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German Pages [112] Year 2017
6. Jahrgang 3 | 2017 | ISSN 2192-1202
faden Leid
FA C H M A G A Z I N F Ü R K R I S E N , L E I D , T R A U E R
Im Sog der Angst
Wenn Vertrauen schwindet
Gerald Hüther Im Würgegriff der Angst Bernd Oliver Maier Tavor auf
Palliativstation – wer wird ruhiggestellt? Tanja M. Brinkmann und Jörn Gattermann Angst vor Toten?! Marion Bär Demenz – eine Krankheit der Angst? Beatrix Teichmann-Wirth Alles gut! Über das Vertrauen im Leben mit Krebs Ursula Baatz »Ich bin nicht meine Angst«
Dem Vermächtnis von Palliativpatienten Rahmen und Form geben
Harvey Max Chochinov
Würdezentrierte Therapie Was bleibt – Erinnerungen am Ende des Lebens Übersetzt von Sandra Stephanie Mai. Mit einem Vorwort von Martin Weber. 2017. Ca. 242 Seiten, kartoniert ca. € 35,– D ISBN 978-3-525-40289-4 Erscheint im September 2017
Seit den ersten Veröffentlichungen zur Würdezentrierten Therapie (Dignity Therapy) in Kanada und den USA stößt diese weltweit beachtete manualisierte Kurzintervention für Patienten mit lebensverkürzenden und lebensbedrohenden Erkrankungen auf großes Interesse. In der von Harvey M. Chochinov auf empirischer Basis entwickelten Würdezentrierten Therapie wird anhand eines semistrukturierten Interviews mit Patientinnen und Patienten ein schriftliches Vermächtnis gestaltet, dass sie von ihnen geliebten Menschen hinterlassen können. Das Handbuch beschreibt die Entwicklung und die praktische Durchführung der Würdezentrierten Therapie und stellt internationale Forschungsergebnisse zur Anwendung dar. Anschauliche Beispiele aus dem Erfahrungsschatz des Autors unterstützen all diejenigen, die sich in der Hospiz- und Palliativversorgung für eine bestmögliche Begleitung schwerstkranker Menschen engagieren.
Verlagsgruppe Vandenhoeck & Ruprecht
www.v-r.de
1
EDITORIAL
Im Strudel der Angst – wenn Vertrauen schwindet Ängste, in welcher Ausprägung auch immer – von ängstlicher Sorge bis hin zu Panikattacken und Angststörungen –, begleiten uns durch unser gesamtes Leben. Angst ist leibhaftig zu spüren: Sie macht sich breit, schnürt die Kehle zu, engt ein, raubt den Atem. Doch Angst kann uns auch vor Gefahr warnen und sichert so das Überleben. Andererseits kann Angst das Leben punktuell oder zeitweise so einschränken, dass es nicht mehr recht lebenswert erscheint. Was ist und was bedeutet »Angst«? Dieses Leidfaden-Heft nimmt im ersten Teil diese Frage auf und eröffnet ein vertiefendes Verständnis für das Phänomen Angst. Sich dem bedrängenden AngstErleben in kleinen Schritten anzunähern, kann den Sog der Angst lindern und vielleicht Raum schaffen für das, was uns auch in angstvollen Situationen trägt und hält. In einem zweiten Teil geht es um die existenzielle Angst im Zusammenhang mit schwerer Krankheit, im Umgang mit Sterben und Tod. Die Angst vor der Vergänglichkeit, das Pendeln zwischen Todeswunsch und Lebenswille, die Angst vor Krebs oder vor Demenz, die Berührungsangst dem Toten gegenüber – all diese (zunächst bedrohlichen) Erfahrungen bieten auch Gelegenheiten, Vertrauen zu wecken und neu zu bestärken. Dabei kann Kunst – in Literatur und Bildern –
Freiräume eröffnen, sich dem Fremden anzunähern, das immer auch ängstigt und irritiert. Es ist ein Wagnis, sich seinen Ängsten zu stellen: genau zu benennen, was da ist, wenn »die Angst vor den anderen« (Zygmunt Bauman, Berlin, Suhrkamp, 2016) aufkommt; zu ergründen, was da ängstigt, und zu erkennen, welches eigene Bedürfnis damit verbunden sein mag. Hin auf konkrete Begegnung und Begleitung, in (selbst-)kritischer Reflexion und aufmerksamer Lebensführung wie auch in der Vertrauen bestärkenden Gestaltung beziehungsweise Veränderung von Organisationsabläufen werden im dritten Teil des Heftes beispielhaft Ansatzpunkte und Schritte ins Vertrauen benannt. Im unaufhörlichen Wandel der Dinge unsere Ängste wahrzunehmen und zu beachten, zu ergründen, was uns im Leben trägt und hält, Wege ins Vertrauen zu finden – dazu möge Sie die Lektüre anregen und ermutigen!
Thorsten Adelt
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 1, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
Christian Metz
Inhalt 1
Editorial
TEIL I Zum differenzierenden Verständnis: Was ist und was bedeutet ANGST?
5 5 Jobst Finke | Ursprünge und Wege der Angst
12 16
Jobst Finke Ursprünge und Wege der Angst Gerald Hüther Im Würgegriff der Angst Barbara Jöbstl Die Botschaft der Angst verstehen und ihr heilsam begegnen
23 26 28
Reinhard Haller Kränkung – der krankmachende Vertrauensverlust Isabella Hemmann Gedankenschleife No. 5 Rainer Bucher Angst und Ausschluss – Zu Politik und Psychologie des Rechtspopulismus
31 23 Reinhard Haller | Kränkung – der krankmachende Vertrauensverlust
TEIL II ANGST im Zusammenhang mit schwerer Krankheit, Sterben, Tod
35 40
54 Tanja M. Brinkmann und Jörn Gattermann Angst vor Toten?!
Reiner Sörries Luthers Angst vor dem Tod
Angelika Feichtner Alles ist vergänglich Bernd Oliver Maier Tavor auf Palliativstation – wer wird ruhiggestellt?
68 Barbara Laimböck | Im Strudel der Angst – wenn Vertrauen schwindet
45 49
Christian Metz im Gespräch mit Prof. Dr. Raymond Voltz Leben oder Sterben?! Steffen Glathe »Komm her ins Kerzenlicht. Ich bin nicht bang, die Toten anzuschauen«
54 58
Tanja M. Brinkmann und Jörn Gattermann Angst vor Toten?! Stefan Dinges Wenn der Wunsch nach Sicherheit im Krankenhaus Angst macht
62
Marion Bär Demenz – eine Krankheit der Angst?
TEIL III Schritte ins Vertrauen – »ANGSTfreundliche« Umgangsweisen
68
Barbara Laimböck Im Strudel der Angst – wenn Vertrauen schwindet
77
Beatrix Teichmann-Wirth Alles gut! Über das Vertrauen im Leben mit Krebs
81
87
90
Silke Birgitta Gahleitner Vertrauen (wiederer-)wecken Ursula Baatz »Ich bin nicht meine Angst« Caroline Bohn Zimmer sieben
93
Aus der Forschung: Verlust und Angst
95
Fortbildungseinheit zum Thema Angst
97
Rezensionen
101
BVT-Nachrichten
106
Cartoon | Vorschau
107
Impressum
87 Ursula Baatz | »Ich bin nicht meine Angst«
TEIL I
Zum differenzierenden Verständnis: Was ist und was bedeutet ANGST?
Leidfaden, Heft 3 / 2016, S. 4, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2016, ISSN 2192–1202
5
Ursprünge und Wege der Angst Philosophische und psychologisch-psychotherapeutische Aspekte
Jobst Finke zu warnen und vor Bedrohungen zu schützen entweder durch Unterlassen bestimmter Handlungen oder durch Stimulierung zu ihrem Vollzug, zum Beispiel zur Flucht. Bei nicht so ausgeprägten Zuständen von Angst kommt es funktionalerweise auch zu einer Aktivierung der Leistungsbereitschaft, während sehr hohe Angstpegel eher zu einer Lähmung der Leistungsfähigkeit führen (Stöber und Schwarzer 2000).
Gustave Courbet, The Desperate Man (Self Portrait), 1843–45 / Private Collection / © Luisa Ricciarini / Leemage / Bridgeman Image
Angst ist ein allen Menschen in allen Kulturen vertrautes Gefühl. Angst ist das bewusste Erleben eines Erregungszustandes. Wir alle kennen dieses negative Gefühl, das mit dem unangenehmen Empfinden einer Spannung, auch einer Beengung, einhergeht und in ausgeprägten Fällen mit einer Beeinträchtigung der Urteils- und Handlungskompetenz verbunden ist. Dabei hat dieses Gefühl ja eigentlich die Funktion, uns vor Gefahren
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 5–11, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
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Die Angst aus philosophischer Sicht Die Angst soll uns primär also warnen vor Gefahren, bei denen es »um Leib und Leben« geht. Neben diesen gewissermaßen äußeren Bedrohungen, nämlich den Gefahren einer physischen Vernichtung, gibt es für den Menschen als einem kulturgeprägten und selbst kulturprägenden Wesen auch »innere« Gefahren, die sein innerpsychisches Gleichgewicht bedrohen. Dieser Aspekt betrifft nicht nur ein wichtiges Arbeitsfeld der Psychologie und Psychotherapie, sondern es haben sich auch Philosophen damit beschäftigt. Ein berühmtes Wort des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard, des »Vaters der Existenzphilosophie«, bezieht sich gleich auf mehrere Dimensionen des Themas »Angst«, es lautet: »Angst ist der Schwindel der Freiheit« (1844/1963, S. 57). Kierkegaard will damit zum einen sagen, dass die Freiheit uns auch ängstigen kann, weil sie uns, gerade als grenzenlose Freiheit, zwingt, uns zu definieren, uns endgültig für das zu entscheiden, was und wer wir sein wollen. Gerade diese Absolutheit des Sich-entscheiden-Müssens kann ängstigend sein. Ängstigend kann aber zum anderen auch die Verlockung sein, sich in absoluter Freiheit für etwas zu entscheiden beziehungsweise etwas zu tun, das mit unserem Selbstwerterleben nicht vereinbar ist. Eine solche dem Selbstideal zuwiderlaufende Handlung könnte zu schweren Scham- und Schuldgefühlen und zu einer Identitätskrise führen. Wenn Kierkegaard vom »Schwindel der Freiheit« spricht, so will er damit wohl auch andeuten, dass sich diese Angst vor der Freiheit auch in Form von körperlich erlebten Schwindelattacken ausdrücken kann, was eine beachtliche psychosomatische Einsicht eines Theologen und Philosophen in der Mitte des 19. Jahrhunderts wäre. Ich werde darauf in meiner Falldarstellung zurückkommen. In der absoluten, aber eben auch ängstigenden Freiheit kann der Mensch nach Kierkegaard auch den Anruf der Unendlichkeit spüren, und angesichts dieser Unendlichkeit ist er herausgefordert,
sich in einsamer Freiheit für Gott zu entscheiden. Diesen Gottesbezug als Ergebnis einer Konfrontation mit der Angst thematisiert der Existenzphilosoph Martin Heidegger nicht, aber er stellt einen Bezug der Freiheit zur Möglichkeit her, ein authentisches, »eigentliches« Selbst zu sein: Die Angst »bringt das Dasein vor sich selbst« (Heidegger 1963, S. 185). Das Aushalten der Angst führt den Menschen zum Kern seiner eigenen Existenz. Im Erleben einer gegenstandlosen Angst ist der Mensch mit dem Nichts konfrontiert, die Welt des alltäglichen Besorgens und Treibens versinkt zur Bedeutungslosigkeit, so dass der Mensch ganz auf sich selbst zurückgeworfen ist und so erst zu sich selbst kommt, so erst »eigentlich« sein kann. Die Gründe der Angst Was hat das nun mit den Menschen zu tun, die unter Angstzuständen leiden und deswegen nach psychotherapeutischer Hilfe suchen? Heidegger würde dazu vielleicht sagen, dass es sich hier meist nicht um Angst, sondern um gegenstandsbezogene Furcht oder um »uneigentliche« Angst handelt. Wir können ein solches Argument zumindest als Fingerzeig für die Annahme nehmen, dass es bei den »neurotischen« Ängsten (im Unterschied zur »existenziellen Angst«) oft um eine Vertauschung des eigentlichen Angstgrundes oder, wie die Psychoanalytiker sagen, um eine Verschiebung des eigentlichen Angstthemas geht. Das wird später konkretisiert werden. Zunächst möchte ich einige der Hauptgründe aufzeigen, weswegen beziehungsweise wovor der Mensch sich ängstigen kann (siehe auch Klußmann 1988). Es handelt sich also jeweils um das »Wovor« (Heidegger) der Angst, das in folgender Aufstellung deutlich werden soll. 1. Angst vor Vernichtung Dies ist eine basale, stammesgeschichtlich alte Emotion, die sich auch zumindest bei den höheren Tieren findet. Es ist die Furcht vor der Zer-
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2. Angst vor Verlust von Sicherheit und Geborgenheit Bei diesem Verlust sind sowohl der physische wie der psychische Aspekt unserer Existenz bedroht. In der Trennungsangst, in der Angst vor dem Verlust einer behütenden und Geborgenheit vermittelnden Person, zeigt sich schon beim Kleinkind dieser Modus von Angst. Aber auch von Erwachsenen, die ja »objektiv« viel weniger unmittelbar hilfsbedürftig sind, kennen wir diese Angst. Diese Personen fühlen sich wegen ihrer Bindungsstörung oft völlig verloren und wie ohne Halt,
wenn die zentrale Kontaktperson nicht anwesend ist. In milderer Form kennen natürlich die meisten Menschen die Angst vor einer Trennung von einer nahestehenden Person, viele von uns haben so etwas wie eine untergründige Angst beim Lösen einer Bindung zumindest in Ansätzen schon selbst erlebt. Auf einer nicht spezifisch psychopathologischen, sondern philosophisch-ontologischen Ebene kann diese Angst auch als »existenzielle Angst« verstanden werden, insofern in der Existenzphilosophie gerade die Unsicherheit und fundamentale »Ungeborgenheit« des menschlichen Daseins betont wird (Stumm 2014). Dieses Geworfensein, dieses Ausgesetztsein in eine gefahrvolle Welt versucht der Mensch sich ständig zu verschleiern, so wird ihm erst in der Angst das Eigentliche seines Daseins erfahrbar. Hier könnte man folgern, dass den meisten Menschen diese Verschleierung einigermaßen gelingt (was psychologisch indes meist als Zeichen von Gesundheit interpretiert wird), erst der »Angstneurotiker« käme dem zufolge dieser existenziellen Erfahrung nahe, wenn er nicht diese Angst meist verzerrt, nämlich konkretistisch-gegenstandsbezogen, symbolisieren würde.
»Angst ist der Schwindel der Freiheit.« (Søren Kierkegaard)
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DJ Joe / photocase.de
störung oder Beschädigung der physischen Existenz. Hier können es einerseits externe Einflüsse sein, wie etwa Gewaltanwendung seitens anderer, und andererseits interne Krankheitsfaktoren, wie Krebs oder Herzversagen, die Angst machen. Hiermit hängt auch zusammen, was man Strafangst nennen könnte, vor allem wenn es eben um körperliche Bestrafung geht. Man könnte aber auch von einer psychischen Strafangst sprechen, wenn es sich um die Angst vor Entwertung, Beschämung und vor Zuwendungsentzug handelt, wovon im Folgenden die Rede sein wird.
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3. Angst vor Verlust von Beachtung und Wertschätzung Diesen Personen geht es nicht so sehr um die stützende Gegenwart der anderen, sie reagieren indes mit Besorgnis, wenn sie sich nicht genügend von der positiven Beachtung und Wertschätzung der anderen getragen fühlen können. Sie scheinen ängstlich auf jedes Zeichen nachlassender Zuwendung und vermeintlicher Gleichgültigkeit ihnen gegenüber zu achten und können mit depressiver Verstimmung reagieren, wenn Anerkennung und Wertschätzung ausbleiben. Da sie dieses Bedürfnis oft weder sich selbst noch ihrer Umwelt gegenüber eingestehen können, entstehen oft schwierige, double-bind-artige Beziehungssituationen. 4. Angst vor Verlust des Selbstwerterlebens und der Identität Diese Problematik hatten wir schon im Rahmen des Kierkegaard-Zitates angesprochen. Auf sie zielt auch das (zweite) Angstkonzept von Freud (1926), das Konzept von der Signalangst: Angst signalisiert das »unterschwellige« Anwachsen von Bedürfnissen, deren Verwirklichung das Selbstwert- und Identitätserleben der Person erschüttern würden. In einem ähnlichen Sinne formuliert auch Carl Rogers, der Begründer der Klienten- oder Personzentrierten Psychotherapie: »Angst ist der Zustand, in dem sich die Inkongruenz zwischen Selbstkonzept und dem Gesamt der Erfahrung der Gewahrwerdung nähert. Wenn Erfahrung offensichtlich vom Selbstkonzept abweicht, dann wird eine Abwehrreaktion gegen diese Bedrohung immer schwieriger. Angst ist dann die Antwort des Organismus« (1987, S. 30). Es geht hier also um den ängstigenden Widerspruch von Selbstkonzept (= Selbstbild und Selbstideal) auf der einen Seite und bestimmten Bedürfnissen (aggressiven, machtförmigen, sexuellen, regressiven) auf der anderen. Wenn Selbstbild und Selbstideal durch hiermit unver-
einbare Handlungsimpulse infrage gestellt werden, reagiert die betreffende Person mit Angst. In diesem Zusammenhang spielt auch der soziale Aspekt dieses Problems eine Rolle, sofern nämlich die Selbstideale weitgehend deckungsgleich sind mit gesellschaftlichen Idealbildungen. Es droht dann der Verlust des »Ansehens«, also der sozialen Anerkennung, der zum Erleben von Beschämung führen würde. So etwas wie Schamangst warnt vor einer Beschädigung des Fremdbildes, sie warnt vor einem beschämenden Verlust jenes »Image«, das man bisher zu haben glaubt. 5. Angst vor Schuld Das Erleben solcher Angst setzt die Ausdifferenzierung von so etwas wie Gewissen voraus, in deren Verlauf die schädigende oder strafende Macht ganz verinnerlicht wird. Hier könnte man auch von »Gewissensangst« sprechen. Dieser Angstmodus liegt nahe dem Vorhergehenden, nur ist es hier nicht so sehr das sozial bezogene Ich-Ideal, das in Gefahr gerät, sondern das ganz persönliche, moralische Ich-Ideal, die Psychoanalytiker sprechen hier vom »Über-Ich«. Es besteht hier also die Angst, sich schuldig zu machen, »Schuld auf sich zu laden«, indem man etwa gegen die Rechte eines anderen verstößt. Unter Umständen kann dieses Gefühl auch dadurch aufkommen, dass man zu viel Wert auf ein glanzvolles Selbstbild gelegt hat, wenn dadurch die Zuwendung anderen gegenüber zu kurz gekommen ist. Schuldgefühle stellen sich ein bei einem Versäumnis gegenüber einem bedeutsamen Anderen, Schamgefühle dagegen bei einem Versäumnis, einem Verstoß sich selbst beziehungsweise seinem eigenen Selbstideal gegenüber. Die Angst vor Schuld, die aus der Überzeugung kommt, dass im menschlichen Leben Schuld fast unvermeidlich ist, könnte übrigens Kierkegaard gemeint haben, wenn er sagt, dass wir in dieser Angst den Anruf der Unendlichkeit vernehmen.
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Die Angst aus psychologischpsychotherapeutischer Sicht Diese verschiedenen Quellen der Angst dürften zumindest in milder Form bei den meisten Menschen gelegentlich eine Rolle spielen, es zeigt sich jedoch oft, dass je nach Persönlichkeit und psychosozialer Situation bestimmte Quellen eine besondere Bedeutung haben. Eine Fallskizze soll das bisher Erörterte veranschaulichen und dabei auch Wege der Therapie aufzeigen. Die gegenwärtig üblichen diagnostischen Inventare wie ICD und DMS klassifizieren mehrere Formen von Angststörungen, so unter anderem die Agoraphobie mit und ohne Panikstörung, die soziale Phobie und die generalisierte Angststörung. Wir wollen uns hier auf die erstgenannte Form beschränken. Bei dem jetzt zu erörternden Beispiel handelt es sich um das recht häufige Bild einer Agoraphobie mit Panikstörung. Eine 22-jährige Studentin der Pädagogik erleidet in einem Tapetengeschäft, in dem sie Materialien für die Einrichtung der gerade angemieteten Wohnung kaufen will, ihren ersten Anfall von Schwindel, Herzrasen und Schweißausbruch. In den Monaten danach stellen sich dann auf belebten Straßen oder in Geschäften immer häufigere Attacken ein, wobei sich nun auch die Angst entwickelt, einen Herzinfarkt erleiden zu können. Die Studentin lebt bisher in der Wohnung ihrer Eltern, sie will sich mit dem Bezug einer eigenen Wohnung selbstständig machen. Sie ist Einzelkind und bisher sehr an ihre in der Familie dominante Mutter gebunden, die für sie auch manche Aufgaben des alltäglichen Lebens regelt. Bei Beginn der Psychotherapie hat die Klientin den Versuch der Verselbstständigung aufgegeben und die kürzlich angemietete Wohnung wieder gekündigt. Wegen der immer häufigeren Panikattacken hat sie auch ihr Studium zumindest unterbro-
chen. Das Haus verlässt sie zu Therapiebeginn nur noch in Begleitung ihrer Mutter, und dies auch nur für kleinere Wege. Sie hat sich also von ihrem »Freiheitsprojekt«, der eigenen Wohnung, verabschiedet. Wir hörten es schon: »Angst ist der Schwindel der Freiheit.« Die Klientin wird bei ihren Panikattacken von einem heftigen Schwindelerleben und der angstvollen Vorstellung erfasst, wegen des starken Schwindels zu Boden zu stürzen und dort dann zum Gespött der Umstehenden völlig hilflos auf der Straße zu liegen und bewegungsunfähig zu sein. Gelegentlich spielt in letzter Zeit dabei auch die Vorstellung eines baldigen Herzversagens eine zusätzlich ängstigende Rolle. Wenn wir hier fragen, welcher der oben genannten Angstquellen diese Symptomatik zuzuordnen ist, ist natürlich die Angst vor physischer Vernichtung oder Beschädigung zu nennen. Das weckt sofort die Frage, warum es bei dieser körperlich gesunden Klientin in der oben genannten Situation zu dieser Art Angst kommt. Eine schlüssige Erklärung kann darin gesehen werden, dass es hier eigentlich um eine andere Angstform geht, dass es hier, wie Freud (1926) sagte, zu einer Verschiebung der Angst auf ein anderes Thema gekommen ist oder, wie Rogers (1987) formulierte, zu einer verzerrten Symbolisierung des eigentlichen Angstthemas. Bei der Frage nach dem eigentlichen »Wovor« der Angst ist angesichts der psycho sozialen Situation der Klientin in ihrem Elternhaus und der Situation des ersten Auftretens der Symptomatik zu vermuten, dass es hier um die Angst vor Verlust von Sicherheit und Geborgenheit geht (Finke 2009). Durch die überfürsorgliche Erziehung durch eine einerseits dominante, andererseits aber auch ihrerseits ängstliche Mutter, die oft vor den Gefahren des Lebens warnte, war es bei der Klientin zu einer defizitären Entwicklung von Autonomie und Selbstsicherheit gekommen (Teusch 2014). So war sie sehr auf ihre Mut-
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Lukas Radbruch
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ter als ihre »Lebensstütze« fixiert, einer Mutter, die offenbar auch ihrerseits das Gefühl brauchte, als eine solche Stütze gebraucht zu werden, und die die zaghaften Autonomiebestrebungen ihrer Tochter eher behinderte. Denn das Anlehnungsbedürfnis der Klientin schließt gegenläufige Bedürfnisse nicht aus, etwa dass sie auch heimliche Bedürfnisse nach Selbstständigkeit und Freiheit hatte, die durch den Kontakt mit ihren Kommilitonen sicher angeregt wurden (Finke 1994; Wakolbinger 1996). Durch den Versuch, diese Autonomiebedürfnisse durch die Anmietung einer Wohnung in konkretes Handeln umzusetzen, wurden jedoch auf dem Boden der genannten Selbstunsicherheit die alten Ängste vor Verlust von Sicherheit und Geborgenheit aktiviert. Die Verzerrung der Symbolisierung dieser Ängste durch eine mehr körperbezogene Symptomatik sollte die Klientin vor dem beschämenden Eingeständnis ihrer personalen Abhängigkeit und Unfähigkeit zur Autonomie schützen, einem Eingeständnis den anderen und sich selbst gegenüber. Hier kommen also auch Aspekte ins Spiel, die unter (4.) angesprochen wurden, die Angst vor dem Zusammenbruch ihres eigenen Selbstideals und vor dem Verlust ihres Ansehens in ihrer Umwelt. Aber auch die unter (5.) angesprochene Angst vor Schuld hat hier vermutlich eine Rolle gespielt, nämlich die Angst, durch ihren Auszug und ihre Verselbstständigung der Mutter einen wesentlichen Lebenssinn zu nehmen.
Hinweise zum psychotherapeutischen Vorgehen In der Psychotherapie kommt es zu Beginn darauf an, auf die geschilderten Beschwerden, den Schwindel, das Herzrasen und die angstvollen Vorstellungen eines nahen Herztodes, einfühlsam einzugehen, das heißt, der Klientin deutlich zu machen, dass der Therapeut bereit ist, sich in das Erleben der Klientin hineinzuversetzen und die Beschwerden in ihren verschiedenen Aspekten nachzuempfinden. Der Therapeut wird also keinesfalls diese Beschwerden bagatellisieren, etwa durch ständige Hinweise, dass die Klientin körperlich doch ganz gesund sei. Solche Hinweise wird er eher selten einmal geben, dabei aber vermeiden, den Eindruck zu erwecken, dass er die Beschwerden und damit das subjektive Leiden der Klientin gar nicht ernst nehme. Der Therapeut wird dann in einem zweiten Schritt behutsam den Hintergrund der Beschwerden thematisieren, die Angst vor der Einsamkeit und dem Verlassenwerden, indem er etwa fragt, wann die Beschwerden besonders einsetzen oder sich verschlimmern, welche Personen ihr dann besonders hilfreich seien, welche Art der Hilfestellungen von ihrer Umgebung dabei für sie besonders wichtig sei und welche Reaktionen ihrer Umwelt dabei besonders enttäuschend für sie seien. Der Therapeut fokussiert hier also auf das Beziehungserleben der Klientin gegenüber ihrer Umwelt, insbesondere gegenüber bedeutsamen Kontaktpersonen. Dabei wird zunehmend die Bedürftigkeit der Klientin hinsichtlich Sicherheit vermittelnder Nähe eines bedeutsamen Andern deutlich.
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In einem gewissermaßen dritten Schritt wird der Therapeut die Klientin anregen, über das Erleben dieser Nähe zu sprechen. Das kann dazu führen, dass die Klientin Schamgefühle thematisiert, so viel Nähe zu brauchen und damit so abhängig zu sein. Oder die Klientin wird vielleicht davon sprechen, vom zu geringen Nähe angebot des Anderen enttäuscht zu sein, und dann auch einen stillen Ärger oder gar Wut zu empfinden. Diesen Ärger und auch diese Scham würde der Therapeut aufgreifen mit dem Ziel, den inneren Zwiespalt der Klientin zu verdeutlichen, den Zwiespalt zwischen Anlehnungswunsch und Autonomiebedürfnis, zwischen dem Bedürfnis, umsorgt und gestützt zu werden, und der Scham, ein solches Bedürfnis überhaupt zu haben. Die Klientin soll so angeregt werden, nach ihrer Identität zu fragen, nach ihrem Selbstbild und Selbstideal. Dabei soll sie auch ermutigt werden, sich und ihren inneren Kräften zu vertrauen und Mut zu abgrenzender Selbstbehauptung zu entwickeln. Dieser Weg kann aber oft recht lang und mühselig sein. Im vorliegenden Fall hatte die Klientin lange Zeit immer wieder auf die Schwere ihrer Beschwerden verwiesen, die es ihr vermeintlich unmöglich machten, auch nur ansatzweise auf die Begleitung durch ihre Mutter zu verzichten. Auch ließ sie sich lange Zeit kaum dazu anregen, näher und differenzierter über die Beziehung zu ihrer Mutter zu berichten, geschweige, dass sie hier ambivalente Gefühle deutlich machen konnte. Manche Klienten neigen in dieser Phase auch dazu, im Therapeuten die große Stütze und Helferfigur zu sehen (Kast 1996). Das führt dann öfter dazu, dass sie ziemlich bald Gefühle von Enttäuschung, Frustration und Aggression andeuten, dass der Therapeut nicht uneingeschränkt zur Verfügung steht. Diese Gefühle könnte der Therapeut über das Beziehungsklären (Finke 2009) dann so aufgreifen, dass für die Klienten deutlich wird, dass solche »negativen« Gefühle akzeptiert und anerkannt werden. Das könnte die Klienten ermutigen, derartige Gefühle bei sich positiv zu
bewerten und dadurch in dem Weg zur Selbstfindung und Selbstbehauptung bestärkt zu werden. Das Schwierige bei diesen Klienten, so war es auch bei der genannten Studentin, ist oft die Gratwanderung zwischen bedingungsfreier und vorbehaltloser Annahme ihres Erlebens von Hilflosigkeit einerseits und der Ermutigung zum Verzicht auf Anlehnung und damit Anregung zur Selbstständigkeit andererseits. Denn es geht darum, dem Anlehnungsbedürfnis dieser Klienten nicht so entgegenzukommen, dass die Abhängigkeit vertieft wird, sie aber andererseits auch nicht mit Autonomieansprüchen zu überfordern. Bei der Studentin gelang eine Autonomieentwicklung nur ansatzweise. Immerhin nahm sie knapp ein Jahr nach Therapiebeginn ihr Studium wieder auf. Dr. med. Jobst Finke, Facharzt für Neu rologie und Psychiatrie, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Landesmedizinaldirektor. Von der Ärztekammer Nordrhein ermächtigter Weiterbilder für das Fach Psychotherapie. Ausbilder in der Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie (GwG) und der Ärztlichen Gesellschaft für Gesprächspsychotherapie (ÄGG). Eigene Praxis, Supervision und Weiterbildung. Literatur Finke, J. (1994). Empathie und Interaktion. Stuttgart. Finke, J. (2009). Gesprächspsychotherapie. Stuttgart. Freud, S. (1926). Hemmung, Symptom und Angst. Gesammelte Werke, Bd. XIV (S. 111–206). Frankfurt a. M. Heidegger, M. (1963). Sein und Zeit. Tübingen. Kast, V. (1996). Vom Sinn der Angst. Freiburg. Kierkegaard, S. (1844/1963). Der Begriff Angst. Reinbek. Klußmann, R. (1988). Psychoanalytische Entwicklungspsychologie, Neurosenlehre. Heidelberg. Rogers, C. R. (1987). Eine Theorie der Psychotherapie, der Persönlichkeit und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Köln. Stöber, J.; Schwarzer, R. (2000). Angst. In: Otto, J. H.; Euler, H. A.; Mandl, H. (Hrsg.), Emotionspsychologie (S. 189– 198). Weinheim. Stumm, G. (2014) Existenzielle Ebene. In: Stumm, G.; Keil, W. W. (Hrsg.), Praxis der Personzentrierten Psychotherapie (S. 167–178). Wien. Teusch, L. (2014) Angst und Zwangsstörungen. In: Stumm, G.; Keil, W. W. (Hrsg.), Praxis der Personzentrierten Psychotherapie (S. 215–226). Wien. Wakolbinger, C. (1996). Panikstörung und Selbstkonzept. Die Behandlung von Panikstörungen in der Personzentrierten Psychotherapie. In: Psychotherapie Forum, 4/1, S. 41–47.
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Im Würgegriff der Angst Weshalb es in bedrohlichen Situationen so hilfreich ist, dass die Angst den ganzen Körper erfasst
Gerald Hüther Ja, es stimmt. Angst macht uns hilflos, wir fühlen uns wie gelähmt, es schnürt uns die Kehle zu, das Herz rast, die Knie beginnen zu zittern, kalter Schweiß tritt auf die Stirn und die Haare – die wenigen, die wir Menschen im Vergleich zu den Affen noch haben – stehen uns zu Berge. Als ob der Gedanke an den bevorstehenden Verlust eines geliebten Menschen nicht schon bedrohlich genug wäre, spielt nun auch noch der ganze Körper verrückt. So gesellt sich zur ersten Angst vor dem Verlust nun allzu leicht noch eine zweite: die vor dem, was jetzt in unserem und mit unserem Körper geschieht. Recht leicht zu verstehen ist die Botschaft dieser ersten Angst. Lässt sie uns doch so eindringlich spüren, dass unser Leben auf bedrohliche Weise ins Wanken gerät, wenn ein geliebter Mensch uns für immer verlässt. Aber weshalb gibt es auch noch diese andere? Und was will die uns lehren? Bevor wir aber die Frage beantworten, warum es diese Angst gibt, müssten wir noch kurz klären, weshalb die Angst so funktioniert, dass wir es am ganzen Körper spüren. Die Physiologie der Angstund Stressreaktion Eine angstauslösende Bedrohung führt im Gehirn zur Mobilisierung sogenannter archaischer Notfallreaktionen. Aktiviert werden diese Reaktionen durch spezifische Auslöser auf der Ebene der Wahrnehmung (etwa bei einem Unfall), viel häufiger aber durch die subjektive Bewertung eines Ereignisses, oft auch im Vorfeld (etwa bei einer bevorstehenden Trennung), wobei es weni-
ger das Ereignis selbst ist, das die Angst auslöst, sondern die befürchteten Folgen dieses Ereignisses für sich selbst oder für Personen, mit denen man sich eng verbunden fühlt oder von denen man abhängig ist. Deshalb findet jede Angstreaktion im Gehirn dort statt, wo wir unsere Bewertungen vornehmen, also im Frontallappen, der komplexesten Region des menschlichen Gehirns. Dort kommt es immer dann, wenn wir eine Diskrepanz bemerken zwischen dem, was wir erwarten oder erhoffen, und dem, was wir real erleben oder wahrnehmen, zu einer unspezifischen Erregung, die sich zu einer Übererregung (Hyperarousal) aufschaukelt. Unter diesen Umständen ist aus den komplexen neuronalen Netzwerken des Frontalhirns kein »vernünftiges« handlungsleitendes Muster mehr aktivierbar. Das Verhalten, auch das Fühlen und die Reaktionen des Körpers werden jetzt von den tieferliegenden, früher herausgeformten und stabileren neuronalen Netzwerken bestimmt. Wenn kein Ausweg aus dieser Situation gefunden wird, übernehmen schließlich die archaischen Notfallprogramme im Hirnstamm das Kommando. Dann bleiben nur noch drei Verhaltensoptionen: Angriff; wenn das nicht geht: Flucht; und wenn beides nicht geht: ohnmächtige Erstarrung. Vernünftig denken kann man dann nicht mehr, auch nicht sich in andere Menschen hineinversetzen, Handlungen planen oder die Folgen einer Handlung abschätzen. Diese psychische Reaktionskette wird von einer Kettenreaktion auf körperlicher Ebene begleitet, die ebenso wie diese Notfallprogram-
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 12–15, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
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chen Kollateralschäden der eigenen »Feuerwehr«. Die wichtigste dieser Bremsfunktionen ist die Hemmung entzündlicher Prozesse. Eine dauerhafte Aktivierung dieses Systems und der damit einhergehende erhöhte Cortisolspiegel im Blut (bei Dauerstress) führen zu zum Teil langfristigen funktionellen und strukturellen Reorganisationsprozessen, die zu chronischen Beschwerden werden können wie erhöhte Krankheitsanfällig-
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Walter Gramatté, Die große Angst, 1918 / akg-images
me der S icherung des eigenen Überlebens dient und die als physiologische Stressreaktion bezeichnet wird. In einem ersten Schritt kommt es dabei zur Aktivierung des sympathico-adrenomedullären Systems, also zu einer verstärkten Ausschüttung von Noradrenalin an den Enden der Fortsätze, des den gesamten Körper durchziehenden sympatischen Nervensystems, und zu einer massiven Freisetzung von Adrenalin aus dem Nebennierenmark in den Blutkreislauf. Die Folge ist eine radikale Umstellung des Stoffwechsels und der Funktion aller Körperorgane in einen Modus, der der akuten Sicherung des Überlebens dient (Mobilisierung von peripheren Energiereserven, erhöhter Muskeltonus, Darmentleerung, Blutdruckanstieg etc.). Etwa zehn Minuten nach diesem sofort anspringenden und über das sympathische Nervensystem ausgelösten »Ret tungs system« kommt es zur Aktivierung einer zweiten, langsamer einsetzenden, aber dafür nachhaltiger wirksamen Reaktionskette des hypothalamo-hypophyseo- adrenocortikalen Systems. Am Ende dieser Kettenreaktion, in deren Verlauf auch ähnlich, wie Morphium wirkende endogene Opiate durch die Hypophyse in den Blutkreislauf ausgeschüttet werden, kommt es zu einer massiven Freisetzung von Cortisol durch die Zellen der Nebennierenrinde. Cortisol bremst vor allem die zum »Überhitzen« neigenden akuten Reaktionen ab, die durch die Freisetzung von Nor adrenalin und Adrenalin ausgelöst wurden. Es schützt also den Körper gewissermaßen vor mögli-
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keit durch Unterdrückung des Immunsystems, Osteoporose, Impotenz und anderes mehr. Die biologische Bedeutung der Angst Gäbe es die Angst mit ihren teilweise sehr unangenehmen Begleiterscheinungen nicht, wären wir nicht überlebensfähig. Wir brauchen die Angst, denn sie macht uns in unübersehrbarer und nicht verdrängbarer Weise darauf aufmerksam, dass Gefahr droht. Sie zwingt uns, nach geeigneten Bewältigungsstrategien zur Abwendung oder Überwindung dieser Bedrohung zu suchen. Und wenn wir eine Lösung für das angstauslösende Problem gefunden haben, ist alles gut, die Angst verschwindet und die physiologische Stressreaktion findet ein natürliches Ende. Die Angst ist kein angenehmes Gefühl und der Rückfall in archaische Notfallmuster der Verhaltenssteuerung ist kein beglückender Zustand. Deshalb sucht jeder Mensch in einer solchen Situation nach Lösungen, die dazu beitragen, ihm diese Erfahrung künftig zu ersparen. Meist wird dann eine der beiden Möglichkeiten gewählt: Entweder man verändert die Verhältnisse, die die Angst auslösen, und versucht so, die Welt und die anderen Menschen an sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse anzupassen. Oder man verändert sich selbst und versucht sich und seine eigenen Bedürfnisse an die jeweils herrschenden Verhältnisse anzupassen. Beides kann sich zumindest eine Zeitlang als geeignet erweisen, um solche angstauslösenden Diskrepanzen zwischen der eigenen Erwartungshaltung und
den eigenen Kompetenzen und der realen Welt zu vermeiden. Nur wenigen Menschen gelingt eine dritte Form der Veränderung, die sich als Bewusstseinswandel manifestiert. Auf dieser Stufe wird weder eine Veränderung der Verhältnisse noch des eigenen Verhaltens als wichtigste Voraussetzung zur Überwindung der Angst betrachtet, sondern es wird eine andere Bewertung des im Außen erlebten Geschehens im eigenen Inneren angestrebt. Grundlage dieser neuen Bewertung ist eine veränderte Haltung, eine andere Einstellung gegenüber dem Leben und dem, worauf es im eigenen Leben wirklich ankommt. Hier geht es also eher um das Wiederfinden von etwas, was man angesichts von Leistungsdruck und Erfolgsstreben oder auch durch eingefahrene Gewohnheiten und Alltagsroutinen verloren hat. So erweist sich also die Angst als eine in unserem Gehirn und in unserem Körper ausgelöste Reaktion, die uns zu einer eigenen Weiterentwicklung zwingt. Die versteckte Botschaft der Angst vor der Angst Die mit der Angstreaktion einhergehende verstärkte Noradrenalin-Ausschüttung führt im Gehirn zur Mobilisierung von Energiereserven und einer Arousal-Reaktion, die wachrüttelt und die Aufmerksamkeit auf das Problem lenkt, das es zu bewältigen gilt. Ist das geschafft, kehrt wieder Ruhe ein, die periphere sympathische Aktivierung wird abgestellt, im Gehirn wird noch ein
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Mr. Nico / photocase.de
Die mit der Angstreaktion einhergehende verstärkte Noradrenalin-Ausschüttung führt im Gehirn zur Mobilisierung von Energiereserven und einer Arousal-Reaktion, die wachrüttelt und die A ufmerksamkeit auf das Problem lenkt, das es zu bewältigen gilt.
Schwapp Dopamin und Endorphin ausgeschüttet und man erlebt einen Zustand, als hätte man gleichzeitig eine kleine Dosis Kokain und Heroin eingenommen. Erfolgserlebnis nennt man das und ohne solche Erfolgs- und Aha-Erlebnisse wäre das Leben grau und eintönig. Weil die verstärkte Ausschüttung von Dopamin gleichzeitig zur Bahnung und Verstärkung der zur Lösung des Problems aktivierten neuronalen Verschaltungen führt, wird man bei der Bearbeitung solcher und ähnlicher Herausforderungen immer besser. Aus den anfänglich noch sehr schwachen Verknüpfungen werden, je häufiger ein Problem auf die gleiche Weise gelöst wird, allmählich immer besser nutzbare Nervenwege, dann »Straßen« und am Ende sogar »Autobahnen«. Und von diesen kommt man später oft nur schwer wieder herunter. Wer also Probleme immer wieder auf die gleiche, eingefahrene Weise zu lösen versucht, sitzt allzu leicht fest und gerät in Angst und Panik, wenn eine Situation entsteht, für die eine innovative Lösungsstrategie gefunden werden müsste. Vor allem solche Personen, die bisher extrem erfolgreich bestimmte Strategien eingesetzt haben, um alles, was ihnen Angst macht, unter Kontrolle zu halten und zu beherrschen (auch sich selbst), verlieren auf diese Weise leicht den Kontakt zu ihrem Körper. Oft betrachten sie ihn sogar als ein Instrument, das es zu kontrollieren gilt und das optimiert werden muss, um die von ihnen angestrebten Ziele zu erreichen. Je länger und je erfolgreicher solche Menschen auf diese Weise unterwegs sind, desto stärker verlieren sie
das Gefühl für ihren eigenen Körper. Sie werden gewissermaßen taub für die dort generierten Signale. Und es sind dann zwangsläufig vor allem solche Personen, die äußerst große Mühe haben, den beispielsweise mit dem Verlust einer von ihnen geliebten Person einhergehenden Kontrollverlust zu ertragen. Die dadurch ausgelösten körperlichen Reaktionen machen ihnen Angst, aber diese Angst wird nun nicht durch das konkrete Ereignis, sondern durch die ihnen so fremd gewordenen Reaktionen ihres eigenen Körpers ausgelöst. Hier hilft langfristig nun all das nicht mehr weiter, was sie normalerweise bisher immer wieder erfolgreich eingesetzt hatten: Verdrängung, Ablenkung, Aufregung, auch nicht noch mehr Arbeit oder Urlaub. Solche Personen müssten lernen, die hinter dieser Angst verborgene Botschaft zu verstehen: Sie müssten sich mit dem Umstand anfreunden, dass sich im Leben nicht alles kontrollieren lässt. Oder positiver: Sie müssten die Demut wiederentdecken, die darin besteht, das Leben bisweilen auch einfach so anzunehmen, wie es ist. Gerald Hüther zählt zu den renommiertesten Hirnforschern im deutschsprachigen Raum. Er interessiert sich vorwiegend für die frühen Erfahrungen im menschlichen Leben und deren Einfluss auf die Hirnentwicklung, wozu vor allem emotionale Reaktionen wie Angst und Stress gehören. Er ist Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung. Website: www.gerald-huether.de
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Die Botschaft der Angst verstehen und ihr heilsam begegnen Barbara Jöbstl Angst ist ein Phänomen, das uns zurzeit wohl wieder mehr denn je beschäftigt. Besorgniserregende weltpolitische Entwicklungen, Kriege, Terroranschläge, Menschen auf der Flucht, steigende Kriminalität, zunehmende Arbeitslosenzahlen, Wirtschaftsrezession, Inflation, wachsende Staatsschulden, steigende Migrantenzahlen weisen in eine ungewisse und für viele Menschen ängstigende Zukunft. Nichtsdestotrotz leben wir hier in unseren westlichen Industrieländern nach wie vor relativ in Sicherheit und in einem noch nie gehabten Wohlstand, dessen Verlust gefürchtet wird. Dem Bedürfnis nach Sicherheit wird versucht durch den Abschluss diverser Versicherungen und Vorsorgemaßnahmen Rechnung zu tragen, um so bei Eintreten der befürchteten Katastrophen den Schaden möglichst gering zu halten. Neben diesen Ängsten, die auf die Unberechenbarkeit in der Welt verweisen, kennen wir Ängste, die unsere eigene Zerbrechlichkeit und Unzulänglichkeit vor Augen haben. Wir fürchten, dass nahestehenden Menschen oder uns selbst etwas zustoßen könnte, Krankheit, letztlich Sterben und Tod. Situationsbezogene Ängste fürchten etwa das Erröten, Schwitzen bei bedeutsamen Ereignissen oder ein Blackout bei der Prüfung, weite Plätze, die Fahrt durch den Tunnel, im Stau zu stehen … und so ließe sich die Liste der Ängste, die uns plagen können, unendlich fortsetzen. Tagtäglich wird uns also bewusst, dass wir der Angst nicht entrinnen können, dass es keine absoluten Sicherheiten gibt und tatsächlich immer alles Mögliche passieren kann. Bevor wir uns der Frage zuwenden, wie der Mensch dieser Tatsache und damit der Angst heil-
sam begegnen kann, schauen wir uns das Phänomen Angst an. Was ist Angst? Woher kommt sie? Wofür ist sie gut und wozu fordert sie uns heraus? Was ist Angst? Die Angst ist definiert als ein generalisierter Erregungszustand angesichts des Erlebens von Bedrohung oder Gefahr (A. Längle 1990/97, S. 59). Die Begegnung mit Angst auslösenden Situationen erzeugt durch Aktivierung des sympathischen Nervensystems körperlich, psychisch und geistig blitzartig eine Reaktionsbereitschaft, die psychodynamische Schutzreaktionen, sogenannte Coping-Reaktionen, in Gang setzt. Diese setzen entsprechend spontaner, meist unbewusster Einschätzung der Gefahr in Form von Flucht, Vermeidung, Kampf, Aggression oder Todstellreflex ein mit dem Ziel, das Überleben zu schützen. Angst weist uns also darauf hin, dass Leben in Gefahr ist, und hat damit lebenserhaltende und schützende Funktion und ist solcherart zum menschlichen Sein gehörig. Die gesunde Angst erkennt dabei reale Gefahren und führt zu Schutzhandlungen, die der Situation angemessen sind. In der krankhaften Angst haben sich die Angstgefühle verselbstständigt und treten in Situationen auf, die objektiv nicht gefährlich sind, den Betroffenen jedoch in Alarmbereitschaft versetzen und ihn zumeist zur Flucht oder Vermeidung veranlassen. So können Ängste die Person gefangen nehmen, sich hartnäckig einnisten und einen freien Lebensvollzug behindern. Angst kann also pathologisch werden, zur Angststörung entarten und zum Verlust von Leben führen.
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 16–22, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
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Die Angst als Existenzial Es ist im Besonderen ein Verdienst der Existenzphilosophie, die Angst als Existenzial, als conditio humana, als Bedingung des Menschseins und damit auch als Wert zu sehen. Die Angst gehört aus existenzphilosophischer Sicht wesentlich zum Menschsein dazu, ist der menschlichen Existenz immanent (Wicki-Distelkamp 2003, S. 31). Wir befinden uns in einer Welt, in einem Sein, das uns in seiner Tiefe nicht fassbar ist, letztlich also Geheimnis und damit unheimlich bleibt. Wir sind konfrontiert mit den Unabwägbarkeiten des Lebens, mit seinen Verletzlichkeiten und Brüchigkeiten, mit der steten Möglichkeit des Scheiternkönnens und nicht zuletzt mit der Endlichkeit, Sterblichkeit als unauslöschliches Faktum unseres Seins, das uns potenziell täglich unvorbereitet treffen kann. Die Angst verweist uns genau darauf, erinnert uns an die Begrenztheit unseres Seins und fordert uns heraus, uns damit auseinanderzusetzen. So betrachtet ist die Angst kein Übel, das bekämpft, wegbehandelt, überwunden werden muss, sondern eine dem Leben innewohnende Kraft, die uns aufrütteln will, Nachschau zu halten, ob wir uns auf der uns gemäßen Lebensspur befinden. Die Existenzphilosophie geht so weit, zu sagen, dass Angst unerlässlich ist, um zu einem gelingenden Leben zu finden. Sie wirft uns radikal auf uns selbst zurück, lässt sich nicht
abschütteln und nicht delegieren, und macht uns deutlich, dass wir unser Dasein je eigentlich zu bestreiten haben (Wicki-Distelkamp 2003, S. 33). Das existenzanalytische Verständnis der Angst Die Existenzanalyse sieht das Wesen der Angst in der Bedrohung des Menschen in seinem Daseinkönnen verbunden mit dem Gefühl von Haltverlust. Der Haltverlust betrifft eine (oder mehrere) der vier strukturellen Ebenen (Grundbedingungen) der Existenz. Alfried Längle beschreibt mit den vier Grundmotivationen eine Struktur der Existenz aus vier Grundbedingungen, die bejaht sein müssen, damit Leben erfüllend gelingen kann. • Die erste Grundbedingung beschreibt die Tatsache des faktischen In-der-Welt-Seins, die uns vor die Frage stellt, ob wir in dieser Welt genug Schutz, Raum, Halt finden und ob wir die Kraft und die Fähigkeit haben, die Bedingungen der Welt und unseres Seins auszuhalten und anzunehmen. • Die zweite Grundbedingung sieht den Menschen in seiner Lebendigkeit und Wertfühligkeit, was ihn vor die Frage stellt, ob sich das Leben für ihn wertvoll und lebenswert anfühlt, sodass er in Beziehungen zu Menschen und Werten in eine positive Resonanz mit dem Leben kommen kann. • Die dritte Grundbedingung thematisiert die Person in ihrer Individualität, ihrer Einzigartigkeit, und stellt damit die Frage nach der
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Betroffene leiden oft so sehr, dass sie das Leben nicht mehr lebenswert empfinden und sogar suizidal werden. Es wundert nicht, dass sie die Angst weg haben wollen und sich meist mit diesem Anspruch an uns als Psychotherapeuten oder Ärzte wenden. Die Angst jedoch nur als psychopathologisches Phänomen zu sehen, wäre zu kurz gegriffen und würde ihr nicht gerecht werden.
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Mark Manders, Girl Study, 2013. 43,0 (h) × 14,5 × 37,0 cm, Wood, painted wood, painted epoxy, painted wig. Photographer: Roger Willems. Courtesy Zeno X Gallery, Antwerp & Tanya Bonakdar Gallery, New York
So kann die Person im Abgrund der Angst den Grund finden, der da immer noch trägt, ein letztes tiefes Gehaltensein jenseits alles Substanziellen kann erfahren oder wenigstens erahnt werden und so das Sterben in das Leben hereingenommen werden.
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Berechtigung des eigenen Soseins, der Wertschätzung für sich selbst als Person und der Begründung des Selbstwertes im eigenen Sosein. • In der vierten Grundmotivation geht es um die Frage nach dem Sinn im eigenen Leben durch Verwirklichung von Werten und Aufgaben im eigenen Lebenskontext und Perspektiven in eine Zukunft hinein. Entsprechend den haltgebenden Momenten der vier Grundbedingungen beschreibt die Existenzanalyse vier Erscheinungsweisen der Angst (A. Längle 1990/97, S. 63). • Entsprechend der ersten Grundmotivation spricht A. Längle von der Grundangst oder Daseinsangst als basale Angst, die um das nackte Dasein fürchtet, in der der Tod als Sturz in einen unendlichen Abgrund als vernichtend erlebt wird. Grundangst kann durch Verlust haltgebender Strukturen aufbrechen, wie etwa Naturkatastrophen, Krieg, Gewalt, Konfrontation mit Tod, Verlust von Angehörigen, Arbeitsplatzverlust, Krankheit und anderes mehr. • Die Angst der zweiten Grundmotivation, die Grundwertangst, fürchtet darum, dass das Leben nicht mehr lebenswert ist. Diese Angst fürchtet Beziehungsverlust, Verlust von Dingen, an denen das Herz hängt, sodass Leblosigkeit und Kälte im Leben drohen. • Die Angst der dritten Grundmotivation, die Selbstwertangst, fürchtet den sozialen Tod, den Verlust des Ansehens, Gesichtsverlust, den Fall in eine peinliche, einsame, schmerzende Gewöhnlichkeit, die Angst, nichtig und niemand zu sein. • Die Angst der vierten Grundmotivation, die Existenzangst, fürchtet den existenziellen Tod durch Scheitern der eigenen Existenz an der Sinnfrage; die Angst, vergeblich gelebt zu haben.
Eine Erschütterung auf einer dieser vier Ebenen durch Konfrontation mit Krankheit, Leid, Tod, Verlust von Wertvollem, Angriffe auf das eigene Sosein durch Entwertung, Demütigung, Peinlichkeit oder durch Aufbrechen der Sinnfrage kann zu einem Erleben von Haltverlust führen, einem Gefühl, wie aus der Welt zu fallen, den Halt in ihr zu verlieren oder des Haltes in sich selbst verlustig zu gehen. Solche Erfahrungen konfrontieren uns mit unserer Verletzlichkeit, Endlichkeit und Unverlässlichkeit in der Welt. Wenn der Halt in der Welt und in sich selbst nicht wiedergefunden wird, der erlebte Haltverlust unverarbeitet bleibt, kann sich ein chronisches Gefühl von überall lauernder Unsicherheit breitmachen, das sich im klinischen Bild der generalisierten Angststörung manifestieren kann. Als Reaktion auf eine erlebte Grundangst kann sich die Angst als Erwartungsangst vor bestimmten Objekten und Situationen bündeln, wie wir es bei den Phobien kennen. Diese ist als angstabwehrende Haltung beziehungsweise als Schutzhaltung zu verstehen, die es als das Schlimmste ansieht, solch eine Angst noch einmal erleben zu müssen (Angst vor der Angst). Durch die thematische Eingrenzung in der Erwartungsangst wird die Angst kontrollierbarer und vermeidbarer, indem die angstmachenden Situationen dann systematisch gemieden werden. Betroffene erkennen die Unsinnigkeit und Unmäßigkeit ihrer Angst, Wille und Vernunft können sie jedoch nicht bezähmen. So bleiben zur Bewältigung nur die eingangs genannten CopingReaktionen, durch deren Fixierung es zu Lebenseinengung kommt. Das Problem in der Angststörung ist also der inadäquate Umgang mit der Angst, der die Angst vermeiden und gegen sie ankämpfen will, anstatt sie zu bejahen, zu integrieren, ihre Botschaft zu bergen und zu verstehen. Es braucht Mut und Vertrauen, sich auf eine Welt mit ihren Unsicherheiten und ein Leben mit all den potenziellen Gefahren und dem stetig
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gegenwärtigen Restrisiko einzulassen. Mut und Vertrauen als Haltung zur Angst hat als Basis ein Grundvertrauen, das Vertrauen in ein letztes tiefes Gehaltensein (S. Längle, 2003, S. 59). Dem ängstlichen Menschen fehlt dieses Grundvertrauen, er sieht die Welt durch die Brille der Abgründigkeit, in der das Restrisiko zum Hochrisiko wird, die befürchteten Möglichkeiten Wirklichkeitscharakter bekommen und die überall lauernden Gefahren nur durch Kontrolle, Vermeidung und Schaffen von Scheinsicherheiten aushaltbar werden. Die Angst verstehen Angst rüttelt wach und verweist uns auf die Untiefen unseren Seins. Es gibt in der Welt Terror, Gewalt, Naturkatastrophen, Krankheitsepidemien, unser Körper kann erkranken, wir altern und werden sterben. Flugzeuge können abstürzen, Beziehungen können brechen, Besitz kann uns genommen werden, der Arbeitsplatz kann verloren gehen, eine Prüfung kann misslingen, die Stimme kann beim Vortrag versagen und der Lebensplan kann sich als fehlgeschlagen erweisen. Oft hören wir von Patienten den Satz: »Ich fürchte mich vor dem Sterben, weil ich das Gefühl habe, noch nicht richtig gelebt zu haben!« Das ist also der Appell beziehungsweise die Frage der Angst: Lebst du wirklich in Zustimmung, mit einem Ja zu den Grundbedingungen der Existenz? Bist du bereit, mit den Bedingungen in der Welt zu leben und dich mit deinen Möglichkeiten und Fähigkeiten zu bescheiden? Lebst du in Fühlung mit deinen Werten und Beziehungen? Bist das du selbst in deiner Authentizität? Entspricht dein Leben dir und deinem Wesen gemäß deinen Möglichkeiten und Grenzen und erlebst du deine Aufgaben in deinem Kontext als sinnstiftend? Ist da ein Boden zum Weitergehen in eine Zukunft? So alarmiert uns die Angst, zeigt auf, wo dieser Boden brüchig ist und wir den Seinskontakt zu verlieren drohen, weil wir die Realität mit ihren Bedingungen einschließlich der Unsicherheiten
nicht bereit sind anzunehmen. Angst lauert, wo wir nicht lassen, was wir nicht machen können, sondern durch Kontrolle und Absicherung versuchen, die Welt unseren Vorstellungen unterzuordnen. Die Angst bietet uns die Möglichkeit, das zu erkennen, unsere Grenzen und die Begrenztheit allen Seins zu akzeptieren, denn nur auf dem Boden einer angenommenen Realität kann sich Leben entfalten. Voraussetzung dafür ist, dass wir nicht trachten, die Angst bloß loszuwerden, sie zu bekämpfen, sondern sie zunächst einmal sein zu lassen, ihr zu begegnen und sie zu verstehen in ihrer Botschaft als Hüterin unseres Lebens. Fragen an uns selbst Lebe ich im Gewahrsein der Endlichkeit? Traue ich mich, der Tatsache des Sterbenmüssens ins Auge zu schauen? Kann ich mich auf das Leben einlassen trotz und mit allen Unabwägbarkeiten und Hässlichkeiten in der Welt? Oder trage ich in mir eine Stimmung von lauernder Gefahr, vielleicht von Kind an, vielleicht weil es mir von einer ängstlichen Mutter so vermittelt wurde? Trage ich Erfahrungen in mir, die mir den Boden unter den Füßen entzogen haben, Schicksalsschläge, Verluste, Leiderfahrungen? Habe ich diese Erfahrungen integriert, getrauert, Abschied genommen und meinen Lebensmut wiedergefunden? Sind die Wunden geheilt oder bloß zugedeckt durch Pflaster des Vergessens oder Verdrängens? Lebe ich meine Werte und Beziehungen sorgsam und kann ich sie auch lassen? Oder neige ich zu klammern, festzuhalten aus Angst vor Verlust, aus Angst, den Verlust dieser Beziehung, dieses Wertes (Beruf, Freunde, Hab und Gut …) nicht aushalten zu können? Gibt es Verluste in meiner Biographie, die ungetröstet, unbetrauert und damit unverarbeitet geblieben sind?
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Wo identifiziere ich mich vielleicht zu sehr mit Macht, Besitz, Status, Leistung und kann schwer loslassen aus einem Gefühl heraus, dann niemand mehr zu sein? Fühle ich mich angesprochen von Sinn und Werten in der Welt und ergreife ich sie, verwirkliche ich meine Werte oder neige ich dazu, mich nicht zu entscheiden, aufzuschieben …? Lebe ich so, dass ich mit mir derart in eine Zukunft gehen mag? Kann ich das Leben auch dann noch als sinnvoll erleben, wenn Lebenspläne nicht aufgegangen sind, mir das Schicksal Leidvolles zugemutet hat? Klingt in diesen Fragen etwas an, das auf eine Verbindung zu einer aufgebrochenen Angst verweisen könnte? Durch solch einen Blick auf die existenziellen Grundbedingungen kann eine Spur zu einem Verständnis der Angst und ihren Wur-
William Turner, Sonnenuntergang über dem See, um 1840/ akg-images / Cameraphoto
Konnte ich etwas nicht leben, was mir wertvoll gewesen wäre (Beruf, Kinderwunsch, Lebens pläne …) und habe ich diese unerfüllten Möglichkeiten verabschiedet, losgelassen, beweint? Wo überhöhe ich vielleicht einen Wert und setze ihn absolut, mache mein Wohlergehen abhängig davon? Finde ich mich in meinem Wesen wieder, so wie ich lebe? Bin das ich? Entspricht mir dieses Leben, komme ich als ich selbst vor in meinen Wirkbereichen, in meinen Beziehungen? Kann ich zu mir selbst stehen und mich schätzen für mein Sosein und kann ich auch meine Fehler und Unzulänglichkeiten akzeptieren, oder muss ich sie verbergen vor mir selber und vor anderen? Kann ich mich zeigen mit meinen Meinungen, Werthaltungen und kann ich mich gut abgrenzen und das Meinige schützen?
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zeln gelegt werden. Es gilt, die Botschaft zu bergen, Unbewältigtes zu verarbeiten und zu integrieren, Verluste zu betrauern und Ausstehendes anzugehen. Die Angst fordert, uns der Endlichkeit und Begrenztheit zu stellen, den Tod als Bedingung des Lebens anzunehmen und schließlich die Angst selbst als integralen Bestandteil des Lebens und in ihrem richtungsweisenden Charakter anzunehmen. Behandlung der Angst Mittels verhaltenstherapeutischer Methoden und der von V. Frankl beschriebenen Dereflexion und Paradoxen Intention sowie der von A. Längle entwickelten Methode der Personalen Positionsfindung kann ein Umgang und damit etwas mehr Freiraum und ein gewisser Schutzwall gegenüber der Angst gewonnen werden. Jedoch dahinter lauert die Angst ungebrochen und kann jederzeit neu hereinbrechen und so wiederum zwingen, gegen sie zu opponieren, ihr mittels erlernter Methoden zu trotzen und standzuhalten. Letztlich bleibt die Person damit aber in einem Modus des Ankämpfens, des sich VomLeib-Haltens der Angst, was mehr und mehr ermüdet und nichts daran ändert, dass die Angst als etwas Fremdes und Bedrohliches gegenwärtig bleibt und bekämpft werden soll (C. Probst, 2003, S. 46).
Durch das gedankliche und ins Erleben geführte Wirklich-werden-Lassen dessen, was ja als Möglichkeit stets präsent ist, kann die Person den damit einhergehenden gefühlten Verlust in einem Prozess des Abschiednehmens betrauern. Sie kann zu Ungelebtem wie auch zu den gelebten Werten Beziehung aufnehmen, trauern, loslassen von allem Seienden, von allem Machbaren. So kann sie im Abgrund der Angst den Grund finden, der da immer noch trägt, ein letztes tiefes Gehaltensein jenseits alles Substanziellen kann erfahren oder wenigstens erahnt werden und so das Sterben in das Leben hereingenommen werden. Daraus kann diese Art von Seinsgelassenheit geboren werden, die den Tod in das Leben hereinnimmt, die das Scheitern akzeptiert, die die menschlichen Grenzen aller Machbarkeit anerkennt. Und das ist das Heilsame, die Bedingungen des Lebens und sich selbst in der eigenen Begrenztheit anzunehmen, sich in Demut diesem Ausgeliefertsein in der Existenz zu ergeben, innerhalb der Grenzen und Begrenztheit des Lebens das uns Wertvolle und Mögliche zu verwirklichen und die Angst hereinzunehmen, zu integrieren als Konstituens des Daseins, das uns die »Via regia« zur Existenz weisen kann.
Dr. med. Barbara Jöbstl ist Ärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapeutin Existenzanalyse und Logotherapie, Lebens- und Sozialberaterin, Lehrtherapeu tin und Lehrsupervisorin der GLE-I, Lehrbeauftragte der MedUni Graz.
Der Angst heilsam begegnen Die von A. Längle entwickelte Methode der Angstkonfrontation geht hier wesentliche Schritte weiter. Sie leitet stufenweise dialogisch an, das Befürchtete bis zum Schlimmsten, das passieren könnte, gedanklich eintreten zu lassen, und sucht dabei auf jeder Stufe nach den haltgebenden Momenten. So werden die gefürchteten Möglichkeiten in der Vorstellung Wirklichkeit bis hin zur befürchteten physischen, psychischen oder geistigen Vernichtung. A. Längle bezeichnet dies als »Durchschreiten des Tores des Todes«.
E-Mail: [email protected] Literatur Frankl, V. E. (1987). Ärztliche Seelsorge. Frankfurt a. M. Längle, A. (1990/97). Existenzanalyse der Angst. In: Unterlagen für Ausbildner: Angst. 2012. Längle, S. (2003). Grundzüge eines existenzanalytischen Ver ständnisses von Angst. In: Existenzanalyse, 20, 2, S. 57–61. Probst, C. (2003). Wider die Trotzmacht des Geistes. In: Existenzanalyse, 20, 2, S. 42–47. Wicki-Distelkamp, C. (2003). »Es war nichts …« In: Existenzanalyse, 20, 2, S. 30–36.
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Kränkung – der krankmachende Vertrauensverlust Reinhard Haller rapeutisches Kränkungskonzept. Kränkungen sind aber eine psychologische Großmacht, die zu Krisen und Krankheit, ja zu Kriminalität und Krieg führen können. Schon Hildegard von Bingen hat gesagt: »Was kränkt macht krank.« Ausgehend von dieser These kann man Kränkungen tatsächlich als Ursache von vielen psychischen, aber auch körperlichen Leiden erkennen: von Selbstwertzweifeln und Neurosen, von Depressionen und Suchterkrankungen, von psychosomatischen Leiden und krisenhaften Entwicklungen. Kränkungen können schicksalsbestimmend sein und die Lebensqualität entscheidend verschlechtern. Sie führen zu Depressivität, Rückzug und Verbitterung. Immer lösen sie Verun-
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Unter den mannigfachen Faktoren, welche unser Urvertrauen angreifen, nehmen Kränkungen einen besonderen Stellenwert ein. Kränkungen sind nicht so dramatisch wie Schicksalsschläge oder Psychotraumata. Sie entfalten ihre Wirkung nicht akut, sondern langfristig, vergleichbar einer chronischer Entzündung, die den Menschen zermürben und oft erst nach Jahren zum Zusammenbruch führen kann. Kränkungen werden verdrängt und tabuisiert, manchmal sind sie den Betroffenen nicht einmal bewusst. Wegen ihrer scheinbaren Bedeutungslosigkeit werden sie in Medizin und Therapie wenig beachtet. Es gibt nicht einmal eine wissenschaftliche Kränkungsdefinition, geschweige denn ein the-
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sicherung und Angst aus und bewirken einen tiefgreifenden Vertrauensverlust: Sie mindern das Vertrauen in andere und letztlich jenes in sich selbst.
Umgang mit Flüchtlingen und Migranten übersehen wir all zu oft, welch hohen Stellenwert Ehre und Würde in ihrem Herkunftsmilieu im Gegensatz zur westlichen Kultur haben. Scham, Schämen und Beschämung haben immer einen klar fassbaren Grund, und zwar eigene Fehler oder Das psychologische Wesen der Kränkung persönliche Schwäche. Siechtum, Hilflosigkeit Kränkungen sind mehr als negative Emotionen. und Pflegebedürftigkeit lösen regelhaft SchamEigentlich handelt es sich um soziale Interaktio- gefühle aus, weil sich der Betroffene bloßgestellt nen, die sich zwischen drei Polen abspielen: jenem und in seiner Intimität verletzt fühlt. Scham, die der kränkenden Person beziehungsweise dem immer negativen Stress bedeutet und mit AngstKränkungsabsender, dem Kränkungsempfänger und Schuldgefühlen verbunden ist, macht uns beziehungsweise dem gekränkten Menschen und aber auch unsere Verletzlichkeit bewusst und dem Kränkungsinhalt, der soöffnet das innere Auge. Sie hat Tiefenpsychologisch genannten Kränkungsbotschaft. drei wesentliche Funktionen: Die eigentliche Kränkung ist der liegt jeder Kränkung die Sie wird als Erziehungsfaktor zwischen diesen drei Eckpfeiemotionale Urangst vor und Strafe eingesetzt, dient lern ablaufende Prozess, welcher der Regulierung unseres VerLiebesvorenthalt oder haltens, beschützt aber auch bei jedem Menschen anders ist. Je wichtiger der kränkende Part Liebesentzug zugrunde. unsere persönliche Integrität. im Erleben des Empfängers ist, Die tiefste Form der Kränje mehr Werte und nicht verheilte Wunden be- kung ist die Demütigung. Als erzwungene Errührt werden und je größer der in jeder Krän- niedrigung eines Menschen bedeutet sie Entwerkung enthaltene wahre Kern ist, desto schwerer tung, Diffamierung, Beschämung und Verletzung fällt die Verletzung aus. Zum Wesen der Kränkung in einem. Sie verletzt Stolz, die Ehre und Würgehören die Verletzung unseres Gerechtigkeits- de des Menschen und bringt ihn in eine völlig sinns und die Enttäuschung, die ja nur möglich wehrlose Position. Niemals darf es in Erziehung ist, wenn zuvor jemand getäuscht worden ist. Tie- oder Pflege zu Demütigungen kommen, die Folfenpsychologisch liegt jeder Kränkung die emo- gen können verheerend sein. tionale Urangst vor Liebesvorenthalt oder LiebesWird das Leben eines Menschen durch anentzug zugrunde. Dazu gehört auch die fehlende haltende Kränkung durch und durch negativ gePositivresonanz, wie sie in Erziehung und Pflege tönt, spricht man von Verbitterung, einer diabovon größter Bedeutung ist. Die ultimative Krän- lischen Mischung aus Frustration, Resignation, kung ist wohl das Wissen um die eigene Endlich- Ohnmacht, Wut und Aussichtslosigkeit. So bekeit, also die Konfrontation mit dem Tod. trachtet kann man Verbitterung als die unheilbare Form der Kränkung bezeichnen. Sie bedeutet ein »Seelengefängnis«, aus dem kaum noch ein Formen der Kränkung Ausweg zu finden ist. Verbitterte Menschen sind Zum breiten Spektrum der Kränkungen zählen enttäuscht vom Leben, von den scheinbar ververschiedene Störungsbilder wie Beleidigung, ständnislosen Mitmenschen, ja von sich selbst. Beschämung, Demütigung und Verbitterung. Verbitterungsstörungen finden wir besonders Die Beleidigung ist die gesellschaftlich allgemein häufig bei Mobbingopfern, bei den Verlierern anerkannte Form der Kränkung, die als Ehrdelikt eines Rosenkrieges, unter chronisch Kranken strafrechtlich verfolgt werden kann. Gerade im und pflegebedürftigen Menschen.
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Kränkungen lassen sich nicht vermeiden, da man »nicht nicht gekränkt sein kann« und »nicht nicht kränken kann« – oft geschieht dies unabsichtlich und unbewusst. Entscheidend ist also, wie wir in einer Welt voller Kränkungen zurechtkommen und Kränkungen vermeiden und überwinden können. Da Kränkungen meist tabuisierte und verdrängte Prozess sind, gilt es zunächst all das zu identifizieren und anzusprechen, was uns kränkt. Allein dadurch verlieren die Kränkungen einen Teil ihres Schreckens, da sie dann nicht mehr den Status als »unsichtbarer Feind« einnehmen. In einem weiteren Schritt ist es erforderlich, die »Lufthoheit« über das Kränkungsgeschehen zu erobern. Die eigene Person soll bestimmen, was und wer sie kränken kann, ob Kränkungen überhaupt an das Selbst herankommen können, welche Botschaft ihnen zu entnehmen ist und wie die persönliche Kränkungsreaktion ausfällt. Man darf es nicht anderen überlassen, ob man durch Kränkungen zu Fall gebracht wird, ob es zu Widerstand und Gegenangriffen, zu innerer Emigration oder Rache kommt. Wenn es gelingt, die Motive des kränkenden Mitmenschen zu erfassen, in dessen Haut schlüpft und die Kränkungsbotschaft zu analysieren, erträgt man Beleidigungen und Verletzungen viel leichter. Oft ist es erforderlich, Kränkungen mit anderen zu besprechen und einen Perspektivenwechsel vorzunehmen, herauszukommen aus der Fokussierung auf die eigenen Verwundungen. Im Idealfall können Kränkungen zu positiven Kompensationen anregen. Sie dienen der Selbstkenntnis, in dem sie uns auf wunde Punkte und verschattete Anteile unserer Persönlichkeit
Die größte Chance im Umgang mit Kränkungen liegt in der Förderung unserer Empathiefähigkeit.
hinweisen. Sie helfen uns, andere Menschen kennenzulernen und von diesen ein umfassenderes Bild zu bekommen. Eine Form der Kränkungsbewältigung steht über allen anderen, sie ist edel und zutiefst human: das Verzeihen, das oft ein Versöhnen mit sich selbst ist. Die größte Chance im Umgang mit Kränkungen liegt in der Förderung unserer Empathiefähigkeit. Durch genaues Hineinhorchen in mögliches Kränken und Gekränktsein können wir den Mitmenschen in seiner ganzen Empfindsamkeit erfassen, auch uns selbst. Wenn wir einem anderen signalisieren, dass wir seine innere Verletzlichkeit ernstnehmen und seine Kränkungsgrenze beachten, wird er jenes Vertrauen wiedergewinnen, das ihm durch die Kränkungen des Lebens verloren gegangen ist.
Fotostudio Rainer Petra, Hard
Prof. Dr. med. Reinhard Haller, Psychiater und Neurologe, ist Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik mit dem Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen. Als einer der renommiertesten Gerichtspsychiater Europas wird er immer wieder mit der Begutachtung in großen Kriminalfällen betraut.
August Macke, Spiegelbild im Schaufenster, 1913 / INTERFOTO / IFPAD
Bewältigung von Kränkungen
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Gedankenschleife No. 5 Isabella Hemmann
Sei Dir gewiss: Dein Ich kennt die Angst. Sei Dir bewusst: Erkennst Du Dich, erlöst sich die Angst mit dem Ich. Ohne die anderen hätte Ich keine Angst, denke Ich. Vielleicht sogar: Ich habe gar keine Angst, sie kommt von außen, ist nur der Stress, die Arbeit, die Politik, was so alles in der Zeitung steht – und erst die sozialen Medien Ich lese und sehe trotzdem weiter, es zieht mich magisch an. Der Ich-Berater rät: Mach weiter so, ein angstvolles Ich ist ein tatkräftiger Konsument. Alles muss wachsen, Angst auch. So ein Ich ist nur im Außen richtig da, es lebt im Außen und sucht nur dort nach L ösungen, nach Verantwortlichen und Schuldigen: Die Anderen, die Industrie, die Fremden, der Kapitalismus, der Klimawandel, da ist so viel. Ich will endlich in Ruhe leben und schotte mich ab, selektiere noch mehr – wem kann man noch trauen – also die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Ich will mich nicht wandeln, eisern beharre Ich auf meiner Außenpolitik, nun ja, und doch wandele Ich mich, denn meine Angst wächst. Wäre das Leben nur ein wenig anders, hätte Ich auch keine Angst, das sind Gedanken, die kommen und bleiben. Ich habe ja alles. Eigentlich. Vielleicht. Einen Arbeitsplatz, eine Familie, eine prima Einbauküche. Und doch. Da ist etwas, das mich nicht schlafen lässt, etwas, das mich grübeln lässt des Nachts. Angst? Gestehe Ich sie ein, könnte ein Kartenhaus zusammenfallen, wenn nicht, fällt es auch. Kartenhaus-Schicksal. Ich-Schicksal. Ein junges Ich wird von der Jugend getragen. Je älter das Ich, desto näher das große Finale mit all seinen projizierten Fanfaren – die Armut, die Demenz, das Heim. Ach, Angst. Ich weiß nicht, wer Ich bin. Die Wurzel meiner Angst. Da ist sie.
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 26–27, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
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Alles, was Ich über mich vermute und festlege, verankere Ich im Außen, in jener Vergänglichkeit, der Ich mich anheimgebe. Ich denke, Ich bin wer, Pilot vielleicht oder Busfahrer, reich, arm. So oder so, all das ändert sich – wie kann es Deine Identität sein? Du bist in Wahrheit eine veritable Sensation, perfekt und anbetungswürdig, aber nun, da ist ja die Angst, die lässt nichts zu. Angst macht aggressiv. Immer und jederzeit. Angst lässt sich kaschieren und bunt glasieren, aber darunter ist sie da. Und dann ist ist da noch etwas: wie innen so außen. Das ist jenseits aller Komfortzonenbehaglichkeit, die Ich mein Leben nenne. Es ist der Zerrspiegel des Ichs. Es ist Deine Glückseligkeit. Treffe Ich auf Wahrheit, dann drehe Ich sie und wende sie, bis sie in meine Konzepte passt. Ein Ich ist schlau, es lebt im Außen, schleicht von alten Ideen zu neuen Konzepten, posiert in Glaubenskatalogen. Ich ist Chefideologe, Konzept-König, ein verschrobener Katalogisateur. Der Ich-Berater rät: Sortiere alles Neue und Alte ein in Überzeugungen und Angstzustände, halte die Vergangenheit am Leben wie einen lauwarmen Leichnam, wiege die Zukunft in Sorge, blende die Gegenwart aus. Denke immer daran; Ich kann nicht leben in der Gegenwart. Du lebst in der Gegenwart. Du atmest auf und weißt, hier ist alles. Nur keine Angst. Auch keine Gedanken, keine Ideen. Nichts. Dann ist die Entspannungsstunde vorbei. Ich übernehme angstvoll die Kontrolle, nehme mein Leben wieder in Isolationshaft, bin Wärter, Schlüssel, Schloss und Gefängnis zugleich. Ich bin einsam, trenne Müll und innen von außen, verdränge, kaufe, was ich soll, will immerzu was werden. Denn dann, eines Tages, dann ist endlich alles gut. Vielleicht. So ist Ich. Sei froh, Du bist das nicht. Du bist ohne Angst.
Das Gedicht »Gedankenschleife No. 5: Angst« ist aus dem Gedichtzyklus »Gedankenschleifen und wie sie gebunden werden«. Mehr auf www.fuchsrot.de – Blog: www.sonntagsexpedition.de
Isabella Hemmann, M. A., ist Schriftstellerin und Fachautorin mit den Schwerpunkten Bewusstsein im Alltag, GeistKörper-Verhältnis, Tod, Freiheit, Ego, Himmelsverortung. E-Mail: [email protected]
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Angst und Ausschluss – Zu Politik und Psychologie des Rechtspopulismus Rainer Bucher I In seinem bemerkenswerten Buch »Gesellschaft der Angst« hat der Hamburger Soziologe Heinz Bude eine Beobachtung notiert, die erklären könnte, warum Rechtspopulisten derzeit so viel Erfolg haben, mittlerweile auch in Deutschland. Wenn standardisierte Erwartungen auf nichtstandardisierte Wirklichkeiten treffen, so Bude, dann werde die Wahrnehmung der eigenen Existenz prekär. Wer dann die Anforderungen an Rollendistanz und Ambiguitätstoleranz nicht mehr erfüllen könne, brauche den Schnitt zwischen Innen und Außen, zwischen »denen« und »uns«, brauche den Ausschluss der Anderen, um mit seiner Angst vor der Angst fertigzuwerden. Diese »Politik des Ausschlusses« ist der Kern aller Rechtspopulisten. II Eine der Leistungen der CDU und CSU war es, den immer vorhandenen, latent antidemokratischen »rechten Sektor« der deutschen Gesellschaft eingebunden und politisch weitgehend neutralisiert zu haben. »Rechts von mir ist nur noch die Wand«, hat Strauß einst festgehalten und so war es auch. Das gelang nicht sofort und auch nicht immer und überall, kleinere Rechtsparteien saßen in den 1950er Jahren im Bundestag und danach (DVU, Republikaner) immer mal wieder in Landtagen, 1969 gelang der NPD mit 4,3 Prozent fast der Einzug ins Bonner Parlament. Im Ganzen aber hat »Adenauers Deal« gehalten. Moralisch fragwürdig, politisch aber erfolg-
reich hatte Adenauer nach 1945 die Devise ausgegeben: »Wenn ihr ab jetzt treue Demokraten seid, frage ich nicht, was ihr vor 1945 wart.« Und so wurden alle »treue Demokraten«. Das bedeutete auch: Wirklich rechte Politikkonzepte, also manifeste »völkische« Strategien des Ausschlusses, waren tabuisiert, selbst und gerade in der CDU. Dieser Deal hielt natürlich auch, weil Demokratie Wohlstand versprach und tatsächlich bedeutete. Denn das war das zweite Adenauer’sche Versprechen: »Werdet Demokraten und ihr werdet in Wohlstand leben.« Adenauer wusste, dass er dazu Europa brauchte. Damit die Deutschen wohlhabend wurden, brauchte es das Europa des Handels und der Wirtschaft. Damit reaktionäre Alternativen gar nicht erst diskussionswürdig wurden, brauchte es die alterfahrenen Demokratien Europas, und Adenauers »Enkel« Helmut Kohl brauchte 1989 die Zustimmung Europas zur deutschen Einheit, und sei es um den Preis der Abschaffung der Deutschen Mark. Adenauer wie Kohl haben den Deutschen und ihrer Treue zur Demokratie nie ganz getraut. Für viele Deutsche, das wussten sie, waren und sind die uni-
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 28–30, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
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aus guten Gründen zu den letzten Unterstützern der Merkel’schen Flüchtlingspolitik. Latent – bisweilen offen – antiwestlich und pro Putin ist diese AfD ebenso national-konservativ wie anti-europäisch. Und sie propagiert eine Politik des Ausschlusses: Frauke Petrys und Beatrix von Storchs »Schüsse auf Flüchtlinge« haben da jeden Zweifel beseitigt. III Adenauers Deal hatte freilich eine große Leerstelle: Er unterschätzte die zerstörerischen Wirkungen des Kapitalismus, auf den Adenauer in »rheinischer« Zähmung als Garant der Wohl-
© Ben Metz
versalistischen normativen Grundlagen der Demokratie keine wirkliche Herzensangelegenheit. Diese Deutschen haben jetzt eine Partei und mit ihr eine wirksame politische Repräsentation. Mit einem ähnlich schnellen Zerfall, wie er ihren bundesrepublikanischen Vorgängerinnen beschieden war, wird man nicht rechnen dürfen. Das ist das Neue. Adenauers Deals verblassen. Die alten Nazis, die er damit indirekt erpresste, leben nicht mehr, die Wohlstandsmehrung aber scheint gefährdet; nicht durch mangelnde Leistungsfähigkeit, das wäre mit internen Appellen zu verarbeiten, sondern durch einströmende »Fremde«. Natürlich ist das nicht wirklich der Fall: Die Wirtschaft gehört
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standsmehrung und Teil der Westbindung setzte. Der Konservativismus wie die Sozialdemokratie haben die Leere und Unbarmherzigkeit der kapitalistischen Kultur immer unterschätzt. Spätestens seit der Kapitalismus nach 1989 global und bis auf den indiskutablen islamischen Fundamentalismus praktisch konkurrenzlos in Schwung gekommen ist, dringt diese Leere und Unbarmherzigkeit und auch Ungerechtigkeit in die Alltagswelt vieler Menschen. Im Kapitalismus ist zwar nicht ständig alles im Fluss, aber kann alles ins Fließen kommen. Und während die einen auf den Wellen der »liquid modernity« (Zygmunt Bauman, 2000) surfen, haben andere Angst, davonzudriften in der globalisierten Welt eines kulturell zunehmend hegemonialen Kapitalismus, dessen Effektivitäts- und (Selbst-)Optimierungsimperativen sich vom Bildungswesen über den Sport bis in die Liebe kaum jemand entziehen kann. So effizient der Kapitalismus unter bestimmten Bedingungen als ökonomisches System sein mag: Als Identitätsmuster ist er unbrauchbar, weil gnadenlos und oberflächlich. Das ist der Wahrheitskern des aktuellen rechtspopulistischen Protestes. Die Führungseliten Deutschlands hatten das in ihrem konservativen wie sozialdemokratischen Ökonomismus nicht auf der Rechnung. Die Wahlerfolge der AfD dokumentieren das Bündnis betont konservativer bildungsbürgerlicher Eliten (»Professorenpartei«) mit dem abstiegsbedrohten Mittelstand und dem P rekariat (»Pegida«): Die einen fürchten das Ende ihres Lebensstils in der globalisierten kapitalistischen Moderne, die anderen gleich den Untergang von allem, vor allen ihrer selbst.
füllen«, seien sie »christlich« oder nationalistisch oder sonst wie abgeleitet. Aber man muss sie auffüllen, sonst spielen andere mit diesen Lücken ihr Spiel. Es wird entscheidend für Deutschland, ja für Europa werden, ob ein Weg zwischen der kapitalistischen und der antidemokratischen, identitären Versuchung gefunden wird. Sonst droht die fatale Alternative zwischen leerlaufender kapitalistischer Konsum- und Produktionsspirale und dem Prinzip »Inklusion für diejenigen, die ich mag, Exklusion für alle anderen«. Und es wird dann Zufall sein, wer dieses »Innen« gerade wie definiert. Zwischen kapitalistischem Leerlauf und identitären Mythen, die, wenn es ganz schlimm wird, sich sogar »christlich« etikettieren, muss ein Weg gefunden werden. Christen wären dafür prädestiniert. Denn sie glauben weder an den Kapitalismus noch an »das Volk« oder gar »die Nation«. Christen stemmen sich gegen Angst und Ausschluss. Sie glauben an den Gott Jesu. In der vorletzten Krise Europas, in den 1930er Jahren, hat das Christentum ziemlich versagt, in der letzten, nach dem Zweiten Weltkrieg, hat es Europa entschlossen als Friedensprojekt gestaltet. Die Nachkriegsgenerationen haben Europa, haben die Demokratie geschenkt bekommen. Es ist die Zeit, für sie zu kämpfen. Prof. Dr. Rainer Bucher ist Universitäts professor und Vorstand des Instituts für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie an der Fakultät Katholische Theologie der Universität Graz. Mitinitiator des theologischen Feuilletons »feinschwarz. net«. E-Mail: [email protected] Website: www.rainer-bucher.de
IV Der Wiener katholische Theologe Kurt Appel hat Recht, wenn er festhält, man könne die »Leere und Unbarmherzigkeit der kapitalistischen Kultur« nicht »mit einer Rückkehr zu vormodernen Vorschreibungen und Identitätsmarkern (…) auf-
Literatur Appel, K. (2013). Ein neuer Blick auf Papst Franz. http://der standard.at/1375625622381/Ein-neuer-Blick-auf-PapstFranz (Zugriff am 20.05.2017). Bauman, Z. (2000). Liquid Modernity. New York. Bude, H. (2014). Gesellschaft der Angst. Hamburg.
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Luthers Angst vor dem Tod Reiner Sörries Martin Luther hatte Angst vor dem Tod. Diese Überschrift mag so gar nicht zu dem Mann passen, den wir im Festjahr des 500-jährigen Reformationsjubiläums als standhaften Rebell gegen Kaiser, Reich und Kirche feiern. Verteidigte er nicht 1521 auf dem Reichstag zu Worms seine ketzerischen Thesen mit den legendären Worten: »Hier stehe ich. Gott helfe mir. Ich kann nicht anders«? Dieser Ausspruch ist zwar historisch nicht belegt, aber er prägt unser Bild des unerschrockenen Reformators, der zu diesem Zeitpunkt unter dem Kirchenbann stand, der es jedermann erlaubte, ihm Gewalt anzutun oder gar zu töten. Standhaft, die Faust auf die Bibel gelegt und den Blick fest auf die Zukunft gerichtet, so erscheint Luther auf dem 1868 enthüllten Luther-Denkmal in Worms. Diesem Bildtyp folgten zahlreiche Denkmäler im ganzen Land und tausendfach Kopien im Kleinformat für die häusliche Frömmigkeit. Beliebt waren die Repliken als Spieluhr mit den Klängen von Luthers bedeutsamer Lieddichtung »Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen«. Und dieser Mann soll Angst vor dem Tod gehabt haben? Will man sich auf diese Frage einlassen, so erinnert man sich dann doch an jenen Moment am 2. Juli 1505, als Martin Luther bei Stotternheim in der Nähe von Erfurt in ein heftiges Gewitter geraten war. Ein Blitz, der ganz in seiner Nähe einschlug, versetzte ihn in Todesangst. Ein Stoßgebet zur Heiligen Anna veränderte sein ganzes Leben: »Hilf du, heilige Anna, ich will ein Mönch werden!« So zumindest berichtete es Luther selbst Jahrzehnte später in seinen Tischreden. Immerhin erklärt diese Legende den Weg Luthers vom Jurastudenten zum Augustinermönch. Freilich haben die Wissenschaftler Zweifel, ob es sich tatsächlich so zugetragen hat, und vermuten, der
junge Luther habe sich schon vor diesem Ereignis mit dem Gedanken getragen, ins Kloster zu gehen. Doch was hat ihn wirklich dazu bewegt? Viele Menschen haben eine solche unmittelbare Lebensgefahr erlebt, vielleicht auch bei einem Gewitter, bei einem Unfall oder einem anderen Ereignis, und der damit verbundene Schrecken ist nachvollziehbar. Luthers Todesangst indes saß tiefer. Als frommer Mensch seiner Zeit fürchtete er nicht allein, sein Leben zu verlieren, sondern noch mehr den strafenden Gott, dem er im Gericht begegnen würde. Tief in seinem Inneren wurzelte die Angst, von diesem Richter zu Höllenstrafen verurteilt zu werden, weil er ein sündiger Mensch sei. Diese Sorge teilte Luther mit vielen seiner Zeitgenossen, denen der Weltenrichter stets vor Augen war, nicht nur vor dem inneren, sondern auch sichtbar eigentlich auf Schritt und Tritt. Martin Luther war seit 1512 Professor für Bibelauslegung in Wittenberg und gewiss führte ihn sein Weg oft in die Stadtkirche; dabei überquerte er den Kirchhof und durchschritt das Friedhofsportal. Und genau dort thronte der Weltenrichter auf dem Regenbogen in einer Mandorla. Zu beiden Seiten erscheinen Engel, die die Posaunen zum Jüngsten Gericht blasen. Dann wird Christus richten, entweder zum Guten oder zum Schlechten. Von seinem Mund gehen Lilie und Schwert aus. Und während die Lilie als Symbol der Barmherzigkeit Gnade in Aussicht stellt, so droht mit dem Schwert als Symbol der Bestrafung der Bösen ewige Verdammnis. Luther war zwar Mönch geworden und hatte sich nach dem Studium der Theologie in den Dienst der Kirche gestellt, doch die Angst vor dem richtenden Gott war nicht gewichen. Wie also kann der Sünder vor Gott gerecht werden? Diese entscheidende Frage führte
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 31–33, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
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Luther zum Bibelstudium und seinen reformatorischen Erkenntnissen. Die Antwort, die er aus der Bibel gewann, hat Kirche und Welt verändert. Der Mensch wird gerecht allein aus Gnaden: sola gratia. Für diese Einsicht hat Luther sein Leben lang gekämpft. Zwei Jahre nach dem berühmten Thesenanschlag erreichte Luther 1519 die Bitte Georg Spa-
latins, eines führenden Beamten am Hofe des Kurfürsten Friedrich des Weisen, er möge eine Anleitung zur Vorbereitung auf das Sterben verfassen. Luther weigert sich zunächst, er sei überlastet. Und dann schreibt er noch an Spalatin, ihn schaudere vor dem Tod und er sei vom Glauben entblößt. Wenig später jedoch greift Luther doch zur Feder und verfasst an einem einzigen Tag in
Sandsteinrelief mit Christus als Weltenrichter vom Kirchhofsportal an der Stadtkirche zu Wittenberg. Entstanden um 1400. Martin Luther muss es während seines Aufenthaltes in Wittenberg seit 1512 gesehen haben. Dieses Motiv hat Luthers frühes Gottesbild geprägt: Als sündiger Mensch findet er vor diesem Richter keine Rechtfertigung.
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äußerster Hetze den »Sermon von der Bereitung zum Sterben«. In zwanzig Gedankenschritten (Artikeln) entfaltet er ganz im Sinne seiner reformatorischen Erkenntnis, wie man sich im Sterben nun ganz auf Gott im Vertrauen auf seine Gnade ausrichten soll, zum Beispiel durch den Gebrauch der Sterbesakramente. Was aber bleibt für den Menschen, dem solcher Glaube eher fehlt, dem Zweifler oder Atheisten? Ganz praktisch und innerweltlich sind Luthers Gedanken in den ersten beiden Artikeln,
die über Glaubensgrenzen hinaus Gültigkeit besitzen, denn er beginnt mit knappen entscheidenden Hinweisen zum rechten Abschiednehmen von dieser Welt. Im Hinblick auf das Sterben legt Luther nahe, seine weltlichen Dinge zu regeln und weder finanzielle noch moralische Unklarheiten zu hinterlassen. Unabhängig von allen religiösen Einstellungen kann die Angst des Menschen vor dem Tod so gelindert werden. Weil ich beide Artikel bis heute für aktuell halte, seien sie hier im Wortlaut wiedergegeben:
(1) »Weil der Tod ein Abschied ist von dieser Welt und all ihrem Treiben, ist es nötig, dass der Mensch sein zeitliches Gut ordentlich verteile, wie es sein muss oder wie er es anzuordnen gedenkt, damit nach seinem Tod nicht Ursache für Zank, Hader oder sonst einen Irrtum unter seinen zurückgelassenen Freunden bleibe. Und dies ist ein leiblicher oder äußerlicher Abschied von dieser Welt, und es wird dem Gut Lebewohl und Abschied gegeben.« (2) »Man soll auch geistlich Abschied nehmen. Das heißt, man vergebe freundlich, rein um Gottes willen allen Menschen, die uns beleidigt haben, begehre umgekehrt auch allein um Gottes willen Vergebung von allen Menschen, deren wir viele ohne Zweifel beleidigt haben, zumindest mit bösem Exempel oder zu wenig Wohltaten, die wir eigentlich nach dem Gebot brüderlicher christlicher Liebe schuldig gewesen wären, damit die Seele nicht mit irgendeiner Angelegenheit auf Erden behaftet bleibe.« Ein Pfarrer in Niederbayern hat mir einmal erzählt, wie er einen alten Bauern beim Sterben angetroffen hat. Dieser war mit sich, seinem Leben und seinem Sterben anscheinend irgendwie zufrieden, und der Pfarrer erfuhr, dass der Bauer alle seine irdischen Angelegenheiten geregelt hatte. Die Nachfolge auf dem Hof war mit dem ältesten Sohn geregelt, der jüngere erhielt die Absicherung für eine gute Ausbildung. Die eine Tochter war schon verheiratet, die andere mit einer Rente bis zur etwaigen Heirat bedacht. Und der zukünftigen Witwe war ein lebenslanges Wohnrecht auf dem Hof notariell eingeräumt. So schloss der Bauer seine Ausführungen: »I hob mei Sach g’richt – etz konn’s ans Sterba geha!« (Ich habe meine Sache gerichtet; jetzt kann es ans Sterben gehen.) Wahrscheinlich wusste dieser Bauer nichts von Martin
Luther und seinem Sterbesermon, sondern stand in einer uralten Tradition, dass man seine Angelegenheiten regeln soll, wenn es ans Sterben geht. Ungeachtet aller theologischen Erwägungen war auch Martin Luther mit dieser Lebens- und Sterbenseinstellung vertraut. Und was ich besonders bemerkenswert finde, ist, dass er diese innerweltlichen Gedanken nicht etwa ans Ende, sondern an den Anfang seines Sermons stellte. Dr. Reiner Sörries, Theologe, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, apl. Professor für Christliche Archäologie und Kunstgeschichte am Fachbereich Theologie der Universität Erlangen. Er war von 1992 bis 2015 Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal und Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel. Er lebt in Kröslin an der Ostsee.
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TEIL II
ANGST im Zusammenhang mit schwerer Krankheit, Sterben, Tod
Leidfaden, Heft 3 / 2017, Heft 3 / 2016, S. 34–34, 34, © Vandenhoeck © Vandenhoeck & Ruprecht & Ruprecht GmbH GmbH & Co. & Co. KG,KG, Göttingen, Göttingen, 2016, 2017, ISSN ISSN 2192–1202 2192–1202
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Alles ist vergänglich Über die Angst vor der Endlichkeit
Angelika Feichtner Bewusstsein unserer Sterblichkeit
© m.schröer
Sie ist uns wohl allen vertraut, die beklemmende Angst beim Gedanken an das Alter, an Gebrechlichkeit, eine schwere Erkrankung und besonders die Ängste hinsichtlich des eigenen Sterbens. Unsere Existenz ist für immer von dem Wissen überschattet, dass wir wachsen, gedeihen und unausweichlich welken und sterben werden (Yalom, 2010, S. 9). Die Tatsache der Vergänglichkeit und das Bewusstsein um die eigene Sterblichkeit werden gern verdrängt, sie haben jedoch einen ganz we-
sentlichen Einfluss auf unser Denken und Handeln. Die Vergänglichkeit des Lebens wird vielen erst bewusst, wenn sie in ihrem Umfeld mit dem Tod konfrontiert werden. Je größer das Bemühen ist, den Gedanken an die eigene Endlichkeit zu verdrängen, desto größer wird die Angst. Diese existenzielle Angst als ein vertrautes Grundgefühl gehört untrennbar zum Menschsein. Sie ist unabhängig von Zeiten, Kulturen und Völkern. Es gibt kein Leben ohne Angst vor dem andern (dem Sterben), schreibt Max Frisch (1946–1949/1976, S. 348) in seinem Tagebuch, schon weil es ohne diese Angst, die unsere Tiefe ist, kein Leben gibt. Erst aus dem Nichtsein, das wir ahnen, begreifen wir für Augenblicke, dass wir leben. Erst durch die Begrenztheit, durch die Erfahrung der Endlichkeit gewinnt das Leben an Farbe und Tiefe. Alles, was uns wertvoll erscheint, ist gebunden an die Existenz des Todes, das unfreiwillige Ziel, auf das wir zusteuern. Oder wie es Lou Reed (2013) formulierte: Das Leben ist zum Sterben da. Wären wir unsterblich und wären alle Erfahrungen des Lebens unendlich wiederholbar, würde alles bedeutungslos. Simone de Beauvoir (1946/2001, S. 330) beschreibt dies eindrücklich am Beispiel des Lebens von Raimondo Fosca, dem es durch einen Unsterblichkeitstrank gelingt, den Tod zu überwinden. Die Unsterblichkeit erweist sich für Fosca im Laufe der Jahrhunderte seines Lebens jedoch letztlich als Fluch, denn sein Leben besteht aus zahllosen Wiederholungen und daher verliert alles an Bedeutung. Erst die Vergänglichkeit macht das Leben wertvoll, sie macht jeden einzelnen Augenblick einzigartig.
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 35–39, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
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Der Tod als bedrohliche Katastrophe
© m.schröer
Trotzdem empfinden wir das Altern, Krankheiten und ganz besonders das Sterben als große Zumutung, vielleicht weil dabei unsere sämtlichen Bestrebungen der Kontrolle scheitern. Verzweifelt anmutende Anti-Aging-Strategien, absurde Maßnahmen zur Lebensverlängerung, selbst bei Todkranken, sowie auch das permanente Bemühen, die Zeichen der Vergänglichkeit zumindest nicht sichtbar werden zu lassen, sind Ausdruck dieser erlebten Kränkung durch den Tod. Auch in der Medizin wird der Tod nicht selten als vermeidbare Komplikation verstanden. Das Sterben eines Menschen ist jedoch kein Unglücksfall, sondern vielmehr der Ziel- und Endpunkt des Lebens. Obwohl wir keine reale Möglichkeit haben, den Tod zu beeinflussen, glauben wir, ihm durch entsprechendes Verhalten zu entkommen. Das gleicht fast den kindlichen Vorstellungen von Fünfjährigen, die noch ganz im magischen Den-
ken verhaftet sind. Sie wissen bereits um den universellen Tod, aber in ihrer Vorstellung kann man dem Tod entwischen, wenn man besonders schlau ist, oder auch, wenn man besonders schnell laufen kann. Wider besseres Wissen agieren wir aber auch im Erwachsenenalter oft noch so, als wäre der Tod gleichsam eine drohende Katastrophe, die es durch eine entsprechende Lebensführung zu verhindern gelte. Es ist aber eine Tatsache, die es anzuerkennen gilt: Wir altern, wir werden erkranken und wir werden sterben. Damit wirft der Tod seinen Schatten auf alles – alles gewinnt oder verliert an Bedeutung angesichts der Endlichkeit. Das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit ist eine wichtige und grundlegende Erfahrung des Menschen, zugleich ist der eigene Tod jedoch nicht vorstellbar. Die Gewissheit des eigenen Todes wird laut Freud (1915, S. 340) nur beim Sterben anderer und in der Erfahrung der Trauer gewiss.
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Werden wir unmittelbar mit der Vergänglichkeit konfrontiert, so rührt das an tief verwurzelte Ängste. Laut Kast (2008, S. 31) ist Angst eine emotionale Reaktion auf die Antizipation persönlich bedeutsamer Verluste. Oder wie Sartre (1943, S. 93) schreibt: ein qualvolles, gegenstandsloses Gefühl des Bedrohtseins, immer das Dasein im Ganzen betreffend, es durchdringend und beherrschend. Er nannte die Angst auch eine Qualität unseres Bewusstseins, als die Vorbedingung der Freiheit, zu der der Mensch verurteilt sei. Angst muss also nicht notwendig als Übel verstanden werden, sondern sie kann den Menschen auch zu seinem eigentlichen Sein führen. Aber die Vorstellung, alles zurücklassen zu müssen, die endgültige Trennung von allem, was wichtig und wertvoll ist, und die Unvorstellbarkeit des Nichtseins erscheinen uns als ultimative Bedrohung. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben ist daher immer auch mit Angst verbunden. Je mehr wir versuchen, vor dieser Angst zu fliehen, desto überwältigender wird sie. Die Wurzel der Angst »beginnt und endet mit dem Bedürfnis nach Sicherheit (…) mit dem Wunsch nach Beständigkeit«, wie Krishnamurti (1994) feststellt. Aber das Leben ist grundsätzlich von Unbeständigkeit geprägt, letztlich hat nichts Bestand und alles ist vergänglich. Sterben zu müssen ist gleichbedeutend mit einem endgültigen Verlust aller Beziehungen. Wir fürchten den Tod, weil er die endgültige Trennung von allem bedeutet, aber auch, weil wir nicht wissen, was im Sterben mit uns geschieht. Diese Angst vor dem Unbekannten ist jedoch ein Widerspruch in sich,
wie Kellehear (2014, S. 35) meint, denn wenn wir nicht wissen, was wir fürchten, erscheint Angst als keine angemessene Reaktion. Physiologie der Angst Für die Entstehung und Weiterverarbeitung von Ängsten sind verschiedene Regionen des Gehirns verantwortlich. Der Amygdala wird die Hauptrolle in der Entstehung von Angst zugeschrieben, hier wird jede Situation mit vorgespeicherten, alten Informationen abgeglichen. Tritt eine ähnliche Situation erneut auf, schlägt die Amygdala Alarm. Über das limbische System, das der Verarbeitung von Emotionen und der Entstehung von Triebverhalten dient, wird das vegetative Nervensystem erregt und damit wird der Körper auf Kampf oder Flucht vorbereitet. Und so reagieren wir auch auf Ängste im Zusammenhang mit dem (sicheren) Tod. Wir kämpfen, wir erstarren oder wir flüchten. Der Kampf zeigt sich zum Beispiel in den zahlreichen AntiAging-Strategien. Dieses »Gegen-Altern« stellt letztlich nur einen hilflosen Versuch dar, den Tod zumindest hinauszuzögern. Oder auch im oft geradezu verbissenen Bemühen um einen gesunden (lebensverlängernden) Lebensstil – Fitnessstudio, Nahrungsergänzungsmittel, Superfood und Kosmetik als Gegenmittel unserer Angst vor der Vergänglichkeit. Tritt trotz aller Bemühungen eine schwere Erkrankung auf, bedeutet der Kampf gegen den Tod, dass wir uns sehr belastenden Therapien aussetzen, selbst bei nur geringen Erfolgsaussichten,
Erst durch die Begrenztheit, durch die Erfahrung der Endlichkeit gewinnt das Leben an Farbe und Tiefe. Alles, was uns wertvoll erscheint, ist gebunden an die Existenz des Todes.
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oder dass wir auch experimentelle Therapieoptionen ausschöpfen. Flucht äußert sich im Versuch, jegliche Konfrontation mit Sterben und Tod zu vermeiden. Es ist jedoch eine absolute Gewissheit, dass wir sterben werden, daher erscheinen sowohl Kampf als auch Flucht sinnlos. Das angstvolle Erstarren wird ebenfalls keine hilfreiche Strategie darstellen. Vielmehr ist es wichtig, sich mit dem Thema der eigenen Vergänglichkeit auseinanderzusetzen und sich der Angst zu stellen. Die Angst vor dem Altern Das Alter wird mit dem sich nähernden Tod gleichgesetzt. In einer traditionellen indischen Geschichte werden die Begleiterscheinungen des Alters auch als Einladungen des Todes beschrieben. Wenn die Sehstärke nachlässt, so gilt das als die erste Einladung, die Einschränkung der Mobilität ist die zweite Einladung des Todes und so weiter – bis schließlich die letzte Einladung angenommen werden kann. Die Vorstellung, nicht mehr als jung, vital, attraktiv und leistungsfähig zu gelten, kann in unserer Gesellschaft jedoch mitunter nur schwer zu akzeptieren sein. Daher versuchen wir, die Anzeichen des Alterungsprozesses sorgsam zu verschleiern, und wir bewundern jene betagten Menschen die sich ihre körperliche und geistige Leistungskraft erhalten konnten. Aber wäre nicht das bewusste Altern eine gute Möglichkeit, sich allmählich in den endgültigen Abschied einzuüben? Die Angst vor Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit Die Angst vor einer schweren Erkrankung ist nicht nur mit der Angst vor dem Tod eng verknüpft, sondern auch mit der Angst, dann auf die Unterstützung anderer angewiesen zu sein. Krank und pflegeabhängig zu sein ist für sehr viele Menschen eine schier unerträgliche Vorstellung. Wir
möchten nicht abhängig von anderen Menschen sein und vergessen darüber, dass wir in allen Phasen unseres Lebens auf andere angewiesen sind. Diese Angewiesenheit ist zugleich auch eine UrErfahrung. Nicht erst im Alter oder bei schwerer Erkrankung, sondern von Geburt an zeichnet sich unser Leben durch eine absolute Angewiesenheit auf andere Menschen aus. Es mutet seltsam an, dass Pflegebedürftigkeit oft mit Würdeverlust gleichgesetzt wird. Es gilt als selbstverständlich, dass Neugeborene Pflege, Fürsorge und Schutz brauchen, und es müsste dieselbe Selbstverständlichkeit auch für die Pflegedürftigkeit am Ende des Lebens gelten. Todesangst und existenzielle Verzweiflung Unmittelbar vom Tod bedrohte Menschen erleben diese Angst in besonderer Weise – im Sinne von Todesangst. Todesangst wird in den internationalen NANDA-Pflegediagnosen (2010) definiert als »unbestimmtes Gefühl des Unbehagens oder der Furcht, hervorgerufen durch die Wahrnehmung einer realen oder imaginären Bedrohung der eigenen Existenz«. Kierkegaard nennt die Krankheit zum Tode Verzweiflung. »Die Krankheit zum Tode ist Verzweiflung. Bei der Krankheit zum Tode muss es eine sein, bei der das Ende der Tod ist, der Tod das Letzte ist. Und das ist gerade die Verzweiflung« (Kierkegaard, 1849/2010, S. 37). Er meint damit, dass terminale Erkrankungen immer mit mehr oder weniger intensiven Phasen von Verzweiflung verbunden sind. Existenzielles Leid am Lebensende ist eine globale, den Menschen in allen Facetten seines Seins bedrohende Erfahrung von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein. Es ist nicht möglich, existenzielle Verzweiflung und Todesangst wegzutherapieren – genauso wenig, wie die Sterblichkeit an sich wegtherapiert werden kann. Cassell (2004) nennt als Erstes, das hilft, dieses Leiden zu bewältigen, sich die Stärke, die Kraft anderer auszuleihen. Es braucht Menschen, die sich an-
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Der Tod stellt keine Kränkung dar, denn erst die Begrenztheit macht das Leben kostbar. gesichts dieses Leidens nicht zurückziehen, sondern der Konfrontation mit dem Leid standhalten – und gleichsam ihre Kraft zur Verfügung stellen. Präsenz und mitmenschlicher Beistand sind damit ganz wesentliche Faktoren zur Leidens linderung bei existenzieller Verzweiflung. Die stille Präsenz, ohne den Anspruch, das Leiden abzuschaffen oder zu trösten, das Mit-Aushalten des schier Unaushaltbaren, kann eine innere Verbundenheit schaffen. Existenziell Leidende sind damit fundamental auf einen Menschen angewiesen, der zu Mitempfinden fähig und bereit ist, sich von dem Leid erschüttern zu lassen, und der auch angesichts des Leidens und der Ohnmacht bereit ist, präsent zu bleiben. In dieser geteilten Machtlosigkeit kann sich ein spiritueller Raum eröffnen, in dem sich die Verzweiflung verändern kann.
dann wird die Beschäftigung mit der eigenen Vergänglichkeit zu einer enormen Bereicherung des Lebens. Sie trägt dazu bei, die andere Seite der Vergänglichkeit, die Lebendigkeit, besonders intensiv zu erfahren. Die Gegenbegriffe von Angst sind Vertrauen und Hoffnung. Wir dürfen darauf vertrauen, dass der Tod nicht unser Feind ist, den es zu bekämpfen gilt, sondern vielmehr ein Freund. Und über Konfessionen hinweg besteht die Hoffnung, dass der Tod nicht nur das Ende, sondern auch einen neuen Anfang darstellt. »Wer weiß denn, ob das Leben nicht Totsein ist und Totsein Leben?« (Euripides † 406 v. Chr.) Angelika Feichtner MSc, DGKS, ist Autorin und freiberuflich tätige Referentin im Bereich von Palliative Care und Hospizarbeit.
Angst hält nicht den Tod auf, sondern das Leben (Kübler-Ross, 1971) Wir müssen uns der Tatsache der Vergänglichkeit und unseren damit verbundenen Ängsten stellen und uns letztlich mit unserer Sterblichkeit abfinden. Der Tod stellt keine Kränkung dar, denn erst die Begrenztheit macht das Leben kostbar. In diesem Wissen können das Altern oder auch eine schwere Erkrankung als eine Übung wahrgenommen werden, sich der permanenten Nähe des Todes bewusst zu sein. Es ist jedoch nicht leicht, jeden Augenblick in vollem Bewusstsein des Todes zu leben. Das ist so, als versuche man, der Sonne ins Gesicht zu schauen, schreibt Irvin D. Yalom (2010, S. 12). Er plädiert jedoch dafür, dem Tod bewusst zu begegnen, sich mit ihm vertraut zu machen und ihn zum Gegenstand intensiver Meditationen zu machen. In der bewussten Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben wird die Angst nicht größer. Wenn es gelingt, unsere biografisch verankerten Strategien im Umgang mit dieser Angst zu überprüfen und sie bei Bedarf auch anzupassen,
E-Mail: [email protected]
Literatur de Beauvoir, S. (1946/2001). Alle Menschen sind sterblich. Reinbek. Cassell, E. J. (2004). The nature of suffering and the goals of medicine. Oxford. Frisch M. (1946–1949/1976), Tagebuch 1946–1949 In: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge. Werkausgabe Bd. 4. Frankfurt a. M. Freud, S. (1915). Zeitgemäßes über Krieg und Tod. Gesammelte Werke, Bd. X (S. 324–355). Frankfurt a. M. Kast, V. (2008). Vom Sinn der Angst. Wie Ängste sich festsetzen und wie sie sich verwandeln lassen. 2. Auflage. Freiburg. Kellehear, A.(2014). The inner life of the dying person. New York. Kierkegaard, S. (1849/2010). Die Krankheit zum Tode. Furcht und Zittern. Die Wiederholung. Der Begriff der Angst. München. Krishnamurti, J. (1994). On fear. New York. Kübler-Ross, E. (1971). Interviews mit Sterbenden. Stuttgart. NANDA International (2010). Pflegediagnosen. Definitionen und Klassifikation. 2009–2011. Kassel. Reed, L. (2013). In: Schachinger, C., DER STANDARD, 28.10.2013. Sartre, J.-P. (1943). L’être et le néant. Paris. Yalom, Y. D. (2010). In die Sonne schauen. Wie man die Angst vor dem Tod überwindet. München.
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Tavor auf Palliativstation – wer wird ruhiggestellt? Bernd Oliver Maier Schwester: »Wir brauchen noch was für die Nacht, der ist so unruhig.« Arzt: »Dann ordne ich noch Tavor bei Bedarf an.« Tavor (Lorazepam) ist ein Arzneimittel aus der Familie der Benzodiazepine. Medikamente dieser Wirkstoffgruppe, und insbesondere Tavor, vermitteln einen angstlösenden und beruhigenden Effekt. Sie zählen zu den Tranquilizern. Wie für jedes verschreibungspflichtige Medikament gibt es auch für Tavor eine spezifische Zulassungsindikation. Diese als Anwendungsgebiet eines Medikamentes bezeichnete rechtfertigende Begründung zur Verordnung ist bei Tavor zum einen die symptomatische Kurzzeitbehandlung von Angst-, Spannungs- und Erregungszuständen sowie dadurch bedingten Schlafstörungen und zum anderen eine erwünschte Beruhigung vor diagnostischen sowie vor und nach operativen Eingriffen. Ergänzend wird in der Fachinformation des Medikamentes der Hinweis aufgeführt: »Nicht alle Angst-, Spannungs- und Erregungszustände oder Schlafstörungen bedürfen einer Behandlung mit Arzneimitteln. Oftmals sind sie Ausdruck körperlicher oder seelischer Erkrankungen und können durch andere Maßnahmen oder eine Behandlung der Grunderkrankung behoben werden.« In der medikamentösen palliativmedizinischen Therapie hat Tavor einen festen Platz. Es zählt – ohne das statistisch sauber belegen zu können – mit zu den am häufigsten eingesetzten Medikamenten. Das liegt zum einen an der zuverlässigen Wirksamkeit, guten Handhabbarkeit und flächendeckenden Verfügbarkeit des Medi-
kamentes. Tavor ist Synonym geworden für Behandlung von Angst. Dabei müsse es ja heißen: Tavor ist Synonym geworden für die medikamentöse Behandlung von Angst in der palliativmedizinischen Pharmakotherapie. Aber genau hier liegt das Problem, denn so ist es eben nicht. Tavor ist das für Angst, was Tempo für Taschentücher, was Nutella für Schokonuss-Brotaufstriche, was Persil für Waschmittel ist. Es ist mehr als eine von mehreren Möglichkeiten – es ist ein Versprechen, es ist Lösung – oder wird zumindest gern als solche gesehen. Klein, leicht zu schlucken, aber auch in einer Darreichungsform verfügbar, die nicht aktiv geschluckt werden muss, sondern im Mund »zerfällt«, erfreut es sich großer Akzeptanz bei Patienten, deren Angehörigen, den verordnenden Ärzten und den die Medikamentengabe umsetzenden Pflegekräften. Gleichzeitig wirft die genaue Betrachtung der Verordnungspraxis grundlegende Fragen auf. Angst am Lebensende Angst am Lebensende ist ein überaus häufiges Phänomen. Aber ist Angst am Lebensende ein pathologischer Zustand oder nicht einfach eine natürliche Reaktion? Ist es nicht verständlich und selbstverständlich, in Anbetracht der vielfältigen Unwägbarkeiten, die in dieser Lebensphase auftreten, Angst zu haben? Wie unterscheidet sich diese – wenn es sie gibt – natürliche Angst von einer behandlungsbedürftigen Angststörung, die als Folge einer den Palliativfall definierenden Erkrankung oder einfach unabhängig davon als simultan bestehende eigenständige Erkrankung zu diagnostizieren ist?
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 40–44, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
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In der Normalbevölkerung wurde im Rahmen einer repräsentativen Studie (Jacobi et al. 2014, 2015) über den Gesundheitszustand in Deutschland im Jahr 2013 bei 15,3 Prozent der 18- bis 79-Jährigen eine Angststörung innerhalb der letzten 12 Monate gefunden. Die Häufigkeitsverteilung der verschiedenen Angststörungen ergab dabei eine Panikstörung in 2 Prozent, eine generalisierte Angststörung in 2,2 Prozent, eine soziale Phobie in 2,7 Prozent, eine Agoraphobie in 4 Prozent und weitere spezifische Phobien in 10,3 Prozent der Fälle. Prävalenzuntersuchungen beschreiben das Vorhandensein einer Erkrankung innerhalb einer definierten Patientengruppe. Derartige Untersuchungen bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen finden einen Anteil von 6 bis 37 Prozent von Angststörung Betroffener, einzelne Studien ermitteln bis 49 Prozent (vgl. Mitchell et al. 2011). In palliativmedizinischen Untersuchungen selbst gibt es ebenfalls sehr uneinheitliche Wahrnehmungen von der Häufigkeit, einheitlich wird aber das Thema Angst und Angststörung als äußerst relevant beschrieben. Und doch: Schon in dieser methodischen Hilflosigkeit und Sprachlosigkeit, eine präzise Position zu Ursachen, Auslösern, Diagnostik oder gar Therapieansätzen der Angst zu beschreiben, offenbart sich ein erstes Dilemma im Umgang mit dem Thema Angst in der Palliativversorgung. Denn Angst als natürliches Phänomen zu interpretieren, verpflichtet als Reaktion eher zu rückversichernder Begleitung, zur Schaffung eines geschützten Raums, in dem der Umgang mit dieser gerechtfertigten Angst geübt und gestaltet wird. Angst als Störung, als pathologisch klassifiziertes Syndrom und somit belastendes Symptom zu werten, fordert im Gegensatz (oder in Ergänzung) Behandlung, medizinisches Tun – medikamentös wie nichtmedikamentös – mit dem Ziel einer möglichst effektiven Linderung, wenn nicht sogar Beseitigung des Symptomgeschehens. Analog der Schmerztherapie oder Bekämpfung von Übelkeit wird dann medizinisch
angestrebt, ein formuliertes Therapieziel »Kontrolle« zu erreichen. Allerdings haben wir bei den überwiegend durch körperlich-biologische Veränderungen ausgelösten Symptomen oft verlässlichere und bessere Verlaufsparameter für die Erfolgskontrolle unseres Tuns. Und zumindest in der Schmerztherapie, die sicherlich kein rein körperliches Symptom ist, auch ein besseres Instrumentarium zur Messung des Symptoms selbst und seiner Auswirkung für das Befinden beziehungsweise für die Messung therapeutischer Einflussnahme: Was entspricht denn der »Zeit bis zum Eintritt der relevanten Schmerzreduktion« bei Angstbehandlung? Angst als allgegenwärtige Belastung in der palliativen Versorgung Belastung durch Angst betrifft aber nicht nur den kranken Menschen, sondern auch sein ganzes Umfeld. Dazu gehören neben den Angehörigen und Freunden genauso das professionelle Umfeld aus Pflegenden, Ärzten, Psychologen und allen weiteren Mitgliedern des multiprofessionellen Behandlungsteams beispielsweise einer Palliativstation. Der Unterschied zwischen den Angehörigen und professionell Tätigen besteht also nicht zwingend in der Häufigkeit des Vorhandenseins von Ängsten, sondern womöglich eher darin, dass die Angehörigen als unterstützungsbedürftig erkannt werden, die professionell Tätigen hingegen »liefern« sollen zum Wohle aller anderen. Das Leiden eines sterbenskranken Menschen zu erleben führt bei allen emotional Nahestehenden zu eigener Betroffenheit – egal ob professionell oder privat mit dem Leidenden verbunden. Häufig wird das ergänzt durch ein Gefühl von Ohnmacht, Schuld und dem Wunsch nach Entlastung. Ob dieser Wunsch nach Entlastung primär dem Erleben des Patienten gilt oder ob indirekt die Entlastung von der eigenen Betroffenheit erreicht werden soll, ist dabei ehrlicherweise oft nicht geklärt und wird selten als offene Frage ehrlich angesprochen.
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Im Kontext der sozialen Erwartung ist selbstredend immer der Patient im Mittelpunkt. Natürlich: Bei Angehörigen und Freunden des Patienten ist die Angst ebenso im Fokus der palliativmedizinischen Bemühungen und wird durch vielfältige Angebote adressiert. Im professionellen Team hingegen greifen diese oder ähnliche Fürsorgemechanismen möglicherweise am wenigsten: Durch die Übernahme der professionellen Verantwortung für das Wohlbefinden des Patienten nehmen der Erwartungsdruck an die eigene Person und das Anspruchsdenken, wie diese professionelle Rolle am besten ausgestaltet sein könnte, immer weiter zu. Der Anspruch, effektiv zu behandeln, erschwert es, die eigene Betroffenheit ausagieren zu können. Die Angst der professionell Tätigen wird dadurch gewissermaßen zum Tabuthema. Selbstzweifel, ob das persönliche Tun, die eigene Kompetenz und der eigene Beitrag ausreichen, um der Situation des Patienten gerecht zu werden, werden geschürt durch das im Rahmen der professionellen Krankenbeobachtung wiederholt und gegebenenfalls dauerhaft feststellbare Vorhandensein von Belastung und Angst des Patienten. Unabhängig von der Differenzierung, ob es sich dabei um natürliche Angst oder eine Angststörung handelt, wächst so der Impuls, handeln zu wollen, um für alle Beteiligten das Aushalten der Situation zu erleichtern. In diesem Zusammenhang gedeiht und blüht ein fruchtbarer Boden für die Medikalisierung des existenziellen Themas Angst. Denn als medizinisches Problem klassifiziert, wird die Angst lösbar: in bester Absicht, aber in der Tradition eines gut eingeübten Medizinpaternalismus wird potenziell unkritisch die allzu großzügige Anwendung sedierender Medikamente betrieben. Angsterleben ist nicht per se Anlass zu medikamentöser Therapie, erst durch die intuitive oder bestenfalls strukturiert diagnostische Einordnung als pathologischer Zustand, als behandlungsbedürftiges Syndrom, wird daraus eine nachvollziehbare Indikation für Medikamentengabe. Ge-
Tavor ist das für Angst, was Tempo für Taschentücher ist. Es ist mehr als eine von mehreren Möglichkeiten – es ist ein Versprechen, es ist Lösung – oder wird zumindest gern als solche gesehen.
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nau diese situativ notwendige Selbstreflexion als Voraussetzung für angemessene Entscheidungen und die Tabuisierung eigener Belastungsgrenzen lassen letztlich fraglich werden, wessen Angst denn nun tatsächlich behandelt wird, wenn dem Patienten ein angstlösendes Medikament verabreicht wird. Wenn seitens der Belastung des Patienten keine gesicherte medizinische Indikation gegeben ist, da keine Angststörung diagnostiziert wurde, die natürliche Angst aber gleichermaßen bei Patient, Angehörigen wie professionell Tätigen anzutreffen ist – woran macht sich die Begründung dann letztlich fest? Es droht die Behandlung des Patienten zur ritualisierten Behandlung aller bestehenden Ängste des gesamten Teams zu werden. Die Ängste der Angehörigen und des Behandlungsteams werden gemildert durch stellvertretende Behandlung des Patienten. Und das Faszinierende und Gefährliche dabei ist, dass es ja vordergründig gut zu funktionieren scheint. Der Patient wird motorisch ruhiger, wirkt gelöster, und das zeigt doch, welch gute Tat dieser Eingriff in das Erleben der Betroffenen gewesen sein muss.
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Indikationssuche Aber jede medizinische Maßnahme – also auch die palliativmedizinische Therapie der Angst(-störung) – braucht die Grundlage einer rechtfertigenden medizinischen Indikation. Dem Wesen der Indikationsstellung entspricht dabei, dass aufgrund der medizinischen Einschätzung die wahrscheinliche Wirkung und Effektivität der angedachten medizinischen Maßnahme vorhersagbar wird und damit ein individueller Nutzen oder Schaden für den betroffenen Menschen abschätzbar wird. Um die Maßnahme tatsächlich als indiziert anzusehen, muss der erwartbare Nutzen den zu erwartenden Schaden übersteigen. Hier liegt im Kontext der medikamentösen Therapie von Angst das Problem: Zum einen bleibt vage, ob eine dem Wesen nach physiologische, also natürliche Angst im Rahmen der Annäherung an das
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Sterben tatsächlich eine medizinische Auffälligkeit mit pathologischer Dimension und daraus resultierendem Interventionsbedarf darstellt oder ob das letztlich eine unzulässige Medikalisierung eines natürlichen Prozesses darstellt. Wenn es aber ein natürlicher Prozess, eine existenziell menschliche Erfahrung ist, dann greift das klassische Muster der medizinischen Indikationsstellung, das erlaubt, Maßnahmen als angemessen bezüglich ihrer Wirkung abzuschätzen, nicht mehr. Dann überwiegt doch die Indikation zur Begleitung den Aspekt der Behandlung und möglicherweise werden eine veränderte Haltung und Sichtweise das zentrale Element der angemessenen Annäherung an die Angst in dieser Lebensphase. Aber unter dem Druck Ergebnisse zu liefern, mit der Erfahrung der intuitiv guten Tat und dem Erleben der schnellen Befriedigung durch die Medikamentengabe, wird ein Ritual, das unaufwendig und höchst effektiv eine Abkürzung des Reflexionsprozesses um die Grundlage der Therapieentscheidung nahe legt. Wussten Sie … dass Tavor, wenn es als Blättchen auf die Zunge gegeben wird und zerfällt, nicht über die Mundschleimhaut aufgenommen wird, sondern lediglich der »Brei« leichter zu schlucken ist – aber die Resorption des Wirkstoffes aus dem Darm erfolgt und sich deshalb die Latenzzeit bis zum Aufbau der notwendigen Wirkspiegel im Blut nicht unterscheidet von der klassischen Tablette? Wussten Sie, dass Tavor in den meisten Fällen klinisch trotzdem viel schneller wirkt, wenn es als Blättchen auf die Zunge gegeben wird? Ich finde es nicht leicht, daraus die richtige Schlussfolgerung zu ziehen: Ist das wirksame Ritual Teil eines zulässigen Begleitungsaspektes, ist die Suggestionskraft nicht genau das, was wir viel zu oft vernachlässigen als mächtiges therapeutisches Instrument? Oder ist das wirksame Ritual nur ein vernichtender Fingerzeig auf unsere Hilflosigkeit, wirklich angemessene Strategien
für komplexe Probleme zu suchen? Die Antwort bleibe ich, in guter Tradition, was konkrete Antworten auf palliativmedizinische Fragen angeht, leider schuldig. Den Appell, sich in der eingeübten, täglichen Verordnungspraxis nicht zu gemütlich einzurichten, sondern sich bitte immer wieder unwohl zu fühlen, meine ich hingegen sehr konkret. Dr. med. Bernd Oliver Maier ist Chefarzt am St. Josefs-Hospital Wiesbaden, Medizinische Klinik III, Klinik für Palliativmedizin und interdisziplinäre Onkologie, und amtierender Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). MSc in Palliative Medicine Univ. Bristol (GB). E-Mail: [email protected] Website: www.joho.de Literatur Alsonso, J. et al. (2007). Overview of key data from the European Study of the Epidemiology of Mental Disorders (ESEMeD). In: Journal of Clinical Psychiatry, 68, Supplement 2, S. 3–9. Jacobi, F.; Höfler, M. et al. (2015). Twelve-months prevalence of mental disorders in the German Health Interview and Examination Survey for Adults – Mental Health Module (DEGS1-MH): A methodological addendum and correction. In: International Journal of Methods in Psychiatric Research, 24 (4), S. 305–313. Jacobi, F.; Höfler, M.; Strehle, J. et al. (2014). Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). In: Der Nervenarzt 85 (1), S. 77–87. Maske, U. E.; Buttery, A. K. et al. (2016). Prevalence and correlates of DSM-IV-TR major depressive disorder, self-reported diagnosed depression and current depressive symptoms among adults in Germany. In: Journal of Affective Disorders, 190, S. 167–177. Mitchell, A. et al. (2011). Prevalence of depression, anxiety, and adjustment disorder in oncological, haematological, and palliative-care settings: A meta-analysis of 94 interview-based studies. In: The Lancet Oncology, 12 (2), S. 160–174.
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Leben oder Sterben?! Zur Gleichzeitigkeit von Todeswunsch und Lebenswille
Christian Metz im Gespräch mit Prof. Dr. Raymond Voltz Ein Anspruch der Palliativmedizin ist, menschenwürdiges Leben bis zuletzt zu ermöglichen und zu unterstützen. Was bedeutet es aus Ihrer Sicht und Erfahrung in der Palliative Care, wenn Menschen den deutlichen Wunsch äußern, sterben zu wollen – sie vielleicht auch Sie ausdrücklich darum bitten, ihnen hierbei behilflich zu sein? Ein solche Äußerung löst in der Regel Unbehagen und Angst bei den Betroffenen aus: Angehörige und Professionelle sind nicht selten durch einen solchen Wunsch irritiert, sie fühlen sich überfordert, zum Handeln gedrängt oder zumindest aufgerufen, die Patientinnen und Patienten zum Weiter-Leben und Aushalten zu ermutigen. Juristisch erscheint es ganz einfach: Tötung auf Verlangen ist keine Option. Doch in der Praxis bedeutet es einen langen Prozess der Kommunikation und Entscheidungsfindung. Entscheidend ist, hier möglichst genau hinzuhören, wie es gerade ist und was genau so nicht mehr auszuhalten ist. Bei Gesprächen über Todeswünsche oder erwünschter Assistenz beim Suizid sollten wir versuchen, die Betroffenen dazu zu bringen, nicht gleich in Richtung aktiver Sterbehilfe zu denken, sondern auch andere Optionen, nicht zuletzt prophylaktische Maßnahmen einzubeziehen und so das Gespräch wieder zu öffnen und Optionen klar zu machen. Es jedenfalls nicht so verengt auf dieses eine Thema Sterbehilfe anzugehen. Todeswunsch und Sterbewünsche sind sehr differenziert zu betrachten. Sterbewunsch und Lebenswunsch sind zu balancieren: Sie bestehen oft gleichzeitig. Und der Todeswunsch kann sich im Verlauf ändern. Welche Situationen und Umstände tragen dazu bei, dass ein Leben mit schwerer, fortschreitender
Erkrankung nicht mehr auszuhalten ist? Wie lässt sich damit umgehen? Zunächst einmal ist es eine sehr kleine Gruppe von Patientinnen und Patienten, die unter therapierefraktären [mit üblichen Mitteln nicht therapierbaren] Symptomen oder der Gesamtsituation so sehr leiden, dass der Todeswunsch bestehen bleibt. Häufig sind es Personen, die mit dem zunehmenden Autonomieverlust einfach nicht zurechtkommen. Insofern ist es wichtig, dass eine Wahl eröffnet wird und so der kommunikative Spielraum geschaffen wird, zunächst einmal äußern zu können, dass es genug ist, zu verstehen, was es so unerträglich macht. Eine Nichtfortführung von lebenserhaltenden Maßnahmen, das Abschalten von Geräten als eine mögliche Option einzubeziehen angesichts einer (zunehmend) terminalen Situation, wenn der Sterbeprozess begonnen hat, eröffnet eine Wahl. Die Entscheidung und entsprechende Vermittlung einer erforderlichen Therapiezieländerung hebt den Zwang eines unbedingten Weiterbehandeln-Müssens auf und ist so ein wirksames Mittel gegen eine medizinische Überversorgung von Menschen am Lebensende. Was vermag hier die Kommunikation im Team beizutragen? Durch Angst wird die Perspektive eng – wir geraten zunehmend in einen Strudel der Angst. Daher ist im Team möglichst bald der – vielleicht auch nur beiläufig – geäußerte Todeswunsch von Patientinnen und Patienten aufzunehmen und genauer hinzuhören: Was ist gemeint, was wird gewollt? Überhaupt erst zu erkennen, dass, wenn die Vorstufen des schwer Erträglichen erkannt und
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angesprochen werden, ermöglicht wird, eine tiefer gehende Beziehung aufzubauen, sodass der Patient sich dann später auch eher anvertrauen kann. Der Prozess und Übergang ist genauer zu verstehen: von dem Wunsch nach Ruhe, das ist zunächst einmal das Allererste; das Verlangen, wieder einmal durchschnaufen zu können, bis hin zu dem Wunsch, dass es bald vorbei sein möge – doch ohne dabei überhaupt an irgendwelche aktive Maßnahmen zu denken. Bis dahin, dass man beginnt, über einen bestimmten Todeszeitpunkt nachzudenken, diesen zunehmend ersehnten Moment heranzuziehen, vorauszudenken, vorzuziehen – als »wish for hastening death«. Dann die Frage: Wie macht man das dann überhaupt? Von bestimmten Gedanken zu konkreten Wünschen und ersten Planungen bestimmter Handlungen und Durchführungen. Ähnliches gilt für die erbetene Assistenz bei Suizid oder Tötung auf Verlangen. Wir können hier lernen von der Begrifflichkeit der Krisenintervention bei Suizidalität als Vorgang zunehmender Einengung der Perspektiven und Wahlmöglichkeiten. Das Ganze ist sehr komplex – es bedarf einer gewissen Kommunikationskunst im Umgang mit dem Sterbe- und Todeswunsch, der jedenfalls sehr differenziert zu behandeln ist. Was ist zu beachten, wenn der Wechsel von einer stationären Betreuung in die häusliche Umgebung ansteht, wenn es unsicher erscheint, wie es weitergehen kann? Welche vertrauensbildenden Maßnahmen lassen sich schaffen, um nicht in eine Erstarrung zwischen Lebensangst und Todesangst zu geraten – immer mit dem Schlimmsten vor Augen? Es kommt darauf an, Schritt für Schritt leben zu lernen: Was ist wem möglich, was braucht es konkret, damit es vorstellbar und auch lebbar erscheint – etwa eine Versorgung zu Hause? Hierbei sind alle einzubeziehen, die betroffen sind – die Angehörigen, die betreuenden Dienste, der Rückhalt stationärer Einrichtungen: Wer kann
im konkreten Alltag mittragen, wem wird es zu viel? Was ist besonders belastend? Was könnte wie entlasten, unterstützen? Wer ist noch einzubeziehen in das Netz der Betreuung und Begleitung? Ein solcher Übergang ist bisweilen nicht immer gut abschätzbar und wirkt oft überfordernd, die Situation erscheint brüchig. Die Angehörigen sind in einer existenziell anderen Situation, sie können nicht immer gut nachempfinden, was im Patienten vorgeht – auch wenn sie nahe dran sind; dadurch ergeben sich unterschiedliche Einstellungen und Handlungsoptionen. Dies ist zu beachten. Was sind die Erfordernisse für ein Team, um es miteinander tragen zu können – und dabei auch den aufkommenden Sterbe- oder Todeswunsch aufzunehmen und ernst zu nehmen? Als Voraussetzung ist erstens anzuerkennen, dass Gedanken bezüglich Todeswunsch völlig normal sind – auch bei guter Palliativversorgung. Das war historisch betrachtet international lange Zeit in Hospiz- und Palliative-Care-Kreisen überhaupt nicht anerkannt. Zweitens: Menschen haben gleichzeitig Todeswünsche und Lebenwillen – in unterschiedlicher Ausprägung. Drittens: Todeswünsche sind differenziert und können sich mit der Zeit auch verändern; sie können in Richtung Verengung gehen, sie können aber auch in Richtung Erweiterung gehen. Ich erinnere eine Patientin in unserer Studie, die meinte, »bevor wir darüber gesprochen haben, habe ich viel über mein Sterben nachgedacht – jetzt denke ich über mein Leben nach«. Es ist also jedenfalls einfach Raum zu schaffen, so dass angesprochen werden kann, was quält, was gewünscht oder auch nicht mehr gewünscht wird. Dabei ist zu beachten, dass sich vor allem bezüglich Einstellung und Haltung im Umgang mit dem geäußerten Todeswunsch etwas ändert – und nicht in Bezug auf die Häufigkeit des Erwähnens. Es wird womöglich und darf immer wieder
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Fortbildung wesentliche Fragen – etwa im Rollenspiel – erkundet werden: Fühle ich mich sicherer im Umgang mit solchen Situationen? Was mache ich, wenn ich als Pflegende in der Schublade die gesammelte Bedarfsmedikation finde und die Äußerung der Patientin höre: »Ich hoffe, es ist jetzt auch bald alles vorbei.«? In einem erlebten Rollenspiel wurde dies zum Beispiel gar nicht angesprochen, es wurde komplett ignoriert. Warum? Wurde es nicht wahrgenommen, nicht gehört? Es wurde verdrängt – auch unter dem Bild des »worst case«. Über solche am schlimmsten denkbare Szenarien ist jedoch zu reden: Was könnte
Sylvia Brathuhn
davon gesprochen werden. Es besteht immer wieder und immer noch die Möglichkeit, dass es sich noch verändern kann – nach beiden Richtungen. Und es lässt sich beeinflussen. Auch wenn man den Todeswunsch oder die Lebensangst nicht erkennt und aufgreift, hat dies Folgen für den weiteren Verlauf. Damit ein Team in der Lage ist, selbstbewusst mit diesem Thema umzugehen, braucht es nicht zuletzt entsprechende Fortbildung, welche die Selbsteinschätzung und die praktische Kommunikation in solchen herausfordernden Situationen einbezieht. So können schon in einer Zwei-Tages-
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denn als Schlimmstes passieren? »Tötung auf Verlangen« – wenn geäußert wird, dass die Situation so furchtbar ist und ich als Arzt oder Pflegeperson zunächst einmal sprachlos bin, wäre dies konkret durchzuspielen. Und was braucht der Patient? Dass es womöglich schon reicht, dass man dabei ist und dasitzt. Und allein das gibt Kraft und Sicherheit und Vertrauen. Zu lernen über angespielte Selbsterfahrung: Was braucht der Patient in diesem Moment – und was kann ich selbst konkret beitragen und mit ihm aushalten? Auch Gespräche mit Angehörigen werden durch die Fortbildung angeregt. Wir sind im Palliativbereich zu diesem Thema nicht ausgebildet. Das Thema wird einhellig als sehr wichtig betrachtet, kam jedoch – wie eine Befragung von Fachärzten für Palliative Care beispielsweise in Irland ergab – in der Ausbildung nicht vor. Kein Wunder also, dass das Thema beim Team Angst macht – es bleibt unheimlich, da es noch nicht angegangen worden ist. Wir reden nicht miteinander darüber, tauschen uns selten darüber im interprofessionellen Team aus. Auch Themen wie Selbstschutz und Anerkennung der aktuellen eigenen Grenzen verdienen Beachtung. Hilfreich ist dabei eine »double awareness«: das gleichzeitig Erlebte anzuerkennen – gleichzeitig sehen und denken: Lebenswille und Sterbewünsche, Hoffnung und Verzweiflung, Angst und Zutrauen. Wichtig erscheint mir, nicht nur zu warten, sondern proaktiv heranzugehen. Da können wir von der Psychiatrie lernen im Umgang mit Suizidalität: Es konkret und direkt anzusprechen, kann entlastend sein. Gespräche über Todeswünsche lösen noch keine Todeswünsche aus! Aber jedes Mal wenn der Patient sie äußert, ist es wie ein Vertrauensbeweis. Das ist wie im normalen Leben: Der Satz »ich liebe dich« verändert in der Kommunikation plötzlich alles. So ähnlich ist es, wenn der Patient sagt: »Hilf mir doch zu sterben!« Das verändert sämtliche Kommunikation und engt unter Umständen auch Kommunika-
tion ein – da laufen bei den Beteiligten viele Annahmen ab. Zum Beispiel sagte einmal eine Patientin auf der Palliativstation: »Am Freitag fahre ich nach Holland.« (Ist ja nicht so weit von Köln entfernt.) Alle dachten sogleich in Richtung Euthanasie. Doch sie wollte nur eine Freundin besuchen! Das Wort ist gekoppelt. Solche Kommunikationsfallen sind zu beachten, wo man sich reflexartig bedrängt und gedrängt fühlt, wo etwas sogleich als Handlungsappell verstanden wird. Wenn eine Beziehung sehr kurz und knapp war und sich nicht viel Vertrauen aufbauen konnte, ist es ein Geschenk, wenn sich der Sterbewunsch äußert: Er ist auch Ausdruck und Zeichen einer Vertrauensbeziehung – und nicht nur als Bedrohung wahrzunehmen. Dies wird kaum gelingen, wenn ich nicht weiß, wie ich reagieren soll; dann ist es eher eine Bedrohung. Wenn es hingegen auch als Vertrauensbeweis des Patienten verstanden wird, lässt sich anders damit umgehen. Sonst ist es nur ein unvollständig verstandener Appell. Herzlichen Dank für das Gespräch. Prof. Dr. Raymond Voltz ist seit 1985 in der Hospizbewegung aktiv, u. a. Gründungs- und Vorstandsmitglied sowie Vize- und Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Ausgebildet als klinischer und (molekular) forschender Neurologe ist er seit 2004 Direktor des Zentrums für Palliativmedizin an der Uniklinik Köln, der ersten Palliativstation Deutschlands. Er ist Mitkoordinator der wissenschaftlichen nationalen Leitlinie für Palliativmedizin und Mitglied der Steuerungsgruppe der Charta/Nationalen Strategie Palliativ- und Hospizversorgung. E-Mail: [email protected] Dr. Christian Metz ist Psychotherapeut, Dozent und Supervisor. Er arbeitet als Programmbereichsleiter von Hospiz und Palliative Care im Kardinal-König-Haus in Wien und ist Konsulent der AlpenAdria-Universität Klagenfurt in der Ab teilung Palliative Care und Organisationsethik. E-Mail: [email protected]
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»Komm her ins Kerzenlicht. Ich bin nicht bang, die Toten anzuschauen«1 Steffen Glathe Das Zimmer wurde im Sprachgebrauch der Station »Wintergarten« genannt. Es lag am Westende des Krankenhauskorridors. Seine der Eingangstür gegenüber gelegene Giebelwand verlief in einem weiten Kreisbogen und bestand hauptsächlich aus hohen Fenstern über schwergewichtigen Heizkörpern. Der enorme Lichteinfall war zumeist durch fahlgelbe Rollos und ockerfarbene Vorhänge gedämpft. Es war das schönste Zimmer der Station, und weil hierher verlegt wurde, wer nach professionellem Ermessen in Kürze sterben würde, habe ich hier die zweite Tote meines damals noch jungen Lebens gesehen. Der erste Tote war ein bei einem Badeunfall ertrunkener dunkelhaariger Mann mit einem kräftigen Schnurrbart, vielleicht in den vierziger Jahren seines Lebens, den man an Land gezogen hatte und den die Rettungskräfte so rasch verdeckten, dass mir als achtjährigem Kind, das ich war, nur ein flüchtiger Eindruck an seinen Körper geblieben ist, der gelb und wächsern wie eine Quitte aussah. Ich kann mich daran erinnern, dass ich die Schwere und Bedeutsamkeit des Umstandes erfasst, mich aber nicht sonderlich geängstigt habe. Gute zehn Jahre später, als ich in einem Hospital als angehender Medizinstudent ein Pflegepraktikum absolvierte, fand ich in jenem besagten »Wintergarten« eine tote Frau. Ihr Anblick löste eine Schockwelle des Grauens in mir aus. Sie hing mit heraufgerutschtem Flügelhemd entlang ihrer Längsachse mit der Hälfte des Körpers über dem Bettgitter und hatte den rechten Arm in einer flehenden Geste in Richtung Tür gestreckt. Die gebrochenen Augen starrten mich vermeintlich an, der Mund war wie zu einem Schrei verzerrt. Es
schien mir, als habe sie in Gegenwart ihres Todes noch verzweifelt nach menschlicher Nähe gesucht, und ich weiß nicht, ob es die in der Haltung ihrer entblößten Gestalt erstarrte Angst und Einsamkeit in Todesnähe war, die das Grauen in mir auslöste, oder der Eindruck, sie zöge mich mit nahezu unwiderstehlichem Sog zu sich, über die Scheide hinweg, die mein blutwarmes Leben von ihrem verloschenen trennte. Ich bin später, im Präpariersaal des anatomischen Institutes wie an den Sektionstischen der Pathologen, wiederholt an jene Grenze gelangt, an der ein Mensch, durch seinen Tod aus allen Beziehungen herausgerissen, gleichsam vom Du zum Ding, nämlich zum Gegenstand unserer studentischen Betrachtung wurde. Der beängstigende Eindruck, der Verstorbene riefe mich zu sich, ist erst von mir gewichen, als ich mich in – allerdings damals unausgelotetem – kontraphobischem Heroismus für mehrere Wochen als Famulus in die Pathologie begeben habe, um mich derartigen seelischen Phänomenen im Angesicht notwendigen Lernstoffs gegenüber abzuhärten. In irgendeiner Nacht meiner Kindheit zwischen dem ersten und der zweiten Toten meines Lebens habe ich, vor einem pavor nocturnus mit angehaltenem Atem in das Bett meiner Eltern geflohen, geträumt, der Tod stünde am Bettgiebel zu meinen Füßen. Er war in einen schwarzen Mantel gehüllt mit spitzer Kapuze auf dem Schädel und trug in seiner fleischlosen Hand eine Spardose in Form einer kleinen Schatztruhe. Er beugte sich über mich und schüttelte die Truhe bedächtig und lautlos vor meinem Gesicht, als fordere er mich auf, mein Leben hineinzulegen. Seither weiß ich, dass auch ich sterben werde, bis hin zu
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der im Traum vermittelten Wahrnehmung der Erde, die einmal durch das Sieb meines Brustkorbes in mich hineinfallen wird. Tatsächlich ist aus mir ein Arzt geworden, und ich kann schon für meine beruflichen Anfangsjahre aufrichtig behaupten, kein Arzt gewesen zu sein, der den Tod als Notwendigkeit des Lebens nicht hat annehmen können. Etwas anderes aber hat mich über Jahrzehnte belastet, nämlich die Angst, durch ein persönliches Versagen, gleich auf welcher Ebene, den Tod eines Menschen verschulden zu können. Die im Bemühen um Hilfe notwendige Verletzung der körperlichen Integrität eines anderen Menschen im Durchdringen seiner Haut, in der Penetration von Körperöffnungen, der operativen Freilegung seiner Binnenräume, Gewebe und Strukturen, dem Entnehmen oder Auffangen seiner Körperflüssigkeiten und Sekrete ist mir im Blick auf mögliche Folgeschäden angstbesetzt fremd geblieben, auch als sich Routine einzustellen begann und ich als Radiologe ohnehin mehr mit Bildern von Menschen als mit den Menschen selbst gearbeitet habe.
All dies erzähle ich, weil in der Rückschau darin Motive enthalten sind, die ich mittlerweile als wesentlich für die Bewältigung von Angst erkannt habe. Sie haben mit einer Verhältnisbestimmung der eigenen Wirklichkeit zu der Wirklichkeit der Welt zu tun. Bleiben wir zunächst bei der Wirklichkeit des Lebens, wie wir es in dieser Welt vorfinden. Die offensichtlich zum Leben gehörende Unausweichlichkeit des Todes hat mich in eine bis heute anhaltende Auseinandersetzung mit den Phänomenen des Sterbens und des Todes sowie ihrer Bedeutung für das Leben geführt. Mein Ringen um Verständnis erstreckt sich dabei auf alle Dimensionen des Menschseins, auf die psychophysische ebenso wie auf die geistige. Und das Bedachte bleibt für mich nun gerade nicht in einer »objektiven« Distanz, sondern zieht mich als Person auf eine Weise zu sich in die Nähe, in der überhaupt erst eine Berührung, ein wie auch immer vorläufiges Verstehen sich ereignen kann: Es geht eben nicht nur um das Sterben und den Tod an sich, sondern um mein Sterben und meinen Tod und was daraus folgt nicht nur für das Leben an sich, sondern für mein Leben. So führt mich die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit des Lebens unabdingbar in die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit meiner Person. Hinsichtlich meiner eingangs geschilderten Angst nimmt sie dabei insbesondere in den Blick, was ich angesichts des angsterregenden Faktums kann, und zwar auf eine Weise kann, die zutiefst meinem Wesen entspricht. Anders gesagt: Ich werde mich fragen müssen, wie ich bin und was ich gerade deshalb kann, weil ich bin, wie ich bin. In meinem »Fall« scheint im Erzählten schon früh das Vermögen auf, selbst über die Endgültigkeit eines Beziehungsabbruchs durch den Tod
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volle Botschaften aus der Bandbreite inneren Erlebens und ihre Resonanz im Ewigen, auf Silben und Satzfetzen, Gestammel und Schreie, auf Unterund Obertöne und ihr Oszillieren um das Gesagte und das Verschwiegene. Und dann und wann, um das eine oder andere Verstandene der Flüchtigkeit des Verstehens zu entreißen, zeichne ich es auf. Ich höre und lausche, um die Not anderer zu verstehen und sie sich selbst darin verständlich machen zu können. Denn jede Not, jede Angst werden wir auf ihren realen Gehalt hin ebenso ausloten müssen wie auf ihre Resonanzphänomene in unserem Menschsein. Und wir dürfen, ja wir sollen dem trauen, was im stetigen Hinein-
© Susan Blasius / www.susan-blasius.de
hinaus noch empfänglich zu sein für die Frequenzen verlöschender Impulse nach Berührung. Erst als ich verstanden hatte, dass und in welcher Intensität ich im Angesicht des Leides noch zur Aufnahme und Gestaltung einer tragfähigen Beziehung in der Lage bin, ja, gerade dies ureigentlich will, weil es mir am meisten entspricht, konnte ich abschütteln, was mich zuvor beengt und beängstigt hatte. Ich habe Medizin studiert und hernach Theologie. Ich habe als Radiologe gearbeitet und arbeite seit einigen Jahren als Psychotherapeut. Was ich bin, ist ein aus innerer Notwendigkeit leidenschaftlich Hörender. Ich lausche auf geheimnis-
Susan Blasius »Rast«
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finden in unsere Identität als Vermögen neu und bisweilen überraschend hervorbricht. Auch als ärztlicher Psychotherapeut arbeite ich immer wieder mit Menschen, die lebensbedrohlich erkrankt sind. Aber im Wissen um das, was ich nicht kann, und im Vertrauen auf das, was ich bin und kann, bin ich frei geworden, noch alles Gelernte, Erdachte, jede Hypothese loszulassen und ohne Angst in die Begegnung mit Menschen und ihrer Geschichte auch in schwierigsten Situationen hineinzugehen. Manchmal bleibt mir nichts mehr, als behutsam eine Brücke in die Luft zu buchstabieren in der Gewissheit, dass sie tragfähig sein kann, und der Hoffnung, sie werde begangen werden. Wenn eine heilsame Begegnung darauf sich ereignet, bin ich glücklich.
Dr. med. Steffen Glathe, M. A., hat Medizin und Theologie studiert. Nach langjähriger Tätigkeit als Leiter eines Mammazentrums in Südnorwegen arbeitet er heute als Psychotherapeut (Logotherapie und Existenzanalyse) in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Altenburg/Thüringen sowie in eigener Praxis in Mehna. Er publiziert und referiert zu existenziellen Fragestellungen im deutschsprachigen Raum. Website: www.steffen-glathe.de Anmerkung 1 »Komm her ins Kerzenlicht. Ich bin nicht bang, die Toten anzuschauen. Wenn sie kommen, so haben sie ein Recht, in unserm Blick sich aufzuhalten, wie die andern Dinge. Komm her; wir wollen eine Weile still sein.« (aus: Rainer Maria Rilke, Requiem für eine Freundin, 31.10.–2.11.1908, Paris)
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Angst vor Toten?! Wie sich die Begegnung mit toten Menschen verändert hat und warum sie wichtig ist
Tanja M. Brinkmann und Jörn Gattermann Wie viele Menschen haben schon einmal einen toten Menschen gesehen? Wie viele haben ihn berührt? Unseres Wissens gibt es keine empirischen Studien, die quantitativ oder qualitativ etwas darüber aussagen, wie das Vis-à-vis mit Toten in Deutschland aussieht. Deshalb müssen wir uns auf Erfahrungen, Beobachtungen, Literatur und Beispiele stützen, um unsere beiden
Thesen zu belegen: (1) Aufgrund von Delegation und Institutionalisierung haben die meisten Menschen heute Angst vor ihrer ersten Begegnung mit einem toten Menschen. (2) Das Sehen und Berühren von toten Menschen ist ein bedeutender Beitrag zur Verlustbewältigung. Fehlende Selbstverständlichkeit der Totenbegegnung
Ulrike Rastin
Wenn wir Teilnehmende in Palliative-Care-Kursen nach deren ersten Toten fragen, sind zunächst Generationsunterschiede auffällig: Die Generation, die vor 1960 geboren ist, erzählt von selbstverständlichen Begegnungen mit toten Menschen, weil Aufbahrungen Normalität waren. Dabei galt: Je ländlicher, desto mehr. Die toten Menschen wurden häufig bis zur Trauerfeier und Bestattung zu Hause behalten, sodass der Tod eines Menschen in der Nachkriegszeit in die Gemeinschaft gehörte und in den Alltag integriert wurde. Beim Autorenteam, das 1968 und 1973 geboren ist, stellt sich das anders dar. Gattermann: Tanja, wie war das in deiner Kindheit und Jugend? Brinkmann: Trotz ländlicher Sozialisation war meine Wirklichkeit in den 1970er und 1980er Jahren so: Wenn es Aufbahrungen gab, dann in der Friedhofskapelle, nicht zu Hause. Kinder waren dabei wenig bis gar nicht erwünscht, prägend war der Satz »Behalte … lieber so in Erinnerung, wie er/sie zu Lebzeiten war«. Auch von Trauerfeiern und Bestattungen wur-
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den Kinder und Jugendliche eher ferngehalten als willkommen geheißen. Gattermann: Ich habe als Kind oder Jugendlicher nicht an einer Trauerfeier oder Bestattung teilgenommen. Als mein Großvater, den ich sehr mochte, gestorben ist, waren meine Eltern der Überzeugung, dass eine Beerdigung eine schlimme Erfahrung für mich ist. Deshalb wollten sie mich davor schützen. Auf meiner ersten Beerdigung war ich dann erst mit zwanzig Jahren, als mein anderer Großvater gestorben ist. Diese Beerdigung fand ich schlimm, weil es während der Zeremonie keinerlei persönlichen Bezüge zum Leben meines Opas gab. Somit fehlte mir letztlich bei beiden Großvätern die Möglichkeit, Abschied zu nehmen. Heute verlaufen Trauerfeiern wesentlich persönlicher, und ich war mit einem meiner Söhne auch bei der Beerdigung seiner Urgroßmutter beziehungsweise meiner Großmutter, als er neun Jahre alt war. Das war insgesamt auch tröstlich für ihn. Delegation und Institutionalisierung erzeugt Angst vor Toten Heute dagegen ist es keine Seltenheit, dass Menschen dreißig oder vierzig Jahre alt sind, aber noch nie einen Toten gesehen oder angefasst haben. Philippe Ariès spricht in seiner Geschichte des Todes passenderweise von einer »Ausbürgerung des Todes« (Ariès 2009, S. 741). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist es zu einer zunehmenden Delegation des Sterbens an Institutionen gekommen, die sich bis heute fortsetzt. Zwar verliert der Sterbeort Krankenhaus an Gewicht, aber nach wie vor sterben 51 Prozent im Krankenhaus. Die Institutionalisierung des Sterbens breitet sich sogar aus, weil das Pflegeheim mit 19 Prozent als Sterbeort am stärksten zugenommen hat und 5,5 Prozent in stationären Hospizen oder auf Palliativstationen sterben (vgl. Dasch et al. 2015, S. 498). Parallel zur Institutionalisierung des Sterbens findet eine Professionalisierung des Bestattungs-
wesens statt. Klassische Bestattungsunternehmen setzen auf Delegation: Die trauernden Angehörigen sind Auftraggeber, denen möglichst viel abgenommen und erspart werden soll. Dazu gehört auch das Sehen von toten Menschen. Diese Mischung aus Delegation, Institutionalisierung und Professionalisierung des Sterbens und des Todes führt dazu, dass es für immer weniger Menschen zu einer selbstverständlichen Begegnung mit Toten in einer frühen Lebensphase kommt. Dies erzeugt Angst vor der (ersten) Begegnung mit Toten. Gattermann: Tanja, wie hast du das in deiner Zeit im Bestattungswesen erlebt? Brinkmann: Ich hatte das große Glück, jeweils für Bestatter/-innen tätig zu sein, die sich sehr dafür einsetzen, den An- und Zugehörigen die Begegnung mit ihrem toten Menschen zu ermöglichen. Nicht selten war dies aber gar nicht gewünscht, wahrscheinlich weil diese Menschen genauso sozialisiert wurden wie wir auch. Häufig gingen aber An- und Zugehörige auch auf den Vorschlag ein, den Toten noch einmal zu sehen, oder wünschten es sich selbst. Handelte es sich um die biografisch erste Begegnung mit einem toten Menschen, dann war das häufig mit Angst und Unsicherheit verbunden. Menschen haben Berührungsängste und Fantasien, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben. Totenbegegnung als Verlustintegration Wer seine verstorbenen Angehörigen sieht, bei dem ist die Wahrscheinlichkeit höher, den Verlust besser in das eigene Leben zu integrieren, als wenn jemand dies nicht tut. William Worden hat vier Traueraufgaben formuliert und »Den Verlust als Realität zu akzeptieren« (Worden 2011, S. 45) ist eine davon. Diese Verlustrealisierung kann durch das Sehen und Berühren der toten Person unterstützt werden. Obwohl Trauertheorie- und Trauerbegleitmodelle zum Teil sehr heterogen sind, wird die Er-
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Gattermann: Ich denke an Menschen, die durch Gewalteinwirkungen zu Tode gekom-
men sind. Kann das Sehen da nicht traumatisierend wirken? Brinkmann: Ja, kann es, ist aber eher selten. Es sind vielleicht zwei bis drei Prozent der Toten, die etwa durch Unfall, Suizid, Mord oder Verbrennung zu Tode kommen. Ein sehr geringer Anteil also, für den die Begegnung traumatisch sein kann. Hier kommt es auf das Feingefühl der professionellen Begleiter/-innen, insbesondere der Bestatter/-innen an. Ich erinnere etwa aus meiner Zeit im Bestattungswesen einen toten jungen Mann nach einem Fahrradunfall, der multiple Frakturen hatte. Sein linker Arm und seine linke Hand waren aber unversehrt und den Angehörigen reichte dieses Detail, um den Toten zu erkennen. Akteure und Akteurinnen eines einsetzenden Gegentrends Der S3-Leitlinie Palliativmedizin zufolge besteht ein Expertenkonsens, dass den Angehörigen nach dem Tod ein Abschied vom Verstorbenen entsprechend ihren Bedürfnissen und Ressour-
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Syda Productions/Fotolia
fahrung, den Toten noch einmal zu sehen und zu berühren, bei fast allen als bedeutsamer Aspekt der Verarbeitung des Verlustes hervorgehoben. Die Zeit zwischen Tod und Bestattung nennt Ruthmarijke Smeding in ihrem Modell »Trauer erschließen« Schleusenzeit (vgl. Smeding und Heitkönig-Wilp 2010, S. 148). In dieser besonderen Zeit sind Begegnungen zwischen Toten und trauernden An- und Zugehörigen noch möglich und sie betont, wie wichtig an dieser Stelle professionelle Begleiter/-innen mit dem richtigen Hilfsangebot sind. Hierzu zählt sie in diesem Zeitraum insbesondere Rituale wie Totenberührungen, -waschungen, Ankleidung oder Totenwache. Folgerichtig formuliert der Bundesverband Trauerbegleitung folgenden Risikofaktor für erschwerte Trauer: »Verluste, die nicht als ›wirklich begriffen werden können‹, weil kein Leichnam vorhanden ist oder weil der Abschied vom Leichnam nicht möglich war/nicht ermöglicht wurde« (Paul 2011, S. 76).
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cen, den kulturellen Gepflogenheiten und religiösen Pflichten ermöglicht werden soll. Der Einbezug in die Versorgung des Leichnams (zum Beispiel Waschen, Ankleiden) solle auf Wunsch erfolgen. Wir würden einen Schritt weiter gehen und An- und Zugehörigen diesen Einbezug nicht nur auf Wunsch ermöglichen, sondern direkt empfehlen. Dies gilt auch und insbesondere für Kinder, die genauso wie Erwachsene darauf angewiesen sind, den Tod be-greifen zu können. Voraussetzung jedoch für diesen Einbezug von Kindern ist, dass das Kind altersadäquat informiert ist und selbst entscheidet, was es tun und was es lassen möchte. Erfreulicherweise ist in den letzten Jahren ein Trend zu beobachten, dass Bestattungen immer weniger traditionell und institutionell geprägt ablaufen. Zunehmend mehr Bestatter/-innen zeigen sich offen für persönliche und vielleicht auch ungewöhnliche Bedürfnisse und Wege in der Trauer und überlassen den An- oder Zugehörigen die Entscheidung, ob sie sich an traditionellen religiösen Zeremonien orientieren wollen oder ob sie nach neuen Symbolen und Ritualen für den Abschied suchen möchten. Fazit Unsere Ausgangsthese war, dass für die meisten Menschen die erste Begegnung mit toten Menschen angstbesetzt ist. Wir möchten ermutigen, die Begegnung mit Toten wieder als etwas Selbstverständliches zu begreifen und der weitverbreiteten Vorstellung widersprechen, dass es schonender sei, die Verstorbenen nicht noch einmal zu sehen oder gar zu berühren. Der Beitrag hat gezeigt, dass Sehen und Berühren von Toten wichtige Aspekte sind, um den Verlust im wahrsten Sinne des Wortes zu be-greifen. Zudem kann durch das Sehen und Berühren der Toten für die Verlustbewältigung ein bedeutsamer Beitrag geleistet werden.
Im Rahmen des Projektes: »Mein erster Toter« sammeln Dr. Tanja M. Brinkmann und Jörn Gattermann Erzählungen, Interviews, Gedichte, Zeichnungen, Fotos, Videos und andere Beiträge, in denen Menschen ihre erste Begegnung mit Verstorbenen porträtieren. Ziel dabei ist es, durch eine Veröffentlichung dieser Erfahrungen zu einem leichteren, salon- und damit (wieder) gesellschaftsfähigeren Umgang mit toten Menschen beizutragen. Für weitere Informationen und die Einreichung von Beiträgen schreiben Sie bitte an: [email protected] Dr. Tanja M. Brinkmann hält bundesweit Vorträge und gibt Fortbildungen und Trainings zu Trauer am Arbeitsplatz, Palliative Care und Selbstsorge. Als Trauerberaterin begleitet sie Unternehmen, Teams und Privatpersonen nach einem schweren Verlust in Bremen. Sie ist promovierte Soziologin, Sozialpädagogin, Krankenschwester, hat eine Trauerberatungsweiterbildung absolviert und Erfahrungen in allen Tätigkeitsbereichen einer Bestatterin. E-Mail: [email protected] Website: www.tanja-m-brinkmann.de Jörn Gattermann arbeitet als Bereichsleitung in der Fort- und Weiterbildung im Klinikum Bremen-Mitte. Schwerpunkte sind dabei die Weiterbildungen für Leitungsaufgaben, Onkologie und Palliative Care. Zudem ist er stellvertretender Vorsitzender des Klinischen Ethik-Komitees am Klinikum Bremen-Mitte und im Vorstand der KOK – Konferenz Onkologischer Kranken- und Kinderkrankenpflege innerhalb der Deutschen Krebsgesellschaft. E-Mail: [email protected] Webseite: www.gesundheitnord.de/ibf-bremen-mitte.html Literatur Ariès, P. (2009). Geschichte des Todes. München. Dasch, B.; Blum, K.; Gude, P.; Bausewein, C. (2015). Place of death: Trends over the course of a decade. In: Deutsches Ärzteblatt International, 112, S. 496–504. Leitlinienprogramm Onkologie (2015). S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung. Stuttgart. Paul, C. (Hrsg.) (2011). Neue Wege in der Trauer- und Sterbebegleitung. Hintergründe und Erfahrungsberichte für die Praxis. Gütersloh, S. 69–84. Smeding, R. E. W.; Heitkönig-Wilp, M. (Hrsg.) (2010). Trauer erschließen. Wuppertal. Worden, J. W. (2011). Beratung und Therapie in Trauerfällen. Ein Handbuch. Bern.
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Wenn der Wunsch nach Sicherheit im Krankenhaus Angst macht Perspektiven einer organisationalen Angstbearbeitung im Feld der Patienten- und Mitarbeitersicherheit
Stefan Dinges Dass Patientinnen und Patienten Angst vor einem wirren und ängstigen. Die statistischen Daten, mit Krankenhausaufenthalt haben, ist aus vielerlei welcher Wahrscheinlichkeit diese Risiken WirkHinsicht verständlich: Die internen Abläufe sind lichkeit werden können, beruhigen nicht. für Außenstehende nicht gleich einsichtig. Im Hinterkopf verunsichert eine vielleicht bedrohliche, Hochriskant und hochverlässlich – geht das? jetzt noch nicht geklärte Krankheit, Symptome irritieren und ängstigen; der Verlust eines vertrauten In der Organisationstheorie wird von »Hoch- Zuhauses und die ungewohnte Umgebung, in Ver- Risiko-Organisationen« gesprochen, die zugleich bindung mit dem Wissen um Krankenhauskeime, auch »Hoch-Verlässlichkeits-Organisationen« sein Infektionen und mögliche Komplikationen, min- sollen – damit Menschen nicht nur angstfrei bedern keine Angst. Jetzt sollte man meinen, die Ex- handelt werden, sondern in ihnen Menschen auch pertenorganisation Krankenangstfrei arbeiten können. In haus sei durchaus in der Lage, Das Eingeständnis einer Bezug darauf ist im Krankenmit ihrer Expertise, Routine haus noch einiges zu lernen. Expertenorganisation von und Erfahrung Patienten dieDer Leitsatz der Plattform eigener Verwundbarkeit Patientensicherheit1 in aller se Ängste zu nehmen – gerade weil es ihr Beruf und und Unsicherheit erscheint Kürze: Sichere PatientenverGeschäft ist, Menschen in krisorgung baut auf Mitarbeiein Widerspruch in sich tischen Lebenssituationen zu ter/-innen, die sicher arbeiten und ist doch die Voraus- können. Wie geht es den Mitbegleiten. Und wenn eine Patientin dann von einer Pflegearbeitern der Gesundheitsbesetzung zu einer neuen person empfangen und aufs rufe, deren Arbeitsalltag die Kultur im Umgang mit Zimmer begleitet wird, kann (Krankheits-)Krise der andeRisiken und Fehlern. ein erster Schritt gelingen, ren ist? Was brauchen Miteine eventuell aufkommende arbeiter, um sich selbst sicher Angst zu besänftigen. Doch dieses Gefühl der Si- zu fühlen und die Angst der Patienten und Patiencherheit hält meist nur bis zur präoperativen Auf- tinnen vor Krankheit und Behandlung zu besänfklärung: Nicht wenige Patientinnen und Patienten tigen? Was behindert und was fördert Sicherheit fühlen sich mit der Fülle an Informationen über- und Verlässlichkeit im Krankenhaus? Wie kann fordert und allein gelassen. Die Summe der Risi- es gelingen, dass Krankenhäuser zu Einrichtunken und möglichen Komplikationen, die der mo- gen werden, die in der Lage sind, die Expertise derne Medizinbetrieb mit sich bringt und die in ihrer Mitarbeiter zu nutzen und keine »dummen seitenlangen Aufklärungsbögen gepackt wird, ver- Organisationen« (H. Willke) zu sein? Was braucht
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 58–61, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
Werner Walker, … So schlimm wirds schon nicht sein …, 2009
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es, damit ein Krankenhaus eine »empathische Organisation« wird, in der ein »kollektives Wissen« (P. Heintel) wirksam werden kann – ein Wissen um Angst und Leiden der Patienten und Patientinnen, aber auch um die Unsicherheiten und Ängste der Mitarbeiter/-innen? (vgl. Schluchter 2016, S. 367). Vor der Therapie steht die Diagnose: Krankenhäuser sind noch nicht gut genug im Umgang mit Risiken und Fehlern, mit Zwischen- und Scha-
densfällen (vgl. Dinges 2007). Insbesondere die hierarchischen Strukturen behindern schnelle und transparente Kommunikation, viele Schnittstellen, etwa durch unterschiedliche Diagnoseorte, produzieren nicht nur Wartezeiten, sondern auch Kommunikationsabbrüche, zum Beispiel durch ein Übermaß an Dokumentationen. Doch Papier allein kommuniziert nicht, vielleicht funktionieren deswegen die Aufklärungsformulare nicht gut.
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Colourbox
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Angstgetriebenes Krankenhaus? Mitarbeiter/-innen haben Angst, einen Fehler zu machen, bei dem Patienten zu Schaden kommen. Gleichzeitig werden Risiken zu wenig vergemeinschaftet und kommuniziert, als hätte die Expertenorganisation Krankenhaus Angst davor, nicht mehr weiterzuwissen. Drei aktuelle Beobachtungen sind für Unsicherheit und Ängste quasi ein Verstärker: »Defensivmedizin«, »Verantwortungsdelegation« sowie »Leiden am eigenen Team und an der Organisation«. Defensiv- oder Absicherungsmedizin fokussiert nicht auf eine tragfähige Arzt-PatientenBeziehung, auf Gespräch, Aufmerksamkeit und Beteiligung der Patienten – auch am Risiko der Behandlung. Die Aufmerksamkeit liegt häufig auf der Datensammlung, damit die Expertise der Diagnose bestehen bleibt. Die Aufmerksamkeit liegt auf den begründeten Therapiemöglichkeiten, um handlungssicher aufzutreten. Ängste und Unsicherheiten können hier leicht als Kritik an der Kompetenz verstanden werden – statt als Bitte um dosierte Anwendung. Absicherungsmedizin geht Hand in Hand mit Absicherungsrecht, das nicht nur bei den Gerichten vorherrscht, sondern zum Beispiel auch bei den medizinischen Diensten der Krankenkassen zu finden ist. Hier ist die Angst dominant, falsch, schlecht oder unzureichend zu versorgen. Hierarchische Organisationen haben ihre Stärke in der arbeitsteiligen Organisation und in einer gewissen Ablaufsicherheit. Das funktioniert dort gut, wo immer auch die Verantwortung entsprechend geklärt ist. Solange der Verantwortungsbereich unklar oder nicht zu bewältigen ist, wird oft nicht oder nur im Sinne der Absicherung entschieden. Im Zweifelsfall kann es sein, dass die Verantwortung an die übergeordnete Ebene zurückdelegiert oder umgekehrt ein Fehler einer untergeordneten Instanz zugeschrieben wird. Die Patienten finden sich in Handlungszusammenhängen und Routinen wieder, in denen mit ihnen zu wenig kommuniziert wird, die sie zu wenig
verstehen und die anscheinend nicht aufzuhalten sind (Dinges 2014). Und vor allem: Wer stellt sich den ängstlichen Fragen der Patientinnen und Patienten? Mitunter treffen dann die psychosozialen Berufe, die Psychotherapeuten und Seelsorger, auf Situationen wie diese: Eine frisch transplantierte Patientin ruft in der Nacht die Seelsorgerin, voll Sorge mit der bangen Frage: »Bin ich hier in einem guten Haus?!« Die zögerliche Antwort, beginnend mit »Naja, wir bemühen uns schon sehr …«, ließ die Angst der Patientin so eskalieren, dass sich ihr Allgemeinzustand gefährlich verschlechterte und in der ärztlichen Morgenbesprechung für Aufregung sorgte über solch ein unprofessionelles Handeln … Wohlgemerkt: Viele Kollegen und Kolleginnen in Medizin und Pflege leiden an derartigen unbefriedigenden Teamsituationen, versuchen mit viel Engagement, auftretende Defizite zu kompensieren und abgerissene Gesprächsfäden wieder aufzunehmen. Oftmals ist nicht wirklich von Teams zu sprechen; insbesondere im Bereich der ärztlichen Berufsgruppe entsteht eher der Eindruck einer Gruppe mit unterschiedlichen Interessen und nicht das Bild eines interprofessionellen Teams, das mit den Pflegenden gut abgestimmt ist und gemeinsame Ziele verfolgt. Alle Berufsgruppen leiden unter Zeitdruck, den immer knapper werdenden Ressourcen und ökonomischen Zwängen. All das macht Behandlungsprozesse unsicher und ängstigt Patienten und Mitarbeiter. Wie kann dem Leiden in den Teams und in den Gesundheitseinrichtungen begegnet werden? Es braucht eine transparente und unaufgeregte Kommunikation über Risiken und Fehler in den Teams und gegenüber den Patienten: »Tatsächlich, Behandlungsprozesse sind riskant, doch wir tun das Menschenmögliche, um Risiken zu vermeiden beziehungsweise rechtzeitig zu erkennen«: Durch Risikoabwägungen, durch verbindliche Regeln zu Hygiene und durch den Einsatz von
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Checklisten, zum Beispiel vor, während und nach Operationen; durch routinemäßige Nachbesprechung von Fehlern und Zwischenfällen, gleichgültig, ob ein Schaden für Patienten eingetreten ist oder nicht. Das Eingeständnis einer Expertenorganisation von eigener Verwundbarkeit und Unsicherheit erscheint ein Widerspruch in sich und ist doch die Voraussetzung zu einer neuen Kultur im Umgang mit Risiken und Fehlern. Dazu gehört die Einsicht, dass, wo Menschen arbeiten, der menschliche Faktor ausschlaggebend ist für Risiken und Fehler. Dorothee Sölle, die evangelische Theologin, Dichterin und Feministin, hat mit dem Bild eines »Fensters der Verwundbarbeit« (Sölle 1987), das einen Spalt weit offen stehen muss, eine hilfreiche Orientierung für eine neue Kultur im Gesundheitswesen gegeben. Ihr Bild reagiert auf ein diametral gegenläufiges Bild von Militärstrategen, die jegliche Verwundbarkeit zu vermeiden suchen und so die Fenster hermetisch verschlossen halten wollen. Wenn im Gesundheitswesen vom »Kampf gegen die Krankheiten« gesprochen wird, ist die Kriegsmetaphorik nicht fern. Sölle wendet sich gegen diese Militarisierung der Gehirne, mit der sich Expertenorganisationen gleichsam für unverwundbar halten und massive Ängste auslösen. Das Gegenbild: Trotz aller Risiken und trotz Lebensgefahr signalisiert ein offenes Fenster, dass wir Menschen bleiben, und es weist hin auf die notwendige Beziehung, auf Verständigung und Mitteilung – gerade angesichts von Krankheit und einem möglichen Lebensende. Was Patientinnen und Patienten ersehen und wünschen, nämlich dass sie jemand an die Hand nimmt und vertrauensvoll durch Diagnose und Behandlung führt, ist in vielen Versorgungs- und Behandlungskontexten zur Utopie geworden. P. Petersen (1983) hat hervorgehoben, dass diese Erwartung gerade auf den Arzt als Therapeuten fokussiert – im ursprünglichen Sinn von »therapeuein« –, der zum Weggefährten
wird. Eine solche »Gefährtenschaft im Leiden« als ärztlich-therapeutische Aufgabe anzubieten und zu konstituieren, kann Angst wahrnehmen und beruhigen. Diese therapeutische Kompetenz der Entängstigung brauchen alle Gesundheitsberufe. Und: Sicherheit ist eine Querschnittsmaterie, die – ähnlich wie Qualität, Hygiene oder Ethik – quer zu den Hierarchieebenen, Fächern und Professionen zu organisieren und zu kommunizieren ist. Gleichzeitig sind die Patienten wesentlich daran zu beteiligen, nämlich als Koproduzenten ihrer eigenen Sicherheit – gerade angesichts ihrer Ängste, mit denen sie nicht allein gelassen werden. Stefan Dinges ist Leiter des Zentrums für Ethikberatung und Patientensicherheit am Instistut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien. Daneben Leitungsaufgaben in konfessionellen Krankenhäusern im Bereich Klinikseelsorge, Ethik- und Palliativberatung; vielfältige freiberufliche Tätigkeiten auf allen Ebenen von Gesundheitseinrichtungen. E-Mail: [email protected] Literatur Dinges, S. (2007). Für eine andere Kultur im Umgang mit Beinahe-Fehlern und Risiken im Krankenhaus. In: Wagner, R. (Hrsg.), Near-Miss. Systematischer Umgang mit Beinahe-Unfällen. Wien. Dinges, S. (2014). Wahrheit am Krankenbett – eine Teamaufgabe im Behandlungsprozess?! In: Chirurgie 2/14, 14–16. Heintel, P. (2010). Prozessethik. Zur Organisation ethischer Entscheidungsprozesse. Wiesbaden. Petersen, P. (1983). Gefährte meines Leidens – über den therapeutischen Dialog. In: Wege zum Menschen, 35, S. 435–445. Schuchter, P. (2016). Sich einen Begriff vom Leiden anderer machen. Eine Praktische Philosophie der Sorge. Bielefeld. Sölle, D. (1987). Das Fenster der Verwundbarkeit. Theologisch-politische Texte. Stuttgart. Willke, H. (1997). Dumme Universitäten, intelligente Parlamente. In: Grossmann, R. et al. (Hrsg.), Wie wird Wissen wirksam. Wien. Anmerkung 1 http://www.plattformpatientensicherheit.at; die entsprechen den Organisationen in Deutschland und in der Schweiz: http://www.patientensicherheit.ch und http://aktionsbuendnis-patientensicherheit.de
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Demenz – eine Krankheit der Angst? Marion Bär Wenn es um Demenzerkrankungen geht, denken die meisten Menschen spontan an Gedächtnisverluste und Orientierungsprobleme. Welche Bedeutung aber hat Angst? Dieser Artikel begibt sich auf eine Spurensuche. Wo taucht die Angst im Umfeld der Demenz auf und wie lässt sie sich beschreiben? Wenn im Folgenden dabei von »der« Demenz die Rede ist, so steht dieser Ausdruck für die primär degenerativen Demenzformen wie Alzheimer-Demenz und vaskuläre Demenz, die als altersassoziierte Erkrankung im Zuge der sich verlängernden Lebenserwartung seit Jahren in ihrer Häufigkeit zunehmen. Empirische Befunde Die Angst vor der Demenz Umfragen des Forsa-Instituts (zum Beispiel Forsa 2015) haben wiederholt gezeigt: Die Demenz gehört zu den am meisten gefürchteten Erkrankun-
gen. Bei Personen über 65 Jahren steht sie sogar an erster Stelle. Jeder zweite in diesem Alter fürchtet, an einer Demenz zu erkranken. Für manche wird diese Angst regelrecht zur Obsession. In Gedächtnisambulanzen sind solche Personen in den letzten Jahren zu einer neuen Klientengruppe geworden: Menschen, die über Gedächtnisprobleme klagen und sich Sorgen machen, dass eine Demenz dahinterstecken könnte, ohne dass sich für diese Befürchtungen diagnostische Anhaltspunkte finden lassen. Dieses Phänomen ist von Kessler et al. (2014) als »dementia worry« beschrieben worden: eine emotionale Reaktion auf die wahrgenommene Bedrohung, an einer Demenz zu erkranken. Diese Reaktion geht mit Angstgefühlen und entsprechenden gedanklichen Befürchtungen einher. Noch fehlen Untersuchungen dazu, wie verbreitet »dementia worry« in der Gesamtpopulation älterer Menschen ist. Sicher ist aber: Für viele, insbesondere für ältere Menschen ist die Demenz eine Krankheit, die Angst macht.
Nicht immer erschließen sich die Auslöser der Angst für Außenstehende unmittelbar. Gerade bei fortgeschrittener Demenz, wenn Betroffene in ihren verbalen Ausdrucksmöglichkeiten eingeschränkt sind, ist häufig ein längerer Suchprozess erforderlich, bis man herausgefunden hat, was der Person Angst macht, um ursachenbezogen handeln zu können.
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 62–66, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
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Angst – aber wovor?
Wenn im Zusammenhang mit einer bestehenden Demenz von Angst die Rede ist, ist damit meist eines der sogenannten nichtkognitiven Krankheitssymptome gemeint. Es gibt zusätzlich zu den kognitiven Einschränkungen verschiedene Veränderungen des Erlebens und Verhalten, die bei einer Demenz auftreten können. Fast jeder zweite Mensch mit Demenz ist im Verlauf der Erkrankung mit Angstsymptomen konfrontiert (vgl. Grümmer 2014). Bestimmte Demenzformen, wie die Lewy-Body-Demenz und die Demenz bei Parkinson-Erkrankung, gehen häufiger mit Angstsymptomen einher. Auch bei pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz finden sich immer wieder erhöhte Angstwerte. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf Zusammenhänge zwischen der Angst bei Patienten mit beginnender Demenz und erhöhtem Stress bei pflegenden Angehörigen (Hynninen et al. 2012). Allerdings konnte bislang nicht geklärt werden, ob nun höhere Angstwerte bei Patienten mit Demenz zu einer höheren Belastung der Angehörigen führen oder ob umgekehrt stark belastete Angehörige dem betroffenen Menschen mehr Angst machen.
Angst, so zeigen diese Befunde, ist im Zusammenhang mit Demenz wirklich ein Thema, dass sich sowohl auf Bevölkerungsebene als auch als individuelles Phänomen bei betroffenen Personen und ihren Angehörigen findet. Das Studium empirischer Beiträge zur Angst bei Demenz zeigt allerdings auch einen leeren Fleck: Es geht um Definitionen, Häufigkeiten, Therapiemöglichkeiten – selten aber um die Gründe der Angst. Dabei ist Angst ja dadurch gekennzeichnet, dass sie einen Gegenstand hat. Hört man auf, danach zu fragen, so medikalisiert man die Angst, erklärt sie zum reinen Symptom, oder, wie im Fall der »dementia worry«, sogar zum Syndrom. Was also fürchten Menschen an der Krankheit Demenz? Der Theologe Wilfried Härle (2010) hat dazu einmal folgende Hypothese aufgestellt: Viele Menschen halten ihren Verstand für das Wertvollste, was sie haben. Sie ängstigen sich vor dem, was unkontrolliert aus ihnen hervorkommen könnte. Sie fürchten sich davor, von anderen Menschen abhängig zu werden. Und sie sind davon überzeugt, dadurch ihre Menschenwürde zu verlieren. Diese Hypothese findet Unterstützung in den Ergebnissen einer Untersuchung
© Tom Levold
Die Angst bei Demenz
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von De Rynck et al. (2011). Hier wurden Personen aller Altersgruppen danach gefragt, welche Bilder ihnen in den Sinn kommen, wenn sie das Wort »Demenz« hören. Es fanden sich Bilder wie die folgenden: Der Verlust von dem, was uns zum Menschen macht; der heimtückische Angreifer, den man bekämpfen muss; Todesangst – mit der Diagnose Demenz ist das Leben zu Ende; Nehmen ohne Geben – Demenz bedeutet, dass man für andere nur noch zur Belastung wird. Diese Bilder sind düster. Sie suggerieren, dass ein Leben mit der Erkrankung nicht mehr lebenswert sei. Solche Bilder und entsprechende Ängste finden sich im Übrigen auch in Interviews mit Personen mit beginnender Demenz. Eine 84-jährige Dame, die sich ihrer Demenzerkrankung sehr bewusst war und versuchte, ihren Alltag so aktiv wie möglich zu gestalten, sagte einmal zu mir: »Gott sei Dank bin ich ja noch nicht dement.« Die Angst von Menschen mit Demenz hat aber oft ganz unmittelbare Gründe. Vieles im Alltag, insbesondere in fremder Umgebung, kann zum Stressor werden, weil man es nicht mehr kognitiv verarbeiten und es sich erklären kann. Solchen Situationen ausgesetzt zu sein, macht Angst. Nicht immer erschließen sich die Auslöser der Angst für Außenstehende unmittelbar. Gerade bei fortgeschrittener Demenz, wenn Betroffene in ihren verbalen Ausdrucksmöglichkeiten eingeschränkt sind, ist häufig ein längerer Suchprozess erforderlich, bis man herausgefunden hat, was der Person Angst macht, um ursachenbezogen handeln zu können. Und was führt bei pflegenden Angehörigen zu Angst? In den Studien wird deutlich: Die Pflege von Menschen mit Demenz ist für Angehörige häufig mit besonderen Belastungen verbunden. Insbesondere Verhaltensänderungen wie Unruhe und aggressives Verhalten, Tag-Nacht-RhythmusStörungen und das Gefühl, den betroffenen Menschen nicht allein lassen zu können, führen zu hoher Belastung. Vielleicht drückt sich die Angst in Gedanken aus wie: Welche unvorhergesehene Situation kommt als Nächstes auf mich zu? Was
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stellt mein Angehöriger an, wenn ich einmal nicht nach ihm schauen kann? Was mache ich, wenn er wütend wird, weil er die Situation nicht versteht? Angst vor dem Unkontrollierbaren. Angst um den Angehörigen mit Demenz. Manchmal vielleicht auch: Angst vor ihm.
Oskar Schlemmer, Striped Portrait, 1932/Private Collection / Bridgeman Images
Der Angst ein Gesicht geben Meines Erachtens ist es wichtig, der Angst im Kontext der Demenz ein Gesicht zu geben. Sie ist sehr oft kein sinnloses Symptom, sondern eine nachvollziehbare Folge erlebter Belastung, Bedrohung oder Überforderung. Wenn man nach den Gründen der Angst fragt, so macht man Entdeckungen: beispielsweise, dass es in der Angst vor der Demenz nur teilweise um Angst vor den Demenzsymptomen selbst geht. Viele Ängste beziehen sich vielmehr auf befürchtete Folgen der Erkrankung. Dass keine Lebensqualität mehr möglich sei. Oder dass die Einschränkungen zu Beeinträchtigungen der Würde führen. Was Menschenwürde ausmacht und was sie beeinträchtigt, ist nicht erkrankungsabhängig, sondern hat mit gesellschaftlichen Werten zu tun. Die Demenz erscheint gleichsam wie eine Ohrfeige gegenüber zentralen Werten moderner Gesellschaften: Leistung, Autonomie, Produktivität. Wer diesen Werten nicht mehr gerecht kann, hat es oft schwer – nicht nur bei Demenz! Aber bei Demenz kommt eine weitere Dimension hinzu: der Verlust kognitiver Fähigkeiten. Wenn die Ratio als alleinige Voraussetzung für die Zuerkennung von Würde erachtet wird, so muss die Demenz notwendig zum Damoklesschwert werden. Wenn man hingegen anerkennt, dass Würde voraussetzungsfrei ist und dass darüber hinaus emotionale und relationale Dimensionen gleichrangig zum Menschsein gehören, so gibt es keinen Grund mehr, in der Demenz eine Beeinträchtigung der Würde zu erkennen. Genauso gilt: Wenn man die Angst von Menschen mit Demenz lediglich als ein Krankheitssymptom betrachtet, so betreibt man das, was
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der englische Psychologe Tom Kitwood (2008) als »maligne Sozialpsychologie« bezeichnet: Das Fühlen und Handeln werden der Krankheit zugeschrieben, natürliche Beweggründe werden der Person abgesprochen. Wenn man stattdessen nach den Gründen der Angst fragt, so zeigt sich nicht nur, dass diese in der Regel durchaus nachvollziehbar sind, sondern auch, dass man häufig etwas dagegen tun kann, ohne zu Medikamenten greifen zu müssen. Für die Angst pflegender Angehöriger gilt ebenfalls: Diese ist nicht rein schicksalhaft. Durch Entlastung, Begleitung und Schulung lässt sich etwas dagegen tun – allerdings nur, wenn Angehörige sich helfen lassen und eine entsprechende Hilfe-Infrastruktur vorhanden ist. Wenn man nach den Gründen der Angst von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen fragt, nimmt man aber auch die Grenzen dessen wahr, was man tun kann. Der erlebte Verlust von Kontrolle – ein typischer Auslöser von Angst – und die Angst vor der Zukunft treiben viele Betroffene und Angehörige um. Solche Ängste können durch die beste Unterstützung nicht aus der Welt geschaffen werden. Dies anzuerkennen heißt Betroffenen und ihren Angehörigen Respekt entgegenzubringen. Und aus diesem Respekt erwächst in der Folge vielleicht auch die Kraft, in Situationen der Angst schlicht und einfach Beistand zu leisten. Ich persönlich glaube, dass dies in vielen Fällen das beste Mittel gegen Angstsituationen in der Demenz ist: dass ein Mensch da ist, der durch seine empathische Gegenwart hilft, wieder neuen Mut zu finden. Vielleicht sind wir da schon auf einem Weg. In einer repräsentativen Studie aus der Schweiz (Moor et al. 2013) gab ein Großteil der Befragten an, dass sie den Kontakt zu Menschen mit Demenz nicht meiden würden, selbst wenn dieser sich einmal ungewöhnlich verhalten würde. Und viele konnten sich vorstellen, sich um eine Person mit Demenz zu kümmern. Es gibt einige Anzeichen dafür, dass das Leben mit Demenz in der Gesellschaft an »Normalität« gewinnt. Dies
bringt die Angst nicht zum Verschwinden. Wohl aber erleichtert es die gesellschaftliche Teilhabe für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen und erhöht die Sensibilität für die Bedürfnisse betroffener Personen. Und dann ist vielleicht auch das eigene, zukünftige Demenzrisiko kein Gespenst mehr. Dr. Marion Bär, Diplom-Gerontologin und Diplom-Musiktherapeutin (FH), ar beitet als freie Wissenschaftlerin, Prozessbegleiterin und Publizistin. Sie ist außerdem freie Mitarbeiterin am Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg. E-Mail: [email protected] Literatur De Rynck, P.; Rondia, K.; Van Gorp, B. (2011). Ich bin noch immer derselbe Mensch. Aufruf zu einer neuen Art der Kommunikation über Demenz. http://www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/Broschuere_Framing.pdf (Zugriff am 20.02.2017). Forsa-Institut (2015). Angst vor Krankheiten. https://www. dak.de/dak/download/Forsa-Studie_Angst_vor_Krankheiten-1728612.pdf (Zugriff am 21.02.2017). Grümmer, M. (2014). Angst im Alter. In: Hax-Schoppenhorst, T.; Kusserow, A. (Hrsg.), Das Angst-Buch für Pflege- und Gesundheitsberufe (S. 140–152). Bern. Härle, W. (2010). Lebensqualität demenzerkrankter Menschen aus der Sicht der christlichen Ethik. In: Kruse, A. (Hrsg.), Lebensqualität bei Demenz? Zum gesellschaftlichen und individuellen Umgang mit einer Grenzsituation im Alter (S. 43–50). Heidelberg. Hynninen, M. J.; Breitve, M. H.; Rongve, A.; Aarsland, D. (2012). The frequency and correlates of anxiety in patients with first-time diagnosed mild dementia. In: International Psychogeriatrics, 24 (11), S. 1771–1778. Jessen, F.; Spottke, A. (2010). Therapie von psychischen und Verhaltenssymptomen bei Demenz. In: Nervenarzt, 81, S. 815–822. Kessler, E-.M.; Südhof, J.; Frölich, L. (2014). »Dementia worry« in patients of a memory clinic not diagnosed with organic mental disorder. In: International Psychogeriatrics, 26, S. 1049–1051. Kitwood, T. (2008). Demenz. Der person-zentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen. 5. Auflage. Bern. Moor, C.; Peng, A.; Schelling, H. R. (2013). Demenzbarometer 2012. Wissen, Einstellungen und Erfahrungen in der Schweiz. http://www.zfg.uzh.ch/dam/jcr:ffffffffcea9-bac4-ffff-ffff90213c56/Demenzbaro_Schlussbericht_ def_20130726.pdf (Zugriff am 20.02.2017).
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TEIL III
Schritte ins Vertrauen – »ANGSTfreundliche« Umgangsweisen
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Im Strudel der Angst – wenn Vertrauen schwindet Barbara Laimböck den. Wie die Radierungen Desastres de la Guerra zeigen auch die Disparates und Pinturas Negras dramatische Düsternis und Entsetzen, sind dunkel, mysteriös, traumähnlich und pessimistisch. An einen Freund schrieb Goya: »Ich habe weder Angst vor Hexen noch vor Poltergeistern und Gespenstern, ich fürchte keine Kreatur außer einer: den Menschen.«
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 68–76, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
Francisco de Goya, Saturn verschlingt eines seiner Kinder, 1821/23 / akg-images / Rabatti & Domingie
Was passiert, wenn Vertrauen schwindet? Etwas Vertrautes erscheint uns plötzlich fremd, unberechenbar, unheimlich. Das »Unheimliche«, über das wir keine Kontrolle haben, zieht uns in einen Strudel der Angst. Dieser Strudel ist eine überwältigende und manchmal länger anhaltende Stimmung, ausgeliefert zu sein. Das »Unheimliche« taucht in der Malerei immer wieder auf. Dieser Artikel beschäftigt sich mit den Fragen: Wie verwandelt sich namenlose, abgrundtiefe Angst in Imagination und Bilder? Wie hilft die Malerei, körperliche Wahrnehmungen zu symbolisieren? Und wie gelangt der Affekt über das Bild zum Narrativ und lässt sich schließlich in Sprache fassen? Nicht nur im Zuwarten und Verzögern wird etwas mit-teilbar. Die Kunst bietet die Bühne, auf der wir Unsagbares darstellen und verarbeiten können. Ich möchte mich dem Thema »Angst« anhand mehrerer Kunstwerke widmen. Zu Beginn möchte ich das Interesse auf die abgrundtiefe, elementare Vernichtungs- und Verlassenheitsangst lenken, konkretisiert an einem Werk von Francisco de Goya aus seinem Zyklus Pinturas Negras, den dunklen Bildern: Saturn verschlingt eines seiner Kinder (1821/23). Goya (1746–1828) malte die Pinturas Negras in seinen letzten Lebensjahren mit dunkler Ölfarbe direkt an die Wände seines Hauses. Dort, in seinem Landhaus »Quinta del Sordo«, lebte der damals bereits taube Künstler allein und abgeschieden von der Außenwelt. Seine schwere Krankheit und Gehörlosigkeit wirkten sich dramatisch auf seine Kunst aus: Der ehemals anerkannte Hofmaler zog sich aus seinem öffentlichen Leben zurück und beschäftigte sich mehr und mehr mit sozialkritischen Themen und menschlichen Abgrün-
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Eine überwältigend große Gestalt ist dabei, ein Kind aufzufressen. Die mächtigen Hände halten eine zarte, verstümmelte Figur an der Taille fest, die bereits eher den Körperbau eines Jugendlichen hat als den eines Kindes. Ein Arm und der Kopf sind abgetrennt. Nur noch blutige Stümpfe sind sichtbar. Und Saturn ist gerade dabei, den zweiten Arm in seinen erschreckend aufgerissenen Schlund zu stecken. Die weit geöffneten Augen sind die beiden einzigen hellen Stellen auf dem Bild. Sonst dominieren – abgesehen vom hellroten Blut – fahles Ocker, Schwarz und Braun. Nichts schützt vor dieser riesigen, brutalen Figur. In absoluter Hilflosigkeit ist das Kind der Gier und Wut ausgeliefert. Im Bild ist nicht erkennbar, was Saturn so blutrünstig und aggressiv macht. Ihm ist alles zuzutrauen. Er ängstigt, bedroht, überwältigt, zerstört. Beim Betrachten von Bildern sind wir besonders fasziniert von Gesichtern. Der Neurowissenschaftler Eric Kandel (2012) beschreibt, dass es ein spezielles Gesichtserkennungszentrum in unserem Gehirn gibt. Denn es ist eine wesentliche und für das Überleben wichtige Orientierungshilfe, den Gesichtsausdruck unseres Gegenübers zu decodieren. Und dabei spielen die Augen eine besondere Rolle. In allen von mir vorgestellten Bildern ist der Blick von zentraler Bedeutung. Die Augen Saturns sind weit aufgerissen, der Blick ist starr. Die Sclera, das »Weiß« des Auges, ist sichtbar rund um die Iris und signalisiert Gier oder blankes Entsetzen. Die sichtbare Sclera, und nicht die Iris oder Pupille, bewirkt eine starke Aktivierung der Amygdala – des Angstzentrums – beim Betrachter. Unsere Amygdala antwortet prompt auf diesen unbearbeiteten Stimulus der weit aufgerissenen Augen und wir reagieren heftig mit Angst, noch bevor andere Facetten des Gesichtsausdrucks decodiert werden. Eine eindrucksvolle Studie mit modernen bildgebenden Verfahren konnte dies klar darstellen (Whalen et al. 2004). Die Sclera ist bei uns Menschen im Gegensatz zu anderen Lebewesen gut sichtbar. Da-
durch können wir einerseits die Blickrichtung unseres Gegenübers, andererseits aber auch den emotionellen Ausdruck erkennen. Schweift der Blick unruhig umher, so könnte Gefahr lauern. »Schon im Alter von sieben Monaten können Säuglinge also Angst aus den Augen ihres Gegenübers lesen, ohne dass ihnen das bewusst wird. Sie verlassen sich dabei ausschließlich auf die Form der Sclera«. Dies wurde von Sarah Jessen und Tobias Grossmann (2014) vom MaxPlanck-Institut Leipzig beschrieben. Der hektisch forschende Blick mit weit aufgerissenen Augen und großen Scleren signalisiert Angst. Der chronisch abgewandte Blick erzeugt Unmut (dazu unten das Bild von Egon Schiele Mutter und Kind). Denn die Wirkung der Augen ist gleich heftig beim Anblick unseres lebendigen Gegenübers wie eines Fotos oder gemalten Bildes. Besonders der überzeichnet dargestellte Gesichtsausdruck aktiviert das Angstzentrum beim Betrachter. Die starke Reaktion unseres Gehirns auf intensive und stark übertriebene Mimik beschreibt die Neurowissenschafterin Margaret Livingstone aus Harvard (2010): »That’s why I think a caricature of an emotion works so well. (…) It is what our nerve cells are tuned to« (S. 14). Die Neuroästhetik befasst sich mit der Frage, wie ein gemaltes Bild auf unser Gehirn wirkt. Welche affektive und leibliche Reaktion ruft der Anblick des Bildes hervor? Was evoziert die Ästhetik des Kunstwerks im Rezipienten? Was bedeuten Empathie und verkörperte Simulation für das Erleben von Kunst? Freedberg und G allese beschreiben diese Faktoren als ganz zentral für ästhetische Erfahrungen: Wir aktivieren dieselben Muskeln, die der Protagonist im Bild anspannt, und spiegeln auch dessen Emotionen. Das Betrachten von Goyas Bild Saturn verschlingt eines seiner Kinder lässt uns dort den Schmerz spüren, wo die Extremitäten der gemalten Figur gerade verletzt oder verstümmelt werden. Unsere Spiegelneurone reagieren auf visuelle Impulse des Dargestellten, und zwar erstens auf
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Gesten, Bewegungen und Intentionen; zweitens als Identifikation mit den Emotionen; drittens als Empathie mit körperlichen Empfindungen und viertens als Identifikation mit der Geste des Künstlers beim Malen (Freedberg und Gallese 2007, S. 201). Was löst der dargestellte Akt des Verschlingens im Betrachter aus? Ist es Angst vor Vernichtung? Schaverien (1999) bezeichnet die »embodied«, die körperlich, »leibhaftig« erlebte Erfahrung eines Kunstwerks, die das Unsagbare ausdrückt, als »scapegoat transference«. Destruktive Impulse werden im kreativen Enactment transformiert. In der Bibel lädt der »scapegoat«, der Sündenbock, die Sünden der Gemeinschaft auf sich. Dann wird er in die Wüste verbannt und mit ihm alle Schuld, Krankheit und Sünde. Der Akt der Übertragung und Externalisierung hilft, sich von Unerträglichem zu lösen. Dies ist besonders bedeutsam bei Spaltungsprozessen in »gut« und »böse«. Bei der Borderline-Angst geht es um eine unerträgliche Spannung zwischen »guten« und »bösen« Anteilen, zwischen unvereinbaren Gegen sätzen, und die Angst, die bösen Aspekte könnten die guten vernichten. Große Nähe scheint schrecklicher als Distanz und Trennung. Die Border line-Persönlichkeit setzt unbewusst Alleinsein mit Verlassenheit gleich. Sie wird in der Kindheit mit inkonsistentem Verhalten der Bezugsperson konfrontiert: einer Kombination aus Überengagement und aus Teilnahmslosigkeit. Die Angst besteht also aus dem einen Pol vor dem Alleinsein und dem anderen der »Angst vor dem phantasierten Verschlungenwerden« (Hoffmann 2000, S. 232). Daher wird vom Borderline-Patienten Nähe einerseits fast suchtartig gesucht, diese wird aber andererseits als zu intensiv und vor allem als destruktiv erlebt. So kommt es zum Oszillieren zwischen den beiden Grundängsten, allein (= verlassen) zu sein oder aber verschlungen zu werden (= Selbstverlust). Zu dieser Angst habe ich ein Bild von Egon Schiele ausgewählt: Mutter und Kind (1912).
Davor möchte ich aber kurz die ansonsten meist idealisierend gemalten Bilder von Mutter und Kind betrachten. Ein beliebtes Motiv in der christlichen Kunst ist das der Mutter Gottes mit ihrem Sohn. Unzählige Kunstwerke von Maria und dem Jesuskind schmücken Kirchen und Museen. Und dort können wir deren idealisierte, konfliktfreie, harmonische Beziehung bestaunen und bewundern. Nichts stört. Sie sind einander zugewandt, oft stillt die Mutter das Kind oder beide blicken im Einklang den Betrachter erhaben oder zufrieden an. Beim Betrachten der Szenen zwischen Mutter und Kind kann man den »Glanz im Auge der Mutter« (Kohut 1971) entdecken oder imaginieren. Kohut beschreibt mit »Glanz im Auge der Mutter« mütterliche Liebe und Stolz auf das Kind. Dies ist wesentlich für die gute Entwicklung des Kindes und eine gute Mutter-Kind-Bindung. Die spontanen, »exhibitionistischen« Äußerungen des Kindes nimmt die Mutter mit Freude auf und spiegelt sie einfühlsam. Ohne Forderungen zu stellen, begleitet und betrachtet sie ihr Kind freundlich, aufmerksam und stolz. Erschreckend anders stellt Egon Schiele das Paar von Mutter und Kind dar. Der Mensch, bei dem wir am meisten und innigsten Schutz, Trost und Hilfe erwarten und erhoffen – die Mutter –, ist zwar physisch anwesend, doch psychisch nicht präsent. Und das macht dieses Bild so unheimlich. Freud schreibt über das Unheimliche: »das Unheimliche sei jene Art des Schreckhaften, welche auf das Altbekannte, Längstvertraute zurückgeht« (1919, S. 229). Hier bezeichnet Freud mit dem Entsetzen vor dem »Unheimlichen« das Erschrecken über etwas, das uns bisher vertraut war, aber das wir so noch nicht erlebt haben. Und was löst diese Bestürzung aus? Ist es der Schrecken der Einsamkeit, der Leere, der Leblosigkeit, des Todes? Altbekanntes und Vertrautes werden neu und feindselig, verunsichern und entsetzen zutiefst – wenn das Vertrauen dort schwindet, wo es am meisten gesucht und am dringendsten gebraucht wird: bei der Mutter.
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Egon Schiele, Mutter und Kind, 1912 / akg-images
gestoßen und abgehalten, näher hinzutreten. Die Schutzlosigkeit des Kindes macht hilflos. Erschreckend leer ist die Beziehung zwischen Mutter und Kind: Weder spiegelt das Kind das Gesicht der Mutter, noch wird es von ihr gespiegelt. Aber der Anblick des entsetzten Kindes affiziert uns, die es ansehen. Die weit aufgerissenen Augen aktivieren die Amygdala. Aber eigentlich sollte die Mutter den Blick spiegeln. Sie sollte sich auf die Gefühle ihres Kindes einschwingen und diese leicht verändert zurückgeben. Dabei übertreibt sie oder schmunzelt und beruhigt dadurch das Kind. Sie nimmt wahr, ohne zu dramatisieren, und fasst dies anschließend in Worte. Eine hinreichend gute Mutter würde Kontakt mit ihrem Kind halten und in dieser Art auf ihr Kind eingehen: »Ja, du erschrickst, weil das alles hier ganz fremd aussieht. Aber alles ist gut und du, mein Kind, bist in Sicherheit.« Das ist es, was Fonagy (2001) als affect attunement beschreibt. Diese mütterliche Reaktion ermöglicht dem Kind, sich verstanden und lebendig zu fühlen. Wohin aber schaut die Mutter in Schieles Bild? Sie senkt den Blick und nimmt keinen Kontakt auf – weder zum Kind noch zu den Rezipienten. Sie scheint in ihre eigene Welt zu versinken, wie auch immer diese Welt sein mag – voll Schmerz, Trauer, Gleichgültigkeit, Sorge oder vielleicht auch Lust. Denn ihre blutroten Lippen im Zentrum des Bildes erwecken den Anschein von Sinnlichkeit. Auch mit dieser Darstellung unterwirft sich Schiele nicht der Dichotomie von Heiliger und Hure, wie sie im Fin de Siècle noch üblich war. Wie bereits in seinen Akten von Schwangeren und nackten Müttern verknüpft er auch hier Mutterschaft und weibliche Sexualität. Aber »Primäre Mütterlichkeit« (Winnicott 1960) suchen wir auf diesem Werk vergeblich. Keine einfühlsame Mutter geht hier auf die Äußerungen ihres Kindes ein, keine »hinreichend gute Mut-
Auch auf diesem Bild dominieren die dunklen Farben: Der Hintergrund ist schwarz und düster, ebenso die Kleidung, kontrastiert durch weiße Kragen – als würden die Köpfe auf einem weißen Teller liegen, abgetrennt vom Körper. Die uneinheitliche Farbgebung des Hintergrunds, der in die Kleidung übergeht, erzeugt ein Gefühl von Unruhe und Unbehagen. Ganz anders als zum Beispiel bei Klimt und dessen goldenen Ornamenten, die die Figur umrahmen, fehlt hier das ordnende, dekorative Element. So stößt Schiele seine Protagonisten in eine Leere – aber er konfrontiert auch den Rezipienten mit dieser Leere, mit dem Fehlen von Schutz und Halt, mit existenziellen Ängsten. Nicht einmal die Hände der Mutter bieten Sicherheit. Weder halten sie ihr Kind zärtlich noch beschützend, sondern klemmen es ein wie eine Zange. Hier entsteht kein »Holding« im Sinne von Bion. Auch die Hand des Kindes hat nichts neugierig Betastendes, sondern wehrt ab – vielleicht den Blick des Betrachters, den Eindringling. Unwillkürlich fühlt man sich vom Kind zurück-
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ter« (Winnicott 1998) schwingt sich auf die Stimmung ihres Säuglings ein oder dient als »Container« (Bion 1985) für dessen Angst. Ihr Blick ist in sich gekehrt, ihre rêverie (Bion 1962; Ogden 1997), ihre ahnungsvolle Gelöstheit, nicht auf ihr Baby abgestimmt. Daher ist das Kind mutterseelenallein mit überwältigenden, unverdauten Gefühlen. Der Säugling hat Angst und die Mutter schützt ihn nicht. Oder aber der Säugling fühlt sich nicht geschützt und das macht Angst. Wo auch immer diese Mutter ihre Aufmerksamkeit hinwendet – sie ist nicht verfügbar für ihren Säugling. Und dies evoziert namenlosen Schrecken. Der nicht gespiegelte Affekt erhält keine innere Repräsentanz. Die Angst, die nicht von der Mutter gespiegelt und benannt wird, kann nicht ins Erleben eingeordnet und nicht mentalisiert werden. Prägnant formuliert bedeutet Mentalisieren, einerseits mit den Schuhen des Anderen gehen können und ihn von innen und andererseits sich selbst von außen sehen zu können (Holmes 2005). Der nicht gespiegelte Säugling kann sich also nicht von außen sehen und andere nicht von innen. Dadurch bleibt er im Äquivalenzmodus: Außen und Innen können nicht getrennt werden. Dem Außen werden Aspekte des eigenen leiblichen Erlebens zugesprochen. Die Umwelt scheint bedrohlich, gefährlich und verfolgend. Und all das taucht in Schieles Kunst auf. In einem seiner Gedichte formuliert er den Gedanken von wie tot blickenden Augen: Tannenwald Ich kehre ein in den rotschwarzen Dom des dichten Tannenwaldes, der ohne Lärmen lebt und mimisch sich anschaut. Die Augenstämme die dicht Sich greifen und die sichtbare nasse Luft ausatmen. – Wie wohl! – Alles ist lebend tot. (Egon Schiele in: Leopold Museum 2008, S. 35)
Wie lebend tot zu sein erinnert an André Greens (2011) »tote Mutter«, die innerlich abwesend, depressiv zurückgezogen und nicht für ihr Kind da ist. Sie versorgt zwar ihr Kind, aber sie ist nicht mit dem Herzen dabei, nicht verfügbar, nicht präsent. Da, wo Beziehung, Wärme und Vertrauen sein sollte, ist nichts. Ihr Kind wirkt – wie Heidegger (1927/1976, S. 329) dies formuliert – wie »in die Welt geworfen« oder im Sinne der Existentialisten: »Ohne Sinn, Daseinszweck oder Gefühl in die Welt geworfen.« Aber wir sind alle – insbesondere zu Beginn unseres Lebens – auf den Anderen angewiesen. Doch die »tote Mutter« bietet keinen lebendigen Austausch. Sie kann Angst und andere heftige Affekte und Fragmente nicht reflektierend in eine lebendige Einheit integrieren. Das Unerträgliche – die Sehnsucht nach Verschmelzen mit der frühen Mutter bei gleichzeitigem Horror davor, die Bestürzung über das verlorene Objekt und das Grauen des Besetzungsabzugs – müsste symbolisiert und gedacht werden können. Denn sonst entsteht Leere. Und die muss kreativ ausgefüllt werden. Meiner Ansicht nach tauchen auch in Schieles sexuell provokanten Bildern und Akten und in seiner drastischen Darstellung von Sexualität die intensive Ambivalenz von Verschmelzungswunsch und Todesangst, von gleichzeitiger Nähe und Distanz, immer wieder auf. Das Kunstwerk übernimmt bei Schiele die Funktion der frühen Mutter. Der innere Zustand wird in das Werk projiziert und hier können Zerstörung und Verlust integriert werden. Mit den Bildern der »Toten Mutter« stellt Schiele eine ganz frühe Angst dar: die Angst vor Objektverlust (Freud 1926). Auch Munch hat ein Bild zu diesem Thema gemalt: Das Kind und der Tod (1899). Edvard Munch verlor seine Mutter im Alter von fünf Jahren. Er war mit ihr allein, als sie an Tuberkulose starb, und musste wahrscheinlich ihren Todeskampf, ihr qualvolles Ersticken, miterleben. Neun Jahre später starb seine Schwester Sophie an derselben Krankheit. Dieses Gemälde weckt Assoziationen mit den traumatischen Er-
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Schmerz der in sich gekehrt blickenden, leidenden Mutter berührt uns hier, sondern der kindliche Blick richtet sich direkt und hilfesuchend an uns, die Betrachter. Es ist die Stille des Schreis, der erstickte Schrei des schutzlosen Kindes, der uns bewegt. Vielleicht hat Edvard Munch, der als Kind das Sterben der Mutter miterleben musste, seinen eigenen Schreckensschrei abgewürgt. Verlassen, ungehört und mutterseelenallein vermag auch kein Schrei zu retten. Seinem Tagebuch vertraute Munch an: »Die Lebensangst hat mich begleitet, solange ich mich erinnern kann.« »Ohne Lebensangst (…) wäre ich ein Schiff ohne Ruder gewesen« (in: Stang 1979, S. 24). Traumatische Erlebnisse steigern meist unsere Ausdruckskraft. Die Kulturhistoriker Macho und Marek schreiben, die Unvorstellbarkeit des Todes habe »einen gewaltigen Sturm von Bildern und Visionen ausgelöst. Keine bekannte Hochkultur hat darauf verzichtet, den Tod und das Leben der Toten in allen Details auszumalen« (Macho und Marek 2007, S. 9). Auch Bion erkennt im Verlust eine Voraussetzung für Denken und Symbolbildung und damit für Kreativität und Kunst. Von ihm (Bion 1963) stammt der Satz: »Keine Brust, deshalb ein Gedanke«. Winnicott und Rank sehen im Verlust eine Bedingung der Entwicklung des Individuums und der Kultur. Verluste können den kreativen Impuls verstärken. Talent und Ausdruckskraft würden gerade durch traumatische Erschütterungen intensiviert. Edvard Munch, Das Kind und der Tod, 1899/akg-images.
lebnissen aus der Kindheit und Jugend des Malers. Der Künstler kommentierte seine eigenen Werke so: »Ich male nicht, was ich sehe, sondern was ich sah« (Langer 2013). Auch wenn Munch dieses Bild als Erwachsener malte, waren seine Erinnerungen und inneren Bilder vermutlich noch immer lebhaft genug, um im Werk die emotionelle Erregung wirken zu lassen. In seinen Bildern verarbeitete er, was zu seinen früheren und aktuellen Erlebnissen imaginativ auftauchte. Denn Verlust war ein ständiger Begleiter im Leben des Künstlers. So wurden traumatische Krisen im Verlauf seines Lebens immer wieder aktualisiert: Todesfall der Schwester, Liebeskummer, Freundesverrat. Dies alles ließ ihn verstört und ratlos zurück. Auf diesem Kunstwerk ist nicht die Mutter mit dem Leichnam des Sohnes zu sehen, sondern eine inverse Pieta: Das Kind steht allein vor der sterbenden Mutter. Nicht der stille
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Peter Paul Rubens, Das Haupt der Medusa, um 1617/18 / akg-images / Erich Lessing
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Auf dem Bild Das Haupt der Medusa (um 1617/18) schlängeln sich zahlreiche Schlangen und andere Reptilien aus dem abgeschlagenen Haupt der Medusa. Ihr Gesicht starrt mit weit aufgerissenen Augen auf das, was in ihr ist und in diesem Augenblick aus ihr herausdringt. Was lässt Medusa so erschrecken? Das Grauen über das, was im eigenen Selbst vorgeht? Die Angst vor der Unberechenbarkeit und Widersprüchlichkeit des Eigenen? Wer sie anblickt, erstarrt zu Stein. Der Schreck verschlägt den Atem, lässt Eiseskälte und Gänsehaut entstehen. Das Blut in den Adern gefriert. Große Angst löst starke körperliche Reaktionen aus, lähmt aber zugleich auch das Broca’sche Sprachzentrum. Ein sprachloser Horror zerstört die Möglichkeit zur Kommunikation. Das Narrativ, der Fluss unseres Lebens, wird jäh unterbrochen. Meine Hypothese ist diese: Medusa hatte wohl keine ausreichende Spiegelung erlebt, denn der Blick in den Spiegel lässt sogar sie selbst erstarren. Unerträgliche Gefühle können nicht verarbeitet und verdaut werden, weil der Glanz im Auge der Mutter, der liebevolle und zärtliche allererste Spiegel, nicht zur Verfügung stand. Und in dieses Gesicht, das nicht geliebt wurde, muss sie nun selbst schauen und erstarrt über das, was sich aus dem Kopf durch den Hals schlängelt: Schlangen, Symbol für einen Auslöser archetypischer Angst.
Das Entsetzen und die untröstliche Not der erstarrt sterbenden Medusa haben viele Künstler inspiriert. Im Kunsthistorischen Museum in Wien hängt das Werk von Peter Paul Rubens. Als Kind – ohne Horrorfilme und ohne Fernseher aufgewachsen – war dieses Bild für mich die mit Schaudern ersehnte Attraktion eines Museumsbesuchs. Genial stellte Rubens einerseits mit dem erstarrten Grauen im Blick der Medusa – dem »freeze« – und andererseits mit Schlangen, die entweder miteinander kämpfen oder fliehen (»fight or flight«), die drei wesentlichen Reaktionsmöglichkeiten auf Angst dar: fight, flight or freeze. Durch die Kunst werden diese langfristig hinderlichen körperlichen Reaktionen verändert. Dadurch können Angst und Grauen in ein anschauliches Narrativ verwandelt werden. Außerdem hat der ästhetische Schrecken beim Anblick eines Kunstwerks immer auch eine angenehm spannende, manchmal auch lustvolle Komponente. In der künstlerischen Darstellung bekommen Angst, Grauen und Zerstörung etwas Faszinierendes. Und mit Hannah Segals Worten ausgedrückt: »Die Hässlichkeit der Zerstörung (…) wird in ein Objekt der Schönheit transformiert« (1996, S. 124). Den Abschluss meiner Überlegungen zum Thema Angst in der Malerei bildet ein eigenes Werk: Er sieht alles. Eigentlich gründet sich eine
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nis, der Mund an eine Vulva. Und wieder wird Heimliches unheimlich, indem die Intimitätsgrenze überschritten wird. Diese würde verhindern, dass etwas Verborgenes so offensichtlich und deutlich dargestellt wird, dass es schamlos und obszön wirkt. Sichtbarwerden heißt auch, riskieren, bewertet zu werden. Dieser Augenblick der neutralen oder kritischen Beurteilung ist der Verlust des Paradieses: Wir erkennen, dass wir nackt sind, und verbergen schamerfüllt unser Gesicht. Wir erkennen aber auch, dass wir eigenständige Entscheidungen treffen, und unterscheiden Gut und Böse. Und dadurch empfinden wir uns im Augenblick der Ob-
Barbara Laimböck: Er sieht alles
meiner Kindheitsängste auf einem Missverständnis. Vor meiner Mandel-Operation untersuchte mich ein HNO-Arzt. Ich interpretierte den Spiegel an seiner Stirn jedoch nicht als Lichtreflektor, sondern als drittes Auge. Und mit dem gleißend hellen Licht konnte er – wie ich befürchtete – alles sehen, was in meinen Ohren, in meiner Nase und in meinem Hals war. Aber vermutlich konnte er noch viel tiefer in mich hineinblicken und all meine Sünden und all meine Schuld erkennen. Indem diese sichtbar werden, würde ich bewertet, verurteilt, bestraft und ungeliebt verstoßen werden, denn »Heimliches« wird »unheimlich«. Eine andere Facette des Werks ist ein Christusbild, das hoch über dem Klavier in der Nachbarwohnung hing, auf dem ich als Siebenjährige übte. Der Blick dieses Christus verfolgte mich überall hin – ähnlich wie dies Mona Lisa zu tun scheint. Er beobachtete alles, was ich tat. Und ähnlich rätselhaft wie die Mimik der Mona Lisa war auch seine. Wenn ich brav übte, umspielte ein Hauch von Zufriedenheit seinen Mund. Als personifiziertes Gewissen trübte sich hingegen sein Blick, wenn ich Verbotenes tat, wie die Metalleidechse vom Kamin zu nehmen und auf den Tasten hüpfen und tanzen zu lassen. Dann wurde er ganz ernst. Besonders enttäuscht aber war er, wenn ich im Kasten stöberte und im fremden Fotoalbum – dem des Nachbarn nämlich – den ersten Halbakt meines Lebens bestaunte. Bis heute erinnere ich mich an das kleine Schwarzweiß-Foto, auf dem ich die bis zur Hüfte in einem See stehende nackte Frau betrachtete, deren Anblick eine Kaskade von Phantasien lostrat. Und selbst wenn ich dann das Album wieder sorgfältig im Kasten verschloss und weder meine Eltern noch der Nachbar von all dem etwas bemerkt hatten – »Er« hat es gesehen und »Er« zürnte mir. Die Angst vor Entdeckung und Ablehnung ist ein wichtiger Aspekt der Gewissensangst: wieder die Angst, dass »Heimliches« »unheimlich« werden könne. Und eine weitere Facette von Schamangst in meinem Werk bemerkte unlängst ein Betrachter des Bildes: Die Nase erinnere an einen Pe-
jektivierung als getrennt und verdinglicht, in Frage gestellt, beschämt, verspottet, gekränkt und gering geschätzt. Die Bedrohung bei der Schuld ist Bestrafung, die bei der Scham ist es, verlassen, verstoßen oder zurückgewiesen zu werden. Beschämung und Verachtung lösen Selbstentwertung aus. Das ist die vernichtende Macht der Scham: Sie raubt uns die Existenzberechtigung. Plötzlich bloßgestellt zu werden lässt uns brennend und gleichzeitig eisig erschauern, entfremdet uns von uns selbst und von der Welt. Und dies ruft der Blick hervor, den Léon Wurmser (1986) als »die schwere Last der tausend unbarmherzigen Augen« bezeichnet.
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Dieser Blick wird durch die Kunst gebannt. Auf dem sicheren Boden des Kunstwerks verliert das »Unheimliche« seine existenzielle Bedrohung und seine vernichtende Wirkung, bringt vielleicht auch Ordnung und Orientierung ins Chaos und drückt Unsagbares aus. So können wir uns gefahrlos konfrontieren, standhalten und uns selbst beruhigen. Affekte werden ja nicht verbal, sondern bildlich erlebt und gerade deshalb gelingt es, sie im Kunstwerk zu gestalten und zu regulieren. Das, wofür es keine Worte gibt, wird sichtbar und in ein Narrativ gebracht. Gespeist aus bewussten und unbewussten Erfahrungen bekommen Verlust, Kränkung, Bedrohung, Angst und Scham eine mitteilbare Form und werden ausgestaltet, externalisiert, symbolisiert, mentalisiert und transformiert. Im und durch das Werk gelingt es dann vielleicht, sich trotz Scham und Angst heimisch und vertraut zu fühlen, nicht zu Stein erstarren, sondern diese aktiv zu bewältigen. Die Kunst ermöglicht uns, katastrophale Affekte auszuhalten, und hilft – mit Wilfried Dieters Worten – »unser Dasein zu ertragen« und uns aus dem Strudel der Angst zu befreien. Dr. Barbara Laimböck ist Ärztin und Psychotherapeutin. Seit einigen Jahren lebt ihre Liebe zur Malerei wieder auf. Ihre Bilder spiegeln Begierde und Abgründe, Hunger, Angst und Leidenschaft wider. An der Sigmund-Freud-Universität Berlin und Wien unterrichtet sie Kunsttherapie. Und sie arbeitet in eigener Praxis in Wien. E-Mail: [email protected] Website: www.kunst-und-psyche.at Literatur Bion, W. R. (1963). Eine Theorie des Denkens. In: Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 17 (7), S. 426–435. Bion, W. (1962). A theory of thinking. The International journal of psycho-analysis, 43, 306. Bion, W. R. (1985). Container and contained. In: Group relations reader, S. 2 (8), 127–133. Dieter, W. (2002). Wir brauchen die Kunst, um das Leben zu ertragen. In: Imagination, 24 (2), S. 263–284. Fonagy, P. (2001). Attachment theory and psychoanalysis. New York: Guilford Press.
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Alles gut! Über das Vertrauen im Leben mit Krebs Beatrix Teichmann-Wirth »Jeden Tag kamen Menschen, um sich von mir zu Spontanheilung – ganz selbst-verständlich verabschieden. Doch anstatt zu sterben, ging es mir jeden Tag besser. Nach etwa sechs Wochen Derartige ungewöhnliche Verläufe sind, näher konnte ich aufrecht gehend, mit vollständig zu- besehen, gar nicht so wundersam, haben doch rückerhaltener Sprachfähigkeit, das Hospiz wie- die meisten Menschen, die eine unerwartete Geder verlassen«, schreibt Stefanie Gleising (2016), nesung erfuhren, eine Vielzahl von Maßnahnachdem sie ohne Hoffnung auf Heilung nach men ergriffen, um einen Beitrag zu ihrer Heilung der Diagnose von metastasiezu leisten. Diese reichen von rendem Brustkrebs und einer komplementärmedizinischer Ich bemerkte, dass Lebenserwartung von wenigen Unterstützung, einer Ernähmein Bewusstsein Tagen zum Sterben in ein Hosrungsumstellung, Visualisiepiz kam. rund um die Diagnose rung, Gebet bis zu radikaJa, es gibt sie, die sogenannlen Veränderungsschritten in angehoben war, sich ten Spontanheilungen, die Raihrem Leben. Die Patientinmein Blick weitete und nen und Patienten übernahdikalremissionen, wie diese ungewöhnlichen Heilungsver ich plötzlich sehr klar men Verantwortung für ihre läufe auch genannt werden. Gesundheit und wählten einen wusste, was jetzt Und es gibt sie gar nicht so selselbstbestimmten Weg (siezu tun ist. ten, wie man annehmen mag. he dazu auch Hirshberg und Sie ereignen sich, wenn nicht Barasch 1997; Turner 2015). zu schnell mit schulmedizinischen InterventioViele berichten, dass sie spontan erkannten, nen begonnen wird; dem Organismus Zeit für welche Behandlungsmaßnahme die richtige für Selbstheilungsprozesse gegeben wird, und auch, sie sei. Diese bisweilen eigenartig anmutenden wenn wir vertrauen, dass der Körper bei Krebs Erkenntnisse seien wie Eingebungen oder Offenwie auch bei einer Infektion über eben diese Kräf- barungen aus einem nicht kognitiv zu erfassente verfügt. Es gibt sie als statistische Realität dann, den Bereich ihres Selbst. Hirshberg und Barasch wenn sie als solche wahrgenommen werden und konnten aufgrund ihrer Untersuchungen anhand die Heilung nicht auf eine Fehldiagnose zurück- von über tausend Fällen ein zentrales Merkmal geführt wird. herausfinden: »dass jeder von ihnen einen ZuKrebs hat leider einen schlechten Ruf. Einer gang zum innersten Kern ihrer Persönlichkeit der hauptsächlichen Glaubenssätze besagt, dass gefunden hat und dann Verhaltensweisen und »er zwar von alleine kommt, aber nicht von al- Lebenseinstellungen entwickelte, die möglichst leine verschwindet« (Weber 2011, S. 101). Er wird übereinstimmend mit ihrem innersten Selbst als etwas Manifestes, Unveränderliches angesehen, sind« (Hirshberg in einem Interview 1993, zidem man nur mit sehr eingreifenden Methoden tiert nach Irmey 2007, S. 31). beikommen kann. Bei vielen Heilungsgeschichten ist eine hohe Emotionalität und eine Begeisterung spürbar.
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 77–80, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
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Aus diesem Gegenwärtigsein im Jetzt tut sich ein Wissensraum auf. Und ich kann erfahren, dass jenseits aller Vorstellung über meine Zukunft, den Ausgang meiner Krankheit, aber auch aller Ideen, warum ich krank geworden bin, ich einfach jetzt bin.
ispenza (2014) betont, wie wesentlich es ist, dass D die Erkenntnisse oder Vorstellungen nicht nur intellektueller Art sind, sondern auch emotional spürbar werden, weil nur dann die für die Veränderung wesentlichen Bereiche im Gehirn aktiviert werden. Auch die Aktivierung von tranceähnlichen Bewusstseinszuständen, wie es durch Visualisierungen und durch das Hören von Musik geschieht, ist bedeutsam. Auch bei mir war die Brustkrebs-Diagnose zunächst natürlich ein großer Schock, der massive Angst auslöste. Zugleich bemerkte ich, dass mein Bewusstsein rund um die Diagnose angehoben war, sich mein Blick weitete und ich plötzlich sehr klar wusste, was jetzt zu tun ist. Diese unerschütterliche Gewissheit sagte mir unmissverständlich: »Ja genau, das tue ich jetzt. Von diesem Chirurgen lasse ich mich operieren, zu diesem Zeitpunkt, in diesem Krankenhaus.«
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Ein Wissen, das aus dem Körper kommt Es scheint, dass sich durch die Erschütterung, durch diesen Einbruch in unser als sicher geglaubtes Fundament so etwas wie ein Himmelsfenster auftut, durch das Bewusstseinslicht hindurchscheint, und ich zu einer tieferen oder höheren Ebene meines Seins (Selbst) Zugang bekomme. Und hier ist alles nötige Wissen vorhanden. Dieses Wissen ist ein aus dem Körper Kommendes, es ist ein Spür-Wissen. Es ist der »Felt Sense« (Gendlin, in: Wiltschko 2008, S. 88), dieser im Körper gefühlte Bedeutungsgehalt, der immer abrufbar ist. Man kann es auch Körperintelligenz nennen oder organismische Weisheit oder Intuition. Es ist ein Wissen, das über das, was ich weiß, hinausreicht. Es ist neu, noch nie gedacht, überraschend und ganz gewiss. Es schließt die vergangenen Erfahrungen ebenso ein wie auch die weiterführenden Schritte. Damit sich dieses Wissen entfalten kann, braucht es zuallererst Zeit-Räume – »Frei-Raum« wird das im Focusing genannt. Ein Verweilen mit dem, was jetzt ist. Leider wird nach einer Krebsdiagnose zumeist auf eine rasche Therapieentscheidung gedrängt. Zu schnell, wie ich meine. Der Schock konnte sich noch nicht aus dem Körper herauslösen, und die Menschen treffen ihre Wahl nicht umsichtig, sondern aus der Angst heraus. Demgegenüber gilt es, den Menschen einzuladen innezuhalten, mit sich in Fühlung zu kommen, sich in seiner inneren Antwort auf die Komplexität der Situation wahrzunehmen. Eine Antwort wird sich vielleicht nicht sofort einstellen und es gilt, diese Lücke des vermeintlichen Unwissens offenzuhalten. Verweilen im Ungewissen braucht Vertrauen, Vertrauen in dieses dahinterliegende Wissen. Es braucht Vertrauen in die Natur (des Menschen), in die natürlichen Vorgänge des Lebens und darin, dass der nächste gute Schritt den Lebensprozess, wie Gendlin sagt, »fortsetzt«. Das hat nichts mit positivem Denken zu tun. (Im Übrigen zählt die Aufforderung, positiv zu denken und die Hoffnung nicht zu verlieren, mei-
ner Ansicht nach zu den großen Belastungen für krebskranke Menschen.) Vertrauen in meinem Verständnis richtet sich nicht auf äußere Aspekte, wiewohl es günstig ist, ungünstige Prognosen zu relativieren und dem Patienten günstige Verläufe nahezubringen. Es ist nicht ein Vertrauen auf, sondern ein Vertrauen in. Es fußt auf einem körperlich gespürten Wissen, dass ich mehr bin als meine Krankheit, meine Angst, meine irdische Existenz. Dieses Wissen ist tief in mir verankert und über jeden Augenblick, der bewusst wahrgenommen wird, abrufbar. Von der Seele begrüßt … Der Organismus als Entscheidungsinstanz bei der Therapiewahl Im Prozess der Entscheidungsfindung braucht es kundige Begleiter, die sich ihrer eigenen Konzepte, aber auch ihrer Gefühle in Bezug auf den Krebs bewusst sind. Es ist es günstig, wenn die Begleiter über ein tiefes Einfühlungsvermögen verfügen, damit sie in ihrem eigenen Körper die organismische Resonanz wahrnehmen können, wann sich eine organismische Bejahung bei der Patientin vollzieht. Im Focusing nach Gendlin wird dies Felt Shift genannt. Dann kann eine Wahl getroffen werden, die alle die Situation bestimmenden Fakten berücksichtigt. Sie wird nicht nur aufgrund von Prozentzahlen, Heilungsquoten, Vernunftgründen getroffen, sondern diese einschließend berücksichtigt sie alle für die Person relevanten inneren und äußeren Aspekte. Wenn ich die Weisheit meines Organismus zu Wort kommen lasse, kann diese Wahl vielleicht rational nicht begründet werden und sie ist bisweilen nicht nachvollziehbar (zum Beispiel anstelle einer schulmedizinischen Behandlung zu einem Heiler im weit entfernten Brasilien zu reisen und – nach zwei Jahren – gesund wiederzukehren, siehe Turner 2015). Da braucht es Menschen, die dem Organismus als Entscheidungsinstanz vertrauen und den betroffenen Menschen als Zentrum des Be-
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wertungsprozesses anerkennen. Nur dann kann man meiner Ansicht nach von einer individualisierten/personalisierten Therapie sprechen. Eine so getroffene Behandlungsentscheidung steht fest gegründet in Verbindung mit dem Selbst der Patientin und kann daher mit Leib und Seele mitgetragen werden, was Untersuchungen zufolge ein wesentlicher Faktor für die Wirksamkeit ist.
wehren und ohne Angst. Hier gilt es zu verweilen, zu rasten, einfach zu sein. Und dann taucht eine Gewissheit auf, was zu tun ist. Ja, genau das, zweifelsfrei, eindeutig weiß ich, welcher der nächste gute Schritt ist. So ist das Vertrauen im Jetzt gebor(g)en, und bei all der Endlichkeit, die uns im Leben mit Krebs so bewusst wird, eröffnet dieses »stimmige Jetzt« ein zeitloses Fenster, in welchem die zeitliche Grenze unbedeutend wird. Und da ist alles gut.
Alles gut! Diese zwei Worte verbindet man nicht unbedingt mit einer Krebserkrankung. Da scheint gar nichts gut. Nein, vielmehr ist nichts mehr, wie es war. Das Vertrauen in meinen Körper und das Leben ist erschüttert, der Blick angstvoll auf eine ungewisse Zukunft gerichtet. Gleichzeitig wird durch diesen Einschnitt der horizontale Weg von der Vergangenheit zur Zukunft durch eine nicht wahrgenommene Gegenwart unterbrochen. Und ich bin plötzlich ganz da, wie auch immer, im Erleben des Schocks, in der Überwältigung durch meine Gefühle, aber auch mit dem Wissen, dass ich mehr bin als mein Körper, meine Rollen, meine Angst und Schwäche. Aus diesem Gegenwärtigsein im Jetzt tut sich ein Wissensraum auf. Und ich kann erfahren, dass jenseits aller Vorstellung über meine Zukunft, den Ausgang meiner Krankheit, aber auch aller Ideen, warum ich krank geworden bin, ich einfach jetzt bin. Und da ist es still und gut. Still und gut und ohne Wollen und Ab-
Dr. Beatrix Teichmann-Wirth ist Klinische und Gesundheitspsychologin, Personzentrierte Psychotherapeutin, Traumatherapeutin, langjährige Ausbilderin für personzentrierte Psychotherapie und tätig in eigener Praxis in Wien. Schwerpunkte: Traumatherapie (EMDR), körperorientierte Psychotherapie, Spiritualität, Krebscoaching. E-Mail: [email protected] Website: www.krebscoaching.org Literatur Dispenza, J. (2014). Du bist das Placebo. Bewusstsein wird Materie. Burgrein. Gleising, S. (2016). Meine wundersame Heilung. Die Geschichte einer Spontanheilung von Krebs. Freiburg. Hirshberg, C.; Barasch, M. I. (1997). Gesund werden aus eigener Kraft. Spontanheilung bei Krebs. München. Irmey, G. (2007). Heilimpulse bei Krebs. Von der Hoffnung zum Vertrauen: Ihr Wegweiser für ein persönliches Therapiekonzept. Stuttgart. Turner, K. A. (2015). 9 Wege in ein krebsfreies Leben. Wahre Geschichten von geheilten Menschen. München. Weber, W. (2011). Hoffnung bei Krebs. Der Geist hilft dem Körper. München. Wiltschko, J. (Hrsg.) (2008). Focusing und Philosophie. Eugen T. Gendlin über die Praxis körperbezogenen Philosophierens. Wien.
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Vertrauen (wiederer-)wecken Schritte und Möglichkeiten psychosozialer Begleitung
Silke Birgitta Gahleitner Nathalie erfährt spät, für sie zu spät, dass ihr Großvater, der sie in den ersten Lebensjahren betreut hat, verstorben ist. Aufgrund gravierender Meinungsverschiedenheiten mit den Eltern war der Kontakt mit ihm von den Eltern bereits früh verboten worden. Dennoch war er ihr immer wichtig geblieben. Als er stirbt, informieren die Eltern sie nicht darüber. Sie erfährt davon mehr durch Zufall. Für Nathalie bricht eine Welt zusammen. Aber wohin soll sie sich damit wenden? Das Ritual des Begräbnisses konnte sie nicht miterleben. Traditionelle Trauerzeiten, in denen die Familie von anderen Menschen beim Trauern unterstützt wird, gibt es nicht mehr. In der heutigen Zeit der sogenannten »Zweiten Moderne« sind Tradierungsmuster als Anhaltspunkte verlorengegangen, vorgebahnte Bedeutungszuschreibungen haben sich in Freiräume aufgelöst. Entlang dieser Entwicklungen gewinnt die Dimension »Vertrauen« an Bedeutung – auch und besonders in psychosozialen Beratungs- und Begleitungsprozessen zum Thema Trauer. Aber was hat es auf sich mit dem »Vertrauen«? Wie lässt sich der Begriff fassen, beschreiben und in Beratungs- und Begleitungsprozessen leben? Dieser Artikel reflektiert einige Möglichkeiten des Einbezugs der Vertrauensdimension in Beratungs- und Begleitungssituationen nach komplizierter Trauer. Vertrauen – was ist das überhaupt? Zieht man soziologische, psychologische und pädagogische Theoriebestände heran, erscheint Vertrauen als ein »Charakteristikum menschlichen
Lebens« (Schweer und Thies 2008, S. 136). Es bildet in vielen Lebensbereichen eine unverzichtbare Grundlage für unser Handeln. »Vertrauen reduziert die Vielzahl potenziell denkbarer Handlungsausgänge beziehungsweise -alternativen auf einige wenige; dadurch wird das Individuum bzw. ein soziales System überhaupt erst handlungs fähig« (S. 136). Insbesondere Giddens (1995) hat die Dimension des Vertrauens als Merkmal der Moderne und die Veränderungen der Bedeutung der Dimension Vertrauen im Verlauf der gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse herausgearbeitet. Auch Luhmann betrachtet Vertrauen als eine übergreifende kulturelle Ressource in modernen Gesellschaften, als »wirksame Form der Reduktion von Komplexität« (1973, S. 7). Konkret bedeutet dies: Die wachsende Systemund Informationsdichte wird durch Vertrauensprozesse reduziert. Ohne Vertrauen ist ein Leben in der Postmoderne also kaum möglich, aber zugleich »ist dieses Vertrauen immer auch prekär« (Wagenblass 2004, S. 64). Dazu tritt die Tatsache, dass die Veränderung sozialer Beziehungsformen eine Zunahme der Bedeutung von professionellen Vertrauensbeziehungen bedingt. In den letzten Jahren begann man die Bedeutung von Vertrauen als Dimension insbesondere in der interdisziplinär angelegten Sozialen Arbeit zu explorieren (Überblick bei Gahleitner 2017). Denn nicht nur auf der Ebene der persönlichen Beziehungen, sondern auch auf der Ebene der umgebenden Netzwerke und Institutionen kommt Vertrauensprozessen die Aufgabe zu, »Erwartungen zu stabilisieren und dadurch Handlungsmöglichkeiten (…) zu erhöhen« (Wagenblass 2013, S. 2; vgl. ursprünglich Luhmann 1973).
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Neben dem generalisierten Vertrauen in gesellschaftliche Prozesse und Institutionen helfen sogenannte »Zugangspunkte« (Giddens 1995, S. 107; vgl. auch »access points« bei Wagenblass 2013), als konkrete Begegnungen mit Institutionsvertretern, als Schnittstellen zwischen abstrakten Systemen und Individuen, die Entwicklung eines
»spezifischen Vertrauens« aufzubauen. Das heißt, Vertreter/-innen abstrakter Systeme müssen an diesen »Zugangspunkten« die eigene Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellen – als Bindeglied zwischen Person und System. »Die access points bieten (…) die Schnittstelle, an der die sozialen Beziehungen ihre institutionelle Form bekom-
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men und damit den zentralen Ort (…), an dem Vertrauen aufgebaut, aber auch zerstört werden kann« (Giddens 1995, S. 80). Vertrauen ist also stets »mit dem Risiko verbunden, enttäuscht zu werden« (Schweer und Thies 2008, S. 140). Nicht umsonst spricht Luhmann vom »Problem der riskanten Vorleistung« (1973, S. 23).
Vertrauen schaffen in psychosozialen Begleitungsprozessen Über eine Freundin, die über die innere Not von Nathalie besorgt ist und selbst einen Trauerprozess zum Tod ihres Vaters durchlebt hat, findet Nathalie schließlich zu einer Beratungs-
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In der psychosozialen Arbeit können sich Professionelle nicht aus der persönlichen Dimension und Unmittelbarkeit herausstehlen, insbesondere bei Menschen mit schwierigen vorangegangenen Beziehungserfahrungen.
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stelle für trauernde Menschen. Nathalie kann jedoch dort ihr Leid nicht aussprechen. Sie ist es nicht gewohnt, anderen zu vertrauen, zu viel Misstrauen hat sich in ihrem Leben angesammelt. Viele Gedanken und Gefühle brechen zudem über sie hinein und lösen eine Krisensituation aus. Mit viel persönlichem Einsatz bringt die Beraterin gegenüber Nathalie ihre Sorge um Ausdruck und bittet sie, die vermittelnde Freundin in die Beratung mitzubringen. Therapeuten/Therapeutinnen und Berater/-innen stehen vor dem Problem, zunächst vor allem das berechtigte Misstrauen der Klientinnen und Klienten abzubauen (Flick 1989), das heißt, sie müssen in »Vorleistung« gehen und vorab »Vertrauen schenken« (Luhmann 1973, S. 45 f.; vgl. auch Oevermann 2009). Die Art und Weise, wie Vertreter/-innen von Institutionen und Organisationen ihre jeweilige Rolle dabei ausfüllen, wie stark sie hinter der Rolle persönlich sichtbar werden, also das »personale Vertrauensverhältnis« (Zeller 2012, S. 100), prägt dabei auch ihre Vertrauenswürdigkeit. In der psychosozialen Arbeit können sich Professionelle daher nicht aus der persönlichen Dimension und Unmittelbarkeit herausstehlen, insbesondere bei Menschen mit schwierigen vorangegangenen Beziehungserfahrungen, die die Trauerarbeit verkomplizieren (Müller und Willmann 2016). Über die Mithilfe der Freundin und eine gemeinsame Krisenabsicherung für Nathalie gelingt der Einstieg. Mit ihrem fachlichen Hintergrund zu Trauerprozessen und viel Feinfühligkeit und Sensibilität tastet sich die dortige psychosoziale Fachkraft an Nathalies Situation heran. Nach einiger Zeit wird deutlich, in welch komplexem Gefüge sich Nathalies Trauer über den Tod des Großvaters bewegt und wie tief ihre familiär mitgebrachte Verunsicherung und ihr Misstrauen sind.
Nach Petermann (2013) müssen Fachkräfte für einen gelingenden Vertrauensanbahnungsprozess Kompetenz, Kontinuität, Fürsorge, Aufrichtigkeit und Kongruenz zeigen, um in anderen Vertrauen und Beziehungsbereitschaft zu erwecken. Auch Transparenz, Verlässlichkeit, Klarheit und Struktur in der Kommunikation und Kontinuität sowie – die altbekannten Schlüsselkonzepte der humanistischen Therapie und Beratung – Akzeptanz, Wertschätzung und Kongruenz (vergleiche unter anderem Rogers 1957; Nestmann 2004) spielen der Forschung zufolge eine gewichtige Rolle in diesem Prozess. Stockend und ansatzweise berichtet Nathalie über die Hintergründe des komplexen Familiengeflechts. Mit fünf Jahren wurde sie vom Großvater zu den Eltern zurückgebracht und der Kontakt zu ihm abgebrochen. In der Familie herrschte ein großes Ausmaß an häuslicher Gewalt gegen Nathalies Mutter, Nathalie selbst und ihre Geschwister. Der Großvater hatte eine Meldung ans Jugendamt gemacht, sie blieb aber folgenlos. Der Beraterin Nathalies wird deutlich, dass in diesem Trauerprozess viel mehr aufbrechen und es um einen längeren Beratungs- oder Therapieprozess gehen wird. Dies ist eine häufige Situation in Trauerberatungsprozessen. Der Vertrauensaufbau gelingt im besten Fall zunächst auf der Ebene der Dyade, muss sich aber in solchen Fällen auch auf der Ebene des umgebenden Netzwerks und der Institutionen tragfähig gestalten. Dennoch wird die Hilfeleistung zunächst »an den access points über die Fachkräfte personalisiert und damit auf einer persönlichen direkten Ebene erfahrbar« (Wagenblass 2013, S. 9). Das bedeutet, Vertrauen konstituiert sich über und innerhalb einer professionellen und tragfähigen Beziehung, muss aber im Fall des Gelingens über diese dyadische Beziehung hinausgehen und »psychosoziale Zufluchts- und Vertrauensräume« (vgl. Gahleitner 2017) anbieten.
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Merchant from Isfahan Flying, Islamic School (14 th century) / Institute of Oriental Studies, St. Petersburg, Russia / Bridgeman Images
Nathalie hat mithilfe der Trauerberaterin walterfahrung zu bewältigen. Die Trauerbeeinen Brief an den toten Großvater geschrieraterin hat ihr versprochen, den Übergang in ben (vgl. dazu das Konzept der fortgesetzten einen längeren Beratungs- und TherapieproBindung von Müller und Willmann 2016). Dazess zu begleiten und so lange an ihrer Seite bei hat ihr auch die bereits genannte Freunzu bleiben. din geholfen. Die durch den Tod des Großvaters ausgelöste Krise konnte mithilfe des Beratungsprozesses abgefanDer Vertrauensaufbau gelingt im besten gen werden. Nathalie ist jeFall zunächst auf der Ebene der Dyade, doch klar geworden, dass ein längerer Begleitungsprozess muss sich aber in solchen Fällen auch auf nötig ist, um die vielen Verder Ebene des umgebenden Netzwerks strickungen innerhalb der und der Institutionen t ragfähig g estalten. Familie und ihre frühere Ge-
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Ausblick Beratungsprozesse wie der geschilderte erfordern ein professionelles Abwägen und dialogisches Ringen um ein als »›richtig‹ empfundenes Maß an Nähe und Distanz« (Dörr und Müller 2007, S. 7). Professionelles beratendes Handeln in öffentlich-institutionalisierten Kontexten bedarf demnach einer persönlich geprägten Beziehung und einer reflektierten, theoretisch begründbaren und lehrbaren Beziehungsgestaltung mit Patientinnen/Patienten und Klientinnen/Klienten (Großmaß 2009) – »partiell engagiert« und »selektiv offen« (Petzold 1980). Aus dieser Perspektive ist auch »Vertrauensherstellung nicht länger als unhinterfragte personale Ressource aufzufassen, sondern als methodisch reflektiertes Repertoire« (Fabel-Lamla et al. 2012, S. 804). Gelingt jedoch ein solcher Prozess, kann es – wie bei Nathalie – nach tief greifenden traumatischen Prozessen auch zu Phänomenen posttraumatischen Wachstums (von Eichborn 2011; Tedeschi und Calhoun 1995, 1998) kommen. Prof. Dr. Silke Brigitta Gahleitner studierte Soziale Arbeit, promovierte in Klinischer Psychologie und habilitierte in Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt »Psychosoziale Arbeit«. Sie arbeitete langjährig als Psychotherapeutin in eigener Praxis sowie in der sozialtherapeutischen Einrichtung »Myrrha« für traumatisierte Mädchen. Seit 2006 ist sie als Professorin für Klinische Psychologie und Sozialarbeit mit dem Schwerpunktbereich »Psychosoziale Diagnostik und Intervention« an der Alice Salomon Hochschule Berlin tätig. E-Mail: [email protected] Literatur Dörr, M.; Müller, B. (2007). Einleitung: Nähe und Distanz als Strukturen der Professionalität pädagogischer Arbeitsfelder. In: Dörr, M.; Müller, B. (Hrsg.), Nähe und Distanz: Ein Spannungsfeld pädagogischer Professionalität. 2. Auflage (S. 7–27). Weinheim. Eichborn, V. von (2011). Frauenselbsthilfe und Trauma: Posttraumatisches Wachstum als Bildungsprozess. In: Klinische Sozialarbeit, 7 (2), S. 8–9.
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»Ich bin nicht meine Angst« Achtsamkeit vertreibt Ängste nicht, unterbricht aber ihren Einfluss
Ursula Baatz Es war bei Paulos erstem Zen-Retreat – eine Woche der »Sammlung des Herzens« (»sesshin«), in der nichts anderes im Programm steht als Schweigen und achtsames Sich-Versenken. Paulo freute sich auf die Stunde Gartenarbeit, für die er sich gemeldet hatte. Denn zu einem Zen-Sesshin gehört nicht nur Meditation im Sitzen, sondern auch täglich körperliche Arbeit als achtsame, meditative Praxis (samu). Diese Art zu arbeiten dient einerseits dem Transfer der Übung in den Alltag, andererseits ist es ganz anders. Es gilt zu tun, was zu tun ist, ohne Druck oder besondere Erwartungen, Augenblick für Augenblick mit Achtsamkeit. Mit wahrem Feuereifer stürzte Paulo sich aufs Grasschneiden. Das geschnittene Gras sollte mit einem Schubkarren zum Kompost gefahren werden. Paulo schnitt und schnitt, denn es waren viele Quadratmeter eines abschüssigen Hanges zu bewältigen. Die Stunde verging rasch – und voller Angst, dass er die Arbeit nicht bewältigen würde, wollte er den Schubkarren einer anderen Teilnehmerin in die Hand drücken, die gerade mit der Säuberung eines kleinen Teichs beschäftigt war. »Ich habe keine Zeit, ich muss Gras schneiden«, erklärte er der verdutzt dreinschauenden Frau mit einem Anflug von Panik in der Stimme. Die Frau schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem kleinen Teich zu. Dann kam das Signal für das Ende der Arbeitszeit. Achtsamkeit als Heilmittel gegen Angst In den Meditationsperioden, die an diesem Tag noch folgten, begegnete Paulo immer wieder sei-
ner Angst, nicht fertig zu werden, unfähig, abgelehnt, zu nichts nutze zu sein. Die Angst schüttelte ihn nahezu, ein körperliches Empfinden, das er gut kannte und vor dem er gewöhnlich zum Fernseher, Kühlschrank oder zur Zigarette flüchten konnte. Doch erinnerte er sich, dass die Übung darin bestand, dem Atem zu folgen. Überrascht stellte er nach einer Weile fest, dass dadurch für kurze Momente in seinem Inneren Ruhe einkehrte. Dann kam die Angst wieder, doch wurden die Zeitspannen der inneren Ruhe allmählich länger. Irgendwann bemerkte er, dass er nicht Teil seiner Angst war, sondern dass die Angst und er nicht ineinander verschmolzen waren. Das Empfinden von innerer Anspannung und einem Gefühl von »in die Enge getrieben sein« befällt Paulo immer noch ab und zu. Doch seine Angst vor der Angst ist deutlich geringer geworden, und wenn es ihm gelingt, sich auf den Fluss des Atems einzulassen, lässt die Spannung immer mehr nach. Zur großen Familie der Achtsamkeitsübungen gehört die Zen-Praxis so wie andere aus dem Buddhismus kommende Praktiken. Doch ist Achtsamkeit keine Domäne des Buddhismus, auch wenn das Wort als Übersetzung buddhistischer Termini von dem deutschen Buddhisten Nyanatiloka (1952) geprägt wurde. Achtsamkeitsübungen gibt es in allen Religionen, denn ohne Achtsamkeit, das heißt empathische Selbstreflexion, ist Selbstkultivierung im ethisch-spirituellen Sinn – wozu auch der Umgang mit Angst gehört – nicht möglich (Schmücker und Heubel 2013; Siegel 2012). Dass Achtsamkeitsübungen für chronische Schmerzpatienten hilfreich sind, fiel Anfang der
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1970er Jahre dem US-amerikanischen Mediziner Jon Kabat-Zinn auf. Seine Methode MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction) verbindet körperliche Übungen, formelle und informelle Achtsamkeitsübungen mit Psychoedukation und themenzentrierten Gruppenprozessen. Die Wirksamkeit des MBSR-8-Wochen-Kurses konnte durch neurophysiologische Forschung belegt werden (Hölzel et al. 2013). Daraus sind eine ganze Reihe anderer Methoden, unter anderem MBCT (Mindfulness Based Cognitive Therapy), entstanden.
Achtsamkeit ist Übung ist Lebensqualität Achtsamkeit ist nicht dasselbe wie Aufmerksamkeit, auch wenn die Wortfelder nicht so klar voneinander zu trennen sind. Aufmerksamkeit richtet sich vor allem auf das »Außen« (Beispiele: Autofahren, Computerarbeit und so weiter). Bei der Übung von Achtsamkeit geht es um die Innenwelt der leiblichen Empfindungen, die Emotionen und Gedanken, die sich mit der Wahrnehmung des Außen in einem unentwegten Fluss verbinden. Achtsamkeit üben bedeutet ein zugewandtes,
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wohlwollendes, nichturteilendes Wahrnehmen all dessen, was »gerade jetzt« sich ereignet. Die nichtinvasive Zuwendung macht deutlich, was im Hintergrund des Bewusstseins geschieht. Diese Wahrnehmung allein kann zu einer Veränderung der Situation führen – etwa zum Nachlassen von Anspannungen oder Schmerzen. Die Übung von Achtsam keit beginnt meist bei der Wahr nehmung des Atmens und der körperlichen Empfindungen. Gerade diese Dimension der leiblichen Selbstwahrnehmung wird bei Stress und Angst ausgeklammert. Ein achtsames Wahrnehmen der Mechanismen der körperlichen Mobilisierung (»Kampf oder Flucht«) und der damit verbundenen Gefühle und Gedanken kann schon ausreichen, um eine minimale Änderung des Verhaltens zu ermöglichen. Oft führen Angst oder Traurigkeit dazu, den Kühlschrank oder die Schokoladenbox aufzusuchen, zur nächsten Zigarette oder zum nächsten Glas Alkohol zu flüchten; oder auch die Angst durch besonders markantes Auftreten zu negieren oder zu bekämpfen. Eine »umfassende und acht same Perspektive« (Orsillo und Roemer 2012, S. 179) ermöglicht, die Verengung der Wahrnehmung, die für Angst charakteristisch ist, zu weiten und neue angemessene Problemlösungen zu finden. Das gilt für Angststörungen genauso wie für die alltäglichen kleinen Ängste. Die Angst sitzt uns allen irgendwie im Nacken – ob man die Straßenbahn noch erreicht; ob der Chef mit der Arbeit zufrieden ist; ob das Essen den Gästen schmecken wird oder ob das Kind wieder gut nach Hause kommt. Die Liste der Alltagsängs-
te ist lang. Angst und besorgtes Vorausdenken an »das, was geschehen könnte, wenn …« sind wichtige Instanzen des Überlebens. Dies sind keine rationalen Prozesse, sondern ist eine Verbindung von Emotionen und Gedanken. Etwa der Gedanke, »es könnte dem Kind auf dem Schulweg etwas geschehen« oder »was der Chef morgen sagen wird«, löst eine Fülle von Emotionen und damit verbundenen Körperempfindungen aus. Wenn man unter den Anforderungen des Alltags auf »Autopilot« schaltet, wird man davon nicht viel mitbekommen und die nächsten Entscheidungen unter dem Einfluss von Ängsten treffen. Achtsamkeit vertreibt Ängste nicht, unterbricht aber ihren Einfluss. Durch Achtsamkeit können wir lernen, auf unsere Ängste zu hören, aber uns nicht von ihnen treiben und bestimmen zu lassen. Dr. Ursula Baatz, Religionswissenschaft lerin und Philosophin, Achtsamkeitsund Qi-Gong-Lehrerin, ist Lehrbeauftragte für Religionswissenschaft und Ethik an der Universität Wien. © lukas beck / edition a
E-Mail: [email protected]
Literatur Baatz, U. (2017). Spiritualität, Religion, Weltanschauung. Landkarten für systemisches Arbeiten. Göttingen. Hölzel, B. K.; Hoge, E. A.; Greve, D. N.; Gard, T.; Creswell, J. D.; Brown, K.W.; Barrett, L. F.; Vaitl, D.; Lazar, S. (2013). Neural mechanisms of symptom improvements in generalized anxiety disorder following mindfulness meditation training. In: NeuroImage: Clinical, 2, S. 448–458. Nyanatiloka (1954). Buddhistisches Wörterbuch: Kurzgefasstes Handbuch der buddhistischen Lehren und Begriffe in alphabetischer Anordnung. Konstanz. Orsillo, S.; Roemer, L. (2012). Der achtsame Weg durch die Angst. Wie wir andauernde Sorgen und Grübelei hinter uns lassen und zu einem erfüllten Leben finden. Freiburg. Schmücker, M.; Fabian Heubel, F. (Hrsg.) (2013). Dimensionen der Selbstkultivierung. Beiträge des Forums für Asiatische Philosophie. Freiburg. Siegel, D. (2012). Mindsight – die neue Wissenschaft der persönlichen Transformation. München.
Bildnachweis: Head of a Buddha image, 13 th–14 th century (bronze), Siamese School / Private Collection / Photo © Luca Tettoni / Bridgeman Images
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Zimmer sieben Caroline Bohn Es kränkt mich, hab’ ich noch zu Heinrich gesagt. Und Angst habe ich auch. Quatsch meinte er. Alt werden wir alle. Dann war er plötzlich tot. Wie schnell das geht. Nur ein Baum steht hier. Von der grünen Wiese wollen sie uns alle wegholen. Das haben sie im Fernsehen gesagt. Was haben die gegen grüne Wiesen? Ich wollte hier sowieso nicht hin. Ach Papa, du fehlst mir so. Handräder hab ich immer geschlagen. Sieh nur, mein Äffchen, hast du gesagt. Durch nichts ist meine Kleine zu bändigen. Meine Kleine hast du auch noch gesagt als ich sechzig war. Lange ist das her. Vierundzwanzig Jahre? Heinrich war auch ein guter Mann. Die Tür? Schon wieder ohne Klopfen. Oh nein, bitte, nicht die schon wieder. »Morgen. Wie geht’s denn heute? Müde sieht sie aus, nich? Sind wir noch müde?« Diesmal ist sie nicht alleine. Sicher wieder eine Praktikantin. Die wechseln hier ja ständig. Schon wieder so ein junges Ding. Höchstens sechzehn, älter ist die nicht. Wonach riecht die? Nach billigem Haarspray. Die Schwester wie immer nach Kaffee. »Sie is nich sehr gesprächig.« Gleich ziehen die mir die Decke weg. »So von sich aus, sagt die nix. Kommt nich aus sich raus, weißt du. Verstehn tut sie aber alles.« Wozu denn noch sprechen? Die halten mich hier doch eh für doof. Ernst werde ich schon lange nicht mehr genommen. Ständig wiederholen die, was ich sage. Wenn ich mal was sage.
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 90–92, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
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»Is aber ganz empfindlich. So’n Sensibelchen is sie. Stimmt doch, oder? Bisschen empfindlich sind wir, nich?« Spinnt die? Die meisten hier sind schwerhörig. Ich aber nicht. Das weiß die doch. Guck weg. Die guckt da hin. Dabei kenn’ ich die doch gar nicht. Ich will nicht, dass die das sieht, das junge Ding. »Ich mach sie sonst immer morgens im Bad, weißt du.« »Ja?« … »Im Steh’n?« »Nee, im Stuhl. Is aber jetzt’n bisschen schwierig. Im Moment hat sie so ihre Probleme.« »Komm hilf mal mit. Nimm die Arme kurz mal hoch. Arme hoch. Ja, gut so.« Mir ist so kalt. Warum machen die die Tür nicht zu? An das Duzen werde ich mich nie gewöhnen. Soll ich der das nochmal sagen? Besser nicht. Ich sag nichts mehr, sonst wird die wieder ruppig, und dann fasst die mich wieder so feste an. Ich bin müde. »Is gut jetzt. Arme wieder runter. Komm, mach mal, einmal nach vorne beugen.« Hübsch war ich in dem blauen Kleid. Damals in Kassel hatte ich es an. Beim Spaziergang mit Heinrich, auf der Wilhelmshöhe. Kalt war es schon noch, war ja noch Frühsommer. Nettes Figürchen hat mein Mädchen, hat Heinrich gesagt. Stolz war er. Und ich erst. Was hab ich hier denn noch vorzuzeigen? »Mach du mal. Hinter’m Ohr da hat sie ziemliche Falten. Sitzt halt immer ganz viel Dreck mit drin. Untenrum mach ich dann weiter.« Nein, bitte, nicht zwischen die Beine. Nimm deine Pfoten weg. Die Schweine. »Das hat sie nich so gerne, nich? Nee, das haben wir nich so gerne.« Die Schweine, … nicht wieder diese Bilder. »Is schon gut. Bisschen noch. Is von damals, nach’m Krieg. Die Soldaten … naja, weißt schon.« Die soll jetzt aufhören. Die soll ein anderes Zimmer machen.
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»Is gut jetzt, bin ja jetzt fertig.« Ich mach Zimmer sieben gerade, hat sie letztens nach draußen gerufen. Zimmer sieben. Ich bin Zimmer sieben. An gestern darf ich gar nicht denken. Alles verschmiert. Dabei wollte ich es doch nur wegmachen. Schlimmer hab ich’s nur gemacht. Und alles hat gestunken. Ich kann doch nichts dafür, wollte ich noch sagen, aber dann schimpften die schon so sehr, als sie reinkamen. Weh getan haben die mir. Doch ich hab’ nicht mal einen Ton gesagt. »Ich komm gleich.« Wer steht denn da draußen? »Ich mach noch eben hier fertig.« Ich fühle genauso wie du. »So, is gut jetzt.« Endlich, die Decke. Es kränkt mich, hab’ ich noch zu Heinrich gesagt. Angst habe ich auch. Quatsch meinte er. Alt werden wir alle. Dann war er plötzlich tot. Wie schnell das geht. Ja, … so schnell kann’s gehen.
Mit freundlicher Genehmigung aus: Caroline Bohn: Macht und Scham in der Pflege. Beschämende Situationen erkennen und sensibel damit umgehen. © 2015, Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, S. 104–106. www.reinhardt-verlag.de
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AUS DER FORSCHUNG
Verlust und Angst Heidi Müller und Hildegard Willmann M. Katherine Shear, Natalie A. Skritskaya (2012): Bereavement and Anxiety. In: Current Psychiatry Reports, Vol. 14, Nr. 3, S. 169–175. Jedes Jahr sterben weltweit 60 Millionen Menschen. Die Anzahl der Personen, die von einem Verlust betroffen sind, liegen zwei bis fünf Mal so hoch. Viele Betroffene sind traurig und sehnen sich nach der verstorbenen Person. Doch häufig werden auch andere Emotionen erlebt, wie zum Beispiel Angst. Das Erleben von Angst stellt zunächst eine normale Reaktion auf den Verlust dar. Einige Menschen haben Angst, weil ihnen die Sicherheit und Geborgenheit fehlt, die der Verstorbene ihnen gegeben hat. Andere, weil sie mit dem Thema Tod konfrontiert sind. Bei den meisten Menschen vergeht dieses Gefühl mit der Zeit wieder. Doch andere entwickeln Angststörungen, die behandelt werden müssen. Im Vergleich zu anderen Themen ist bisher wenig über das Thema Angst im Zusammenhang mit einer Verlusterfahrung bekannt. Die Autorinnen Shear und Skritskaya haben in dieser Literaturstudie viel Wissenswertes zusammengetragen.
Insbesondere Fachkräfte, die beruflich mit Sterben, Tod und Trauer zu tun haben, sollten sich mit ihren Ängsten auseinandersetzen. Denn nur so können sie einerseits gut für sich selbst sorgen und andererseits auch vollumfänglich für andere da sein. Verlusterfahrungen und Angstsymptome Es gibt viele verschiedene Faktoren, die das Erleben von Angst steigern und abmildern können. Beispielsweise können plötzliche Todesfälle, eine hohe Pflegebelastung oder ein schlechter Gesundheitszustand zu einem erhöhten Maß an Angst führen. Die Unterstützung von Fami-
Der eigene Tod und der Verlust einer nahestehenden Person löst bei vielen Menschen Angst aus. Die meisten versuchen ihre Angst in Grenzen zu halten, indem sie die Gedanken an die eigene Sterblichkeit oder das Thema Tod zum Beispiel unterdrücken, humorvoll damit umgehen oder auch ihr Selbstwertgefühl stärken. Dennoch können sich Menschen nicht gänzlich davor schützen. Denn im Laufe ihres Lebens werden sie immer wieder mit diesen Themen konfrontiert werden.
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Umgang mit Tod und Verlust
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lienangehörigen und Freunden wird dagegen als angstmildernd erlebt. Die Studienlage zeigt insgesamt, dass das Erleben von Angst viel häufiger vorkommt, als allgemeinhin angenommen wird. Dabei formen die Angstsymptome (zum Beispiel innere Unruhe, Nervosität, Feindseligkeit, Somatisierung) ein eigenes Cluster, das sich gut von den Symptomen einer Depression, einer Komplizierten Trauer, aber auch den Reaktionsweisen der normalen Trauer abgrenzen lässt. Bei den meisten Hinterbliebenen nimmt das Gefühl der Angst sechs bis acht Monate nach dem Verlust deutlich ab oder löst sich ganz auf. Nur eine kleine Gruppe von Menschen (circa 10 bis 20 Prozent) erlebt dagegen ein schwereres Maß an Angst. Sie haben ein erhöhtes Risiko, Angststörungen zu entwickeln. Angststörungen als Folge von Verlusterfahrungen Typischerweise gehören Sehnsucht, das Erleben von positiven Emotionen und ein stetiges Auf und Ab zu dem Erscheinungsbild von Trauerprozessen dazu. Damit lassen sich Trauerprozesse gut von schweren Depressionen und Angststörungen abgrenzen. Denn im Gegensatz zu einem Trauerprozess sind Depressionen und Angststörungen Zustände, die über lange Zeit Tag für Tag gleichbleibend und unverändert anhalten. Positive Emotionen und Sehnsucht sind nicht zu beobachten. Im Zusammenhang mit Verlusten treten am häufigsten die generalisierte Angststörung, die posttraumatische Belastungsstörung oder die Panikstörung auf. Diese psychischen Erkrankungen stellen eigenständige Krankheitsbilder dar, die die Verlustverarbeitung maßgeblich beeinträchtigen. Sie können auch zu einer Komplizierten Trauer führen oder begleitend dazu auftreten. Wie häufig Verlusterlebnisse Angststörungen auslösen oder reaktivieren, ist schwer zu sagen, denn es gibt nur wenige Studien, die diesen Zusammenhang untersuchen. Personen, die im Lauf
ihres Lebens jedoch schon einmal unter einer Angststörung gelitten haben, haben ein deutlich größeres Risiko, dass diese durch eine Verlust erfahrung erneut ausgelöst wird. Zusammenfassung Verlusterfahrungen gehören zum Leben dazu. Stirbt eine nahestehende Person, erleben das viele Hinterbliebene als verstörend und schmerzlich. Insbesondere die akute Trauer erscheint ihnen ungewöhnlich. Die Vielfältigkeit und die Intensität der Reaktionsweisen treffen sie häufig ebenso unvorbereitet wie der sprunghafte Verlauf des Trauerprozesses. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Tod und die Herausforderungen, die das veränderte Leben mit sich bringt, können bei den Betroffenen natürlicherweise Angst auslösen. Angst ist eine normale Reaktionsweise auf ein Verlusterlebnis. Sie ist nicht pathologisch. Doch in einigen Fällen entwickeln Hinterbliebene Angststörungen. Es ist wichtig, diese zu erkennen, denn sie führen zu erheblichen Belastungen bei den Betroffenen und müssen unbedingt professionell behandelt werden. Möchten Sie mehr zu diesem oder anderen Themen aus der Trauerforschung erfahren? Melden Sie sich gern beim kostenlosen Newsletter »Trauerforschung im Fokus« unter www.trauerforschung.de an oder schreiben Sie uns einfach eine Mail.
Heidi Müller, Diplom-Politologin, Herausgeberin des Newsletters »Trauerforschung im Fokus«. E-Mail: heidi.mueller@trauerforschung.de Hildegard Willmann, Diplom-Psychologin, Herausgeberin des Newsletters »Trauerforschung im Fokus«. E-Mail: [email protected]
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FORTBILDUNG
Fortbildungseinheit zum Thema Angst Thorsten Adelt Dauer: 3,5 Stunden In dieser Fortbildungseinheit zum Thema Angst geht es nicht um »neurotische« Ängste, wie Phobien, Panikattacken oder Traumatisierungen, deren Behandlung durch eine Psychotherapie oder vielleicht auch medikamentös erfolgen müsste. Nach einer Aussage von Sigmund Freud geht es in einer Psychotherapie darum, »das neurotische Elend durch das alltägliche Unglück zu ersetzen«. Zum alltäglichen Unglück gehören auch existenzielle Sorgen und Ängste um sich und andere, ausgelöst vielleicht durch Erkrankungen oder Unfälle. Diese Fortbildungseinheit, die für 12 Gruppenteilnehmer/-innen konzipiert ist aber auch für sich allein durchdacht werden kann, soll Personen, die in ihrem beruflichen Umfeld Menschen begleiten, die aktuell mit dieser Angst um sich oder andere Nahestehende konfrontiert sind, hilfreiche Wege und Möglichkeiten des Umgangs mit diesen Ängsten erfahrbar machen lassen. Schritt 1 (10 Minuten) »Nehmen Sie sich 10 Minuten Zeit, sich Momente in Ihrem Leben zu vergegenwärtigen, in denen Sie sich große Sorgen gemacht haben oder große Ängste hatten um sich selbst oder um einen Ihnen nahestehenden Menschen. Notieren Sie jedes dieser Ereignisse mit einem kurzen Stichwort.« Schritt 2 (10 Minuten) »Nun wählen Sie bitte eine dieser Situationen aus der Vergangenheit aus, in der Sie diese Angst er-
fahren haben, und notieren Sie in Stichpunkten die Antworten zur folgenden Frage: Was hat mir geholfen, diese Situation durchzustehen, und/ oder was hätte mir geholfen, diese Situation besser durchstehen zu können? Nehmen Sie sich dazu 10 Minuten Zeit.« Schritt 3 (40 Minuten) »Nun setzen Sie sich bitte zu dritt zusammen. Sie haben nun 40 Minuten Zeit, den jeweils anderen die erfahrene Angstsituation zu schildern und auch darzustellen, was Ihnen geholfen hat oder Ihnen geholfen hätte. Dafür haben Sie jeweils 10 Minuten Zeit. Im Anschluss daran tauschen Sie sich bitte 10 Minuten darüber aus, wie es für Sie war, Ihr vergangenes Angsterleben den anderen zu schildern und die Angstsituation der beiden anderen zu hören.« Schritt 4 (50 Minuten) »Bedanken Sie sich und verabschieden Sie sich nun von Ihrer Dreiergruppe und setzen Sie sich bitte erneut mit anderen Teilnehmenden zu viert zusammen. Ihre Aufgabe ist es nun, anhand der eigenen Erfahrung und des Gehörten in der Dreiergruppe Grundsätze für die Begleitung von Angst situationen zu erarbeiten. Diese Grundsätze sollen dann im Anschluss gruppenweise im Plenum vorgestellt werden. Dabei bleibt es Ihnen überlassen, wie Sie das präsentieren: auf einem Flipchartbogen oder auf Moderationskarten, in Form einer Skulptur aus Gegenständen oder einer Menschenskulptur. Das können Sie kreativ gestalten, was auch immer Ihre Idee dazu ist.
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Wichtig ist dabei, dass Ihre Gedanken zu den erarbeiteten Grundsätzen zur Begleitung von Ängsten deutlich werden. Sie haben 45 Minuten Zeit, diese Präsentation zu erarbeiten.« Pause (20 Minuten) Schritt 5 (45 Minuten) Präsentation der Gruppenergebnisse, pro G ruppe 15 Minuten. Die Gruppenleitung notiert wichtige Aspekte und Schlüsselwörter auf Moderationskarten. Schritt 6 (5 Minuten) Die Gruppenleitung legt die Moderationskarten auf dem Boden aus, benennt dabei das Notierte. Schritt 7 (30 Minuten) Abschlussrunde, in der die Teilnehmenden berichten, wie diese Auseinandersetzung mit der Angst für sie war, und dies mit einer der Moderationskarten benennen, die besonders wichtig erscheint. Dipl.-Psych. Thorsten Adelt ist Psychologischer Psychotherapeut, psychoonkologischer Berater für Krebskranke und ihre Angehörigen sowie Supervisor und Coach für Führungskräfte im Gesundheitswesen.
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REZENSIONEN
Personzentrierte Beratung und Therapie bei Verlust und Trauer
Ulrike Backhaus: Personzentrierte Beratung und Therapie bei Verlust und Trauer. München, Basel, Ernst Reinhardt Verlag 2017, 188 Seiten Das fundierte und zugleich gut lesbare Buch öffnet einen sehr weiten Blick in das Handlungsfeld der Begleitung, Beratung und Therapie von Menschen mit Verlusterfahrungen. Und es empfiehlt sich dadurch vorrangig, aber bei weitem nicht ausschließlich, für Mitarbeitende im wachsenden Handlungsfeld Hospiz, Palliative Care und Trauerbegleitung. Das Buch lässt immer wieder spürbar werden, dass die Autorin selbst auch als Trauerbegleiterin und Ausbilderin für Trauerbegleitung tätig ist. Allerdings würde man dem Buch Unrecht tun, wenn man es nur für dieses Handlungsfeld empfehlen würde. Das wird deutlich am Aufbau und der Struktur dieser Neuerscheinung. Backhaus klärt zunächst die Ausgangslage und weist darauf hin, dass es in Deutschland in Psychotherapie und Beratung immer noch erstaunliche Lücken im Wissen um Trauerprozesse gibt. Auch ausgehend von dieser Feststellung ist ganz offensichtlich das Buch entstanden. Es möchte
Norbert Mucksch
diese Lücken schließen und das gelingt Backhaus sehr überzeugend nicht nur durch die Vermittlung fachlicher Informationen, sondern auch durch eine durchgängige Sensibilisierung für die Bedeutsamkeit des Themas. Bevor die Autorin im ersten Hauptkapitel auf die Grundlagen des personzentrierten Ansatzes eingeht, gibt sie Hinweise zum Umgang mit dem Buch und differenziert schon hier hilfreich zwischen Trauerbegleitung, Trauerberatung und Trauertherapie. Das dann folgende Kapitel zur personzentrierten Grundhaltung beginnt bei der Person von C. R. Rogers, beschreibt in beeindruckender und zugleich klarer und übersichtlicher Form dessen Menschenbild, um sich nachfolgend den klassischen Grundhaltungen des personzentrierten Ansatzes zuzuwenden. Spannend und zugleich sehr passend erweitert die Autorin die drei Grundhaltungen (Wertschätzung, Empathie, Echtheit) unter Verweis auf ein Zitat von Rogers aus dem Jahr 1983, in der dieser auf die notwendige Berücksichtigung auch von transzendenten Erfahrungen eingeht. Backhaus schafft ausgehend davon Verbindungen zu den Haltungen der Achtsamkeit, der Präsenz und der Intuition. Im dritten Kapitel geht es dann um personzentrierte Grundhaltungen im Umgang mit Trauer und Verlust. Es beginnt mit einem kurzen historischen Rückblick und macht dann die hohe Affinität deutlich, die personzentrierte Grundhaltungen zur Hospizarbeit haben. Dies spiegelt sich übrigens auch durchgängig wider in den Curricula der Befähigungskurse beispielsweise für Ehrenamtliche in der Hospizarbeit. Das vierte Kapitel wendet sich dann dezidiert dem Thema Trauer zu und wirft aus unterschiedlichen Perspektiven fachliche Blicke auf das, was Trauer ist beziehungsweise ausmacht. Dieser Teil des Buches macht vor allem deutlich, dass die ursprünglich angenommenen eher statischen Pha-
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senmodelle nicht mehr dem Stand der Forschung entsprechen und dass heute mehr dynamische Aufgabenmodelle in der Trauerforschung diskutiert werden. Backhaus erweitert im fünften Kapitel nochmals die Blickrichtung und wendet sich existenzphilosophischen Fragen zu. Damit kommt sie auf die grundlegenden Fragen menschlicher Existenz zu sprechen, denen wir als Menschen wesensmäßig ausgesetzt sind. Über diese existenzielle Sichtweise des Menschen legt Backhaus die personzentrierte Haltung und schafft eine eindrückliche »Zusammenschau«. So kann sie diese Sichtweise als Bereicherung des personzentrierten Ansatzes sehen, die in der Trauerbegleitung wertvolle Dienste leisten kann (vgl. Backhaus 2017, S. 70). Im sechsten Kapitel wird das aktuelle Thema erschwerter und komplizierter Trauer diskutiert. Backhaus weist auf den aktuellen Bezug hin und erwähnt die für 2018 geplante Neufassung des Diagnoseschlüssels der Weltgesundheitsorganisation (ICD), in dem möglicherweise die Diagnose »anhaltende Trauerstörung« aufgenommen werden soll. Zugleich macht sie deutlich, dass viele Fachleute vor einer unangemessenen Pathologisierung des an sich natürlichen Prozesses der Trauer warnen. Zentral ist das siebte Kapitel, und zwar deshalb, weil es angefüllt ist mit zahlreichen Fallbeispielen, die nicht nur einen hohen Praxisbezug atmen, sondern auch deutlich machen, wie verinnerlicht die Autorin die personzentrierte Grundhaltung anwendet. Nicht nur vom Umfang her gesehen ist dieses Kapitel das Hauptkapitel, sondern auch mit Blick auf die breite Streuung der Fallbeispiele, die ich hier nur auszugsweise kurz benennen kann: Begleitung bei erschwerter und nicht-erschwerter Trauer, bei Trauer um ein Kind, nach Suizid, nach einer ambivalenten Beziehung zu Verstorbenen, bei traumatischer Trauer. Hinzu kommen
Fallbeispiele, die oftmals in diesem Zusammenhang nicht unmittelbar in den Blick kommen, wie Trauer vor dem Tod und Begleitung von Menschen bei Verlusten ohne Todesfall. Zusätzlich finden sich in diesem Kapitel zwei wichtige Exkurse zu den Themen Schuld und Trauer von Kindern und Jugendlichen. Das Abschlusskapitel wendet sich dann den Begleitenden zu unter den wichtigen Aspekten Selbstschutz und Selbstpflege. Der Überblick über die acht Kapitel mag verdeutlichen, warum ich zu Beginn der Rezension schon darauf hingewiesen habe, dass dieses Fachbuch einen ganz weiten Blick wagt und dass dieser Blick auch gelingt. Das Buch kann dadurch sowohl zur Hilfestellung für in diesem Bereich therapeutisch Tätige werden wie auch für beratende Handlungsfelder und auch für die große Zahl derer, die im Bereich Hospiz und Palliative Care begleitend tätig sind. Es ist hervorragend recherchiert, fundiert geschrieben, angefüllt mit wichtigen Quellen und Zitaten und bei all dem sehr gut lesbar. Im Sinne der von der Autorin beschriebenen Ausgangslage ist dem Buch vor allem zu wünschen, dass es in Fachkreisen aufgenommen wird und dort die noch vorhandenen Lücken schließt. Darüber hinaus wünsche ich ihm eine Wirkung, die eine weitere fruchtbare Diskussion der in diesen Bereichen Tätigen anstößt und das Thema lebendig hält, ganz im Sinne der Worte auf dem Buchdeckel: »Trauer ist Leben.«
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Sich einen Begriff vom Leiden Anderer machen
Patrick Schuchter: Sich einen Begriff vom Leiden Anderer machen. Eine Praktische Philosophie der Sorge. Bielefeld: transcript, 2016, 390 Seiten Patrick Schuchter setzt sich in seiner Dissertation mit dem Sorgebegriff auseinander, indem er die Frage erörtert, wie sich die Sorge um sich mit der Sorge um Andere verbinden lässt. Am Beginn steht die grobe Unterscheidung von weiblich-religiös geprägter Fürsorge und männlich-philosophisch geprägter Selbst-Sorge. Der Fürsorge nähert sich der Autor exemplarisch über die Figur von Florence Nightingale an, welche für das ambivalente Verhältnis der Krankenpflege von christlich-weiblicher Fürsorglichkeit einerseits und Verwissenschaftlichung und Professionalisierung andererseits stehe. Ausgehend von Nightingale sei die religiöse Ausrichtung der Pflege in eine weltliche übergegangen und laufe dabei Gefahr zu verflachen und ihren eigentlichen Kern der Würde-Arbeit einzubüßen. Wie kann es also gelingen, Berufung und Beruf so zu vereinbaren, dass beides gleichfalls erhalten bleibt? Schuchter wendet sich hier von der Mutter der modernen Pflege hin zu Sokrates, dem Vater
Raphael Schönborn
der Philosophie. Im Gegensatz zur Fürsorge stehe in der Philosophie die Selbst-Sorge im Zentrum. Ziel einer praktischen Philosophie sei die Befreiung des Geistes von falschen Meinungen oder Überzeugungen. Das sokratische Gespräch soll anderen helfen, gute Gedanken zu gebären und erstarrtes Denken durch Fragen wieder zum Leben zu erwecken. Die Weisheit des Nichtwissens, welche das eigene Verständnis unentwegt in Frage stelle, bewirke eine Haltung der Offenheit, die in der Sorge um sich selbst zu immer neuen Erkenntnissen führe. Die Synthese der antiken philosophischen Selbst-Sorge und der Fürsorge für hilfsbedürftige Menschen lässt sich für Schuchter in der hermeneutischen Arbeit der Sorge bilden. Leidenszustände bei anderen mitzuerleben würde das eigene (Vor-)Verständnis an seine Grenzen bringen und zu denken geben. Jedes Verstehen sei ein sich selbst (anders) Verstehen. Nicht über, sondern mit den Geschichten der Anderen zu denken, erlaube es, in die jeweilige Logik der Erzählung einzutauchen. Sorge heißt demzufolge, eine hermeneutische Arbeit des Mitdenkens und Mitgehens im Erzählen zu leisten. Schuchters Buch ist ein Beitrag zur Care-Ethik und bietet durch die hermeneutische Arbeit der Sorge eine Möglichkeit, das asymmetrische Verhältnis zwischen Fürsorge und Selbst-Sorge beziehungsweise zwischen hilfsbedürftigen und helfenden Menschen zu verringern und in der Sorge für ein gutes Leben zu verbinden.
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Harfenklänge für die Seele
»… so nahm David die Harfe und spielte mit seiner Hand; so erquickte sich Saul, und es ward besser mit ihm, und der böse Geist wich von ihm …« (1 Samuel 16, 23).
Silke Aichhorn: Harfenklänge für die Seele, 1–3. Traunstein: Hörmusik.
»Eine Musik, die die Seele streichelt« ist einer der Kommentare zur Musik der Harfensolistin Silke Aichhorn. Neben ihren Konzerten weltweit ist Silke Aichhorn auch Hospizbotschafterin der Caritas Traunstein. Ihr Credo, mit der Harfe möglichst viele Menschen zu erreichen, gelingt ihr auf berührende Weise. Ihre CDs »Harfenklänge für die Seele« bieten beruhigende und entspannende Instrumentalmusik von J. S. Bach (Ave Maria, Air, Jesu bleibet meine Freude, Erbarme Dich), Händel (Lascia ch’io pianga), Pachelbel (Kanon), Gluck (Reigen seliger Geister), Brahms (Guten Abend, gut’ Nacht), Debussy (Clair de lune), Wagner (Lied an den Abendstern), Field, Schubert, Granados, Mascagni, Scarlatti, Dowland, Tschaikowsky, Irischer Reisesegen, Greensleeves und vieles mehr. Menschen, die einen Zugang zur Musik und deren vielfältigen Klangfarben haben, können darin gerade in belastenden Situationen Trost finden. Die Harfe als eines der ältesten Musikinstrumente der Menschheit bietet in ihren Tönen von ergreifender Zartheit bis hin zu bestimmender Klarheit die Möglichkeit des Eintauchens in die innere Gefühlswelt, das sie tröstlich begleitet. Getragen von dieser Motivation ist die von Silke Aichhorn äußerst sensibel und hochprofessionell gespielte Musik in der Tat Balsam für die Seele. Die CDs sind als Box oder einzeln zu beziehen unter www.silkeaichhorn.de oder im Handel.
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»Anhaltende« Trauer-»Störung« – Was stört und wer fühlt sich gestört? Ein Zwischenruf zur aktuellen Diskussion um die Neufassung des ICD
Norbert Mucksch Gegenwärtig wird die Aufnahme einer neuen Ziffer im internationalen Katalog der Erkrankungen (ICD – International Classification of Diseases) diskutiert mit der Absicht und dem Ziel, erschwerte Trauer als Diagnose in diese Klassifikation mit aufzunehmen1. Ein leitender Gedanke dabei ist der, dass trauernde Menschen, deren Trauer so intensiv, schwer und situativ belastend ist, sodass sie darunter massiv leiden und möglicherweise sogar erkranken, die fachlich-therapeutische Hilfe erhalten, die sie in dieser Situation benötigen. Im Zusammenhang mit der breit geführten Diskussion um die Neufassung des ICD habe ich mich im vergangenen Herbst in einem Dialogartikel mit dem Potsdamer Seelsorger Johannes Albrecht mit diesem Thema auseinandergesetzt (Albrecht und Mucksch 2017). Dabei kamen unterschiedliche Aspekte in den Blick: zum einen die konkrete Erfahrung, dass eine trauernde Frau ganz positiv auf diese Pläne reagierte. Die Möglichkeit, zukünftig wegen einer schweren Trauerreaktion arbeitsunfähig geschrieben zu werden und nicht wegen einer Ersatzdiagnose aus dem Tableau der psychiatrischen Krankheitsbilder, die die tatsächliche Ursache der Arbeitsunfähigkeit nicht in den Blick nimmt, hatte für sie auf der einen Seite etwas sehr Entlastendes. Auf der anderen Seite schien
es aber auch so zu sein, dass sie deshalb so positiv auf die Pläne reagierte, weil ihre Trauer damit auch offizielle Wertschätzung und Würdigung erfahren würde. Diesen positiven Teil einer Aufnahme in den ICD zu sehen, halte ich für wichtig, und er scheint für trauernde Menschen eine bedeutsame Wirkung zu haben, wie das vorgenannte Beispiel sehr eindrucksvoll belegt. Neben dieser Erfahrung bleiben aber bei mir viele Fragen, die sich an der aktuell geplanten Terminologie festmachen: Die Rede ist von einer Trauerstörung. »Störung«: Wer oder was stört? Und wer fühlt sich von der Trauer gestört? Ist der Terminus »Trauerstörung« nicht sogar ein sich selbst entlarvender, ein demaskierender Begriff? Von meinem Grundverständnis als Trauerbegleiter stört Trauer gerade nicht. Die Störung entsteht vielmehr durch die konkreten, individuellen Umstände (zum Beispiel plötzlicher Unfalltod, Versterben eines Kindes, Tod durch Suizid …). Der Blickwinkel ist entscheidend, mit dem wir auf die vielfältige Summe von Empfindungen schauen, die wir als Trauer benennen. • Blicken wir wertschätzend auf die Trauer als etwas, das gerade nicht störend ist, sondern eben genau das Gegenteil?
Leidfaden, Heft 3 / 2017, S. 101–105, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202
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• Schauen wir auf die Trauer als etwas, das hilfreich ist, sofern es nicht unterbunden wird oder stagniert? • Akzeptieren und wertschätzen wir die Sinnhaftigkeit psychischen Erlebens?
sätzliche Systematik des ICD, da dort durchweg von »Störungen« die Rede ist. Das kann und darf aber kein Grund sein, einen sachlich falschen Terminus dort einzuführen! Die Idee, das tun zu wollen, »verstört« mich.
Dieser andere Blick macht deutlich: Trauer stört gerade nicht! Im Gegenteil! Wenn das unsere Grundhaltung ist als Trauerbegleitende und wir von diesem Grundverständnis ausgehen und Trauer so verstehen, dann scheint es mir zentral wichtig zu sein, besonders aufmerksam und achtsam zu sein im Hinblick auf die verwendeten Begrifflichkeiten. Und das bedeutet für mich im laufenden Diskussionsprozess, die dort verwendeten Worte auch auf die berühmte Goldwaage zu legen. Darum geht es mir in diesem Zwischenruf. Es geht mir um Bewusstwerdung, es geht um Sensibilisierung, um Genauigkeit und auch um Wachsamkeit. Meine Kritik und auch meine Sorge setzen an zwei Punkten an:
In der aktuellen Diskussion um die geplante Diagnoseziffer »anhaltende Trauerstörung« scheint es mir so zu sein, dass es aus unterschiedlichster Perspektive bereits ausgemacht ist, dass der Begriff »anhaltende Trauerstörung« definitiv Eingang finden wird in den ICD-11. Und diese Grundstimmung erscheint mir fatal. So finden sich in Fachartikeln immer wieder Formulierungen wie »die voraussichtliche Diagnoseziffer anhaltende Trauerstörung«. Damit bekommt der Begriff eine Aufwertung und Würdigung, die ihm meines Erachtens nicht zukommt. Im gegenwärtigen Stadium handelt es sich um einen Vorschlag, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich glaube, dass wir gerade jetzt ein Bewusstsein dafür schaffen müssen, dass dieser Begriff hochproblematisch und letztlich auch sachlich falsch ist. Im Sinne der Überschrift möchte ich mit diesem Zwischenruf in der laufenden Diskussion darauf hinweisen. Mir ist bei all dem sehr bewusst, dass die gesamte kontroverse und sehr lebendige Diskussion vermutlich nicht dazu führen wird, dass der Begriff »anhaltende Trauerstörung« nicht Einzug halten wird in den neuen ICD-11. Diese Erkenntnis darf aber nicht dazu führen, sich in vorauseilendem Gehorsam anzupassen und in die gleiche Richtung zu denken, nur weil es vermutlich ohnehin so kommen wird. Gerade wenn der Begriff in der vorgeschlagenen Formulierung ab 2018 im ICD zu finden sein wird, bedarf es jetzt einer klaren Positionierung der Fachverbände, die seit Jahren mit hohen fachlichen Standards Trauerbegleitung anbieten und Trauerbegleiter/
• Zum einen »stört« mich der temporäre Aspekt, der im Begriff »anhaltend« steckt. Trauer ist nach meinem Verständnis wesensmäßig »anhaltend«. Das durch einen solchen Begriff der anhaltenden Trauerstörung im ICD-11 pathologisch zu besetzen, geht hinter die Erkenntnisse der neueren Trauerforschung zurück. • Zum anderen ist der Begriff Trauerstörung nicht richtig. Er wird weder der Trauer als grundsätzlich heilsamer Möglichkeit von Menschen in Verlustsituationen gerecht noch den konkreten Menschen, die trauern. Trauernde erleben diese so benannte Diagnose zum Teil als Diffamierung ihrer eigenen Prozesse. Der Begriff »Trauerstörung« passt – ohne Frage – in die grund-
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-innen qualifizieren und die – jenseits von Therapie – darum wissen, dass Trauer selbst weder eine Diagnose sein darf und noch viel weniger als »Störung« etikettiert werden darf. Mir ist es wichtig, dies im aktuellen Diskussionsprozess zur Sprache zu bringen – proaktiv in der aktuellen Auseinandersetzung und nicht reaktiv nach Erscheinen der Neufassung des ICD. Für mich hat das auch zu tun mit Glaubwürdigkeit, berechtigtem Selbstbewusstsein und einer eindeutigen und klaren Positionierung als Fachverband.2 Und es geht mir darum, die Diskussion offen zu halten. Dafür braucht es ein differenziertes Verständnis der Begrifflichkeiten. In diesem Sinne zitiere ich das Fazit des bereits erwähnten Dialogartikels: »Trauer nicht pathologisieren, schweres Leid nicht normalisieren, gesellschaftliche Veränderungen auf den Weg bringen!« (Albrecht und Mucksch 2017, S. 35).
Norbert Mucksch ist Diplom-Theologe, Diplom-Sozialarbeiter, Supervisor (DGSv/GwG), Pastoralpsychologe (DGfP) und Ausbilder für Trauerbegleitung (BVT). Er ist seit 2014 Mitglied im Vorstand des BVT und leitet an der Kolping-Bildungsstätte in Coesfeld den Fachbereich Sterbe- und Trauerbegleitung. Literatur Albrecht, J.; Mucksch, N. (2017). Perspektiven Trauerstörung. In: Zeitschrift für Palliativmedizin, 1, S. 28–35. Paul, C. (2017). Anhaltende Diskussionen um die Diagnose »anhaltende Trauerstörung«. In: Leidfaden. Fachmagazin für Krisen, Leid, Trauer, 1, S. 94–97. Anmerkungen 1
Chris Paul hat im Leidfaden-Heft 1/2017 in sehr übersichtlicher Form die Hintergründe und die Planungen dazu erläutert. 2 Siehe hierzu auch die Stellungnahme des BVT: http:// bv-trauerbegleitung.de/wp-content/uploads/2015/02/ Stellungnahme-BVT-anhaltende-Trauersto_rung.pdf
»Alles wirkliche Leben ist Begegnung« Tagung des BVT in Erfurt 07.– 09. Mai 2017 Unter diesem Leitwort von Martin Buber lud uns Marcus Sternberg in das ehrwürdige Augustinerkloster nach Erfurt ein. Lebendig, fruchtbar, vielfältig und stärkend waren diese Begegnungen. Immer wieder brachte unser Gastgeber inspirierende Impulse ein, ein festliches Orgelkonzert und eine abwechslungsreiche Führung im Kloster rundeten das sehr gut organisierte Tagungsprogramm ab. Schon der vorgeschaltete optionale Fachtag bot am Samstag hochkarätige Vorträge zu »Trauer und Wirksamkeit von Trauerbegleitung«.
Die eigentliche Tagung wurde am Sonntag mit etwa 50 Mitgliedern aus beiden Fachgruppen des BVT – den Qualifizierenden sowie den Trauer begleitern – mit einer Open-Space-Runde eröffnet. Es folgten Workshops zu den Themen »Trauer und Konflikt«, Kernkompetenzen in der Trauerbegleitung, Gestalten von Erinnerungsstücken, Familienaufstellung und anderes mehr. Diese Struktur des gemeinsamen Anfangs und Endes sowie von Workshop-Angeboten soll auch künftig beibehalten werden, um die Vernetzung der beiden Fachgruppen zu verstärken.
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Zunächst gab es eine Vorstellungsrunde des im März in Bonn neu gewählten Vorstandes. Die Tagesordnung war sehr dicht, doch dank der gut vorbereiteten und stringenten Moderation von Renata Bauer-Mehren wurden alle wichtigen TOPs konstruktiv und diszipliniert vorangebracht. • Qualitätssicherung war ein wichtiges Thema: Es gab einige Anpassungen für das Aufnahmeverfahren in die Fachgruppe der Qualifizierenden. Langfristig ist aber auch die Qualität bereits bestehender Ausbildungsgänge zu sichern. Hier kamen wir zu guten Lösungen. • Die Selbstverpflichtung zu den ethischen Grundsätzen wurde verabschiedet. • Die AG »Prävention« (Finanzierung von Trauergruppen durch Krankenkassen) legte Ergebnisse vor. • Der von der AG »Erschwerte Trauer/ICD« erstellte Vorschlag einer Stellungnahme zur
Neufassung des ICD (geplant für Mai 2018) wurde eingehend diskutiert und konnte im Plenum als Stellungnahme des BVT verabschiedet werden. Als wichtiger Punkt bleiben die Themen Kommunikation sowie die Strukturen im BVT; die Geschäftsstelle wurde im Mai mit Susanne Bachtler neu besetzt. Beschlossen wurde, die künftigen BVT-Tagungen einschließlich Mitgliederversammlung jeweils am ersten Fastensonntag (= Sonntag nach Aschermittwoch) zu beginnen. Für 2018 ist nochmals das sehenswerte Erfurt mit seinen Schätzen als Tagungsort geplant. In der Fachgruppe der Begleitenden wurde folgende Themen diskutiert und bearbeitet: • Selbstverpflichtung und unsere Werte: Es gab einige Punkte, die diese Werte auch langfristig sichern sollen.
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• Qualitätssicherung als ebenfalls wichtiges Thema: Dieser Punkt wurde länger und sehr intensiv diskutiert. Allein daran ist gut zu erkennen, wie wichtig dies den Begleitenden ist. Das Ergebnis besteht aus mehr als einem Punkt; zusammenhängend aber bieten diese eine gute, nachhaltige Qualität. • Struktur im Verband: Wer sind unsere Ansprechpartner, welche AGs gibt es, wie können wir uns informieren? • Ein weiterer Punkt war die Ausarbeitung des ICD-11: Wir konnten gut an die Arbeitsergebnisse der AG »Erschwerte Trauer/ICD« anknüpfen.
Vernetzung aufgetaucht. Zwar gibt es schon die Regionaltreffen, es ist aber allen bewusst, dass nicht jeder immer daran teilnehmen kann. Außerdem wäre die Vernetzung nur regional. Hier hat es noch keine konkrete Idee gegeben. Und auch die Begleitenden freuen sich, im nächsten Jahr wieder im schönen Erfurter Augustinerkloster zu Gast sein zu dürfen. Marcus Sternberg war uns allen ein liebevoller Gastgeber, wir wussten uns zu jeder Zeit mit unseren Anliegen gut aufgehoben. Was auf jeden Fall abschließend hervorgehoben sein muss, das sind die vielen wertschätzenden Begegnungen beider Gruppen in den informellen Zeiten und abends im Klosterkeller.
Bei den Teilnehmenden aus der Fachgruppe der Begleitenden ist das große Bedürfnis nach mehr Für die Fachgruppe der Qualifizierenden: Karina Kopp-Breinlinger (München) Für die Fachgruppe der Begleitenden: Eva Kersting-Rader (Haldern)
Der BVT beim Bürgerfest des Bundespräsidenten
Spende für den BVT
Im Rahmen der diesjährigen Fachmesse »Leben und Tod« in Bremen wurde dem BVT ein Spen- Der Bundesverband Trauerbegleitung hat eine denscheck in Höhe von 5.000 Euro überreicht. Einladung zum Bürgerfest des BundespräsidenDen Scheck überreichten Nicole Friederichsen ten erhalten und wird dort am 8. und 9. Septemals Herausgeberin des Buchprojekts »Miteinander ber 2017 als Partner des Bürgerfestes im Park von Kochen« sowie Dr. Christoph Schottes vom Verlag Schloss Bellevue mit einem Stand vertreten sein. »Die Werkstatt« in Göttingen. Walburga Schnock- Damit erfährt die Arbeit des BVT eine große AnStörmer und Norbert Mucksch vom Vorstand des erkennung und Würdigung. Am Freitag, 8. SepBVT nahmen den Scheck dankend entgegen. tember 2017, würdigt der Bundespräsident Bürhttps://miteinanderkochen.wordpress.com ger mit einer persönlichen Einladung, die sich in besonderer Weise ehrenamtlich engagieren. Am Samstag, 9. September, ist das Bürgerfest als Tag des offenen Schlosses für die breite Öffentlichkeit zugänglich. Im kommenden Leidfaden-Heft folgt Dr. Christoph Schottes, Nicole Friederichsen, ein Bericht dazu. Walburga SchnockStörmer, Norbert Mucksch
I m S o g d e r A n g s t – w e n n Ve r t r a u e n s c h w i n d e t
Vorschau Heft 4 | 2017 Thema: Leib und Seele Der Körper trauert mit – Psychoneuroimmunologie der Trauer Persönlichkeit und Krebs Psychotherapie bei psychosomatisch Erkrankten Haben Krankheiten eine Bedeutung? Psychosoziale und psychologische Aspekte der (Lebend-)Organspende Herztransplantation – Eine Herausforderung für ganzheitliche Versorgung Münchhausen-Syndrom Genderkompetenz im Umgang mit Psychosomatik u. a. m.
Impressum Herausgeber/-innen: Monika Müller M. A., KAB-Ring 22, D-53359 Rheinbach E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Lukas Radbruch, Zentrum für Palliativmedizin, Von-Hompesch-Str. 1, D-53123 Bonn E-Mail: [email protected] Dr. phil. Sylvia Brathuhn, Frauenselbsthilfe nach Krebs e. V., Landesverband Rheinland-Pfalz/Saarland e. V. Schweidnitzer Str. 17, D-56566 Neuwied E-Mail: [email protected] Dipl.-Psych. Thorsten Adelt (Bonn), Dr. Dorothee Bürgi (Zürich), Prof. Dr. Arnold Langenmayr (Ratingen), Dipl.-Sozialpäd. Heiner Melching (Berlin), Dr. Christian Metz (Wien), Dipl.-Päd. Petra Rechenberg-Winter M. A. (Hamburg), Prof. Dr. Reiner Sörries (Erlangen) Bitte senden Sie postalische Anfragen und Rezensionsexemplare an Monika Müller, KAB-Ring 22, D-53359 Rheinbach Wissenschaftlicher Beirat: Dr. Colin Murray Parkes (Großbritannien), Dr. Sandra L. Bertman (USA), Dr. Henk Schut (Niederlande), Dr. Margaret Stroebe (Niederlande), Prof. Robert A. Neimeyer (USA) Redaktion: Ulrike Rastin M. A., Verlag Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen, Tel.: 0551-5084-423, Fax: 0551-5084-477 E-Mail: [email protected] Bezugsbedingungen: Leidfaden erscheint viermal jährlich mit einem Gesamtumfang von ca. 360 Seiten. Bestellung durch jede Buchhandlung oder beim Verlag. Jahresbezugspreis € 68,00 D / € 70,00 A / SFr 85,50. Institutionenpreis € 132,00 D / € 135,80 A / SFr 162,00, Einzelheftpreis € 20 D / € 20,60 A / SFr 27,50 (jeweils zzgl. Versandkosten), Online-Abo inklusive für Printabonnenten. Preisänderungen vorbehalten. Die Bezugsdauer verlängert sich jeweils um ein Jahr, wenn nicht eine Abbestellung bis zum 01.10. erfolgt. Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstr. 13, D-37073 Göttingen; Tel.: 0551-5084-40, Fax: 0551-5084-454 www.v-r.de ISSN 2192-1202 ISBN 978-3-666-80619-3 Umschlagabbildung: Colourbox Anzeigenverkauf: Anja Kütemeyer, E-Mail: [email protected] Bestellungen und Abonnementverwaltung: HGV Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice mbH, Servicecenter Fachverlage, Holzwiesenstr. 2, D-72127 Kusterdingen; Tel.: 07071-9353-16, Fax: 07071-9353-93, E-Mail: [email protected] Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. © 2017 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Gestaltung, Satz und Lithografie: SchwabScantechnik, Göttingen Druck: KESSLER Druck + Medien GmbH & Co. KG, Michael-Schäffer-Str. 1, D-86399 Bobingen Printed in Germany
Unsere Buchempfehlungen
Sigrun Schmidt-Traub
Angstfrei im Alter Ein Selbsthilfebuch für ältere Menschen und ihre Angehörigen
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Gaby Gschwend
Angstfrei im Alter
Die Widerstandskraft der Seele steigern
Ein Selbsthilfebuch für ältere Menschen und ihre Angehörigen 2011, 115 Seiten, Kleinformat, € 16,95 / CHF 24.50 ISBN 978-3-8017-2404-7 Auch als eBook erhältlich
Wege zu innerer Stärke und mehr Wohlbefinden Gaby Gschwend
Die Widerstandskraft der Seele steigern Wege zu innerer Stärke und mehr Wohlbefinden
Jürgen Hoyer / Katja Beesdo-Baum / Eni S. Becker
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Jürgen Hoyer Katja Beesdo-Baum Eni S. Becker
Ratgeber Generalisierte Angststörung Informationen für Betroffene und Angehörige 2., aktualisierte Auflage
Edward S. Kubany Mari A. McCaig Janet R. Laconsay
Das Trauma häuslicher Gewalt überwinden Ein Selbsthilfebuch für Frauen
Ratgeber Generalisierte Angststörung
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Krankheitsängste erkennen und bewältigen Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige
Edward S. Kubany / Marie A. McCaig / Janet R. Laconsay
Ein Selbsthilfebuch für Frauen 2015, 233 Seiten, € 24,95 / CHF 35.50 ISBN 978-3-8017-2603-4
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Krankheitsängste erkennen und bewältigen
Informationen für Betroffene und Angehörige (Ratgeber zur Reihe: „Fortschritte der Psychotherapie“, Band 15) 2., akt. Auflage 2016, 81 Seiten, Kleinformat, € 9,95 / CHF 13.50 ISBN 978-3-8017-2708-6 Auch als eBook erhältlich
Das Trauma häuslicher Gewalt überwinden
2017, 107 Seiten, Kleinformat, € 14,95 / CHF 19.90 ISBN 978-3-8017-2768-0 Auch als eBook erhältlich
Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige (Ratgeber zur Reihe: „Fortschritte der Psychotherapie“, Band 36). 2017, 93 Seiten, Kleinformat, € 9,95 / CHF 13.50 ISBN 978-3-8017-2310-1 Auch als eBook erhältlich
Sigrun Schmidt-Traub
Generalisierte Angststörung
Sigrun Schmidt-Traub
Generalisierte Angststörung Ein Ratgeber für übermäßig besorgte und ängstliche Menschen 2., überarbeitete Auflage
Ein Ratgeber für übermäßig besorgte und ängstliche Menschen 2., überarb. Auflage 2017, 162 Seiten, Kleinformat, € 16,95 / CHF 21.90 ISBN 978-3-8017-2843-4 Auch als eBook erhältlich
Gelassen sterben!? Ein offenes Gespräch über ein unausweichliches Thema Dieses Buch ermutigt, innezuhalten und die eigene Endlichkeit in den Blick zu nehmen. Gelassenheit kann man nicht trainieren, sich ihr aber annähern, so die These des lebendig philosophierenden Autorenteams.
Gemeinsam – innehalten, gestalten, bewegen
7. Deutsches Kinderhospizforum 10. / 11. November 2017 in Essen 2., ergänzte Auflage 2015. 176 Seiten mit 15 farbigen Illustrationen von Karin Lenser, kartoniert € 20,– D ISBN 978-3-525-40348-8
Information und Anmeldung: 0 27 61 · 9 41 29 - 33 ode r www.kinderhospizforum.de
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Verlagsgruppe Vandenhoeck & Ruprecht
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Gemeinsam durch die Trauer Ratgeber Die Autorin erklärt einfühlsam, wie Kinder trauern, und gibt Antworten auf drängende Fragen: Wie bereite ich mein Kind auf den Verlust eines geliebten Menschen vor? Wo bekomme ich Hilfe und wann ist professionelle Unterstützung notwendig? Anschauliche Beispiele zu Ritualen und gemeinsamen Aktivitäten zur Trauerbewältigung, zum Umgang mit Gefühlen und Erinnerungen sowie Anregungen zum Sprechen und Philosophieren mit Kindern machen das Buch zu einem wertvollen Begleiter.
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2017. 139 Seiten. 28 Abb. Innenteil zweifarbig. (978-3-497-02680-7) kt
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Ehrenamtliche in Hospiz und Palliative Care fortzubilden gehört zum Standard Susanne Hirsmüller / Margit Schröer Modulhandbuch für die Fortbildung Ehrenamtlicher in der Hospiz- und Palliativbegleitung I 2017. Ca. 150 Seiten durchgehend farbig; inklusive E-Book und Download-Material ca. € 50,– D ISBN 978-3-525-40281-8 Erscheint im Oktober 2017
Zur kontinuierlichen Fortbildung von Ehrenamtlichen, die in der Hospiz- und Palliativversorgung tätig sind, finden sich in diesem Modulhandbuch Unterrichtsentwürfe einschließlich aller erforderlichen Materialien. Die ausführlich dargestellten Themen (z. B. Würde, Ethik, Spiritualität, Demenz, belastende Emotionen) sind für unterschiedliche Seminarformate konzipiert. Die Module für dreistündige, ganz- oder eineinhalbtägige Fortbildungen bestehen aus einer kurzen Einführung in den jeweiligen Themenbereich, einem Unterrichtsentwurf und Arbeitsmaterialien als Kopier- und Druckvorlagen, ergänzt mit passenden Literatur- bzw. Medienhinweisen.
Verlagsgruppe Vandenhoeck & Ruprecht
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