschiedenen Interessengruppen einerseits zu bündeln und andererseits ausgleichend deren Anliegen gegeneinander abzuwägen.

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Der Bereich Fitness- und Wellness wird im weiteren Verlauf aufgrund seiner steigenden Bedeutung für die Versorgung mit Sport- und Freizeitangeboten stellvertretend für die Vielzahl der Anbieter ausführlicher vorgestellt. Die Anzahl der Anlagen im Fitness- und Wellnessbereich hat über Jahre hinweg stetig zugenommen und sich in den letzten Jahren bei einem Niveau von rund 5.600 gewerblichen Studios eingependelt. Diese ersetzen in einigen Bereichen bereits die klassischen Angebote der Kommune bzw. von Vereinen. Die Mitgliederzahl wächst kontinuierlich und hat sich seit 1990 von rund 1,7 Mio. auf knapp 5,9 Mio. Ende 2008 erhöht. Damit sind mittlerweile 7,2% der Deutschen Mitglied eines Fitnessstudios. In den letzten Jahren kam es gleichzeitig zu einer verstärkten Differenzierung der Angebote. Die verschiedenen Formen lassen sich in fünf größere Kategorien unterteilen. Dies sind gemischte Anlagen, die den größten Teil des Marktes auf sich vereinigen. Ein Großteil der Fläche von meistens unter 1.000 m² wird hier ausschließlich für Fitnessangebote verwendet. Demgegenüber bieten wellness-fokussierte bzw. gesundheitsorientierte und Multifunktionsanlagen auf einer durchschnittlichen Fläche von knapp 2.000 m² bzw. über 3.000 m² neben Bereichen für Fitness und Wellness zusätzliche Areale für Solarien, Saunalandschaften und Schwimmbäder. Außerdem bieten sie ein umfangreicheres Kursprogramm. Diese Anlagen sind schwerpunktmäßig in Großstädten und Ballungsräumen zu finden, da sie ein wesentlich größeres Einzugsgebiet benötigen. In diesen Gebieten befinden sich auch die meisten der Spezialstudios in Deutschland. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Anlagen, die ausschließlich für Frauen zugänglich sind oder Anlagen, die für verschiedene Racketsportarten konzipiert wurden. Schließlich ist auch im Fitnessmarkt das gesamtgesellschaftliche Phänomen der Stärkung des Discount- und des Premiumsegmentes zu Lasten der „Mitte“ zu beobachten. Von den beschriebenen Studiokategorien werden 36% der Anlagen von Ketten betrieben, die ihren Marktanteil kontinuierlich ausbauen (vgl. Deloitte & Touche). Durch den Boom der letzten Jahre haben Fitnessstudios im städtischen Raum wichtige Funktionen sowohl von traditionellen Vereinen als auch von Kommunen übernommen, die diese meist aus finanziellen Gründen nicht mehr im alten Umfang leisten konnten. Daher ist es wichtig, die kommunale Sportstättenplanung auch an vorhandenen Kapazitäten im privaten Bereich zu orientieren, um doppelte Investitionen zu vermeiden. Gleichzeitig hat der Fitness- und Wellnessbereich maßgeblich zur weiteren Kommerzialisierung der Freizeit beigetragen, da die Konsumenten aufgrund des meist umfangreichen und professionellen Angebots bereit sind, einen vergleichsweise hohen monatlichen Betrag zu leisten. 3.2.8.4

Bedarfsplanung für Sport- und Freizeitimmobilien

Um soziodemografische Veränderungen und Trends zu antizipieren und eine angemessene Sport-, Freizeit- und Entertainmentinfrastruktur sicherzustellen, ist es für Städte und Gemeinden wichtig,

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eine langfristige Konzeption zu entwickeln. Da die entsprechenden Immobilien, wie zuvor erwähnt, je nach Zweck unterschiedlichste Lebensbereiche tangieren und sehr heterogen gestaltet sind, ist eine vollumfängliche Planung nahezu unmöglich. So sind neben rein sportlichen Angeboten unter anderem auch die Bereiche Gesundheit (Wellness- oder Kuranlagen), Kultur (Musicaltheater, kommerzielle Freizeitanlagen), Gastronomie (Themenrestaurants, Systemgastronomie, Sportbars) oder auch Erziehung und Erlebnis (Edutainmentcenter, Freizeitparks, Extremund Trendsportanlagen) betroffen. Daher konzentrieren sich bestehende Planungsansätze, die über das existente Bauplanungsrecht hinausgehen, im Wesentlichen auf Kernsportstätten. Weitere Anlagen werden i.d.R. ohnehin von privaten Unternehmen initiiert und finanziert und entziehen sich bis zu einem gewissen Grad der öffentlichen Einflussnahme. Sportstättenentwicklungspläne bilden für die Kommunen die Grundlage der langfristigen Flächensicherung der für die Bevölkerung erforderlichen Sport- und Freizeitanlagen in einem lokal festgelegten Untersuchungsgebiet. Sie stellen sicher, dass für Teile der räumlichen und sozialen Infrastruktur langfristige Prioritäten gesetzt werden und diese für Sport bzw. Freizeit vorgehalten werden. Sie haben i.d.R. einen Zeithorizont von 15-20 Jahren. Zu ihrer Ausgestaltung gibt es unterschiedliche Ansätze. In diesem Beitrag werden die beiden wesentlichen vorgestellt. 3.2.8.4.1 Richtwertbezogene Sportstättenentwicklungsplanung In den 60er Jahren wurde in Westdeutschland der so genannte „Goldene Plan“ entwickelt. Dieser zielte darauf ab, nach einwohnerbezogenen städtebaulichen Orientierungswerten eine Grundversorgung der Bevölkerung mit Kernsportstätten sicherzustellen. Die gegebenen Richtwerte orientieren sich an Vorgaben der Deutschen Olympischen Gesellschaft (DOG) und werden je nach Siedlungsstruktur und Einwohnerzahlen festgelegt. Tabelle 10 vergleicht diese Richtwerte mit den für 1998 berechneten durchschnittlichen Bestandswerten der alten Bundesländer. Dieses Verfahren sorgte für eine ausreichende und im internationalen Vergleich gute Ausstattung mit den wesentlichen Sportstätten. Die Zielwerte wurden bereits Anfang der 80er Jahre erreicht. Von 1976-1988 nahm die Anzahl der Kernsportstätten um 43% zu. Nach der Wiedervereinigung fand die richtwertbezogene Planung auch in Ostdeutschland Anwendung. Dort waren die Sportstätten größtenteils in einem sehr schlechten Zustand, so dass ein umfassender, langfristiger Sanierungsplan von Nöten war. Dies galt jedoch in unterschiedlichem Maße für Anlagen des Spitzensports und denen des Breiten- und Vereinssports. Während der Spitzensport in der ehemaligen DDR besonders gefördert wurde und sich die Sportstätten dementsprechend in einem guten Zustand befanden, waren insbesondere Vereinsanlagen zum Teil nicht einmal betriebsfähig. Um diesen Zustand zu beseitigen und eine angemessene Sportinfrastruktur in den neuen Bundesländern wiederherzustellen, hat der Deutsche Sportbund 1993 den Goldenen Plan Ost vorgelegt. Dieser sah Richtlinien für die Schaffung von Erholungs-, Spiel und Sportanlagen vor und beinhaltete die

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597

notwendigen Maßnahmen und zugehörigen Kosten zur Sanierung bzw. zum Neubau für einen Zeitraum von 15 Jahren (vgl. Rütten, S. 81-83). Die Bundesregierung hat das Programm aufgegriffen und ab 1999 bis Ende 2006 insgesamt 460 Projekte zum Bau von Sportstätten für den Breitensport in Ostdeutschland gefördert. Auf diesem Wege wurden insgesamt 330 Mio. Euro investiert (vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, S. 13) Spezielle Anlagen, wie etwa Golfplätze, die unter dem Begriff Sondersportanlagen zusammengefasst werden, waren in dieser Planung allerdings nicht enthalten, da deren Bau und Betrieb i.d.R. von privaten Unternehmen vorgenommen wird und die Nachfrage örtlich sehr verschieden ist.

Richtwerte

Durchschnittswert 2005 alte Bundesländer

Durchschnittswert 2005 neue Bundesländer inkl. Berlin

von … bis m² je Einwohner

m² je Einwohner

m² je Einwohner

Sportplätze

2,5 – 8,5

4,30

3,98

Sporthallen

0,265 – 0,37

0,216

0,179

0,04 – 0,1

0,046

0,070

0,01 – 0,023

0,014

0,007

Freibäder Hallenbäder

Quelle: Richtwerte der Deutschen Olympischen Gesellschaft (DOG); Bestandswerte eigene Berechnung nach Angaben des Deutschen Institut für Urbanistik (DIFU), S. 267-268.

Tabelle 10: Richt- und Bestandswerte je Einwohner für Kernsportstätten in Deutschland Um die Investitionen bei der richtwertbezogenen Planung sinnvoll zu steuern, wird zunächst der vorhandene Sportstättenbestand in Kategorien eingeteilt. Dabei unterscheidet man im Rahmen des Goldenen Plans Ost beispielsweise in gebrauchsfähige und sanierungsbedürftige Anlagen. Diese werden weiter unterschieden in Anlagen mit deutlichen Mängeln, mit schwerwiegenden Schäden oder in unbrauchbare Anlagen, deren Sanierung den Kosten eines Neubaus gleichzusetzen sind. Anfang der 90er Jahre waren in Ostdeutschland nur gut 10% der Immobilien in einem gebrauchsfähigen Zustand. Um den genauen Investitionsbedarf zu ermitteln, ist neben Quantität und Qualität des vorhandenen Bestands der anhand der Einwohnerprognose zukünftig zu erwartende Bedarf zu ermitteln. Ein Abgleich dieser Werte zeigt die notwendigen neuen Flächen an. Diese werden mit den zu erwartenden Baukosten pro m² multipliziert, was schließlich den Investitionsbedarf anzeigt. Von Vorteil sind bei dieser Methode die einfache Beschaffung der notwendigen Informationen und die so ermöglichte reibungslose Umsetzung: Einwohnerzahlen sind ebenso

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bekannt wie die Anzahl von Schulen bzw. Schulsporthallen, Sportvereinen und sonstigen Sportanbietern. Gleichzeitig birgt dieser Planungsansatz jedoch auch Nachteile. Er beschränkt sich darauf, den künftigen Neubaubedarf flächenmäßig zu erfassen. Mit zunehmender Erfüllung des Anlagenbedarfs und knapper werdenden öffentlichen Mitteln wird es aber für den Sport schwierig, ausreichende finanzielle Ressourcen für weitere Investitionen zu erlangen. Außerdem ist die starre, an immer gleichen Zielwerten ausgerichtete Planung, nicht in der Lage, wechselnde ökonomische Rahmenbedingungen und Nutzeranforderungen abzubilden bzw. lokale Unterschiede ausreichend zu berücksichtigen. Um diese Probleme zu umgehen und eine möglichst zielgerichtete Planung sicherzustellen, erarbeitete eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Bundesinstituts für Sportwissenschaft einen neuen Planungsansatz. 3.2.8.4.2 Verhaltensorientierte Sportstättenentwicklungsplanung Bei diesem Verfahren werden neben der quantitativen und qualitativen Bestandsermittlung, also der aktuellen Versorgungssituation, auch die Bevölkerungsentwicklung und das aktuelle und zukünftige Sporttreiben bzw. die dafür erforderlichen Sportstätten antizipiert. Eine Bilanzierung beider Positionen in Verbindung mit der zu erwartenden räumlichen Bevölkerungsverteilung ermöglicht schließlich eine detaillierte Maßnahmenkonzipierung. Weiterhin werden übersichtliche Planungsschritte erarbeitet, die eine permanente Plausibilitätsprüfung ermöglichen. Damit geht dieses Planungsverfahren über den richtwertbezogenen Ansatz hinaus. Die einzelnen Punkte werden im Folgenden detailliert dargestellt. In einem ersten Planungsschritt werden, ausgehend von beobachteten Defiziten im Sportangebot sowie in der Versorgung mit Sportstätten und Freizeitangeboten, Vorgaben für die Stadtplanung in diesem Bereich erarbeitet. Diese stützen sich auf die übergeordnete sportpolitische Zielsetzung einzelner Sportfachverbände. Im zweiten Schritt werden die vorhandenen Sportangebote und Sportaktivitäten ermittelt. Dazu werden Daten darüber erhoben, welche Sportarten in welcher Form bei verschiedenen Anbietern wie Vereinen, kommerziellen Anbietern, Volkshochschulen, Betriebssportgruppen etc. ausgeübt werden können. Daneben wird die Teilnehmerzahl an solchen Angeboten möglichst exakt ermittelt. Darüber hinaus sollte nach Möglichkeit auch der selbstorganisierte Sport erfasst werden. Ziel der Maßnahmen ist eine genaue Erhebung des aktuellen Sportgeschehens. Im dritten Schritt werden die vorhandenen Sportstätten ermittelt und bewertet. Dabei wird ein Bestandskataster mit Angaben zu deren Art, Größe, baulich-technischem Zustand, Standort und aktueller Benutzung erstellt. Weiterhin gibt dies Auskunft über Kapazität und Belegung der Einrichtungen und über jahreszeitlich bedingte Nutzungsschwankungen. Darüber hinaus werden Informationen zur Verkehrsanbindung und zur Umgebung der Anlage gesammelt. Die Bestands-

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599

erhebung wird komplettiert durch Angaben über beschlossene oder geplante Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen und freie Kapazitäten von Schulsportanlagen. Auf Grundlage aller gesammelten Daten werden die vorhandenen Sportstätten im Hinblick auf ihre gegenwärtige und künftige Eignung für sportliche Nutzungen bewertet. In die Bestandsbewertung fließen zahlreiche Kriterien ein, die neben dem baulichen Zustand auch sportfunktionelle, sicherheitsrelevante und wirtschaftliche Aspekte beinhalten. Darüber hinaus werden neben Sportanlagen auch potenzielle Sportgelegenheiten wie etwa Rad- und Wanderwege sowie Grünflächen berücksichtigt, soweit dies möglich ist. Entsprechend der Beurteilung werden anschließend die Sport- und Freizeitanlagen hinsichtlich ihrer Nutzbarkeit in geeignet, bedingt geeignet und nicht geeignet klassifiziert. So wird der aktuell und künftig vorhandene Bestand deutlich. In Schritt vier wird der zu erwartende Bedarf ermittelt. Dazu werden aus der Gesamtbevölkerung des Planungsraums die sportlich Aktiven ausgewählt – unter Berücksichtigung sowohl des in Vereinen organisierten als auch des selbstorganisierten Anteils. Aus dem so bestimmten Sportbedarf wird der entsprechende Sportstättenbedarf abgeleitet. Dieser wird wiederum nach Sportarten und zu erwartendem Umfang der Nutzung unterteilt. So kann die erforderliche Anzahl, Art, Größe und Ausstattung der Sportstätten bestimmt werden. Die Beziehung Sportbedarf = Sportstättenbedarf lässt sich in folgende Grundgleichung übersetzen. Einwohner * Aktivenquote * Präferenzfaktor * Häufigkeit * Dauer * Zuordnungsfaktor Anlageneinheiten =

Weiterhin

lassen

Belegungsdichte * Nutzungsdauer * Auslastungsfaktor

sich

die

drei

wesentlichen

Parameter

Sportler,

Sportbedarf

und

Sportstättenbedarf wie folgt im Einzelnen ableiten: a) Sportler = Einwohner * Aktivenquote * Präferenzfaktor b) Sportbedarf = Sportler * Häufigkeit * Dauer c) Sportstättenbedarf : Sportbedarf * Zuordnungsfaktor Sportsstättenbedarf =

Belegungsdichte * Nutzungsdauer * Auslastungsfaktor

Die Anzahl der Sportler wird demnach determiniert durch die ortsansässige Bevölkerung, eine geschlechts- und altersspezifische Aktivitätenquote und eine je nach Sportart variierende Präferenzquote. Aus der berechneten Anzahl wird in Verbindung mit der Häufigkeit und der Dauer der zeitliche Umfang der Sportaktivitäten berechnet. Dieser wird multipliziert mit dem Zuordnungsfaktor, der angibt, welcher Anteil einer Sportart auf welcher Sportanlage ausgeübt wird. Das Ergebnis wird dividiert durch die Belegungsdichte, die Nutzungsdauer und den Auslastungsfaktor. Die Belegungsdichte gibt an, welche Anzahl von Sportlern eine Sportanlage gleichzeitig nutzt.

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Nutzungsdauer und Nutzungsverhalten determinieren schließlich den Auslastungsfaktor einer Sportstätte. Alle Faktoren gemeinsam bestimmen schließlich den Sportstättenbedarf.

Bevölkerung Aktivenquote * Sport-aktive Bevölkerung Präferenzfaktor * Sportler je Sportart im organisierten Sport laut Spartenstatistik der Sportvereine

Sportler insgesamt je Sportart

Sportler je Sportart im organisierten Sport

Sportler je Sportart im nicht-organisierten Sport Häufigkeit* Dauer*

Sportbedarf im organisierten Sport

Sportbedarf im nicht-organisierten Sport Zuordnungsfaktor* Belegungsdichte* Nutzungsdauer* Auslastungsfaktor*

Sportstättenbedarf nach Art, Anzahl und Größe der Anlagen im organisierten Sport

Sportstättenbedarf nach Art, Anzahl und Größe der Anlagen im nicht-organisierten Sport Gesamter Sportstättenbedarf nach Art, Anzahl und Größe der Anlagen für den organisierten und nicht-organisierten Sport (ohne Schulsport)

* = Planungsparameter

Quelle: Bundesinstitut für Sportwissenschaft 2000, S.84.

Abbildung 139: Logik des Ablaufs der Bedarfsermittlung Zahlreiche Einzelgrößen werden als Planungsparameter entweder örtlich erhoben oder aber durch einen Abgleich mit ähnlichen Gemeinden der Umgebung geschätzt. Diese beeinflussen maßgeblich den Bedarf an Sportstätten und sind daher mit Sorgfalt zu ermitteln bzw. zur Berechnung des zukünftigen Bedarfs prognostisch fortzuschreiben. Je nach gewünschter Genauigkeit

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und der Menge und Qualität der zur Verfügung stehenden Daten können die Planungen mehr oder weniger detailliert ausgestaltet werden. So können bspw. Untergliederungen nach Alter, Geschlecht, Sportart, organisiertem und unorganisiertem Sport vorgenommen werden. Abbildung 139 gibt einen Überblick über die Logik des Ablaufs der Bedarfsermittlung. Im fünften Schritt wird der erhobene aktuelle und künftige Bedarf an Sportstätten mit dem ermittelten aktuellen und künftig zu erwartenden Bestand abgeglichen. Vorhandene Schulsportkapazitäten werden in die Bilanzierung mit einbezogen, um Defizite bei allgemeinzugänglichen Anlagen ggf. durch eine Nutzung solcher Anlagen zu kompensieren. In Planungsschritt sechs werden Vorschläge erarbeitet, mit Hilfe welcher Maßnahmen fehlende Sportanlagen ergänzt oder überzählige anderweitig genutzt werden können. Diese Maßnahmen müssen stets mit der übrigen Stadtplanung abgestimmt werden, um alternative Nutzungen oder Neuentwicklungen auch außerhalb sportlicher Anwendungen zu ermöglichen. Parallel dazu sollten stets auch Maßnahmen geprüft werden, die eine intensivere Nutzung vorhandener Anlagen ermöglichen. Dazu zählen Maßnahmen zur Verbesserung der Betriebsorganisation, zur Förderung sportlicher Aktivitäten in allen Altersklassen oder aber zur Umwidmung, Modernisierung bzw. Um- und Neubau von Anlagen zur weiteren sportlichen Nutzung. Im siebten Schritt wird eine Prognose über die Wirkung der beschlossenen Einzelmaßnahmen erstellt. Dabei werden sowohl beabsichtigte als auch unerwünschte Folgen untersucht. Im Einzelnen werden Analysen zu den Themenbereichen Mitteleinsatz, als Investitionskosten und Personalaufwand sowie zur Entwicklung einzelner Sportarten und zur Entwicklung von Anlagenbestand und dessen Auslastung vorgenommen. Darüber hinaus werden die erreichte Bedarfsdeckung sowie Folgewirkungen der Projekte auf die Umwelt ermittelt. Bei Großprojekten, wie etwa dem Bau eines Stadions, werden außerdem Folgewirkungen, die über den lokalen Planungsraum hinausgehen, analysiert. Um den Sportstättenentwicklungsplan als zentrales Planungsinstrument der sportspezifischen Fachplanung zu verankern, müssen im achten Planungsschritt Entscheidungen zu Zielen und Einzelmaßnahmen der Entwicklung von Sport- und Freizeitanlagen getroffen werden. Diese sollten auf Grundlage der in Schritt eins bis sieben angestellten Analysen erfolgen und dabei sowohl den Beitrag zur Zielerfüllung als auch die mit der jeweiligen Maßnahme verbundene Folgewirkung berücksichtigen. Weiterhin sollten die Planungen im breiten Konsens und nach Absprache mit allen in diesem Bereich Tätigen erfolgen, um eine möglichst große Akzeptanz zu erreichen. Schließlich sollten die Konzepte Eingang in weitere Pläne und Programme der Kommune finden. So sollten sie etwa in Flächennutzungs- und Bebauungsplänen, in der Landschaftsplanung und im mittel- und langfristigen Investitionsprogramm der Stadt verankert werden.

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1 Problemanalyse Problemanalyse und Zielformulierung zur Entwicklung von Sport und Sportstätten

4.1

2 Erhebung der Sportvereine, der weiteren Sportanbieter, deren Sportangebote sowie der Sportaktivitäten der Bevölkerung

Ermittlung der gegenwärtigen und Prognose der künftigen Anzahl der Sportler

4.2 Ermittlung des gegenwärtigen und Prognose des künftigen Sportbedarfs

4.3

3 Erhebung des gegenwärtigen und Prognose des künftigen Bestandes an Sportstätten

Ermittlung der gegenwärtigen und Prognose der künftigen Bedarfs an Sportstätten

5 Bilanzierung von Bestand und Bedarf an Sportstätten

6 Konzipierung von Maßnahmen für Sportprogramme und Sportstätten

7 Prognose der Folgewirkungen der Maßnahmen

8 Prioritätenfestlegung und Entscheidung für Ziele und Maßnahmen

9 Erfolgskontrolle und Fortschreibung des Sportstättenentwicklungsplans

Quelle: Bundesinstitut für Sportwissenschaft 2000, S. 83

Abbildung 140: Ablauf der Sportstättenentwicklungsplanung Der neunte und letzte Planungsschritt sieht eine stete Überprüfung der durchgeführten Maßnahmen vor. Aus den Ergebnissen der Kontrollen sind Überlegungen abzuleiten, ob und inwieweit eine Fortschreibung der gewählten Planung sinnvoll ist, oder ob Anpassungen vorgenommen werden müssen. Dabei sind neben den veröffentlichten Daten, wie etwa der Bevölkerung im Planungsgebiet, auch die geschätzten Planungsparameter wie bspw. Aktivenquote und Präferenzfak-

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toren kritisch zu überprüfen (vgl. ausführlich zur verhaltensorientierten Sportstättenentwicklungsplanung: Bundesinstitut für Sportwissenschaft, S. 21-38). Der wesentliche Unterschied zur richtwertbezogenen Planung liegt im vierten Schritt. Im Gegensatz zu den starren Richtwerten der Goldenen Pläne orientiert sich die Bedarfsermittlung hier an konkreten populationsbezogenen Verhaltensparametern. Darin liegt jedoch auch der wesentliche Nachteil, da insbesondere künftige Gewohnheiten schwer vorhersehbar sind (vgl. Rütten, S. 83). Abbildung 140 zeigt den gesamten Planungsprozess in der Übersicht. 3.2.8.5

Sport- und Freizeitimmobilien als Ankerprojekte wirtschaftlicher Entwicklung - Fallstudie ErlebnisWelt Wolfsburg

Sport, Freizeit, Entertainment und Erholung sind, wie zuvor beschrieben, ein Wachstumsmarkt. Für viele Städte und Gemeinden bieten diese Bereiche eine Möglichkeit, neue Beschäftigungsfelder zu erschließen und zukünftige Entwicklungspotenziale zu sichern. Besonders in strukturschwachen Regionen bilden sie einen wichtigen Baustein der lokalen Wirtschaftsförderung. Die Möglichkeiten der Nutzung von Sport und Freizeit als Ankerprojekte wirtschaftlicher Entwicklung sollen im Folgenden am Beispiel der Stadt Wolfsburg verdeutlicht werden. Ausgangssituation Im Jahr 1998 stand die Stadt Wolfsburg vor einer Reihe von Problemen. Die lokale Wirtschaft war von einer extremen Monostruktur gekennzeichnet. 60% der Arbeitnehmer waren direkt beim größten Arbeitgeber, der Volkswagen AG, beschäftigt. Insgesamt 95% der Arbeitsplätze waren indirekt von VW abhängig. Gleichzeitig lag die Arbeitslosenquote im Dezember 1997 mit 17% deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Weitere Problemfelder waren der unterdurchschnittlich entwickelte Dienstleistungssektor der Stadt, der um mehr als 50% geringer ausgeprägt war als im übrigen Bundesgebiet sowie der ebenfalls unterentwickelte Einzelhandelsbereich, der Kaufkraftabflüsse von 100 bis 200 Mio. Euro jährlich nach sich zog. In der Summe führten die genannten Faktoren zu einem insgesamt „langweiligen“ Image der Stadt, was es erschwerte, neue Unternehmen anzusiedeln und insbesondere für VW gut ausgebildete Arbeitskräfte in die Stadt zu locken. Verschiedene Prognosen kamen zu dem Ergebnis, dass Wolfsburg ohne entsprechende Gegenmaßnahmen von 1997 bis 2012 rund ein Drittel seiner Bevölkerung verlieren und dann nur noch ca. 80.000 Einwohner haben würde. Zielsetzung und organisatorische Gestaltung Um diesem negativen Szenario entgegenzuwirken, erarbeiteten die Volkswagen AG, der VWBetriebsrat, die Stadt Wolfsburg und die Unternehmensberatung McKinsey im Jahr 1998 gemeinsam eine Potenzialanalyse des Standorts. Die Ergebnisse der Untersuchung führten zur Entwick-

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lung des Konzeptes Autovision. Dieses baute auf der Idee auf, die Abhängigkeit der Stadt vom Volkswagenkonzern nicht als Problem, sondern als Chance zu erkennen und verfolgt zwei Hauptziele: die Halbierung der Arbeitslosigkeit in fünf Jahren und die Verbreiterung der Wirtschaftsstruktur im Raum Wolfsburg. Der Bereich Automobil bzw. Mobilität wurde als Kernkompetenz der Stadt gesehen, um den zusätzliche Beschäftigungsfelder erschlossen werden sollten. Dieser Prozess wurde über die gezielte Erschließung von ausgewählten wirtschaftlichen Handlungsfeldern in Gang gesetzt. Man strebte an, langfristig andere Branchen erfolgreich in der Stadt zu etablieren und einen sich selbst tragenden, nachhaltigen Aufschwung zu erreichen. Gleichzeitig sollte der Dienstleistungssektor deutlich gestärkt werden und die Stadt so an Attraktivität gewinnen. Die Bereiche Sport und Freizeit spielten bei diesen Planungen als dynamisch wachsende Branchen von Anfang an eine wesentliche Rolle. Zur organisatorischen Umsetzung der angestrebten Projekte wurde die Wolfsburg AG als Public Private Partnership der Stadt Wolfsburg und der VW AG gegründet. Beide Partner sind mit jeweils 50% an dem Unternehmen beteiligt. In der Wolfsburg AG arbeiten auf Grundlage der vorgenannten Ziele fünf Geschäftsfelder an der Realisierung des Konzeptes AutoVision. Dazu zählen neben dem wichtigen Bereich FreizeitWirtschaft, der Sport und Freizeitangebote bündelt, der InnovationsCampus für Unternehmensgründer sowie eine eigene PersonalServiceAgentur zur effizienten Vermittlung Arbeitssuchender. Weitere Bestandteile sind das GesundheitsWirtschaft als Marktplatz für verschiedenste Gesundheitsangebote, der Bereich MobilitätsWirtschaft zur besseren Vernetzung verschiedener Zulieferer untereinander und mit dem VW-Konzern sowie zur Nutzung von Geschäftschancen aus dem Umfeld der Themen Energie und Umwelt. Die Wolfsburg AG wurde zur Erfüllung ihrer Aufgaben mit einem Grundkapital von 10,1 Mio. Euro ausgestattet. An beiden Maßnahmen waren die Projektpartner gleichermaßen beteiligt. Maßnahmen Mit einem Bündel an Maßnahmen treibt die Wolfsburg AG heute die Erschließung der Handlungsfelder Automobilwirtschaft, Bildung, Energie, Gesundheit und Freizeit als Basis für neue Arbeitsplätze und mehr Lebensqualität voran. Grundlage dafür ist die gezielte Suche und Nutzung von Markt- und Technologiechancen in diesen Wachstumsmärkten sowie deren Umsetzung in tragfähige Geschäftskonzepte. Im Folgenden werden die Aktivitäten im Bereich Sport und Freizeit, die im Konzept ErlebnisWelt zusammengefasst sind, detaillierter beschrieben. Durch die Maßnahmen auf diesem Gebiet sollte Wolfsburg an Attraktivität gewinnen und sich als Destination für Kurzurlaube etablieren. Den Grundstein für weitere Entwicklungen bildete die Autostadt, die von VW mit einem Investitionsvolumen von 450 Mio. Euro von 1998 bis 2000 anlässlich der Expo errichtet wurde. Sie grenzt unmittelbar an das Werksgelände von VW an und bildet die städtebauliche Verbindung zum Al-

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lerpark, einem innenstadtnahen Freizeit- und Erholungsgebiet, das weitere Projekte beheimatet. Mit knapp zwei Mio. Besuchern pro Jahr hat die Autostadt über die Region hinaus eine große Anziehungskraft. Bereits zu Beginn waren alle Planungen von Stadt, VW und der Wolfsburg AG im Zusammenhang mit der ErlebnisWelt auf eine Vernetzung aller Einzelprojekte ausgerichtet. Gleichzeitig bestand die Zielsetzung, alle Attraktionen auf einem möglichst überschaubaren Gesamtareal, das von den Besuchern fußläufig erschlossen werden kann, zu vereinen. Die gesamte ErlebnisWelt umfasst neben der AutoStadt sechs Zonen, die jeweils unterschiedliche Themenkomplexe abdecken. Abbildung 141 zeigt diese Bereiche in der Übersicht.

Quelle: Wolfsburg AG 2004

Abbildung 141: Übersicht ErlebnisWelt Wolfsburg Neben der fertig gestellten Autostadt liegen weitere Projektschwerpunkte aktuell in den Bereichen „Sport und Erholung“ auf dem Gelände des Allerparks sowie „Entdeckungsreise und Unterhaltung“ direkt angrenzend an den Hauptbahnhof am so genannten Nordkopf der Stadt. Alle Bereiche werden von der Stadtplanung für die entsprechenden Schwerpunkte vorgehalten und beplant. Der Themenbereich „Entdeckungsreise und Unterhaltung“ verzahnt die Bereiche Entertainment im Allerpark und die und die Autostadt mit der Innenstadt. Dort entstand das Science-Center phaeno, welches von der Stadt für eine Investitionssumme von knapp 80 Mio. Euro errichtet und

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im November 2005 eröffnet wurde. Parallel dazu wurde mit den designer outlets Wolfsburg mit rund 50 Geschäften, welches von privaten Investoren finanziert und 2007 fertig gestellt wurde, das erste innerstädtische Designer Outlet Center errichtet. Der Wolfsburg AG kamen hier die Aufgaben der Koordination der einzelnen Aktivitäten und der Suche nach privaten Betreibern und Investoren zu. Parallel zum Bereich „Entdeckungsreise und Unterhaltung“ wird der Entwicklungsschwerpunkt „Sport und Erholung“ im Allerpark mit besonderem Nachdruck verfolgt. Dort entstanden bzw. entstehen eine Reihe verschiedenster Projekte wie Abbildung 141 verdeutlicht. Im Jahr 2002 wurde die Volkswagen Arena als neue Spielstätte des Fußballbundesligisten VfL Wolfsburg fertig gestellt. Die Anlage verursachte Kosten in Höhe von 53 Mio. Euro, die zu 45% von der Stadt Wolfsburg und zu 55% privat finanziert wurden. Eigentümer und Bauherr ist die Wolfsburg AG. Ebenfalls bereits fertig gestellt ist das BadeLand, das größte Freizeitbad Deutschlands. Hier war die Stadt Wolfsburg als Investor tätig. Um dieses Projekt zum Erfolg zu führen, wurden parallel zur Eröffnung des neuen Bades zwei ältere städtische Hallenschwimmbäder in Wolfsburg geschlossen. Darüber hinaus wurde 2005 eine privat finanzierte Wasserskianlage in Betrieb genommen. Im September 2006 wurde die Eis-Arena Wolfsburg eingeweiht, eine Halle mit rund 4.000 Plätzen, in der der Eishockeyclub EHC Wolfsburg in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) seine Heimspiele austrägt. Aktuell wird ein Bowling-Center errichtet. Komplettiert wird das Angebot im Allerpark von einer Indoor-Soccer-Arena, die 2007 fertig gestellt wurde und einem Hochseilgarten, die sämtlich privat finanziert und betrieben werden. Die gute Zusammenarbeit zwischen Stadtplanung, Verwaltung und der Wolfsburg AG ist für den Erfolg der Projekte entscheidend. Weiterhin werden die Bauaktivitäten, sofern möglich, durch temporäre Maßnahmen begleitet. So richtete die Stadt Wolfsburg im Jahr 2004 die Landesgartenschau Niedersachsens aus, wobei der Allerpark einen wesentlichen Teil der Veranstaltungsfläche ausmachte. Bei der Gestaltung der Fläche wurde auf eine langfristige Nutzbarkeit Wert gelegt. So entstanden beispielsweise neue Parkplätze und eine entsprechende Infrastruktur für den Individualverkehr. Die Stadt verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele mit den Projekten der ErlebnisWelt Wolfsburg. In der Außenwirkung soll der Eindruck einer innovativen, zukunftsgerichteten Stadt entstehen. Wolfsburg soll als attraktiver Standort wahrgenommen und so für Ansiedlungen interessant werden. Weiterhin soll Wolfsburg als Tourismusdestination etabliert werden. In der Innenwirkung soll die vorhandene Palette möglicher Aktivitäten durch neue Einkaufs- und Dienstleistungsangebote maßgeblich verbessert werden, um im Standortwettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter besser bestehen zu können. Gleichzeitig werden so im Dienstleistungssektor für gering qualifizierte Menschen neue Arbeitsplätze geschaffen.

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Quelle: Wolfsburg AG 2004

Abbildung 142: Übersicht Allerpark Wolfsburg Ergebnisse Die bisherigen Projekte im Rahmen des Konzeptes Autovision, die gemeinsam von Stadt und VWKonzern unter dem Dach der Wolfsburg AG realisiert wurden, waren sehr erfolgreich. Bisher entstanden seit Beginn der gemeinsamen Aktivitäten allein durch die Wolfsburg AG rund 10.800 neue Arbeitsplätze. Insgesamt konnten durch die in der AutoVision-Konzeption zusammengefassten Aktivitäten der VW AG, der Stadt Wolfsburg und der Wolfsburg AG sogar über 25.000 neue Jobs geschaffen werden. Die Arbeitslosigkeit wurde von 17% im Jahr 1997 auf rund 7% im

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Jahresdurchschnitt 2009 mehr als halbiert. Aktuell leben in Wolfsburg rund 120.000 Menschen. Damit konnte die Stadt in den letzten 10 Jahren die Einwohnerzahl annähernd konstant halten und die Abwanderung der Bevölkerung stoppen. Der Anteil des Dienstleistungssektors an der gesamten Wertschöpfung konnte von weit unterdurchschnittlichen 24% in 1998 kontinuierlich gesteigert werden. Die Abhängigkeit von Volkswagen wurde reduziert. Mit Unterstützung der Wolfsburg AG haben sich mehr als 570 Unternehmen in der Stadt angesiedelt, von denen 430 neu gegründet wurden. Gleichzeitig verbessert sich das Image der Stadt. Im Zukunftsatlas 2007 der Prognos AG belegte Wolfsburg den 22. von 439 Plätzen. Im Teilranking Dynamik, das die aktuelle Entwicklung der untersuchten Regionen darstellt, belegt die Stadt sogar den zweiten Platz (vgl. Prognos AG). Auch die Zahl der Fremdenübernachtungen hat deutlich zugenommen. Sie ist von knapp 260.000 in 1999 auf rund 433.000 in 2009 gestiegen (vgl. Niedersächsisches Landesamt für Statistik). Die großen Erfolge des Konzeptes haben eine Reihe von Ursachen. Vor Projektbeginn fand eine intensive Abstimmung zwischen allen Beteiligten – der Stadt, des VW-Konzerns als wichtigstem privatem Arbeitgeber und der Unternehmensberatung McKinsey statt. Die Zielsetzungen orientierten sich an den identifizierten Potenzialen der Stadt, aber auch daran, langfristig erfolgversprechende Branchen auszuwählen. Diesem Konzept folgend, wurde der Bereich Sport und Freizeit von Anfang an als ein wesentlicher Bestandteil in die Gesamtplanung eingebunden. Die Stadtplanung unterstützte dieses Konzept, indem die entsprechenden Flächen in den Flächennutzungsplänen für die zugewiesenen Nutzungen reserviert wurden. Gleichzeitig unterstützte die Stadt direkt oder über die Wolfsburg AG durch Investitionen in Infrastruktur die Gewinnung privater Investoren. Die Situation in Wolfsburg ist nicht ohne weiteres auf andere Städte übertragbar. Insbesondere die Wirtschaftsstruktur ist vermutlich einmalig in Deutschland. Dennoch zeigt das gewählte Beispiel, welche Möglichkeiten ein koordiniertes Vorgehen im Bereich der Stadtplanung und der Wirtschaftsförderung haben kann und welche Bedeutung Sport- und Freizeitimmobilien in diesem Zusammenhang spielen können (vgl. zur gesamten Fallstudie: Wolfsburg AG).

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3.2.8.6

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Zusammenfassung und Ausblick

Sport- und Freizeitimmobilien spielen eine wichtige Rolle im Stadtbild. Der hohe Grad an Wahlfreiheit über die Zeitverwendung, durch den sich Freizeit auszeichnet, spiegelt sich in der Vielfalt von Sport- und Freizeitimmobilien wider. Gleichzeitig dienen sie aus diesem Grund in besonderer Weise als Abbild gesellschaftlicher Trends. Projektentwickler, Investoren und insbesondere Stadtplaner stehen künftig vor der Herausforderung, kurzfristige Modeerscheinungen von langfristigen Entwicklungen in den Bereichen Sport und Freizeit zu unterscheiden und so eine adäquate Infrastruktur auf diesen Gebieten vorzuhalten. Dabei nehmen die Risiken neuer Projekte aus einer Reihe von Gründen stetig zu. Trends wechseln in immer kürzerer Folge. Gleichzeitig erfordern neue Freizeitanlagen häufig eine anspruchsvolle Architektur und sind genau auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet. Ihre Drittverwendungsfähigkeit ist daher meist eingeschränkt – bei i.d.R. hohen Investitionskosten. Darüber hinaus erfordert die zunehmende Kommerzialisierung von Sport und Freizeit bei der Planung neuer Immobilienprojekte eine intensive Abstimmung zwischen öffentlicher Hand und privaten Anbietern, um doppelte Strukturen zu vermeiden. Städte und Gemeinden sollten sich auf den Bau und die Finanzierung von Kernsportstätten konzentrieren und für ein ausreichendes Angebot dieser Sportstätten an öffentlichen Einrichtungen wie Schulen oder Universitäten sorgen und dieses gleichzeitig den Vereinen in ausreichendem Maße zugänglich machen. Alle übrigen Entwicklungen sollten i.d.R. dem Privatsektor überlassen werden.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.8 Breuer, C. (Hrsg.): Sportentwicklungsbericht 2007/2008 – Analyse zur Situation der Sportvereine in Deutschland, Kurzfassung, Köln 2009. Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Hrsg.): Leitfaden für die Sportstättenentwicklungsplanung, 1. Auflage, Schorndorf 2000. Deloitte & Touche (Hrsg.): Der deutsche Fitness- und Wellnessmarkt Studie 2009, Düsseldorf 2009. Deutscher Olympischer Sportbund (Hrsg.): www.dosb.de, 2010. Falk, B. (Hrsg.): Fachlexikon Immobilienwirtschaft, 2. Auflage, Köln 2000. Hiesböck, A.: Trends in der Freizeit und deren Auswirkung auf den Wert von Immobilien, in: immoebs Newsletter 2/2003, Oestrich-Winkel 2003, S. 30-33. Landessportbund Hessen (Hrsg.): Handbuch Sportstättenmanagement – Berichte 9, 1. Auflage, Frankfurt a.M. 2001. Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung (Hrsg.): Sportförderung in den neuen Ländern, in: Magazin für Infrastruktur und die neuen Länder, Nr. 8, 12/2007, Berlin 2008, S.13. Prognos AG (Hrsg.): Zukunftsatlas 2007 – Deutschlands Regionen im Zukunftswettbewerb, Berlin 2007. Reidenbach, M. u.a.: Investitionsrückstand und Investitionsbedarf der Kommunen, Berlin 2008. Rütten, A.: Kommunale Sportentwicklungsplanung – ein empirischer Vergleich unterschiedlicher Ansätze, in: Sportwissenschaft, 32. Jahrgang, 01/2002, Schorndorf 2002, S. 80-92. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Datenreport 2008, Bonn 2008. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bevölkerung Deutschlands bis 2060 – 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden 2009. Tourismus Marketing Niedersachsen GmbH (Hrsg.): Tourismus in Niedersachsen, Zahlen – Daten – Fakten 2009, Hannover 2010. Wolfsburg AG (Hrsg.): www.wolfsburg-ag.com, 2010.

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3.2.9

Hotelbauten

613

Christian Duch, Olaf Steinhage 3.2.9.1

Geschichtliche und begriffliche Einführung 3.2.9.1.1 Zur Entstehungsgeschichte des Hotelgewerbes 3.2.9.1.2 Zur Entwicklung aktueller Strukturen 3.2.9.2 Planungs- und baurechtliche Grundlagen 3.2.9.2.1 Bedeutung des Standortes 3.2.9.2.1.1 Budgethotels / Hostels 3.2.9.2.1.2 Midscale Hotels 3.2.9.2.1.3 Upscale Hotels 3.2.9.2.1.4 Boutique-Hotels 3.2.9.2.1.5 Boarding-Houses 3.2.9.2.1.6 Sonstige Hoteltypen 3.2.9.2.2 Genehmigungsrechtliche Voraussetzungen 3.2.9.2.2.1 Planungsrechtliche Zulässigkeit 3.2.9.2.2.2 Bauordnungsrechtliche Zulässigkeit 3.2.9.3 Hotelplanung und Kosten 3.2.9.3.1 Hotelplanung – Die Beteiligten 3.2.9.3.2 Hotelplanung – Flächen und Kosten 3.2.9.4 Hotelrentabilität und ihre Einflussgrößen 3.2.9.4.1 Bedeutung und Inhalte der Feasibility-Studie 3.2.9.4.2 Die Ertragsmechanik des Hotelbetriebs 3.2.9.4.3 Hotelspezifische Besonderheiten 3.2.9.5 Vertragsformen in der Hotellerie 3.2.9.5.1 Grundzüge von Betreibervertragsverhandlungen 3.2.9.5.2 Mietvertrag vs. Managementvertrag 3.2.9.5.3 Neuere Entwicklungen der Praxis 3.2.9.6 Ausblick und Trends Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.9

613 613 615 621 621 621 621 622 622 622 623 623 623 625 626 626 627 629 629 631 636 639 640 640 641 645 646

611

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3.2.9

613

Hotelbauten

Christian Duch, Olaf Steinhage 3.2.9.1

Geschichtliche und begriffliche Einführung

3.2.9.1.1 Zur Entstehungsgeschichte des Hotelgewerbes Der Tourismus gilt zu Recht als die Makroökonomie des Hotelgewerbes. Aufenthalt ist ohne Reisen nicht denkbar und so ist auch nur folgerichtig, dass zur Erfüllung der Definitionskriterien von „Tourismus“ u.a. mindestens eine Übernachtung gefordert wird (hierzu und zur Geschichte des Tourismus vgl. Opaschowski; Enzensberger 1958 und 1962). In Wörterbüchern taucht der „Tourist“ im Jahr 1800 zum ersten Mal auf, 1811 der „Tourismus“. Dennoch sind Menschen immer schon gereist. Als Abenteuer, als Selbstzweck, war die Reise bis ins 18. Jahrhundert hinein allerdings unbekannt. Die gemeinsame etymologische Wurzel des englischen „travel“ mit dem französischen „travail“ erinnert daran, dass eine Reise als mühselig und vor allem gefährlich angesehen und kaum freiwillig unternommen wurde. Daher auch die vorherrschende Anerkennung des Weitgereisten zu allen Zeiten: Noch heute sprechen wir von jemandem als „bewandert“ oder „erfahren“… Die ersten Menschen, die aus eigenem Entschluss in die Ferne aufbrachen, waren Händler. Im frühesten Hebräisch galt dieselbe Bezeichnung für „Kaufmann“ und „Reisender“ zugleich. Erst im Lauf des 18. Jahrhunderts begann sich die Zweckhaftigkeit der Reise zu lockern. Von einer Ausnahme allerdings berichtet Enzensberger als „Tourismus vor dem Tourismus“ (Enzensberger, 1962, S. 189): dem Reisevolumen in den letzten Jahrhunderten des römischen Kaiserreichs. Hauptdestinationen der damaligen Erholungssuchenden waren die italienische Westküste (Riviera), Griechenland, Kleinasien und Ägypten. Es gab luxuriöse Hotels, Villen, feste Schiffsverbindungen, Reisebüros, Wechselstuben und Festivals. Das Reisevolumen jener Zeit ist bis ins 19. Jahrhundert hinein in Europa nicht erreicht worden. Das Entstehen dieser hoch entwickelten touristischen Frühform erklärt Enzensberger mit egalitären Tendenzen in der römischen Gesellschaft des späten Kaiserreichs. „Sie war gewissermaßen verbürgerlicht“ (Enzensberger, 1962, S. 189). Die Analogie zur Neuzeit liegt nahe: In Europa verloren im Gefolge der französischen Revolution Standesgrenzen ihre feudale Trennschärfe. Eine neue Führungsschicht aus städtischem Adel und Großbürgertum begab sich auf Bildungsreise und Kuraufenthalt und generierte kaufkräftige Nachfrage nach gehobenem Beherbergungsangebot. Die primitiven Herbergen und Klosterunterkünfte genügten schon lange nicht mehr.

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Die Entwicklung gewerblicher Beherbergung ist untrennbar mit dem Fortschritt der Reisemittel verbunden. So wollte zunächst der Bequemlichkeitszuwachs, der aus dem Wechsel vom Sattel in die Postkutsche entsprang, seine Entsprechung in gesteigertem Übernachtungskomfort finden. Jedoch genossen die damit entstandenen Gasthäuser allgemein schlechten Ruf. Es waren vielfach üble Spelunken mit fließenden Grenzen zum Bordell und geprägt von der Furcht vor Ungeziefer und Raub. Nunmehr war die Geburtsstunde des „Hotels“ angebrochen, begrifflich entlehnt von dem architektonischen Anspruch und der Prominenz der „Hôtels de Ville“, den prunkvollen Rathäusern in palastähnlichen Gebäuden. Das erste moderne Hotel war der „Badische Hof“ 1805 in Baden-Baden (vgl. Abbildung 143). Während parallel Bergtouristik und Alpinismus den „Fremdenverkehr“ verbreiteten, hatte in der großbürgerlichen Urbanität von Metropolen und Kurorten das Zeitalter des „Grandhotels“ begonnen, welches vom Luxus einer eigenen Badewanne und käuflicher Nobilität lebte.

Quelle: Steigenberger Hotels AG

Abbildung 143: Hotel Badischer Hof, Baden-Baden Der große Demokratisierungsschub setzte mit dem wachsenden Ausbau des Eisenbahnnetzes ein, der die alten Gasthöfe an den Postkutschenstationen durch Bahnhofhotels verdrängte. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts reisten immer mehr Menschen zur Erhaltung von Arbeitskraft und Gesundheit in die „Sommerfrische“; gesetzliche Urlaubsregelungen, so z.B. im Reichsbeamtengesetz aus 1873, brachten die „Ferienreise“ hervor. Das Zeitalter des Massentourismus war angebrochen und es verwundert nicht, dass just in dieser Zeit die ersten Reisebüros entstanden.

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615

Schon 1841 hatte Thomas Cook die erste Gesellschaftsreise organisiert und damit den Siegeszug einer neuen Reiseform eingeläutet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten der Reise- und Fremdenverkehr und mit ihm die Hotellerie einen ersten Höhepunkt erreicht. Wie alle Kriege setzte der erste Weltkrieg der weiteren touristischen Entwicklung enge Grenzen und die kurze Spanne der Weimarer Zeit reichte für eine Wiederbelebung nicht aus. Der Nationalsozialismus danach unterwarf Reisen mit „Kraft durch Freude“ staatlicher Verordnung und vollendete eine Politisierung des Fremdenverkehrs, deren Anfänge sich bereits nach dem ersten Weltkrieg am Schicksal etwa der Wandervogel-Bewegung abgezeichnet hatten. 1945 beginnt somit auch eine neue Geschichtsschreibung für die Hotellerie. 3.2.9.1.2 Zur Entwicklung aktueller Strukturen Wirtschaftswunderzeiten sind wie alle Konjunkturschübe vor allem Reisezeiten. Der Wiederaufbau Deutschlands war nicht ohne rege Geschäftsreisetätigkeit möglich. Der erste NachkriegsWohlstand brachte in dem anderen großen Tourismussegment, dem Freizeittourismus, nach der „Fresswelle“ und anderen Wellen auch die (Ferien-)„Reisewelle“. Nach langer Zeit geschlossener Grenzen und alten Riviera- und Capri-Sehnsüchten folgend zuerst nach Italien, später an die spanischen Küsten. Auch in der Stadthotellerie galt es, die Türen zur Welt wieder zu öffnen. Die einheimische Hotellerie, so es sie noch oder wieder gab, hatte den Anschluss an die internationale Hotelentwicklung verloren. Das Badezimmer auf dem Flur war der Standard geblieben. Es verwundert daher nicht, dass die ersten Hotelneubauten, deren modernes Angebot den Willen zeigen sollte, wieder Teil der internationalen Staatengemeinschaft zu werden, auch internationales Know-how suchten. Mit Hilton und Intercontinental begann der Eintritt der amerikanischen Ketten in den deutschen Hotelmarkt, der damit nicht nur internationaler, sondern vor allem auch professioneller wurde. Die neu eingeführten Qualitätsstandards konnten nunmehr auch von deutschen Hoteliers aufgenommen werden: Je intensiver der deutsche Hotelmarkt zu dieser Zeit von US-Ketten dominiert zu werden drohte, desto stärker formierte sich auch wieder eine einheimische Hotellerie. Gegen die geballte Marktmacht der internationalen großen Ketten schloss sie sich zu den ersten Reservierungssystemen und Marketingkooperationen zusammen. Diese Entwicklung betraf vor allem das Vier- und Fünfsterne-Segment. Der Markt der Budget- und Mittelpreishotellerie blieb vorerst noch weitgehend unorganisiert und Familienbetrieben überlassen. Dies begann sich vor allem Anfang der siebziger Jahre zu ändern mit dem zunehmenden Eintritt französischer Gesellschaften, die sich vom Grandhotel-Vorbild der Vorkriegszeit lösten und die Chance in einer ganz anderen Auffassung des Hotels sahen, nämlich als „Industrieprodukt“. Die ganzen siebziger und achtziger Jahre waren von einem beispiellosen Wachstum normierter Ho-

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telprodukte mittlerer Preisklasse geprägt, die zur Ermöglichung ihrer Preiswürdigkeit zunächst auf Zentrumslagen verzichteten; ein Trend, der sich mit wachsender Marktsättigung in der zweiten Hälfte der 80er Jahre dann allerdings wieder umkehrte. Französische Hotelketten waren es auch, die in der Stadthotellerie anschließend konsequent den Weg „sterneabwärts“ weitergingen und mit Betriebstypen wie Etap und Formule 1 die Angebotspalette im Stadthotelbereich nach unten abrundeten. Dieses Modell wurde von Motel One, aber auch B&B Hotels sowie Meininger Hotels und anderen aufgegriffen und zu dem mittlerweile überaus erfolgreichen Geschäftsmodell der Budget-(Design-)Hotels weiterentwickelt. Der Gesetzmäßigkeit in gesättigten Märkten jeder Industrie folgend, differenzierte sich das Angebot in all den Jahren weiter aus und führte zu Spezialisierungen, die das „Allzweck-Hotel“ zum Auslaufmodell machten. Die nachfolgende – bewusst ungeordnete und sicher unvollständige – Aufzählung soll einen Eindruck von der angesprochenen Auffächerungsdynamik und der damit entstandenen heutigen Betriebstypenvielfalt geben: Tagungs- und Kongresshotels

Golfhotels

Biohotels

Designer-/Boutique-Hotels

Schlosshotels

Motels

Flughafenhotels

Sporthotels

Residenzhotels

All-Suite-Hotels

Casino-Hotels

Clubhotels

Kur-/Thermal-/Wellnesshotels

Baby-/Kinderhotels

Esoterik-Hotels

etc.

Die Aufzählung enthält keine vertikale Unterscheidung in Hotelkategorien. Tatsächlich kontrastiert die vertikale, vom „Adlon“ (vgl. Abbildung 144) bis zum „Etap“ gespreizte Angebotsdifferenzierung der Stadthotellerie zu der eher horizontal nach Aufenthaltsmotiven gefächerten Freizeithotellerie. Dies ist nicht zuletzt von Bedeutung für die Projektentwicklung. Unter Immobiliengesichtspunkten macht der Unterschied nämlich deutlich, dass ein Ferienhotel in seiner konzeptionellen Auslegung wesentlich mehr „Maßschneiderei“ als das Stadthotel erfordert und das in vielerlei Hinsicht eindeutig kompliziertere Produkt ist.

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617

Quelle: Hotel Adlon Kempinski

Abbildung 144: Hotel Adlon, Berlin Die zahlreichen Konzeptunterschiede lassen sich am ehesten in der Feststellung bündeln, dass das Stadthotel überwiegend „Aufenthalts-Ermöglicher“ ist, das Ferienhotel dagegen eindeutig „Aufenthalts-Gestalter“: Die Übernachtung in einem Stadthotel (vgl. Abbildung 145) ist geprägt von einem vorgegebenen Aufenthaltsmotiv, sei es einem Geschäftstermin, einem Messebesuch, einer Tagung oder einem städtetouristischen Besichtigungsanlass. Vom Aufenthalt in einem Ferienhotel (vgl. Abbildung 146) erwartet der Gast hingegen die Gestaltung eines Freizeitangebots, das sich insbesondere in der Clubhotellerie zu umfangreichem Animationsprogramm ausgeprägt hat. Als Ausnahme hiervon gelten höchstens preiswertere Familienpensionen, welche mit Bergen und Seen die Freizeitverwendungsmöglichkeiten ihrer natürlichen Umgebung „mitverkaufen“. Stark vereinfacht und plakativ zusammengefasst kann für die höheren Hotelkategorien somit gesagt werden: Im Stadthotel gilt nach wie vor „Standort, Standort, Standort“, im Ferienhotel dagegen „Standort, Programm, Angebot“. Allerdings treten in der Stadthotellerie vermehrt Sättigungstendenzen auf, die insbesondere in Metropolen neben der „guten Lage“ eine ausgeprägte Differenzierung und sehr starke Zielgruppenfokussierung erfordern. So werden mittlerweile auch Stadthotels zum Beispiel durch Design und/oder freie Räume für Socializing & Networking immer öfter zu Aufenthalts-Gestaltern (Bsp. 25hours Hotels, Roomers etc.).

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Quelle: Drees & Sommer

Abbildung 145: Stadthotel Hyatt, Berlin

Quelle: Fundus-Gruppe

Abbildung 146: Ferienhotel Heiligendamm

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619

Die amtliche Statistik bildet die qualitative Auffächerungsbreite der Hotellandschaft in keiner Weise ab. Sie muss sich auf den quantitativen Überblick beschränken, unter dessen Blickwinkel sich der – hier auf Deutschland beschränkte – Hotelmarkt grob wie folgt darstellt (vgl. Tabelle 11):

Betriebsart Hotels

Anzahl Betriebe (Juli 2010)

Anteil %

Anzahl Betten (Juli 2010)

Anteil %

Bettenauslastung (Jahr 2009)

13.775

37,6%

1.053.614

61,2%

38,2%

Gasthöfe

9.112

24,8%

208.130

12,1%

23,5%

Pensionen

5.626

15,3%

130.106

7,6%

29,1%

Hotels garnis

8.166

22,3%

329.879

19,2%

38,2%

36.679

100,0%

1.721.729

100,0%

35,7%

Gesamt

Quelle: eigene Darstellung nach ghh consult GmbH Dr. Hank-Haase & Co 2002

Tabelle 11: Angebotsstruktur im deutschen Beherbergungsmarkt (2001) Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden unterscheidet in Betriebstypen, deren Grenzen in der Praxis verfließen. Nimmt man allein die schon von der durchschnittlichen Betriebsgröße bedeutsamste Gruppe der Hotels, so zeigt sich, dass sie 61,2% des deutschen Bettenangebots stellt. Zusammen mit den Hotels garnis ist es auch jene Betriebsgruppe, welche die höchste Bettenauslastung ausweist. Allerdings spielt die Bettenauslastung höchstens in der Ferienhotellerie mit Dreiund Mehrbettzimmer/-Apartments eine Rolle. Die Stadthotellerie, in der durchschnittlich nur jedes fünfte Zimmer doppelt belegt ist („Doppelbelegungsfaktor 1,2“), rechnet ausschließlich mit der Zimmerauslastung. Das Zimmer ist – gleichgültig ob einzeln oder doppelt - belegt und damit verkauft. Das diesem Angebotsbild gegenüberzustellende Nachfragebild zeigt zwar 368,7 Mio. Übernachtungen in Deutschland insgesamt (2009), davon sind hier jedoch nur jene 216 Mio. relevant, welche gemäß statistischer Erfassung auf die vier Betriebstypen der sog. „klassischen Beherbergungsbetriebe“ entfallen (vgl. Tabelle 12) Außen vor bleiben Sanatorien, Kurkliniken, Ferienheime, Ferienwohnungen, Campingplätze, Jugendheime, Jugendherbergen, etc. Tabelle 12 unterstreicht nochmals die Bedeutung der Betriebsgruppe „Hotels“: Von den 216 Mio. Übernachtungen in Deutschland 2009 bündelten die „Hotels“ knapp 66% auf sich. Der Ausländeranteil innerhalb der Gesamtnachfrage betrug 2009 20,1% (davon ca. 70,5% in Hotels und 21,7% in Hotels garnis) und spiegelt im statistischen Längsschnittvergleich deutlich seine Abhängigkeit nicht nur von globaler wirtschaftlicher Entwicklung, sondern vor allem von Kriegen und terroris-

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tischen Anschlägen wider. Die Ereignisse des 11. September 2001 in ihrem Einfluss auf die Reiseintensität seien hier nur beispielhaft erwähnt.

Übernachtungsaufkommen in Deutschland nach Betriebsarten in Mio. (2009)

Mio. Übernachtg.

Wachstum seit 1997

142,3

Anteil % 65,80%

Gasthöfe

17,4

8,00%

-10,40%

Pensionen

12,9

6,00%

-16,20%

43,6

20,20%

33,70%

216,2

100,00%

25,20%

Hotels

Hotels garnis Gesamt

34,80%

Quelle: eigene Darstellung nach ghh consult GmbH Dr. Hank-Haase & Co 2002

Tabelle 12: Übernachtungsaufkommen in Deutschland Die 142 Mio. Übernachtungen in der Betriebsgruppe „Hotels“ sind zu rund 70% geschäftlich motiviert, rd. 30% werden privaten Anlässen jedweder Art zugeschrieben. Dies zeigt sich auch in der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer, die in der Gruppe der Hotels 2,0 Tage beträgt. Hank-Haase ordnet nach eigenen Untersuchungen das Übernachtungsvolumen der „klassischen Beherbergungsbetriebe“ von 216 Mio. Übernachtungen folgenden Gästezielgruppen zu (vgl. ghh consult GmbH Dr. Hank-Haase & Co, S. 41): x

Geschäftsreisende:

ca. 43 Mio. Übernachtungen

x

Messe- und Kongressreisende:

ca. 42 Mio. Übernachtungen

x

Tagungs-/Schulungs-/Seminarreisende:

ca. 50 Mio. Übernachtungen

x

Urlaubs- und Ferienreisende:

ca. 43 Mio. Übernachtungen

x

Kurz- und Wochenendreisende:

ca. 38 Mio. Übernachtungen

Keine der in amtlichen Statistiken vorzufindenden Durchschnittswerte können jedoch zur Beurteilung eines einzelnen Hotelprojekts dienen. Zu groß und zu vielfältig sind die Abhängigkeiten von mindestens x

Makrostandort (Größe der Stadt, Lage, Nachfragegeneratoren, Wirtschaftskraft, touristische Attraktivität)

x

Mikrostandort (Zentrumslage, Nähe zum Aufenthaltsmotiv, Erreichbarkeit, Umgebungsgastronomie)

x

Nachfrage (Art, Umfang, Preissensibilität, Saisonalität, Internationalität)

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x

621

Wettbewerb (Angebot, Alter, Qualität, Lage der relevanten Wettbewerbsbetriebe, Kettenzugehörigkeit/Vertriebsstärke, Verdrängungspotenzial).

Statt Durchschnittswerte heranzuziehen ist für das einzelne Hotelvorhaben deshalb eine gezielte Marktuntersuchung mit eingehender Wettbewerbsanalyse erforderlich. 3.2.9.2

Planungs- und baurechtliche Grundlagen

3.2.9.2.1 Bedeutung des Standortes Im Rahmen solcher Markt- und Wettbewerbsanalysen ist festzustellen, dass an den Standort – je nach Hoteltyp – unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. So wie im Einzelhandel schon die falsche Straßenseite in einer a priori Erfolg versprechenden Adresse über Erfolg oder Misserfolg entscheiden kann, so fordert die heutige Vielfalt an Hoteltypen, Klassifizierungen und Zielgruppen eine intensive Auseinandersetzung mit dem Begriff „Standort“. Während historisch gesehen Hotels an den Verkehrsknotenpunkten bzw. in den Stadtzentren entstanden, haben sich die Anforderungsprofile heute entsprechend der unterschiedlichen Hotelprodukte deutlich erweitert bzw. diversifiziert. Hinzu kommt, dass sich die Kategorisierung nach Sternen zugunsten zielgruppenspezifischer Produkte und Qualitätsbeschreibungen verschiebt. 3.2.9.2.1.1 Budgethotels / Hostels Stadtrandlage, gute verkehrliche Anbindung und Sichtbarkeit, häufig in Gewerbe- bzw. Businessparks, meistens reduziert auf das Grundbedürfnis „Zimmer mit Frühstück“, kein Restaurant, ggf. ein oder zwei kleine Meetingrooms. Maximaler Grundstücksanteil:

ca. 4 .000,- €/Zimmer

durchschnittliche Größe:

80 – 120 Einheiten

GF/Zimmer:

ca. 20 - 35 m² GF (Geschossfläche)

Tendenz:

Verlagerung von Ein- bis Zwei-Sterne–Produkten in die Innenstädte bzw. Stadteilzentren.

Beipiele:

Motel One, Etap, Ibis, Formule 1, B&B, Meininger, all seasons.

3.2.9.2.1.2 Midscale Hotels Innenstadtlagen/Stadteilzentren, visuell markant, ab 120 Einheiten als Full-Service-Hotel, je nach Markt/Betreiber mit Konferenz- bzw. Wellnessangeboten. Maximaler Grundstücksanteil:

ca. 10.000,- €/Zimmer

Größe:

ca. 120 Einheiten

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GF/Zimmer:

ca. 45 – 60 m² GF

Tendenz:

Marktsättigung in vielen Märkten erreicht, Verdrängung und Standortübernahmen statt Neubau.

Beispiele:

Dorint Hotels, Marriott, nh-Hotels, Lindner, Atlantic Hotels.

3.2.9.2.1.3 Upscale Hotels 1A/Fokus-Lagen in Business- bzw. Tourismuslagen, visuell beeindruckend, ab 120 Einheiten als Full-Service-Hotels mit attraktiven Konferenz-/Bankett- sowie Wellness- und Businessangeboten. Maximaler Grundstücksanteil: ca. 15.000 – 30.000,- €/Zimmer Größe:

ab 160 Einheiten

GF/Zimmer:

80 m² GF

Tendenz:

Marktsättigung erreicht, Verdrängung, Revitalisierung und (Standort-) Übernahmen statt Neubau.

Beispiele:

Kempinski, Maritim, Four Seasons, Hyatt, Rocco Forte.

3.2.9.2.1.4 Boutique-Hotels Trend-Standorte, innerstädtisch, außergewöhnliche Architektur, gerne in attraktiven Altbauten (Loft- und Industriecharakter) oder mit spezifischen Cross-Marketingpartnern (z.B. Bulgari-Hotels, Cerrutti-Hotels, SAS). Standortspezifische Größe und Ausstattung, i.d.R. als Full-Service-Hotel, manchmal mit Food & Beverage-Partnern (z.B. Coffee-Shops, etc.) Maximaler Grundstücksanteil:

ca. 8.000 – 12.000,- €/Zimmer

Größe:

ca. 80 – 120 Einheiten

GF/Zimmer:

45 – 60 m² GF

Tendenz:

Wachsender Markt, nicht standardisierbar, betreiber- und standortabhängig.

Beispiele:

Hotel Bleibtreu Berlin, Gastwerk Hamburg, Wasserturm Köln, 25hours Hotels, QF Hotel Dresden

3.2.9.2.1.5 Boarding-Houses Businessdistricts und Stadteilzentren mit gewachsenen Strukturen und attraktivem Serviceangebot im direkten Umfeld (Stichwort: Wohnen auf Zeit), Konzentration auf Grundbedürfnis Wohnen/Schlafen mit Grundbedürfnissen, wie Reinigung, Wäsche, Teeküche, etc.

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Kombination mit Coffee-Shops/Restaurants/Bars, möglichst gewollt. Maximaler Grundstücksanteil:

10.000 – 15.000,- €/Einheit

Betriebsgröße:

ab 60 Einheiten

GF/Einheit:

35 m² GF

Tendenz:

Nicht eindeutig, sehr standortabhängig, wird zum Teil von klassischen Hotelgesellschaften im Drei- bis Vier-Sterne-Bereich mit angeboten (siehe Accor).

Beispiele:

Madison, Aparthotels Citadines, Schaper-Appartements, Adina Apartment Hotels, Adagio City Aparthotels (ACCOR).

3.2.9.2.1.6 Sonstige Hoteltypen Deutlich differenzierter stellt sich die Standortfrage bei Spezialhotels dar. Hierzu gehören u. a. die sog. „backpacker-Hostels“ (absolute Trendlagen, gute öffentliche Verkehrsanbindung) oder auch die Ferienhotels und –resorts. Besonders bei den Ferienhotels gelten eigene Standortgesetze: Erreichbarkeit, Image, Ruhe, Ausblick, direkter Zugang (z.B. zum Wasser oder Golfplatz) ist zu kombinieren mit Kriterien wie sog. Alleinlagen oder Lagen mit gewachsenen Ortsstrukturen, etc. Auch der Grundstücksanteil/Zimmer lässt sich mit dem von Stadthotels nicht vergleichen – nicht selten beträgt der Grundstücksanteil bei Ferienhotels pro Zimmer durchaus 200 – 400 m². 3.2.9.2.2 Genehmigungsrechtliche Voraussetzungen Auch bei Hotelprojekten ist die Genehmigungsfähigkeit in zwei Stufen zu prüfen. 3.2.9.2.2.1 Planungsrechtliche Zulässigkeit Das Planungsrecht regelt bundes- bzw. in immer stärkerem Maße auch europaweit die grundsätzliche Zulässigkeit und das Maß der baulichen Nutzung, insbesondere unter raumordnerischen und naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten. Wichtig ist die planungsrechtliche Ebene insbesondere bei Projekten, für die nach bestehendem Planungsrecht am Standort bauleitplanerische Verfahren zur Feststellung und Festsetzung der Zulässigkeit erforderlich sind. Dies gilt insbesondere bei Grundstücken, die zum Zeitpunkt der Projektentwicklung nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes oder Vorhaben- und Erschließungsplanes liegen, nicht nach § 34 BauGB (Baugesetzbuch) genehmigt werden können und aufgrund ihrer Raumbedeutsamkeit bzw. Größe, z.B. ein Raumordnungsverfahren bzw. aufgrund ihrer zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft eine Umweltverträglichkeitsprüfung er-

624

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fordern. Tabelle 13 gibt in Auszügen einen Überblick über die wichtigsten länder- und europaübergreifenden Gesetze und Verordnungen im Zusammenhang mit Hotelprojekten:

Gesetze/Verordnungen

Regelungsinhalt

mögliche Verfahren

ROG (Raumordnungsgesetz)

Grundsätze Raumordnung und Raumentwicklung

Raumordnungsverfahren

BauGB/BauNVo (Baugesetzbuch,

Nutzung, Bebaubarkeit, Umweltschutz, Erschließung

Flächennutzungspläne, VE-Pläne,

Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke)

Bebauungspläne, Erschließungspläne etc.

BNatSchG

Vermeidung und Ausgleich von Eingriffen in die Natur

Umweltverträglichkeitsuntersuchungen

(Bundesnaturschutzgesetz)

und Landschaft

und Prüfungen, Landschaftspläne etc.

UmVPrüfG

Bewertung von Auswirkungen auf die Umwelt

Umweltverträglichkeitsuntersuchungen

(Umweltverträglichkeitsprüfgesetz)

und Prüfungen, Landschaftspläne etc.

FFH-Richtlinien

Prüfung von Erhaltungszielen gemeinschaftlicher

Umweltverträglichkeitsuntersuchungen

(Flora-Fauna-Habitat-Richtlinien)

Schutzgebiete

und Prüfungen, Landschaftspläne etc.

BImSchG (Bundes-

Prüfung und Bewertung vom Immissionsschutz

BImSchG-Nachweise

Reinhaltung von Luft

Nachweis zu Lüftungsqualitäten

Immissionsschutzgesetz) TALuft (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft) TALärm (Technische Anleitung

Schutz gegen Lärm

Nachweis zu Lärmschutz

Bekämpfung von Lärm

Nachweis von Lärmbekämpfungsmaßnahmen

zum Schutz gegen Lärm) LärmVo (Verordnung zur Bekämpfung des Lärms)

Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 13: Bundes- und europaweite Gesetze und Verordnungen (Auszüge)

Bauliche Nutzung

Hotels zulässig

nach BauNVO

+/-

WR

(+)

Einschränkungen

GRZ

GFZ

kleine Betriebe 1)

0,4

1,2

0,4

1,2

nicht störend 2) (+)

WA

ausnahmesweise Beherbergung nicht störend 2)

WB

(+)

Beherbergung

0,6

1,0

MI

(+)

Beherbergung

0,6

1,2

MK

(+)

Beherbergung

1,0

≥3,0

GE/GI

(+)

Gewerbebetriebe aller Art

0,8

10,0 (BMZ) 3)

Sondergebiete

+/-

gemäß Sonderausweisung

1) 2) 3)

gemäß

gemäß

Sonderausweisung

Sonderausweisung

kleine Betriebe = Nachbearbeitung entsprechend bis zu ca. 20 Personen nicht störend im Sinne der Gebietsausweisung Baumassenzahl

Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 14: Zulässigkeit und Maß der baulichen Nutzung gemäß BauNVo (Auszüge) Nach erfolgreicher Genehmigung von o.g. Verfahren (Laufzeit ca. 12 – 18 Monate!) orientieren sich die Städte und Gemeinden bei der Aufstellung hierauf aufbauender Bebauungspläne oder Vorhaben- und Erschließungspläne an den Orientierungswerten zur Zulässigkeit und dem Maß der bau-

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lichen Nutzung der Baunutzungsverordnung. Insofern werden in sog. Bebauungsplänen oder Vorhaben- und Erschließungsplänen nicht nur die gebietsrelevante Zulässigkeit, sondern auch das konkrete Maß der baulichen Nutzung sowie naturschutzfachliche Maßnahmen (z.B. Eingriffs/Ausgleichsbilanzierung, etc.) festgelegt. Tabelle 14 gibt eine grundsätzliche Übersicht über die Orientierungswerte zur Zulässigkeit und das Maß der baulichen Nutzung gemäß gültiger Baunutzungsverordnung. Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf das Thema sog. „städtebaulicher Verträge“ bzw. Erschließungsverträge. Vor dem Hintergrund ständig knapper werdender öffentlicher Kassen wälzen Städte und Kommunen in immer stärkerem Maße Verpflichtungen auf die Bauherren ab – ein scharfes Schwert: Ist doch eine Baugenehmigung von der „gesicherten Erschließung“ eines Grundstückes abhängig. 3.2.9.2.2.2 Bauordnungsrechtliche Zulässigkeit

Gesetze/Verordnungen

Regelungsinhalt

mögliche Verfahren

BauO Berlin

bauordnungsrechtliche Grundlagen

Lüftung, Brandschutz, Stellplätze, Rettungswege,

VStättVo (Versammlungs-

Brandschutz, Rettungswege,

detaillierte Vorgaben zu Branschutz, Fluchtwegen,

stättenverordnung)

Raumanforderungen

Raumhöhen, Toiletten etc..

ArbStättV (Arbeits-

Sicherheit, Mindestanforderungen

detaillierte vorgaben zu Küchen, Büros,

(Bauordnung für Berlin)

Sonderregelungen (z. B. Hochhausverordnung) etc.

stättenverordnung)

Personalräumen, Toilettenraumhöhen etc.

GaVo (Garagenverordnung)

Stellplätze

Art und Anzahl von Stellplätzen

DSchGBln

Denkmalschutz

detaillierte Vorgaben zum Denkmalschutz

Naturschutz

detaillierte landesspezifische Regelungen zum Naturschutz

hygienische Grundforderungen

Lüftung, Reinigung, Lagerung

Schutz von Baumbeständen

Fällanträge, A + E-Bilanzierungen etc.

Artenschutz

Nachweis des Artenschutzes

(Denkmalschutzgesetz Berlin) NatSchGBln (Berliner Naturschutzgesetz) LebensmittelhygieneVo (Lebensmittelhygieneverordnung) BaumSchVo (Baumschutzverordnung) BArtSchV (Bundesartenschutzverordnung)

Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 15: Landesrechtliche Gesetze und Verordnungen (Auszüge/Beispiel Berlin) Die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit von Hotelprojekten regelt das länderspezifische Bauordnungsrecht in Verbindung mit zahlreichen Gesetzen, Verordnungen und branchenspezifischen Auflagen. Hierbei geht es insbesondere um sämtliche Aspekte der öffentlichen und privaten Sicherheit, des Nachbarschutzes, des (landesspezifischen) Naturschutzes sowie der öffentlichen Ordnung (z.B. Stellplätze, etc.). Neben zahlreichen Gesetzen und Verordnungen gewinnen je nach Bundesland immer mehr länder- bzw. interessenspezifische Auflagen an Bedeutung. So haben z.B. die örtliche Feuerwehr, aber auch die Gewerbeaufsicht und die Interessensvertreter bestimmter

626

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gesellschaftlicher Gruppen zum Teil erhebliche Ermessensspielräume – hier helfen häufig nur lokal erfahrene Fachplaner und Gutachter. Tabelle 15 gibt auszugsweise einen Überblick über die bei Hotelprojekten wichtigsten Bauordnungen, Verordnungen, Gesetze und Regularien. 3.2.9.3

Hotelplanung und Kosten

3.2.9.3.1 Hotelplanung – Die Beteiligten Hotelplanung ist eine Planungsaufgabe für Spezialisten. Insbesondere die notwendige Kenntnis von Funktionsabläufen und Flächenverhältnissen, aber auch die Integrationsfähigkeit einer Vielzahl von Fachplanern erfordert mehr als eine klassische Planerausbildung. Hinzu kommt, dass Hotelimmobilien oft das Werk zweier nicht immer deckungsgleich denkender und agierender Projektpartner sind: Einerseits der Bauherr oder Eigentümer, der mit optimalem Kapitaleinsatz ein Höchstmaß an Ertrag sichern möchte, andererseits der Hotelpartner, der mit einem Höchstmaß an Projektqualität eine optimale Betriebskosten- und Ertragsstruktur zu erreichen versucht. In Verbindung mit den für einen erfolgreichen Markteintritt erforderlichen Qualitäts- und Terminsicherheiten ergibt sich so ein Planungsprozess, der vom Projektstart an den Hotelpartner einbindet (i.d.R. über Entwicklungsberatungsverträge), diesen hinsichtlich der notwendigen Raum- und Funktionsprogramme fordert, rechtzeitig erforderliche Bemusterungen für das sog. FF+E (Fixture Furniture & Equipment) und SOE (Small Operating Equipment) vorsieht und die für eine reibungslose Eröffnung notwendige pre- bzw. soft-opening-Phase sicherstellt. Die Brisanz einzuhaltender Termine wird besonders deutlich, wenn man weiß, dass z.B. Hotelund Reisekataloge ca. 6 bis 9 Monate vor Saisonbeginn die offiziellen Öffnungstermine benennen müssen – ab diesem Zeitpunkt ist es den Reisebüros möglich, konkrete Zimmerbuchungen in den Hotels vorzunehmen. Abbildung 147 gibt einen Überblick über die bei der Planung bzw. Realisierung von Hotels wichtigsten Beteiligten und Meilensteine. Eine hotelerfahrene Projektsteuerung sollte Garant für eine termin-, qualitäts- und kostengerechte Realisierung sein – umso mehr, als dass ein Hotel nicht nur von einer Vielzahl harmonisch aufeinander abgestimmter Gestaltungselemente, Systeme und Funktionalitäten, sondern insbesondere auch von den für den Gast erkennbaren und fühlbaren Qualitäten des Innenausbaus und der Ausstattung lebt. Insofern kann eine Kostenüberschreitung im Rohbau auf der Wegstrecke zum Innenausbau katastrophale Folgen für die letztendliche Produktqualität und -funktionalität und damit den Erfolg des Objektes haben. Die Zusammenstellung der Planungsbeteiligten und Meilensteine in Abbildung 147 verdeutlicht die Komplexität bei der Entwicklung, Planung und Realisierung von Hotelprojekten. Der durchschnittliche Realisierungszeitraum von 30 – 36 Monaten ab erster Idee zeigt in diesem Zusam-

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627

menhang noch eine weitere Notwendigkeit auf: Kontinuierliche Entwicklung und Genehmigung des Projektes in allen Planungs- und Realisierungsphasen durch den Hotelpartner sichert nicht nur ein zum Zeitpunkt der Eröffnung zeitgemäßes Hotel, sondern gibt dem Bauherrn eine größtmögliche Sicherheit der tatsächlichen Abnahme durch den Hotelpartner zum Zeitpunkt der Übergabe.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 147: Planungsbeteiligte und Meilensteine 3.2.9.3.2 Hotelplanung – Flächen und Kosten Auch wenn immer wieder „atemberaubende“ Hotels und Flächen, Qualitäten und Investitionskosten für Furore im Markt sorgen – letzten Endes bestimmen nachhaltige Umsatz- und Ertragsmöglichkeiten die Kosten- und damit auch die Flächenvorgaben eines Hotels. Ausgehend von der alten Regel Invest/Zimmer = Ø Zimmererlös x 1.000 lassen sich die in Tabelle 16 aufgeführten Orientierungswerte je Hoteltyp definieren.

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628

BGF / Zimmer Flächenaufteilung Zimmer / Rest

Upscale

Midscale

Budget

ca. 60-80 m²

ca. 40-70 m²

ca. 20-35 m²

55 / 45

65 / 35

75 / 25

Investition / Zimmer

220-400T€

100-200T€

32-110T€

Investition / m² BGF

1.600-2.800 €

1.500-1.700 €

1.000-1.600 €

Quelle: eigene Darstellung nach IHA Hotelmarkt Deutschland 2009 / HOTOUR GmbH

Tabelle 16: Orientierungswerte Flächen und Investitionskosten Auch wenn die in Tabelle 16 genannten Zahlen eine erste Orientierung möglicher Flächen- und Kostenkennwerte suggerieren, gilt es, jedes Produkt standort- und zielgruppenorientiert im Detail zu erfassen und zu kalkulieren. Die blinde Übernahme von Zahlen wird i.d.R. zu Misserfolgen führen – je individueller und hochwertiger das Produkt, desto schmerzhafter. Als Beispiel hierfür sollen die Anforderungen an Restaurant- bzw. Frühstückskapazitäten und Flächen in einem Hotel dienen. Während ein Stadthotel eine Frühstückskapazität unter Berücksichtigung von Mehrfachbelegungen der Stühle und Tische am Morgen auf ca. 50% der Zimmerkapazität auslegen kann, werden in einem Ressort-Hotel bis zu 100% der Bettenkapazitäten für ein „ausgiebiges Frühstück“ benötigt. Kurzum: Hotelplanung benötigt Spezialisten – in der Planung, der Projektsteuerung und dem Betrieb. Wenn schon Fachbegriffe wie „pre-opening“ oder „small-operating-equipment“ (Geschirr, Keramik, Glas, usw.) das Planungsteam vor Rätsel stellen, wird auch der operative Erfolg des Hotels aller Voraussicht nach ausbleiben. 3.2.9.4

Hotelrentabilität und ihre Einflussgrößen

3.2.9.4.1 Bedeutung und Inhalte der Feasibility-Studie Niemandem würde einfallen - mit Ausnahme allenfalls aus reinen Liebhaberei-Motiven - eine Immobilieninvestition von 25 bis 100 Mio. Euro und mehr ins Auge zu fassen, ohne sich einen faktenfundierten Chancennachweis hinsichtlich Marktfähigkeit und Rentabilität des Entwicklungsvorhabens erarbeiten zu lassen. In der Entwicklung eines Hotelprojekts allerdings ist dies vielfach noch Alltag und gibt nicht nur zu denken, sondern Anlass zur Warnung. Den Hintergrund geben gleich mehrere, oftmals zusammenwirkende Erklärungen: x

Im Hotelprojekt als der Managementimmobilie par excellence wird dies als Aufgabe des Betreibers gesehen, „der schon wissen muss, worauf er sich einlässt und im übrigen seine Erfahrungszahlen hat ...“

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x

629

Dabei spielt die Erwartung eines lupenreinen Mietvertrags eine Rolle, welche aus ihrer Sachlogik heraus die Risikoprüfung dem potenziellen Mieter überlässt.

x

Die Kostenscheu vor der bis zu 30 tsd. Euro teuren Feasibility-Studie

x

Eine unheilvolle Ahnungslosigkeit über die besonderen Chancen und Risiken eines Hotelvorhabens und fehlendes Verständnis für dessen Ertragsmechanik.

Keiner der aufgeführten Erklärungsgründe ist stichhaltig und jeder einzelne leicht zu widerlegen: x

Die Überantwortung an die künftige Management-Hotelgesellschaft bringt Entwickler bzw. Investor in eine Betreiberabhängigkeit, welche in „Worst-case-Szenarien“ die Fungibilität des Objekts erheblich einschränkt.

x

Lupenreine Mietverträge sind in der Hotellerie – wie unter 3.2.9.5 aufzuzeigen sein wird - die Ausnahme. Und selbst wenn ein 20-jähriger Festpacht- bzw. Mietvertrag abgeschlossen ist, das Ergebnis ist eine Scheinsicherheit, weil im Misserfolgsfall Vertrag bzw. Betreiber zur Disposition stehen.

x

Die Kosten der Feasibility-Studie machen nur einen Bruchteil der üblichen Vorprojektkosten aus.

x

Und schließlich gilt: Wer von einem Produkt und seinem Markt nichts versteht, sollte die Hände davon lassen…

Es gibt keine DIN irgendwelcher Art für die Inhalte einer Feasibility-Studie. Ein seriöser und auf die Hotelindustrie spezialisierter Berater mit ausreichender Erfahrung wird jedoch mindestens die nachstehenden 10 Fragenbereiche in ihrer Ableitungslogik abarbeiten und qualifizierte, d.h. faktenfundierte, Antworten darauf finden: Frage 1, Ist-Aufnahme: Welche Zielsetzungen des Auftraggebers sind zu berücksichtigen? Was gibt es an konzeptionell Vorgedachtem? Welche Voraussetzungen bringt das Grundstück qua Lage und Beschaffenheit mit? Frage 2, Angebots-/Nachfragevergleich am Standort nach Segmenten: Welche Marktsituation zeigt sich für die anvisierten Teilmärkte/Nachfragesegmente im Angebots-Nachfrage-Vergleich? Frage 3, Wettbewerbsanalyse: Welche Wettbewerbsstärken und –schwächen zeigt das bestehende und – soweit erkennbar – geplante Angebot in jedem der anvisierten Teilmärkte? Frage 4, Konzeptweiche: Welche Angebotslücken lassen sich feststellen und der Betriebskonzeption des Hotels zugrunde legen? Frage 5, Festlegung der Hauptzielgruppen: Mit welchem Zielgruppen-Mix nach Art und Umfang kann gerechnet werden?

630

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Frage 6, Belegungsprognose: Welche Belegungsanteile sind von den einzelnen Zielgruppen der Höhe und saisonalen Verteilung nach zu erwarten? Frage 7, Preisprognose: Welche Preisempfindlichkeit/welches durchsetzbare Preisniveau zeigt sich bei den einzelnen Zielgruppen? Frage 8, Leistungsanforderungsprofil der Zielgruppen: Wie lauten die Anforderungen der anvisierten Zielgruppen an ein neues Angebot und wie sind sie in der Angebotsplanung – auch betriebskostenmäßig - zu berücksichtigen? Frage 9, Zusammenführung zu einem in sich stimmigen Betriebskonzept: Welches Gesamtprodukt (Betriebstyp, Standard, Preisniveau, Art und Umfang der Angebotselemente, Wettbewerbspositionierung und Vermarktungs-„Claim“) ergibt sich aus den Antworten auf die Fragen 1 bis 8? Frage 10, Wirtschaftlichkeitsvorausschau bis zum Bruttobetriebsergebnis: Mit welcher Ertragskraft (Bruttobetriebsergebnis I resp. GOP – Gross Operating Profit) kann für die ersten fünf Betriebsjahre unter Zugrundelegung der Preis-, Belegungs- und Betriebskostenannahmen gerechnet werden? Die Ableitungslogik liegt auf der Hand: Nicht ein Betreiber soll sagen, welches Hotel an diesem nämlichen Standort zu errichten ist, sondern einzig der Markt. Es sei denn, der Betreiber steht mit der hinreichend abgesicherten Summe der über die Vertragslaufzeit diskontierten Jahresmieten für die Kapitalbedienung gerade. Dies aber bedeutet nichts Geringeres, als dass er der eigentliche Investor ist, und in diesem Fall stünden ihm auch alle Entscheidungsrechte zu. Wo dies jedoch – wie in der Mehrheit der Fälle – nicht der Fall ist, darf nur der Markt über Hoteltyp nach Art und Umfang entscheiden. Und dazu muss er „befragt“ werden. Nichts anderes ist Aufgabe der Feasibility-Studie, wiewohl sie nie mehr sein kann, als eingangs aufgeführt: ein faktenfundierter Chancennachweis hinsichtlich Marktfähigkeit und Rentabilität des Vorhabens. Die in der als Endergebnis abgeleiteten Wirtschaftlichkeitsvorausschau aufgeführten Zahlen können schon aus rein statistischen Gründen niemals in dieser Form zutreffen. Seriöse Beratungsunternehmen nennen in ihrer Feasibility-Studie deutlich die Prämissen ihrer Prognose oder legen zwischen optimistischem und vorsichtigem Ertragsszenario einen Korridor fest, innerhalb dessen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit die a priori unauffindbare Wahrheit findet. Weder sind detaillierte Angaben zum Raumprogramm noch Investitionskostenschätzungen Aufgaben der Feasibility-Studie. Die aus der Analyse der gegenwärtigen und künftigen Angebotsund Nachfragesituation abgeleiteten konzeptionellen Empfehlungen sind jedoch nunmehr entscheidende Grammatik der Verständigung für alle weiteren Projektbeteiligten: Entsprechend der Planungslogik kann der Architekt nunmehr – mit oder ohne Betreiber – an die Planung gehen, auf deren Basis erste indikative GÜ-Angebote einzuholen sind. Auf Basis der Gegenüberstellung von

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631

voraussichtlichem Investitionsvolumen und nachhaltiger Ertragskraft werden danach erste Finanzierungsgespräche zu führen sein. Spätestens dann muss die Betreiberfrage beantwortet werden. Wiewohl in der Praxis zumeist durchbrochen, spricht die Logik dafür, auch die Betreiberansprache auf Basis einer neutralen Feasibility-Studie zu führen, weil erst diese Basis die für das Vorhaben geeigneten Betreiber in die engere Auswahl nehmen lässt. Es lässt sich kaum eine qualifizierte Vertragsverhandlung führen, ohne dass allen Beteiligten Standortevaluation, nachvollziehbare Konzeptempfehlung und plausible Ertragsschätzung von neutraler (!) Seite vorliegen. Erst diese neutrale und faktenfundierte Grundlage ermöglicht den Vertragsparteien, nach Belieben ihre eigenen Zu- oder Abschläge vorzunehmen; dem Betreiber ermöglicht sie, innerhalb des als marktfähig erkannten Betriebstyps besondere Konzeptwünsche zu formulieren. Initiatoren, Entwicklern und Investoren, welche diese Zusammenhänge leugnen und die neutrale Feasibility-Studie für verzichtbar erklären, drohen entweder eine unheilvolle Ausweitung der Betreiberabhängigkeit oder ein aufwendiger Trial&Error-Prozess, dessen Kosten jene der vorgeschalteten Feasibility-Studie bei weitem übersteigen. 3.2.9.4.2 Die Ertragsmechanik des Hotelbetriebs „Ertragsmechanik“ meint das ergebniswirksame Zusammenspiel der unterschiedlichen Erlös- und Kostenarten des Betriebs in ihrer Auslastungsabhängigkeit. Jede Branche hat ihre eigene Ertragsmechanik und deren Kenntnis ist unabdingbare Voraussetzung für das Verständnis der jeweiligen Branche. Zwar gilt auf der höchsten und damit gröbsten Verallgemeinerungsebene auch für die Hotellerie, dass es nicht mehr als die bekannten drei Stellschrauben der Wirtschaftlichkeit gibt, nämlich Preis, Menge und Kosten. Mit der Ausnahme vielleicht, dass „Menge“ im Hotelgeschäft „Belegung“ heißt; ähnlich wie in der ebenso auslastungsempfindlichen Luftfahrtindustrie der „Ladefaktor“. Doch auf darunter liegenden Betrachtungsebenen gilt es Zusammenhänge sichtbar zu machen, die verständlich werden lassen, weshalb man einerseits mit einem guten Hotelprojekt mehr Geld als mit jeder anderen gewerblichen Immobilie verdienen kann, andererseits aber auch, weshalb schlechte Projekte so gnadenlos „floppen“. Eigentlich sollte es angesichts der Internationalität der Branche nicht verwundern, dennoch ist hervorzuheben, dass die Hotelbranche eine der wenigen ist, die – zumindest für die größeren und kettengeführten Betriebe – international einheitlich Rechnung legt. Grundlage hierfür ist das mit regelmäßigen Anpassungen seit 1926 eingeführte USALI Uniform System of Accounts for the Lodging Industry. Seit der anerkennenswerten Übersetzungs- und Anpassungsarbeit von Pannell, Kerr & Forster, München, liegt es auch in deutschsprachiger Fassung vor (vgl. INTERHOGA).

632

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Bei aller Anpassungsflexibilität hinsichtlich Betriebsbesonderheiten folgt es den Prinzipien des Direct Costing und macht Hotels von Duisburg bis Djakarta untereinander vergleichbar. Direct Costing, hierzulande eher als Deckungsbeitragsrechnung bekannt, meint nichts anderes, als den einzelnen

Profitcentern

des

Hotelbetriebs

(Beherbergungsbereich,

Restaurants,

Bars,

Bankettbereich, Wellnessbereich, etc.) nur jene („direkten“) Kosten zuzurechnen, die dieser und nur dieser Bereich verursacht und deshalb führungsmäßig zu verantworten hat. Das daraus resultierende Ergebnis („Deckungsbeitrag I“) wird folgerichtig „Abteilungsergebnis“ genannt. Alle anderen Kosten wie Marketing, Instandhaltung, Verwaltung, Energie, etc. werden unverteilt als „Gemeinkostenblock“ von der Summe der Abteilungsergebnisse abgezogen und führen zum „Ergebnis nach Gemeinkosten“. Dieses in der Praxis vielfach als GOP (Gross Operating Profit) bezeichnete Ergebnis entspricht dem bekannten deutschen „Bruttobetriebsergebnis I“ bzw. dem EBITDA. Es umfasst somit den gesamten leistungswirtschaftlichen Bereich des Hotelbetriebs unter Ausschluss von Zinsen, Tilgung, Steuern, Abschreibungen, Kosten der Gesellschaft, evtl. Leasinggebühren und anderen mit der Finanzierung in Zusammenhang stehenden Kosten, deren Summe als finanzwirtschaftlicher Bereich oder „Finanzbrücke“ zum NOP (Net Operating Profit) bzw. zum „Betriebsergebnis II“ (vor Steuern) führt. In vertikaler Anordnung ergibt sich damit eine Wirtschaftlichkeitsvorausschau für (mindestens) fünf Jahre wie in Tabelle 17 beispielhaft dargestellt. Wiewohl es sich um durchaus realistische Zahlenwerte eines 4*-Stadthotels mit 200 Zimmern in einer internationalen Großstadt handelt, muss davor gewarnt werden, verfügbare Zahlen irgendeines Hotelbetriebes auf einen anderen zu übertragen. Ergebnishöhe und –verlauf stehen unter so zahlreichen Abhängigkeiten, dass ein Nachvollzug nur unter vollständiger Kenntnis sämtlicher Prämissen bzw. Standort- und Konzeptvoraussetzungen möglich ist.

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4*-Stadthotel

1. Bj.

2. Bj.

3. Bj.

4. Bj.

633

5. Bj.

Anzahl Zimmer

200

200

200

200

200

Anzahl Betriebstage

365

365

365

365

365

Durchschnittliche Zimmerauslastung in %

55%

61%

64%

67%

67%

150,00

158,00

165,00

168,00

171,00

Logis

6.022.500

7.035.740

7.708.800

8.216.880

8.363.610

Speisen & Getränke

3.011.250

3.517.870

3.854.400

4.108.440

4.181.805

Telefon

180.675

211.072

231.264

246.506

250.908

Nebenabteilungen

240.900

281.430

308.352

328.675

334.544

SUMME UMSATZ

9.455.325

11.046.112

12.102.816

12.900.502

13.130.868

Logis

2.107.875

2.321.794

2.389.728

2.547.233

2.592.719

Speisen & Getränke

2.348.775

2.743.939

2.967.888

3.163.499

3.219.990

99.371

116.090

127.195

135.579

138.000

132.495

140.715

138.758

147.904

150.545

SUMME ABTEILUNGSAUFWENDUNGEN

4.688.516

5.322.537

5.623.570

5.994.214

6.101.253

ABTEILUNGSERGEBNIS

4.766.809

5.723.574

6.479.246

6.906.288

7.029.614

1.228.170

Durchschnittlicher Zimmererlös in EUR UMSÄTZE

ABTEILUNGSAUFWENDUNGEN

Telefon Nebenabteilungen

GEMEINKOSTEN Verwaltung

1.134.639

1.157.332

1.180.478

1.204.088

Marketing

756.426

773.228

726.169

645.025

656.543

Strom, Gas, Wasser

378.213

441.844

423.599

451.518

459.580

Reparatur & Instandhaltung

141.830

220.922

363.084

387.015

393.926

SUMME GEMEINKOSTEN

2.411.108

2.593.326

2.693.330

2.687.646

2.738.220

BETRIEBSERGEBNIS NACH GEMEINKOSTEN (GOP)

2.355.701

3.130.248

3.785.916

4.218.642

4.291.395

24,9%

28,3%

31,3%

32,7%

32,7%

in % vom Gesamtumsatz abzüglich FF&E-Ersatzbeschaffungsrücklage (1-3%)

0

110.461

242.056

387.015

393.926

567.320

662.767

726.169

774.030

787.852

BEREINIGTER GOP (GAP Gross Adjusted Profit)

1.788.381

2.357.020

2.817.691

3.057.597

3.109.617

abzüglich kalulatorische Miete (6,5% von 35 Mio. EUR)

2.275.000

2.275.000

2.275.000

2.311.400

2.348.382

-486.619

82.020

542.691

746.197

761.234

abzüglich Betreiberentgelt (pauschal 6,0% vom Umsatz)

ab dem 3. Betriebsjahr mit 80% indexiert NOP Net Operating Profit

Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 17: Wirtschaftlichkeitsvorausschau Diese Rechnung exemplarisch für die in ihrer Breite oben aufgezeigte Angebotsvielfalt der Ferienhotellerie zu variieren, würde den vorgegebenen Rahmen sprengen. Für die Stadthotellerie sei

634

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entlang der vertikalen Auffächerung nach Kategorien auf die große prozentuale Schwankungsbreite des GOP bzw. des Ergebnisses nach Gemeinkosten hingewiesen. In Prozenten vom Umsatz kann der GOP bei gleicher Auslastung in einem Ein-Sterne-Hotel über 50% betragen, im Luxushotel dagegen Mühe haben, 28% zu überschreiten. Die Gründe liegen in den beiden Hauptbestimmungsgrößen von Luxus: Vorhaltung und Personalintensität. Zu Recht erwartet der Gast im 5*Hotel einen Nightclub mit Musik, mehrere Restaurants, einen großzügigen Wellnessbereich, etc. zu seiner Verfügung, d.h. betriebsbereit für ihn vorgehalten. Und der verlangte 5*-Service drückt sich in höherer Personalintensität aus. Holt man sich stattdessen die Betriebskonzeption eines 1*Hotels vor Augen, wird der Kontrast in seiner Ergebniswirkung deutlich: Minimiertes Angebot mit minimalem Personal lässt Vorhaltungskosten vergleichbaren Umfangs erst gar nicht entstehen. Zudem können dort – unvereinbar mit Luxusanspruch – bestimmte Leistungen wie z.B. die Zimmerreinigung outgesourct werden. Die Rechnung in Tabelle 17 setzt nach dem GOP noch eine Inventarersatzbeschaffungsrücklage sowie ein Betreiberentgelt ein. Letzteres ist zu diesem Zeitpunkt noch kalkulatorisch, da weder Betreiber noch die Konditionen des Betreibervertrages feststehen. Dementsprechend kann auch keine endgültige Miete, Festpacht oder Mischform eingesetzt werden. Ersatzweise wird eine kalkulatorische Kapitalbedienung eingesetzt. Die vorgenommenen Ansätze sollen u.a. verdeutlichen, dass der GOP als „Topf“ zu betrachten ist, aus dem sich prinzipiell drei Parteien bedienen dürfen: x

Der Betrieb: Als erstes er selbst zur eigenen Erhaltung von Marktfähigkeit und Ertragskraft, sonst ist der „Topf“ auch für die beiden nachstehenden Berechtigten bald leer. Zwar sind die übliche Instandhaltung und Schönheitsreparaturen sowie die Ersatzbeschaffung von nicht aktivierungsfähigem Kleininventar (Glas, Wäsche, Silber, Porzellan) bereits in den Betriebskosten berücksichtigt, für die Ersatzbeschaffung von Mobiliar (FF&E – Fixture, Furniture & Equipment) setzt die Kalkulation jedoch zusätzlich eine Rücklage in Höhe von 3% vom Umsatz an (von Null aus im ersten Betriebsjahr ansteigend). Eine Rücklage für Dach&Fach-Erneuerung ist nicht eingestellt. Es gelte, dass diese Kosten vom Eigentümer übernommen werden, die ermittelte Rentabilität somit seine Brutto-Rentabilität darstellt. Dies muss nicht immer so sein, ist aber in der Praxis durchaus geläufig.

x

Das Kapital: Die nachstehende Kalkulation endet zunächst bei dem um Betreiberentgelt und InventarErsatzbeschaffungsrücklage bereinigten GOP (vielfach auch GAP – Gross Adjusted Profit, bezeichnet), setzt jedoch noch keine Kapitalkosten an. In der Praxis wird bei Vorliegen der ersten Investitionskostenschätzungen und einer ersten groben Finanzierungsrechnung die GAP-Zeile

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anschließend aufgegriffen und die Rechnung z.B. um eine angemessene Verzinsung für die Gesamtinvestition verlängert, um grob die wirtschaftliche Machbarkeit des Projekts zu verproben. In Tabelle 17 sind 6,5% auf die grob kalkulierte Gesamtinvestitionssumme von 35 Mio. Euro für das Hotel (inkl. Grundstück) angesetzt. Die erste Analyse stellt dabei zumeist auf eine reine Cashflow-Betrachtung unter Vernachlässigung steuerlicher Aspekte und der Abschreibung ab. Die steuerliche Optimierung erfolgt spätestens im Rahmen der Finanzierungskonstruktion. Spätestens dann muss auch die Frage des Betreibervertrags geklärt sein, dessen wirtschaftliche Auswirkungen unter 3.2.9.5 behandelt werden. Wichtig ist, in der Investitionssumme nicht die Kosten für Pre-opening, für die hotelübliche Beratung in der Planungs- und Errichtungsphase und für Working Capital zu vergessen. Das bedeutet nicht automatisch, dass in der Praxis diese Kosten nicht auch der Betreiber übernehmen könnte. Unabhängig aber davon, wer sie aufbringt, darf nicht übersehen werden, dass das Hotel Kosten der Ingangsetzung („Pre-opening-Kosten“) hat, dass es eine Erstausstattung an Waren und Zahlungsmitteln („Working Capital“) braucht und dass die Beratung des Betreibers während der Planungs- und Errichtungsphase diesen Geld kostet, welches noch nicht durch Umsatz verdient wird. x

Der Betreiber: Gleichgültig, ob als Pächter im Rahmen eines Pachtvertrages oder als Managementnehmer im Rahmen eines Managementvertrages: So der Eigentümer das Hotel nicht selbst führen will, ist eine Betreibervergütung anzusetzen. Solange die Rechnung – wie in Feasibility-Studien üblich – betreiberneutral erfolgt, muss hierfür ein vorläufiger Betrag eingesetzt werden, soll diese Kostenposition nicht übersehen werden. Deshalb der durchaus übliche kalkulatorische Pauschalansatz von 6,0% vom Umsatz in Tabelle 17; notabene deshalb, weil noch keinerlei Informationen zum Betreibervertrag vorliegen, somit eine mehr oder weniger „übliche“ Erwartungshaltung des Betreibers berücksichtigt werden muss.

Die Kalkulation in Tabelle 17 ist nur für volle Betriebsjahre erstellt. Die Empfehlung dazu beruht auf der Erfahrung, dass sich das Fertigstellungs- und Eröffnungsdatum im Verlauf der Planungsperiode noch verschiebt und es somit wenig Sinn macht, auf Monatsgenauigkeit zu arbeiten. Die Durchrechnung zeigt, dass unter den getroffenen Annahmen die NOP-Gewinnschwelle („Breakeven“) erst im dritten Betriebsjahr erreicht wird. Dies ist ein durchaus üblicher Befund und muss in der Finanzierung berücksichtigt werden. Das vierte Betriebsjahr gilt im vorliegenden Beispiel als das sog. „stabilisierte“ Jahr. Erst nach einer längeren Markteinführungsphase, die standort- und konzeptabhängig zwischen drei und fünf Jahre dauert, hat das neue Hotel seine Positionierung im Markt gefunden, die Obergrenze der Preisdurchsetzbarkeit erreicht und seinen Kostenapparat eingespielt optimiert, kurz: das sog. „stabilisierte“ Ergebnis oder seine nachhaltige Ertragskraft erreicht. Von standortkonjunkturellen Ein-

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flüssen abgesehen, sind weitere Steigerungen der Folgejahre nur noch nominal. Das stabilisierte Jahr kann somit zu Recht als das „Normaljahr“ gelten und hat Bedeutung für die gesamte Wirtschaftlichkeitsvorausschau. Einmal in ihren Eckwerten festgelegt, ermöglicht die Prognose des stabilisierten Jahres, die Vorausschau nach „links“ und nach „rechts“ zu vervollständigen. Nach „rechts“ durch nominale Fortschreibung (Inflationsrate in Preisen und Kosten!), nach „links“ durch Berücksichtigung der Anlaufjahre. Die oftmals gestellte Frage, warum der Preis-Belegungszusammenhang des stabilisierten Jahres von den nominalen Zuwächsen abgesehen – für die Folgejahre zumeist unbeirrt beibehalten wird, ist rein statistisch zu beantworten: Natürlich ist jedem Beurteiler eines 20-Jahres-Prognosezeitraums klar, dass es darin Ab- und Aufschwünge geben wird, seien sie gesamtwirtschaftlicher, standortkonjunktureller oder wettbewerbsbedingter Art. Die reale Beibehaltung des „stabilisierten“ Ergebnisses stellt somit nichts anderes als den Durchschnitt zwischen Ertragshöhen und -tiefen dar. Dies wird immer wieder als anfechtbar moniert, hat sich mangels einer Prognosealternative jedoch als Branchenusus etabliert. Letztlich ist das Prognoserisiko nur durch zweierlei zu minimieren: durch zusätzliche Informationen und durch Risikopuffer. Informationen zur Entwicklung eines Hotelmarktes über fünf Jahre hinaus sind aber bereits Spekulation und damit nicht mehr Information. Es bleibt somit der Bedarf nach Sensitivitätsanalysen und nach eingebauten Risikopuffern, um das Projekt „robust“ genug, d.h. unanfälliger gegenüber negativen Prognoseabweichungen, zu machen. 3.2.9.4.3 Hotelspezifische Besonderheiten Die jahresdurchschnittliche Belegung, eine der Hauptdeterminanten der Wirtschaftlichkeit eines Hotels, ist stark von der jeweiligen Standort-Saisonalität geprägt. Die in den Hotels zu 70% geschäftlich motivierten Aufenthalte halten die Saisonalitätsausschläge noch in Grenzen, in reinen Feriendestinationen sind sie wesentlich ausgeprägter. In der typischen Großstadthotellerie folgt wegen des „Sommerlochs“ die Verteilung tendenziell einer Schmetterlingskurve. Hinzu kommen die „Wochenendlöcher“, die durch die Freitag-Abreise der Geschäftsreisenden entstehen. Hotels in starker Abhängigkeit von dieser Zielgruppe und ohne separates Wochenendgeschäft (anders als z.B. in touristisch attraktiven Städten wie London oder Paris) verbleiben oft nur vier nennenswerte Übernachtungstage bzw. -nächte. Für oftmals überhöhte Zimmerbelegungsansätze in Wirtschaftlichkeitsvorausschauen kann es keinen überzeugenderen Dämpfer geben als nachstehende vereinfachte Rechnung: Ein Stadthotel mit überwiegend Geschäftsreisenden als Gäste sei 52 Wochen im Jahr geöffnet. Es werden zehn Wochen für Ferienzeit sowie für Weihnachten und Neujahr, für Ostern, Pfingsten und „Brückentage“ abgezogen. In den verbleibenden 42 Öffnungswochen realisiere das Hotel jeweils vier Vollbelegungstage, somit 168 Tage mit 100% Zimmerbele-

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gung im Jahr. Die restlichen drei Tage dieser 42 Wochen, 126 Tage p.a., könne es nur 35% Belegung erzielen; in den verbleibenden 10 Wochen des Jahres immerhin noch 50%. Obwohl das Hotel es schafft, in den nachfragestarken Zeiten, d.h. für 46% seiner Gesamtöffnungstage im Jahr, eine 100%ige Auslastung zu erreichen, beträgt seine jahresdurchschnittliche Zimmerauslastung „nur“ gut 67% bzw. es verbleibt ein Leerstand von rund einem Drittel. Die zweite Hauptdeterminante der Wirtschaftlichkeit ist der durchschnittliche Zimmererlös, vielfach AARR „Average Achieved Room Rate“ bezeichnet. Dabei handelt es sich keineswegs um den in der Preisliste oder im Schrank ausgewiesenen Zimmerpreis. Er ergibt sich vielmehr aus dem Durchschnitt der tatsächlich realisierten Preise. Wie unterschiedlich diese sein können, ist rasch aufzuzeigen: Fünf verschiedene Zimmerkategorien (Suiten, Junior Suiten, Balkonzimmer, Standardzimmer, etc.) zu fünf verschiedenen Zeitpunkten (Messezeiten, Wochenenden, Hauptsaison, Nebensaison, Sommerpreise, etc.) ergeben für 20 verschiedene Kunden (zumeist Firmenkontrakte) im Mix zeitlicher, sachlicher und persönlicher Preisdifferenzierung bereits 500 verschiedene Preise. Bereinigt um die Mehrwertsteuer (seltener auch noch um das im Preis enthaltene Frühstück) ergeben sie die festzustellende AARR, deren Höhe angesichts eigener Reiseerfahrung von Projektbeteiligten oftmals als zu gering angesetzt empfunden wird. Tabelle 17 beinhaltet noch keine Risikoanalyse, wie überhaupt die hotelspezifischen Besonderheiten der Ertragsmechanik erst deutlich werden, wenn die markt- und standortspezifischen Risiken in entsprechenden Szenarien abgebildet werden. Dies führt in den Bereich der Sensitivitätsanalysen. Sie sind unabdingbar und mit dem erneuten Volatilitäts-Hinweis auf die Tatsache begründet, dass das Hotel die einzige Immobilie ist, welche täglich neu vermietet werden muss. Im Gegensatz zum zehnjährigen Mietvertrag für eine Büro- oder Fachmarktimmobilie liegen hierin die Risiken, aber auch die besonderen Gewinnchancen einer Hotelimmobilie. In kaum einer anderen Immobilie – von Musicaltheatern vielleicht abgesehen - kann der Preis pro Verkaufseinheit täglich neu bestimmt werden. In größeren Hotels gehören ausgefeilte Yield-Managementsysteme dagegen zum professionellen Ertragssteigerungsinstrumentarium namhafter Hotelketten. Sie funktionieren ähnlich wie der Vorhang zwischen Economy- und Business-Class im Flugzeug, der bezeichnenderweise beim Hinflug immer woanders hängt als beim Rückflug. Auslastungsabhängige Preisgestaltung praktizieren Airlines schon lange und auch die ersten Anwendungen in der Hotellerie reichen bereits rund 15 Jahre zurück. Tabelle 18 zieht das fünfte Betriebsjahr des obigen Ertragsverlaufs in vereinfachter Form heraus. Die Vereinfachung besteht darin, dass der Betriebskostenblock zusammengefasst und im Sinne der „Kostenspaltung“ in belegungsabhängige, somit variable Kosten, und in einen Fixkostenblock „gespalten“ wird. Ohne allzu akademische Unterscheidungen in „semivariable“ bzw. „sprungfixe“ Kosten seien hierbei als Fixkosten alle Vorhaltungskosten verstanden, somit auch die Personalkosten. Ruft man sich die Vorhaltungskosten als Leerstandskosten in Erinnerung, wird dies als

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sehr praxisnahe Vereinfachung deutlich: Man schließe die Eingangstüre eines Hotels, lasse eine Woche keine Gäste ein, aber halte den Betrieb aufrecht. Am Ende der Woche stelle man fest, welche Kosten weggefallen sind. Dabei wird man auf den Wareneinsatz bei Speisen und Getränken, auf nicht benutzte Wäsche, ersparten Wasserkonsum, etwas Energie und ähnliche Kleinigkeiten stoßen. Kurzum, die hohen Kosten der Betriebsbereitschaft mit ihrem Fixkostencharakter würden dann besonders augenfällig.

Betriebsjahr SUMME UMSATZ

5. Bj.

6. Bj.

7. Bj.

8. Bj.

13.130.868

11.899.911

13.130.868

14.361.825

Fixe Betriebskosten (50% der Gesamtbetriebskosten)

5.010.625

5.010.625

5.010.625

5.010.625

Variable Betriebskosten (50% der Gesamtbetriebskosten

5.010.626

4.540.904

5.010.626

5.480.349

BEREINIGTER GOP (GAP Gross Adjusted Profit)

3.109.617

2.348.382

3.109.617

3.870.851

abzüglich kalkulatorische Miete

2.348.382

2.348.382

2.348.382

2.348.382

761.234

0

761.234

1.522.469

resp. rd. 38 % vom Umsatz)

NOP

Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 18: Umsatz, GAP und NOP In Beispiel von Tabelle 18 sollen die belegungsabhängigen Kosten unter vereinfachender Einrechnung der FF&E-Ersatzbeschaffungsrücklage und des Betreiberentgelts 50% der gesamten Betriebskosten und der „fixe“ Vorhaltungskostenblock ebenfalls 50% ausmachen. Damit betragen die variablen Kosten rd. 38% vom Umsatz. Auch hier ist der warnende Hinweis angebracht, dass diese Relation keineswegs ungeprüft auf beliebige Hotelprojekte zu übertragen ist; zu vielfältig ist die Abhängigkeit von vor allem der Hotelkategorie und der Finanzierung. Im zugrunde gelegten Beispiel passiere nun Folgendes: Vom Betriebsjahr 5 auf Betriebsjahr 6 falle der Umsatz um rd. 9,4%. Im Betriebsjahr 7 kehre er auf das alte Niveau zurück, um im Betriebsjahr 8 um denselben Prozentsatz, nämlich um rd. 9,4%, zu steigen. Der NOP-Verlauf zeigt die dramatisch hohe Volatilität des Hotelergebnisses. Vom Betriebsjahr 5 auf 6 sinken nur die variablen Kosten proportional mit dem Umsatz von 5,01 Mio. Euro auf 4,54 Mio. Euro. Der Vorhaltungs-Fixkostenblock hingegen bleibt naturgemäß unverändert stehen. Die kalkulatorische Miete in Höhe von 2,35 Mio. Euro zählt zweifellos zu den Fixkosten und bleibt ebenfalls stehen (der Vereinfachung halber ohne Berücksichtigung einer Indexierung). Der NOP, das Betriebsergebnis vor Steuern, wird im Betriebsjahr 6 dadurch auf Null reduziert. Im Betriebsjahr 8 geschieht dasselbe spiegelbildlich: Der Umsatz steigt vom wiedererreichten Niveau des Betriebsjahres 5 um rd. 9,4% auf 14,36 Mio. Euro. Auch in diesem Fall bleiben die Fixkosten stehen, es wachsen nur die variablen Kosten mit dem Umsatz mit, hier von 5,01 auf 5,48 Mio.

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639

Euro. Erwartungsgemäß verkehrt sich der Kostenremanenz-Effekt ins positive Gegenteil: Der NOP verdoppelt sich. Wir halten fest: Eine Umsatzveränderung um rd. 9,4% hat gereicht, um in einem „schlechten“ Jahr das Betriebsergebnis zu vernichten und in einem „guten“ Jahr zu verdoppeln. Der kombinierte operative und Finanzleverage-Faktor beträgt 10,7. Die Anwendung eines kombinierten LeverageEffekts ist im Gegensatz zu den USA in Deutschland noch wenig verbreitet, weil als „LeverageEffekt“ überwiegend nur der sog. „Finanz-Leverage“ bekannt ist, der operative dagegen unter Deckungsbeitragsgesichtspunkten betrachtet wird. Beiden liegt aber dieselbe Mechanik stehen bleibender Fixkosten zugrunde. Der kombinierte Leverage-Faktor sagt im vorliegenden Beispiel nichts Geringeres aus, als dass unter den getroffenen Annahmen sowohl die „Talfahrt“ als auch die „Bergfahrt“ des Gewinns (NOP) 10,7mal schneller verläuft als die des Umsatzes. Die Höhe des Faktors steht in vielfältiger Abhängigkeit der Kosten- und Erlösstrukturen – in der Praxis lässt sich jedoch kaum ein kombinierter Leverage-Faktor unter 8 realisieren. Nichts kann augenfälliger zeigen, wie x

sich die hohe Volatilität des Hotelergebnisses begründet

x

unabdingbar die Kenntnis der Ertragsmechanik eines Hotels ist, bevor man sich einem Hotelvorhaben widmet

x

notwendig Sensitivitätsrechnungen sind, um die Robustheit eines Hotelprojekts auszutesten

x

gefährdet „eng“ finanzierte Hotelprojekte sind

x

wichtig der Einbau von Sicherheitsreserven und –puffern ist

x

begründet die Behauptung ist, dass man unter entsprechenden konjunkturellen Rahmenbedingungen mit guten Hotelprojekten mehr verdienen kann als mit anderen gewerblichen Immobilien.

3.2.9.5

Vertragsformen in der Hotellerie

Natürlich gibt es noch Hotels, in denen Eigentümer und Betreiber identisch sind. Vom Regelfall der Vorkriegszeit ist diese Identität jedoch aus einer Reihe von Gründen zum Ausnahmefall geworden, worunter bilanzschonende zu den Hauptgründen zählen. Zur Hotelentwicklung von heute gehört der Betreibervertrag mit einer Hotelgesellschaft. 3.2.9.5.1 Grundzüge von Betreibervertragsverhandlungen Eine leistungsfähige Hotelgesellschaft verfügt mindestens über: x

einen starken Markenbekanntheitsgrad

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x

eine ausreichend große Marketing- und Verkaufsinfrastruktur

x

den Anschluss an ein internationales Reservierungssystem

x

Yield-Managementinstrumente

x

normierte und in Handbüchern festgelegte Betriebsabläufe

x

ein Total-Quality-Management-System

x

ein kontinuierlich zur Anwendung kommendes Personalschulungsprogramm.

Vertragsverhandlungen streiten nach gängiger Auffassung um Anteile an einem Ertragskuchen. Das setzt schon einmal voraus, dass die Größe des Kuchens bekannt ist, was auf die Bedeutung der Feasibility-Studie zurückführt. Mag jeder seine Zu- und Abschläge machen, aber ohne objektivierte Basis gibt es kaum einen Verhandlungsgegenstand. Tatsächlich geht es im Betreibervertrag darum, wie die angemessene Verteilung der Ertragskraft – nach Abzug dessen, was der Betrieb zu deren Aufrechterhaltung an Instandhaltung selbst braucht – zwischen Betreiber und Eigentümer auszusehen hat. Dieselbe gängige Auffassung verkennt erstaunlicherweise oft genug, dass man statt mit Prozentanteilen vom Gewinn die Verhandlung auch – und manchmal zielführender – mit dem Gespräch über die Risikoverteilung beginnen könnte. Gewinn ist immer Risikoprämie. Und gemäß dieser Binsenweisheit kann folgerichtig der Gewinn nur in jenem Maße zwischen zwei Partnern verteilt werden, wie beide das Risiko teilen. Wie aufzuzeigen sein wird, hat diese triviale Einsicht erhebliche Weichenstellungswirkung bei Hotelbetriebsführungsverträgen. 3.2.9.5.2 Mietvertrag vs. Managementvertrag Mietvertrag und Managementvertrag sind die beiden Extremata der Hotel-Vertragsformen. Im reinen Mietvertrag bezahlt der Hotelbetreiber eine feste (indexierte) Miete, die aus Sicht des Eigentümers idealerweise der von ihm gewünschten Verzinsung für das eingesetzte Kapital entspricht. Die Höhe der Miete – rechtlich etwas unscharf oft auch als „Festpacht“ bezeichnet - steht zusätzlich in Abhängigkeit von der Verteilung der Lasten aus Grundsteuer, Dach&Fach sowie der Gebäudeversicherung. Wird alles auf den Betreiber überwälzt, spricht die Praxis von sog. „triplenet-Verträgen“. Der Miet-/Festpachtverlauf ist über die Vertragslaufzeit statisch und verändert sich nur durch die Indexierung. Das Kapitalrisiko liegt zum ganz überwiegenden Teil beim Betreiber, weshalb diesem auch das volle Ergebnis nach Abzug der Festpacht verbleibt. Der Verpächter/Vermieter partizipiert in keiner Weise an überdurchschnittlichen Ergebnissen, die spiegelbildlich zur Risikovertei-

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lung vielmehr ausschließlich dem Pächter/Mieter zustehen. Es handelt sich um das typische Wunsch-Vertragsmodell eines sicherheitsorientierten Anlegers. Ganz anders der Managementvertrag: Er entstammt dem angelsächsischen Rechtsraum und ist – anders als Miet- und Pachtverträge – im deutschen Recht nicht normiert. Am ehesten entspricht er noch einem Geschäftsbesorgungsvertrag: Der Betreiber führt das Hotel „im Auftrag und auf Rechnung“ des Eigentümers (im Englischen: „acting as an agent“) und erhält hierfür ein Betriebsführungsentgelt. Im reinen Managementvertrag trägt er keinerlei unternehmerisches Risiko, dem Eigentümer steht kein garantiertes Einkommen in Aussicht. Dafür gebührt ihm allerdings das volle Betriebsergebnis nach Abzug der Managementfee, wie das Betriebsführungsentgelt zumeist genannt wird. Es wird zumeist gesplittet in einen umsatzabhängigen („Basic Fee“) und einen ergebnisbezogenen Anteil („Incentive Fee“). Die jeweiligen Bandbreiten bewegen sich zwischen 2 bis 4% vom Umsatz für die Basic Fee und zwischen 8 und 12% für die Incentive-Fee, schwanken jedoch in der Praxis stark. Im Managementvertrag verkehren sich die Verhältnisse des obigen Festpachtvertrages: Dem Betreiber gebührt außer seinen Fees kein Anteil am Betriebsergebnis, welches – konform mit der einseitigen Risikoverteilung – ausschließlich dem Eigentümer zusteht. Dementsprechend höher muss das Einkommen des Betreibers im Rahmen eines risikobehafteten Pachtvertrages sein bzw. desto niedriger sein Fee-Einkommen im Rahmen eines risikolosen Managementvertrages. Eine nicht geringe Anzahl von gescheiterten Hotelprojekten, die sich heute im Workout von Banken befinden, ist auf Außerachtlassung dieser Logik zurückzuführen. Ein Hotelprojekt mit einem Miet- bzw. Festpachtvertrag kann nur als „robust“ gelten, wenn der (realistisch) prognostizierte GOP im stabilisierten Jahr mindestens das 1,3fache der kontrahierten Festpacht beträgt. Diese Risikokennzahl entspricht letztlich dem bekannten Zinsdeckungsgrad (DSCR Debt Service Cover Ratio) und muss in ihrer Höhe deshalb nicht überraschen. 3.2.9.5.3 Neuere Entwicklungen der Praxis Eine Miete von 2,35 Mio. Euro p.a. entspricht über einen zwanzigjährigen Vertragszeitraum nominal 47 Mio. Euro, diskontiert mit z.B. 8% einem Verpflichtungsbarwert von 23,5 Mio. Euro (ohne Berücksichtigung der Indexierung). Im Zuge der Internationalisierung der Rechnungslegungsvorschriften ist dieser Barwert bei der Betreibergesellschaft als Eventualverbindlichkeit außerhalb der Bilanz auszuweisen. Das macht deutlich, dass schon wegen der damit geforderten Eigenkapitalunterlegung Hotelbetriebsgesellschaften nur wenige solcher Verträge abschließen können, was sich als entsprechendes Wachstumshindernis herausstellt. Darin liegt der Grund, weshalb USamerikanische Hotelketten immer schon den Managementvertrag bevorzugt haben.

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Aus denselben Gründen auch in Deutschland, aber auch aus allgemeinen Risikoüberlegungen und schlechten Erfahrungen mit Festpachtverpflichtungen angesichts hochvolatiler Betriebsergebnisse heraus, hat auch die deutsche Praxis Mischformen entwickelt. Reine Mietverträge sind allenfalls noch in den unteren Hotelkategorien zu finden, reine Managementverträge in Deutschland kaum finanzierbar. Als erste von der Praxis entwickelte Mischform ist der „Managementvertrag mit Garantien“ zu nennen. Innerhalb des oben aufgezeigten Managementvertragsmodells garantiert die Hotelbetriebsführungsgesellschaft ein bestimmtes Mindestbetriebsergebnis bzw. einen bestimmten Mindest-Cashflow an den Eigentümer. Die Höhe ist dabei reine Verhandlungssache. Nähert sich die Ergebnisgarantie der Höhe nach jedoch einer vergleichbaren Pacht an, wird der Hotelbetreiber auch einen Pachtvertrag bevorzugen, da ihm dieser größere Freiheiten in der Betriebsführung als der Managementvertrag gibt. Allemal aber wird der Betreiber sowohl unter Risikobegrenzungsgesichtspunkten als auch unter jenen, die sich aus dem Ausweis von Eventualverbindlichkeiten ergeben, eine Verlustobergrenze im Vertrag festlegen wollen. Diese in der Praxis „cap“ genannte Regelung sieht vor, dass der Betreiber zwar in jedem Jahr der Vertragslaufzeit das festgelegte Mindestergebnis schuldet, eigene Zuzahlungen aus negativen Differenzen zwischen tatsächlich erwirtschaftetem Ergebnis und dem geschuldeten Mindestergebnis kumuliert jedoch auf eine bestimmte Maximalsumme begrenzt bleiben. Im Fall unseres Musterhotels wäre denkbar, ein jährliches Mindestergebnis von 2 Mio. Euro zu vereinbaren, jedoch mit einem „cap“ von 6 Mio. Euro. Dies bedeutet, dass der Betreiber von weiteren Ausgleichszahlungen befreit ist, sollten sich diese zu irgendeinem Zeitpunkt der Vertragslaufzeit auf 6 Mio. Euro addiert haben. Im Sinne einer „exit clause“ wird man für diesen Fall für beide Parteien ein Sonderkündigungsrecht vereinbaren. Es bedeutet auch, dass der Betreiber nur den „cap“ in seine Eventualverbindlichkeiten einstellen muss, somit 6 Mio. Euro statt 23,5 Mio. Euro. Der cap ermöglicht ihm damit, vier solcher Verträge statt nur einem abzuschließen. Für den Eigentümer verbleibt allerdings ein zumeist äußerst unerwünschter Begleitumstand des Managementvertrages: Da in dessen Rahmen alles „im Auftrag und auf Rechnung“ des Eigentümers geschieht, liegen bei ihm auch die Arbeitsverhältnisse für die Hotelangestellten. Die deutsche Praxis hat – dabei durchaus im Gegensatz zur internationalen, die weitgehend mit Managementvertragsmodellen arbeitet – deshalb Mischformen auch für Pachtvertragsmodelle entwickelt. In Rückbesinnung auf die früher – und teilweise noch heute – in der Gastronomie üblichen Umsatzpachtverträge wurde das Umsatzpachtmodell mit einer Sockelfestpacht kombiniert und auf Hotels angewendet. Danach bemisst sich die Pacht ausschließlich als Prozentsatz vom Umsatz (vielfach mit gesplitteten Pachtsätzen für Beherbergungs- und Gastronomieumsätze), beinhaltet allerdings eine Untergrenze. Im Beispiel des Musterhotels könnte z.B. für das stabilisierte

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Jahr eine Pacht von einheitlich 19% auf alle Netto-Umsätze gelten, mindestens jedoch ein Betrag von 2 Mio. Euro. Der Vorteil für beide Parteien liegt auf der Hand: Das Risiko des Pächters ist abgefedert, der Verpächter demgegenüber partizipiert über seine Sockelfestpacht hinaus an überproportionalen Ergebnissteigerungen. Gegenüber solchen „Im-Hundert“-Modellen (die Sockelfestpacht gilt nicht zusätzlich, sondern als Minimumgarantie „innerhalb“ der ansonsten reinen Umsatzpacht) haben sich auch sog. „AufHundert“-Modelle verbreitet. Sie sehen eine Sockelfestpacht vor und – anders als im Umsatzpachtvertrag - eine in jedem Fall hinzu kommende variable Zusatzpacht. Diese Zusatzpacht kann dabei entweder umsatzabhängig oder ergebnisabhängig festgelegt werden. Andere Bezugsgrößen wie etwa die Belegung haben sich als wenig machbar erwiesen. Bei einer umsatzabhängigen Festlegung könnte die Pachtformel für das stabilisierte Jahr etwa lauten: 2 Mio. Euro Festpacht p.a. zuzüglich 3,5% vom Nettogesamtumsatz. Alle Spielformen sind denkbar, allemal wird jedoch die umsatzabhängige Zusatzpacht nicht mehr als der oft zitierte „Schnaps obendrauf“ sein können; die Partizipation des Verpächters an einer besonders guten Geschäftsentwicklung bleibt begrenzt. Eine wesentlich dynamischere Partizipation ergibt sich für ihn aus dem sog. „Lease & Profitsharing“-Modell der nachstehenden Tabelle 19:

Betriebsjahr

5. Bj.

6. Bj.

7. Bj.

8. Bj.

BEREINIGTER GOP (GAP Gross Adjusted Profit)

3.109.617

2.348.382

3.109.617

3.870.851

abzüglich Basisfestpacht

1.800.000

1.800.000

1.800.000

1.800.000

ergibt Ausschüttungsergebnis

1.309.617

548.382

1.309.617

2.070.851

davon 50 % für Pächter

654.808

274.191

654.808

1.035.425

50 % für Verpächter

654.808

274.191

654.808

1.035.425

2.454.808

2.074.191

2.454.808

2.835.425

Gesamtergebnis Verpächter

Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 19: Lease & Profitsharing-Modell Darin wird eine Basisfestpacht festgelegt und das nach deren Abzug verbleibende Ergebnis in einem frei zu vereinbarenden Schlüssel zwischen Pächter und Verpächter aufgeteilt. Tabelle 19 greift die obige GOP-Zeile nach Abzug der FF&E-Reserve auf und zieht davon zunächst eine Basispacht in Höhe von 1,8 Mio. Euro ab (aus Anschaulichkeitsgründen ohne Berücksichtigung einer Indexierung). Daraus ergibt sich eine Zwischensumme, die selbsterklärlich zumeist „Ausschüttungsergebnis“ genannt wird. Diese teilen sich im Beispiel von Tabelle 19 Verpächter und Pächter hälftig. Der Verlauf des Verpächtereinkommens zeigt, dass es erheblich mit dem Geschäftsverlauf schwankt bei gleichzeitiger Absicherung nach unten durch die Basispacht. Das Vertragsmodell

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eignet sich für einen sicherheits- wie aber auch unternehmerisch orientierten Anleger. Gemäß dem Gewinn als Risikoprämie verlangt die Logik des Vertragsmodells eine negative Korrelation zwischen Höhe der (sicheren) Basispacht und Höhe der (unsicheren) Gewinnpartizipation: Je höher die Basispacht angesetzt wird, desto geringer muss die Gewinnpartizipation des Verpächters werden und umgekehrt. Das „Lease&Profitsharing“-Modell bietet eine große Vielfalt an Ausgestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Balance zwischen „downside risk“ und „upside potential“. Das Verhältnis zwischen fester und ergebnisabhängiger Zusatzpacht kann bis hin zu einer Joint-Venture-ähnlichen Bindung der beiden Parteien führen, es kann im anderen Extrem aber auch auf den oben zitierten „Schnaps“ reduziert werden. Die Verteilung des Ausschüttungsergebnisses kann starke Incentivewirkung auf den Pächter entfalten. Sie kann ferner beliebig gestaffelt werden. So wird man evtl. in den Anfangsjahren eine andere Verteilung als für später wählen. Genau so kann der Verpächter verlangen, dass ab einem bestimmten Pächtereinkommen eine überproportionale Ausschüttung an den Verpächter erfolgt, wie umgekehrt der Pächter ab einer bestimmten Verzinsungshöhe der Investition eine bevorzugte Ausschüttung für sich verlangen könnte. In der Praxis finden sich deshalb höchst komplizierte Abschichtungs- und Subordinationsmodelle, die durchaus geeignet sind, der Unsicherheit der Prognosebasis Rechnung zu tragen, weil sie nicht eine Ergebnisprognose verteilen, sondern stattdessen in „Was-Wenn“-Szenarien die Verteilung unterschiedlicher Ergebnisverläufe regeln. Bedenken, die wegen der Gestaltbarkeit des Ergebnisses durch den Pächter gegen das Modell hie und da vorgebracht werden, sind bei einer namhaften Hotelgesellschaft heute weitgehend unbegründet. Schon um Misstrauen von vornherein auszuschalten empfiehlt sich, die Feststellung des Ausschüttungsergebnisses vertraglich zur Prüfung durch einen Wirtschaftsprüfer vorzusehen. Außerdem sind auch in diesem Modell, wie in allen anderen Vertragsformen mit Festverpflichtungsbestandteilen, für den Pächter „cap“Reglungen zur Begrenzung seines Gesamtrisikos möglich, wenngleich verständlicherweise von der Finanzierungsseite ungern zugestanden. Schließlich ist noch auf gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zu verweisen. Eine der gängigsten besteht darin, zwischen der Eigentumsgesellschaft und der Betreibergesellschaft eine Betriebsgesellschaft zu schalten, an welcher sich beide – und ggf. weitere Dritte - in zu vereinbarendem Verhältnis beteiligen. Diese Betriebsgesellschaft, die dann in der Tat als Joint-VentureGesellschaft zu charakterisieren ist, schuldet die vereinbarte Pacht an die Eigentumsgesellschaft („nach oben“) und vergibt für die Aufgaben der täglichen Betriebsführung an die Betreibergesellschaft („nach unten“) einen reinen Managementvertrag. In dieser Konstruktion fließt der gesamte betriebliche Cashflow nach Abzug der Managementfee an die dazwischen geschaltete Betriebsgesellschaft, innerhalb derer der Betreiber im Verhältnis seiner Beteiligung für die Festpacht gegenüber der Eigentumsgesellschaft haftet. Das nach Abführung der Festpacht in der Betriebsgesell-

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schaft verbleibende Ergebnis wird zwischen den Gesellschaftern – in der Reinform somit zwischen Eigentümer und Betreiber – gemäß Gesellschaftsanteilen aufgeteilt. Es handelt sich somit ebenfalls um ein Lease&Profitsharing-Modell, jedoch gesellschaftsrechtlich statt im Betriebsführungsvertrag gestaltet. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass alle hier aufgezeigten Grundmodelle sich um die Vermeidung einseitiger Risikoüberwälzung bemühen und Auswege der Praxis darstellen, jenseits von Beharrung auf Extremforderungen doch noch zum gewünschten Projektabschluss zu kommen. Die weitere Variantenvielfalt innerhalb der hier dargestellten Grundmodelle ist allerdings so groß, dass für die Verhandlungsbegleitung und die Vertragsausarbeitung nur ein auf diesem Spezialgebiet ausgewiesener Jurist hinzugezogen werden sollte. 3.2.9.6

Ausblick und Trends

Zunehmende Konzentration bei den markengebundenen Anbietern, Individualisierung zielgruppenspezifischer Themen- und Boutiquehotels, erhebliche Professionalisierung des Marktes, auch aufgrund steigender Finanzierungsanforderungen (Basel II) – die Hotelbranche bietet auch in den nächsten Jahren noch eine Reihe attraktiver und spannender Entwicklungschancen. Dazu tragen sicherlich die demografischen Entwicklungen in Deutschland und Europa, aber auch Neukombinationen von Gesundheit und Erholung sowie ein nach wie vor ungebremster Reiseboom - insbesondere bei asiatischen Gästegruppen – bei. Dabei wird es in Deutschland vor allem um die Revitalisierung von 1A-Standorten statt dem Neubau auf der grünen Wiese gehen – eine echte Chance auch für die Stadtplanung!

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.9 Enzensberger, H. M.: Eine Theorie des Tourismus; in: Merkur, Heft 126/1958. Enzensberger, H. M.: Einzelheiten I, Bewusstseinsindustrie, Frankfurt am Main 1962, S. 179-206. ghh consult GmbH Dr. Hank-Haase & Co.: Der Hotelmarkt in Deutschland, Eigenverlag 2002. INTERHOGA Gesellschaft zur Förderung des Deutschen Hotels- und Gaststättengewerbes mbH (Hrsg.): Einheitliche Betriebsabrechnung. Die Erfolgssteuerung für Hotels, 2000. Opaschowski, H. W.: Tourismus, Eine systematische Einführung; 3. Aufl., Opladen 2002.

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3.2.10

Bauten für Gesundheit

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Christian Pelzeter 3.2.10.1 Einführung 3.2.10.2 Wandel vom Krankenhaus zum Gesundheitszentrum 3.2.10.3 Kriterien zur Standortbestimmung 3.2.10.3.1 Die innerstädtische Lage 3.2.10.3.2 Die Lage außerhalb der Stadt 3.2.10.4 Funktionale Gliederung einer Gesundheitseinrichtung 3.2.10.5 Spezifische Anforderungen an die Bauweise 3.2.10.6 Aspekte zum Planungsprocedere 3.2.10.7 Kosten, Finanzierung 3.2.10.8 Ausblick Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.10

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3.2.10

649

Bauten für Gesundheit

Christian Pelzeter 3.2.10.1 Einführung Man kann sich alles kaufen, außer Gesundheit! Dieses Sprichwort aus dem Volksmund wird zunehmend in Frage gestellt – glaubt man den Werbebotschaften diverser Inserate von Privatkliniken und Fachärzten. Den Wahrheitsgrad dieser Versprechungen werden wir in nächster Zeit nicht herausfinden. Tatsache ist jedoch, dass der Markt rund um das Thema „Gesundheit“ stark in Bewegung gerät. Die zunehmende Nachfrage aktiviert am Markt eine vielschichtige Angebotsvielfalt mit starken Auswirkungen auf den Immobiliensektor. Der Ort und die gebaute Qualität der Dienstleistungserbringung „Gesundheit“ stellen hierbei einen wichtigen Wettbewerbsvor- oder auch -nachteil dar. Die Maßnahmen zur Optimierung des Standortes als Reaktion auf die vielfältigen Kundenwünsche ziehen ein erweitertes Investitionsfeld nach sich. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Aspekte, die zu einer erfolgreichen Platzierung auf dem deutschen Gesundheitssektor führen können, aus unterschiedlichen Perspektiven fokussiert. Der Augenmerk gilt einerseits der Tatsache einer zunehmenden Bevölkerungsschicht von „Senioren“, die über ausreichende Finanzkraft zur Erfüllung ihrer Wünsche besitzen, andererseits der individuellen Wahlfreiheit des informierten und mündigen Patienten. 3.2.10.2 Wandel vom Krankenhaus zum Gesundheitszentrum Der Begriff „Krankenhaus“ ist mit einem negativen Image behaftet und löst im Allgemeinen Abwehrreaktionen aus. Er wird mit Krankheit, Reduzierung der persönlichen Privatsphäre und Beeinträchtigung der sozialen Kontakte gleichgesetzt. Um die Hemmschwelle „Krankenhaus“ zu reduzieren, erfolgt vielerorts die Umwandlung in Gesundheitszentren (z.B. Klinikum Leipzig, vgl. LVZ). Dies bedeutet jedoch keineswegs nur einen Etikettenwechsel, sondern ist das Ergebnis eines tiefgreifenden Strukturwandels in der deutschen Krankenhauslandschaft. Die bisherige Trennung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung der Patienten, die jahrelange Bindung der Vergütung der Dienstleistung an „Bettentage“ im Krankenhaus wurde durch die Einführung der Fallpauschale aufgehoben. Neue Operationstechniken (z.B. invasive Chirurgie) ermöglichen kurze Eingriffszeiten und bedürfen nur einer kurzen stationären Nachbetreuung. Angestammte Betätigungsfelder der Krankenhäuser werden von niedergelassenen Ärzten übernommen. Tageskliniken mit individuell ausgerichteten Eingriffsfeldern wachsen wie Pilze aus dem Boden und fordern die etablierten Krankenhäuser auf, ihre bisherige Zurückhaltung gegenüber ambulanten Patienten zu überdenken. Die erweiterte Wahlfreiheit des Patienten führt zur offenen Konkurrenzsituation

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der Anbieter, zumal die Finanzierung durch die Krankenkassen beide Modelle erlaubt und die preisgünstigsten Anbieter einer Behandlung bei zunehmender Selbstbeteiligung durch den Patienten den Zuschlag erhalten. Wir bewegen uns weg von der Dominanz der „Götter in Weiß“, hin zu einer kundenorientierten Dienstleistung mit betriebswirtschaftlicher Denkweise. Der Patient wird als Kunde wahrgenommen, den es zu überzeugen gilt. Jedes am Markt agierende Gesundheitszentrum muss ein spezielles Servicekonzept entwickeln, um überleben zu können. Die rasche Entwicklung der privaten Krankenhausträger wird sich fortsetzen (vgl. Abbildung 148), jedoch ist bei der Entwicklung der Konzepte zu beachten, dass einem reinen Dienstleistungsunternehmen im frei-marktwirtschaftlichen Bereich Grenzen gesetzt sind. Das „kostbare Gut Gesundheit“ stellt in der baulichen Realisierung sowie im Betrieb spezielle Bedingungen, die es zu erfüllen gilt, um vom Patienten angenommen zu werden. Spezielle Rankinglisten über die Qualität von Behandlungen und Aufenthaltsqualitäten von Kliniken erscheinen im jährlichen Rhythmus und bestimmen sicherlich in gewissem Masse die Entscheidung des Patienten. Der wachsende Markt zum Thema Gesundheit führt zum Verdrängungswettbewerb – es gilt somit, sich Vorteile gegenüber den Mitanbietern zu schaffen.

Quelle: eigene Darstellung, Daten: Statistisches Bundesamt

Abbildung 148: Trägerschaft von Krankenhäusern bzw. Krankenbetten 3.2.10.3 Kriterien zur Standortbestimmung Generell sind bei der Ansiedlung von Einrichtungen für das Gesundheitswesen zwei Tendenzen zu beobachten: die Lage innerhalb oder aber außerhalb der Stadt (vgl. Wischer).

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3.2.10.3.1

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Die innerstädtische Lage

Hierzu zählt neben Neubauprojekten die Weiterentwicklung bestehender Einrichtungen zu Gesundheitszentren, wobei der Gedanke der Vernetzung mit benachbarten ambulanten Einrichtungen eine immer größere Rolle spielt. Die meist hervorragend an das innerstädtische Verkehrssystem angebundenen Liegenschaften öffnen sich aus ihrer oft jahrzehntelangen Isoliertheit zu einem „offenen“ Stadtbaustein, wobei das Krankenhaus die bisherige monokausale Ausrichtung zugunsten der stärkeren Integration von Vorsorge- und Beratungseinrichtungen (Ernährungswissenschaft, Diabetes, alternative Heilmethoden) und weiteren Serviceeinrichtungen des alltäglichen Lebens verändert. Ziel der Neuorientierung ist die Einbindung möglichst vielfältiger gesundheitsrelevanter Angebote. Ein Beispiel dafür ist die stetig wachsende Nachfrage nach ortsnahen Einrichtungen des Wellness- und Fitness-Bereiches. Hierzu zählt die Selbstverständlichkeit, vor, zwischen oder nach der Arbeit sein persönliches Fitnessprogramm vom Büro oder von Zuhause aus durchzuführen. Hierzu zählt, aufgrund der demographischen Entwicklung, in zunehmendem Maße eine medizinische Betreuung und Beratung. Es ist denkbar, dass diese Aufgaben künftig vermehrt von den Gesundheitszentren angeboten werden, besonders in Hinblick auf die Rehabilitationsmaßnahmen nach medizinischen Eingriffen. So bildet heute der Bereich der Physiotherapie eine passable Einkommensquelle bestehender Krankenhäuser, da in diesem Bereich der ambulante Patient als Kunde erkannt wurde. Das angebotene Dienstleistungsspektrum wird erweitert, um „full-service“ anbieten zu können. Die Vernetzung der Einzelelemente der Gesundheitsversorgung: wie z.B. Kliniken der Maximalversorgung, Krankenhäuser der Grundversorgung, Arztpraxen der niedergelassenen Ärzte sowie Polykliniken, Rehabilitations-Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen wie Tagesklinik und Tagespflege sowie betreutes Wohnen ermöglicht einerseits für den Patienten kürzere Wege und ein qualifizierteres Angebot an medizinischer Versorgung, andererseits ergeben sich für die Kliniken Einspareffekte, z.B. bei der notwendigen Nachbetreuung der Patienten. Für ein innerstädtisches Gesundheitszentrum ist es ein Standortvorteil, wenn die Liegenschaft über ausreichend Grundstücksfläche verfügt. So können sich die einzelnen baulichen Entwicklungsschritte mit einer möglichst geringen Störung des laufenden Betriebes vollziehen. Der notwendige Grün- und Freiraumbezug für den Genesungsprozess des Patienten muss jedoch bei der Zielausbauplanung mit berücksichtigt werden, so sollte der Patientenpark nicht als Verfügungsfläche für Neubauten verplant werden.

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3.2.10.3.2

Die Lage außerhalb der Stadt

Unter Ausnutzung besonders naturbezogener, bzw. verkehrstechnischer Lagekriterien ergibt sich das Gegenmodell zum Gesundheitszentrum in der Stadt. Hierzu zählen u.a. Rehabilitationskliniken, Wellness-Center, Plastische Chirurgie, Augenkliniken und alle Facetten alternativer MedizinAngebote. Die Investition in den Standort trägt sich durch den Erholungswert der Umgebung und die Exklusivität des medizinischen Angebotes (z.B. „Privatklinik mit Schwarzwaldblick“). Der Mehraufwand durch eine längere Anreise wird meist durch eine längere Aufenthaltsdauer gerechtfertigt. Die Behandlung wird speziell auf den Patienten ausgerichtet und umfasst eine hohe persönliche Betreuung. Dies impliziert meist eine private Trägerschaft und eine private Eigenfinanzierung durch den Patienten. Ein zunehmender Gesundheitstourismus wird weitere Investitionen im Immobilienbereich generieren. Hierbei ist auch die Tendenz zu erkennen, dass neben der rein medizinischen Behandlung alle Dienstleistungsangebote für Freizeit und Tourismus angeboten werden, um den gehobenen Ansprüchen gerecht zu werden. Die bauliche Ausformung wird von der Individualität des Standortes beeinflusst und unterstützt die Schaffung einer nach außen hin erkennbaren Marke. Das ganze gipfelt in der Vorstellung eines 5-Sterne-Gesundheits-Hotels, die auch ein Kreuzfahrtschiff erfüllen könnte. In naher Zukunft ist auch denkbar, dass wegen der verkehrsgünstigen Lage von Flughäfen vor Ort auch medizinische und gesundheitsfördernde Angebote bereitgestellt werden. Hierbei liegt der Vorteil in einer schnellen Erreichbarkeit und der sinnvollen Nutzung von Wartezeiten. 3.2.10.4 Funktionale Gliederung einer Gesundheitseinrichtung Ein Gesundheitszentrum stellt ein komplexes System unterschiedlicher Funktionsbereiche dar. Die DIN 13080 (Gliederung des Krankenhauses in Funktionsbereiche und Funktionsstellen) gibt hierbei eine Orientierungshilfe, wobei die einzelnen Funktionsstellen durch eine numerische Matrix den Funktionsbereichen zugeordnet werden. Zur Annäherung an das komplexe System „Krankenhaus“ werden die übergeordneten Funktionsbereiche im Folgenden kurz erläutert unter Hervorhebung der aktuellen Entwicklungstendenzen. Funktionsbereich 1: Untersuchung und Behandlung Funktionsbereich 2: Pflege Funktionsbereich 3: Verwaltung Funktionsbereich 4 Soziale Dienste Funktionsbereich 5: Ver- und Entsorgung

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Funktionsbereich 6: Lehre und Forschung Funktionsbereich 7: Sonstiges Funktionsbereich 8 Betriebstechnische Anlagen x

Funktionsbereich 1: Untersuchung und Behandlung

Die Kernkompetenz einer jeden Gesundheitseinrichtung definiert sich u.a. durch die Angebotsvielfalt und Qualität der unterschiedlichen Diagnostik und Behandlungseinrichtungen. Neben dem klassischen Arztdienst mit dem Untersuchungszimmer für das persönliche Gespräch, wächst zunehmend der Einfluss der bildgebenden Verfahren zur Krankheitsdiagnose. Hierzu zählen einerseits die klassische kardiologische und neurologische Funktionsdiagnostik und die Möglichkeiten der Endoskopie, andererseits entwickeln sich in immer kürzeren Abständen die Produktlinien für die Röntgendiagnostik, Kernspintomographie, nuklearmedizinische Diagnostik sowie die Strahlentherapie (vgl. Riethmüller). Bei der Planung einer Gesundheitseinrichtung sollte man den „Werbeeffekt“ der angebotenen medizintechnischen Ausstattung, bedingt durch eine zunehmende Technikgläubigkeit der Patienten, nicht unterschätzen. Im Bereich der operativen Eingriffe fokussiert sich die Entwicklung aufgrund von neuen Operationstechniken, z.B. minimalinvasiver Chirurgie, auf die Möglichkeit des ambulanten Operierens. Die hygienischen Anforderungen sind mit denen der „klassischen“ Operation gleichzustellen, der wesentliche Unterschied für den Patienten besteht darin, dass er nach dem Eingriff und einer kurzen Nachbetreuungszeit nach Hause entlassen werden kann, da die Wundgröße dies zulässt. Diese Tendenz stellt die Geschäftsgrundlage vieler Einrichtungen unter dem Oberbegriff „Tagesklinik“ dar. Hierbei wird einerseits dem Wunsch des Patienten nach schneller Mobilität entsprochen, andererseits kann der Genesungsprozess in privater Atmosphäre erfolgen. Dieses System verlangt zur sicheren Nachbetreuung ein funktionierendes Netz von ärztlicher Hilfe und ggf. häuslicher Pflege. Eine weitere Tendenz besteht in der Schaffung von Gemeinschaftspraxen bis zur Größe von Polykliniken. Der Vorteil für den Patienten liegt auf der Hand: Die Angebotsvielfalt von mehreren Ärzten verkürzt den Zeit- und Wegeaufwand. Im Sinne der Betreiber ergeben sich Synergieeffekte bei der Außendarstellung sowie Einsparungen bei der Bewirtschaftung und der Nutzung gemeinschaftlicher Bereiche wie Empfang, Anmeldung und Warten. x

Funktionsbereich 2: Pflege

Aufgrund der stetig gesunkenen durchschnittlichen Aufenthaltsdauer eines Patienten im stationären Bereich (vgl. Abbildung 149) erfolgt ein rigoroser Bettenabbau in den öffentlichen Krankenhäusern. Dies ist nicht nur eine Folge der medizinischen Entwicklung sondern auch ein Ergebnis der aktuellen Gesundheitsreform.

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Der Bettenspiegel gibt Auskunft über die Anzahl von Zimmern für ein bis max. vier Betten. Der bisherige Standard sieht ein Zweibettzimmer mit innenliegender Nasszelle vor, das eine Kommunikation zwischen den Patienten ermöglicht. Das klassische Einbettzimmer gewährt eine größere Privatheit und ist auch aus medizinischer Hinsicht in einem gewissen Ausmaß erforderlich. Die nur noch selten gewünschten 4-Bett-Zimmer sind durch eine mobile Trennwand in zwei Zweibettzimmer aufteilbar zu gestalten. Die Begründungen für die Zusammensetzung eines Bettenspiegels sind sehr vielfältig und abhängig von spezifischen Marketingaspekten.

Bettenauslastung und Verweildauer im Krankenhaus 90 80 70 60 50 Verweildauer in Tagen

40 30

Bettenauslastung in %

20 10

2009

2007

2005

2003

2001

1999

1997

1995

1993

1991

0

Quelle: eigene Darstellung, Daten: Statistisches Bundesamt

Abbildung 149: Aufenthaltsdauer eines Patienten im stationären Bereich Die Ausgestaltung des Bettenzimmers trägt stark zur Genesung des Patienten bei und orientiert sich aus Wettbewerbsgründen zunehmend am gehobenen Hotelstandard. Die technische Ausstattung wird in Zukunft einen Monitor am Bett vorhalten, der neben TV auch den Zugang zum Internet und PC-Nutzung für den Patienten ermöglicht. Der Trend geht zu einer Zimmergröße hin, die eine flexible Belegung über die gesamte Aufenthaltsdauer eines Patienten ermöglicht. Von der medizintechnischen Ausstattung ist Intermediate Care (zwischen Intensiv- und Allgemeinpflege, bzw. nach ambulanten Eingriffen) möglich. Die

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Fläche erlaubt die Belegung mit einem oder zwei Betten je nach Wunsch und Kommunikationsbedürfnis des Patienten. Damit kann auch dem zunehmenden Wunsch von Angehörigen nach „Rooming-In“ entsprochen werden. Der Gesamtanzahl von Betten als Kenngröße eines Krankenhauses wird künftig weniger Bedeutung beigemessen werden, vielmehr zählen Aufenthaltsqualität und Serviceangebote der stationären Unterbringung. In naher Zukunft wird sich der Pflegebereich der Geriatrie und der Altenpflege von der bisherigen Ankopplung an das Krankenhaus immer stärker lösen, zugunsten neuer Formen betreuten Wohnens und den unterschiedlichen Formen von Tagespflege. Aufgrund finanzieller Aspekte und dem Wunsch des Patienten nach größtmöglicher Autonomie entstehen spezielle Betreuungseinrichtungen, die unter dem Aspekt der Kultur- und Freizeitangebote im Städtischen Kontext stehen sollten. x

Funktionsbereich 3: Verwaltung

Der Bereich der administrativen Aufnahme des Patienten ist an zentraler Stelle, am besten am Eingangsbereich zu platzieren. Die krankenhausinterne Verwaltung kann dagegen an der Peripherie der Liegenschaft angeordnet werden. Erweiterte Aufgaben kommen der Verwaltung durch die EDV-System-Organisation und -Betreuung sowie durch die Verpflichtung zur Dokumentation der Behandlung jedes einzelnen Patienten zu. x

Funktionsbereich 4: Soziale Dienste

Durch ein vielfältiges Angebot von Serviceleistungen unterstreicht eine Gesundheits-Einrichtung den Dienstleistungswillen gegenüber dem Patienten. Hierzu zählt u.a. die Cafeteria, die Bereitstellung von kalten und warmen Snacks rund um die Uhr, sowie die Möglichkeit zum Einkauf von Waren des täglichen Bedarfs, etc. (vgl. Abbildung 150). Des Weiteren zählt hierzu das Vorhandensein eines Raumes der Stille bzw. zur Andacht. x

Funktionsbereich 5: Ver- und Entsorgung

Zum reibungslosen Ablauf eines Krankenhausbetriebes zählt ein effektives Ver- und Entsorgungskonzept unter Berücksichtigung der Warenströme von Küche, Wäsche, Steril- und Allgemeingütern sowie der Apotheke. Eine effiziente Lagerhaltung und der reibungslose Güterumschlag bestimmen in erheblichem Maße die Qualität der Leistungserbringung. Die abwertende Bemerkung eines Besuchers „hier riecht es am Eingang schon nach dem Mittagessen“ ist für eine moderne Gesundheitseinrichtung keine Werbung. Die gestiegenen Anforderungen an die Abfallbeseitigung bedingen ein Entsorgungskonzept auf allen Ebenen, beginnend auf der Station.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 150: Eingangshalle Bundeswehrkrankenhaus Berlin x

Funktionsbereich 6: Lehre und Forschung

Eine praxisnahe Forschung und Lehre erfordert die räumliche Nähe zu den Untersuchungs- und Behandlungsbereichen aber auch zu den Pflegestationen. Die Ausbildungsbereiche mitsamt Hörsaalzentrum liegen schwerpunktmäßig bei den staatlichen Universitätskliniken. x

Funktionsbereich 7: Sonstiges

Hierzu zählen neben dem Rettungsdienst und dem Personalwohnen alle Dienstleistungen nach außen und von außen. Aufgrund der Auslagerung von Versorgungseinrichtungen unter Synergieoder Kostenaspekten sind hier zunehmend Veränderungen zum bisherigen Bild des Krankenhauses als autonomes Gesamtgebilde zu erwarten. x

Funktionsbereich 8: Technik

Vor der Realisierung einer Gesundheitseinrichtung sind die technischen Parameter unbedingt in die Gesamtkonzeption mit einzubeziehen. Die Notwendigkeit einer Notstromversorgung, bzw. die speziellen Anforderungen an die Lüftungstechnik und Hygiene, die Art der Wasseraufbereitung und die Dimensionierung der Kälte-und Wärmelasten sind integraler Bestandteil der Planung und der Investitions- und Betriebskosten.

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3.2.10.5 Spezifische Anforderungen an die Bauweise Die bauliche Ausformung einer Gesundheitseinrichtung richtet sich im Wesentlichen nach den Funktionszusammenhängen der internen Nutzungsbereiche. Die aktuellen städtebaulichen Konfigurationen werden meist durch ein Ensemble aus unterschiedlichen Bausteinen der Typologien der jeweiligen Zeitepochen gebildet. Vom Pavilliontyp der Jahrhundertwende, bei dem die Lüftungshygiene und der Außenbezug zur Natur entwurfsbestimmend war, bis hin zum klassischen „Breitfußtyp“ bei dem die Untersuchungs- und Behandlungsbereiche in einem Flachbau und die Pflegebereiche meist darüber oder daneben in einem mehrgeschossigen Gebäude liegen, sind alle denkbaren Mischformen vorzufinden. Die Auffächerung in einzelne Fachdisziplinen führte zu einer Zersplitterung der Gebäudeform und zu einer fehlenden Flexibilität bei sich ändernden Krankheitsfällen. Die Dominanz der „Chefärzte“ der Einzeldisziplinen führte oft zu starken Abgrenzungserscheinungen und zu aufgeblähten baulichen Hüllen. Im Sinne der Kosteneinsparung erfolgt bei Neuplanungen eine starke Ausrichtung auf den Gedanken der interdisziplinären Nutzung, d.h. die Bettenstationen und auch die Untersuchungsbereiche werden nicht mehr einem Fachbereich fest zugeordnet. Gemeinsam zu nutzende Bereiche wie Empfang, Warten und Versorgungsfunktionen stellen ein enormes Synergiepotenzial dar. Bei neuen Planungskonzepten sind die Anforderungen an Flexibilität und Wandelbarkeit im Sinne von vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten für unterschiedliche Funktionen die Hauptparameter für ein zukunftsfähige Gesundheitseinrichtung. Hierbei ist zu beachten, dass durch die Ausbildung der Primärkonstruktion, die über eine Nutzungsdauer von bis zu 100 Jahren verfügt, die Gebäudekonfiguration festgelegt wird. Das konstruktive System mit seinen tragenden Stützen und Wänden, Aufzugsschächte und Treppenkerne sowie die Festlegung der Raumhöhen, bestimmen die zukünftigen Möglichkeiten einer flexiblen Nutzung. Der raumbildende Ausbau in einer Gesundheitseinrichtung wird im Durchschnitt alle 25 Jahre komplett erneuert. Die Inneneinrichtung sowie die medizintechnischen Geräte verfügen über eine Nutzungsdauer von ca. 5 bis 10 Jahren. Es gilt, Raummodule zu entwickeln, die für eine vielfältige Nutzung herangezogen werden können. Als positives Beispiel sind hier die Gewerbebauten und die klassische Berliner Altbauwohnung der Gründerzeit zu nennen, die durch ihre Raumhöhe und Stützenspannweite eine breite Streuung von gewerblicher Nutzung aufnehmen können oder als Loftetagen erfolgreich auf dem Wohnungsmarkt mit Neubauten konkurrieren. Die Erfahrung im Krankenhaus zeigt: je unspezifischer die Bauform ist, desto flexibler ist das Gebäude für die Zukunft gerüstet.

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Besonderer Sorgfalt bedarf die Festlegung des inneren und äußeren Erschließungssystems, um Kreuzungsbereiche zwischen unterschiedlichen Nutzern zu vermeiden. Die Abhängigkeit der einzelnen Funktionsabläufe führt zu klaren Wegebeziehungen, die für das Personal möglichst kurz und für den Patienten leicht auffindbar und barrierefrei ausgestaltet sein müssen. Der Empfangsbereich sowie die Aufenthaltsqualität der Wartebereiche verlangen Transparenz nach außen. Es gilt bei der Wegeführung und der Innenraumgestaltung die physiologischen Besonderheiten der Raumwahrnehmung von Patienten zu beachten. Die optischen und akustischen Eindrücke, wie z.B. die Licht- und die Lärmempfindlichkeit können sich durch eine Krankheit verändern. Unsicherheit und daraus resultierende Angstgefühle treten vermehrt auf. Das Ambiente muss die Eigeninitiative des Patienten unterstützen und größtmögliche Privatheit sicherstellen. Die baulichen Besonderheiten im Krankenhausbau, die durch Anforderungen an Hygiene, Brandschutz, Strahlenschutz und Barrierefreiheit bedingt werden, sind frühzeitig in die Planung zu integrieren. Die technische Gebäudeausrüstung bestimmt im Wesentlichen die Festlegung der Raumhöhen und verlangt eine Abstimmung der Planung mit den einzelnen Fachdisziplinen hinsichtlich einer Nachrüstbarkeit bei sich ändernden Nutzeranforderungen. Die Integration der internen Kommunikation erfordert besondere Aufmerksamkeit; wir sind auf dem Weg zum digitalen Krankenhaus! Zum Schluss dieses Kapitels sei die persönliche Feststellung eines Architekten erlaubt, dass gerade bei der Planung von Gesundheitseinrichtungen das „Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile“. Der Erfolg einer integrierten Planung rechnet sich für den Auftraggeber im Sinne einer langfristigen Nutzungsmöglichkeit für zukünftige Herausforderungen. 3.2.10.6 Aspekte zum Planungsprocedere Zu den ersten Planungsschritten für die Erstellung einer Gesundheitseinrichtung gehört neben einer fundierten Marktanalyse die Abstimmung mit den gesundheitspolitischen Gremien und Verbänden. Der Krankenhausbedarfsplan sowie die unterschiedlichen Förderrichtlinien für Gesundheitseinrichtungen sind im ständigen Wandel und im politischen Umfeld heiß umkämpft. Die baurechtlichen Besonderheiten, wie die Krankenhausbauverordnung und weitere, regional sehr unterschiedliche Gesetze und Normen sind zu beachten. Ein überschlägiges Raum- und Funktionsprogramm lässt erste Aussagen zu der baulichen Form zu und stellt eine Diskussionsgrundlage für den Dialog mit dem potenziellen Nutzer, bzw. Käufer dar.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 151: Planung der Planung

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Bei einer Umnutzung oder einer Erweiterungsmaßnahme ist oft die Erstellung einer baulichen Zielplanung notwendig, um die Realisierung unter der Maxime einer möglichst geringen Störung des laufenden Betriebes zu bewerkstelligen. Weiterhin sind die erforderlichen Interimsmaßnahmen aufzuzeigen, die einen genehmigungsfähigen Weiterbetrieb ermöglichen. Die fachtechnische Prüfung einer wirtschaftlich sinnvollen Mitnutzung vorhandener Bausubstanz muss frühzeitig erfolgen, um Planungs- und Kostensicherheit zu erhalten. Die Zeithorizonte für die Genehmigungsverfahren bei den Förder- und Prüfbehörden sind unbedingt in den Zeitplan mit aufzunehmen und im Vorfeld abzustimmen. Die Komplexität der Gesundheitsbauten erfordert eine Vielfalt von Fachplanern, der hohe Aufwand zur Koordination aller an der Planung Beteiligter erfordert ein erfahrenes Architektenteam. Eine vorausschauende Projektsteuerung muss die Interdependenz der einzelnen Planungsschritte erkennen und alle zum gemeinsamen Erfolg führen (vgl. Abbildung 151). 3.2.10.7 Kosten, Finanzierung Bei der Finanzierung setzen sich neben der klassischen staatlichen Zuwendung zunehmend private Trägerschaften und Betreibermodelle durch. Neben der reinen Errichtung des Bauwerkes wird immer öfter auch ein Leasing- oder sogar Betreiberkonzept nachgefragt. Hierbei ist der teilweise vorzufindende Interessenskonflikt zwischen Investor und späterem Betreiber im Vorfeld zu erörtern. Die Bedeutung der Betriebskosten wird durch die Faustformel veranschaulicht, nach der die laufenden Kosten eines Gesundheitszentrums incl. des Betriebs- und Fachpersonals bereits innerhalb von zwei Betriebsjahren die Ersterstellungskosten erreichen (vgl. Pelzeter, A.). Über den ersten Flächenansatz, gegliedert nach der DIN 13080 und nach Ausstattungsmerkmalen, lassen sich auf Basis von Kostenkennwerten die Investitionskosten abschätzen. Hierbei ist zu beachten, dass die medizintechnische Ausstattung aufgrund der großen Kostenspannbreite von Großgeräten gesondert aufzunehmen ist. 3.2.10.8 Ausblick Die Bildung von strategischen Partnerschaften zwischen Krankenhäusern untereinander sowie mit benachbarten Gesundheitseinrichtungen ist in vollem Gange und führt zu ersten Synergieeffekten bei der Gesundheitsbetreuung sowie bei der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung. Es gilt, für das jeweilige innerstädtische Areal das Entwicklungspotenzial zu erkennen und Konzepte zur gemeinsamen Ansiedlung von Dienstleistungserbringern zum Thema „Gesundheit“ unter Vernetzung ambulanter und stationärer Versorgung zu entwickeln und erfolgreich am Markt zu positionieren.

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Bei der baulichen Ausformung sind einerseits die Anforderungen an die zukünftige Flexibilität für sich wandelnde Nutzungen zu erfüllen, andererseits ist die Imagewirkung des raumbildenden Ausbaus auf die Zielgruppe unter Beachtung der finanziellen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Bei bestehenden Gebäuden des Gesundheitswesens ist auf dem Immobilienmarkt eine weitere Entwicklung zu beachten. Aufgrund der meist hervorragenden Lage innerhalb der Stadt, mit teilweise historisch wertvoller Bausubstanz, die über Prägnanz und einem hohem Identitätsfaktor verfügt, erhalten zahlreiche Hospital und Krankenhausgebäude eine Drittverwendung.

Quelle: faculty.cua.edu/pennington/Religion402/Architecture/HospitalSantaMaria.htm

Abbildung 152: Hospital Santa Maria della Scala, Siena Als Beispiel hierfür ist das ehemalige Hospital Santa Maria della Scala in Siena (vgl. Abbildung 152) zu nennen, in dessen Mauern eine Museumsstadt der Superlative entsteht (vgl. Tagesspiegel, S. 27). Es war Europas ältestes Krankenhaus, das bis vor zwanzig Jahren noch voll im Betrieb gewesen ist. Als weitere Beispiele sind das Kongresszentrum in Rom (ehemaliges Arcispedale di Santo Spirito) oder der Konzertsaal in Gent (ehemaliges Biloke Hospital) zu nennen.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.10 LVZ (Leipziger Volkszeitung ): 2. Juli 2004. Murken, A. H.: Vom Armenhospital zum Großklinikum. Die Geschichte des Krankenhauses vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. (DuMont Verlag), Köln, 1988. Pelzeter, A.: Lebenszykluskosten, in: Wischer, R./ Rietmüller, H.-U (Hrsg.): Zukunftsoffenes Krankenhaus, Wien 2007, S. 272 Rietmüller, H.-U.: Entwicklungen im Krankenhaus, in: Wischer, R./ Rietmüller, H.-U (Hrsg.): Zukunftsoffenes Krankenhaus, Wien 2007, S. 33-79. Wischer, R.: Standortkriterien, in: Wischer, R./ Rietmüller, H.-U (Hrsg.): Zukunftsoffenes Krankenhaus, Wien 2007, S. 104-108. Tagesspiegel: 24.12.2004, S. 27.

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3.2.11

Bauten für Bildung

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Hermann Schnell 3.2.11.1 Einführung 3.2.11.2 Grundlagen der Planung 3.2.11.3 Aktuelle Situation und Herausforderungen 3.2.11.4 Zukunfts-Szenarien 3.2.11.5 Schwerpunkt: Hochschulen 3.2.11.6 Spezifische Planungsverfahren für den Hochschulbau 3.2.11.7 Fallbeispiel Fachhochschule Magdeburg: Neuer Campus am Herrenkrug 3.2.11.8 Zusammenfassung und Ausblick Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.11

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3.2.11

665

Bauten für Bildung

Hermann Schnell 3.2.11.1 Einführung Bildung im Verständnis ihrer politischen und ökonomischen Funktion ist ein InfrastrukturElement ersten Ranges für zivilisierte Gesellschaften. Ambitionierte

Entwicklungsländer

begreifen

Ausgaben

in

Bildungseinrichtungen

als

existenzsichernde Zukunftsinvestitionen, die hochentwickelten Länder verfügen ausnahmslos über differenzierte Bildungseinrichtungen. Bildung bedeutet im engeren Sinn die Vermittlung von Regelwerken, Fakten und Methoden an das Individuum, damit die jeweiligen persönlichen Begabungen, Interessen und intuitiven Energien im Rahmen der organisierten Gemeinschaft zu konstruktiven Beiträgen geführt werden können. Im Weiteren gibt es das humanistische Ideal der Vermittlung eines allgemeinen, vornehmen Bildungs-Konsenses, der schon dem jungen Menschen ein umfassendes Angebot an Inspiration und Potenzialen für die eigene Entwicklung aufzeigt. Es ist zwischen Basis-, Aus- und Weiterbildung zu unterscheiden: x

Basis- und Ausbildung ist die Aufgabe von Grundschulen, verschiedenen weiterführenden Schulen sowie von Fachschulen, berufsbildenden Schulen, Akademien und Hochschulen.

x

Weiterbildung wird angeboten von Volkshochschulen, Instituten, Akademien und zunehmend auch von Hochschulen

x

Permanente Bildungsangebote mit individueller Nachfrage werden durch Bibliotheken, Dokumentationszentren und Museen bereit gestellt.

Grundsätzlich gibt es alle Bildungseinrichtungen sowohl in öffentlicher, privater und individueller Trägerschaft als auch in Sonderformen wie kirchlicher, Verbands- oder Vereins-Trägerschaft. Ein Teil der Bildungseinrichtungen muss per Gesetz in Anspruch genommen werden, typischerweise erfolgt die Steuerung der Nachfrage zwangsweise. Der große Teil der freiwillig nachgefragten Bildungseinrichtungen entwickelt allmählich eine Art wettbewerblicher AngebotsStrukturen mit Gewinnern und Verlierern. In der Geschichte waren Bildungseinrichtungen i.d.R. mit anderen Funktionen wie Klöstern oder Residenzen gekoppelt, erst seit der Aufklärung gibt es die flächendeckende Struktur eigenständiger Schulen, Hochschulen und Bibliotheken. Seit dem Mittelalter existieren in – als

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ambitionierte Einzel-Gründungen – die europäischen Traditions-Universitäten im Sinne eigener Körperschaften mit eigenen Gebäuden. 3.2.11.2 Grundlagen der Planung Im Folgenden sollen zunächst einige wichtige Aspekte beleuchtet werden. Städtebauliche Einbindung, Erreichbarkeit Bezüglich der Bauten ist zwischen urbanen und Campus-Einrichtungen zu unterscheiden : x

Urbane Einrichtungen befinden sich als Einzelfunktion oder Gruppe in einem gewachsenen oder konstruierten städtischem Kontext

x

Campus-Anlagen sind ganze Gruppen von Funktionen und Körperschaften, die – dezentral gelegen – eine eigene Mitte bilden oder bilden sollen.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 153: Innerstädtisches Hauptgebäude einer Traditions-Universität Funktionaler Aufbau Bauten für Bildung haben grundsätzlich die gleichen Hauptfunktions-Teile: x

Klassenräume, Hörsäle oder Ausstellungsräume zur direkten Wissensvermittlung entsprechend den unterschiedlichen didaktischen Konzepten

x

Büroräume zur internen Verwaltung der Bildungseinrichtung

x

Labor- und Experimentierräume und Labor- und Werkstatt-Hallen für die praktische Anwendung des vermittelten Wissens durch Schüler und Studenten. An Hochschulen dienen die Labore und Hallen auch der Grundlagen- und Auftragsforschung

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x

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Infrastruktur-Räume wie Mensa, Kioske, Aufenthalts- und Wohnräume, Sporteinrichtungen.

Historisch gewachsener Baubestand Die ältesten existierenden Bauten für Bildung stammen im Wesentlichen aus dem 18. Jahrhundert. Sie befinden sich im innerstädtischen Kontext. Aus dem 19. Jahrhundert ist ein großer standarisiert geplanter Bestand an Schul- und Museumsgebäuden in strukturell gutem Zustand vorhanden. Der Gebäudebestand an Schulen und Hochschulen des 20. Jahrhunderts ist geprägt durch große, sanierungsbedürftige Gebäudevolumen aus den sechziger und siebziger Jahren.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 154: Kommunaler Schulbau, im Wohnviertel gelegen Beiträge zur urbanen Qualität Bauten für Bildung leisten als Plattformen der Wissensvermittlung durchweg positive Beiträge zu den urbanen Strukturen in denen sie sich befinden, insbesondere wenn eine geeignete Vernetzung der Bauten mit dem öffentlichen Raum geplant und realisiert ist: x

Sympathische, jüngere, im Wesentlichen positiv motivierte und qualifizierte Zielgruppen mit teilweise lebhafter Nachfrage nach Infrastruktur, Wohn- und Ladenfunktionen

x

Exakt planbare, wenn auch teilweise stoßweise Belastung von Verkehrsmitteln

x

Geringe Anforderungen an störende, technische Logistik.

Städte mit vitalen Bildungseinrichtungen sind attraktive und vitale Städte. Im Folgenden werden die Wirkungszusammenhänge zwischen Hochschulen und urbanen Strukturen herausgearbeitet, weil die Hochschulen am Horizont aller Bildungseinrichtungen dem grössten aktuellen Veränderungsdruck unterliegen.

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Die Gebäudebeispiele aus Abbildung 153 bis Abbildung 156 zeigen mögliche Gebäude-Typen der Bauten für Bildung auf.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 155:Hochschul-Campus der sechziger Jahre des 20. Jh. 3.2.11.3 Aktuelle Situation und Herausforderungen Die Bundesrepublik Deutschland steht, ähnlich anderen europäischen Ländern, mittten in einem tiefgreifenden Wandel ihrer politischen, ökonomischen und technisch-wissenschaftlichen Strukturen, der im Wesentlichen durch die globale Vernetzung ausgelöst ist. Bildungseinrichtungen, insbesondere solche, deren Zielgruppen über selbstbestimmte Mobilität verfügen, also z.B. Hochschulen, befinden sich nach jahrhundertelanger, schützender Isolation des seinerzeit führenden deutschen Bildungs-Systems nunmehr in einem direkten, nicht nur überregionalem, sondern internationalem Wettbewerb. Im Gleichschritt mit einer globalen Neuordnung der Ökonomie sind auch Bildungseinrichtungen z.T. mit gravierenden und rasch stattfindenden Schwerpunktveränderungen der Nachfrage ihrer Zielgruppen konfrontiert. Eine Besonderheit der aktuellen Situation in Deutschland ist der bevorstehende demografische Wandel mit starker Schrumpfung der Bevölkerungszahl und in deren Vorlauf der scharfe Rückgang an Schülern und Studenten. Die bisher hierzulande gepflegte Politik der möglichst weitgehenden Angleichung der Lebensumstände in allen Regionen und damit der gleichmäßigen Versorgung mit Bildungseinrichtungen erweist sich als nicht mehr finanzierbar. Es wird also in Zukunft Gewinner- und Verlierer-Standorte bis hin zur Schliessung ganzer Kommunen oder zumindest dem Abbruch von verödeten Stadtteilen geben. Die fachliche Diskussion in der Stadtplanung ist in unserem Land um die wichtige und für die Experten neuartige Facette der „qualifizierten Schrumpfungs-Konzepte“ erweitert worden.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 156: Moderner Institutsbau Zusätzlich zu den bisher erläuterten Faktoren des aktuellen Veränderungs-Druckes stellt der Großteil der Gebäude, deren Substanz aus der Zeit vor 1975 stammt, hinsichtlich seines technischen Erhaltungszustandes und seiner nicht mehr zeitgemäßen Funktionalität einen erheblichen und bereits überfälligen Investitions-Bedarf dar, für den sämtlichen herkömmlichen Trägern die Mittel fehlen. 3.2.11.4 Zukunfts-Szenarien Die Planer und Entscheidungsträger im deutschen Bildungswesen sehen sich mit ähnlichen Aufgaben konfrontiert, wie sie einige unserer erfolgreichen Industrien bereits bewältigt haben. Es gilt, den Teufelskreis von wuchernden nicht werthaltigen Kosten, überalterten Anlagen, mangelnder Attraktivität und rückläufiger Nachfrage zu durchbrechen und mit – nach herkömmlichen Maßtäben unzureichenden Finanzmitteln – die komplette Modernisierung eines Großteils öffentlicher Bauten voranzutreiben. Unbestritten ist hierzulande die grundsätzliche infrastrukturelle Bedeutung von Bildungseinrichtungen. Daher sind derzeit viele Versuche zu beobachten, die Verwaltung der Liegenschaften in moderne effizientere Immobilien-Management-Strukturen zu überführen. Es handelt sich im Maßtab der einzelnen Objekte um Public Private Partnership-Modelle und auf der Ebene

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ganzer staatlicher oder kommunaler Gebäude-Portfolios um die Gründung von ImmobilienManagement-Gesellschaften als sogenannte Staatsbetriebe. Diese Gesellschaften sind i.d.R. scheinbar privatrechtlich organisierte Unternehmen mit kommerziellem Geschäftszweck, z.T. als Dienstleister für die öffentlichen Eigentümer, z.T. auch mit Immobilien-Eigentum. Erfolgreich in der radikalen Verbesserung der Kosten-Nutzen-Relation können diese Staatsbetriebe, deren Mitarbeiter im Wesentlichen aus den früheren Staats- und Stadtbauämtern stammen, allerdings nur dann sein, wenn sie sowohl nach modernen Management-Methoden geführt werden wie auch hinsichtlich der inhaltlichen Strategie deutliche Kurswechsel vollziehen. An die Stelle von Planungen, die auf veralteten, scheinbar einfachen, objektiven und gerechten Regelwerken beruhen, müssen differenziert entwickelte und kritisch hinterfragte Bedarfs-Ansätze treten, die zu zeitgemäßen Nutzungs- und Planungskonzepten führen, deren Kosten-WertRelation nach den spezifischen Kriterien für Bildungseinrichtungen zu messen sind. Dazu zählen z.B. angemessene Nutzungsgrade besonders teurer Funktionen wie Hörsäle und Labore sowie die einfach plan- und betreubare Flexibilität von Forschungs-Verfügungsflächen. Im Falle des positiven Effizienz-Nachweises und einer Kosten-Nutzen-Transparenz in Investition und Betrieb ist auch privates Kapital für die Sanierung unserer Bildungseinrichtungen zu gewinnen. Dies kann ebenso über die Veräußerung nicht mehr notwendiger Grundstücke und Gebäude in guten Lagen an Private geschehen wie über Mietkauf-, Leasing- und Betreibermodelle, deren Prinzip die private Investition mit einer Verzinsung durch die öffentliche Hand ist. Die im internationalen Vergleich üppig ausgebaute, wenn auch teilweise veraltete deutsche Gebäudesubstanz ist also kompakter, effizienter und gleichzeitig attraktiver zu gestalten. Dabei sind die veralteten Regelwerke des früheren Staatseigenbaus durch moderne Planungsansätze zu ersetzen, deren Vorbilder auch im Investoren-, Industrie- und Forschungsbau und in internationalen Vergleichsobjekten zu suchen sind. Als grober Richtwert gilt die mögliche Verbesserung der Investitionseffizienz um etwa ein Drittel. Durch den konsequenten Einsatz moderner Planungs- und Management-Methoden kann also z.B. die komplette Sanierung eines alten Universitäts-Standortes bei gleichbleibender Absolventen-Zahl und gleichen Forschungs-Aktivitäten um ein Drittel günstiger ausgeführt werden. Dies hat i.d.R. auch eine spätere Verbilligung der Betriebskosten um etwa ein Drittel zur Folge. Die wesentliche Aufgabe für alle Planer und Experten besteht darin, das teilweise hartleibige Gewohnheitsdenken der verantwortlichen Nutzer von Bildungseinrichtungen mittels der verständlichen Aufbereitung von geeigneten, modernen Referenz-Objekten und insbesondere mittels transparenter Simulation der jeweiligen Betriebsabläufe durch eine sachliche Ergebnis-Orientierung zu ersetzen.

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Die frühere, statisch und eher extensiv genutzte Immobilie ist durch die als flexibler und intensiver Leistungsträger betrachtete Fläche zu ersetzen. Grundsätzliche Bedarfsanalysen hinsichtlich Zielgruppen, Einzugsbereichen, Erreichbarkeiten, Flächenangeboten und Funktionsgerechtigkeit können aus dem Investorenbau übertragen werden. x

Moderne Nutzungskonzepte insbesondere für teure, technisch hochinstrumentierte Flächen mit Mehrfachnutzungen können bei modernen Industriebauten studiert und dann übertragen werden.

x

Ebenso sollten in den Erarbeitungsprozessen moderner Nutzungs-, Bau- und Planungskonzepte die aktuellen, in den erfolgreichen Industrien gepflegten Management-Methoden eingesetzt werden.

3.2.11.5 Schwerpunkt: Hochschulen Unsere Hochschulen sind die wichtigsten kapitalbildenden Einrichtungen im Sinne einer nachhaltigen Sicherung unseres Lebensstandards im internationalen Kontext. Angesichts des Anspruchs-Niveaus und den damit verbundenen Kosten in unserem Land ist klar, dass – bei erkennbar großer Mobilität von internationaler Nachfrage – wir in unserer heutigen Position nur dann überleben können, wenn wir diese Kosten mit adäquater, global anerkannter Top-EndQualität unserer Produkte und Dienstleistungen untersetzen. Zusätzlich ist Wissen zum dynamischen Wert geworden. Wissen muss in intensiver Weise erneuert und vorangetrieben werden, sonst verfällt der Wert des angebotenen Wissens rasch. Zusätzlich ist Wissen zum komplexen, systemischen Wert geworden. Früher ausreichendes Grundlagenwissen muss durch fachübergreifende Zusammenführung von Systemwissen ergänzt werden. Dies stellt vollkommen neue Anforderungen an die Struktur von Hochschulen hinsichtlich des Lehrangebotes. Besonders zu beachten ist hier die notwendige Einführung von Angeboten zu fachübergreifenden Moderations- und Management-Qualifikationen zusätzlich zum jeweiligen, fachlichen Kernwissen. Der notwendige und mögliche Anpassungsprozess der Hochschulstrukturen und der Hochschulbauten wird durch die gänzlich kontraproduktiven Motivations- und Honorierungs-Systeme, die gegenwärtig im Hochschulbereich überwiegend noch gelten, stark erschwert. Hier sind überall Versuche zu beobachten, leistungs-, erfolgs- und kosten-orientierte, objektiv-sachliche Organisationsmodelle zu entwickeln. Dies wird auch zur Veränderung der Hochschulbauten führen. Schon jetzt erkennbar ist der Trend, Hochschulbereiche, die größere logistische Anforderungen und großen Platzbedarf verursachen, wie z.B. technische Fächer wie Bauingenieurwesen mit Großlaboren konsequent auf dezentral gelegenen Campus-Bereichen anzusiedeln und damit

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innerstädtische Lagen Flächen freizumachen, die dann wiederum mit möglichst hochwertigen Funktionen wie z.B. Kongress-Einrichtungen belegt werden. Ebenso entstehen derzeit Konzepte einer angemessenen Mietbudgetierung, die zu bedeutenden Reduktionen des Flächenbedarfes und einer dichteren, intensiveren Nutzung durch die Hochschulen selbst führen werden. Generell werden die Hochschul-Liegenschaften also kompakter, strukturell klarer geordnet, mit professionellem Flächen-Management betrieben. Die dadurch mögliche Steigerung der Effizienz, bezogen auf den Mitteleinsatz, erlaubt es, auch das Erscheinungsbild attraktiver zu gestalten. Im Bürobereich werden sich die aktuellen Flächenkonzepte Desk-Sharing und Gruppenbüros mit weitgehender Standardisierung unabhängig von der hierarchischen Stellung des jeweiligen Nutzers durchsetzen. Bei den Hörsälen wird die Polarität von großen Hörsälen, die zur rationellen Vermittlung von Grundlagen-Wissen erforderlich sind und kleinen Seminar-Räumen zur intensiven GruppenArbeit verstärkt. Hörsäle und Seminar-Räume werden zusätzlich Dritten angeboten, etwa für Veranstaltungen abends und in den Semesterferien. Damit gibt es in Zukunft höhere Anforderungen an die Gestaltung, an die Logistik- und Peripherie-Funktionen und den baulich-technischen Zustand dieser Flächen. Aus den bisher eher extensiv genutzten, überwiegend der Öffentlichkeit verschlossenen Hochschulanlagen werden in Zukunft also echte Foren der Begegnung und des Wissenstransfers. Die Länder als Eigentümer der Liegenschaften werden die Standort-Notwendigkeiten der einzelnen Teile von Hochschulen und sogar ganzer Hochschulen prüfen und entsprechend Teile oder ganze Liegenschaften veräußern, um aus solchen Erlösen notwendige Sanierungen und Baumaßnahmen zu finanzieren. Die Kommunen als Hochschulstandorte wiederum trachten – im Wettbewerb der Immobilienstandorte – die Werthaltigkeit dieser Funktion und ihrer Nutzergruppen zu fördern und öffentlichkeitswirksam darzustellen. Dies wird auch zu einer neuen Qualität der Zusammenarbeit von Landes- und Kommunalbehörden führen, die bisher mit der eindimensionalen Schnittstelle des Baurechts eher neben- oder gegeneinander arbeiten.

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3.2.11.6 Spezifische Planungsverfahren für den Hochschulbau Grundlage aller bestehenden öffentlichen und öffentlich geförderten deutschen Hochschulen ist das Hochschulbaufördergesetz (HBFG), das die paritätische Finanzierung der Anlagen durch den Bund und die sechzehn Länder vorsieht. Exekutiv-Organ zur Beurteilung der Förder-Würdigkeit aller Investitionen ist der Wissenschaftsrat. Der Großteil der planerischen Normen wird von einer im paritätischen, öffentlichen Eigentum befindlichen Gesellschaft: “H.I.S. Hochschul-InformationsSysteme” verwaltet. Die Normen stammen im Wesentlichen aus den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Zum heutigen Zeitpunkt erscheinen die Hochschul-Planungsnormen überwiegend überdimensioniert, wenig flexibel und nach veralteten Kriterien, wie etwa Dienst-Hierarchien oder längst überholten technischen Anforderungen gestaltet. Die typischen Planungs- und Entscheidungswege für Hochschulbau-Investitionen erscheinen am Horizont der übrigen Bau-Investitionen wie Investoren- oder Industriebauten als bizarr langwierig, intransparent und komplex. Die wichtigste Eigenschaft der tradierten Planungsabläufe besteht insgesamt darin, direkte persönliche Verantwortung einzelner Entscheidungsträger im weiten Weg durch viele Entscheidungs-Instanzen soweit aufzuteilen, dass eine Erfolgs- oder Mißerfolgs-Zuordnung nicht mehr möglich ist. Aufgrund der inhaltlichen Komplexität der Nutzungs-Aspekte können unsere Rechnungshöfe ihrer Kontroll-Funktion bestenfalls im Ist/Soll-Vergleich von abstrakten Zahlenwerken, jedoch kaum in der fundierten Beurteilung der tatsächlichen Werthaltigkeit von Investitionen nachkommen. Darin liegt auch die Schwierigkeit begründet, privates Kapital für Hochschul-Immobilien zu gewinnen, obwohl die öffentliche Hand generell ein guter Schuldner und zuverlässiger Geschäftspartner sein müsste. Für private Investitionen sind transparente Entscheidungswege, zuverlässige Verantwortlichkeiten und verbindlich kalkulierbare Termin-Rahmen notwendig. Der Schlüssel zur notwendigen, grundsätzlichen Erneuerung unseres umfangreichen Hochschul-Liegenschaftsbestandes liegt daher in einem Methoden-Übertrag aus dem Industriebau und dessen evolutionärer Anwendung innerhalb der bestehenden Entscheidungsmechanismen: x

Qualifizierte Bedarfsplanung mit Betriebs-Simulation und Benchmarking Ausgehend von den tatsächlichen und begründet erwarteten Mengengerüsten bezüglich Studentenzahlen, Lehr- und Forschungs-Aktivitäten und der entsprechenden Personal-Ausstattung sind für die jeweiligen Fächer die Flächenbedarfe nachzuweisen. Dabei sollen die tradierten Normen durchaus als Grundlage verwendet werden, sind jedoch mit aktuellen Vergleichswerten aus dem internationalen Vergleich und aus den jeweiligen Partner-Industrien zu modifizieren.

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Konsens-orientierte Entscheidungsfindung Wegen der notwendigen Entfernung moderner Planungskonzepte von den bisher gültigen Normen müssen die beteiligten Nutzer und Entscheider in kooperativen Verfahren einbezogen und mit Verantwortlichkeit belastet werden. Dabei muss die Moderation dieser dann heterogenen Projektgruppen zur Definition von Planungen von einwandfreier, inhaltlich begründeter fachlicher Autorität getragen sein, um die notwendigen Zugeständnisse einzelner Beteiligter zu erleichtern.

x

Qualität in Planung und Bau Die insgesamt vergleichsweise große Stabilität der Nachfrage nach Hochschul-Immobilien soll als Chance begriffen werden, die traditionellen positiven Merkmale des Staatseigenbaus zu bewahren. Diese bestehen in der Gestaltqualität der Architektur einerseits und in der Pflege von mittelständisch-kreativen Markt-Strukturen andererseits. Hier können die längeren und stabileren Planungs-Zyklen zu einem beträchtlichen und dabei kosten-neutralen QualitätsVorsprung vor dem Industriebau genutzt werden.

3.2.11.7 Fallbeispiel Fachhochschule Magdeburg: Neuer Campus am Herrenkrug Situation 1995 Die Fachhochschule erfreut sich reger Nachfrage durch Studierende (Überlast 1,3), ist für Dozenten attraktiv und pflegt erfolgversprechende Industrie-Kontakte. Die räumliche Unterbringung in verschiedenen, verstreuten Anmietungen im Magdeburger Stadtgebiet unterbindet den wirtschaftlichen Betrieb und bietet ein desolates Erscheinungsbild. Räumliche Wachstums-Potentiale bestehen nicht, fachbereichs-übergreifende Forschungs-Aktivitäten sind aufgrund der mangelnden Flexibilität und Vernetzung der Liegenschaften stark erschwert. Das Land Sachsen-Anhalt hat eine ehemals als Kaserne genutzte Liegenschaft mit Bestandsbauten in einer hervorragenden Campus-Lage für die Fachhochschule bereitgestellt (vgl. Abbildung 157). Eine konventionelle Raumbedarfsermittlung dient als Grundlage eines offenen Architekten-Wettbewerbes. Ein renommierter Architektur-Professor erringt den ersten Preis. Der Entwurf ist bis ins Detail geplant und mit Kosten von ca. 140 Mio. Euro geschätzt. Die Planung zeigt z.B. für die einzelnen Fachbereiche jeweils maßgeschneiderte, vollkommen inflexible Raumstrukturen. Aufgrund dieser offensichtlichen Sinnlosigkeit wesentlicher Planungselemente, die jedoch auf das veraltete Anforderungsprofil zurückzuführen sind, gibt es einen Projekt-Stop. Im Landeshaushalt fehlen die Mittel, es sind allenfalls 80 Mio. Euro in 8 Jahresraten à 10 Mio. Euro vorhanden. Das Land sucht nach geeigneten Lösungs-Ansätzen, die insgesamt notwendige Investition sinnvoll zu tätigen.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 157: ehemalige Kaserne, Magdeburg Innovativer Planungsansatz Die preisgekrönte Planung wird verworfen, es gibt ein Planungsgutachten, das bei gleicher Anforderung im Ergebnis eine Kostenobergrenze von 80 Mio. Euro festschreibt. Die dramatische Kostenreduzierung wurde möglich durch die Kombination traditioneller Hochschulplanungs-Methodik mit modernen Industriebau Know-How, im einzelnen durch: x

kritisches Hinterfragen der Flächenbedarfe der einzelnen Fachbereiche mit angemessener Flächenaufteilung

x

kompakte Zusammenfassung und gemeinschaftliche Nutzung von teuren technischen Funktionen und Flächen

x

konsequente Betriebs-Simulation des Lehr- und Forschungsbetriebes mit wesentlicher Steigerung der Raum- und Flächen-Nutzungsgrade

x

Konsortial-Finanzierung durch örtliche Sparkasse und private Großbank mit einem dem Mittelabfluss angepassten Finanzierungsmodell

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kooperatives Pilotverfahren in der Projekt-Organisation mit privaten Projekt-SteuerungsUnternehmen.

Erfolgreiche Umsetzung Der neue Campus am Herrenkrug in Magdeburg wurde 2002 exakt im Budget fertig gestellt und bietet der Hochschule hochfunktionelle und attraktive Bauten (vgl. Abbildung 158). Die Liegenschaft wird über den Hochschul-Betrieb hinaus intensiv und vielfältig, u.a. für bedeutende internationale Kongresse genutzt. Die Hochschule wächst hinsichtlich der Studenten-Nachfrage gegen den Trend und stellt für die Landeshauptstadt Magdeburg ein höchst attraktives StandortMerkmal dar.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 158: Neuer Campus am Herrenkrug, Magdeburg 3.2.11.8 Zusammenfassung und Ausblick Die aktuell implodierenden Staatsfinanzen in Deutschland bestätigen die Notwendigkeit, Ausgaben für Bauten für Bildung nicht nur zu verringern, sondern vielmehr hinsichtlich ihrer Effizienz grundsätzlich zu verbessern. Wesentlicher kapitalbildender Faktor unserer deutschen

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Wissensgesellschaft ist die Pflege, Vermittlung und dynamische Erneuerung von Wissen und Bildung. Eine eindimensionale Reduktion von Investitionen in Wissen und Bildung würde unsere Gesellschaft nachhaltig beschädigen. Der Schlüssel zur raschen, wirtschaftlichen und erfolgreichen Sanierung unserer Hochschulbauten liegt im qualifizierten Methoden-Übertrag aus dem modernen Investoren- und Industriebau. Dies verlangt neuartige Planungsverfahren, die von einigen, innovativ operierenden Behörden und deren Dienstleistern aus der Wirtschaft in unserem Land bereits praktiziert werden. Erfolgreich geplante und ausgeführte Beispiele dafür können sowohl im Gebäudebestand höchst renommierter Traditions-Hochschulen, etwa der RWTH Aachen oder der Technischen Universität München wie auch im Zusammenhang mit den großen Strukturänderungen in den neuen Bundesländern studiert werden.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.11 Allen, T.: Managing the flow of technology, MIT, Massachusetts 1993. Bertelsmannstiftung (Hrsg.): Hochschulpolitik im internationalen Vergleich, Gütersloh 1993. Benevolo, L.: Die Geschichte der Stadt, Campus-Verlag, Karlsruhe 1990. Brooks, B.: Frank Lloyd Wright; Taliesin, ADA, Tokyo 1990. Fiedler, J.: Bauhaus, Könemann-Verlag, Köln 1999. o. V.: HIS Kurzinformation Bau und Technik B2/2000 , Planungs- und Reorganisationsvorhaben in der wissenschaftlich-technischen Infrastruktur der Hochschulen, Hannover 2000. o. V.: HIS Kurzinformation Bau und Technik B1/2001, Bedarfsplanung Gebäudemanagement, Hannover 2001. o. V.: HIS Kurzinformation Bau und Technik B4/2003, Raumhandelsmodelle: Konzeption und Ausgestaltung monetärer Anreizsysteme, Hannover 2003. Ritter, S./Strübel, L.: Liegenschafts- und Flächenmanagement 2003, Hochschulisches Liegenschafts- und Flächenmanagement in ausgewählten europäischen Ländern, Hochschulplanung Band 162, HIS GmbH, Hannover 2003. Scharpenberg, N.: Wie Deutschland die Zukunft gewann, Ulstein-Verlag, Frankfurt 1996. Schleiter,

W.:

Historische,

Projektentwicklung, Köln 2000.

gesellschaftliche

und

ökonomische

Grundlagen

der

Immobilien-

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3.2.12

Sakralbauten

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Norbert Verfürth 3.2.12.1 Einführung 3.2.12.2 Definition des Begriffs „sakrale Stätte“ 3.2.12.3 Eckpunkte der baugeschichtlichen Entwicklung von Sakralbauten im Überblick 3.2.12.4 Die Kirche in der gesellschaftlichen Wirklichkeit 3.2.12.5 Einflüsse auf moderne Kirchenbaukonzeptionen 3.2.12.6 Umnutzung von Kirchengebäuden Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.12

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3.2.12

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Sakralbauten

Norbert Verfürth 3.2.12.1 Einführung Die immobilienökonomischen Zusammenhänge im Umgang mit sakralen Bauten lassen sich nicht immer rein rational erklären. Einiges ist eine Glaubensfrage. Doch nur gesichertes Wissen kann die Grundlage wirtschaftlicher, kaufmännisch gesicherter Entscheidungen sein. Eine Kirche ist kein normaler Zweckbau. Die Besonderheit liegt in zwei Ursachen begründet: x

Die Sakralisierung der Gebäude

x

Die tief verwurzelten psychologischen Einflussfaktoren.

Heute müssen sich manchmal auch Immobilienkaufleute und Stadtplaner mit Sakralbauten beschäftigen. Kirchengebäude stehen teilweise zum Verkauf und werden zu privaten, geschäftlichen oder anderen gemeinnützigen Zwecken umgebaut. Die Amtskirche als Eigentümer sakraler Bauten ist nicht mehr grundsätzlich in der Lage, alle Gebäude zu pflegen und zu erhalten. Es handelt sich schließlich um historische Bausubstanz, die über Jahre dem Zahn der Zeit ausgesetzt war. Stadtplanerische Elemente sind in einem solchen Fall, oder auch für den heute eher seltenen Fall des Neubaus einer Kirche, tangiert. Es ist nicht ohne weiteres möglich, alle Verwendungszwecke in ein ehemaliges Kirchengebäude zu integrieren. Bei einer kommerziellen Nutzung einer ehemaligen Kirche als Gewerberaum oder z.B. für gastronomische Zwecke in all seinen Facetten, könnten auch moralische Bedenken Unmut in der Bevölkerung auslösen. Es gibt allerdings bereits viele Beispiele für die erfolgreiche Umnutzung von Kirchengebäuden. Der Umgang mit Sakralbauten, was z.B. Entscheidungsprozesse und die Einordnung von Beurteilungskriterien im weitesten Zusammenhang betrifft, kann nicht nach denselben Gesichtspunkten erfolgen, welche für Profanbauten gelten. Alleine mit der Definition von Sakralität wurden über die Jahre ganze Bücher gefüllt. Von Theologen und Philosophen aber auch von Architekten und Historikern wurde der Begriff immer wieder kontrovers behandelt und mal mehr oder weniger akzeptabel neu definiert. Für viele ist es eine annehmbare Vereinfachung, sakrale Bauten mit Kirchengebäuden gleichzusetzen. Es zählen unter anderem aber auch Klosteranlagen und Kapellen zu sakralen Gebäuden. Weitere sakrale Bauten neben den Kirchengebäuden werden hier nicht behandelt, da nur das eigentliche Kirchengebäude im Gemeinverständnis als Sakralbau für ein Zeichen und ein Symbol

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überirdischer Wirklichkeit steht. „Ein Kirchengebäude steht als Sakralbau als ein Zeichen und ein Symbol für eine überirdische Wirklichkeit“ (Zweites Vatikanum über die heilige Liturgie). 3.2.12.2 Definition des Begriffs „sakrale Stätte“ Bereits in der Antike und zur Zeit des ersten Römischen Reiches wurden Gebäude, welche einer überirdischen Gottheit geweiht waren, als heilig angesehen. Sakralität beruht auf der kirchlichen Weihe eines Ortes. Gerade im mitteleuropäischen Raum wird der Begriff Sakralbau häufig als Synonym für eine christliche Kirche benutzt. Tatsächlich aber sind Tempel, Synagogen oder Moscheen für die Angehörigen der jeweiligen Religion ebenfalls geweihte Orte, also sakrale Stätten, die den Glauben an eine überirdische Macht in Form einer monotheistischen Gottheit repräsentieren. Die Deutung des Begriffes „sakral“ ist auf etymologische und phänomenologische Weise möglich. Etymologisch unterscheidet das Lateinische zwischen „sanctus“ und „sacer“, wobei die deutsche Sprache beide Begriffe mit „heilig“ übersetzt. Die römisch-katholische Kirche verwendet den lateinischen Begriff „sanctus“ im Zusammenhang mit Personen oder Wesen. Im Gegensatz dazu wird das Adjektiv „sacer“, dem das deutsche Fremdwort „sakral“ etymologisch entspringt, zur Beschreibung der Eigenschaft von Dingen verwendet, beispielsweise bei „mons sacer“ – der heilige Berg. Die Begriffe „sakral“ und „profan“ sind komplementär, wobei das Sakrale, bezogen auf Sachverhalte, das Profane durch seine Exklusivität kontrastiert. Durch die Konsekration – die kirchliche Weihung – wird ein vormals profaner Bereich ausgesondert und in eine „res sacra“ umgewandelt, sodass er von seinem ehemaligen Charakter nichts mehr behält und von der profanen Welt abgetrennt ist. Es gibt seit dem 4. Jahrhundert die erste bekannte Weihung eines christlichen Gebäudes zum heiligen Ort. Mit dem phänomenologischen Ansatz der sakralen Stätte verbindet man, dass es sich um etwas Heiliges handelt. Dadurch wird speziell dieser Bereich aus dem weltlichen herausgelöst und qualitativ verändert. Wesentlich bei dieser Betrachtung ist, dass das Gründen einer sakralen Stätte bedeutet, die Anschaulichkeit der Heiligkeit zu gewährleisten und diese mit Grenzen zu versehen. Ihr soll somit eine berechtigte Existenz gegenüber dem profanen Raum bzw. der profanen Weltgegeben werden. Durch spezifisch kirchliche Bauweisen gewährleistet der historische Kirchenbau die massive Schaffung eines Sonderraumes gegenüber der Umgebung. Der Sakralbau behauptet sich topografisch wie auch aus sozialer und psychologischer Sicht als Orientierungszentrum. Das Kirchengebäude ist meist im Stadtmittelpunkt angesiedelt.

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Eine Kirche steht als deutlich sichtbares Zeichen für den festen Glauben an eine höhere Macht. Sie vermittelt dem Gläubigen eine besondere Nähe zu seinem Gott. Für den „Dialog mit Gott“, sowohl des Einzelnen im stillen Gebet als auch der Gemeinde während der Eucharistiefeier, bietet sie Raum und Schutz. Diese besinnliche Atmosphäre besitzt die Kirche für den Gläubigen neben der Raumkonfiguration auch durch die Weihe. Diese nicht greifbare Sakralität wird durch bauliche Maßnahmen und Symbole unterstützt und verstärkt. Einige dieser Merkmale waren über die Epochen durch technischen Fortschritt und gesellschaftliche Entwicklungen einem Wandel unterzogen. Viele Merkmale jedoch blieben von Beginn an bis Ende des 19. Jahrhunderts konstant. Sie tauchten unter Umständen in abgewandelter Form auf, wurden aber nie grundsätzlich verändert oder gar weggelassen. Dadurch entwickelten sich kirchliche Sakralbauten zu unverwechselbaren Gebäuden. Markante historische Merkmale bzw. Elemente sind: x

Größe

= Versammlungsmöglichkeit

x

Höhe

= sichtbares Zeichen, Dimensionserfahrung

x

Lichteffekte = gelenktes Licht, Stimmung

x

Massivität

= Stille, Meditation, Akustik

3.2.12.3 Eckpunkte der baugeschichtlichen Entwicklung von Sakralbauten im Überblick Die Basilika war ursprünglich ein Beispiel für größere Versammlungsräume, als im 4. Jahrhundert unter Konstantin dem Großen die Kirchenpolitik verändert wurde, so dass kirchliche Prachtbauten entstanden. Man nahm die Architektur öffentlicher Gebäude – Markthallen, Paläste, Gerichtshallen – zum Vorbild. Die Basilika, in der Architekturgeschichte bekannt als die einfachste Form einer langen, holzgedeckten Halle, wurde mit mehreren Seitenschiffen und einem groß dimensionierten Hauptraum ausgestattet (vgl. Abbildung 159). Longitudinal ausgerichtet, von Säulenreihen unterstützt, wurde der Blick der Gemeinde nach vorne in die halbkreisförmige Apsis gelenkt. Hier befand sich in deutlicher Separation von der Gemeinde der Sitz von Bischof und Priester. Die Kuppelkirche im östlichen römischen Reich unterstrich das meditative Element, im Gegensatz zur Architektur der konstantinischen Basilika mit ihrem longitudinalen Raum, welcher mehr institutional auf den Bischofssitz ausgerichtet war. Während in den westlichen Kirchen das Kirchenschiff Versammlungsort der Gemeinde ist, blieb in der orthodoxen Kuppelkirche das Hauptschiff für Prozessionen frei. Die Gemeinde stand in den Seitenschiffen, meditativer im intimeren Bereich einer bedeckten Agora, die eher introspektive Erlebnisse erlaubte und stimulierte. Diese besondere Form der Gottesdienstgestaltung konnte sich nur schwer in den baulichen Gegebenhei-

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ten der Basilika vollziehen. Die Hagia Sophia in Konstantinopel ist beispielhaft für diesen orthodoxen Kirchenbau. Sie wurde 537 von Kaiser Justinian fertiggestellt (vgl. Abbildung 160).

Quelle: Koepf 1971

Abbildung 159: Römische Basilika St. Pauls, 386

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 160: Hagia Sophia, 537 Der romanische Kirchenbau war die Wiederaufnahme der antiken Bautradition. Technisch waren die karolingischen Baumeister im 8. Jahrhundert nur in der Lage, die kleine Klostergewölbekuppel über verhältnismäßig geringe Spannweiten zu realisieren. Die Gebäudekonstruktion war den noch vorhandenen spätrömischen Bauten nachempfunden. Die Gebäude wurden jedoch noch grundsätzlich mit einem hölzernen Dachstuhl abgeschlossen. Der Kirchenraum bestand meist aus einem rechteckigen Raum mit traditionell nach Osten gerichteter Apsis.

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Ende des 8. Jahrhunderts begann auch die Entwicklung einer typisch deutschen Architekturform, nämlich der des Westwerks. Entsprechend der Ostausrichtung der Gotteshäuser befand sich alles Sakrale im Osten und alles Weltliche im Westen. Für den Kaiser und seinen Hofstaat wurde im Westen der Kirche ein zweites Querhaus mit einem zweiten Chor und einem zweiten Vierungsturm mit mächtigen Emporen errichtet. Die Architektur des Kirchenraumes im frühen Mittelalter wurde von einem politischen, ständischen Denken beherrscht. „Die Herrschaft ist göttlich, das Religiöse weltlich. Der Glaube gegenüber Christus wird identisch mit der Gefolgstreue gegenüber dem Kaiser. Es ist die Zeit einer totalen Politisierung der Kirche, ...“ (Schwebel, S. 297).

Quelle: Koepf 1971

Abbildung 161: Dom zu Speyer, 1106 Ein eindrucksvolles Bauwerk der spätromanischen Baukunst ist der Dom zu Speyer aus dem Jahr 1106. Besonders die massive Einwölbung der Hochräume des Speyer Doms mit Kreuzgewölben bedeutete für den Basilikabau eine Revolution. Statt des waagerechten oberen Abschlusses wurde der Raum nun gewölbt begrenzt (vgl. Abbildung 161). Der gotische Kirchenbau war eine Kontrastierung der Vermischung von Geistlichem und Weltlichem durch die romanische Baukunst. Ihr Bestreben war es, „...Religiöses von dem Nur-Weltlichen abzusondern, es jedoch gleichzeitig im Bauwerk zu verdinglichen“ (Schwebel, S. 297). Um zu verstehen, wie der gotische Sakralbau das neue, geistige und sinnliche Verlangen nach Nähe zum Reich Gottes architektonisch umsetzte, ist nur die Betrachtung eines gotischen Kirchenbauwerks nötig. Nimmt man z.B. die gotische Kathedrale mit ihren drei- bis fünfschiffigen Langhäusern, die

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in die Höhe streben, so entsteht der Eindruck, als möchte man „... die Architektur sublimieren, den Stein entstofflichen und ihn zum Träger eines Geistigen machen“ (Schwebel, S. 298).

Quelle: Koepf 1971

Abbildung 162: Kathedrale Beauvais, 1272 Die gotischen Kirchen unterscheiden sich in ihren Proportionen sowohl von den frühchristlichen als auch von den romanischen Basiliken deutlich, da die Höhe im Verhältnis zur Breite nun an Bedeutung gewann. Man erhöhte die Arkaden, um eine Unterteilung von Mittelschiff und Seitenschiffen auszuschließen. Man verschlankte die Pfeiler und nutzte darüber hinaus die vereinheitlichende Wirkung des Lichtes. Die Rippengewölbe und das System der Strebbögen und Strebpfeiler erlaubten eine enorme Reduzierung und große Öffnung des Außenmauerwerks. Die Außenwände schloss man mit großen Fensterflächen, welche visuell die biblische Botschaft übermitteln sollten. Die Silhouette der gotischen Kirche ist sehr stark vertikal gegliedert (vgl. Abbildung 162). Diese Wirkung wurde vornehmlich durch die Höhe der Türme und der tragenden Pfeiler erzielt. Gleiches gilt auch für das äußere Strebwerk. Obwohl das Strebwerk primär konstruktiv notwendig war, wurde es zu Beginn des 13. Jahrhunderts auch zu einem stilistischen Element des Gebäudes. Die konstruktiven Vorteile, die die Strebwerke ermöglichten, führten bald zu einer Erweiterung der Innenräume, indem man das Mittelschiff zu beiden Seiten mit jeweils zwei Nebenschiffen er-

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gänzte. Man griff damit zu einer im romanischen Baustil niemals aufgetretenen fünfschiffigen Basilikaform zurück. In der Renaissance zeigten sich Veränderungen im Grundriss. Der Chorraum wurde kleiner, die Vierung größer, die Vierungskuppel wurde zum beherrschenden Element. Die Zeit der hochragenden Kirchenschiffe war vorbei. Der Zentralbau mit seinem vollkommen symmetrischen Grundriss vom Kreis oder gleichschenkeligem Kreuz wurde zur architektonischen Idealform der Hochrenaissance. Er war jedoch schwer mit der römisch-katholischen gottesdienstlichen Ordnung und den fein abgestuften Hierarchievorstellungen der Zeit in Einklang zu bringen. Es setzte sich schließlich ein Kompromiss zwischen Langhaus und Zentralbau durch. Ein Beispiel hierfür ist St. Andrea in Mantua vom Ende des 15. Jahrhunderts, ein großes, von Kapellen und Seitenschiffen flankiertes Langhaus, welches mit einem breiten Querschiff verbunden ist. Die Vierung ist von einer großräumigen Kuppel gekrönt (vgl. Abbildung 163).

Quelle: Koepf 1971

Abbildung 163: St. Andrea in Mantua, 1472 Die Barockkirche war Ende des 17. Jahrhunderts eine katholische Reaktion auf die Reformation, welche zur Zeit der Renaissance auf vielerlei Wegen zu einem Machtverlust der römischkatholischen Kirche führte. Große Teile Europas waren protestantisch geworden, die Anfänge der modernen, rationalen Wissenschaften hatten zahlreiche Glaubensgrundsätze, etwa über die Form der Erde oder deren Stellung im Universum, widerlegt. Architektonisch wurde Bedeutendes geschaffen, welches sich durchaus mit der Gotik messen lässt. Die barocke Architektur schaffte eine Integration der malenden Kunst, so dass die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Täuschung manchmal zu verwischen schienen. Gemalte Architekturteile sind echten zum Verwechseln ähnlich. Gemalte Scheinarchitektur z.B. täuscht auf sanften Deckenwölbungen die Riesenhaftigkeit einer Kuppel vor.

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Quelle: Koepf 1971

Abbildung 164: Karlskirche Wien, 1725 Obwohl auch weiterhin die Basilika Grundform der barocken Kirche blieb, kam der Zentralbau wieder häufiger vor. Der Grundriss war meist kompliziert, erschien jedoch homogen aus einem Guss. Der bis dahin bevorzugte Kreis wurde durch das bewegtere Oval verdrängt (vgl. Abbildung 164). Eine höchst plastische und dynamische Architektur entstand. Die Kirche ließ sich nun bildhaft erleben. „An die Stelle des rhythmischen Mitvollzugs der mittelalterlichen Liturgie ist das anschauende Nacherleben, eine theatralisch gestaltete Sakralhandlung, getreten“ (Hager, Sp. 883). Der Kirchenbau am Anfang des 19. Jahrhunderts bevorzugte geschichtlich entwickelte Bauformen, was zur Neogotik führte. So beherrschte der Altarraum die bauliche Anlage in ihrer Ausrichtung. Der Altar war Geisteszentrum, ihm gegenüber, verbunden durch eine strenge Mittelachse, befand sich der Haupteingang. Der historisierende Eklektizismus zeigte bildhaft das Streben einer Wiederkehr zur mittelalterlichen Frömmigkeit. In Deutschland wurden als wesentliche Sakralbauten die unvollendeten gotischen Türme in Köln, Ulm und Regensburg im neogotischen Stil errichtet. Zum Kirchenbau nach dem zweiten Weltkrieg nahm katholischerseits Papst Pius XII in seiner Enzyklika „Mediator Dei“ von 1947 Stellung. Festzuhalten bleibt die Forderung, moderne Kunst in den Kirchenbau zu integrieren und die Billigung neuer Formen für die Architektur. Auch sollten Grundrisse bevorzugt werden, welche die Gemeinde enger an den Altar führen. Das II. Vatikanische Konzil machte deutlich, dass die Kirche keinen eigenen Architekturstil propagiert. Den Architekten wird Freiheit in der Gestaltung gegeben, sofern sie den Sakralbauten und den heiligen Riten mit der gebührenden Ehrfurcht dienen. Dieser zuerst in Frankreich beschrittene

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Weg der Erschaffung neuer kirchlicher Kunst und Architektursprache wurde später in ganz Westeuropa nachvollzogen.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 165: Wallfahrtskirche Notre-Dame, Ronchamp 1955 1955 etablierte der Architekt Le Corbusier durch einen Kirchenneubau in Ronchamp eine Architektur, welche nicht versuchte, alte traditionelle christliche Inhalte vordergründig zu veranschaulichen. Die wulstigen Rundungen des architektonischen Konzepts, die sich sowohl im Grundriss als auch in der Dachform zeigen, sind ein extremes Beispiel einer beginnenden innovativen Sakralarchitektur mit tiefergehender Sinnhaftigkeit (vgl. Abbildung 165). 3.2.12.4 Die Kirche in der gesellschaftlichen Wirklichkeit Welche Bedeutung die Religion im Wandel der Zeit auch einnahm, das alltägliche Leben der Menschen fand nie in der Kirche statt. Jedoch haben Kirchengebäude über alle Epochen das Leben der Menschen tief beeinflusst. Auch heute noch sind viele Menschen auf die Kirche als zentralen Bestandteil wichtiger Lebensabschnitte konditioniert, ob der Einzelne nun gläubig ist oder Atheist, ob die Kirche geistige Heimat symbolisiert oder einen ständigen Reibungspunkt darstellt. Auch junge Menschen, die den Glauben an eine höhere Wirklichkeit nicht mit ihrer humanistischen Erziehung in Einklang bringen wollen oder können, sind z.B. dennoch bestrebt, in der Kirche zu heiraten oder ihre Kinder in der Kirche taufen zu lassen. Der physikalische Bau, das Kirchengebäude an sich, ist wichtiger Bestandteil auch im Gesamtbild von Heimat. Die Kirche ist ein sichtbares Zeichen und ein Hort ihrer Gemeinde. Als Symbol und

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Erkennungszeichen hat der Kirchenbau eine Bedeutung, welche teilweise weit über die Kirchengemeinde hinweg reicht. Im Extremfall ist er, wie z.B. der Kölner Dom, sogar das Wahrzeichen einer Stadt. Für das gesamte Stadtmarketing ist er ein wichtiger Aspekt. Auch am Beispiel des Wiederaufbaus der Dresdner Frauenkirche lassen sich Rückschlüsse auf den Wert einer historischen Kirche für die Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt und für das Stadtmarketing ziehen. Der Einfluss historisch bemerkenswerter Kirchengebäude auf das städtische Erscheinungsbild und auf menschliches Lebensgefühl ist groß. Unter anderem aus den vorgenannten Gründen erfordert der Umgang mit sakralen Bauten eine besondere Sensibilität. Sowohl die Integration bestehender Sakralbauten in ein sich wandelndes Stadtbild als auch die Planung und Gestaltung neuer Sakralbauten ist eine verantwortungsvolle Aufgabe und einzigartige Möglichkeit in sich. Neben den Gottesdiensten hat das Kirchengebäude heute zusätzliche Aufgaben übernommen. Die Kirche ist auch Gemeindezentrum, Schulungsraum, Treffpunkt, etc. Multifunktionalität ist auch hier zum Merkwort geworden. Da sich die Kirche dem heutigen Menschen auch aufgrund der Übernahme sozialer Aufgaben, welche sich aus religiöser Überzeugung ergeben, mehr und mehr u.a. als soziale Gemeinschaft präsentiert, treten die klassischen sakralen Formen bei der Gestaltung neuer Kirchenräume nicht mehr in den Vordergrund. Die moderne Kirche definiert sich nicht durch Turm, ausgelassenen Stuck, Bundglasfenster, etc., sondern durch den Zweck, den sie erfüllt. Aufgrund deutlich geringerer finanzieller Mittel muss die Kirche effektiv wirtschaften. Karikative Aufgaben, die Jugendbetreuung, etc. haben in der heutigen Zeit nun Priorität vor repräsentativen Prachtbauten. Der Rückgang von Investitionen betrifft nicht nur Neubauten. Die hohen Kosten für den Erhalt und die Pflege der oft historischen Bausubstanz können von der Kirche als Eigentümer nicht mehr grundsätzlich für alle Bauten getragen werden. 3.2.12.5 Einflüsse auf moderne Kirchenbaukonzeptionen Für den heutigen Architekten ist der Bau einer neuen Kirche eine besondere Herausforderung. Andere Bauobjekte sind möglicherweise monumentaler und spektakulärer, allerdings geht die Herausforderung beim Bau einer Kirche weit über Gefälligkeit und Gebrauchswert hinaus. Bis zur Renaissance war die Sakralarchitektur Träger eines Baustils, was insbesondere in der Gotik zu einem weitgehend einheitlichen, christlichen, abendländischen Sakralstil führte. Heute, ohne einheitliche Sakralarchitektur, ist es für einen Architekten unumgänglich, den Kirchenbauentwurf sehr differenziert zu betrachten. Am Kirchenbau zeigt sich gegenwärtig auch die Kommunikationsproblematik zwischen Kirche und Gesellschaft. Man könnte vorsichtig davon sprechen, dass die christliche Kirche eine Instituti-

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on im Aufbruch ist. In welche Richtung die kirchlichen Bestrebungen führen, und in welchen Bereichen der kirchliche Öffentlichkeitsauftrag in weiterer Zukunft stattfinden soll, ist nicht definiert. Ein geeignetes architektonisches Konzept kann möglicherweise dazu beitragen, auch den modernen Menschen zu erreichen, der nur selten oder nie kirchlichen Raum betritt. Das kirchliche Gebäude wird mit der Kirche als christliche Gemeinschaft identifiziert. „Was Kirche im theologischen Sinn ist, setzen viele Menschen mit der Kirche als Gebäude gleich“ (Poscharsky, S. 46). Dieser Sachverhalt, dass die christliche Gemeinde tendenziell nicht sich selbst, sondern das Gebäude als Kirche wahrnimmt, fordert vom Architekten die Formulierung einer entsprechenden architektonischen Aussage. Das Bestreben des Architekten beim Bau einer neuen Kirche sollte sein, anders als beim traditionellen Kirchenbau, neue vielfältige Möglichkeiten mit genügend Disponierbarkeit, z.B. als Theater-, Diskussions-, Tanz-, Ausstellungsraum, etc. zu bieten. Die Adaptionsfähigkeit des Gebäudes sollte den Wandel der alltäglichen Wirklichkeit berücksichtigen und das Eindringen der Kirche in die gesellschaftliche Wirklichkeit fördern.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 166: Heilig Geist Kirche, Karlsruhe Neureut 1992 Viele verschiedene Kirchenbautypen finden heute Akzeptanz und lassen somit nur schwer eine einheitliche Richtung erkennen. Tendenziell ist jedoch die Aussage zu treffen, dass eine introvertierte, raumbezogene Architektur z.Zt. einen breiten Konsens erzielt. Die heutige gesellschaftliche Wirklichkeit verlangt nicht mehr nach pompösen extrovertierten Kirchenbauten, welche in Konkurrenz zu den weltlichen Bauten treten. Als besonders gelungenes Kirchenbauobjekt gilt die 1991 errichtete Kirche in Karlsruhe Neureut von Uhl (vgl. Abbildung 166). Der Architekt Uhl legte höchsten Wert auf räumliche Differenzierung, mit Einzelzentren im Gesamtraum, welche die bauliche Gesamtgestaltung wesentlich beherrscht.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 167: Heilig Geist Kirche, Karlsruhe Neureut 1992 In dieser Kirche spielt die besondere Spannung der einzelnen Orte im großen Gesamtraum eine wichtige Rolle. Alle Raumfiguren greifen sogar auf verschiedenen Ebenen ineinander. Der Gesamtraum ist Behältnis für niedrigere Teile, die für Versammlungen verwendet werden können, für Teile, welche von Emporen durchzogen sind, für ein zentrales, bepflanztes Atrium und ein Querhaus mit verschiedenen Richtungen und Ebenen, wo z.B. Podien und Vorführungen stattfinden können. Durch die verschiedenen, im Raum auseinanderliegenden einzelnen Zentren kann die Handlung im Raum wechseln. Raumteilung und Polyzentrik ist bei Uhls Entwurf ein wichtiger Faktor (vgl. Abbildung 167). Des Weiteren haben die klassischen Aspekte Einfluss auf Kirchenbaukonzeptionen: Die Ausrichtung des Kirchenraumes ist traditionell auf sichtbare Orte gerichtet, die sogenannten Prinzipalstücke. Diese sind der Altar als Ort der Eucharistie, die Kanzel und der Taufstein. Die Sitzordnung der gottesdienstlichen Gemeinschaft verläuft bei einem gerichteten Raum hintereinander auf parallel angeordneten Sitzbänken. Gradlinig verlaufen axiale Gänge. Hierbei ist die gottesdienstliche Gemeinschaft in Opposition zur Altarzone. Im Gegensatz dazu wird bei einer zentrierten Sitzordnung die Altarzone zur geistigen und liturgischen Mitte. Ein Problem der zentrierten Sitzordnung ist die nicht optimale akustische und visuelle Ausbreitung der gottesdienstlichen Inhalte. Eine Synthese ist der vorgeschobene Altarbereich mit ggf. gebogener Formation der aufgestellten Gemeindeplätze. Raum und Licht besitzen in der modernen Architektur einen hohen Stellenwert. Es stehen sich geschlossene und offene Raumkonzepte mit entsprechend unterschiedlichen Lichtführungen gegenüber. Die Kontrastspanne reicht von kompaktem Mauerwerk mit kleinen Lichtöffnungen über ganz in Glas aufgelöste Fassungen bis hin zu der Geschlossenheit plastischer Baustrukturen mit nicht erkennbaren Lichtquellen. Auch wird je nach den räumlichen Erfordernissen natürliches

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Licht raumunterstützend geführt. So erhält der zur Mitte hin orientierte Zentralraum eine gleichmäßige Aufhellung von den Außenwänden her, wie auch eine Akzentuierung durch ein ggf. zentrales Oberlicht. Die Richtungstendenz des Langhauses zur Altarzone wird in der Regel durch eine zum Altar zielende Lichtkonzentration betont. Das Raumprogramm ist insofern von Bedeutung, als dass in Form einer Multifunktionalität über das gottesdienstliche Handeln hinausgedacht werden muss. Dementsprechend vielseitig sollte der Kirchenbau mit seinem Raumprogramm reagieren. Der gottesdienstliche Raum muss aber weiterhin dominieren. Die unterschiedlichen Sakramente, denen jeweils eigene Handlungsformen innewohnen, erfordern vom Raumprogramm ein differenziertes Gefüge. Es besteht durchaus die Möglichkeit, in einem Einraum als Behältnis diese jeweiligen Orte gewissermaßen frei unterzubringen. Viele Architekten bevorzugen jedoch kleinere Anbauten, Nebenräume oder Seitenschiffe zur Bewältigung der unterschiedlichen Funktionen. Der Kirchturm mit seiner Bedeutung bleibt bis in die Gegenwarte zwiespältig. Für viele Gläubige gilt er noch immer als charakteristisches Zeichen des Kirchengebäudes, als Erinnerungsmal an die christliche Welt. Der Turm kann jedoch nach dem heutigen Verständnis nicht mehr Krönung der Stahlsilhouette sein. Als sachliche Aufgabe bleibt die Unterbringung der Glocken. Die Errichtung eines Turms oder Glockenständers bleibt eine offene Fragestellung, die die Gemeinde jeweils beim Bau einer Kirche neu zu beantworten hat. 3.2.12.6 Umnutzung von Kirchengebäuden Wie bereits in der Einführung erwähnt, ist es der Amtskirche als Eigentümerin von Kirchengebäuden nicht mehr möglich, alle Gebäude umfassend zu unterhalten. Noch vor 20 Jahren war es eine große Ausnahme, dass ein Kirchengebäude entweiht und einer profanen Nutzung zugeführt wurde. Heute beschäftigen sich Immobilienkaufleute immer öfter mit dem Verkauf von Kirchengebäuden. Wesentliche Gründe hierfür sind die Verkleinerung der betroffenen Kirchengemeinden und die rückläufigen Einnahmen der Amtskirche. Der Verkauf von Kirchengebäuden ist i.d.R. nur möglich, wenn diese einer neuen, wirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden können. In Ausnahmefällen werden Kirchengebäude abgerissen, um die Grundstücke zu verwerten. Da die Grundstücke meist zentral (auf den jeweiligen Ort oder Ortsteil bezogen) gelegen sind, ist dies in Einzelfällen eine Verwertungsmöglichkeit. Dem stehen allerdings die aufgrund der Massivität und der Größe des Kirchenbaus hohen Entsorgungskosten entgegen. Die meisten Kirchengebäude, welche aufgrund des Rückgangs der Gemeindegröße zum Verkauf anstehen, wurden in der Nachkriegszeit errichtet. Dies ist auf die Inflation der kirchenbaulichen Aktivitäten in dieser Zeit zurückzuführen. Ein einheitlicher bzw. übergeordneter Architekturstil

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war nicht vorhanden. Es entstanden somit auch Gebäude, welche öfter mehr der Selbstdarstellung des Architekten dienten als den differenzierten Kirchenbaunotwendigkeiten. Falls zu dem vorgenannten speziellen Faktor noch die erhebliche Verkleinerung der Gemeinde hinzukommt, ist die Entscheidung der Amtskirche zum Verkauf bzw. zur Umnutzung des Kirchengebäudes leichter zu treffen. Häufig sind die zu verkaufenden Objekte aufgrund ihrer Form und Größe durchaus exponierte Gebäude. Die Umnutzung der Kirchengebäude ist allerdings schwierig. Wegen der Größe des Versammlungsraums bieten sich nur wenige Möglichkeiten an. Hierzu zählen z.B. gastronomische Nutzungen, welche die besondere Raumatmosphäre häufig sehr gut in ihre Konzeption einarbeiten können. Gleiches gilt für die Nutzung als Sportstudio, Ausstellungs- bzw. Markt- oder Verkaufsfläche; wobei hier die Erträge der Nutzung die wirtschaftlichen Investitionen nur sehr schwer decken können. Bei kleineren Kirchengebäuden gelingt auch teilweise der Umbau zu Wohnzwecken. Durch Einziehen neuer Ebenen und geschickte Ausnutzung der Fensterflächen ergeben sich durchaus interessante Raumkonstellationen. Die Kosten eines solchen Konzepts lassen allerdings auch hier nur einen sehr beschränkten Markt zu. Die Umnutzung von Kirchengebäuden, welche unter Denkmalschutz stehen, ist jedoch deutlich schwieriger. Der Denkmalschutzaspekt ist oft, sofern er sich auch auf den Innenraum bezieht, ein Ausschlusskriterium für die Umnutzung. Sofern sich der Denkmalschutzaspekt nur auf Fassade und Gebäudeform oder auf die Konstruktion bezieht, sind architektonische Veränderungen der Innenraumkonzeptionen möglich. Je nach der Größe der Gebäude sind Haus-in-Haus-Konzepte oder vertikal gestaffelte Ebenen mit offenen Nutzflächen denkbar. Wie bei anderen Immobilien auch, spielt letztendlich die Grundstückslage eine entscheidende Rolle. Für eine zu verkaufende Kirche, auch in zentraler Lage, jedoch in einem untergeordneten Stadtteil, werden sich weniger Umnutzungsoptionen erschließen als für eine Kirche, welche in zentraler Citylage einer Großstadt steht. Nach der Entweihung einer Kirche zählen die eingangs erwähnten, tief verwurzelten psychologischen Einflussfaktoren nicht mehr. Zum Fällen der dann notwendigen kaufmännischen Entscheidungen werden – von Ausnahmen abgesehen – die marktwirtschaftlichen Aspekte über die Optionen einer Umnutzung entscheiden.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.2.12 Hager, W.: Barockkunst, in: RGG, Bd. 1, 3 Sp. 883. Koepf, H.: Baukunst im 5 Jahrtausenden, Stuttgart 1971. o.V.: Zweites Vatikanum über die heilige Liturgie. Poscharsky, P.: Ende des Kirchenbaus?, Stuttgart 1969. Schwebel, H.: Kirchenbau und kirchliche Kunst, in: Otto, G. (Hrsg.): Praktisch-theologisches Handbuch, Hamburg 1970.

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3.3

Architektur als Element von Gebäudekonzepten

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Norbert Moest 3.3.1 Einführung 3.3.2 Planungsablauf HOAI 3.3.3 Entwerfen – Der Weg von Gedanke zu Form 3.3.4 Entwerfen mit Bildern 3.3.5 Architektonische Themen 3.3.6 Konkretisierung der Aufgabenstellung 3.3.6.1 Genius loci – der Kontext 3.3.6.2 Konstruktion und Gestalt 3.3.6.3 Konstruieren 3.3.6.4 Konstruktion und Material 3.3.6.5 Tragwerk 3.3.6.6 Raumabschluss – Außenhaut 3.3.6.7 Raum und Raumbegrenzung 3.3.6.8 Raumfeld – Raumbehälter 3.3.6.9 Raum und Licht 3.3.7 Orte mit Aufenthaltsqualität 3.3.8 Qualitätvolle Architektur 3.3.9 Fazit Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.3

699 699 700 701 703 704 704 705 706 707 707 708 709 710 710 711 712 713 715

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3.3

699

Architektur als Element von Gebäudekonzepten Norbert Moest

3.3.1 Einführung “Ein Buch kann man zuschlagen und weglegen. Musik kann man abschalten und niemand ist gezwungen, ein Bild aufzuhängen, das ihm nicht gefällt. An einem Haus aber kann man nicht vorbeigehen, ohne es zu sehen. Architektur hat die größte gesellschaftliche Wirkung.” Bundespräsident Rau, auf dem ersten Konvent der Baukultur, April 2003 Die Qualität der gebauten Umwelt, mit der wir uns täglich konfrontiert sehen, besitzt einen hochrangigen gesellschaftlichen Wert. Doch damit qualitätvolle Architektur entstehen kann, bedarf es einer Gesellschaft, die unserer gebauten Umwelt einen hohen Stellenwert gibt. Nur dann kann eine Baukultur entstehen, wenn diese von den Menschen, die sich darin bewegen, für wichtig und wertvoll gehalten wird. “Die Masse des Gebauten hat mit Architektur nichts zu tun. Es verdankt sich keinem architektonischen Entwurf, ist lediglich Ergebnis von Planung. Die meisten Architekten – richtiger Planverfertiger – entwerfen keine Bauten, sie planen nur welche.” So äußerte sich Kücker, ehemals Präsident des Bundes Deutscher Architekten (BDA), in dem Artikel “Der Geist weht wo er will”. Diese provozierende Kritik geht davon aus, dass dem Entwerfen bzw. der architektonischen Idee im Planungsprozess eine oftmals untergeordnete Rolle zugestanden wird. In dem Maße jedoch, in dem der architektonische Gedanke zurückgedrängt wird, entstehen Gebäude, die eine gewisse Bedeutungslosigkeit oder auch Beliebigkeit zum Ausdruck bringen. Es werden Gebäude realisiert, die den Gestaltwillen einer Person vermissen lassen. Planen und Entwerfen sind jedoch keine sich ausschliessenden Tätigkeiten. “Planen bedeutet das überlegte, rational analytische Vorbereiten einer Maßnahme, um durch Synthese ein bestimmtes Ziel mit angemessenem Aufwand zu erreichen. Um ein gesetzes Ziel zu erreichen, ist eine zeitliche Abfolge und Koordination erforderlich. Die gedanklich getroffenen Festlegungen werden anderen zugänglich gemacht. Die Planung wird in einer allgemein verbindlichen Art dokumentiert” (Ackermann, S. 13). 3.3.2 Planungsablauf HOAI Bei der Bauplanung wird die Ausführung einer Baumaßnahme vorbereitet. Wirtschaftliche, technische und gestalterische Parameter sind hierbei zu berücksichtigen. Bauplanung und Bauausführung machen erst die Realisierung einer Bauaufgabe möglich. Eine wohldurchdachte und qualitätvolle Planung bestimmt zum einen die Qualität des Bauwerkes und zum anderen den

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(reibungslosen) Ablauf des Bauprozesses und damit auch einen wirtschaftlichen Bauprozess (vgl. Ackermann, S. 13). Doch leider mangelt es oftmals an einer dem Bauen vorgeschalteten, qualitativ anspruchsvollen Planung. In der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) ist der Planungsablauf in neun Abschnitte, sogenannte Leistungsphasen (Lph), eingeteilt (HOAI, S. 21-28). x

Lph 1: Grundlagenermittlung Ermitteln der Voraussetzungen zur Lösung der Bauaufgabe durch die Planung

x

Lph 2: Vorplanung (Projekt- und Planungsvorbereitung) Erarbeiten der wesentlichen Teile einer Lösung der Planungsaufgabe

x

Lph 3: Entwurfsplanung (System- und Integrationsplanung) Erarbeiten der endgültigen Lösung der Planungsaufgabe

x

Lph 4: Genehmigungsplanung Erarbeiten und Einreichen der Vorlagen für die erforderlichen Genehmigungen oder Zustimmungen

x

Lph 5: Ausführungsplanung Erarbeiten und Darstellen der ausführungsreifen Planungslösung

x

Lph 6: Vorbereitung der Vergabe Ermitteln der Mengen und Aufstellen von Leistungsverzeichnissen

x

Lph 7: Mitwirkung bei der Vergabe Ermitteln der Kosten und Mitwirkung bei der Auftragsvergabe

x

Lph 8: Objektüberwachung (Bauüberwachung) Überwachen der Ausführung des Objekts

x

Lph 9: Objektbetreuung und Dokumentation Überwachen der Beseitigung von Mängeln und Dokumentation des Gesamtergebnisses.

Weitergehende Informationen über die Leistungsphasen nach HOAI finden sich in Immobilienökonomie Band II, Rechtliche Grundlagen, Kapitel 7.2. 3.3.3 Entwerfen – Der Weg von Gedanke zu Form Innerhalb dieses Planungsprozesses ist die Entwurfsplanung von entscheidender Wichtigkeit. Entwerfen ist jedoch nicht als losgelöster “künstlerischer Akt” zu sehen. Entwerfen muss vielmehr die vielfältigen Anforderungen, die an das Gebäude gestellt werden, angemessen im gesamten Planungsprozess integrieren.

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In der HOAI ist die Entwurfsplanung folgendermaßen definiert: “Durcharbeiten eines Planungskonzeptes, stufenweise Erarbeitung einer zeichnerischen Lösung unter Berücksichtigung städtebaulicher, gestalterischer, funktionaler, technischer, bauphysikalischer, wirtschaftlicher, energiewirtschaftlicher und landschaftsökologischer Anforderungen unter Verwendung der Beiträge anderer an der Planung fachlich Beteiligter bis zum vollständigen Entwurf” (HOAI, S. 23). Es gibt eine spezifische architektonische Art des Arbeitens, die folgendermaßen gekennzeichnet ist: Entwerfen heißt, aus einem verbal formulierten Programm (Nutzungsart, geforderte Flächen, Anzahl der gewünschten Einheiten, etc.), aus dem stadträumlichen und landschaftlichen Kontext und den eigenen, inneren Vorstellungen ein räumlich konstruktives Ganzes, eine architektonische Form zu erarbeiten. Entwerfen ist ein Umsetzungsvorgang von Gedanke zu Form, ein Umsetzungvorgang von Anforderungen, Vorstellungen und Visionen in ein räumlich konstruktives Gebilde, in ein architektonisches Ganzes. Gedanken wird eine Physis, ein Körper gegeben. Ideen nehmen Gestalt an, Denkfiguren werden materialisiert. Architektur ist als Resultat einer Summe von persönlichen Erfahrungen zu sehen. Insofern könnte das Entwerfen wohl als künstlerischer Akt gesehen werden. Richtiger jedoch wäre es, das Entwerfen als einen persönlichen Akt der Meinungsäußerung zu sehen. Architektur ist als Resultat einer Summe von Erfahrungswelten derjenigen zu sehen, die den Umsetzungsvorgang von Gedanke zu Form leisten. Dieser Umsetzungsvorgang – das Entwerfen – findet im Kopf statt und ist äußerst schwer kommunizierbar. Diese Tatsache widerum macht das Entwerfen so umstritten und so wenig durchschaubar. 3.3.4 Entwerfen mit Bildern In einem Vortrag äußerte sich der Architekt Rossi wie folgt: „Wenn man sich mit den Dingen beschäftigt, beschäftigt man sich mit seiner Erinnerung.“ Wenn man sich mit Architektur beschäftigt, beschäftigt man sich ebenfalls mit seiner Erinnerung, mit Gesehenem, mit Bildern im Kopf. Architektur kann ohne Erinnerungen, ohne in sich aufgenommene Bilder nicht entstehen. Das was wir machen, trägt das Echo des Gesehenen in sich. Das Zitat: „Wir sind die Summe unserer gelebten Tage.“ wird dem Künstler Grieshaber zugeschrieben. Bei einem Architekturwettbewerb, z.B. dem des Bundeskanzleramtes in Berlin, war die Aufgabenstellung mit einem vorgegebenen Raumprogramm und einem ausgewiesenen Grundstück für alle Wettbewerbsteilnehmer identisch. Dennoch entsprach die Zahl der oftmals völlig unterschiedlichen Lösungsansätze (architektonischer Ideen) exakt der Zahl der eingereichten Wettbewerbsbeiträge. Das heißt doch, dass der Umsetzungsvorgang von Gedanke zu Form bei jedem der Wettbe-

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werbsteilnehmer unterschiedlich abgelaufen ist. Jeder Wettbewerbsteilnehmer hat andere Bilder in sich aufgenommen, hat andere Bilder aus der gelebten Erinnerung abgerufen, hat eine andere Geschichte. Das heißt wiederum, dass der Umsetzungsvorgang von Gedanke zu Form, die Synthese, in jedem Kopf unterschiedlich abgelaufen ist. Die Person ist wesentlich in der Architektur – die Person mit ihrer erlebten Geschichte, die Person mit den in sich aufgenommenen Bildern. Bilder sind eine Form der Erfahrung. „Der Vorgang des Denkens ist nicht abstrakt, sondern arbeitet mit räumlichen Bildern. Er hat eine sinnliche Komponente. Er bedient sich der Bilder von Orten und Räumen, über die wir verfügen, an die wir uns erinnern. Das Denken durchmisst einen Raum, der Spuren von Ort und Architektur enthält“ (Zumthor, 1999, S. 7). Bilder sind Hilfsmittel, um die Form, die man sucht, jedoch nicht kennt, durch eine bekannte Form auszudrücken. Die Form muss zuerst im Kopf hergestellt werden (vgl. Zumthor, 1987, S. 34). Entwerfen ist das Suchen nach stimmigen Bildern, nach stimmigen (Vor-)Bildern. Vorbilder finden sich demzufolge in der Architektur, die wir kennen, die uns im Kopf geblieben ist und die uns von klein auf geprägt hat. Vorbilder finden sich jedoch nicht nur in gesehener und erfahrener Architektur, in Erfahrungen an Orten und in Räumen. Vorbilder finden sich auch in anderen Gebieten. So ist es interessant zu beobachten, wie in der Natur ein einzelner Baum, eine Gruppe von Bäumen, eine Reihe von Bäumen einen Ort besetzen oder neu definieren, wie ein Landschaftsraum an Tiefe gewinnt, wenn die Vegetation in mehrere Schichten aufgebaut ist. Vorbilder finden sich auch in Filmen, in der Bildhauerei, in Bereichen der Bildenden Kunst, in einzelnen Bühnenbildern, überall wo architektonische Themen präsent sind: die Wirkung von Körpern oder Objekten im Raum, im Licht, in der Reihung, die Auffassung von Raum und Bewegung, die Bezeichnung eines Ortes in der Landschaft durch ein Objekt, etc. Die aktuelle Problemstellung der jeweiligen Bauaufgaben wie Kontext, Gebäudetyp, Zugang und Erschließung, Konstruktion und Material, grenzen aus der Vielzahl der Bilder einige aus, die es dann gilt, auf ihre Tauglichkeit für das gesuchte architektonische Objekt zu untersuchen, zu verwerfen

oder

weiterzuverfolgen.Jede

Bauaufgabe

sollte

nach

ihrer

Besonderheit

und

Unvergleichlichkeit beantwortet werden. Gute Architektur arbeitet mit guten (Vor-)Bildern. 3.3.5 Architektonische Themen Gute Vorbilder allein genügen jedoch nicht, um gute Architektur entstehen zu lassen. Die Bauaufgaben, die zur Realisierung anstehen, mögen sich ähneln, identisch sind sie jedoch nie.

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Mag sich das Raumprogramm noch ähneln, so ist der Kontext, die städtebauliche oder landschaftliche Situation, immer ein völlig anderer. Erschließung, Orientierung, Sonneneinfall, umgebende Bebauung, geltende Gesetze und Normen für das jeweilige Grundstück, ökonomische Voraussetzungen, ökologische Anforderungen und vieles mehr generieren immer sich unterscheidende „architektonische Produkte“. Jedes Gebäude ist ein Prototyp, der sich kaum einfach vervielfältigen lässt. So spielt die serielle Architektur in unserem Kulturraum auch keine nennenswerte Rolle. Realisierte Gebäude sind Unikate. Ein Verwaltungsgebäude für die Landesbank unterscheidet sich in der Aufgabenstellung von einem Verwaltungsgebäude für die Deutsche Bank oder dem für eine große Werbeagentur. Bei der Analyse bestehender Bauwerke stellt man fest, dass es Themen in der Architektur, gestalterische Aufgaben gibt, die sich unabhängig von der Bauaufgabe, Zeit, Ort und Kultur immer wieder stellen und gelöst werden wollen. Diese architektonischen Themen sind über die Jahre immer die gleichen geblieben und haben immer noch dieselbe Gültigkeit. Unterschiedlich und einem steten Wandel unterworfen ist deren Übersetzung in eine architektonische Gestalt. Wichtig bei der Betrachtung der bestehenden Gebäude sind nicht die einzelnen Formen, sondern das, was sie konstituiert – die Problematik der jeweiligen Aufgabenstellung. Architektonische Themen x

die Beziehung eines Gebäudes zu seinem städtebaulichen Kontext oder zu dem ihn umgebenden Landschaftsraum (städtebauliche Körnung, Erschließung, Topographie, Orientierung,...)

x

die Abhängigkeit zwischen gebäudetypologischen Gesetzmäßigkeiten, die sich aus der Funktion herleiten, und architektonischer Gestalt (form follows function)

x

der Weg auf das Gebäude und der Weg durch das Gebäude als eine Inszenierung des Weges – Ortraum versus Wegraum

x

Konstruktion und Gestalt

x

Konstruktion und Material (Art der Verwendung, Ausdruck,...)

x

Tragwerk und Außenhaut (Fassade)

x

Raum und Raumbegrenzung

x

Raum und Licht

x

Raum und Form

x

Übergänge, Nahtstellen (Innenraum – Außenraum, Sockel, Dachabschluss, Gebäudeecke,...)

x

Gebäudetechnische Systeme

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x

Energie und Ökologie.

Die Arbeit am Entwurf verlangt es, sich mit den einzelnen Themen zu beschäftigen und ihnen den für die Bewältigung der Bauaufgabe angemessenen Raum (Bedeutung) zukommen zu lassen. Das Gewicht, das sie je nach Bauaufgabe bekommen, ist unterschiedlich. Somit eröffnet sich eine große Varianz an Antworten auf die gestellte Frage, eine große Varianz an Problemlösungen. Die Komplexität des architektonischen Entwerfens liegt darin, die Anforderungen aus der Aufgabenstellung, aus den Gegebenheiten des Ortes (Genius loci) und die immer gültigen Themen in der Architektur gleichermaßen zu beherrschen, sie zu überlagern (Synthese) und ihnen in einem Akt der Meinungsäußerung – dem Entwurf – Gestalt zu geben. Ein Jongleur fasziniert seine Zuschauer durch die Virtuosität, mit der er eine Vielzahl von Bällen gleichzeitig in der Luft halten kann. Gute Architektur fasziniert dadurch, dass sich die Komplexität des architektonischen Entwurfs in einem stimmigen Raum, in einem stimmigen Gebäude oder Ensemble mit derselben Selbstverständlichkeit ausdrückt, wie die Virtuosität eines Jongleurs. 3.3.6 Konkretisierung der Aufgabenstellung 3.3.6.1

Genius loci – der Kontext

Bei jeder Bauaufgabe findet sich der Einstieg in die Planung über, wie der Architekt Snozzi es nennt, die „kritische Lektüre des Ortes“. Jedes Gebäude, jede Gebäudegruppe steht in einer Beziehung zur umgebenden Bebauung oder zur Landschaft, in die es eingefügt wird. Durch die Realisierung einer jeden Bauaufgabe wird der Ort, der Genius loci, in jedem Fall neu definiert. Das Gebäude muss an seinem Ort einen Beitrag für den Stadt- oder auch den Landschaftsraum leisten. Es steht im Dialog mit seinen Nachbarn, dem Platz an dem es steht, dem Straßenraum, dem Fluss über den es hinwegsieht oder dem Waldrand, an den es sich schmiegt. Mit jedem Gebäude kann ein städtischer oder auch ein natürlichen Raum aufgewertet werden, kann zu etwas Besonderem gemacht werden. Das Thermalbad in Vals (Schweiz) vom Architekten Zumthor liegt in einer herrlichen Landschaft. Doch die Landschaft wird neu erfahren in der Auseinandersetzung mit dem schlichten, jedoch sehr wohl überlegten, steinernen Baukörper des Thermalbades. Sicherlich wird das Stelenfeld für das Mahnmal des Holocaust von Eisenmann den Genius loci, an dem es in Berlin entstehen wird, völlig neu definieren. Jede Bauaufgabe ist in ihrer architektonischen Aussage entweder kontextuell oder antikontextuell. Das heißt, sie entwickelt ihre Kraft entweder, indem sie das Wesentliche aus ihrer Umge-

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bung aufnimmt und sich an ihr orientiert, oder aber sie setzt sich gegen den Kontext und entwickelt eine eigene Sprache. Der amerikanische Architekt Moore nimmt bei seiner Wohnbebauung Sea Ranch nördlich von San Francisco regionale Bauweisen und Formen auf und folgt mit der Gebäudeform der ansteigenden Topographie der Küstenlandschaft. Die Gebäude verschmelzen mit der Natur zu einem Gesamtensemble zu einem innigen Miteinander. Sie haben „Lust sich einzufügen“. Architektur stellt in jedem Fall immer einen Eingriff dar. Auch wenn das jeweilige Grundstück nur ein kleines Stück der „real world“ ist, so ist dieser Ort so zu behandeln, dass es scheint, er sei die ganze Welt. Gilt es doch, einen Ort zu gestalten (to form a place). 3.3.6.2

Konstruktion und Gestalt

Der Gedanke, dass Raum und Gestalt eines Bauwerkes maßgeblich von der Konstruktion mitbestimmt wird, ist so alt wie das Nachdenken über Architektur. Ein Zitat des Architekten Schmitthenner mag für zahllose andere stehen: „Es gibt kein Gestalten ohne Konstruieren und ebenso kein Konstruieren ohne Gestalten.“ Aus diesem Statement kann jedoch nicht geschlossen werden, dass Konstruieren gleich Gestalten und in der Umkehrung Gestalten gleich Konstruieren sei. Die wesentliche Frage ist vielmehr: Inwieweit geht die Eigenart der Konstruktion in den sichtbaren Teil der Gestalt ein? Wenn das Maß der Bedeutung der Konstruktion für die Gestalt auf einer Skala von 1 bis 10 aufgetragen werden kann, so würde z.B. ein Mehrfamilienwohnhaus sich am Beginn dieser Skala finden und z.B. der Eiffelturm in Paris am Ende dieser Skala (vgl. Behnisch, S. 705). Die Bedeutung der Konstruktion für die architektonische Gestalt ist vor allem abhängig von der jeweiligen Bauaufgabe, von der Funktion. So geht die Konstruktion eines Tragwerks für z.B. eine Sporthalle sehr viel stärker in die architektonische Gestalt ein, als die Konstruktion bei einem Bürogebäude. Im ersten Fall läge die Spannweite bei weit über 30 Metern und bei einem Bürogebäude zwischen 7 und 10 Metern. Diese statische Notwendigkeit, die sich aus der Nutzung herleitet, generiert demzufolge auch eine sehr unterschiedliche Gebäudeform und damit eine sehr unterschiedliche architektonische Gestalt. Die „richtige“ Konstruktion sollte aus einem konkreten Entwurfskonzept, aus einer schlüssigen architektonischen Idee hergeleitet werden. Ohne eine architektonische Idee kann ein Ganzes nicht schlüssig in seine Teile verfolgt werden. Denn auch die Konstruktion der Teile muss sich am Ganzen – an der Idee – orientieren.

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Die architektonische Idee ist oder sollte vielmehr – gute Architektur vorausgesetzt – der rote Faden sein, der sich durch die Summe der Teile zieht. Mies van der Rohe nannte dies „Struktur“: ein Ganzes, das schlüssig ins Einzelne verfolgt werden kann. Die architektonische Absicht bestimmt die Wahl der Konstruktion. 3.3.6.3

Konstruieren

Der Begriff Konstruieren stammt aus dem Lateinischen – construere – und bedeutet, aus einzelnen Teilen ein Ganzes machen. Teil und Ganzes Die ganze gebaute Umwelt besteht aus Teilen – kleinere Bauteile, größere Gebäudeteile, ganze Häuser oder Stadtteile. Teile werden zusammengesetzt zu einem Ganzen. Dieses Ganze muss definierten Ansprüchen genügen. Vitruv definierte diese Ansprüche bereits vor ca. 2037 Jahren: „Firmitas, Utilitas, Venustas – Festigkeit, Zweckmäßigkeit, Anmut“. Heute sagt man: Statik, Funktion, Ästhetik. Art der Teile Der Ausdruck des Ganzen wird von der Art der einzelnen Teile bestimmt. Die Art der einzelnen Teile wiederum wird von verschiedenen Parametern geprägt. Die Parameter, die die Art der Teile am nachdrücklichsten prägen, sind: Größe, Form, Funktion und Material. Je einheitlicher die einzelnen Teile sind, desto eher werden sie, wenn sie zusammengesetzt sind, als Ganzes erscheinen. Je mehr die einzelnen Teile selbst ganzheitlich wirken, desto mehr scheint das Ganze nur noch als Anhäufung von Teilen und nicht mehr als homogene Einheit. Das Zusammensetzen von Teilen Das Zusammensetzen von Einzelteilen geschieht nach bestimmten Regeln technischer, ökonomischer und ästhetischer Art. Le Corbusier definierte die Baukonstruktion „als die zweckmäßige und folgerichtige Verbindung von Bauelementen.“ Verbunden und zusammengesetzt wird in jedem Maßstab. Eine Stadt besteht aus Stadtteilen, Straßenzügen, Häusern. Ein Gebäude ist aus mehreren Gebäudeteilen zusammengesetzt. Diese Gebäudeteile wiederum aus Bauteilen konstruiert, welche letztendlich aus Bauelementen bestehen. Der Vorgang des Zusammensetzens wird oftmals fachlich unterteilt in Entwerfen und Konstruieren. Die Planung bis zum Maßstab 1/100 (Baugenehmigung) wird Entwurf genannt und danach beginnt die Konstruktion. Fälschlicherweise wird Konstruieren oftmals als selbstständiger Arbeitsschritt zwischen Entwurf und Ausführung gesehen. Richtig ist, dass auch die Phase des Entwurfs,

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die sich mit dem Entwerfen konstruktiver Details befasst, nicht losgelöst von der Entwurfsphase zu sehen ist. Konstruktion ist ein Teil des Entwurfes und kann von diesem nicht getrennt werden. Der Wiener Architekt Wagner sagte: „Die Konstruktion ist immer etwas Erfundenes.“ 3.3.6.4

Konstruktion und Material

Form und Gestalt eines Gebäudes sind in starkem Maß von der Konstruktion geprägt. Die gewählte Konstruktion des Tragwerkes und der Raumabschlusses sind abhängig von der Wahl des Materials. Holz hat z.B. eine andere Wärmeleitzahl als Stahl oder Beton und leitet somit die Wärme wesentlich langsamer von warm nach kalt. Diese Eigenschaft hat weitreichende konstruktive und energetische Auswirkungen. Stahl hat bei gleichem Querschnitt ein wesentlich besseres Tragverhalten als Holz. Demzufolge sehen z.B. Stahlfachwerke um vieles filigraner aus als Tragwerke aus Holz. Beton kann in jede Form gegossen werden. Die Art der Verwendung der verschiedenen Materialien unterscheidet sich jedoch nicht nur durch die jeweiligen materiellen Eigenschaften, sondern auch durch die Eigenschaft, Unterscheidungen im architektonischen Ausdruck zu erzeugen. Allerdings gehen die Stimmungen nicht vom verwendeten Material selbst aus, sondern sind mit der Verwendung in anderen Gebäuden verbunden; verbunden mit den Erfahrungen, die der Betrachter mit diesen Gebäuden gemacht hat. So kann ein Holzhaus zeitgemäß, ökologisch wertvoll, gemütlich und vieles mehr sein. Ein Holzhaus kann beim Betrachter jedoch auch Erinnerungen an eine Baracke, einen Schuppen oder ähnliches hervorrufen. Die Stimmungen wären dann ärmlich, temporär, vergänglich, etc. Das Hochhaus von Kolhoff am Potsdamer Platz kann gleichermaßen mit Eigenschaften wie konservativ oder altmodisch belegt werden oder auch deshalb geschätzt werden, weil es aus der Geschichte des Ortes entwickelt wurde. 3.3.6.5

Tragwerk

Die Konstruktion eines Gebäudes setzt sich zusammen aus dem Tragwerk und dem Raumabschluss. Sowohl an das Tragwerk als auch an den Raumabschluss sind vielfältige Anforderungen gestellt. Das Tragwerk hat die Aufgabe, alle auf ein Bauwerk einwirkenden Lasten aufzunehmen und in den Baugrund abzuleiten. Die Lastabtragung in einem Tragwerk wird bestimmt durch: x

die Geometrie des Tragwerks

x

die Anordnung der einzelnen Elemente

x

die Verbindung – das Fügen – der Tragwerkselemente

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x

die Materialität der Tragwerkselemente (Stahl, Holz, Beton, Ziegel).

Allein die Wahl des Materials generiert völlig unterschiedliche Tragwerke und damit eine völlig unterschiedliche architektonische Gestalt. Der Eiffelturm z.B. hätte nicht aus Backstein gebaut werden können. Stahl war das einzig mögliche Material für solch eine Form. Mit der Wahl des Materials Stahl war die Art der Verbindungen bereits stark vorbestimmt. 3.3.6.6

Raumabschluss – Außenhaut

Die Außenhaut grenzt einen Raum aus einem größeren aus und formt einen Innenraum. Sie beeinflusst sehr nachhaltig die Atmosphäre dieses definierten Raumes, dessen Raumklima und dessen Belichtung. Die Außenhaut eines Gebäudes definiert nicht nur einen Innenraum sondern auch einen Außenraum. Der Außenraum kann sowohl ein Stadt- als auch ein Landschaftsraum sein. Die Außenhaut definiert den Übergang vom Innenraum zum Außenraum. Sie muss folgende Eigenschaften besitzen: x

Sie muss den konstruktiven und statischen Erfordernissen genügen.

x

Sie muss Schutz vor Regen, Wind, Kälte und der Sonne bieten.

x

Sie ist für den Energiehaushalt eines Gebäudes verantwortlich. Wärmeverluste sind zu minimieren und Wärmegewinne sind gezielt zu führen (steuerbare Fassaden, energiesparende Konstruktion).

x

Sowohl bei der Produktion als auch bei der Entsorgung sind ökologische Belange zu berücksichtigen.

Das Leistungsprofil umfasst jedoch neben den konstruktiven, energetischen, ökologischen und ökonomischen Parametern auch gestalterische und ästhetische Fragestellungen. Was soll dieses Gebäude ausdrücken oder was soll es nicht ausdrücken? Welche Botschaft geht von diesem Gebäude, dieser Architektur aus? Die entsprechende Antwort zu finden, wird zunehmend schwieriger, da die Ausdrucksmöglichkeiten immer vielfältiger und damit einhergehend immer oberflächlicher werden. In früheren Zeiten, als zum Bauen vorwiegend nur ein Material und oftmals auch nur leistungsschwache Techniken zur Verfügung standen, erhielt die Architektur ein nicht sehr differenziertes, aber umso ausdruckstärkeres und einheitlicheres Erscheinungsbild (griechische Tempel, romanische Kirchen, etc.). Malerei und Plastiken machten die äußere Gestalt oftmals reicher.

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709

Heutzutage existieren sehr leistungsstarke Techniken und eine Vielzahl von Materialien. Demzufolge ist die Differenzierung in den Ausdrucksformen vielfältig. Einige Schlagworte mögen dies verdeutlichen: x

Intelligente Architektur

x

Die Wand ein Medium

x

Der dekorierte Schuppen

x

Hülle als Anschauung

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Die Haut als Botschaft

x

Die Ästhetik des Verschwindens.

Die Verwirrung in der Architektur nimmt zu. So werden auch oftmals einfache Botschaften aus der Baugeschichte wie die Blockbebauung mit einheitlicher Traufhöhe und Stein als Material, mit dem die Tragkonstruktion verkleidet wird, gerne aufgenommen z.B. in der Straße Unter den Linden in Berlin. 3.3.6.7

Raum und Raumbegrenzung

Ziel allen Bauens ist das Bilden von Räumen – sowohl das Bilden von Außenräumen, als auch das von Innenräumen. Spricht man vom Raum in der Architektur, so denkt man an einen Innenraum, der sowohl seitlich als auch von oben und unten begrenzt wird. Raum wird gebildet durch seine Raumbegrenzungen. Ohne diese Begrenzungen wäre kein Raum wahrnehmbar. Das heißt, dass ein Raum für den Betrachter erst dann existent ist, wenn Raumbegrenzungen existieren und wahrgenommen werden können. Diese Raumbegrenzungen können jedoch unterschiedlicher Art sein. Im Innern von Bauwerken, dem architektonischen Raum, sind dies Fußboden, Decken und Wände. Es können jedoch auch durch die Anordnung von mehreren Bauwerken Stadträume gebildet werden (z.B. Markusplatz in Venedig, Campo in Sienna). Beim natürlichem Raum werden die Raumbegrenzungen durch die Landschaft, den Himmel, die Bäume und vieles mehr gebildet. Raumbildung setzt das Errichten von Raumbegrenzungen voraus, um Räume erst wahrnehmen zu können. 3.3.6.8

Raumfeld – Raumbehälter

In der Architektur gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten der Raumbildung. Die eine ist die des geschlossenen Körpers, der in seinem Innern Raum isoliert. Die andere ist die eines sich in seine

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raumbegrenzenden Elemente auflösenden Körpers, der einen mit dem Außenraum (unendlichen Kontinuum) verbundenen Raumteil umschließt. Joedicke bezeichnet diese Unterscheidung in seinem Buch „Raum und Form in der Architektur“ mit Raumbehälter und Raumfeld. Der Barcelona-Pavillon, der von Mies van der Rohe anlässlich der Weltausstellung in Barcelona 1929 realisiert wurde, verdeutlicht eine für diese Zeit völlig neue Raumauffassung. Der Raum ist nicht mehr etwas von Wänden vollständig Umgebenes. Hier endet der Innenraum nicht an einer geschlossenen Außenwand. Innen- und Außenraum gehen ineinander über und sind nur durch filigrane Glaselemente voneinander getrennt. Das Prinzip der ineinander fließenden Räume ist ebenfalls im Innern festzustellen. Der Raum ist in seiner Begrenzung nicht definiert. Der Raum wird als Feld zwischen Flächen – als Raumfeld – gebildet. Eine völlig andere Definition des Raumes ist die eines Raumbehälters. Hier wird der Raum als umschlossenes Kontinuum definiert; er wird eindeutiger definiert. Er ist begrenzt von vertikalen oder geneigten Wänden und von horizontalen oder ebenfalls geneigten Flächen wie Fußboden oder Decke. In diese Flächen sind je nach Bedarf Öffnungen unterschiedlicher Größe eingeschnitten. Diese ermöglichen den Bezug zum Außenraum. „Raumbildung bedeutet also immer, einen kleineren Raum aus einem größeren abzugrenzen.“ (Joedicke, S. 15). 3.3.6.9

Raum und Licht

Raum und Licht bilden eine enge Verbindung. Oftmals werden Räume derart ausgeleuchtet, dass optimale Sicht- oder Arbeitsverhältnisse geschaffen werden. Doch selbst in seiner einfachsten Form ist Licht eine spektakuläre, sinnliche Erfahrung. Mit Licht kann ein Raum modelliert werden, um die unterschiedlichsten Wirkungen zu erzeugen. Es besitzt eine rastlose Intensität, die statische Formen zum Leben erweckt. Das Licht wird gebündelt und gestreut, gespiegelt und gedämpft, um Raum und Materie von einem trägen (toten) Zustand in etwas Lebendiges zu verwandeln. Licht kann die raumbegrenzenden Elemente in ihrer Wirkung verändern. „Ein Funken, eine Vitalität springt auf die dunkle Masse über. Ein neutraler Raum kann verkleinert, vergrößert, beruhigt, erregt, gezähmt oder belebt werden, so wie elektrischer Strom vermag Licht, eine träge Masse mit Energie, Kraft und Intensität aufzuladen.“ (Plummer, S. 182). 3.3.7 Orte mit Aufenthaltsqualität Architektur grenzt einen Raum – einen kleinen Teil – aus der Unendlichkeit aus. Jedes Bauwerk definiert einen Ort in dieser Unendlichkeit. Es gilt, Orte zu schaffen, in denen der Mensch im Mittelpunkt steht. Es gilt, Bauwerke zu schaffen, in denen der Mensch das Gefühl des Ortes hat, das Gefühl im Zentrum des Universums zu sein.

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Es ist eines der Grundbedürfnisse des Menschen zu gestalten, die Umwelt, die er in Besitz nimmt, in der er sich bewegt, die er bewohnt zu gestalten. „Das was gedacht, entworfen und dann gebaut wird, wird Teil eines Ortes, Teil einer Umgebung. Es wird gebraucht und geliebt, entdeckt und vererbt, verschenkt, verlassen und vielleicht auch gehasst – kurz, es wird in einem weit gefassten Sinn des Wortes bewohnt“ (Zumthor, 1999, S. 7). Heidegger denkt in seinem Aufsatz „Bauen, Wohnen, Denken“ darüber nach, was es bedeutet, wenn der Mensch sich ein Haus baut und einen Ort bewohnt. Der Mensch eignet sich die Welt an mit den Tätigkeiten Bauen, Wohnen, Denken. Heidegger macht die Beobachtung, dass Denken eng mit unserer Ortserfahrung verbunden ist und nicht ohne sie auskommt: Sei es, dass der Mensch sich an Orten aufhält, von Orten aus seine Beziehung zur Welt aufbaut oder eben, dass er die Welt bewohnt (vgl. Zumthor, 1999, S. 7). „Der Mensch schätzt Häuser und Räume, die gut gestimmt sind, eingestimmt auf ihren Ort, abgestimmt auf ihren Gebrauch. Er schätzt Orte und Häuser, die ihn aufheben, die ihn gut aussehen lassen und die ihn mit unerwarteten Angeboten überraschen“ (Zumthor, 1999, S. 9). Gute „Architektur ist einfach da. Sie ist verbunden mit dem Leben durch ihre Präsenz. Architektur als Hintergrund des vorbeiziehenden Lebens, die Färbungen und Stimmungen aufnimmt und abstrahlt.“ (Zumthor, 1987, S. 36). Der Architekt Kahn philosophierte am Beispiel einer Treppe über die Kunst Architektur zu machen: „Die Treppe muss immer ein Podest haben, so dass ältere, schwache Menschen ohne beschämt zu sein ausruhen können ... und wenn es ein Podest gibt, sollte dort ein Sitzplatz sein und natürlich ein Fenster fürs Licht und zum Hinausschauen... und dann sollte dort ein Bücherregal sein, so dass wenn man mit seinem Enkel hinaufgeht, man sich setzen kann, hinausschauen kann und zusammen einen Abschnitt aus einer Lieblingsgeschichte lesen kann.“ (mündliche Überlieferung). Das ist die Quintessenz, was es heißt, Architektur zu machen: Orte zu schaffen, die die Möglichkeit eröffnen, damit Dinge geschehen können. 3.3.8 Qualitätvolle Architektur Ein Bauwerk kann zum atmosphärischen Reichtum (oftmals auch zur atmosphärischen Armut) eines Ortes beitragen, an den sich Passant oder Bewohner gerne erinnert. Es kann dazu führen, dass der Geist des Betrachtenden innehält und in Gemütsbewegung gerät. Der Faszination der Spanischen Treppe oder des Pantheons in Rom, des Markusplatzes in Venedig, des Campos in Siena, der Philharmonie in Berlin oder des Thermalbades in Vals kann man sich nicht entziehen.

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Horowitz, der “Proteus unter den Pianisten” sagte: “Klavierspiel bestehe aus Vernunft, Herz und technischen Mitteln. Ohne Vernunft ist man ein Fiasko, ohne Technik ein Amateur, ohne Herz eine Maschine.” Mit der Architektur verhält es sich ähnlich. Um ein Gebäude realisieren zu lassen, bedarf es eines umfassenden Wissens über die technischen Mittel, die für einen Bauprozess notwendig sind. Sei es das Wissen um Material und Konstruktion, um gebäudetechnische Systeme, um die Organisation komplexer Nutzungszusammenhänge und um vieles mehr. Ohne dieses Wissen ist man ein Amateur. Die architektonische Idee und deren bauliche Umsetzung sind im Gleichklang. Ohne das Wissen ob der technischen Mittel für die bauliche Umsetzung, taugt die Idee wenig. Architektur ist jedoch nicht nur Konstruktion, Gebäudetechnik oder ein Organigramm. Sie ist die Kraft, die programmatische Anforderungen und gestalterische Themen zu einem Ziel ästhetischer Natur diszipliniert. Das Wissen um Bauprozesse, Baukosten, um Gestalt und Konstruktion, um Raum und Form und um vieles mehr ist Grundvoraussetzung, um gute, qualitätvolle Architektur zu machen. Dieses Wissen wird zu Recht eingefordert. Allein das Beherrschen der Grammatik mag genügen Sätze zu bilden, doch es genügt bei weitem nicht, ein Gedicht oder eine Prosa zu schreiben. Hierzu bedarf es der Absicht eine Botschaft mitzuteilen. Horowitz nannte seine Botschaft das “Herz”, das für das Klavierspiel unerlässlich ist. Qualitätvolle Architektur setzt das Wollen von Qualität durch alle am Planungs- und Bauprozess Beteiligten voraus. Diese Qualität hat mit Kosten auch zu tun. Gute Architektur jedoch geht vielmehr aus einer geistigen Verfassung hervor. Sie bedarf einer architektonischen Position, einer Gestaltabsicht, einer architektonischen Idee. Sobald Architektur beliebig und austauschbar ist, wenn sie ohne Bezug zum Ort entwickelt wurde, kann sie keine Qualität besitzen. Gute Architektur besitzt eine Identität. Was gute Gebäude auszeichnet und sie unterscheidet, sind die architektonischen Positionen derjenigen, die dafür verantwortlich sind. Qualitätvolle Architektur entsteht, wenn: x

das Gebäude auf die Bedingungen, die Chance und die Atmosphäre des Ortes eingeht

x

einprägsame Orte geschaffen werden

x

eine intensive Auseinandersetzung mit der Bauaufgabe sichtbar ist. Jede Bauaufgabe sollte nach ihrer Besonderheit und ihrer Unvergleichlichkeit befragt und beantwortet werden

x

eine Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen der Menschen, die sich dort aufhalten, stattgefunden hat

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x

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Orte mit Aufenthaltsqualität geschaffen werden, die es dem Menschen erlaubten, ein Gefühl für den Ort (a sense of place) zu entwickeln, und die gleichermaßen vom Körper und Geist bewohnbar sind

x

die Nutzungsanforderungen aus der Aufgabenstellung in ein funktionsfähiges Gebäudekonzept umgesetzt werden

x

gebäudetechnische Systeme und energetische Anforderungen in das Gebäudekonzept integriert werden

x

Konstruktion und Material die architektonische Idee stärken (Gleichzeitigkeit von Gestalt und Konstruktion)

x

die Aufgabenstellung mit der jeweiligen Angemessenheit in eine gebaute Form übersetzt wird und sie sich auf das Wesentliche beschränkt. Jedes Projekt fordert seinen eigenen Maßstab, seine eigene architektonische Gestaltung

x

das Bauwerk eine physische Ausstrahlung und Wirkung zeigt, wenn es eine Bedeutung hat.

Der italienische Architekt Lampugnani definierte in einem Artikel die schönste Bestimmung, die Baukunst für sich in Anspruch zu nehmen vermag: “Orte zu schaffen, in denen die Gesellschaft das Bewußtsein ihrer selbst erlangen und sich damit verändern und fortschreiben kann.” (Lampugnani, S. 16). 3.3.9 Fazit In Immobilienökonomie Band I – Betriebswirtschaftliche Grundlagen äußern sich die Autoren Schulte und Schäfers im Abschnitt über „Immobilienökonomie als wissenschaftliche Disziplin“ wie folgt: „Die Disziplin Architektur befasst sich vorrangig mit dem Entwerfen von Bauwerken. Immobilienwirtschaftliche Kriterien wie Wirtschaftlichkeit, Funktionalität und Nutzungsanforderungen spielen in dem Fachgebiet bislang nur eine geringe Rolle. Hier liegt in der Praxis ein Konfliktfeld zwischen dem „Künstler-Selbstverständnis“ von Architekten einerseits und den ökonomischen Interessen von Projektentwicklern, Investoren und „Raumkonsumenten“ (Schulte/Schäfers, S. 60). Diese Sicht der Dinge ist weit verbreitet. Architektur als Baukultur, die von einem breiten Berufsstand getragen wird, ist höchst gefährdet. Die Fragestellung, die sich bei Schulte und Schäfers daran anschließt, ist die des Zusammenhangs zwischen hochwertiger Architektur und ImmobilienWertentwicklung. Doch wie entsteht hochwertige Architektur?

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Erstaunlicherweise gehört es nirgendwo zur Allgemeinbildung, was gute (hochwertige) Architektur ist. In der Beurteilung von Architektur sind die Menschen noch hilfloser als in der Beurteilung von Kunst. Das Wissen um die Beurteilung von Architektur ging verloren. Das Konfliktfeld gründet in einer mangelnden Fähigkeit von Bauherrn, Nutzern und Planern zu kommunizieren, was Architektur zu leisten hat und was Architektur wertvoll macht. Die Problematik liegt in der Tatsache, dass die Summe aller örtlichen und räumlichen Erfahrungen, die in sich aufgenommenen Bilder der am Bau Beteiligten zu unterschiedlichen Meinungen führen über das, was gute Architektur ist. Architektur entsteht im Spannungsfeld von praktischen und gestalterischen Problemen. Selbstverständlich muss sich Architektur ökonomischen Interessen stellen, muss auf städtebauliche Vorgaben, Baugesetze, DIN-Normen, Nutzungsanforderungen, ökologische und energetische Fragestellungen und vieles mehr Antworten geben. Dennoch war es seit jeher die ureigenste Aufgabe der Architektur, „Räume“ zu schaffen und zu gestalten, in denen sich Menschen tagtäglich bewegen, sich begegnen und sich wohlfühlen (sollten). Diese Räume prägen das Bild der Menschen von Baukultur nachhaltiger als beispielsweise das Museum in Bilbao. Planen, Entwerfen und Gestalten erfordern die Fähigkeit Aussagekraft und Funktion eines Gebäudes in einem einzigen Akt zu vereinen. Dies ist kein künstlerischer Akt, sondern ein Akt der Meinungsäußerung, ein Akt der Übersetzung einer architektonischen Position in ein Gebäude. Fosters architektonische Position (Reichstag) ist eine andere, als die des Architekten Schultes (Bundeskanzleramt) oder Gehry (Museum in Bilbao). Bei diesem Prozess sollten alle Kraft und alle geistigen Fähigkeiten eingesetzt werden, um das Gebäude zu erstellen, und schließlich sollte versucht werden, ihm einen Sinn zu geben, so dass das Gebäude etwas aussagt. Dann kann es von der Allgemeinheit geschätzt werden, weil die Bemühung und die Sorgfalt sichtbar ist. In der Architektur entsteht eine Unmittelbarkeit in der Ausstrahlung und in der Wirkungsweise. Diese physische Wirksamkeit gibt es nur beim Bauen. Und wenn ein Gebäude wirklich gut ist, dann ist diese physische Ausstrahlung unvergleichlich. Um hochwertige Architektur entstehen zu lassen, bedarf es einer Gesellschaft, bedarf es der Menschen, die Architektur für wichtig und „wertvoll“ halten. Hochwertige Architektur muss als Ziel formuliert werden, muss gewollt werden, sowohl von den Nutzern, den Bauherrn (Investoren) als auch von den Planern. Sie gedeiht nur in einem der Baukultur gegenüber aufgeschlossenen Klima. Nur wenn der Architektur Bedeutung und Wert beigemessen wird, kann hochwertige Architektur entstehen, kann Architektur entstehen, die einen Mehrwert besitzt.

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Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.3 Ackermann, K.: Grundlagen für das Entwerfen und Konstruieren, Stuttgart 1983. Behnisch, G.: Konstruktion und Gestalt, in: Deutsches Architektenblatt, Heft 6, 1979. HOAI: Verordnung über die Honorare für Leistungen der Architekten und der Ingenieure, Stand 1. Januar 2002, Düsseldorf. Joedicke, J.: Raum und Form in der Architektur, Stuttgart 1985. Kücker, W.: Der Geist weht wo er will, in: Der Architekt, Heft 6, 1984. Lampugnani, V. M.: Hier könnte, sollte oder müsste etwas geschehen, in: Der Architekt 9-10/03, S. 16-18. Plummer, H.: Bauen mit Licht, in: Detail, Heft 2, 1999. Schulte, K.-W./Schäfers, W.: Immobilienökonomie als wissenschaftliche Disziplin, in Schulte, K.-W. (Hrsg.): Immobilienökonomie Band I – Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 3. Auflage, München 2004. Zumthor, P.: Häuser, Basel, Boston, Berlin 1999. Zumthor, P.: Eine Anschauung der Dinge, in: Werk, Bauen und Wohnen, Heft 10, 1987.

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3.4

Städtebauliche Gestaltung zur Aufwertung gewerblicher Standorte

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Kunibert Wachten, Steffen Nadrowski 3.4.1 Die Aufwertung von Standorten als Zukunftsaufgabe 3.4.2 Gewerbliche Standorte in der Stadtentwicklung 3.4.2.1 Stätten der Arbeit in historischer Perspektive 3.4.2.2 Die Qualifizierung suburbaner Bereiche 3.4.2.3 Drei beispielhafte Standort-Entwicklungen 3.4.3 Vom Gewerbegebiet zum lebendigen Stadtteil 3.4.3.1 Der vollständige Standort 3.4.3.2 Prägnante Strukturen bei hoher Flexibilität 3.4.3.3 Zwischen Stadt und Landschaft 3.4.4 Der Beitrag des öffentlichen Raumes zur Adressbildung 3.4.4.1 Der öffentliche Raum im Städtebau 3.4.4.2 Öffentliche Straßen und Plätze 3.4.4.3 Binnenqualitäten durch städtische Parks 3.4.4.4 Relikte des Altstandortes als Milieugeber 3.4.5 Ergebnisqualität durch Verfahrensqualität 3.4.6 Handlungsempfehlungen Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.4

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3.4 Städtebauliche Gestaltung zur Aufwertung gewerblicher Standorte Kunibert Wachten, Steffen Nadrowski 3.4.1

Die Aufwertung von Standorten als Zukunftsaufgabe

Vorhandene gewerbliche Standorte aufzuwerten, aus bislang schlechten Lagen gute Adressen zu produzieren und neue Standorte mit spezifischer, unverwechselbarer Ortsqualität zu entwickeln, sind heute wichtige Handlungsfelder des Städtebaus und der Stadtplanung, deren Bedeutung tendenziell zunehmen wird. Der Wettbewerb der Städte um Einwohner und Kaufkraft, Investoren und Arbeitsplätze hat sich im Verlauf der vergangenen zwei Jahrzehnte nicht nur deutlich verschärft, sondern wird im 21. Jahrhundert auch nach veränderten Kriterien entschieden. Ursächlich hierfür sind vor allem drei neue Aspekte innerhalb der sich verändernden Rahmenbedingungen: die durch die Globalisierung vergrößerte Anzahl der miteinander um Einwohner und Kapital konkurrierenden Städte und Regionen, das im Rahmen der Deindustrialisierung gewachsene Angebot an verfügbaren Flächen und die sinkende Bedeutung primärer Standortfaktoren. Der Kreis der Städte und Regionen, die unmittelbar miteinander in einem Konkurrenzverhältnis stehen, ist durch die sich intensivierenden globalen Wirtschaftsbeziehungen größer geworden. Dabei hat eine Verlagerung der miteinander konkurrierenden räumlichen Einheiten von der Ebene der Stadt auf die Ebene der Region stattgefunden, so dass in Europa spätestens seit den 1990er Jahren vom „Wettbewerb der Regionen“ gesprochen werden kann. Der Strukturwandel der vergangenen Dekade hat gezeigt, dass sich ökonomische Prosperität besser dezentral als zentral organisieren

lässt.

Im

regionalen

Kontext

ergeben

sich

zudem

Vorteile

der

„regionalen

Produktionsbezirke“, die als spezialisierte regionale Produktionssysteme und spezifische regionale Milieus im Wettbewerb der kleineren Einheit Stadt überlegen sind. Der ökonomische und politische Bedeutungsgewinn der Region korrespondiert jedoch nur in wenigen Fällen auch mit kultureller oder historischer Kohärenz. Anders als Städte scheinen zahlreiche Regionen in Deutschland trotz ihrer Bedeutung als Wirtschaftsstandorte ideelle Konstruktionen zu bleiben, denen gemeinsame geschichtliche, kulturelle, administrative oder andere räumliche Verflechtungen oft fehlen. Nur wenige Regionen erscheinen daher auch ihren Bewohnern als konsistente Entitäten. Obwohl die Region insbesondere in Ballungsräumen im Alltag durch Pendlerverflechtungen oder Versorgungsfahrten als individueller Bezugsraum erlebt wird, bleibt die Identifizierung der Einwohner mit ihrem Wohnort in der Regel stärker ausgeprägt als das Verhältnis zur Region. Hier ist in den vergangenen Jahren mit dem Ansatz der „gestaltenden Regionalplanung“ (Wachten, S. 152) ein Arbeitsfeld entstanden, das durch gestalterische Interventionen den ökonomischen und sozialen Strukturwandel in seinen regionalen Zusammenhängen sichtbar machen und da-

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durch räumliche Transformationen unterstützen will. Diese junge Form der Regionalentwicklung, die ihre Wurzeln in der Internationalen Bauausstellung Emscher Park hat, kommt damit einer regionalen Identitätspolitik gleich und bedient sich oft gestalterischer Instrumente, um prägnante Bilder der Region zu entwickeln und zu kommunizieren. Nicht nur die Anzahl der konkurrierenden Raumeinheiten ist gewachsen, sondern auch das Angebot an verfügbaren Flächen innerhalb der Städte und Regionen. Der Strukturwandel von der Industriegesellschaft hin zur Dienstleistungsgesellschaft hat in Deutschland zahlreiche Brachflächen entstehen lassen, durch deren Nachnutzung das Angebot an neuen Gewerbestandorten innerhalb weniger Jahre deutlich vergrößert wurde. Seit als Folge der Deindustrialisierung Brachflächen großen Umfangs und Maßstabs entstanden sind, wurden mehr Standorte landauf, landab als Um- und Neunutzungen angeboten als sinnvoll nachgefragt werden konnten. Die Situation des Überangebotes hat sich verschärft, weil zu den umfänglichen Altindustriearealen zahlreiche entbehrliche Verkehrsinfrastrukturflächen, vornehmlich Güterbahnhofsanlagen und Hafengebiete sowie militärische Konversionsflächen hinzugekommen sind. Mobilisierungshindernisse und Entwicklungsrestriktionen vieler Brachflächen haben dazu geführt, dass sich parallel hierzu auch die Nachfrage nach Standorten auf der „grünen Wiese“ am Stadtrand ungebrochen materialisieren konnte. Während beide Standorttypen hinsichtlich ihrer Lagegunst, Erschließungssituation oder steuerlicher Rahmenbedingungen nicht oder nur noch wenig beeinflusst werden können, bieten die mikrostandörtlichen strukturellen und gestalterischen Ausprägungen ein städtebauliches Handlungsfeld, auf dem noch Wettbewerbsvorteile errungen werden können. Die nahezu ubiquitäre Verfügbarkeit der primären Standortfaktoren schließlich hat bewirkt, dass der Wettbewerb von Städten und Regionen um Investoren, Arbeitsplätze, Kaufkraft und Einwohner vermehrt über sekundäre, „weiche“ Standortfaktoren geführt wird. Wenn sich Städte und Regionen weniger in ihrer Erreichbarkeit oder ihren Bodenpreisen unterscheiden, gewinnt das Image und die spezifische Atmosphäre eines Standortes für eine Ansiedlungsentscheidung ebenso an Bedeutung wie das kulturelle Angebot, ein der Nachfrage entsprechend hochwertiges Angebot an Wohnungen oder guten Einkaufsmöglichkeiten. Die schlaglichtartige Darstellung der ausgewählten Rahmenbedingungen zeigt an, dass die Bedeutung städtebaulicher Arbeit in der Standortentwicklung einen Bedeutungszuwachs erhalten hat. Sowohl aus der Perspektive der gestaltenden Regionalplanung als auch in der Betrachtung der Mikrostandorte steht die Optimierung individueller Standortprofile im Vordergrund, um sich im Wettbewerb optimal zu positionieren. Wesentlicher Bestandteil dieses Vorgehens ist die Ausbildung einer „guten Adresse“ insbesondere bei gewerblichen Standorten.

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Ausgehend von einer stadtgeschichtlichen Betrachtung der Funktion Arbeit wird im Folgenden ihr gegenwärtiger Stellenwert für die Entwicklung von Standorten beleuchtet. Die theoretische Darlegung führt zur Ableitung von Kriterien, die für die Adressbildung in der Gewerbeplanung von Bedeutung erscheinen. An drei Beispielen aus der Planungspraxis werden diese Kriterien illustriert, um den oft als Schlagwort kolportierten Begriff genauer zu umreißen. Adressbildung umfasst demnach einen komplexen Prozess im Rahmen der Standortentwicklung, der vor allem von der siedlungsstrukturellen Lage, der Nutzungs- und Erschließungsstruktur, der städtebaulichen und architektonischen Gestalt und den gewählten Planungsverfahren beeinflusst wird. Der Beitrag schließt mit zusammenfassenden Handlungsempfehlungen für die Projektentwicklung und stellt einige Aufgaben der öffentlichen und privaten Akteure heraus. 3.4.2

Gewerbliche Standorte in der Stadtentwicklung

3.4.2.1

Stätten der Arbeit in historischer Perspektive

Die städtischen Funktionen Arbeiten und Wohnen waren bis zur Industrialisierung in Europa räumlich eng miteinander verflochten. Ein Landwirt lebte inmitten seiner Felder, und in der mittelalterlichen Stadt befanden sich der Laden des Händlers und seine Schlafstatt ebenso unter einem Dach wie die Werkstatt des Handwerkers und dessen Wohnraum. Der öffentliche Straßenraum wurde gebildet durch die Wände dieser Wohn- und Wirtschaftsgebäude. Die mittelalterliche Ökonomie machte diese Straßenwand jedoch durchlässig: Im Pariser Bezirk der Gerber besaßen die Fenster hölzerne Läden, die sich zu Ladentischen herunterklappen ließen und Passanten auf die Waren aufmerksam machten oder in die Innenhöfe hineinzogen (vgl. Sennet, S. 253). Die Nahtstelle zwischen öffentlichem und privatem Raum war eine aktive Wirtschaftszone, und die enge Nachbarschaft und Durchmischung von Arbeitsplätzen und Wohnstätten war das beherrschende Merkmal der Stadtstruktur. Mit der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert wandelten sich die Werkstätten zu Fabriken und der Bedarf an Arbeitskräften wuchs. Dieser Umstand, aber auch die existenziellen Sorgen, die die Landbevölkerung umtrieben, führten zu einem rasanten Anstieg der Stadtbevölkerung durch Zuwanderung. Noch auf Basis des alten Stadtgrundrisses entstand in ungeplanter Entwicklung eine enge Durchmischung hochverdichteter Wohnquartiere mit Gewerbe- und Industriebetrieben. Die Mechanisierung einzelner Arbeitsgänge durch technische Innovationen führte zu einem Bedarf an Arbeitsräumen, der sich zunächst in vorhandenen Strukturen decken ließ. Die bestehenden Betriebe konnten durch An- oder Umbau expandieren, so dass die Nutzungsmischung in den Städten auch unter den Bedingungen der Industrialisierung erhalten blieb. Das Webmuster der mittelalterlichen Städte konnte der zunehmenden Verdichtung jedoch nicht gerecht werden. Die industrielle Entwicklung führte schließlich dazu, dass stark expandierende

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Branchen ab Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Betriebe an den Stadtrand verlagerten – bevorzugt an Bäche und Flüsse zur Nutzung von Wasserkraft, zum Transport sowie zur Nutzung des Wassers im Produktionsprozess. Mit blockbildenden Geschossbauten und flächenextensiven Hallen im Blockinneren orientierte sich die städtebauliche Form dieser Anlagen an der innerstädtischen Blockrandbebauung. Als Antwort auf die städtebauliche Verdichtung und die daraus resultierenden Belastungen der Arbeiterschaft entstanden bereits im 19. Jahrhundert neue Modelle zur Lösung der siedlungspolitischen und sozialen Probleme. In bewusster Abkehr von der Industriestadt entstand das Ziel, menschenwürdige Wohnverhältnisse der Arbeiter und ihrer Familien in räumlicher Nähe zu den Arbeitsstätten zu schaffen. Der englische Industrielle und Politiker Owen entwickelte Pläne zur Zusammenführung der voneinander getrennten Wirtschaftsbereiche Landwirtschaft und Industrieproduktion in einer quadratischen Bauanlage mit einem geschlossenen Rand aus Wohnhäusern. Die zahlenmäßig beschränkte Gemeinschaft des Dorfes sollte kollektiv Land- und Fabrikarbeit leisten und sich selbst genügen. Nur wenige Jahre später schlägt auch der französische Angestellte Charles Fourier große gemeinschaftliche Wohnanlagen (phalanstères) vor den Toren der alten Industriestadt vor. Von einigen wenigen realisierten Stadtgründungen abgesehen blieben diese Modelle unverwirklicht. Die enge und konfliktträchtige Verflechtung der Nutzungen und die wenig koordinierte Ansiedlung von Industriebetrieben blieb für viele Jahrzehnte ein Problem der Ballungsräume. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begründete das Modell des Engländers Howard eine Bewegung, die in Abwandlungen über das gesamte folgende Jahrhundert lebendig bleiben sollte. Die Vorstellung der "Gartenstadt" ist oft als rein städtebauliches Siedlungsmodell missverstanden worden, obwohl der Gerichtsangestellte Howard den sozialreformerischen Aspekt einer gerechten Bodenreform in den Vordergrund seiner Schrift "Garden Cities of To-morrow" rückte. Das Modell sollte die Vorteile des ländlichen und des städtischen Lebens vereinen und die Grundfunktionen der Stadt unter Minimierung von Konflikten in räumlichem Bezug zueinander setzen. Der Gartenstadtgedanke übertrug sich rasch auf Europa und wurde Grundlage für zahlreiche Siedlungen, die jedoch überwiegend als reine Wohnstandorte entwickelt wurden. Der damit begründete Gedanke der Funktionstrennung wurde 1933 auf dem 4. CIAM-Kongress weiterentwickelt und floss in die von Le Corbusier und anderen formulierte "Charta von Athen" ein. In dieser für das 20. Jahrhundert maßgeblichen städtebaulichen Schrift wird eine geregelte Stadtplanung zur Überwindung des städtebaulichen Chaos gefordert, das durch die rasche und unbeherrschte Entwicklung infolge der Industrialisierung entstanden war. Die in dieser Schrift geforderte Trennung der Funktionen Wohnen, Arbeiten und Erholen bei gleichzeitiger Verknüpfung durch eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur findet noch heute ihren Niederschlag im deutschen Planungsrecht. Während die Charta von Athen vor dem Hintergrund der Missstände ihrer

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723

Zeit notwendige städtebauliche Forderungen enthielt, wurde die Trennung der Funktionen nach dem zweiten Weltkrieg zu einer oft schematisch angewendeten Formel. Oft wurden Nutzungen voneinander separiert, die nicht nur miteinander vereinbar waren, sondern deren Mischung über Jahrhunderte auch die Urbanität städtischen Lebens ausgemacht hatte. Gegenwärtig jüngstes Kapitel dieses Prozesses der funktionalen Entmischung sind die großen und im Zusammenhang entwickelten, gewerblich genutzten Standorte, die inzwischen im Umland jeder größeren Stadt zu finden sind. Hierbei handelt es sich um die im Rahmen neuerer Suburbanisierungstendenzen entstandenen gut erschlossenen neuen Wirtschaftsstädte mit Headquarterfunktionen, um Einkaufszentren und Mega-Malls an Autobahnen, um Unterhaltungs- und Freizeitparks, um größere Gewerbeparks oder ähnliches. Alle diese Gebiete haben gemeinsam, dass sie in den vergangenen Jahrzehnten jeweils funktional hochspezialisiert ihren eigenen Entwicklungslogiken folgen konnten, ohne Bezüge zu ihrer Umgebung aufnehmen zu müssen, die über die engere Funktion hinausgingen. Wie Sieverts feststellt, haben sich manche dieser Systeme im weiteren Verlauf der raumfunktionalen Arbeitsteilung so weit verselbständigt, dass sie „wie autistisch unfähig zum Dialog mit ihrer Umgebung geworden sind“ (Sieverts, S. 87). Die gleichzeitige Spezialisierung der Systeme hat dazu geführt, dass Sekundärnutzungen, die anfangs noch möglich waren, zunehmend ausgeschlossen wurden. In dieser autarken Monofunktionalisierung sieht Sieverts den grundlegenden Unterschied der gegenwärtigen zur „alten Stadt“, deren Funktionen immer auf engem Raum oder sogar innerhalb von einzelnen Gebäuden gemischt waren. „Der Zwang zur Enge in der historischen Stadt hat im Laufe der Jahrhunderte zu dem komplexen und kulturell aufgeladenen Regelwerk geführt, das wir als historische Stadtkultur bewundern“ (Sieverts, S. 86) und das insbesondere die gegenwärtigen suburbanen Strukturen vermissen lassen. 3.4.2.2

Die Qualifizierung suburbaner Bereiche

Im Anschluss an Wanderungen von Wohn- und Einzelhandelsnutzungen an den Stadtrand und in das Umland der großen Städte und Stadtregionen ist die jüngste Phase der Suburbanisierung insbesondere durch die vermehrte Ansiedlung von Arbeitsstätten im suburbanen Raum geprägt, darunter erstmalig auch produktionsorientierte Dienstleistungen. Hierbei handelt es sich um solche Betriebe, die zwar auf die gesamte Stadtregion orientiert sind, jedoch nur in geringem Maße auf interaktive Kommunikation angewiesen sind (vgl. Brake et al., S. 9). Mit einer steigenden Zahl an Arbeitsstätten erhöhen sich jedoch die Möglichkeiten, komplexere Aktionszusammenhänge wie etwa zwischen Arbeiten und Wohnen oder zwischen verschiedenen Freizeitaktivitäten auch innerhalb des suburbanen Raumes selbst wahrzunehmen. Insofern verändern sich die Mobilitätsmuster: Tangential- und Querbeziehungen im suburbanen Raum nehmen

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zu, und bestimmte Umlandgemeinden werden Ziel von Pendelmobilität, selbst für Arbeitnehmer aus der jeweiligen Kernstadt. Die neue funktionale Zuordnung von Wohnen und Arbeiten erleichtert die Anlagerung von Versorgungs-, Freizeit- und Kultureinrichtungen. Dadurch kann die Attraktivität einzelner Umlandgemeinden gesteigert werden, die eher einem "städtischen Lebensstil" entspricht. Diese zunehmende Eigenständigkeit suburbaner Orte interpretieren Brake et al. als "Emanzipation von der Kernstadt" (ebd.). Phänomene, die bislang der Stadt zugeordnet wurden, lassen sich infolge dieser Entwicklung zunehmend auch in Gemeinden des Umlandes feststellen: Es kommt zur Entwicklung "vollständiger Standorte" im suburbanen Raum, die sich aus der Anlagerung, Verdichtung und Verflechtung einzelner, ursprünglich monofunktionaler Bereiche ergibt. Aus dieser Entwicklung resultieren neue Potenziale zur Zivilisierung des "urban sprawl" und zersiedelter Stadtstrukturen, denn die Frage der Integration von Standorten bezieht sich damit nicht mehr nur auf innerstädtische Lagen. Auch in der von Sieverts "Zwischenstadt" genannten Kulisse gewinnt die Schaffung integrationsfähiger neuer Standorte in die vorhandene Siedlungsstruktur an Bedeutung. Dies umfasst neben der Berücksichtigung funktionaler Verflechtungen auch eine entsprechende Gestaltqualität. Letzteres ist in der suburbanen Standortentwicklung der vergangenen Jahrzehnte ein wenig beachtetes Handlungsfeld gewesen. Weit entfernt von den kulturellen Brennpunkten und Schauseiten der städtischen Selbstdarstellung und auch getrennt von den Wohnquartieren wurden monofunktionale Gewerbegebiete stadtgestalterisch gründlich vernachlässigt. Für die jüngere Entwicklung ist dies nur bedingt richtig. Zwar ist der gestalterische Aspekt in seiner Bedeutung gestiegen, allerdings führt die Globalisierung von Unternehmen auch zu einer Globalisierung der Architektursprachen und städtebaulicher Gestaltungsansätze. So ist neben der funktionalen Spezialisierung auch eine gestalterische Angleichung von Standorten völlig verschiedener Größenordnungen und historischer Entwicklungspfade zu erkennen, die sich mit dem äußeren Druck erklären lässt, der durch die Bedingungen der Globalisierung auf die Städte einwirkt. Weltweit vernetzte Daten- und Kapitalströme forcieren den Wettbewerb um Investoren, Einwohner und einen günstigen Rang in der Bedeutungshierarchie des metropolitanen Systems. Dieser externe Druck drängt zu einer Annäherung der Standorte hinsichtlich ihrer Angebote und ihrer städtebaulichen und architektonischen Gestalt, die Marcuse mit einem Nacheifern der Städte untereinander erklärt: „Die Konkurrenz zwischen Städten wird mehr und mehr als ein Antrieb für städtische Entwicklungen verstanden, der fast immer von der Bemühung geleitet ist, den ‚erfolgreichsten’, das heißt den am weitesten globalisierten Städten nachzueifern. Status wird überall in Bezug auf diese Städte definiert, so dass beispielsweise das Bauen immer höherer Wolkenkratzer als ein Ausdruck von Stärke und Erfolg verstanden wird.“ (Marcuse, S. 114). In diesem Prozess

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neigen international tätige Investoren dazu, gemeinsam mit international arbeitenden Architekten die gleichen Bauten an ähnlichen Standorten in Städten rund um den Globus zu errichten. Nach Sieverts werden die Aspekte der gestalterischen und funktionalen Integration suburbaner Standorte weiter an Bedeutung gewinnen. "Die Erneuerung der 'Zwischenstadt' steht das erste Mal an, und sie unterliegt anderen Bedingungen als die Erneuerung der alten Stadt: Nicht so sehr die Substanzerneuerung, sondern die kulturelle Qualifizierung in Gestalt und Programm ist vordringlich, um in der neuartigen Konkurrenz mithalten zu können. Denn in dieser Konkurrenz werden die ehemals sekundären, so genannten 'weichen' zu primären Standortfaktoren." (Sieverts, S. 85). Aber auch die in integrierten innerstädtischen Lagen realisierten Projekte vergeben oft die Chance einer wirklichen Identitätsbildung durch unverwechselbare, den Genius Loci nutzende Formen und Funktionen, durch eine Urbanität fördernde Mischung, durch herausragende öffentliche Räume oder auch nur eine ausreichende Einbindung in ihre Umgebung. Im Ergebnis sind in den vergangenen Jahren weltweit Wohn- und Gewerbestandorte in integrierten als auch suburbanen Lagen entstanden, die sich hinsichtlich städtebaulicher Gestalt, architektonischer Form, funktionalem Spezialisierungsgrad oder stadträumlicher Isolation ähnlich geworden sind. Die Bindung der einzelnen Systeme an den konkreten Ort oder an regionale Architekturtradition ist im Vergleich zu früheren Planungsphasen deutlich gelockert worden. Ein Beitrag zu der von Sieverts angesprochenen kulturellen Qualifizierung besteht im Hinblick auf die Schaffung eines prägnanten Standortprofils in dem Versuch, die Spezifität und Unverwechselbarkeit des Standortes durch gezielte „Adressbildung“ zu fördern. Innerstädtische Standorte, die in den vergangen Jahren aufgrund der Deindustrialisierung vermehrt zur Nachnutzung auf den Grundstücksmarkt gelangt sind, profitieren oft von historischen Spuren, von der Integration in den bestehenden Standgrundriss oder von der räumlichen Nähe zum traditionell identifikationsstarken Stadtkern. Obwohl sie für den Prozess der Spezifizierung gegenüber suburbanen Lagen potenziell im Vorteil sind, erfreuen sie sich wegen Friktionen in der Baulandmobilisierung und vergleichsweise großen Transaktionskosten in der Entwicklung bei Investoren und Entwicklern nicht gerade besonderer Beliebtheit. Suburbane, gewerbliche Standorte hingegen bieten oft weitaus weniger kulturhistorische Ankerpunkte für einen Profilierungsprozess als innerstädtische Lagen und müssen Binnenqualitäten neu schaffen. Zudem fallen sie oft durch gestalterische Vernachlässigung oder neuerdings durch geringe Unterscheidbarkeit in städtebaulicher Struktur und Gestalt auf. Adressbildung in der Standortentwicklung hebt also abhängig von der siedlungsstrukturellen Lage auf zwei Aspekte ab: die kulturelle Qualifizierung suburbaner Standorte mit dem Anspruch, auch hier Integrationsfähigkeit und Gestaltqualität herzustellen, sowie die reibungslose Nutzbarmachung und Einbindung histo-

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rischen Kapitals an innerstädtischen Standorten. Die Auswahl der im Folgenden betrachteten Fallbeispiele ist mit der Absicht getroffen worden, gute Praktiken der städtebaulichen Planung und Gestaltung an innerstädtischen Standorten vorzustellen, deren Grundmuster sich insbesondere auch für eine Übertragung auf suburbane Standorte eignen. 3.4.2.3

Drei beispielhafte Standort-Entwicklungen

Wie die folgenden Beispiele zur Standortentwicklung zeigen, lässt sich durch den Gebrauch besonderer städtebaulicher Gestaltungsmittel im Rahmen der Standortentwicklung sowohl der Identitätspolitik von Kommunen und Regionen als auch den Ansprüchen von Projektentwicklern und Investoren gerecht werden. Die Analyse der Konzepte und Prozesse dient der Ableitung von Ingredienzien, die die Wahrscheinlichkeit vergrößern, mit der ein in globale Netzwerke eingebundener Standort dennoch eine spezifische Atmosphäre und ein eigenes Profil entwickeln kann. Dabei muss die Darstellung auf für die städtebauliche Entwicklung eines Standortes wichtige Handlungsfelder beschränkt werden. Im Vordergrund der Betrachtung stehen die Organisation der Nutzungs- und Erschließungsstruktur, die Bedeutung des öffentlichen Raumes sowohl für die Einbindung in das Stadtgefüge als auch für die Schaffung einer „guten Adresse“ sowie die Qualität der Planungsprozesse in ihren Auswirkungen auf die entstehende Standortqualität. Die Auswahl ist auf drei umfassende Standortentwicklungen der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gefallen, die bis heute noch nicht abgeschlossen sind. So kann speziell die besondere Qualität konzeptioneller Robustheit an Fallbeispielen illustriert werden, die langen Realisierungszeiträumen ausgesetzt sind. Die Plangebiete umfassen mit der HafenCity Hamburg, der Münchener Messestadt Riem und der Berliner Wissenschaftsstadt Adlershof ehemalige Infrastrukturgebiete in innerstädtischen sowie peripheren Lagen und dokumentieren damit die Neubelebung von Flächen in einem tendenziell ungastlichen Umfeld durch die Schaffung herausragender Binnenqualitäten. „München Riem“ war jahrzehntelang gleichbedeutend mit „Flughafen Riem“. Mit der Verlagerung des Flughafens ergab sich für die Landeshauptstadt München die Möglichkeit, diese 556 Hektar große Fläche neu zu nutzen. Für die unter starkem Entwicklungsdruck stehende Stadt ist dies eine Chance gewesen, sich großräumig zu erweitern und eine langfristige städtebauliche und landschaftliche Planung einzuleiten. Das Gelände liegt sieben Kilometer vom Stadtzentrum entfernt im Osten der Stadt. Es geht in die offene Landschaft der südlich liegenden Münchener Schotterebene über. Aus der Entscheidung, den Standort der Messe München von der Innenstadt nach Riem zu verlegen, entstand der Name des Gesamtprojektes: Messestadt Riem (vgl. Abbildung 168).

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Die Planung für die Messestadt Riem verfolgte das Ziel, zwischen der Großstadt und der Region ein in seiner Nutzung vielfältiges, in seiner Versorgung weitgehend eigenständiges und in seiner Gestaltung attraktives Stadtquartier entstehen zu lassen. Die Planungen wurden geleitet durch drei wesentliche Planungsziele: die Herausbildung einer eigenen Identität und charakteristischen Stadtgestalt, die Bewohnern und Beschäftigten „das Gefühl von Heimat“ (Landeshauptstadt München 1998, S. 4) vermitteln sollte, eine ökologisch orientierte Stadtentwicklung sowie eine vollständige Infrastruktur. Der facettenreiche Planungsprozess umfasste Gutachterverfahren, städtebauliche Wettbewerbe, zahlreiche Fachplanungen und die Installation einer ‚Beratergruppe für Stadtgestaltung und Ökologie’ zur Qualitätssicherung.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 168: Städtebauliches Konzept, Messestadt Riem Adlershof in Berlin wurde bekannt als Deutschlands erster Motorflugplatz und als Heimat der Akademie der Wissenschaften der DDR. Nach dem Brachfallen der Fläche entstand hier eine „Technologie- und Wissenschaftsstadt“ mit internationaler Ausrichtung (vgl. Abbildung 169). Heute gehört Adlershof zu den 15 größten Technologieparks der Welt. Auf einer Fläche von 4,2

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Quadratkilometern entsteht seit 1991 ein integrierter Wissenschafts-, Wirtschafts- und Medienstandort auf der Grundlage eines städtebaulichen Gesamtkonzeptes. Kern ist ein Wissenschaftsund Technologiepark mit 365 Unternehmen und zwölf außeruniversitären wissenschaftlichen Instituten. Seit 2003 befinden sich auch die naturwissenschaftlichen Institute der Humboldt-Universität zu Berlin an diesem Standort. In räumlicher Nähe zu den wissenschaftlichen Einrichtungen hat sich Berlins bedeutendster Medienstandort herausgebildet, der aus über 100 Unternehmen besteht. Bis 2007 wird Adlershof um ein Ensemble aus Wohnquartieren, Einzelhandel, Hotels, Gastronomie und einem großen Park erweitert. Zu Beginn des Jahres 2005 sind in Adlershof etwa 10.000 Menschen in 645 Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen tätig. Die Spuren der Geschichte sind sichtbar geblieben, und ein Landschaftspark bietet Erholungsflächen und ökologischen Ausgleich. Der zugrunde liegende Rahmenplan ist das Ergebnis eines intensiven Diskussionsprozesses zwischen allen Beteiligten und eines kooperativen städtebaulichen Gutachterverfahrens.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 169: Wissenschaftsstadt Adlershof Die HafenCity Hamburg ist eines der größten Entwicklungsprojekte der Hansestadt (vgl. Abbildung 170). Im Rahmen der Nachnutzung brachgefallener Hafenareale entstehen hier zwischen Norderelbe und Innenstadt etwa 5.500 Wohnungen und Geschäftsflächen für über 20.000 Beschäftigte. Der Masterplan aus dem Jahr 2000 sieht eine Bruttogeschossfläche von etwa 1,6 Mio. m² vor. Auf einer Gesamtfläche von 155 Hektar, davon etwa 60 Hektar Nettobauland, wächst in fünfzehn Gehminuten von Rathaus und Hauptbahnhof entfernt ein neuer Teil der Innenstadt heran, der diese um 40% vergrößert. Die Planungen sind Ergebnis eines internationalen städtebaulichen Wettbewerbsverfahrens.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 170: HafenCity Hamburg Stellvertretend für Entwicklungen in anderen Großstädten lässt sich an den drei unterschiedlichen Beispielen zur Standortentwicklung auf Brachflächen ablesen, welche übergreifenden strukturellen, gestalterischen und prozessualen Planungsvorstellungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Standortentwicklung bestimmen. Den Städten Hamburg, München und Berlin kommen dabei als „global cities“ eindeutige Positionen innerhalb des weltumspannenden Netzwerkes bedeutender Metropolen zu. Die drei Beispiele verdeutlichen, wie unter den Bedingungen der Globalisierung von Kapital, architektonischen Ausdrucksformen und professionellen Akteuren dennoch die lokale Verankerung und damit die Ausprägung eines spezifischen Standortprofils gelingen kann. Die hohen Ansprüche an die jeweilige Standortqualität werden in allen drei Fällen durch eine besondere Beachtung der Qualitäten der Nutzungsstruktur, des öffentlichen Raumes und der Landschaft, der Einbindung in den Stadtgrundriss und durch innovative Planungsprozesse verwirklicht. 3.4.3

Vom Gewerbegebiet zum lebendigen Stadtteil

Die Realisierung der dargestellten Planungen erstreckt sich über Zeiträume zwischen 15 und 25 Jahren. Während dieser Zeit können sich die Rahmenbedingungen und Entwicklungsbedarfe der Städte ändern, so dass die zu Grunde liegenden Rahmen- bzw. Masterpläne ein hohes Maß an Flexibilität ermöglichen müssen, ohne jedoch beliebig zu werden. In Anbetracht der Größe der Standorte und der damit anzunehmenden Entwicklungszeit müssen alle Fallbeispiele auf einer robus-

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ten und dennoch flexiblen städtebaulichen Grundlage aufbauen. Diese ergibt sich aus einem Zusammenspiel von Nutzungsplanung, städtebaulicher Struktur, verkehrlicher Erschließung, Parzellierung und der angestrebten Folge von Bauetappen. 3.4.3.1

Der vollständige Standort

Ob Messestadt, HafenCity oder Wissenschaftsstadt: Alle drei Wortschöpfungen verdeutlichen den gegenwärtigen Stellenwert einer umfassenden Verzahnung verträglicher Nutzungen zu einem lebendigen Quartier, wenngleich auch die Funktion „Arbeit“ die Standorte dominiert. Der jeweils erste Wortbestandteil verweist auf standörtliche Spezifika, während mit der Silbe „Stadt“ urbane Vollständigkeit signalisiert wird. Der Anspruch geht über bloße Nutzungsmischung aus traditioneller Motivation wie z.B. der Verkehrsvermeidung hinaus: Hier soll ein qualitätvolles Lebensgefühl an unterschiedliche Zielgruppen vermittelt werden. Es ist bemerkenswert, dass in einer Zeit, in der im stadtplanerischen Milieu das „Verschwinden der Städte“ beklagt oder die europäische Stadt zum „Auslaufmodell“ (vgl. Rietdorf) erklärt wird, ebendiese Stadt mit ihren konstituierenden Merkmalen durch private Entwickler im Rahmen neuer Standortentwicklungen gewürdigt wird. Soziale und funktionale Mischung und Vielfalt bei hoher städtebaulicher Dichte sind nach gängiger Diktion diese Merkmale, die einen Standort „urban“ erscheinen lassen und die an allen drei Beispielstandorten explizit im Zielkatalog vertreten sind. Messestadt Riem Die Entwickler der Messestadt Riem werben mit einer „vollständigen Infrastruktur“, die das „Zusammenleben und den Gemeinsinn der Menschen fördern“ (Landeshauptstadt München 2000, o.S.) soll. Die Planungen sehen eine Nutzungsmischung aus Wohnen und Arbeiten mit unmittelbarem Landschaftsbezug vor. Im Rahmen dieser Ziele soll die Messestadt Riem ein Standort für die Neue Messe sein, Wohnraum für etwa 16.000 Menschen anbieten und bis zu 1.000 Arbeitsplätze aufnehmen. Angestrebt ist eine soziale Mischung von Familien mit Kindern, Singles, Senioren und anderen Gruppen. Unterschiedliche Gebäudetypen ermöglichen ein vielfältiges Wohnungsangebot und stellen sicher, dass sich unterschiedliche Bevölkerungsschichten in der Messestadt ansiedeln können. Verschiedene Finanzierungsformen mit je einem Drittel freifinanzierten Wohnungen, Wohnungen für mittlere Einkommen nach dem „Münchener Modell“ und sozialem Wohnungsbau sind Basis für eine ausgewogene und stabile Bevölkerungsstruktur. Dabei wendet sich das Münchener Modell an Bevölkerungskreise, deren Einkommen über den Obergrenzen des sozialen Wohnungsbaus liegen, die sich jedoch auf dem freifinanzierten Wohnungsmarkt nicht selbst versorgen können.

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Ein eigens für die Messestadt entwickeltes Infrastrukturmodell trägt darüber hinaus den sozialräumlichen Erfordernissen Rechnung. Im Unterschied zu früheren Siedlungsgroßprojekten wurde die soziale Infrastruktur frühzeitig errichtet, so dass Krippen und Kindergärten bereits bei Bezug der Wohnbauabschnitte benutzbar sind. Die städtebauliche Struktur sieht Gewerbegebiete im nördlichen Bereich des Plangebietes vor, Mischgebiete im Übergang zu den südlich gelegenen Wohnbereichen und eine Verzahnung der fingerartig angelegten Wohnquartiere mit dem südlich angrenzenden Landschaftspark. Wissenschaftsstadt Adlershof Obwohl der Wohnanteil von vergleichsweise untergeordneter Bedeutung ist, bewirbt auch die Wissenschaftsstadt Adlershof ihre Vielfalt als „Stadt in der Stadt“. Deren Mitte stellt die „Science City“ dar, umgeben von Medienstadt, Gewerbepark und Wohnquartieren. Die Quartiere gruppieren sich wie bei der Messestadt Riem um einen Natur- und Landschaftspark auf dem Gelände des ehemaligen Flugplatzes Johannistal und greifen damit das Motiv auf, unterschiedliche Wohnformen möglichst gleichzeitig im Kontakt zu städtischem Leben und zu landschaftlichen Reizen anzuordnen. Die Wohnquartiere in unterschiedlicher städtebaulicher Dichte erhalten teilweise eine besondere Note durch die Realisierung von Gebäuden im Rahmen der Europäischen Solar-Bauausstellung 2005 sowie durch reservierte Grundstücke für Bauherrenmodelle und Baugemeinschaften, in deren Rahmen selbstbestimmte, gemeinschaftliche Bau- und Wohnformen erprobt werden. Diese Maßnahmen verfolgen ähnlich wie die Solararchitektur nicht nur das Ziel einer heterogenen und stabilen Bewohnerstruktur, sondern beinhalten auch eine symbolische Komponente, die der Kommunikation einer Atmosphäre (Freundlichkeit und Gemeinschaft, Fortschrittlichkeit und Umweltbewusstsein) dient und dadurch Unterscheidbarkeit zu anderen Standorten herstellt. HafenCity Hamburg Auch die HafenCity in Hamburg weist eine städtisch-gemischte Struktur auf, mit der die Wohnfunktion in der Innenstadt gestärkt, ein breites Angebot für neue Arbeitsplätze geschaffen und zusätzliche Attraktionen aus dem Bereich des „urban entertainment“ an die Stadt gebunden werden sollen. Um einem sich ausdifferenzierenden und zunehmend von der Nachfrageseite bestimmten Wohnungsmarkt gerecht zu werden, wird auch hier ein breites Angebot individueller und vielfältiger Wohnformen angestrebt. Ein Schwerpunkt wird dabei auf städtische, gehobene Wohnformen gelegt, für die in Hamburg ansonsten nur wenig Flächenpotenziale vorhanden sind. Die Wohnungen sind wie in München-Riem und Berlin-Adlershof sowohl den dichten, gemischt genutzten Bereichen als auch den durch Freiräume und Wasser geprägten Lagen zugeordnet. In den Quartieren am Sandtorhafen, dem Baakenhafen und beiderseits des Parks am Lohseplatz soll die Wohnnutzung mit einem Anteil von bis zu 50% den Schwerpunkt bilden.

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Einzelhandels- und kommerzielle Freizeitnutzungen und touristische Infrastruktur sind zur ergänzenden Profilierung des Hauptzentrums vorgesehen und nutzen mit Bezügen zu den Themen Internationalität, Wasser und Hafen, Kommunikation und Transport die besonderen Eigenschaften des Standortes. Obwohl diese Nutzungen am Magdeburger Hafen konzentriert werden, ist grundsätzlich eine möglichst kleinräumige Mischung das städtebauliche Ziel, um ein urbanes Stadtgefüge zu erreichen. Aufgrund unterschiedlicher Flächenansprüche und Verträglichkeitsgrade der einzelnen Nutzungen wird die vertikale und horizontale Mischung im Gebäude, zwischen den Gebäuden und im Quartier konzeptionell bei den weiteren Planungen ausdifferenziert abzuwägen sein. Die Größe der drei Plangebiete ermöglicht diese Nutzungsvielfalt nicht nur, sie erzwingt sie auch. Aus Sicht der einzelnen Betriebe kann im Einzelfall eine möglichst homogene Nutzungsstruktur vorteilhaft sein, die beispielsweise Betriebe mit wesentlich abweichender Schutzbedürftigkeit ausschließt. Aus übergeordneten städtebaulichen und arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten heraus wird die Gemeinde jedoch im Regelfall Monostrukturen vermeiden wollen. Die Einrichtung von Gemeinbedarfseinrichtungen wie Freizeit-, Sport- und Kulturstätten, die einen gebietsübergreifenden Einzugsbereich haben, lassen die gewerblich genutzten Bereiche auch in den Abendstunden nicht verlassen erscheinen. Eine Ansiedlung dieser Einrichtungen in Wohngebieten ist oft mit Lärmbelastung verbunden, die in den Fallbeispielen vermieden werden konnte. Darüber hinaus ergibt sich z.B. die Chance, Stellplätze für den ruhenden Verkehr effizienter auszulasten, da sie tagsüber von Angestellten und abends von Besuchern genutzt werden können. In vergleichender Perspektive ist festzustellen, dass an allen drei Standorten trotz eindeutiger, gewerblicher Schwerpunktsetzung auch Freizeit- und Versorgungsinfrastruktur sowie ein hochwertiges, vielfältiges und an der Nachfrage orientiertes Wohnungsangebot Bestandteile der Neuentwicklungen sind. Neben einer sozialen Mischung wird auch die funktionale Mischung in unterschiedlicher Körnigkeit an allen untersuchten Standorten angestrebt, um kurze Wege zwischen unterschiedlichen Funktionen zu ermöglichen, den neuen Stadtteil auch bis in die Abendstunden hinein zu beleben und eine urbane Atmosphäre zu schaffen. Die gewerblich ausgerichteten Standorte heben sich durch diesen integrierenden Anspruch deutlich von herkömmlichen monofunktionalen Gewerbegebieten ab. Darüber hinaus wird mit der Kommunikation eines „vollständigen“ Standortes bei gleichzeitiger Spezialisierung ein breites Spektrum an Zielgruppen angesprochen. Die große Wertschätzung sensibler Wohnnutzung in unmittelbarer Nähe zum Gewerbe vermag die atmosphärischen Qualitäten und urbanen Ansprüche der gewerblichen Abschnitte zu transportieren und dient damit auch der Positionierung der Gewerbeflächen am Markt.

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3.4.3.2

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Prägnante Strukturen bei hoher Flexibilität

Das Ziel der Mischung von Funktionen mit unterschiedlichen räumlichen Ansprüchen und die langfristig angelegten Realisierungszeiträume erfordern ein städtebauliches Gerüst von großer Robustheit. Die Konzepte müssen für unterschiedliche Ansiedlungsfälle, deren Anforderungen an Grundstücksgröße, Erschließung, Freiflächen, Gebäudevolumina und Nutzungszonierungen kaum vorhersehbar sind, eine ausreichende Flexibilität garantieren. Dies verlangt in der Grundstücks- und Erschließungssystematik ein modular entwickeltes Konzept, das kleinteilige wie großteilige Ansiedlungen gleichermaßen zulässt. Es verwundert daher nicht, dass der Stadtgrundriss in allen drei Beispielen auf Modifikationen eines einfachen orthogonalen Rasters basiert, in dem überwiegend die städtebauliche Form der offenen, halboffenen und geschlossenen Blockrandbebauung Anwendung findet. Der Block erweist sich – anders als die übrigen Grundformen Zeile, Reihung und Solitär – als ein Stadtbaustein, der sich insbesondere in gemischt genutzten Situationen flexibel einsetzen lässt, da in ihm eine vertikale und horizontale Nutzungsmischung vergleichsweise einfach realisiert werden kann. Durch eine eindeutige Teilung des Raumes in Vorder- und Rückseiten vermag er klare Verhältnisse zwischen öffentlichem und privatem Raum zu schaffen, so dass sich die öffentlich nicht unmittelbar einsehbaren Blockinnenbereiche flexibel gestalten lassen. Hier können Zufahrten für die gewerbliche Anlieferung oder Lagerflächen ebenso untergebracht werden wie vergrößerte Grundflächen im Erdgeschoss, Anbauten oder Hallen. In seiner geschlossenen Variante bilden die Außenwände der Blöcke die „rue corridor“, die oft als eine Grundvoraussetzung für die Entstehung lebendiger öffentlicher Räume angesehen wird. Die flexiblen Raster der drei Fallbeispiele lassen jedoch in den Wohnquartieren genügend Spielraum, um im Hinblick auf die Schaffung vielfältiger Wohnformen auch Zeilen oder Reihenhäuser auf einzelnen Baufeldern zu realisieren. Da Flexibilität immer auch bedeutet, dass an allen Stellen eines Gebietes jeder Ansiedlungsfall seinen Platz finden kann, ist sorgfältig bei der Konzeptentwicklung auszutarieren, wie das Mengenverhältnis von flexiblen und maßgeschneiderten Zonen eines Standortes ist und wo jeweils welche Zone untergebracht wird. Die unterschiedlich ausgeprägten Restriktionen in den Gewerbebereichen der Messestadt Riem veranschaulichen diese Strategie. Die konzeptionell und gestalterisch stark reglementierten Bereiche befinden sich im Zentrum am Willy-Brandt-Platz und der Willy-Brandt-Allee. Hier sind neben einem Einkaufszentrum auch Büros, gewerbliche Strukturen, ein Hotel sowie öffentliche Einrichtungen vorgesehen. Kleinere dezentrale Einzelhandelsflächen in den Wohngebieten ergänzen dieses Angebot. Dieses geplante Miteinander vieler Interessen ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit an diesen Orten urbanes Leben entstehen kann.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 171: Gewerbegebiet Nord-West, Messestadt Riem Das Gewerbegebiet Nord-West hingegen wird als monofunktionaler moderner Gewerbepark konzipiert, der ganz auf die Bedürfnisse innovativer und wachstumsorientierter Branchen ausgerichtet ist (vgl. Abbildung 171). Da hier ein Cluster aus Betrieben, die dem Medien- und High-TechUmfeld und der Umwelttechnik zugehörig sind, entstehen soll, werden auch die gestiegenen Anforderungen an die Qualität der Infrastruktur (Techniken zur Datenübertragung) berücksichtigt. Die Parzellierung gestattet ein vielfältiges Angebot unterschiedlich großer und flexibel kombinierbarer Grundstücksmodule, um interessierten Unternehmen eine an ihren individuellen Bedürfnissen orientierte Planung zu ermöglichen. Die Einhaltung gestalterischer Leitlinien sichert das Ziel, das Gewerbegebiet zu einer „guten Adresse“ zu machen. Die Blockstruktur ermöglicht eine klare Ausbildung von Allee-Straßen, die

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durch ihre prägnante Bepflanzung und straßenseitige Baulinien auch unterschiedliche Gewerbearchitekturen zu einem einheitlichen Bild zusammenfasst, während die rückwärtigen Bereiche vor Einblicken geschützt sind. Das Gewerbegebiet Nord-Ost hingegen wird als klassisches Gewerbegebiet entwickelt. In unmittelbarer Nähe zur Autobahn entstehen hier Flächen für überwiegend ebenerdig organisierte Produktionsbetriebe. Die intensive Eingrünung zum De-Gasperi-Bogen und die durch Stichstraßen organisierte Kamm-Erschließung lässt auch Betriebe mit einem höheren Bedarf an Freilager- und Verkehrsflächen zu, ohne das Stadtbild zu beeinträchtigen. 3.4.3.3

Zwischen Stadt und Landschaft

Die im Blockrand erzielte durchweg hohe Baudichte sowohl in den Wohn- als auch in den Gewerbegebieten wird in allen drei Beispielen durch großzügige, öffentliche Räume ergänzt. In Berlin und München bestimmen große Parks das freiräumliche Profil, in deren Randbereichen die bauliche Dichte reduziert wird, während sie in den städtischen Freiräumen, insbesondere den als Alleen ausgebildeten Haupterschließungen, erhöht wird. Hier wird auf kleiner Fläche der Dichtegradient der traditionellen europäischen Stadt nachgebildet, der vom Stadtzentrum zum Umland abfällt. Der besondere Reiz für sich ansiedelnde Unternehmen und Haushalte besteht in der engen Tuchfühlung zu beiden Freiraumtypen – sowohl dem städtischen als auch dem landschaftlichen. Am Beispiel aus Riem lässt sich ablesen, wie durch offene Blöcke der Landschaftspark in die Wohnquartiere hineingezogen wird. In den Wohnquartieren der Münchener Messestadt wird das strikte Blockraster aufgebrochen. Die Erschließung ist hier als Kammsystem angelegt, so dass sich die Baufelder mit dem südlich gelegenen Landschaftspark verzahnen (vgl. Abbildung 172). So wird auf kleiner Fläche eine urbane Straßensituation mit einer großzügigen freiräumlichen Gestaltung im rückwärtigen Bereich kombiniert. Die Siedlungskante wird aufgelöst, der Rand zwischen Siedlung und Landschaft maximiert. In Kombination mit dem dichten nördlich gelegenen Zentrum macht Sieverts darin die idealtypische Eigenschaft einer Stadtform unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit aus. „Die Stadtform sollte fraktale, d.h. randmaximierende Eigenschaften mit zentrierenden, d.h. sozial und ökonomisch sammelnden Eigenschaften verbinden.“ (Sieverts, S. 89). Diese Struktur spricht die Zielgruppe des „urban villagers“ an, der die Vorteile städtischen und ländlichen Lebens vereinen möchte. Während in der Messestadt die Randmaximierung künstlich geplant werden musste, war die HafenCity Hamburg durch die historische Hafennutzung bereits mit maximaler Randlänge ausgestattet. Die zahlreichen Piere mit den dazwischen liegenden Hafenbecken ermöglichen heute die Entwicklung einer Vielzahl von attraktiven Wasserlagen für Büros und Wohnungen.

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 172: Wohnquartiere, Messestadt Riem 3.4.4

Der Beitrag des öffentlichen Raumes zur Adressbildung

Die meisten heute städtebaulich zu entwickelnden Standorte besitzen ein problematisches Umfeld mit einem eher schlechten Ruf. Oft sind die Standorte selbst mit einem belasteten Image versehen. Bei der Aufwertung derartiger Standorte muss es dann gelingen, sich einerseits vom Umfeld abzu-

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schirmen und eine Binnenqualität auf dem Standort selbst auszuprägen, was die Standortentwicklung auch von städtebaulichen Leistungen zur Umfeldverbesserung unabhängig macht. Andererseits ist es langfristig notwendig, die Standorte mit ihrer Umgebung zu verzahnen. Geschehen kann beides durch ein qualitativ hochwertiges Netz aus Straßen und Plätzen sowie durch die Anlage repräsentativer Parks und anderer Freiräume, durch die die öffentliche Hand in eine gestalterische Vorleistung tritt und Qualitätsmaßstäbe für die Gesamtentwicklung setzt. 3.4.4.1

Der öffentliche Raum im Städtebau

Der öffentliche Raum ist die Visitenkarte jeder Stadt. Er wird gebildet aus dem stadtweiten Netzwerk von Straßen, Plätzen und Parks, die in ihrer historischen Entwicklung ein unverwechselbares und einzigartiges Gefüge in jeder Stadt hervorgebracht haben. Insbesondere Straßen haben als infrastrukturelle Elemente eine oft Jahrhunderte lange Lebensdauer, die die Existenz der zwischen ihnen realisierten Bauten oft um ein Vielfaches übertrifft. Der Begriff des öffentlichen Raumes verweist auf die mehrdimensionale Struktur von Öffentlichkeit, der weit über die lineare Zweidimensionalität der Straße hinausgeht. Der Idealtypus des öffentlichen Raumes in Europa ist die Korridor-Straße, deren private Anbauten in geschlossener Bauweise auf beiden Straßenseiten klare Raumkanten definieren. Erst durch die positivräumlichen privaten Gebäude entsteht der Negativraum des öffentlichen Raumes, erst durch die angrenzenden Nutzungen erfährt ein Straßenraum die Belebung, die ihn attraktiv macht. Ohne diese Form gebende, private Struktur wäre die öffentliche Straße lediglich funktionale Verkehrsfläche. Aus diesem Wechselverhältnis erwächst die besondere Verantwortung privater Akteure für den öffentlichen Raum, die ihrerseits einen Nutzen aus ihm ziehen. Durch die Gestalt der Bauten in ihrem Verfügungsrahmen, aber auch durch die zugewiesenen Erdgeschossnutzungen der privaten Gebäude wird sowohl die Form als auch die Nutzbarkeit des öffentlichen Raumes mitbestimmt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass öffentliche und private Räume in jeder Epoche auch das spezifische gesellschaftliche Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit abbilden, das einem steten Wandel unterworfen ist. Nur so ist zu erklären, dass sich im 21. Jahrhundert die Grenzen von Öffentlichkeit und Privatheit im Raum stark verwischen. Neue Formen von Öffentlichkeit entstehen in rechtlich privaten, baulich geschlossenen oder gar virtuellen Räumen, im Internet oder in Einkaufszentren. Gleichzeitig verlagern sich einst private Handlungen in den öffentlichen Raum: Das Automobil bewegt privaten Raum im öffentlichen, das Gespräch mit dem Mobiltelefon in der SBahn veröffentlicht Privates. Die Eindeutigkeit von Öffentlichkeit, wie sie in früheren Jahrhunderten erlebbar war, hat sich durch gesellschaftliche Umbrüche zu einer Vielzahl konkurrierender Teilöffentlichkeiten ge-

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wandelt. Für den Städtebau ergibt sich die Konsequenz, dass Räume angeboten werden sollten, die die dynamische Entstehung von Öffentlichkeiten unterstützen – unabhängig von ihrer rechtlichen, baulichen oder freiräumlichen Form. Damit gewinnt auch die alte Anforderung an öffentliche Straßen- oder Platzräume eine neue Bedeutung, für sehr unterschiedliche individuelle Bedürfnisse Möglichkeiten der Aneignung zu bieten. Die Fallbeispiele tragen diesem Kriterium durch eine außerordentlich vielfältige Typologie öffentlich nutzbarer Räume Rechnung. 3.4.4.2

Öffentliche Straßen und Plätze

Bei einer Betrachtung der HafenCity Hamburg, der Messestadt Riem und der Wissenschaftsstadt Adlershof gerät leicht aus dem Blickfeld, dass es sich um drei ehemals unterprivilegierte, sperrige Altstandorte handelte, denen nur mit Mühe ein neues Gesicht gegeben werden kann. Die Flughafen-Areale liegen aus einstmals sinnhaften Erwägungen in einiger Distanz zu den attraktiven Seiten der Stadt, ihre Anbindung an das Netz öffentlicher Wege ist für viele Jahre auf wenige Zubringer reduziert gewesen. Auch die altindustriellen Hafenareale in der Hansestadt sind aus stadttechnischer Perspektive aufwändig zu entwickeln. Die drei Standorte stellten in ihren Ausgangssituationen nicht nur brachgefallenes Ödland der Industriegesellschaft dar, sondern befanden sich aufgrund ihrer Lage in der Stadtstruktur und ihrer Abtrennung durch Autobahnen, Kanäle, Hafenbecken oder Bahntrassen auch in einem ungastlichen Umfeld. Während die HafenCity von Beginn ihrer Entwicklung an die benachbarte ansehnliche Speicherstadt als wichtigen Milieugeber nutzen kann, verfügen Messestadt Riem und Adlershof nicht über Merkmale in der Nachbarschaft, derer sie sich zum Aufbau eines positiven Images bedienen könnten. Aus diesem Umstand entsteht gerade hier die Notwendigkeit, durch hochwertige öffentliche Räume Binnenqualitäten zu schaffen. Ein herausragendes Potenzial der HafenCity Hamburg liegt in der Verbindung der Innenstadt zum Hafen und zur Elbe mit Blickachsen und Wegeführungen über Stadträume, an deren Ende „das Maritime spürbar wird“ (GHS, S. 7). Die Einbettung der neu angelegten öffentlichen Räume in den umgebenden Stadtgrundriss ist der erste und wichtigste Schritt, mit dem die Qualitäten der HafenCity determiniert werden – noch weit vor der eigentlichen Ausgestaltung der Straßen, Plätze und Parks. Die Funktion des öffentlichen Raumes ist also nicht nur eine lokal-gestalterische, um besondere Atmosphären erlebbar zu machen, sondern zunächst eine strategische zur Eingliederung des Standortes in das bestehende Wegenetz. Dies gilt mit anderem Vorzeichen auch für die Wissenschaftsstadt Adlershof in Berlin und in Teilen für die Messestadt Riem. Ihre Lagen scheinen im Hinblick auf die Stadtstruktur zwar weniger prominent, gerade daraus erwächst jedoch die Notwendigkeit, die Neuentwicklungen an das fein ausdifferenzierte Wegenetz der Umgebung anzubinden.

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739

Über die grundlegende Einordnung des Standortes in den Stadtgrundriss hinaus ist der Gestaltung des öffentlichen Raumes in der HafenCity Hamburg, insbesondere der zahlreichen Uferkanten als Orten der Begegnung und Kommunikation mit stadtteilprägendem Charakter, besondere Aufmerksamkeit gewidmet worden. Wesentliches Merkmal der freiräumlichen Qualitäten der HafenCity ist die Bestimmung, dass die Kaibereiche grundsätzlich in ausreichender Breite als Promenaden gestaltet und dauerhaft für jedermann zugänglich sein sollen. Ihre Gestaltung variiert je nach angrenzender Nutzung. In dieser konsequenten Veröffentlichung der prominentesten imagebildenden Bereiche liegt langfristig auch ein wirtschaftlicher Nutzen für die angrenzenden Betriebe und Wohnungen, da das Alleinstellungsmerkmal des Standortes – die einzigartige Wasserlage – durch diesen Anspruch nachhaltig im Bewusstsein der Besucher, Bewohner und Beschäftigten verankert wird. Privatisierungen dieser Lagen würden dem Standort dauerhaft seine Prominenz im Stadtgefüge und damit im öffentlichen Gedächtnis der Stadtgesellschaft rauben. Eine zentrale Bedeutung kommt dem Magdeburger Hafen zu, der zu einem dominanten öffentlichen Platzraum der künftigen HafenCity entwickelt werden soll. Er wird als Pendant zu Jungfernstieg und Binnenalster begriffen und soll ein Ort mit eigener Charakteristik und stadtweiter Ausstrahlung werden. Dies bedeutet, dass die Aufenthaltsfunktion des öffentlichen Raumes hier in einem besonderen Verhältnis zu seiner Erschließungsfunktion steht. Auch die Messestadt Riem weist einen vergleichbaren Ort auf, der als atmosphärischer Kristallisationspunkt den gesamten Stadtteil repräsentieren soll. Es handelt sich um den markant gestalteten Willy-Brandt-Platz mit seinem Umfeld, an den vergleichbare gestalterische Ansprüche gestellt werden wie an den Magdeburger Hafen. Die Wissenschaftsstadt Adlershof hingegen weist mit ihren zahlreichen städtischen Grünflächen und Platzräumen eine eher dezentrale Struktur auf. 3.4.4.3

Binnenqualitäten durch städtische Parks

Alle drei Standorte verfügen neben zahlreichen grünen und städtischen Freiräumen über großzügige öffentliche Parkanlagen, die neben ihrer ökologischen und klimatischen Funktion für die Naherholung vorgesehen sind. HafenCity Hamburg In der HafenCity setzt der langgestreckte Grünraum zwischen Brooktor- und Baakenhafen einen Kontrast zum geschäftigen und urban ausgeprägten Magdeburger Hafen. Er wertet damit nicht nur die landseitigen Lagen des Planungsgebietes auf, sondern ihm kommt als überörtliche Grünverbindung von der Innenstadt zum Wasser und an das uferbegleitende Wegenetz entlang der Elbe eine wichtige stadtökologische und verkehrliche Funktion zu. Die Parkanlage selbst soll in ihren einzelnen Abschnitten einen unterschiedlichen Charakter für verschiedene Funktionen haben: Ruhe, Erholung, Sport und Spiel.

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Messestadt Riem In der Messestadt Riem ist der im Süden des Planbereichs gelegene Landschaftspark die freiräumliche Dominante. Mit einer Größe von 200 Hektar sichert er Erholungs- und Ausgleichsflächen für die Messestadt und eine Frischluftschneise in Richtung Innenstadt. Der Entwurf für den Park, Ergebnis eines internationalen landschaftsplanerischen Ideen- und Realisierungswettbewerbes, gibt ein Gerüst aus Baummassiven, Hainen und Hecken vor. Standortgerechte Baumarten und naturnahe Wiesen tragen zur Biotopvernetzung bei und erzeugen besondere Stimmungen. Die Anordnung der Gehölzmassive auf schollenartigen Aufkantungen erhöht die Raumwirkung. In den Park sind attraktive Naherholungseinrichtungen wie ein Badesee mit Strand und Rodelhügel integriert. Das Aktivitätenband an der Nordkante des Parks wird intensiv gestaltet und genutzt. Hier sind verschiedene Themengärten, Biergärten, ein Abenteuerspielplatz, Bolzplätze und andere Angebote vorgesehen. In die Bundesgartenschau 2005, für die München den Zuschlag erhalten hat, wird die gesamte Messestadt unter dem Thema „Nachhaltige Entwicklung eines neuen Stadtteils“ einbezogen. Wissenschaftsstadt Adlershof Als „vollständiger Standort“ bewirbt auch Adlershof die Kombination aus Arbeit und Freizeit. Die grüne Mitte des Stadtteils ist ein 68 Hektar großer Park auf dem ehemaligen Flugplatz Johannistal, in dem sich Naturschutz- und Sporteinrichtungen für Golf und Tennis befinden. Um die mitten in der Stadt liegenden Biotope zu erhalten, wurden drei nebeneinander liegende Zonen definiert: der auf Freizeitnutzungen ausgelegte Aktivpark mit 30 Stadtgärten, der Landschaftspark im Stil englischer Landschaftsarchitektur und der Naturpark in Form eines Naturschutzgebietes. Zahlreiche kleinere Parks auf insgesamt 17 Hektar durchziehen die bebauten Bereiche der Wissenschaftsstadt. Besondere historische Orte sind durch Stadtplätze markiert und bilden Gelenke zwischen alten und neuen Strukturen. 3.4.4.4

Relikte des Altstandortes als Milieugeber

Standorte in integrierten Lagen weisen Anknüpfungspunkte für die Herausbildung eines spezifischen Profils im öffentlichen Raum aus, die in suburbanen Lagen auf der „grünen Wiese“ oft nicht vorhanden sind. Das Image eines Standortes lässt sich insbesondere durch den Erhalt von Gebäuderelikten, Vegetationsbeständen und markanten Spuren in der Flächengestaltung prägen. So kann die Einmaligkeit des Standortes und seiner Geschichte kommuniziert werden. Die konzeptionelle Notwendigkeit der Einbindung von Beständen begünstigt außerdem die Entwicklung maßgeschneiderter und nicht standardisierter städtebaulicher Entwürfe für einen Standort, weil die Vermittlung von Alt und Neu mehr Kreativität im Umgang mit Standorten erfordert und kaum Routinen zulässt.

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741

Messestadt Riem Auch wenn die Messestadt Riem eine eigenständige Neuplanung darstellt, so bleiben doch einige Spuren aus der Flughafenzeit bestehen. Die ehemalige Abflughalle sowie der Tower bleiben erhalten und werden neuen Nutzungen zugeführt. Ebenso wird die ehemalige Zuschauertribüne am westlichen Rand des früheren Flugfeldes, die sich in vielen Jahren zu einem interessanten Biotop entwickelt hat, fortbestehen. Auch das östliche und westliche Ende der alten Start- und Landebahn bleiben als Strukturen in der Landschaft erkennbar. Durch das Gewerbegebiet Nord-West schiebt sich ein diagonaler Grünzug, der eine Reminiszenz an das frühere Flughafen-Oval darstellt. Gleichzeitig lockert das Grün die Bebauung auf, begünstigt den Frischluftaustausch und bietet den hier arbeitenden Menschen einen Erholungsraum während der Arbeitspausen. Wissenschaftsstadt Adlershof Auch die markante Form des Landschaftsparkes im Zentrum der Wissenschaftsstadt Adlershof geht auf die historische Nutzung als Flugfeld zurück. In der Mitte dieses Parks wurden die wertvollen Biotopstrukturen erhalten und unter Naturschutz gestellt. Der im Halbkreis angelegte Grünzug, der sich durch die bebauten Bereiche zieht und das Gewerbequartier mit dem Park verknüpft, erhält seine geschwungene Form aus der früheren Struktur des Flugplatzes. HafenCity Hamburg Die HafenCity hingegen nutzt neben der Speicherstadt insbesondere die historischen Kaianlagen und die damit verknüpften maritimen Relikte, um ein prägnantes Profil auszubilden. Das Bestreben, nicht nur ein Gewerbegebiet zu entwickeln, sondern einen lebendigen Stadtteil äußert sich in allen drei Beispielen im Angebot an vielfältigen und hochwertigen öffentlichen Räumen. Das Beispiel der Münchener Messestadt hat gezeigt, dass es sich hier um weit mehr handelt als um schmückendes Beiwerk. Die Darstellung des Gewerbegebietes Nord-West hat illustriert, welche Bedeutung einem prägnant ausgeformten Straßenraum für die Adressbildung innerhalb einer gewerblich genutzten Struktur zukommt. Der durchgängig gestaltete und begrünte öffentlichen Raum vermag hier die verbindende Klammer der individuellen Gestaltung vieler Einzelbetriebe zu sein. Die geschlossenen Blockstrukturen in HafenCity oder Wissenschaftsstadt hingegen bündeln Flaneure und Passanten im Straßenraum und beleben die zentralen Bereiche. Große öffentliche Parks in allen drei Stadtteilen kompensieren die hohe bauliche Dichte und ermöglichen dezentral Entspannung und Erholung in weitläufigen Grünflächen inmitten eines urbanen Umfeldes. Erst diese öffentlichen Räume schaffen Binnenqualitäten im ungastlichen Umfeld und prägen so den Gesamteindruck eines Besuchers oft mehr als die baulichen Formen.

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3.4.5

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Ergebnisqualität durch Verfahrensqualität

Die Größe der betrachteten Standorte und ihre sich daraus ergebende Bedeutung für die gesamtstädtische Entwicklung hat in allen Fällen zu besonderen Verfahren geführt, in die zahlreiche Akteure eingebunden waren. Die Qualität dieser Prozesse hat direkte Auswirkungen auf die gestalterische und strukturelle Qualität der Baugebiete, so dass der Projektkommunikation eine ebenso große Bedeutung zugemessen werden muss wie den baulich-räumlichen Maßnahmen. Als Beispiel mag der komplexe Projektaufbau der Münchener Messestadt dienen. In Planung und Realisierung der Messestadt Riem wurden Fachleute, Öffentlichkeit und Entscheidungsträger konsequent in den Planungsprozess einbezogen. Dahinter steht die Vorstellung, dass Planen im Sinne von Nachhaltigkeit eine kontinuierliche Gemeinschaftsaufgabe ist, nicht die Addition von Einzelleistungen mit abgeschlossenem Endergebnis. Über Publikationen, Ausstellungen und Veranstaltungen wurden Öffentlichkeit und Bürger weit über die gesetzlich geregelten Mitwirkungsverfahren hinaus in den Planungsprozess eingebunden. Unter anderem hat die Stadt München ein Beteiligungsprojekt ins Leben gerufen, dass den Bürgern und Nutzern der Messestadt Riem besondere Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Mit einem eigenen Riem-Ausschuss, in dem alle Angelegenheiten der Messestadt gebündelt behandelt wurden, hat der Stadtrat der Landeshauptstadt dafür Sorge getragen, dass Planung und politische Entscheidung nahtlos ineinander greifen. Vertreter des Stadtrates sind ihrerseits in den Fachgremien (z.B. Preisgerichte, Beratergruppen) der Messestadt vertreten. Für die Realisierung des Projektes wurde ein privatrechtliches Trägermodell entwickelt. Dazu führte die Landeshauptstadt München eine europaweite Ausschreibung der Maßnahmeträgerschaft München-Riem durch. Den Zuschlag aus dieser Ausschreibung erhielt eine Bietergruppe um die Bayerische Landesbank, der zur Gründung der MRG Maßnahmeträger München-Riem GmbH führte. Die Aufgaben der MRG umfassten insbesondere die Erschließung sowie die Herstellung der technischen, sozialen und kulturellen Infrastruktur. Alle diese Aufgaben wurden durch ein Bankenkonsortium unter Führung der Bayerischen Landesbank vorfinanziert. Während der Projektdauer leistete die Stadt München Finanzierungsbeiträge vor allem aus Grundstückserlösen und aus staatlichen Zuwendungen. Die Wahrung der städtischen Interessen wird durch die enge Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und durch einen Beirat, dessen stimmberechtigte Mitglieder aus den Reihen des Stadtrates stammen, sichergestellt. 3.4.6

Handlungsempfehlungen

Die vergleichende Betrachtung von drei umfangreichen Neuentwicklungen der Jahrhundertwende ermöglicht eine Reihe von Thesen zur Optimierung von Standortwahl, städtebaulicher Struktur

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743

und Form sowie der Prozessgestaltung im Rahmen der Entwicklung von gewerblichen Standorten in der betrachteten Größenordnung. Öffentliche Räume sorgen für gute Adressen. Zeigt das Umfeld eher Nach- als Vorteile für die Standortentwicklung, weil es belastet ist und einen schlechten Ruf besitzt, gilt es für einen Standort Binnenqualität zu erzeugen, um sich vom Image des Umfeldes abzusetzen. Dafür muss zunächst einmal dem Standort die Qualität einer neuen, guten Adresse verliehen werden. Diese wird wie überall im Stadtgefüge maßgeblich durch den öffentlichen Raum geprägt, der durch seine Lage und Ausstattung das Bild und damit das Image einer Adresse bestimmt. Dafür bedarf es im Zuge einer Standortentwicklung städtebaulich-gestalterischer Festlegungen, die vor allem auch darauf ausgerichtet sein müssen, dem Standort ein spezifisches, eigenständiges Gesicht zu geben. Relikte des Altstandortes geben dem Neuen ein Profil. Die Gefahr des sehr oft austauschbaren Erscheinungsbildes vieler Neubaugebiete an den Rändern der Städte wird reduziert, wenn sich die Standortentwicklung mit den spezifischen Merkmalen eines bestehenden Umfeldes auseinandersetzen muss. Entwicklungsvorhaben in integrierten Lagen können sich zudem auf ein gewachsenes Umfeld stützen, das ein soziales, kulturelles und vor allem infrastrukturelles Kapital mitbringt. Oft bewirkt die Eingebundenheit von Anfang an, dass die sonst übliche Rohheit eines Neubaustandortes erträglich wird, weil in der Wechselwirkung mit dem Umfeld ein neues Gebiet nicht auf sich allein gestellt ist. Für ein spezifisches städtebauliches Profil eines Standortes kann auch der Erhalt von Gebäuderelikten, Vegetationsbeständen und markanten Spuren der Flächengestaltung hilfreich sein. Diese Merkmale vermitteln die Geschichte des Standortes und dokumentieren damit seine Einzigartigkeit. Flexibilität des städtebaulichen Konzeptes gewährt Ansiedlungsvielfalt. Die städtebaulichen Konzepte müssen für unterschiedliche Ansiedlungsfälle, deren Anforderungen an Grundstücksgröße, Erschließung, Freiflächen, Gebäudevolumina, Nutzungszonierungen in der Regel kaum vorhersehbar sind, eine ausreichende Flexibilität garantieren. Dies verlangt in der Grundstücksund Erschließungssystematik ein modular entwickeltes Konzept, das kleinteilige wie großteilige Ansiedlungen gleichermaßen zulässt. Während zentrale Bereiche von großer Bedeutung hinsichtlich Nutzungs- und Baustruktur sowie der städtebaulichen und architektonischen Gestalt bereits früh eindeutig definiert werden können, ist für die übrigen Bereiche ein flexibler Rahmen zu definieren, der auch im Entwicklungsprozess noch variabel ausgefüllt werden kann. Öffentliche Maßnahmen geben Entwicklungsimpulse. Größere Entwicklungsvorhaben oder Standortentwicklungen kommen nicht ohne Impulsmaßnahmen der öffentlichen Hand aus. Dies gilt immer dann, wenn die öffentliche Hand die Gewähr für das Einlösen öffentlicher Interessen wie qualitätvolle Architektur, öffentliche Räume und Nutzungsvielfalt anstrebt. Solche Impulsmaßnahmen können der Bau prägnanter öffentlicher Räume wie beispielsweise kleine Parkanla-

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gen sein, um die herum sich auch hochwertige Standorte entwickeln lassen. Ein weiteres Beispiel sind wichtige öffentliche Einrichtungen, die einen nachhaltigen Strukturimpuls erwarten lassen und das Image beeinflussen. Die öffentliche Hand muss ihre impulsgebenden Maßnahmen mit soviel Qualitätsanspruch durchführen, dass sie als beispielgebende Vorlagen für alle weiteren Investitionen und Maßnahmen der privaten Akteure gelten können. Zudem wird mit der Qualität erster Maßnahmen oft das qualitative Niveau der Gesamtentwicklung vorherbestimmt. Die Städte und Gemeinden sollten nicht nur in baukulturellen Maßstäben, sondern auch in der Planungsund Verfahrenskultur beispielgebend sein. Alle öffentlichen Maßnahmen sollten daher Ergebnis von Wettbewerben oder Qualifizierungsverfahren sein, die wiederum Vorlagen für den konzeptionellen Umgang mit allen wichtigen Lagen und Grundstücken auf einem Standort darstellen. Die Qualität eines Standortes zeigt sich auch im Prozess des Entstehens. Auch der Faktor „Zeit“ muss die Konzepte für spezifische Standortentwicklungen prägen können, da die Entwicklung von größeren oder strategisch wichtigen Planungsgebieten oft langfristig angelegt ist. Im Verlauf der Zeit müssen daher Entwicklungsspielräume auch konzeptionell verbürgt sein. Die Berücksichtigung entsprechender Ausreifezeiten ist in der derzeitigen Phase der Stadtentwicklung allerdings konfliktträchtig. Stadtplanung ist in ihrem gegenwärtigen Alltag einerseits in einem hohen Maß von den kurzfristig orientierten Entwicklungs- und Verwertungsabsichten großer Liegenschaftseigentümer bestimmt, andererseits von stecken gebliebenen Entwicklungen geplagt. Insofern muss auch sichergestellt sein, dass die Standorte – ohne Torsi zu zeigen – in handhabbaren und beherrschbaren Entwicklungsstufen zu realisieren sind und dass ihre Mehrfachverwendbarkeit gewährleistet ist. Die einzelnen Bauetappen sollten in sich fertige Bilder abgeben und keinen „Baustellenzustand“ auf ungewisse Zeit dokumentieren. Daher sind auch alle Zwischenstände soweit wie möglich zu kultivieren, indem sie bereits konzeptionell als eigenständige Bausteine angelegt sind. Die Gestaltung und Organisation des Realisierungsprozesses formt das Niveau. Gerade angesichts der langwierigen Entwicklungs- und Realisierungszeiträume großer Standorte ist die kreative Gestaltung des Prozesses ein wichtiger Werbe- und Vermarktungsfaktor. Präsentationen von Modellen, Aufbau von Informationseinrichtungen wie beispielsweise die „Rote Box“ am Potsdamer Platz in Berlin, aufwändige Animationen und Computersimulationen können ebenso als unverzichtbare Bausteine einer Standortentwicklung gelten wie Veranstaltungen und Feste, die den Entwicklungsprozess als Teil der Standortentwicklung nach außen kommunizieren.

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745

Literaturverzeichnis zu Kapitel 3.4 Bölling, L./Sieverts, T. (Hrsg.): Mitten am Rand. Auf dem Weg von der Vorstadt über die Zwischenstadt zur regionalen Stadtlandschaft, Wuppertal 2004. Brake, K./Dangschat, J. S./Herfert, G. (Hrsg.): Suburbanisierung in Deutschland. Aktuelle Tendenzen, Opladen 2001. GHS Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung mbH Städtebaulicher Wettbewerb – das Ergebnis. Reihe Arbeitshefte zur HafenCity, Heft 3. Hamburg (o.J.). Landeshauptstadt München: Messestadt Riem. Informationen zur Planung, München 1998. Landeshauptstadt München: Messestadt Riem. Das Projekt – Planung und Realisierung, München 2000. Marcuse, P.: Verschwindet die europäische Stadt in einem allgemeinen Typus der globalisierten Stadt?, in: Siebel, W. (Hrsg.): Die europäische Stadt, Frankfurt a.M. 2004. Rietdorf, W. (Hrsg.): Auslaufmodell Europäische Stadt? Neue Herausforderungen und Fragestellungen am Beginn des 21. Jahrhunderts, Berlin 2001. Sennet, R.: Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation, Frankfurt a.M. 1997. Siebel, W. (Hrsg.): Die europäische Stadt, Frankfurt a.M. 2004. Sieverts, T.: Die Kultivierung von Suburbia, in: Siebel, W. (Hrsg.): Die europäische Stadt, Frankfurt a.M. 2004. Wachten, K.: Gestaltende Regionalplanung. Programme und Initiativen in Nordrhein-Westfalen, in: Bölling, L./Sieverts, T. (Hrsg.): Mitten am Rand. Auf dem Weg von der Vorstadt über die Zwischenstadt zur regionalen Stadtlandschaft, Wuppertal 2004.

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4 Immobilien-Projektentwicklung im Kontext der Stadtplanung

4.1 Projektentwicklung und Stadtentwicklung

751

Stephan Bone-Winkel, Andreas Blüml, Nicolai Gerstner

4.2 Immobilienmarketing und Stadtmarketing

783

Elisabeth Kammermeier, Karin Weikamp, Matthias Wiffler

4.3 Stadtentwicklung durch Public Private Partnership Martin Wentz, Thorsten Bischoff, Dörthe Gosewehr

805

747

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4.1

Projektentwicklung im stadtplanerischen Kontext

751

Stephan Bone-Winkel, Andreas Blüml, Nicolai Gerstner 4.1.1 4.1.1.1 4.1.1.2

Begriffsbestimmung der Projektentwicklung Projektentwicklung als Faktorkombination Ausgangssituationen der Projektentwicklung

751 751 752

4.1.1.3 4.1.2

Dynamisches Verständnis der Projektentwicklung Modelle zur Erklärung von Projektentwicklungsprozessen

753 753

4.1.2.1 4.1.2.2 4.1.2.3 4.1.3 4.1.3.1 4.1.3.2

Überblick Institutionenmodelle („Agency Models“) Phasenmodelle („Event-Sequence Models“) Phasen der Projektentwicklung Einführung Projektinitiierung 4.1.3.2.1 Standort sucht Projektidee 4.1.3.2.2 Projektidee sucht Standort 4.1.3.3 Projektkonzeption 4.1.3.3.1 Aufgaben und Ziele 4.1.3.3.2 Standort- und Marktanalysen 4.1.3.3.3 Analyse des Nutzungskonzeptes 4.1.3.3.4 Wettbewerbsanalysen 4.1.3.3.5 Risikoanalysen 4.1.3.3.6 Wirtschaftlichkeitsanalysen 4.1.3.4 Projektkonkretisierung 4.1.3.5 Projekt-Management 4.1.3.6 Projektvermarktung 4.1.4 Anforderungen an den Projektentwickler 4.1.5 Koordinationspotenzial in Stadt- und Projektentwicklung 4.1.5.1 Umdenken in der Projektentwicklung 4.1.5.2 Einfluss des Umfeldes auf die Projektentwicklung 4.1.5.3 Integration der Prozessschritte und Positionen Literaturverzeichnis zu Kapitel 4.1

753 754 756 758 758 758 758 760 761 761 762 763 764 765 767 767 768 769 770 771 771 773 775 777

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751

4.1 Projektentwicklung im stadtplanerischen Kontext Stephan Bone-Winkel, Andreas Blüml, Nicolai Gerstner 4.1.1 Begriffsbestimmung der Projektentwicklung Hinsichtlich des Begriffs und der Funktion der Projektentwicklung bestehen in der Immobilienwirtschaft sehr unterschiedliche und teilweise unklare Vorstellungen. Eine eindeutige definitorische Abgrenzung oder gar eine gesetzliche Regelung der Projektentwicklungstätigkeit – wie sie etwa für die Baubetreuung oder die Projektsteuerung geschaffen wurde – liegen nicht vor (vgl. Wagner, S. 665). 4.1.1.1

Projektentwicklung als Faktorkombination

Die folgende, auf die Produktionsfaktoren des Projektentwicklungsprozesses abstellende Definition von Diederichs hat im deutschsprachigen Raum Verbreitung erlangt und wird daher zunächst den nachfolgenden Ausführungen zugrunde gelegt: „Durch Projektentwicklung sind die Faktoren Standort, Projektidee und Kapital so miteinander zu kombinieren, dass einzelwirtschaftlich wettbewerbsfähige, arbeitsplatzschaffende und -sichernde sowie gesamtwirtschaftlich sozialund umweltverträgliche Immobilienobjekte geschaffen und dauerhaft rentabel genutzt werden können“ (Diederichs, S. 43). Das Begriffsverständnis von Diederichs wird durch Abbildung 173, in welcher der Faktor Zeit ergänzt wurde (vgl. Schulte/Bone-Winkel/Rottke, S. 33f.), wiedergegeben. Es werden zwei Wirkungsebenen der Projektentwicklung angesprochen: Zum einen wird die gesamtwirtschaftliche Ebene berührt, auf welcher die Frage zu beantworten ist, inwieweit die Bauinvestition bzw. die Immobilie als deren Ergebnis öffentlichen Belangen entgegenkommt. Zum anderen wird die einzelwirtschaftliche Ebene angesprochen, die im Folgenden im Zentrum des Interesses steht. Als einzelwirtschaftliches Effizienzkriterium für eine Projektentwicklung nennt Diederichs die Wettbewerbsfähigkeit der Bauinvestition. Diese ist Ergebnis der von der Immobilie ausgehenden Nutzenstiftung bzw. ihrer Problemlösungskapazität. Der Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit stellt die Funktion der Projektentwicklung zugleich in einen übergeordneten strategischen bzw. unternehmenspolitischen Zusammenhang. Demnach kann Projektentwicklung aus der Sicht eines Immobilienunternehmens auch als ein strategischer Ansatz zum Aufbau von Erfolgspotenzialen und – damit verbunden – zur Erzielung von verteidigungsfähigen Wettbewerbsvorteilen vor der Branchenkonkurrenz interpretiert werden (vgl. Diederichs, S. 46).

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Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Diederichs 1994, S. 46

Abbildung 173: Ausgangssituationen der Projektentwicklung 4.1.1.2

Ausgangssituationen der Projektentwicklung

Grundsätzlich können in der Projektentwicklung drei Ausgangssituationen unterschieden werden (siehe Abbildung 173). So kann zunächst ein bereits vorhandenes Grundstück, für das der Grundstückseigentümer eine höherwertige Nutzung anstrebt, den Ausgangspunkt einer Projektentwicklung markieren. In der Immobilienpraxis dürften mehr als zwei Drittel der Entwicklungen vom Grundstück ausgehen. Hier seien beispielhaft solche Projektentwicklungen angeführt, die Non-Property-Unternehmen (Unternehmen, deren Hauptgeschäftszweck nicht im Bereich Immobilien liegt) im Zuge der gestiegenen Bedeutung des Corporate Real Estate Management (betriebliches Immobilienmanagement) auf ihren nicht mehr betriebsnotwendigen Grundstücken verwirklicht haben. Darüber hinaus kann der Ausgangspunkt einer Projektentwicklung auch in einer Projektidee bzw. einem konkreten Nutzerbedarf liegen, die bzw. den der Projektentwickler an einem geeigneten Standort umsetzen soll. Als typische Beispiele eines solchen Ablaufs gelten die Projektentwicklungen von Shoppingcentern und Fachmärkten, die früher auf der „grünen Wiese“ entstanden sind und heute verstärkt in die Innenstädte drängen. Schließlich können Projektentwicklungsprozesse auch durch nach geeigneter Verwendung suchendes Kapital insbesondere von institutionellen Investoren begründet werden. Entsprechen in einer solchen Situation die am Markt befindlichen Immobilienobjekte nicht den hohen Anforderungen der Investoren, so kann das Kapital langfristig nur in neue Projektentwicklungen investiert werden.

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753

Diese drei Ausgangssituationen der Projektentwicklung sind unter dem Einfluss des Faktors Zeit zu betrachten. Grund und Boden sind unverwüstlich und haben theoretisch eine unbefristete Nutzenstiftung, solange die möglichen Kosten einer Beräumung oder einer Sanierung des Bodens noch eine Wirtschaftlichkeit des Gesamtprojektes zulassen. Da sich auch über die Zeit hinweg durch externe Veränderungen, wie z.B. Bauplanänderungen, der den höchsten Ertrag bringende Nutzen für ein Grundstück ändert, erfordert der Standort regelmäßig Veränderung. Ebenso geartet sind Engagements in Projekte fristiger Natur, so dass auch das Kapital im Laufe der Zeit neue Verwendungen sucht. In diesem Sinne muss der Faktor Zeit in der Projektentwicklung Berücksichtigung finden (vgl. Abbildung 173). Wie wichtig insbesondere Timing in Bezug auf Projektentwicklung ist, verdeutlichen Immobilien-Lebenszyklen und Immobilien-Marktzyklen, die den Preismechanismus-, Konstruktions- und Entscheidungs-Timelags unterworfen sind. 4.1.1.3

Dynamisches Verständnis der Projektentwicklung

Die statische Definition nach Diederichs (vgl. Kapitel 4.1.1.1) bietet wertvolle Erkenntnisse zur Beschreibung der Projektentwicklung im Hinblick auf die Kombination der Faktoren Standort, Projektidee und Kapital. Hinsichtlich der praktischen Anwendbarkeit weist der beschriebene Ansatz jedoch einige Unzulänglichkeiten auf. So wird die Entwicklung als reine Faktorkombination gesehen, welche die prozessuale Dimension der Projektentwicklung außer Acht lässt. Darüber hinaus werden die interdisziplinären Aspekte vernachlässigt. Projektentwicklung im engeren Sinne wird von vielen immer noch als ein der Planung vorgelagerter und mit Planungsbeginn abgeschlossener Prozess verstanden. Das statische Verständnis kann somit als Ursache vieler Fehlplanungen angesehen werden und resultiert regelmäßig in der Entwicklung nicht marktgerechter Immobilien. Folglich besteht die Notwendigkeit zur Weiterentwicklung der statischen Definition in Richtung eines dynamischen Verständnisses, das in funktionaler und institutioneller Sicht den Managementaspekt

und

den

Prozess

der

Projektentwicklung

stärker

gewichtet:

Immobilien-

Projektentwicklung umfasst demnach das interdisziplinäre Management von planungs- und baubezogenen Wertschöpfungsprozessen im Lebenszyklus der Immobilie. Dazu gehören die Bausteine Akquisition, Nutzungskonzeption und Machbarkeitsanalyse, Baurechtschaffung, Eigen- und Fremdkapitalbeschaffung, Marketing und Vermietung, Projektmanagement sowie die Verwertung der Immobilie. 4.1.2 Modelle zur Erklärung von Projektentwicklungsprozessen 4.1.2.1

Überblick

Hinsichtlich der inhaltlichen Beschreibung und Konzeptualisierung des Projektentwicklungsprozesses existieren in der anglo-amerikanischen Literatur eine Reihe von Modellen. Healey hat diese

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754

Modelle systematisiert und vier grundlegende Ansätze zur Beschreibung der Projektentwicklung identifiziert, denen die Modelle zugeordnet werden können (vgl. Healey, 1990, S. 4ff.; Healey, 1991, S. 219ff.). x

Gleichgewichtsmodelle („Equilibrium models”), die auf der Grundlage volkswirtschaftlicher Ansätze davon ausgehen, dass Projektentwicklungsaktivitäten durch Angebots- und Nachfragebewegungen zustandekommen, die am Markt durch Mieten, Renditen und Kaufpreise induziert werden.

x

Institutionenmodelle („Agency models”), welche vor dem Hintergrund behavioristischer bzw. institutionenökonomischer Überlegungen die an dem Projektentwicklungsprozess beteiligten Akteure und ihre Beziehungen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen.

x

Phasenmodelle („Event-sequence models”), die sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht auf das Management des Projektentwicklungsprozesses konzentrieren und diesen hierfür in einzelne Phasen zerlegen.

x

Strukturmodell, dieses liegt zu wesentlichen Teilen in einer marxistischen Systemauffassung begründet und untersucht in erster Linie das Spiel der Kräfte von Kapital, Arbeit und Eigentum innerhalb des Produktionsprozesses sowie dessen Einfluss auf das bauliche Umfeld und die kapitalistische Gesellschaft.

Auch wenn alle Modelle vom analytischen Standpunkt her einen hohen Erklärungswert besitzen, so sollen im Folgenden lediglich Institutionenmodelle und Phasenmodelle wegen der thematischen Nähe zur Stadtplanung genauer beleuchtet werden. 4.1.2.2

Institutionenmodelle („Agency Models“)

Institutionenmodelle konzentrieren sich auf die Akteure im Projektentwicklungs- und Stadtentwicklungsprozess. Dabei ist jede Phase dieses Prozesses durch die Zusammenarbeit und den individuellen Beitrag einer Vielzahl von Akteuren gekennzeichnet. Das Erfassen der Schlüsselfiguren, ihrer Rollen, Interessen, Ziele und Beziehungen bildet eine der wesentlichen Voraussetzungen für das Verständnis des Projektentwicklungsprozesses und hilft, die Komplexität der wechselseitigen Interessenslagen zu erfassen. Graaskamp entwickelte ein Modell, demzufolge sich der Projektentwicklungsprozess aus der dynamischen Interaktion zwischen drei Gruppen von Akteuren konstituiert (vgl. Graaskamp, S. 230f.; vgl. Bone-Winkel, 1994, S. 61): x

Die Gruppe der Flächenkonsumenten (Space Consumer Group) umfasst zum einen die einzelnen Mieter einer Immobilie und die sog. „owner-occupiers”, d.h. die selbstnutzenden Immobilieneigentümer. Die Entscheidungen dieser Gruppe von Akteuren sind vorrangig von

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Standort, Raumangebot und den Gesamtnutzungskosten der Immobilie abhängig. Zum anderen sind die Immobiliennutzungen der öffentlichen Hand („Collective Users”), die in aller Regel auf politischen Bedarfsentscheidungen beruhen, und die Gruppe der potenziellen bzw. zukünftigen Immobiliennutzer zu nennen. x

Der Gruppe der Flächenproduzenten (Space Production Group) können diejenigen Akteure zugerechnet werden, die durch die Einbringung ihres Wissens und ihrer Erfahrungen („Site Specific Expertise”) zu dem Prozess der Transformation von Raum-Zeit-Einheiten in Geld-ZeitEinheiten beitragen. Im Einzelnen sind dies Developer, Planer, Finanzierungsinstitute, Bauunternehmen sowie Serviceunternehmen.

x

Zur Gruppe der öffentlichen Infrastrukturanbieter (Public Infrastructure Group) gehört die gesamte Bandbreite der Anbieter öffentlicher Leistungen („Off-Site Services and Facilities”), die erforderlich sind, um die Immobilien in ihrer Nutzung funktionsfähig zu erhalten – insbesondere Infrastruktureinrichtungen, Versorgungsunternehmen und Behörden (u.a. Bauaufsicht, Ordnungs-, Gewerbeaufsichtsamt).

Quelle: Graaskamp 1991, S. 231

Abbildung 174: Der Projektentwicklungsprozess anhand des Institutionenenmodells nach Graaskamp

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Die ökonomischen und politischen Relationen zwischen den Angehörigen der drei Gruppen können vielfältige Formen annehmen und bewegen sich zwischen den Polen Harmonie und Disharmonie, Wohlstrukturiertheit und Chaos. Dem Projektentwickler kommt in diesem Beziehungsgeflecht die Rolle eines Koordinators und Katalysators („Agent”) für die Pluralität der Interessen zu. Er übernimmt in aller Regel nicht sämtliche mit dem Projektentwicklungsprozess einhergehenden Aufgaben in eigener Regie, sondern stellt vielmehr den „Principal Agent” unter den Projektbeteiligten dar und übt Konzeptionierungs-, Motivations-, Integrations-, Entscheidungs- und Risikofunktionen innerhalb des Prozesses aus (vgl. Fraser, S. 239). Während in der Vergangenheit vor allem die Beziehungen zwischen der „Space Production Group” und der „Public Infrastructure Group” von dem Gegensatz privater bzw. einzelwirtschaftlicher und öffentlicher bzw. gemeinwirtschaftlicher Interessen geprägt war, deutet sich heute eine Änderung der Verhältnisse in der Praxis an, welche in dem Begriff des „Public Private Partnership” zum Ausdruck kommt. Nach dem vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im August 2003 herausgegebenen Leitfaden zu Public Private Partnership im öffentlichen Hochbau kann man es „abstrakt beschreiben als eine langfristige, vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben…“ (BMVBW, S. 1). Der Ursprung dieser Idee wird häufig auf die Initiative zur Revitalisierung der Stadt Pittsburgh im Jahre 1943 zurückgeführt (vgl. Kunzmann, S. 7ff.). Ursache hierfür ist die Einsicht, dass größere Entwicklungsvorhaben nicht nur einer der beiden Gruppen überantwortet werden können, sondern gemeinsamer Anstrengungen beider Seiten bedürfen. Die Institutionalisierung des Public Private Partnership führt zu einem tragfähigen Interessenausgleich und gewandelten Rollenverständnis bei öffentlicher Hand und privaten Unternehmen. Sie bewirkt ebenfalls die Beschleunigung des Projektentwicklungsprozesses durch die Parallelisierung von Verfahren und die gemeinsame Erledigung von Aufgaben (vgl. Bone-Winkel, 1994, S. 62). Neuere Ansätze bemühen sich, den PPP-Gedanken auf eine breitere Basis zu stellen und in ein Model des „Urban Processing“ zu überführen, bei dem die Grenzen zwischen Stadtentwicklung und Projektentwicklung aufgehoben werden. In diesem Zusammenhang sind die Nachhaltigkeit des Projektes und potenzielle Synergien zwischen Projekt- und Stadtentwicklung – durch eine Zusammenführung der Prozessschritte – Zielvariablen der Bemühungen. 4.1.2.3

Phasenmodelle („Event-Sequence Models“)

Phasenmodelle beschreiten einen pragmatischeren Weg, um den Projektentwicklungsprozess zu charakterisieren. Im Allgemeinen handelt es sich um deskriptive Modelle, die die in der Realität auftretenden Prozesse der Immobilienentwicklung in einzelne idealtypische Phasen zerlegen. Sie

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kommen dabei den traditionellen Ablaufschemata von Produktions- und Dienstleistungsprozessen recht nahe, bei welchen sich die Herstellung eines Produktes bzw. die Erstellung einer Dienstleistung in mehreren aufeinanderfolgenden Schritten vollzieht. Am Anfang des Prozesses stehen im Falle der Projektentwicklung die drei bereits genannten Faktoren Standort, Projektidee und Kapital, am Ende steht das nutzungsbereite Immobilienobjekt (vgl. Bone-Winkel, 1994, S. 51). Phasenmodelle sind sehr gut dazu geeignet, die Komplexität und Dynamik des Projektentwicklungsprozesses zu erfassen. Dabei durchlaufen Projekte eine „Development Pipeline“ mit wechselnder Geschwindigkeit, abhängig von Standort, baulichen Faktoren und Fähigkeiten und Zielen der Projektbeteiligten. Die mittlere Durchlaufzeit in Deutschland beträgt ca. drei bis fünf Jahre. In der Praxis wird der Projektablauf in der Regel durch Netzpläne abgebildet. Außerdem treten im konkreten Projektablauf Überlappungen, parallele Abläufe und Rückkopplungseffekte auf.

Standort sucht Kapital und Projektidee

Projektidee sucht Standort und Kapital

Verkauf

Projektinitiierung

Kapital sucht Standort und Projektidee

Grobe Beschreibung der Grundzüge des Projektes (Nutzung, Flächen etc.)

Marktanalyse

Standortanalyse

Analyse des Nutzungskonzepts

Wettbewerbsanalyse

Risikoanalyse

Wirtschaftlichkeits- und Renditeanalyse

Investment

Machbarkeitsstudie

Projektvermarktung

Projektkonzeption

Projekt-/Grundstückssicherung

Einfache Projektentwicklungsrechnung (Frontdoor-/Backdoor-Approach)

Projektkonkretisierung

Projektrealisierung und -management

Kaufmännisches Projektmanagement

Controlling

Techn. Projektmanagement (Termine, Kosten, Qualitäten)

Quelle: Schulte/Bone-Winkel/Rottke 2002, S. 40

Abbildung 175: Phasenmodell des Projektentwicklungsprozesses

Vermietung

Realisierungsentscheidung / Vertragsschluss Projektpartner / Fin anzierung / Genehmigungsplanung

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Das Phasenmodell des Projektentwicklungsprozesses nach Bone-Winkel unterscheidet fünf Phasen (vgl. Abbildung 175). Dieses Modell stützt sich dabei jedoch weniger auf die Inhalte der Planungs- und Bauabwicklung, sondern vielmehr auf die Abbildung der wesentlichen Entscheidungsschritte in der Entstehung und Realisierung eines Immobilien-Projektes. Dieses Phasenmodell wird als Referenzmodell dazu benutzt, die einzelnen Phasen der Projektentwicklung im folgenden Abschnitt zu erläutern. 4.1.3 Phasen der Projektentwicklung 4.1.3.1

Einführung

Der Projektentwicklungsprozess umfasst sämtliche Tätigkeiten, die erforderlich sind, um ein Projekt von der Initiierung bis zur Baufertigstellung und Nutzungsübergabe heranzubilden. Das vorliegende Modell baut dabei auf dem Phasenmodell der School for Advanced Urban Studies der University of Bristol (SAUS) auf (vgl. Barett/Stewart/Underwood, o.S.). Der Projektentwicklungsprozess gliedert sich in vier Hauptkomponenten: die Projektinitiierung, die Projektkonzeption, die Projektkonkretisierung und das Projekt-Management. Es schließt sich die Nutzungsphase an die Phase des Projektentwicklungsprozesses an. Während der Nutzungsphase übernimmt das Facilities Management die Bewirtschaftung der Immobilie. Facilities Management umfasst das ganzheitliche Betreiben von Gebäuden und Anlagen mit dem Ziel, die Wertschöpfung durch die Immobilie zu optimieren. Sowohl der Projektentwicklungsprozess als auch die Nutzungsphase werden dauerhaft von der fünften Phase, der Projektvermarktung, begleitet (vgl. Bone-Winkel, 1994, S. 51ff.). Im Folgenden werden die fünf Phasen näher erläutert. 4.1.3.2

Projektinitiierung

Es erfolgt eine Erläuterung zu den Situationen, in denen der Projektentwickler entweder eine geeignete Projektidee (Ausgangssituation 1) oder ein geeignetes Grundstück (Ausgangssituation 2) identifiziert hat. Auf die explizite Darstellung der dritten Ausgangssituation (Kapital sucht Standort und Projektidee) kann verzichtet werden, da die zugrundeliegenden Aufgabengebiete in dieser Phase des Projektentwicklungsprozesses denen der beiden ersten Ausgangssituationen entsprechen (vgl. Isenhöfer, S. 53ff.). 4.1.3.2.1 Standort sucht Projektidee Sofern der Standort vorgegeben ist, wenn also entweder der Projektentwickler oder ein Investor ein bereits vorhandenes Grundstück zu entwickeln beabsichtigt, besteht die Aufgabe des Projekt-

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entwicklers zunächst in der Suche nach einer für das Grundstück geeigneten Projektidee bzw. Nutzungskonzeption. Obwohl sich der Prozess der Ideengenerierung bei jeder Projektentwicklung anders darstellt, spielt er sich grundsätzlich auf zwei Ebenen ab: einerseits auf der Ebene von Analysen und Fakten und andererseits auf der Ebene von Inspiration und Vision (vgl. von Nell, S. 85). Demzufolge wird zunächst vorausgesetzt, dass der Projektentwickler über die Zusammenhänge und das aktuelle Geschehen des Immobilienmarktes informiert ist. Zu diesem Zweck muss er sich permanent mit der Analyse der Angebots- und Nachfragesituation und dem Verhalten der Wettbewerber beschäftigen. Für ihn sind vor allem die sich wandelnden Anforderungen von Nutzern an Immobilien und die daraus resultierenden Charakteristika bereits erfolgreich am Markt platzierter Objekte von Interesse. Über die Beschäftigung mit dem Immobilienmarkt hinaus ist es anzuraten, sich auch mit soziokulturellen, politisch-rechtlichen, makroökonomischen, technologischen und stadtplanerischen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen, da diese direkt und indirekt sowohl auf die Nutzer als auch auf die Projektentwicklung wirken. Solche permanent durchzuführenden Marktbeobachtungen sind durch eine grobe Standortanalyse zu ergänzen, die darauf abzielt, die Eignung des vorgegebenen Grundstücks für unterschiedliche Immobiliennutzungen festzustellen. Diese Phase des Projektentwicklungsprozesses ist durch maximale Unsicherheit gekennzeichnet, da noch nicht feststeht, ob die Projektentwicklung überhaupt durchgeführt wird. Daher findet aufgrund der Kostspieligkeit detaillierterer Analysen zunächst eine grobe Voruntersuchung des Grundstücks statt. Hieraus lassen sich ohne großen Aufwand erste Erkenntnisse über die Eignung ableiten, z.B. hinsichtlich der Grundstücksgröße, des Zuschnitts, der Zufahrtsmöglichkeiten, der Anbindung an Straßen und den ÖPNV, der nachbarschaftlichen Nutzungen bzw. Umfeldstruktur und eventueller Altlastenverdachtsmomente des Grundstückes. Anschließend sollte der Projektentwickler Einsicht in das Grundbuch sowie den Bebauungs- und evtl. Flächennutzungsplan nehmen, um sich über die Eigentümerfrage, mögliche Belastungen sowie Art und Maß der zulässigen Bebauung zu informieren, soweit er diese nicht ohnehin bereits kennt (vgl. Stich, S. 253ff.). Auf der Grundlage der Einschätzung des Immobilienmarktes und seiner Rahmenbedingungen sowie der Qualität des vorgegebenen Standortes und seines Umfeldes besteht die Aufgabe des Projektentwicklers darin, die besondere Eignung des vorgegebenen Grundstücks für eine bestimmte Immobiliennutzung herauszuarbeiten und hierfür ein grobes Nutzungskonzept und eine erste überschlägige Wirtschaftlichkeitsberechnung zu entwickeln. Dabei reichen analytische Fähigkeiten alleine nicht mehr aus, vielmehr bedarf es zunehmend des Talents des Projektentwicklers, aus dem Zusammenspiel der analysierten Fakten und der Erfahrungen mit ähnlichen Projekten ein intuitives Gespür für die Erstellung eines Nutzungskonzeptes zu entwickeln, das sowohl

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dem Standort als auch der gegenwärtigen Lage auf dem Immobilienmarkt und vor allem den Bedürfnissen potenzieller Nutzer gerecht wird. Neben dem Projektentwickler kann die Initiative zur Projektinitiierung auch aus dessen Umfeld hervorgehen, sei es von Seiten potenzieller Auftraggeber, zu denen insbesondere Grundstückseigentümer, Investoren und Nutzer zu zählen sind, oder von dritter Seite, etwa von Stadtplanern, politischen Institutionen, Architekten, Maklern, Gutachtern, Bauunternehmern, Interessenvertretern und Initiativen. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass all diese Institutionen den Projektentwicklungsprozess genauso entscheidend behindern können, sofern sich ihre gegenseitigen Interessen nicht in Übereinstimmung bringen lassen. Aus diesem Grund ist es für den Projektentwickler unabdingbar, die Interessen der durch die Projektentwicklung betroffenen Institutionen bereits in der Projektinitiierungsphase zu identifizieren und entsprechend zu berücksichtigen. 4.1.3.2.2 Projektidee sucht Standort Sofern die Projektidee vorgegeben ist, besteht die Aufgabe des Projektentwicklers zunächst in der Suche nach einem geeigneten Standort. In diesem Zusammenhang interessieren zunächst die Informationsquellen, die den Projektentwickler bei seiner Suche nach einem solchen Standort unterstützen. An erster Stelle stehen dabei möglichst intensive persönliche Kontakte zu denjenigen Marktteilnehmern, die an Grundstückstransaktionen beteiligt sind. Aus diesem Grund wird der Projektentwickler das regelmäßige Gespräch mit anderen Projektentwicklern, Maklern und Beratern, Gutachtern, Marktforschern, Investoren, Financiers, Anwälten und Notaren, Unternehmern sowie Vertretern von öffentlichen Institutionen, insbesondere der Bau- und Planungsämter, der Wirtschaftsförderung und der Industrie- und Handelskammer suchen. Aus dieser Tatsache lässt sich eine gewisse Lokalität der Aktivitäten der Mehrheit der Marktteilnehmer herleiten. Darüber hinaus wird der Projektentwickler regelmäßig die (Fach-) Presse hinsichtlich stadtentwicklungspolitischer Veränderungen, Standortveränderungen bzw. -verlagerungen oder sonstigen Nachrichten und Informationen mit potenziellen Auswirkungen auf Angebot und Nachfrage auf dem Flächenmarkt auswerten. Der Zugriff auf professionelle, computergestützte Datenbanken, wie sie beispielsweise in den USA und Großbritannien existieren, ist in Deutschland erst eingeschränkt möglich. Demgegenüber setzen Anbieter von Grundstücken und Flächen inzwischen nahezu ausnahmslos auf internetbasierte Präsentationen, die eine schnelle und häufig tiefgehende Prüfung der Objekte ermöglichen. Aus Sicht des Projektentwicklers ist es unabdingbar, sich im Laufe der Zeit hierzu eine eigene Wissensbasis aufzubauen, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass das Grundstück zu den kritischen Erfolgsfaktoren einer Projektentwicklung zählt. Dabei resultiert die große Bedeutung

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des Grundstücks für den Entwicklungserfolg zunächst daraus, dass die Grundstückskosten bei vielen innerstädtischen Projektentwicklungen nach den Baukosten den höchsten Kostenblock repräsentieren und gleichermaßen der Wert und insbesondere die Wertsteigerungsmöglichkeiten des Projektes über den Wert von Grund und Boden bestimmt werden. Die verschiedenen auf diese Weise in Erfahrung gebrachten Grundstücke sind dann vor dem Hintergrund der vorgegebenen Nutzungskonzeption im Rahmen einer groben Standortanalyse auf ihre Eignung zu untersuchen – dabei ist zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Nutzungen ebenfalls unterschiedliche Standorte erfordern. Anhand dieser wenigen, den Ansprüchen der Projektinitiierungsphase jedoch durchaus angemessenen Informationen lassen sich die Grundstücke i.d.R. bereits recht gut einordnen. Im nächsten Schritt hat dann die Auswahl des für die vorgegebene Projektidee am besten geeigneten Grundstücks zu erfolgen. Hierzu wird gemeinhin eine Nutzwertanalyse durchgeführt, bei der zunächst die einzelnen Standortfaktoren entsprechend ihrer Bedeutung für die zugrundeliegende Nutzung gewichtet und anschließend die jeweiligen Zielerfüllungsgrade der Grundstücke bestimmt werden. Anhand dieses Verfahrens lässt sich die Eignung eines Standortes für eine bestimmte Nutzung quantitativ darstellen. Scheint ein Projekt wirtschaftlich tragfähig, stellt sich für den Projektentwickler damit die Frage nach Art und Zeitpunkt der Sicherung des ausgewählten Grundstücks (Ausgangssituation 2). Sofern es der Wettbewerb um das Grundstück und die Interessenlage des Eigentümers zulassen, sollte dieses im gegenwärtigen Stadium des Projektentwicklungsprozesses noch nicht gekauft werden, da erst im Rahmen der sich anschließenden Projektkonzeptionsphase die Entscheidung darüber fallen kann, ob das initiierte Projekt tatsächlich wirtschaftlich tragfähig ist und umgesetzt wird. Unter Risikogesichtspunkten ist dem Projektentwickler angeraten, sich um eine Option oder Anhandgabevereinbarung auf das Grundstück zu bemühen, deren Prämie mit dem Eigentümer auszuhandeln ist. Sollte dem Eigentümer ein Optionsvertrag nicht ausreichen, so könnte sich der Projektentwickler unter Umständen auch für einen Kauf unter aufschiebender Bedingung (z.B. unter der Maßgabe, dass ein bestimmtes Baurecht realisiert wird) entscheiden. Da der Kauf in einem solchen Fall jedoch nur durch Nichterfüllung der vereinbarten Bedingung unwirksam würde, muss sich bereits in der Projektinitiierungsphase sehr deutlich abzeichnen, dass das Projekt tatsächlich realisierbar sein wird. 4.1.3.3

Projektkonzeption

4.1.3.3.1 Aufgaben und Ziele Wie in Abbildung 175 dargestellt, wird nun das aus der Projektinitiierung grobumrissene Projekt einer systematischen formalen Analyse unterworfen, die den Projektentwickler in die Lage versetzen soll, die Realisierungsfähigkeit des Projektes anhand detaillierter Daten und Prognosen zu

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verifizieren und das Projekt gegenüber anderen beteiligten Institutionen, insbesondere potenziellen Financiers, Nutzern und Investoren sowie der Öffentlichkeit nachvollziehbar erläutern zu können. Diese Untersuchungen umfassen Standort- und Marktanalysen, eine Analyse des Nutzungskonzeptes, Wettbewerbsanalysen, Risikoanalysen und Wirtschaftlichkeitsanalysen. Für diese Vielzahl von Analysen hat sich der Oberbegriff Machbarkeitsstudie („Feasibility Analysis“) herausgebildet. Die Feasibility Analysis setzt voraus, dass ein Projekt nicht nur den Zielen des Projektentwicklers, sondern auch den Zielen der übrigen beteiligten Institutionen, insbesondere denen der potenziellen Nutzer und der Öffentlichkeit, Rechnung trägt. Das Projekt muss darüber hinaus in einem bestimmten zeitlichen Rahmen umsetzbar sein und zwar unter Beachtung eventuell auftretender Probleme in wirtschaftlicher, technischer, rechtlicher oder sozialer Hinsicht und vor dem Hintergrund der vorhandenen, nicht nur finanziellen, sondern auch personellen und persönlichen Ressourcen des Projektentwicklers. Nichtsdestotrotz kann die Feasibility Analysis den Erfolg einer Projektentwicklung nicht garantieren; sie trägt vielmehr dazu bei, Entwicklungsrisiken aufzudecken, darzustellen und zu werten. Gleichzeitig sind die in der Machbarkeitsstudie gesetzten Prämissen während der gesamten Entwicklungszeit des Projektes laufend zu hinterfragen. Bei erkennbaren Abweichungen, die sich zum Teil bereits als „schwache Signale“ ankündigen, ist der Analyseprozess wieder in Gang zu setzen und das Nutzungskonzept gegebenenfalls anzupassen. Es ist wichtig festzuhalten, dass das Projekt am Ende der Projektkonzeptionsphase immer noch gestoppt werden kann. Die der Feasibility Analysis zugrunde liegenden Analysearten werden im Folgenden näher präzisiert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der Praxis aufgrund zeitlicher, personeller oder finanzieller Restriktionen häufig auf einzelne Analysen verzichtet wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Projekt scheinbar einfach ist, also z.B. bereits ein langfristiger Mietvertrag und eine Baugenehmigung vorliegen. Die Durchführung sämtlicher Analysen insbesondere zu Zwecken der Risikoreduktion und zur Prüfung der Drittverwendungsfähigkeit ist jedoch dringend anzuraten, da die Beeinflussbarkeit des Projektes in dieser Phase noch hinreichend gegeben ist und selbst ein Abbruch häufig die bessere Alternative zu dem beharrlichen Festhalten an einer von Gremien genehmigten Entscheidung ist. 4.1.3.3.2 Standort- und Marktanalysen Eine Standort- und Marktanalyse ist die Informationsgrundlage vieler immobilienwirtschaftlicher Entscheidungen und gehört in den meisten Fällen zu den notwendigen Vorarbeiten für die Präsentation gegenüber Gremien. Aus der Beschreibung der Rahmenbedingungen ergeben sich – ob ausdrücklich formuliert oder als unausgesprochene Konsequenz – Aussagen mit Prognosecharakter.

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Das Ziel der Marktanalyse ist die kurz- und mittelfristige Abschätzung des Vermietungs- und Verkaufserfolges einer Nutzungskonzeption für ein Objekt oder Projekt. Dazu wird die Angebotsund Nachfragesituationen auf den Anlage- und Vermietungsmärkten untersucht. Die Untersuchung erstreckt sich dabei im Wesentlichen auf den relevanten Teilmarkt, z.B. Büroflächen in Citylagen. Der korrekten Abgrenzung des relevanten Marktes kommt dafür besondere Bedeutung zu. In der Angebotsanalyse beginnt man zunächst mit dem Flächenbestand, der segmentiert nach verschiedenen Kriterien (Lagen, Qualitäten, etc.) durch maßgebliche Größen wie Leerstandsrate und Flächenangebot charakterisiert wird. Zum Bestand kommen geplante Flächen hinzu, je nach Entwicklungszustand mit unterschiedlichen Realisierungshorizonten und -wahrscheinlichkeiten. Die Nachfrageanalyse beschäftigt sich einerseits mit dem aktuellen Flächenbedarf, der zunächst durch vorhandene Gesuche sichtbar wird, aber auch anhand der momentanen Absorptionsrate kurzfristig abgeschätzt werden kann. Mittelfristig entscheidet das grundsätzliche Potenzial des Nutzungssegmentes, also z.B. das Branchenwachstum, über den voraussichtlichen Trend der Nachfrageentwicklung. In der Preisanalyse wird das Niveau und die jüngere Entwicklung von differenzierten Miet- und Kaufpreisen untersucht (vgl. Rottke/Wernecke, S. 13). Aus Sicht des Projektentwicklers genießt die Standortanalyse einen ebenso hohen Stellenwert wie die Marktanalyse. In diesem Stadium des Projektentwicklungsprozesses geht es darum, die Ergebnisse der bereits in der Projektinitiierungsphase eingeleiteten, jedoch noch sehr groben Standortanalyse kritisch zu überprüfen und weiter zu präzisieren. So werden die räumlichen Rahmenbedingungen eines Objektes oder Projektes betrachtet. Üblicherweise wird zwischen Makrostandort (Stadt, Umland) und Mikrostandort (Grundstück, direktes Umfeld) unterschieden. Diese räumliche Differenzierung hat ebenfalls einen zeitlichen Aspekt: von größeren Diskontinuitäten abgesehen, wie z.B. dem Regierungsumzug Bonn/Berlin, nehmen viele Entwicklungen auf der Makroebene einen relativ gleichmäßigen Verlauf (Verkehrsstruktur, Wirtschaftsstruktur, Image) oder sind sogar längerfristig konstant (Entfernung zu Nachbarstädten, Zentralörtlichkeit). Bei den Elementen der Mikroebene gibt es zwar ebenfalls stabile Größen (Grundstücksgröße und -zuschnitt), andere Größen jedoch können sich manchmal innerhalb weniger Jahre in ihrer Ausprägung oder Bedeutung ändern (Sozialstruktur, Prestige der Lage, vgl. Rottke/Wernecke, S.13). 4.1.3.3.3 Analyse des Nutzungskonzeptes Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse über die Charakteristika des Mikro- und Makrostandortes des Projektes, über die Konzeption von Konkurrenzimmobilien in diesem Teilmarkt sowie über die gegenwärtigen und zukünftigen Bedürfnisse der avisierten Nutzergruppe, kann der Projektentwickler mit einem Architekten für das initiierte, bisher erst grob umrissene Projekt

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erste Planungsunterlagen strukturieren. Dabei ist es Aufgabe des Projektentwicklers, dem Architekten einen detaillierten Einblick in die angestrebte Funktion – also in das Nutzungskonzept – der projektierten Immobilie zu vermitteln. Die Aufgabe des Architekten besteht darin, die Vorgaben des Projektentwicklers in eine architektonisch anspruchsvolle Planung umzusetzen, die dem gewählten Standort gerecht wird und sich harmonisch in die Umgebung einfügt, die – ohne den festgelegten Kostenrahmen zu überschreiten – vor allem größtmögliche Flexibilität im Hinblick auf potenzielle Nutzungsänderungen bietet und die zugleich so konzipiert ist, dass in der Nutzungsphase ein einwandfreier und kostenoptimierter Betrieb gewährleistet ist. Um die Arbeit des Architekten zu unterstützen, sollte der Projektentwickler bereits in diesem Stadium des Entwicklungsprozesses Spezialisten aus den Bereichen Projekt-Management, Facilities Management und Vermarktung in das Team aufnehmen, die aufgrund ihrer Erfahrung zur rechtzeitigen Identifizierung und Korrektur konzeptioneller Planungsdefizite beitragen können. Häufig arbeitet das gesamte Planungsteam von Architekten, Fachingenieuren und Gutachtern in den HOAI-Phasen der Grundlagenermittlung und Vorplanung auf Akquisitionsbasis. Erst bei Projekterfolg bzw. bei definitiver Realisierungsentscheidung wird ein Honorar fällig und eine Weiterbeauftragung in Aussicht gestellt. Gleichwohl sind die Anforderungen an die Planung hoch. Die Planungsunterlagen sollten so detailliert sein, dass sie den Projektentwickler im Rahmen seiner Überzeugungsarbeit bei den Behörden, Financiers, potenziellen Nutzern und Investoren hinreichend unterstützen und die Realisierungsentscheidung ermöglichen. 4.1.3.3.4 Wettbewerbsanalysen Wie schon an anderer Stelle erwähnt, laufen die einzelnen Analyseschritte im Rahmen der Feasibility Analysis nicht sequenziell, sondern zumeist parallel und mitunter in Schleifen ab. Dies gilt insbesondere für die Wettbewerbsanalyse, welche die Markt- und Standortanalyse sowie die Analyse des Nutzungskonzeptes integriert, indem die relative Marktposition der projektierten Immobilie im Vergleich zu den wichtigsten Konkurrenzimmobilien bestimmt wird. Die Wettbewerbsanalyse beginnt mit der Identifikation geeigneter Konkurrenzimmobilien im relevanten Marktsegment und ist somit eng verbunden mit der Untersuchung der Angebotssituation im Rahmen der Marktanalyse. Zu den Konkurrenzimmobilien zählen sowohl bereits bestehende als auch genehmigte, im Bau befindliche oder projektierte Immobilien, die zunächst mit ihren Grunddaten zu erfassen sind. Hierzu gehören der Name des Grundstückseigentümers, die Adresse, die Grundstücksgröße, die Nutzfläche, die Leerstandsquote, das Baujahr bzw. das Jahr der voraussichtlichen Fertigstellung sowie – bei genehmigten, im Bau befindlichen oder projektierten Immobilien – eventuell Angaben über den Projektentwickler und das mit der Vermarktung beauftragte Maklerunternehmen. Ferner sind bereits erfolgte (Vor-)Vermietungen oder Beteiligungen von Investmentpartnern und die jeweilige Deal-Struktur festzuhalten.

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Im nächsten Schritt hat der Projektentwickler eine Checkliste derjenigen Kriterien zu erstellen, anhand derer die projektierte Immobilie mit den Konkurrenzimmobilien verglichen werden soll; grundsätzlich handelt es sich dabei vor allem um die Mietkonditionen sowie Faktoren der Standortattraktivität und Gebäudeattraktivität. Insofern bestehen enge Wechselbeziehungen zwischen der Wettbewerbsanalyse einerseits und der Analyse von Markt, Standort und Nutzungskonzept andererseits. Im dritten Schritt sind die Vergleichskriterien zunächst gemäß ihrer Bedeutung zu gewichten und anschließend für das initiierte Projekt und die Konkurrenzimmobilien im Hinblick auf ihren jeweiligen Erfüllungsgrad zu bewerten. Aus den Kriteriengewichten und den Erfüllungsgraden kann schließlich ein Attraktivitätsindex abgeleitet werden, mit dem sich die relative Wettbewerbsposition des initiierten Projekts bestimmen lässt. Aus der relativen Wettbewerbsposition des initiierten Projekts kann der Projektentwickler wertvolle Rückschlüsse auf die Stärken und Schwächen des bestehenden Nutzungskonzepts ziehen. Zu berücksichtigen ist, dass die relative Stärke eines Analyseprojektes noch nicht dessen erfolgreiche Vermietung garantiert, da diese auch von der Nachfrageentwicklung abhängt. Da der Auswahl und Gewichtung der oben genannten Kriterien eine gewisse Subjektivität anhaftet und darüber hinaus die Kriterien je nach Objekt durch beliebige Faktoren ergänzt werden können, empfiehlt es sich, Wettbewerbsanalysen durch Diskussion im Team zu objektivieren. Grundsätzlich kann hinsichtlich der Positionierung eines Projektes festgestellt werden, dass in jüngerer Zeit nicht die Orientierung an durchschnittlichen Standards, sondern gerade das „Abweichen von der Norm“ bei Designkonzept, Arbeitsplatzgestaltung und Marktauftritt besonderen Erfolg zeigte. 4.1.3.3.5 Risikoanalysen Sofern die Sonderform der nutzerbezogenen Projektentwicklung, bei der schon zu Beginn des Entwicklungsprozesses der Endnutzer oder Investor feststeht, außer Acht gelassen wird, zählt die Projektentwicklung von Immobilien zu den risikoreichsten unternehmerischen Aktivitäten überhaupt, da sie Investitionen relativ hoher Kapitalbeträge in die Schaffung von Produkten erfordert, die in Bezug auf Zeit und Raum sehr fixiert sind und einen i.d.R. relativ kleinen Markt bedienen, über dessen zukünftige Nachfrage Unsicherheit besteht. Das Maß des Risikos wird an einer einfachen Rechnung deutlich. Wenn der durchschnittliche Trading-Profit des Developers tatsächlich bei rund 15% liegt, dann genügt dieser Ertrag in den meisten Fällen, um anderthalb bis zwei Jahre Leerstand zu finanzieren. Zieht man von dem Bruttoertrag die eigenen Kosten des Developers und einen Eigenkapitalverzinsungsbetrag ab, dann dürfte lediglich eine Jahresmiete abzudecken sein. In der Praxis genügt dieser Deckungsbeitrag häufig nicht, um für alle Risiken insbesondere für die Vermietungsrisiken aus der Projektentwicklung aufzukommen. In diesem Zusammenhang spielt die Tatsache, dass im Verlauf des Projektentwicklungsprozesses die Gewissheit über den wahrscheinlichen Erfolg oder Misserfolg zwar steigt, gleichzeitig aber die Manövrierfähigkeit sinkt, ei-

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ne große Rolle. Anders gesagt besitzt der Projektentwickler am Anfang des Prozesses bei maximaler Unsicherheit die maximale Manövrierfähigkeit, am Ende des Prozesses hingegen die maximale Sicherheit ohne die ggf. für Anpassungen gewünschte Manövrierfähigkeit (vgl. Byrne/Cadmann, S. 5). Welchen Investitionsrisiken Projektentwicklungen im Detail unterworfen sind, zeigt Abbildung 176 im Überblick.

Investitionsrisiken

Entwicklungsrisiko

Bewertungsrisiko

Ertragsausfallrisiko

Verwertungsrisiko

Wertänderungsrisiko

Kostenüberschreitung

Standortrisiko

Erstvermietung

Marktzyklus

Standortqualität

Fertigstellung

Marktrisiko

Anschlussvermietung

Funktionsfähigkeit

gesamtwirtschaftl. Rahmen

Qualitätsniveau

Finanzierungsrisiko

Mieterbonität

Kapitalmarkt Trendveränderung

Rechtssicherheit

Inflation

Umweltrisiko

Besteuerung

Bedarfsänderung

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Schlag 1994, S. 119

Abbildung 176: Risiken der Projektentwicklung Die Einstellung von Projektentwicklern gegenüber Risikofaktoren variiert erheblich. Insgesamt lässt sich allerdings feststellen, dass Projektentwickler weit weniger Gebrauch von Instrumenten des Risiko-Managements machen – etwa dem Einsatz der Entscheidungstheorie – als andere Branchen. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die in erster Linie von kleinen und mittelgroßen Unternehmen dominierte Projektentwicklerbranche größtenteils so organisiert ist, dass wesentliche Entscheidungen zentral von der Geschäftsführung gefällt werden, wobei Erfahrung und Intuition häufig eine größere Rolle spielen als durch Analysen abgeleitete Fakten. Solche Organisationsformen charakterisieren mitunter auch große Projektentwicklungsunternehmen. Dennoch wird ein formalerer Ansatz der Entscheidungsfindung, der auch Risikoaspekten sehr viel stärker Rechnung trägt, erforderlich werden; teilweise wird er bereits praktiziert. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der – durch wachsenden Einfluss von offenen Immobilienfonds, Immobilien-AGs, Versicherungen, Pensionskassen und Finanzdienstleistern begründeten – zunehmenden Institutionalisierung der Immobilienmärkte und somit letztlich auch der Projektentwicklung. In diesem Zusammenhang besteht die Aufgabe der Risikoanalyse darin, die Entscheidungsbasis der Projektentwickler durch die Identifizierung sowohl der beeinflussbaren, als auch der außerhalb des Einflusses liegenden Risikoaspekte zu verbessern (vgl. Byrne/Cadman, S. 3ff.).

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4.1.3.3.6 Wirtschaftlichkeitsanalysen In Wirtschaftlichkeits- und Renditeanalysen in Form von Investitionsanalysen werden die wirtschaftlichen Konsequenzen der Realisation eines Investitionsvorhabens zielgerichtet und systematisch betrachtet. Investitionsrechnungen müssen so angelegt sein, dass eine Immobilieninvestition mit anderen Kapitalanlageformen rechnerisch vergleichbar wird (vgl. Schulte 1995, S. 45). Die Investitionsrechnung bedient sich dabei verschiedener Verfahren, die man in klassische und moderne Verfahren aufteilen kann. Die klassischen Verfahren werden in statische und dynamische Methoden unterschieden. Statische Methoden wie eine Amortisationsrechnung weisen den Vorteil auf, sehr einfach zu sein, haben aber den Nachteil, mit Erlösen und Kosten zu operieren, einfache oder keine Zinsrechnung zu gebrauchen und mit Durchschnittsgrößen zu arbeiten. Diese Nachteile werden in den dynamischen Methoden berücksichtigt, die eine Zinseszinsrechnung einführen, periodenspezifische Größen benutzen und mit Ein- und Auszahlungen, respektive Einnahmen und Ausgaben operieren. Es sei vor allem auf die Kapitalwertmethode und die Interne Zinsfuß-Methode verwiesen. Während die o.g. klassischen Methoden auf versteckten, pauschalen nicht frei wählbaren und häufig unrealistischen Annahmen beruhen, können bei den modernen Verfahren die Prämissen frei gewählt und in einem Vollständigen Finanzplan (VoFi) transparent, differenziert und realitätsnah abgebildet werden. Das Konzept Vollständiger Finanzpläne unterscheidet sich von den zuvor dargestellten Methoden hauptsächlich dadurch, dass alle mit der Investition verbundenen Zahlungen explizit abgebildet werden. Auf diese Weise wird eine vergleichsweise exakte und transparente Erfassung sämtlicher Zahlungsreihen und der sich ergebenden finanzwirtschaftlichen Konsequenzen ermöglicht (vgl. Schulte/Ropeter, S. 240ff.). 4.1.3.4

Projektkonkretisierung

Die Bestätigung des Erfolgspotenzials eines Projektes durch die Machbarkeitsanalyse hat die Einleitung einer Verhandlungs- und Entscheidungsphase zur Folge. Spätestens zu diesem Zeitpunkt treten die anderen Projektbeteiligten in den Entwicklungsprozess ein. Hierzu gehören Grundstückseigentümer, Architekten und Ingenieure, Baubehörden und andere öffentliche Interessenträger, bauausführende Unternehmen, Finanzierungsinstitute, Nutzergruppen, spezielle Dienstleistungsunternehmen der Immobilienwirtschaft (Projektsteuerer, Berater, Makler, etc.), sowie – falls nicht für den eigenen Bestand entwickelt wird – Investoren. Folglich beinhaltet die Projektkonkretisierung die Grundstückssicherung, die architektonische Gestaltung, die Erwirkung der Baugenehmigung, die Vergabe der Bauleistungen, die Verhandlung mit Mietinteressenten, den Abschluss der anvisierten Finanzierung, sonstige vertragliche Bindungen (Beratungs- und Maklerverträge, etc.) sowie gegebenenfalls die Verhandlungen mit potenziellen Investoren. War die

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Entscheidung über die Realisierung des Projektes bislang nur vorbehaltlich, so kann diese letztlich erst mit der Baufreigabe und unter der Voraussetzung erfolgen, dass die übrigen Verhandlungen ein bestimmtes, vom Developer festzulegendes Anspruchsniveau, z.B. bezüglich Finanzierungszusage, Vermietungsstand und Bauleistungsvergabe, erreicht haben. Selbstverständlich geschieht die Projektkonkretisierung nicht in der logischen Sekunde der Realisierungsentscheidung. Vielmehr finden Vereinbarungen und Verhandlungen zur Konkretisierung der Projektdurchführung bereits vom ersten Moment der Beschäftigung mit dem Projekt an statt. Genauso werden einzelne Verträge erst nach der Realisierungsentscheidung abgeschlossen, so z.B. Mietverträge mit Nutzern oder Verträge mit bauausführenden Firmen. Eine der Kernaufgaben des Projektentwicklers besteht darin, die einzelnen Verträge so auszuhandeln, dass sie in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht das gewünschte Projektergebnis vorwegnehmen, alle Risiken auf dem Weg dahin jedoch beherrschbar machen. Dies gelingt durch die Einfügung aufschiebender Bedingungen und die Strukturierung von Abhängigkeiten dergestalt, dass der Projektenwicklungsprozess Schritt für Schritt mit jeweiligen Exitmöglichkeiten durchlaufen wird. 4.1.3.5

Projekt-Management

Mit Abschluss der Projektkonzeption und der aus den positiven Ergebnissen der Wirtschaftlichkeits- und Renditeanalysen abgeleiteten Entscheidung, das Projekt tatsächlich zu realisieren, tritt dieses in die Phase des Projekt-Managements. In diesem Stadium werden die Ergebnisse der Projektinitiierung und Projektkonzeption in konkrete Pläne umgesetzt und es wird mit dem Bau, also der Ausführung der Pläne, begonnen. Im Rahmen der Projekt-Management-Phase übernimmt der Projektentwickler die Rolle des Bauherrn. In diesem Zusammenhang unterliegen ihm i.d.R. die nicht delegierbaren Aufgaben der Projektleitung, wohingegen er delegierbare Aufgaben auch auf Projektsteuerer übertragen kann. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass die Frage, welche Aufgaben vom Projektentwickler/Bauherrn im Einzelfall wahrzunehmen sind, in besonderer Weise von der Organisation des Projekt-Managements im Sinne einer Einzel- oder Gesamtbeauftragung abhängt. Schwerpunkt der Aufgabe in der Projektdurchführung ist das Management von Qualität, Kosten und Terminen. Innerhalb des Projektteams muss der Projektsteuerer insbesondere darauf achten, dass Änderungen in den Rahmenbedingungen unverzüglich zu einer Überprüfung der noch bestehenden Einflussmöglichkeiten auf das Projekt führen. In Abstimmung mit der Projektvermarktung muss er darauf achten, dass Mehr- und Minderkostenüberlegungen auf der Bauseite nicht zu Qualitätseinbußen führen.

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Generell übernimmt der Entwickler in dieser Phase die Rolle des aktiven, Einfluss nehmenden Bauherren, der Entscheidungen trifft, Verträge aushandelt und schließt sowie gegebenenfalls notwendige Änderungen im Projektkonzept oder -verlauf anstößt. 4.1.3.6

Projektvermarktung

Mit nahender Fertigstellung des Bauprojektes beginnt die intensive Phase des Projekt-Marketings, wobei einzelne Marketingaufgaben bereits den gesamten Projektentwicklungsprozess begleitend wahrgenommen werden müssen (vgl. McMahan, S. 393). Das Marketing erstreckt sich im Rahmen dieser Phase vor allem auf die Vermietung und die Veräußerung des Projektes, welche grundsätzlich in jedem Entwicklungsstadium des Prozesses erfolgen können. Die mit dem Marketing in Verbindung stehenden Aufgaben können zum Teil auf Dritte, d.h. Maklergesellschaften, übertragen werden. Da der langfristige Erfolg der Immobilie sehr stark von der funktionsgerechten Vermietung im Allgemeinen und der Findung eines angemessenen Mietermixes im Besonderen beeinflusst wird, behalten viele Developer das Marketing im eigenen Hause (vgl. Levy/Maloomian, S. 288 ff.). Ein wesentliches Ziel des Projektmarketings kann darin gesehen werden, Nutzer zu finden und das Projekt vor den Risiken des Preiswettbewerbs zu schützen (vgl. Graaskamp, S. 633). Im Mittelpunkt steht daher der Aufbau und die Sicherung einer „Unique Selling Proposition” (USP), die dem Projekt im Auge des späteren Nutzers oder Investors einen Nutzenvorteil gegenüber Konkurrenzprojekten bzw. -objekten verleiht und auf diesem Wege neben dem Preis andere, wichtige Wettbewerbsdeterminanten einführt. Der Projektentwicklungsprozess endet mit der Fertigstellung, Nutzungsübergabe und Verwertung des Projektes. Für den Fall, dass das Projekt nicht zur Veräußerung bestimmt ist, wird es in den Bestand des Developers eingestellt. In einer Lebenszyklusbetrachtung der Immobilie beginnt damit die Phase der Nutzung und des Objekt-Managements, die sich bis zu einem erneuten Redevelopment der Immobilie erstreckt. Dem Objekt-Management obliegt es zunächst, die laufende Nutzungs- bzw. Funktionsfähigkeit der Immobilie zu erhalten. Darüber hinaus umfasst es im weiteren Sinne alle Aufgaben, – vom Marketing über das Controlling bis hin zur Flächenrevitalisierung – welche die Wettbewerbsfähigkeit der Immobilie nachhaltig sichern und ausbauen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass mit Hilfe von Phasenmodellen die Komplexität und Dynamik des Projektentwicklungsprozesses in idealtypischer Form wiedergegeben werden können. Gleichwohl muss eingeräumt werden, dass die einzelnen Phasen in der Realität nicht immer in der angegebenen Form durchlaufen werden und bei konkreten Projekten in aller Regel Überlappungen, parallele Abläufe und Rückkopplungseffekte auftreten, die durch die Phasenmodelle nicht hinreichend darstellbar sind. Beispiel hierfür ist etwa das Projekt-Marketing, dessen Instrumenta-

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rium bereits in einer frühen Phase des Projektentwicklungsprozesses eingesetzt werden kann bzw. sollte, da eine frühzeitige Vermietung das Projekt überhaupt erst realisierbar – weil (fremd)finanzierbar – macht, Risiken reduziert und den Projekterfolg bzw. die Veräußerungsfähigkeit des Projektes an einen Investor begünstigt. 4.1.4 Anforderungen an den Projektentwickler Der Projektentwicklungsprozess ist durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit einer Vielzahl von Akteuren gekennzeichnet, die vor allem daraus resultiert, dass es dem Projektentwickler vor dem Hintergrund der Vielschichtigkeit der Problemstellungen in der Regel nicht möglich sein dürfte, sämtliche Aufgaben selbst durchzuführen. Seine Aufgabe besteht vielmehr darin, den Projektentwicklungsprozess zu koordinieren und die effiziente Zusammenarbeit zwischen seinem Entwicklungsteam und externen Akteuren sicherzustellen. An dieser Stelle sei auf die Rolle des Projektentwicklers selbst in der Organisation hingewiesen, der entscheidend zum Gelingen oder Scheitern einer Projektentwicklung beiträgt. Nicht jede Persönlichkeit ist geeignet, die interdisziplinären Anforderungen zu erfüllen, die an einen Developer gestellt werden. Es kristallisieren sich wesentliche Bereiche heraus, in denen eine hohe Kompetenz abverlangt wird: Kreativität und Intuition stellen die Kernkompetenzen dar, die ein Projektentwickler benötigt, um am Markt erfolgreich zu sein. Ohne das „gewisse Händchen“ oder die „Spürnase“ wird sich kein Erfolg einstellen. Ein Projektentwickler muss in der Lage sein, kreative Nutzungsideen zu entwickeln und Marktnischen aufzudecken. Ein Standortpotenzial muss für ihn ersichtlich sein und von ihm erkannt werden. Er muss in der Lage sein, Nachfrageentwicklungen richtig einzuschätzen. Die oben genannte Kreativität muss durch Fähigkeiten unterlegt sein, die dem Projektentwickler die Möglichkeit geben, seine Intuition analytisch zu hinterfragen: Marktkenntnisse auf den drei Märkten, dem Vermietungsmarkt, dem Investitionsmarkt und dem Grundstücksmarkt, sind genauso von Nöten wie Kenntnisse über Anbieter- und Nachfragestrukturen, Mieterinteressen und Investorenwünsche. Es obliegt dem Projektentwickler, Entscheidungskriterien zu definieren, die er dem handelnden Nachfrager unterstellt. Somit muss er Lagekenntnisse besitzen, um Trends richtig erkennen zu können. Neben analytischen Fähigkeiten ist kaufmännisches und juristisches Handwerkzeug unabdingbar. Sowohl die rechtlichen Aspekte der Immobilienökonomie wie Baurecht, Grundstücks- oder Vertragsrecht, als auch die steuerlichen Aspekte gehören zum täglichen Handwerkszeug. Der Projektentwickler muss in der Lage sein, den Projektentwicklungsprozess vollständig zu begleiten. Daher muss er nicht nur in Investitionsrechnung und Finanzierungswesen geschult sein, sondern ebenfalls im ganzheitlichen und prozessbegleitenden Marketing seiner Projekte.

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Zu den entscheidenden interdisziplinären Grundlagen der Immobilienökonomie gehören auch technische Kenntnisse. Neben grundlegenden Kenntnissen der Architektur, verschiedener Bauverfahren, Bauweisen und ihren Besonderheiten ist es notwendig, dass der Projektentwickler Kenntnisse über diverse Qualitäten und Kosten von Bausubstanz besitzt sowie über ein funktionierendes Termin-Management verfügt, so dass ein Projekt schlüsselfertig an einem vorher terminierten Tag auch übergeben werden kann. Der Projektentwickler muss ebenfalls eine Persönlichkeit sein, die in der Lage ist, neben den oben genannten „Hard Skills“ auch „Soft Skills“ einzusetzen. Es wird von ihm die Führung sehr heterogener Gruppen mit den unterschiedlichsten Interessen verlangt. Durch die Interdisziplinarität der Projektentwicklung ist er auf ein Team von Spezialisten angewiesen und muss deshalb teamfähig und kein „Einzelkämpfer“ sein. Genauso muss er im Umgang mit der Öffentlichkeit geschult und gegenüber politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen aufgeschlossen sein. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die oben genannten Anforderungen nur selten in einer Person vereinigt werden können. Vielmehr kommt es darauf an, dass sie innerhalb des Projektteams gewährleistet sind und marktgerecht dem Projekt zugutekommen. 4.1.5 Koordinationspotenzial in Stadt- und Projektentwicklung 4.1.5.1

Umdenken in der Projektentwicklung

Die Anforderungen an eine erfolgreiche Projektentwicklung haben sich im Laufe der Zeit und in Anbetracht neuer Marktbedingungen verändert. Sie erstrecken sich auf unterschiedliche Bereiche, die einen erweiterten Fokus der Projektentwicklung und eine Umorientierung der Projektentwicklung voraussetzen. Die klassische „Produkttyp-Denke“ in der Entwicklung rückt immer weiter in den Hintergrund. An ihre Stelle tritt eine vermehrte Orientierung an mit Projekten verbundenen Aufgaben wie beispielsweise die Revitalisierung von Industriearealen, die Nachnutzung oder Umnutzung wirtschaftlich obsoleter Immobilienobjekte oder die Verdichtung und Belebung urbaner Räume. Offenkundig verknüpft mit diesen Tendenzen ist die Aufgabe der Abgrenzung von stadtentwicklerischen und projektentwicklerischen Aktivitäten. Erscheint es doch als nicht länger passend und unzeitgemäß, sich bei der Entwicklung auf eine (solitäre) Nutzungsart zu beschränken anstatt umfeldbezogene, integrierte Lösungen anzustreben. Folglich werden die unterschiedlichen Beteiligten zunehmend an einen Tisch gebracht. Zu Anfang eines Projektes nehmen sich Projektentwickler mehr Zeit für umfassende Projekt- und Umfeldanalysen, vor allem bezüglich der Ausgestaltung und Marktfähigkeit eines Nutzungskonzeptes. Die Fähigkeit des Entwicklers, Bedürfnisse und Ansprüche der potenziellen Nachfragergruppen zu antizipieren und zu bedienen, ergibt letzt-

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lich seinen Wettbewerbsvorteil auf einem Markt mit intensiverem Wettbewerb. Klassische „harte“ Standortfaktoren – die sich im Wesentlichen auf den Standort und eine zugehörige Kosten- und Infrastruktur beziehen – werden in Frage gestellt und es werden neue „weiche“ Standortkriterien formuliert, mit denen ein scheinbar wenig attraktiver Standort eine Bedeutung erhält, die ansonsten vernachlässigt werden würde (vgl. Bone-Winkel 2001, S. 16). Neben „weichen“ Standortfaktoren wie Arbeitsplatzproduktivität, bei der erstmals die Effektivität der Arbeitsplatzgestaltung in den Vordergrund tritt, oder Urbanität, bei der eine Einbindung der Immobilie in den (städtischen) Umfeldkontext thematisiert wird, tritt die Flexibilität einer Immobilie weiter in den Vordergrund. Dies meint eine aufwandsarme Art Upgrades vorzunehmen oder eine Art modularen Bauens durchzuführen, um somit eine zunehmend schnellere und spontane Reaktion auf Änderungen der Nachfragestruktur zu erbringen. Die Leitprinzipien aus Sicht der Projektentwicklung sind Rationalisierung für eine optimale Flächenausnutzung und Emotionalisierung als Fokussierung auf den Nutzer und auf Mittel, um diesen an die Immobilie zu binden. Bei der Konzentration auf den Aspekt der Arbeitsplatzqualität wird wiederum der Aspekt der Urbanität, des Milieus oder der Agglomerationseffekte berührt und somit die Ein- und Auswirkungen des Umfelds auf die einzelne Projektentwicklung. Ziel dieser Bemühungen muss es sein, aus Sicht bestimmter Nutzergruppen eine Unique Selling Proposition zu offerieren. Dazu gehören nicht nur Emotionen, die Sympathie und Affektionen für die Immobilie an sich erzeugen sollen, sondern auch Umfeldvitalität oder Synergien der Nutzungen in direkter Nachbarschaft. Die Erforschung des Nutzerverhaltens hat auch das Potenzial, zur Belebung bzw. Neupositionierung ganzer Stadtquartiere beizutragen. Demzufolge ergibt sich für den Projektentwickler auch ein immer größerer Einfluss sowie eine gesteigerte Bedeutung für die Stadtentwicklung und –planung (vgl. Bone-Winkel 2001, S. 16f.; vgl. Gerstner, o.S.). Mit der zunehmenden Dynamik der Immobilien-Projektentwicklung wächst auch der Wandel der Rahmenbedingungen für die Stadtentwicklung. An Stadtplaner werden heute höhere Anforderungen hinsichtlich der Flexibilität einer Stadt, der Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Wegen und der praktischen Umsetzung der Planungen gestellt. Ansprüche der Privatwirtschaft und ein ansteigender, interkommunaler Wettbewerb führen also zu einer Art Gleichschaltung der Interessenslagen. Ein vielschichtiger Verhandlungsprozess zur Einigung und Zufriedenstellung aller in der Projektentwicklung Beteiligter beginnt, wenn sich die Stadt entweder aus der Verantwortung für die Entwicklung eines Gebiets zurückzieht oder weder die Kapazitäten noch die Fähigkeiten zur Moderation und Koordination eines solchen Prozesses besitzt. Somit kann die Aufgabe der Initiierung, Finanzierung und Begleitung eines übergreifenden Projektes in den Aufgabenbereich des Projektentwicklers fallen und er angehalten sein, diese federführend zu übernehmen. Dies gelingt selbstverständlich nur in Abstimmung mit dem zur Verfü-

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gung gestellten städtebaulichen Instrumentarium. Dabei wird es entscheidend, andere Stakeholder einer Projektentwicklung frühzeitig abzuholen und in das Projekt mit einzubinden, um eventuelle Widerstände durch Information und Feedback abzubauen bzw. gar nicht erst entstehen zu lassen (vgl. Bone-Winkel 2001, S. 17; vgl. Schlusche, S. 223ff.). 4.1.5.2

Einfluss des Umfeldes auf die Projektentwicklung

Laut Schmals befindet sich die Projektentwicklung – in Anlehnung an Begrifflichkeiten des Städtebaus - in ihrer postmodernen Phase (vgl. Schmals, S. 99); in diesem Fall bedeutet dies eine Abwendung von den Vorgaben und Richtlinien der „Charta von Athen“. Es impliziert ein geändertes Verhalten des Entwicklers, der mehr und mehr die Rolle der Moderation, Koordination und Mediation übernimmt. Verschiedene Arten des Wandels bestimmen nach Schmals diese postmodernen Aspekte: Wandel der Sozialstruktur, Wandel der Bedürfnisse, ästhetische Aspekte und Beteiligungsformen, Wandel der Standortfaktoren, Wandel der Planungskultur und Wandel der kollektiven Raumbilder (vgl. Kapitel 2.1.2). Der Aspekt einer gewandelten Planungskultur wird durch folgenden Tatbestand bestätigt: Erfolgreiche Immobilien-Projektentwicklungen können im 21. Jahrhundert nicht mehr vom Planbrett konzipiert werden, nachhaltig gute Nutzungskonzepte müssen durch die Sichtweisen und Meinungen wichtiger Stakeholder in einem iterativen Prozess erarbeitet werden. Daher sollte eine frühest mögliche Einbindung aller Betroffenen vielmehr als Chance begriffen werden, eine den Vorstellungen entsprechende Immobilie zu entwickeln. Die anderen vorher genannten Aspekte der Postmoderne in der Projektentwicklung reflektieren sich in einer stärkeren Nutzerorientierung (Marktorientierung) sowie einer größeren Situationsorientierung (Umfeldorientierung). Hierfür bedarf es einer dezentraleren Ausrichtung der Projektentwicklung und konsequenterweise auch der Stadtentwicklung, denn sie wird durch diese Richtungsänderung auf einer übergeordneten Ebene berührt und vice versa. Ziel ist es, in der postmodernen Denkweise projektspezifisch zu entscheiden, wie eine lokale Qualität an Geschichte, Baumasse, sozialem Umfeld und anderen Standortfaktoren mit den Bedürfnissen der potenziellen Nutzergruppen und denen der derzeitig involvierten Gruppen sinnvoll zu vereinen ist (vgl. Schmals, S. 91ff.). Für von Nell und Emenlauer ist die Entwicklung einer marktfähigen Projektidee die Krux einer ganzen Projektentwicklung, wobei der Begriff weiter zu fassen ist als eine reine Nutzungskonzeption. Dazu gehören ebenfalls die räumliche Ausformulierung der Nutzungskonzeption sowie die projektspezifischen Aspekte der Organisation, der Finanzierung und des Marketings. Als erfolgreich wird ein Projekt angesehen, das sowohl über öffentliche Akzeptanz verfügt, eine Standortaufwertung erreicht als auch einzelwirtschaftlich erfolgreich ist. Daher ist es auch nicht allein aus-

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reichend, sich auf die Struktur und Zusammensetzung der Nutzungen in der eigenen Immobilie zu konzentrieren. Der Blickwinkel muss weiter gefasst und der Fokus eher auf ein ganzes Quartier als auf eine einzelne Projektentwicklung gelegt werden. In diesem Zusammenhang ist besonders eine Auseinandersetzung mit den jeweiligen Standortstärken, dem „genius loci“, sprich Faktoren, die für den Standort typisch und prägend sind sowie ihn besonders kennzeichnen, erforderlich. Man könnte in diesem Zusammenhang auch von den „Kernkompetenzen“ eines Quartiers bzw. eines Standortes sprechen. Dazu gehören die geschichtlichen, strukturellen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aspekte des Umfelds. Die Projektentwicklungsleistung kann nicht losgelöst von der Entwicklung des Stadtquartiers passieren, sie ist in die Stadtteilentwicklung zu integrieren. Dies umfasst sowohl eine Analyse der schon angesprochenen Aspekte, die Berücksichtigung eventueller Umfeldentwicklungen, das Aufgreifen eines Images, aktueller Trends oder wichtiger Standortfaktoren sowie ein offener Dialog mit allen Beteiligten (vgl. Nell/Emenlauer, S. 117ff.).

Bürger Nutzer

Planungsbehörden

Projektentwickler

Grundstückseigentümer

Financier Investor

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Isenhöfer 1999, S.38

Abbildung 177: Beziehungen der verschiedenen Stakeholder Die Rolle des Projektentwicklers, sich als Mediator und Moderator in die Projekte einzubringen, soll noch einmal unterstrichen werden. Besonders in der Frühphase der ImmobilienProjektentwicklung, bei dem Entwurf eines Nutzungskonzepts und der Beschaffung des Bau-

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rechts, ist die Fähigkeit, die unterschiedlichen Interessenslagen der Beteiligten zu verbinden und Kompromisse auszuhandeln, gefragt. Der Fokus der Mediation hat sich im Zeitablauf allerdings verschoben. Wurde früher den Interessen der Kommune und des Projektentwicklers Vorrang eingeräumt, so stehen seit einiger Zeit doch mehr und mehr die Interessen der Bürger und Nutzer im Vordergrund. Der Projektentwickler muss dabei allerdings nicht nur die Beziehungen, die er zu den jeweils anderen Interessengruppen unterhält, sondern auch die Beziehungen der anderen Interessensgruppen untereinander moderieren, um ein Projekt gut auf den Weg zu bringen (vgl. Abbildung 177). Um ein schon vorskizziertes Projekt erfolgreich in diesem offenen Dialog bestehen zu lassen und gegebenenfalls Kompromisse eingehen zu können, muss die Projektidee eine gewisse Flexibilität besitzen. Mögliche Einsatzfelder sind in verschiedenen Stufen bei Städtebau, Bauleitplanung und Hochbauplanung realisierbar und ergeben sich in Mediationszusammenkünften wie der Perspektivenwerkstatt, der marktorientierten Städtebauwerkstatt oder dem Architektur-Workshop (vgl. Meyer, S. 685ff.). 4.1.5.3

Integration der Prozessschritte und Positionen

Die klassische Einteilung der Prozesse und Verteilung der Rollen zwischen Immobilien-Projektentwicklung und Stadtentwicklung befindet sich in der Auflösung. Gekennzeichnet ist diese Bewegung von Bemühungen zur Synchronisierung der Vorgehensweisen und Prozesse auf beiden Seiten, da erkannt wurde, welche Optimierungspotenziale in einem konzertierten Vorgehen liegen. Die Zielsetzung ist nahezu identisch, wenn auch der Betrachtungswinkel ein anderer ist: das Funktionieren eines Quartiers. Dieser Erfolg lässt sich in den unterschiedlichen Aspekten, unter denen ein Quartier betrachtet wird, ablesen: eine gute Nutzungsstruktur, soziale Ausgewogenheit, städtebaulich-architektonischer Anspruch und letztlich auch wirtschaftliche Rentabilität. Die Prozesse der Entwicklung einer Immobilie bzw. eines Stadtteils sind offenkundig sehr ähnlich und vergleichbar und erlauben daher eine engere Ausrichtung am jeweils anderen. Die unterschiedlichen, interdisziplinären Hintergründe und Standpunkte der Fachvertreter gereichen auch zum Vorteil des Projektes, so können verschiedene Standpunkte und Betrachtungswinkel in sachlichen und zielgerichteten Diskussionen nur positiv zum Projekt beitragen. Des Weiteren ist zu hinterfragen, inwieweit es sinnvoll ist, die bisherige Praxis aufrecht zu erhalten, erst Planungsrecht zu schaffen und danach Investorenwettbewerbe auszuschreiben. Die Erarbeitung einer Bebauungsplanung in Kooperation mit einem Investor scheint dabei zielgerichteter und effektiver. Die faktische Zusammengehörigkeit wird in einem integrierten Prozess abgebildet (vgl. Abbildung 178). Der Stadtentwicklungsprozess verläuft dabei parallel zu dem Projektentwick-

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lungsprozess bis zur Beendigung der Entwicklung. Am Anfang steht eine erste Standorteinschätzung in der Phase der Projektinitiierung, in der auch eine Betrachtung des eventuell existenten Planungsrechts gemacht wird. Parallel beginnen die Aktivitäten der Projektvermarktung kombiniert mit zielgerichteten Stadtmarketingmaßnahmen. Darauf folgen auf Seiten der Projektentwickler die Phase der Projektkonzeption und auf Seiten der Stadt die städtebauliche Ausschreibung zu Wettbewerbsverfahren. Nach erfolgreicher Durchführung des Investorenwettbewerbs und verschiedener Themen-Workshops gehen die Ergebnisse schließlich in die Rahmenplanung ein. Nach der Baurechtschaffung kann mit der Projektkonkre-

Projektrealisierung/ Projektmanagement

Projektkonkretisierung

Projektkonzeption

Projektentwicklung Facilities Management

Investorenbetreuung/ Zwischennutzungen

Baurechtschaffung

Rahmenplanung

Projektvermarktung und Stadt-/ Quartiersmarketing

Wettbewerbsverfahren

Projektinitiierung

tisierung fortgefahren werden.

Quartiersmanagement Stadtentwicklung

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 178: Integrierter Prozess von Projekt- und Stadtentwicklung Die Vermarktungsaktivitäten werden verstärkt und eine intensive Investorenbetreuung wird etabliert. Denkbar sind auch eventuelle Zwischennutzungen der Flächen noch während der Entwicklung zur Verstärkung der öffentlichen Aufmerksamkeit für den Standort. Zeitgleich dazu verläuft die Fertigstellung der Immobilie in der Phase Projektrealisierung und –management. Die Stadtmarketingaktivitäten sollten idealerweise nicht nur in Neupositionierungszeiten, sondern ständig präsent vorgenommen werden und im Rahmen eines möglichen Quartiersmanagement analog zum Facilities Management der Immobilie während der Nutzung betrachtet werden (vgl. Kammermeier, S. 127 ff.; vgl. Kötter, S. 48f.; vgl. Schulte/Bone-Winkel/Rottke, S. 38ff.).

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Wagner, K.-R.: Projektmanagement – Treuhandschaft – Immobiliendevelopment, in: Baurecht, 21. Jg., 1991, S. 665-676.

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4.2

Immobilienmarketing und Stadtmarketing

783

Elisabeth Kammermeier, Karin Weikamp, Matthias Wiffler 4.2.1 Begriff des Marketing 4.2.2 Abstimmung von Immobilienmarketing und Projektentwicklung 4.2.2.1 Begriff desImmobilienmarketing 4.2.2.2 Strategische Immobilienmarketingplanung 4.2.2.3 Operative Marketingplanung 4.2.2.4 Immobilienmarketing im Rahmen des Projektentwicklungsprozesses 4.2.3 Abstimmung von Immobilienmarketing und Stadtmarketing 4.2.4 Ausblick Literaturverzeichnis zu Kapitel 4.2

783 784 784 785 788 789 795 801 802

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4.2 Immobilienmarketing und Stadtmarketing Elisabeth Kammermeier, Karin Weikamp, Matthias Wiffler 4.2.1 Begriff des Marketing Im Zentrum des Marketings steht die Gestaltung von Tauschprozessen. Insofern stellt Marketing eine bereits lange Zeit ausgeübte Tätigkeit dar, die schließlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland zum Untersuchungsgegenstand erster wissenschaftlicher Überlegungen wurde; damals jedoch noch vornehmlich unter der Bezeichnung „Absatzlehre“ (vgl. Mattmüller, S. 20 f.). Seit dieser Zeit wurde der Marketingbegriff von einer Vielzahl von Autoren unterschiedlich definiert. Als besonders treffend erscheint die folgende Definition (Kotler/Bliemel 1999, S. 7): „Marketing ist ein Prozess im Wirtschafts- und Sozialgefüge, durch den Einzelpersonen und Gruppen ihre Bedürfnisse und Wünsche befriedigen, indem sie Produkte und andere Dinge von Wert erzeugen, anbieten und miteinander austauschen.“ Diese Betrachtungsweise spiegelt die Vielschichtigkeit und Breite der Marketingdisziplin wider. Basis des Marketings sind also zunächst die Wünsche und Bedürfnisse von Menschen bzw. Organisationen, die zur Nachfrage nach bestimmten Gütern und Dienstleistungen führen. Durch die Herstellung und das Angebot von nutzenstiftenden Produkten kann die Nachfrage durch den Austauschprozess zwischen Anbieter und Nachfrager bzw. den Kauf jener Produkte befriedigt werden. Unter Nutzen wird dabei das Maß an Bedürfnisbefriedigung verstanden, das der Nachfrager durch die Verwendung des Gutes bzw. durch die Inanspruchnahme einer Dienstleistung erfährt (vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen, S. 1063). Allein am Nutzen wird sich der Nachfrager jedoch nicht bei der Entscheidung für oder gegen ein Produktangebot orientieren. Er wird das Produkt wählen, welches ihm das beste Kosten-Nutzenverhältnis verspricht. Jedoch kann der Nachfrager in vielen Fällen erst während der sich an den Kauf anschließenden Nutzungs- bzw. Gebrauchsphase die tatsächliche Leistung des Produktes mit seiner Erwartungshaltung vor dem Kauf bzw. vor der Nutzung vergleichen. Werden seine Erwartungen erfüllt oder gar übertroffen, führt das zu Kundenzufriedenheit; andernfalls stellt sich Unzufriedenheit mit dem Produkt und i.d.R. auch mit dem Anbieter ein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Verkäufer nicht im Stande ist, die Beschwerde des Kunden anzunehmen, zu bearbeiten und sein Leistungsversprechen gegenüber dem Kunden letztlich durch eine entsprechende Nacherfüllung zu erbringen (vgl. Mattmüller, S. 363). Die genannten Begriffe sind zwar allesamt eng mit dem Marketingbegriff verknüpft, Marketing an sich setzt jedoch letztlich erst dann ein, wenn Wünsche und Bedürfnisse der Menschen durch Austauschprozesse befriedigt werden sollen. Der Austausch, der als ein Prozess zu verstehen ist,

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durch den man ein gewünschtes Produkt erhält, indem man einem anderen eine Gegenleistung dafür anbietet, ist eine notwendige Bedingung, damit Marketing überhaupt stattfinden kann. Damit Austauschprozesse zustande kommen, sind die folgenden Bedingungen zu erfüllen (vgl. Kotler/Bliemel 1999, S. 11): x

Es muss mindestens zwei Parteien geben.

x

Jede Partei muss etwas haben, das für die andere Partei von Wert sein könnte.

x

Jede Partei muss in der Lage sein, mit der anderen Partei zu kommunizieren und das Tauschobjekt zu übertragen.

x

Jeder Partei steht es frei, das Angebot anzunehmen oder abzulehnen.

x

Jede Partei darf den Umgang und Austausch mit der anderen Partei nicht ablehnen.

Erzielen die Parteien eine Einigung über die Austauschbedingungen, so findet der Austausch statt. Im Rahmen des eigentlichen Austauschaktes bzw. der Transaktion gehen dabei die Verfügungsrechte (sogenannte Property Rights) über die Austauschobjekte vom anbietenden auf den nachfragenden Transaktionspartner über (vgl. Mattmüller, S. 316). Die Aufgaben des Marketings bestehen nun darin, den Austauschprozess mit Hilfe des zur Verfügung stehenden Marketinginstrumentariums so zu gestalten, dass es zu einer erfolgreichen Transaktion kommt. 4.2.2 Abstimmung von Immobilienmarketing und Projektentwicklung 4.2.2.1

Begriff des Immobilienmarketing

Das dynamische Wachstum der Immobilienbranche in den vergangenen Jahrzehnten, der extreme Zufluss von Anlegergeldern in die Immobilienmärkte und die damit verbundene Flächenproduktion, die die Nachfrage bei Weitem überstiegen hat, der Wegfall von Subventionen, die Vergleichbarkeit der Produkte durch das World Wide Web, neue Richtlinien wie Basel II, aber vor allem die Weltwirtschaftskrise führen gegenwärtig zu einer schwierigen Marktsituation mit enormen Problemen. Mit jenem Wandel zum Beispiel vom Verkäufer- zum Käufer- bzw. Mietermarkt oder vice versa sind Immobilienunternehmen gezwungen, sich verstärkt mit ihren Angeboten an den Wünschen und Bedürfnissen potenzieller Abnehmer, d. h. Nutzer und Investoren, zu orientieren. Anm. der Autoren: Ein Verkäufermarkt zeichnet sich dadurch aus, dass die Nachfrage größer ist als das Angebot (Nachfrageüberhang). Die Engpässe für die anbietenden Unternehmen liegen dann meist in den Bereichen Produktion, Finanzierung und Beschaffung während der Absatz i.d.R. kein Problem darstellt. Eine Markt- oder gar Kundenorientierung ist in dieser Situation für die Unternehmen von untergeordneter Bedeutung. Bei einem Käufermarkt hingegen übersteigt das Angebot an

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Gütern die Nachfrage (Angebotsüberhang) und die Käufer auf dem Markt können aus einer Vielzahl von Angeboten auswählen (vgl. Weis, S. 17). In diesem Zusammenhang gewinnt ein ganzheitlicher Marketingansatz, der eine aktive und geplante Vorbereitung, die Anbahnung, den Abschluss und die Realisierung von Tauschprozessen beinhaltet, im Rahmen des Marketing-Managements von Immobilienunternehmen zunehmend an Bedeutung und rückt dabei verstärkt in das Aufmerksamkeitsspektrum von Unternehmensleitungen. Unter dem Stichwort ganzheitliches Immobilienmarketing wird eine Methode verstanden, bei der das marketingpolitische Instrumentarium nicht ad hoc, sondern die einzelnen Marketingfunktionen und -instrumente aller Beteiligten über den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie hinweg mit ausreichender gegenseitiger Abstimmung und koordinierter Intention auf den Markt wirken (vgl. Weis, S. 31). Immobilienmarketing stellt sich somit als „die Gesamtheit aller systematischen und zielgerichteten Maßnahmen, die zur Entwicklung, Preisfindung und Verbreitung von Immobilien und/oder immobilienspezifischen Dienstleistungen dienen, um Austauschprozesse zur Zufriedenheit individueller und organisatorischer Ziele herbeizuführen“ (Brade et al, S. 713) dar. Sämtliche Aktivitäten werden dabei von der jeweils aktuellen Situation und den Eigenschaften der jeweiligen Immobilienmärkte beeinflusst. 4.2.2.2

Strategische Immobilienmarketingplanung

Ein Standortgutachten als Basis und das so genannte Bauchgefühl reichen heute nicht mehr aus, um sich den Herausforderungen einer Projektentwicklung gezielt, vorbereitet und letztlich erfolgreich zu stellen. Immobilienmarketing als ein wesentlicher Teil des Projektentwicklungsprozesses ist heute vielmehr eine unternehmerische Funktion, die sich vor strategischem Vorgehen nicht länger verschließen darf. Zu stark sind die Ansprüche und Herausforderungen des Marktes. Die Abbildung 179 verdeutlicht, dass die vielfältigen, in gegenseitiger Interdependenz stehenden Wirkungskräfte und Teilnehmer am Marktgeschehen mit ihren jeweiligen Zielen, Bedürfnissen und Restriktionen eine strategische Herausforderung für Projektentwickler und Immobilienmarketingexperten darstellen (vgl. Schulte/Brade, S. 50). Mit Hilfe der strategischen Marketingplanung können die Beteiligten jedoch die mit einer Projektentwicklung und deren Vermarktung verbundene Unsicherheit deutlich reduzieren. Clausewitz (geboren 1780, preußischer Offizier und Heeresreformer) definiert Strategie als die globale Planung und damit als gesamten Handlungsrahmen eines Unternehmens, während Taktik die lokale Planung sei. Wie kann man sich nun aber durch eine Strategie differenzieren?

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Quelle: Meffert 1992, S.4

Abbildung 179: Immobilienmarkt: Ansprüche und strategische Herausforderungen Bei einer Strategie handelt es sich um den Weg, den man geht, um von der vorgegebenen Position aus zum Ziel zu gelangen. Zunächst ist strategisches Vorgehen damit nichts anderes als ein Prozess systematischer Analysen von Marktgegebenheiten und ihren Chancen und Risiken mit nachfolgender Reduktion auf das Wesentliche. Dabei gilt es, bei all den Möglichkeiten, die sich in einem konkreten Geschäftsfall anbieten, möglichst viele Alternativen zu erkennen bzw. zu entwickeln, die vielversprechendsten zu identifizieren und letztlich einen Plan zu erstellen, wie man die ausgewählten Alternativen am konsequentesten weiterverfolgt. So verstanden steht am Anfang der Strategieentwicklung stets die Marktforschung gefolgt von der Definition von Zielen und Strategien, die festlegen, wie und mit welchen Mitteln bzw. Maßnahmen die Ziele zu erreichen sind (vgl. Hopfgartner, S. 27; Thommen/Achleitner, S. 119ff.). Die Strategieentwicklung bringt also immer eine Verdeutlichung der Position und des Zielkorridors mit sich. Im strategischen Marketingplan werden auf der Grundlage der Analyse der Marktchancen, Unternehmensziele und Ressourcen die generellen Marketingziele und die Strategie festgelegt. Im taktischen Marketingplan werden die für den Planungszeitraum zutreffenden und erforderlichen Maßnahmen und einzusetzenden Mittel beschrieben sowie die Evaluierungstools bestimmt, die später der Erfolgskontrolle dienen sollen. Dabei sind stets die Besonderheiten des Immobilienmarktes und der einzelnen Immobilie zu beachten, auf die im Folgenden kurz eingegangen werden soll.

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Die Besonderheiten und Charakteristika des Immobilienmarktes bzw. der Immobilie, die es bei der Marketing-Planung zu berücksichtigen gilt, sind im Wesentlichen: x

Eine Immobilie ist i. d. R. ein Investitionsgut. -

Daher haben wir es mit Mehrpersonenentscheidungen und mehrstufigen Entscheidungsprozessen zu tun. Wichtig bei der Planung ist die Identifikation der Entscheidungsträger und eine gezielte Informationspolitik.

x

Der Immobilienmarkt ist anonym. -

Der Kunde ist vorher unbekannt, der Bedarf bzw. die Nachfrage muss durch eine fundierte Zielgruppensegmentierung ermittelt werden.

x

Immobilien sind immobil. -

Der Wichtigkeit der Standortwahl kann nicht genug Beachtung geschenkt werden, da der Kunde „zum Produkt kommen muss“. Damit spielt die Standortwahl innerhalb der Immobilienbranche im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen, bei denen der Absatz direkt beim Kunden stattfinden kann, eine herausragende Rolle.

-

Gleichwohl kommt der Markt- und der Zielgruppenforschung und damit der Notwendigkeit sorgfältig recherchierter Analysen eine besondere Bedeutung zu.

x

Immobilien müssen langfristig geplant sein und sind sehr öffentlichkeitswirksam. -

Bei der Entwicklung, Umsetzung und dem Betrieb einer Immobilie handelt es sich um eine langfristige Aufgabe, da der Return on Investment erst nach Jahren erfolgt.

-

Immobilienproduktentwicklungen sind meist öffentlich und deshalb hat die Kommunikation mit den Beteiligten eine hohe Bedeutung. Konsequenterweise muss es deshalb bei der Planung eine genaue Analyse des Beteiligtenkreises geben, damit dieser in den Kommunikationsprozess mit einbezogen werden kann.

x

Bei Immobilien herrscht eine enge Verknüpfung zwischen materiellen und immateriellen Leistungen. -

Sämtliche Serviceleistungen, die um die Immobilie zirkulieren, tragen zum Vermarktungserfolg bei; so z.B. Kunden- und Nutzeranalysen, Finanzierungs-, Anlage-, und Steuerberatung, Kunden-, Vermietungs- und Verwaltungsmanagement.

Die Marketingplanung in der Immobilienentwicklung ist das zentrale Instrument zur Steuerung und Koordination aller Aktivitäten mit Marktauswirkung. Somit ist sie ein elementarer Bestandteil bei der Planung, Entwicklung und Realisierung eines Vorhabens.

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4.2.2.3

Operative Marketingplanung

Im Rahmen der operativen Marketingplanung ist der Marketing-Mix der Schlüsselbegriff. Er stellt die Kombination aus den Marketing-Instrumentarien, die das Unternehmen zur Erreichung seiner Marketingziele auf dem Zielmarkt einsetzt (vgl. Kotler/Bliemel 2001, S. 149), dar. Es gibt eine Vielzahl von Marketing-Mix-Kombinationen. Die vier wesentlichen Instrumente hat McCarthy (vgl. Kotler/Bliemel 2001, S. 150) popularisiert, die so genannten „vier P’s“: Product (Produkt und Service), Price (Preis und Konditionen), Place (Distribution) und Promotion (Kommunikation). x

Product Das grundlegendste Instrument im Marketing ist das Angebot des Unternehmens an den Markt, einschließlich seiner Ausstattungsmerkmale, der Verpackung, des Markenimages und des Kundendienstes.

x

Price Der Preis, den der Kunde für das Produkt bezahlen muss. Hierzu gehören auch alle preisbeeinflussenden Angebote (Konditionen), wie z.B. Nachlässe, Zahlungsfristen und Finanzierungsangebote.

x

Place Hierunter fallen alle Aktivitäten, die das Unternehmen unternimmt, um das Produkt oder die Dienstleistung dem Zielkunden leicht zugänglich und verfügbar zu machen.

x

Promotion Die Absatzförderung umfasst alle Handlungen, die dem Markt die Vorzüge der Produkte vermitteln und den Zielkunden zum Kauf bewegen. Gemeint sind damit die Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations), Werbung, persönlicher Verkauf und Verkaufsförderung.

Die dargestellten Marketing-Mix-Modelle bezeichnen die Instrumentarien jeweils aus Sicht des Anbieters. Um die bedeutende Sicht des Kunden einzubringen, muss für jedes dieser Instrumente klar sein, welcher Nutzen für den Empfänger/Kunden damit verbunden sein soll. Vor diesem Hintergrund stellt Lauterborn dem „4P-Modell“ das „4C-Modell“, wie in Tabelle 20 dargestellt, gegenüber (vgl. Lauterborn, o.S.). Das Denkmuster von Lauterborn beruht darauf, dass nur die Unternehmen im zukünftigen Wettbewerb gewinnen werden, die Kundenwünsche wirtschaftlich vorteilhaft und mühelos erfüllbar darstellen und durch die Bereitstellung leicht verständlicher und mühelos erreichbarer Informationen ihre Kunden umfassend bedienen.

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4 P’s nach McCarthy

4C’s nach Lauterborn

Product

Customer Solution - Kundenproblemlösung

Price

Cost to the customer – Kosten für den Kunden

Place

Convenience – Mühelosigkeit des Zugriffs

Promotion

Communication - Informationsverfügbarkeit

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Quelle: eigene Darstellung nach Lauterborn

Tabelle 20: 4P´s nach McCarthy vs. 4C´s nach Lauterborn Vor allem in der Immobilienwirtschaft, in der sich Produkte durch hohe Investitionen und durch ihre Immobilität auszeichnen, sind die Bedürfnisse des Kunden vor Ort bei der gesamten Entwicklung von elementarer Bedeutung. So bezeichnen auch renommierte Trendforscher die „Rückkehr zur Kundenbindung“ als einen der wichtigsten Trends der Gegenwart und Zukunft für alle Wirtschaftsbereiche. Der Kunde im Mittelpunkt allen Strebens führt zu einer fundierten Auseinandersetzung und Analyse hinsichtlich dessen Wünschen, Ansprüchen und Bedürfnissen. 4.2.2.4

Immobilienmarketing im Rahmen des Projektentwicklungsprozesses

Begriff und Inhalte eines Projektentwicklungsprozesses werden in der Immobilienwirtschaft noch immer sehr unterschiedlich verstanden. Eine klare definitorische Abgrenzung oder gesetzliche Regelung liegt nicht vor (vgl. Bone-Winkel, S. 10 ff.). Vielmehr exisitieren eine Reihe von Definitionen, auf die in Kapitel 4.1 ausführlich eingegangen wird. Der Begriff der Projektentwicklung wird hier als „Projektentwicklung im weiteren Sinne“ verstanden, die sich in die folgenden, idealtypischen Phasen unterteilen lässt, die an dieser Stelle nur kurz benannt werden, um anschliessend die diesen Prozess begleitenden Instrumente des Marketing beispielhaft aufzuzeigen (ausführlich hierzu: Kochendorfer/Liebchen, S. 159 ff, Kapitel 4.1): 1. Definitions-/Projektinitiierungsphase 2. Projektkonzeptionsphase 3. Projektkonkretisierungsphase 4. Projektrealisierung und –management 5. Vermarktungs- und Nutzungs-/Betriebsphase Die Projektentwicklung verfolgt in erster Linie das Ziel, ein marktfähiges Produkt zu erstellen, d.h. eine nach Fertigstellung vollvermietete und langfristig ertragsgenerierende Immobilie zu

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entwickeln, die den Renditeanforderungen der Investoren ebenso wie den Bedürfnissen von potentiellen Nutzern gerecht wird. Marketing beginnt dabei bereits mit der ersten Überlegung zur Produktfindung – der Projektidee. Aus diesem Grunde sollte im Rahmen eines ganzheitlichen und integrierten Ansatzes das Immobilienmarketing bereits in einem sehr frühen Stadium der Projektentwicklung beginnen.

Unternehmenssphäre

Konzeptionsphase

HOAI Phasen:

0

Projektentwicklung i.e.S.

1 GE

Planungs- und Genehmigungsphase

2 VP

3 EP

4 GP

Realisierungsphase

5

6

AP VV

7

8

MV OÜ

Betriebsphase

9 OD

Produktpolitik Preispolitik

Kommunikationspolitik Distributionspolitik Servicepolitik

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 180: Aktionsfelder des Marketing im Projektentwicklungsprozess Abbildung 180 zeigt den Einsatz der Instrumente des Marketing-Mix in den einzelnen Projektentwicklungsphasen. Die Instrumente des Immobilienmarketing, die Produkt-, Preis-, Distributions-, Kommunikations- und Servicepolitik, begleiten die Projektentwicklung von Beginn an bis in die Betriebs-/Nutzungsphase. Hierbei verlagern sich im Laufe des Projektentwicklungsprozesses und mit fortschreitender Realisierung des Immobilienprojektes die Aufgabenschwerpunkte des Immobilienmarketing von der Produktpolitik hin zur Preis-, Kommunikationsund Distributionspolitik. Im Anschluss an den eigentlichen Projektentwicklungsprozess beginnen spätestens mit der Nutzungsphase die Marketingaufgaben der Servicepolitik, die bis zu einer Revitalisierung der Immobilie im Rahmen des Objektmanagements wahrgenommen werden. Im Folgenden werden die Aufgaben des ImmobilienMarketing innerhalb des Projektentwicklungsprozesses näher erläutert.

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791

1. Definitions- Projektinitiierungsphasee Die Wahl des zu entwickelnden Produkts (Produktpolitik) oder einer Dienstleistung ist eine Entscheidung, die abhängig von Unternehmensstrategie, -ziel und -ressourcen ist. Beabsichtigt z.B. ein Unternehmen sich neu am Markt zu positionieren, so ist die Erarbeitung einer Benchmarkstudie (Unternehmensanalyse, Marktanalyse, Wettbewerbsanalyse, Positionierungsstrategie, Zielgruppe) als Maßnahme zu empfehlen. Nur so kann das Ziel, nämlich die Schaffung, Sicherung und der Ausbau einer Marktposition für das Unternehmen bewertet und marktgerecht eingeschätzt werden. Im Rahmen der Produktpolitik entscheidet das Unternehmen, welche Arten von Produkten entwickelt werden sollen (Segmente, Gestaltungen, Qualitäten, Image, Diversifikation). Freizeit- und Erlebnisimmobilien bedürfen z.B. völlig anderer fachlicher Kompetenzen und Voraussetzungen als die Entwicklung von Büro- oder Wohnimmobilien. Im Rahmen der Produktpolitik wird unterschieden zwischen: x

Produktinnovation Entwicklung neuer Produkte und Nutzungskonzepte wie z.B. -

innovative Wohnimmobilien: Loftwohnungen, Schwimmende Häuser, Containerlösungen, günstiges Wohnen (entsprechende Baustoffe, keine Keller, kleine Grundstücke), Freizeitund Erlebnisimmobilien: Themenparks, multifunktionale Sportanlagen,Innovative Büroimmobilien: Home Working, Desk Sharing, Call Center, Hotelling/Mietbüros, Hot Desking (Non Territorial Concept), Mobile Working, etc.

x

Produktvariation Veränderung bestehender Produkte z.B. durch -

Änderungen der Bauweise durch den Einsatz anderer Baumaterialien und –stoffe, Änderung in den Projektplanungen (Loftwohnungen, kostengünstige Eigenheime ohne Unterkellerung), sowie die Planung besonderer Büroformen z.B. mit Loftcharakter, Großraumbüros für flexible Organisationsstrukturen, etc. Produktelimination Wegfall von Produkten, die weniger oder gar nicht mehr nachgefragt werden, wie z.B. Einzelzimmerappartments oder Plattenbauten.

x

Produktdiversifikation Die sinnvolle Hinzunahme von einer neuen Produktart kann zu einer Steigerung des Umsatzvolumens bzw. zu einer Risikoreduzierung führen. Die Schwächen des Marktes in einem Segment können gegebenenfalls durch die Stärken eines anderen Segments aufgefangen werden.

Kommunikationspolitik: Nach dem Motto „Kommunikation ist nicht Alles, aber Alles ist Nichts ohne Kommunikation“ sollte der Projektentwickler den gesamten Prozess seiner Projektentwick-

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lung mit Kommunikationsmaßnahmen begleiten. Diese haben die Aufgabe, zielgruppengerecht Informationen und Botschaften an zuvor entsprechend identifizierte Zielgruppen zu transportieren. Nur so kann eine Immobilienentwicklung zu Akzeptanz führen und damit nachhaltigen Erfolg versprechen.

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 181: Stufen der Kommunikation Beispielsweise kann das sog. Lobbying (Public Affaira) zu Beginn einer Entwicklung von entscheidender Bedeutung sein. Hierbei gilt es, im Vorfeld die Projektbeteiligten zu eruieren, diejenigen zu identifizieren, die dem Projekt eher positiv zugetan sind (Antagonisten) oder möglicherweise versuchen, das Projekt zu verzögern oder gar zu verhindern (Protagonisten). Vor dem Hintergrund dieser Klärungen kann anschließend im Rahmen der Kommunikationspolitik das richtige Maß an Information an die entsprechenden Beteiligten geleitet werden. Die Kommunikation verfolgt das Ziel, die „richtige“ Botschaft zur „richtigen“ Zeit an den „richtigen“ Empfänger über geeignete Medien zu transportieren. Die Macht der Kommunikation ermöglicht ebenfalls, ein Unternehmen über sein Profil deutlich am Markt zu positionieren und sein Image aufzubauen, Baurechtschaffungsprozesse positiv zu beeinflussen sowie die Öffentlichkeit, Bürger und Nachbarn für das neue Projekt sukzessive zu gewinnen. Abbildung 181 verdeutlicht die Stufen der Kommunikation.

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793

2. Konzeptionsphase Produktpolitik: Welches Produkt soll entwickelt werden? Wie soll das Produkt gestaltet und ausgestattet werden? Durch was unterscheidet es sich am Markt von vergleichbaren Produkten? Auf Basis aller vorliegenden Untersuchungen (Klärung von Rahmenbedingungen, Grundstücksuntersuchungen, Markt- und Standortanalysen, etc.) wird am Standort ein Produkt entwickelt, d.h. Konkretisierung eines marktfähigen Nutzungskonzepts, Gestaltung und Ausstattungsmerkmale des Objektes, Namensgebung. Preispolitik: Welche Preise müssen erzielt werden (Mieten bzw. Verkaufspreise)? Wie kann der Preis gestaltet werden (Konditionen, Incentives, etc.)? Mit dem Ziel, ein Projekt am Markt anzubieten, es erfolgreich zu platzieren (vermieten/verkaufen) und mit dem Produkt und seinem Leistungsspektrum die gewünschte Kundenzufriedenheit zu erzielen, ist die Preisfindung, -bildung und –gestaltung eine schwierige Aufgabe. Bereits in den zuvor erarbeiteten Wirtschaftlichkeitsanalysen wurden Mietpreise und Renditen zugrunde gelegt, die es im Rahmen der Preispolitik umzusetzen gilt. Um dem Problem der Preisfindung gerecht zu werden, wurden preispolitische Ziele bestimmt, Nachfragepotentiale ermittelt, Kosten geschätzt, Konkurrenzpreise und Angebote analysiert, Verfahren zur Preisbildung ausgewählt und Preisentscheidungen getroffen. In jeder Produktkategorie gibt es in der Regel einen relevanten Preis mit Höchst- und Niedrigstwerten. Das Unternehmen muss sein Produkt in der richtigen Preis-/Leistungskombination am Markt erstmals anbieten. Eine Preiskorrektur im Nachhinein stellt sich i.d.R. äußerst schwierig dar und kann dem Vermarktungserfolg wesentlich schaden. Grundsätzlich wird im Rahmen der Preispolitik unterschieden zwischen x

dem kosten- und dem marktorientierten Ansatz,

x

zeitlich oder produkt-bezogenen Preisen,

x

unterschiedlichsten Zahlungskonditionen (Mietgarantien, Generalmietverträge, Kaufpreissubventionierungen), die den Prozess der Preisfindung unterstützen, ebenso wie

x

Incentives (mietfreie Zeiten, Sonderleistungen über Einrichtungen).

Insbesondere in konjunkturell schwierigen Phasen nehmen Incentives eine immer wichtigere Rolle im Rahmen der Preisfindung ein. Kommunikationspolitik: Im Rahmen der Konzeptionsphase legt die Kommunikationspolitik ihren Schwerpunkt darauf, das Produkt bekannt zu machen und ein positives Image aufzubauen und zu stabilisieren. Hierzu gehören alle Maßnahmen, die für die Mitteilung und Informations-

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übermittlung nach außen verantwortlich sind (Werbung, PR-Arbeit, Verkaufsförderung, etc.), d.h. Bauschilder, Werbeschilder, Website, Broschüren, Anzeigen, Pressearbeit, etc. Distributionspolitik: Mit der Wahl des Standortes werden die Vertriebsformen im Rahmen der Distribution bereits wesentlich mitbestimmt. Das Ziel der Distributionspolitik ist es, das Produkt am Markt verfügbar zu machen und Angebot und Nachfrage zusammenzuführen. Der Erfolg ist abhängig von den produkt- und kommunikationspolitischen Maßnahmen sowie von der Wahl des optimalen Vertriebszeitpunktes. Folgende Formen der Distribution werden unterschieden: x

Eigenvertrieb (Eigentümer, Angestellte, unternehmenseigene Vertriebsorganisationen, etc.)

x

Fremdvertrieb (Makler, Berater, Immobilienabteilungen von Banken, Sparkassen und Versicherungen, etc.)

x

Sonderformen (Offene und geschlossene Immobilienfonds, Grundstücksauktionen, Immobilienbörsen, etc.)

Bereits in der Konzeptionsphase wird auf den Vorgaben der Produkt- und Kommunikationspolitik aufgebaut, die Zielgruppendefinition (Zielansprache) vorgenommen und über Absatzkanäle bestimmt. Des Weiteren werden Vermarktungsunterlagen im Abgleich mit der Kommunikationsstrategie entwickelt, Mietverträge gestaltet, Baubeschreibungen formuliert, Verhandlungen mit Ankermietern aufgenommen und Mietverträge abgeschlossen, d.h. der gesamte Vermietungsprozess vorbereitet und organisiert. 3.Projektkonkretisierungsphase/Planungs- und Genehmigungsphase Im Rahmen der Projektkonkretisierungsphase liegen die Schwerpunkte im Bereich der Kommunikations- und Distributionspolitik. Es ist davon auszugehen, dass in der Konzeptionsphase das Produkt weitestgehend definiert wurde. Nun muss der Genehmigungsprozess durchlaufen werden. Hierbei können Maßnahmen der Kommunikation den Prozess positiv beeinflussen. Mit Vorliegen der Baugenehmigung sollte sich der Erfolg der Vermarktung soweit eingestellt haben, dass ein Großteil der zukünftig zur Verfügung stehenden Flächen bereits vermietet bzw. vermarktet ist. 4. Projektrealisierungsphase Nachdem das Leistungsprogramm entwickelt und das Produkt damit konkret festgelegt wurde, die Planungs- und Genehmigungsphasen abgeschlossen sind, kann die Phase der Umsetzung des Bauvorhabens beginnen. Hierbei bilden ebenfalls Maßnahmen aus den Bereichen der Kommunikation und Distribution den Schwerpunkt. Informationen über den Ablauf des Bauvorhabens und den jeweiligen Stand der Entwicklung werden zielgruppengerecht kommuniziert. Vermarktungsaktivitäten werden – sofern noch nicht abgeschlossen – weiter durchgeführt. Insbesondere in

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schwierigeren Marktsituationen und verschärftem Wettbewerb sind Vermarktungsmaßnahmen auch über die Bauphase hinaus, d.h. bereits während der Nutzungsphase begleitend erforderlich. 5. Vermarktung-, Nutzungs- bzw. Betriebsphase Mit der Fertigstellung des Objektes beginnt die Phase des Betriebs und der Nutzung. Kundenmanagement im Rahmen der Servicepolitik und kontinuierliche Kommunikationsarbeit sind für ein nachhaltig erfolgreiches Objekt notwendig. Ziel ist es, Kundenzufriedenheit und ein positives Objektimage, z.B. eine positive Marke entwickelt zu haben. Die Servicepolitik stellt den koordinierten Einsatz immaterieller Leistungen dar, die das eigentliche Leistungsprogramm abrunden, um die unternehmenspolitischen Ziele der Kundennähe, einer intensiven Betreuung und optimaler Beratung zu gewährleisten – d.h. Kundenzufriedenheit zu erzielen, wobei insbesondere die erbrachte Servicequalität einen hohen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit hat (vgl. Diederichs, S. 46). Zweifelsohne wird professionelles Marketing in der Projektentwicklung zunehmend an Bedeutung gewinnen und im Rahmen der Budgetierung entsprechende Berücksichtigung finden. Gemessen am Gesamtinvestitionsvolumen einer Projektentwicklung ist zu empfehlen – selbstverständlich immer abhängig vom Projekt – einen Betrag von ca. 0,8 – 1,2% der Gesamtinvestition zu budgetieren. Mit der Ausarbeitung eines Marketingkonzepts zu Beginn einer Projektentwicklung wird die Durchführung verschiedener Maßnahmen – jeweils in Abhängigkeit vom Projekt, seiner Zielsetzung sowie der Projektentwicklungsphase – empfohlen. 4.2.3 Abstimmung von Immobilienmarketing und Stadtmarketing Demogtraphischer Wandel, Deindustrialisierung und Globalisierung stellen eine immer größere Herausforderung für Kommunen und die Immobilienwirtschaft dar. So kämpfen zum Beispiel Kommunen schrumpfender Regionen gegen Leerstand und sinkende Infrastrukturnachfragen, während wachsende Regionen nach intelligenten Lösungen für eine steigende Flächennachfrage und die Bedürfnisse differenzierter Lebensstile suchen. Bei den Städten und Kommunen untereinander entsteht im Kampf um Einwohner und Unternehmensansiedlungen ein interkommunaler Wettbewerb. Standortentscheidungen von Unternehmen und Wohnortpräferenzen werden in Zeiten der Globalisierung aber immer weniger anhand der klassischen Standortfaktoren industriell geprägter Siedlungsformen getroffen, sondern orientieren sich vielmehr an den „weichen“ Strandortfaktoren. So legen potentielle Unternehmer oder „Zuwanderer“ immer größeren Wert auf das Image einer Stadt, die Lebensqualität und der Lebenssstil, der geboten wird.

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Vor diesem Hintergrund gewinnen Stadtmarketing und die Formulierung von Leitbildern und Leitthemen zunehmend an Bedeutung. Insbesondere bei städtebaulich relevanten Projekten

ist das Zusammenspiel zwischen

Immobilienmarketing und Stadtmarketing notwendig. Ein kooperatives Miteinander zwischen der Privatwirtschaft und der Stadt kann Projektentwicklungen vorantreiben und zu nachhaltigen, erfolgversprechenden Projekten führen, die für die Attraktivität der Stadt im interkommunalen Wettbewerb wichtige Erfolgsparameter darstellen können. Mit der klaren Positionierung einer Stadt, gepägt durch ihre Stärken, ein positives Image und nicht nur überregional interessanten Projekten können Bedürfnisse differenzierter Lebensstile befriedigt werden. Die Stadt gewinnt an Attraktivität und wird wiederum interessanter für Investoren, Mieter und Nutzer von Immobilien sowie für Unternehmensneuansiedlungen. Stadt als Marke – die Immobilienwirtschaft spielt vor allem in Großstädten eine wichtige Rolle im Stadtmarketing (vgl. Rapp; Funke). Stadtmarketing war in den Städten insbesondere im Bereich der Touristik von Bedeutung. Mit nunmehr stärker zunehmendem Wettbewerbsdruck und desolater Haushaltssituationen in den meisten Kommunen steigt die Bedeutung von Unternehmensansiedlungen und einem attraktiven Stadtprofil für ihre Einwohner. Seit 2010 leben erstmalig in der Geschicht mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Stadtmarketing ist ein recht unterschiedlich gehandhabter Begriff mit vielfältigen Varianten. Die Bundesvereinigung für Stadtmarketing (BCSD) favorisiert umfassende Ansätze, die alle wichtigen Interessengruppen am Ort einbinden und aus den jeweiligen Besonderheiten und Bedürfnissen des Standortes geeignete Leitbilder entwickeln und vermarkten (vgl. Bone-Winkel, S. 10). Der BCSD schätzt die Anzahl der Kommunen in Deutschland, die sich mit Stadtmarketing umfassend beschäftigen auf ca. 400.

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Quelle: eigene Darstellung nach Mensing/Horstmann 2001

Abbildung 182: Säulen des Stadtmarketing Die wesentlichen Säulen des Stadtmarketing, mit dem Stadtleitbild als gemeinsamem Dach aller Marketing-Aktivitäten (vgl. Abbildung 182) sind: x

Standort-Marketing

x

Tourismus-Marketing

x

City-Marketing

x

Verwaltungs-Marketing.

Stadtmarketing ist ein Instrument der strategischen Stadtentwicklung und kann im ganzheitlichen kooperativen Prozess im Rahmen der Stadtentwicklung eine Ergänzung zur Stadtplanung bilden. Das Image einer Stadt oder Gemeinde kann durch den Einsatz gezielter Marketingmaßnahmen nicht unerheblich geprägt werden. Die hierbei zu berücksichtigenden Zielgruppen sind u.a. die Bewohner, die Gewerbetreibenden ebenso wie die Besucher einer Stadt. Im Zusammenspiel mit Politik, Wirtschaft, Verwaltung und den o.g. Zielgruppen können Rahmenbedingungen formuliert werden, um gemeinsame Ziele, geeignete Strategien sowie die daraus abgeleiteten Maßnahmen vorzuschlagen. Die große Anzahl der hieran Beteiligten und die Komplexität der Aufgabenstellung erfordert eine klare Prozessstruktur, die einem vorformulierten Verfahrensablauf des Stadtmarketing Folge leisten sollte.

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Verfahrensablauf Stadtmarketing Der Prozess des StadtMarketing ist ein offener Prozess, der sich in mehrere Phasen unterteilen lässt (vgl. Bone-Winkel, S. 10ff.). Der ideale Verlauf eines Stadtmarketingprozesses könnte wie folgt aussehen: Phase 1: Start x

Auftaktveranstaltung

x

Lenkungsgruppe

x

Start-Workshop

x

Materialsichtung

Phase 2: Analyse x

Klärung aller Rahmenbedingungen (politisch, wirtschaftlich, verwaltungsorientiert, etc.)

x

Imageanalyse (Bürger-, Haushalts-, Gästebefragungen)

x

Standortanalyse (Gewerbebefragung, STOMA Einzelhandel und Tourismus)

x

Ortsbegehung/Expertengespräche

x

Passantenbefragungen

x

Stärken-/Schwächen-/Chancen-/Risiken-Bilanz

Phase 3: Konzeptionsphase x

Werkstatt I (Ideenwerkstätten)

x

Werkstatt II (Zukunftswerkstatt)

x

Werkstatt III (Bürgerforum)

x

Zielgruppenidentifizierung

x

Leitbildformulierung

x

Strategieformulierung

x

Maßnahmenempfehlungen/Maßnahmen-Handbuch

x

Budget- und Zeitplanung

Phase 4: Umsetzung x

Coaching

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x

Moderation

x

Maßnahmen

799

Phase 5: Kontrolle x

Budget-/Zeit-Kontrolle

x

Evaluierung

Der Prozess des Stadtmarketing ist dem des Immobilienmarketing sehr ähnlich. Das Produkt Stadt steht hierbei dem Produkt Immobilie gegenüber. Stadtmarketing in Verbindung mit Immobilienmarketing Im Rahmen des kommunalen Wettbewerbs nehmen große Immobilienvorhaben zunehmend Einfluss auf das Stadtmarketing. So kann die Positionierung der Stadt oder eines bedeutenden Immobilienprojekts für den jeweils anderen eine wichtige Rolle spielen. Ein erfolgreiches Zusammenspiel zwischen Stadt- und Immobilienmarketing kann z.B. in Wolfsburg beobachtet werden. Durch das Projekt „Autostadt“, das PPP-Modell zwischen VW AG und der Stadt Wolfsburg, konnten die Potenziale beider Partner erfolgreich ausgeschöpft werden (vgl. Wolfsburg AG). Das selbe gilt für die Hafencity in Hamburg. Gemeinsam mit den Einrichtungen der Wirtschaftsförderung lassen sich Fahrpläne für eine gemeinsame Zukunft zwischen Mensch, Kommune und Immobilienwirtschaft finden. Kooperationsformen in der Praxis In der Praxis können einige Beispiele für solche Kooperationsformen bereits aufgezeigt werden. So werden beispielsweise im Rahmen der internationalen Bauausstellung Stadtumbau SachsenAnhalt 2010 die Kommunen im Prozess des Stadtumbaus unterstützt. Ziel hierbei ist es, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Profile der beteiligten Städte mit geeigneten Projekten vor Ort voranzubringen. So beschäftigen sich bereits eine Reihe deutscher Städte recht intensiv mit dem Thema Stadtmarketing, wie z.B. Leipzig, Dresden und Köthen (Anhalt), oder Celle, Freiburg, Hamburg, Ludwigshafen u..a.m. Die Stadt Köthen (Anhalt) beispielsweise positioniert sich über das Thema „Homöopathie als Entwicklungskraft“. Sie verfolgt dabei das Ziel sich über weiche Standortfaktoren (Ansehen, Flair, Bekanntheit) von der Konkurrenz abzuheben. Oder auch in zukunftsträchtigen Gemeinden wie Gersthofen (Bayern). Hier wurde 2009 und 2010 ein Workshop basierend auf einer Einzelhandelsstudie durchgeführt, der das Ziel verfolgte, Entwicklungsleitlinien für die Zukunft zu formulieren. Aus diesen Leitlinien sollten sich dann in

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einem weiteren Schritt entsprechende Maßnahmen und Ansätze definieren lassen, um – jeweils nur bezogen auf das Segment Einzelhandel - die Innenstadt zu stärken, Kaufkraft zu binden und Gersthofen gegenüber der umliegenden Gemeinden entsprechend zu stärken. Teilnehmer waren neben den Bürgermeistern und Vertretern der Stadtplanung, der politischen Ebenen der Fraktionen, auch Einzelhändler, private Investoren und überregionale Vertreter der IHK Augsburg. Erkennbar ist, dass zunehmend auch seitens der Kommunen die Erkenntnis wächst, sich als Stadt gegenüber den Nachbarkommunen und –städten zu „behaupten“ und sich nicht selten dem Thema des Stadtmarketings in Kombination mit Projektentwicklungen zu nähern. Darüber hinaus finden aber vor allem in anderen Ländern Formen und Instrumente Ansätze für eine Stärkung von Standorten und Regionen, die sog. BID – die Business Improvement Districts. Business Improvement Districts Städtebaulich relevante Großprojekte stehen nicht selten in Abhängigkeit von städtischen Zielrichtungen und Aufgaben. Hierbei ist die Kooperation zwischen der Privatwirtschaft und der Öffentlichen Hand erforderlich. Ein zu realisierendes Großprojekt könnte beispielsweise als Vehikel im Rahmen des Stadtmarketing genutzt werden, sodass beide Seiten hiervon letztendlich profitieren und den entsprechenden Standort stärken. Bedauerlicherweise schliessen sich nur Wenige aus der Privatwirtschaft einer Finanzierung solcher Maßnahmen an. In den USA, Kanada und Neuseeland wurde bereits von vielen Jahren eine Lösung für diese Problematik entwickelt. Das Instrument der sog. Business Improvement Districts (BID) bündelte die Interessen der privaten Eigentümer für Aktivitäten zur Stärkung eines Standortes. Inbesondere bei der Revitalisierung und Stärkung innerstädtischer Geschäftsbereiche hat sich diese Methode bewährt. Sie setzt sich zusammen aus den Elementen: x

Eigeninitiative,

x

Materielle Selbstverpflichtung und

x

Public-Private-Partnership.

Die bereitgestellten finanziellen Mittel der Privaten können durch entsprechende Abgabenordnungen zurückgefordert werden. Inwieweit sich dieses Instrument möglicherweise auch in Deutschland etablieren könnte, ist u.a. abhängig von gesetzlichen Rahmenbedingungen und entsprechenden Regelungen. Sicherlich stellt es aber einen interessanten Ansatz zur Schaffung von Lösungsmöglichkeiten in Deutschland dar.

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4.2.4 Ausblick Metropolen wachsen, einzelne Regionen schrumpfen, ihnen droht der Untergang. Darüber hinaus lässt sich mit demografischem Wandel, einer Deindustrialisierung und der Globalisierung eine starke Segmentierung auf den Immobilienmärkten beobachten. Im zuvor beschriebenen interkommunalen Wettbewerb müssen sich die Kommunen vermehrt auf eigene regionale und lokale Ressourcen und auf Wachstum zukunftsfähiger Branchen konzentrieren, da die doch vielfach angespannten Haushaltssiutiationen sowie die Reduktion von Subventionen keine Unterstützung mehr erwarten lassen. Sich ändernde Anforderungen der Gesellschaft an Lebensqualität und Lebensstile und die damit einhergehende Individualisierung der Gesellschaft hinsichtlich Baustil und Preisgefüge sind Gründe für eine Segmentierung der Immobilienmärkte. Neue Kooperationsformen mit der privaten Wirtschaft bieten erfolgversprechende Lösungsansätze einer integrierten Stadtentwicklung. Das Zusammenwirken von Immobilien- und Stadtmarketing gewinnt in diesem Zusammenhang an Bedeutung, da die Vorteile offensichtlich sind. Mit der Verbindung von Wirtschaft und Kommune entstehen Potenziale hinsichtlich der finanziellen, ideellen und menschlichen Ressourcen, der Wirkungskreis wird erweitert und eine gegenseitige Unterstützung der Positionierung verstärkt die jeweilige Einzelposition. So wird es auch in Zukunft zu einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsförderung, Stadtplanung, Verwaltung, Politik und privaten Maßnahmenträgern kommen. Je früher die Kooperation und der Austausch zwischen den Partnern stattfindet, desto nachhaltiger sind die Ergebnisse; darüber hinaus können Planungs- und Genehmigungszeiträume verkürzt und der Ressourcenverbrauch optimiert werden.

802

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4.3

Stadtentwicklung durch Public Private Partnership

805

Martin Wentz, Thorsten Bischoff, Dörthe Gosewehr 4.3.1 4.3.2 4.3.2.1

Begriff und Definition der öffentlich-privaten Zusammenarbeit Hintergrund und Entstehung von öffentlich-privater Partnerschaft Veränderung allgemeiner gesellschaftlicher Rahmenbedingungen 4.3.2.1.1 Wandel der gesellschaftlichen Formationen: Vom Fordismus zum Postfordismus 4.3.2.1.2 Wandel der Stadtpolitik: Lokale Politik in der unternehmerischen Stadt 4.3.3 Formen und Modelle der Zusammenarbeit 4.3.4 Öffentlich-private Partnerschaft als neues Planungsparadigma: Interessen und Motive der Akteure 4.3.5 Chancen und Risiken öffentlich-privater Partnerschaft 4.3.5.1 Chancen öffentlich-privater Partnerschaften 4.3.5.2 Risiken öffentlich-privater Partnerschaften 4.3.6 Strategien zur Stärkung der Chancen und zur Abmilderung der Risiken 4.3.6.1 Vertragliche Gestaltung der Partnerschaft 4.3.6.2 Organisatorische Strategien 4.3.6.3 Inhaltliche Strategien: „Pull-Konzepte“ 4.3.7 Instrumente zur Sicherung der Erfüllung von Vertragspflichten 4.3.7.1 Begriffe und Arten von Leistungsstörungen bei städtebaulichen Verträgen 4.3.7.2 Behandlung von Leistungsstörungen 4.3.8 Eckpfeiler für eine erfolgreiche öffentlich-private Partnerschaft 4.3.9 Ausblick Literaturverzeichnis zu Kapitel 4.3

805 806 806 807 807 808 810 813 813 814 816 816 817 817 821 821 821 825 829 831

803

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805

4.3 Stadtentwicklung durch Public Private Partnership Martin Wentz, Thorsten Bischoff, Dörthe Gosewehr 4.3.1 Begriff und Definition der öffentlich-privaten Zusammenarbeit Die Zusammenarbeit zwischen der Öffentlichen Hand und dem Privaten Sektor stellt keinesfalls ein Phänomen des 21. Jahrhunderts dar. Die Wortschöpfung der Public Private Partnership wurde erstmalig in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Stadtentwicklung in der Regierungserklärung von US-Präsident Carter verwendet (vgl. Kirsch, S. 15). Die Grundlagen legte aber bereits Präsident Franklin Roosevelt mit der Politik des „New Deal“. Inhalt dieser Politik war es, die Verantwortlichkeiten zwischen Staat und Wirtschaft neu zu definieren. Das gängige PPP-Verständnis begründet sich in den Aktivitäten zur Verhinderung des Niedergangs der Stahlregion um die Stadt Pittsburgh (U.S.A.) zwischen den 40er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. In Pittsburgh wurden neue Wege in der Stadtentwicklung gegangen. Durch den kombinierten Einsatz von öffentlichen und privaten Ressourcen wurde das gemeinsame Ziel, die städtischen Problemzonen zu entwickeln und zu erneuern, verwirklicht. Die Verwendung des Begriffs von PPP hat sich im Weiteren von der Stadt- oder Regionalentwicklung und Partnerschaft im engeren Sinne gelöst und sich auf viele Bereiche der öffentlichen Aufgabenerfüllung ausgeweitet (vgl. Budäus/Eichhorn, S. 23f.) Daher sind in der Literatur auch ausgesprochen vielfältige und unscharfe Verwendungen des PPP-Begriffes zu finden. Im weiteren Verlauf wird unter Public Private Partnership allerdings die auf den Erfahrungen in der Stadtentwicklung beruhende, partnerschaftliche Zusammenarbeit verstanden. Kouwenhoven spricht von PPP: x

wenn eine Interaktion zwischen öffentlicher Hand und Privaten besteht;

x

wenn der Fokus auf das Erreichen konvergierender Ziele gerichtet ist;

x

wenn bei der Erreichung der Ziele Synergieeffekte nutzbar gemacht werden können;

x

wenn die Ziele sowohl sozialen als auch kommerziellen Charakter haben und

x

wenn die Identität und Verantwortung der Partner intakt bleibt.

Diese Definition von PPP sollte unserem Erachten nach um einen weiteren Faktor ergänzt werden: x

Partnerschaft zwischen öffentlicher Hand und Privaten im Sinne von PPP erfordert das gemeinsame Übernehmen von Chancen und Risiken in den Vorhaben. Ohne Übernahme insbesondere gemeinsamer Risiken und damit auch gemeinsamer Verantwortung oder Aufga-

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benverteilung können zwar durchaus produktive Arbeitsverhältnisse zwischen der öffentlichen Hand und Privaten entstehen, echte „Partnerschaften“ jedoch nicht. In diesem letzteren Punkt liegt häufig ein bedeutendes Missverständnis hinsichtlich der Erklärung von jeglichem gemeinsamen Vorgehen der öffentlichen Hand und Privaten zu PPP-Vorhaben. So wenig wie eine besonders günstige private Finanzierung oder auch Refinanzierung von Vorhaben der öffentlichen Hand eine Public Private Partnership darstellt, so wenig ist dies umgekehrt die Schaffung eines besonders günstigen Baurechts oder die Übertragung der Schulhaussanierung durch die Kommune an ein privates Unternehmen. Selbst Tauschgeschäfte wie Baurecht gegen Finanzierung von Vorhaben stellen keine Public Private Partnership dar, sondern einen Handel mit Leistungen. Die z.Zt. stark diskutierten Betreibermodelle zur privatwirtschaftlichen Realisierung von öffentlicher Infrastruktur werden in dieses Verständnis nicht mit einbezogen, da deren Schwerpunkt auf der vertraglichen Regelung einer Leistungsbeziehung und nicht auf dem Gedanken der Zusammenarbeit liegt. 4.3.2 Hintergrund und Entstehung von öffentlich-privater Partnerschaft Die Bedingungen für die Entstehung von öffentlich-privater Partnerschaft liegen einerseits in einem allgemein gesellschaftlichen Umfeld und andererseits auf einer Ebene von ganz konkret auslösenden Faktoren. 4.3.2.1

Veränderung allgemeiner gesellschaftlicher Rahmenbedingungen

Stadtentwicklung ist eingebunden in gesamtgesellschaftliche Entwicklungsprozesse. Verändern sich die Strukturen der Gesellschaft, verändern sich auch die Rahmenbedingungen für Stadtentwicklung. Einer solchen Veränderung implizit ist der tiefgreifende ökonomische, ökologische, technologische, demographische und kulturelle Strukturwandel, der seit den 70er Jahren die modernen westlichen Industrieländer erfasst hat und das Verhältnis von Staat und Gesellschaft und die Rolle des Staates auf allen Ebenen der staatlichen Aufbauorganisation neu strukturiert. Eine geschlossene und konsistente Theorie kooperativen Staatshandelns, insbesondere bezüglich der hier interessierenden Formen öffentlich-privater Zusammenarbeit, existiert gegenwärtig nicht. Gleichwohl bietet ein breitgefächertes Spektrum von Theorien aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen unterschiedliche Ansatzpunkte für eine theoretische Annäherung an einzelne Aspekte des hier untersuchten Phänomens. Im Mittelpunkt steht dabei die „Theorie der Regulation“, die den Anspruch erhebt, den räumlichen Strukturwandel bzw. die tatsächliche Regulationsweise aus dem komplexen Zusammenspiel von Politik und Ökonomie zu erklären (vgl. Bremm, S. 18).

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807

4.3.2.1.1 Wandel der gesellschaftlichen Formationen: Vom Fordismus zum Postfordismus Nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmt der „fordistische“ Staat mit seinem hohen Maß an Planung, Arbeitsteilung und Regulierung das politische und sozioökonomische Geschehen. Symbole dieser Formation sind: x

Massenproduktion und Massenkonsum

x

zentralstaatliches Stadtentwicklungsmodell und

x

eine durch Globalsteuerung des kapitalistischen Wirtschaftsprozesses charakterisierte Wirtschaftspolitik („Keynesianismus“).

Der Niedergang des Fordismus in den 70er Jahren wurde durch ein rückläufiges Produktivitätswachstum der Massenproduktions-Technologien, eine zunehmende Marktsättigung bei den maßgeblichen Warengruppen der Massenproduktion und neue arbeits- und kapitalsparende Technologien ausgelöst. Aus dem Zusammenspiel dieser Entwicklungstendenzen resultieren zum Teil erhebliche Konsequenzen, die eine Neuorientierung des lokalen Handelns zur Folge hat. 4.3.2.1.2 Wandel der Stadtpolitik: Lokale Politik in der unternehmerischen Stadt Aus den räumlichen Implikationen der stattfindenden Umstrukturierungsprozesse lässt sich eine Stadtpolitik ableiten, die als „Postfordismus“ bezeichnet wird (vgl. Mayer, S. 191). Die globalen Restrukturierungsprozesse werden durch folgende Charakteristika manifestiert: x

Im Zuge der Internationalisierung und Flexibilisierung von Produktion und Kapital kommt es zur Polarisierung der Stadtentwicklung sowie des Wirtschaftsraumes. Damit geht eine „Deindustrialisierung“ ehemals prosperierender Industrieregionen bei gleichzeitigem Aufstieg von einzelnen Regionen zu neuen Wachstumszentren einher.

x

Auf gesamtstädtischer Ebene lassen sich verstärkt wieder Tendenzen wie öffentliche Finanzkrise, Umweltprobleme, Rezession, soziale Problemlagen, Verschlechterung des Zustandes der öffentlichen Infrastruktur, selektive Abwanderung aus altindustrialisierten Gebieten, u.a. verzeichnen.

Die im Zuge des sich vollziehenden Strukturwandels insgesamt wachsende Konkurrenz zwingt Städte und Gemeinden zunehmend zur Ökonomisierung ihres Verwaltungshandelns und zur Etablierung differenzierter, regional und lokal angepasster, Entwicklungsstrategien und -politiken zur Bewältigung des Strukturwandels. Dabei kommt privaten Investitionen und der Einbeziehung von betriebswirtschaftlichen Strategien eine Schlüsselrolle zu. Damit ist eine wichtige strukturelle Voraussetzung für den Durchbruch öffentlich-privater Zusammenarbeit geschaffen: eine Chance zur Neuorientierung städtischen Handelns.

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Planungsrechtliche Gestaltungsbedingungen Einen einfacheren rechtlichen Rahmen für eine institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Hand und den Privaten hat der Gesetzgeber im Zuge städtebaulicher Innovationen im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung geschaffen. Neue, neuaufgelegte oder verbesserte Instrumente wurden den Kommunen im Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch, in den städtebaurechtlichen Regelungen des Einigungsvertrages und im neuen Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz erstmals zur Verfügung gestellt. Mit der Novellierung des Bau- und Raumordnungsgesetzes mit Wirkung zum 01. Januar 1998 sind die städtebaulichen Verträge und der Vorhaben- und Erschließungsplan als Dauerrecht in das Baugesetzbuch übergegangen und finden sich seitdem zusammengefasst in einem vierten Abschnitt des ersten Kapitels des allgemeinen Städtebaurechts unter der Überschrift „Zusammenarbeit mit Privaten; vereinfachtes Bauleitplanverfahren“. Damit wurden die stadtplanerischen Kooperationsformen zum sicheren Bestandteil kommunaler Planung und treten als Instrumentarien neben die bereits im BauGB niedergeschlagenen weiteren Kooperationsformen (Erschließungs-, Sanierungs- und Entwicklungsträgerverträge und die Vereinbarungen über eine freiwillige Umlegung.). 4.3.3 Formen und Modelle der Zusammenarbeit Die Unsicherheit hinsichtlich möglicher PPP Konzepte manifestiert sich in einem vielfältigen Formenangebot. Allgemein verbindliche Konzepte oder auch typische Formen gibt es nicht (vgl. Kirsch, S. 41). Verschiedene Erscheinungsformen bilden sich aufgrund von Unterschieden im Hinblick auf die Aufgabenstellung und weitere Kriterien heraus. Danach können Kooperationen differenziert werden hinsichtlich: x

der Zusammensetzung der Beteiligten

x

der möglichen Arbeitsfelder bzw. des eigentlichen Gegenstandbereiches

x

der Organisationsform und des Grades der Übernahme gemeinsamer Verantwortung für ein Vorhaben.

Beteiligte Die Beteiligungsstruktur besteht grundsätzlich entsprechend der Begriffsbildung aus Aufgabenträgern der öffentlichen Hand und privaten Unternehmen. Es handelt es sich aber erstens um öffentliche rechtliche Organisationen und Körperschaften, und zweitens um Akteure aus dem privatwirtschaftlichen Bereich, womit private Wirtschaftsunternehmen einschließlich Banken und Kreditinstituten gemeint sind. Die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und privaten Bereich stellt somit eine „neue“ Art Regelungsstruktur dar, bei der die einen Partner öffentlich recht-

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lichen Aufgabenstellungen unterworfen sind, während die anderen nach privatwirtschaftlichen Prämissen arbeiten. Die jeweils Beteiligten müssen also bereit und in der Lage sein, zu Gunsten der Kooperation ihren jeweiligen eigenen Ordnungsrahmen zumindest potenziell zu verlassen. Gegenstandsbereich Die Handlungs- und Anwendungsfelder können nach raumbezogenen Aspekten und nach sektoralen Kriterien differenziert werden (vgl. Heinz, 1992, S. 218). PPP-Projekte finden sich dabei insbesondere auf folgenden Arbeitsfeldern: x

Städtebau und Stadtentwicklung

x

Wirtschaftsförderung

x

Infrastrukturentwicklung

x

Forschung und Entwicklung, Technologietransfer

x

kommunale Ver- und Entsorgung, etc.

Entsprechend den vorgefundenen Arbeitsbereichen zeichnet sich die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und privaten Bereich häufig durch integrative Strategieansätze aus, die z.B. städtebauliche, wirtschaftliche und soziale Probleme gleichzeitig angehen. Organisationsformen und Tiefe der Zusammenarbeit Die Art und Weise der Zusammenarbeit lässt sich hinsichtlich des Grades der Institutionalisierung differenzieren. Dabei sind die Formen der Institutionalisierung von Kooperations- und Abstimmungsgremien bis hin zu Organisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit sehr vielfältig. Drei Kategorien lassen sich bei der Zusammenarbeit unterscheiden (vgl. Heinz, S. 10f.): x

eher informelle sowie Vorformen partnerschaftlicher Zusammenarbeit

x

auf gemeinsam ausgehandelten Verträgen bzw. Vereinbarungen basierende Partnerschaften

x

Zusammenschluss öffentlicher und privater Akteure in gemeinsamen Gesellschaften.

Dem Institutionalisierungsgrad entspricht der Grad der Übernahme gemeinsamer Entscheidungsund Verantwortungsgemeinschaft. Die intensivste Form der Partnerschaft stellt der Zusammenschluss öffentlicher und privater Akteure zu gemeinsamen Entwicklungsgesellschaften dar.

810

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Modelle öffentlich-privater Zusammenarbeit Vor diesem Hintergrund lassen sich (in der Stadtentwicklung) folgende Modelle öffentlichprivater Kooperation unterscheiden (vgl. Kötter, S. 77ff.), das Treuhändermodell, das Geschäftsbesorgermodell und das Developermodell. Das Treuhändermodell: Bei diesem Modell verbleibt das volle wirtschaftliche Risiko des städtebaulichen Projektes bei der öffentlichen Hand. Der Treuhänder wird im Namen und für Rechnung der Gemeinde tätig. Der zu übertragene Aufgabenumfang wird projektspezifisch ermittelt und vertraglich festgelegt. Dieses Modell kommt vielfach bei städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen zur Anwendung. Es stellt somit keine klassische öffentlich-private Partnerschaft im Sinne des PPP dar, da es keine Form einer gemeinsamen Risikoübernahme beinhaltet, sondern nur die klassische Form des Leistungsaustausches. Das Geschäftsbesorgermodell: Hierbei erfolgt die Gründung einer gemischt-wirtschaftlichen Entwicklungsgesellschaft. Der private Partner trägt bei diesem Modell einen Teil des Entwicklungsrisikos. Die Beteiligung Privater liegt hier in aller Regel nahe 50% vom Gesellschaftskapital. Die Vorteile für die Kommunen ergeben sich daraus, dass einerseits der gemeindliche Einfluss auf das städtebauliche Projekt durch die i.d.R. mehrheitliche Beteiligung der Kommunen an der Gesellschaft bei privatwirtschaftlicher Durchführung gesichert ist. Gleichzeitig lassen sich die Vorhaben weitgehend unabhängig von den öffentlichen Haushaltsbestimmungen und der jeweiligen kommunalen Finanzsituation verwirklichen. Das Developermodell: Bei dieser Vorgehensweise handelt das Unternehmen auf eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Es erfolgt keine Beteiligung der öffentlichen Hand am wirtschaftlichen Risiko des städtebaulichen Projektes (Beteiligung Privater bei 100%). Mit dem Grunderwerb erlangt das Unternehmen die rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsgewalt über die zu entwickelnde Fläche. Die wirtschaftlichen Risiken und die Chancen trägt der Developer. Als typisches planungsrechtliches Instrument kommen der Vorhaben- und Erschließungsplan einschließlich Durchführungsvertrag in Betracht. Die öffentliche Hand bleibt ausschließlich hoheitlich tätig. 4.3.4 Öffentlich-private Partnerschaft als neues Planungsparadigma: Interessen und Motive der Akteure Punkt 4.3.2.1 führt die Entstehung von Kooperationen zwischen dem öffentlichen und privaten Bereich auf den tiefgreifenden Strukturwandel und den ihm folgenden politisch-planerischen Umstrukturierungsprozess zurück. Mit dieser Erklärung werden jedoch noch nicht die konkreten Aspekte genannt, die zu deren Entstehung beigetragen haben oder, wie Roggenkamp es formuliert, „das Schweben eines 'kooperativen Geistes' oder einer 'common vision' als eine Umschreibung von Partnerschaften auf der Akteursebene“ (Roggenkamp, S. 75). Für die Bereitschaft, eine öffentlich-

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private Partnerschaft einzugehen, sind die Interessen der Akteure aus den unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären maßgeblich. Im Einzelnen verfolgen die Beteiligten aus Privatwirtschaft und öffentlichem Bereich die folgenden Interessen: Interessen und Motive der öffentlichen Hand Die Hauptmotivation aus der Sicht der öffentlichen Partner zur Zusammenarbeit liegt darin, über ihren ureigensten Handlungsrahmen, die hoheitliche Wahrnehmung der Aufgaben des öffentlichen Rechts hinaus auch privatwirtschaftlich auf das Vorhaben Einfluss nehmen zu können. Interessen der öffentlichen Partner bestehen bei der angespannten Finanzlage sowohl an der Mobilisierung zusätzlicher Finanzmittel als auch an der Gewinnung fachlicher Kompetenzen und Kapazitäten der Privaten, um Effizienz, Effektivität sowie Wirtschaftlichkeit von Verwaltungshandeln sicherzustellen. Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Reduzierung der Ungewissheit in Entscheidungssituationen: Die Durchführung von komplexen Projekten, zu denen die öffentliche Hand allein nicht in der Lage ist, kann durch die Kooperation mit dem Privaten sichergestellt werden, weil eine wirtschaftliche Handlungslogik in der Projektentwicklung bei Privaten eher gegeben ist und auch die Einhaltung von Kosten- und Finanzierungsplänen, aber auch von zeitlichen Vorgaben eher gewährleistet wird. Das Projektentwicklungs- und Durchführungsrisiko wird infolge des Hinzuziehens der Privatwirtschaft geteilt. Im Entscheidungskalkül der öffentlichen Hand spielt auch die Mitbestimmung bei der Auftragsvergabe und der Investorenauswahl eine Rolle, womit der öffentliche Einfluss auf gemeinschaftliche Vorhaben gegeben sein soll. Interessen und Motive des Privaten Das Hauptinteresse der privaten Partner an der Zusammenarbeit besteht darin, über die Steuerung der wirtschaftlichen Belange hinaus direkten Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Entscheidungen des öffentlichen Partners nehmen zu können. Die Privaten verfolgen mit dem Eingehen einer Partnerschaft das Interesse, ihr Kapital zu nutzen sowie zu mehren, um letztlich eine Profitsteigerung zu erzielen. Ihnen ist außerdem an der Erlangung von Verfügungsrechten über öffentliches Eigentum und dem Erhalt finanzieller Unterstützung durch beispielsweise steuerliche Vergünstigungen oder das Einbinden von Fördermitteln gelegen. Den Privaten ist durch die Nähe zu Politik und Verwaltung die Möglichkeit zur Mitgestaltung und Modifikation von z.B. planungsrechtlichen Vorschriften gegeben, was dem Interesse der Absicherung ihrer Investitionen entgegenkommt. Der private Akteur kann sich – genau wie der Öffentliche – durch ein Verlagern des Projektrisikos auf den Partner absichern. Auch die Imageprägung als kommunaler Partner oder guter Bürger ist für den Privaten durch Dokumentation von Verantwortungsbewusstsein und Leistungsfähigkeit von Interesse.

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An der Zusammenschau der Einzelinteressen wird deutlich, dass private und öffentliche Interessen, obwohl grundsätzlich diametral entgegengesetzt, sich unter besonderen Voraussetzungen auch ergänzen können. Während die Öffentlichen z.B. zusätzliche Finanzmittel aufgrund ihrer angespannten Haushaltssituation akquirieren wollen, sind die privaten Partner bestrebt, ihr Kapital anzulegen und entsprechend zu investieren. Insofern lässt sich die Situation für die potenziellen Partner vor dem Eingehen einer Partnerschaft als ein Zustand komplementärer Interessen kennzeichnen (vgl. Abbildung 183). Öffentlich-private Partnerschaften sind vor dem dargestellten Hintergrund ein pragmatisches Handlungskonzept von Kommunen, die in einem bislang unbekannten Ausmaß mit Problemen von Struktur- und Finanzkrisen, zerfallenden Innenstädten und sozialer Armut konfrontiert sind.

Öffentliche Hand

Private

• Imagegewinn

• Image als „guter Bürger“

• Zusätzliche Finanzmittel

• Kapitalnutzung optimiert

• Privates Know-how

• Finanzielle Unterstützungen

• Reduzierung der Ungewissheit • Reduzierung der Risiken • Wirtschaftlicher Einfluss auf Projektentwicklung und -durchführung

• Investitionsabsicherung • Verlagerung des Projektrisikos • Beschleunigungseffekte • Öffentliches Know-how

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 183: Komplementäre Interessen von Kooperationspartnern Die praktische Idee der öffentlich-privaten Partnerschaft wurde dabei in erster Linie aus der Not geboren. Nachdem die kommunalen Baugesellschaften, die bis in die 70er Jahre weitgehend Träger der Stadtentwicklung waren, nicht mehr mit den erforderlichen öffentlichen Finanzmitteln ausgestattet werden konnten, suchten die Kommunen neue Wege und Partner für die Stadtentwicklung. Als Alternative bot sich an, auf die Initiativen des privaten Sektors „zu bauen“ und gemeinsame Vorhaben zu entwickeln. Somit erschien öffentlich-private Partnerschaft als ein plausibles, wünschbares und zukunftsweisendes Konzept zur Lösung kommunaler Standortprobleme.

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4.3.5 Chancen und Risiken öffentlich-privater Partnerschaft Als Indikator dafür, wie (erfolgreich) eine öffentlich-private Partnerschaft funktioniert, kann die Funktionsfähigkeit von partnerschaftlichen Arrangements gewertet werden. Die Funktionsfähigkeit soll in Chancen und Risiken zum Ausdruck gebracht werden. Während Chancen positive Potenzialfaktoren einer arbeitsteiligen Zusammenarbeit darstellen (Erfolgspotenzial), bilden Risiken negative Potenzialfaktoren (Risikopotenzial). Letztendlich liegt bei der Gründung einer öffentlich-privaten Partnerschaft die Kunst darin, die positiven Potenzialfaktoren zu stärken und die negativen abzumildern. 4.3.5.1

Chancen öffentlich-privater Partnerschaften

Partnerschaften werden von den Beteiligten fast durchweg als Erfolg beurteilt. Dies ist vor allem mit den durch Partnerschaften zu realisierenden Synergieeffekten zu erklären. Die Partner verfolgen i.d.R. spezifische Ziele, die sie ohne den anderen nicht in demselben Maße oder gar nicht erreichen könnten. Insofern ist die Partnerschaft als „ökonomischer Tausch“ (Roggenkamp, S. 147) zu interpretieren, bei dem der Zugang zu spezifischen Ressourcen getauscht wird, die ansonsten nicht im gleichen Maße verfügbar wären. In diesem Fall kann von sog. „deals“ zwischen den Projektbeteiligten gesprochen werden. Dabei stehen sich Angebote der öffentlichen Hand einerseits sowie private Gegenleistungen andererseits gegenüber. Die Angebote der öffentlichen Hand können unterschiedliche Formen annehmen: x

Finanzielle Leistungen (direkte und indirekte Subventionen als steuerliche Vergünstigungen oder zinsgünstige Darlehen)

x

Beschleunigung von planungsrechtlichen Vorhaben

x

Grundstücksangebote

x

Bereitstellung notwendiger infrastruktureller Vorleistungen

x

Ökonomische Überprüfung der geplanten Bebauungskonzepte und Erschließungsanlagen

x

Abnahme von Erschließungsanlagen und Beitragsfreistellung für die gemeinsam errichteten Erschließungsanlagen.

Die privaten Gegenleistungen können ein weites Spektrum abdecken: x

Wirtschaftlichere Freimachung der Grundstücke von Altnutzern und Altlasten

x

Einbringen technischen Know-hows im Rahmen der Vorbereitung und Bau von Erschließungsanlagen bzw. städtebaulichen Maßnahmen

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x

Bereitstellung der Finanzierungen

x

Übernahme späterer Managementaufgaben.

Der Tausch der Partner bezieht sich aber nicht nur auf den zur Durchführung des gemeinschaftlichen Vorhabens notwendigen Input, sondern auch auf die Tatsache, dass sich die Partner gegenseitig den Zutritt zu neuen Märkten ermöglichen; Synergieeffekte ergeben sich demnach auch durch das sich wechselseitige Erschließen von Informationen, Fähigkeiten sowie Kompetenzen und damit verbundenen Entwicklungskapital für die Zukunft: Demzufolge erhalten Private durch die Kooperation mit der öffentlichen Hand neben den verbesserten Gewinnaussichten, einer stärkeren Wettbewerbsfähigkeit und der Möglichkeit zur Risikostreuung bzw. – im besten Fall – zur Risikominderung auch den Zugang zu Informationen aus Politik und Verwaltung. Öffentlich Verantwortlichen hingegen gelingt es, durch eine Partnerschaft an zusätzliches Know-how, Ressourcen und Finanzmittel zu kommen, Marktkenntnisse zu erhalten sowie sich Managementwissen und unternehmerische Kompetenz zu erschließen. Damit können sie der Kritik mangelhafter Effizienz begegnen. Neben dieser gegenseitigen Qualifizierung und Professionalisierung ist auf der Plus-Seite der öffentlichen Hand die Chance zu verbuchen, bei Interessensidentität zwischen Kommunalverwaltung und privaten Partnern stärker in z.B. städtebaulichen und architektonischen Fragen lokale Besonderheiten durchzusetzen und damit einem Legitimitätsverlust der öffentlichen Planung entgegenzuwirken. Dennoch darf der Blick nicht verschlossen werden vor den Risiken und Problemen, die mit dieser Handlungsform verbunden sind. 4.3.5.2

Risiken öffentlich-privater Partnerschaften

Ökonomisierung der Planung Durch das Hinzuziehen Privater zur öffentlichen Aufgabenerfüllung kann die öffentliche Hand leicht in ein Spannungsfeld zwischen „privater Wirtschafts-“ und „gemeindlicher Planungsmacht“ geraten. Es besteht die Gefahr einer „Ökonomisierung des Rechts“ bzw. der Planung. Hierunter wird die Gefahr für die öffentliche Hand verstanden, ihrer trotz Teilprivatisierung weiterhin bestehenden Gemeinwohlverpflichtung aufgrund zu großer Nähe zum privaten Partner nicht mehr ausreichend Rechnung tragen zu können. Eine weitere Gefahr kann sich durch eine ungleiche Risikoverteilung einstellen, wenn die Gewinne entsprechend dem wirtschaftlichen Einsatz verteilt werden, die Verluste jedoch gleichzeitig sozialisiert werden. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der öffentliche Vertragspartner bei der Vertragsgestaltung nicht entsprechend qualifiziert ist, sich durchzusetzen bzw. das vorhandene Steuerungsinstrumentarium anzuwenden. Dies ist aber auch dann der Fall, wenn ein Nachge-

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ben gegenüber den Interessen des privaten Partners (und damit der Zustimmung zu einer ungleichen Risikoverteilung) für die jeweilige Kommunalpolitik die einzige Möglichkeit darstellt, notwendige Investitionen und Maßnahmen zu realisieren. Grundsätzlich ist in einer solchen Situation zu hinterfragen, ob es sich bei der Zusammenarbeit noch um eine Partnerschaft im Sinne der PPP handelt. Auch besteht die Gefahr, dass sich die Partnerschaft von den notwendigen übergeordneten, öffentlichen Zielen löst und sich vorrangig der betriebswirtschaftlichen Sichtweise unterordnet. In einer solchen Situation kann großer politischer Schaden entstehen. Erosion der demokratischen und partizipativen Planung Durch die indirekte Aufgabenwahrnehmung über Entwicklungsgesellschaften werden die Verhandlungen vom öffentlich tagenden Parlament oder – bei PPP-Gesellschaften – vom Gemeinderat in den zur Vertraulichkeit verpflichteten Aufsichtsrat der Gesellschaft verlagert. Hintergrund dieser Verlagerung und damit Ursache der Verfahrensprobleme ist auch, dass private Unternehmen aus ihrer Erfahrungs- und Handlungsstruktur heraus vertraulich arbeiten wollen. Deshalb pflegen sie den Kreis der Partizipanten auf die unmittelbar projektrelevanten Personenkreis einzugrenzen. Dadurch geht die Publizität und Transparenz, Standards einer demokratischen, partizipativen Stadtplanung, im Interesse der Effizienz zu einem erheblichen Teil verloren. Die notwendige Kompensation der auf Vertraulichkeit angelegten Arbeitsweise kann nur durch ein hohes Maß an substantieller Öffentlichkeitsarbeit seitens der Entwicklungsgesellschaft und insbesondere durch das repräsentative Einbinden der politischen Mandatsträger in die Aufsichtsratgremien der Gesellschaft, einschließlich von Vertretern der jeweiligen Opposition, erbracht werden. Unternehmensvertreter fürchten zwar dieses „Aufblähen“ der Aufsichtsgremien sind aber letztlich i.d.R. bereit, diesen Preis zur Erzielung optimaler Konsensstrukturen zu zahlen. Die Gefahr der Abtretung von hoheitlichen Aufgaben, wie sie in den angloamerikanischen Ländern beobachtet wird, ist für die Bundesrepublik Deutschland wenig begründet. Die Gemeinden haben aufgrund der Verfahrensregelungen des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts eine starke hoheitliche Stellung: über Bebauungspläne, die kommunalerseits verabschiedet werden müssen, bis hin zum Baugenehmigungsverfahren können sie auf jeden Investor sehr starken Einfluss ausüben. Die Gemeinde bestimmt also auch im Rahmen einer PPP nach wie vor die Handlungsmöglichkeiten des Investors, wenn sie das Baurecht wirklich nutzt. Es hängt also entscheidend vom gemeindlichen Willen ab, inwieweit sie diese Steuerungsmöglichkeiten einsetzt (Wentz, 1995, S. 62). Allerdings können Eigengesetzlichkeit und Sachzwänge von Kooperationsvorhaben die o.g. Steuerungsfähigkeit der Gemeinde erheblich einschränken. Dieses Verhalten der Verantwortlichen kann nicht nur aus Ignoranz oder mangelnder Erfahrung mit der transparenten Gestaltung von Pla-

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nungsprozessen entstehen. Es hängt vielmehr eng mit dem infolge knapper finanzieller Ressourcen geringen Gestaltungsspielraum der Kommune zusammen (vgl. Selle, S. 29). 4.3.6 Strategien zur Stärkung der Chancen und zur Abmilderung der Risiken Für die Partner in einer öffentlich-privaten Partnerschaft liegen Chancen und Risiken ähnlich dicht beieinander. Sie dokumentieren das Ergebnis eines jeden Partnerschaftsprojektes bzw. die Rechte und Pflichten, die den Beteiligten aus der Partnerschaft erwachsen. Eine gemeinsame, gegenseitige Absicherung hinsichtlich deren Verteilung lässt sich dabei über Verhandlungen, insbesondere in Form von Verträgen, erzielen. 4.3.6.1

Vertragliche Gestaltung der Partnerschaft

Vor dem Hintergrund der im vorangegangenen Kapitel erwähnten Konfliktpotenziale dient die vertragliche Fixierung der ausgehandelten Zusammenarbeit der Schaffung von Rechtssicherheit hinsichtlich der vorgesehenen PPP-Ziele, der Aufgabenverteilung zwischen den Partnern, der wirtschaftlichen Gewinn- und Risiko- bzw. Verlustverteilung und der ablaufenden Transaktionen. Zur Strukturierung und Steuerung der internen und externen Beziehungen kann die Kombination einer Vielzahl von unterschiedlichen Verträgen eingesetzt werden: x

Kooperationsverträge, so Absichtserklärungen und Rahmenvereinbarungen

x

städtebauliche Verträge nach § 124, § 11 und § 12 BauGB

x

Grundstückskaufverträge

x

Geschäftsbesorgungsverträge

x

Gesellschaftsverträge.

Eine ausreichende Grundlage für die PPP-Zusammenarbeit bieten allerdings nur die beiden letzteren Vertragsarten, da sie den Ausgleich von Rechten und Pflichten einer zukünftigen Entwicklung regeln können. Eine zentrale Herausforderung an das Vertragsmanagement stellt das Finden von Vertragsgestaltungen dar, die auf der einen Seite genügend Sicherheiten zur Definition und Erreichung der vereinbarten Projektziele bieten – hier verstanden als die gemeinsam definierten Interessen der öffentlichen Hand und der Privaten – gleichzeitig jedoch flexible Anpassungsmöglichkeiten an bislang noch unbekannte Einflussparameter ermöglichen. Grundlage der im Folgenden dargestellten Strategien bildet die Tatsache, dass die öffentliche Hand auch als Gesellschafterin einer öffentlich-privaten Partnerschaft die Verantwortung für die Erfüllung der vormals ausschließlich öffentlichen Aufgabe behält: Das Hinzuziehen Privater zur öffentlichen Aufgabenerledigung geht de facto niemals mit einer weitergehenden Entlassung der öffentlichen Hand aus der Verantwortung für ihre Aufgabenerfüllung einher. Aus dieser fortbe-

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stehenden Verantwortung zur Aufgabenerfüllung resultiert die Verpflichtung der Gemeinde, sicherzustellen, dass öffentliche Ziele und Interessen im Rahmen der gemischten Entwicklungsverantwortung hinreichend Berücksichtigung finden. Infolgedessen ist es die Pflicht der Kommune, in den gesetzlich vorgegebenen öffentlich- rechtlichen Verfahren weitgehend die Trägerschaft und vollständig die Verantwortung zu behalten. Im Folgenden sollen Strategien vorgestellt werden, die der Gemeinde die notwendige Einwirkung auf die Gesellschaft und damit eine (ex-ante-) Steuerung des städtebaulichen Vorhabens ermöglichen. Die dargestellten Strategien orientieren sich an den in 4.3.5.2 herausgearbeiteten Risiken öffentlich-privater Partnerschaften für die öffentliche Hand. 4.3.6.2

Organisatorische Strategien

Der Gesellschaftszweck bzw. der Unternehmensgegenstand als Einfallstor für Gemeinwohlbindungen Um die öffentliche Aufgabenerfüllung auch noch nach Gründung einer öffentlich-privaten Partnerschaft zu gewährleisten, ist im (Gesellschafts-)Vertrag der Gesellschaftszweck hinreichend zu definieren. Erwähnt die Satzung neben dem Unternehmensgegenstand den Gesellschaftszweck nicht ausdrücklich und ergibt sich auch aus dem Gesamtinhalt der Satzung nichts anderes, so ist für den Regelfall davon auszugehen, dass der Unternehmensgegenstand zugleich den Gesellschaftszweck bestimmt. Betreibt also die Gesellschaft ein wirtschaftliches Unternehmen, so ist ihr Zweck im Zweifel alleine auf die Gewinnerzielung gerichtet. „Die Zweckbindung der Gesellschafter ist somit ein Instrument des gesellschaftlichen Minderheitenschutzes“ (Habersack, S. 552). Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen Hand an öffentlich-privater Gesellschaft Die öffentliche Hand kann ihrer Schutzpflicht nur dann in ausreichendem Maße genügen, wenn sie dafür sorgt, dass sie ihre Kontroll- und Überwachungsfunktionen effizient erfüllen kann. Sie muss also dafür Sorge tragen, dass ihre gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten ausreichen, um ihren Einwirkungspflichten genügen zu können. Dies ist dann am besten gewährleistet, wenn sie mindestens 50% der Gesellschaftsanteile hält. Verfügt der Hoheitsträger nicht über diesen Einfluss, muss er in einer anderen geeigneten Weise seine Rechte beim Abschluss des Gesellschaftsvertrages absichern. Bewährt haben sich deshalb paritätische Anteilsverteilungen. 4.3.6.3

Inhaltliche Strategien: „Pull-Konzepte“

Ergänzend zu diesen organisatorischen Einwirkungsmöglichkeiten unterscheidet Kirsch eine Reihe von Konzepten, mit deren Hilfe die öffentliche Hand auf inhaltlichem Wege den Risiken öffentlich-privater Partnerschaften entgegenzuwirken hofft (vgl. Kirsch, S. 243). In der Literatur werden sie als „Pull-Konzepte“ bezeichnet (vgl. Abbildung 184). Bei diesen Konzepten handelt es sich um

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die Idee, dass der private Vertragspartner als Gegenleistung für die Unterstützung der öffentlichen Hand (z.B. Schaffung von Planungsrecht) sich bereit erklärt, einen Teil seiner Gewinne für die Allgemeinheit verfügbar zu machen. Im Rahmen der Berücksichtigung gemeinsamer planungspolitischer Zielvorstellungen versucht also die öffentliche Hand gezielt, als Ausgleich Kostenerstattungen, Gewinnbeteiligungen und sonstige kommunale Interessenberücksichtigungen zu erwirken. Im Rahmen von Kostenkonzepten erklärt sich der Vorhabenträger bereit, Maßnahmen innerhalb des geplanten Projektes zu übernehmen, die ansonsten von der Kommune zu tragen wären. Hierbei kann es sich um Maßnahmen der Projektplanung und Bebauungsvorbereitung selbst oder um Maßnahmen handeln, die sich als Folge der Projektdurchführung ergeben, so insbesondere die Erstellung sozialer Infrastrukturen. Hinsichtlich der Durchführung kann in die Maßnahmen, die durch den Vorhabenträger selbst ausgeführt werden, die Entrichtung eines Finanzierungsbeitrages in Geld an die Kommune oder die Abtretung von Flächen aus dem Vertragsgebiet an die Kommunen differenziert werden. Die kostenbezogenen Vereinbarungen können auch in städtebaulichen Verträgen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 BauGB) geregelt werden.

Pull-Strategien

Kostenkonzepte

Übertragung städtbaul. Planungen u. Maßnahmen

Übertragung vorhabenbezogener Folgekosten

Maßnahmendurchführung

Gewinnkonzepte

Kompensationskonzepte

Kopplung mit Grundstücksverkauf

Kompensation i.e.S. (Nachteilsausgleich)

Kopplung mit Gesellschaftsbeteiligung

Soziale Maßnahmen

Maßnahmenfinanzierung Ökologische Maßnahmen Flächenabtretung

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 184: Pull-Konzepte

Kompensation i.w.S. (Vorteilspartizipation)

Sicherungskonzepte

Materielle Sicherung

Informelle Sicherung

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Gewinnkonzepte sind vor allem dann von Bedeutung, wenn die öffentliche Hand Eigentümerin der zu entwickelnden Flächen ist oder wenn private und öffentliche Akteure sich in gemeinsamen Entwicklungsgesellschaften zusammenschließen. Üblich sind prozentuale Beteiligungen an Grundstückswertsteigerungen, sowie prozentuale Beteiligungen an realisierten Projektgewinnen, die sich i.d.R. nach der Kapitalbeteiligung an der Trägerschaft richten. Der Gewinn kann der Kommune zur Refinanzierung von mit dem Vorhaben verbundenen Maßnahmen (Vermeidung der Belastung des kommunalen Haushaltes) dienen. Die entsprechenden Vereinbarungen werden in den Grundstückskaufverträgen bzw. den Gesellschaftsverträgen geregelt. Im Rahmen von Kompensationskonzepten leistet der Vorhabenträger Ausgleichsmaßnahmen für mit dem Projekt verbundene Nachteile. Gemeint sind hier soziale und ökologische Ausgleichsleistungen. Soziale Ziele werden dabei von den Gemeinden vor allem im Zusammenhang mit der Wohnraumversorgung angestrebt. Üblich sind: x

Vereinbarungen bezüglich eines Sozialwohnungsbaus: -

die Verpflichtung zur Errichtung von Wohnungen im Standard und mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus

-

die Einräumung von Belegungsrechten zugunsten der Kommune oder deren Beauftragten

-

Mietpreisbindung

-

Veräußerungsbeschränkungen bei der Errichtung von Eigenheimen oder Eigentumswohnungen.

x

Bindungen

zugunsten

der

Wohnraumversorgung

der

ortsansässigen

Bevölkerung

(„Einheimischenmodelle“). Die sozialen Kompensationsvereinbarungen können auch in städtebaulichen Verträgen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BauGB) geregelt werden. Ökologische Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen können z.B. darin bestehen, dass die Bepflanzung einer Straße mit Bäumen vereinbart wird oder in der Nähe des Vorhabens ein öffentlicher Park angelegt wird. Sonstige Bindungen zur Sicherung städtebaulicher Ziele, die ebenfalls auch im Rahmen von städtebaulichen Verträgen geregelt werden können, sind z.B. x

die Verpflichtung zur Baudurchführung

x

die Verpflichtung zur Einhaltung von Gestaltungsvorschriften, sowie

x

Folgekostenvereinbarungen (Schulen, Spielplatz, Kindestagesstätten, Altenheime, etc.).

In der Einleitung zu 4.3.3 wurde als Indikator für eine erfolgreiche öffentlich-private Partnerschaft deren organisatorische Funktionsfähigkeit genannt. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden einige

820

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Instrumente und Strategien vorgestellt. Nun ist jedoch jeder Partnerschaft das latente Konfliktpotenzial implizit. Solange die ökonomischen Rahmenbedingungen der städtebaulichen Projektentwicklung stimmen, droht keine Gefahr. Ändern sich dagegen die Rahmenbedingungen zum Negativen, droht ein zu niedriger Profit oder ein Verlust, tritt dieses Konfliktpotenzial an die Oberfläche. Diese Situation kann das Projekt existenziell bedrohen und die Realisierung des gesamten Projektes gefährden. Wichtige externe Krisenursachen sind: x

eine Veränderung auf den Immobilienmärkten, so Preiseinbrüche und Angebotsüberhänge

x

eine unerwartete Überschreitung der kalkulierten Kosten

x

versagte Genehmigungen für Baurechte oder Fördergelder

x

Projektblockaden durch nicht verkaufs- oder umsiedlungsbereite Eigentümer und Pächter

x

ein Wechsel der politischen Führung

x

der Rückzug der finanzierenden Banken

x

die ungenügende Eigenkapitalausstattung einer Projektgesellschaft

x

Refinanzierungsschwierigkeiten des privaten Partners.

So muss in der Folge veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen in der Realität trotz vertraglicher Regelungen mit Abweichungen vom ursprünglichen Konzept gerechnet werden. Hierauf muss die Partnerschaft flexibel reagieren können, um nicht das gesamte Projektziel zu gefährden. Insbesondere die öffentliche Hand muss die ökonomischen Voraussetzungen der privaten Partner akzeptieren. Ohne einen zu erwartenden und ausreichenden Profit werden diese sich in absehbarer Zeit aus dem gemeinsamen Projekt zurückziehen. In diesen Fällen stellt sich zunächst die Frage nach der Qualität des im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) und im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelten „Leistungsstörungsrechtes“ und der in ihm enthaltenen Regelungen zur Klärung der Schadensersatzansprüche. Das Leistungsstörungsrecht ist danach grundsätzlich anwendbar, wenn die im städtebaulichen Vertrag vereinbarten, vertraglichen Leistungspflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt werden (vgl. Grziwotz, S. 33). Hier konstatiert Birk, dass die Behandlung von opportunistischem Verhalten ausschließlich auf der Basis der gesetzlichen Regelungen deutliche Unsicherheiten und wirtschaftliche Unausgewogenheiten, insbesondere für die öffentliche Hand, in sich birgt (vgl. Birk, S. 323). Er fordert daher, „dass den entsprechenden Verträgen vertragliche Vereinbarungen über die Behandlung von „Leistungsstörungen“ zuzufügen sind, um beiden Vertragspartnern eine rechtssichere, damit auch wirtschaftlich kalkulierbare Grundlage zu geben“ (Birk, S. 173). Aus diesem Grunde erfolgt im nächsten Abschnitt eine nähere Betrachtung der Problematik und Behandlung von Leistungsstörungen bei städtebaulichen Verträgen. Die Behandlung beschränkt

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sich dabei auf die Betrachtung des städtebaulichen Vertrages nach § 11 BauGB und auf den Erschließungsvertrag nach § 124 BauGB. 4.3.7 Instrumente zur Sicherung der Erfüllung von Vertragspflichten 4.3.7.1

Begriffe und Arten von Leistungsstörungen bei städtebaulichen Verträgen

Werden die im städtebaulichen Vertrag vereinbarten Leistungspflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt, spricht man in der juristischen Fachliteratur von dem Begriff der „Leistungsstörungen“ (Grziwotz, 1998, S. 30). Zu unterscheiden sind folgende Arten der Leistungsstörung (vgl. Walker, S. 317): x

Unmöglichkeit der Leistung

x

Leistungsverzug

x

Nichterfüllung

x

Schlechterfüllung – positive Vertragsverletzung.

In der Praxis lassen sich solche Leistungsstörungen sowohl auf Seiten der Kommune gegen den/die privaten Vorhabenträger oder Partner als auch des/der privaten Vorhabenträger(s) oder Partner(s) gegen die Kommune beobachten. Für beide Situationen finden sich entsprechende gesetzliche Regelungen, die diese Leistungsstörungen abzuwenden versuchen. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die Leistungsstörungen der Privaten gegenüber Kommunen. 4.3.7.2

Behandlung von Leistungsstörungen

Gemeinden sollten sich Leistungspflichten des privaten Vorhabenträgers sichern, denn die gesetzlichen Vorschriften für Leistungsstörungen aus öffentlich-rechtlichen Verträgen enthalten keine ausreichenden rechtlichen Regelungen für deren Rechtsfolgen. Um somit zu verhindern, dass nach Ausfall des Privaten bzw. nach Wegfall des Vertrages die Kommunen nicht mit der Durchführung oder Fertigstellung des Projektes belastet werden, sind vertragliche Folgekostenregelungen in der Vertragsgestaltung notwendig. Die vertragliche Vereinbarung dieser Regelungen zu diesem frühen Zeitpunkt ist deshalb erforderlich, weil die Gemeinde nach Schaffung und Inkrafttreten des Planungsrechtes sich der daraus ergebenden bauplanungsrechtlichen Rechtsposition für den privaten Vorhabenträger, die über § 11 (2) Satz 2 BauGB besonders stark und rechtlich abgesichert ist, nicht mehr entziehen kann. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht die Frage, welche Regelungen im städtebaulichen Vertrag und im Erschließungsvertrag vereinbart werden können, um die Stadt gegen das Fehlverhalten des privaten Vorhabenträgers in Bezug auf das vertraglich definierte Ziel zu schützen. Grundsätz-

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lich entspricht es der Vertragsfreiheit, die gesamten, durch den städtebaulichen Vertrag übertragenen Verpflichtungen abzusichern. Die Grenze ist hier allein das Kriterium der Angemessenheit. Dem Grunde nach angemessen ist nur eine Absicherung derjenigen Aufgaben, die ohne Vertrag von der Gemeinde sowieso auf eigene Kosten und eigenes Risiko zu erfüllen gewesen wären (vgl. Gronemeyer, S. 308). Angemessen ist auch noch die Absicherung zusätzlicher Leistungen, die aus städtebaulichen Gründen notwendig oder erwünscht sind (vgl. Birk, S. 180). Hierzu zählt die Verpflichtung zur: x

Durchführung der Erschließung und der Ausgleichsmaßnahmen nach Naturschutzrecht

x

Errichtung der sozialen Infrastruktur (Sozialer Wohnungsbau, Kindertagesstätten).

Die Grenze des Sicherungsinstrumentariums sollte jedoch aus der jeweiligen Interessenlage der Gemeinde und des Vertragspartners entwickelt werden. Folgende Sicherungsinstrumente stehen den Städten zur Verfügung (vgl. Walker, S. 137ff): Ankaufs- und Wiederkaufsrecht sowie Vertragsstrafen zur Sicherung der Bau- und Nutzungspflicht Effektive Formen der Sicherung der meisten vertraglichen Bindungen sind die Vereinbarungen eines Wiederkaufsrechtes nach § 497 BGB, wenn die Gemeinde Grundstücke einem Bauwilligen veräußert hat bzw. eines Ankaufsrechts, wenn der Verkäufer ein Dritter war. An- und Wiederkaufsrechte kommen vor allem zur Anwendung, wenn es um die Erfüllung von Bindungen bei Einheimischenmodellen, zugunsten des sozialen Wohnungsbaus oder die Erfüllung von Bauverpflichtungen geht. Derartige schuldrechtliche Ansprüche können im Grundbuch durch Vormerkungen gesichert werden. Mit der Rückauflassungsvormerkung sichert sich die Kommune also ein aufschiebend bedingtes Kaufrecht an den zu entwickelnden Grundstücken für den Fall des vertragswidrigen Verhaltens des Vertragspartners. Die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des Kaufrechtes kann allerdings Probleme hinsichtlich der Beleihbarkeit des Grundstückes und damit den Finanzierungsmöglichkeiten des Vertragspartners der Gemeinde aufwerfen. Die Kreditinstitute sind i.d.R. nur dann zu einer Beleihung bereit, wenn den Grundpfandrechten der Vorrang vor der Auflassungsvormerkung eingeräumt wird. Bei dieser in der Praxis üblichen Vereinbarung kann jedoch die Gefahr entstehen, „dass der Vorhabenträger den eingeräumten Vorrang gegenüber der Auflassungsvormerkung zweckwidrig ausnutzt“. Daher ist es notwendig, „ ... dass die Gemeinde mit dem Kreditgläubiger eine Vereinbarung über die Zweckbindung der Grundstücksbelastung trifft: Die Valutierung der Grundschuld wird nur zur Finanzierung des Grundstückspreises und der Baukosten vorgenommen“ (Kirsch, S. 253). Die Einhaltung der Baupflichten liegt jedoch i.d.R. nicht in dem Maße in einem öffentlichen Interesse, dass eine Grundschuldsicherung angebracht wäre.

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823

Wenn der Vertragspartner mit der Erfüllung in Verzug kommt oder sich nicht an die vereinbarten gestalterischen Vorgaben hält, ist die Vereinbarung von Vertragsstrafen üblich. Bei der Bestimmung der Höhe der Vertragsstrafe ist der Grundsatz der Angemessenheit in Relation zum Gewicht der Vertragsverletzung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Vertragsbrüchigen zu berücksichtigen (vgl. Kirsch, S. 160). Durch die Sicherung von Bau- und Nutzungspflichten soll einerseits verhindert werden, dass ein Baugrundstück lediglich zu Spekulationszwecken, insbesondere zur Hortung verwendet wird; gleichzeitig soll auch eine den Zielen und Zwecken der Bauleitplanung entsprechende Nutzung des Grundstücks, sichergestellt werden. Derartige Regelungen erfolgen regelmäßig bei der Veräußerung von Bauplätzen im Rahmen der Wohnungsbauförderung nach § 89 II. des II. WoBauG, aber auch im Rahmen der Förderung von Gewerbeansiedlung beim Verkauf entsprechender Grundstücke. Ein weiterer Anwendungsbereich ist die Sicherstellung der zweckentsprechenden Nutzung von Bauplätzen, die durch Ortsabrundungs- oder Außenbereichssatzungen geschaffen werden. Schließlich werden Bau- und Nutzungspflichten im Rahmen von Abwendungsvereinbarungen im Bereich der gemeindlichen Vorkaufsrechte und der Entwicklungsmaßnahme sowie bei der Veräußerung von enteigneten Grundstücken durch die Gemeinde vertraglich begründet. Grunddienstbarkeit Bindungen, die beschränkende Auswirkungen auf die Nutzung haben (z.B. Belegungs-, Mietpreisbindungen, zeitlich begrenzte Zugangsrechte, Nutzungsunterlassungen für einzelne Nutzungen oder Energieversorgungsarten, Geh-, Fahr- bzw. Leitungsrechte, etc.) bedürfen der dinglichen Absicherung, weil sie im Regelfall längerfristig gelten sollen und nur eingeschränkt durch eine Festsetzung im Bebauungsplan erfolgen können. Dienstbarkeiten bezeichnen dabei beschränkt dingliche Rechte an einem Grundstück. Da die beschränkt dingliche Dienstbarkeit ein herrschendes Grundstück in der Hand der Gemeinde voraussetzt, dem die mit der Dienstbarkeit vereinbarte Belastung zugutekommen soll, kommt zur Sicherung von Bindungen i.d.R. nur die Eintragung beschränkt persönlicher Dienstbarkeiten in Betracht. Gemäß § 1090 BGB kann danach ein Grundstück in einer Weise belastet werden, dass derjenige, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, berechtigt ist, das Grundstück in einzelnen Beziehungen zu nutzen, oder dass ihm eine sonstige Befugnis zusteht, die den Inhalt einer Grunddienstbarkeit bilden kann. Ein herrschendes Grundstück ist dabei nicht erforderlich. Anders ausgedrückt, sind z.B. persönliche Dienstbarkeiten des Inhaltes zulässig, dass ein Grundstück Personen nicht zum Gebrauch überlassen werden darf, die den festgelegten Anforderungen im Hinblick auf den besonderen Wohnungsbedarf oder der Eigenschaft als Einheimischer nicht entsprechen (vgl. Bunzel, S. 146f.; Walker, S. 311f.).

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Als Gegenstand einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit kommen insbesondere in Betracht (vgl. Walker, S. 312): x

Gestaltungsbeschränkungen sowie Beschränkungen für bestimmte gewerbliche Nutzungen

x

Rechte auf Benutzung bestimmter Gebäudeteile (z.B. für Kindertagesstätten oder Alteneinrichtungen) sowie Wohnbelegungsrechte

x

Mietpreisbindungen.

Bankbürgschaft zur Sicherung der Herstellung und der Mängelbeseitigung Ein weiteres Sicherungsmittel ist die von einer Bank gegebene Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft. Sie ist bei Erschließungsverträgen ein bewährtes, aber im Übrigen auch bei anderen Leistungspflichten zuverlässiges Sicherungsinstrument, das insbesondere in Fällen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners seine Bedeutung erfährt. Für die Vorhabenträger bedeuten diese Bankbürgschaften nicht unerhebliche Bereitstellungskosten, doch sollte die Gemeinde berücksichtigen, dass gegebenenfalls im Fall des Verzichts auf eine entsprechende Sicherung die Gefahr besteht, dass die Durchführung des Vorhabens aus dem gemeindlichen Haushalt zu finanzieren ist. Durch eine Bankbürgschaft kann grundsätzlich jede obligatorische Verbindlichkeit gesichert werden, also auch die Erfüllung der baulichen und ökologischen Auflagen im Zusammenhang mit der Bauverpflichtung. Auch wenn aus der Bürgschaft anstelle der Leistungspflicht eine Geldforderung geschuldet wird, kann die Leistungserbringung dadurch gesichert werden, dass über die Bürgschaftserstellung entweder x

in entsprechender Anwendung des § 633 Abs. 3 BGB eine erforderliche Ersatzvornahme,

x

vereinbarte Vertragsstrafen (§§ 339 bis 345 BGB) oder

x

die Erfüllung von Nachbesserungsansprüchen durch Dritte bei Gewährleistungsmängeln nach §§ 326, 634 Abs. 1 und 2 BGB

abgesichert werden (vgl. Walker, S. 307). Die Erfüllungsbürgschaft stellt jedoch erst den ersten Schritt dar: „Gesichert ist die Gemeinde (und sind die anderen Grundstückseigentümer im Vertragsgebiet) erst dann, wenn die Gemeinde befugt ist, die Bürgschaftssumme zur Durchführung der Fertigstellung der Maßnahmen (insbesondere von Erschließungsmaßnahmen) in Anspruch zu nehmen.“ (Birk, 1999, S. 85f.). Dies setzt die Anwendung des § 633 (3) BGB voraus, der besagt, dass der Besteller den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen kann. Danach führt die Gemeinde die Durchführung der Fertigstellung bzw. die Beseitigung der Mängel unter Anspruch der Bürgschaftssumme selbst zu Ende.

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Ein Katalog der Instrumente zur Sicherung der für die öffentliche Hand zu erbringenden Leistungen bedarf einer sinnvollen Zuordnung der einzelnen Instrumente zu den jeweils zu sichernden Leistungen. Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe ist beispielsweise kein sinnvolles Instrument zur Sicherung von Erschließungsmaßnahmen, während sie für Gestaltungsverpflichtungen ein gängiges Sicherungsinstrument darstellt. Sinnvoller dagegen erscheinen folgende Vereinbarungen: x

Bankbürgschaften zur Erfüllung bzw. Fertigstellung von Erschließungsmaßnahmen

x

An-/Wiederkaufsrechte bzw. Grunddienstbarkeiten zur Erfüllung bzw. Errichtung von Wohnraum für bestimmte Bevölkerungsgruppen

x

An-/Wiederkaufsrechte zur Erfüllung von städtebaulich/architektonischen Anforderungen oder Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen.

Aus dem vorstehend Genannten wird deutlich, dass eine komplette Absicherung aller Verpflichtungen des privaten Vorhabenträgers und damit des gesamten Projektes auch mit den in diesem Kapitel genannten Sicherheitskonzepten nicht erfolgen kann. Abgesichert werden können i.d.R. nur die Aufgaben, die in den originären Zuständigkeitsbereich der Gemeinde fallen. 4.3.8 Eckpfeiler für eine erfolgreiche öffentlich-private Partnerschaft Öffentlich-private Partnerschaften, das Instrument, mit dem Kommunen seit den 90er Jahren einen Teil der städtischen Entwicklung zu steuern versuchen, präsentieren sich in einer großen definitorischen und formalen Vielfalt. Dies macht deren besonderen Reiz, aber auch deren Gefahr aus. Öffentlich-private Partnerschaften konstituieren sich in Abhängigkeit von dem jeweiligen Einzelfall immer wieder unterschiedlich. Dies hat zur Folge, dass ein Standardmodell nicht existiert. Welche Regelungen und Absprachen für eine erfolgreiche Realisierung des Vorhabens sinnvoll sind, kann nicht abstrakt festgelegt werden, sondern muss den jeweils spezifischen Voraussetzungen und Bedürfnissen entsprechend angewandt und zusammengestellt werden. Öffentlich-private Partnerschaften erfordern deshalb von beiden Partnern nicht nur einen Balanceakt zwischen strategischer Kooperation und notwendiger kommunaler Planungshoheit, sondern auch im Einzelfall einen Balanceakt zwischen einer notwendigen Absicherung der Projektziele und der legitimen Abweichung von ursprünglichen Zielen, wenn es die Situation erfordert. Um dennoch ein „erfolgreiches“ Projekt realisieren zu können, sollten eine Reihe von Eckpfeilern berücksichtigt werden: x

Erforderlich ist ein qualifiziertes Projektmanagement, das konsequent die wesentlichen Ziele, insbesondere diejenigen, die sich nicht von selbst durchsetzen, verfolgt. Hierzu dienen u.a. die hinreichende Definition des Unternehmensgegenstandes/Gesellschaftszweckes, eine entsprechende Verteilung des Gewinns und des Risikos, die Institutionalisierung von Aufsichtsrat und Beratungsgremien sowie zumindest die Sicherstellung der gleichberechtigten Beteiligung der Kommune an der Entwicklungsgesellschaft.

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x

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Eng mit einem qualifizierten Projektmanagement zusammen hängt die Notwendigkeit eines qualifizierten Vertragsmanagements, das den kommunalen Partner ausreichend für den Fall der Leistungsstörungen Privater absichert. Die Vielschichtigkeit der verwobenen Rechtsmaterien und die Schwierigkeit bei der Handhabung des Vertrages stellen erhöhte Anforderungen an die Praxis, wenn auch städtebauliche Verträge als Instrumentarium zur Bewältigung komplexer städtebaulicher Entwicklungsaufgaben eingesetzt werden. Eine Risikominimierung bezüglich der Handhabung des vertraglichen Handlungsinstrumentariums lässt sich nur erreichen, wenn die Vertragsgestalter mit den Gefahren und allen Möglichkeiten zur Bewältigung dieser Gefahren vertraut sind. Hierzu zählt die Kenntnis darüber, dass allein auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen Leistungsstörungen seitens der Privaten nicht ausreichend abgesichert werden können und deswegen die Regelung von Sicherheiten (Bankbürgschaften, An-/Wiederkaufsrecht, u.a.) schon während der Vertragsgestaltung in jedem Fall notwendig ist. Unberücksichtigt bleiben darf dabei nicht, dass dieses Vertragsmanagement mit seinen Rechten und Pflichten marktbestimmte Prozesse nur begrenzt steuern und eigentlich nur als begleitendes und sicherndes Mittel einer aktiven Steuerung fungieren kann (vgl. Fahrenholtz, S. 114). Aus diesem Grunde stellt das

x

Prozessmanagement einen weiteren Eckpfeiler für den Erfolg öffentlich-privater Kooperationen dar. Zu einem qualifizierten Prozessmanagement zählt die Institutionalisierung einer Bürgerbeteiligung sowie die fachliche Beratung und Begleitung des Projektes von Beginn an. Dies beruht auf der Tatsache, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung entscheidend zum erfolgreichen und zügigen Verlauf des Projektes beiträgt. Befürchtungen, durch eine umfassende Bürgerbeteiligung ziehe sich der Planungs- und Durchführungsprozess nur in die Länge, muss entgegengehalten werden, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung nicht nur die notwendige „Rückendeckung“ für ein Projekt geben, sondern im Gegenteil, die Durchführung ungewollter Entscheidungen verhindern kann. Dabei darf die Beteiligung nicht zur bloßen Akzeptanz von Entscheidungen degenerieren. Vertreter der Öffentlichkeit sollten dagegen aktiv an Entscheidungen teilhaben. Des weiteren sollte die Stadt über regelmäßige Pressemitteilungen, u.a. die Bevölkerung an dem Entwicklungsverlauf teilnehmen lassen, um dadurch die notwendige Transparenz und Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung für das Vorhaben zu fördern. Ein qualifiziertes Prozessmanagement enthält aber auch noch aus einem weiteren Grund zentrale Bedeutung für einen erfolgreichen Verlauf öffentlicher-privater Kooperationen. Dieser liegt darin begründet, dass öffentlich-private Projekte nur begrenzt abgesichert werden können. Dies liegt nicht nur in der Natur der Sicherheitsregelungen – sie können nur diejenigen Maßnahmen absichern, die im originären Zuständigkeitsbereich der Kommune liegen –,

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sondern auch mit der Tatsache zu erklären, dass die Durchführung einer Investition nicht gegen den Markt gefordert werden kann. Selbst Leistungsklagen sind vor dem Hintergrund langwieriger und kostenintensiver Prozesse, sowie der Gefahr, bei Insolvenz des privaten Partners die Prozesskosten selbst tragen zu müssen, bzw. der Gefahr des dauerhaften Verlustes des privaten Investors, nicht ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Umso bedeutender ist es, dass die Stadt zum einen vor Entscheidung über ein gemeinsames Vorhaben überprüft, ob der Private kompetent und solvent genug ist, die Durchführung des Vorhabens zu übernehmen. Erforderlich sind des weiteren Gespräche mit den potenziellen Investoren und den Kommunen über die Komplexität und die Anforderungen eines gemeinsamen Vorhabens, was ein Offenlegen der beiderseitigen Vorstellungen und Erwartungen voraussetzt sowie das gemeinsame Erarbeiten eines tragfähigen Nutzungskonzeptes. x

Erforderlich ist die Konstituierung eines gemeinsamen politischen Willens zur hinreichenden Durchsetzung und Absicherung der mit dem Projekt verfolgten Ziele. Nur wenn das vorhandene ex-ante- und ex-post-Instrumentarium ernsthaft angewendet wird, besteht eine hinreichende Absicherung öffentlich-privater Projekte und damit gute Chancen für eine erfolgreiche Kooperation. Ein gemeinsamer politischer Wille stellt damit quasi den Schlüssel für den Erfolg dar. Ohne vorhandenen politischen Willen zur Anwendung des Rechts- und Sicherungsinstrumentariums und ohne politischen Willen zur Beteiligung der Öffentlichkeit an dem Planungsprozess sowie entsprechender Weitergabe der Informationen wird kein öffentlich-privates Projekt erfolgreich realisiert werden können.

x

Ein weiterer Eckpfeiler ergibt sich aus der Zusammenführung der vorstehend genannten Ausführungen: Erforderlich ist das Wissen innerhalb der Kommunen, die öffentlich-private Kooperationen als Instrument zur Bewältigung von stadtentwicklungspolitischen Problemen einsetzen wollen, dass dieses Instrument nicht dazu geeignet ist, sämtliche Probleme der Stadtentwicklung zu lösen, sondern nur den „Außergewöhnlichen Problemen“ vorbehalten bleiben sollte. Dies beruht auf seinem besonderen Charakter, auf der Zusammenführung unterschiedlicher Systemrationalitäten, dem Markt und dem Staat, die auch durch die Zusammenführung nicht aufgegeben werden. Dieser besondere Charakter birgt für den allgemeinen Vollzug, insbesondere für die gemeinwohlverpflichtete Stadtentwicklung, jedoch Gefahren, die insbesondere dann zum Tragen kommen, wenn sich die Ausgangsbedingungen zum Negativen verändern. Hieraus erwachsen besondere Anforderungen an das Instrument der öffentlich-privaten Kooperationen, an die Vertragsgestaltung, an die Konstituierung eines gemeinsamen politischen Willens. Diese erhöhten Anforderungen lassen öffentlich-private Kooperationen unter den gegebenen planungskulturellen Bedingungen, der vorhandenen wirtschaftlichen Abhängigkeit der Kommunen von den privaten Investitionen für die Stadtentwicklung und dem gegenwärtig (noch) verbreiteten Planungsverständ-

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nis nicht als flächendeckendes Instrument der Stadtentwicklung geeignet erscheinen. Hierfür gilt immer noch die traditionelle hoheitliche Planung. Öffentlich-private Kooperationen sollten aufgrund ihrer Eigenart nur für Standorte eingesetzt werden, die für beide Akteure den hohen Aufwand lohnenswert erscheinen lassen. In Frage kommen mikrostrukturell insbesondere innerstädtische, zentrale Standorte; makrostrukturell sind es in erster Linie Metropolstädte und andere Städte mit Hauptstadtfunktionen. x

Gefordert wird deswegen die Beförderung einer neuen partnerschaftlichen Planungskultur, die Ökonomie und Kooperation als Chance für die Stadt begreift. Gemeint ist dabei nicht nur der kompetente Umgang mit den neuen Planungsmethoden, Planungstechniken und den neuen Organisationsformen. Gemeint ist auch ein neues Bewusstsein darüber, dass eine frühzeitige Beteiligung von Investoren öffentlich-privaten Projekten Stabilität, insbesondere in Situationen veränderter wirtschaftlicher bzw. politischer Rahmenbedingungen, verleihen kann. Grundlage einer neuen Planungskultur stellt somit eine Einbeziehung aller an der jeweiligen Projektplanung beteiligten Akteure von Beginn an dar.

x

Eine weitere Grundlage einer neuen Planungskultur und damit ein weiterer Eckpfeiler öffentlich-privater Kooperationen ist die strategische Einordnung der Projekte in eine übergeordnete Stadtentwicklungsplanung. Die strategische Einordnung der Projekte in eine Gesamtplanung bedeutet dabei zum einen eine größere Stabilität für die Projekte und größere Planungssicherheit für die Kommune – auch für den Fall des Ausfalls eines Akteurs. Zum anderen bietet die strategische Einordnung der Projekte Privaten (z. B. Banken) infolge der Planungssicherheit größere Investitionssicherheit. Dies ist nicht unbedeutend, erstrecken sich die Investitionen bei solchen großen Vorhaben z.T. über relativ große Zeiträume und wirtschaftliche Konjunkturspannen.

x

Erforderlich ist zudem eine neue Planerausbildung, die den zukünftigen Planern detailliertes Wissen über den Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn nahebringt: Wissen über Verzinsung, Abschreibung und Steuern, über die relevanten Gesellschaftsformen, über Eigen- und Fremdkapital, über Risiko und Haftung, um im Zweifel dem Privaten mit überzeugenden Argumenten entgegentreten zu können bzw. mit eigenen Standort-, Wettbewerbs- und Marktanalysen (dem 1x1 der Projektentwicklung) und einer darauf beruhenden Idee auf den Markt treten zu können – um dadurch als Kommune nicht länger nur zu regieren, sondern zu agieren.

Diese Eckpfeiler können keinesfalls den Anspruch erheben, vollständig zu sein. Der mit diesen Eckpfeilern aufgestellte Katalog notwendiger und zu berücksichtigender Bedingungen sollte auch bei der Konstituierung zukünftiger Kooperationsprojekte Berücksichtigung finden. Damit soll gleichzeitig darauf hingewiesen werden, dass diese Eckpfeiler zu ihrer optimalen Wirkung der Er-

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gänzung durch weitere Eckpfeiler, gewonnen aus zukünftigen Kooperationen, bedürfen. In dieser Weiterentwicklung des Bedingungskataloges und damit einem erweiterten Erfahrungsschatz liegt die Hoffnung, dass das Instrument der öffentlich-privaten Kooperationen in Zukunft nicht auf die außergewöhnlichen Projekte beschränkt bleibt, sondern seinen festen, anerkannten Platz im Instrumentenrepertoire der Stadtplanung findet.

Planerausbildung

Projektmanagement

Planungskultur

Prozessmanagement Öffentlich-private Partnerschaft

Vertragsmanagement

Stadtentwicklungsplanung

Wissen um die Besonderheiten des Instrumentes

Politischer Konsens

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 185: Eckpfeiler für eine erfolgreiche öffentlich-private Partnerschaft 4.3.9 Ausblick PPP-Projekte werden seit Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts in den unterschiedlichsten Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge sowie Intrastruktur- und Projektentwicklung verfolgt. Das anfänglich eher städtebaulich orientierte Aufgabenfeld ist um die Erstellung öffentlicher Gebäude oder Verkehrsanlagen bis hin zu ihrem Betrieb erweitert worden. Diese Entwicklung stellt häufig den Versuch dar, die öffentliche Hand von der Erfüllung ihrer Aufgaben zu entlasten bei gleichzeitiger Erschließung neuer, Gewinn bringender Märkte für die beteiligten privaten Unternehmen. Schon dieser Zusammenhang zeigt, dass sich die „Notwendigkeit solcher Partnerschaften“ nicht unbedingt aus der jeweiligen Aufgabenstellung und dem für beide Partner vorhandenem Potenzial an Synergien ergibt. Auch wird die Umgehung kostentreibender Effekte des öffentlichen Vergaberechts gerne zur Begründung von PPP-Projekten herangezogen. Hier stellt sich die Frage, ob

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es unter dieser Voraussetzung nicht wesentlich rationaler wäre, das Vergaberecht neu zu fassen, als mit PPP begründete Umgehungstatbestände zu kreieren. Viele öffentlich propagierte „PPP-Projekte“ stellen neben dieser Verlagerung von Aufgaben der öffentlichen Hand auch nur neue kreative Finanzierungsmodelle dar. Es finden vertraglich fixierte Leistungsaustausche oder Finanzierungen statt, aber keine gemeinsame Übernahme der Chancen und Risiken eines von beiden Partnern gemeinsam getragenen Vorhabens (abgesehen von der öffentlichen Reputation für einen gut abgeschlossenen Vertrag). Die Benennung und Gestaltung von PPP-Projekten ist neben den mit diesen Vorhaben unbestritten verbundenen Chancen und Qualitäten auch zu einer politischen Mode geworden. Insbesondere öffentlich ansonsten schwer zu platzierende oder durchzusetzende Vorhaben werden unter dem „Gütesiegel PPP“ vermittelbarer, auch wenn sie den beschriebenen Anforderungen an ein solches Vorhaben wenig gerecht werden. Diese Situation spricht aber nicht gegen die Entwicklung zukünftiger PPP-Vorhaben, sondern soll eher dazu ermuntern, die jeweilige rechtliche und wirtschaftliche Ausgestaltung solcher Projekte genau zu analysieren und zu beurteilen. Es wird keine exakten, wissenschaftlich überprüfbaren Vorgaben für die Ausgestaltung von PPP-Projekten geben, da jedes einzelne Vorhaben entsprechend der jeweiligen Ausgangssituation der öffentlichen Hand und der privaten Partner rechtlich und wirtschaftlich pragmatisch entwickelt werden muss. Das verbindende Element gegenüber den sonstigen vielfältigen Möglichkeiten der Vertragsgestaltung bleibt das gemeinsame Tragen der Chancen und Risiken durch die beiden Vertragspartner. Neue und besondere Impulse wird das Thema PPP zukünftig auch durch die im Februar 2003 von der Bundesregierung eingesetzte interdisziplinäre Beratergruppe „Public Private Partnership im öffentlichen Hochbau“ bekommen. Die im September 2003 vom Bundesminister für Verkehr, Bauund Wohnungswesen vorgelegten Berichte dieser Beratergruppe empfehlen neben der Entwicklung zusätzlicher rechtlicher Instrumente für PPP-Vorhaben auch die Einrichtung eines „Föderalen Kompetenzzentrums (FCC)“ , das insbesondere für die öffentliche Hand unabhängig beratend Hilfen zur Entwicklung von PPP-Vorhaben geben soll. Als ein erster Schritt für dieses Vorhaben hat die Bundesregierung im Juli 2004 die Gründung einer „Task-Force PPP“ angekündigt. Diese Bundesinitiative wird parallel von einzelnen Bundesländern in eigener Regie begleitet. Es ist also absehbar, dass PPP-Vorhaben – neben den beschriebenen Modetendenzen – sich zukünftig als Instrument für städtebauliche und infrastrukturelle Vorhaben weiter entwickeln und damit zunehmend wirtschaftliches Gewicht gewinnen werden. Hierin liegt eine große Chance für die öffentlichen Hände und die Privatwirtschaft, vorausgesetzt, dieses gemeinsame Vorgehen wird nicht auf Seiten der öffentlichen Hand durch eine Verletzung ihrer Gemeinwohlverpflichtung diskreditiert.

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831

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6WLFKZRUWYHU]HLFKQLV

833

Stichwortverzeichnis Aachen ............................................................................... 348

Bauerwartungsland ............................................................111

Abfallentsorgung ....................................................... 235, 246

BauGB ...............................................................................101

Abfallwirtschaft ................................................................. 246

Baugenehmigung .................................................................95

Absolutismus, Städtebau des ............................................. 381

Baugesetzbuch (BauGB) ......................................................85

Abstandsvorschriften ........................................................... 94

Baugesuch ............................................................................88

Abwägungsbelange, Denkmalschutz ................................. 261

Baukosten ..........................................................................108

Abwasserbeseitigung ................................................. 235, 240

Baukultur ...........................................................................580

Ackerflächen ..................................................................... 183

Baulandbereitstellung ................................................ 106, 117

Agenda 21 ......................................................................... 288

Baulast .................................................................................96

Agrarland ........................................................................... 111

Bauleitplanung ...................................................................101

Akustik ...................................................................... 466, 573

Baumassenzahl...................................................................103

Alleinerziehende ................................................................ 431

Baunutzungsverordnung .............................................. 85, 625

Altersvorsorge ................................................................... 434

BauNVO

Andienung ......................................................................... 460

Anlagen für sportliche Zwecke .....................................589

Angebotsanalyse ................................................................ 763

Bauordnung..........................................................................72

Ankermieter ....................................................................... 505

Bauordnungsrecht .......................................................... 85, 93

Arbeitsplatz ....................................................................... 447

Baurecht ...............................................................................85

Architektonische Qualität .................................................. 712

Baureifes Land ...................................................................111

Architektur .................................................................. 16, 699

Bauschein .............................................................................96

Art der baulichen Nutzung ................................................ 102

Bebauungsgenehmigung ......................................................96

Artenschutz........................................................................ 178

Bebauungsplan ....................................................... 86, 89, 101

Aufbaugesetze ................................................................... 318

Befestigungsanlage ............................................................383

Aufenthaltsqualität ............................................................ 711

begünstigtes Agrarland ......................................................111

Aufzug ............................................................................... 474

Beherbergung .....................................................................613

Ausgleichsmaßnahmen ...................................................... 196

Beleihbarkeit ......................................................................822

Außenbereich....................................................................... 89

Beleuchtung .......................................................................471

Außenentwicklung ............................................................. 303

Berlin ........................................... 32, 126, 152, 161, 390, 548

Bahnhof ............................................................................. 387

Berlin, Jüdisches Museum .................................................565

Bahnhof (Handel) .............................................................. 512

Berlin, Nationalgallerie ......................................................569

Barcelona ........................................................................... 537

Berlin, Philharmonie ..........................................................575

Barock ............................................................................... 687

Berliner Innovations- und Gründerzentrum .......................161

Basel II .............................................................................. 531

Betreibervertrag, Hotel ......................................................639

Basilika .............................................................................. 683

Betriebskosten, Gesundheitszentrum .................................660

Bau- und Nutzungspflicht .................................................. 823

Betriebspflicht....................................................................510

834

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Bettenspiegel ..................................................................... 654

Crossborder-Kultur ............................................................564

Bevölkerungswachstum ..................................................... 383

Deindustrialisierung ................................................... 321, 351

Bibliothek .......................................................................... 576

Demografischer Wandel ....................................................668

BID, Business Improvement District ......................... 513, 799

Demographie ......................................................................352

BID, Business Improvement Districts ............................... 165

Denkmalbehörden ..............................................................261

Bilbao ........................................................................ 561, 568

Denkmalpflegeplan ............................................................271

Bildung, Bauten für ........................................................... 665

Details, architektonische ....................................................583

Biotopschutz ...................................................................... 178

Developer ................................................................... 107, 113

Blockheizkraftwerk ........................................................... 251

Developermodell ................................................................810

BNatsch, Bundesnaturschutzgesetz ................................... 192

Development Pipeline ........................................................757

Bodenkonstruktion ............................................................ 467

Dienstleistungssektor ......................................... 148, 149, 443

Bodenordnung ................................................................... 110

Distanzmuster ......................................................................62

Bodenrecht .......................................................................... 85

Distributionspolitik ............................................................794

Bodenspekulation .............................................................. 391

Dortmund ...........................................................................162

Boulevard .................................................................. 383, 390

Drittverwendungsfähigkeit.................................................593

Brachflächen ...................................................... 153, 190, 286

Düsseldorf ..........................................................................374

Brand Parks ....................................................................... 514

Düsseldorf, museum kunst palast .......................................568

Bregenz, Kunsthaus ........................................................... 562

Edutainment .......................................................................565

Brücken ............................................................................. 539

EDV-Verkabelung .............................................................472

Brüssel ............................................................................... 543

Einfamilienhaus .................................................................133

Bruttogeschossfläche ......................................................... 103

Eingriffs-/Ausgleichsregelung ...........................................195

Bürgerbeteiligung ...................................................... 106, 293

Einkaufszentrum ................................................................489

Bürgschaft ......................................................................... 824

Einzelhandel .............................................................. 163, 481

Büro, non territoriales ........................................................ 448

Emscher .............................................................................332

Bürogebäude...................................................................... 443

Energieversorgung ............................................. 235, 249, 471

Büroraumkonzept .............................................................. 448

Ensembleschutz ......................................................... 260, 269

Campus.............................................................................. 666

Enteignung ...........................................................................90

cap ..................................................................................... 642

Entertainmentimmobilien...................................................590

Celebration, Florida USA .................................................. 401

Entlastungsorte...................................................................300

Centermanagement ............................................................ 511

Entsorgung .........................................................................235

Charta von Athen........................................................... 50, 52

Entwerfen ...........................................................................700

Citymanagement ................................................................ 164

Entwicklungsmaßnahme, städtebauliche .............................92

Citymarketing .................................................................... 164

Erfüllungsbürgschaft ..........................................................824

City-Marketing .................................................................. 561

Ergonomie am Arbeitsplatz ...............................................449

Corporate Identity.............................................................. 581

Erhaltungssatzung ................................................ 93, 259, 263

Corporate Lands ................................................................ 514

Erholungsflächen ...............................................................175

creative city ....................................................................... 562

Erschließung ........................................................ 90, 223, 251

6WLFKZRUWYHU]HLFKQLV

835

Erschließungsaufwand ....................................................... 136

Flurbereinigung....................................................................90

Erschließungsbeitrag ........................................... 90, 114, 223

Folgekosten ........................................................................109

Erschließungsstraßensysteme ............................................ 227

Folgekostenregelung ..........................................................821

Erwerbstätige ......................................................................... 7

Food Court .........................................................................506

Essen ................................................................................. 354

Fördermittel .......................................................................115

Europäische Stadt .......................................................... 27, 32

Förderpolitik, Wohnen .......................................................437

Eventkultur ........................................................................ 563

Förderprogramme ..............................................................268

Existenzgründer ................................................................. 158

Fordismus ............................................................ 50, 373, 807

ExWoSt ............................................................................. 353

Fraktale Stadt .....................................................................398

Fachmarkt.......................................................................... 498

Frankfurt .................................................................... 542, 545

Fahrradverkehr .................................................................. 229

Frauenkirche Dresden ........................................................690

Fassade ...................................................................... 391, 465

Freiflächen .........................................................................174

FCC, Föderales Kompetenzzentrum .................................. 830

Freiraum.............................................................................385

Feasibility Analysis ........................................................... 762

Freiräume ...........................................................................174

Feasibility-Studie, Hotel .................................................... 629

Freiraumplanung ................................................................192

Ferien................................................................................. 614

Freizeit

Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz .......................... 551

Definition ......................................................................590

Fernwärmeversorgung ....................................................... 251

Megatrends....................................................................591

Finanzhoheit ........................................................................ 71

Freizeitimmobilien .............................................................589

Finanzierung .............................................................. 101, 110

Fußgängerverkehr ..............................................................229

Finanzierungsmodell ......................................................... 830

Garten ................................................................................184

Fitness- und Wellnessanlagen............................................ 595

Gartenstadt ................................................................. 125, 371

Flächenausweisung ............................................................ 302

Gasversorgung ...................................................................250

Flächenmanagement .................................................... 72, 191

Gebäudekonzepte ...............................................................454

Flächenmanagement, kommunales .................................... 301

Gebäudeleasing ..................................................................108

Flächennutzung ................................................................. 302

Gebäudetechnik, Krankenhaus ...........................................658

Flächennutzungsplan ................................................... 86, 101

Gemeinwohl .........................................................................71

Flächennutzungsplanung ................................................... 336

Gender Mainstreaming.......................................................294

Flächenpolitik .................................................................... 301

Genius loci .........................................................................704

Flächenrecycling........................................................ 105, 191

Geriatrie .............................................................................655

Flächensparendes Bauen.................................................... 135

Gesamtverkehrsplanung .....................................................215

Flächenverbrauch .............................................................. 133

Geschäftsbesorgermodell ...................................................810

Flexibilität ......................................................................... 458

Geschossflächenzahl ..........................................................103

Florida, ................................................................................ 40

Geschosshöhe.....................................................................464

Flughafen ........................................................................... 549

Gesellschaftszweck ............................................................817

Flughafen (Handel) ............................................................ 512

Gestaltung ..........................................................................705

Flughafen Tempelhof ........................................................ 548

Gestaltungssatzung ........................................ 85, 93, 259, 268

836

6WLFKZRUWYHU]HLFKQLV

Gesundheitstourismus ........................................................ 652

Hausgarten .........................................................................185

Gesundheitswesen ............................................................. 649

Haushaltsgröße...................................................................431

Gesundheitszentrum .......................................................... 649

Haussmann, ........................................................................383

Gewerbegebiet ........................................................... 153, 188

HBFG Hochschulbauförderungsgesetz ..............................673

Gewerbehof ....................................................... 151, 155, 527

HGrG, Haushaltsgrundsätzegesetz .....................................109

Gewerbepark ..................................................................... 520

HOAI .................................................................................700

Gewerbeplanung ................................................................ 147

Hobrecht-Plan ....................................................................385

GewerbeSiedlungs-Gesellschaft Berlin ............................. 156

Hochschulen .............................................................. 665, 671

GLA, Gross Leasable Area ................................................ 507

Hohenems, Landesausst. ....................................................582

GOP (Gros Operating Profit) ............................................. 632

Hörsaal ...............................................................................672

Gotik .................................................................................. 685

Hotelbauten ........................................................................613

Graz, Murinsel und Kunsthaus .......................................... 563

Hotelbetreiber ............................................................ 631, 635

Großraumbüro ................................................................... 452

Hotelkategorien ..................................................................621

Großsiedlungen ................................................................. 131

Hotelplanung......................................................................627

Großstadt ........................................................................... 148

Hotelrentabilität .................................................................629

Grün, öffentliches .............................................................. 181

HUBau, Haushaltsunterlage-Bau .......................................108

Grunddienstbarkeit ............................................................ 823

Ideengenerierung ...............................................................758

Gründerzeit ........................................................................ 372

Immobilienmarketing .........................................................784

Gründerzentrum................................................. 151, 159, 524

Immobilienmarkt ...............................................................447

Grundflächenzahl .............................................................. 103

Immobilienökonomie .............................................................4

Grundrissflexibilität ........................................................... 433

Immobilien-Projektentwicklung ..........................................17

Grundstückskosten ............................................................ 106

Immobilienwirtschaft .............................................................5

Grundstückswert ................................................................ 187

Incubator ............................................................................524

Grünflächen ....................................................................... 174

Individualisierung ................................................................58

Grünordnungsplan ............................................................. 195

Individualverkehr, motorisierter ........................................306

Grünraum .......................................................................... 385

Industriebrache...................................................................154

Gruppenbüro...................................................................... 452

Industriegebiet ...................................................................189

Güterverkehr ...................................................................... 210

Industrielles Bauen.............................................................392

GVFG, Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz ................. 223

Industriestadt......................................................................382

Haag, Sommertheater ........................................................ 566

Informationsquellen ...........................................................760

Hafenareale ........................................................................ 379

Infotainment .......................................................................565

Hamburg ...................................................................... 35, 151

Infrastruktur ............................................................... 103, 387

Handel ....................................................................... 481, 550

Infrastruktur, technische.....................................................235

Handelsimmobilien............................................................ 481

Inkrementalismus, perspektivischer ...................................322

Handwerkerteams .............................................................. 429

Innenbereich.........................................................................89

Hansaviertel, Berlin ........................................................... 127

Innenentwicklung......................................................... 80, 303

Hansen, Th. ....................................................................... 575

Innenstadt ...........................................................................341

6WLFKZRUWYHU]HLFKQLV

837

Institutionenmodell ............................................................ 754

Krankenhausbedarfsplan ....................................................658

Investitionsrechnung.......................................................... 767

Kulturbauten ......................................................................558

ISG, Immobilien- und Standortgemeinschaften ................. 165

Kunstmuseum ....................................................................571

Kanalisation....................................................................... 389

Lagekriterien ......................................................................444

Kapital sucht Standort und Projektidee ............................. 758

Lagerflächen, Gewerbeimmobilien ....................................521

Kapitalanlage ..................................................................... 446

Landwirtschaft ...................................................................183

Kassel ................................................................................ 553

Lebensphasen .....................................................................428

Kaufhaus............................................................................ 483

Lebensstilgesellschaft ..........................................................54

Kaufkraft ........................................................................... 424

Lebensstilgruppen ................................................................59

Kaufkraft, einzelhandelsrelevante ..................................... 496

Lebenszyklusbetrachtung ...................................................769

Kernsportstätten................................................................. 594

Lebenszykluskosten ...........................................................109

Kernstadt ............................................................................. 75

Leistungsphasen .................................................................700

Keynesianismus ................................................................. 807

Leistungsstörung ................................................................820

KfW, Kreditanstalt für Wiederaufbau................................ 115

Leitbild........................................................................... 28, 41

Kinder ................................................................................ 431

Licht ...................................................................................710

Kino ................................................................................... 579

Lichttechnik .......................................................................572

Kirche ................................................................................ 681

Liverpool............................................................................544

Kirchenbaukonzeptionen ................................................... 690

Logistik ..............................................................................523

Kläranlage ......................................................................... 245

London ...............................................................................540

Klimatisierung ........................................................... 466, 469

London, British Museum ...................................................560

Kohlbruck, Passau ............................................................. 140

London, New Tate Gallery.................................................560

Kombibüro ........................................................................ 453

Los Angeles .......................................................................374

Kommunalabgabengesetz .................................................. 223

Los Angeles, Paul Getty Museum ......................................571

Kommunalabgabengesetz, KAG ....................................... 109

Löschwasser .......................................................................237

Kommune, Haushalt ............................................................ 79

Luxus-Hotels......................................................................634

Kommunikation ................................................................. 450

Machbarkeitsstudie ............................................................762

Kommunikationspolitik ..................................................... 792

Magdeburg, Neuer Campus ...............................................674

Konstruktion ...................................................................... 705

Mainz .................................................................................384

Konsumausgaben ................................................................... 6

Makrostandort ....................................................................763

Konsument .......................................................................... 48

Managementvertrag, Hotel.................................................641

Konversion ........................................................................ 560

Marketing ...........................................................................784

Konzept, Def. .................................................................... 327

Marketingplanung ..............................................................785

Konzerthaus ....................................................................... 573

Markt, Immobilien- ............................................................447

Kooperation, öffentlich-private ......................................... 805

Marktanalyse ......................................................................762

Kosten................................................................................ 101

Marktplatz ..........................................................................482

Kostensenkung, Baukosten ................................................ 428

Maß der baulichen Nutzung ...............................................102

Krankenhaus ...................................................................... 649

Material ..............................................................................707

838

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Mediaplan .......................................................................... 583

Oper ...................................................................................573

Mediathek .......................................................................... 576

Operationstechnik ..............................................................653

Medizintechnik .................................................................. 653

ÖPNV ................................................................................459

Mietwohnungen ................................................................. 427

ÖPNV, öffentlicher Personen-Nahverkehr.........................229

Migration ................................................................... 322, 352

Paris ...................................................................................389

Mikrostandort .................................................................... 763

Paris Bibliotheque Nationale .............................................561

Milieu .................................................................................. 60

Paris, Centre Pompidou .....................................................571

Mittelalter, Städtebau des .......................................... 369, 379

Paris, Institut du Monde Arabe ..........................................565

Mobilität ............................................................................ 305

Park ....................................................................................182

Mobilitätsmanagement ...................................................... 222

Parkplatz ............................................................................460

Modal Split ........................................................................ 207

Partnerschaft, öffentlich-private .........................................805

Moderation ........................................................................ 219

Passage...............................................................................483

München ............................................................................ 546

Phasenmodell des Projektentwicklungsprozesses ..............757

Museum ............................................................................. 569

Phasenmodelle ...................................................................756

Musicaltheater ................................................................... 579

PKW ..................................................................................460

Musterbauordnung............................................................... 93

Planerausbildung ................................................................828

Nachbarschaft ...................................................................... 62

Planfeststellungsverfahren ...................................................87

Nachbarschaften ................................................................ 300

Planung, diskursive ............................................................327

Nachfrageanalyse .............................................................. 763

Planungsamt .........................................................................71

Nachfrageorientierung ......................................................... 49

Planungskonzepte ..............................................................315

nachhaltige Stadtentwicklung .................................. 27, 33, 35

Planungskosten ..................................................................105

Nachhaltigkeit ................................................................... 281

Planungskultur ........................................................... 315, 828

Nachhaltigkeitsindikatoren ................................................ 309

Planungsprozess .................................................................350

Nachkriegs-Stadtentwicklung ............................................ 317

Planungsrecht .......................................................................71

Nahversorgung .................................................................. 444

Planungsrecht .......................................................................85

Naturvermögen .................................................................. 281

Planungsrecht .....................................................................173

Neues Bauen ...................................................................... 126

Planungsschadensrecht ........................................................88

New Economy ................................................................... 524

Planungswerkstatt ..............................................................338

New Urbanism ....................................................... 38, 50, 368

Planzeichenverordnung ................................................ 85, 102

Niederlande ....................................................................... 428

Polyklinik ...........................................................................653

Nürnberg, neues Museum .................................................. 562

Polyzentralität ....................................................................287

Nutzungsflexibilität ........................................................... 431

Postfordismus.....................................................................807

Nutzungskonzept ............................................................... 763

Postmoderne .............................................................. 132, 320

Nutzwertanalyse ................................................................ 761

PPP, Public-Private-Partnership .........................................117

Objektmanagement............................................................ 769

Preisanalyse .......................................................................763

Ödland ............................................................................... 111

Preispolitik .........................................................................793

Ökologie .................................................................... 177, 281

Primärstruktur ....................................................................462

6WLFKZRUWYHU]HLFKQLV

839

Privatsphäre ....................................................................... 449

Reservierungssystem..........................................................615

Privilegierte Vorhaben......................................................... 89

Ressourcen .........................................................................281

Produktpolitik .................................................................... 791

Ressourcenschonung ..........................................................189

Projektentwicklung .................................................... 751, 789

Rettungswege .....................................................................465

Projektentwicklung, Definition.......................................... 751

Revitalisierung ...................................................................105

Projektentwicklungsprozess .............................................. 758

Risikoanalysen ...................................................................765

Projektidee sucht Standort ................................................. 760

Risikomanagement....................................................... 77, 766

Projektinitiierung ....................................................... 758, 759

Rohbauland ........................................................................111

Projektkonkretisierung....................................................... 767

Rolle des Projektentwicklers ..............................................770

Projektkonzeption .............................................................. 761

Rom, Pantheon ...................................................................559

Projekt-Management ......................................................... 768

Römerstadt, Frankfurt ........................................................126

Projekt-Marketing.............................................................. 769

Ronchamp, Kirche .............................................................689

Projektsteuerung .................................................................. 81

Rückauflassungsvormerkung .............................................822

Prozessgestaltung ................................................................ 71

Rückbaukosten ...................................................................109

Prozessqualität ................................................................... 350

Sakralbauten ......................................................................681

Psychologische Bedürfnisse .............................................. 449

Sanierungsgebiet .......................................................... 91, 266

Public Infrastructure Group ............................................... 755

Sanierungsmaßnahme, städtebauliche ..................................91

Public Private Partnership ......................................... 162, 756

Sanierungsrecht ..................................................................267

Public Private Partnership - Kulturprojekte ....................... 567

Sanierungssatzung........................................................ 92, 266

Public Private Partnership, PPP ......................................... 805

Sanitäranlagen ....................................................................472

Pull-Konzept...................................................................... 817

Scharoun, H. ......................................................................575

Qualitätsmanagement ........................................................ 220

Schrumpfung......................................................................352

Quartiermanagement ......................................................... 347

Schrumpfung der Städte .....................................................298

Rastersysteme .................................................................... 462

Schrumpfungsprozesse ......................................................321

Raum ................................................................................. 709

Schutzgebiet .......................................................................194

Raumabschluss .................................................................. 708

Schwellenhaushalt..............................................................426

Raumordnung ...................................................................... 10

Schwerte ............................................................................337

Raumordnungspläne ............................................................ 86

Science-Park ......................................................................569

Raumplanung......................................................................... 9

Segregation ..........................................................................61

Raumwahrnehmung ........................................................... 658

Sektor, tertiärer ..................................................................149

Ravensburg .......................................................................... 33

Servicepolitik .....................................................................795

Recycling ........................................................................... 191

Shopping Center ................................................................482

Regenwasserableitung ............................................... 241, 243

Shopping Center, Deutschland ...........................................489

Regenwasserbewirtschaftung ............................................ 243

Shopping Center, USA.......................................................486

REGIONALE .................................................................... 331

Sicherheit ...........................................................................550

Reisen ................................................................................ 614

Sidney, Oper ......................................................................569

Rendite, Anlage- ................................................................ 447

Siedlungsfläche .................................................. 175, 301, 397

840

6WLFKZRUWYHU]HLFKQLV

Siedlungsplanung .............................................................. 123

Stadttypologie ....................................................................365

Slaburbia.................................................................... 373, 391

Stadtumbau ........................................................ 297, 323, 353

Soziale Integration ............................................................. 291

Stadtwachstum ...................................................................383

Soziale Stadt .............................................................. 324, 345

Standort sucht Projektidee .................................................758

Space Consumer Group ..................................................... 754

Standort- und Marktanalyse ...............................................762

Space Production Group .................................................... 755

Standortanalyse ..................................................................763

Spielplatz ........................................................................... 186

Standortkonkurrenz ............................................................321

Sportimmobilien ................................................................ 589

Steuervergünstigungen, Denkmalschutz ............................273

Sportstätten: ....................................................................... 601

Stockholm, Bibliothek .......................................................569

Sportstättenentwicklungsplan ............................................ 596

Stoffkreislauf .....................................................................235

Goldener Plan ............................................................... 596

Straße .................................................................................391

Sportstättenentwicklungsplanung

Stromversorgung ................................................................250

Richtwertbezogen ......................................................... 596

Strukturwandel ...................................................................148

Verhaltensorientiert ...................................................... 598

Suburbanisierung ....................................................... 295, 351

Stadtbaugeschichte ............................................................ 365

Suburbia ..................................................................... 373, 407

Stadtbild .................................................................... 365, 381

Tagesklinik ........................................................................649

Städtebau ............................................................. 13, 365, 369

Technische Baubestimmungen.............................................94

Städtebau, moderner .......................................................... 369

Technologiepark ........................................................ 160, 521

Städtebauförderung............................................................ 260

Technologiezentrum .......................................... 151, 159, 524

Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme ........................... 112

Telematik ...........................................................................222

städtebauliche Leitbilder................................................ 27, 28

Territorialität ......................................................................449

Städtebaulicher Denkmalschutz......................................... 260

Tertiarisierung ....................................................................318

Städtebaulicher Vertrag ............................................... 87, 808

Theater ...............................................................................573

Stadtentwicklung ............................................................... 101

Themenpark .......................................................................569

Stadtentwicklung, nachhaltige ........................................... 283

Tourismus ..........................................................................613

Stadterneuerung ................................................................. 297

Träger öffentlicher Belange ................................. 87, 101, 106

Stadterweiterung ........................................................ 299, 322

Tragwerk ............................................................................707

Stadtklima.......................................................................... 177

Trennwände .......................................................................468

Stadtkultur ......................................................................... 365

Treuhändermodell ..............................................................810

Stadtmanagement ................................................................ 79

Trinkwasser........................................................................237

Stadtmarketing........................................................... 164, 795

Trinkwasserschutzgebiete ..................................................238

Stadtökologie ..................................................................... 177

Umland ................................................................................75

Stadtökonomie ................................................................... 101

Umlegungsverfahren ..........................................................113

Stadtpark............................................................................ 182

Umsatzpachtmodell, Hotel .................................................642

Stadtplanung ........................................................................ 10

Umweltschutz ....................................................................189

Stadtpolitik ........................................................................ 807

Universitäten ......................................................................665

Stadtregion ........................................................................ 407

Urban Processing ...............................................................756

6WLFKZRUWYHU]HLFKQLV

841

Urbanität ............................................................................ 319

Verunstaltungsverbot ...........................................................85

Utopie ................................................................................ 404

Verwaltungsbau .................................................................443

Utzon, J.............................................................................. 569

Verwaltungshaushalt ..........................................................115

UVP, Umweltverträglichkeitsprüfung ............................... 194

Vicenca, Teatro Olimpico ..................................................559

Venedig, Galeria Querini Stampalia .................................. 582

VOB A ...............................................................................108

Venedig, Theatro del Monde ............................................. 566

Volkspark...........................................................................181

Venture Capital.................................................................. 162

Vollgeschosse ....................................................................103

Ver- und Entsorgung ......................................................... 460

Vorhaben- und Erschließungsplan ............................... 87, 808

Veränderungssperre ............................................................. 88

Vorkaufsrecht............................................................... 88, 107

Veranstaltungszentrum ...................................................... 579

Wanderung ................................................................ 322, 352

Verfahrensgestaltung ........................................................... 71

Warenhaus .........................................................................483

Verkehr .............................................................. 205, 387, 536

Wärmeversorgung ..............................................................251

Verkehr, ruhender .............................................................. 227

Wasserflächen ....................................................................183

Verkehrsanbindung............................................................ 444

Wasserhaushaltsgesetz .......................................................241

Verkehrsarten .................................................................... 207

Wasserturm ........................................................................240

Verkehrsbauten .................................................................. 543

Wasserversorgung ...................................................... 235, 237

Verkehrsbelastung ............................................................. 225

Weil am Rhein, Vitra Design Zentrum ..............................581

Verkehrsbezirke................................................................. 208

Werbegemeinschaft............................................................511

Verkehrselemente .............................................................. 206

Werkstatt .................................................................... 338, 350

Verkehrsentwicklungsplanung .......................................... 212

Wertermittlungsverordnung (WertV) ...................................85

Verkehrserschließung ........................................................ 223

Wertschöpfung .......................................................................6

Verkehrslenkung ............................................................... 221

Wettbewerbsanalyse ..........................................................764

Verkehrsmanagement ........................................................ 221

Wien, Musikvereinssaal .....................................................575

Verkehrsmittelwahl ........................................................... 207

Wirtschaft ..............................................................................5

Verkehrsnachfrage ............................................................. 305

Wirtschaftlichkeitsanalysen ...............................................766

Verkehrsplanung ............................................................... 205

Wirtschaftsförderung .........................................................151

Verkehrspolitik .................................................................. 305

Wirtschaftspolitik...............................................................161

Verkehrssysteme ............................................................... 206

Wissensbasis ......................................................................760

Verkehrsverlagerung ......................................................... 221

Wissensgesellschaft ...........................................................378

Verkehrsvermeidung ......................................................... 221

Wohnbauförderung ............................................................437

Verkehrszellen ................................................................... 208

Wohnbedürfnisse ...............................................................430

Vermarktung, Gewerbeflächen .......................................... 530

Wohneigentum ...................................................................425

Vermögen .............................................................................. 5

Wohneigentumsförderung..................................................437

Vermögensbildung ............................................................ 434

Wohnfläche ................................................................ 133, 433

Vermögenshaushalt ........................................................... 116

Wohngrundrisse .................................................................433

Versorgung ........................................................................ 235

Wohnsiedlungsplanung ......................................................123

Vertrag, städtebaulicher ..................................................... 808

Wohnungen ........................................................................423

842

6WLFKZRUWYHU]HLFKQLV

Wohnungsmarkt ................................................................ 426

Zielgruppenmarketing ........................................................429

Wolfen ............................................................................... 374

Zimmerauslastung ..............................................................619

Zeilenbauweise .................................................................. 126

Zwischenstadt ............................................................ 376, 394

Zellenbüro ......................................................................... 452