Professionalität zwischen Können und Wollen: Leidfaden 2017 Heft 02 [1 ed.] 9783666806186, 9783525402801, 9783525402795, 9783647402802, 9783647402796, 9783525806180


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Professionalität zwischen Können und Wollen: Leidfaden 2017 Heft 02 [1 ed.]
 9783666806186, 9783525402801, 9783525402795, 9783647402802, 9783647402796, 9783525806180

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6. Jahrgang  2 | 2017 | ISSN 2192-1202

faden Leid

FA C H M A G A Z I N F Ü R K R I S E N , L E I D , T R A U E R

Professionalität

zwischen Können und Wollen

Christof Arn Professio-

nalität entsteht durch Selbstbestimmung  Birgit Haider Darf ich am Bett eines Patienten weinen?  Annelie Keil Das Fachliche und das Menschliche  Dorothea Ihme Professionalität in der Hospizarbeit: »Gut gemeint« ist nicht genug!

Edition Leidfaden. Basisqualifikation Trauerbegleitung

Jo Eckardt

Uta Schmidt / Bärbel Trautwein

Wenn Trauma und Trauer aufeinandertreffen

Die Dunkelheit der Trauer teilen

Betroffenen helfen, neuen Lebensmut zu finden

Trauerbegleitung in depressiven Zeiten

2017. 126 Seiten, kartoniert € 15,– D ISBN 978-3-525-40280-1

Mit einem Vorwort von Monika Müller. 2017. 134 Seiten mit 9 Abb. und 3 Tab., kartoniert € 15,– D ISBN 978-3-525-40279-5

eBook: € 11,99 D / ISBN 978-3-647-40280-2

eBook: € 11,99 D / ISBN 978-3-647-40279-6

Nur allzu oft treffen Trauer und Trauma zusammen, so zum Beispiel nach Unfällen oder Katastrophen mit Todesfolge. Viele Menschen merken erst in der Trauerphase, dass frühere, unverarbeitete Traumata oder Trauerfälle ihre Fähigkeit, mit Schicksalsschlägen umzugehen, eingeschränkt haben. Dieses Buch hilft Trauerbegleitern und Psychotherapeuten, Anzeichen von Traumatisierungen zu erkennen und die Betroffenen bestmöglich zu unterstützen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Trauer und Trauma werden herausgearbeitet, immer mit dem Blick darauf, was dies für die praktische Arbeit mit Trauernden bedeutet.

Trauer wird oft mit Depression gleichgesetzt. Dies kann zu Irritation und zusätzlichem Leid bei Trauernden und deren sozialem Umfeld führen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob und in welchem Rahmen depressiv gestimmte Menschen Klienten in Trauerbegleitung sein sollten. Die Autorinnen sorgen hier für Klarheit: Denn eine Trauerreaktion ist nicht einer Depression gleich, auch wenn eine Unterscheidung nicht immer einfach ist. Zuallererst geht es darum, für Trauernde ein angemessenes und unterstützendes Angebot zwischen Begleitung und Therapie zu finden. Die Autorinnen begegnen diesem brisanten Thema differenziert durch vertiefendes Wissen, hilfreiche Methoden aus der Begleitungsarbeit sowie eine auch auf Leben und Lebendigkeit ausgerichtete Haltung.

Verlagsgruppe Vandenhoeck & Ruprecht

www.v-r.de

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EDITORIAL

Von Profis, Laien und Dilettanten Bei der Arbeit an diesem Heft ist uns deutlich geworden, wie facettenreich der Begriff der Professionalität ist und wie unterschiedlich damit umgegangen wird. So haben wir versucht, eine Annäherung aus den verschiedenen Blickwinkeln zu ermöglichen. Da wäre zunächst die etymologische Betrachtung des Wortes und dessen Bedeutung im wissenschaftlichen und soziologischen Kontext, wofür wir Olaf Struck gewinnen konnten. Hier zeigt sich bereits, wie auch in dem Artikel von Christof Arn, dass der Begriff häufig falsch oder zumindest anders verstanden wird, als es seiner ursprünglichen Bedeutung entspricht. Professionell zu sein, scheint gemeinhin eine positive Bewertung zu erfahren, während das Gegenteil, wie immer man es auch nennen mag, tendenziell eher negativ verstanden wird. Gerade im Gesundheitswesen, aber auch im Bereich der Krisenbegleitung, scheint es von immenser Bedeutung zu sein, den »Status des Professionellen« zu erreichen. Auch dem Ehrenamt, dessen besondere Qualität in der »Absichtslosigkeit der Begegnung« und der Möglichkeit, die Betroffenenperspektive einzunehmen, liegt, wird zunehmend bescheinigt, durchaus professionell zu sein. Die Unterteilung in professionell und ehrenamtlich Tätige ist schon lange nicht mehr zulässig. Haupt- und Ehrenamt sind die korrekten Bezeichnungen, wobei genauestens darauf zu achten ist, dies mit keiner Wertung zu verbinden. Es kann ausgesprochen schön sein, nicht nur von Profis, sondern auch von Dilettanten umgeben zu sein. Denn ein Dilettant ist (laut Wikipedia) jemand, der etwas um der Sache willen, aus Freude, Überzeugung und im besten Fall mit dem Herzen macht, was gewiss auf weite Teile des Ehrenamtes zutrifft. Bei dem Streben nach Professionalität scheint es auch um das Erlangen von Anerkennung und Wertschätzung zu gehen, welche dem Unprofessionellen anscheinend nicht ausreichend zuteilwerden. Dies gilt zumindest dort, wo sich

Bereiche zunehmend spezialisieren und ausdifferenzieren, wie es sich aktuell auch in der Hospizund Palliativversorgung vollzieht. Die Frage wäre also, ob in diesen Bereichen als Gegengewicht eine größere Anerkennung des »Nichtprofessionellen« zurückgewonnen werden muss. Dass gerade dem Laienhaften eine besondere Rolle zukommen kann, in der Augenhöhe und Anerkennung gegeben sind, zeigt der Artikel von Axel Hutschenreuther über Laienrichter. Ausgerechnet an deutschen Gerichten, wo der Begriff »Euer Ehren« eine Heimat zu haben scheint, sind in großem Umfang Laienrichter tätig. Das Laienelement erfährt dort eine Wertschätzung, die an anderen Stellen zu wünschen wäre. Auf die im Alltag gestellte zusammenhangslose Frage »Was fällt Ihnen zu den Begriffen ›die Professionelle‹ oder ›der Profi‹ ein?« wird man nicht selten auf Assoziationen zu Prostituierten beziehungsweise kühlen Topmanagern oder gar Profikillern treffen. Das Spannende dabei sind die Klischees, die mit einem zunehmenden Grad der Professionalisierung auch eine zunehmende »Gefühlskälte« verbinden. Auch wenn der Artikel von Alexa Müller zeigt, dass Klischees nicht immer stimmen, werden von einer Prostituierten, obwohl ihr Geschäft die Liebe oder der Sex ist, keine »echten Gefühle« erwartet; und aus vielen Filmen wie zum Beispiel »Leon – Der Profi« wissen wir, dass dieser Art des Profis dann besonders große Gefahr droht, wenn Gefühle ins Spiel kommen. Professionalität, die einer gewissen »Sachlichkeit« unterliegt, und Mitmenschlichkeit scheinen also gelegentlich als etwas Gegensätzliches verstanden zu werden. Wir hoffen, mit diesem Heft einige Denkanstöße zu geben, dem Facettenreichtum von Professionalität zu begegnen, der sich auch in den unterschiedlichen Artikeln widerspiegelt, wofür wir allen (Laien-)Autoren herzlich danken. Heiner Melching

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 1, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

Sylvia Brathuhn

Inhalt 1 Editorial 4 9 4 Olaf Struck | Professionalität: Bedeutung und Nutzen

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Olaf Struck Professionalität: Bedeutung und Nutzen Christof Arn Professionalität entsteht durch Selbstbestimmung Axel Hutschenreuther Laien als Richter?

17 Birgit Haider

Darf ich am Bett eines Patienten weinen?

22 29 34 38

Annelie Keil Das Fachliche und das Menschliche Dorothée Becker Kein Problem … schließlich bin ich ja Profi! Hans Christof Müller-Busch Anonyme Fehlermeldung Susanne Kränzle Sich distanzieren müssen, um professionell zu sein – ist es das, was wir wollen?

41 17 Birgit Haider | Darf ich am Bett eines Patienten weinen?

49 Urs Münch und Jan Gramm Diagnose »Anhaltende Trauerstörung«

49

Jan Gramm Modelle multiprofessionellen Arbeitens Urs Münch und Jan Gramm Diagnose »Anhaltende Trauerstörung«

59 Dorothea Ihme | »Gut gemeint« ist nicht genug!

56

Anja Schneider Ehrenamtliche Helfer als Mitglieder multiprofessioneller Teams in der Palliativ- und Hospizarbeit

59

Dorothea Ihme Professionalität in der Hospizarbeit: »Gut gemeint« ist nicht genug!

63

Hans-Jürgen Seel

72

Alexa Müller

74

Birgit Weihrauch

Reflexivität als Dienstleistung

Professionell Arbeiten als »Professionelle«

Professionalität in der Politik: Politische Partizipation am Beispiel der Hospiz- und Palliativbewegung

79

Eckhard Frick

84

Johannes Albrecht

Professionalisierung von Spiritual Care?

Seelsorge und Professionalität oder War Jesus ein Profi?

87

Simone Ripke

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Aus der Forschung: Wie gut werden Studierende

Die Unsicherheit der Trauerbegleiter

von Gesundheitsberufen in Australien auf die Arbeit mit trauernden Klienten vorbereitet?

94

Fortbildungseinheit zum Thema Verständnis

96

BVT-Nachrichten und Nachrichten BAT Österreich

innerhalb verschiedener Professionen

103

Cartoon | Vorschau

104

Impressum

63 Hans-Jürgen Seel | Reflexivität als Dienstleistung

4

Professionalität: Bedeutung und Nutzen Olaf Struck

Was ist Professionalität? Mit der Ausweitung der Dienstleistungsarbeit und darunter auch der sozialen, medizinischen, pflegerischen, pädagogischen und juristischen Berufe ab den 1970er Jahren hat sich eine lebhafte Debatte um die Bedeutung von Professionen entwickelt, die bis heute anhält. Wesentlich ist dabei die Diskussion spezifischer Ambivalenzen. Einerseits besitzen Professionelle auf Basis ihres spezifischen Expertenwissens eine hohe Funktionsbedeutung und Verantwortung für Individuen, Gruppen, Organisationen und Gesellschaften. Andererseits gehen damit auch Einfluss-, Kontroll- oder auch Macht(missbrauchs)möglichkeiten einher. Im Folgenden werden wesentliche wissenschaftliche Erkenntnisse mit Blick auf zentrale Probleme und Funktionsvoraussetzungen professionellen Handelns zusammengefasst. Der Begriff Professionalität entspringt dem lateinischen professio und weist damit ein öffentliches Bekenntnis zu einem Beruf oder Gewerbe aus. Dabei schwingt zugleich eine Beteuerung zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe mit. Historisch ging dies mit der Tatsache einher, dass Professionen nur bestimmten Ständen vorbehalten waren. Diese übernahmen wesentliche Aufgaben im sozialen Leben von Menschen und Gemeinschaften etwa als Arzt oder Jurist. Mit der Entwicklung der (Stände-)Gesellschaften zu modernen, funktional differenzierten (Arbeits-)Gesellschaften entwickelten sich Aufgaben weiter. Sie wurden umfänglicher, spezialisierten sich weiter aus. Zudem veränderten sich die Qualifikationen sowie Zugänge und Zugangsvoraussetzungen zu Professionen. Dabei besteht in modernen Gesellschaften eine große Übereinkunft, dass primär

fachliche Qualifikation und fachliche Leistung die Mitgliedschaft und die Programme von Professionen bestimmen sollen. Ebenso große Einigkeit besteht in den Sozialwissenschaften darüber, welche Merkmale eine Profession etwa im Unterschied zu Job, Beruf oder auch ehrenamtlichem Laienhandeln ausmachen. Als Profession wird ein akademisch erlernter Beruf betrachtet, wobei das auf wissenschaftlichem Niveau erworbene (Sonder-)Wissen beziehungsweise die im Studium erarbeiteten Kompetenzen durch praktisches Erfahrungshandeln und die dort erarbeiteten und wissenschaftlich reflektierten Kenntnisse ergänzt und weiterentwickelt werden. Bezogen auf fachliche und sachliche Fragen des professionellen Handelns bestehen eine vergleichsweise hohe Autonomie der Berufsgruppe und exklusive Berechtigungen der Berufsausübung, die staatlich und durch die Profession selbst geregelt werden. Eine hohe, auch persönliche und sachliche Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit in der Tätigkeit des Professionellen geht mit dem Vorhandensein von Bedarfs- und Nutzenkalkülen, berufsständischen Normen und kollegial-kooperativer Selbstkontrolle einher, die – und das ist wichtig – im Konsens der Professionsangehörigen gewonnen und weitgehend auch kontrolliert werden (Geissler 2013; Kurtz 2005). Wissenschaftliches Wissen und praktischer Ertrag von Professionalität? Besteht hinsichtlich der zuvor beschreibenden Merkmale weitgehende Einigkeit, so hat die Soziologie mit Blick auf Erklärungszusammenhänge und Wirkungsweisen von Professionalisierung

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 4–8, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

P r o f e s s i o n a l i t ä t : B e d e u t u n g u n d N u t z e n    5

produktion von Gesellschaften eingebunden. Mitglieder von Professionen übernehmen dabei wichtige Aufgaben, wofür sie gesellschaftlich mit hohem Status, hohen Belohnungen und vergleichsweise umfänglicher Autonomie ausgestattet werden (Parsons 1964). Ergänzend dazu betonen machttheoretische Ansätze den Tatbestand, von gesellschaftlich erteilten Rechten in die Privatsphäre von Menschen einzugreifen. Hierbei sehen sie das gesellschaftliche Zugeständnis besonderer Privilegien aus den bedeutsamen und entscheidungsmächtigen Leistungen (etwa Heilung, Therapie, Rechtsprechung) begründet, die für das gesellschaftliche Funktionieren bedeutsam sind. Allerdings wird hier nicht, wie beim strukturfunktionalistischen Ansatz von Parsons, von einem Wertekonsens ausgegangen, der zwischen den Interessen und Werten der Professionsmitglieder und denen der Klienten und

Der Begriff Professionalität entspringt dem lateinischen »professio« und weist damit ein öffentliches Bekenntnis zu einem Beruf oder Gewerbe aus.

P r o f e s s i o n a l i t ä t   – z w i s c h e n K ö n n e n u n d Wo l l e n

Rembrandt, The Anatomy Lesson of Dr. Nicolaes Tulp, 1632 / Mauritshuis, The Hague, The Netherlands / Bridgeman Images

verschiedene theoretische Ansätze hervorgebracht. Aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven machen diese zugleich auf problematische Aspekte von Professionen und Professionalität aufmerksam. In systemtheoretischer Sicht übernehmen Professionen Aufgaben für Systeme, denen es nicht gelingt, ihre Aufgaben weitgehend zu formalisieren oder zu technisieren, so wie dies in Medizin oder im Bildungswesen der Fall ist. Sie haben anspruchsvolle und voraussetzungsreiche Kommunikationsmodi entwickelt. Gleichwohl bleibt die professionell betreute Interaktion zwischen den Anwesenden schwer steuerbar (Luhmann und Schorr 1979). Basis für dieses komplexe professionelle Handeln sind im systemtheoretischen Verständnis dann spezifische Ausbildungen. Ebenso sind auch in einer strukturfunktionalistischen Sichtweise Professionen in die Re-

denen anderer Gesellschaftsmitglieder besteht. Vielmehr wird die Möglichkeit betont, dass die Angehörigen von Professionen ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten in eine machtvollere Stellung überführen können (Daheim 1992; Hesse 1972), indem sie über Zugänge zur Professionsgruppe und über Zugangsregeln zur Berufsausübung im Rahmen ihrer Selbstbestimmung (etwa als Standesgruppe oder als Kammerberuf) selbst befinden können. Hier verdeutlicht sich eine Ambivalenz, die auch die professionelle Alltagspraxis und das Ver-

hältnis zwischen professionellem »Experten« und »Klient« berührt. Das Vorhandensein klientelorientierter Fähigkeiten auf einem hohen spezifischen Ausbildungsniveau kann gesellschaftlich von Nutzen sein, wobei das Handeln und die Privilegien der Profession nicht zuletzt auch über die Erfolge legitimiert werden können. Erfolge bestehen dann darin, Individuen oder Gesellschaften »am Laufen zu halten«, zu heilen, als gerecht empfundene Entscheidungen zu finden oder Wissen zu vermitteln. Zugleich haben Professionsangehörige aber auch ein Interesse

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P r o f e s s i o n a l i t ä t : B e d e u t u n g u n d N u t z e n    7

an sich selbst. Dieses können sie mit Unterstützung ihrer Standesvertretungen über Wege der Verknappung von Zugängen zur Berufsgruppe oder Festlegung exklusiver Rechte der Berufsausübung (wer darf heilen, rechtlich beraten etc.) und damit der Sicherung von Einkommenschancen, gegebenenfalls auch über das Maß gesellschaftlicher Effizienz hinaus, durchsetzen. Und es besteht ein Ungleichgewicht gegenüber dem »Laien« oder dem »Klienten«, da Gelegenheiten der Durchdringung und der Bevormundung lebensweltlicher Zusammenhänge bis hin zu Definitionsmacht (etwa von »Krankheit« oder »Normalität«) und Kontrollmöglichkeiten existieren. Sollten hier Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten von Standesorganisationen versagen, ist es eine staatliche Aufgabe, die Strukturen für Beteiligungs- und Mitwirkungschancen aller Beteiligten sicherzustellen. Hier allerdings besteht wiederum das Problem, dass sich Professionen in ihren Aufgaben von dem Mandat des Staates und seinen (knappen) finanziellen Ressourcen oder inhaltlichen Interessen nicht vollständig lösen können. Mit dieser Ambivalenz ist in besonderer Weise auch der einflussreiche strukturtheoretische Zugang zu professionellem Handeln von Oevermann befasst. Seiner Auffassung nach haben Professionsangehörige nur dann aufzutreten, wenn der Regelfall einer gelingenden lebenspraktischen Autonomie, in denen Akteure selbstständig die alltäglichen kleinen oder auch großen Krisen bewältigen, noch nicht erreicht ist (etwa bei Kindern) oder nicht mehr (vollständig) gegeben ist. Dies kann als Aufforderung zu sorgsamer Zurückhaltung interpretiert werden. Dieser können aber ökonomische Interessen, etwa nach hinreichend vielen »Beratungen« oder »Eingriffen« von Professionsangehörigen oder von Arbeitgebern oder auch Hilfe- oder Geltungsbedürfnisse, entgegenstehen. Kommen Professionsangehöriger und Klient zusammen, dann soll eine sorgfältige Rekonstruktion der konkreten historischen Lage, der Situation und des Problems, das der Klient hat, erfolgen, worauf der Professionelle dann auf

Basis seines fachlich wissenschaftlichen Wissens eine stellvertretende Deutung, ein Wissensangebot, einen Heilungsplan anbietet (Oever­mann 2008, S. 59). Ergänzend zu Oevermann argumentieren hier Hildenbrand und Welter-Enderlin (1996), dass dabei immer auch eine anteilnehmende und Nähe zulassende Haltung dem Patienten gegenüber als reziproke Haltung dafür, dass der Patient sich einseitig mit seinem Problem dem Professionellen anvertraut, vorhanden sein muss. Übereinstimmendes Ziel ist der Aufbau oder die Erneuerung der noch nicht vorhandenen oder zuvor verletzten Autonomie der Lebenspraxis des jeweiligen individuellen Klienten. Entsprechend ist die Art und Weise der Einzelfallrekonstruktion und des wissenschaftlich fundierten, aber auf den Einzelfall bezogenen Deutungs- und Behandlungsangebots letztlich nicht zu standardisieren. Eben hierdurch bestimmt sich ein ganz wesentliches qualitatives Wesensmerkmal von Professionen, der Klientel- oder Einzelfallbezug. Ein Qualitätsmerkmal, das allerdings ebenfalls durch ökonomische Effizienzkriterien, die sich auf Gesamtorganisationen oder Gesamtgesellschaften beziehen, bedroht wird. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Autonomie eines Subjekts durch die stellvertretende Krisenbewältigungsdeutung in die Abhängigkeit von Professionen gerät. Dabei können Professionen – wie erwähnt – ökonomische Eigeninteressen verfolgen oder gesellschaftliche oder staatliche Interessen an vereinfachender »Normalität« etwa von Mehrheiten, definitionsmächtigen Gruppen oder (staatlichen oder privaten) Organisationen zum Maßstab ihres Handelns machen. Teilweise sind auch schlicht finanzielle Restriktionen vorhanden. Oevermann versucht dieser Problematik dadurch zu begegnen, dass er dem Individuum, das in seiner Autonomie beschädigt ist, ein Maximum an Hilfe zur Eigenhilfe zugesteht (Oevermann 2008, S. 62 f.). In seiner Wahrnehmung sei nur dann Professionalität gegenwärtig, wenn die zuvor genannten Bedingungen, das heißt professionelles Handeln

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8   O l a f S t r u c k

nur bei Gefährdung lebenspraktischer Autonomie, differenzierte Analyse des Einzelfalls, Abgleich mit dem wissenschaftlichen Wissen, Maximum an Hilfe zur Eigenhilfe, vorhanden sind. Unter welchen Umständen ist Professionalität ertragreich? Um nun den Ertrag professionellen Handelns sicherstellen zu können, sind einige Rahmenbedingungen notwendig, die zugleich geeignet sind, die zuvor genannten Ambivalenzen zwischen benötigtem Expertentum und den Möglichkeiten von Machtmissbrauch und Opportunismus aufzunehmen. Sehr wesentlich sind erstens Freiheit und hinreichend Zeit und (finanzielle) Ressourcen für grundlegende wissenschaftliche Arbeiten, um wissenschaftlich evidenzbasiert beraten und intervenieren zu können. Zweitens wird Zeit benötigt, um eine hinreichende Fall- und Kontextanalyse des Einzelfalls durchführen zu können. Die Einordnung des Falls in den persönlichen und wissenschaftlichen Wissenskontext verlangt ebenfalls Zeit für ein prüfendes und vergleichendes Nachdenken und eine hinreichende Reflexion. Dies klingt, als sei dies selbstverständlich. Doch hieran mangelt es in einer Praxis erheblich. Dies umso mehr, als sich Professionen zunehmend bürokratischen und ökonomischen Formalisierungsversuchen zu erwehren haben. Letzteres wiederum, da der Selbstorganisation von Professionen, wie zuvor erläutert, aber tatsächlich auch nicht vollständig vertraut werden kann. So sind drittens Kontrollinstanzen notwendig. Einerseits sind demokratische Kontrollgremien mit überwiegender Beteiligung von »Laien« zu schaffen, sofern diese nicht vorhanden sind. Diese richten ihr Augenmerk mangels spezifischer fachlicher Kompetenz insbesondere auf Verfahrensregeln. Wurde hinreichend informiert? Bestehen Widerspruchsmöglichkeiten? Andererseits sind für die fachlich-inhaltlichen Kontrollen fachlich versierte Angehörige der Professionen selbst sowie aus

Nachbardisziplinen geeignet. Damit diese nicht in Interessenabhängigkeiten zur Profession stehen, sind sie im Staatsdienst zu beschäftigen. Professionalität ist funktional notwendig und ertragreich. Sie ist allerdings zugleich auch voraussetzungsreich. Jedoch können wenige Regeln Balancen zwischen hohem Wissensniveau einerseits und Gelegenheit zu Opportunismus und Machtfülle andererseits schaffen, die einen hohen individuellen und gesellschaftlichen Nutzen von Professionalität sicherstellen. Diese sind allerdings wiederum klug zu wählen, da simple Formalisierungen und bürokratische Kontrolle sehr geeignet sind, sowohl die Qualität als auch die Innovationskraft von professionellem Handeln zu ersticken. Prof. Dr. Olaf Struck ist Soziologe und Arbeitswissenschaftler an der Universität Bamberg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die empirische Sozialstruktur- und Lebenslaufforschung sowie die Arbeits-, Bildungs- und Wirtschaftsforschung. E-Mail: [email protected] Literatur Daheim, H. (1992). Zum Stand der Professionssoziologie. Rekonstruktion machttheoretischer Modelle der Profession. In: Dewe, B.; Ferchhoff, W.; Radtke, F.-O. (Hrsg.), Erziehen als Profession. Zur Logik professionellen Handelns in pädagogischen Feldern (S. 21–35). Opladen. Geissler, B. (2013). Professionalisierung und Profession. Zum Wandel klientenbezogener Berufe im Übergang zur post-industriellen Gesellschaft. In: Die Hochschule, 1, S. 19–32 Hesse, H. A. (1972). Berufe im Wandel. 2., überarbeitete Auflage. Stuttgart. Hildenbrand, B.; Welter-Enderlin, R. (1996). Systemische Therapie als Begegnung. Stuttgart. Kurtz, T. (2005). Die Berufsform der Gesellschaft. Weilers­ wist. Luhmann, N.; Schorr, K.-E. (1979). Reflexionsprobleme im Erziehungssystem. Stuttgart. Oevermann, Ulrich (2008). Profession contra Organisation? Strukturtheoretische Perspektiven zum Verhältnis von Organisation und Profession in der Schule. In: Helsper, W.; Busse, S.; Hummrich, M.; Kramer, R.-T. (Hrsg.), Pädagogische Professionalität in Organisationen. Neue Verhältnisbestimmung am Beispiel der Schule (S. 55–77). Wiesbaden. Parsons, Talcott (1964). The professions and social structure. In: Parsons, T., Essays in sociological theory (S. 34–49). New York.

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Professionalität entsteht durch Selbstbestimmung Das Wort »professionell« wird oft unprofessionell verwendet

Christof Arn Bei unprofessioneller Verwendung bedeutet das Wort »professionell« oft einfach »beeindruckend«. Umgekehrt wird mit der Bezeichnung »unprofessionell« häufig lediglich etwas als »improvisiert« abgewertet. »Professionell« wäre also, was nach außen gut aussieht. Was beeindruckt. Eindruck macht beispielsweise, wenn definierte Abläufe eingehalten werden – also Bürokratie. Zunehmender Aufwand für (elektronische) Dokumentation und damit Kontrolle von Mitarbeitenden und Klienten, Zergliederung komplexer Tätigkeiten in Einzelteile, vereinheitlichende institutionelle Vorgaben werden mit dieser unqualifizierten Vorstellung von Professionalität legitimiert. Dies hinterlässt bei wirklichen Profis oft ein schwer zu benennendes Unbehagen – zu Recht, denn eine qualifizierte Verwendung des Worts »professionell« geht in die entgegengesetzte Richtung. Wirklich professionell gehandelt wird dort, wo wenig Vorgaben bestehen und dafür gut ausgebildete, erfahrene Leute ihren großen Entscheidungsspielraum kompetent, verantwortungsbewusst und selbstgesteuert nutzen; wenn sie so der je individuellen Situation gerecht werden. Das also ist wirkliche Professionalität. Basis für eine solche Verwendung des Worts »professionell« ist die Professionalisierungstheorie. Wer davon noch nie gehört hat, kann das Wort eigentlich nur unprofessionell verwenden: Es fehlt dann nämlich die Fachlichkeit, die es braucht, um mit dem Wort »professionell« professionell umzugehen. Im Fachdiskurs zur Professionalisierung gibt es – wie immer in einem echten wissenschaftlichen Diskurs – unterschiedliche Richtungen

mit ihren jeweiligen Schwerpunkten. Doch besteht über einige zentrale Punkte weitgehende Einigkeit: Eine Handlung ist dann professionell, wenn sie • auf einer fundierten Ausbildung basiert; • auf Richtlinien Bezug nehmen kann, die durch die Berufsgruppe selbst erstellt und in Kraft gesetzt werden; • den Stand der wissenschaftlichen Diskussion berücksichtigt; • als Aufgabe von grundlegender Bedeutung für die Gesellschaft wahrgenommen wird (wie zum Beispiel Gesundheit, Bildung oder Recht); • eigenverantwortlich von der Fachperson maßgeschneidert für die jeweilige Situation gestaltet wird. So verstandene Professionalität entsteht also gerade nicht, indem Gestaltungsvorgaben der Marketingabteilung, standardisierende Prozessvorgaben des Qualitätsmanagements oder Budgetpostenzuordnungen eingehalten werden, sondern wenn die Fachpersonen als Expertinnen und Experten im jeweiligen Fall sachbezogen wohlerwogene Entscheidungen treffen. Was kann man für eine professionell verstandene Professionalisierung tun? • Sich in den Hauptpunkten auf den Stand der wissenschaftlichen Diskussion zum Wort »professionell« bringen. Ein guter Einstiegs-

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punkt dafür ist – der neuen, offenen, digitalen Wissensgesellschaft sei Dank – der Artikel »Professionalisierung« in der deutschsprachigen »Wikipedia«. • Sich gut informieren über Richtlinien im eigenen Tätigkeitsfeld, die von den darin tätigen Berufsgruppen erstellt wurden. Es bewährt sich, auch Richtlinien verwandter Berufsgruppen zu berücksichtigen: im Gesundheitsbereich etwa diejenigen sowohl von ärztlicher Seite (www.samw.ch/de/Publikationen/Richtlinien.html) wie auch von pflegerischer Seite (www.sbk.ch), seitens der Sozialen Arbeit (www.avenirsocial.ch/de/ p42006765.html) ebenso wie von Palliative Care (www.palliative.ch). Oft gibt es z­ udem sowohl nationale als auch internationale Richtlinien, die beide interessant und hilfreich sein können. • Selbstbewusst professionelle Entscheidungen treffen und diese im Bedarfsfall gegenüber der eigenen Organisation mit der eigenen Expertise – dazu gehört auch die eigene langjährige Erfahrung – begründen.

Was kann man gegen eine falsch verstandene Professionalisierung tun? Gute Rahmenbedingungen für professionelles Handeln sind gesicherte Handlungsspielräume für Profis. Stattdessen werden manchenorts zunehmend einschränkende Rahmenbedingungen gesetzt, zum Beispiel durch Überadministration und (Pseudo-)Markt. So kommt es zu Tendenzen der »Deprofessionalisierung«. Anstatt die Logik der »professionellen Professionalität« zu stützen, wird ihr eine Logik der Verwaltung (Bürokratie) und eine Logik der (Schein-)Ökonomie entgegengestellt (Rychner 2011). Allerdings trifft das, was diese beiden behindernden Logiken versprechen, in der Regel nicht einmal ein. Was im Namen der Ökonomie eingeführt wird, hat bisher bei weitem nicht zur besseren Verwendung begrenzter Mittel geführt. Ganz im Gegenteil wurde ein Heer unproduktiver Aufgaben erschaffen: Kodierer/-innen, welche in der Schweiz die Kommunikation der Spitäler mit den Krankenkassen meistern, eine Flut von Bericht­ erstellungen und Mehrfachkontrollmechanismen und »sinnlose Wettbewerbe« (Binswanger 2012) prägen die Systeme und verursachen große Kosten. Auch der wachsende Verwaltungsaufwand hat nicht das gebracht, was er versprochen hatte. Abläufe sind nicht vereinfacht worden, mehr Gerechtigkeit ist auch nicht unbedingt entstanden. Das Streben nach sogenannten Qualitätslabeln und die Notwendigkeit von Akkreditierungen verursachen weitere Aufwendungen, die sich nur sehr begrenzt – wenn überhaupt – in Verbesserungen von Qualität auswirken. Vielmehr fehlen dann die Mittel für Dinge, die für die Qualität wirklich wichtig wären, etwa (Zeit-)Räume für informellen, kreativen Austausch ohne Druck. • Um Gegensteuer gegen solche falsch verstandene Professionalisierung zu geben, braucht es erstens oft Zivilcourage und Kreativität. Ein gutes Mittel ist, jeweils »das Preisschild hochzuhalten«: »Ja, ich kann auch diesen

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P r o f e s s i o n a l i t ä t e n t s t e h t d u r c h S e l b s t b e s t i m m u n g    1 1

Bericht noch schreiben, aber es kostet mich drei Stunden, das macht einen Frankenbetrag von xy bei meinem Stundenansatz. Ist das ein sinnvoller Ressourceneinsatz?« Damit argumentiert man also ökonomisch gegen die Pseudoökonomie, welche im Gesundheits- wie im Bildungsbereich um sich greift. • Besonders wichtig sind zweitens Hinweise auf die echte Qualität der Arbeit. In stark und tendenziell umfassend menschenbezogenen Tätigkeiten entsteht echte Qualität stets auf der Basis einer guten – und also echten – Beziehung. Das zeigen verschiedene Forschungen etwa für das Bildungssystem oder für Beratung und Psychotherapie. Echte Beziehung braucht Freiraum, braucht »Professionalität« im Sinne von Entscheidungsspielraum für gut ausgebildete beziehungsweise erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Solche und weitere Argumentationen zu echter Qualitätsverbesserung aus der eigenen Expertenperspektive können – und müssen – stark gemacht werden, um den problematischen Entwicklungen entgegentreten zu können. • Drittens ist es wichtig, dass sich die Berufsverbände und die thematisch-fachlichen Verbände (wie »palliative ch«) einschalten. Ebenso ist es hilfreich, wenn sich Interessengruppen gegen Überadministration und generell gegen falsch verstandene Professionalisierung formieren (www.admins.ch).

tienten, die betreffende Bewohnerin wohlüberlegt bestmögliche Arbeit zu leisten. Für hilfreiche Feedbacks und Hinweise zu diesem Text bedanke ich mich bei Marianne Rychner, Esther Wydler und Sina Bardill.

Christof Arn berät und unterstützt als Ethiker Organisationen und Personen. Insbesondere im Gesundheitswesen wirkt er in Ethikgremien mit und gestaltet interne Weiterbildungen. Er lehrt Ethik an verschiedenen Hochschulen und leitet das Zentrum für Lernen und Lehren der Hochschule Luzern. Zu seinen Hauptinteressen gehören Praxisnähe und konkrete Problemlösungen. E-Mail: [email protected] Literatur Binswanger, M. (2012). Sinnlose Wettbewerbe im Gesundheitswesen. In: Synapse, 4. http://www.mathias-binswanger.ch/inhalt/Zeitungsartikel/Synapse_Gesamtausgabe4-2012_clip.pdf Binswanger, M. (2012). Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren. Freiburg. Rychner, M. (2011). Detailanalyse Belastungswahrnehmung: Schlussbericht zu Handen der HSLU-Leitung (Bericht). Hochschule Luzern, Luzern. http://dx.doi.org/10.5281/ zenodo.53053 Stichweh, R. (1994). Wissenschaft, Universität, Professionen. Soziologische Analysen. Frankfurt a. M.

Professionell tätig ist, wer selbst und verantwortlich denkt, entscheidet und handelt und dabei laufend im fachlichen Austausch mit der eigenen Zunft ist, um sich so und über weitere Kanäle fachlich auf dem Stand zu halten; wer also den eigenen Handlungsspielraum lieber etwas mehr als zu hundert Prozent nutzt als weniger – um für die jeweilige Klientin, den jeweiligen Pa-

P r o f e s s i o n a l i t ä t   – z w i s c h e n K ö n n e n u n d Wo l l e n

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Auf den Punkt

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Laien als Richter? Über ein Ehrenamt der besonderen Art und den Vorteil fehlender Professionalität

Axel Hutschenreuther Ehrenamtliche Tätigkeiten entfalten sich in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen. Ohne ehrenamtlich tätige Menschen – sei es im Sportverein, in der Gemeinde, in der Flüchtlingshilfe, sei es in vielen weiteren Feldern unseres täglichen Miteinanders – wäre die Gesellschaft ärmer und kälter. Ein Ehrenamt kann erfüllen, ein Ehrenamt kann zermürben; es kann Liebe spenden und zugleich Energie rauben. Ein Ehrenamt eigener und besonderer Art verwirklicht sich von weiten Teilen der Öffentlichkeit unbemerkt in den Gerichtssälen unserer Republik: Viele tausend Menschen wirken als ehrenamtliche Richterinnen und Richter in fast allen Sparten der Justiz. Die dritte Gewalt im Staat ist damit auch eine Justiz der Laien. Wie kam es dazu und welche praktischen Auswirkungen hat die Beteiligung von Laienrichtern in der Justiz? Geschichtlicher Hintergrund und Rechtfertigung des Laienelements Die Beteiligung von ehrenamtlichen Laienrichtern an Gerichtsverfahren wurzelt im 19. Jahrhundert. Mit der Aufklärung und der Emanzipation des Bürgertums ging das Bemühen einher, den Einfluss der Obrigkeit auf die Justiz zurückzudrängen. Das Laienelement in der Justiz ist damit auch Ausdruck entstehender Gewaltenteilung und des Bemühens um eine starke, unabhängige und »geerdete« Gerichtsbarkeit, die Akzeptanz in der Bevölkerung findet. Im Idealfall bereichern die ehrenamtlichen

Richter ein Gerichtsverfahren durch ein von Paragraphenkenntnis ungetrübtes und unabhängiges Vorverständnis, das in der Lebenswirklichkeit und nicht in juristischen Zusammenhängen wurzelt. Damit ist weniger »Volkes Stimme« gemeint als die Hereinnahme selbstbewusster Laien, die einen Blick für die gesellschaftlichen Zusammenhänge mitbringen und für Gerechtigkeitskontrolle einstehen. Rechtlicher Rahmen Den rechtlichen Rahmen für die Tätigkeit ehrenamtlicher Richter bietet das Deutsche Richtergesetz (§ 45). Dort ist geregelt: • Der ehrenamtliche Richter ist in gleichem Maße wie ein Berufsrichter unabhängig. • Er hat das Beratungsgeheimnis zu wahren. • Niemand darf in der Übernahme oder Ausübung des Amtes als ehrenamtlicher Richter beschränkt oder wegen der Übernahme der Ausübung des Amtes benachteiligt werden. • Ehrenamtliche Richter sind für die Zeit ihrer Amtstätigkeit von ihrem Arbeitgeber von der Arbeitsleistung freizustellen. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen der Übernahme oder der Ausübung des Amtes ist unzulässig. • Der ehrenamtliche Richter ist vor seiner ersten Dienstleistung in öffentlicher Sitzung des Gerichts durch den Vorsitzenden zu vereidigen.

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 12–16, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

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Die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter ist verhältnismäßig niedrig. Als Ehrenamt wird die Tätigkeit nicht vergütet, sondern der ehrenamtliche Richter erhält für seine Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung und die notwendigen Fahrkosten. Berufstätige erhalten zusätzlich ihren Verdienstausfall ersetzt. Strafjustiz Am geläufigsten dürfte der Einsatz von Schöffen im Strafprozess sein. Bis 1924 gab es in Deutschland Geschworenengerichte, die zuständig waren für die Ahndung schwerster Straftaten. Erhalten ist insoweit heute nur der Name des »Schwurgerichts«, dem eine exklusive Zuständigkeit für bestimmte Kapitalverbrechen zukommt. Als Schwurgericht fungiert eine große Kammer des Landgerichts, die mit drei Berufs-

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Die Wahl zum ehrenamtlichen Richter ist unterschiedlich geregelt. Für die nur in Strafsachen sogenannten Schöffen stellen die Gemeinden alle fünf Jahre Vorschlagslisten auf, aus denen ein Schöffenwahlausschuss beim Amtsgericht die Schöffen für die Jugend- und die Erwachsenengerichte wählt. Schöffe kann jeder Deutsche werden, der am Tag des Amtsbeginns mindestens 25 und nicht älter als 69 Jahre ist. Bestimmte Gründe (zum Beispiel Vorstrafen, Insolvenz) schließen vom Amt aus. Der Gewählte muss das Amt annehmen. Anders läuft die Wahl der ehrenamtlichen Richter zum Beispiel für die Arbeits- und die Sozialgerichtsbarkeit: Hier sollen die ehrenamtlichen Richter eine gewisse Sachkunde in ihr Amt mitbringen. Berufen werden sie daher insbesondere aus Vorschlagslisten, die von Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen eingereicht werden.

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Kasimir Malewitsch, Gegenstandslose Komposition, 1915 / akg-images

Besonders bereichernd wirkt der spezifische Erfahrungshorizont der Ehrenamtlichen: Als juristische Laien profitieren sie ganz besonders von ihrer unter anderem im Arbeitsleben erworbenen Lebenserfahrung.

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richtern und zwei Schöffen besetzt ist; Letztere sind keine »Geschworenen« mehr. Die Stimme eines Schöffen (wie die eines jeden ehrenamtlichen Richters) wiegt in der Abstimmung einer Entscheidung genau so viel wie die Stimme eines Berufsrichters. In vielen Fällen sind die Schöffen sogar in der Lage, den Berufsrichter zu überstimmen, nämlich am Amtsgericht und in den kleinen Kammern des Landgerichts, die mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt sind. In solchen Konstellationen, die etwa auch am Arbeitsgericht und am Sozialgericht anzutreffen sind, zeigt sich die Macht der ehrenamtlichen Richter ganz besonders. Die Last des richterlichen Ehrenamts tritt wohl nirgendwo so deutlich zutage wie am Strafgericht: Großprozesse – man denke an das NSU-Verfahren – dauern oftmals mehrere Jahre mit mehreren hundert Verhandlungstagen. An allen Verhandlungstagen müssen die Schöffen auf der Richterbank präsent sein. Dass hier berufliche Probleme für die Schöffen vorprogrammiert sind, insbesondere für Selbständige, liegt auf der Hand, zumal eine »Entpflichtung« vom Schöffenamt rechtlich nur in engen Ausnahmekonstellationen machbar ist. Sozialgerichtsbarkeit als Beispiel Die Sozialgerichte sind befasst mit Streitigkeiten aus dem Sozialversicherungsrecht. Klassische Sparten sind zum Beispiel die der Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung, aber auch das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (»Hartz IV«). Was steckt dahinter? Im Rentenrecht geht es häufig um die Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente. In der Arbeitslosenversicherung kann zum Beispiel der Anspruch auf Bewilligung von Arbeitslosengeld umstritten sein. Im Recht der Krankenversicherung gibt es Streit über den Umfang der von der Krankenkasse zu gewährenden Leistungen (etwa Arzneimittel, Hilfsmittel, Krankentransport) und um die Höhe der Beiträge. Standardfall im Be-

reich der Pflegeversicherung ist der Streit um die Pflegestufe. Im zahlenmäßig besonders relevanten Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende (die Einführung des SGB II hat zu einer jahrelangen eklatanten Überlastung der Sozialgerichte geführt) geht es stets ums Geld, nämlich um die Höhe der einer Bedarfsgemeinschaft zustehenden Leistungen. Am Sozialgericht Berlin sind derzeit rund 37.000 offene Streitsachen anhängig, am Landessozialgericht in Potsdam (zweite Instanz) etwa 5.700. In erster Instanz kommen auf einen Berufsrichter zwei Ehrenamtliche. Am Landessozialgericht und am Bundessozialgericht (letzte Instanz) bestehen die Senate aus drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern. Anders als zuweilen das Schöffenamt dürfte die Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter in der Sozialgerichtsbarkeit weniger als Last empfunden werden. Denn zum einen sind Mammutprozesse wie in der Strafgerichtsbarkeit hier undenkbar; zum Einsatz gelangen die Ehrenamtlichen nur an einzelnen Sitzungstagen, an denen jeweils mehrere Streitsachen verhandelt und entschieden werden. Zum anderen werden Schöffen für die Strafgerichte in der Regel ohne eigenes Zutun gewählt, während die ehrenamtlichen Richter in der (Arbeits- und) Sozialgerichtsbarkeit aktiv darauf Einfluss nehmen können, ob sie auf die Vorschlagslisten gesetzt werden möchten. Als langjährig tätiger Berufsrichter habe ich mit einigen Dutzend ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern zusammenarbeiten dürfen. Sie prägen den Ablauf einer mündlichen Verhandlung ganz erheblich: Zu Beginn des Sitzungstages informieren die Berufsrichter sie über den ungefähren Gang des Verhandlungstages. Von den zu verhandelnden Fällen hören die beiden Ehrenamtlichen bei dieser Gelegenheit das erste Mal, Aktenkenntnis haben sie nicht. Sie erhalten lediglich einen schriftlichen Sachbericht zu jedem einzelnen Fall, in dem der dem Rechtstreit zugrunde liegende Sachverhalt beschrieben ist und den der Berichterstatter zu Beginn der öf-

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fentlichen Verhandlung vorträgt. Die ehrenamtlichen Richter rahmen am Landessozialgericht die drei Robe tragenden Berufsrichter ein und tragen selbst keine Robe, was ihren Laienstatus unterstreicht. Während der mündlichen Verhandlung, die vom Vorsitzenden Richter geleitet wird, haben die Ehrenamtlichen Rede- und Fragerecht. Davon machen sie in einigen Fällen regen Gebrauch. Hier liegt aus Sicht der Berufsrichter ein gewisses Risiko, das sich allerdings kaum je verwirklicht: Allzu forsche Meinungskundgaben (zum Kläger: »Sie lügen doch!«; zur beklagten Sozialversicherung: »Sie sollten sich schämen«) verbieten sich, denn sie lassen die gebotene Zurückhaltung vermissen und könnten dem ehrenamtlichen Richter einen Befangenheitsantrag einbringen. Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung zieht der Senat sich zu Beratung zurück. Am Tisch sitzen fünf gleichermaßen stimmberechtigte Richterinnen und Richter, darunter die beiden Ehrenamtlichen. Nun wird ihre Beteiligung nachhaltig spürbar: Häufig ist das Votum der Ehrenamtlichen besonders fruchtbar, wenn sie aus eigener Erfahrung und mit praktischem Hintergrundwissen vorbringen, was sie zu dem zu entscheidenden Fall meinen. Umgekehrt fungieren sie für die Berufsrichter als Spiegel, indem ihnen die juristischen Zusammenhänge so lange zu erklären sind, bis man sicher sein kann, dass deutlich geworden ist, worauf es ankommt. Mit anderen Worten: Gelingt es dem Berufsrichter nicht, dem Ehrenamtlichen den Fall und seine Lösung nahe zu bringen, liegt argumentativ irgendwo noch etwas im Argen und die Sache muss weiter beraten werden. Gelungen ist eine Beratung dann, wenn die Berufsrichter den Ehrenamtlichen die juristischen Zusammenhänge des Falls in einer diesen verständlichen Sprache plausibel machen konnten. Abgeschlossen ist sie, wenn das Gericht zu einer Entscheidung gelangt ist, nötigenfalls im Wege der kontroversen Abstimmung. Überrumpeln lassen die Ehrenamtlichen sich dabei nicht, denn sie sind in den weitaus meisten

Fällen so selbstbewusst, dass sie kritisch nachfragen oder im Rahmen der Abstimmung über die Entscheidung eine andere Meinung vertreten als die Berufsrichter. Besonders bereichernd wirkt insoweit der spezifische Erfahrungshorizont der Ehrenamtlichen: Als juristische Laien profitieren sie – und damit das Gericht als ganzes – ganz besonders von ihrer unter anderem im Arbeitsleben erworbenen Lebenserfahrung. Hier gibt es starke Persönlichkeiten, etwa den Maurermeister mit eigenem Betrieb und jahrzehntelanger Berufserfahrung; den gelernten Drucker, jahrzehntelang im Betrieb und gewerkschaftlich engagiert; den Feuilletonredakteur einer Tageszeitung; die leitende Mitarbeiterin einer Krankenkasse; den bei der Deutschen Rentenversicherung tätigen Haushandwerker; den Steuerfahnder; die pensionierte Rechtspflegerin – und viele andere mehr aus verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen. Eine »Professionalisierung« ist insoweit gar nicht wünschenswert. Zwar durchlaufen ehrenamtliche Richter gewisse kurze Schulungen, doch diese betreffen nur den Verfahrensgang insgesamt und stellen beileibe keine juristische Ersatzausbildung dar. Der besondere Vorteil der Ehrenamtlichen besteht in ihrem ungetrübten Blick auf den jeweiligen Sachverhalt. Angesichts immer schwieriger und komplexer werdender Gesetze ist diese laienhafte Sicht der Dinge von großem Wert. So ist aus diesem Beitrag ein Lob der Ehrenamtlichen geworden – zu Recht. Axel Hutschenreuther ist Richter am Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in Potsdam und tätig in den Bereichen Krankenversicherungs- und Vertragsarztrecht. Mit ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern arbeitet er seit 1993 zusammen. E-Mail: axel.hutschenreuther@lsg. brandenburg.de

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Darf ich am Bett eines Patienten weinen? Professionalität aus Sicht einer Palliativmedizinerin

Birgit Haider »Ich bin doch noch so jung!« sagt Emily, die meine Tochter sein könnte. Emily liegt vor mir in ihren geblümten Kissen, 24 Jahre jung, aber leider sieht man ihr die Krankheit an. Vor sechs Monaten wurde ein Magenkarzinom festgestellt, Emily hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Knochenmetastasen. Jetzt hat der Tumor in der Wirbelsäule das Rückenmark erreicht und ihre Beine sind gelähmt. Auch im Bereich des Halsmarkes liegt eine Geschwulst, hier droht ebenfalls ein Querschnitt. Emily studiert, sie ist bereits verheiratet und wird liebevoll im Haus ihrer Eltern betreut, die den jungen Mann an ihrer Seite gut zulassen können. Ein wunderbar einfühlsames Pflegeteam kommt täglich, um nach ihr zu sehen, die Familie zu entlasten, die Einstellung der Schmerzpumpe zu kontrollieren. Wir sprechen über ihre Schmerzen, die ich mit einer komplexen Therapie zu lindern versuche. Gerade ist einer der wenigen Momente, in denen ich mit Emily allein bin, und sie erzählt, was sie außer dem körperlichen Leid so belastet: dass sie vor ihren Eltern sterben wird, was diese vor Gram beugt. Dass ihr Mann oft hinausgehen muss, weil er es nicht erträgt, wenn sie wieder diese Blitze in den Beinen spürt, die doch ansonsten völlig taub daliegen. Dass sie so gern als Lehrerin gearbeitet hätte. Dass sie niemals Kinder haben wird. An dieser Stelle kommen mir die Tränen. Ich schaue die junge Frau an, deren Leben so begrenzt erscheint, und das Bild verschwimmt. Emily weint nicht. Sie spricht weiter, vertraut mir ihre geheimsten Sorgen und Ängste an. Ich weine leise, höre aber nicht auf, ihren Blick

zu erwidern. Ich schäme mich nicht – dafür ist gar kein Platz. Kann alles aufnehmen, was sie sagt, putze mir die Nase, und bin still, als sie fertig ist. Dann versuche ich, mich zu sammeln, und zu einigen Punkten eine Antwort zu formulieren, aber Emily unterbricht mich ganz sanft … Was ist Professionalität? – eine allgemeine Definition »Im alltäglichen Sprachgebrauch steht ›professionell‹ oder ›Professionalität‹ für Könnerschaft und eine systematische und effiziente Ausführung von Tätigkeiten. Als nichtprofessionell gilt dagegen willkürliches Vorgehen und ein Handeln, bei dem sich jemand von seinen (subjektiven) Gefühlen leiten lässt« (Kalkowski 2010). Gefühle sind stets subjektiv. Die Spezifizierung »subjektiv« bezieht sich jedoch im zitierten Text darauf, dass Gefühle als Handlungsgrundlage für den Nicht-Profi geduldet sind und selbstverständlich als normal empfunden werden – nicht jedoch für den Fachmann. In den Bereich von Palliative Care übersetzt würde die allgemeine Definition lauten: Therapieempfehlungen oder Beratungen des Patienten, überhaupt alles Handeln, das aus einem Gefühl des behandelnden Arztes resultiert oder von einem Gefühl beeinflusst ist, ist nicht professionell. Diese Auffassung impliziert, dass eine Reaktion wie das Weinen am Krankenbett als absolut unprofessionell aufzufassen und damit scharf zu verurteilen ist. Dem Arzt würde – so muss zunächst die Befürchtung entstehen – daraus eine fachliche Inkompetenz unterstellt, die weitreichende Folgen hätte.

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 17–21, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

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margie / photocase.de

Derjenige, der sich mit Zuwendung und Einfühlungsvermögen als Mensch auf Augenhöhe auf den Patienten einlassen kann, ist zweifelsohne der professionellere Arzt als der coole Mediziner, der sich auf seinem Fachwissen ausruht, sich aber auch darauf reduziert.

Konsequenzen fachlicher Inkompetenz In erster Linie resultieren aus fachlicher Inkompetenz, sei sie jetzt tatsächlich vorhanden oder auch nur unterstellt, ein Vertrauensverlust des Patienten und seines Umfeldes sowie ein weitreichender Autoritätsverlust des Arztes. Wenn der Arzt nicht mehr in der Lage wäre, aus einer professionellen Distanz heraus zu agieren, könnte dessen Blick tatsächlich verschleiert und dadurch eingeschränkt sein. Mit reduziertem Gesichtsfeld und verringerter Sehschärfe wäre jedoch der Blick auf die »richtige« Therapie möglicherweise verwehrt. Somit ist dem Patienten durchaus nicht vorzuwerfen, dass er an der Urteilsfähigkeit des Arztes zweifelt, wenn er davon ausgeht, dass Fachlichkeit und Emotionen sich ausschließen. Die Folge ist eine in der Beziehung eines Sterbenden zu seinem Behandler schwerwiegende NonCompliance. Diese kann für den Patienten fatale Folgen haben. Sie ist jedoch auch für den Arzt unter Umständen sehr schmerzhaft, denn auch für ihn ist die Beziehung nicht irrelevant – ist doch die Gesamtheit aller seiner Beziehungen zu Patienten nicht unerheblich für sein berufliches Selbstwertgefühl. Des Weiteren können Konflikte zwischen Arzt und Pflegenden und weiteren Mitarbeitern im Behandlungsteam entstehen, da der Patient mit diesen die Einstellung und das Handeln des Arztes diskutiert, oft noch eher als mit dem Arzt selbst, da zu diesem ja die Vertrauensbasis gestört ist.

Professionalität im beruflichen Kontext »In beruflichen Kontexten bezieht sich Professionalität dagegen auf jeweils spezifizierte fachliche Kriterien und Standards und eine bestimmte Wissensbasis, über die nur Personen mit einer entsprechenden Ausbildung verfügen. Erst sie ermöglicht die fachgerechte Ausführung einer beruflichen Handlung. Professionelles Handeln im engeren Sinn ist ein Handeln, das von einer relevanten Kollegenschaft als den formalen und informellen Standards entsprechend wahrgenommen wird« (Kalkowski 2010). Hier wird nun zweierlei formuliert: Zum einen beruht professionelles Handeln auf einer Ausbildung und, wenn auch nicht explizit genannt, so doch als Ergänzung mehr als wünschenswert, auf beruflicher Erfahrung. Zum anderen, darauf wird noch einzugehen sein, kann die »relevante Kollegenschaft« selbst mitdefinieren, was nun als professionell gelten soll und was nicht. »Offensichtlich hat Professionalität etwas mit Berufsethos zu tun, also mit bestimmten Standards, Werten und Spielregeln, die von ›wahren Profis‹ einzuhalten sind und eingehalten werden«, sagt der Psychologe und Spezialist für Change Management, Winfried Berner (2004). Wer sind die »wahren Profis«? Was sind die »spezifizierten fachlichen Standards« im Bereich der Palliativversorgung? Diese Diskussion wird noch geführt. Wir brauchen dringend eine Festlegung dieser Standards, unter anderem auch, um unsere Arbeit abbildbar und reevaluierbar zu machen. Wir können jedoch sicher davon ausgehen, dass Empathievermögen eine wertvolle Eigenschaft für den Palliativarzt ist, wird sie doch

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bereits in jedem Basiskurs für Palliative Care gelehrt. Und dies gilt nicht nur in der europäischen Sozialisation: »Empathy  – an essential tool for communication for palliative care doctors« (Lam 2006) ist der Titel eines Rundbriefes im Grantham Hospital, Hongkong. Hierin erläutert der Autor, dass nur ein empathisch geschulter Arzt eine tragfähige Arzt-Patienten-Beziehung entwickeln kann. Dies sei erheblich erschwert durch die Art der medizinischen Ausbildung, die die Medizinstudenten eher dazu bringe, ihre Gefühle zu verbergen oder gar zu negieren, als sie zuzulassen. So ist auch dem Assistenzarzt an der Universitätsklinik im dortigen Alltag wohl weniger vorzuwerfen, wenn er Gefühle nicht zulassen kann, als dem Palliativmediziner auf der entsprechenden Station, im Hospiz oder im häuslichen Umfeld, wo (hoffentlich) mehr Zeit und ein anderes Setting zur Verfügung stehen. Hier hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, im Rahmen der Palliativversorgung mehr zu erreichen. Derjenige, der sich mit Zuwendung und Einfühlungsvermögen als Mensch auf Augenhöhe auf den Patienten einlassen kann, ist zweifelsohne der professionellere Arzt als der coole Mediziner, der sich auf seinem Fachwissen ausruht, sich aber auch darauf reduziert. Wozu brauchen wir Empathie? »Empathie-Definitionen gibt es wie Sand am Meer …«. So leitet eine »Empathie-Akademie« ihre Webseite ein. Weiter unten wird stark vereinfacht, aber auf den Punkt gebracht, definiert: »Empathie ist die Fähigkeit, wahrzunehmen, was in einem anderen vorgeht« (Düllings 2013). Diese Wahrnehmung befähigt uns als Profis in der Palliativversorgung überhaupt erst dazu, herauszufin-

© m.schröer

Zuneigung, Mitgefühl und vor allem Mitleiden machen uns tatsächlich handlungsunfähig, denn wenn die Nähe zu groß ist, verlieren wir den Überblick über unsere therapeutischen Optionen.

den, was der Patient benötigt. Dafür brauchen wir Empathievermögen! Nicht jeder Patient ist in der Lage, seine Bedürfnisse klar zu formulieren. Es fällt den meisten schwer, auf den Punkt zu bringen, ob sie sich jetzt hauptsächlich »Symptomkontrolle« in Form einer »anständigen« Schmerzpumpe wünschen, ob sie sich freuen würden, wenn wir ihnen über den Rücken streichen oder sie einfach nur nicht allein lassen, ob wir ihnen gar zuhören sollen bei ihren Ängsten – was geschieht, wenn es dem Ende zugeht? – oder dass sie nicht mehr können. Wie sollen wir diesem Menschen, der uns anvertraut ist, helfen, wenn wir nicht wissen, was in ihm vorgeht? Und gerade die Hilflosigkeit ist es doch oft, die unsere Patienten und deren Angehörige so sprachlos macht. Ohne Empathie, ohne unsere fünf Sinne und die wunderbare Eigenschaft unseres Gehirns, unserer Seele oder wo auch immer wir die Sinneseindrücke dann in Verwertbares umsetzen, könnten wir nur sehr begrenzt unterstützen. Wir könnten, beschränkten wir unsere Fachkompetenz auf die Verordnung von Medikamenten wie zum Beispiel Analgetika – noch immer wird unter anderen Fachgruppen wie auch unter Laien der Palliativmediziner hauptsächlich als Schmerztherapeut gesehen – und bestenfalls noch auf die Koordination eines Netzwerkes aus Pflege, Physiotherapie und anderen Fachkräften, nur einen kleinen Teil der Bedürfnisse unserer Anvertrauten zufrieden stellen. Wie viel mehr aber ist notwendig beim Sterben!

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Professionelle Nähe Empathie ist nicht Sympathie. »Sympathie begünstigt das Auftreten von Empathie, da man eher mit Menschen mitfühlt, die einem sympathisch sind, und auch Empathie kann Sympathie beeinflussen, da man eher eine positive Grundeinstellung zu einem anderen aufbaut, wenn man sein Handeln nachvollziehen kann. Trotzdem haben Empathie und Sympathie eine ganz unterschiedliche Bedeutung: Empathie bedeutet Verständnis, Sympathie Zuneigung« (Düllings 2013). Zuneigung, Mitgefühl und vor allem Mitleiden machen uns tatsächlich handlungsunfähig, denn wenn die Nähe zu groß ist, verlieren wir den Überblick über unsere therapeutischen Optionen. Wir können zum Beispiel keinen Halt mehr geben, wenn wir selbst hilflos werden und nur noch stammeln. Dennoch können wir aus der Ferne oft nicht sehen, was wir sehen müssen. So bleibt uns als Palliativmedizinern immer der Grat zwischen beiden. Wir müssen die Nähe suchen und aushalten, um den Patienten zu verstehen – und wir müssen die Distanz behalten, um handlungsfähig zu bleiben. Möglicherweise fällt uns das bei Menschen, die uns nicht sympathisch sind, sogar leichter, dennoch verdienen auch und gerade sie unsere Empathie, auch wenn dies für uns momentan besonders herausfordernd ist. Am Ende bleiben jedoch die intensiven Beziehungen mit den Menschen, die wir mögen, oft als größere Belastungsfaktoren in unserem beruflichen Leben stehen, wie die Umfrage »Wie viel Tod verträgt das Team?« belegt (Müller, Pfister und Jaspers 2009). Wodurch entstehen unsere Tränen? Wenn wir empathisch sind, darüber müssen wir uns bewusst sein, lösen Nähe und Intensivierung einer Beziehung auch in uns Gefühle aus, die unter Umständen körperliche Reaktionen hervorrufen können. Weinen ist eine davon, es können auch Schweißausbrüche, ein roter Kopf, Zittern, Stottern, Verwirrtheit sein. Die Kunst, und hier

wäre wieder von Professionalität zu sprechen, ist es dann, sich zu sammeln, die Nähe kurz zuzulassen, um dann professionell einen Schritt zurückzutreten, die Metaebene aufzusuchen und von hier aus weiter zu handeln. Je rascher wir diese Schritte absolvieren können, desto professioneller sind wir. Natürlich können wir nicht immerzu und jederzeit maximale Nähe zulassen, nur um kurz danach wieder eine Kehrtwendung hinzulegen und aus der Geschichte herauszuspringen – und uns beim nächsten Hausbesuch, im nächsten Zimmer wieder voll drein zu geben. Wir dürfen selbst entscheiden, wie eng der Kontakt sein soll, den wir in diesem Moment, bei diesem Menschen in der Lage sind einzugehen. Wenn wir bei der letzten Visite am Abend erschöpft sind, wird es uns manchmal nicht gelingen, die nötige Distanz zu finden, um sinnvolle Anweisungen geben zu können. Dann sollten wir vorher überlegen, wie weit wir uns zum Patienten in dessen Leid bewegen können, ohne selbst Schaden zu nehmen und ohne die Beziehung in Gefahr zu bringen. Auch das ist meines Erachtens Professionalität. Das Urteil der Kollegen Nicht nur die Patienten, deren Angehörige, die Öffentlichkeit bestimmen unser Verständnis als Palliativmediziner. Es ist vor allem auch die Selbstwahrnehmung, das Selbstverständnis, das uns helfen kann, aus der Falle einer vermeintlichen Unprofessionalität herauszukommen. Schon jetzt wächst eine neue Medizinergeneration heran, die sich nicht schämt, eigene Gefühle zuzulassen und sogar zu nutzen, um die Beziehung zum Patienten zu intensivieren und damit mehr Nähe zu schaffen. Dies ist nicht nur, aber besonders im Arbeitsfeld von Palliative Care von großer Bedeutung. Ebenso wichtig ist aber die Fähigkeit, auch wieder umzuswitchen zu einer hilfreichen Position der Stärke oder mindestens Handlungsfähigkeit. Wenn diese Haltung um sich greift, dann haben wir die große Chance, unsere Professionalität nicht immer wieder in Frage stellen zu müssen;

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wenn wir zulassen, dass wir auch empathisch, damit möglicherweise gefühlvoll oder sogar vorübergehend schwach sind. Damit können wir uns erlauben, dass auch bei uns als »Profis beim Sterben« Ängste wach werden können, dass wir nicht perfekt vorbereitet sind auf diese letzte Wegstrecke des Lebens, dass auch unsere Pläne nur so weit greifen, wie wir eben vorausschauen können. Eigene Angehörige begleiten? Oft hören wir den Satz: »Nie würde ich jemanden aus meiner eigenen Familie palliativ betreuen.« Dahinter steckt die verständliche Sorge, aus der Rolle als Sohn/Tochter/Geschwister oder gar Elternteil nicht heraus zu können und somit die oben erwähnte professionelle Distanz nicht zu finden. Es hat sich ergeben, dass ich bei diesem Thema gut mitreden kann – meine Mutter starb vor eineinhalb Jahren, mein Vater vor acht Wochen, und beide durfte ich in ihren letzten Lebenstagen begleiten. Als Tochter hatte ich die erforderliche Nähe, um zu spüren, was sie brauchten – als Ärztin war ich in der Lage, belastende Symptome umgehend zu behandeln. Es trat vieles von dem auf, was wir kennen – Angst und Schmerzen, Atemnot und Delir. Ich war froh um meine Professionalität und es gab keine Rollenkonflikte, denn sowohl als Tochter als auch als Ärztin hatte ich nur ein Ziel: meinen Eltern ein jeweils friedliches Sterben zu ermöglichen. Ganz konnte dies, den Umständen und Vorerkrankungen zufolge, nicht gelingen – aber was ich dazu beitragen konnte, habe ich getan. Für mich war es eine hilfreiche Erfahrung. Allerdings kann diese natürlich nicht verallgemeinert werden – jeder muss selbst in der jeweiligen Situation entscheiden, ob er sich zutraut, vorübergehend aus der Nähe herauszutreten und im Entscheidungsprozess autonom bleiben zu können. Fazit »Es tut mir gut, dass Sie weinen«, sagte Emily damals, als mein Taschentuch schon ganz nass war.

»Dann spüre ich, dass Sie bei mir sind«. Mehr hat sie in diesem Moment gar nicht von mir erwartet. Sie gönnte uns beiden ein paar kleine Minuten der Besinnung. Dann kehrten wir zurück zur Schmerztherapie, die Dosis wurde etwas erhöht, ein Coanalgetikum wurde angesetzt, die Mutter kam herein und brachte Kaffee, bevor sie fragte, ob denn nicht auch eine Atemtherapie Sinn mache, weil durch das viele Liegen die Lunge vielleicht nicht so gut durchgelüftet werde. Dabei legte sie mir ganz nebenbei ein neues Taschentuch hin und lächelte. Wenn meine Patientin und ihre Familie mein Verhalten nicht als unprofessionell einstufte – warum sollte ich es selbst tun? Ich bin Palliativmedizinerin, aber ich bin auch Mensch. Meine persönliche Haltung ist aus langjähriger Arbeit mit schwerkranken Menschen und deren Familie erwachsen: Ich möchte alle Vorteile aus fachlichem und menschlichem Wissen nutzen. Was spricht dagegen, als Palliativmediziner empathisch und nah und dennoch professionell zu sein? Birgit Haider ist Ärztin für Allgemeinmedizin, Palliativmedizin, Notfallmedizin. Sie in der ambulanten Palliativversorgung und in einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis am St. GertraudenKrankenhaus in Berlin tätig. E-Mail: [email protected] Literatur Berner, W. (2004). Lexikon des Change Managements. Die Umsetzungsberatung  – Professionalität. http://www.umsetzungsberatung.de/lexikon/professionalitaet.php Düllings, C. (2013). Empathie-Definition  – was bedeutet Empathie eigentlich genau? http://www.empathie-lernen. de/empathie-definition Kalkowski, P. (2010). Zur Klärung der Begriffe »Beruflichkeit und Professionalisierung«. http://www.sofi.uni-goettingen.de/fileadmin/Publikationen/Kalkowski/Material/ Begriffsklaerungen_Beruf.pdf Lam, K. (2006). Empathy – an essential tool for communication for palliative care doctors. http://www.fmshk.org/ database/articles/empathyanesentialtoolforcommunicationforpalliativecaredoctors5.pdf Müller, M., Pfister, D., Jaspers, B. (2009). Umfrage: »Wie viel Tod verträgt das Team?« http://www.monikamueller.com/ pdf/06_WievielTodvetraegteinTeam.pdf

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Das Fachliche und das Menschliche Ambivalenzen zwischen Professionalität und Subjektivität

Annelie Keil Nicht logisch, aber lebendig. Immer anders und dem Fachlichen grundsätzlich und im Einzelfall doch eine Einheit. Im Lebendigen gibt es keine zur Kenntnis nehmen und im Rahmen einer proKopie! Das Subjekt Mensch ist als Original unter- fessionellen wie auch persönlichen »Kultur der wegs, unberechenbar und überraschend wie das Sorge« reflektieren. Robin Youngson hat in seiLeben selbst zieht es seine Bahn und bleibt im nem Buch »Time to Care. Wie Sie Ihre Patienten Fluss, so gut es geht. Keine menschliche Krise und Ihren Job lieben« mit vielen Belegen auf die oder Krankheit ist wie irgendeine andere und gesundheitsgefährdende Not der Professionellen steht doch für einen empathischen Vergleich zu im Gesundheitssystem aufmerksam gemacht. Er ähnlichen Leidenssituationen zur Verfügung. zeigt auf, wie sie durch die tägliche Erfahrung der »Daß wir miteinander reden können, macht uns Ambivalenz – reale Widersprüche zwischen dem zu Menschen«, heißt es bei Karl Jaspers (1966, Fachlichen und dem professionellen Auftrag auf S. 6), dem krankheits- und leiderfahrenen gro- der einen Seite und dem Menschlichen wie den ßen Philosophen. subjektiven Bedürfnissen auf der anderen Seite – Der tiefere Sinn einer subjektiven Krise ver- in eine fast aussichtslose berufliche wie persönweigert sich dem statistischen Blick, er braucht liche Konfliktsituation geraten. den persönlichen Blick, ein offenes Ohr, BerühSo wichtig der Prozess der Professionalisierung. Das Geborenwerden, Leben, Leiden und rung im Bereich der personenbezogenen DienstSterben eines jeden Menschen ist einzigartig und leistungen mit Blick auf Qualitätssicherung und bleibt auch dem Subjekt selbst zunächst verbor- -kontrolle, Ausbildung und Innovationen angegen, nistet sich im Bewusstsein wie im Unbe- sichts gesellschaftlicher Veränderungen gewewussten ein, muss oft mühsam geborgen werden sen ist und als kontinuierliche Herausforderung oder drängt sich plötzlich unverhofft ans Tages- weiterhin Bedeutung hat, so klar ist auch, dass licht. Immer wieder undurchschaubar ist jede die Frage einer individuellen, personenzentrierKrise, die professioneller Hilfe bedarf, auf viel- ten Medizin, die Leid und Leiden nicht indivifältige Weise subjektiv in das biografische, be- dualisiert, das Gesellschaftliche nicht ausblendet wegt-bewegende Leben des leidenden, erkrank- und den interprofessionellen wie interdisziplinäten oder sterbenden Menschen eingebunden und ren Dialog ernsthaft fördert, zu sehr ins Abseits verweigert sich oftmals der Verobjektivierung in geraten ist. In vielen Bereichen, vor allem aber einen Befund. Ohne Befund scheinen wir gesund auch in Medizin und Pflege, stehen wir vor der zu sein, das ist der Irrtum von der anderen Sei- dringenden Notwendigkeit, die Hilfs- und Verte, denn immer ist der erkrankte Mensch mehr sorgungsansätze und vor allem das Konzept soals sein Befund. zialen Zusammenlebens nicht allein dem PrinIm Umgang mit Menschen in Not steht der zip der Individualität, Selbstbestimmung, hoher Professionelle also letztlich immer vor einem Rät- fachlicher Spezialisierung als abstrakten Größen sel, muss die Ambivalenzen zwischen dem Sub- zu verschreiben, sondern vermehrt nach Mögjektiven und Objektiven, dem Menschlichen und lichkeiten lebendiger Beziehung zwischen dem

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Paula Modersohn-Becker, Selbstbildnis mit zwei Blumen in der erhobenen linken Hand, 1907 / akg-images

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»Objektiven« und dem »Subjektiven« zu suchen. Leben ist Beziehung, und das in besonderem Maß dann, wenn es gefährdet ist und Hilfe braucht. Auch und gerade Krankheit existiert nicht aus sich heraus, sondern als Beziehung des Menschen zu sich selbst (zum Beispiel zu seinem Organismus, seinem Lebensschmerz), zu anderen Menschen, die ihn behandeln, pflegen, begleiten, und als Beziehung zu der konkreten – und spirituellen – Welt, die den leidenden Menschen umgibt. Im professionellen Zugang manifestiert sich Leben nicht an sich, sondern in seinen biografischen Bezugs- und sozialen Lebenswelten, und die verlangen zwischen Selbst- und Fremdsorge höchst unterschiedliche Formen des Einlassens. Der fachlich-objektive Zugang ist weder möglich noch sinnvoll. Professionalisierung braucht eine Form der Selbstreflexion, eine subjektive Berufsaneignung, in der wieder deutlich wird, dass Dasein immer Mitsein ist und dass nur diese Dimension uns auffordert, auch da, wo wir fachlich-objektiv tätig werden, bei uns selbst zu sein und zu bleiben, auch wenn die Ambivalenzen in uns miteinander streiten. Verantwortung ist immer subjektiv. Wer sie übernimmt, muss fachliche wie menschliche, objektiv wie subjektiv mögliche Antworten auf das finden, was sich in einer beruflichen wie persönlichen Situation konkret als Frage stellt, und nach Lösungen suchen. Professionalität und Subjektivität gehören zusammen. Verlieren sie einander, verraten sie ihren jeweiligen Auftrag. Am Umgang mit der Krankheit und den sogenannten objektiven Befunden will ich den Kerngedanken der Argumentation noch einmal erläutern. Der erkrankte Mensch wird krank, bevor er krank ist. Seine Krankheit ist Teil seiner Geschichte, aber die Geschichte des kranken Menschen ist mehr als die Geschichte seiner Krankheit. Dem »objektiven Befund«, den wir in diagnostischen Daten und Bildern erfassen, wohnt ein Subjekt inne, dem Produkt ein Produzent. Die Krankheit wird vom erkrankenden Menschen »gemacht«, ist sein Werk – ob er dieses nun besonders liebt oder

nicht, ein bewusstes Verhältnis zu ihr entwickeln kann oder vor ihr davonläuft, von ihr genesen kann oder an ihr stirbt. Auch dies ist ein »objektiver Befund«. Die Wissenschaften, die sich mit der Entstehung, Geschichte und den Ausdrucksformen menschlicher Krisen, Krankheit, Gesundheit oder Heilungsprozessen auseinandersetzen, sehen sich in der Anerkennung der Anwesenheit des Subjekts im Krisen- und Erkrankungsgeschehen einer Unbestimmtheit, dem Spielraum für den schöpferischen Akt gegenüber, die anzuerkennen ein Gebot der Wissenschaft ist. Das Gleiche gilt für die Gesundheit und den Prozess der Genesung. Was die Wissenschaften also tun müssen, um ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden, gilt auch für die unabdingbare Aufgabe angemessener, »evidenzbasierter Professionalität«: die Anerkennung der schöpferischen Akte des Subjekts. Objektive Befunde sind Bilder, die ein biografisches Geheimnis in sich tragen, auch wenn sie noch so exakt auf dem Bildschirm erscheinen oder dem Diagnostiker und professionalisierten Mitarbeiter die entscheidende Sicherheit für die nächsten Schritte der medizinischen, pflegerischen oder sozialen Intervention geben. Der Krankheitsbefund aus dem Labor oder auf dem Röntgenbild ist die statische Moment- und Detailaufnahme des dynamisch-bewegten und hoch komplexen Prozesses eines Menschen in der Krankheit. Wir können am ausschnitthaften und in dieser Weise exakten wie »objektiven« Bild nicht erkennen, ob der Weg dieses Menschen von seiner Gesundheit in seine Krankheit oder Krise ein langer oder ein kurzer Weg war, wie es zu diesem gekommen ist, durch welche Landschaften seines Lebens er führte oder ob es ein Ziel gab, das der Patient auf diesem Weg verfehlte. Wesentliches hinter dem Befund bleibt unsichtbar. Die Geschichte des Befundes und seines Trägers bleibt zunächst im Dunkel; beide müssen in anderer Weise »erhoben« werden. Auch medizinische, pflegerische oder soziale Diagnosen, auf die sich die professionelle Aus-

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D a s Fa c h l i c h e u n d d a s M e n s c h l i c h e    2 5

bildung ja bezieht, sind letztlich Bilder, Wegweiser und Markierungen, die die Vielfalt menschlicher Krisen und Erkrankungen wissenschaftlich nach bestimmten Kriterien ordnen. Insoweit sind Diagnosen Erkenntnisbilder unserer vorherrschenden wissenschaftlichen wie professionellen Ordnungen – sei es der Medizin, der Psychiatrie, der Pädagogik oder der Therapie. Im Augenblick der Diagnose, der Namensgebung und Taufe für die Krankheit oder Auffälligkeit, geht die bisher »unorganisierte Krankheit« (Balint 1957) in den organisierten Zustand über. Der erkrankte Mensch nimmt die soziale und versicherungsrechtlich relevante Krankenrolle des Patienten oder eines Adressaten an. Nur approbierte Ärzte oder professionell Zertifizierte sind offiziell dafür vorgesehen, diese Anerkennung und Institutionalisierung des erkrankten Menschen als »Patient« oder eines anderen Menschen in Not vorzunehmen. Sie entscheiden darüber, ob der Patient krank- oder gesundgeschrieben wird, ob er also beim vorliegenden Befund zur Arbeit gehen muss oder nicht, irgendeine Pflegestufe bekommt oder als unterstützungswürdig angesehen wird. Es kommt beispielsweise nicht darauf an, dass die Beurteiler den Arbeitsplatz, die besondere Lebenslage oder die biografischen Krisenpunkte kennen. Irrelevant bei dieser Entscheidung ist auch die Frage, ob der Erkrankte selbst arbeiten kann, will, soll, darf oder möchte oder was die Arbeit selbst mit dem ganzen Erkrankungs- oder zukünftigen Gesundungsgeschehen zu tun hat. Je exakter oder »härter« im naturwissenschaftlichen Sinn die medizinische Diagnose oder Befundung am Ende des Beurteilungsprozesses sein soll, desto verengter muss sie sich auf das pathologische Substrat des erkrankten Menschen, auf das Abweichende konzentrieren und den Gesamtdefinitionsprozess auf das »sicht-, mess- und beweisbare Geschehen« eingrenzen. Während das kranke Organ, die Funktionsstörung, der Tumor, die Infektion, das statistisch Auffällige immer deutlicher hervortreten und die wissenschaftliche wie

professionelle Analyse bestimmen, treten der erkrankte Mensch als Einheit, das Gesamtgeschehen seiner Krankheit oder Krise, seine subjektiven Wahrnehmungen und Sinndeutungen, seine Biografie und sozialen Bezüge immer mehr in den Hintergrund. Aus dem »kasuistischen Original« (Viktor von Weizsäcker 1956, S. 240) ist ein »Fall« geworden, an dem vor allem das Verallgemeinerbare interessiert. Soziale und subjektive Sinnkontexte und Bedürfnishorizonte wurden dabei entweder als medizinisch uninteressant entwertet oder als medizinisch interessant zu objektiven Befunden zusammengefasst. Es liegt auf der Hand, dass in der Symptomwertungsskala der naturwissenschaftlichen Medizin die Symptome ein umso höheres Prestige haben, je körperlich lokalisierbarer und objektivierbarer sie sind. So ist die Norm für das, was medizinisch »Krankheit« heißt, der Diagnostik und dem Verstehenshorizont auf professioneller Seite schon vorausgesetzt. Es ist der Standort des Beobachters, seine Sichtweise und seine Methode, die in gewisser Weise das Einzelne oder das Detail zum Ganzen macht. Das Konzept einer subjektorientierten Patienten-, Gesundheits- und Professionalisierungsforschung, in der nicht die Krankheit als solche, sondern der erkrankte Mensch und die biografische Gestaltung von Krise und Krankheit im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses stehen, versteht sich nicht als Gegenkonzept einer im engeren Sinne medizinischen Forschung und deren Diagnosen samt ihren objektivierbaren Daten. Zu leugnen, dass der vom konkreten Subjekt und seiner Geschichte in vielfacher Weise abstrahierende wissenschaftliche Weg gerade durch seine Verengung und Spezialisierung zu großen diagnostischen und therapeutischen Erfolgen geführt hat, für den die Patienten wie die Ärzte dankbar sind, wäre ideologische Bilderstürmerei. Dass aber die Medizin und mit ihr andere praxisrelevante Bereiche so wenig darüber wissen, welche wesentlichen Entscheidungen über Art, Verlauf und Ausgang einer Störung oder Krankheit

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Max Liebermann, The Surgeon, Ferdinand Sauerbruch, 1932 / Hamburger Kunsthalle, Hamburg, Germany / Bridgeman Images

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unter Umständen schon gefallen sind, bevor ein Mensch anerkannter Patient wird, oder was mit ihm im Prozess seiner Gesundung, der Chronifizierung der Krankheit oder seines Sterbens nachträglich passiert, wenn er den Ort der ersten Behandlung verlassen hat, stellt eine Quelle der mannigfachen medizinischen wie professionellen Unsicherheiten, Behandlungsfehler und auch Fehldiagnosen dar. Von Weizsäcker ging es im Konzept seiner biografisch-anthropologischen Medizin um die Einführung des Subjekts in die Medizin. Diese Aufforderung gilt auch für die anderen Wissenschaften und Berufsfelder, die als Grundlage der Professionalisierung jener Berufe dienen, in deren Mittelpunkt der Mensch steht. Ein erster und besonders wichtiger Schritt ist die Veränderung der wissenschaftlichen und professionellen Haltung gegenüber dem erkrankten Menschen. Wer nach der Verborgenheit der Gesundheit in der Krankheit sucht (Hans-Georg Gadamer), sich theoretisch und methodisch dem zunächst Unbestimmten zuwendet, braucht eine Haltung der Unbefangenheit und Offenheit gegenüber dem Kranken und seinen Erscheinungen, seinen Erfahrungen und Wahrnehmungen. Die Erlebnisse des erkrankten Subjekts gehören zum Wesen der Krankheit. Hier haben wir von Weizsäckers Krankheitsdeutung, finden wir seine Auffassung der Pathogenese. »Um Lebendes zu erforschen, muss man sich am Leben beteiligen«, heißt es im Gestaltkreis von Weizsäckers (1940), und wir fangen mit den wissenschaftlichen Fragen mitten im Leben an. Der Anfang kommt, wie der Patient kommt, ist eine biografische Szene, und diesem vom erkrankten Menschen gemachten Anfang folgt die wissenschaftliche Frage. Die Krisen- und Krankengeschichte tritt in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses und sie nimmt den Platz ein, welchen in den Naturwissenschaften die experimentellen oder systematischen Beobachtungen innehaben. Die biografische Methode ist keine kausale Erklärung, sondern eine Art der beobachtenden Wahrnehmung, mit der

die Bauordnung der Krisensituation verstehbar wird; in der Tendenzen, Spannungsstrukturen, Wendepunkte, kausale Bedingtheiten und subjektive Begründungen, Verhältnisse von Vernichtung und Erhaltung, Prozesse des Symptomwandels, der Bewegung zwischen Individuellem und Universalem, Kulturbedingtheit und Geschlechtsspezifität und die Auseinandersetzung zwischen Gattungs-, Lebens- und Gesellschaftsgeschichte aufleuchten. Das Subjekt als Krankheitsgestalter ist der Spieler und drängt der Forschung das psycho-physische Rätsel des biografischen Krankheitsgeschehens auf. Wir sind auf eine Welt hinter der naturwissenschaftlichen Welt verwiesen, wenn wir als Professionelle mit dem erkrankten Menschen danach fragen: Warum gerade diese Krankheit, diese Krise, diese Hilflosigkeit, warum gerade jetzt und hier, mit diesem Verlauf und diesem Ausgang? – und müssen gleichzeitig »über Tage« arbeiten, wie man im Bergbau sagt. Der Krise und Krankheit als ereignishafter, biografisch begründbarer Einheit muss die Therapie und professionelle Intervention als eine Art ereignishafter Umbruch entsprechen – und das ist mehr, als die Symptome zum Verschwinden zu bringen. Mit dem erkrankten Menschen zusammen müssen wir die Spuren verfolgen, die in seine Krankheit führen, die »Tatorte der Neurose« (von Weizsäcker) aufsuchen. Die menschliche Krankheit erörtert nicht nur das kranke Organ, das in der Computertomografie manchmal objektiv Sichtbare, sondern die Geschichte eines Subjekts, das das Geschehen sowohl erleidet als auch mitgestaltet. Wie uns der Biologe und Philosoph Hans Jonas (1973) am Beispiel des Stoffwechsels so eindringlich veranschaulicht hat, lebt der Mensch seine Existenz in der Spannung zwischen seiner Freiheit auf der einen Seite und der Abhängigkeit wie Notwendigkeit auf der anderen. Wir bekommen die Möglichkeit zu atmen, atmen müssen wir jedoch selbst, und zwar die Luft, die uns umgibt. Als dieses strukturell abhängige Leben

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ist Leben ein Leben in Koexistenz (Maturana und Varela 1987) und enthält neben den Möglichkeiten Gefährdungen, Zerstörung und Scheitern. Jede einzelne Biografie erzählt von dieser grundlegenden Struktur des Menschseins und gleichzeitig von der unendlichen Variation, mit der das Individuum sich dieser Existenz stellt. Was zunächst auf die scheinbare Beliebigkeit subjektiver Sichtweisen hinweist und auf die ablehnende Haltung einer Wissenschaftskonzeption stößt, die sich der Eindeutigkeit verpflichtet weiß, entpuppt sich in der Biografik als Wissenschaft, als herausfordernde Möglichkeit, den Reichtum von Lebenswelten zu bewahren und gleichzeitig auf allgemeine Regeln hin abzuklopfen. Für Viktor von Weizsäcker ist Kranksein eine Weise des Menschseins, und dies gilt in gleicher Weise für eine Wissenschaft von der Gesundheit, die Gesundheit weniger aus dem Schweigen der Organe denn aus der Fähigkeit des Menschen erklärt, sich seiner Geschichte bewusst zu werden und Kompetenzen zu entwickeln, die wir umfassend als biografische Lebenskompetenz beschreiben. Krankheit wird sinnbildlich weniger als eine pathologische Normabweichung interpretiert, sondern als eine Art Ordnungsverlust, den die entstehende Gesundung wieder beheben muss. Da Leben irreversibel ist, geht es nicht um die Wiederherstellung einer alten Ordnung, sondern um die Gestaltung einer neuen Ordnung, in der die Erfahrung der Krankheit aufgehoben ist. Patientenorientierte Kranken- oder Gesundheitsforschung und am Menschen orientierte Professionalität verlangt die Reise in die Landschaft der Leidenschaften. »Wer das Leben verstehen will, muss sich am Leben beteiligen. Wir sagen aber auch, wer sich am Leben beteiligen will, muss es verstehen« (von Weizsäcker 1940, S. 175). Nochmals: Die Wissenschaft wie die ihr zugeordnete Professionalisierung haben es mit »kasuistischen Originalen« zu tun – darin liegt die methodische und theoretische Provokation. Im Fluss des Lebens sind Entscheidungen verlangt. Professionalität kann darauf nicht verzich-

ten und sich nicht davor scheuen. Entdeckerfreude, Neugier und Stolz auf das, was gelingt, und vor allem die Leidensnot der Menschen stiften immer wieder neu dazu an, sich auch als Professioneller auf das eine oder andere »Glatteis« zu begeben, Neuland zu betreten und Kompetenzen zu entwickeln, die es vorher so nicht gab. Professionelle Sattheit spornt nicht an! Sie hilft nur, die Zeit zu verschlafen. Time to Care ist auch die Zeit für neue Denkweisen, genaueres Einfühlen, für andere Kooperationen. Innovation braucht Spiel, und das in beide Richtungen: Zeit, sich um das Subjekt und die Einzigartigkeit des Menschen zu kümmern und gleichzeitig für sich selbst zu sorgen. Wir brauchen einen Überschuss an Möglichkeiten, meint Alexander Kluge. Das gilt auch und gerade für die Professionalisierung und ihre stärkere Orientierung am Subjekt. Annelie Keil, geboren 1939, aus der Erfahrung von Krieg, Gefangenschaft, Flucht und dem Leben mit Sozialhilfe als Kind und Jugendliche viel gelernt. Studium der Politischen Wissenschaften, Soziologie, Psychologie und Pädagogik. Bis 2004 war sie Professorin für Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bremen. Umfangreiche Medien- und Vortragstätigkeit im Bereich Gesundheit und Krankheit, Lebenskrisen und Lebenskompetenzen, Familie und Kinderförderung, Sterben und Sterbebegleitung. E-Mail: [email protected] Website: www.anneliekeil.de Literatur Balint, (1957/dt. 1966). Der Arzt, sein Patient und die Krank­ heit. Stuttgart. Jaspers, K. (1966). Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen, Gerfahren, Chancen. München. Jonas, H. (1973). Organismus und Freiheit. Ansätze zu einer philosophischen Biologie. Göttingen. Kluge, A. www.kluge-alexander.de/zur-person/interviewsmit/details/artikel/traeume-sind-die-Nahrung-auf-demweg-zum-ziel.html Maturana, H.; Varela, F. J. (1987).  Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des Erkennens.  München. Weizsäcker, V. von (1940). Der Gestaltkreis. Theorie der Einheit von Wahrnehmen und Bewegen. Leipzig. Weizsäcker, V. von (1956). Patosophie. Göttingen. Youngson, R. (2016). Time to care. Wie Sie Ihre Patienten und Ihren Job lieben. Frankfurt a. M.

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Kein Problem … schließlich bin ich ja Profi! Dorothée Becker Während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Forschungsprojekt »Transdisziplinäre Professionalität in der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (TP/SAPV)« ergaben sich für mich, neben vielen anderen Eindrücken, hauptsächlich folgende Fragestellungen: Was bedeutet Professionalität in der Pflege? Wie unterscheidet sich die Professionalität beruflich Pflegender von anderen Berufsgruppen eines multiprofessionellen Teams? Meine Grundlage war eine langjährige Praxiserfahrung in der Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen auf einer Palliativstation und im ambulanten Sektor im Rahmen der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV). Mit einem hohen professionellen Selbstverständnis war es nun meine Aufgabe, in dem Forschungsprojekt Interviews mit sterbenden Menschen zu führen und einen Blick auf deren Bedürfnisse und Wünsche zu nehmen. Methodisch orientierten wir uns an Ero-epischen Gesprächen nach Girtler (2001), die eine erzählende Gesprächsführung auf Augenhöhe fordert. Ich war wenig aufgeregt und mir meiner Kompetenzen sicher, da ich ja bereits lange Jahre viel Erfahrung im Umgang mit sterbenden Menschen hatte. Eine Kommunikation auf Augenhöhe mit Patienten und Angehörigen gehörte zu meinem beruflichen Alltag und stellte nun wirklich kein Problem dar. Meine Haltung kann man so beschreiben: Kein Problem, mache ich, schließlich bin ich ja Profi! Die Realität stellte sich zu meiner Überraschung jedoch ganz anders als erwartet dar. Meine Gespräche mit den sterbenden Menschen lösten in mir den Zustand einer zunächst nicht erklärbaren starken Berührbarkeit aus, die mich

sehr verunsicherte. Als »Forscherin« war es mir nicht erlaubt, Ratschläge zu geben, Diagnosen zu stellen, Therapien zu erklären – ich durfte einfach nur zuhören und musste »aushalten«. Die forschende Situation schien eine ganz andere zu sein; die Fertigkeiten und Kompetenzen einer beruflich Pflegenden waren nicht gefragt. Das brachte als Folge neue Fragen hervor: Hatte ich vielleicht meine Professionalität verloren? Stehen Berührbarkeit und Professionalität zueinander im Widerspruch – oder in einem Spannungsverhältnis? Was verändert sich durch die Rolle – oder verändert die Rolle uns? Zunächst möchte ich betrachten, was denn eigentlich professionelles pflegerisches Handeln bedeutet. Das pflegerische Handeln In der Pflegewissenschaft werden pflegerische Leistungen als Handlungen beziehungsweise Maßnahmen beschrieben, die dem Aufgabengebiet der professionell Pflegenden zugeordnet werden können (vgl. Schaeffer und Wingenfeld 2014). Aber was meint professionell pflegerisches Handeln? Eine Auseinandersetzung mit der reinen Wortbedeutung des Begriffs Professionalität greift zu kurz. Es bedarf weiterer Zugänge, denn weder eine Unterscheidung in Laien- und berufliche Pflege noch die Tatsache, dass ich mit dieser Tätigkeit mein Einkommen sichere, reichen aus. Bei einem Blick auf die klassischen Professionen Theologie, Jura und Medizin ist erkennbar, dass diese sich mit den existenziellen Bedingungen und Bedrohungen der Menschen auseinandersetzen. Die Theologen beschäftigen sich mit den Fragen nach Sinn und Werten des Lebens,

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 29–33, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

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Hatte ich vielleicht meine Professionalität verloren? Stehen Berührbarkeit und Professionalität zueinander im Widerspruch – oder in einem Spannungsverhältnis? die Juristen wehren die Ungerechtigkeit und die Willkür gegen den Einzelnen ab und die Mediziner entwickeln Lösungen gegen die Bedrohung durch Krankheit und Tod (vgl. Isfort 2003). Genau hier stellt sich die Frage, mit welchen existenziellen »Bedrohungen« die Pflege beschäftigt ist. Hinter den Schlagworten demografischer Wandel, Überalterung, Multimorbidität etc. verbirgt sich immer »Bedrohung« in unterschiedlichen Ausmaßen – Pflegebedarf und Pflegebedürftigkeit werden zwangsläufig mitgedacht; diese Implikation ist hinsichtlich des gesellschaftlichen Kontextes als auch auf das Individuum bezogen zu sehen. Die Pflege mit dem Auftrag zur Förderung der Selbsthilfepflegefähigkeit, Erhalt der Alltagskompetenz und der Förderung eines selbstbestimmten Lebens kann hier einen Ansatz einer Profession finden, allerdings geschieht dies nicht allein durch den Anstieg des Problems (vgl. Isfort 2003). Die berufliche Pflege galt stets als »zuarbeitende« Berufsgruppe der medizinischen Profession. Durch die Etablierung der Pflegewissenschaft entstand eine eigene, wenn auch noch junge Disziplin in Deutschland. Brandenburg und Dorschner definieren Pflegewissenschaft als »eine empirisch

orientierte Sozial- und Humanwissenschaft« (zitiert nach Haas 2016). Mit diesem wissenschaftlichen Fundament wird Pflege folgerichtig zur eigenständigen Profession. Nach Fischer (2010) basiert die professionelle Gestaltung beruflicher Aufgaben auf einer Gesamtheit aller Kompetenzen. Bezogen auf den Bereich Palliative Care möchte ich deshalb der Frage nachgehen, welche Kompetenzen zu professionellem pflegerischen Handeln befähigen. Die Kompetenzen Eine alleinige Beschreibung von fachlichen Kompetenzen, Einzelleistungen, Standards und Leitlinien wird dem palliativen Kontext keinesfalls gerecht. Bei palliativ arbeitenden Pflegenden werden größere Fähigkeiten in den sogenannten weichen Kompetenzbereichen erwartet. Wettreck (2001) bezeichnet diesen Bereich auch als einen »informalisierten, fakultativen, weichen Kompetenzbereich«. Darunter subsumiert er unter anderem: • die Kunst der synästhetischen Wahrnehmung, • die Fähigkeit, sich auf die Situation einzulassen, • die Fähigkeit zur Selbstreflexion über die fachlichen Aspekte des eigenen Handelns hinaus, • die Reflexions- und Argumentationsfähigkeit bezüglich des eigenen professionellen und persönlichen Wertempfindens,

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• den Mut zur persönlichen Verantwortungsübernahme auf der Grundlage von ethischer wie fachlicher Kompetenz und Argumentationsfähigkeit. Nach Wittneben ist gerade der Bereich Palliative Care durch die hohe »Betroffenenorientierung« (zitiert nach Heller 2007) in der höchsten Kompetenzstufe zu sehen. Sie beschreibt das Ausmaß an Kompetenzentwicklung anhand der Patientenorientierung. Parallel zu den hierarchisch angeordneten Dimensionen pflegerischen Handelns, die sich von niedriger zu hoher Kompetenz entwickeln, wächst der Grad an Patientenorientierung (vgl. Löwenhardt 2011). In palliativen Situationen dominiert ein Fallverstehen und die sich daraus ergebende Lebensqualität, was zu einer Diskrepanz zwischen Regelwissen und Fallverstehen führen kann. Die Berufsgruppe der Pflegenden ist professionell den Menschen am nächsten. Hinsichtlich dieser menschlichen Nähe bringt sie wertvolle Erfahrungen über Berührung, Wahrnehmung und nonverbale Kommunikation in ihre Tätigkeit ein, die im klassischen Sinn weit über das Körperliche hinausgehen. Dies zu beschreiben gelingt Charlotte und Michael Uzarewicz in ihrem Buch »Das Weite suchen«, indem sie sich der Phänomenologie der Leiblichkeit in Bezug auf die Pflege annähern.

In der Pflege ist ein eher implizites Wissen über die Leiblichkeit vorhanden, was unterschiedliche Wahrnehmungen, abhängig von den leiblichen Erfahrungen, auslösen kann. Dies führt zu einem Unterschied in der Wahrnehmung Pflegender und anderer Berufsgruppen und kann somit ungleiche Beratungsprioritäten bedeuten. Zum Beispiel: Ein Patient hat Schmerzen und Angehörige sind mit vor Ort. Ich weiß als Pflegende aufgrund meiner Erfahrung, wie sich ein Mensch anfühlt, der Schmerzen hat. Ich benötige demnach keine verbale Äußerung und auch keine Berührung mehr, um wahrzunehmen, dass der Mensch Schmerzen hat. Hieraus ergeben sich dann meine weiteren Handlungen. Jemand ohne diese oder mit anderer Erfahrung nimmt vielleicht eher die Not der Angehörigen in dieser Situation wahr und bestimmt somit sein Handeln. Die Situation aber ist dieselbe. Wie professionell ist es also, ein leibliches Wissen in die Pflege miteinzubringen? Da pflegerisches Handeln immer aufeinander bezogen ist, kann die Handlung gar nicht ohne leibliches Wissen erfolgen. War vielleicht meine leibliche Kompetenz eine Ursache meiner verunsicherten Berührbarkeit als »Forscherin«, da meiner leiborientierten Wahrnehmung keine weitere (gewohnte) Handlung folgen durfte, und was hat die Rolle damit zu tun?

Die Leiblichkeit

Die Rolle

Die Eigenständigkeit professionellen Handelns wird begründet durch den Leiblichkeitsbezug der Pflege, der weit über das Objektivierbare hinaus geht (vgl. Uzarewicz und Uzarewicz 2005). Die leibliche Phänomenologie beinhaltet unter anderem die Wahrnehmung von Befinden, Stimmungen und Atmosphären über die körperlichen Grenzen hinaus. Diese Wahrnehmung ist erforderlich, um weitere Maßnahmen abzuleiten und andere in der Versorgung beteiligte Menschen, auch Angehörige, anzuleiten, zu befähigen und zu begleiten.

In der Auseinandersetzung mit dieser Frage wurde mir zunächst deutlich, wie sehr ich mich in meiner Tätigkeit als Pflegefachkraft in der SAPV mit meiner beruflichen Rolle identifiziert habe oder – anders ausgedrückt – verwachsen war. Immer lösungsorientiert, mit ausreichendem Fachwissen, war es mir möglich, Menschen in jeder Situation professionell zu beraten. Auch in herausfordernden Situationen konnte ich immer noch in die Aktion gehen, etwa überprüfen, ob die Medikamente richtig eingenommen wurden oder werden, spezielle Mundpflege, angemesse-

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nes Lagern der schwerstkranken Menschen, Angehörige anleiten und somit »professionell« mit der in anderer Intensität für mich spürbaren Berührbarkeit umgehen. Rollen werden von außen als Erwartung an uns herangetragen, wir können aber – gemäß der eigenen Haltung, Sozialisation und Kompetenz – darüber entscheiden, wie und in welchem Umfang wir dieser Erwartung entsprechen. Rollenverhalten und Rollenerwartung bedingen einander und beeinflussen sich wechselseitig; eine getrennte Betrachtung greift zu kurz. Wie eine Rolle ausgefüllt wird, ist aber abhängig vom situativen Spielraum und von Persönlichkeitsfaktoren, also vom Selbstverständnis des Rollenträgers. Neben dem Rollenübernehmen findet also immer auch »Rollenmachen« statt, denn Rollenerwartungen sind selten eindeutig, stets interpretationsbedürftig und müssen in jeder Kommunikationssituation neu ausformuliert werden (Gellert und Nowack 2002, in Müller und Kern 2006). Es ist wichtig, mit einer reflektierten Haltung auf die Betroffenen zuzugehen. Es entspricht auch meiner Erfahrung, dass es nicht nur um das »Aushandeln« einer Rolle geht, sondern dabei auch immer um den Grad von Nähe und Distanz. In der Pflege ist das verwirrende Ineinander von spannungsvollen und vagen, untergeordneten und eigenständigen, klaren und diffusen, formellen und informellen, beruflichen und persönlichen, medizinischen und pflegerischen

Komponenten die Herausforderung, pflegerische Tätigkeiten und der sich daraus entwickelten Rollen zu beschreiben (vgl. Wettreck 2001). Das Fazit Meine Erfahrung in der Rolle als Forscherin hat mir deutlich gemacht: Wenn die Palliativpflege den Bedürfnissen und Bedarfen schwerstkranker und sterbender Menschen gerecht werden möchte, ist es dringend erforderlich, die Entwicklung eines professionelles (Selbst-)Verständnisses der Palliativpflege weiter in den Blick zu nehmen und voranzutreiben. Nur wenn es der Palliativpflege gelingt, sich ihrer Kompetenzen, Verantwortung und Fertigkeiten bewusst zu werden und diese auch zu benennen, anstatt sich durch Reduktion, Normierung und Konzentration auf regulierte Tätigkeiten in den Grundlagen einer Berufsethik beschränken zu lassen, besteht eine Chance auf ein neues Selbstbewusstsein und Rollenverständnis, das sich im besten Fall auf andere Pflegebereiche erweitern lässt. Der Konflikt besteht allerdings auch innerhalb der eigenen Berufsgruppe der professionell Pflegenden. Die gelebte palliative Haltung wird oft als unprofessionell angesehen, menschliche Nähe wird zum »mangelnden Abgrenzungsvermögen« oder auch gern abwertend sowie indifferent mit der pathologischen Diagnose »Helfersyndrom« belegt, aber keineswegs als besondere Pflegequalität bewertet (Becker 2013).

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In palliativen Situationen dominiert ein Fallverstehen und die sich daraus ergebende Lebensqualität, was zu einer Diskrepanz zwischen Regelwissen und Fallverstehen führen kann.

Neben Leitlinien und Standards ist eine umfassende quantitative und qualitative pflegewissenschaftliche Forschung, gepaart mit einem guten Theorie-Praxis-Transfer, unabdingbar. Im besten Fall tragen die so gewonnenen Erkenntnisse zu einer größeren Akzeptanz innerhalb und außerhalb der eigenen Profession bei. Pflege braucht vielleicht keine eigene Ethik, aber sie ist, Pöltner (2015) folgend, eine Ethik besonderer Situationen. Dies gilt für den palliativen Bereich umso mehr – da die Zeit endlich ist. Dennoch sind Berührbarkeit, Gefühle und Atmosphären die Basis pflegerischen Handelns und dies sollte nicht im Hintergrund geschehen, sondern als ein wichtiger Bestandteil professioneller pflegerischer Handlungen beschrieben und gefördert werden. Denn eine professionelle Palliativpflege wird hierauf nicht verzichten können und wollen. Dorothée Becker, Master of Palliative Care (MAS), Palliative-Care-Krankenschwester, Case Managerin (DGCC), Kursleiterin Palliative Care (DGP), war Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hessischen Institut für Pflegeforschung (HESSIP) im Projekt Transdisziplinarität in der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (TP/SAPV). Sie ist Leiterin der Bildung und Weiterbildung im ProPalliativNetz (PPN) und hat einen Lehrauftrag an der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden. E-Mail: [email protected] Literatur Becker, D. (2013). Kompetenzen, Haltung und Rolle der Palliativpflege in der Spezialisierten Ambulanten Palliativver-

sorgung. Haben die »Hände« alles im Griff? Masterthesis an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt | Wien, Graz. Fischer, L. (2010). »Der Bäcker backt, der Maler malt, der Pfleger  …«. Soziologische Überlegungen zum Zusammenhang von Professionalität und Wertschätzung in der Kranken- und Altenpflege. In: Arbeit, 4, 19, S. 239–252. Girtler, R. (2001). Methoden der Feldforschung. Stuttgart. Haas, M. (2016). Das Konzept der Hoffnung in der Pflege. Antrittsvorlesung an der Universität Trier. Lehrstuhl für Pflegewissenschaften. 08.06.2016. Heller, A. (2007). Die Einmaligkeit von Menschen verstehen und bis zuletzt bedienen. Palliative Versorgung und ihre Prinzipien. In: Heller, A.; Heimerl, K.; Husebö, S. (Hrsg.), Wenn nichts mehr zu machen ist, ist noch viel zu tun. Wie alte Menschen würdig sterben können (S. 191–208). 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Freiburg. Isfort, M. (2003). Wissen und Tun. Was ist Profession, was Professionalität, woran ist professionelles pflegerisches Handeln zu erkennen und wie wird es in der pflegerischen Praxis umgesetzt? In: Pflege Aktuell, Mai, S. 274– 277. Löwenhart, C. (2011). Partipation  – Grunddimension pflegerischer Handlungskompetenzen? Rekonstruktion pflegerischen Handelns und Kompetenzen von Pflegenden auf der Basis von pflegewissenschaftlichen, philosphischen und sozialwissenschaftlichen Theorieansätzen. In: Hallesche Beiträge zu den Gesundheits- und Pflegewissenschaften, 10, 3. http://www.medizin.unihalle.de/fileadmin/Bereichsordner/Institute/Gesund Müller, M.; Kern, M. (2006): Kommunikation im Team. In: Palliativmedizin, 7, S. 65–70. Oevermann, U. (1996a): Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns, In C. Combe; W. Helsper (Hrsg.), Pädagogische Professionalität (S. 70– 182). Frankfurt a. M. Pöltner, G. (2015). Vorlesung Ärztekammer Oberösterreich. Studium Medizinethik. Schaeffer, D.; Wingenfeld, K. (2014) (Hrsg.), Handbuch Pflegewissenschaft. Weinheim, Basel. Uzarewicz, C.; Uzarewicz, M. (2005). Das Weite suchen. Einführung in eine phänomenologische Anthropologie für Pflege. Stuttgart. Wettreck, R. (2001). Am Bett ist alles anders. Perspektiven professioneller Pflegeethik. Münster, Hamburg, London.

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David-W- / photocase.de

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Anonyme Fehlermeldung Sicherheitskultur bei Sterbenden und Professionalität

Hans Christof Müller-Busch Die Fehleranfälligkeit ärztlicher, pflegerischer und therapeutischer Handlungen ist besonders nach dem Erscheinen des US-amerikanischen Berichts »To Err Is Human« (Kohn, Corrigan und Donaldson 2000) Gegenstand vieler wissenschaftlicher Analysen und juristischer Auseinandersetzungen geworden, die auch von zahlreichen medizinischen, organisatorischen, edukativen und publizistischen Aktivitäten begleitet werden. Die Angst, wegen eines medizinischen Fehlers oder wegen Fehlbehandlungen juristisch belangt zu werden, beherrscht nicht nur in den USA, sondern zunehmend auch in Europa den Alltag der Medizin. So ist es nicht verwunderlich, dass haftungsrechtliche Vorgaben, Dokumentationspflichten, Leitlinien und Behandlungspfade den praktischen Alltag mehr bestimmen als das am Wohl des Einzelfalls orientierte empirische Wissen. Beispielsweise ist die Dokumentation von Maßnahmen zur Sturzprophylaxe bei sturzgefährdeten Menschen in Einrichtungen der Altenpflege oft wichtiger als die kompetente Begleitung des gefährdeten Menschen. Ein anderes Beispiel ist, dass in der am Ergebnis orientierten statistischen Analyse von erfolgreichen Behandlungsmaßnahmen zum Beispiel in der medikamentösen Schmerztherapie die sogenannten Dropouts (also aus einer Studie ausgeschiedene Teilnehmer) kaum Beachtung und Berücksichtigung finden. Bis vor wenigen Jahren war das Eingestehen von Fehlern in der Medizin eine Seltenheit und ein Eingeständnis galt als Anerkennung von Schuld. Die Behandlung von kranken Menschen musste unfehlbar sein. Einen Fehler begangen zu haben, rührte an die Grundpfeiler ärztlicher Ehre und wurde als Verstoß gegen das ärztliche Ethos

angesehen. Wenn ein Fehler auftrat, war es die Schuld des einzelnen Arztes oder einer einzelnen Pflegenden, der vermeidbar gewesen wäre, wenn er oder sie korrekter und aufmerksamer gearbeitet und sich ausreichend angestrengt hätte. Wenn Fehler eine Krankheit wären, würden in den USA – nach einer im British Medical Journal (BMJ) veröffentlichten Studie (Makary und Michael 2016) – ärztliche Behandlungsfehler inzwischen als die die dritthäufigste Todesursache gelten, gleich nach Herzerkrankungen und Krebs. Diese Zahlen sind wahrscheinlich sogar untertrieben, da Sterbefälle, die im häuslichen Bereich oder in Pflegeheimen erfolgten, nicht eingeschlossen wurden. Eine von J. T. James 2013 publizierte Übersicht berechnete, dass bis zu ein Sechstel aller Todesfälle in den USA in Verbindung mit Behandlungsfehlern oder Nebenwirkungen von medizinischen Behandlungen auftreten, vermeidbare Klinikfehler sollen alljährlich für ca. 210.000 Patienten in Krankenhäusern tödlich enden – die neuesten Statistiken liegen sehr nahe an diesem Wert. Zu diesen Fehlern zählen medikamentöse Fehlbehandlungen und andere Behandlungsfehler, unnötige Operationen, Krankenhausinfektionen sowie Nebenwirkungen von Medikamenten mit Todesfolge. Auch wenn es über die genauen Zahlen Kontroversen gibt (vgl. Shojania und Dixon-Woods 2016), bekommt der Umgang mit medizinischen Irrtümern, Über- und Fehlbehandlungen sowie Fehlern inzwischen nicht nur in den USA, sondern auch bei uns einen zunehmenden Stellenwert für die ArztPatient-Beziehung, aber auch für die interdisziplinäre und multiprofessionelle Zusammenarbeit. Aus Perspektive der H ­ andlungspsychologie lassen sich Ausführungsfehler als Folge von un­

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 34–37, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

Wassily Kandinsky, Chat, 1926 / Private Collection / Photo © Lefevre Fine Art Ltd., London / Bridgeman Images

beabsichtigten unsicheren Handlungen beispielsweise durch mangelnde Aufmerksamkeit, Defizite der Informationsübermittlung, des Gedächtnisses beziehungsweise des Wissens oder der Kommunikation von solchen abgrenzen, die als Planungsfehler bezeichnet werden, weil sie ursächlich durch die Unangemessenheit eines Plans oder der Art einer geplanten Handlung zur Lösung eines Problems auftreten. Dazu zählen beispielsweise auf Befunde und Parameter hin orientierte aktionistische Maßnahmen bei Patienten in der Terminal- oder Sterbephase oder chirurgische Interventionen, die zur Beruhigung des Patienten durchgeführt werden und aus fachdisziplinärer Sicht kein ausrei-

Nicht Fragen nach dem »Wer war es?« oder »Wem ist was passiert?« stehen hier im Mittelpunkt, sondern nur nach dem »Was ist geschehen?« und »Wie gehen wir damit in Zukunft um?«

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chend indiziertes Therapieziel erkennen lassen. Hinzu kommen Verletzungen von Regeln beziehungsweise intentionale Regelverstöße, die im eigentlichen Sinn keine Fehler darstellen, die aber im Kontext der spezifischen Versorgungssituation erhebliche Folgen haben und zu unerwünschten und kritischen Ereignissen führen können. Sie sind häufig situationsabhängig und beruhen überwiegend auf den Einstellungen und Haltungen des Handelnden sowie den gelebten Werten und Zielen im Organisationszusammenhang und der sie bestimmenden Strukturen (siehe hierzu: Hommel und Nattkemper 2011). Um die Perspektive des Patienten bei der Analyse von Irrtümern und Fehlern stärker aufzunehmen, spricht man inzwischen weniger von Fehlerkultur, sondern von Sicherheitskultur – es geht um die optimale Patientensicherheit und das Wohl des Betroffenen, der in der medizinischen Versorgung – auch als Sterbender – vielfältigen Risiken ausgeliefert ist. Sicherheitskultur bedeutet im Einzelnen, das Teamkonzept in der Gesundheitsversorgung in den Mittelpunkt zu stellen und zu fördern, Ursachenanalyse von kritischen Ereignissen und Fehlern in einem auf Vertrauen basierendem Miteinander zu ermöglichen, weniger nach »Schuldigen«, sondern gemeinsam nach Lösungen zu suchen, Verbesserungsvorschläge ernst zu nehmen, zu prüfen und umzusetzen, die Prävention von Fehlern und die Identifikation von Schwachstellen durch Schulungen und Einbeziehung des speziellen Wissens aller Beteiligten systematisch zu fördern sowie alle Beteiligten im Umgang mit Fehlern und der Bewältigung von kritischen Ereignissen solidarisch zu unterstützen (Barth und Jonitz 2015). Sicherheitskultur hat anstelle von individuellen Sanktionen bei festgestellten Fehlern oder kritischen Ereignissen mehr die Prävention und Verbesserungsmaßnahmen auf struktureller und prozeduraler Ebene im Blick. Sie wird inzwischen durch eine Reihe von Maßnahmen unter dem Stichwort Patientensicherheitsmanagement gefördert und als wichtiges Qualitätskriterium in

der Patientenversorgung angesehen. Dazu gehören vor allem die retrospektiven Fallanalysen beziehungsweise die Mortalitäts- und Morbiditätskonferenzen als Instrumente zur Identifizierung von fehlerhaften Vorgängen und von für die Entstehung eines kritischen Ereignisses verantwortlichen Gründen, welche zur Beeinträchtigung der Patientensicherheit und des Patientenwohls geführt haben. Hinzu kommen Qualitätszirkel und Weiterbildungselemente zum Lernen am Arbeitsplatz, »Trigger Tools«, um unerwünschte Ereignisse durch den Einsatz von Triggern zu vermeiden – in der Palliativversorgung wären beispielsweise spezielle Prozeduren bzw. SOPs (Stachura et al. 2016), aber auch Notfallpläne zu nennen, am bekanntesten sicherlich der in der Betreuung Sterbender inzwischen seltener eingesetzte und nicht unumstrittene Liverpool Care Pathway (LCP) (Prentice und Amer 2016). Auch Teile des Controlling, Benchmarking und PeerReview können als Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit des Patientenwohls gezählt werden (Herold 2015). Neben Patienten- und Angehörigenbefragun­ gen und einem effektiven und gut zugänglichen Beschwerdemanagement wird auch versucht, durch anonyme Fehlermeldesysteme (Critical Incident Reporting System, CIRS-palliativ) risikorelevante Schwachstellen zu identifizieren. Im Sinne eines zeitgemäßen Fehlermanagements schaut CIRS nicht zurück und sucht nach »Schuldigen«, sondern richtet seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Schadensprävention in der Zukunft. Nicht Fragen nach dem »Wer war es?« oder »Wem ist was passiert?« stehen hier im Mittelpunkt, sondern nur nach dem »Was ist geschehen?« und »Wie gehen wir damit in Zukunft um?« (vgl. ­Meilwes 2015). Ziel ist, das Team als lernende Organisation bei der strukturellen und prozeduralen Verbesserung der an den Bedürfnissen der Betroffenen orientierten Versorgung zu unterstützen. In diesem Sinne wurde im Jahre 2012 durch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) das CIRS-palliativ als anonymes Meldeportal zu

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A n o n y m e Fe h l e r m e l d u n g    3 7

kritischen Ereignissen in der Palliativversorgung eingeführt (Kritische Ereignisse in der Palliativversorgung: www.cirs-palliativ.de). Wichtig beim CIRS ist nicht nur, die Sanktionsfreiheit für den Meldenden eines kritischen Ereignisses oder Fehlers zu sichern, sondern die Risikoidentifizierung, -analyse und -bewertung zu fördern, um dem Team praxisorientierte Lösungsvorschläge und Anregungen zu geben, die zur zukünftigen Minimierung eines identifizierten Risikos beitragen. Ziel ist, neben der Risikoprävention auch die Risikobewältigung im Team nachhaltig zu fördern. Voraussetzung dazu ist allerdings, dass sich alle Teammitglieder auch selbstkritisch und respektvoll an einem solchen Instrument beteiligen. Auch wenn anonyme Fehlerberichtssysteme nur sehr bedingt Annahmen über die Häufigkeit des Auftretens von kritischen Ereignissen oder Fehlern zulassen, da sie auf den subjektiven Beobachtungen der Meldenden beruhen und die komplexen Zusammenhänge wohl nur selten in angemessenem Ausmaß erfasst werden, sind sie ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Patientensicherheit und zur Qualitätsentwicklung im Team. Die Analyse von Fehlermeldungen im Team sollte unter dem Aspekt erfolgen: »Das hätte auch bei uns passieren können« beziehungsweise »Warum ist dies bei uns anders?«. Ereignis- und Fehlermeldungen, wenn sie konsequent im Team und mit den Beteiligten ohne personale Schuldsuche und Schuldzuweisung analysiert und im Hinblick auf Fehlervermeidung konstruktiv behandelt werden, können zur Risikoprävention, einer an den Interessen und am Wohl des Patienten orientierten Zusammenarbeit und zur Sicherheit der Betroffenen beitragen, da die Aufmerksamkeit aller Teammitglieder im Umgang mit kritischen Ereignissen und Fehlermöglichkeiten geschärft wird. Unter Beachtung folgender Gesichtspunkte können anonyme Fehlerberichtssysteme dadurch als ein wichtiger Beitrag zur interprofessionellen Qualitätssicherung in der Medizin angesehen werden.

„„Fehler erkennen: Jeder Fehler zählt „„Fehler melden – es geht um den Patienten „„Fehler analysieren: Keine Schuldzuweisungen „„Fehlerfolgen bewerten – was kann ich tun? „„Struktur- oder Prozessfaktoren identifizieren „„Fehler als Chance und Herausforderung „„Change commitment

Eine erweiterte Fassung dieses Artikels erscheint als Originalarbeit »Sicherheitskultur und kritische Ereignisse in der Palliativversorgung« in der Zeitschrift für Palliativmedizin 2017, 18 (3). Prof. Dr. Hans Christof Müller-Busch war bis 2008 Leitender Arzt der Abteilung für Anästhesiologie, Palliativmedizin und Schmerztherapie am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, Berlin. Von 2006 bis 2010 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). E-Mail: [email protected] Literatur Barth, S.; Jonitz, G. (2015). Von der Fehlerkultur zur Sicherheitskultur. In: Gausmann, P.; Henninger, M.; Koppenberg, J. (Hrsg.), Patientensicherheitsmanagement (S. 194– 199). Berlin. Herold, A. (2015). Die retrospektive Fallanalyse. Ein Instrument zur Aufarbeitung von Schadenfällen in der Medizin (S. 289–297). In: Gausmann, P.; Henninger, M.; Koppenberg, J. (Hrsg.), Patientensicherheitsmanagement. Berlin. Hommel, B.; Nattkemper, D. (2011). Handlungspsychologie. Planung und Kontrolle intentionalen Handelns. Heidelberg. James, J. T. (2013). A new, evidence-based estimate of patient harms associated with hospital care. In: Journal of Patient Safety, 9, 3, S. 122–128. Kohn, L. T.; Corrigan, J.; Donaldson, M. S. (2000). To err is human: Building a safer health system. Institute of Medicine (IOM). Washington, D.C. Makary, M. A.; Michael D. (2016). Medical error—the third leading cause of death in the US. In: British Medical Journal, 353, S. i2139. Meilwes, M. (2015). CIRS – Critical Incident Reporting System. In: Gausmann, P.; Henninger, M.; Koppenberg, J. (Hrsg.), Patientensicherheitsmanagement (S.  802–819). Berlin. Prentice, J.; Amer, T. (2016). The rise and fall of the Liverpool care pathway.  In: Progress in Palliative Care,  24, 2, S. 98–100. Shojania, K., G.; Dixon-Woods, M. (2016). Estimating deaths due to medical error: The ongoing controversy and why it matters. BMJ Quality & Safety, 0, S. 1–6. Stachura, P.; Berendt, J.; Stiel, S.; Schuler, U. S. Ostgathe, C. (2016). Standard operating procedures (SOPs) for palliative care: Presence and relevance of palliative SOPs within the network of German Comprehensive Cancer Centers (CCCs) funded by the German Cancer Aid. In: Schmerz.

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Sich distanzieren müssen, um professionell zu sein – ist es das, was wir wollen? Professionelle Distanz oder Nähe als Teil der Professionalität

Susanne Kränzle Kennen Sie das, dass Sie irgendwo Beratung erhoffen, zum Beispiel wenn Sie in einer Behörde sind, und das Gefühl haben: Ich bin gar nicht gemeint mit dem, was da gesagt wird. Mein Anliegen, ich werde gar nicht begriffen oder bedient. So neulich erlebt beim Finanzamt: Ich hatte einen Satz nicht verstanden, den mir eine Beamtin geschrieben hatte, also rief ich sie an und versuchte herauszufinden, was das für die Abgabe meiner Steuererklärung bedeuten würde. Am Telefon wiederholte sie noch dreimal denselben Satz, den sie vermutlich jedes Mal abgelesen hatte, und zwar mit einer Betonung, die mich deutlich spüren ließ, dass sie keinen Anlass hatte, mir helfen zu wollen, schließlich muss die verspätete Abgabe der Erklärung zusätzlich zur Fristsetzung ja irgendwie sanktioniert werden, so meinte ich sie laut denken zu hören. Ich bat sie, mir einfach den Satz zu erklären – woraufhin sie ihn mir nochmals und nochmals vorlas. »Das helfende Gespräch«, dachte ich – natürlich sagte ich das nicht, denn ich war ja in gewisser Weise abhängig von dieser Frau und ihrem Wohlwollen. Das Ganze endete dann aber doch damit, dass ich zur Beratung ins Amt fuhr und nach entsprechender Wartezeit eine freundliche Beamtin am Schalter mir in kürzester Zeit half, zu verstehen und zu tun, was zu tun war. Das geht also auch. Dieses »Ich werde gar nicht wahrgenommen und verstanden mit meiner individuellen Not«, das kennen Menschen sehr gut aus dem Gesundheitswesen, fast bin ich geneigt zu schreiben, aus der Gesundheitsindustrie. In der Palliativversorgung sind alle Beteiligten sehr bemüht, gera-

de diese Einzigartigkeit eines jeden betroffenen Menschen an die vorderste Stelle zu stellen. Menschen in Hospizen sagen oft: Ich bin noch nie in meinem Leben so sorgfältig und liebevoll betreut worden, noch nie hat sich jemand in der ganzen Zeit meiner Krankheit ernsthaft dafür interessiert, was ich denn will oder wirklich brauche. Professionelle Distanz – das Rezept seit Jahrzehnten In Zeiten wie diesen mit einem immer höheren »Durchsatz« an Patienten/Patientinnen, Bewohner/-innen, Klientinnen/Klienten oder wie immer die hilfebedürftigen Menschen genannt wer-

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 38–40, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

S i c h d i s t a n z i e r e n m ü s s e n , u m p r o f e s s i o n e l l z u s e i n  – i s t e s d a s , w a s w i r w o l l e n ?    3 9

© m.schröer

den mögen, stellt sich mehr und mehr die Frage, wie nicht nur die betroffenen Menschen, sondern auch die beruflich Helfenden das »aushalten« können – alles muss schnell und schneller gehen, Zeit ist Geld, Geld ist knapp, Mitarbeiterinnen auch, der Druck ist hoch und der Erfolgsdruck ebenso, denn der Arbeitsplatz soll ja nicht in Frage stehen, also, alles muss gelingen, ganz nach Plan und Standard. Wenn Menschen in helfenden Berufen gefragt werden, wie sie das alles »aushalten« können, oder wenn über solche Berufe berichtet wird, fällt häufig der Begriff von der »professionellen Distanz«. Man muss nur richtig mit allem umgehen lernen, dann geht es schon. »Richtig« heißt eben: Man und frau darf das ganze Elend und den Druck nicht an sich heranlassen, muss es genügend von sich fernhalten, damit es einen und eine nicht frisst und mürbe und krank macht. Sich eine Schicht Hornhaut auf der Seele wachsen lassen, das ist das oft empfohlenen Rezept. Wenn in der Hospiz- und Palliativversorgung ehren- oder hauptamtlich Tätige gefragt werden, was sie am meisten bewegt, sagen sie in der Regel: »Dass ich den Menschen so schnell so nahe

kommen darf.« Es ist in der letzten Lebensphase nur noch wenig Zeit, es ist kein Raum mehr, um mit Hilfe der sonst üblichen Beschnupperungsund Kennlernrituale über Nähe und Vertrautheit entscheiden zu lassen. Das ist auch eine der größten Fähigkeiten dieser aufeinandertreffenden Menschen: Die Sterbenden können, weil sie es müssen, sich jemand anderem anvertrauen, sie sind verwiesen auf Hilfe und Anteilnahme. Die Helfenden können sich vorbehaltlos jemandem widmen, weil sie es aus sich heraus möchten und weil sie die Erfahrung haben, dass es mit beinahe jedem Menschen möglich ist, schnell in eine zuverlässige Beziehung treten zu können, unabhängig von der verbleibenden Zeit oder den Umständen. Die einen brauchen Menschen, denen sie vertrauen können, die anderen sind Menschen, die vertrauenswürdig sind. Somit kann »professionelle Distanz« nicht das sein, was wir wollen und was beiden Seiten auch nur annähernd gut tun könnte. Natürlich besteht immer die Gefahr, dass Hilfebedürftige ihre Helferin über Gebühr in Anspruch zu nehmen versuchen, da sie sonst keinen Menschen zu haben scheinen, der sich für sie und ihre Belange einsetzt. Natürlich gibt es unter den Engagierten immer wieder solche, die grenzenlos zur Verfügung stehen, weil es ihnen selbst zunächst gut tut, sich als hilfreich und gebraucht zu erleben, bevor es dann möglicherweise kippt, sie sich erschöpft und vielleicht sogar ausgenutzt fühlen. War da womöglich nicht genügend professionelle Distanz im Spiel? Wenn es nicht »professionelle Distanz« ist, die wir wollen, wie können Helfende dann gesund bleiben in ihrem Engagement für sterbende Menschen und ihre Angehörigen? Natürlich ist es wichtig, von Seiten des Arbeitgebers, des Hospizvereins oder sonstigen Auftraggebers Entlastung zu erfahren – Besprechungen, Supervisionen, Gruppenabende, Fortbildungen …, die helfen, das Erlebte zu betrachten, zu reflektieren und Strategien für den weiteren Weg zu entwickeln. Auch je persönlich sind Freizeitbeschäfti-

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gungen, die der Entlastung und gleichzeitig der Stärkung dienen, unerlässliche Möglichkeiten der Gesunderhaltung und auch der Erhaltung der Motivation für den gewählten Dienst. So gibt es Menschen, die sich eher in die Meditation, ins Schreiben oder Musizieren zurückziehen, oder solche, die sich bewegen, »auspowern«, um dadurch manches »loszuwerden« und neue Kräfte zu tanken. Professionelle Nähe statt professioneller Distanz – was ist das? Auf jeden Fall gibt es wohl keinen Menschen in der Hospiz- und Palliativversorgung, der sich für seine Aufgabe entschieden hat, um Menschen darin fernzubleiben. Es geht vielmehr darum, eine Nähe aufzubauen und zuzulassen, die mit Gesundheit und Erfüllung vereinbar ist. Wenn Nähe das ist, was wir besonders gut und verlässlich aufbauen können, so ist es ja nur folgerichtig, diese Nähe zur Grundlage unseres Tuns und Seins zu machen – denn Nähe, davon ist auszugehen, ist das, was Helfende und Hilfebedürftige zufrieden macht. Nahe, »gute« Begegnungen am Lebensende werden von beiden Seiten als kostbar und tragend erlebt. Nähe muss also erlaubt sein dürfen und muss ihrerseits Merkmale für Professionalität haben, um nicht »unprofessionell« zu sein. Solche Merkmale könnten sein: Ich weiß stets, wo ich aufhöre und die andere Person anfängt – ich vermische nicht unser beider Leben und unser beider Bedürfnisse. Ich bin ganz da, wenn ich da bin. Aber wenn ich nicht im Dienst oder in der Begleitung bin, lebe ich mein Leben und weiß, dass meine Kollegen und Mitstreiter/-innen es genauso gut machen werden wie ich. Ich bin nicht die Erlöserin, die Beglückerin, die »allein Seligmachende«. Ich bin eine von unterschiedlichen Personen, die sich mit all ihrer Fachlichkeit und Menschlichkeit bemühen, dem sterbenden Menschen und seinen Angehörigen Unterstützung, Verlässlichkeit, erlebte Solidarität und wirksame Hilfe zu vermitteln.

Ganz sicher fühlen Hilfebedürftige sich überdies auch gut und schnell verstanden und müssen nicht ihr Anliegen bei der nächsten und übernächsten Person wieder vortragen – so sparen Zugewandtheit, Interesse am Gegenüber und das ehrliche Bemühen um den anderen also Zeit und somit, was ja immer wichtig ist, auch Geld. Es braucht nicht den Besuch bei mehreren Ärzten und Ärztinnen, Beratungsstellen, Pflegediensten oder sonstigen Einrichtungen, um sich gesehen und ernstgenommen zu fühlen mit den eigenen Nöten und Anliegen. Nähe ist ergiebiger als Distanz, so könnte eine These lauten. Deshalb kann Nähe als professionell gelten. Nach meiner ersten Publikation dazu (Kränzle 2010) bekam ich sehr viele und erfreute Zuschriften zu meinem Aufruf, den Begriff »professionelle Distanz« zu ersetzen durch »professionelle Nähe«, weil viele Helfende sich genauso unwohl damit gefühlt hatten, sich unprofessionell fühlen zu sollen, weil sie Menschen in deren letzter Lebenszeit echt und nahe begegnet waren und dies auch noch als gut empfunden hatten. So bekräftige ich meinen Aufruf gern: Lassen Sie es uns nicht nur in unserer Haltung, sondern auch in unserer Sprache zum Ausdruck bringen, dass Nähe gewünscht, effektiv und absolut zielführend ist, eben professionell – die professionelle Nähe. Susanne Kränzle ist Palliativpflegefachkraft und seit 1994 in der Hospizarbeit tätig. Sie schloss den Masterstudiengang Palliative Care und Organisationsethik an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt | Wien – Graz ab. Im Hospiz Esslingen hat sie die Gesamtleitung inne und ist außerdem die Vorsitzende des Hospiz- und PalliativVerbands Baden-Württemberg e. V. E-Mail: [email protected] Literatur Kränzle, S. (2010). Professionelle Distanz? Streichen! In: Praxis PalliativeCare, 9, S. 48. Kränzle, S.; Schmid, U.; Seeger, C. (Hrsg.) (2014). Palliative Care  – Handbuch für Pflege und Begleitung. 5., aktualisierte und erweiterte Auflage. Berlin und Heidelberg.

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Modelle multiprofessionellen Arbeitens Jan Gramm Was heißt Professionalisierung der Palliativversorgung? Inwiefern hat Professionalisierung mit Profession zu tun? Was bedeutet es, wenn sich eine Berufsgruppe hinsichtlich eines Fachgebiets professionalisiert? Ist Palliativversorgung nur dann professionell, wenn sie multiprofessionell ist? Und ist multiprofessionelle Palliativversorgung erst dann professionell, wenn alle beteiligten Berufsgruppen professionalisiert sind? Welche Konsequenzen hat es, wenn unterschiedliche Professionen sich in einem Fachgebiet vereinen? Und wie kann multiprofessionelles Arbeiten aussehen? Multi Professionalität Palliativ heißt »ganzheitlich« Die Bedarfe und Bedürfnisse von Sterbenden und ihrer Zugehörigen wurden und werden im Gesundheitssystem nicht genügend berücksichtigt, weshalb sich das neue Fachgebiet der Palliativversorgung herausgebildet hat. Palliative Care zeichnet sich von Beginn an durch einen ganzheitlichen Ansatz aus. Menschen am Lebensende sind durch eine besonders hohe Verletzlichkeit gekennzeichnet, die alle Dimensionen unseres Daseins umfasst. Entsprechend ist der bio-psycho-sozio-spirituelle Ansatz auch in der WHO-Definition von Palliative Care enthalten, und zwar in der Weise, dass auf allen vier Ebenen Probleme auftreten können, aber auch auf allen vier Ebenen behandelt wird (Abbildung 1). Dieser multidimensionale Ansatz bezieht sich sowohl auf das Verständnis von Symptomgeschehen und Behandlungszielen als auch auf die Behandlungsformen.

  Probleme    

     

körperlich    psychisch    sozial    spirituell

 Behandlung

körperlich   psychisch    sozial    spirituell

Abbildung 1: Die vier Dimensionen der WHO-Definition von Palliative Care treten sowohl auf der Problemseite als auch auf der Behandlungsseite auf und interagieren vielfältig.

Palliative Professionalisierung erfolgt multiprofessionell Die Entstehung eines neuen Fachgebiets geht immer auch mit Spezialisierung und Differenzierung einher: Spezialisierung und Differenzierung des Wissens und der Fertigkeiten, aber auch Differenzierung der Organisiertheit bis hin zur Ausdifferenzierung in einzelne Teilgebiete. Dies bedeutet auch, dass sich Identitätsbildung vollzieht, sich ein berufliches Selbstverständnis ausbildet. Automatisch werden dadurch Unterschiede festgestellt und Abgrenzungen vollzogen. Gleichzeitig werden alte Grenzen überschritten, Ähnlichkeiten mit anderen Fachgebieten festgestellt und erörtert, Wissen zusammengeführt und neue Denk- und Handlungsmodelle entwickelt. Manchmal entstehen daraus ganz neue Berufsbilder, manchmal drückt sich die Spezialisierung in der Etablierung spezifischer Weiterbildungen aus. Es entstehen Fachgesellschaften, welche Ausund Weiterbildungscurricula entwickeln, Zertifizierungsrichtlinien erarbeiten, Strukturen schaffen, Berufspolitik betreiben etc.

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 41–48, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

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Innerhalb des sich neu formierenden Fachgebiets können unterschiedliche Strömungen auch miteinander konkurrieren, was sich beispielsweise in den Definitionen niederschlägt, die als Identifikationsmarker und Richtungsweiser festgelegt werden. Hierbei spielen durchaus Machtpositionen und -verhältnisse eine nicht unwesentliche Rolle. Um Sterbende nicht nur auf körperlicher Ebene, sondern auch hinsichtlich ihrer psychischen Verfassung, ihrer sozialen Eingebundenheit und ihrer spirituellen Verortung begleiten zu können, wurden entsprechend ausgerichtete Professionen in die Palliativversorgung einbezogen. Im Verlauf der Professionalisierung des Fachgebiets spezialisierten sich auch die eingebundenen einzelnen Professionen. Dies äußert sich etwa durch die Gliederung der Fachgesellschaft DGP (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin) in unterschiedlichen Berufsgruppen zugeordnete Sektionen, durch die Etablierung berufsgruppenspezifischer Weiterbildungscurricula oder durch die Formulierung spezifischer Berufsbilder. Inzwischen ist der Palliativgedanke nicht nur in der Medizin in Form eines eigenen Querschnittsbereichs im Studium angekommen, sondern wurde beispielsweise auch als eigenes psychologisches Berufsbild in den Katalog der Tätigkeitsfelder des Berufsverbands Deutscher Psychologen aufgenommen. Je stärker sich der Professionalisierungsprozess bei allen in die Palliativversorgung eingebundenen Professionen vollzieht, desto ausgeprägter wird der Aspekt der Multiprofessionalität. Und zwar nicht nur als proklamiertes Leitbild, sondern auch in Form von Auseinandersetzungen und Diskussionen sowohl auf inhaltlicher wie auch auf organisatorisch-struktureller Ebene. Ausdruck dessen mag sein, dass nun innerhalb der Fachgesellschaft eine Debatte über die richtige Begrifflichkeit geführt wird, mit welcher sich alle Berufsgruppen identifizieren können: Sind wir Palliativmedizin, Palliative Care oder Palliativversorgung? In den Formulierungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen – seien es die SAPV-Richtlinie

(Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung), die betreffenden OPS-Ziffern (Operationen- und Prozedurenschlüssel) oder das Hospiz- und Palliativgesetz – schlägt sich der multiprofessionelle Geist zwar bislang nicht nieder, denn hier werden fast ausschließlich Palliativmedizin und Palliativpflege berücksichtigt. Über kurz oder lang wird die Professionalisierung der Palliativversorgung jedoch multiprofessionell erfolgen. Multi – Inter – Trans? Eine Begriffsklärung Indem unterschiedliche Berufsgruppen miteinander arbeiten, bereichern sie sich gegenseitig, es ergeben sich jedoch auch Reibungspunkte. Denn es treffen unterschiedliche berufliche Sozialisationen, unterschiedliche Fachsprachen, unterschiedliche Kommunikations- und Umgangskulturen, unterschiedliche Denkweisen aufeinander. Die Frage ist nun, welcher Begriff dieses Zusammenwirken oder Zusammenarbeiten mehrerer Fachgebiete am besten beschreibt. »Multiprofessionalität« meint, dass mehrere Professionen eingebunden sind. »Interdisziplinarität« bedeutet, dass unterschiedliche Fachgebiete involviert sind. Durch das Präfix »Inter-« wird angezeigt, dass nicht nur unterschiedliche Professionen und Disziplinen beteiligt sind, sondern dass diese auch intensiv miteinander arbeiten. Das Präfix »Trans-« drückt ein noch höheres Integrationsniveau aus, indem die beteiligten Disziplinen oder Professionen sich gegenseitig durchdringen. In der Palliativversorgung ist gängigerweise von »Multiprofessionalität« die Rede. Allerdings zieht die Einbindung unterschiedlicher Berufsgruppen nicht zwingend ein intensives Miteinanderarbeiten nach sich, und die Professionen müssten auch nicht unbedingt aus unterschiedlichen Fachgebieten stammen. Korrekterweise sollten wir also von einem interdisziplinären multiprofessionellen Team sprechen, das interprofessionell – stellenweise auch transprofessionell – arbeitet. Was heißt »interdisziplinäres interprofessionelles Arbeiten« nun konkret für die Palliativversor-

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M o d e l l e m u l t i p r o f e s s i o n e l l e n A r b e i t e n s    4 3

gung? Was heißt es – oder was könnte es heißen –, dass beispielsweise psychologische und spirituelle Standpunkte Einzug halten in eine eindeutig medizinisch dominierte Landschaft? Modelle dienen zur Orientierung, indem sie ausgewählte Aspekte abstrahieren, den Blick für bestimmte Aspekte schärfen und so unser Denken und unsere Handlungsmöglichkeiten erweitern. Die hier vorgestellten Modelle mögen als Anregung zur Ausgestaltung und Umsetzung des bio-psycho-sozio-spirituellen Ansatzes in der Alltagspraxis der Palliativversorgung dienen. Multidimensionalität: Von Bereichen zu Ebenen In vielen Lehrbüchern und Artikeln zur Palliativversorgung wird die Mehrdimensionalität des palliativen Blicks als das Ineinandergreifen von vier Bereichen dargestellt (Abbildung 2). Auch Cicely Saunders’ Konzept von »total pain«, welches ja auch das Zusammenspiel dieser vier Dimensionen beinhaltet, wird oft auf diese Weise visualisiert. Durch die kleeblattartige Anordnung der Kreise soll ein ganzheitlicher Blick symbolisiert werden.

Abbildung 2: Das Bereichemodell wird oft verwendet, um die Vierdimensionalität des bio-psycho-sozio-spirituellen Ansatzes zu veranschaulichen.

Die Darstellung als vier Kreise, die sich teilweise überschneiden, suggeriert, dass es Teilgebiete gäbe, die von einer der Dimensionen allein beschrieben oder erfasst würden. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass jegliches begriffliche Denken ein Wirklichkeitskonstrukt darstellt, dann wird klar, dass jedes Phänomen immer alle Dimensionen beinhaltet. Es gibt nichts, was rein körperlich oder rein psychisch oder rein sozial oder rein spirituell wäre. Um die Ganzheitlichkeit des bio-psycho-sozio-spirituellen Ansatzes treffender darzustellen, soll hier eine alternative Darstellungsweise vorgestellt werden. Hierzu übertragen wir die vier Kreise aus der flächigen Anordnung in den Raum: Indem wir die vier Kreise übereinanderlegen und dann um 90 Grad drehen, erhalten wir eine Säule mit vier Scheiben oder Ebenen. Wir können dieses Modell nun weiter ausdifferenzieren, indem wir die einzelnen Ebenen jeweils in Segmente unterteilen (Abbildung 3a). Diese Segmente symbolisieren verschiedene Phänomene – etwa Schmerzerleben, Lebenssinn, Wundsituation, Stimmungslage etc. Jedes Phänomen bildet sich als Segment auf jeder Ebene ab, aber in unterschiedlicher Gewichtung (Abbildung 3b). Das bedeutet, dass bei jedem Phänomen, jedem Symptom, das uns in der Behandlung begegnet, alle vier Ebenen mitschwingen. Es wäre dann nicht erst dann ein Psychologe oder ein Seelsorger hinzuzuziehen, wenn die Schmerzmedikamente nicht ausreichend wirksam sind (»das ist jetzt total pain«), sondern es müsste schon zu Behandlungsbeginn erwogen werden, welche Ebene bei den auftretenden Phänomenen beziehungsweise Symptomen in welcher Ausprägung von Bedeutung ist (in Abbildung 3c zeigt sich dies durch die jeweilige Farbmischung der einzelnen Segmente, wenn man von oben auf die Säule schaut). Zweifellos ist dies der eigentliche Sinn der multiprofessionellen Teambesprechungen. Allerdings ist die Frage, mit welcher Intensität und mit welcher Kompetenz die einzelnen Ebenen thematisiert werden: Wie kann die soziale Dimension

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beurteilt werden, wenn keine systematische Informationserhebung über die familiäre Situation etabliert ist? Was sagt der Vermerk »ist katholisch, geht aber nicht in die Kirche« über die Bedeutung der spirituellen Dimension für einen Patienten aus? Um wirklich ganzheitlich behandeln zu kön-

nen, braucht es eine Beurteilungs- und Sprachfähigkeit für jede einzelne Ebene. Darüber hinaus braucht es noch den Willen, eine solch aufwändige multidimensionale Symptombeurteilung auch bei hoher Patientenzahl bei gleichzeitigem Personalmangel aufrechtzuerhalten.

Abbildungen 3a, 3b, 3c: Das Ebenenmodell (a) verdeutlicht den ganzheitlichen Gedanken, indem alle Phänomene in unterschiedlicher Gewichtung auf allen vier Ebenen abgebildet werden (beispielhaft in b). In der Draufsicht (c) färben sich die Segmente in unterschiedlichem Mischungsverhältnis der Ebenen.

Multiprofessionalität: Perspektiven verschiedener Experten Bedeutet der ganzheitliche Blick, das Einbeziehen aller vier Dimensionen, denn zwingend die Hinzunahme weiterer Berufsgruppen? Können nicht Ärzte und Pflegekräfte sich in palliativer Hinsicht professionalisieren, indem sie zu Generalisten werden, die eben nicht nur vorwiegend die körperliche Ebene, sondern ebenso die psychische, die soziale und die spirituelle Ebene miteinbeziehen? Das folgende Modell soll verdeutlichen, warum dies eher dem Bereich der Allmachts- und Größenfantasien zuzuordnen ist. Der Gegenstand der Betrachtung, zum Beispiel ein Symptom eines Patienten, wird hier durch

einen relativ komplexen Gegenstand symbolisiert (Abbildung 4; wobei der Gegenstand hier noch recht einfach ist, da es sich um ein geometrisches und symmetrisches Objekt handelt – den Polyeder aus Albrecht Dürers »Melencolia I«). Dieser Gegenstand wird nun aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, wobei zur Kennzeichnung der Unterschiedlichkeit auch verschiedenfarbiges Licht eingesetzt wird. Vom blauen Standpunkt aus wird der Gegenstand aus einer völlig anderen Perspektive wahrgenommen als vom grünen, gelben oder roten Standpunkt aus. Genauer: Es wird jeweils ein völlig anderer Gegenstand wahrgenommen! Wie der Gegenstand »wirklich« beschaffen ist, kann nur durch Verständigung zwischen den Standpunkten erarbeitet werden, wobei das

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M o d e l l e m u l t i p r o f e s s i o n e l l e n A r b e i t e n s    4 5

gemeinsam erarbeitete Bild umso näher an den »echten« Gegenstand heranreicht, je mehr unterschiedliche Perspektiven hinzugezogen werden. Voraussetzung dafür ist, dass es ein Bewusstsein dafür gibt, dass die eigene Perspektive per se begrenzt ist und dass man die Sprache des anderen Standpunktes überhaupt versteht oder es eine gemeinsame Sprache gibt. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, kann es leicht passieren, dass der Gegenstand eindimensional wahrgenommen und behandelt wird. Oder wie es so treffend heißt (Paul Watzlawick zugeschrieben): »Für den, der als Werkzeug nur einen Hammer hat, ist jedes Problem ein Nagel«. Nun mag man einwenden, dass auch eine einzige Person unterschiedliche Perspektiven einnehmen könne. Sicher ist eine Erweiterung der eigenen Perspektive anzustreben. Aber was heißt es in aller Konsequenz, beispielsweise eine psychologische Perspektive einzunehmen? Eine psychologische Perspektive basiert auf psychologischem Wissen: über Funktionsweisen der menschlichen Psyche, über verschiedene Persönlichkeitstypen, über unterschiedliche Verarbeitungs-/Abwehrme-

chanismen, über Entwicklungsphasen, über Kommunikationsmechanismen etc. Darüber hinaus gibt es auch ein psychologisches Grundverständnis des Lebens, das stark von Interaktivität und Prozessualität gekennzeichnet ist: So ist beispielsweise Angst nicht nur ein Zustand, sondern vor allem auch eine Reaktion auf die Situation, abhängig von unseren inneren Bildern, Bedürfnissen, Erfahrungen und Copingstrategien. Und Angst ist auch etwas, das wir ein Stück weit durchleben wollen, um daran zu wachsen, das wir – als autonome Wesen – selbst bewältigen wollen. Die psychologische Reaktion auf Angst heißt nicht in erster Linie »Tavor«, sondern beispielsweise Konkretisierung und Bewältigung durch Konfrontation in einer Sicherheit und Halt gebenden Beziehung mit einem therapeutischen Gegenüber, das über entsprechendes Wissen und Methodenkompetenz verfügt und das durch geleitete Selbsterfahrung im Rahmen des beruflichen Werdegangs bezüglich dieser Themen einen hohen Grad an Reflexionsfähigkeit erlangt hat. Dieser Prozess findet natürlich nur dann statt, wenn der Betroffene überhaupt um die Möglichkeit einer solchen Begleitung weiß, zu diesem Prozess fähig ist und diesen auch eingehen möchte. Unterschiedliche Perspektiven unterscheiden sich also nicht nur in der Wahrnehmung der Phänomene, sondern es ergeben sich auch andere Handlungsmöglichkeiten. Manche Phänomene können überhaupt nur aus einer bestimmten Perspektive wahrgenommen werden: Wenn ich kein Wissen über den Kaliumhaushalt im Körper habe, keine Messinstrument zur Verfügung habe und

Abbildung 4: Das Perspektivenmodell veranschaulicht die Unterschiedlichkeit in der Wahrnehmung und Beurteilung eines Phänomens abhängig vom Standpunkt (zum Beispiel der Profession). Ein annähernd realistisches Bild ergibt sich nur aus dem Zusammenspiel aller Perspektiven.

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die Ergebnisse nicht interpretieren kann, komme ich auch nicht auf die Idee, dass der beobachtbare schlechte Allgemeinzustand des Patienten in einem entgleisten Kaliumgehalt seinen Grund haben kann. Ein Standpunkt oder eine Perspektive wird umso bedeutsamer, je stärker ausgeprägt das Wissen, die Fertigkeiten und die Reflexivität sind. Man spricht dann von Expertentum. Jede Berufsgruppe in einem multiprofessionellen Team bringt ihre eigene Expertise mit. Diese kann nicht einfach durch andere Berufsgruppen erbracht oder ersetzt werden. Da die Palliativversorgung in weiten Teilen eine medizinisch-pflegerische Domäne ist, heißt das übertragen auf das Perspektivenmodell, dass das Licht der entsprechenden Standpunkte sehr stark leuchtet, während die anderen Standpunkte den Gegenstand nur schwach beleuchten. Entsprechend wird der Gegenstand medizinisch-pflegerisch interpretiert. Auch die Verständigungssprache ist überwiegend medizinisch – was Psychologen, Seelsorger oder Musiktherapeuten äußern, wirkt da teilweise recht fremd und unverständlich. Will die Palliativversorgung ihrem Anspruch gerecht werden, den Patienten und sein soziales Umfeld bestmöglich auf allen Ebenen zu begleiten und zu behandeln, so sind eine verstärkte Einbindung weiterer Experten und die Entwicklung einer interprofessionellen Teamkultur unerlässlich. Interprofessionalität: Kompetenzbereiche und Tätigkeitsprofile Für die Frage der optimalen Zusammensetzung eines Palliativteams braucht es den Abgleich, welche Expertisen, welche Kompetenzen erforderlich sind, um die spezifischen Tätigkeiten palliativer Versorgung abzudecken. Ein letztes Modell soll hierzu Anregungen geben. Da es hier um die alltägliche Arbeit geht, wird hiermit Interprofessionalität angesprochen (wobei es sich eigentlich weniger um ein Modell als vielmehr um ein Forschungskonzept handelt).

Das Kompetenzbereichs-Modell (Abbildung 5) würde in seiner endgültigen Form sehr viel mehr Achsen aufweisen, als hier abgebildet sind. Jede Achse in diesem Netzdiagramm steht für einen Tätigkeitsbereich (Schmerzbehandlung, Organisation von Hilfen, Angehörigenbegleitung, Angehörigenanleitung, Pflege, Wundbehandlung, Prognosestellung, Dokumentation, Koordination, Personalführung, Kostenverhandlung, Medikation, Angstbehandlung, Konfliktmoderation, Krisenintervention etc.). Auf der Achse wird jeweils das Kompetenzniveau nach außen aufsteigend angegeben. Für verschiedene Berufsgruppen können nun Kompetenzprofile angelegt werden, indem die berufsspezifische Kompetenz für den jeweiligen Tätigkeitsbereich festgelegt wird (die in Abbildung 5 eingetragenen Ausprägungen stellen keine realistische Einschätzung dar, sondern haben nur exemplarischen Charakter). Für manche Tätigkeitsbereiche sind nur eine oder zwei Berufsgruppen qualifiziert (etwa für Forschung), für manche alle (etwa für Krisenintervention). In Anlehnung an das Ebenenmodell und das Perspektivenmodell würde es bei manchen Tätigkeitsbereichen nicht ausreichen, wenn nur eine Profession hohe Kompetenzwerte aufwiese, sondern es müssten alle für eine multidimensionale ganzheitliche Behandlung nötigen Professionen vorhanden sein (etwa bei Symptomkontrolle). Eine grundlegende Erfassung aller für die Palliativversorgung relevanter Tätigkeitsbereiche und deren konsequente Zuordnung zu den jeweils dafür kompetenten Berufsgruppen würde womöglich zu Konflikten mit den bestehenden Strukturen der Gesundheitsversorgung führen, etwa was die Besetzung von Führungspositionen anbelangt. Wenn Tätigkeiten von dafür nicht qualifizierten Personen durchgeführt werden, erfolgt dies zum einen sicher nicht in der bestmöglichen Qualität im Sinne von Professionalität, zum anderen steigt dadurch der Belastungspegel derer, die sich fachfremde Tätigkeiten per »learning by doing« aneignen.

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M o d e l l e m u l t i p r o f e s s i o n e l l e n A r b e i t e n s    4 7

Symptomkontrolle Krisenintervention

Lehre, FB

Prognosestellung

Forschung

TeamFührung

Pflege

Administration Koordination

Organisation von Hilfen AngehörigenBegleitung

Arzt Pflege Physiotherapie Psychologe Sozialarbeit Seelsorge

Abbildung 5: Im Kompetenzbereichs-Modell werden Tätigkeitsbereiche als Achsen dargestellt. Aufgrund unterschiedlicher Ausprägung der professionsspezifischen Kompetenz auf jeder Achse ergeben sich Kompetenzprofile für verschiedene Berufsgruppen.

Das interprofessionell arbeitende interdisziplinäre multiprofessionelle Team Zusammengefasst legen die hier vorgestellten Modelle multiprofessionellen Arbeitens folgende Schlussfolgerungen nahe: • Multiprofessionalität ist unabdingbar für eine multidimensional ausgerichtete Palliativversorgung. • Multiprofessionalität bedeutet Multiperspektivität interdisziplinären Expertenwissens. • Interprofessionelles Arbeiten basiert auf dem Zusammenwirken professionsspezifischer Kompetenzprofile, was tradierte Rollenverteilungen in Frage stellt.

Eine gut funktionierende Multiprofessionalität braucht: • Eine funktionierende Kommunikation, welche charakterisiert ist durch ӹӹ gegenseitiges Verstehen der verschiedenen Professionen hinsichtlich der unterschiedlichen Sprachen und der Arbeitskultur, ӹӹ eine »Streitkultur«, welche sachliche Auseinandersetzungen ohne persönliche Verletzungen erlaubt (positive Fehlerkultur), ӹӹ Wertschätzung, Respekt, Offenheit und Toleranz, ӹӹ Kenntnis der Kompetenzen und der Arbeitsweisen der anderen Professionen und Transparenz hinsichtlich der eigenen Arbeitsweise,

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ӹӹ Klarheit über die Tätigkeitsprofile der einzelnen Professionen, ӹӹ Wissen um die eigenen (berufsspezifischen) Grenzen, ӹӹ ein Sich-verbunden-Wissen über alle berufsspezifischen Grenzen hinweg. • Eine geregelte Finanzierung aller beteiligten Professionen. • Führungskräfte, die kompetent in Personalführung, Teamentwicklung und Organisationsentwicklung sind. Die also wissen, dass ein Team nicht einfach von allein funktioniert, dass ihr Blick nicht nur auf die Patienten gerichtet sein darf, sondern ebenso auf das Team. Wobei sich auch die Frage stellt, ob ein interdisziplinäres multiprofessionelles Team auch eine multiprofessionelle Führung benötigt.

imago / Jochen Tack

Die konsequente Umsetzung von Multiprofessionalität in der Hospiz- und Palliativversorgung bedeutete konkret, dass zum Beispiel in den OPS-Ziffern zur Palliativversorgung die nichtmedizinisch-pflegerischen Berufsgruppen nicht mehr als austauschbares Konglomerat erwähnt würden, sondern einzeln als obligatorische Bestandteile eines Palliativteams in Erscheinung träten; was eine Festlegung entsprechender Stellenschlüssel sowie ein Finanzierungskonzept nach sich zöge. Um Multiprofessionalität in diesem Sinne etablieren zu können, braucht es die Offenheit und das Wollen derer, die die Definitions- und Entscheidungsmacht innehaben – und deren Bereitschaft, von dieser Macht abzugeben. Dipl.-Psych. Jan Gramm, Palliativpsychologe und Supervisor. Tätig in der ambulanten Palliativversorgung sowie als Dozent und Kursleiter in PalliativeCare-Kursen. Geschäftsführer des Instituts für Palliativpsychologie in Frankfurt a. M. E-Mail: [email protected]

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Diagnose »Anhaltende Trauerstörung« Ausgrenzung des Ehrenamts in der Trauerbegleitung?

Urs Münch und Jan Gramm Wenn ein geliebter, nahestehender Mensch stirbt, ist Trauer die angemessene Reaktion. Trauer kann auf vielfältige Weise auftreten und sich zeigen. Selbst ein einzelner Mensch kann sehr unterschiedliche Phasen einer Trauer durchleben. Diese Reaktion ist natürlich, nachvollziehbar und notwendig. Sie Bedarf ihres Raumes und ihrer Zeit. Jede Gesellschaft hat ihre Tradition und ihren Umgang mit Trauer und gibt Normen vor, in denen Trauer ihren Platz hat. In unserer Gesellschaft haben durch die vielfältigen Veränderungen der letzten 120 Jahre viele dieser Regeln ihre kulturelle Bedeutung verloren, stellen keine verbindliche Norm mehr dar, sind inzwischen oft unbekannt. Dieser Entwicklung wirkten die größtenteils ehrenamtlich erbrachten Angebote zur Trauerbegleitung, Trauergruppen und Trauercafés entgegen. Sie haben den Bedarf nach individueller Verarbeitung und Unterstützung aufgefangen und zu einer zunehmenden Enttabuisierung und Förderung einer gesellschaftlichen Akzeptanz beigetragen. Diese Bewegung verdient gesamtgesellschaftlich höchste Anerkennung und Wertschätzung. Trauer als normale und notwendige Reaktion, als heilsame Kraft in das gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken, eröffnet den sozialen Schutzraum, in dem betroffene Menschen Unterstützung, Halt und Verständnis finden, anstatt funktionieren zu müssen. Wie viel Überzeugungsarbeit, Idealismus und Durchhaltevermögen hat es gekostet, diesen teils sehr mühseligen Weg zu gehen, um zu dem zu kommen, was heute schon erreicht worden ist. Umso verständlicher sind die durchaus vehementen Reaktionen darauf, dass es im ICD-11,

in der Neuauflage der international gültigen Krankheitsklassifikationen der WHO, eine psychiatrische Diagnose im Kapitel F geben soll, die an Trauernde vergeben werden kann: die Diagnose der »Anhaltenden Trauerstörung«. Die Reaktionen auf den Punkt gebracht trifft folgende Aussage: »Kaum haben wir es gerade halbwegs geschafft, Trauer als normal und gesund in der Gesellschaft zu etablieren, soll sie nun aus medizinisch-psychiatrischer Perspektive als Krankheit und Störung stigmatisiert werden.« Trauer als diagnostizierbare Krankheit erlaube wieder Diskriminierung und Ausgrenzung. Manch einer spricht hinter vorgehaltener Hand oder offen darüber, dass sich anscheinend Psychiater und Psychotherapeuten auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern die Trauer unter den Nagel reißen wollen. Mögliche Diskriminierung Betroffener würde so in Kauf genommen werden, damit auch dieses Feld in den Kanon professioneller Behandlungen eingegliedert werden kann. Wir haben gerade in diesem Land leidvolle Erfahrung mit Diskriminierung und Ausgrenzung sammeln müssen. Jede diesbezüglich sensible und sorgenvolle Reaktion hat ihre historische Berechtigung. Vor diesem Hintergrund stellen sich im Grunde folgende zwei Fragen, deren Beantwortung es sich anzunähern gilt: • Wird Trauer nun pathologisiert und damit auch stigmatisiert? • Ist diese Diagnose das Aus für die bisher erfolgreiche, wichtige und hilfreiche Arbeit der (ehrenamtlichen) Trauerbegleitung?

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 49–55, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

5 0   U r s M ü n c h u n d J a n G r a m m

Trauer: Normal oder krankhaft?

© m.schröer

In einer Stellungnahme des Deutschen Hospizund Palliativverbandes (DHPV) zur Diagnose einer Anhaltenden Trauerstörung (DHPV, 2016) wird Trauer als natürlicher Prozess dargestellt und soll grundsätzlich von krankhaften Zuständen abgegrenzt werden. Es wird die Sorge formuliert, dass anhaltende Trauer insgesamt pathologisiert wird, wenn bestimmte Formen davon als krank-

haft eingestuft werden. Aus psychologischer Sicht ist Trauer ein emotionaler Zustand, der hilft, mit einem bedeutsamen Verlust zurechtzukommen, ihn zu verarbeiten und dann zu einem Weiterleben in der Gesellschaft fähig zu sein. Emotionen wie Freude, Trauer, Wut oder Angst sind allesamt Ausdruck unserer menschlichen Lebendigkeit. Sie beeinflussen unser Erleben und Handeln auf grundlegende Weise und erfüllen wichtige Funktionen.

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Angst etwa ist unverzichtbar für die Sicherung unseres Überlebens. Ohne Angst fühlen zu können, vermögen wir kein Risiko einzuschätzen. Sie führt dazu, dass wir unseren Alltag mit der notwendigen Vorsicht bestreiten. Wie die Trauer so stellt sich auch die Angst individuell sehr unterschiedlich dar: wie Angst empfunden wird, wovor Menschen Angst haben und wie risikobereit sie sind. Und wie die Trauer so ist auch die Angst eine normale und hilfreiche Emotion. Es ist gut, Angst empfinden zu können. Dennoch gibt es Diagnosen, die gewisse Formen der Angst beschreiben. Sie können vergeben werden, wenn Ängste die Lebensführung und Lebensqualität so sehr beeinflussen, dass der Alltag über einen längeren Zeitraum oder dauerhaft nur eingeschränkt bis gar nicht funktioniert. Die Diagnose einer Angststörung stellt nicht in Frage, dass Angst als Emotion an sich normal, sinnhaft und hilfreich ist. Vereinfacht hilft es, sich Angst als ein Kontinuum vorzustellen: Die Ausprägung macht den Unterschied und es gibt Ausprägungen, die Betroffene und zum Teil auch deren Umfeld verzweifeln lassen. Wenn zum Beispiel ein Mensch aus lauter Angst, dass er eine Panikattacke bekommen könnte, nicht mehr aus dem Haus geht. Oder wenn er für jeden Weg von Angehörigen gefahren werden muss, weil weder das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel noch selbst am Steuer eines Autos Sitzen möglich ist. Bei stark ausgeprägten Angststörungen dreht sich alles nur noch um die Angst beziehungsweise um die Vermeidung angstbesetzter Situationen. Die Angst diktiert den Alltag des gesamten Systems. Es gibt dann auch wenig andere Gesprächsthemen für einen Betroffenen, was es für Angehörige und Nahestehende ebenfalls nicht leicht macht. Eine offizielle Anerkennung als Störung hilft hier, dass eine professionelle Behandlung stattfinden und bezahlt werden kann. Und eine erfolgreiche Behandlung stellt für den Betroffenen Menschen und das gesamte Umfeld eine Entlastung dar. Ist Trauer als Emotion da anders als unser Beispiel Angst? Ist es ganz sicher auszuschließen,

dass auch hier Formen der Trauer möglich sind, die dazu führen, dass Menschen dauerhaft oder über einen sehr langen Zeitraum in ihrem Alltag eingeschränkt sind und entweder sie selbst und/oder ihr Umfeld verzweifeln? Professionelle im stationären oder ambulanten psychotherapeutischen Bereich können bestätigen, dass diese Menschen auch jetzt schon  – ohne entsprechende ICD-Diagnose – in Behandlung sind. Mal unter dem Etikett der Anpassungsstörung, mal unter dem der akuten Belastungsreaktion oder Depression. Trauer als Diagnose Auch innerhalb der Forschungsgemeinde wird kontrovers über Sinn und Nutzen einer Diagnose bei schwierigen Trauerverläufen diskutiert. Gleichzeitig besteht Einigkeit darin, dass sich Trauerverläufe beschreiben lassen, die dysfunktional und deshalb behandlungsbedürftig sind. Geprägt wurden unterschiedliche Begrifflichkeiten, im deutschsprachigen Raum wird oft der Begriff der Komplizierten Trauer verwendet. Rund um die Einführung der Diagnose findet sich der Begriff der Anhaltenden Trauerstörung. Beide Begriffe sollen an dieser Stelle gleichbedeutend verwendet werden. Prigerson et al. (1996) haben in einer Studie gezeigt, dass sich Komplizierte Trauer signifikant von Angst und Depression unterscheidet. Sie ist also nicht mit diesen Diagnosen in einen Topf zu werfen und bedarf in der Regel auch einer eigenen, spezifischen Behandlung. International steht die Sinnhaftigkeit und Wissenschaftlichkeit der Diagnose einer Anhaltenden Trauerstörung nicht in Frage. Die internationale Trauerforschung spricht sogar von einer längst überfälligen Notwendigkeit (­Maciejewski et al. 2016). Für welche Formen von Trauer läge denn nach dem ICD-11 nun eine Diagnose vor? International namhafte Trauerforscher um Prigerson haben im Jahr 2009 eine Studie durchgeführt, um die Diagnosekriterien für eine Anhaltenden

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Trauerstörung zu validieren und einen Kriterienkatalog nach den Anforderungen eines Klassifikationssystems zu erstellen (Prigerson et al. 2009). Auf diesem Forschungskonsens beruhend ist die Diagnose einer Anhaltenden Trauerstörung (Prolonged Grief Disorder – PGD) erarbeitet worden. Prigerson et al. sind folgendermaßen vorgegangen: Nachdem aussagekräftige und eindeutige Merkmale der PGD ausgewählt worden sind, wurde aus diesen ein objektiver und geeigneter Kriterienkatalog gebildet. Darauf basierend wurde ein optimaler Algorithmus einer Anzahl von Kriterien errechnet und das Leitsymptom festgelegt, mit Hilfe derer das Störungsbild beschrieben werden kann. Anschließend wurde evaluiert, ab welchem Zeitkriterium die Störung greifen kann. Ein solches Zeitkriterium ist in der Diagnostik üblich: Eine depressive Episode darf zum Beispiel nur diagnostiziert werden, wenn die dafür notwendigen Symptome mindestens schon über 14 Tage hinweg auftreten. Danach wurde ein Set von Diagnosekriterien im sogenannten DSM-Stil erarbeitet und dieses anschließend evaluiert. Dieses Set gliedert sich in sechs Bereiche: A – Es liegt ein Verlust vor. B – Trennungsschmerz: Sehnsucht (brennendes Verlangen) als Leitsymptom. C – Mindestens fünf von neun weiteren Symptomen (kognitiv, emotional, im Verhalten). D – Zeitpunkt der Diagnose: nicht vor mindestens sechs Monaten nach Verlust. E – Beeinträchtigungen im täglichen Leben. F – Andere psychische Störungsbilder beschreiben Zustand nicht besser. Dazu einige Erläuterungen: Das Leitsymptom »Sehnsucht« wird als brennendes Verlangen, als Ausdruck tiefen Trennungsschmerzes beschrieben. Es muss täglich auftreten beziehungsweise das Leben deutlich beeinträchtigen. Dieser Trennungsschmerz, diese Sehnsucht sollte auch als sehr quälend und belastend erlebt

werden, etwa, weil es nicht oder nur vorübergehend unter großer Kraftanstrengung möglich ist, sich davon zu distanzieren beziehungsweise das wegzuschieben. Der Stellenwert als Leitsymptom ergab sich aus den statistischen Analysen: Der Zusammenhang zwischen Trennungsschmerz und komplizierter Trauer war durchweg bei den untersuchten Personen sehr hoch. Das Leitsymptom »Sehnsucht« beziehungsweise »Trennungsschmerz« ist übrigens auch Ausdruck davon, dass die Bindungsqualität von zentraler Bedeutung für Trauerprozesse ist. Die Beachtung der Bindungsqualität ist für professionelle Unterstützung ein wichtiger Ansatz. Die kognitiven, emotionalen und Verhaltenssymptome müssen ebenfalls täglich auftreten oder das Leben deutlich beeinträchtigen. Das Zeitkriterium von mindestens sechs Monaten bedeutet nicht, dass alle diejenigen, die länger als sechs Monate trauern, als pathologisch einzustufen sind; sondern dass diejenigen, die nach ein bis zwei Jahren eine sehr hohe Belastung aufweisen, frühestens nach sechs Monaten durch Tests zur Risikoeinschätzung komplizierter Trauer herausgefiltert werden können. In den ersten sechs Monaten nach einem Todesfall kann also anhand der geschilderten Symptome nicht differenziert werden, wer mit einem hohen Risiko für komplizierte Trauer behaftet ist. Der Zahlenwert kommt aufgrund von Korrelations- und Wahrscheinlichkeitsrechnungen zustande und ist Ergebnis der Studie von Prigerson et al. (2009). Das Zeitkriterium von sechs Monaten sagt also nichts über die »normale« Dauer von Trauerprozessen aus, sondern über den frühesten Zeitpunkt für sinnvolle Diagnostik. Zweck dieses Zeitkriteriums ist nicht eine Normierung von Trauerzeit, sondern Menschen in Not möglichst früh Hilfe zukommen lassen zu können. Dennoch wird dieses Zeitkriterium zu Recht kritisch diskutiert, da die Stichprobe der Studie eine

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vorliegen, das heißt eine ausgeprägte Dysfunktionalität. Ein einigermaßen normales Leben ist also nicht mehr möglich. In der Studie traf die Diagnose einer Anhaltenden Trauerstörung letztlich auf 7 von 215 (3,3 Prozent) Personen zu, wobei hierbei bereits diejenigen nicht mitgezählt wurden, die zwar die Diagnosekriterien für eine Anhaltende Trauerstörung erfüllten, jedoch noch besser durch eine andere Diagnose, zum Beispiel Depression, beschrieben werden konnten (siehe Punkt F im Kriterienkatalog). Dies traf auf 27 Personen (11,2 Prozent) zu.

© Norbert Spang

nicht für alle Trauerfälle repräsentative Gruppe untersucht hat, nämlich vor allem Partner von Verstorbenen (84 Prozent) mit einem Altersdurchschnitt von 62 Jahren, überwiegend weiblich (74 Prozent), weiß (95 Prozent) und mit hohem Bildungsniveau (60 Prozent). Es bedarf hier also noch weiterer Forschung, zum Beispiel mit verwaisten Eltern oder in anderen Kulturen, um zu überprüfen, ob das Zeitkriterium wirklich in allen Fällen hilfreich und zutreffend ist (Wagner 2016). Beeinträchtigungen im täglichen Leben müssen ebenfalls neben den psychischen Symptomen

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Gesellschaftlicher Umgang mit psychiatrischen Diagnosen Trotz aller wissenschaftlicher Evidenzen: Die Diagnose einer Anhaltenden Trauerstörung trifft auf Vorbehalte. Man erinnert sich an psychiatrische Diagnosen, die sich ohne hinreichende Diagnostik und Validierung über Generationen hinweg gehalten haben. Man denkt aber auch an psychiatrische Diagnosen, die zu Stigmatisierungen führten. Etwa wenn eine diagnostizierte Persönlichkeitsstörung den Wechsel zu einer anderen Krankenkasse scheitern lässt. Oder wenn Menschen mit einer diagnostizierten Angststörung Diskriminierung in Rettungsstellen von Krankenhäusern erleben müssen, selbst wenn sie wegen ganz anderer Symptome kommen. Die Gesellschaft sind wir alle. Jeder von uns ist angesprochen, sich zu hinterfragen, welche Einstellung er/sie selbst zu psychiatrischen-psychosomatischen Störungen hat. Warum setzt das so viel Abwehr in Bewegung, so eine starke Notwendigkeit, sich davon abzugrenzen? Was macht das mit all denjenigen, die unter solchen Störungen leiden? Warum kann ich nicht andere so akzeptieren, wie sie sind, vor dem jeweiligen Hintergrund ihrer persönlichen lebensgeschichtlichen Entwicklung, ohne mich selbst dadurch bedroht zu fühlen? Wenn ich mich gegen eine Pathologisierung der Trauer wende, signalisiere ich dann nicht im Grunde, dass ich mich von Menschen mit Verhaltenspathologien abgrenzen möchte? Es sind letztlich alle Mitglieder der Gesellschaft gefragt, ihr Menschenbild zu reflektieren. Was gilt für den Einzelnen als normal und was als nicht normal? Aber natürlich stehen auch Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeuten in der Pflicht – zumal im Zeitalter der Gesundheitswirtschaft –, sorgsam, präzise und achtsam mit den Möglichkeiten der psychiatrischen Diagnosen umzugehen. Dazu zählt auch der bedachte Umgang mit Psychopharmaka. Benzodiazepine und Antidepressiva ohne klare Indikationsstellung, Aufklärung, Kontrolle

und Überprüfung zu verschreiben, ist fahrlässig und unmoralisch. Diese Anliegen gilt es, sich auf die Fahnen zu schreiben, wollen wir damit beginnen, die bestehenden Vorbehalte gegen Diagnosen Schritt für Schritt abzubauen. Die Bedeutung der Diagnose »Anhaltende Trauerstörung« für ehrenamtliche Trauerbegleitung in Deutschland Die ICD-11-Diagnose einer »Anhaltenden Trauerstörung« ist eine Neuerung. Auch wenn diese insbesondere international begrüßt wird, Neuerungen beinhalten das Potenzial für Veränderung. Und Veränderungen an sich sorgen in den durch sie betroffenen Systemen immer auch für Widerstand. Das eingangs zitierte Schreckgespenst, dass Psychiater und Psychotherapeuten sich die komplette Trauerbehandlung unter den Nagel reißen wollen, mag ein Ausdruck der Angst vor dem sein, was diese Neuerung mit sich bringen kann. Man sollte jedoch bedenken, dass eine Diagnose erst dann behandlungsrelevant wird, wenn ein Mensch sich dafür entscheidet, das bestehende Problem anzusprechen und Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Wer keinen Behandler aufsucht, obwohl vielleicht alle Kriterien für eine Erkrankung oder Störung erfüllt sind, dann wird diese auch nicht diagnostiziert und behandelt werden. Dieser Mensch ist dann kein Patient. Um Patient zu werden, muss ich mich ins Behandlungssystem begeben. Die Diagnose der »Anhaltenden Trauerstörung« würde also erst dann behandlungsrelevant, wenn ein Trauernder für sich entscheidet, dass er eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nehmen möchte und diese Diagnose vom Behandler vergeben würde. Erste Rückmeldungen von frisch Betroffenen werten diese Diagnose positiv, weil das Problem endlich den richtigen Namen bekommt. Angesichts der ohnehin schon langen Wartelisten für ambulante, teilstationäre oder stationäre Psychotherapie ist ganz sicher nicht damit zu

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rechnen, dass diejenigen, die bisher ehrenamtlich oder professionell Trauerprozesse unterstützt und begleitet haben, weniger zu tun bekommen. Allerdings ist die Diskussion um die »Anhaltende Trauerstörung« auch Teil jenes Prozesses, der so gut wie jede Bewegung im Verlauf ihrer fortschreitenden Geschichte betrifft, nämlich den der Professionalisierung. Und Professionalisierung bringt immer auch Differenzierung mit sich. Diese Veränderung, diese Differenzierung kann als Bruch erlebt werden, als drohender Verlust des Bekannten und Etablierten. Aus Sicht der Organisationspsychologie lässt sich nicht zuletzt dieser Prozess selbst als eine Form der Trauer beschreiben, den es im Zuge der Professionalisierung zu durchlaufen gilt.

beitragen, dass Menschen mit psychiatrisch diagnostizierten Störungen diskriminiert und stigmatisiert werden. Urs Münch ist Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut. Er arbeitet als Psychoonkologe in Berlin, lebt im Berliner Umland und engagiert sich aktiv in der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. E-Mail: [email protected]

Dipl.-Psych. Jan Gramm, Palliativpsychologe und Supervisor. Tätig in der ambulanten Palliativversorgung sowie als Dozent und Kursleiter in PalliativeCare-Kursen. Geschäftsführer des Instituts für Palliativpsychologie in Frankfurt a. M.

Fazit

E-Mail: [email protected]

Die Diagnose einer Anhaltenden Trauerstörung ist Ausdruck einer sich weiterhin vollziehenden Professionalisierung der Trauerarbeit. Sie eröffnet die Möglichkeit, dass Betroffene mit komplizierter, dysfunktionaler Trauer professionelle Unterstützung im Rahmen der Gesundheitsversorgung erstattet bekommen können und zudem schon präventiv Unterstützung erhalten können. Die Diagnose wird kommen. Es bedarf aber weiterhin guter Forschung, um das Wissen um unterschiedliche Trauerverläufe etwa abhängig von der Verlustart differenzieren zu können. Der Stellenwert der ehrenamtlichen und professionellen Trauerbegleitung aber bleibt nach wie vor bestehen, ebenso die verdiente Würdigung ihrer Leistungen und Verdienste. Basierend auf bürgerlichem Engagement für Mitmenschen und Mitmenschlichkeit stellen sie eine Säule unserer Zivilgesellschaft dar. Es wird im Rahmen der Professionalisierung Veränderungen geben, aber ganz sicher keine Ausgrenzung ehrenamtlichen Engagements. Es bleibt dennoch dafür zu plädieren, keine Angst vor Neuerungen und Veränderungen zu haben. Es gilt stattdessen, eigene Normen sowie Normen der Gesellschaft zu hinterfragen, die dazu

Literatur DHPV  – Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e. V. (2016). Stellungnahme gegen die Aufnahme der »anhaltenden Trauerstörung« als eigenständige psychische Störung im Rahmen der Überarbeitung der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen http://www.dhpv.de/ tl_files/public/Aktuelles/Stellungnahme/Stellungnahme_ TrauerICD_EF_27062016.pdf Maciejewski, P. K.; Maercker, A.; Boelen, P. A.; Prigerson, H. G. (2016). »Prolonged grief disorder« and »persistent complex bereavement disorder«, but not »complicated grief«, are one and the same diagnostic entity: An analysis of data from the Yale Bereavement Study. In: World Psychiatry: Official Journal of the World Psychiatric Association (WPA), 15, 3, S. 266–275. Prigerson, H. G.; Bierhals, A. J.; Kasl, S. V.; Reynolds, C. F. 3rd; Shear, M. K.; Newsom J. T.; Jacobs, S. (1996). Complicated grief as a disorder distinct from bereavement-related depression and anxiety: A replication study. In: American Journal of Psychiatry, 153, 11, S. 1484–1486. Prigerson, H. G.; Horowitz, M. J.; Jacobs, S. C.; Parkes, C. M.; Aslan, M.; et al. (2009) Prolonged grief disorder: psychometric validation of criteria proposed for DSM-V and ICD-11. PLOS Medicine, 6, 8: e1000121. Wagner, B. (2016). Wann ist Trauer eine psychische Erkrankung? In: Psychotherapeutenjournal, 3, S. 250–255. http:// www.psychotherapeutenjournal.de/ptk/web.nsf/gfx/2D5 1D6044884186CC125803000225917/$file/ptj_2016-3.pdf

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Ehrenamtliche Helfer als Mitglieder multiprofessioneller Teams in der Palliativ- und Hospizarbeit Anja Schneider Ambulante Hospizdienste und stationäre Hospize haben es sich zur Aufgabe gemacht, unheilbar Kranke in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten. Nach Christoph Student (2004) müssen fünf Qualitätskriterien verwirklicht werden: 1. der Kranke und seine Zugehörigen stehen im Zentrum, 2. die Unterstützung und Begleitung erfolgt durch ein interdisziplinäres Team, 3. die Einbeziehung freiwilliger Begleitpersonen, 4. die medizinische und pflegerische Versorgung auf der Grundlage von Palliative Care (Schmerzfreiheit und Lebensqualität) – Lebensqualität statt Lebensquantität sowie 5. eine Trauerbegleitung.

lich ist, dass bezugnehmend auf den ganzheitlichen Ansatz der Hospiz- und Palliativversorgung und die Vielschichtigkeit der Anforderungen diese Aufgaben nur interdisziplinär erbracht werden können. Wer als separater Leistungserbringer bekundet – unabhängig, welcher Profession zugehörig –, hospizliche Begleitung und/oder Palliativversorgung alleinig erfüllen zu können, hat den Inhalt und den Anspruch der Hospiz- und Palliativarbeit nicht verstanden.

Es geht nur multiprofessionell

Hospiz- und Palliativarbeit kann nur im multiprofessionellen Team gelingen, in dem insbesondere ehrenamtliche Mitarbeiter/-innen ihren festen Platz haben. Multiprofessionell bedeutet umgangssprachlich »viele/mehrere Berufsgruppen«. Betrachten wir ehrenamtliche Mitarbeiter/-innen eigentlich als eine Berufsgruppe in der Hospiz- und Palliativversorgung? Ehrenamtliche werden durch Schulungen auf ihren Einsatz vorbereitet, denen verschiedene Curricula (diese orientieren sich meist an der Trägerschaft des ambulanten Hospizdienstes oder des stationären Hospizes) zugrunde liegen. Die Inhalte beschäftigen sich mit Kommunikation, dem Leben und Sterben in unserer Gesellschaft – auch mit dem eigenen Leben und Sterben, was viele Schulungsteilnehmer vor große Herausforderungen stellt. Des Weiteren stehen rechtliche Aspekte sowie häufige Krankheitssymptome und Anzeichen des nahenden Todes auf dem »Ausbildungs«-Plan.

Die Arbeit in der ambulanten und stationären Hospizarbeit und Palliativversorgung ist ganz wesentlich durch die multiprofessionelle Zusammensetzung der Teams geprägt, die alle Facetten der Begleitung Betroffener und der Zugehörigen abbildet. Die Grundlage bildet das Vier-SäulenModell der Hospiz- und Palliativarbeit: (a) palliativpflegerische Betreuung, (b) palliativmedizinische Betreuung, (c) psychosoziale Betreuung und (d) spirituelle Betreuung (www.dhpv.de). Insbesondere in der psychosozialen und spirituellen Betreuung sind Ehrenamtliche fester Bestandteil der Begleitung. Bei der psychosozialen Begleitung geht es um die emotionale Unterstützung des sterbenden Menschen und seiner Zugehörigen. Mit der spirituellen Begleitung sind Sinnfragen am Ende des Lebens – unabhängig von religiöser Zugehörigkeit – gemeint. Wesent-

Wie bereiten sich Ehrenamtliche auf ihren Einsatz vor?

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 56–58, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

bisgleich / photocase.de

Insbesondere in der psychosozialen und spirituellen Betreuung sind Ehrenamtliche fester Bestandteil der Begleitung. Bei der psychosozialen Begleitung geht es um die emotionale Unterstützung des sterbenden Menschen und seiner Zugehörigen.

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Ein wichtiger Teil der Schulung besteht darin, sich selbst zu schützen und Anzeichen von Überforderung zu erkennen – das gelingt den Ehrenamtlichen oftmals besser als den Hauptamtlichen aus der Pflege und anderen Berufsgruppen. Nach der Schulung werden die Ehrenamtlichen – je nach Interesse, Wunsch und Möglichkeit – in verschiedenen Bereichen eingesetzt. Die Einsätze reichen von der Begleitung Betroffener und der Familien in der Häuslichkeit, im Krankenhaus, in Alten- und Pflegeheimen oder im stationären Hospiz bis hin zu Öffentlichkeitsarbeit, Fundraising, Eventmanagement und Unterstützung im Küchenreich, in der Verwaltung etc. Die besondere Rolle der Ehrenamtlichen Aber was genau macht den Ehrenamtlichen für die Betroffenen und das Team so wertvoll? Natürlich steht zunächst die Zeit im Blickfeld. Ehrenamtliche begleiten Betroffene und die Familien – die sie meistens nie zuvor gekannt haben – und geben ab von ihrer eigenen Lebenszeit. Der wesentliche Unterschied zu den Hauptamtlichen verschiedener Berufsgruppen ist jedoch, dass sie das mit einem anderen Blickwinkel tun – einem »nicht«-beruflichen Blick. Wir alle können nur durch unsere eigene Brille schauen. Eine Pflegekraft oder ein Arzt oder auch ein Sozialarbeiter schaut stets durch die eigene professionelle Brille auf den Betroffenen und das familiäre Netzwerk – auch wenn wir das natürlich oft nicht wahrhaben wollen. Jeder betrachtet den Aspekt oder Sachverhalt, den er bewältigen beziehungsweise lösen muss. Das ist auch richtig so. Er kann nach dem Erstkontakt auch sagen, dass es nicht passt – die »Chemie« mit dem Betroffenen oder der Familie nicht stimmt und eine Begleitung aus seiner Sicht kaum zustande kommen wird – das ist übrigens ein sehr professionelles Handeln. Wird die Begleitung vom Betroffenen und der Familie angenommen, geht es oft um ganz alltägliche Dinge – jedoch meist mit Blick auf das Lebensende. Was wünschen sich Betroffene, wo-

runter leiden sie am meisten und wovor haben sie oder die Zugehörigen Angst? Werden diese Themen bei den Teambesprechungen erörtert, können Ehrenamtliche selbst – oder ihre Dokumentationen – wertvolle Hinweise geben. Leider ist es in vielen Teams noch nicht selbstverständlich, dass Ehrenamtliche Einsicht in die Dokumentation haben und auch selbst im Bericht dokumentieren. Das zeigt recht deutlich, dass die Selbstverständlichkeit, dass Ehrenamtliche zum multiprofessionellen Team gehören, zwar bejaht, aber nicht in der täglichen Arbeit gelebt und umgesetzt wird. Jeder Ehrenamtliche unterzeichnet ebenso eine Datenschutzerklärung wie die hauptamtlichen Mitarbeiter. Der Einsatz ehrenamtlicher Helfer ist nicht nur Grundsatz der Hospizarbeit und Palliativversorgung, sondern wird in den Rahmenvereinbarungen und Versorgungsverträgen in der Hospiz- und Palliativarbeit von den Kostenträgern explizit verlangt. Ist es eine Frage von Kommunikation auf Augenhöhe? Sehen die Teammitglieder in der ambulanten Palliativversorgung und in den stationären Hospizen die Arbeit Ehrenamtlicher wirklich als unverzichtbar und vor allem als gleichrangig zur eigenen Professionalität an? Diese Fragen muss sich jedes Team, jeder hauptamtliche Mitarbeiter selbst stellen. Fest steht: Die Professionalität der Ehrenamtlichen entsteht zum einen durch die Schulungen und Supervisionen – zum anderen vor allem durch ihr »nicht«-berufliches Handeln. Dr. Anja Schneider ist Geschäftsführerin der Anhaltischen Hospiz- und Palliativgesellschaft und stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands. E-Mail: [email protected] Literatur Student, J.-C. (2004). Sterben, Tod und Trauer. Handbuch für Begleitende. Freiburg.

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Professionalität in der Hospizarbeit: »Gut gemeint« ist nicht genug! Gedanken und Erfahrungen einer Ehrenamtlichen

Dorothea Ihme »Weltweit tragen Menschen ehrenamtlich dazu bei, die Hospizidee zu verwirklichen. Dabei wirkt die Mitmenschlichkeit auf sie selbst zurück.« http://www.ricam-hospiz.de

Im Zusammenhang mit einem Ehrenamt von Professionalität zu sprechen oder nach ihr zu fragen, klingt zunächst eigenartig: Das passt doch gar nicht zusammen! Aber was bedeutet eigentlich Professionalität? Im germanistischen Klassiker »Wahrigs Deutsches Wörterbuch« steht: Die Profession ist ein Beruf, ein Gewerbe, ein Handwerk. Dementsprechend bedeutet Professionalität: berufliches Können oder Versiertheit. Also heißt sich professionalisieren etwas zum Beruf und/oder zur Erwerbsquelle zu machen. Und genau dies trifft auf Ehrenamtliche nicht zu: Es ist kein Beruf, man verdient kein Geld damit. Also sind und bleiben wir dann Laien? Wäre das der Aufgabe angemessen? Und was ist mit Können und Versiertheit? Der Dilettant Interessant ist in Wahrigs Wörterbuch der Begriff, der im Gegensatz zur Profession steht: der Dilettant. Kaum zu glauben, denn heute verstehen wir unter einem Dilettanten jemanden, der keine Ahnung hat und sein Tun ziemlich schlecht, nämlich dilettantisch, ausübt. Das darf ja auf keinen

Fall auf einen Ehrenamtlichen zutreffen! Denn etwas können soll er schon, auch etwas verstehen, er muss sogar einiges wissen. Dennoch, eine Überschneidung bleibt. Denn laut Wörterbuch ist der Dilettant ursprünglich jemand, der eine Tätigkeit nicht berufsmäßig, sondern aus Liebhaberei betreibt, das heißt, er ist ein Nichtfachmann, ein Laie, ein Liebhaber. Da kann man sehen, wie aus einem positiv gemeinten Gegensatz »Gelderwerb – Liebhaberei« ein ausschließlich negativ konnotiertes dilettantisch wurde: sachunkundig, oberflächlich, pfuscherhaft. Berufung und Motivation Zum »Beruf« (englisch: profession) gehört dann aber auch noch die Berufung, was in einigen Berufen lediglich das Einsetzen in ein Amt bedeutet (zum Beispiel bei Professoren). Geläufig ist aber vor allem die Bedeutung, die die Motivation beziehungsweise die Berufswahl betrifft: die Berufung. Die Motivation, eine ehrenamtliche Mitarbeit zu übernehmen, freiwillig und aus Neigung, hat oft mit so einer Art »ich fühle mich berufen« zu tun. Es sind ehrenwerte, idealistische Motive, die zur Entscheidung für ein Ehrenamt führen. Für hospizliche Arbeit sogar nicht selten gespeist von eigener Erfahrung mit Tod und Sterben. »In gewisser Weise sind der Tod und ich uns schon ein wenig vertraut«, schreibt Christiane zu Salm (2015, S. 10) mit dem Verweis darauf, dass sie mit sechs Jahren ihren Bruder verlor.

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 59–62, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

Edvard Munch, Consolation, 1907 / INTERFOTO / SuperStock / Peter Barritt

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Also ist ein Ehrenamtlicher in diesem Sinne ein Liebhaber einer Aufgabe, ein Laie zwar, aber keiner, der sachunkundig und oberflächlich sein sollte. Daraus folgt für mich: Eine ehrenamtliche Arbeit im Hospiz ist ohne eine bestimmte Art der Professionalisierung nicht zu leisten. Sie wäre sonst nur gut gemeint, mit gutem Willen und guter Absicht. Das ist zu wenig, das geht nicht, das überfordert den Ehrenamtlichen, weil die Situation eines Sterbenden eine große Herausforderung darstellt. Es geht ja wirklich um Leben und Tod – da ist ein Begleiten ohne Kennt-

nisse und ohne bestimmte Lebenserfahrungen und Verhaltensweisen nicht ausreichend. Was also? Ja. Man braucht Kompetenzen, Kenntnisse, Erfahrungen. Qualifizierung von Ehrenamtlichen In den Handlungsempfehlungen der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland, die unter der Trägerschaft der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), des Deutschen Hospiz- und Palliativ-

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P r o f e s s i o n a l i t ä t i n d e r H o s p i z a r b e i t : » G u t g e m e i n t « i s t n i c h t g e n u g !    6 1

verbands (DHPV) und der Bundesärztekammer eine Nationale Strategie entwickelt und in diesem Jahr verabschiedet hat, werden Ehrenamtliche wie folgt gesehen: Sie sind »zentrale Partner in der Hospiz- und Palliativversorgung. Sie haben andere Verantwortungsbereiche und somit einen anderen Bildungsbedarf als Gesundheitsfachkräfte« (S. 99). Da ist er benannt: der Bildungsbedarf. Die 2007 von der European Association for Pallia­ tive Care (EAPC) formulierten 10 Kernkompetenzen decken das ab, was in der Qualifizierung für alle gelten soll. »Diese Kernkompetenzen sind für alle Berufsgruppen relevant, die an der Betreuung schwerstkranker und sterbender Patientinnen und Patienten und der ihnen Nahestehenden beteiligt sind.« Mein Weg zur Arbeit im Hospiz Im Herbst 2009 sinniere ich – bereits in Altersteilzeit – über meine gesellschaftliche Teilnahme nach, wenn ich nicht mehr in Schule und Gewerkschaft tätig bin. Ich merke, dass mir das nur Private zu wenig ist. Ich suche etwas, in dem ich als Teil eines Ganzen wichtig bin. Ein Ehrenamt! Großelterndienst? Hospiz! Freunde raten mir ab, weil ich »doch schon so viel mit dem Tod zu tun hatte«. Es waren plötzliche Tode. Ohne Sterben. Bin unsicher. Mit beidem habe ich keine Erfahrung. Für die Arbeit im Hospiz brauche ich eine Qualifizierung. Ich suche nach den Inhalten bei diversen Hospizen, fühle mich von dem Ausbildungsplan des Ricam-Hospizes am meisten angesprochen. Meine Einschätzung zur Professionalität im Ehrenamt Ich habe in meiner mehr als sechsjährigen Arbeit als ehrenamtliche Hospizmitarbeiterin die Auffassung entwickelt, dass es drei Säulen der Qualifizierung oder Befähigung im Sinne einer Professionalisierung gibt:

1. D  er Ausbildungs-, Vorbereitungs- oder Hospizhelferkurs Fast alle Hospize, die Ehrenamtliche beschäftigen (besonders wenn sie einen ambulanten hospizlichen Dienst angeschlossen haben), kirchliche Einrichtungen und Hospizvereine bieten solche Kurse an. Eine Bewerbung erfolgt über einen Fragebogen, in dem oft sehr genau nach der Motivation für die ehrenamtliche Arbeit und dem eigenen Bezug zum Thema Tod und Sterben gefragt wird. Die Kurse beinhalten im Durchschnitt 100 bis 130 Stunden mit unterschiedlichen Anteilen von Theorie und Praxis. Es gibt Hospize, in denen die Ehrenamtlichen bereits während der Ausbildung in die Familien oder Pflegeheime gehen. Ich selbst habe mich erst nach meinem Kurs entschieden, ob ich im stationären oder ambulanten Hospiz arbeiten möchte. Ein paar Stichworte zu den Inhalten: • Wissensvermittlung/Kenntnisse über die medizinische Versorgung, Schmerztherapie, pflegerische Aspekte • Training in kommunikativen Fähigkeiten: Zuhören lernen, nonverbale Kommunikation und Gesprächsführung • Wahrnehmungstraining • Übungen zu Empathie und Zuwendung • Selbstwahrnehmung und Selbstkritik • Bedeutung der Selbstfürsorge: Die Gefahr, sich zu verausgaben oder mit einer nur altruistischen Herangehensweise die Selbstfürsorge zu vergessen, ist groß. Wenn ich heute nach sechs Jahren gefragt werde, was der wesentliche Inhalt eines solchen Kurses ist, sage ich: Den bedeutendsten Anteil hatte die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben und Tod. Das hat mich über meine eigenen Ängste und Befürchtungen aufgeklärt, beruhigt und gestärkt, so dass ich (möglichst) ohne eigene Betroffenheit auf sterbende Menschen und ihre Zugehörigen zugehen und sie begleiten kann.

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2. Eine Begleitung durch die Supervision in der Gruppe Hier gibt es große Unterschiede. Manche äußern auch Vorbehalte gegenüber der Supervision, als gäbe es nicht genügend zu klären oder preiszugeben. Vielfach ist es wohl eine Scheu, eigene Unsicherheiten und Unzulänglichkeiten zu offenbaren. Es gibt stattdessen interne Fallbesprechungen, oft auch durch die Koordinatoren, die aber keine Supervisionen im klassischen Sinne sind. Aus meiner Sicht gibt es Kriterien für eine gute und gelingende Supervision: • eine externe Leitung (also: keine Koordinatorin, keine Leiterin oder Mitarbeiterin des Hauses); • regelmäßig, das heißt verlässliche Termine, am besten monatlich; • eine feste Gruppe, die Erfahrungen teilt und dadurch Vertrauen aufbauen kann; • die Feedback-Regel beachten. Das heißt, indem ich nur zuhören und zu meinem Verhalten keine Erklärungen oder Rechtfertigungen abgeben darf, wird mir ermöglicht, andere Ideen, andere Vorschläge zum Verhalten aufzunehmen, sie wirken zu lassen und dadurch zu lernen. 3. Die eigene Erfahrung im Sinne eines individuellen Lernprozesses Das ist die dritte Säule, die zwar auf der Supervision aufbaut/aufbauen kann und dennoch etwas ganz Eigenes ist. Denn: • Der Wert der Erfahrungen entsteht erst durch die eigene Reflexion. • Ich muss überhaupt bereit sein, Veränderungen (in mir) zuzulassen. • Ein Feedback hilft, von außen auf sich zu schauen. • Ohne, dass ich andere Aspekte oder Kritik oder Anregungen innerlich zulasse, entsteht kein erweitertes Wissen und/oder eine erweiterte Wahrnehmung.

• Rückmeldungen aus der Gruppe führen oft zu Veränderungen in der Konstellation Patient – Familie/Zugehörige – Ehrenamtlicher. • Austausch auf allen Ebenen ermöglicht zu lernen. • Zufriedene Menschen wirken auf mich zurück. • Zwischen zu Begleitenden und mir als Ehrenamtlicher entsteht oft eine überraschende (?) Nähe – das ist nicht immer leicht auszuhalten. • Hilfreich ist im Ricam-Hospiz, dass nach dem Tod eines Patienten ein Einzelgespräch mit der betreuenden Koordinatorin angeboten wird. Da ist Zeit für ein Resümee, auch Raum für Enttäuschungen. Und ganz wichtig: Ich darf meine Pause nach einer Begleitung selbst bestimmen. Persönliches Fazit In der Summe empfinde ich meine Arbeit als ehrenamtliche Mitarbeiterin im Hospiz als ungemein bereichernd und erfüllend. Die Anerkennung, die mir in meinem Beruf als Lehrerin oft gefehlt hat, entsteht hier im direkten menschlichen Gegenüber. Ich erlebe all dies – auch in meinem Alter – als inneres Wachstum, und das macht mich zufrieden. Dorothea Ihme ist pensionierte Sonderpädagogin für Hörgeschädigte und seit 2010 als ehrenamtliche Mitarbeiterin im ambulanten Ricam-Hospiz in Neukölln/ Berlin tätig. E-Mail: [email protected] Literatur Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland. Handlungsempfehlungen im Rahmen einer Nationalen Strategie. http://www.charta-zurbetreuung-sterbender.de/files/bilder/neu2 %20RZ_161 004_Handlungsempfehlungen_ONLINE.pdf EAPC (2007). www.charta-zur-betreuung-sterbender.de/ files/bilder/neu2RZ_161004_Handlungsempfehlungen_ ONLINE.pdf Salm, C. zu (2015). Dieser Mensch war ich. Nachrufe auf das eigene Leben. München.

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Reflexivität als Dienstleistung Professionelle und nichtprofessionelle reflexive Beratung und Begleitung in komplexen Kontexten

Hans-Jürgen Seel Im Folgenden geht es mir darum, beispielhaft zu zeigen, wie vielfach bewährte Praxis systematisch reflektiert und so als hochgradig professionelle reflexive Beratung ausgewiesen werden kann. Und dies unter Einbezug auch nicht akademisch speziell ausgebildeter Personen. Was heißt »reflexive Beratung« als Dienstleistung? Spontan machen wir die Frage nach der Professionalität in der Regel wohl am Können fest. Aber die Frage nach der besonderen Qualität professioneller und nichtprofessioneller Beratung (und Begleitung) ist aus einem ganz einfachen Grund allein auf der Ebene der Kompetenztiefe nicht so einfach zu beantworten: Beratung, auch reflexive Beratung, ist zunächst eine Alltagskompetenz, das heißt, wir alle »können« reflexive Beratung – mehr oder weniger gut und mehr oder weniger in die Tiefe und in riskante Bereiche gehend. Ein Mensch mit einem (theoretischen) absoluten Wert Null in reflexiver Beratungskompetenz ist als soziales Wesen praktisch nicht lebensfähig. Umgekehrt heißt das auch: Professionelle reflexive Beratung setzt immer auf entsprechender Alltagskompetenz auf, die wegen der unterschiedlich verlaufenden Lernund Entwicklungsprozesse der Menschen natürlich sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Also reicht die Ausprägung der Beratungskompetenz allein nicht recht aus, um professionelle von nichtprofessioneller Beratung zu unterscheiden, auch wenn eine hohe Kompetenz dennoch wichtiger Bestandteil der Professionalität von Be-

ratung sein muss. Was aber macht dann außerdem noch die Professionalität von Beratung aus? Hier hilft die Überlegung weiter, dass der Begriff der Kompetenz nicht nur das fachliche Können meint, sondern auch die Kompetenz im Sinne von Zuständigkeit, also: »Wer ist für XY zuständig?« Und das lenkt den Blick auf organisatorische Regelungen. Um dem weiter nach zu gehen, empfiehlt es sich, sich zunächst einmal zumindest kursorisch anhand einiger Fragen zu vergewissern, wovon wir hier reden. Was ist Beratung? Mit Beratung bezeichnen wir sämtliche Kommunikationsformen, die auf eine Unterstützung einer anderen Person oder einer Aggregation von Personen (= Klient) bei der Bewältigung irgendwelcher Aufgaben, Anforderungen, Problemen etc. abzielen, ohne jedoch anstelle dieser Klienten zu handeln. (Mit »Person« können sowohl natürliche als auch juristische Personen als auch andere »korporierte Subjekte« – wie es im Fachjargon heißt – und weitere Aggregationen von [natürlichen] Personen gemeint sein wie Unternehmen, Familien, Teams, Selbsthilfegruppen und sonstige Vereinigungen.) Mit diesem Verständnis gehört Beratung als Beruf in den großen Bereich der Dienstleistungen. Was ist reflexive Beratung? Mit reflexiver Beratung bezeichnen wir solche Beratungen, die entweder die Klienten und Klientinnen selbst und ihre Beziehungen zu anderen

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 63–71, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

Wassily Kandinsky, From Light into Dark, 1930 / Private Collection / Photo © Lefevre Fine Art Ltd., London / Bridgeman Images

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und die Beratung selbst zum Gegenstand haben. Damit grenzt sich reflexive Beratung von einem Beratungsbegriff ab, der ausschließlich auf die Weitergabe von sachlichen Informationen abstellt. Solche reflexive Beratung stellt erheblich höhere Ansprüche an die Akteure als Beratung als Weitergabe von Sachinformationen (das wird auch »Instruktion« oder »transitive Beratung« genannt, zum Beispiel bei Seel 1998). Deshalb wurde die reflexive Beratung zum Gegenstand des Dachverbands der mit Beratung befassten Verbände erklärt, die sich um diese anspruchsvolle Form von Beratung kümmern.1 Besonders die reflexive Thematisierung der Beratung selbst ist zentral für die Professionalität von Beratung – wir kommen darauf zurück. Grundsätzlich ist demzufolge reflexive Beratung den personbezogenen Dienstleistungen zu zurechnen. Umgekehrt beinhaltet jede personbezogene Dienstleistung grundsätzlich einen Anteil reflexiver Beratung, auch wenn der manchmal nur rudimentär sichtbar wird. Für solche reflexive Beratung stehen uns verschiedene Verfahren und Formen, »Formate« zur Verfügung (zum Beispiel systemische Beratung, analytische Beratung, verhaltenstheoretisch orientierte kognitive Beratung, personzentrierte Beratung). Ein Versuch zur wissenschaftlichen Konzeption der Gemeinsamkeit reflexiver Beratung über die unterschiedlichen Formate, wissenschaftlichen Grundannahmen, Themen und Zielgruppen findet sich bei Seel (2014). Wann ist reflexive Beratung gefragt von wem, mit welchen Themen oder Problemlagen? Gegenwärtig ist eine ungeheure Vielfalt an Nachfragenden von Beratung mit den verschiedensten Themen festzustellen, was zudem immer noch weiter zunimmt. Das liegt einerseits daran, dass die Menschen immer mehr Selbstverantwortung übernehmen wollen, sollen oder müssen, weil die Freiheitsgrade bei der Gestaltung des eigenen Lebens und Arbeitens zunehmen, und andererseits

auch daran, dass eben die Voraussetzungen und Optionen zur Selbstgestaltung immer anspruchsvoller und komplexer werden und sich auch immer schneller verändern. In der Konsequenz sind die Menschen unserer, das heißt der spätmodernen Gesellschaft immer wieder gefordert, sich selbst in Frage zu stellen, sich neu- oder umzuorientieren. Dabei besteht das Risiko des Scheiterns. Warum das so ist, dazu gibt es zahlreiche soziologische und sozialphilosophische Erklärungen (zum Beispiel von U. Beck, Z. Bauman, J. Habermas, S. Lash, A, Giddens, M. Foucault, P. Bourdieu und vielen anderen). Wer Menschen unterstützt, mit schwierigen Situationen reflexiv fertig zu werden, begleitet sie ein Stück in ihrem Leben. Wie sieht der konkret-praktische Zusammenhang aus, in dem reflexive Beratung realisiert wird? Entsprechend der Vielfalt der Beratungsverfahren, der Beratungsnachfragenden und ihren Themen ist es zu erwarten, dass sich das konkrete Beratungssetting oftmals ebenfalls sehr differenziert darstellt. Mit »Setting« bezeichnen wir die Gesamtheit des Rahmens oder des Kontextes, in dem reflexive Beratung stattfindet. Wenn wir an Beratung denken, gehen wir in der Regel zunächst nur von zwei Personen aus, die miteinander kommunizieren, doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass es irreführend ist, wenn wir diese zwei Personen wie in einem luftleeren Raum denken, sondern dass sehr viel mehr an die Rahmenbedingungen, Kontexte, Beziehungen, Zusammenhänge, Hintergründe und Voraussetzungen (und damit auch an die Kompetenz) gedacht werden muss, wenn wir Beratung reflexiv verstehen. Dazu gehört die Frage, wer eigentlich der Akteur der reflexiven Beratung ist – ist dies eine Person oder eine Personengruppe wie beispielsweise ein Team? Und was steht hinter der Person? Um solche Fragen müssen wir uns besonders kümmern, wenn unser Thema die Professionalität

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von reflexiver Beratung ist. Die komplexen Zusammenhänge von reflexiver Beratung und Begleitung auf Palliativstationen machen das wohl unmittelbar deutlich (siehe unten). Was heißt »Professionalität« von Beratung? Was also macht die Professionalität von reflexiver Beratung (und Begleitung) aus? Was eine Profession ist, ist nicht so ganz einfach zu definieren, am meisten setzt sich die Berufsforschung damit auseinander. Für unsere Zwecke können wir uns jedoch mit einigen Stichworten begnügen: Demnach ist eine Profession eine hoch anspruchsvolle berufliche Tätigkeit (was den wirtschaftlichen Aspekt beinhaltet) mit hohem, in der Regel akademischem Anspruchsniveau, in der Regel eine Dienstleistung, die auf wissenschaftlichen Grundlagen beruht und mit einem ebenfalls hohen ethischen Anspruch beziehungsweise Legitimation verknüpft ist. Außerdem ist die professionelle Arbeit organisiert und geregelt, meistens durch einen Verband, der Ausbildungsrichtlinien, ethische Prinzipien und die wissenschaftlichen Grundlagen definiert. Manchmal spielen auch Gesetze und Verordnungen eine Rolle. Als Beispiel mag hierfür die Medizin mit ihrem hippokratischen Eid, den Ärztekammern etc. dienen. Für die reflexive Beratung kümmert sich die Deutsche Gesellschaft für Beratung (DGfB) als Dachverband um solche Themen. Weil professionelle reflexive Beratung eine personbezogene Dienstleitung ist, ist sie auf bestimmte Weise organisiert (vgl. Seel 2013). Das bedeutet: Sie hat Akteure (die Berater), Kunden (das sind die Auftraggeber, die die Dienstleistung bezahlen) und Klienten (das sind die, die diese Dienstleistung in Anspruch nehmen, beziehungsweise die, denen sie zugute kommt). In der Organisationswissenschaft wird zu Recht darauf hingewiesen, dass Kunden und Klienten von Dienstleistungen (»Stakeholder«) sehr oft nicht identisch sind und dass dies zu Problemen führt: Ein professioneller Dienstleister muss sich einer-

Ein professioneller Dienstleister muss sich einerseits daran orientieren, was sein Auftraggeber von ihm verlangt und wofür dieser ihn bezahlt, andererseits muss er sich aus professionsethischen und Legitimitätsgründen an dem orientieren, was gut für seine Klienten ist, am Klientenwohl also, denn das ist seine Aufgabe.

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Nik Merkulov / Shutterstock.com

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sajola / photocase.de

Es handelt sich um eine recht komplexe Konstellation von Akteuren, welche die Patienten begleiten, indem sie als beratende Dienstleister mit speziellen Themenschwerpunkten für sie tätig werden.

seits daran orientieren, was sein Auftraggeber von ihm verlangt und wofür dieser ihn bezahlt, andererseits muss er sich aus professionsethischen und Legitimitätsgründen an dem orientieren, was gut für seine Klienten ist, am Klientenwohl also, denn das ist seine Aufgabe. (Bei einigen »Finanzdienstleistern« gab und gibt es diesbezüglich einige Probleme.) Und dies rechtfertigt das mitunter hohe Einkommen. Zur Professionalität gehört also auch, mit solchen Konflikten produktiv umgehen zu können. Das ist durchaus nicht immer einfach und hängt wenigstens zum Teil von organisatorischen Regelungen ab; also davon, auf welche Weise die professionelle reflexive Beratung

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als Dienstleistungserbringung konkret organisiert ist. Voraussetzung dafür ist die Klärung der Frage, woraus die Dienstleistung besteht. Das kann recht komplex sein, beispielsweise bei Organisationsentwicklung. Die reflexive Begleitung der Patienten auf einer Palliativstation ist dafür ein Beispiel. Es lohnt sich also, etwas genauer hin zu sehen. Wie sieht professionelle reflexive Beratung der Patienten auf einer Palliativstation aus? Auch wenn ich über keine professionelle persönliche Erfahrung mit der Arbeit auf einer Palliativstation verfüge, kann ich auf Basis der angestellten Überlegungen dennoch einige Analyseschritte vornehmen. Die Klienten sind in diesem Fall Patienten, also Leidende, die ein Recht auf Inanspruchnahme personbezogener Dienstleistung haben, und es sind die mit-leidenden Angehörigen. Das Ganze wird realisiert in einer Wirtschaftsorganisation, also in einem Unternehmen, das Krankenhaus heißt und das von den Krankenkassen und mit staatlicher Förderung finanziert wird. In dieser Einrichtung sind verschiedene Personengruppen tätig, die sämtlich personbezogene Dienstleistungen verschiedener Art erbringen. Professionell tätig sind als Hauptakteure • • • •

die Ärzte, die »medizinischen Hilfsberufe«, die Sozialdienste, die Pflegeberufe.

Sie erbringen alle zusammen die personbezogene Dienstleistung mit jeweiligen fachlichen Spezialisierungen. Damit dies zielführend und sinnvoll wird, sollten sie möglichst abgestimmt und gut organisiert nach einem gemeinsamen Konzept tätig werden. Man muss kein Prophet sein, um zu erwarten, dass es dabei durchaus knirschen kann, weil die verschiedenen Professionen recht unterschiedliche Konzepte verfolgen.

Die bisher genannten Berufsgruppen haben sämtlich das Krankenhaus(management) als Kunden (das wiederum die Krankenkassen und die öffentliche Hand als Kunden hat), welche die beteiligten professionell tätigen Personengruppen bezahlen und entsprechend definieren, welche Leistungen sie von ihnen als Gegenleistung für diese Bezahlung verlangen. Um diese Leistungen zu erbringen, haben diese Personengruppen eine anspruchsvolle Ausbildung abgeschlossen und sich dazu verpflichtet, ihr Können durch Weiterbildungen auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft zu halten und diesen aktuellen Wissensstand auch ständig zu erweitern. Damit ist die Komplexität der Zusammenhänge jedoch noch nicht erschöpft: Es kommen noch hinzu: • Seelsorger – sie haben ihre Kirche als »Kunde« und die Patienten und deren Angehörige als Klienten; auch sie verfügen über eine profunde akademische Ausbildung; • (mit-)leidende Angehörige mit durchaus unterschiedlichen Motivlagen und Rollen. Sie können als Helfer, also als Akteure bei der Realisierung der personbezogenen Dienstleistung gesehen werden, sie können aber ebenfalls als Klienten dieser Dienstleistung gelten. Diese ambivalenten Rollen können den Umgang mit ihnen schwierig machen, weil nicht immer klar ist, wie sie angesprochen werden müssen oder wollen; • Ehrenamtliche, auch sie mit unterschiedlichen Funktionen. Sie können zum Beispiel ihre Aufgabe darin sehen, für die Patienten praktische Erledigungen zu machen (wie zum Beispiel Lesestoff besorgen), oder sie können ihre Aufgabe auch darin sehen, die Patienten als Mitmensch zu begleiten. Sie zeichnen sich auf den ersten Blick dadurch aus, dass sie nicht über eine profunde Ausbildung verfügen und dass sie nicht diesem Unterschied zwischen Kunde und Klient unterworfen sind. Aber es lenkt den Blick

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auf ihre Motive. Also auf die Frage, warum sie tun, was sie tun – was erwarten sie aus ihrer Tätigkeit für sich? Und könnten diese Motive möglicherweise mit denen anderer Beteiligter kollidieren? Diese Frage treibt die Soziale Arbeit auch in ganz anderen Zusammenhängen, wo ehrenamtliche und professionelle Kräfte zusammenarbeiten, immer wieder um. Deshalb gibt es dort einige Erkenntnisse zum Verhältnis zwischen ehrenamtlich und professionell Tätigen in verschiedenen Kontexten. Es handelt sich also um eine recht komplexe Konstellation von Akteuren, welche die Patienten begleiten, indem sie als beratende Dienstleister mit speziellen Themenschwerpunkten für sie tätig werden. Betrachten wir nun diese komplexe Konstellation einmal distanziert von außen, also reflexiv, dann fällt auf, dass weitaus die meisten Dienstleistungen Kunden haben, die nicht die Klienten sind, dass also jemand anders als die Klienten selbst für die Dienstleistung an den Klienten bezahlt. Denn die Leistungen für die Klienten werden von Krankenversicherungen bezahlt (sieht man einmal von IGeL-Leistungen ab, die aber im Palliativbereich [noch?] keine so große Rolle spielen wie anderswo). Es ist im Grundsatz auch gut so, dass wir ein Solidarsystem für die Gesundheitskosten haben. Es führt aber dazu, dass für die Kliniken nicht die Klienten die Kunden sind, sondern eben die Krankenkassen. Damit sind die Patienten von Dienstleistungen umgeben, über die sie selbst nur – sagen wir mal – eingeschränkt verfügen können. Aber letztlich muss es um das Wohl der Patienten und deren Rechte gehen. Diese Problematik wurde politisch grundsätzlich zwar erkannt, weshalb die unabhängige Patientenberatung (UPD) gesetzlich eingerichtet wurde. Aber sie wurde in die Trägerschaft der Krankenkassen (Bundesverband) überantwortet, die diese Beratung an ein Callcenter vergeben haben. Damit wurde ein Beratungssetting eta-

bliert, das aus beratungsfachlicher Sicht als mindestens problematisch bezeichnet werden kann. Denn wie können die Patienten von Palliativstationen für sich gute Beratung von einem Callcenter erhalten? Das zudem auch noch im Auftrag der Krankenkassen handelt? Wo doch die Erfahrung zeigt, dass häufig Konfliktlinien zwischen den Patienten (oder deren Vertretern wie Angehörige oder Betreuern) und den Krankenkassen bearbeitet werden müssen. So ist eine unabhängige qualitativ sinnvolle Beratung im Interesse der Patienten eigentlich nicht möglich. Wie wäre nun aber ein sinnvolles Setting für die reflexive Beratung von Patienten möglich? Theoretisch könnte jeder der Akteure seine Dienstleistung für sich erbringen. Praktisch dürfte dies aber kaum realisierbar sein, weil sie sich gegenseitig ins Gehege kommen würden. Ihre Zusammenarbeit muss also irgendwie organisiert werden. Diese Notwendigkeit ergibt sich noch dringender aus einem anderen Grund: Im Interesse der Patienten sollte ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden, also eine reflexive Dienstleistung, die verschiedene Aspekte in sich vereint. Dies zustande zu bringen, gehört zur Aufgabe reflexiver Beratung mit Professionalitätsanspruch. Dabei kann natürlich wieder praktische reflexive Beratung als konkrete Unterstützung eingesetzt werden, zum Beispiel als Teamberatung oder Teamsupervision. Die Aufgabe wäre, die Beteiligten dabei zu unterstützen, wie sie sich zu einem Team entwickeln, das eine gemeinsame Linie verfolgt und darin jedem Beteiligten eine spezielle Rolle zuweist und sie in die Lage versetzt, diese Rolle auch wahrzunehmen. (Eine Patienten­ beratung durch ein Callcenter lässt sich da allerdings schwerlich einbeziehen.) Es gibt vielfache Erfahrungen und Konzepte für solche praktischen Teamberatungen. Das Ergebnis wäre eine hoch professionell erbrachte Dienstleistung am Patienten, auch wenn dabei Ehrenamtliche als Nichtprofessionelle eine erhebliche Rolle spielen (können). Ihre Besonderheit liegt genau darin begründet, dass sie eben nicht individuell pro-

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fessionell qualifiziert sind. Deshalb agieren sie nicht nach erprobten standardisierten Mustern, sondern sehr individuell und bringen so die besondere Qualität der menschlichen Einmaligkeit ein. Nicht so ganz zutreffend wird diese Qualität mitunter mit der Formulierung »nichtprofessionell deformiert« beschrieben. Angesichts der skizzierten Vielfalt der Akteure mit ihren durchaus sinnvollen verschiedenen fachlichen oder motivationalen Perspektiven und Möglichkeiten scheint es schwierig, die Idee einer solchen ganzheitlichen Dienstleistung zu realisieren. Denn dies braucht eine gemeinsame Grundlage. Auf welcher Ebene kann diese Gemeinsamkeit in der Vielfalt verwirklicht werden? Hierfür eröffnet ein Konzept Möglichkeiten, das in letzter Zeit verstärkt thematisiert wird: Es geht um die Beratungs-Haltung (Großmaß 2015; Seel 2015), also um eine gemeinsame Grundhaltung gegenüber den Patienten, den Angehörigen und deren Problemen/Themen im Beratungszusammenhang. Es handelt sich um ein relativ komplexes, aber die Beratungsrealität und -qualität stark bestimmendes Konzept. Die Beratungshaltung kann zunächst auf ethischer Ebene ausformuliert werden, muss jedoch auf einer ästhetischen Ebene umgesetzt werden. Der Begriff der Ästhetik mag hier vielleicht befremdlich erscheinen, er ist aber nicht im Sinne des Alltagsbegriffs als Schönheit oder Ähnliches gemeint, sondern im Sinne einer philosophischen Ästhetik. Worum es geht, wird vielleicht am besten mit einer Frage charakterisiert: Welche Haltung der Beteiligten gegenüber den Patienten kommt in ihrem Tun zum Ausdruck? (vgl. Seel 2015). Und wie wird auf dem Hintergrund dieser gemeinsamen Haltung die reflexive Dienstleistung konkret praktisch gestaltet? Für ein gutes Ergebnis für das Wohlbefinden der Patienten dürfte die von den Haltungen geprägte Atmosphäre (Böhme 1995) auf der Station von ausschlaggebender Bedeutung werden. Unter anderem können die Patienten sich an der Haltung der reflexiven Dienstleister gegenüber ihrem Leiden ein Beispiel (»Modell«) für

ihre eigene Haltung gegenüber sich selbst und ihrem Leiden nehmen; deshalb gilt die Haltung auch als beraterische »Intervention«. Die Haltung ist also ein ganz zentraler Aspekt reflexiver Beratung. So gesehen kann auch die nichtprofessionelle Arbeit in ein auf hohem Niveau professionell organisiertes reflexives Dienstleistungsangebot sinnvoll eingebettet werden. Praktisch werden solche Konzepte verschiedentlich bereits mehr oder weniger realisiert. Das Konzept der reflexiven Beratung erlaubt es nun, sie systematisch und professionell zu konzipieren und zu reflektieren; dies setzt allerdings voraus, dass die beteiligten Akteure persönlich vor Ort vertreten sind und eingebunden werden können. Dr. Hans-Jürgen Seel, Diplom-Psychologe, ist emeritierter Professor an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Technischen Hochschule Nürnberg. Er war bis 2016 Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Beratung (DGfB) und ist nun im wissenschaftlichen Beirat der DGfB. E-Mail: [email protected] Literatur Böhme, G. (1995). Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt a. M. Großmaß, R. (2015). Beratung als Haltung. In: Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, 47, 1, S. 133–141. Seel, H.-J. (1998). Perspektiven einer Psychologie der Beratung. In: Journal für Psychologie, 2, S. 39–53. http://nbnresolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-28850 Seel, H.-J. (2013). Organisationsberatung und Beratung von Organisationen. In: Nestmann, F.; Engel, F.; Sickendiek, U. (Hrsg.), Das Handbuch der Beratung. Bd. 3. Neue Beratungswelten (S. 1539–1551). Tübingen. Seel, H.-J. (2014). Beratung: Reflexivität als Profession. Göttingen. Seel, H.-J. (2015). Was ist die »Haltung« reflexiver Beratung und wie könnten entsprechende Kompetenzen aussehen? http://dachverband-Beratung.de/dokumente/DGfB_FK 2015_Vortrag_Seel.pdf Anmerkung 1

http://dachverband-beratung.de/dokumente/DGfB_ Positionspapier_2015_Beratung%20in%20der%20reflexiven%20Gesellschaft.pdf und http://dachverbandberatung.de/dokumente/DGfB_Positionspapier_Erlaeuterungen.pdf

P r o f e s s i o n a l i t ä t   – z w i s c h e n K ö n n e n u n d Wo l l e n

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Professionell Arbeiten als »Professionelle« Alexa Müller Einmal war ein Gast bei mir im Dominastudio, der ein echt harter Junge war. Damit meine ich nicht, dass er ein besonders extremes Rollenspiel wollte. Er war einfach einer der wenigen, die im Vorgespräch über ihren Beruf sprachen, und seiner war echt krass. Er hat mir auch ein paar neue Tricks verraten, wie man Schmerzen zufügen kann, ohne Spuren zu hinterlassen. Aber das war später. Erst einmal waren wir mitten in der Session, er war nicht mehr im Käfig, aber noch gefesselt, und ich ließ ihn meine Schläge mitzählen. Für viele ist es leichter, die Hiebe auszuhalten, wenn sie dabei ihre Stimme benutzen dürfen. Wenn ich absolute Stille und keine Bewegung, ohne Bondage, verlange, sind das entweder sehr erfahrene Gäste oder ich kenne sie schon gut genug, um zu wissen, wann das geht. Mit ihm war ich aber noch ganz am Anfang, und mein Interesse war nicht, meine mit seinen Methoden zu messen. Oder ihn wirklich zu quälen. Oder ihn zu erniedrigen. Ich wollte einfach nur eine gute Session machen und er hatte weder harte Schmerzen noch Demütigung bestellt. Seine Stimme ließ durchgucken, dass er bei der Sache war, aber die Schläge nicht genoss. Ich ließ ihn bei der Zahl 17 stoppen und fragte ihn, was ihm zu dieser Zahl einfiele. Er fing an zu weinen. Richtig zu weinen. Ich öffnete die Fesseln und nahm ihn in den Arm. Von hinten. Hielt ihn fest. Es ist immer etwas besonderes, wenn Klienten anfangen zu weinen mitten in der Session. Manchmal sind Tränen das Ziel des Rollenspiels, aber das ist dann etwas anderes. Geplant. Besprochen. Herbeigesehnt. Plötzliches Weinen ist immer ein Cut. Es geht dann darum, alle Pläne und Kontrolle über die Situation beiseite zu schie-

ben und mich auf etwas ganz Neues einzulassen. Selbstverständlich sind schon vorher Intimität und Vertrauen etabliert worden. Aber plötzlich bricht eine Wolke der Trauer oder Scham auf, und es ist nicht immer einfach, dem mit Ruhe und Gelassenheit und vielleicht sogar einer Spur Freude über die Möglichkeit der Entladung zu begegnen. Ist etwas falsch gelaufen? Bin ich zu weit gegangen? Welches Fass habe ich da ungewollt aufgemacht? Um all das geht es natürlich gar nicht, um meine Eitelkeit oder vermeintlichen Kontrollverlust, sondern darum, dass sich ein emotionaler Schmerz plötzlich Raum nimmt. Es ist ein großes Kompliment. Der Panzer hat Risse bekommen. Weil irgendetwas stimmt und richtig ist. Mein Gast weinte nicht lange. Er erzählte mir, dass seine Schwester im Alter von 17 Jahren gestorben sei und dass er seitdem kein einziges Mal geheult habe. Nein, er wollte nicht über sie sprechen, er wollte gar nicht sprechen, er wollte weitermachen mit der Session. Und das taten wir. Das Thema, wie in der Sexindustrie professionell gearbeitet wird, ist so breit und undifferenziert wie die Frage: Wie arbeiten Selbstständige eigentlich professionell? Professionell selbstständig arbeiten ohne Visum und Arbeitserlaubnis kann heißen, die Wahl zu haben zwischen einem mies bezahlten Job auf der Baustelle ohne Unfall- oder Krankenversicherung oder als Stricher in Schöneberg, immer mit der Hoffnung, wieder mal für ein paar Tage zu einem Mann nach Hause oder ins Hotel eingeladen zu werden. Zwischen Lagerhallen putzen inklusive sexueller Übergriffe des Arbeitgebers oder die wenigen Lücken in Berlin finden, wo es trotz ständiger Razzien der Polizei und des Zolls und des Finanzamtes noch möglich ist, ohne Papiere Sexarbeit zu machen.

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 72–73, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

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P r o f e s s i o n e l l A r b e i t e n a l s » P r o f e s s i o n e l l e «    7 3

Das erzählen mir Kollegen und Kolleginnen, weil ich bei Hydra e. V. aktiv bin und viel in der Szene herumkomme. In meinem Dominastudio höre ich solche Geschichten nicht. Wer solche Geschichten hören will, muss seinen Arsch bewegen. Aus der eigenen Komfortzone raus. Mit Demut – da ist ein Wissen über Professionalität, das du in keinem schlauen Buch oder Uniseminar finden wirst. Und auch nicht in diesem Text. Es sind nicht meine Geschichten. Angemeldet professionell selbstständig arbeiten heißt fast immer, egal ob in der Prostitution oder nicht, sich mit Themen wie hohen Krankenkassenbeiträgen, Sorge vor Altersarmut, Trennung von Beruflichem und Privatem im Alltag, dauernder Suche nach neuen Aufträgen, permanenten existenziellen Unsicherheiten, fehlender Lohnfortzahlung bei Krankheit herumzuschlagen. Oder, egal ob in der Prostitution oder nicht, es läuft so gut beziehungsweise der finanzielle

Hintergrund ist so gesichert, dass Zeitmanagement und Work-Life-Balance die größten Sorgen sind. In Städten wie Berlin gibt es sogar Supervisionsangebote für Huren, und wer in die eigene Karriere investiert, kann Fortbildungen und Seminare buchen, mit Rechnung, steuerlich absetzbar. Der einzig relevante Unterschied zwischen selbstständig arbeiten innerhalb oder jenseits der Prostitution ist das Stigma. Das Stigma, das jede Sexarbeiterin persönlich treffen kann, sobald sie sich neuen Freunden oder der Oma outet. Alexa Müller arbeitet selbstständig als Domina. E-Mail: [email protected]

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Professionalität in der Politik: Politische Partizipation am Beispiel der Hospiz- und Palliativbewegung Zur Bedeutung der politischen Partizipation am Beispiel der Hospiz- und Palliativbewegung

Birgit Weihrauch

»Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. – Es ist ja durchaus richtig, und alle geschichtliche Erfahrung bestätigt es, daß man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre.« Max Weber (1864–1920)

Politik und Politiker heute – eine Impression Warum sollte sich heute überhaupt noch jemand für den Beruf eines Politikers/einer Politikerin entscheiden? Diese Frage kann man sich stellen, wenn man das Ranking der verschiedenen Berufe nach ihrem Ansehen betrachtet. In einer Bürgerbefragung aus dem Jahr 2015 (DBB – Bürgerbefragung 2015) rangierte der Politikerberuf weit hinten an drittletzter Stelle, unmittelbar vor den Mitarbeitenden von Telefongesellschaften, Werbeagenturen und Versicherungsvertretern. »Das Misstrauen gegenüber den Berufspolitikern ist ungeheuer groß, ihr Sozialprestige (…) erstaunlich gering (…) Das Unbehagen an einer von Profis betriebenen Politik bildet die Grundlage jener Haltung, die wahlweise als Parteienverdrossenheit, Politikverdrossenheit, Politikerverdrossenheit, Legitimitätszweifel, Mangel an Vertrauen,

politische Apathie und politische Entfremdung bezeichnet worden ist (…) Die Bürger haben das Gefühl, dass sie in dem Maße, in dem die Politik den Berufspolitikern überlassen wird, ihre demokratischen Mitwirkungsrechte aufgeben« (Borchert 2003). Wir erleben immer mehr Drohungen und Angriffe gegenüber Politikern und eine steigende Aggressivität besonders auch in den sozialen Medien. Sie treffen führende Politikerinnen und Politiker ebenso wie ehrenamtliche Mandatsträgerinnen und -träger in Parteien und Stadtbezirken. Einige Politiker – übrigens keineswegs nur Berufspolitiker – haben deswegen inzwischen ihre Ämter zur Verfügung gestellt. Man hat den Eindruck, dass wir uns in der westlichen Welt, gerade auch in den alten Demokratien, bezogen auf Politik und Politiker in einer Zeit der Unsicherheit befinden – nationalistische und populistische Entwicklungen in vielen Ländern innerhalb und außerhalb Europas machen das mehr als deutlich. Ich möchte in meinem Artikel am Beispiel der Politik für eine bessere Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland einer solchen weit verbreiteten Negativwahrnehmung von Politik etwas entgegensetzen und zeigen, dass und wie Politik und Politiker, und zwar in engem Zusammenwirken mit Verbänden und der Zivilgesellschaft, Veränderungen im Sinne der Menschen bewirken, wenn alle Verantwortung übernehmen und ihre demokratischen Mitwirkungsrechte (und -pflich-

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 74–78, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

Paul Klee, Eros, 1923 / akg-images

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ten) wahrnehmen; und es damit nicht allein der Politik überlassen, zu Lösungen zu kommen. Professionalisierung von Politik – Politik als Beruf Wer sich mit der Frage der Professionalisierung von Politik beschäftigt, kommt an dem Sozialwissenschaftler Max Weber und seinem auch für

die Politikwissenschaft heute immer noch bedeutsamen Vortrag über die »Politik als Beruf« nicht vorbei (Weber 1999). Max Weber hat diesen Vortrag vor nahezu hundert Jahren im Januar 1919 gehalten – in einer Zeit des Umbruchs, unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution, mitten im Revolutionswinter, nachdem Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gerade ermordet worden waren.

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In seiner berühmten Abhandlung geht es um gefühl und Augenmaß: »Leidenschaft im Sinne den Begriff des Staates, um Macht und Machtstre- von Sachlichkeit – (…) mit der bloßen, als noch ben, das Herrschaftsverständnis und die Legiti- so echt empfundenen Leidenschaft ist es freilich mationsgründe einer Herrschaft und vor allem nicht getan. Sie macht nicht zum Politiker, wenn um das Verständnis von Politik und Politikern, sie nicht als Dienst in einer ›Sache‹ auch die Verauch in ihrem Verhältnis zum Berufsbeamtentum. antwortlichkeit gegenüber dieser Sache zum entWeber unterscheidet Gelegenheitspolitiker – das scheidenden Leitstern des Handelns macht. Und sind wir alle, etwa wenn wir unseren Wahlzettel dazu bedarf es des Augenmaßes, der Fähigkeit, ausfüllen oder uns in Versammlungen zu Wort die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe melden; nebenberufliche Politiker – zum Beispiel auf sich wirken zu lassen, also: der Distanz zu den Parteivorstände, die »weder ideell noch materiell Dingen und Menschen«. Bekannt sind schließlich daraus im wesentlichen ihr Leben machen«; und auch seine Ausführungen zum Verantwortungshauptberufliche Politiker – die, die »für« die Poli- gefühl als der wichtigsten Tugend eines Polititik, und jene, die »von« der Politik leben. In aller kers; sein größter Feind, so Weber, sei die Eitelkeit. Regel tut man, so Weber, mindestens ideell, meist Aber Professionalisierung betrifft nicht nur die aber auch materiell, beides. individuelle Ebene der Berufspolitikerinnen und In jedem Fall bedeutet »von« der Politik le- -politiker; sie betrifft auch politische Ämter, poliben auch ein Einkommen daraus zu beziehen. tische Institutionen, wie Parlamente und FraktioWenn politische Führung auch »Vermögenslosen« nen und ganze politische Systeme, zum Beispiel zugänglich gemacht werden soll, so Weber, das ein föderales System als Ganzes. Und Professioheißt, wenn man sie nicht den Reichen überlassen nalisierung von Politik beinhaltet darüber hiwill, dann muss sie entgolten werden. Die Profes- naus noch einen weiteren, in unserem heutigen sionalisierung der Politik ist insofern eine demo- politischen System besonders bedeutsamen Askratische Errungenschaft. Sie war aufgrund der pekt, der wohl am Anfang des 20. Jahrhunderts Politisierung immer weiterer Lebensbereiche und in einer eher konfliktorientierten Politik (noch) der ständig zunehmenden Komplexität der Poli- nicht die Rolle gespielt hat: das Aushandeln politik letztlich unausweichlich (Borchert 2003). Es tischer Entscheidungen, die sogenannte Verhandist genau diese Komplexität, die auch bei der der- lungsdemokratie (Borchert 2003). Es geht dabei zeit kontrovers diskutierten Frage, ob und gege- um politische Kooperationen und die Organisabenenfalls wie viel direkte Demokratie in unserer tion von Konsens, etwa bei der Bildung von Korepräsentativen Demokratie ermöglicht werden alitionen, bei der Organisation von Mehrheiten, soll, am Ende maßgeblich sein muss. Die Profes- zum Beispiel in föderalen Systemen, aber auch bei sionalisierung der Berufspolitiker ist in ihrer Ent- der Einbeziehung von Verbänden in die staatliwicklung im Übrigen in vielerlei Hinsicht mit der che Politikformulierung. anderer Berufe vergleichbar. Welche Qualitäten braucht ein Berufspoliti- Professionalität in der Politik und ker? – oder wie Weber fragt: »was für ein Mensch die Hospiz- und Palliativbewegung muss man sein, um seine Hand in die Speichen des Rades der Geschichte legen zu dürfen?« Es Am 15. November 2015 wurde vom Deutschen sind diese Ausführungen Webers zu den ethi- Bundestag das Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) schen Fragen der Machtausübung, die auch heute verabschiedet. Vorausgegangen war ein intensioffenbar immer noch als besonders wichtig und ver Beteiligungs- und Dialogprozess in allen Phaals gültig erachtet werden. Drei Qualitäten hält er sen des Gesetzgebungsverfahrens, beginnend im für entscheidend: Leidenschaft, Verantwortungs- Herbst 2014 mit einem Eckpunktepapier des Bun-

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Leidenschaft »im Dienste der Sache«, »Verantwortlichkeit gegenüber dieser Sache« und »Augenmaß«. Zugleich zeigte sich eine hohe Professionalität in den politischen Institutionen, zum Beispiel in dem »interfraktionellen Gesprächskreis Hospiz« des Deutschen Bundestags, dessen Abgeordnete fraktionsübergreifend über Jahre und auch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens den Dialog und den Austausch mit den Fachorganisationen gesucht und unterstützt haben. Sicher waren und sind es auch das unsere Gesellschaft zutiefst berührende Thema eines Sterbens in Würde und die sichtbaren Defizite in der Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen, die den Zugang zur Politik und die Professionalisierung von Politik im beschriebenen Sinne erleichtert haben – dies übrigens in bemerkenswerter Weise schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt. Seit Ende der 1980er Jahre – ich war damals verantwortliche Mitarbeiterin im Gesundheitsministerium Nordrhein-Westfalen (NRW) – machten wir unter dem Eindruck der damals noch jungen Hospiz- und Palliativbewegung diese in NRW zu einem Schwerpunktthema unserer Gesundheitspolitik; was be-

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desgesundheitsministeriums (BMG) und beider Koalitionsfraktionen, über die Referenten- und Regierungsentwürfe des BMG bis hin zu den parlamentarischen Diskussions- und Anhörungsverfahren; und ebenso auch mit der Möglichkeit, sich im Vorfeld der Bundesratsbefassung auf Ebene der Länder einzubringen. Das Gesetzgebungsverfahren baute bereits auf den Inhalten der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland (Charta 2010; Weihrauch 2014) und den Diskussionsergebnissen des Forums für die Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland auf, das vom BMG im Rahmen des Charta-Prozesses und als ein Baustein einer Nationalen Strategie eingerichtet worden war. Der Charta-Prozess hatte eine Bewegung in Gang gesetzt – als ein breit angelegter Konsensusprozess mit über 50 Organisationen und Institutionen sowie zahlreichen Expertinnen und Experten aus Gesellschaft und Gesundheitssystem mit dem Ziel, sich auf gemeinsame Ziele und gemeinsames Handeln zu verständigen. Die Charta war auf große Resonanz gestoßen – in der Gesellschaft, bei Verbänden und Organisationen, aber auch auf den verschiedenen Ebenen der Politik, bei Oberbürgermeisterinnen, Landräten, Politikerinnen und Politikern auf Landes- und Bundesebene. Nun wurden mit dem HPG wesentliche Ziele der Charta durch die Bundespolitik auch gesetzlich legitimiert und damit wichtige Rechtsgrundlagen für notwendige Weiterentwicklungen geschaffen. »Professionalisierung von Politik« – was bedeutet sie für die Hospiz- und Palliativbewegung? Als eine der Vertreterinnen des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands (DHPV), einem der Träger des Charta-Prozesses1, habe ich – und ich denke, das gilt auch für zahlreiche der beteiligten Organisationen und Institutionen – die handelnden Politikerinnen und Politiker in den Ministerien und im Parlament, sämtlich »Berufspolitiker«, ganz im Sinne Max Webers hoch professionell erlebt: mit

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deutete, die ja vor allem von der Gesellschaft und den Bürgerinnen und Bürgern getragene Bewegung behutsam zu moderieren und zugleich die Entwicklung der dafür ja auch notwendigen Rahmenbedingungen im Dialog mit den Akteuren zu unterstützen. Und diese Offenheit der Politik, bei vielen Politikerinnen und Politikern in den Ländern und auf der Bundesebene, war seither vielfach bemerkenswert – erinnert sei an die Einführung der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung in das SGB V im Jahr 2007 mit einem erstmals formulierten Rechtsanspruch für die Betroffenen, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen. Aber auch wir hatten uns mit dem ChartaProzess und den im Oktober 2016 verabschiedeten »Handlungsempfehlungen im Rahmen einer Nationalen Strategie« (Charta 2010 und Handlungsempfehlungen 2016) professionalisiert; ein Prozess, der uns allen über insgesamt acht Jahre ein hohes Maß an Überzeugungskraft, Dialogund Konfliktbereitschaft, Organisation, Mut und Durchhaltevermögen und nicht zuletzt auch viel ehrenamtliches Engagement abverlangte, der aber auch wichtige Lernprozesse ermöglichte – gerade auch in der Kommunikation mit der Politik. Das Eingangszitat von Max Weber kennzeichnet diesen langen gemeinsamen politischen Prozess in wunderbarer Weise. Und das Fazit? Die Professionalisierung von Politik hat viele Aspekte; ihre Darstellung würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Aber bezogen auf die hier wiedergegebenen (positiven) Erfahrungen mit Politik am Beispiel der Hospiz- und Palliativbewegung und des Charta-Prozesses vielleicht so viel: Es bedarf der Professionalisierung beider – von Politik und Akteuren; und es bedarf ihres Zusammenwirkens, ganz im Sinne der oben beschriebenen »Verhandlungsdemokratie«. Politik in ihrer heutigen Komplexität braucht diese Zusammenarbeit. Partizipation, als ein Kernelement der Demokratie, bedeutet im Ergebnis einen Mehrwert und eine neue, andere Qualität von Politik – und da-

für stand der Charta-Prozess mit seinen zahlreichen Beteiligten. Und wir wissen auch: Um die Ziele der Charta und des HPG zu erreichen und diese nun umzusetzen, bedarf es vieler weiterer Schritte und – so die Forderung der Charta – einer Nationalen Strategie mit Unterstützung der Politik. Dass das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) die Förderung der für die weitere Umsetzung notwendigen Koordinierungsstelle in den kommenden drei Jahren übernommen hat, ist dazu ein außerordentlich hoffnungsvolles Signal. Dr. Birgit Weihrauch, Staatsrätin a. D., Ärztin/Sozialmedizin. Nach mehrjähriger ärztlicher Tätigkeit in der Inneren Medizin, Kinderheilkunde und Allgemeinmedizin in Deutschland und den USA war sie u. a. viele Jahre in leitender Funktion im Gesundheitsministerium Nordrhein-Westfalen tätig und zuletzt Staatsrätin bei der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales in Bremen. Sie war langjährige Vorsitzende des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands und Mitinitiatorin der Charta. E-Mail: [email protected] Literatur Borchert, J. (2003). Die Professionalisierung der Politik. Zur Notwendigkeit eines Ärgernisses. Frankfurt a. M. Charta (2010) und Handlungsempfehlungen (2016). Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland und Handlungsempfehlungen im Rahmen einer Nationalen Strategie. http://www.chartazur-betreuung-sterbender.de/ DBB  – Bürgerbefragung (2015). Repräsentationsstudie des Forsa-Instituts im Auftrag des DBB Beamtenbunds: Das Ansehen einzelner Berufsgruppen. http://www.faz.net/ aktuell/wirtschaft/wirtschaftspoli-tik/wie-sich-das-ansehen-verschiedener-berufe-aendert-13785696.html Weber, M. (1999). Max Weber, Gesammelte Politische Schriften. Potsdamer Internet-Ausgabe. http://www.unipotsdam.de/u/paed/pia/index.htm Weihrauch, B. (2014). Von der Charta zur Nationalen Strategie  – ein Gemeinschaftsprojekt für mehr »Zugangsgerechtigkeit« und »Letztverlässlichkeit«. In: Die HospizZeitschrift, 61, 3, S. 6–9. Anmerkung 1

Initiatoren und Träger des Charta-Prozesses waren die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), der Deutsche Hospiz- und Palliativverband (DHPV) und die Bundesärztekammer. Der Prozess wurde gefördert von der Robert Bosch Stiftung, dem Bundesfamilienministerium und der Deutschen Krebshilfe.

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Professionalisierung von Spiritual Care? Eckhard Frick Das lateinische Wort professio ist abgeleitet von profiteri (öffentlich bekennen, bezeugen). Denselben Wortursprung hat der Beruf Professor(in). Aber nicht nur für Lehrende, sondern für alle, die einen Beruf haben, gilt: Sie üben diesen Beruf nicht privat aus, sondern öffentlich. Sie spüren – hoffentlich! – nicht nur eine innere Berufung. Vielmehr ist ihre Berufung durch Ausbildung, Prüfung, offizielle Beauftragung (zum Beispiel ärztliche Approbation, kirchliche Sendung, Verbeamtung) sozial normiert. Auch nach dem Berufseinstieg unterliegen sie den Qualitätskriterien von Berufsethik, Forschung/Wissenschaft und Wirtschaftlichkeit. Im Unterschied zum Ehrenamt werden sie für ihre Berufstätigkeit bezahlt. Professionalisierung kann dadurch vorangetrieben werden, dass bestimmte Kompetenzen identifiziert, aus einem größeren Kontext herausgelöst und durch einen neu geschaffenen Beruf wahrgenommen werden. So wurden während eines Praktikums am Beginn meines Medizinstudiums die Narkosen von einer erfahrenen Operationsschwester eingeleitet und überwacht. Beim nächsten Praktikum in diesem kleinen Krankenhaus stand nicht mehr Schwester Margret am Kopfende des Operationstisches, sondern Dr. Vogelsang, Facharzt für Anästhesiologie. Welche der genannten Professionalisierungsmerkmale treffen auf Spiritual Care zu? Spiritual Care ist die gemeinsame Sorge aller helfenden Berufe für die spirituellen Nöte, Wünsche, Ressourcen kranker Menschen, nicht nur am Lebensende und nicht nur in einem ausdrücklich religiösen Kontext (Boothe und Frick 2017). »Spiritual Care« ist keine geschützte Berufsbezeichnung wie Dr. Vogelsangs Facharztbezeichnung, sondern ein transprofessioneller Bereich, der breiter ist als »Reli­

gious Care« (Sorge der Religionsgemeinschaften für ihre kranken Mitglieder). Der Oberbegriff Spiritual Care umfasst sowohl Religious Care als auch Unterstützungsangebote in existenziellen Situationen ohne formellen religiösen Bezug. Werden diese Angebote von »professional chaplains« erbracht, spricht man im englischen Sprachraum von »chaplaincy care« (Swift, Handzo und Cohen 2015). Im deutschen Sprachraum wird die (kulturund religionssensible) Krankenhausseelsorge teilweise als Synonym für Spiritual Care verwendet (Roser 2007), teilweise wird die Sorge über eine mögliche Entprofessionalisierung in dem Sinne geäußert, dass die qualitativ hochwertige kirchliche Krankenhausseelsorge durch ein in Qualität und Inhalt noch unbestimmtes Spiritual Care verschiedener Berufsgruppen abgelöst werden könnte (Nauer 2016). Spiritual Care ist weder eine Berufsbezeichnung noch ein Gegenentwurf zu bekannten Berufsbildern, sondern ein transprofessioneller Prozess »im Werden« (Peng-Keller 2017). Professionalisierung: öffentlich und persönlich-biografisch Professionalisierung von Spiritual Care ist ein Prozess, der in Abhängigkeit von der Ausgangssituation (bestehende Berufsbilder, wichtige interprofessionelle Modelle wie Palliative Care, Entkonfessionalisierung und andere) von den Stake- und Shareholdern (ökonomische, kirchliche, berufspolitische Einflüsse) in Verlauf und Ergebnis offen ist. Spiritual Care ist ein »generischer« (allgemeiner, von konfessions- und religionstypischen Besonderheiten abstrahierender) Begriff. Dies kann die unerwünschte Begleiterscheinung nach sich ziehen, dass dem Angehörigen einer

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 79–83, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

Wassily Kandinsky, Dominant Violet, 1934 / Galerie Maeght, Paris, France / Bridgeman Images

Spiritual Care in seiner generischen, die Grenzen von Konfessionen, Religionen und Berufen überschreitenden Bedeutung bietet die Chance, dass alle in der Patientenbetreuung Tätigen über eine spirituelle Basiskompetenz verfügen. bestimmten Religion nicht mehr die seit Kindesbeinen vertraute seelsorgliche Begleitung durch Sakramente oder anderen spezifischen Text- und Ritualbezug zuteilwird (Engelhardt und Delkeskamp-Hayes 2011). Spiritual Care in seiner generischen, die Grenzen von Konfessionen, Religionen und Berufen überschreitenden Bedeutung bietet jedoch auch die Chance, dass alle in der Patientenbetreuung Tätigen über eine spirituelle Basiskompetenz verfügen. Dies schließt weder berufsspezifische Spezialkompetenzen aus noch die Berücksichtigung von Spezialkompetenzen der jeweils anderen Profession (Hagen und Raischl 2011). Im Gegenteil, wenn alle Gesundheitsberufe eine »Antenne« für die Spiritualität kranker Menschen haben, wird

es ihnen leichter fallen, andere Professionen hinzuzuziehen, zum Beispiel die Seelsorge. Eine derartige Sensibilität für die spirituellen Bedürfnisse und Orientierungen anderer auszubilden, setzt ein Bewusstsein für die eigene Spiritualität voraus. Eine persönliche Arbeit an der spirituellen Biografie verschränkt sich also mit einem professionellen Umgang mit Religion und Spiritualität. Dies wird dann besonders fruchtbar, wenn Seelsorger und Ärzte gemeinsam in Spiritual Care ausgebildet werden (Mitchell et al. 2016). Stakeholder und Shareholder In der Sprache der Wirtschaft sind Stakeholders Personen, die sich für ein Unternehmen interes-

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sieren oder die ein derartiges Interesse vertreten. Eine Untergruppe stellen Shareholders (Aktionäre, Anteils- oder Kapitaleigner) dar. Es gibt vielfältige Spiritual-Care-Stakeholder: in erster Linie die Patienten, denen jegliche Behandlung (caring) gilt. Allgemein kann man Caring folgendermaßen formalisieren: T k P: Therapeut(in) kümmert sich um Patient(in). Erster Stakeholder im Gesundheitswesen ist immer P, um dessen Behandlung es geht. So wird auch das Eigenschaftswort »spiritual« in Spiritual Care über Ps Wünsche, Bedürfnisse, Präferenzen bestimmt. Aber auch die Art und Weise des Carings k ist spirituell, und zwar nicht durch die explizite Benennung von bestimmten spirituellen Interventionen, sondern durch die spirituelle Haltung in jeglichem, auch sehr alltäglichem, medizinischem oder pflegerischem k. Schließlich ist auch T spirituell, das Ausmaß und die Art und Weise des self-caring und der eigenen spirituellen Positionierung sind maßgeblich für die Professionalisierung in diesem Feld (Mitchell et al. 2016). Neben P und T sind weitere Spiritual-CareStakeholder: Angehörige und Freunde, Pflege, Medizin und andere Gesundheitsberufe sowie die zugehörigen Wissenschafts-, Forschungs- und Lehrinstitutionen, ferner die jeweilige Gesundheitseinrichtung und ihr Träger, der universitär, kommunal-öffentlich, privat-gemeinnützig (Kirchen oder sonstiger gemeinnütziger Träger) oder privat-gewinnorientiert sein kann. Kirchen und andere Religionsgemeinschaften wirken als spirituelle Stakeholder über Theologie, Gemeinden, kirchliche Sendung auch in solche Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen hinein, die zu einem anderen Träger gehören. Sie stützen sich dafür auf die durch die Verfassung verbriefte Religionsfreiheit und auf ihren gesellschaftlichen Einfluss. Durch die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens gewinnt der ShareholderEinfluss einen immer größeren Einfluss: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Was die Kirchen betrifft, so ist in Deutschland und Österreich ihr Shareholder-Einfluss größer als ihr Stakehol-

der-Einfluss. Dies führt dazu, dass die prägende Kraft spiritueller Managementziele in vielen konfessionellen Krankenhäusern rapide schwindet (Tscheulin, Drevs und Seemann 2013). Außerdem ist eine gewisse Tendenz zum Rückzug von Diözesen und Landeskirchen zu beobachten. Eine Krankenhausseelsorgerin formulierte das so: »Wir sind in einer Zwickmühle: Die Kirchen wollen uns abwickeln und Seelsorge auf die Gemeinden beschränken. Gleichzeitig macht uns die Medizin mit Spiritual Care Konkurrenz, oft in dilettantischer Weise!« Es ist aber auch eine gegenläufige Tendenz zu beobachten: Manche Träger, unter ihnen auch kirchliche und kommerzielle, refinanzieren Spiritual Care, wenn sich die Kirche finanziell und personell zurückzieht. Die nun über den Träger angestellten »Anbieter« von Spiritual Care (wie immer sie heißen mögen) stehen damit unter einem verstärkten Medikalisierungs- und Wirtschaftlichkeitsdruck (Lasair 2016). Kirchliche Sendung vs. postchristliches Berufsbild »Missionieren« hat in der deutschen Gegenwartssprache den negativen Klang von »Manipulieren«, »eine Überzeugung aufdrängen«, »eine berufliche Position missbrauchen« und wird deshalb meist verneint gebraucht, soll bezeichnen, was der Sprecher nicht intendiert. So (als »Nicht-Missionierende«) positionieren sich auch viele Seelsorgende, obwohl Mission (Sendung) ein Grundwort des Neuen Testaments und der christlichen Kirche ist. Schützeichel (2004) diagnostiziert eine Dissoziation von Kirche und Diakonie. Kirchliche Diakonie versuche, ein differenziertes, problembezogenes Beratungsangebot zu machen, ohne zu verkünden: Nicht religiöse Fragen stünden im Vordergrund, sondern die Probleme der ratsuchenden Person. Auch juristisch wird das Sendungsrecht kirchlicher Autoritäten (und damit ein Mitspracheoder gar Entscheidungsrecht bezüglich der Stellenbesetzung in der Krankenhausseelsorge) in

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8 2   E c k h a r d Fr i c k

Frage gestellt. Im kanadischen Kontext (Jobin 2017) ist der spiritual counselor längst ein säkularer Beruf ohne kirchlich-religiöse Rückbindung. »Spiritual care providers serve as a reminder of Canada’s religious past« (Lasair 2016, S. 65). Andererseits lege ihre Berufsorganisation Wert darauf, dass sie Mitglieder einer etablierten religiösen oder spirituellen Gemeinschaft sind, mit dem Ziel: »bring their own traditions into dialogue with health care receivers« (S. 67). Was zeigen internationale Vergleiche und was nicht? Vergleiche, etwa mit den USA, Kanada, mit dem laizistischen Frankreich (Pujol, Jobin und Beloucif 2016) oder mit den niederländischen geestelijk verzorgers religiöser, humanistischer oder areligiöser Orientierung (Gärtner 2015), werden gelegentlich dazu herangezogen, um Gefahren zu beschreiben, die im deutschen Sprachraum drohen könnten, etwa der Rückzug der Kirchen aus der der Krankenhausseelsorge zu Gunsten des entprofessionalisierten Ehrenamtes und eines pflegerischen oder medizinischen Spiritual Care als eines (schlechten) Seelsorge-Ersatzes. Es ist sicher hilfreich, die Entwicklung von Spiritual Care auf internationaler Ebene im Blick zu haben. Für eine Professionalisierung im Dienst kranker Menschen braucht es aber vor allem die innovative Zusammenarbeit aller Berufsgruppen. Die Angst vor andernorts beobachteten und hierzulande befürchteten Entwicklungen sollte dabei keine Ratgeberin sein – jedenfalls nicht die einzige. Eckhard Frick sj, katholischer Priester, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychiatrie, Psychoanalytiker, lehrt Spiritual Care und Psychosomatische Anthropologie an der Hochschule für Philosophie und am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (www.spiritualcare.de). E-Mail: [email protected]

Literatur Boothe, B.; Frick, E. (2017). Spiritual Care – Über das Leben und Sterben. Zürich. Engelhardt, H. T.; Delkeskamp-Hayes, C. (2011). Der Geist der Wahrheit und die »Legion« der Spiritualitäten. Ein orthodoxer Blick auf die Klinikseelsorge im religiösen Pluralismus. In: Frick, E.; Roser, T. (Hrsg.), Spiritualität und Medizin. Gemeinsame Sorge für den kranken Menschen (S. 73–80). 2. Auflage. Stuttgart. Gärtner, S. (2015). Seelsorge wird Spiritual Care versus Spiritual Care und Seelsorge. Ein Ländervergleich der institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen. In: Spiritual Care, 4, S. 202–214. Hagen, T.; Raischl, J. (2011). Allgemeine und spezielle Kompetenzen in Spiritual Care. In: Frick, E.; Roser, T. (Hrsg.), Spiritualität und Medizin. Gemeinsame Sorge für den kranken Menschen (S. 285–292). 2. Auflage. Stuttgart.

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Brian Jackson / Fotolia

Jobin, G. (2017). Development of the connection between spirituality and medicine: Historical and current issues in clinical contexts. In: Spiritual Care, 6, S. 167–174. Lasair, S. (2016). Ethics, politics, and religion in public health care: A manifesto for health care chaplains in Canada. In: Journal of Pastoral Care & Counseling, 70, S. 63–69. Mitchell, C. M.; Epstein-Peterson, Z. D.; Bandini, J.; Amobi, A.; Cahill, J.; Enzinger, A., et  al. (2016). Developing a medical school curriculum for psychological, moral, and spiritual wellness: Student and faculty perspectives. In: Journal of Pain and Symptom Management, 52, S. 727–736. Nauer, D. (2016). Spiritual Care und/statt Seelsorge? In: Geist und Leben, 89, S. 291–301. Peng-Keller, S. (2017). »Spiritual Care« im Werden. Zur Konzeption eines neuen interdisziplinaren Forschungsund Praxisgebiets. In: Spiritual Care, 6, S. 187–193. Pujol, N.; Jobin, G.; Beloucif, S. (2016). ›Spiritual care is not the hospital’s business‹: A qualitative study on the perspectives of patients about the integration of spirituality in healthcare settings. In: Journal of Medical Ethics, 62, S. 733–737.

Roser, T. (2007). Spiritual Care. Ethische, organisationale und spirituelle Aspekte der Krankenhausseelsorge. Ein praktisch-theologischer Zugang. Mit einem Geleitwort von Eberhard Schockenhoff. Stuttgart. Schützeichel, R. (2004). Von der Buße zur Beratung. Über Risiken professionalisierter Seelsorge. In: Schützeichel, R.; Brüsemeister, T. (Hrsg.), Die beratene Gesellschaft: Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Beratung (S. 111–140). Wiesbaden. Swift, C.; Handzo, G.; Cohen, J. (2015). Health care chaplaincy. In: Swift, C.; Todd, A.; Cobb, M. (Hrsg.), A handbook of chaplaincy studies. Understanding spiritual care in public places (S. 185–190). Farnham. Tscheulin, D. K.; Drevs, F.; Seemann, A.-K. (2013). Konfessionelle Krankenhäuser – Überlebte Organisationen? In: Baumann, K.; Eurich, J.; Wolkenhauser, K. (Hrsg.), Konfessionelle Krankenhäuser. Strategien. Profile. Potenziale (S. 81–102). Stuttgart.

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Seelsorge und Professionalität oder War Jesus ein Profi? Johannes Albrecht Sehr Professionell! Solche Bewertung schmeichelt oder wertschätzt – urteilt dabei über Kompetenzen und Fähigkeiten, Kenntnisse und Fachlichkeit eines Menschen. Wie unprofessionell! Das trifft ins Mark, bezweifelt. Das hätte besser sein können – besser sein müssen. Aber was ist »professionell«, was meint Professionalität? Der Begriff des Profis grenzt heute gemeinhin ab vom Laien, Ehrenamtlichen oder Amateur, im schlimmsten Fall vom Dilettanten. »Professio« meinte früher zunächst das öffentliche Bekenntnis, später auch das Gewerbe, den Beruf. »Zu den Professionen gehörten zunächst nur wenige Berufe wie Arzt, Jurist, Geistlicher« (Wikipedia, Artikel »Professionalisierung«). Seelsorge wiederum gilt als integraler Bestandteil pfarramtlicher Professionalität (Klessmann 2005, S. 283). Ist also Seelsorge per se professionell, wenn sie durch einen Geistlichen ausgeübt wird? Und ist Seelsorge durch Ehrenamtliche und Laien damit schon gleich unprofessionell? Beides dürfte strittig sein. Wie professionell ist Seelsorge? Ich erinnere mich in meiner Kindheit, wie die Rede davon war, dass jetzt jemand als Seelsorger im Krankenhaus oder in der Altenpflege tätig sei. Das hatte nicht selten einen gewissen Beigeschmack. Da ging es dann um Geistliche, die in der Gemeinde aus irgendeinem Grund nicht zurechtgekommen waren oder sich irgendetwas zu Schulden hatten kommen lassen. Und es blieb das Gefühl, wenn schon nicht Gemeindepfarrer, dann reicht es doch wenigstens für die Seelsorge. Das schloss zwar nicht aus, dass die betroffenen Personen die für diese Aufgabe erforderlichen

Kompetenzen mitbrachten, aber es drängt sich der Verdacht auf, dass dieses nicht das entscheidende Auswahlkriterium war. Als ich 2003 in der Krankenhausseelsorge begann, war die Bereitschaft zu einer zwölfwöchigen spezialisierten Seelsorgeausbildung eine der Zugangsvoraussetzungen. Heute ist in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz der Abschluss dieser sehr umfassenden Weiterbildung Bedingung für die Aufnahme einer Seelsorgetätigkeit im Krankenhaus. (Das ist auch in anderen Evangelischen Landeskirchen und katholischen Bistümern so oder ähnlich geregelt.) Zudem gehört eine sechswöchige Klinische Seelsorgeausbildung (KSA) inzwischen in dieser Landekirche auch zum Pflichtprogramm der Praxisausbildung vor dem zweiten Theologischen Examen, also selbst für die Pfarrerinnen und Pfarrer, die ein ganz normales Gemeindepfarramt anstreben. In einer Auseinandersetzung mit dem Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) um die palliative Komplexbehandlung und die Kodierempfehlung 428 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), welche schlicht behauptet, dass »der Seelsorger« nicht zum Behandlungsteam gehöre1 (Frisch behauptet ist halb bewiesen?), äußerte der stellvertretende Geschäftsführer und leitende Arzt des MDS in einem Brief die Befürchtung, dass die abrechnungsrelevante Einbeziehung der Seelsorge zu einem Abbau der

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 84–86, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

S e e l s o r g e u n d P r o f e s s i o n a l i t ä t o d e r Wa r J e s u s e i n P r o f i ?    8 5

übrigen hochqualifizierten Mitarbeiter führen könnte. Welche Vorstellung von Professionalität und Qualifikation der Seelsorgenden im Krankenhaus mag hier im Hintergrund lauern? Seelsorge in der Palliativmedizin

William Blake, Christ giving sight to Bartimaeus / Yale Center for British Art, Paul Mellon Collection, USA / Bridgeman Images

Ist die Krankenhausseelsorge von ihren Wurzeln her zunächst vor allem ein Dienst der Kirchen an Menschen in besonderer Lebenssituation, bekommt sie im Rahmen der Palliativmedizin noch einmal eine ganz andere – auch professionelle – Einordnung. Der ganzheitliche Ansatz der Palliativmedizin, der den Menschen mit seinen untrennbaren grundlegenden Lebensdimensionen (physische, psychische, soziale und spirituelle Di-

mension) in den Blick nimmt, führt zu einer multiprofessionellen Zusammenarbeit verschiedenster Berufsgruppen. Seelsorge nimmt als Profession den Part eines eigenständigen qualifizierten Angebots der spirituellen Begleitung wahr, wiewohl das alle anderen beteiligten Professionen nicht davon befreit, sich ihrerseits auch den spirituellen/existenziellen Fragen zu stellen (vgl. Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland, S. 34 zum Leitsatz 2, Handlungsfeld 1; auch in der S3-Leitlinie Palliativmedizin findet sich die Einbindung der Seelsorge als Profession vielfach wie selbstverständlich). Erwähnt soll sein, dass es vereinzelt in der Praxis auch andere, nichtkonfessionell getragene qualifizierte Angebote von Spiritual Care gibt. Das

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8 6   J o h a n n e s A l b r e c h t

Angebot der Seelsorge richtet sich sowohl auf die Spiritualität des Patienten und der Zugehörigen als auch auf die der Teammitglieder und des Teams. Wenn Seelsorge für die spirituelle Begleitung steht, so ist sie im System nicht mehr nur von außen (Kirche) beauftragter Dienst, sondern auch integraler Teil eines multiprofessionellen medizinischen Behandlungskonzepts. Dieses hat sowohl Auswirkung auf das System als auch auf die Seelsorge selbst. Zwei Aspekte professioneller Seelsorge Alle Kriterien der Professionalität von Seelsorge können im Rahmen der vorgegebenen Kürze dieses Artikels nicht umfassend dargestellt werden, aber zwei (mir besonders wichtige) Aspekte seien hier kurz angesprochen: 1. Häufig wird als Kriterium von Professionalität auch die »professionelle Distanz« aufgeführt (siehe Wikipedia-Artikel »Profi«). Mir scheint die Beschreibung und Ausgestaltung eines Kriteriums der »professionellen Nähe« wichtiger. Seelsorge und spirituelle Begleitung kann Wirksamkeit nur entfalten, wenn sich Seelsorgende berühren lassen und zur Nähe bereit sind. Professionelle Distanz bleibt wichtig als Fähigkeit, Abstand zu sich selbst zu haben, sich immer wieder einen kritischen Blick auf das eigene Agieren und auf die eigenen (auch spirituellen) Vorstellungen und Ideen zu gönnen. 2. Klessmann zählt unter die symbolische Kompetenz der Professionalität in der Seelsorge »die Fähigkeit, religiöse Sprache erfahrungsbezogen auszulegen und säkulare Ausdrucksformen in religiöse übersetzen zu können« (2005, S. 283). Mir scheint hingegen bei einem Spiritual-CareKonzept, das sich von der vorfindlichen Spiritualität des Gegenübers leiten lässt, im Kontext einer multikulturellen Gesellschaft und bei voranschreitender Säkularisierung mindestens genauso (ge-)wichtig – wenn nicht gar grundlegend – die Fähigkeit, religiöse Sprache und Ausdrucksformen in säkulare übersetzen zu können.

Jesus, der Profi? Zum Schluss kurz zu der Frage, die bei der Anfrage zu diesem Artikel (wohl mit einem Augenzwinkern) im Raum stand: War Jesus ein Profi? Ja, war er! Er war von Beruf Zimmerman (wie sein Vater), zunächst (Markus 6,3). Später, als Rabbi (Lehrer), fällt er durch eine erstaunliche Kunde der heiligen Schriften auf. Zudem ist in seiner Praxis in heilsamen Begegnungen häufig zu spüren, wie er Leib und Seele eines Menschen gleichzeitig in den Blick nimmt. Wir würden heute von Ganzheitlichkeit sprechen. Lernen können wir von ihm auch in Sachen professioneller Nähe. Zahlreiche Geschichten erzählen von innerster Berührung, Mitgefühl und Empathie. Gleichzeitig spielen körperliche Berührung und Nähe in vielen Heilungsgeschichten eine große Rolle. Ein ganz besonderes Lehrstück (auch für jeden Seelsorgenden heute noch) liefert Jesus bezüglich Respekt und Autonomie des Gegenübers. Als er bei Jericho auf einen bettelnden Blinden trifft, der ihn um Erbarmen anfleht, verrät seine Vergewisserungsfrage gesunde (professionelle) Distanz zu den eigenen Vorstellungen und dem vermeintlich Offensichtlichen: »Was willst du, dass ich für dich tun soll?« (Lukas 18,41). Johannes Albrecht ist Seelsorger im Evangelischen Zentrum für Altersmedizin Potsdam und Sprecher der Sektion Seelsorge in der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). E-Mail: [email protected] Literatur Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland, Nationale Strategie  – Handlungsempfehlungen. http://www.charta-zur-betreuung-sterbender.de/files/bilder/neu2 %20RZ_161004_Handlungsempfehlungen_ONLINE.pdf Klessmann, M. (2005). Seelsorge und Professionalität. In: PraktischeTheologie, 40, 4. Anmerkung 1 http://www.mdk.de/media/pdf/SEG4-KodEmpf_001561_160620.pdf

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Die Unsicherheit der Trauerbegleiter Ein theologisch-professionssoziologischer Erklärungsversuch

Simone Ripke Beobachtungen zum gesellschaftlichen Status der Trauerbegleiter Der gesamtgesellschaftliche Status der Trauerbegleiter ist undefiniert. Für diese Unklarheit stehen viele Schlaglichter: Der »Trauerbegleiter« ist ein rechtlich ungeschützter Begriff. Das heißt, jeder Mensch kann sich ohne besondere Qualifizierung Trauerbegleiter nennen, damit werben und eine den eigenen – unter Umständen recht subjektiven – Ansprüchen gemäße Begleitung anbieten. Auch der Aspekt einer Zertifizierung von Trauerbegleitung fällt hier herein. Wie kann man Trauerbegleitung lehren und lernen? Auf welches Zertifikat »Trauerbegleitung« ist für den angehenden Trauerbegleiter als auch für die Trauernden, die auf der Suche nach einer geeigneten Begleitung sind, Verlass? Besonders relevant ist auch die Frage nach dem Geld: Kostet Trauerbegleitung Geld und wenn ja, wie viel? Wer bezahlt die Trauerbegleitung dann – die Betroffenen selbst oder zum Beispiel die Krankenkassen? Oder ist Trauerbegleitung doch eine reine Ehrenamtsarbeit? Mit diesen ungeklärten Fragen geht die existenzielle Unsicherheit der Trauerbegleiter einher. Wenn jemand meint, als Trauerbegleiter gut ausgebildet zu sein, und dieser dann auch Trauerbegleitung anbietet, reicht das aus, um die persönliche Existenzgrundlage zu sichern? Ist unter Umständen sogar ein Haupt- oder ein Zweitberuf notwendig, der Geld einbringt? Genügt das Einkommen des Ehepartners für die Familie? Wird die Spur der Trauerbegleitung zu ihren Wurzeln zurückverfolgt, so führt der Weg zum Beruf des Pfarrers. Kennzeichen der späten Mo-

derne ist eine Transformation, ein Übergang von pastoralen Funktionen auf nichtkirchliche Akteure: zum Beispiel die Bestattungspredigt auf »freie« Bestattungsredner, Bestattungsliturgie auf Ritendesigner sowie Bestatter und eben die Seelsorge im Trauerfall auf Trauerbegleiter. Das sind Indizien dafür, dass sich das Religionssystem im Wandel befindet. Die ursprünglich durch den Pfarrberuf zusammengehaltene Kasualie der Bestattung dringt an ihren Rändern in andere, angrenzendverwandte Berufe ein oder lässt neue Berufe entstehen. Hier liegt die Wurzel des Trauerbegleiters. Hier ist zugleich aber auch die Unsicherheit der Trauerbegleiter zu verorten. Denn alle aufgeführten Fragen, die für die gegenwärtige Tätigkeit des Trauerbegleiters offen sind, stell(t)en sich für einen Pfarrer gar nicht. Damit sind die Fragen nach Qualifikation (Theologiestudium und Vikariat), rechtmäßiger Führung des Amtstitels (Ordination), nach Vergütung der seelsorgerlichen Handlung (Gehalt von der Landeskirche aus Mitteln der Kirchensteuer aller Kirchenmitglieder) und somit auch die grundlegende Existenzsicherung gemeint. Nach Martin Luthers Priestertum aller Gläubigen steht zwar jedem Christen die Ausübung der Seelsorge am Nächsten zu, der Pfarrer allerdings ist im Besonderen mit der Funktion beauftragt, als ordinierter, seelsorgerlich geschulter Theologe dem Trauernden Beistand zu leisten. In einer professionssoziologischen Gegenüberstellung des Trauerbegleiters in Bezug auf ihre funktionalen Herkunft – also dem Pfarrer – wird im Folgenden dargestellt, warum gerade der Trauerbegleiter gesamtgesellschaftlich einen solchen unsicheren Status hat.

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 87–91, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

8 8   S i m o n e R i p k e

Die jüngere Professionssoziologie am Beispiel Isolde Karle Karle hat mithilfe der jüngeren Professionssoziologie, in der sie sich vor allem auf Rudolf Stich-

weh bezieht, eine »Berufstheorie im Kontext der modernen Gesellschaft« entworfen, die den Pfarrberuf als Profession darstellt. Zunächst wird nun das Konzept der jüngeren Professionssoziologie am Pfarrerberuf vorgestellt, bevor ihrer

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D i e U n s i c h e r h e i t d e r Tr a u e r b e g l e i t e r    8 9

Fernand Léger, L’homme au Chandail / INTERFOTO / SuperStock / Peter Willi

Bedeutung für den Trauerbegleiter nachgegangen wird. Eine grundlegende Aussage der Professionssoziologie ist, dass nicht jeder Beruf eine Profession ist. Geschichtlich gesehen bezeichnen Pro-

fessionen die akademischen Berufe, die aus der Grundstruktur der Universität des Mittelalters und ihren obersten Fakultäten hervorgingen. Dabei handelt es sich um die sogenannten klassischen Professionen des Theologen, des Juristen und des Mediziners. Die jüngere Professionssoziologie bedenkt ihr Verständnis von Professionen im Zusammenhang mit Niklas Luhmanns Gesamtwerk über die funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Systeme. Systeme sind ganz vereinfacht gesagt nach verschiedenen Aufgaben geteilte Bereiche, die zum Erhalt der Gesellschaft notwendig sind. Zu den von Luhmann beschriebenen Funktionssystemen gehören zum Beispiel das Religionssystem, das Wirtschaftssystem, das Gesundheitssystem, das Rechtssystem, das System der Intimbeziehungen. Im Zusammenhang mit der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft geht die jüngere Professionssoziologie – und somit auch Isolde Karle – aus von einer funktionalen Verbindung der Professionalisierungsdynamik mit der sozialstrukturellen gesellschaftlichen Entwicklung. Ihre These ist: Erst wenn innerhalb eines Funktionssystems ein Beruf die Monopolstellung für die von diesem System angehörende Funktion einnimmt, kann von einer Profession gesprochen werden. So ist das erste Kriterium für eine Profession, dass sie das Funktionssystem, dem sie angehört, als Beruf dominiert. Das Funktionssystem, dem der Pfarrer angehört, ist das der Religion, wozu auch andere Berufe zählen, zum Beispiel der Katechet. Der Pfarrberuf stellt im Idealfall ein Monopol im Religionssystem dar, denn er leitet und kontrolliert die Abläufe und Entscheidungen in der Gemeinde; er ist zumeist erster Ansprechpartner in dringenden Fällen, zum Beispiel Taufe, Hochzeit, Bestattung. Dahingegen besteht das Wirtschaftssystem zum Beispiel aus pluriformen Berufsgruppen, von denen keine einzelne das eigene Funktionssystem dominiert oder leitet. Professionalisierungsprozesse zeigen sich im Zusammenhang mit diesem Aspekt als spezifi-

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9 0   S i m o n e R i p k e

sches Muster für Problemlösungen in besonderen Funktionssystemen. Dahinter verbirgt sich das zweite Kriterium einer Profession im Verständnis der jüngeren Professionssoziologie. Der Pfarrer dominiert das Religionssystem, weil er die Partizipation von Personen am eigenen, Externen oft fremden Funktionssystem erleichternd organisiert. Im Religionssystem geht es um alle Fragen nach transzendenten (Sinn-)Zusammenhängen, die ganz allgemein gestellt werden oder auch im Besonderen in jedem Moment des Lebens aufbrechen können. Der systemtheoretische Begriff der »Inklusion« spielt hierbei eine wesentliche Rolle. Inklusion bedeutet, dass der Einzelne verschiedene Möglichkeiten der Partizipation an einem Funktionssystem hat. Im Gegensatz zur hierarchisch gegliederten Ständegesellschaft des Mittelalters, in der jeder seinen Platz in einem bestimmten Stand innehatte, besteht das Grundprinzip der funktionalen Gesellschaftsstruktur darin, dass jeder an allen Funktionssystemen teilnehmen kann. Ein Subjekt in der spätmodernen Gesellschaft partizipiert unabhängig von seiner Schichtenangehörigkeit zum Beispiel als kranker Patient am Medizinsystem, als Kläger am Rechtssystem, als Vater am Familiensystem, und das alles abwechselnd gleichzeitig. Die grundlegende Struktur, an einem Funktionssystem zu partizipieren, geschieht dann über Rollenasymmetrien: Entweder als Leistungsträger oder als Leistungsempfänger tritt ein Akteur in ein System ein (Pfarrer – Gemeindeglied). Die Partizipation der Subjekte an einem Funktionssystem als Leistungsempfänger erfolgt in ihrer funktionsbezogenen Komplementärrolle (zum Beispiel als Patient, als Doktorand). Die verschiedenen Funktionssysteme haben jeweils eigene, unter Umständen recht unterschiedliche Mechanismen entwickelt, auf welche Weise Leistungsträger und -empfänger an ihrem System teilnehmen können. Die professionsbezogenen Funktionssysteme stechen hierbei durch einen interaktiven Inklu-

sionsmechanismus hervor. Damit ist die professionelle Betreuung gemeint, die Kommunikation unter Anwesenden notwendig macht, um einen direkten, persönlichen Kontakt zum Gegenüber herzustellen. Professionelle Inklusion ist also stets von direkter Interaktion abhängig, wodurch dazugehörende Leistungsträger (zum Beispiel Ärzte, Anwälte, Pfarrer) eine zentrale Stellung in ihren jeweiligen Funktionssystemen erhalten. Isolde Karle verweist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Professionsethik, die sich aus Takt, Höflichkeit, Ehrerbietung und Benehmen zusammensetzen sollte, denn problemlösende Kommunikation setzt gegenseitige Anerkennung voraus. Das dritte Kriterium einer Profession ist die Frage nach dem Inhalt der konkreten Funktion. Im Gegensatz zu nichtprofessionellen Inklusionsformen (beispielsweise Werbefachfrau, Unternehmer, Verkäufer, Künstler) stehen im Mittelpunkt von professionsbezogenen Funktionssystemen existenzielle, (über-)lebenswichtige Themen. So kümmert sich der Pfarrer – ganz theologisch gesprochen  – um das Seelenheil der Menschen, auch gerade im Trauerfall. Nach Karle geht es bei Professionen im Kern also um die Verkörperung eines kulturell bedeutsamen Komplexes. Eine Profession ist zusammenfassend gekennzeichnet durch ihre Monopolstellung innerhalb eines Funktionssystems, durch interaktionsabhängige professionelle Inklusion und durch die Verkörperung sowie Vermittlung einer existenziell relevanten Sachthematik. Professionssoziologische Standort­ bestimmung der gegenwärtigen Trauerbegleiter Was bedeutet dies nun für den Trauerbegleiter? Eine Monopolstellung innerhalb eines Funktionssystems, wie sie der Pfarrer im Religionssystem einnimmt, kommt dem Trauerbegleiter derzeit nicht zu. Den Status einer Profession in diesem Sinne muss und kann Trauerbegleitung auch nicht anstreben.

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D i e U n s i c h e r h e i t d e r Tr a u e r b e g l e i t e r    9 1

Dass auf Trauerbegleitung das Kriterium der interaktionsabhängigen professionellen Inklusion zutrifft, ist klar, denn anders könnte Trauerbegleitung nicht »funktionieren«: Jeder Mensch hat die Möglichkeit, eine Trauerbegleitung in Anspruch zu nehmen, so wie es für ihn (Christ oder NichtChrist) auch prinzipiell möglich ist, zum Pfarrer zu gehen, um sich von diesem seelsorgerlich begleiten zu lassen. Außerdem ist Trauerbegleitung nur in direktem Kontakt, zumeist im Gespräch, durchführbar. Die existenziell relevante Sachthematik der Trauerbegleitung ist grundlegend dort auszumachen, wo der Trauerbegleiter einen Betroffenen beim Umgang mit seiner Trauer unterstützt. Professionssoziologisch gesprochen muss Trauerbegleitung allerdings noch klären, wie sie diese Aufgabe genau umsetzt. Denn hier wird der unsichere gesamtgesellschaftliche Status der Trauerbegleitung besonders deutlich. Dahinter steht die Frage nach konkreten Inhalten: Was sind die genauen Inhalte von Trauerbegleitung? Im alltäglichen Sprachgebrauch werden Begriffe wie »Trauerberatung«, »Trauertherapie«, »Trauerhilfe«, »Trauerseelsorge« durchaus synonym verwendet. Im elementaren Vokabular der Trauerarbeit fehlt es also an inhaltlicher Trennschärfe. Worin zum Beispiel der verbindliche Unterschied zwischen »Trauerberatung« und »Trauerseelsorge« liegt, ist bislang unklar. – Oder ist es doch dasselbe? Was hier im grundlegenden Vokabular der Trauerarbeit zum Vorschein kommt, ist die latente Verbindung von inhaltlicher Trennschärfe und formaler Zuordnung. Damit ist die Frage gemeint, in welches System sich Trauerbegleitung hinbewegt und etabliert. Dazu lassen sich verschiedene Zukunftsszenarien skizzieren: Im Idealfall gilt der Trauerbegleiter in Zukunft als anerkannter Beruf mit standardisierter Ausbildung, dessen Leistung von den Krankenkassen ohne große Probleme beglichen wird. Vielleicht entwickelt sich so ein eigenständiges System der Trauerbegleitung,

ähnlich wie es dem Bestatter bereits gelungen ist. Es könnte aber auch sein, dass die Kirche verstärkt ihren Auftrag der Seelsorge im Trauerfall nachgeht und hier neue revolutionäre Programme zur Umsetzung durchführt, um so unter Umständen auch Kirchenferne zurückgewinnen. Eventuell geht die Aufgabe der Trauerbegleitung auch ganz ins Gesundheitssystem über und wird zukünftig nur noch von Psychologen und Psychiatern ausgeübt. Das für das Jahr 2018 geplante ICD-11 wird hier sicher sehr aufschlussreich sein. Oder es schlägt in eine ganz andere Richtung um: Trauerbegleitung als professionelle ehrenamtliche Arbeit. Eines scheint festzustehen: Der Trauerbegleiter muss seine Unsicherheit – bei allen Bemühungen der Verbandsarbeit und einzelner Vorreiter – noch ein wenig weiter aushalten, denn die nötigen Fragen, um einen gefestigten gesamtgesellschaftlichen Status zu erreichen, sind nicht abschließend geklärt. Als tröstlich kann es sich erweisen, wenn sich der Trauerbegleiter vergegenwärtigt, wie unentbehrlich seine Arbeit für jeden einzelnen Trauernden ist, der zu ihm kommt. Simone Ripke ist Evangelische Diplom-Theologin und Heilpraktikerin für Psychotherapie mit Bachelor Minor in Psychologie. Als Trauerseelsorgerin begleitet sie Trauernde, leitet Fortbildungen im Bereich Trauerseelsorge und schreibt eine Doktorarbeit über »Die seelsorgerliche Praxis der Bestatter und Trauerbegleiter« an der Universtität Rostock. E-Mail: [email protected] Webseite: www.trauerundseelsorge.de Literatur Karle, I. (2011). Der Pfarrberuf als Profession. Eine Berufstheorie im Kontext der modernen Gesellschaft. 3. Auflage. Freiburg. Ripke, S. (2015). Der Bestatterberuf als Profession. In: Klie, T.; Kumlehn, M.; Kunz, R.; Schlag, T. (Hrsg.), Praktische Theologie der Bestattung (S. 439–455). Berlin und Boston. Stichweh, R. (1997). Professionen in einer funktional differenzierten Gesellschaft. In: Combe, A.; Helsper, W. (Hrsg.), Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns (S. 49–69). Frankfurt a. M.

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9 2   A u s d e r Fo r s c h u n g

AUS DER FORSCHUNG

Wie gut werden Studierende von Gesundheitsberufen in Australien auf die Arbeit mit trauernden Klienten vorbereitet? Heidi Müller und Hildegard Willmann Breen, Lauren J.; Fernandez, Maria; O’Connor, Moira; Pember, Amiee-Jade (2013): The preparation of graduate health professionals for working with bereaved clients: An Australian perspective. In: OMEGA, Vol. 66, Nr. 4, S. 313-332.

Nach einem Verlust suchen nicht alle, aber dennoch viele Betroffene Unterstützung und Hilfe bei Fachkräften. Oft sind diese Experten aber schlecht für den Umgang und die Arbeit mit Trauernden ausgebildet. So zeigte sich in Untersuchungen, dass zum Beispiel Ärzte und Gesundheitsberater in Großbritannien nur sehr geringe und veraltete Kenntnisse zum Thema Trauer besitzen. Andere Studien zeigten, dass viele Fachkräfte das Gefühl haben, während ihres Studiums nur unzureichend auf das Thema Trauer vorbereitet zu werden. Ein Team von Wissenschaftlern wollte nun wissen, wie es im australischen Ausbildungssystem um das Thema Trauer bestellt ist. Dabei lautete die leitende Forschungsfrage: Inwieweit bereiten die Studieninhalte Studierende von Gesundheitsberufen gut auf den Umgang und die Arbeit mit trauernden Klienten/Patienten vor?

Michaa/photocase.de

Die Studie Insgesamt wurden sechs verschiedene Studiengänge hinsichtlich ihrer trauerspezifischen Inhalte untersucht: Medizin, Pflege, Gesundheitsberatung, Psychologie, Soziale Arbeit, Beschäftigungstherapie. Hierfür wurden zum einen alle online verfügbaren Informationen zu den Studiengängen ausgewertet. Zusätzlich wurde mit den Personen, die für das Curriculum zuständig sind, Interviews geführt. Zum anderen wurden zwanzig Studierende, die kurz vor dem Abschluss standen, und neun Lehrpersonen befragt.

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 92–93, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

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Resultate Die Auswertung ergab, dass es große Unterschiede dahingehend gibt, inwieweit das Thema Trauer in den Studiengängen überhaupt behandelt wird, welche Schwerpunkte gesetzt werden und in welchen Zusammenhängen es gelehrt wird. Nur der Studiengang Gesundheitsberatung hat über einen längeren Zeitraum viele verschiedene Seminare zu Verlust und Trauer angeboten. Innerhalb des Fachbereichs Soziale Arbeit wurde das Thema überwiegend nur in soziologischen Zusammenhängen betrachtet. Im Psychologiestudium wurde es im Zusammenhang mit Sucht gelehrt. Hier wurden Parallelen zwischen der Bewältigung einer Suchterkrankung und eines Verlustes gezogen. In Pflege, Medizin und Beschäftigungstherapie war das Thema Trauer in die Themen Sterben, Palliative Care und Tod eingebunden. Auch wenn viele Menschen heute an den Folgen einer Krebserkrankung sterben, so führt eine solche Anbindung dazu, dass wichtige Themenbereiche wie zum Beispiel plötzliche Todesfälle oder stigmatisierte Trauer nicht angesprochen werden. Insgesamt zeigte sich, dass in allen Studiengängen überwiegend psychologische und psychiatrische Aspekte von Trauer behandelt wurden. Wichtige soziologische und kulturrelevante Inhalte wurden vernachlässigt. Zudem ist die Lehre oft nicht an den aktuellen Forschungsstand angepasst, Phasen- und Traueraufgabenmodelle sowie Erfahrungswissen dominieren noch immer den theoretischen Input, was sich nachteilig auf die Unterstützungsleistung auswirkt, weil die Fachkräfte nach ihrem Studium nicht in der Lage sind zu erkennen und zu unterscheiden, wo die Probleme liegen und für wen welche Hilfe angemessen ist. Die Studenten der Fachdisziplinen Medizin, Pflege, Beschäftigungstherapie, Psychologie und Gesundheitsberatung wünschten sich in den Interviews ganz explizit, dass die Themen Verlust und Trauer viel intensiver behandelt werden. Der Fachbereich Soziale Arbeit ist dahingegen bemüht, die bestehenden Lehrinhalte zum

Thema Trauer überhaupt weiter beibehalten zu können und nicht streichen zu müssen. Außerdem wünschten sich die Studenten mehr Anleitung dahingehend, wie sie das theoretische Wissen praktisch anwenden können. Zusammenfassung Personen, die im Gesundheitswesen arbeiten, werden zwangsläufig mit Klienten/Patienten zu tun haben, die von einem Verlust betroffen sind. Die Studie hat in diesem Zusammenhang gezeigt, dass die Fachkräfte für den Umgang und die Arbeit mit diesen Klienten/Patienten kaum richtig ausgebildet sind. Somit werden sie in der Praxis kaum langfristig positive Effekte bei den Betroffenen erzielen können, im schlimmsten Fall werden sie ihnen sogar schaden. Die Studieninhalte sollten also dringend überarbeitet werden, damit die Fachkräfte eine fundiertere Ausbildung erhalten. Dazu gehört aber auch, dass sie die Kenntnisse im weiteren Verlauf ihrer Berufstätigkeit immer wieder an den aktuellen Wissensstand anpassen und sich intensiver als bisher mit den Ergebnissen aus Wissenschaft und Forschung auseinandersetzen. Möchten Sie mehr zu diesem oder anderen Themen aus der Trauerforschung erfahren? Melden Sie sich gern beim kostenlosen Newsletter »Trauerforschung im Fokus« unter www.trauerforschung.de an oder schreiben Sie uns einfach eine Mail.

Heidi Müller, Diplom-Politologin, Herausgeberin des Newsletters »Trauerforschung im Fokus«. E-Mail: heidi.mueller@trauer­forschung.de Hildegard Willmann, Diplom-Psychologin, Herausgeberin des Newsletters »Trauerforschung im Fokus«. E-Mail: [email protected]

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FORTBILDUNG

Fortbildungseinheit zum Thema Verständnis innerhalb verschiedener Professionen Sylvia Brathuhn und Monika Müller Zielgruppe: Teilnehmer/-innen eines multiprofessionellen Fortbildungskurses in Palliative Care oder Palliativmedizin Zeitrahmen: 4,5 Unterrichtseinheiten Materialien: Impulsgeschichte (wird von der Kursleitung als »Rollenspiel« vorgetragen) Gruppeneinteilung: vier Gruppen – es werden vier Moderationskarten an vier Stellen des Raumes gelegt, die mit den Rollen beschriftet sind 1. Arzt/Ärztin 2. Psychoonkologin/Psychoonkologe 3. Sozialarbeiter/Sozialarbeiterin 4. Seelsorgerin/Seelsorger Arbeitsblatt mit Aufgabe für die jeweilige Gruppe Eine kleine Impulsgeschichte zum Einstieg (sie kann auch von der Kursleitung selbst erstellt werden): Eine Ärztin berichtet: »Frau Laura Petersen, 56 Jahre, erkrankt an einem metastasierten Magenkarzinom, liegt seit zwölf Tagen bei uns auf der inneren Station. Ihre Krankheit ist weit fortgeschritten. Ich habe mit der Patientin und den Angehörigen (Ehemann 60, Mutter 79 und Tochter 24 Jahre) gesprochen, das heißt, sie wissen genau, wie es um Laura steht. Dennoch kommen sie jeden Morgen und jeden Abend mit hoffnungsvollen Augen und wollen von mir wissen, wie die Patientin die Nacht verbracht hat. Ich finde es wirklich schwierig, da ich ihnen letztlich immer und immer wieder das Gleiche erzählen muss. Oft gehen sie dann auch noch zu den Schwestern und fragen sie im Prinzip das Gleiche. Ich kriege irgendwie keinen Draht zu den Angehörigen, und mit der Patientin kann

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 94–95, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

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ich auch nicht mehr richtig sprechen. Ich habe ihr wirklich alles genauestens erklärt. Ich merke, dass ich ungeduldig werde. Nicht nur einmal. Auf dieser Station liegen 35 Patientinnen, die auch Angehörige haben, die auch betreut und behandelt werden müssen.«

Ablauf Begrüßung und kurze Einleitung in das Thema (0–5 Minuten) Die Kursleitung schlüpft in das Erleben der Ärztin und spricht die Impulsgeschichte. Anschließend tritt sie aktiv aus der Rolle heraus (10 Minuten) Gruppeneinteilung: entweder ordnen sich die Teilnehmer/-innen selbst zu oder die Kursleitung zählt bis vier ab (5 Minuten) Gruppenarbeit (45 Minuten) Aufgabe: Versetzen Sie sich jeweils in die Lage der jeweiligen Profession und versuchen Sie die Impulsgeschichte in der Ihnen eigenen Sprache zu erzählen. Arbeiten Sie auf kreative Weise das Ihnen wesentlich Erscheinende, das Trennende und Gemeinsame, heraus! Was kennzeichnet »professionelles Handeln« und was würde das »Verstehen« jeweils fördern? Pause (15 Minuten) Darstellung: Impulsgeschichte aus Sicht der jeweiligen Profession und die Arbeitsergebnisse darstellen (10 Minuten pro Gruppe = 40 Minuten) Anschließender Austausch (10  Minuten pro Gruppe = 40 Minuten) Zusammenfassung der Kursleitung mittels PowerPoint-Präsentation zum Thema »Professionelles Handeln« und Austauschmöglichkeit (30 Minuten) Dr. Sylvia Brathuhn, Diplom-Pädagogin, ist in der psychoonkologischen Beratung und Betreuung für krebskranke Menschen und ihre Angehörigen tätig; Bundesvorsitzende des Bundesverbandes Frauenselbsthilfe nach Krebs e. V., Landesvorsitzende der Frauenselbsthilfe nach Krebs Rheinland-Pfalz/Saarland e. V., Mitglied der IWG (International Workgroup of Death, Dying and Bereavement); Trainerin in den Bereichen Sterben, Tod, Spiritualität und Kommunikation, Trauerbegleiterin. E-Mail: [email protected] Monika Müller, M. A., Pädagogin, Therapeutin und Supervisorin, war Leiterin von ALPHA Rheinland, der Ansprechstelle in NRW zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung mit Sitz in Bonn. E-Mail: vr-leidfaden@monika­­mueller.com

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Sich berühren lassen und trotzdem Profi bleiben Trauerbegleitung in der Gemeindeseelsorge

Traugott Roser

Die Ursprungserzählung des Christentums ist die Erfahrung von Begleitung in Zeiten der Trauer. Es gibt sie in unterschiedlichen Ausprägungen, am eindrücklichsten ist sie aber in der Emmaus-Geschichte (Lukasevangelium, 14. Kapitel) geschildert. Zwei verstörte Zugehörige des hingerichteten Jesus von Nazareth kreisen auf dem Weg in ein kleines Dorf in ihren Gesprächen immer wieder um das Unfassbare: den unerwarteten Tod ihres Freundes und Lehrers. Als sich eine dritte Person zu ihnen gesellt, stellt dieser ihnen Fragen, nach dem Grund ihrer Trauer. Sie bleiben immer wieder stehen, erzählen die gesamte Leidensgeschichte von vorn, fassungslos, dass es Menschen gibt, die davon unberührt sein könnten. Die fremde, in Gesprächsführung offensichtlich kompetente Gestalt stellt erzählgenerierende Fragen, gibt kundige und hilfreiche Informationen und geht einfach und ungefragt ein Stück des Trauerwegs mit den Hinterbliebenen. Schließlich, als es Zeit zum Essen ist, vollzieht sie ein kleines Ritual, das ihnen vertraut ist. Aus der Situation des Fremdseins und Sich-in-allem-fremd-Fühlens wird eine Situation langsamen Wiedererkennens und Sich-wieder-Auskennens. Da ist der Fremde schon wieder weg. Die Christenheit sagt: Es war Christus, von den Toten auferstanden. Getröstet machen sich die beiden Zugehörigen auf einen neuen Weg in die Zukunft und sagen rückblickend: Brannte nicht unser Herz in uns?

In dieser Anfangsgeschichte liegen alle Aspekte, die Trauerbegleitung durch Seelsorge in christlicher Gemeinde ausmacht oder zumindest ausmachen könnte. Die Trauerbegleitung durch Seelsorgende umfasst oft nur einen kurzen, oftmals intensiv erlebten Zeitraum – manchmal nur wenige Tage –, in dem dennoch viel geschehen kann, vieles scheitern, aber manches auch so gelingen kann, dass Trauernde sich ermutigt fühlen, sich wieder auf den Weg machen zu können. Die Vorgeschichte – Begleitung im Leben der Sterbenden und ihrer Angehörigen Im besten Fall gibt es eine Vorgeschichte, in der Vertrauen und Vertrautheit gewachsen sind. Wenn Seelsorger/-innen einige Jahre in einer Kirchengemeinde tätig sind, haben sie die Chance, Menschen immer wieder zu begegnen – an wichtigen Punkten ihres Lebens. Dabei erhält die eigentlich fremde Figur Seelsorger/-in Einblicke in Privates und Vertrauliches und wirkt nicht mehr fremd. Sollte ein Familienmitglied durch bevorstehendes Sterben betroffen sein, hat eine herbeigerufene Seelsorgerin die Aufgabe, die sterbende Person zu begleiten und den gemeinsamen Abschied zu gestalten. Manchmal kann sie nicht viel mehr tun, als stumm dabeizustehen, wenn der Himmel sich verfinstert und die Welt vor Erschütterung zusammenbricht. Mein Lehrpfarrer

Leidfaden, Heft 2 / 2017, S. 96–102, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017, ISSN 2192–1202

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Begleitung beim Abschiednehmen vom Verstorbenen Wenn jemand zu Hause stirbt und die vorgeschriebenen Maßnahmen erledigt sind, stellt sich die Frage nach einer Aufbahrung des Leichnams. Dazu kann ein erfahrener Seelsorger wichtige Impulse geben, auch und nicht zuletzt für die Gestaltung der »Zeit mit Toten« (Wagner-Rau 2015). Leitend ist der Gedanke, dass die An- und Zugehörigen, aber auch das Umfeld sich so viel Zeit zum Abschied nehmen können, wie es ihren Bedürfnissen entspricht und wie es auch dem verstorbenen Menschen recht wäre. Seelsorgende kommen in der Regel gern, wenn sie gerufen werden, weil ein Bedürfnis nach Begleitung besteht. Das setzt keine Mitgliedschaft in der Kirchengemeinde voraus und steht auch völ-

lig Fremden offen. Sie nehmen sich Zeit, stellen orientierende Fragen, lassen sich auf das Tempo der Menschen ein. Sie ermutigen dazu, vom unmittelbar zurückliegenden Geschehen zu erzählen und auch von früheren Zeiten. Werden Seelsorgende kurz nach dem Tod eines Menschen ins Trauerhaus gerufen, bieten sie in der Regel das an, was in kirchlicher Sprache Aussegnung heißt. Man kann das als eine einfache Andacht nach dem Tod eines Menschen beschreiben oder funktional als Abschiedsritual. Es besteht aus einem biblischen Wort, einem Gebet und der Segnung des Toten. Nur wenige, dem Verstorbenen nahe Menschen begleiten diesen einschneidenden Schritt. In dieser entscheidenden Phase befinden sie sich in dem, was Weiher und Smeding Schleusenzeit® (vgl. Smeding und Heitkönig-Wilp 2005, S. 148 f., 152–163) genannt haben: ein Übergangszeitraum, durch ein Bedürfnis geprägt, dem oder der Toten noch nahe zu sein, ihn oder sie in der Nähe zu halten und doch gleichzeitig distanzfähig zu werden. Viele Seelsor-

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Colourbox

hat mir beigebracht, dass der Tod eines Menschen alle Uhren anhalten darf und alle Prioritäten im Terminkalender schlägt.

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gende ermutigen An- und Zugehörige, in eigener und geschützter Weise Abschied zu nehmen, etwas auszusprechen oder nur still dabei zu sein. Wie bei den Emmaus-Jüngern ist diese kleine rituelle Handlung der dichteste Moment, in dem die Trauernden zum ersten Mal begreifen, was wirklich geschehen ist. Der Tote ist anwesend und doch schon abwesend. Aber durch das Segnen ist er auch als schon Abwesender ganz präsent. Zu einem späteren Zeitpunkt führen Seelsorgende ein Trauergespräch zur Planung der Bestattungsfeier. Hier ist Raum für die vielen Emotionen. In meiner Zeit als Gemeindeseelsorger waren diese Gespräche die dichtesten, in denen viel und mit großer Offenheit erzählt wurde, Gutes wie auch Belastendes. Allen ist klar, dass der Seelsorger »Stoff« für die Traueransprache sammelt, den er in einer persönlichen Predigt mit der biblischen frohen Botschaft verbindet. Aber auch bei der persönlichsten Ansprache wird eine Seelsorgerin mit Diskretion vorgehen. Zentrale Botschaft ist die Rechtfertigung gelebten Lebens, so wie es war. Ziel ist, dass alle – ohne beschämt zu werden – weiterleben können, die Trauernden hier, die Verstorbenen dort. Der Trauergottesdienst ist ein öffentlicher Gottesdienst. Die Aufgabe der Seelsorgenden ist deshalb auch, gemeinsam mit dem Bestattungsunternehmen Verantwortung für einen sicheren Ablauf zu übernehmen. Für die unmittelbar Angehörigen ist die Feier mit manchen Ängsten verbunden, insbesondere bei Streit und Entzweiung im Familien- und Freundeskreis. In der Regel verfügen professionell Begleitende über genug Routine, um auch mit kleineren Katastrophen zurechtzukommen. Zur Routine gehört es aber nicht, selbst von Gefühlen überwältigt und von der Trauer tief berührt zu werden. Dann stockt die Stimme oder eine Träne bahnt sich den Weg. Ich habe diese Momente dankbar zur Kenntnis

genommen, als Zeichen, dass ich noch Mitgefühl und Anteilnahme empfinde und sie nicht nur als Floskel auf Trauerkarten schreibe. Sollte es einmal anders sein, wäre Supervision mehr als im Verzug. Trauerbegleitung nach der Trauerfeier Zur Trauerbegleitung gehört in vielen Kirchengemeinden die Nennung des Namens des Verstorbenen im Gottesdienst am folgenden Sonntag samt Fürbittgebet für sie und die Trauernden; ein Nachbesuch in nahem Abstand zur Trauerfeier, ein »Sechs-Wochen-Amt« – also das Angebot einer kleinen Feier in der wichtigen Übergangsphase um die sechs Wochen nach dem Tod, und am Ende des Kirchenjahres die Gedenkfeier. Auf diese Weise wird deutlich gemacht, dass der Tod nicht nur Sache des Einzelnen ist. Trauernden wird vermittelt, dass ihre Situation Anteilnahme findet. Weil dies auch im gemeindlichen Alltag oft mehr behauptet als gelebt wird, haben sich gemeinsame Angebote mit Hospizvereinen und Trauerbegleiter/-innen bewährt. Ziel ist es, wie in der Emmaus-Geschichte, die Menschen ein Wegstück auf der Suche nach neuen, eigenen Wegen zu begleiten, sich dann aber zu verabschieden. Trauerbegleitung aus pastoraler Perspektive heißt deshalb Freisetzung ohne Anbindung. Dr. Traugott Roser, evangelischer Pfarrer und Palliativseelsorger, ist Professor für Praktische Theologie mit dem Schwerpunkt Seelsorge an der Universität Münster.

Literatur Smeding, R.; Heitkönig-Wilp, M. (Hrsg.) (2005). Trauer erschließen. Eine Tafel der Gezeiten. Wuppertal. Wagner-Rau, U. (Hrsg.) (2015). Zeit mit Toten. Eine Orientierungshilfe der Liturgischen Konferenz. Gütersloh.

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Nici Friederichsen (Hrsg.): Miteinander kochen Rezepte aus der Heimat von Geflüchteten und Wegbegleitern. Göttingen 2016. Kochen bedeutet Heimat – ganz besonders gilt das für die vielen Geflüchteten, die inzwischen bei uns leben. Nici Friederichsen, Mitglied im Bundesverband Trauerbegleitung, hat einen Sommer lang viele von ihnen besucht, mit ihnen und mit ihren Unterstützern gekocht, ihnen zugehört und neue Welten entdeckt. Daraus wurde ein Projekt mit mehr als fünfzig Beteiligten, die alle unbeirrt den Weg der Integration gehen. In diesem Buch finden Sie ihre Rezepte und Geschichten. Darunter auch einige BVTler. Autorin, Verlag und alle anderen Mitwirkenden verzichten auf ein Honorar – so kann pro verkauftem Buch ein Euro gespendet werden. Der Erlös geht je zur Hälfte an den Bundesverband der Tafeln und an den Bundesverband Trauerbegleitung. Das Buch ist erhältlich im Verlag Die Werkstatt und kann über die ISBN überall im Buchhandel bestellt werden. Wir freuen uns über viele Käufer des Büchleins und die damit verbundene Unterstützung für den BVT und die Tafeln. Blog: www.miteinanderkochen.wordpress.com ISBN: 978-3-7307-0296-3 96 Seiten, Paperback, viele Fotos, durchgehend farbig 4 Euro inkl. 1 Euro Spende, 1. Auflage 2016

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NACHRICHTEN BAT Österreich Poli Zach-Sofaly

Caritas Präsident Dr. Michael Landau: »Unsere Arbeit ist ein Dienst auch gegen Einsamkeit und Anonymität. Menschen sollen in schwierigen Lebenssituationen Ja zu ihrem Leben sagen können. Und sie sollen ihr Leben wieder als Geschenk erfahren können.« Vor über zehn Jahren hat es begonnen, dass die Begleitung von trauernden Menschen sich aus der institutionalisierten Hospizbegleitung herausentwickelt hat. Die Caritas der Erzdiözese Wien schuf damals eine eigene Stelle für Trauerpastoral. Die Not von trauernden Menschen sollte wahr- und ernst genommen werden und auch für sie wollten wir als Caritas da sein. Da ich schon im »Mobilen Hospiz« als Pionierin in der Aufbauarbeit tätig war, bin ich mit diesem Projekt betraut worden. Als erste Aufgabe galt es zu sondieren, was es schon alles für trauernde Menschen gab, und die Angebote zu vernetzen. Unter dem Motto »Austausch und gegenseitige Ergänzung« kamen über 36 Teilnehmende im Großraum Wien zum 1. Vernetzungstreffen für Trauerbegleitung. Daraus hat sich ein jährlich stattfindendes Treffen entwickelt, das auch mit Weiterbildung kombiniert wird. Die Angebote für trauernde Menschen entstanden aus den Anfragen und Erfahrungen der ersten Zeit. Neben Einzelbegleitungen entstanden Gruppenangebote und offene Trauerangebote. Beispielsweise durfte ich einen Herrn begleiten, der seine Frau durch einen plötzlichen Tod verloren hat. Untröstlich saßen wir zusammen und wurden immer schwerer in der Trauer. Ich war etwas ratlos, doch dann erzählte er mir, dass er mit

seiner Frau immer so gern wandern gegangen war. Daraus wurde die Idee geboren, dass wir hinausgehen und die Trauer beim Gehen teilen … und wir können auch noch andere trauernde Menschen mitnehmen. So ist der Trauer-Wandertag »Gemeinsam geht es weiter« entstanden. Auch die Titel und Ausschreibungen der Angebote wurden von den Trauernden selbst formuliert, so sagte eine junge Frau: »Ich bin noch zu jung, um schon verwitwet zu sein« – diese Gruppe traf sich etwa eineinhalb Jahre, bis es Zeit wurde, wieder weiter zu gehen. »Ich sehe dich nicht älter werden« – aus diesem Ausruf einer trauernden Mutter wurde die Gruppe für Mütter und Väter nach Verlust eines erwachsenen Sohnes, einer erwachsenen Tochter benannt, so gäbe es noch viele Beispiele zu erzählen. Im Weiterbildungsbereich habe ich mich dem Bundesverband Trauerbegleitung e. V. angeschlossen, um als Mitglied von den Erfahrungen zu profitieren und auch dessen Kriterien für Aus- und Weiterbildungen zu folgen. Dr. Christian Metz und ich, die immer wieder mit den Kolleginnen und Kollegen in Deutschland Kontakt haben, initiierten in Österreich eine Zusammenkunft der Organisationen, die Trauerbegleitung anbieten, um auch hier eine

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gemeinsame Plattform zu finden, die Kriterien und Standards festlegt und sich einer qualitativen Aus- und Weiterbildung für Trauerbegleitung verpflichtet fühlt. Auch sollte das Thema Trauer – in seiner Vielschichtigkeit und den Gestaltungsmöglichkeiten der Prozesse – in der Öffentlichkeit mehr Interesse und Aufmerksamkeit erhalten. So entstand die Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerbegleitung Österreich – BAT, die aus den Organisationen Dachverband Hospiz Österreich, Österreichisches Rotes Kreuz, ARGE – österreichische PastoralamtsleiterInnen, österreichische CaritasZentrale, Caritas der Erzdiözese Wien, KardinalKönig-Haus gegründete wurde. Sie stellt es sich zur Aufgabe, ein gemeinsames Curriculum für Aus- und Weiterbildungen zu entwickeln, sowie alle zwei Jahre ein großes, österreichweites Symposium zu veranstalten. Um möglichst viele Menschen in den gemeinsamen Prozess der Entwicklung von Qualitätskri-

terien in der Trauerbegleitung einzubinden, lädt die BAT alle zwei Jahre zu einem Vernetzungsund Austauschtreffen für Veranstalter von Ausbildungen ein. Viel haben wir von den Erfahrungen des BVT e. V. profitiert und sehen uns auch durch das Fachmagazin »Leidfaden« miteinander verbunden. So geht es bei uns nun auch darum, wie wir die Mitgliedschaft erweitern können und ein kompetentes Begleitungsnetzwerk in Österreich zu gewährleisten. Alle Infos finden Sie auf der Homepage:  www.trauerbegleiten.at Poli Zach-Sofaly, Seelsorgerin, Akademische Expertin für Palliative Care, Integrative Gestaltberaterin, Integrative Bewegunsgs- und Leibtherapeutin, Supervisorin. Sie hat im Mobilen Hospiz der Caritas NÖ gearbeitet und die Kontaktstelle Trauer aufgebaut und geleitet.

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Vorstandsneuwahlen für den BVT Die neue Vorsitzende Marianne Bevier stellt sich vor Am 11. März 2017 wurde ich in der Mitgliederversammlung in Bonn zur Vorsitzenden des Bundesverbandes Trauerbegleitung gewählt. Ich bin Diplom-Theologin und arbeitete viele Jahre als Krankenhausseelsorgerin in einem Lungenfachkrankenhaus und in einer Psychiatrie. Seit 2002 arbeite ich freiberuflich als Supervisorin und Kursleiterin mit Menschen, die im Hospiz, in der Seelsorge, im Krankenhaus und mit Kindern arbeiten. Ich habe eine Seelsorge-Ausbildung in KSA (Klinische Seelsorgeausbildung) und bin Supervisorin in der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie (DGfP). In all diesen Arbeitsbereichen hat sich Trauer als eines der wichtigen Themen gezeigt. In der Seelsorge ist Trauer ein zentrales Thema und die Hospizarbeit hat ihren Blick mehr und mehr auf Trauer erweitert. So war es für mich folgerichtig, im BVT als Qualifizierende Mitglied zu werden. Wichtig ist mir der Verband als Anwalt und Stimme in unserer Gesellschaft für das Thema Trauer, als Ort der Selbstreflexion und als Ort, an dem über neue Wege in Qualifizierung und Begleitung nachgedacht wird. Aus meiner Tätigkeit als 2. Vorsitzende der DGfP bin ich vertraut mit Vorstands- und Gremienarbeit. Ich habe Freude daran, in einem Team gemeinsam neue Ideen zu entwickeln und Themen voranzubringen. Menschen in Trauer, die von unserer Arbeit profitieren, liegen mir besonders am Herzen.

Zu weiteren Mitgliedern des nun sechsköpfigen Vorstands wurden wiedergewählt: Nici Friederichsen (als Kassenwartin), Christian Fleck, Norbert Mucksch, Annette Wagner. Neu in den Vorstand wurde Walburga Schnock-Störmer gewählt, die sich in einem der nächsten Leidfaden-Heften vorstellen wird. An dieser Stelle sei ganz herzlich Christine Stockstrom gedankt, die von Beginn an Vorstandsmitglied und Vorsitzende war. Sie hat entscheidend dazu beigetragen, dass der BVT das ist, was er jetzt ist. Ein großes Dankeschön gebührt auch Uta Schmidt, die sich aus persönlichen Gründen nicht wieder zur Wahl gestellt hat.

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Vorschau Heft 3 | 2017 Thema: Angst Ursprünge und Wege der Angst Die Botschaft der Angst verstehen und ihr heilsam begegnen Angst und Ausschluss

Zu Politik und Psychologie des Rechtspopulismus

Alles ist vergänglich

Über die Angst vor der Endlichkeit

Angst vor Toten?!

Wie sich die Begegnung mit toten Menschen verändert hat und warum sie wichtig ist

Alles gut! Über das Vertrauen im Leben mit Krebs Tavor auf der Palliativstation – Wer wird ruhiggestellt? u. a. m.

Impressum Herausgeber/-innen: Monika Müller M. A., KAB-Ring 22, D-53359 Rheinbach E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Lukas Radbruch, Zentrum für Palliativmedizin, Von-Hompesch-Str. 1, D-53123 Bonn E-Mail: [email protected] Dr. phil. Sylvia Brathuhn, Frauenselbsthilfe nach Krebs e. V., Landesverband Rheinland-Pfalz/Saarland e. V. Schweidnitzer Str. 17, D-56566 Neuwied E-Mail: [email protected] Dipl.-Psych. Thorsten Adelt (Bonn), Dr. Dorothee Bürgi (Zürich), Prof. Dr. Arnold Langenmayr (Ratingen), Dipl.-Sozialpäd. Heiner Melching (Berlin), Dr. Christian Metz (Wien), Dipl.-Päd. Petra Rechenberg-Winter M. A. (Hamburg), Prof. Dr. Reiner Sörries (Erlangen) Bitte senden Sie postalische Anfragen und Rezensionsexemplare an Monika Müller, KAB-Ring 22, D-53359 Rheinbach Wissenschaftlicher Beirat: Dr. Colin Murray Parkes (Großbritannien), Dr. Sandra L. Bertman (USA), Dr. Henk Schut (Niederlande), Dr. Margaret Stroebe (Niederlande), Prof. Robert A. Neimeyer (USA) Redaktion: Ulrike Rastin M. A., Verlag Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen, Tel.: 0551-5084-423, Fax: 0551-5084-477 E-Mail: [email protected] Bezugsbedingungen: Leidfaden erscheint viermal jährlich mit einem Gesamtumfang von ca. 360 Seiten. Bestellung durch jede Buchhandlung oder beim Verlag. Jahresbezugspreis € 68,00 D / € 70,00 A / SFr 85,50. Institutionenpreis € 132,00 D / € 135,80 A / SFr 162,00, Einzelheftpreis € 20 D / € 20,60 A / SFr 27,50 (jeweils zzgl. Versandkosten), Online-Abo inklusive für Printabonnenten. Preisänderungen vorbehalten. Die Bezugsdauer verlängert sich jeweils um ein Jahr, wenn nicht eine Abbestellung bis zum 01.10. erfolgt. Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstr. 13, D-37073 Göttingen; Tel.: 0551-5084-40, Fax: 0551-5084-454 www.v-r.de ISSN 2192-1202 ISBN 978-3-666-80618-6 Umschlagabbildung: gualtiero boffi/Shutterstock.com Anzeigenverkauf: Anja Kütemeyer, E-Mail: [email protected] Bestellungen und Abonnementverwaltung: HGV Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice mbH, Servicecenter Fachverlage, Holzwiesenstr. 2, D-72127 Kusterdingen; Tel.: 07071-9353-16, Fax: 07071-9353-93, E-Mail: [email protected] Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. © 2017 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Gestaltung, Satz und Lithografie: SchwabScantechnik, Göttingen

Lebensqualität fördern

Moses G. Steinvorth

Moses G. Steinvorth

Älter werden – gesund bleiben

Was schützt uns vor Krebs?

Die Krebsreise

Gebrauchsanweisung für eine ganzheitliche Krebsprävention

Ein kleiner Reisebegleiter für krebskranke Menschen

2016, 80 Seiten, Broschur, ISBN 978-3-942761-41-3, 15,00 EUR

2004, 64 Seiten, Broschur, ISBN 978-3-931589-63-9, 12,80 EUR

Der Autor wird bei seinen Betrachtungen der essenziellen Forderung nach Berücksichtigung von Körper, Geist und Seele auch beim Krebsgeschehen gerecht.

In verständlicher Sprache zeigt der Autor auf, was Krebs überhaupt ist und wie psychosoziale Faktoren den Krankheitsverlauf positiv beeinussen können.

BDP-Bericht 2016 2016, 96 Seiten, Broschur, ISBN 978-3-942761-42-0, 15,00 EUR

Der Bericht thematisiert den Stellenwert der Psychologie u. a. für die Stärkung von pegenden Angehörigen und die Gestaltung einer würdevollen letzten Phase.

Zu beziehen über den Buchhandel oder direkt beim Verlag: Deutscher Psychologen Verlag GmbH Am Köllnischen Park 2 · 10179 Berlin · Tel. 030 - 209 166 410 · Fax 030 - 209 166 413 · [email protected]

W W W. P S YC H O LO GE N V E R L AG . DE

Einen letzten Wunsch erfüllen Erfahrungsbericht & Ratgeber „Wir können nichts mehr für Ihre Mutter tun – außer sie in ein Hospiz zu verlegen oder zum Sterben nach Hause zu entlassen.“ Die Autorin beschreibt, wie sie die Krebserkrankung und palliative Versorgung ihrer Mutter daheim erlebt hat: von anfänglicher Überforderung bis hin zu sinnstiftender Sterbebegleitung. Basierend auf der persönlichen Erfahrung und fachlichem Wissen gibt sie zahlreiche Tipps, die pflegende Angehörige während der häuslichen Sterbebegleitung bestärken und Ängste vor der Auseinandersetzung mit dem Tod nehmen sollen. Eine Hilfestellung für alle, die diese mutige Entscheidung getroffen haben.

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2017. 149 Seiten. (978-3-497-02671-5) kt

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Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) e.V. (Hrsg.)

Für Frauen, die mit dem Tod ihres Lebenspartners zurechtkommen müssen Stephanie Witt-Loers Nie wieder wir Weiterleben von Frauen nach dem Tod ihres Partners 2017. 215 Seiten, kartoniert € 18,– D ISBN 978-3-525-40278-8

eBook: € 14,99 D / ISBN 978-3-647-40278-9 Wenn der Partner stirbt, verändert sich das Leben der zurückbleibenden Frau grundlegend. Neben dem Schmerz erleben Frauen enorme Belastungen und Sorgen. Eigene Lebensfreude, Lebensmut und manchmal sogar der Lebenswille gehen verloren. Stephanie Witt-Loers greift nicht nur Ängste, Gefühle und Belastungen auf, denen Frauen nach dem Tod ihres Partners ausgesetzt sind, sondern auch heikle Themen, die im Zusammenhang mit dem Tod des Partners eine Rolle spielen können. Sie klärt darüber hinaus über wesentliche Aspekte von Trauerprozessen auf. Ziel ist es, sich selbst besser zu verstehen sowie Möglichkeiten aufzuzeigen, die den Weg der Trauer in der neuen Lebenssituation erleichtern können. Zudem berichten betroffene Frauen, die den Tod eines Partners erlebt und überlebt haben, von ihren ganz persönlichen Erfahrungen. Verlagsgruppe Vandenhoeck & Ruprecht

www.v-r.de