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German Pages [492] Year 2013
NORM UND STRUKTUR STUDIEN ZUM SOZIALEN WANDEL IN MITTELALTER UND FRÜHER NEUZEIT IN VERBINDUNG MIT GERD ALTHOFF, HEINZ DUCHHARDT, PETER LANDAU, KLAUS SCHREINER, GERD SCHWERHOFF HERAUSGEGEBEN VON
GERT MELVILLE Band 43
IDONEITÄT – GENEALOGIE – LEGITIMATION Begründung und Akzeptanz von dynastischer Herrschaft im Mittelalter herausgegeben von
CRISTINA ANDENNA GERT MELVILLE unter Mitarbeit von Kai Hering
2015 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gefördert mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des SFB 804 „Transzendenz und Gemeinsinn“ der Technischen Universität Dresden.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Szenen der biblischen Heilsgeschichte und Friedrich Barbarossa mit seinen Söhnen Heinrich und Philipp, im Liber ad honorem Augusti sive de rebus Siculis des Petrus von Eboli (Codex 120 II, Burgerbibliothek Bern, fol. 143r). Aus: Petrus de Ebulo, Liber ad honorem Augusti sive de rebus Siculis. Codex 120 II der Burgerbibliothek Bern. Eine Bildchronik der Stauferzeit, hg. von T. Kölzer und M. Stähli, Sigmaringen 1994, S. 235.
© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Frank Schneider, Wuppertal Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-21053-3
Danksagung
Der vorliegende Band stellt den Ertrag einer internationalen Fachtagung dar, die unter dem Titel “Idoneität – Genealogie – Legitimation. Überlegungen zur Begründung und Akzeptanz von dynastischer Herrschaft im hohen und späten Mittelalter” vom 08. bis zum 10. Dezember 2011 in Dresden stattfand. In ihren Vorträgen widmeten sich die Teilnehmer aus verschiedenen europäischen Ländern den Konzepten der Legitimierung von Königs- und Fürstenherrschaft und richteten den Blick dabei besonders auf das Spannungsverhältnis zwischen persönlicher Idoneität und dynastisch vermittelten Herrschaftsansprüchen. Mit dieser Fokussierung bildete die Dresdner Tagung einen wichtigen Baustein der Forschungsarbeit des Teilprojekts C “Dynastie, Idoneität und Transzendenz. Vergleichende Untersuchungen zum hohen und späten Mittelalter”, welches an dem von der DFG finanzierten Sonderforschungsbereich 804 “Transzendenz und Gemeinsinn” angesiedelt war. Zum Gelingen der Tagung sowie des aus ihr hervorgegangenen Buchprojekts haben eine Reihe von Personen und Institutionen tatkräftig beigetragen, denen die Herausgeber an dieser Stelle danken möchten. Die Finanzierung der Tagung und die Drucklegung des Bandes wurden durch Mittel des SFB 804 ermöglicht. Ein herzlicher Dank geht daher an dessen Sprecher, Prof. Dr. Hans Vorländer, der auch die Konferenz eröffnete. Die Herausgeber bedanken sich außerdem bei den Referentinnen und Referenten für die sorgsame Ausarbeitung ihrer Manuskripte und ihre Geduld während des Entstehungsprozesses dieses Bandes. Sein inhaltliches Spektrum konnte durch nachträglich hinzugewonnene Beiträge noch bereichert werden. Für ihre Mithilfe bei der Tagungsorganisation und der Publikation des vorliegenden Bandes gebührt Aline Hetze, Fabian Kröning, Volkmar Lehmann und Marko Thieme großer Dank. Die beiden Letztgenannten gestalteten auch den Abbildungsteil, während Philipp Stöver die Register erstellte. Die Hauptlast der Korrekturarbeiten sowie der Endredaktion lag bei Kai Hering, wofür ihm die Herausgeber besonders dankbar sind. Bei der Einrichtung des Buchmanuskripts für den Druck standen Elena Mohr und Sandra Hartmann vom Böhlau-Verlag vielfach helfend zur Seite. Dresden, 04. Dezember 2014
Cristina Andenna und Gert Melville
Inhalt
CRISTINA ANDENNA / GERT MELVILLE Idoneität – Genealogie – Legitimation. Überlegungen zur Begründung und Akzeptanz von dynastischer Herrschaft im hohen und späten Mittelalter. Eine Einleitung ........................................................................................................
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I. IDONEITÄT UND LEGITIMATION A. DER HERRSCHER JÖRG PELTZER Idoneität. Eine Ordnungskategorie oder eine Frage des Rangs? ....................
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OLIVER AUGE Physische Idoneität? Zum Problem körperlicher Versehrtheit bei der Eignung als Herrscher im Mittelalter ...................................................................
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MIRIAM WEISS rex […] magis ac magis […] deliravit. Königskritik in den Chronica maiora des Matthew Paris ...................................................................................................
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FRANK REXROTH Dauerhaft untauglich. Die symbolische Inversion von Königsherrschaft im Rahmen der spätmittelalterlichen europäischen Königsabsetzungen .......
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MARINA MÜNKLER Idoneität und Genealogie in Wolframs Parzival .................................................
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B. DIE DYNASTIE STEFAN WEINFURTER Idoneität – Begründung und Akzeptanz von Königsherrschaft im hohen Mittelalter ............................................................................................... 127 THOMAS FOERSTER Neue Herrschaft in neuen Reichen. Genealogie, Idoneität und die Ursprünge weiblicher Nachfolge im 12. Jahrhundert ................................. 139
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Inhalt
STEFAN BURKHARDT Idoneität im Spannungsfeld von Verwandtschaft und päpstlicher Begutachtung. Zwei Fälle mediterranen Kaisertums ........................................ 167 CRISTINA ANDENNA Cesarea oder viperea stirps? Zur Behauptung und Bestreitung persönlicher und dynastischer Idoneität der späten Staufer in kurialen und adligen Diskursen des 13. Jahrhunderts ............................................................................ 189 SVERRE BAGGE Die Herausbildung einer Dynastie. Thronfolge in Norwegen bis 1260 ........ 257 LAURA GAFFURI Eine Definition der weiblichen Regentschaft im Herzogtum Savoyen am Ende des Mittelalters ........................................................................................ 273
II. GENEALOGIE UND LEGITIMATION A. GENEALOGISCHES DENKEN GERT MELVILLE Zur Technik genealogischer Konstruktionen ..................................................... 293 KAI HERING Fridericus primus […] natus ex clarissima progenie Carolorum. Genealogie und Idoneität bei den frühen Staufern ........................................................................ 305 MARIGOLD ANNE NORBYE Iste non ponitur in recta linea arboris genealogie. Graphische Darstellung und Legitimität in französischen Königsgenealogien ................................................ 329 FULVIO DELLE DONNE Nobilitas animi: Attribut oder Requisit einer nobilitas sanguinis? Die ideologische Reflexion am aragonesischen Hof von Neapel ................... 351
B. GENEALOGIE UND RAUM GRISCHA VERCAMER Die Herkunftsgeschichte der Piasten als politisches Konzept der Gegenwart des Chronisten Vinzenz Kadłubek (1150-1223) ........................... 365
Inhalt
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BIRGIT STUDT Gründungsheroen, Ahnenreihen und historische Topographien. Genealogische Narrative und konkurrierende Formen der politischen Raumbildung in den Geschichten von den Fürsten in Bayern ....................... 387 REINHARDT BUTZ Idoneität der Dynastie versus wechselnde Räume. Die Chronik Georg Spalatins über die Sachsen und Thüringer ............................................. 407 TOBIAS TANNEBERGER Land und Genealogie. Das Identifikations- und Legitimationspotential des Raumes in der Genealogia principum Tungro-Brabantinorum ............................ 423 UWE ISRAEL Zusammenfassung .................................................................................................. 441 Abbildungsverzeichnis ........................................................................................... 451 Register der Personen, Dynastien und Völkernamen ....................................... 455 Register der geographischen Bezeichnungen ..................................................... 471
CRISTINA ANDENNA / GERT MELVILLE
Idoneität – Genealogie – Legitimation Überlegungen zur Begründung und Akzeptanz von dynastischer Herrschaft im hohen und späten Mittelalter. Eine Einleitung
Non est enim potestas nisi a Deo quae autem sunt a Deo ordinatae sunt – gemäß diesem Satz aus dem Römerbrief des Apostels Paulus (Röm. 13,1) war das Prinzip der monarchischen Herrschaft im Mittelalter transzendent begründet.1 Der Adel als exklusiver Träger solcher Herrschaft verstand sich als konstitutives Element eines unverfügbaren, von Gott geschaffenen Ordnungssystems. Die Begründung der adligen Ansprüche zur Ausübung von weltlicher Macht beruhte dabei auf zwei unterschiedlichen Deutungsmustern: Einerseits galt die disziplinierende Gewalt der Kaiser, Könige und Fürsten während des europäischen Mittelalters als Korrektiv für die Sündhaftigkeit der Menschen,2 andererseits wurde der gesamte Adel durch die ihm zugewiesene Aufgabe des Schutzes aller Waffenlosen selbst zum Bestandteil einer funktional gegliederten Gesellschaft von oratores, bellatores und laboratores erklärt.3 Vor diesem Hintergrund einer göttlich fundier1
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Zu Begriff und Sache von Herrschaft sind beispielsweise P. MORAW, II. ‘Herrschaft’ im Mittelalter, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, Stuttgart 1990, S. 5-13 nebst der Einleitung zum Stichwort ‘Herrschaft’ von R. KOSELLECK (ebd., S. 1-4), jeweils mit weiterführender Literatur, zu nennen sowie T. STRUVE, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 16), Stuttgart 1978 und die instruktiven Beiträge in J. H. BURNS (Hg.), The Cambridge History of Medieval Political Thought, c. 350-c. 1450, Cambridge 1991. W. STÜRNER, Peccatum und potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 11), Sigmaringen 1987; vgl. auch G. MELVILLE, Ein Exkurs über die Präsenz der Gewalt im Mittelalter. Zugleich eine Zusammenfassung, in: M. KINTZINGER / J. ROGGE (Hgg.), Königliche Gewalt – Gewalt gegen Könige. Macht und Mord im spätmittelalterlichen Europa, Berlin 2004, S. 119-134. Grundlegend dazu O. G. OEXLE, Die funktionale Dreiteilung der “Gesellschaft” bei Adalbero von Laon. Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im früheren Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 12 (1978), S. 1-65; DERS., Die funktionale Dreiteilung als Deutungsschema der sozialen Wirklichkeit in der ständischen Gesellschaft des Mittelalters, in: W. SCHULZE (Hg.), Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 12), München 1988, S. 19-52. Siehe außerdem G. CONSTABLE, Three Studies in Medieval Religious and Social Thought: The Interpretation of Mary and Martha. The Ideal of the Imitation of Christ. The Orders of Society, Cambridge 1995, S. 249-360.
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ten Welt- und Gesellschaftsordnung waren auch alle Herrschaftsämter als solche legitimiert – unabhängig davon, ob sie vererbbar oder durch Wahl oder Vergabe (Lehen) erwerbbar waren. Die zur Legitimation notwendige metaphysische Transzendierung auf Gott als den Ursprung jeder herrscherlichen Autorität musste indes nicht immer wieder von neuem durch symbolische Verweise erfolgen, denn sie war allgemein akzeptiert und stieß nur in äußerst seltenen Fällen auf Widerspruch. Untersuchungen von Formen der mittelalterlichen Herrschaftslegitimation haben vor allem im deutschsprachigen Raum, aber nicht nur dort, eine lange und breit gefächerte Forschungstradition.4 Deutlich weniger Beachtung fand in der Mediävistik bislang jedoch die Frage nach der Legitimierung des jeweiligen Herrschaftsträgers als Einzelperson: Was befähigte einen individuellen Akteur in besonderem Maße zur Ausübung von Herrschaft und Macht? Dieser Ansatz führt zum Aspekt der persönlichen Eignung und Würdigkeit derjenigen Akteure, die politische Ämter einnahmen oder für sich beanspruchten. Zur Bezeichnung der individuellen Qualifikation zum Herrschen bietet sich der Begriff der Idoneität an. Als analytisches Konzept verwendet, wie es in dem vorliegenden Band geschieht, weist Idoneität dabei jedoch über die Ebene der persönlichen Geeignetheit hinaus. Neben Behauptungen der physischen und/oder moralischen Eignung lassen sich auch verschiedene andere, im Zeitraum des hohen und späten Mittelalters vor allem dynastisch geprägte Zuschreibungen von Herrschaftsbefähigung ausmachen. Eine derartige Erweiterung des Idoneitätsbegriffs erlaubt den Einbezug auch dieser dynastischen Aspekte in die Analyse 4
Vgl. auswahlhaft: E. KARPF, Herrscherlegitimation und Reichsbegriff in der ottonischen Geschichtsschreibung des 10. Jahrhunderts (Historische Forschungen 10), Stuttgart 1987; P. WUNDERLI (Hg.), Herkunft und Ursprung. Historische und mythische Formen der Legitimation (Akten des Gerda Henkel Kolloquiums veranstaltet vom Forschungsinstitut für Mittelalter und Renaissance der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 13. bis 15. Oktober 1991), Sigmaringen 1994; F.-R. ERKENS (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft: Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, Berlin 2002; I. ALFONSO / H. N. KENNEDY / J. E. MONGE (Hgg.), Building Legitimacy. Political Discourses and Forms of Legitimacy in Medieval Societies (The Medieval Mediterranean 53), Leiden 2004; F. DELLE DONNE, Il potere e la sua legittimazione. Letteratura encomiastica in onore di Federico II di Svevia (Testis Temporum 2), Arce 2005; W. DREWS, Die Karolinger und die Abbasiden von Bagdad. Legitimationsstrategien frühmittelalterlicher Herrscherdynastien im transkulturellen Vergleich (Europa im Mittelalter 12), Berlin 2009. Speziell zur Wahrnehmung von Herrschaft in historiographischen Texten des Mittelalters siehe jetzt die Beiträge in N. KERSKEN / G. VERCAMER (Hgg.), Macht und Spiegel der Macht. Herrschaft in Europa im 12. und 13. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Chronistik (Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien 27), Wiesbaden 2013. – Unter den älteren Standardwerken seien hier nur W. ULLMANN, Principles of Government and Politics in the Middle Ages, London 1961 und A. DEMPF, Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, Darmstadt 31962, genannt.
Einleitung
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von Eignungsbehauptungen und -bestreitungen. Zugleich soll das – hier bewusst offen gehaltene – analytische Konzept der Idoneität als ein Interpretationsmuster für jene komplexen Zuschreibungsprozesse im historischen Wandel und im Vergleich der unterschiedlichen Herrschaften und Reiche dienen. Richtet sich der Blick exemplarisch auf das Römisch-Deutsche Reich, so waren hier ab dem hohen Mittelalter zwei Prinzipien für die Legitimation der Königserhebungen maßgeblich, die zugleich als Indikatoren für die wesentlichen Kriterien der Herrscheridoneität gelten können. Zum einen wurde mit der Verfestigung der Adelsherrschaften und mit der Herausbildung stabiler adliger Herrschaftszentren etwa seit dem 11./12. Jahrhundert5 die Idoneität eines Herrschers verstärkt durch das – schon in ottonischer und frühsalischer Zeit etablierte – dynastische Prinzip bestimmt, sodass sich von einer dynastischen Idoneität sprechen ließe. In dieser Hinsicht bildete der Geblütsgedanke das Fundament einer monarchischen Herrschaftsordnung.6 Als zentrales Argument zur dynastisch bedingten Übernahme eines Herrschaftsamtes war die Vorstellung von der überragenden Qualität adligen Blutes engstens mit der Denkfigur des Genealogischen verknüpft. Andererseits verschärften die Auseinandersetzungen zwischen regnum und sacerdotium die Frage nach der Sakralität des Königtums und dem sazerdotalen Charakter von dessen Repräsentanten im Reich. Infolge des Konflikts zwischen König Heinrich IV. und Papst Gregor VII., spätestens dann mit der Wahl des (Gegen-)Königs Rudolf von Rheinfelden in Forchheim 1077, wurde das Wahlverfahren als unabdingbares Prinzip für die Königserhebung in den Vordergrund gestellt.7 Dadurch rückte die persönliche Eignung und Würdigkeit eines 5
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Einschlägig für diesen Formierungsprozess ist seitens der deutschsprachigen Geschichtsforschung noch immer die posthum veröffentlichte Habilitationsschrift von K. SCHMID, Geblüt – Herrschaft – Geschlechterbewußtsein. Grundfragen zum Verständnis des Adels im Mittelalter, aus dem Nachlass hg. v. D. MERTENS / T. ZOTZ (Vorträge und Forschungen 44), Sigmaringen 1998. 1914 formulierte Fritz Kern die These, dass es im Frühmittelalter ein pagan-germanisches Geblütsprinzip gab. Die königliche Herrschaft basierte auf “Erbe”, d.h. auf dynastischer Sukzession. Nach seiner Deutung war die Kirche verantwortlich, diese Tradition korrumpiert und das Prinzip einer faktischen Idoneität für die Nachfolgeregelung eingeführt zu haben; vgl. F. KERN, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter. Zur Entwicklungsgeschichte der Monarchie, Darmstadt ²1954, hier S. 13-64. U. SCHMIDT, Königswahl und Thronfolge im 12. Jahrhundert (Forschungen zur Kaiserund Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 7), Köln/Wien 1987, S. 5-33, welcher in seiner Arbeit in Anlehnung an Fritz Rörig der These von Heinrich Mitteis über die Existenz und Geltung eines ‘germanischen’ Geblütsrechts bis zum Thronstreit des Jahres 1198 widerspricht. Siehe zu dieser älteren Kontroverse die entsprechenden Positionen von H. MITTEIS, Die deutsche Königswahl. Ihre Rechtsgrundlagen bis zur Goldenen Bulle, Brünn/München/Wien 21944 (ND Darmstadt 1975), hier S. 13-45, und von F. RÖRIG, Geblütsrecht und freie Wahl in ihrer Auswirkung auf die deutsche Geschichte. Untersuchungen zur Geschichte der deutschen Königserhebung (911-1198) (Abhandlungen der Deutschen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-
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Herrschers immer mehr in das Zentrum der zeitgenössischen Legitimationsdiskurse.8 Wahlrecht und Erb- bzw. Geblütsrecht bildeten somit ein konfliktträchtiges Spannungsverhältnis und wurden in besonders krisenhaften politischen Situationen einander gegenübergestellt. Die Verfechter des Erbfolgeprinzips behaupteten, dass die Idoneität des jeweiligen Prätendenten bereits durch seine Zugehörigkeit zu einer im Herrscheramt bewährten Dynastie gesichert war. Diejenigen, die das Prinzip der Königserhebung per Wahl bevorzugten, lehnten diese genealogische Argumentation ab und erklärten stattdessen die persönlichen Fähigkeiten und Tugenden eines Kandidaten zur alleinigen conditio sine qua non für die Herrschaftsübernahme. Persönliche Idoneität aufgrund hervorragender Eigenschaften erscheint dergestalt in Fällen strittiger Legitimität als wirksames Gegenmodell zum Postulat der Eignung allein kraft dynastischer Sukzession, allerdings konnte beide Elemente – individuelle virtus und vornehme Abstammung – in den Diskursen über die politische Ordnung miteinander verflochten sein. Gerade die enge Verknüpfung, aber auch die Konkurrenz dieser zwei Prinzipien bildete den Gegenstand der von dem Forschungsprojekt C “Dynastie, Idoneität und Transzendenz. Vergleichende Untersuchungen zum hohen und späten Mittelalter” betriebenen Studien.9 Das Anliegen des zum 30. Juni 2013 beendeten Projekts war die Analyse von Diskursen und narrativen Strategien zur Legitimation der Herrschaftsansprüche von Dynastien und ihrer jeweils aktuellen Vertreter. Diese Untersuchungen zur Frage der Begründung von dynastischer Herrschaft im europäischen Hoch- und Spätmittelalter erwiesen sich als
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Historische Klasse 46/6), Berlin 1947, wiederabgedruckt als DERS., Geblütsrecht und freie Wahl in ihrer Auswirkung auf die deutsche Geschichte, in: E. HLAWITSCHKA (Hg.), Königswahl und Thronfolge in ottonisch-salischer Zeit (Wege der Forschung 178), Darmstadt 1971, S. 71-147. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Debatte und der nachfolgenden Forschung erfolgt etwa bei S. PATZOLD, Königserhebungen zwischen Erbrecht und Wahlrecht? Thronfolge und Rechtsmentalität um das Jahr 1000, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 58 (2002), S. 467-507. Vgl. dazu J. SCHLICK, König, Fürsten und Reich (1056-1159). Herrschaftsverständnis im Wandel (Mittelalter Forschungen 7), Stuttgart 2001, S. 26-48, insbesondere S. 45-48, die die Bedeutung der Königswahl 1077 in Forchheim als wichtigen Moment für einen Wandel im Erhebungsverfahren herausstellt. Die Aufmerksamkeit der Fürsten wurde ihrer Einschätzung nach von da an auf die persönliche Idoneität des Königs gelenkt. Siehe auch im vorliegenden Band den Beitrag von C. ANDENNA, Cesarea oder vipera stirps? Der Fokus des Projekts lag auf dem genealogisch-dynastischen Aspekt von postulierter Herrschaftsbefähigung: Die Qualifikation des Individuums zeigte sich durch Transzendierung auf seine dynastischen Vorfahren, von deren Gesamtheit sich im Medium der Genealogie eine bereits erwiesene Eignung für eine bestimmte Herrschaftsausübung behaupten und dann auch auf den gegenwärtigen Vertreter der Dynastie übertragen ließ. Vgl. dazu im Einzelnen C. ANDENNA / G. MELVILLE, Dynastie, Idoneität und Transzendenz. Vergleichende Untersuchungen zum hohen und späten Mittelalter, in: H. VORLÄNDER (Hg.), Transzendenz und Gemeinsinn. Themen und Perspektiven des Dresdner Sonderforschungsbereichs 804, Dresden 22011, S. 40-45.
Einleitung
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geeignetes Beobachtungsfeld innerhalb des größeren Forschungsvorhabens des DFG-Sonderforschungsbereichs 804 “Transzendenz und Gemeinsinn”, in dessen interdisziplinären Verbund das Projekt eingebettet war. Mit der Fokussierung auf Postulate herrscherlicher Idoneität und die verschiedenen Techniken ihrer Plausibilisierung näherte sich das Teilprojekt C aus historischer Perspektive jenen “Prozessen der Begründung und Stabilisierung sozialer und politischer Ordnungen”, welche der Sonderforschungsbereich 804 mithilfe der analytischen Kategorien Transzendenz und Gemeinsinn in den Blick nahm.10 Auf der Dresdner Tagung über das Thema “Idoneität – Genealogie – Legitimation. Überlegungen zur Begründung und Akzeptanz von dynastischer Herrschaft im hohen und späten Mittelalter” wurden im Dezember 2011 erste Ergebnisse der Projektarbeit einer breiteren Fachöffentlichkeit vorgestellt und vergleichend mit den Forschungen von Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland diskutiert.11 Die Erträge der Konferenz zu den genannten Aspekten sind in dem vorliegenden Tagungsband versammelt. Zur Einstimmung auf die Thematik des Bandes sollen zunächst einige Bemerkungen über die Leitbegriffe ‘Idoneität’ und ‘Genealogie’ vorausgeschickt werden.
Idoneität Abgeleitet vom lateinischen Wort idoneitas, umschreibt Idoneität ganz allgemein ein komplexes Feld von Eigenschaften, die als positive Qualitäten gewertet wurden, und verweist insofern auf Eignung, Tauglichkeit und Befähigung.12 In den mittelalterlichen Quellen ist “Idoneität” mittels der Termini idoneitas, aptitudo, habilitas, utilitas, dignitas fassbar, und über die Adjektive idoneus, aptus, habilis, utilis, dignus konnte die Befähigung einer Person belegt, respektive mit Ausdrücken wie non / minus idoneus, inaptus, inhabilis, inutilis, indignus ihre fehlende Eignung signalisiert werden. Diese Attribute werden in den zeitgenössischen Texten jedoch nur recht selten spezifiziert und erlauben deshalb keine genaue Begriffsbe10 Vgl. zum Forschungsprogramm: H. VORLÄNDER, Einleitung. Wie sich soziale und politi-
sche Ordnungen begründen und stabilisieren: Das Forschungsprogramm, in: ebd., S. 615; das Zitat S. 9. 11 Vgl. die im Internet zugänglichen Tagungsberichte von J. HOVEN (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4279&sort=datum&order=down&search=dynastie+idoneit%C3%A4t; zuletzt aufgerufen am 29.07.2013) und von V. LEHMANN (http://www.ahf-muenchen.de/Tagungsberichte/Berichte/pdf/2012/035-12.pdf; zuletzt aufgerufen am 29.07.2013). 12 Du Cange verweist unter dem Stichwort idoneitas auf die Synonyme aptitudo, utilitas und convenientia; siehe C. d. F. DU CANGE, Glossarium Mediae et infimae latinitatis, Bd. 4, Niort 1885, S. 285. Vgl. auch die Stichworte idoneitas und idoneus in K. E. GEORGES, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Bd. 2, Hannover 1913 (ND Darmstadt 1998), Sp. 26-27.
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stimmung. Idoneität erscheint als eine eigene Ordnungskategorie, die von Fall zu Fall mit unterschiedlichen Kriterien besetzt ist und sich in Anbetracht eines breiten Verwendungsspektrums einer eindeutigen Definition entzieht. Die Frage der persönlichen idoneitas ist bislang erst ansatzweise in einigen Untersuchungen behandelt worden, wobei stets nur einzelne Facetten dieses Begriffs im Zentrum standen. Das Interesse richtete sich in den zumeist kleineren Fallstudien vorrangig auf die Betrachtung von körperbezogenen Aspekten, die eine physische Idoneität markierten,13 oder galt – bezogen auf einen kirchlichen bzw. monastischen Kontext – Fragen der Eignung bei Abts- und Bischofswahlen.14 Ferner gelangte das Kriterium der Idoneität im juristischen Bereich für die Bestimmung der Zeugen bei Prozessen15 und in der notariellen Rechtspraxis zur Anwendung,16 wie durch entsprechende Analysen gezeigt wurde. Die wenigen schon existierenden Studien zum Konnex von Idoneität und politischer Herrschaft ergeben insgesamt noch kein geschlossenes Bild über Vorstellungen, Ansprüche und Manifestationen herrscherlicher Geeignetheit.17 Vor die13 A. SCHELBERG, Leprosen in der mittelalterlichen Gesellschaft. Physische Idoneität und
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sozialer Status von Kranken im Spannungsfeld säkularer und christlicher Wirklichkeitsdeutungen, Diss. Göttingen 2000; siehe daneben auch die Fallstudien von R. HIESTAND, Kranker König – kranker Bauer, in: P. WUNDERLI (Hg.), Der kranke Mensch in Mittelalter und Renaissance (Studia humaniora 5), Düsseldorf 1986, S. 61-77, G. JORDAN, Hoffnungslos siech, missgestaltet und untüchtig? Kranke Herrscher und Herrschaftsanwärter in der Karolingerzeit, in: C. NOLTE (Hg.), Homo debilis. Behinderte – Kranke – Versehrte in der Gesellschaft des Mittelalters (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters 3), Korb 2009, S. 245-262 und A. T. HACK, Alter, Krankheit, Tod und Herrschaft im frühen Mittelalter. Das Beispiel der Karolinger (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 56), Stuttgart 2009, hier besonders S. 275ff. J. PELTZER, Master Arnulf, Archdeacon of Rouen, Unlincensed Pluralism, and Idoneitas. Defining Eligibility in the Early Thirteenth Century, in: Haskins Society Journal 19 (2008), S. 51-64; DERS., Canon Law, Careers, and Conquest. Episcopal Elections in Normandy and Greater Anjou between c. 1140 and c. 1230 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought 4/71), Cambridge 2008, S. 48-53. T. GERGEN, Le critère de l’idoneitas des témoins dans la pratique judiciaire médiévale, in: A. DUBREUCQ / C. LAURANSON-ROSAZ (Hgg.), Traditio iuris. Permanence et/ou discontinuité du droit romain durant le haut Moyen Âge. Actes du colloque internationale (Université Jean Moulin - Lyon 3, 9-10 octobre 2003) (Cahiers du Centre d’Histoire Médiévale 3), Lyon 2005, S. 395-406. G. BATTELLI, L’esame di idoneità dei notai pubblici apostolica auctoritate nel Duecento, in: K. BORCHARDT / E. BÜNZ (Hgg.), Forschungen zur Reichs-, Papst- und Landesgeschichte. Peter Herde zum 65. Geburtstag von Freunden, Schülern und Kollegen dargebracht, 2 Bde., Stuttgart 1998, Bd. 1, S. 255-263. A. BIERSACK, Idoneität und Ordination in ihrer Einwirkung auf den Staatsbegriff im Investiturstreit, Diss. München 1954; E. BUSCHMANN, Ministerium Dei – idoneitas. Um ihre Deutung aus den mittelalterlichen Fürstenspiegeln, in: Historisches Jahrbuch 82 (1963), S. 70-102; G. KRISTÓ, Legitimitás és idoneitás (Adalékok Árpádkori eszmetörténetünkhöz) [Legitimacy and Idoneity. A Contribution to the Intellectual History of the Age of the Arpads], in: Századok 108 (1974), S. 528-621. Am Beispiel der Dynastie der Staufer im 12. Jahrhundert vgl. künftig auch die Druckfassung der Arbeit von K. HERING, Stu-
Einleitung
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sem Hintergrund einer disparaten Forschungslage wird hier der Begriff ‘Idoneität’ als analytische Kategorie gebraucht, um die spezielle Qualifikation eines Herrschers oder einer Dynastie zu erfassen und die Mechanismen und Strategien zu beschreiben, die zur Begründung und Akzeptanz seiner Machtstellung in jeweils situativen Kontexten geführt haben. Sowohl die griechische und römische Antike als auch das altisraelitische Judentum kannten im Bereich der geistlichen, aber auch der weltlichen Sphäre das Erfordernis einer Verbindung von körperlicher Integrität und positiven moralischen Eigenschaften als unverzichtbare Voraussetzung für die Zuweisung und die Ausübung einer Herrschaft bzw. für die Trägerschaft eines politischen und sakralen Amtes. Diese Vorstellung lebte im Mittelalter im kirchlichen Bereich, bezogen auf das Priestertum und die Bischofswürde, weiter und beeinflusste in entscheidendem Maße auch die weltlich-politische Sphäre. Ein Kandidat hatte zur Herrschaftsausübung gewissen Kriterien zu genügen, die ihrerseits an den Wertehorizont elitärer Gruppen gebunden waren. Diese Kriterien beinhalteten in erster Linie die Erfüllung ethischer Normen gemäß einem Katalog christlicher sowie adlig-höfischer Tugenden, zu denen das Ideal körperlicher Stärke und Tüchtigkeit zählte. Auch nach erfolgter Übernahme einer Herrschaftsfunktion musste der Amtsträger fortwährend unter Beweis stellen, dass er der hohen Würde seiner Position entsprach. Die politische Legitimation war daher an die konkreten Eigenschaften des einzelnen Individuums angebunden und wurde durch die Besonderheit seiner Tugenden und Handlungen bewiesen. Insbesondere zeigte sich die Eignung zum Herrschen durch die Befähigung des Individuums, mithilfe seiner persönlichen Qualitäten auf die Bedürfnisse wechselnder politischer Situationen zu reagieren. Diesem Aspekt kam umso größere Bedeutung zu, wenn der Herrschaftsantritt durch freie Wahl des grundsätzlich Besten und nicht aufgrund von Erbansprüchen der Nachkommen eines Herrschers erfolgte, oder aber in Fällen umstrittener Sukzession, in denen das Verwandtschaftskriterium keine ausreichende Garantie für die Legitimierung der Machtübernahme bot.18 Wie konnte vor dem Hintergrund solcher Konfliktlagen überzeugend dargelegt werden, dass ein politischer Akteur Idoneität gerade für eine bestimmte Herrschaft beanspruchen durfte? Neben den erwähnten physischen und ethisch-moralischen Qualitäten sowie weiteren Elementen gehörte zur Behauptung von Idoneität auch der Nachweis einer vornehmen Abkunft, die Zugehörigkeit zu einer altehrwürdigen Dynastie.
dien zu Idoneität und Herrschaftslegitimation der staufischen Dynastie im Spiegel der zeitgenössischen Historiographie, Dissertation an der Philosphischen Fakultät der Technischen Universität Dresden 2013. 18 C. ANDENNA, Wer ist zur Herrschaft geeignet? Konstruktion und Dekonstruktion dynastischer Idoneität und Legitimation am Beispiel der späten Staufer, in: H. VORLÄNDER (Hg.), Transzendenz und die Konstitution von Ordnungen, Berlin/Boston 2013, S. 115141.
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Genealogie Genealogisches Denken stellte zweifelsohne einen der zentralen Faktoren dar, die zur Plausibilisierung der dynastisch bedingten Erlangung eines Amtes und damit entscheidend zur Herrschaftsakzeptanz beitrugen. Genealogie ist dabei nicht im heutigen wissenschaftlichen Sinne von Ahnenforschung zu verstehen, sondern als basales Konzept der Welt- und Geschichtsdeutung und somit eben auch zur Erschließung der Vergangenheit.19 In den Legitimationsdiskursen des Hoch- und Spätmittelalters lieferte die genealogische Denkweise einen gemeinsinnig gewordenen Rahmen für die qualifizierende Positionierung des zeitgenössischen Herrschers oder eines Prätendenten in dem historischen Kontext der jeweiligen Dynastie und Herrschaft. Wie aber wurden genealogische Entwürfe konkret für Idoneitätsbehauptungen fruchtbar gemacht? Der einzelne Herrschaftsträger vermochte die Denkform des Genealogischen20 grundsätzlich dahingehend zu nutzen, dass er als Individuum gleichsam zurücktrat gegenüber dem Sachverhalt, dass er das derzeit letzte Glied einer langen Ahnenkette bildete, welche als überzeitliche Gemeinschaft und somit als Verkörperung von geblütsrechtlichen, aus der dynastischen Geschichte gewonnenen Argumenten erschien.21 Die Eigenschaften und Qualitäten eines dynastischen Vertreters zeigten sich also durch Bezugnahme auf seine heroischen Vorfahren, von deren Gesamtheit sich eine bereits erwiesene Idoneität für eine bestimmte Herrschaftsausübung behaupten und dann auch auf den betreffenden ‘Probanden’ übertragen ließ. Einzig die lückenlose Kontinuität der dynastischen Linie garantierte die Weitergabe des ‘Geblütsheils’22 von einem mythischen Spitzenahn bis zum gegenwärtigen Vertreter der Dynastie – und diese Kontinuität des Blutes musste von den mittelalterlichen Historiographen oftmals mühsam re-konstruiert, ja in zahlreichen Fällen sogar erst geschaffen und mit dem Geschichtswissen der Rezipienten in Einklang gebracht werden. Indem der Verweis auf die direkte Abstammung von einem ruhmreichen Geschlecht einen Machtakteur für das von ihm beanspruchte Herrscheramt als unbestreitbar qualifiziert erscheinen ließ, stellten Genealogien und andere Texte mit genealogischem Inhalt ein Medium ersten Ranges dar, um die dynastische Herkunft eines 19 B. KELLNER, Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mittel-
alter, München 2004, hier besonders S. 13-127.
20 Vgl. hierzu die Fallstudien in K. HECK / B. JAHN (Hgg.), Genealogie als Denkform in
Mittelalter und Früher Neuzeit (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 80), Tübingen 2000. 21 Ausführlich dazu G. MELVILLE, Vorfahren und Vorgänger. Spätmittelalterliche Genealogien als dynastische Legitimation zur Herrschaft, in: P.-J. SCHULER (Hg.), Die Familie als historischer und sozialer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, Sigmaringen 1987, S. 203-309. 22 Vgl. K. HAUCK, Geblütsheiligkeit, in: B. BISCHOFF (Hg.), Liber floridus: Mittellateinische Studien. Paul Lehmann zum 65. Geburtstag am 13. Juli 1949 gewidmet von Freunden, Kollegen und Schülern, St. Ottilien 1950, S. 187-240.
Einleitung
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Königs oder Fürsten deutlich herauszustellen und auf diesem Wege seine Befähigung zu erfolgreicher Herrschaft sinnfällig zu beweisen.23
*** Im Mittelpunkt des Interesses dieses Tagungsbandes stehen also folgende Leitfragen: In welchem Ausmaß leitete sich die Idoneität eines mittelalterlichen Herrschers von seinen persönlichen Eigenschaften ab, in welchem Maße von seiner dynastischen Herkunft? In welchem Verhältnis zeigen sich diese beiden Aspekte bei der Bestimmung der Idoneität? Und welcher Zusammenhang besteht zwischen Idoneität und politischer Legitimation? Diesem Problemfeld versuchen sich die nachfolgenden Beiträge anhand von Fallbeispielen und aus verschiedenen Blickwinkeln zu nähern. So beschäftigen sich die Beiträge des ersten großen Abschnitts (“I. Idoneität und Legitimation”) zunächst mit der Idoneität des Herrschers als Einzelperson, indem etwa nach dem Wandel der Vorstellungen über die Eignung von Herrschaftsträgern sowie nach den relevanten Kriterien und deren Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren (z.B. Rang, Unversehrtheit) gefragt wird. Sodann liegt der Schwerpunkt auf der Bezugsgröße der Dynastie, näherhin auf der Geltendmachung einer dynastisch begründeten Idoneität zum Herrschen. Transzendierungen auf dynastische Vorgänger – als Verkörperungen allgemein anerkannter Werte – sicherten im Idealfall die eigene Befähigung für die Herrschaftsausübung, konnten aber auch gegen einen einzelnen Anwärter instrumentalisiert werden und seinen Ausschluss von der Macht bewirken. Die Fallstudien des zweiten Abschnitts (“II. Genealogie und Legitimation”) sind dem Nachweis der dynastisch vermittelten Idoneität mittels genealogischer Konstruktionen gewidmet. Hierbei gilt die Aufmerksamkeit insbesondere den hierfür verwendeten Techniken – narrativer wie graphischer Art – sowie schließlich den Beziehungen solcher Genealogien zur Konstituierung po23 Aus dem SFB-Teilprojekt C heraus sind folgende Arbeiten entstanden, die zu dem Kon-
zept der Idoneität und seinem Zusammenwirken mit genealogischen Konstruktionen einen ersten Beitrag leisten: C. ANDENNA, Wer ist zur Herrschaft geeignet? (wie Anm. 16), S. 115-141 und G. MELVILLE, Die Bedeutung geschichtlicher Transzendenzräume und ihre Kritik: zum Problem der Plausibilisierung dynastischer Geltungsbehauptungen, in: ebd., S. 142-160; DERS., Death and Apotheosis at the Burgundian Court. Some Observations on Philip the Good and Molinet’s Trosne d’honneur, in: K.-H. SPIESS / I. WARNTJES (Hgg.), Death at Court, Wiesbaden 2012, S. 21-32; K. HERING / T. TANNEBERGER, Unglaubliche Geschichten? Zur Plausibilisierung von Transzendenzbehauptungen, in: S. DREISCHER / C. LUNDGREEN / S. SCHOLZ / D. SCHULZ (Hgg.), Jenseits der Geltung. Konkurrierende Transzendenzbehauptungen von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin 2013, S. 212-232 und die monographische Studie von T. TANNEBERGER, Vom Paradies über Troja nach Brabant. Die „Genealogia principum Tungro-Brabantinorum“ zwischen Fiktion und Akzeptanz (Vita curialis 3), Berlin 2012.
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litischer Räume. Denn neben dem hohen Alter und der Adelsqualität eines Geschlechts sollten genealogische Werke häufig auch die Verbundenheit der Dynastie mit den von ihr beherrschten (oder beanspruchten) Gebieten aufzeigen. Indem sie den Aspekt der Idoneität in das Blickfeld rücken, sollen die hier vorgelegten Studien einen Beitrag zur weiteren Erforschung dieses noch kaum näher untersuchten Prinzips der Herrschaftslegitimation zu leisten. Die behandelten Fallbeispiele aus dem europäischen Hoch- und Spätmittelalter eröffnen durch die Gegenüberstellung und/oder Verknüpfung persönlicher und dynastischer Idoneität in den zeitgenössischen Diskursen zugleich neue Perspektiven auf die grundlegenden Prinzipien und Mechanismen der Legitimierung von politischer Herrschaft in der Vormoderne.
JÖRG PELTZER
Idoneität Eine Ordnungskategorie oder eine Frage des Rangs?
E.P. zum Jahr 2013 Die Frage, welche Voraussetzungen jemand mitbringen muss, um für das höchste Staatsamt geeignet zu sein, ist zu Beginn des Jahres 2012 in Deutschland intensiv diskutiert worden. Viel Konkretes ist dabei allerdings nicht herausgekommen: Würdig und wortgewandt, integer und integrativ, lebenserfahren und liquide, so müsse er oder sie sein. Ihr/sein Rang spielte in der Diskussion keine Rolle, wenngleich jedem klar war, dass nur sehr wenige Personen in das Blickfeld derer rücken würden, die über die Besetzung zu befinden haben. Unzweifelhaft ist eine gewisse Prominenz in der politisch-sozialen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland Voraussetzung für das Amt des Bundespräsidenten. Die Beziehung zwischen Idoneität und Rang steht im Blickpunkt dieses Beitrags. Es geht um die Frage, ob Idoneität ein Kriterium ist, das unabhängig vom Rang der Person Wirkung entfaltet, wenn es um die Bestellung von Ämtern geht, oder ob die Idoneität der Person schon durch ihren Rang vorgegeben ist. Rang wird dabei als soziale Identität des Einzelnen begriffen. Er definiert den Platz des Einzelnen in der jeweiligen gesellschaftlichen Ordnung. Rang kann zwar durch jeden für sich selbst reklamiert werden, wirksam aber wird er erst durch die Anerkennung Dritter, insbesondere der engeren Rangumgebung. Die Frage der Idoneität ist somit Teil dieses kommunikativen Rangbildungsprozesses. In der Zubilligung, gegebenenfalls auch Zuschreibung eines Rangs wird der betroffenen Person die dazu notwendige Idoneität ausgesprochen. Was diese Idoneität im Einzelnen schließlich ausmacht, hängt ganz von der Position ab, die auszufüllen ist. Das Verhältnis von Rang und Idoneität wird besonders dann augenfällig, wenn der Rang des Einzelnen in Bewegung gerät, sei es, dass er in Frage gestellt
Dieser Aufsatz wurde im Rahmen der Forschungsgruppe RANK erarbeitet. Dem Europäischen Forschungsrat (ERC) gilt mein Dank für seine Unterstützung gemäß der Finanzhilfevereinbarung Nr. 204905 (RANK), die im Zuge des siebten Rahmenprogramms der Europäischen Gemeinschaft [RP 7/2007-2013] erfolgt (ERC Starting Grants). Die Vortragsform wurde weitestgehend beibehalten, um dem Wunsch der Herausgeber nach rascher Drucklegung nachzukommen. Ich danke Thorsten Huthwelker für eine kritische Durchsicht des Manuskripts und Jürgen Miethke, beide Heidelberg, für seine Hinweise zur Aristoteles-Rezeption.
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wird, sei es, dass eine Erhöhung seines Rangs begründet werden muss. In diesen Formierungs- bzw. Demolierungsprozessen sozialer Identitäten werden – wie die Diskussion um die Person des Bundespräsidenten deutlich gemacht hat – Fragen der Idoneität sehr viel eher thematisiert als nach Abschluss eines solchen Prozesses. Im Folgenden geht es dabei nicht um gegenwärtige herausragende Positionen, sondern um vergangene. Im Blickpunkt stehen die Königswahlen und Fürstenerhebungen im Heiligen Römischen Reich im 13. und 14. Jahrhundert.1 Der König sollte tugendhaft und weise sein. Darin waren sich alle einig. Wie aber stellte man auf Dauer sicher, dass Männer mit diesen Eigenschaften Könige wurden? Diese Frage erhielt im Zuge der Aristoteles-Rezeption seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert verstärkt die Aufmerksamkeit der Gelehrten.2 Diskutiert wurden zwei Formen der Herrscherbestellung: die Wahl und die Erbfolge. Bei der Bewertung dieser Formen kamen die Gelehrten zu unterschiedlichen Auffassungen.3 Peter d’Auvergne, der in Paris im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts wirkte, behandelte die Frage, ob der princeps besser durch Wahl oder Erbfolge bestimmt würde, in seinen wohl in den 1270er Jahren verfassten Quaestiones.4 Theoretisch betrachtete er die Wahl als die bessere Lösung, weil durch sie immer wieder der beste, der tugendhafteste Mann gefunden würde. In der Pra1
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Im Kontext der hier verfolgten Fragestellung sind grundlegend die Arbeiten von E. SCHUBERT, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 63), Göttingen 1979, S. 43-65; S. SCHLINKER, Fürstenamt und Rezeption. Reichsfürstenstand und gelehrte Literatur im späten Mittelalter (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 18), Köln 1999. Zur Definition von Rang siehe J. PELTZER, Der Rang der Pfalzgrafen bei Rhein. Die Gestaltung der politisch-sozialen Ordnung des Reichs im 13. und 14. Jahrhundert (RANK. Politisch-soziale Ordnungen im mittelalterlichen Europa 2), Ostfildern 2013, S. 22-31. Dieses Problem durchzieht die abendländische Geschichte, siehe zum Beispiel P. Cornelius Tacitus, Historien. Historiae, ed. J. BORST / H. HROSS / H. BORST (Sammlung Tusculum), München 72010, lib. I, cap. 16, S. 26-28 (Vorteile der Adoption des Nachfolgers, also der Wahl, gegenüber der Sohnesfolge). Ich danke Michel Humm, Straßburg, für diesen Hinweis. Eine umfassende Analyse dieser Debatten steht noch aus. Einen wichtigen, in manchem sich mit dem Folgenden deckenden Beitrag leistet E. MARMURSZTEJN, Élections et légitimité politique dans la pensée scolastique au tournant du XIIIe et du XIVe siècle, in: C. PENEAU (Hg.), Élections et pouvoirs politiques du VIIe au XVIIe siècle. Actes du colloque réuni à Paris 12 du 30 novembre au 2 décembre 2006, Paris 2008, S. 143-162, insbes. S. 153-157; Annabel Brett liefert weitere nützliche Hinweise in ihrer Übersetzung des Defensor pacis von Marsilius von Padua, Marsilius of Padua. The Defender of the Peace, übers. A. BRETT (Cambridge Texts in the History of Political Thought), Cambridge 2005, S. 98, Anm. 1. Zu Peter siehe C. FLÜELER, Rezeption und Interpretation der Aristotelischen Politica im späten Mittelalter (Bochumer Studien zur Philosophie 19), 2 Bde., Amsterdam/Philadelphia 1992, Bd. 1, S. 86-131 mit Edition der Quaestiones auf S. 169-227. Zur Datierung der Quaestiones siehe ebd., S. 119 und Anm. 118.
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xis aber hatte sich aus seiner Sicht die mit weniger Risiken behaftete Erbfolge besser bewährt.5 Aegidius Romanus teilte diese Auffassung mit Peter. In seinem um 1280 verfassten De regimine principum lobte auch er die Wahl als zwar die in der Theorie bessere Lösung, die aber in der Praxis gegenüber der Erbfolge schlechter abschneide.6 Die Vorzüge der Erbfolge gegenüber der Wahl verbreitete dann zu Beginn des 14. Jahrhunderts Johannes von Jandun.7 Auch Nicolas d’Oresme bevorzugte die Erbfolge. In seinem im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts niedergeschriebenen Kommentar konzedierte er zwar, dass die Wahl die geeignetere Form sei, wenn sie nach guten Regeln durchgeführt würde. Im Normalfall sei aber die Erbfolge die bessere Alternative.8 Die Skepsis gegenüber der praktischen Leistungsfähigkeit der Wahl wurde aber keineswegs von allen Gelehrten geteilt. Ptolomäus von Lucca, zum Beispiel, war um 1300 der Meinung, dass die Vorsteher (rectores) von Gemeinwesen gewählt werden sollten, solange Geeignete (idonei) hierfür gefunden würden.9 Der etwa zur selben Zeit wirkende Heinrich von Friemar sah ebenfalls in der Wahl die vorzuziehende Variante. Auch wenn die Einwände hoch geschätzter doctores (v. a. Aegidius Romanus) durchaus beachtenswert seien, sei die grundsätzliche, von Aristoteles vertretene Aussage, dass die Wahl der bessere Weg sei, zu unterstützen.10 Eine Ebd., S. 221. Egidio Colonna (Aegidius Romanus), De regimine principum libri III, ed. H. SAMARITANIUS, Rom 1607, ND Aalen 1967, II. pars, lib. III., cap. 5, S. 461-465. 7 L. SCHMUGGE, Johannes von Jandun (1285/89-1328). Untersuchungen zur Biographie und Sozialtheorie eines lateinischen Averroisten (Pariser Historische Studien 5), Stuttgart 1966, S. 68-69. 8 Maistre Nicole Oresme. Le Livre de Politiques d’Aristote, ed. A. D. MENUT (Transactions of the American Philosophical Society, N.S. 60/6), Philadelphia 1970, S. 109, 136 und vor allem S. 153-156; J. DUNBABIN, The Reception and Interpretation of Aristotle’s Politics, in: N. KRETZMANN / A. KENNY / J. PINBORG (Hgg.), The Cambridge History of Later Medieval Philosophy. From the Rediscovery of Aristotle to the Disintegration of Scholasticism 1100-1600, Cambridge 1982, S. 723-737, hier S. 730-732; E. MARMURSZTEJN, Élections (wie Anm. 3), S. 153. 9 S. Thomae Aquinatis opuscula omnia necnon opera minora. Opuscula philosophica, ed. J. PERRIER, Paris 1949, Bd. 1, Appendix 1, S. 269-426, hier cap. 8, S. 381-382; On the Government of Rulers. De regimine principum. Ptolemy of Lucca with portions attributed to Thomas Aquinas, übers. J. M. BLYTHE (The Middle Ages Series), Philadelphia 1997, book 4, cap. 8, S. 239. Zu seinen Arbeiten siehe J. M. BLYTHE, The Life and Works of Tolomeo Fiadoni (Ptolomy of Lucca) (Disputatio 16), Turnhout 2009; DERS., The Worldview and Thought of Tolomeo Fiadoni (Ptolomy of Lucca) (Disputatio 22), Turnhout 2009. 10 Heinrich beendete den diese Frage beinhaltenden Text 1306. Zu Heinrich von Friemar siehe C. STROICK, Heinrich von Friemar. Leben, Werke, philosophisch-theologische Stellung in der Scholastik (Freiburger theologische Studien 68), Freiburg 1954. Die Edition seiner Stellungnahme befindet sich ebd., S. 245-246; vgl. R. LAMBERTINI, Political Quodlibeta, in: C. SCHABEL (Hg.), Theological Quodlibeta in the Middle Ages. The Thirteenth Century (Brill’s Companions to the Christian Tradition 1), Leiden 2006, S. 439-474, hier S. 466-467. 5 6
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differenzierte Position nahm Marsilius von Padua in seinem 1324 fertiggestellten Defensor pacis ein. In seinen Ausführungen zu den verschiedenen Herrschaftsformen stellt er fest, dass prinzipiell die Wahl die bessere Form sei, den Herrscher zu bestellen. Er betont aber auch, dass die Herrschaftsformen von Gemeinwesen zu Gemeinwesen verschieden sein können. Es müsse zwar das Ziel für jedes Gemeinwesen sein, sich so weit zu entwickeln, dass die Wahl zur Bestimmung des Herrschers angewandt werden könne, aber auf dem Weg dahin können andere Formen adäquater sein.11 In einem eigenen Kapitel geht Marsilius dann der Frage nach, ob es für ein Gemeinwesen, das sich seinen Herrscher per Wahl geben will, besser sei, diesen samt seiner Nachkommenschaft zu wählen, also die Bestimmung des Nachfolgers durch die Erbfolge anzunehmen, oder ihn nur auf Lebenszeit zu bestimmen, um dann nach dessen Tod wieder neu zu wählen. In der Zusammenstellung der Argumente für und wider spielt für Marsilius die Differenzierung der Gemeinwesen wieder eine wichtige Rolle. Der Aussage, dass die Erbmonarchie schon deshalb die bessere Variante sei, weil es sie sehr viel häufiger als die Wahlmonarchie gebe, stellt Marsilius das Argument entgegen, dass Wahl- und Erbmonarchie nicht miteinander konkurrierten und sich deshalb auch nicht gegenseitig ausschlössen. Sie seien zwei so grundsätzlich verschiedene Formen, dass sie nicht zur selben Zeit in ein und demselben Gemeinwesen angewandt werden könnten.12 Jede Form hat folglich ihre Berechtigung und so kann Marsilius ihre jeweilige Existenz im 14. Jahrhundert harmonisch erklären.13 Aufschlussreich für das Verhältnis von Rang und Idoneität sind die Argumente, die von Gelehrten im Für und Wider ausgetauscht wurden. Die Argumentationsbasis der Anhänger der Wahl war eng, aber kraftvoll. Die Wahl findet immer den besten Kandidaten. Dieser könne natürlich auch der Sohn des Herrschers sein, muss es aber nicht. Nicht das Schicksal entscheidet über die Qualität des Kandidaten, sondern die gezielte Suche, eine ars.14 Der Rang des Kandidaten wird dabei nicht näher thematisiert. Es ist zwar eine gewisse Prominenz zu erwarten, denn die virtutes des Kandidaten müssen für die Wähler ersichtlich sein, aber diese Tugenden werden nicht mit einem spezifischen Rang in Verbin11 Marsilius von Padua, Defensor pacis, ed. R. SCHOLZ (Monumenta Germaniae Historica,
Fontes iuris Germanici antiqui in usum scholarum 7), Hannover 1932, dict. I, cap. 9, insbes. § 9, 10, S. 45-47. 12 Ebd., dict. I, cap. 16, § 1, S. 94-95; § 9, S. 99; § 17, S. 105-106; § 23, S. 110-111. 13 Verschiedenen Formen der Nachfolgeregelungen im spätmittelalterlichen Europa werden diskutiert in F. LACHAUD / M. PENMAN (Hgg.), Making and Breaking the Rules: succession in medieval Europe, c. 1000-c. 1600/Établir et abolir les normes: la succession dans l’Europe médiévale, vers 1000-vers 1600. Proceedings of the colloquium held on 6-7-8 April 2006/Actes de la conférence tenue les 6, 7 et 8 avril 2006 Institut of Historical Research (University of London) (Histoires de famille. La parenté au Moyen Âge 9), Turnhout 2008. 14 Z. B. Egidio Colonna (Aegidius Romanus), De regimine principum libri III (wie Anm. 6), II. pars, lib. III., cap. 5, S. 461; C. STROICK, Heinrich von Friemar (wie Anm. 10), S. 246.
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dung gebracht. Ptolomäus von Lucca verweist in seiner Diskussion der Wahlen der römischen Kaiser gar darauf, dass sie nicht immer von adliger Herkunft gewesen seien.15 Bei der Wahl ist folglich die Idoneität ein eigenes, vom Rang des Kandidaten weitgehend unabhängiges Kriterium. Anders liegt der Sachverhalt in der Argumentation für die Erbfolge. Hier spielt der Rang eine größere Rolle in der Feststellung der Idoneität. Ein Argumentationsstrang betont die Vorteile der engen Verwandtschaft von Vater und Sohn. Grundsätzlich, so führt Peter d’Auvergne an, sei es gegen die Natur, dass das Gute Schlechtes erzeuge.16 In dieselbe Richtung geht der bei Marsilius aufgeführte Aspekt, dass Söhne von Fürsten eher zur virtus als andere neigten, weil sie von Eltern abstammten, die mehr virtutes als andere aufwiesen.17 Falls dann doch einmal ein ungeratener Sohn darunter sei, dessen Mängel auch durch die beste Erziehung nicht gänzlich korrigiert werden könnten, dann gäbe es, so Aegidius Romanus, immer noch die Ratgeber, die eine schlechte Regierung verhinderten.18 Diese im engeren Sinne genealogische Argumentationsweise findet ihre Zuspitzung in der Aussage, dass der Sohn dem Vater am ähnlichsten sei; durch die Sohnesfolge sei deshalb die größte Stabilität und stärkste Kontinuität gewährleistet. Die Befürworter der Wahl halten dem allerdings entgegen, dass hier nicht die körperliche, sondern die seelische Ähnlichkeit zwischen Herrscher und Nachfolger von Bedeutung sei. Die Identifizierung solcher Ähnlichkeit aber werde nicht über die Verwandtschaft geleistet, sondern durch einen sorgfältig prüfenden Auswahlprozess.19 Die Vorteile der engen Verbindung von Vater und Sohn werden auch in anderen Argumenten immer wieder betont. So habe der Vater eine starke intrinsische Motivation, gut und umsichtig zu regieren, wenn sein Sohn ihm in der Herrschaft nachfolge. Außerdem seien die Untertanen in einer Erbmonarchie einfacher zu regieren als in einer Wahlmonarchie, betrachteten sie doch die Herrschaft des Sohnes als die Fortsetzung des Gewohnten.20 Die in diesem letzten Aspekt schon angedeutete Signifikanz der königlichen Würde des Vaters für die Idoneität des Sohnes – er wird gut regieren können, weil schon sein Vater gut regierte – wird in einem anderen Punkt explizit ausgeführt. Aegidius Romanus erläuterte, dass es die Unerfahrenheit mit der königlichen Würde sei, die zur 15 S. Thomae Aquinatis opuscula omnia necnon opera minora. Opuscula philosophica (wie
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Anm. 9), cap. 20, S. 353-354; On the Government of Rulers. De regimine principum (wie Anm. 9), book 3, cap. 20, S. 204-205. C. FLÜELER, Rezeption (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 221. Marsilius von Padua, Defensor pacis (wie Anm. 11), dict. I, cap. 16, § 4, S. 96-97. Egidio Colonna (Aegidius Romanus), De regimine principum libri III (wie Anm. 6), II. pars, lib. III., cap. 5, S. 464. Marsilius von Padua, Defensor pacis (wie Anm. 11), dict. I, cap. 16, § 10, S. 99-100; § 24, S. 111-112. Z. B. Egidio Colonna (Aegidius Romanus), De regimine principum libri III (wie Anm. 6), II. pars, lib. III., cap. 5, S. 462-463; vgl. E. MARMURSZTEJN, Élections (wie Anm. 3), S. 154.
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schlechten, tyrannischen Regierung führe. So wie die Sitten der Neureichen oftmals schlimmer seien als die der Altreichen, seien die Sitten der neu an die Macht Kommenden schlechter als die der Alteingesessenen. Bei der Erbfolge aber stiegen die Söhne nicht plötzlich weit nach oben auf; für sie sei das, was ihre Väter besaßen, nichts Großartiges, Überwältigendes.21 Peter d’Auvergne brachte die Frage des Rangs in der Bestimmung der Idoneität auf den Punkt: Wenn irgendeiner von einem sehr niedrigen Rang (infimus gradus) durch die Wahl enorm nach oben befördert würde, dann würde er eher hochmütig handeln als einer, der von einem schon exzellenten Rang erhoben würde, quasi von der allernächsten politischen Gewalt im Gemeinwesen zum Handeln herangezogen würde (quasi de propinquissima potencia ad actum assumatur), so wie es bei der Erbfolge der Fall sei. Der Hochmut (superbia) aber sei eine große Gefahr für ein Königreich.22 Der Rang, so kann man die Diskussionen der Gelehrten knapp zusammenfassen, bestimmte beim Wahlverfahren nicht über die Idoneität des Kandidaten. Hier war die Idoneität durchaus eine eigene Ordnungskategorie. Bei der Erbfolge hingegen bestand die Idoneität des Sohnes in der engen Verwandtschaft zu seinem Vater, die unter anderem eine wünschenswert geringe Differenz zwischen dem Rang des zukünftigen und des aktuellen Herrschers mit sich brachte. Stark verkürzend könnte man sagen, dass im Fall der Erbfolge die Idoneität des Sohnes eine Frage des väterlichen Rangs war. Verlassen wir nun die Ebene der theoretischen Betrachtungen und wenden uns der Praxis zu: Wie verhielten sich Rang und Idoneität bei den Königswahlen und Fürstenerhebungen im Reich im 13. und 14. Jahrhundert?23 Die Wahldeklarationen des 13. und 14. Jahrhunderts hoben explizit auf die Idoneität des zu Wählenden ab. Sie formulierten diesen Anspruch entweder im Zusammenhang mit dem Wahlakt, der dazu diente, eine geeignete Person zu finden, oder im Kontext der Eigenschaften des Erwählten.24 Die Ansprüche an 21 Egidio Colonna (Aegidius Romanus), De regimine principum libri III (wie Anm. 6),
II. pars, lib. III., cap. 5, S. 462-463.
22 C. FLÜELER, Rezeption (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 221. 23 Einiges der folgenden Ausführungen beruht auf J. PELTZER, Rang (wie Anm. 1). 24 Der Begriff idoneus findet sich in der Mehrzahl der Wahldeklarationen nach dem Inter-
regnum, Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et Acta Publica Imperatorum et Regum 3, ed. J. SCHWALM, Hannover/Leipzig 1904-1906, Nr. 14, S. 17-18 (Rudolf I.); Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et Acta Publica Imperatorum et Regum 4/1, ed. J. SCHWALM, Hannover/Leipzig 1906, Nr. 8, S. 6-8 (Albrecht I.); Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et Acta Publica Imperatorum et Regum 5, ed. J. SCHWALM, Hannover/Leipzig 1909-1913, Nr. 95, S. 91-93 (Friedrich der Schöne); Nr. 96-101, S. 93-98 (alle Ludwig IV.; in der eigentlichen Wahldeklaration Ludwigs IV., Nr. 102, 103, taucht der Begriff allerdings nicht auf, Ludwigs Eignung für das Amt aber wird ausführlich thematisiert); Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et Acta Publica Imperatorum et Regum 8, ed. K. ZEUMER / R. SALOMON, Hannover 1910-1926, Nr. 63, S. 93-94 (Karl IV.); Deutsche Reichstagsakten. Unter König Wenzel, Erste Abtheilung 1376-1387, ed. J. WEIZSÄCKER, München 1867, Nr. 80, S. 120-123 (Wenzel). Die
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einen zukünftigen König waren hoch. Der Sachsenspiegel formulierte mit Freiheit, legitimer Geburt und körperlicher Unversehrtheit nicht mehr als die Mindestvoraussetzungen der Wählbarkeit.25 Der ideale König hatte noch einiges mehr für sein Amt mitzubringen. Neben einem angenehmen äußeren Erscheinen sollte er unter anderem über pietas, fortitudo und clementia verfügen.26 Thematisiert wurden in den Wahlanzeigen aber nicht nur die persönlichen Eigenschaften des Kandidaten, seine virtutes, sondern auch sein Rang, seine gesellschaftliche Position. Expliziert genannte Rangfaktoren waren die potestas, die vornehme Abstammung und die Anzahl und Qualität der Freunde und Verwandten.27 Dabei ist auffällig, dass es keiner langen Ahnenreihen bedurfte, um eine hohe Abstammung für sich zu reklamieren. Eine Generation konnte hier schon genügen. Während die Wahlanzeige König Rudolfs I. von Habsburg keinerlei Hinweis auf seine lediglich gräfliche Herkunft beinhaltete, sie geradezu unterschlug, schrieb sein Sohn Albrecht in der Anzeige seiner Wahl ganz selbstbewusst, dass er aus einem königlichen Geschlecht stamme (de regali prosapia procreatum).28 Die Suche nach dem idealen Kandidaten verlangte große Sorgfalt. Dieser Erwartungshaltung waren sich die Königswähler bewusst. Der Hinweis auf ihre umsichtigen und intensiven Beratungen ist ein wiederkehrendes Element der Wahldeklarationen.29 Diese machen aber ebenfalls deutlich, dass es letztlich nicht die Wähler waren, welche die Entscheidung trafen, sondern der Wille Gottes, der durch sie wirkte.30 In letzter Konsequenz bedeutete dies, dass die Wähler immer einen geeigneten Kandidaten küren würden. Dies unterschied sich merklich vom Gedankengut des Ptolomäus von Lucca, nach dem die Wahl zwar Idoneität identifizieren konnte, sie aber nicht gleichsam schuf.31 Für Ptolomäus konnte es folglich einen Mangel an idonei geben. Die Idee der Wahl durch Gott
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Frage der Idoneität des Kandidaten wird in den übrigen Deklarationen ebenfalls eingehend behandelt, Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 4/1, Nr. 262, S. 228231 (Heinrich VII.); Deutsche Reichstagsakten. Unter König Wenzel, Dritte Abtheilung 1397-1400, ed. J. WEIZSÄCKER, München 1877, Nr. 220, S. 280-281 (Ruprecht). Lediglich die Wahldeklaration Adolfs von Nassau fällt demgegenüber etwas ab, Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 3, Nr. 475, S. 463-464. Sachsenspiegel. Landrecht, ed. K. A. ECKARDT (Monumenta Germaniae Historica, Fontes iuris Germanici antiqui, N.S. 1/1), Göttingen 21955, lib. III, Art. 54, § 3, S. 240. E. SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 1), S. 43-65. Ausführlicher erörtert Oliver Auge diese Thematik in diesem Band. Z. B. Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et Acta Publica Imperatorum et Regum 2, ed. L. WEILAND, Hannover 1896, Nr. 10, S. 10-13; Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 3 (wie Anm. 24), Nr. 14, S. 17-18; Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 4/1 (wie Anm. 24), Nr. 8, S. 6-8; Nr. 262, S. 228-231. Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 3 (wie Anm. 24), Nr. 14, S. 17-18; Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 4/1 (wie Anm. 24), Nr. 8, S. 6-8. Siehe oben Anm. 24. Vgl. E. SCHUBERT, Königswahl und Königtum im spätmittelalterlichen Reich, in: Zeitschrift für historische Forschung 4 (1977), S. 257-338, hier S. 260-264. Siehe oben Anm. 9.
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hingegen kannte dieses Problem prinzipiell nicht, gleichwohl sich in der Praxis trefflich darüber streiten ließ, ob die Wähler in ihrer Entscheidung Gottes Willen tatsächlich gefolgt waren. Wie sehr die Vorstellung, dass die Wahl eine von Gott für dieses Amt vorgesehene und damit geeignete Person bestimmen würde, die Wahrnehmung des Gewählten durch Dritte veränderte, lässt sich anhand der Darstellung Rudolfs von Habsburg in der Colmarer Chronik erkennen. Vor Rudolfs Wahl skizzierte sie das Bild eines hartgesottenen, kriegstreibenden Grafen, der keine Skrupel kannte, den mit ihm verwandten Basler Bischof immer und immer wieder mit Krieg zu überziehen. Mit der Wahl aber wurde Rudolf zu einem friedensstiftenden König, dessen Feinde Gott nach und nach aus der Welt schuf.32 Auf der Suche nach dem richtigen Kandidaten hatte Gottes Wille tatsächlich eine gewisse Entfaltungsmöglichkeit. Wenn die Königswähler 1314 deklarierten, dass sie sorgfältig die Umstände, die Stellung und den Rang verschiedener Kandidaten erörterten, dann war das keine bloße Rhetorik.33 Es gab nicht das eine Kriterium, nach dem der Kandidat zu bestimmen war. Es wurde zum Beispiel nicht derjenige Kandidat automatisch König, der die größte potestas aufwies. Sie konnte helfen, war aber nicht immer ausschlaggebend. Adolf von Nassau war keinesfalls der mächtigste Mann im Reich, als er 1292 gewählt wurde. Die Entscheidung für ihn kommentierte die Erfurter Peterschronik mit einem Bibelzitat: “Über die Herrschaft bei den Menschen gebietet der Höchste; er verleiht sie wem er will, selbst den Niedrigsten der Menschen kann er dazu erheben” (Daniel 4,14).34 Auch der 1308 zum König erkorene Graf Heinrich von Luxemburg 32 Chronicon Colmariense a. 1218-1304, ed. P. JAFFÉ (Monumenta Germaniae Historica,
Scriptores 17), Hannover 1861, S. 240-270, hier S. 241-243, insbesondere S. 243. Sie berichtet, dass Rudolf, der im Feld von seiner Wahl unterrichtet wurde, sofort seinen Männern gebot, friedvoll zu sein und die Gefangenen frei zu lassen. Gemäß dieser Darstellung war Rudolf sich im Klaren darüber, dass von ihm als König ein anderes Verhalten verlangt wurde, als er es als Graf praktiziert hatte. Das Ideal des von Gott auserwählten Königs hätte dann nicht nur die Wahrnehmung seines Handelns, sondern auch das Handeln selbst beeinflusst. Ich danke Frank Rexroth, die Darstellung Rudolfs in der Colmarer Chronik in der Diskussion thematisiert zu haben. Einem ganz ähnlichen Muster folgt die italienische “Chronik eines unbekannten Zisterziensermönchs” in ihrer Charakterisierung König Rogers II. von Sizilien. Der wilde, brutale und habgierige Roger wurde mit seinem Herrschaftsantritt friedfertig und mild, gerecht und unparteiisch, kurz: ein Friedensbringer, Chronica ignoti monachi S. Mariae de Ferraria, in: Ignoti monachi S. Mariae de Ferraria Chronica et Ryccardi de sancto Germano Chronica Priora, ed. A. GAUDENZI (Monumenti Storici 1, Cronache 1), Neapel 1888, S. 11-46, S. 29. Für diesen Hinweis danke ich Thomas Foerster, Bergen, ganz herzlich. 33 Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 5 (wie Anm. 24), Nr. 95, S. 91-93 (Wahldeklaration Friedrichs des Schönen); ähnlich ebd., Nr. 102, S. 98-103 (Wahldeklaration Ludwigs IV.). 34 Cronica S. Petri Erfordensis moderna a. 1072-1335, in: Monumenta Erphesfurtensia saec. XII, XIII, XIV, ed. O. HOLDER-EGGER (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum [42]), Hannover 1899, S. 117-369, S. 304.
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war nicht der mächtigste Mann seiner Zeit. Seine Wahl erklärte der italienische Chronist Ferreto von Vincenza stattdessen mit seinen Qualitäten als Person.35 Aber nicht jeder Freie hatte tatsächlich Aussichten auf das Königsamt. Auch die Herren kamen dafür nicht in Frage. Mindestvoraussetzung war der Grafenrang, und auch dies änderte sich im Laufe des 14. Jahrhunderts. Der letzte Graf, der für das königliche Amt nominiert wurde, war 1349 Günther von Schwarzburg.36 Ab dann waren die Kandidaten Reichsfürsten bzw. die Söhne des regierenden Königs. In der Tat wurden die Stimmen, die behaupteten, die Königswürde stünde eher einem Reichsfürsten als einem Grafen zu, seit der Wahl Rudolfs von Habsburg 1273 hörbarer. Der bei Rudolfs Wahl unterlegene böhmische König Ottokar verwies in seinem Protestschreiben an den Papst darauf, dass die Königswähler einen bestimmten, für das Amt wenig geeigneten Grafen (quidam comes minus ydoneus) erkoren hätten. Mehr, das heißt Schlechtes, wolle er über die Wahl nicht sagen, denn das entspräche nicht seiner königlichen Würde.37 Damit zog Ottokar nicht nur die Rechtmäßigkeit der Wahl in Zweifel, sondern unterstrich auch den aus seiner Sicht bestehenden deutlichen Rangunterschied zwischen ihm und dem Grafen.38 Dieser sei schließlich, so fährt Ottokar fort, zu arm, um seinem Amt gerecht zu werden. Ottokars Protest konnte Rudolfs Wahl nichts anhaben, und in der Tat gelang es dem gar nicht so armen Rudolf, den Vorwurf der Mittellosigkeit geschickt für seine eigene Propaganda einzusetzen.39 Dennoch verfestigte sich allmählich die Vorstellung, dass Reichs35 Le opere di Ferreto de’ Ferreti Vicentino, ed. C. CIPOLLA (Fonti per la storia d’Italia 42-
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43), 3 Bde., Rom 1908-1920, Bd. 1, S. 271-272; vgl. Historia Iohannis de Cermenate notarii Mediolanensis, ed. L. A. FERRAI (Fonti per la storia d’Italia 2), Rom 1889, S. 19. K. JANSON, Das Königtum Günthers von Schwarzburg. Ein Beitrag zur Reichsgeschichte des XIV. Jahrhunderts (Historische Studien 1), Leipzig 1880. Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 3 (wie Anm. 24), Nr. 16, S. 19-20. Vielleicht ist die aus der Zeit Rudolfs I. stammende Legende, dass die Habsburger vom römischen Stadtadel abstammten, als Reaktion auf die Vorwürfe Ottokars zu verstehen. Sie entfaltete aber keine große Wirkung, A. SAUTER, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation. Die Habsburger im 14. Jahrhundert (Mittelalter-Forschungen 12), Ostfildern 2003, S. 29, Anm. 48. Spätestens mit Albrechts Wahl zum König hatten die Habsburger, wie gesehen, eine solche Argumentationsweise nicht mehr nötig. Sie betrachteten sich als Königsgeschlecht. J. KEUPP, Die Wahl des Gewandes. Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters (Mittelalter-Forschungen 33), Ostfildern 2010, S. 146-148; J. PELTZER, Personae publicae. Zum Verhältnis von fürstlichem Rang, Amt und politischer Öffentlichkeit im Reich im 13. und 14. Jahrhundert, in: M. KINTZINGER / B. SCHNEIDMÜLLER (Hgg.), Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter (Vorträge und Forschungen 75), Ostfildern 2011, S. 147-182, hier S. 157-158; W. TREICHLER, Mittelalterliche Erzählungen und Anekdoten um Rudolf von Habsburg (Geist und Werk der Zeiten 26), Bern 1971, S. 89-93; E. KLEINSCHMIDT, Herrscherdarstellung. Zur Disposition mittelalterlichen Aussageverhaltens, untersucht an Texten über Rudolf I. von Habsburg (Bibliotheca Germanica 17), Bern 1974; T. M. MARTIN, Das Bild Rudolfs von Habsburg als ‘Bürgerkönig’ in Chronistik, Dichtung und moderner Historiographie, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 112 (1976), S. 203-228; A. RITSCHER, Literatur und Politik im Umkreis
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fürsten den ersten Zugriff auf die Krone hatten, gerade dann, wenn ein gräflicher Kandidat im Rennen war. Der italienische Chronist Alberto Mussato schrieb zu Beginn des 14. Jahrhunderts, dass die Wahl Heinrichs VII. im Reich für großes Erstaunen sorgte, weil eigentlich nur die vornehmsten Fürsten zum König gewählt werden würden.40 Es bleibt dahingestellt, inwieweit Albertos Kommentar die Stimmungslage im Reich nördlich der Alpen tatsächlich wiedergab. Ähnliches Gedankengut findet sich aber auch dort wenig später. Der den Habsburgern freundlich gesinnte Chronist Mathias von Neuenburg berichtet in der Rückschau von einem Friedensangebot des frisch gewählten Adolf von Nassau an seinen unterlegenen Kontrahenten Albrecht von Habsburg. Adolf machte ihm per Boten den Vorschlag, eine Tochter Albrechts mit seinem Sohn zu vermählen. Albrecht antwortete, dass er gerne einwilligen wolle, wenn Adolf aus seiner Tochter eine Fürstin machen könne; wollte Adolf aber seine Tochter mit einem seiner Söhne verheiraten, so könne er zusichern, aus ihr eine Fürstin zu machen.41 Dies war ein fein gesponnener, gleichwohl deutlicher Hinweis auf den aus Mathias’ Sicht eigentlich bestehenden Rangunterschied zwischen dem nassauischen Grafenhaus und dem habsburgischen Reichsfürsten. Der Chronist missbilligte den Vorzug eines Grafen über einen Reichsfürsten und Königssohn bei der Wahl zum römischen König.42 Es lässt sich hier erstens feststellen, wie sich der Weg des sozialen Aufstiegs für die Grafen über das Königtum gegen Mitte des 14. Jahrhunderts verschloss. Die Möglichkeit für einen Grafen, als König seinen Söhnen ein Reichsfürstentum zu verschaffen, so wie es Rudolf von Habsburg mit dem Herzogtum Österreich und Heinrich VII. mit dem Königreich Böhmen erfolgreich praktiziert hatten43, war nicht mehr gegeben. Die Kluft zwischen Grafen und Reichsfürsten
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der ersten Habsburger. Dichtung, Historiographie und Brief am Oberrhein (Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte 4), Frankfurt a. M. 1992. Albertini Mussati Paduani historiographi et tragoedi de gestis Heinrici VII. caesaris historia augusta XVI. libris comprehensa, ed. L. A. MURATORI (Rerum Italicarum Scriptores 10), Mailand 1717, Sp. 9-568; hier Sp. 210. Die Chronik des Mathias von Neuenburg, ed. A. HOFMEISTER (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum N.S. 4), Berlin 1924-1940, S. 46: A quo duce cum postea missis legatis rex peteret filio suo ducis filiam copulari, dux respondit se, si posset ex filia sua facere principem, hoc facturum, vel quod rex filiam suam uni ex filiis ducis coniungeret, quam se principem facturum promisit. Vgl. den ebenfalls Mitte des 14. Jahrhunderts verfassten Kommentar Heinrichs Taube von Selbach zur Wahl Günthers von Schwarzburg 1349. Die Wahl Günthers sei allgemein verlacht worden, weil Karl seinem Gegner an Reichtümern, Ehren und der Gerechtigkeit seines königlichen Titels weit überlegen gewesen sei, Die Chronik Heinrichs Taube von Selbach. Mit den von ihm verfassten Biographien Eichstätter Bischöfe, ed. H. BRESSLAU (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum N.S. 1), Berlin 1922, ND München 1980, S. 95. Zu den Habsburgern siehe K.-F. KRIEGER, Rudolf von Habsburg (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2003, S. 155-161; zu den Luxemburgern siehe
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wurde größer, die Reichsfürsten etablierten sich gegenüber den Grafen als deutlich höherer Rang.44 Die Königswahlen haben zweitens deutlich gemacht, wie sehr der Kreis potentieller Kandidaten durch ihren Rang bestimmt war. Er setzte die Rahmenbedingung für die Wählbarkeit. Erst dann kamen andere Kriterien zur Geltung. Die Ausdifferenzierung des Hochadels im 13. und 14. Jahrhundert sorgte für eine Verengung des Kandidatenkreises. Ab Mitte des 14. Jahrhunderts musste man mindestens Reichsfürst, wenn nicht Königssohn sein, um als königsfähig zu gelten. Nicht-reichsfürstliche Grafen zählten nicht mehr zu dieser Gruppe. Insgesamt betrachtet wiesen die Königswahlen im Reich damit ein Element auf, das nach Auffassung der Theoretiker ganz entscheidend für die Erbfolge sprach: Der Unterschied zwischen dem Rang des Kandidaten vor und nach seiner Wahl war relativ gering. Er stieg nicht auf einmal von ganz unten nach ganz oben auf, sondern nahm lediglich die letzte Stufe der Hierarchie. Ein ganz ähnlicher Befund ergibt sich bei den Erhebungen in den Kreis der Reichsfürsten. Grundsätzlich verlieh der König die reichsfürstliche Würde. Er schuf die Reichsfürsten durch den Akt der Belehnung.45 Allerdings waren um 1200 die Erbansprüche auf ein Reichsfürstentum bereits so gefestigt, dass der Sohn eines Reichsfürsten davon ausgehen konnte, eines Tages selbst Reichsfürst zu werden. Die Reichsfürsten reproduzierten sich folglich zum größten Teil selbst. Die Idoneität des zukünftigen Reichsfürsten für sein Amt war hier eine Frage der Verwandtschaft, der Genealogie. Der Kreis der Reichsfürsten konnte jedoch durch den König erweitert werden. Es lag in seiner Macht, neue Reichsfürsten bzw. Reichsfürstentümer zu schaffen.46 Die Fürstung war folglich ein herrschaftlicher Akt und keine Wahl; vielleicht liegt darin die Erklärung, warum der Begriff idoneus in den Urkunden, die anlässlich von Fürstungen ausgestellt wurden, nicht verwendet wurde. Die Eignung des neuen Fürsten für sein Amt war nichtsdestoweniger Gegenstand der Privilegien. Jede der Erhebungsurkunden behandelt – wenn auch nicht so ausführlich wie die Wahldeklarationen der Königswähler – die persönliche Eignung des Empfängers für das Fürstenamt. Es lassen sich drei Hauptkriterien für eine Fürstung erkennen. Einer der Gesichtspunkte, die Größe der Herrschaft, betraf nicht die Person selbst und soll J. K. HOENSCH, Die Luxemburger. Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung 1308-1437 (Urban-Taschenbücher 407), Stuttgart 2000, S. 32-40 u. 51-62. 44 Dieser Ausdifferenzierungsprozess ist ausführlicher behandelt in J. PELTZER, Rang (wie Anm. 1). 45 Grundlegend: K.-F. KRIEGER, Die Lehnshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 1200-1437) (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N.F. 23), Aalen 1979; K.-H. SPIESS, Kommunikationsformen im Hochadel und am Königshof im Spätmittelalter, in: G. ALTHOFF (Hg.), Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter (Vorträge und Forschungen 51), Stuttgart 2001, S. 261-290, hier S. 277-288; DERS., Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter, Stuttgart 22009. 46 Zu den Fürstungen siehe S. SCHLINKER, Fürstenamt und Rezeption (wie Anm. 1).
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hier deshalb nicht weiter berücksichtigt werden.47 Die beiden anderen Aspekte beziehen sich hingegen auf die Idoneität des neuen Fürsten: Wichtig war seine Dienstbereitschaft, seine Treue und Ergebenheit gegenüber König und Reich. Dieses meritokratische Element findet sich durchgehend als bedeutendes Kriterium für die Eignung zum Fürsten.48 Das zweite in der Person liegende Kriterium betraf seine vornehme Abstammung, sein hoher Adel, der sich auch durch verwandtschaftliche Beziehungen zum König manifestieren konnte. Dieses aristokratisch-genealogische Element erscheint explizit in den Urkunden des 14. Jahrhunderts.49 In Anbetracht der geringeren Anzahl von Fürstungen, die im 13. Jahrhundert stattfanden, ist eine Interpretation dieses Befunds in chronologischer Hinsicht nur sehr behutsam zu leisten. Es muss also Spekulation bleiben, ob es im 14. Jahrhundert einen höheren Legitimationsdruck im Hinblick auf die Qualität des Adels gab, mithin, ob die Betonung des hohen Adels als Ausweis eines Auseinanderdriftens zwischen Reichsfürsten und übrigem Adel zu lesen ist.50 Auf jeden Fall aber wird deutlich, dass der Rang der Vorfahren auch bei den reichsfürstlichen Neuerhebungen eine erhebliche Rolle spielte. Dies galt, wie die folgenden Beispiele zeigen werden, nicht nur für offizielle, in 47 Dieses Argument gewann im 14. Jahrhundert an Gewicht, Monumenta Germaniae Histo-
rica, Constitutiones 5 (wie Anm. 24), Nr. 450, S. 372-373; Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et Acta Publica Imperatorum et Regum 11, ed. W. D. FRITZ, Hannover 1978-1992, Nr. 96-97, S. 62-66. 48 Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 2 (wie Anm. 27), Nr. 197, S. 263-265 (Braunschweig 1235); Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 3 (wie Anm. 24), Nr. 375, S. 356-358 (Kärnten 1285); Nr. 476, S. 464-465 (Hessen 1292); Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins oder des Erzstifts Cöln, der Fürstenthümer Jülich und Berg, Geldern, Meurs Cleve und Mark, und der Reichsstifte Elten, Essen und Werden, ed. T. J. LACOMBLET, 4 Bde., Düsseldorf 1840-1858, ND Aalen 1960, hier Bd. 3, Nr. 307, S. 248-249 (Jülich 1336) und vgl. dazu auch Iohannis abbatis Victoriensis, Liber certarum historiarum, ed. F. SCHNEIDER (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum [36/1-2]), 2 Bde., Hannover/Leipzig 1909-1910, Bd. 2, S. 166; W. A. VAN SPAEN, Oordeelkundige inleiding tot de historie van Gelderland, Bd. 2, Utrecht 1802; Codex diplomaticus, Nr. 42 (Geldern 1339); Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 11 (wie Anm. 47), Nr. 96 (Luxemburg 1354), Nr. 97 (Bar 1354), S. 62-66. 49 Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 5 (wie Anm. 24), Nr. 450, S. 372-373 (Geldern 1317); W. A. VAN SPAEN, Oordeelkundige inleiding (wie Anm. 48), Codex diplomaticus, Nr. 42 (Geldern 1339); Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins (wie Anm. 48), Bd. 3, Nr. 307 (Jülich 1336); Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 11 (wie Anm. 47), Nr. 96 (Luxemburg 1354), Nr. 97 (Bar 1354), S. 62-66. 50 In Frankreich entstand in den 1320er Jahren die Vorstellung des erblichen Blutes, in dessen Folge sich das Konzept der princes du sang herausbildete. Diese Entwicklung wird mit dem Hundertjährigen Krieg in Zusammenhang gebracht, C. DE MIRAMON, Aux origines de la noblesse et des princes du sang. France et Angleterre au XIVe siècle, in: M. VAN DER LUGT / C. DE MIRAMON (Hgg.), L’hérédité entre Moyen Âge et Époque moderne. Perspectives historiques (Micrologus’ Library 27), Florenz 2008, S. 157-210. Es könnte sich lohnen, zu untersuchen, ob und inwieweit Zusammenhänge zwischen diesem Konzept und dem Aufkommen der Betonung der adligen Vorfahren der neuen Fürsten durch die königliche Kanzlei im Reich bestanden.
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der königlichen Kanzlei entworfene Begründungen der jeweiligen Fürstung, sondern auch im Hinblick auf den tatsächlichen sozialen Hintergrund der gefürsteten Personen. Der neue Fürst kam in der Regel aus dem gräflichen Hochadel. Die Erhebung des Welfen Otto 1235 zum Herzog von Braunschweig war hier nur formal eine Ausnahme. Die Hochrangigkeit Ottos, Enkel Heinrichs des Löwen und Sohn der dänischen Königstochter Helene, stand außer Frage.51 Mit der Ernennung Ottos zum Herzog und Reichsfürsten wurde sie wieder in angemessene Form gekleidet. Auch für die übrigen Neufürsten war der Aufstieg keinesfalls rasant. Es handelte sich um Grafen oder Herzöge, die entweder direkt unter den Reichsfürsten zu verorten waren oder als reichsfürstengleich betrachtet wurden, ohne bislang vom König offiziell als solche bestätigt worden zu sein.52 Das gleiche Prinzip galt für die Promotion Einzelner in bereits bestehende Fürstentümer. Als 1282 Albrecht und Rudolf von Habsburg zu Herzögen von Österreich gemacht wurden, waren sie Grafen und vor allem Königssöhne.53 Vier Jahre später, 1286, wurde der Graf von Görz-Tirol, Meinhard, Reichsfürst und Herzog von Kärnten.54 Der Aufstieg zum Reichsfürsten stand also nur einer relativ kleinen Gruppe offen. Im Reich gab es keinen fast track aus den Niederungen des Adels oder gar von außerhalb. Wie bei den Königswahlen war also auch bei den Fürstenerhebungen die Idoneität in erheblichem Maße eine Frage des Rangs. Er bestimmte den Kreis derer, die überhaupt für eine Fürstung in Frage kamen. Wenig ist bekannt über Diskussionen unter den Fürsten, welche Art der Erlangung ihres Amts würdiger sei, die durch Erbfolge oder durch Neuerhebung. Eine von Konrad von Megenberg Mitte des 14. Jahrhunderts festgehaltene Episode liefert allerdings einige aufschlussreiche Hinweise auf das Denken der Zeitgenossen. Konrad berichtet von einem Streit zwischen dem Markgrafen von Brandenburg und dem Markgrafen von Jülich, der 1336 von Ludwig IV. zum Reichsfürsten erhoben worden war.55 Anlässlich der Krönung Karls IV. 1349 zankten die beiden darüber, wem das Recht zukomme, das Szepter zu tragen. Im Zuge der Auseinandersetzung soll der Brandenburger vorgebracht haben, 51 Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 2 (wie Anm. 27), Nr. 197, S. 263-265.
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Zum Kontext vgl. B. SCHNEIDMÜLLER, Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung (8191252) (Urban-Taschenbücher 465), Stuttgart 2000, S. 279-284. Z.B.: Graf von Hennegau (Markgraf von Naumur 1184/88), der Landgraf von Hessen (1292), der Graf von Savoyen (1310/1313), der Graf von Jülich (Markgraf 1336, Herzog 1356), der Graf von Geldern (1317, Herzog 1339), der Herr/Fürst von Mecklenburg (Herzog 1348), der Graf von Luxemburg (Herzog 1354), der Graf von Bar (Markgraf von Pont-à-Mousson 1354) und der Graf von Berg (Herzog 1380), S. SCHLINKER, Fürstenamt und Rezeption (wie Anm. 1), passim. Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 3 (wie Anm. 24), Nr. 339, S. 325-326. Ebd., Nr. 373-375, S. 355-356. Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins (wie Anm. 48), Bd. 3, Nr. 307; S. SCHLINKER, Fürstenamt und Rezeption (wie Anm. 1), S. 115-130.
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dass er selbst ein princeps natus sei und kein princeps creatus wie der Jülicher.56 Er argumentierte hier mit seinem Herkommen als Rangvorteil. Seine fürstlichen, in diesem speziellen Fall sogar königlichen Eltern machten ihn zu einem ranghöheren Fürsten als den Markgrafen von Jülich. In der Tat war vor allem das Alter des Fürstentums ein wichtiges Rangkriterium. Der hohe Rang des Erzbistums Trier, zum Beispiel, wurde mit seinem Alter begründet57, und der österreichische Herzog Rudolf IV. versuchte, durch seine Urkundenfälschungen die Ursprünge seines Herzogtums bis in die Antike zu verlegen.58 Für Konrad von Megenberg allerdings lag der Brandenburger mit dem Verweis auf sein fürstliches Herkommen völlig falsch. Für ihn zeichneten sich die principes creati gerade durch ihre Erhebung gegenüber den principes nati aus, denn die Wahl, so argumentierte er zweifellos im Anschluss an Aristoteles und seine Interpreten, sehe von Natur aus schärfer.59 In diesen knappen Zeilen Konrads traf somit wieder aufeinander, was schon die Debatten der Aristoteles-Exegeten beherrschte: Die Wahl als das theoretisch bessere und die Erbfolge als das in der Praxis wirksamere Instrument der Bestimmung des Herrschers. Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass man grundsätzlich davon sprechen kann, dass Idoneität eine eigene, von Fall zu Fall mit unterschiedlichen Kriterien besetzte Ordnungskategorie darstellte. Allerdings wurde das Prinzip der Idoneität in der hierarchisch strukturierten Gesellschaft des spätmittelalterlichen Reichs durch das ordnungsstiftende Prinzip des Rangs entscheidend geprägt. Selbst dann, wenn Amtsträger gewählt oder durch den König bestimmt wurden, fand eine ganz erhebliche Vorselektion der Kandidaten 56 Konrad von Megenberg, Ökonomik, ed. S. KRÜGER (Monumenta Germaniae Historica,
Staatsschriften des späteren Mittelalters 3: Die Werke des Konrad von Megenberg 5), 3 Bde., Stuttgart 1973-1984, Bd. 2, lib. 2, tract. 4, cap. 13, S. 205-206. 57 Z. B. Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 8 (wie Anm. 24), Nr. 110, S. 177185. 58 Es handelt sich um jeweils gefälschte Urkunden von Cäsar und Nero, die ihrerseits in eine angebliche Urkunde Heinrichs IV. inseriert wurden, A. LHOTSKY, Privilegium maius. Die Geschichte einer Urkunde (Österreich Archiv), Wien 1957, S. 81-84 (Edition). Ob damit auch eine Antikisierung seines Geschlechts intendiert war, lässt sich kaum mit Sicherheit beantworten. Es ist zwar möglich, aber keineswegs zwingend, dass mit dem avunculus, an den Cäsar seine Österreich betreffende Urkunde richtete, ein Urahn Rudolfs IV. gemeint war, A. SAUTER, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 38), S. 170-171. Im Zentrum der Fälschungen stand jedenfalls das Alter des Fürstentums, nicht das des Geschlechts. Zu der aus der Zeit Rudolfs I. stammenden, wenig propagierten Legende, welche die Habsburger vom stadtrömischen Adel abstammen ließ, siehe oben Anm. 38 Für eine umfassende jüngere Diskussion der Fälschungen Rudolfs IV. siehe A. SAUTER, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 38), S. 157-186 und E. SCHLOTHEUBER, Das Privilegium maius – eine habsburgische Fälschung im Ringen um Rang und Einfluss, in: P. SCHMID / H. WANDERWITZ (Hgg.), Die Geburt Österreichs. 850 Jahre Privilegium minus (Regensburger Kulturleben 4), Regensburg 2007, S. 143-165. 59 Konrad von Megenberg, Ökonomik (wie Anm. 56), Bd. 2, lib. 2, tract. 4, cap. 13, S. 206: Et male, quia non peyor est, sed pocior, qui princeps eligitur, quam qui princeps nascitur, cum electio acucius videat natura.
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aufgrund ihres Rangs statt. Der Rang gab den Rahmen vor, innerhalb dessen dann weitere Idoneitätskriterien in Anschlag gebracht werden konnten. Die Wahlpraxis entsprach in diesem Punkt somit völlig dem Argument der Anhänger der Erbmonarchie, dass bei der Bestimmung des Herrschers ein zu großer sozialer Aufstieg des Kandidaten zu vermeiden sei. Dies geschah, so scheint es, ohne dass diese theoretischen Erwägungen jemals von den Praktikern thematisiert worden wären – ein deutliches Indiz dafür, wie sehr das Rangdenken das Handeln bestimmte. Einen im Vergleich zur Wahl noch sehr viel engeren Kreis von Kandidaten gab es bei der Erbfolge. Dieses Prinzip der Nachfolgebestimmung machte die Idoneität zu einer Frage der Verwandtschaft, im Idealfall in der Konstellation Vater-Sohn. Damit aber wurde die Idoneität auch eine Frage des Rangs der Vorfahren, insbesondere des Vaters. Im Reich bestimmte der Rang des Vaters in ganz erheblichem Maße den Rang des Sohnes. Gleichwohl blieben Spielräume des sozialen Aufstiegs. Dies galt nicht nur für die Position innerhalb eines Rangs, zum Beispiel unter den Reichsfürsten, sondern auch zwischen den Rangstufen. Inwieweit diese Spielräume genutzt wurden, war wieder eine Frage der Idoneität, die nun aber weniger über den Rang der Vorfahren als über die eigenen Fähigkeiten definiert wurde.
OLIVER AUGE
Physische Idoneität? Zum Problem körperlicher Versehrtheit bei der Eignung als Herrscher im Mittelalter
Die Diskussion ist eröffnet: Stand es bisher nahezu unverbrüchlich fest, dass im Mittelalter für Herrscher oder Herrschaftsanwärter ein Postulat körperlicher Unversehrtheit galt und dass infolgedessen zu jener Zeit ein König oder potentieller Nachfolger mit Krankheit oder Behinderung als inutilis1 eingestuft und mit den damit verbundenen Konsequenzen bis hin zur Absetzung behandelt wurde – so unverbrüchlich gar, dass eigentlich nur Rudolf Hiestand dieses Postulat als unzweifelhaften historischen Tatbestand explizit zum Thema einer kleinen Stu-
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Mit Anmerkungen versehene und stellenweise erweiterte Fassung des Vortrages, der am 8. Dezember 2011 in Dresden gehalten wurde. Bewusst wird im Folgenden eine Einschränkung des Themas im Wesentlichen auf die westeuropäischen Verhältnisse und diejenigen in den Kreuzfahrerstaaten vorgenommen, weil sich diese von den Gegebenheiten im östlichen, byzantinisch geprägten Europa, insbesondere in der Frage der Blendung (begleitet oder ersetzt auch durch das Abschneiden der Nase) und Entmannung bei Nachfolgekonflikten und als Strafe, offenkundig deutlich unterschieden und weil infolgedessen deren Einbeziehung den Rahmen des Beitrags sprengen würde. Siehe aber zur Blendung im byzantinischen Reich die bekannteren Fälle: zu Romanos IV. Diogenes (reg. 1068-1071) C. M. BRAND / A. CUTLER, Romanos IV Diogenes, in: The Oxford Dictionary of Byzantium, New York/Oxford 1991, Bd. 3, S. 1807; zu Isaak II. (reg. 1185-1195) DIES., Isaac II Angelos, in: ebd., Bd. 2, S. 1012; zu Artabasdos (reg. 742-743) P. A. HOLLINGSWORTH, Artabasdos, in: ebd., Bd. 1, S. 192; zu Konstantin VI. (reg. 780-797) C. M. BRAND / A. CUTLER, Constantine VI, in: ebd., S. 501-502, hier S. 502; zu Michael V. (reg. 1041-1042) C. M. BRAND, Michael V Kalaphates, in: ebd., Bd. 2, S. 1366; zu Alexios V. (reg. 1204) DERS., Alexios V Doukas, in: ebd., Bd. 1, S. 66; vgl. dazu allg. auch J. LASCARATOS / S. MARKETOS, The penalty of blinding during Byzantine times, medical remarks, in: Documenta Ophthalmologica 81 (1992), S. 133-144; zur Entmannung: S. TUCHEL, Kastration im Mittelalter (Studia humaniora 30), Düsseldorf 1998, S. 91-94. Von der Ausschaltung Wilhelms III. von Sizilien aus dem Haus Hauteville als Herrschaftskonkurrenten durch Kaiser Heinrich VI. mittels Blendung und Kastration ist immer wieder – allerdings in nicht zeitgenössischen Nachrichten – die Rede: J. EHLERS, Heinrich VI. (1190-1197), in: B. SCHNEIDMÜLLER / S. WEINFURTER (Hgg.), Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I. (919-1519), Darmstadt 2004, S. 258-271, hier S. 265. F. GIUNTA, Uomini e cose del Medioevo mediterrano, Palermo 1964, S. 61. Vgl. zum Terminus ausführlich E. PETERS, The Shadow King. Rex Inutilis in Medieval Law and Literature, 751-1327, New Haven/London 1970.
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die von 1986 machte2, während die mediävistische Forschung vor Hiestand stets nur implizit von einem solchen Postulat ausgegangen war3 –, so zog jüngst, in einem instruktiven Beitrag von 2009, Gesine Jordan dieses Postulat physischer Idoneität in seiner vermeintlich hohen Relevanz zumindest für die frühmittelalterliche Epoche in Zweifel. Stattdessen seien “[…] erst in den geschichtswissenschaftlichen Darstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts […] Krankheit und Unfähigkeit gleichgesetzt und Herrscher, denen man Krankheit oder Behinderung nachsagen konnte, massiv abgewertet worden. […] Am Beispiel der Forschung zu den karolingischen Herrschern [lasse] sich [somit, O.A.] gut nachvollziehen, dass diese letztlich sozialdarwinistische Position bereits im 19. Jahrhundert bestand, einen besonderen Impuls im deutschsprachigen Raum aber durch den Einfluss völkischer Wissenschaftler erhielt.”4
Zu diesem bedenkenswerten Fazit gelangt Jordan durch eine neuerliche intensive Sichtung der zeitgenössischen karolingischen Quellen, insbesondere zu den prominenten “Krankheitsfällen” Pippins ‘des Buckeligen’, des Sohns Karls des Großen, und Kaiser Karls III. ‘des Dicken’. Wie Jordan zeigt, ist die Nachricht von der Buckeligkeit Pippins von nur zweifelhafter Seriosität, und sogar wenn der körperliche Defekt real vorhanden gewesen ist, wurde dieser zu seinen Lebzeiten nirgends als politisches Argument gegen ihn eingesetzt.5 Für Karl III. wiederum sei kein langfristiger politischer Schaden aus der bekannten Besessenheitsepisode von 873, also noch vor seinem Herrschaftsantritt als König bzw. Kaiser, erwachsen, und bei der vermeintlichen Kopfoperation vom Jahr 887 handle es sich augenscheinlich um ein terminologisches Missverständnis. Denn Karl habe sich wegen seiner Kopfschmerzen lediglich einem Aderlass (capitis incisio) unterzogen.6 Krankheit, die von einem Herrscher überwunden wurde, so Jordan unter anderem im Anschluss an Annette Kehnel7 weiter, konnte viel2
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R. HIESTAND, Kranker König – kranker Bauer, in: P. WUNDERLI (Hg.), Der kranke Mensch in Mittelalter und Renaissance (Studia humaniora 5), Düsseldorf 1986, S. 61-77, hier bes. S. 62-68. Vgl. die Beispiele von älteren Publikationen zur Karolingerzeit bei G. JORDAN, Hoffnungslos siech, missgestaltet und untüchtig? Kranke Herrscher und Herrschaftsanwärter in der Karolingerzeit, in: C. NOLTE (Hg.), Homo debilis. Behinderte – Kranke – Versehrte in der Gesellschaft des Mittelalters (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters 3), Korb 2009, S. 245-262. Zitat aus ebd., S. 259. – Zweifel für das spätere Mittelalter äußert auch O. AUGE, “So solt er im namen gottes mit mir hinfahren, ich were doch verderbt zu einem kriegsmann” – Durch Kampf und Turnier körperlich versehrte Adlige im Spannungsfeld von Ehrpostulat und eigener Leistungsfähigkeit, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 28 (2009 [2010]), S. 21-46, hier S. 29. G. JORDAN, Hoffnungslos siech (wie Anm. 3), S. 252-253. Ebd., S. 253-256. A. KEHNEL, Defizienz und Zivilisationsprozess. Überlegungen zur ‘Macht der Schwäche’ am Beispiel des kranken Königs Hiskia auf der Wiener Reichskrone, in: C. NOLTE (Hg.), Homo debilis (wie Anm. 3), S. 263-289.
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mehr als eine von Gott nach erfolgter Prüfung erwiesene Gnade betrachtet, also positiv ausgelegt werden. “Krankheit, Verletzung und Schmerzen stellten den Herrscher auf die Probe, gaben ihm die Gelegenheit, sich, wie Regino über Ludwig den Deutschen sagt, ‘standhaft und selbstbeherrscht’ zu zeigen.”8 Die rezente Infragestellung des Postulats physischer Integrität und mithin die Abwertung der Rolle physischer Idoneität bei der Erlangung und Behauptung von Herrschaft im Mittelalter, die Jordan in einem leider nicht mehr realisierten Habilitationsprojekt mit dem Titel “Krankheit des Herrschers und Herrschaft des Kranken” noch auszubauen gedachte,9 bietet in einem Tagungsband zur Begründung und Akzeptanz von Herrschaft im hohen und späten Mittelalter Anlass genug, die tatsächliche Bedeutung physischer Idoneität von Herrschern oder Herrschaftskandidaten nochmals kritisch zu hinterfragen. Das kann im Folgenden freilich angesichts des zur Verfügung stehenden Raumes nur in Form eines thesenhaften Aufrisses mit der damit zugegebenermaßen verbundenen Gefahr allzu grober Generalisierung geschehen. Zeitliche Differenzen und räumliche Unterschiede sind dabei in jedem Falle stets einzukalkulieren. Zur Veranschaulichung ein frühmittelalterliches Beispiel: Während in den altirischen Bechbretha10 die Absetzung eines durch Bienenstich (!) erblindeten Herrschers gefordert wurde, war in etwa zeitgleich im germanisch-skandinavischen Bereich Odin eine nur einäugige und zeitweilig durch den eigenen Speer verwundete Gottheit.11 Ausdrücklich können die folgenden Prolegomena keine ausgiebige, systematische Studie zum Thema ersetzen. Eine wertvolle Vorarbeit zur gewünschten Systematisierung, von der durch zahlreiche Quellenbelege auch diese Betrachtung hier in wertvoller Weise profitierte, leistete Antje Schelberg in ihrer Dissertation zu Leprosen in der mittelalterlichen Gesellschaft.12 G. JORDAN, Hoffnungslos siech (wie Anm. 3), S. 258. Siehe die Vorstellung des Projekts unter http://www.uni-saarland.de/fak3/kasten/ lehrstuhl/forschung_jordan.htm (Stand: 26. November 2011, 14:40 Uhr). 10 F. KELLY, A Guide to Early Irish Law (Early Irish Law Series 3), Dublin 1988, S. 19 nach Bechbretha, ed. T. CHARLES-EDWARDS / F. KELLY (Early Irish Law Series 1), Dublin 1983, § 31-32, S. 68-69. 11 A. LASSEN, Hoðr’s Blindness and the Pledging of Óðinn’s Eye. A Study of the Symbolic Value of the Eyes of Hoðr, Óðinn and Þórr, unter: http://sydney.edu.au/arts/medieval/ saga/pdf/220-lassen.pdf (Stand: 4. November 2011, 15:10 Uhr), S. 220-228, hier S. 224; A. HULTGÅRD, Wotan-Odin, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 35, Berlin/New York 22007, S. 759-785, hier S. 762. – Zum nordischen Bereich siehe auch die themenrelevante Studie von C. KAISER, Krankheit und Krankheitsbewältigung in den Isländersagas. Medizinhistorischer Aspekt und erzähltechnische Funktion, Diss. phil. masch., Kiel 1997. – Eine aufschlussreiche Verbindung von Sehschwäche/Blindheit und Heiligkeit bieten die frühen Biographien zu Franz von Assisi. Siehe dazu S. WELLS, The Exemplary Blindness of Francis of Assisi, in: J. R. EYLER (Hg.), Disability in the Middle Ages. Reconsiderations and Reverberations, Farnham/Burlington 2010, S. 67-80. 12 A. SCHELBERG, Leprosen in der mittelalterlichen Gesellschaft. Physische Idoneität und sozialer Status von Kranken im Spannungsfeld säkularer und christlicher Wirklichkeitsdeutungen, Diss. phil. masch., Göttingen 2000. 8 9
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Normative Quellen geben durchaus Hinweise auf die Existenz eines solchen Postulats: Nach Alamannenrecht sollte ein Herzog sein Amt nur so lange rechtmäßig ausüben können, wie er “stark ist [und] zum Nutzen des Königs handeln, ein Heer führen und ein Pferd besteigen kann”.13 Die lex Baiuvariorum verlangte ausführlicher, dass ein Herzog “um ein Urteil streiten, mit dem Heer ziehen, der Bevölkerung Recht sprechen, mannhaft auf ein Pferd steigen [sowie] seine Waffen kräftig führen kann, weder taub noch blind ist [und] in allem den königlichen Befehl ausführen kann”.14 Auch im langobardischen Edictus Rothari und in den rund 70 Jahre jüngeren Gesetzen des Liutprand finden sich Passagen, die eine Verbindung zwischen physischer Integrität einer- und politisch-rechtlichen Befugnissen von Menschen andererseits herstellen.15 “Komplementär hierzu verhält sich die Auffassung, dass der Verlust der körperlichen Unversehrtheit oder der Kontrolle über den eigenen Körper eine Rechtsminderung oder gar eine Entrechtung der Kranken und Gebrechlichen bewirke.”16 Indes finden sich solche Bestimmungen nicht nur im normativen Horizont des Früh-mittelalters, wie man nun vielleicht schlussfolgern könnte, sondern auch des Hoch- und beginnenden Spätmittelalters. So band ein auf das Ende des 13. Jahrhunderts zu datierendes englisches Rechtsbuch den Status persönlicher Freiheit unter anderem an das Kriterium der legitimen Geburt und körperlichen Unversehrtheit.17 Extreme Krankheitsformen und körperliche Behinderungen, wie geistige Demenz, Gehörschäden, Lepra oder Tobsucht, führten demgegenüber zu Einschränkungen der Rechtsfähigkeit im englischen Pacht- und Lehnrecht.18 Der Sachsenspiegel hingegen bestimmte zwar, dass Kinder mit angeborener Stummheit, Verkrüppelung an Händen und Füßen oder Blindheit nach Lehnrecht nicht erben dürften, wohingegen aber für kranke und gebrechliche Männer festgehalten wurde, dass ein späterer Körperdefekt keine Beeinträchtigung der noch im gesunden Zustand erworbenen Besitz- und Erbrechte nach sich ziehe.19 Wenn 13 Leges Alamannorum, Bd. 2: Recensio Lantfridana, ed. K. A. ECKHARDT (Germanenrech-
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te: Westgermanisches Recht 6), Witzhausen/Göttingen 1962, cap. 35, § 1, S. 37: […] dum adhuc pater eius potens est et utilitatem regis potest facere et exercitum gubernare, equum ascendere. Lex Baiuvariorum, in: Die Gesetze der Karolinger 714-911, Bd. 2: Alemannen und Bayern, ed. K. A. ECKHARDT (Germanenrechte: Texte und Übersetzungen 2/2; Schriften der Akademie für deutsches Recht: Gruppe 5, Rechtsgeschichte), Weimar 1934, cap. 2, § 9, S. 96: […] dum adhuc pater eius potest iudicium contendere, in exercitum ambulare, populum iudicare, equum viriliter ascendere, arma sua vivaciter baiulare, non est surdus nec cecus, in omnibus iussionem regis potest inplere. Ausführlich hierzu A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 347-354. Zitat aus ebd., S. 353. Fleta, ed. H. G. RICHARDSON / G. O. SAYLES (The Publications of the Seldon Society 72), London 1955, Bd. 2, lib. I, cap. 5, S. 14 u. 16. Siehe dazu ausführlich A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 368. Sachsenspiegel: Landrecht, ed. K. A. ECKHARDT (Monumenta Germaniae Historica, Fontes iuris Germanici antiqui N.S. 1/1), Göttingen/Berlin/Frankfurt a. M. 21955, lib. I, cap. 4, S. 76-77: Wert ok en kint geboren stum oder handlos oder vutelos oder blint, dat is wol erve to landrechte unde nicht len erve. Hevet aver he len untvangen, er he worde alsus, dat verluset he dar mede
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man so will, tritt hier ein Versorgungsmoment an die Stelle eines unbedingten Leistungsprinzips älterer Prägung. Speziell für die Königswahl legte der Sachsenspiegel ferner fest, dass ein lahmer oder leprakranker Mann von der Kandidatur um den Königsthron ausgeschlossen sei, was so vom jüngeren Schwabenspiegel um 1275 fortgeschrieben wurde.20 Noch die Goldene Bulle von 1356 sprach von der Wahl eines “gerechten, guten und tauglichen Mann(es)” zum König,21 was gewiss nicht nur auf dessen moralisch-geistige Qualitäten abzielte, sondern eben auch auf seine körperlichen. Explizit wurde das aber in diesem normativen Text nicht (mehr) gesagt. Dass körperliche Qualitäten implizit gemeint waren, deutet freilich eine Stellungnahme wie die Job Veners zur Kandidatur des 1410 mehr als 55jährigen Jobst von Mähren um die Königswürde an: […] ad istum supremum munus requiritur homo robustus et agilis […].22 Der erkennbare Konnex von körperlicher Eignung zu militärischer Führung bzw. allgemein von praktischer Leistungsfähigkeit und Kampfbefähigung einerund Sozialstatus, Besitz- und Herrschaftsrechten andererseits wird gern in frühmittelalterlichen Vorstellungen, z.B. dem Heerkönigtum aus der Zeit der Germanenwanderung, begründet gesehen, wie sie für die frühmittelalterlichen Hernicht. De meselseke man ne untvet weder len noch erve. Hevet he’t aver untvangen er der suke, he behalt it unde erft ist als en ander man. – Vgl. dazu ausführlich A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 358-359. 20 Sachsenspiegel: Landrecht (wie Anm. 19), lib. III, cap. 54, § 3, S. 240: Lamen man unde meselsuchtegen man, noch den de in des paves ban mit rechte komen is, den ne mut men nicht to koninge kesen; Schwabenspiegel – Landrecht, in: Schwabenspiegel. Kurzform I, ed. K. A. ECKHARDT (Monumenta Germaniae Historica, Fontes iuris Germanici antiqui N.S. 4/1.2), Hannover ²1974, 122b, S. 212-213. – Darüber freilich, ob man als körperlich Versehrter zur Königswahl berechtigt sei, schweigen sich diese Rechtsquellen aus. Siehe den interessanten Hinweis bei A. SCHELBERG (wie Anm. 12), S. 410. 21 Goldene Bulle, in: Quellen zur Verfassungsgeschichte des Römisch-Deutschen Reiches im Spätmittelalter (1250-1500), ausgew. u. übers. von L. WEINRICH (Ausgewählte Quellen zu deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 33), Darmstadt 1983, cap. 2, § 1, S. 332-334: Postquam autem sepedicti electores seu nuncii civitatem Frankenfordensem ingressi fuerint, statim sequenti die diluculo in ecclesia sancti Bartholomei apostoli ibidem in omnium ipsorum presentia missam de sancto spiritu faciant decantari, ad finem ut ipse sanctus spiritus corda ipsorum illustret et eorum sensibus lumen sue virtutis infundat, quatenus ipsi suo fulti presidio hominem iustum, bonum et utilem eligere valeant in regem Romanorum futurumque cesarem ac pro salute populi christiani. 22 Deutsche Reichstagsakten, Bd. 7: Reichstagsakten unter Kaiser Sigismund, 1. Abteilung: 1410-1420, ed. D. KERLER, München 1878, S. 85, Nr. 53. Siehe auch E. SCHUBERT, Probleme der Königsherrschaft im spätmittelalterlichen Reich. Das Beispiel Ruprechts von der Pfalz (1400-1410), in: R. SCHNEIDER (Hg.), Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich (Vorträge und Forschungen 32), Sigmaringen 1987, S. 135-184, hier S. 141. – Die Äußerung ist sicher vor dem Hintergrund von Ruprechts I. Tod 1410 zu sehen, der im fortgeschrittenen Alter König geworden war und von dem die Zeitgenossen berichteten: […] do hett er sich mit reitten uberarbeitt und gemergelt, daz er siech ward (siehe ebd. bzw. Fortsetzung des Königshofen, in: Quellensammlung der badischen Landesgeschichte, ed. F. J. MONE, Karlsruhe 1848, Bd. 1, S. 259).
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zöge, die primär als Heerführer fungierten, sicherlich prägend gewesen sind und immer wieder in der Forschung thematisiert werden.23 In einer gewissen gedanklichen Fortsetzung galt es noch bei der spätmittelalterlichen Königswahl, von vornherein körperliche Erfordernisse der Reiseherrschaft erfüllen zu können.24 Doch ist auch an schon in der Antike fußende Vorstellungen aus dem kirchlich-sakralen Bereich zu denken, wie sie sich in kanonistischen Texten, in Klerikerviten oder im Supplikationswesen widerspiegeln, zumal die Verfasser der betreffenden Texte, sowohl der Rechtsquellen als auch der chronikalischen Überlieferung, oft gerade diesem Milieu angehörten und von dessen Ideen bzw. Konditionen geprägt waren: Für das Priestertum, gerade der höheren Weihen (Bischofsamt), galt eben auch das Ideal körperlicher Makellosigkeit; körperliche Unversehrtheit war Voraussetzung für die Aufnahme in den Klerikerstand. Zum einen zielte ein solches Postulat auf die tatsächliche Gewährleistung physischer Leistungsfähigkeit bei der Durchführung gottesdienstlicher Aufgaben ab. Zum anderen sollte auf diese Weise eine gewisse Amtswürde sichergestellt werden.25 Das machte auch für das Herrschertum Sinn, wenn man an die sakrale Aura des Herrschers denkt, die ihn als von Gott erwählt und mit einer priesterähnlichen Funktion versehen erscheinen ließ.26 Eine weitere Traditionslinie, ebenfalls antiken Ursprungs, stellt das in der Herrscherpanegyrik verbreitete Leitbild der Kalokagathie, also des Lobpreises äußerer Schönheit und Unversehrtheit des Körpers, die in Analogie zur inneren Schönheit der Seele und des Geistes gesetzt
23 Dazu A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 354 bzw. 379-380 mit Anm. 466, worin
auf D. MERTENS, Geschichte der politischen Ideen im Mittelalter, in: H. FENSKE / D. MERTENS / W. REINHARD / K. ROSEN (Hgg.), Geschichte der politischen Ideen. Von Homer bis zur Gegenwart, Königstein i. Ts. 1981, S. 121-200, hier S. 153 zum Konnex körperlicher Tauglichkeit und rechtlicher Handlungsfähigkeit verwiesen wird. 24 A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 409. – Siehe hierzu auch E. SCHUBERT, Probleme (wie Anm. 22), S. 141-142 mit der Quellennachricht zu König Ruprechts Tod: […] do hett er sich mit reitten uberarbeitt und gemergelt, daz er siech ward, nach Fortsetzung des Königshofen (wie Anm. 22), S. 259. 25 Ausführlich hierzu A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 267-290, 290-345 am Beispiel lepröser Geistlicher. – Vgl. dazu L. SCHMUGGE / P. HERSPERGER / B. WIGGENHAUSER, Die Supplikenregister der päpstlichen Pönitentiarie aus der Zeit Pius’ II. (14581464) (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 84), Tübingen 1996, S. 143: “Ein defectus corporis bestand bei Personen, welche die mit den Weihen verknüpften Funktionen oder wenigstens die wichtigeren davon überhaupt nicht ausüben konnten oder sie nicht dem Ritus gemäß und mit der notwendigen Sicherheit zu vollziehen vermochten oder wegen körperlicher Gebrechen oder Mißgestalt Anstoß und Ärgernis erregten und so die Würde des Gottesdienstes und des Klerikerstandes beeinträchtigten. Irregularität bestand bei Blindheit, Taubheit, Stummheit, erheblichem Stottern, Verstümmelung, Lahmheit, Epilepsie, Erbrechen, Aussatz, Zwergwuchs, Buckeligkeit u.a.” 26 Siehe dazu F.-R. ERKENS, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006. Diese Vorstellung vom sakralen Herrschertum findet sich auch im Spätmittelalter (ebd., S. 224).
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wurde.27 Ein harmonisch wirkender Körper entsprach dem christlichen Idealbild, wie es z.B. Johannes Scotus zur Zeit der Karolinger verdeutlichte: Si nullus ordo fieret, nulla harmonia. At si nulla harmonia, nulla sequeretur pulchritudo. In omnino enim similibus sicut nulla harmonia est, ita nulla pulchritudo.28 Der Körper des Königs galt ihm als direktes Zeichen seiner Herrschertauglichkeit. “Die körperliche Perfektion und äußerliche Harmonie des karolingischen Herrschers steht in einer engen Verbindung zu dessen seelisch-moralischer Vollkommenheit. […] Äußeres und Erfolg eines karolingischen Herrschers sind für den Zeitgenossen […] sichtbares Zeichen des Seelischen und Religiösen.”29
Wurden damit umgekehrt ausgesprochene Hässlichkeit, Krankheit oder körperliche Versehrtheit zum Problem bei der Erlangung von Herrschaft?30 Das Ideal körperlicher Schönheit und Unversehrtheit für Herrscher (und Adel insgesamt) findet sich jedenfalls auch in der Dichtung, wie z.B. den “chansons de geste” des 10. bis 12. Jahrhunderts,31 in Ritter- und Fürstenspiegeln, wie etwa im “Welschen Gast” des Thomasin von Zerklaere von 1215 bzw. in De regimine principum des im späten 13. Jahrhundert schreibenden Engelbert von Admont,32 oder in 27 A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 375-379; F. BITTNER, Studien zum Herr-
scherlob in der mittellateinischen Dichtung, Volkach 1962, S. 41-44.
28 Johannes Scotus Eriugena, Expositiones in ierarchiam coelestem, ed. J. BARBET (Corpus
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Christianorum, Continuatio Medievalis 31), Turnhout 1975, cap. 9, S. 138, Z. 159-162. – Dazu M. WINTER, “In Schönheit prangt alles, alles strahlt voller Zier”. Der karolingische Herrscher und sein Körper in den zeitgenössischen Schriftquellen, in: Frühmittelalterliche Studien 39 (2005), S. 101-128, hier S. 127. Ebd, S. 128. – Siehe dazu auch: A. KÜHNE, Das Herrscherideal des Mittelalters und Kaiser Friedrich I. (Leipziger Abhandlungen zur Geschichte 5/2), Leipzig 1898, S. 40-41. Siehe zum Phänomen der Hässlichkeit von Kranken, allerdings lediglich am Beispiel der Leprosen, die Ausführungen von A. SCHELBERG, Die Hässlichkeit des Kranken. Zur psychosozialen Bedeutung mittelalterlicher Schönheitsvorstellungen am Beispiel der Leprakranken, in: Perspicuitas (2002) (http://www.perspicuitas.uni-essen.de/aufsatz/ schelberg.pdf [Stand: 04.12.2011, 10:05 Uhr]). A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 376-377. mit der Literatur in Anm. 457, v.a. D. REGNIER-BOHLER, Der Körper, in: P. ARIÈS / G. DUBY (Hgg.), Die Geschichte des privaten Lebens, Frankfurt a. M. 1990, Bd. 2, S. 341-355, hier S. 342. A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 377 mit Anm. 458, darin H. WENZEL, Partizipation und Mimesis. Die Lesbarkeit der Körper am Hof und in der höfischen Literatur, in: H. U. GUMBRECHT / K. L. PFEIFER (Hgg.), Materialität der Kommunikation (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 750), Frankfurt a. M. 1988, S. 178-202; bzw. auch J. BUMKE, Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 2 Bde., München 1986, Bd. 2, S. 420 und mit Anm. 460: Engelbert von Admont, De regimine principum, ed. G. T. HUFFNAGL, Regensburg 1725, lib. III, cap. 14, S. 66-67, worin zu den natürlichen Gütern des Körpers […] sanitas corporis, (et) pulchritudo, (et) robur, (et) magnitudo, (et) potentia agonistica […] gezählt werden. – Eine themenrelevante Auswertung von (auch mittelalterlichen) Fürstenspiegeln nimmt vor: A. KÖRTGEN, Die Gesundheit des Fürsten. Diätetische Vorschriften für eine herausgehobene Menschengruppe von der Antike bis zum Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts (Marburger Schriften zur Medizingeschichte 3), Diss. med. (Mainz), Frankfurt a. M./Bern 1982.
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spätmittelalterlichen Chroniken.33 König Sigismund wurde so von Eberhard Windecke gerühmt, der schönste römische König überhaupt zu sein.34 Körperliche Vorzüge begründeten auch den Ruhm und die gute Herrschaft Herzog Bogislaws X. von Pommern, glauben wir Chronisten wie Johannes Bugenhagen35 oder Thomas Kantzow36. Umgekehrt wertet ein bayerischer Chronist die Königsqualität Albrechts I., der 1295 ein Auge durch eine falsche medizinische Behandlung verloren hatte, u.a. deswegen deutlich ab: […] er was ein gepaurischer man an der persone und het neur ain auge und gar einen unwirdichen anplich.37 In den so schon angesprochenen erzählenden Quellen finden sich wenig bis gar keine unmittelbaren Hinweise auf die reale Gültigkeit des Postulats, weswegen die Forschung sie aus Berichten wie diesen ableitet, dass Ludwig der Deutsche 870 bei Verhandlungen um die Aufteilung Lotharingiens einen Rippenbruch ohne Klagen und Seufzer trotz des Krachens seiner zerbrochenen und aneinander reibenden Knochen ertrug und, wie es unmittelbar heißt, Gesundheit vortäuschte, um nur irgendwie das körperliche Defizit vor seinem Bruder Karl dem Kahlen zu verbergen.38 Ebenso wird hierfür die Nachricht herangezo33 O. AUGE, “So solt er im namen gottes” (wie Anm. 4), S. 30 mit E. SCHUBERT, König und
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Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 63), Göttingen 1979, S. 60-61. Auch zum Folgenden. […] also was […] konig Sigmont ouch der schonste wol redenste wiseste fürste der doch mochte sin zü einem Roemischen konige in Deutschen landen: Eberhard Windeckes Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Zeitalters Kaiser Sigismunds, zum ersten Male vollständig herausgegeben, ed. W. ALTMANN, Berlin 1893, S. 105; vgl. auch ebd., S. 418. – Siehe ebenso: Die Klingenberger Chronik, ed. A. HENNE VON SARGANS, Gotha 1861, S. 209: Wo er wandlet, da warend im arm und rich hold, won er hatt ain guot gestalt. Johannes Bugenhagen, Pomerania, ed. O. HEINEMANN, ND der Stettiner Ausgabe 1900 besorgt von R. SCHMIDT (Mitteldeutsche Forschungen Sonderreihe: Quellen und Darstellungen in Nachdrucken 7), Köln 1986, S. 155: Admirantur singularem viri formam et egregiam corporis staturam […], aus Anlass des Venedigbesuchs des Herzogs. Des Thomas Kantzow Chronik von Pommern in hochdeutscher Mundart, letzte Bearbeitung, ed. G. GAEBEL, Stettin 1897, S. 391: Diesser Hertzog Bugslaff ist […] von einem aufbundigen, wohlgewachssen, grossem Corper gewest, also das er unter vielen grossen Lewten diesses Landes kein Gleichen gehapt, und ist vor allen anderen wie ein Rise gewest, […], eins herlichen, wackern und menlichen Angesichts, hoher Stirn, brawlechtiger, großer, lebendiger Augen, einer hupschen Nasen […], zimlicher Munt, eins hofflichen zuspalten Kyns, breiter starcker Brust, schones Leibes und gerader Schenckel, und in Summa nach seiner Grosse durchaus so wol geproporcioniret, als je ein Mensch sein mochte. Zitiert nach K.-F. KRIEGER, Die Habsburger im Mittelalter. Von Rudolf I. bis Friedrich III. (Urban-Taschenbücher 452), Stuttgart/Berlin/Köln 1994, S. 75. Reginonis abbatis Prumiensis Chronicon, ed. F. KURZE (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi [50]), Hannover 1890, S. 101: […] ut duae costae eius a sua compage disiungerentur. Et cum omnes accurrissent eumque perisse arbitrarentur, ipse a loco, in quo ceciderat, surgens suis se representavit, asserens se nihil mali passum, et ultra, quam credi potest, dissimulato languore sequenti die contra fratrem ad Marsana proficiscitur. Tanta huius principis duricia, tanta animositas fuit, ut, cum etiam fragor fractarum costarum adinvicem collidentium a nonnullis audiretur, nemo tamen propterea audierit eum suspirium trahentem vel gemitum emittentem. – Vgl. auch die Annales Fuldenses, ed. F. KURZE (Monumenta Ger-
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gen, dass der im Auftrag Ludwigs des Deutschen 849 gegen die Böhmen kämpfende ostfränkische Heerführer Thachulf, nachdem ihm im Kampf das linke Knie durch einen Pfeilschuss durchbohrt worden war, bei den folgenden Verhandlungen über die Unterwerfung der Böhmen auf dem Pferde sitzend Gesundheit vortäuschte, “damit sie seine Versehrtheit (debilitas) nicht begriffen”.39 Das weitgehende Schweigen erzählender Quellen – nicht nur bezüglich des hier interessierenden Postulats, sondern zu kranken und versehrten Herrschern und Adeligen überhaupt – könnte zumindest so ausgelegt werden, wie Rudolf Hiestand es interpretiert: “Offensichtlich darf ein König nicht krank sein, und was nicht sein darf, ist nicht. […] Damit wird auch klar, warum wir so wenige Nachrichten über den Gesundheitszustand der Könige haben. Man verbarg Kranksein, denn ein kranker König war – wenn auch nur vorübergehend – inutilis und riskierte die Herrschaft, wenn ein anderer ihn sichtbar an utilitas übertreffen konnte.”40
Spätestens seit den Forschungen von Cordula Nolte wissen wir, dass es sich beim Fürstenadel des späten Mittelalters um eine gesellschaftliche Gruppe handelte, “die einen ausgeprägten ‘Körperkult’ trieb in dem Sinne, daß sie bestimmte Körperideale hatte und einen Lebensstil pflegte, bei dem Vitalität und körper-
maniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi [7]), Hannover 1891, S. 71, ad annum 870: Tamen simulata sanitate cum Karolo colloquium habuit et diviso inter se Hlotarii regno, Aquisgrani reversus est; inique per plures dies iacuit aegrotus. – Vgl. dazu O. AUGE, “So solt er im namen gottes” (wie Anm. 4), S. 29; G. JORDAN, Hoffnungslos siech (wie Anm. 2), S. 246-248. 39 Annales Fuldenses (wie Anm. 38), S. 38, ad annum 849: Nam pridie, cum exercitus vallum hostium vi magna inrumperet et resistentibus adversariis ex utraque parte multi sine discretione sauciarentur, ipse in sinistro genu sagitta percussus est; cum legatis vero, qui ad eum missi fuerant, quo minus ab eis debilitas eius deprehenderetur, equo sedens simulata sanitate locutus est. 40 Zitat aus R. HIESTAND, Kranker König (wie Anm. 2), S. 65. – Weitere Überlegungen, speziell in puncto Selbstzeugnisse liefert O. AUGE, “So solt er im namen gottes” (wie Anm. 4), S. 24-27, u.a. nach S. KERTH, Versehrte Körper – vernarbte Seelen. Konstruktionen kriegerischer Männlichkeit in der späten Heldendichtung, in: Zeitschrift für Germanistik N.F. 12 (2002), S. 262-274, hier S. 272: “[…] werden Wunden und körperliche Schädigungen bei den Überlebenden weitgehend verdrängt. Die Helden sterben oder überstehen den Kampf ohne nennenswerte körperliche Zeichnung: traurig, aber gesunt verlassen sie den Schauplatz des Gemetzels. […] Kampfspuren sind in der späten Heldendichtung also nicht ewig dem Körper der Helden eingeschrieben. Sie können wieder ausradiert werden […].” und L. DE LIBERO, Mit eiserner Hand ins Amt? – Kriegsversehrte römische Aristokraten zwischen Recht und Religion, Ausgrenzung und Integration, in: J. SPIELVOGEL (Hg.): Res publica reperta. Zur Verfassung und Gesellschaft der römischen Republik und des frühen Prinzipats. Festschrift für Jochen Bleicken zum 75. Geburtstag (Hermes Sonderband), Stuttgart 2002, S. 172-191, hier S. 172: “Der Heldentod ließ sich idealisieren, der Gliederverlust nicht.” Ebd., S. 184 ist die Rede von “selbstauferlegte[r] Ausgrenzung des Invaliden, der fürchtet, dass die Gesellschaft sein Leiden als Defizit wahrnimmt und mit Spott oder Mitleid reagiert.”
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liche Gesamtverfassung (‘Fitneß’) eine wichtige Rolle spielten”.41 Diese Körperlichkeit hatte stets auch eine politische Dimension, wie das Beispiel der Fürsten bestens zeigt: “Der Fürst mußte seine physische Konstitution in der Jugend stärken, vor allem durch körperliches Training und eine ausgewogene Diät, und zeitlebens sorgfältig seine Gesundheit erhalten, um der Regierungsarbeit gewachsen zu sein. Er legte überdies in der politischen Öffentlichkeit Wert darauf, im Vollbesitz seiner Kräfte zu erscheinen. In ritterlichen Wettkämpfen ließ er als Athlet die Muskeln so sichtbar wie möglich spielen, womöglich gar im Seidenhemd, ohne den schützenden Harnisch. Vor allem gegenüber politischen Gegnern, die aus seiner Hinfälligkeit hätten Kapital schlagen können, demonstrierte der Herrscher Vitalität.”42
Herrschen – nach Ernst Schubert nichts anderes als Reiten, Reiten, Reiten43 –, Kämpfen, Jagen, Rennen und Stechen, selbst Tanzen, als Kernelemente des Lebens von König und Fürsten der Zeit setzten in der Tat in einem hohen Grad körperliche Intaktheit voraus.44 Nur bei vollen Körperkräften und unbeschränkter körperlicher Motilität ließ sich in den genannten Bereichen Ruhm und Ehre erlangen, um deren Erwerb oder Erhalt es in der agonalen Adelsgesellschaft ganz grundsätzlich ging. Ist aus den angeführten Normen und dem eben beschriebenen Herrscherund Adelsideal nun umgekehrt zu schließen, dass ein körperlich Versehrter oder Kranker nicht zum König gewählt oder als König abgesetzt wurde? Als problematisch musste sich doch die Inthronisation und auch Herrschaft eines offenkundig Versehrten oder Kranken, unabhängig von der schon angesprochenen Sakralität der Herrscher, zumindest in den (Erb-)Monarchien erweisen, deren Königen eine mit der rechtmäßigen Salbung einhergehende wundersame Heilkraft nachgesagt wurde, wie es in Frankreich und England ab dem 13. Jahrhundert bis weit in die Neuzeit hinein der Fall war.45 Konnte ein offenbar Kran-
41 C. NOLTE, der leib der hochst schatz – Zu fürstlicher Körperlichkeit, Gesunderhaltung und
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Lebenssicherung (1450-1550). Familien- und alltagsgeschichtliche Perspektiven, in: J. ROGGE (Hg.), Fürstin und Fürst. Familienbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten von hochadeligen Frauen im Mittelalter (Mittelalter-Forschungen 15), Ostfildern 2004, S. 45-92, hier S. 45. Ebd., S. 51. E. SCHUBERT, Wieviel Freude bereitet das Herrschen? Ernst der Bekenner als Landesherr, in: H.-J. VOGTHERR (Hg.), Herzog Ernst der Bekenner und seine Zeit. Beiträge zur Geschichte des ersten protestantischen Herzogs von Braunschweig-Lüneburg anläßlich der 500jährigen Wiederkehr seines Geburtstages in Uelzen im Jahre 1497 (Uelzener Beiträge 14), Uelzen 1998, S. 25-62, hier S. 37. Dazu und zum Folgenden nochmals C. NOLTE, der leib der hochst schatz (wie Anm. 41), S. 64-65. Durch bloßes Handauflegen sollten die Gesalbten an den Skrofeln Erkrankte heilen können. Siehe dazu u.a. M. BLOCH, Die wundertätigen Könige, München 1998, S. 65-86.
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ker glaubhaft diese heilende Kraft des Königtums nach außen vertreten?46 Aus der allgemeinen Adelsgeschichte wissen wir, dass junge Söhne wohl tatsächlich aufgrund von Krankheiten für ein typisch adeliges Leben als untauglich erachtet und für ein Studium und eine kirchliche Laufbahn vorgesehen wurden, wie es z.B. Odo von Cluny um 925 in der Vita Graf Gerhards von Aurillac (um 855909) berichtet.47 Die wegen körperlicher Gebrechen zahlreich überlieferten Dispensgesuche an die Kurie zeigen mustergültig, dass die adelige “Abschiebepraxis” durchaus gang und gäbe blieb.48 Zu diskutieren bleibt die Schlussfolgerung, die Timothy Reuter in seinem Beitrag “Nobles and Others” daraus zieht: Durch die ausgiebige Praxis, eigene Kranke und körperlich Beeinträchtigte in klösterliche Einrichtungen abzuschieben, habe sich der (früh-)mittelalterliche Adel mit einem der “social markers” versehen, durch die er seine gesellschaftliche Dominanz behauptete.49 Konkret wird bezüglich der vermeintlichen Gültigkeit eines Postulats körperlicher (und auch geistiger) Unversehrtheit immer wieder ins Feld geführt, dass Kaiser Karl III. ‘der Dicke’ nach chronikalischen Berichten im Jahr 887 so schwer an Körper und Kopf erkrankte, dass die ostfränkischen Großen von ihm abfielen und seinen Neffen Arnulf zum neuen König wählten.50 Das blieb im 46 Die Zahl vermeintlicher Heilungen konnte in der Tat beträchtlich schwanken, wie ein
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Vergleich König Edwards I. mit im Schnitt 1.700 pro Jahr mit Edward II. mit durchschnittlich nur 214 im Jahr zeigt. Siehe dazu M. PRESTWICH, The three Edwards. War and state in England, 1272-1377 (University Paperbacks 755), London/New York 22003, S. 73 (Den Hinweis verdanke ich Frank Rexroth, Göttingen). Grundsätzlich ist also davon auszugehen, dass ein Krankheitszustand auch Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der königlichen Heilkraft hatte. Odo von Cluny, Vita Geraldi comitis Auriliacensis, in: Migne PL 133, Paris 1881, lib. I, cap. 4, Sp. 639-704, hier Sp. 645: Tali equidem infirmitatis languore, ut a saeculari exercitio retraheretur, sed ad discendi studium non impediretur. […] Quo videlicet, si usibus saeculi minus esset aptus, ad ecclesiasticum officium redderetur accomodus. – Siehe dazu A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 375. An Informationen hierzu reich ist das Repertorium Germanicum. Siehe z.B. Repertorium Germanicum IX.1: Verzeichnis der in den Registern und Kameralakten Pauls II. vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches, seiner Diözesen und Territorien 1464-1471, bearb. von H. HÖING / H. LEERHOFF / M. REIMANN, Tübingen 2000, Sp. 84, Nr. 525: Bernardus de Westerstetten can. eccl. s. Viti in Elwangen August. dioc. qui in pueritia oculum suum dextrum lesit oder Sp. 273, Nr. 769: Hampto Marschalk de Papenham can. eccl. Eistet. […] pars digiti indicis manus sue sinistre abscisa fuit […]. T. REUTER, Nobles and Others. The Social and Cultural Expression of Power Relations in the Middle Ages, in: A. J. DUGGAN (Hg.), Nobles and Nobility in Medieval Europe. Concepts, Origins, Transformations, Woodbrigde 2000, S. 85-98, bes. S. 89-90 mit Anm. 15 mit der Schlussfolgerung auf S. 90: “In a world where mental and physical disabilities were common and visible, aristocrats appeared collectively exempt from such scourge.” Reginonis abbatis Prumiensis Chronicon (wie Anm. 38), S. 127: His ita gestis, imperator corpore et animo cepit aegrotare; Annales Fuldenses (wie Anm. 39), S. 115: Mox vero caesar gravissima infirmitate detentus est. Ab illo ergo die male inito consilio Franci et more solito Saxones et Duringi quibusdam Baiowariorum primoribus et Alamannorum ammixtis cogitaverunt deficere a fidelitate impe-
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karolingischen Vergleich aber offenbar ein Einzelfall. Anscheinend keine Absetzung folgte nämlich z.B. auf die Blendung Kaiser Ludwigs ‘des Blinden’ (901928?) durch Berengar I. 905, wenn auch Ludwig nach Herbert Zielinski fortan ein “praktisch regierungsunfähiger Herrscher” war, der “in Niederburgund nur noch ein Schattendasein geführt hat”.51 Immerhin verfolgte der Angriff auf Ludwigs körperliche Integrität, wenn auch erfolglos, offensichtlich den Zweck, ihn als Konkurrenten um die Macht in Oberitalien auszuschalten – ganz so, wie es für den byzantinischen Bereich pauschal behauptet wird, ohne dass übrigens neuere Untersuchungen hierzu vorlägen.52 Eine ähnliche Motivlage könnte bei dem Fall Papst Leos III. bestanden haben: Er war 799 während einer Prozession von seinen Gegnern attackiert worden, um ihn zu blenden und ihm die Zunge abzuschneiden.53 Bekanntlich blieb auch er im Amt und krönte im Jahr darauf Karl den Großen zum Kaiser. Allerdings ist es durchaus auch möglich, dass hinter dem Versuch, Leo seiner körperlichen Integrität zu berauben, nicht nur die Absicht stand, ihn aus seinem Amt zu verdrängen, sondern ihn zugleich auch für seine in Rom angefeindete Lebensführung zu bestrafen. Gerade den Charakter der Blendung als Strafe hob jüngst Jan Ulrich Büttner für die zahlreicher belegten Blendungsfälle der Karolingerzeit hervor.54 “Die Blendung erfüllte meist einen doppelten Zweck: mit dem Verlust der körperlichen Unversehrtheit eine weitgehende Hilflosigkeit und Hilfsbedürftigkeit hervorzurufen und den Geblendeten in unübersehbarer Weise und unwiderruflich zu zeichnen.”55 Ein
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ratoris, nec minus perfecere. Igitur veniente Karolo imperatore Franconofurt isti invitaverunt Arnolfum filium Karlmanni regis ipsumque ad seniorem eligerunt, sino mora statuerunt ad regem extolli. – Dazu ausführlich G. JORDAN, Hoffnungslos siech (wie Anm. 3), S. 255-256. Vgl. auch E. PETERS, The Shadow King (wie Anm. 1), S. 185. H. ZIELINSKI, Ludwig der Blinde, in: Lexikon des Mittelalters, ND München 2002, Bd. 5, Sp. 2177-2178, hier Sp. 2178. – E. PETERS, The Shadow King (wie Anm. 1), S. 185 ist sich nicht sicher, ob Ludwig mit der Blendung sein Königtum verlor. Ebd., S. 185: “[…] in Byzantium, at least, the physical integrity of the ruler was a necessity, hence the occasional blinding of a candidate for the imperial throne.” – Vgl. hierzu nochmals die pauschalen Hinweise in Anm. * zu Eingang dieses Beitrags. A. T. HACK, Das Zeremoniell des Papstempfangs 799 in Paderborn, in: C. STIEGEMANN / M. WEMHOFF (Hgg.), 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn, Bd. 3: Beiträge zum Katalog der Ausstellung, Mainz 1999, S. 19-33, hier S. 29. Zum Folgenden auch K. HERBERS, Der Pontifikat Leos III. (795-816), in: ebd., S. 13-18, hier S. 14. J. U. BÜTTNER, Die Strafe der Blendung und das Leben blinder Menschen, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 28 (2009 [2010]), S. 47-72, hier S. 52-57. Siehe etwa bes. S. 55: “Dies unterstreicht zusätzlich den politischen Charakter, den die Blendung einnahm. Bei Verschwörungen gegen den König oder Kaiser löste sie die Hinrichtung ab. Verwandte töten zu lassen, war eine heikle Angelegenheit, die die Legitimierung des familiären Anspruchs auf die Herrschaft womöglich beschädigt hätte.” – Siehe zum Thema auch J. W. BUSCH, Vom Attentat zur Haft. Die Behandlung von Konkurrenten und Opponenten der frühen Karolinger, in: Historische Zeitschrift 263 (1996), S. 561-588. Zitat aus J. U. BÜTTNER, Die Strafe (wie Anm. 54), S. 67.
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für den Bestrafenden ‘angenehmer’ Nebeneffekt war und blieb, dass der so Bestrafte als Konkurrent um die Macht rein körperlich im Regelfall ausschied. Mehr Fälle körperlich versehrter, aber dennoch auf dem Thron bleibender Herrscher liefert das Spätmittelalter: An beiden Augen erblindete bekanntlich König Johann ‘der Blinde’ von Böhmen, der Vater Karls IV. Das hinderte ihn ganz und gar nicht, als Krieger in die Schlacht von Crécy zu reiten und dort auf dem Schlachtfeld zu fallen.56 Beide Augen hatte auch der – heute noch in Tschechien verehrte – hussitische Heerführer Jan Žižka (um 1360-1424) im Kampf verloren, was ihn nicht davon abhielt, die Truppen der Hussiten weiter in den Krieg zu führen.57 ‘Nur’ ein Auge hatten etwa Markgraf Wilhelm I. von Meißen (1346-1407)58 oder – weit später – Herzog Georg I. von Pommern (1493-1531)59. Ihre Herrschaft verloren sie wegen des Defekts nicht. Graf Nikolaus oder Klaus von Holstein (1321-1397) hatte im Kampf gegen die Dänen ebenfalls ein Auge verloren. Das gereichte ihm wie selbstverständlich nicht zur Schande, sondern machte ihn für die spätere Chronistik geradezu zum idealen Landesvater, weil er sein Land so tatkräftig mit Schild und Schwert gegen äußere Feinde verteidigte.60 Wie Graf Klaus und mehr noch der Hussitenheld Žižka ‘übererfüllte’ auch der 1451 durch einen Turnierunfall auf der rechten Gesichtshälfte verunstaltete und am rechten Auge erblindete Federico da Montefeltro als Feldherr und Staatsmann trotz seines Handicaps die adelige Norm, so dass etwa Papst Pius II. meinte, er sehe mit einem Auge mehr als andere Fürsten mit
56 Zu Johann ‘dem Blinden’ siehe M. PAULY (Hg.), Johann der Blinde. Graf von Luxem-
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burg, König von Böhmen, 1296-1346. Tagungsband der 9. Journées Lotharingiennes (22.-26. Oktober 1996) (Publications de la Section Historique de l’Institut Grand-Ducae de Luxembourg 115. Publications du CLUDEM 14), Luxemburg 1997, speziell zu seinem Augenleiden L. BELLWALD, Das Augenleiden Johanns des Blinden aus medizinischer und medizinhistorischer Sicht, in: ebd., S. 545-566. F. ŠMAHEL, Žižka, Jan, in: Lexikon des Mittelalters, München 1998, Bd. 9, Sp. 659-660, hier Sp. 660. Der Sage nach soll Wilhelm der hl. Benno im Traum erschienen sein und von diesem ein Auge ausgestochen bekommen haben. – Die neue Veröffentlichung zum Markgrafen: Wilhelm der Einäugige. Markgraf von Meissen (1346-1407), hg. von den Staatlichen Schlössern, Burgen und Gärten Sachsen und dem Verein für Sächsische Landesgeschichte e.V. (Saxonia. Schriften des Vereins für sächsische Landesgeschichte 11), Großschirma 2009, geht darauf leider nicht näher ein. Des Thomas Kantzow Chronik (wie Anm. 36), S. 402-403: Das Auge, das er ausgestochen, was ime doch so widder geheilet, das mans ime nicht wol ansehen khonte, das er nichts mit sahe. Aber dennoch sahe er ein weinig grewlicher domit wan mit dem andern. Presbyter Bremensis, Chronicon Holtzatiae, ed. J. M. LAPPENBERG (Quellensammlung der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Gesellschaft für Vaterländische Geschichte 1), Kiel 1862, cap. 26, S. 89: Comes Nicolaus, extincto in bello sibi vno oculo, eciam per quendam militarem de parte Dacie captiuatus est; cap. 26, S. 88: Comes Nicolaus, princeps benignus et humilis erga suos subditos et fidelis (!), hic […] mansit in patria, defendens eam clipeo et gladio contra Danos, Ditmarticos et alios invasores, quapropter multum collaudandus.
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zweien.61 Seine Hofdichter stellten ihn in eine Reihe mit Hannibal, der auf einem seiner Feldzüge in Mittelitalien ebenfalls ein Auge verloren und dennoch nichts von seiner Kampfkraft eingebüßt hatte.62 Mit seiner im Profil erkennbaren, ganz charakteristischen Physiognomie ließ sich Federico sogar so oft wie kaum ein zweiter Herrscher des Quattrocento porträtieren, wodurch er zu der ‘Nase Italiens’ wurde. Ganz ähnlich, zeitlich aber weit früher hatte der Regensburger Bischof Michael (941-972) im Kampf gegen die Ungarn ein Ohr verloren und noch andere Verletzungen erlitten. Auch diese Kriegsverwundungen brachten ihm, wie Thietmar von Merseburg ausdrücklich festhält, keine Schande ein, sondern Ehrfurcht bei Klerus und Laienvolk.63 Besonders findig erwies sich Graf Fulko IV. von Anjou (gest. 1109), um seine deformierten Füße zu verbergen: Er steckte sie einfach in entsprechende Schnabelschuhe, wodurch er, wenn wir der mittelalterlichen Chronistik darin Glauben schenken dürfen, für die von ihr kritisch betrachtete Mode solcher Schnabelschuhe im Mittelalter verantwortlich wurde.64 Spektakulär erscheinen zumal prominente Leprakranke, die trotz 61 B. ROECK / A. TÖNNESMANN, Die Nase Italiens. Federico da Montefeltro, Herzog von
Urbino, Berlin 22005, S. 64, 10.
62 G. SANTI, La vita e le Gesta di Federico di Montefeltro Duca d’Urbino. Poema in terza
Rima, ed. L. M. TOCCI, Vatikanstadt 1985, Bd. 1: S. 16 (V. 170), S. 17 (V. 209), S. 20 (V. 75), S. 33 (V. 45), S. 88 (V. 4), S. 271 (V. 102); Bd. 2: S. 517 (V. 125), 532 (V. 53); Gian Girolamo de’ Rossi, Vita di Federico di Montefeltro, ed. V. BRAMANTI (Istituto Nazionale di Studi sul Rinascimento 39), Florenz 1995, S. 33 und passim. – Siehe dazu auch schon O. AUGE, “So solt er im namen gottes” (wie Anm. 4), S. 34-35. 63 Thietmari Merseburgensis episcopi Chronicon/Thietmar von Merseburg, Chronik, neu übertragen u. erl. von W. TRILLMICH (Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 9), Darmstadt 1966, lib. II, cap. 27, S. 64: Qui [Bischof Michael] cum commissa sibi optime diu regeret, commoventibus iterum orientales Ungris, cum caeteris, Bawariorum princibus his ad succurendum venit. […] Episcopus autem, abscisa suimet auricula et caeteris sauciatus membris, cum interfectis quasi mortuus latuit. […] Excipitur ab omnibus miles bonus in clero et servatur optimus pastor in populo, et fuit eiusdem mutilatio non ad dedecus, sed ad honorem magis. 64 The Ecclesiastical History of Orderic Vitalis, ed. M. CHIBNALL (Oxford Medieval Texts), Oxford 1973, Bd. 4, lib. VIII, S. 186: Hic in multis reprehensibilis et infamis erat. multisque uitiorum pestibus obsecundabat. Ipse nimirum quia pedes habebat deformes, instituit sibi fieri longos et in summitate acutissimos subtolares. ita ut operiret pedes, et eorum celaret tubera quæ uulgo uocantur uniones. Insolitus inde mos in occiduum orbem processit. leuibusque et nouitatum amatoribus uehementer placuit. Vnde sutores in calciamentis quasi caudas scorpionum quas uulgo pigacias appellant faciunt. idque genus calciamenti pene cuncti diuites et egeni nimium expetunt. Nam antea omni tempore rotundi subtolares ad formam pedum agebantur. eisque summi et mediocres clerici et laici competenter utebantur. At modo seculares peruersis moribus competens scema superbe arripiunt […]. Den Hinweis verdanke ich Aleydis Plassmann, Bonn. – Man weiß freilich auch von zeitgenössischen Schamgefühlen infolge körperlicher Beeinträchtigungen. So wird in einem Mirakelbericht des 11. Jahrhunderts erzählt, dass ein Ritter, der infolge einer Verwundung im Kampf einen gelähmten und gefühllosen Arm hatte, diese seine Versehrtheit als große Schande wertete, weswegen ihn Todessehnsucht ergriff (C. RENDTEL, Hochmittelalterliche Mirakelberichte als Quelle zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte und zur Geschichte der Heiligenverehrung untersucht an Texten insbesondere aus Frankreich, Diss. phil. [Berlin],
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ihres Leidens in Amt und Würden blieben: So regierte der in seiner Herrschaftszeit als erster Herzog der Steiermark an Lepra erkrankte Otakar IV. bis zu seinem Tod 1192 faktisch und juristisch als Herzog weiter.65 Noch bekannter ist der Fall Balduins IV. (1174-1185), der als Leprakranker das Königreich Jerusalem regierte und dabei militärisch erfolgreich agierte.66 Sein Chronist Wilhelm von Tyrus berichtet, dass Balduin erst, als es die Krankheit nicht mehr anders zuließ, seinen Schwager Guido von Lusignan zum stellvertretenden Regenten Düsseldorf 1985, S. 193 bzw. Bernardus Scholasticus, Liber miraculorum Sancte Fidis, ed. L. ROBERTINI [Biblioteca di medioevo latino 10], Spoleto 1994, lib. IV, cap. 10, S. 240: Unde nimio merore correptus, potius mortis cupiebat extrema pati, quam inutilis vite tedia protrahere in tanto corporis sui dedecore.). Zu Tode hungern wollte sich ein anderer Ritter, weil er durch einen Feind seiner Augäpfel und somit seiner Sehkraft beraubt worden und infolgedessen seines Lebens überdrüssig geworden war (C. RENDTEL, Hochmittelalterliche Mirakelberichte, S. 194 bzw. Liber miraculorum, lib. I, cap. 2, S. 89: […] ille miser […] vitam omnino exosus […] idcirco ut fame deficiens periret, octo continuis diebus nocturnibus […] jejunus […].). Von weiteren Rittern erfährt man, dass sie sich ihrer Blindheit auf einem Auge oder Taubheit auf einem Ohr schämten und darunter litten, dass ihre Gesellschaft von befreundeten Standesgenossen gemieden wurde, um sie selbst nicht in Verlegenheit zu bringen (S. KRÜGER, “Verhöflichter Krieger” und miles illiteratus, in: J. FLECKENSTEIN [Hg.], Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur [Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 100], Göttingen 1990, S. 326-349, hier S. 340 nach Miracula S. Thomae auctore Wilhelmo Cantuariensi. Materials for the History of Thomas Becket, ed. J. C. ROBERTSON [Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages 67/1], London 1875, lib. VI, cap. 45, S. 452 bzw. lib. V, cap. 35, S. 403). “Die getreue Gattin” des österreichischen Ministerialen Herrand von Wildonie handelt von einem Ritter, der aus Scham wegen seines kriegsbedingten Augenverlusts nicht mehr zu seiner Frau zurückkehren will. Die treue Gattin verstümmelt sich in gleicher Weise, um ihrem Mann eine Rückkehr zu ermöglichen (Herrand von Wildonie, Vier Erzählungen, ed. H. FISCHER / P. SAPPLER [Altdeutsche Textbibliothek 51], Tübingen 21969, S. 1-9). Selbst bei weniger gravierenden Fällen körperlicher Versehrtheit (Haarausfall, Zahnverlust) ist von gesellschaftlicher Isolation aus Scham die Rede (dazu nochmals C. RENDTEL, Hochmittelalterliche Mirakelberichte, S. 194, Anm. 9 u. 10 bzw. Liber miraculorum, lib. I, cap. 2, S. 89). – Vgl. dazu insgesamt A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 417; ebenso O. AUGE, “So solt er im namen gottes” (wie Anm. 4), S. 33-34. 65 A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 381-382; zur Person siehe auch H. EBNER, Otakar IV. (I.), in: Lexikon des Mittelalters, ND München 2002, Bd. 6, Sp. 1555, allerdings ohne Erwähnung der Lepraerkrankung. 66 Zu ihm A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 390-409 mit ausführlicher Diskussion, ob die Zeitgenossen bei Balduin tatsächlich eine Analogiebildung zwischen dem Zustand seines Körpers und dem des Reiches vornahmen, wie die Forschung gern behauptet (z.B. K. P. JANKRIFT, Leprose als Streiter Gottes. Institutionalisierung und Organisation des Ordens vom Heiligen Lazarus zu Jerusalem von seinen Anfängen bis zum Jahre 1350 [Vita regularis 49], Münster 1996, S. 56-57, bes. S. 56: “[Der] Körper des Königs [symbolisierte] nach mittelalterlicher Auffassung den Zustand des Reiches.” oder M. G. PEGG, Le Corps et l’Autorité. La Lèpre de Baudouin IV, in: Annales E.S.C. 45 [1990], S. 265-287, hier S. 265: “[…] ce corps lépreux [Balduins IV.] troublait l’harmonie du royaume de Jérusalem.”).
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ernannte, dass er aber wegen seiner Willensstärke und seines Pflichtbewusstseins sowie wegen seiner Fähigkeit, das Ausmaß seiner Krankheit zu verbergen, als König nicht zurücktrat.67 Die Forschung diskutiert, ob Balduins Krankheit schon vor seiner Inthronisation soweit ausgebrochen war, dass man über sein engeres Umfeld hinaus davon wusste, ohne in diesem Punkt letztlich zu völliger Gewissheit gelangen zu können.68 Damit ist die Frage berührt, ob denn das vermeintliche Postulat körperlicher Unversehrtheit wenigstens bei der Inthronisation als Herrscher eine so zentrale Rolle spielte, wie behauptet wird. Nochmals ist an Karl III. zu erinnern, der trotz eines auf 873 datierenden Anfalls geistiger Verwirrung zur Kaiserwürde gelangte. Hiestand verweist zudem auf den Stauferherzog Friedrich II. ‘den Einäugigen’, der wegen seiner Einäugigkeit bei der Königswahl von 1125 übergangen worden sei.69 1138 kam dann Friedrichs jüngerer Bruder Konrad bei der Königswahl zum Zug, was man gleichfalls Friedrichs mangelnder körperlicher Idoneität zuschreiben könnte. Allein es fehlt zum Beweis der Beleg, seit wann er überhaupt einäugig war.70 Der Habsburger Albrecht I. wurde immerhin 1298 trotz seines fehlenden Auges König.71 Bei Barbarossas ältestem Sohn Friedrich, der von Geburt an kränkelte, behauptet Hiestand weiter, er sei in der Nachfolgefrage vom Vater zugunsten des nächstgeborenen Heinrich (VI.) zur Seite geschoben worden.72 Auch das steht auf wackeligen Beinen, da Friedrich in der Zeitspanne zwischen September 1168 und Oktober/November 1169 verstarb, wohingegen Barbarossas Absicht, Heinrich zum Nachfolger wählen zu lassen, 67 Wilhelm von Tyrus, Chronica, ed. R. B. C. HUYGENS (Corpus Christianorum, Continuatio
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Mediaevalis 63), Turnhout 1986, lib. XXII, cap. 26 (25), S. 1049: Febre igitur […] correptus et de vita desperans, convocatis ad se principibus suis, […] Guidonem de Liziniaco, sororis sue maritum, comitem Ioppensem et Ascalonitanum, […] regni constituens procuratorem […]. […] Licet enim corpore debilis esset et inpotens, forti tamen pollebat animo et ad dissimulandam egritudinem et ad subportandam regiam sollicitudinem supra vires enitebatur. H. E. MAYER, Geschichte der Kreuzzüge (Urban-Taschenbücher 86), Stuttgart 102005, S. 156-157 oder S. LAY, A Leper in Purple. The Coronation of Baldwin IV of Jerusalem, in: Journal of Medieval History 23 (1997), S. 317-334. – Zusammenstellung bei A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 390-391. R. HIESTAND, Kranker König (wie Anm. 2), S. 65-66. O. ENGELS, Die Staufer (Urban-Taschenbücher 154), Stuttgart/Berlin/Köln 82005, S. 24: “Friedrich erhielt später den Beinamen ‘der Einäugige’, ein körperlicher Defekt, der ihn königsunfähig machte; um beantworten zu können, warum Konrad und nicht er König wurde, wäre es nötig zu wissen, wann er sein Auge verloren hat.”; DERS.: Die schwäbischen Herzöge Friedrich I., II., III. und IV., in: Die Staufer, hg. von der Gesellschaft für staufische Geschichte (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 19), Göppingen 2000, S. 37: “Deshalb bleibt es rätselhaft, warum nicht Friedrich selbst das Königsamt übernommen hat. Wesentlich später heißt es, er habe ein Auge verloren (sein Beiname ‘monoculus’), doch keiner weiß, seit wann.” – So auch G. JORDAN, Hoffnungslos siech (wie Anm. 3), S. 252. L. HÖBELT, Die Habsburger. Aufstieg und Glanz einer europäischen Dynastie, Stuttgart 2009, S. 18. R. HIESTAND, Kranker König (wie Anm. 2), S. 66.
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erstmals im März 1169 bei Verhandlungen mit Abgeordneten Papst Alexanders III. aufscheint.73 Auch die ungarische Geschichte hält übrigens ein Beispiel parat, dass man durchaus versehrt zum König werden konnte. So gelangte hier 1131 der zur Strafe geblendete Bela II. ‘der Blinde’ auf den Thron.74 Bela regierte Ungarn gemeinsam mit seiner als energisch beschriebenen Gemahlin zehn Jahre lang, wobei er erfolgreich seinen Machtbereich nach Süden auszudehnen vermochte. Freilich handelte es sich bei Ungarn nicht um eine Wahl-, sondern um eine Erbmonarchie, wo man sich, glaubt man Edward Peters mit seiner Studie zum Rex inutilis, anscheinend von vornherein schwerer damit tat, einen körperlich oder geistig Versehrten als Throninhaber abzusetzen.75 Nicht unbedingt anders scheint man im Übrigen mit Geisteserkrankungen umgegangen zu sein, wobei man hier freilich ebenfalls ganz grundsätzlich kein pauschales, sondern ein differenziertes Bild zeichnen muss:76 Vom in etwa zeitgleich zum Karolinger Karl III. lebenden byzantinischen Kaiser Michael III. (842-867) wird z.B. durch Liutprand von Cremona kolportiert, er sei wegen seiner geistigen Verwirrung gar ermordet worden.77 Die Forschung hat mittlerweile
73 Siehe G. BAAKEN, Die Altersfolge der Söhne Friedrich Barbarossas und die Königs-
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erhebung Heinrichs VI., in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 24 (1968), S. 46-78, hier S. 69-70 sowie E. ASSMANN, Friedrich Barbarossas Kinder, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 33 (1977), S. 435-472, hier S. 454-455 – Jetzt zu Friedrich, freilich ohne solche Mutmaßungen, auch K. GÖRICH, Friedrich Barbarossa. Eine Biographie, München 2011, S. 258. Vgl. auch die ältere Biographie von F. OPPL, Friedrich Barbarossa, Darmstadt 31998, S. 105 mit Anm. 10. G. GYÖRFFY, Bela II. der Blinde, in: Lexikon des Mittelalters, ND München 2002, Bd. 1, Sp. 1832; I. LÁZÁR, Kleine Geschichte Ungarns, Budapest 41996, S. 69-70. Vgl. zur Blendung als Strafe nochmals J. U. BÜTTNER, Die Strafe (wie Anm. 54). Dazu E. PETERS, The Shadow King (wie Anm. 1), S. 186-187 zum Fall Balduins IV. von Jerusalem. – Vgl. auch A. SCHELBERG, Leprosen (wie Anm. 12), S. 412-413. Siehe zu diesem weiten Thema neuerdings A. PFAU, Protecting or Restraining? Madness as a Disability in Late Medieval France, in: J. R. EYLER (Hg.), Disability (wie Anm. 11), S. 93-104, freilich nicht an Herrscherbeispielen. Liutprand von Cremona, Antapodosis, in: Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit. Widukinds Sachsengeschichte, Adalberts Fortsetzung der Chronik Reginos, Liudprands Werke, ed. A. BAUER / R. RAU (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 8), Darmstadt 1977, lib. I, cap. 9, S. 244-495, hier S. 256f: Verum quia omnipotens Deus servos suos iusta visitat vult quacumque censura, hunc imperatorem Michahelem sanae mentis ad tempus non esse permiserat, ut, quo hunc gravius premeret in infimis, eo misericordius remuneraret in summis. Nam, ut fertur, huius tempore passionis familiares etiam capitis iusserat damnare sententia. Quos tamen ad sese rediens hoc pacto requirebat, ut, nisi quos iugulare iusserat redderentur, pari ipsi qui hoc effecerant sententia damnarentur. Hoc igitur terrore quos damnare iusserat, servebantur. Sed cum hoc saepius et iterum Basilio faceret, huiusmodi a sibi obsequentibus, pro nefas, accepit consilium: ‘Ne forte insana regis iussio aliquando ex industria a te non diligentibus, immo odio habentibus impleatur, eum tu potius occidito atque imperialia sceptra suscipito’. Quod sine dilatione, cum terrore compulsus, tum et regnandi cupiditate deceptus complevit. Hoc itaque interfecto factus est imperator Basilius.
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die Korrekturbedürftigkeit dieses Bildes von Michael III. herausgearbeitet.78 Augenscheinlich an Körper und Geist zu schwach für die Herrschaft wurde der seit 1261 regierende Heinrich IV. von Brabant (um 1251-nach 1272) nach einigen Quellenaussagen im Jahr 1267 abgesetzt, nach anderen Nachrichten legte er auf Ratschlag seiner Mutter und seiner Vertrauten selbst seine Herrschaft nieder.79 Etliche geistig verwirrte oder kranke Fürsten des späteren Mittelalters und der beginnenden Neuzeit stellt H. C. Erik Midelfort in seinem Buch “Verrückte Hoheit” vor, wobei deutlich wird, dass man sich mit fortlaufender Zeit immer schwerer tat, geistesschwache Fürsten kurzerhand ihres Amtes zu entheben.80 Ein Indiz dafür sind die schweren innerdynastischen und innerfamiliären Konflikte, die um die jeweilige Absetzung und die Einsetzung etwaiger Vormünder ausbrachen. Karl VI. von Frankreich (1368-1421), ‘le Bien-Aimé’ oder ‘le Fou’ mit Beinamen, ist mit seiner zunächst zeitweiligen und dann ab 1393 endgülti-
78 P. SCHREINER, Michael III., in: Lexikon des Mittelalters, ND München 2002, Bd. 6,
Sp. 597-598, hier Sp. 597; E. KISLINGER, Michael III. – Image und Realität, in: Eos 75 (1987), S. 389-400. 79 Iohannis de Thilrode Chronicon, ed. J. HELLER (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 25), Hannover 1880, S. 557-584, hier S. 576: Henricus IIII. tam propter defectum membrorum et quia naturali sensu carere videbatur per Nicholaum episcopum Cameracensem et per matrem duxissam Brabantie et de communi consilio parentum ac baronum, nobilium religiosorumque omnium prelatorum predicte Brabantie a ducatu et a dominio Loteringhie et Branbantie absolvitur et in Burgundia in claustro canonicorum regularium includitur quod dicitur Dyioen. Genealogiae ducum Brabantiae IV. Chronica de origine ducum Brabantiae, ed. J. HELLER, in: ebd., S. 405413, hier S. 411: […] cui successit in ducatu Henricus huius nominis quartus; qui non multo post Iohanni, fratri suo, ducatum resignavit de consilio Aledis ducisse et optimatum suorum, eo quod esset invalidus corpore et animo insufficiens ad ducatum Lotharingie gubernandum. Genealogiae ducum Brabantiae I. Genealogia ducum Brabantiae heredum Franciae, ed. J. HELLER, in: ebd., S. 385-391, hier S. 391: Cui successit filius eius Henricus, huius nominis dux tercius, qui duxit uxorem filiam ducis Burgundie, Aleidim nomine, bonis moribus ornatam, sed multa et maxima infortunia passam. Que genuit ei tres filios et unam filiam: primogenitum Henricum [fatuum et insensatum, debilem et deformem], impotentem tam sensu quam viribus […]. Genealogiae ducum Brabantiae II. Genealogia ducum Brabantiae ampliata, ed. J. HELLER, in: ebd., S. 391-399, hier S. 397: […] primogenitum Henricum, impotentem tam sensu quam viribus, secundum Iohannem, elegantem et egregium, tercium Godefridum. Henricus et Maria Lovanii nati fuerunt, Iohannes et Godefridus Bruxelle. Iohannes autem proper defectum fratris sui Henrici primogeniti adeptus est ducatum Lotharingie et Brabantie […]. – P. AVONDS, Moedertrots, honor ducatus en legalisme in historiografie en literatuur. De opvolging van Hendrik III door Jan I. van Brabant (1261-1267), in: Bijdragen tot de Geschiedenis 80 (1997), S. 313-330. Den Hinweis auf diesen Fall verdanke ich Robert Stein, Leiden. 80 H. C. E. MIDELFORT, Verrückte Hoheit. Wahn und Kummer in deutschen Herrscherhäusern, aus dem Amerikanischen von P. E. MAIER, Stuttgart 1996, hier S. 68. – Siehe auch das ausführlicher dargelegte Fallbeispiel der Landgrafen von Hessen um 1500 bei C. NOLTE, Der kranke Fürst. Vergleichende Beobachtungen zu Dynastie- und Herrschaftskrisen um 1500, ausgehend von den Landgrafen von Hessen, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000), S. 1-36.
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gen Geistesgestörtheit indes ein bekanntes Beispiel dafür, dass ein verrückter Herrscher durchaus im Amt bleiben konnte.81 Was lässt sich aus diesen stark verkürzten Beobachtungen schließen? Zunächst einmal hat Rudolf Hiestand grundsätzlich sicher recht, wenn er körperliche Versehrtheit oder Krankheit von Herrschern tatsächlich als in den Quellen kaum vorzufindendes Phänomen ausmacht, wiewohl doch Krankheit und Versehrtheit natürlich auch die Herrscher betrafen. Bei genauerem Hinsehen kommen sie freilich doch häufiger in den Quellen, auch den erzählenden, vor, als es Hiestand glauben machen will.82 Vor allem muss man aber fragen, was es bedeuten kann, wenn bei einzelnen Kranken und Versehrten dann doch so ausführlich über deren Gebrechen geschrieben wird. In normativen Texten freilich findet sich, mit offenbar auslaufender Tendenz, das Ideal körperlicher Integrität als Postulat formuliert. Dieses kann man von antiken Traditionen und praktischen Erfordernissen von mittelalterlicher Herrschaft und Königtum herleiten. Die überlieferten Fälle, die Einsicht in die Lebenswirklichkeit kranker und versehrter Herrscher oder adeliger Führer gewähren, sprechen freilich, wenn überhaupt, eine andere Sprache – schon für das Früh- und Hoch- und erst recht für das Spätmittelalter. Man gewinnt den Eindruck, dass solche Kandidaten, zumal wenn es sich nicht um einen angeborenen Körperdefekt, sondern um eine Kampf- oder Turnierverletzung handelte, bei einer gewissen (Über-)Erfüllung der Leistungsnorm aus ihrer Versehrtheit oder Krankheit sogar soziales Kapital zu schlagen vermochten, indem diese in einer Art Narbenschau zu Ehrenzeichen umgewandelt83 bzw. sie selbst bei erfolgter Gesundung auch als von Gott geprüft und begnadet stilisiert werden konnten.84 Das passt ganz ins Bild einer durch und durch agonalen Gesellschaftsstruktur. Zu guter Letzt: Die Ausbildung und juristische Weiterentwicklung der Lehre von den zwei Körpern des Königs, eines natürlichen und eines politischen, wovon ersterer bekanntlich sterblich und “allen Anfechtungen ausgesetzt ist, die sich aus der Natur oder aus Unfällen ergeben, dem Schwachsinn der frühen 81 H. MÜLLER, Karl VI. (1380-1422), in: J. EHLERS / H. MÜLLER / B. SCHNEIDMÜLLER
(Hgg.), Die französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII. (888-1498), München 1996, S. 303-320, hier S. 303. 82 Weitere intensive Quellenlektüre wird hier sicher noch den einen oder anderen aufschlussreichen Fall erbringen. Insofern sind meine eigenen Ausführungen in O. AUGE, “So solt er im namen gottes” (wie Anm. 4), S. 24-27 zu modifizieren. 83 So das Fazit ebd., S. 32-36 mit dem Hinweis u.a. auf eine Predigt des englischen Augustinerchorherren John Mirk, die er in den 1380er Jahren hielt und in der er erklärte, dass gebeichtete Sünden beim Jüngsten Gericht nicht mehr als Schande, sondern als Ehre gelten würden. Denn wie ein Ritter seine Narben zeigen könne, so könne dies dann auch der tun, der zuvor gebeichtet habe. Siehe dazu Mirk’s Festial. A Collection of Homilies, ed. T. ERBE (Early English Text Society Extra Series 96), London 1905, S. 2: For ryght as a knyght scheweth Þe wondys Þat he haÞe in batayle, yn moche comendyng o hym; right so all Þe synnys Þat yschewet yn moch honowre to hym, and moche confucyon to Þe fende. 84 Dazu nochmals G. JORDAN, Hoffnungslos siech (wie Anm. 3), S. 258-259.
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Kindheit oder des Alters und ähnlichen Defekten, die in den natürlichen Körpern anderer Menschen vorkommen”, letzterer aber “ein Körper […] frei […] von den […] Mängeln und Schwächen [ist], denen der natürliche Körper unterliegt”85, mag bei der Durchsetzung und Rechtfertigung der Herrschaft Kranker und körperlich Versehrter durchaus hilfreich gewesen sein. Allerdings sind mir konkrete gedankliche Brückenschläge zwischen diesem theoretischen Gebilde der Juristen und der gelebten Praxis bisher nicht geläufig, wie sich auch die rege rex inutilis-Debatte nicht an Fragen der körperlichen Eignung, sondern der Tauglichkeit in ethischer oder rechtlicher Hinsicht aufhängte.86 Unabhängig davon, so darf man sicher behaupten, spielte die im späten Mittelalter wachsende staatliche Institutionalität beim Umgang mit der körperlichen (und geistigen) Idoneität eines Herrschers eine wichtige Rolle, indem neben dem Kranken ein Herrschafts- und Verwaltungsapparat entstanden war und ausgebaut wurde, der tatsächlich mehr und mehr unabhängig vom Krankheitszustand des Herrschers existieren und arbeiten konnte. Das Reich ging eben nicht unter und sein König musste auch nicht abgesetzt werden, als z.B. Karl IV., der Gebrechen des Alters wegen, in den letzten zehn Jahren seiner Herrschaft in weitgehende Passivität verfiel oder sein Sohn Sigismund seit 1422 immer mehr von schweren Gichtanfällen geplagt war.87 Auch wurde der 78jährige Friedrich III. nicht als Kaiser abgesetzt, als ihm 1493, zwei Monate vor seinem Tod, sein an Altersbrand erkranktes Bein amputiert werden musste.88 Gab es also das Postulat körperlicher Versehrtheit bei der Festlegung herrscherlicher Idoneität im Mittelalter? Blickt man auf die normative Seite, muss man diese Frage wohl mit einem gewissen “Ja” beantworten, wobei hierfür die weitere Sichtung gerade spätmittelalterlicher Rechtsquellen geboten ist. Die gelebte Praxis unterschied sich von dieser Norm bzw. dem Ideal körperlicher Integrität im konkreten Einzelfall, je nach den Umständen, aber offenbar in ganz erheblicher Weise.
85 E. PLOWDEN, Commentaries or reports, London 1816, S. 212a. – Zitate aus E. H. KANTOROWICZ,
Die zwei Körper des Königs / The King’s Two Bodies. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, mit einem Geleitwort von J. FLECKENSTEIN, München 1990 (Original Princeton 1957), S. 31. 86 Nochmals sei freilich daran erinnert, dass ursprünglich beides – körperliche und moralische Qualitäten – im Leitbild der Kalokagathie zusammenfloss. 87 Vgl. dazu kurz gefasst E. SCHUBERT, Probleme der Königsherrschaft (wie Anm. 22), S. 141. Siehe auch W. EBSTEIN, Die letzte Krankheit des Kaisers Sigismund, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 27 (1906), S. 678-682. 88 Dazu W. E. WAGNER, Das Reich auf einem Bein. Die Fußamputation Kaiser Friedrichs III. Ein Beispiel spätmittelalterlicher Chirurgie, in: Deutsches Ärzteblatt 97 (2000), H. 49, S. A3355. Die Gründe für Friedrichs III. Tod sind unklar und müssen nicht unbedingt mit der Amputation in Zusammenhang gestanden haben. Vgl. dazu auch H. KOLLER, Kaiser Friedrich III. (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2005, S. 234.
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rex […] magis ac magis […] deliravit Königskritik in den Chronica maiora des Matthew Paris
1. Einleitung Im Jahr 1237 heißt es in den Chronica maiora1 des englischen Benediktinermönchs Matthew Paris über Heinrich III., den König von England: “Der König […] wurde mehr und mehr […] irre.”2 Was veranlasste den Chronisten zu einem derartigen Urteil? Was genau bedeutete in seinen Augen “irre”?3 Nach dem Bericht des Matthew Paris4 beklagte Richard von Cornwall das Fehlverhalten seines Bruders Heinrich III. folgendermaßen: Er plündere sein Volk finanziell aus, er habe nichts in der Staatskasse, er verteile das Geld an die falschen Leute und das Land sei in einem desolaten Zustand. Und all dies täte er – und das wog in den Augen des Matthew Paris am schwersten – inconsulte. Aber die Hinweise seines Bruders verhallten unberücksichtigt, ebenso wie andere Ratschläge naturalium hominum suorum. Der König wurde also in den Augen des Mönchs “irre”, weil er den Belehrungen der englischen Großen keine Beachtung schenkte. Schlimmer noch: Er ließ sich von den falschen Personen beeinflussen – von Römern (dem Papst und seinem Legaten Otto) und anderen Ausländern (alienigeni – gemeint sind die nicht-englischen, zumeist französischen Großen im Land). Zusammengefasst heißt das: Der Herrscher wurde nach Mei1
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Das originale Manuskript der Chronica maiora ist in drei Teilen erhalten: A – Corpus Christi College, Cambridge, MS. 26 – beinhaltet den Text von der Schöpfung bis zum Jahr 1188 und wurde zu Lebzeiten des Matthew Paris in St. Albans von mehreren Händen geschrieben; B – Corpus Christi College, Cambridge, MS. 16 – umfasst die Jahre 1189 bis 1253 und ist ab 1213 autograph; R – British Museum Royal MS. 14 C vii – beinhaltet den Text der Chronica maiora von 1254 bis zum Ende (1259) und ist komplett autograph. Zudem existiert eine unter der Aufsicht von Matthew Paris angefertigte Kopie von B (British Museum Cotton MS. Nero D v). Insgesamt bestehen die Chronica maiora aus 497 Folianten. Sie wurden im 19. Jahrhundert ediert: Matthaei Parisiensis, Monachi Sancti Albani, Chronica Maiora, ed. H. R. LUARD (Rolls Series 57), 7 Bde., London 1872-1883 (ND London 1964). Sämtliche Zitate und Quellenangaben im vorliegenden Beitrag verweisen auf diese Edition (zukünftig abgekürzt mit CM für Chronica maiora). CM III, S. 411: rex […] magis ac magis […] deliravit. Im gleichen Bericht ist noch ein weiteres Mal von aliis deliramentis des Regenten die Rede: CM III, S. 412. CM III, S. 411-412.
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nung des Chronisten “irre” durch die falschen Ratgeber und unternahm dann “irre” Sachen – hauptsächlich finanzieller Natur. Für den Historiker bleibt zu fragen, ob sich ein “irrer” König in den Augen der Zeitgenossen überhaupt zur Herrschaft eignete? Wie urteilte Matthew Paris darüber? Die Chronica maiora weisen zahlreiche Stellen mit königskritischem Inhalt auf. Um diese Bemerkungen gemeinsam beleuchten und einordnen zu können, ist die im SFB “Transzendenz und Gemeinsinn” im Teilprojekt “Dynastie, Idoneität und Transzendenz” verwendete analytische Kategorie der Idoneität im Sinne der Eignung zur Herrschaft besonders hilfreich. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich also mit der Idoneität Heinrichs III. in den Chronica maiora des Matthew Paris. Ziel ist die Beantwortung folgender Fragen: Was wird am König kritisiert? Wie wird der König kritisiert? Was wird am König gelobt? Ein kurzer – aus Platzgründen keineswegs vollständiger – Blick auf die Behandlung anderer Regenten in den Chronica maiora soll zum Schluss eine weiterreichende Einordnung der Ergebnisse zu Heinrich III. ermöglichen. Doch vor der Beantwortung der obigen Fragen wird zuerst ein Blick auf die Begrifflichkeit der Analysekategorie im engsten Sinne geworfen: Wie wird der Begriff idoneus / idoneitas in den Chronica maiora verwendet?
2. Idoneitas in den Chronica maiora Der Begriff der Idoneität kommt in den Chronica maiora – ausschließlich als Adjektiv idoneus – insgesamt 91 Mal vor. Die Verwendung verteilt sich sowohl auf die zeitgenössischen Berichte des Matthew Paris selbst (51 Mal) als auch auf die von ihm kopierten Ausführungen seines Vorgängers Roger Wendover aus der Zeit vor ca. 1236 (40 Mal).5 Dabei findet sich der Gebrauch von idoneus gerade nicht im Zusammenhang mit Königen und Herrschern, sondern in zwei anderen Kontexten: 1.) Idoneus konnte ganz allgemein verwendet werden, beispielsweise für Gegenstände oder Orte. So heißt es etwa ligna […] idonea,6 lectum […] idoneum,7 locum idoneum,8 idoneum tempus9 oder idoneus carcer.10 2.) Bei weitem am häufigsten ist von geeigneten Personen die Rede, z.B.: militibus […] ad pugnam
Zu Matthew Paris und Roger Wendover vgl. R. VAUGHAN, Matthew Paris (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, Second Series 6), Cambridge 1958, S. 21-34 und V. H. GALBRAITH, Roger Wendover and Matthew Paris (David Murray Foundation Lectures 11), Glasgow 1944. 6 CM II, S. 96. 7 CM II, S. 120. 8 CM I, S. 325; CM III, S. 64; CM IV, S. 456. 9 CM IV, S. 62, 202; CM V, S. 271, 339. 10 CM V, S. 486. 5
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idoneis,11 testes idonei,12 procuratores idonei,13 personae idoneae14 oder auch viri idonei.15 Fast immer waren Personen in geistlichen Ämtern gemeint: kleinere Geistliche, aber auch Bischöfe und Äbte, bis hin zu Erzbischöfen und Päpsten. Fasst man alle Erwähnungen in den Chronica maiora zusammen, in denen das Wort idoneus in einem derartigen Kontext verwendet wurde, so kommt man auf 61 Stellen, also auf ca. 2/3 aller idoneus-Belege in der Chronik.16 Davon befinden sich wiederum 29 Stellen, also ca. 1/3 aller Belege, in eingefügten Dokumenten, in Briefen oder offiziellen Statuten. Was genau die Personen zu idoneae machte, erläuterte Matthew Paris nicht. Es hat vielmehr den Anschein, als wäre der Begriff selbstverständlich benutzt worden, als bedürfte er keinerlei Erklärung. Das lässt den Schluss zu, dass sowohl Schreiber als auch Adressaten der Chronik wussten, wodurch eine Person idonea für ein geistliches Amt war. Dies erscheint angesichts des klösterlichen Umfelds, in welchem das Werk entstand, nicht verwunderlich. Zu fragen bliebe, ob die verhältnismäßig häufige Verwendung des Begriffes in einem geistlichen Kontext und die äußerst seltene Verwendung im Zusammenhang mit weltlicher Herrschaft bedeuten, dass die Autoren den Begriff als solchen nur benutzten, wenn sie selbst in der Lage waren, seine Bedeutung, also die Idoneität einer Person zu beurteilen. Anders ausgedrückt: Roger Wendover und Matthew Paris kannten den Begriff idoneus aus ihren Vorlagen, den offiziellen Dokumenten (ganz zu schweigen von anzunehmender anderweitiger Kommunikation) – und zwar sowohl den Begriff als solchen als auch seine Bedeutung bezogen auf Geistliche und deren Eignung für Ämter. Daher konnten sie ihn im gleichen Kontext ohne weitere Erklärungen – wie selbstverständlich – auch benutzen.17 Bei dem König bzw. bei weltlicher Herrschaft erschien CM V, S. 486. CM II, S. 494, 515. CM II, S. 496, 518, 620; CM V, S. 707. CM II, S. 519, 571, 629; CM III, S. 317, 611; CM IV, S. 62, 401, 520, 521; CM V, S. 119, 182. 15 CM II, S. 633; CM III, S. 283, 315, 477; CM IV, S. 412, 415, 462; CM V, S. 238, 611. 16 Vgl. im vorliegenden Band den Beitrag von Jörg PELTZER, Idoneität. Eine Ordnungskategorie oder eine Frage des Rangs?, S. 23-37. 17 Dieses Ergebnis passt zu anderen Untersuchungen zu mittelalterlichen Wahrnehmungsmustern und Begrifflichkeiten: B. SCHNEIDMÜLLER, Wahrnehmungsmuster und Verhaltensformen in den fränkischen Nachfolgereichen, in: J. EHLERS (Hg.), Deutschland und der Westen Europas im Mittelalter (Vorträge und Forschungen 56), Stuttgart 2002, S. 263-302 hebt die Deutungen in der Geschichtsschreibung aufgrund von eigenen Wahrnehmungsmustern und Verhaltensformen und der allseitigen Interdependenzen hervor. Nicht verwunderlich wäre, wenn ein innerhalb der eigenen Wahrnehmungsmuster und für bestimmte Verhaltensformen etablierter Begriff die zugehörige (Be-)Deutung innehätte, ohne den im gleichen Horizont lebenden Zeitgenossen eigens erklärt werden zu müssen. J. FRIED, Gens und regnum. Wahrnehmungs- und Deutungsmuster politischen Wandels im früheren Mittelalter. Bemerkungen zur doppelten Theoriebindung des Historikers, in: J. MIETHKE / K. SCHREINER (Hgg.), Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, Sigmaringen 1994, S. 73-104 11 12 13 14
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er offenbar weniger tauglich, um Bewertungen vorzunehmen. Zwar konnte der Begriff im Zusammenhang mit Heinrich III. auftauchen, allerdings nur, wenn angeprangert wurde, dass nicht geeignete Personen von ihm in – hauptsächlich geistliche – Ämter eingesetzt wurden. Die Idoneität bezog sich also erneut auf die Geistlichen und nicht auf den König. Man kann allenfalls indirekt die Unterstellung herauslesen, dass Heinrich III. nicht in der Lage war, geeignete Personen zu erkennen. Dafür hatte er dementsprechend seine geistlichen Berater, deren Vorschlägen er allerdings keinerlei Beachtung schenkte (dazu siehe unten). Diese Beobachtung würde die These der Verwendung des Begriffes im bekannten Kontext stützen. Ebensowenig wie die Chronisten den Begriff im Zusammenhang mit weltlicher Herrschaft benutzten, war der König in der Lage, die Idoneität im geistlichen Kontext zu beurteilen. Es gibt lediglich eine konkrete Eigenschaft, die in den Chronica maiora als ungeeignet für einen König bezeichnet wurde: Zu junge Herrscher (Kinder) waren necdum […] idoneus18 bzw. nondum […] idoneus.19 Es zeigt sich deutlich: Der Begriff der Idoneität wurde in den Chronica maiora zwar verwendet, nicht jedoch in dem Kontext, der im vorliegenden Beitrag interessiert – der Eignung bzw. Nicht-Eignung zur weltlichen Herrschaft. Wie schon im Eingangszitat deutlich wird, ist das nicht gleichbedeutend damit, dass die Chronisten sich kein Urteil über weltliche Herrschaft erlaubt hätten. Es ist lediglich an andere Begrifflichkeiten geknüpft. Allerdings erbringt ebenfalls die Analyse der Wortgebräuche von inutilis, iniquus und sine virtute nicht das gewünschte Ergebnis. Auch diese Ausdrücke beziehen sich in den Chronica maiora hauptsächlich auf den geistlichen Bereich. Iniquus taucht sehr häufig – wie ein fester Ausdruck – im Zusammenhang mit den königlichen Ratgebern auf20 und ist damit zu behandeln wie idoneus im gleichen Kontext (siehe oben).
macht auf die zeitgenössische Verwendung von Begriffen aufmerksam, die aus zugehöriger Wahrnehmung und Deutung resultierten und nicht mit dem übereinstimmen müssen, was heutige Historiker mit dem Begriff assoziieren. Weiterführend sind darüber hinaus die Ergebnisse von H.-W. GOETZ, Vergangenheit und Gegenwart. Mittelalterliche Wahrnehmungs- und Deutungsmuster am Beispiel der Vorstellungen der Zeiten in der frühund hochmittelalterlichen Historiographie, in: H. BLEUMER / H.-W. GOETZ / S. PATZOLD / B. REUDENBACH (Hgg.), Zwischen Wort und Bild. Wahrnehmungen und Deutungen im Mittelalter, Köln/Weimar/Wien 2010, S. 157-202, der am Beispiel des für den Historiker zentralen Begriffes ‘Vergangenheit’ aufzeigt (S. 194): “Wahrnehmungs- und Deutungsmuster des Verständnisses von der Vergangenheit bestimmten Denken und Schreiben unserer Chronisten. Da sie aber nirgends explizit reflektiert werden, sind sie behutsam aus den Texten herauszuarbeiten.” 18 CM I, S. 34. 19 CM I, S. 450; CM III, S. 145. 20 Z.B. CM III, S. 264: […] iniquos regis consiliarios.
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3. Art der Kritik an Heinrich III. in den Chronica maiora Heinrich III. bzw. die gesta regum nahmen in den Chronica maiora – wie seine Vorgänger bzw. deren Taten auch und wie in Chroniken dieser Art üblich – einen zentralen Platz ein. Schon allgemeine Arbeitsweisen des Autors orientierten sich an seiner Person: So erfolgte beispielsweise der chronologische Aufbau des Werkes, mit dem sich David Carpenter ausführlich beschäftigt hat,21 anhand bestimmter religiöser Daten und dem zugehörigen Aufenthaltsort des Regenten. Jeder Jahresbericht beginnt mit einer Darstellung, wo der König Weihnachten verbracht hat, und folgt dann über das Jahr hinweg den Aufenthaltsorten des Herrschers, vor allem an speziellen religiösen Festen. Diese Grundstruktur, ebenso wie viele weitere Arbeitsweisen, hat Matthew Paris von seinem Vorgänger Roger Wendover übernommen, der die Chronik bis ca. 1236 schrieb. Matthew übernahm danach die Arbeit an dem Werk, schrieb es erneut ab, überarbeitete es und führte es fort.22 Es ist meines Erachtens nicht auszuschließen, dass er schon vor 1236 im Skriptorium von St. Albans mit Roger zusammen gearbeitet hat.23 Insofern lohnt sich bei der Frage nach der Idoneität in den Chronica maiora ein kurzer Blick auch auf Roger und seine Bewertung des englischen Königs. Die wichtigsten Kritikpunkte beider Chronisten an Handlungen des Königs in seinem Amt sind: - Die Bevorzugung von Ausländern gegenüber den Einheimischen - Das Nichtannehmen der Ratschläge der einheimischen Großen - Die eigenmächtige Einsetzung falscher Personen in geistliche Ämter - Die finanzielle Ausplünderung seiner Untertanen An die obigen Punkte gekoppelt waren bestimmte – kritisch beurteilte – Eigenschaften des Regenten: - Zorn - Verschwendungssucht - Beeinflussbarkeit Ein oft aufkommender Vorwurf ist, dass er nur levitas, also Wankelmut, und keine modestia, also keine Besonnenheit, kenne. All diese Kritikpunkte hingen bei den Chronisten miteinander zusammen und ergänzten sich gegenseitig. Selten wurden sie einzeln genannt; vielmehr tauchen immer wieder Kombinationen aus den verschiedenen Elementen auf, wie 21 Ich beziehe mich hier auf den Vortrag “Matthew Paris – the historian?”, den David Car-
penter im Jahr 2010 auf dem Matthew-Paris-Symposium hielt. Ich danke ihm für die Einsicht in das Manuskript seines Aufsatzes “Chronology and truth: Matthew Paris and the Chronica Majora”, welcher im zugehörigen Tagungsband erscheinen wird. 22 Zu Matthew Paris und Roger Wendover vgl. Anm. 5. 23 Dieselbe Vermutung stellt D. CARPENTER, Chronology (wie Anm. 21) in einer Fußnote an.
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beispielsweise die Einsetzung eines Ausländers in ein Amt ohne Befolgung der Ratschläge der Einheimischen oder die Verschwendung von Geld nach finanzieller Ausplünderung der Untertanen. Alle Kritikpunkte auf einmal lassen sich regelmäßig in den Schilderungen der Parlamente in London ausmachen. Als Beispiel sei das Parlament vom Februar 1242 betrachtet, auf welchem Heinrich III. von den englischen Großen finanzielle Unterstützung für seine anstehende Auseinandersetzung in Frankreich um das Poitou einforderte.24 Laut Matthew Paris hatten sich die Adeligen zuvor abgesprochen, dem König geschlossen die finanzielle Unterstützung zu verweigern. In ihrer Begründung gegenüber dem Regenten finden sich alle bekannten Kritikpunkte: Die gesamte Idee eines Einschreitens in das Poitou komme von einem Fremden – in diesem Fall dem Grafen von La Marche, der lediglich auf des Königs Geld aus sei. Heinrich III. habe sich beeinflussen lassen und zugestimmt ohne vorherige Beratung mit seinen einheimischen Adeligen. Da er schon viel zu oft große finanzielle Mittel von seinen Untertanen eingefordert und zum Teil sinnlos verschwendet habe, wollten sie ihm in diesem Falle nichts mehr geben. Die Reaktion der Adeligen habe den Zorn des Königs hervorgerufen. Er ersann angeblich einen hinterlistigen Plan, um trotzdem an sein Geld zu kommen. Jeder potenzielle Geldgeber sei einzeln zum König gerufen worden, und es seien ihm Beträge genannt worden, die scheinbar andere Magnaten gegeben hätten. Ein Teil der Geldgeber habe sich von der List umstimmen lassen. Zum Ärger des Regenten sei ein anderer Teil trotzdem hartnäckig geblieben und verwies ihn erneut auf die Missachtung seiner “natürlichen” Untertanen.25 Das Parlament wurde vom zornigen König aufgelöst.26 Hier wie in den gesamten Chronica maiora deutlich zu erkennen ist die grundsätzliche Kritik an der Missachtung der einheimischen Großen Englands.27 Diese Kritik war keineswegs neu und resultierte aus der englischen Tradition, laut welcher die Mitwirkung der Magnaten an der Regierung eine entscheidende Rolle spielte.28 Für diese Beteiligung waren die Parlamente von zentraler Bedeu24 CM IV, S. 181-184. 25 In wörtlicher Rede siehe CM IV, S. 183: […] spretoque naturalium tuorum favore. 26 Laut Matthew Paris (CM IV, S. 185-188) entstand später eine Abmachung zwischen
Heinrich III. und den Adeligen, dass sie ihn nur unterstützen würden, sollte der französische König seinen Eid brechen. Im Endeffekt gaben sie ihm das Geld für seinen Feldzug; zur Einordnung vgl. R. C. STACEY, Politics, Policy, and Finance under Henry III 12161245, Oxford 1987, S. 160-200, Kapitel 5: Diplomacy, War and Finance: The Campaign for Poitou, zum Parlament und seinen Folgen siehe speziell S. 184-192. 27 Dazu siehe auch K. SCHNITH, England in einer sich wandelnden Welt (1189-1259). Studien zu Roger Wendover und Matthäus Paris (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 7), Stuttgart 1974, S. 70-71, der den Begriff naturalis im Zusammenhang mit dem dominus naturalis und den homines naturales in den Chronica maiora erläutert. 28 Die Rolle, welche die englischen Magnaten für die königliche Regierung spielten, wird ausführlich und vergleichend zu Deutschland herausgestellt bei B. WEILER, Kingship, Rebellion and Political Culture. England and Germany, c. 1215-c. 1250 (Medieval Culture and Society), Basingstoke 2007. Dort heißt es beispielsweise auf S. 15: “This also points
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tung, da dort Zustimmung und Kritik artikuliert werden konnten. Darüber hinaus stellten sie sowohl für den König als auch für die Magnaten die für eine erfolgreiche Politik notwendige Öffentlichkeit bereit.29 Das Verhältnis beider Parteien zueinander wurde bereits in früheren Chroniken zum Thema.30 So maß Wilhelm von Malmesbury den englischen Großen – insbesondere den Bischöfen – als Beratern des Regenten einen hohen Stellenwert zu,31 da deren Konsilium “weitestgehend als Korrektiv zu sehen ist.”32 Darüber hinaus kritisierte Wilhelm das eigentlich positive königliche Herrschaftsinstrument der Großzügigkeit, wenn es zur Verschwendungssucht wurde. Ebenso lehnte er die Habgier ab. Auch Heinrich von Huntingdon kritisierte die Gier nach Geld und die königliche Steuereintreibung.33 Die Parallelen zu den Chronica maiora sind unverkennbar, jedoch nicht verwunderlich, denn sowohl Wilhelm von Malmesbury
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to one of the distinguishing characteristics of English politics from the late twelfth century onwards: unlike in Germany, the composition of the king’s administrative apparatus mattered. […] Building on the administrative procedures of the late Anglo-Saxon kingdom, the Norman and Angevin kings had developed a range of procedures and mechanisms unparalleled for most of the Middle Ages. The rivalry between des Roches and de Burgh, for instance, manifested itself in a struggle over access to the king and to the means of governance. The ability to raise and maximise the king’s revenues was both the tool by which predominance at court could be established, and an instrument with which rivals could be fought.” Zur Regierung in England allgemein vgl. beispielsweise das Buch von R. C. STACEY, Politics (wie Anm. 26) oder auch grundlegend Sir M. POWICKE, The Thirteenth Century. 1216-1307 (The Oxford History of England 4), Oxford 21962 und R. HUSCROFT, Ruling England, 1042-1217, London 2005; zur Regierung Heinrichs III. siehe auch D. CARPENTER, The Reign of Henry III, London 1996, der vor allem die Eindrücke, welche man nach alleiniger Lektüre der Chronica maiora bekommt, relativiert, speziell S. 75-106. B. WEILER, Kingship (wie Anm. 28), S. 114-121. Die folgenden Informationen zu Wilhelm von Malmesbury und Heinrich von Huntingdon sind dem Aufsatz von A. PLASSMANN, Bedingungen und Strukturen von Machtausübung bei Wilhelm von Malmesbury und Heinrich von Huntingdon, in: N. KERSKEN / G. VERCAMER (Hgg.), Macht und Spiegel der Macht. Herrschaft in Europa im 12. und 13. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Chronistik (Deutsches Historisches Institut Warschau, Quellen und Studien 27), Wiesbaden 2013, S. 145-171 entnommen. Ebd., S. 150 bei A. PLASSMANN heißt es zu Wilhelm von Malmesbury: “Das Gleichgewicht zwischen Großen und dem König, das richtige Verhalten beider Parteien gegenüber der jeweils anderen ist also zunächst einmal Bedingung für eine gelungene Herrschaft, denn gelungen ist nur die Herrschaft, die den inneren Frieden gewährleistet.” Ebd., S. 161. Ebd. Gier als generell abzulehnende Eigenschaft eines Herrschers zeigte sich schon beim Herrschaftsantritt, wenn der zukünftige Regent allzu schnell sein Amt antreten wollte. Dazu vgl. B. WEILER, The rex renitens and the medieval ideal of kingship, ca. 900-ca. 1250, in: Viator 31 (2000), S. 1-42. WEILER stellt einige grundlegende Überlegungen zum guten und schlechten König und zum Verhältnis zwischen König und Untertanen an. Darüber hinaus rekonstruiert er Vorlagen für mittelalterliche Einstellungen zum Herrscher, wie beispielsweise Gregor den Großen oder Johannes von Salisbury, die auch in St. Albans bekannt waren.
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als auch Heinrich von Huntingdon dienten den Chronisten aus St. Albans als Vorlagen.34 Die bei Matthew Paris zusätzliche Betonung der Beratung des Königs durch die einheimischen Magnaten und der Ablehnung von Fremden erstreckt sich in den Chronica maiora sogar noch weiter als auf Heinrich III. allein, denn alle Herrscher – und seien sie noch so fremd wie beispielsweise die Mongolen – wurden positiv betrachtet, wenn sie sich an diese Regeln hielten. Dieser Aspekt ist ein Grundtenor des gesamten Werkes.35 Inhaltlich unterschied sich die Kritik an Heinrich III. bei Roger Wendover und Matthew Paris nicht. Roger kritisierte den Herrscher allerdings wesentlich gemäßigter als später Matthew, welcher die Kritik erheblich intensivierte.36 Dies hängt möglicherweise damit zusammen, dass Matthew eine längere Regierungszeit des ‘erwachsenen’ Herrschers miterlebte als Roger.37 In den 13 zeitgenössischen Berichtsjahren des Roger Wendover finden sich neun königskritische Stellen. Davon wiederum stammen nur sechs von ihm selbst, drei wurden später – von Matthew Paris – eingefügt bzw. verändert. So machte Matthew den König beispielsweise kurzerhand vom “Bedenkengeber” zum “Nörgler”38 In den 13 Jahren mit alleiniger Urheberschaft des Matthew Paris weisen die Chronica maiora rund 100 königskritische Stellen auf. In dieser Zeit wurde Heinrich III. zudem zehn Mal explizit als tyrannus bezeichnet. Diese Betitelung findet sich im Zusammenhang mit den oben erläuterten Kritikpunkten der Fremdenbevorzugung und der finanziellen Ausplünderungen und steht eindeutig in der Tradition der Definitionen des Isidor von Sevilla und des Johannes von Salisbury,39 deren Werke den Chronisten bekannt waren.40 34 Vgl. die Liste der Vorlagen in der Edition von H. R. LUARD, Matthaei Parisiensis (wie
Anm. 1), Bd. 1, S. XXXV-XXXVIII.
35 Ich beziehe mich hier auf den Vortrag, den Björn Weiler im Jahr 2010 auf dem Matthew-
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Paris-Symposium hielt. Ich danke ihm für die Einsicht in das Manuskript seines Aufsatzes “Matthew Paris and Europe”, welcher im zugehörigen Tagungsband erscheinen wird. Vergleichende Untersuchungen zum Verhältnis von Roger Wendover und Matthew Paris zu Heinrich III. werden angestellt von K. SCHNITH, England (wie Anm. 27), S. 66-81, der sogar urteilt (S. 79): “Lassen sich Willkürakte bei objektiver Betrachtung auch nicht leugnen, so geht Matthäus Paris in seiner Kritik doch weit über das angebrachte Maß hinaus.” Heinrich III. wurde 1207 geboren und 1216 als 9-jähriger zum König gekrönt. Eine zweite Krönung erfolgte 1220, 1223 wurde er durch den Papst für volljährig erklärt. Ab diesem Zeitpunkt setzen die kritischen Töne in den Chronica maiora ein. Roger Wendover ‘blieben’ damit ca. 13 Jahre als Zeitgenosse des Königs, während Matthew Paris sowohl diese 13 Jahre als auch weitere 13 Jahre eines älteren Regenten miterlebte. CM III, S. 121: Aus dem ursprünglichen rex […] causatus est des Roger Wendover wird durch eine Änderung des Matthew Paris: rex […] calumpniavit. Isidor von Sevilla, Etymologiae, lib. IX, cap. 3.20, in: Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von L. MÖLLER, Wiesbaden 2008, S. 342 und Johannes von Salisbury, Policraticus 8,17-19, in: Johannes von Salisbury, Policraticus. Eine Textauswahl, ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von S. SEIT (Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters 14), Freiburg 2008, S. 303-349; siehe auch K. SCHNITH, England (wie Anm. 27), S. 79; zum schlechten Herrscher als Tyrann und den zugehörigen Vorlagen vgl. B. WEILER, The rex renitens (wie Anm. 33), S. 37-38.
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Man könnte die Frage aufwerfen, ob sich die Kritik auf die Person des Königs als solcher oder auf seine Amtsausübung bezog. Björn Weiler stellt fest: “[…] Matthew constructed events as a continuous critique of the king’s person, rather than his government, […]”.41 Das Amt angetreten hatte der Regent allerdings in den Augen Roger Wendovers trotz der Fehlnisse des eigenen Vater ohne negative Vorurteile von Seiten des Chronisten, denn “man dürfe die iniquitas des Vaters nicht dem Sohn anrechnen.”42 Laut Karl Schnith wurde die Entwicklung hin zu einem schlechten Herrscher erst in der Regierung sichtbar, während derer sich Heinrich III. nicht an grundlegende Pflichten gehalten habe.43 Schnith führt aus: “Die von Roger Wendover wie später von Matthäus Paris immer wieder an Heinrich III. geübte Kritik ruht auf der Überzeugung, daß der Monarch zur Einhaltung seiner Pflichten veranlaßt werden müsse.”44 In meinen Augen bleibt festzuhalten, dass sich für Roger und Matthew Eigenschaften der Person des Königs auf seine Regierung auswirkten – beides stand in den Chronica maiora in der Kritik und hing ursächlich miteinander zusammen.
4. Form der Kritik an Heinrich III. in den Chronica maiora Im Folgenden soll dargelegt werden, auf welche Art und Weise Kritik an Heinrich III. in den Chronica maiora zum Vorschein kommt, denn es lässt sich ein ganzes Methodenrepertoire erkennen.45 40 Vgl. R. W. HUNT, The library of the Abbey of St. Albans, in: M. B. PARKES /
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A. G. WATSON (Hgg.), Medieval Scribes, Manuscripts & Libraries. Essays presented to N. R. Ker, London 1978, S. 251-277, hier speziell S. 255-256 und die Liste der Vorlagen in der Edition von H. R LUARD, Matthaei Parisiensis (wie Anm. 1), Bd. 1, S. XXXVXXXVIII. B. WEILER, Kingship (wie Anm. 28), S. 21. K. SCHNITH, England (wie Anm. 27), S. 66; CM III, S. 2: […] quia patris iniquitas, ut cunctis videbatur, filio non debuit imputari; […]. K. SCHNITH, England (wie Anm. 27), S. 66-81. Ebd., S. 73. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Kritik und die dadurch zum Vorschein kommende mangelnde Idoneität des Regenten in den Chronica maiora nicht mit einer generell fehlenden Legitimation Heinrichs III. einhergehen. Der König befand sich nach Ansicht der Chronisten in der Reihe der vergangenen Herrscher Englands, und die grundsätzliche Akzeptanz dieser Herrschaft und der dafür vorgesehenen Männer standen nicht in Frage – lediglich die Idoneität der Einzelpersonen. Dieses Grundprinzip wird in der Chronik besonders deutlich durch die zeichnerischen Genealogien (Cambridge, Corpus Christi College, MS 16, fol. vr-vv). Für seine nachfolgenden Werke, die alle aus den Chronica maiora entstanden sind, arbeitete Matthew Paris diese Genealogien immer weiter aus; vgl. jüngst O. DE LABORDERIE, Genealogiae orbiculatae: Matthew Paris and the Invention of Visual Abstracts of English History, in: J. BURTON / P. SCHOFIELD / B. WEILER (Hgg.), Thirteenth-Century England XIV. Proceedings of the
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In den meisten Fällen wurde Kritik – wie man sicherlich auch erwarten würde – direkt durch wertende Aussagen über den König geäußert. Dabei kamen häufig die Ausdrücke non decere bzw. non debere zur Anwendung. So hieß es beispielsweise im Jahr 1242 in den Chronica maiora: “[…] und so war der englische König eher ein Münzprüfer, ein Geldwechsler oder ein Kaufmann, als ein König und Führer und großartiger Lehrer der Ritter, der sein Vertrauen mehr in die Geldmünzen als ins Militär legte. Und auf diese Art zierte es sich nicht für einen mächtigen König zum Kampf provoziert zu werden.”46
Heinrich III. war für den Krieg auf dem Kontinent von den Franzosen im Poitou zu Hilfe gerufen worden – allerdings nicht, um militärisch zu helfen, sondern um Geld zu bringen. Die Kritik bezieht sich folglich darauf, dass Heinrich III. den Stellenwert finanzieller Hilfe höher einschätzte als die militärische, was für einen König nicht angemessen sei. Die Provokation zum Kampf bzw. der Eintritt in den Krieg erfolgte aus Gründen wie der Verteidigung des inneren Friedens und der Darstellung der militärischen Überlegenheit – nicht, weil man finanzielle Unterstützung liefern wollte.47 Das Einschreiten in den Krieg war also nicht per se falsch, sondern die Beweggründe konnten es sein. Ähnlich verhielt es sich mit dem königlichen Zorn, der nicht grundsätzlich abzulehnen war. Im Jahr 1254 finden wir den Satz: “Der englische König ist, als er dies hörte, zornig gewesen, aber nicht wie er gemusst hätte, wenn er ein königliches Herz hätte.”48 Es wird deutlich, dass nicht jede Form des königlichen Zorns negativ und kritikwürdig war. Hier ist sogar das Gegenteil der Fall – der König hätte zorniAberystwyth and Lampeter Conference, 2011, Woodbridge 2013, S. 183-202. In der Historia Anglorum – der direkten Nachfolgerin der Chronica maiora – finden wir bereits die sogenannte Galerie der Könige (London, British Library, MS Roy. 14.C.VII, fol. 8v-9r). Die Galerie der Könige beginnt bei Wilhelm dem Eroberer und beinhaltet damit die anglonormannischen Könige. In einer weiteren Kürzung der Historia Anglorum – der Abbreviatio Chronicorum – geht die Reihe noch weiter nach hinten, beginnt bei Brutus und umfasst 8 folia (London, British Library, MS Cotton Claudius D.VI, fol. 6r-9v). Suzanne Lewis schlug vor, dass diese ausführliche Reihe ursprünglich für die Chronica maiora gedacht war, vgl. S. LEWIS, The Art of Matthew Paris in the Chronica Majora (California Studies in the history of art 21), Berkeley/Los Angeles 1987, S. 140-158; zur Bedeutung von Genealogien beachte insbesondere G. MELVILLE, Vorfahren und Vorgänger. Spätmittelalterliche Genealogien als dynastische Legitimation zur Herrschaft, in: P.-J. SCHULER (Hg.), Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, Sigmaringen 1987, S. 203-309 und im vorliegenden Band auch DERS., Zur Technik genealogischer Konstruktionen, S. 293-304. 46 CM IV, S. 190-191: […] acsi potius rex Anglorum esset nummularius, trapezita, vel institor, quam rex et militum dux et paeceptor magnificus, in nummis magis quam militia reponens fiduciam. Et hoc modo non decuit regem potentem ad Martia certamina provocari. 47 Dazu vgl. auch A. PLASSMANN, Bedingungen und Strukturen von Machtausübung (wie Anm. 30). 48 CM V, S. 463: Rex autem Anglorum cum hoc audiret, iratus est, sed non ut debuisset, si cor haberet regale.
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ger sein müssen als er tatsächlich war. Plassmann verwendet die Formulierung der “Waffe des königlichen Zornes”,49 welche als Eigenschaft eines Herrschers durchaus vorhanden sein musste. Auch Matthew Paris hielt dies offenbar für nötig, vor allem, wenn der König – wie in diesem Fall – durch seinen Zorn seine Loyalität gegenüber den eigenen Untertanen hätte zeigen müssen.50 Der Mönch kritisierte dagegen Zorn in Form der Raserei (velut furiosus51), die sich auf falsche Personen erstreckte oder in falschen Situationen auftrat und unangemessen war, und die nicht mit der Form des gerechtfertigten und notwendigen Zorns verwechselt werden darf. Eine weitere Variante der direkten Kritik ist Matthews ganz persönliche Meinung, die er in regelmäßig vorkommenden Schimpftiraden – eingeleitet oder begleitet durch die Worte proh dolor – unverblümt äußerte. Ein Beispiel aus dem Jahr 1253 verdeutlicht dies: “Weil dieses alberne Zeug sich immer wiederholt, wird es, leider! nicht mehr für groß gehalten.”52 Derartige Schimpftiraden sind häufig wesentlich länger und können sich auf bis zu zwei edierte Seiten der Chronica maiora erstrecken. An dieser Stelle sei kurz auf das hier verwendete Wort deliramentum eingegangen. Der Ausdruck lässt sich in den Chronica maiora noch ein weiteres Mal finden, wie das Eingangszitat des Aufsatzes zeigt (deliravit). In beiden Fällen wurde nicht der geistige Gesundheitszustand des Königs angezweifelt; es gab eine Erklärung für die Verwirrung des Regenten: Im einen Fall war das deliramentum, dass er contra commune decretum gehandelt hatte, im anderen Fall war er durch das Zureden seiner schlechten (ausländischen) Berater derart verwirrt, dass er falsche Entscheidungen traf. Es handelt sich damit um die bekannte Kritik an der fehlenden Berücksichtigung der Meinungen seiner Untertanen und an seiner Beeinflussbarkeit. Neben diesen direkten Methoden der Kritik finden sich in den Chronica maiora einige indirekte, teils weniger offensichtliche Varianten. Zum einen äußerte Matthew Paris die Kritik häufig durch andere Personen – teilweise in wörtlicher Rede –, legte sie also anderen in den Mund.53 So konnte
49 A. PLASSMANN, Bedingungen und Strukturen von Machtausübung (wie Anm. 30), S. 155;
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vgl. auch G. ALTHOFF / H. KAMP, Die Bösen schrecken, die Guten belohnen. Bedingungen, Praxis und Legitimation mittelalterlicher Herrschaft, in: G. ALTHOFF / H.W. GOETZ / E. SCHUBERT, Menschen im Schatten der Kathedrale. Neuigkeiten aus dem Mittelalter, Darmstadt 1998, S. 1-110, hier speziell S. 63-64, auf denen die Entwicklung vom Zorn als Todsünde hin zum Zorn als ‘gerechtem Zorn’, also als Mittel zur Durchsetzung der Gerechtigkeitsliebe, geschildert wird. Einige englische Magnaten waren bei einer Durchreise im Poitou trotz anders lautender Absprachen in eine Falle gelockt worden. CM V, S. 326. CM V, S. 361: Hoc deliramentum quia saepe iteratur, non jam pro magno, proh dolor! reputatur. Dazu siehe beispielsweise B. WEILER, Matthew Paris on the Writing of History, in: Journal of Medieval History 35 (2009), S. 254-278, hier S. 273-274.
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der Autor sich selbst von den Äußerungen scheinbar distanzieren, obwohl sie natürlich dennoch niedergeschrieben sind. Außerdem verwendete Mittel der Kritik waren Ironie und Sarkasmus, etwa wenn der Mönch im Jahr 1253 anmerkte, nachdem die Bürger aus Westminster dem König ein kostbares Geschenk gemacht hatten: “Aber der König verpflichtete sie als Dank dazu, zweihundert Mark […] zu zahlen.”54 Sogar in Zeichnungen versteckte der Chronist Kritik, allerdings nicht in Darstellungen des Königs direkt, sondern auf intelligente Weise indirekt, wie Suzanne Lewis deutlich gemacht hat:55 So beschwerte sich Matthew im Jahr 1245 heftig über die im Auftrag des Königs durchgeführte Untersuchung der königlichen Wälder und die dabei verhängten Strafen, die den König erheblich bereichert hätten. Wie für ihn üblich, verwies er auf zugehörige Dokumente mit Hilfe eines Verweiszeichens – in diesem Fall eines Hirschs mit heraushängender Zunge (Abb. 1). Im gleichen Jahr ließ der König die Kirche in Westminster prunkvoll wieder aufbauen und erweitern. Auch dies wurde zeichnerisch festgehalten, und die zugehörige Großzügigkeit des Regenten wurde im Text gelobt. Betrachtet man nun beide Bildausschnitte gemeinsam, so zeigt sich in den Chronica maiora folgendes Bild:56 Ein mit hängender Zunge hinter Westminster Abbey hervorschauender Hirsch. Es sollte damit für den Leser ein leichtes sein, zu erschließen, dass der aufwendige Bau der Kirche zum Großteil aus den Geldeintreibungen im Zusammenhang mit den königlichen Wäldern finanziert wurde. Ähnlich verhielt es sich meines Erachtens im Jahr 1221, in welchem der König sehr kostspielig eine Burg bei Montgomery erbauen ließ. Laut Roger Wendover verlangte er dazu einen erheblichen Geldbetrag von den Magnaten. Matthew Paris zeichnete die Burg neben den Text und überschrieb sie mir den Worten Castrum montis Gomerici (Abb. 2).57 Direkt unter der Burg findet sich der Schriftzug Nota scutagium, welcher sich auf die im Text beschriebene Geldforderung des Königs bezog. Durch die Anordnung begreift der Betrachter – auch wenn er den Text nicht gelesen hat – sofort, dass der Burgenbau durch eine königliche Geldeintreibung finanziert worden war. Die Methoden, um Kritik am Regenten zu üben, sind somit sehr vielfältig – direkt und indirekt – in den Chronica maiora sichtbar.58
54 CM V, S. 359: Rex autem pro gratiarum actionibus ipsos ad ducentas marcas […] persolvendas 55 56 57 58
obligavit. S. LEWIS, The Art of Matthew Paris (wie Anm. 45), S. 224-225. Cambridge, Corpus Christi College, MS 16, fol. 187r. Ebd., MS 16, fol. 61r. Der König selbst wurde in den Chronica maiora auch mehrfach zeichnerisch festgehalten, in diesen Bildern findet sich allerdings, was nicht erstaunlich ist, keine Kritik oder Negativität.
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5. Veränderung von Kritik an Heinrich III. in den Chronica maiora Sehr interessant ist die Beobachtung, dass die geäußerte Kritik am König bei einer späteren Überarbeitung der Chronik durch Matthew größtenteils als vacat, also als “wegzulassen” gekennzeichnet wurde. In den Chronica maiora wurden zahlreiche Stellen von Matthew Paris am Rand des Textes mit der Bemerkung bzw. Anweisung versehen, diese wegzulassen. Es handelt sich dabei um Textstellen, die sowohl von seinem Vorgänger Roger Wendover stammten, als auch von Matthew selbst. Er überarbeitete also seine eigenen Berichte – und zwar Jahre später – und stufte dabei einiges als “besser wegzulassen” ein.59 Häufig wurde die Begründung für das Weglassen mitgeliefert: Vacat quia offendiculum.60 Oder: Vacat quia offensa.61 Oder, sehr deutlich: Vacat, non quia falsam, sed provocans.62 Untersucht man nun die Textstellen, die mit vacat gekennzeichnet wurden, auf ihren thematischen Kontext, so ist das Ergebnis eindeutig. Es handelt sich fast ausnahmslos um zumeist lange Passagen über den englischen König, in denen dieser in ein mehr als schlechtes Licht gerückt wurde. Gerade das vielfach verwendete Wort tyrannus wurde immer mit vacat versehen. Die Bemühung, den Text königsfreundlicher zu gestalten, ist unübersehbar. Sie wird verstärkt durch eine weitere Beobachtung: Die Überlieferung der Chronica maiora lässt es zu, zahlreiche Stellen zu identifizieren, an denen Matthew Text, der bereits geschrieben war, wieder entfernte. Einige dieser entfernten Textstellen lassen sich mit Hilfe einer zeitgenössischen Kopie des Manuskripts, die ebenfalls heute noch im Original erhalten ist, rekonstruieren. So hieß es beispielsweise ursprünglich im Jahr 1246 in einem Bericht über den König: “Aber er [der König] erlaubte dem Erzbischof Bonifaz England, […], unwiederbringlich mürbe zu machen.”63 Der letzte Teil des Satzes wurde gestrichen und später deutlich freundlicher formuliert: “Aber er [der König] erlaubte dem Erzbischof Bonifaz in England, […], besagte (Geld-)Sammlung durchzuführen.”64 Bei all diesen Textstreichungen und dem ersetzten Text handelt es sich um Abschwächungen der vorher starken Wertungen. Sie beziehen sich wiederum zum Großteil auf Heinrich III. 59 Wo genau die betreffenden Stellen weggelassen werden sollten, ist umstritten; vgl.
R. VAUGHAN, Matthew Paris (wie Anm. 5), S. 64-65. Z.B. CM III, S. 618. Z.B. CM III, S. 410. CM III, S. 381. CM IV, S. 510: […] sed eidem archiepiscopo B[onefacio] concessit Angliam, […], irrestaurabiliter macerare. 64 Ebd: […] sed eidem archiepiscopo B[onefacio] concessit per Angliam, […], praedictam habere collationem. 60 61 62 63
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Sämtliche Formen der Abschwächung königlicher Kritik – der entfernte Text und die vacat-Stellen – lassen sich nach dem Jahr 1246 nicht mehr in der Chronik finden. Dies könnte mit einem Ereignis aus dem Jahr 1247 zusammenhängen, als Matthew Paris selbst in Westminster zum Fest des heiligen Eduard des Bekenners anwesend war. Es gab eine Prozession des Königs durch die Stadt, da dieser aus dem Heiligen Land das Blut Christi geschenkt bekommen hatte, welches er nun feierlich präsentierte. Matthew hielt dieses Ereignis auch zeichnerisch in seiner Chronik fest.65 Er betonte im Text, dass nur der christlichste aller Könige, also der rex christianissimus, dieses Geschenk bekommen konnte. Zu eben dieser Gelegenheit habe der König selbst den Chronisten aufgefordert, die Geschehnisse in seinem Werk niederzuschreiben und habe ihn dann noch zum Abendessen eingeladen.66 Wir haben also zusammengefasst einen Tag, an dem der englische König sich zum einen durch ein göttliches Zeichen als sehr würdig herausstellte und zudem die Person des Chronisten selbst und sein Werk ganz direkt mit dem Herrscher in Verbindung kommen. Matthew traf den König in den darauffolgenden Jahren noch mehrfach, der Regent verbrachte allein neun Mal mehrere Tage in St. Albans.67 Es wäre sicherlich denkbar, dass dieser spezielle Tag und seine Ereignisse den Chronisten dazu veranlassten, die kritischen Töne fortan zu unterlassen und die bisherige Arbeit zu korrigieren.68 Tatsächlich finden sich in den Jahren zwischen 1247 und 1250 kaum noch kritische Textstellen. Meine These ist, dass der Chronist durch die Ereignisse und die persönliche Ansprache 1247 seinen Adressatenkreis plötzlich erweitert sah, wenn nicht sogar auf den König selbst, dann doch zumindest auf dem Königshaus nahestehende Personen. Daher sah er sich veranlasst, eine abgemilderte Form seiner Chronik zu entwickeln.69 Dass er dieses Vorhaben nicht dauerhaft einhielt, zeigen seine Wertungen nach dem Jahr 1250 bis zu seinem Tod 1259, welche in dieser Zeit sogar ihr Maximum erreichten ohne gestrichen oder verändert zu werden. Trotzdem verdeutlicht dieses ‘Zwischenspiel’, inwie65 Cambridge, Corpus Christi College, MS 16, fol. 216r; vgl. auch S. LEWIS, The Art of Mat-
thew Paris (wie Anm. 45), S. 225-227.
66 CM IV, S. 644-645. 67 Vgl. R. VAUGHAN, Matthew Paris (wie Anm. 5), S. 12-13; siehe auch D. CARPENTER,
Chronology (wie Anm. 21).
68 Sehr interessant in diesem Zusammenhang ist N. KERSKEN, Dura enim est conditio historio-
graphorum… Reflexionen mittelalterlicher Chronisten zur Zeitgeschichtsschreibung, in: E. KOOPER (Hg.), The Medieval Chronicle III. Proceedings of the 3rd International Conference on the Medieval Chronicle (Doorn/Utrecht 12-17 July 2002), Amsterdam 2004, S. 61-75. 69 Das zweite chronikalische Werk des Mönchs – die Historia Anglorum, welche ca. 1250 als Kürzung aus den Chronica maiora entstand – stellt in der Tat eine königsfreundlichere (aber nicht unkritische!) Version dar; dazu vgl. B. WEILER, Stupor Mundi: Matthäus Paris und die zeitgenössische Wahrnehmung Friedrichs II. in England, in: K. GÖRICH / J. KEUPP / T. BROEKMANN (Hgg.), Herrschaftsräume, Herrschaftspraxis und Kommunikation zur Zeit Kaiser Friedrichs II. (Münchner Beiträge zur Geschichtswissenschaft 2), München 2008, S. 91; vgl. auch D. CARPENTER, Chronology (wie Anm. 21).
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fern Kritik in einem chronikalischen Werk Veränderungen unterworfen sein konnte.
6. Lob an Heinrich III. in den Chronica maiora Wie das Beispiel aus dem Jahr 1247 belegt, waren nicht alle Beurteilungen des Königs in den Chronica maiora negativ oder kritisch. Wie von einem benediktinischen Mönch nicht anders zu erwarten, lobte er jedes christliche Verhalten – vor allem die caritas des Regenten. Im Jahr 1234 machte er sogar explizit darauf aufmerksam, indem er in einer Nebenbemerkung zum Text Rogers notierte: Nota caritatem domini regis in hoc facto admirandum.70 Ebenfalls positiv bewertete er die Großzügigkeit71 des Königs gegenüber der Kirche – insbesondere gegenüber seinem eigenen Kloster St. Albans. So betonte Matthew 1255, dass Heinrich III. dem Kloster mehr Geschenke mitgebracht habe als alle bisherigen Könige Englands zuvor.72 In seltenen Fällen nahm der König den guten Rat der richtigen Ratgeber an, tat also das Gegenteil von dem, was sonst in den Chronica maiora stark kritisiert wurde. Auch dies wurde selbstverständlich positiv vermerkt. Zumeist handelte es sich um eine Veränderung des Königs, der somit in diesen Momenten zur Vernunft kam. Den Höhepunkt des ‘zur-Vernunft-Kommens’ erreichte er zweifellos im Jahr 1258, als er auf dem Parlament alle Vorwürfe der einheimischen Magnaten anhörte und annahm.73 In einem Fall im Jahr 1257 wurde der gute Rat einer ganz besonderen Person – nämlich des Matthew Paris selbst – vom König angenommen, was natürlich ebenfalls anerkennend erwähnt wurde.74 Alles in allem sind die lobenden Worte aber deutlich seltener als die kritischen in den Chronica maiora zu finden.
7. Vergleich mit anderen Herrschern in den Chronica maiora Um die Ergebnisse zu Heinrich III. richtig einordnen zu können, ist es notwendig, einen Blick auf die Behandlung anderer Herrscher in den Chronica maiora zu werfen. Da dies aufgrund der Bandbreite der Chronik hier nicht umfassend 70 CM III, S. 289-290. 71 Zur Großzügigkeit als positive Herrschereigenschaft siehe A. PLASSMANN, Bedingungen
und Strukturen von Machtausübung (wie Anm. 30).
72 CM V, S. 289. 73 CM V, S. 689. Vgl. insbesondere D. CARPENTER, Chronology (wie Anm. 21), der die Ge-
schehnisse von 1258-59 und die zugehörigen Berichte des Chronisten genau analysiert.
74 CM V, S. 617-618.
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durchgeführt werden kann, sollen zwei kurze Schlaglichter auf Richard von Cornwall – den Bruder Heinrichs III. – und Friedrich II. geworfen werden. Richard von Cornwall erfuhr in den Chronica maiora in der Regel eine sehr positive Wertung. Er stellte offensichtlich einen Gegenpart zu Heinrich III. dar, und seine Darstellungen dienten auch der Kritik am Bruder – diese wurde in den Chronica maiora sogar vielfach von Richard “ausgesprochen”.75 Auch Björn Weiler hält fest: “In the case of Matthew Paris this may have been an attempt to use Richard’s humility and hesitation for a veiled critique of the earls’s brother, King Henry III of England.”76 Besonders positiv wurden Richards Erfolge im Heiligen Land bewertet, was im Zusammenhang mit dem leeren Versprechen Heinrichs III., auf einen Kreuzzug zu gehen, den Schluss zulässt, dass ein – bestenfalls erfolgreicher – Kreuzzug in den Augen des Chronisten für einen guten Herrscher seiner Zeit sehr wichtig war. Dies bestätigt sich, wenn man sich die Bedeutung und den Raum der Thematik in den Chronica maiora vor Augen führt: Die Verteidigung des Heiligen Landes und das Propagieren des christlichen Glaubens waren zentrale Aspekte in dem Werk, anhand derer zahlreiche bedeutende Persönlichkeiten gemessen wurden.77 Richard von Cornwall spielte darüber hinaus für den Chronisten eine besondere Rolle, da er als einer der Hauptinformanten des Mönchs gilt.78 Die Berichte sind dementsprechend gefärbt und es erklärt sich die Parteinahme des Chronisten. Gleichzeitig spiegelt die Chronik die verbreitete Meinung über den Grafen wider.79 Auch Friedrich II. erschien in den Chronica maiora trotz einer zum Vorschein kommenden Ambivalenz meistens und vor allem in seinem Nachruf in einem positiven Licht.80 Dies lässt sich einerseits daraus erklären, dass der Chronist die römische Kurie wegen ihrer Geldforderungen an England weitestgehend ablehnte und daher im Konflikt eher mit dem Staufer sympathisierte. Andererseits spielte auch hier sicherlich wieder Matthews Verhältnis zum Schwager Friedrichs – nämlich Richard von Cornwall – eine Rolle. Friedrich II. war eine Figur, die als Gegenpart zur Kurie und zum englischen König diente.81 Mit seiner po-
75 H.-E. HILPERT, Kaiser- und Papstbriefe in den Chronica Majora des Matthaeus Paris
76 77 78 79 80
81
(Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 9), Stuttgart 1981, S. 115, Anmerkung 101. B. WEILER, Kingship (wie Anm. 28), S. 39. So B. WEILER, Matthew Paris and Europe (wie Anm. 35). R. VAUGHAN, Matthew Paris (wie Anm. 5), S. 13; zu Matthew Paris und Richard von Cornwall siehe auch H.-E. HILPERT, Kaiser- und Papstbriefe (wie Anm. 75), S. 90-119. Ebd., S. 91 und im Buch von M. POWICKE, The Thirteenth Century (wie Anm. 28). Vgl. K. SCHNITH, England (wie Anm. 27), S. 91-116, den gesamten Aufsatz von B. WEILER, Stupor Mundi (wie Anm. 69), S. 63-95 und DERS., Henry III of England and the Staufen Empire, 1216-1272 (Studies in History New Series), Woodbridge 2006. DERS., Stupor Mundi (wie Anm. 69), S. 79, hält fest: “Dieser Nachruf war daher sowohl ein Lob des Kaisers, als auch eine Kritik am englischen König und der Kurie.”
rex […] magis ac magis […] deliravit
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sitiven Darstellung des Staufers drückte der Mönch in diesem Fall nicht uneingeschränkt das Friedrichbild seiner Zeitgenossen aus.82 Insgesamt scheinen alle in den Chronica maiora erwähnten Herrscher im Vergleich zu Heinrich III. bewertet und als Vorbilder oder abschreckende Beispiele für den englischen König herangezogen worden zu sein.83 Dass nicht nur ein verbreitetes zeitgenössisches Bild des jeweiligen Herrschers reflektiert wurde, verdeutlicht das Beispiel Friedrichs II. Vielmehr waren die Bezugspunkte von Bedeutung: England und seine Regenten, in diesem Fall Heinrich III. Dies untermauert den zentralen Stellenwert, den der König in den Chronica maiora einnahm. Matthew Paris schrieb zuvorderst englische Geschichte und verstand sich und sein Werk in diesem Zusammenhang.84 Die Kritik am Herrscher steht damit in einem wesentlich größeren und wichtigeren Kontext als der Person des Königs an sich: Durch den unfähigen Regenten Heinrich III. stand ganz England im Vergleich zu seiner gesamten Umwelt negativ dar.
8. Zusammenfassung Insgesamt zeigte sich sehr deutlich, dass Heinrich III. in den Chronica maiora in der Kritik stand. Die Idoneität des Regenten wurde mehrfach und auf methodisch verschiedenste Weise in Frage gestellt. Dadurch schien der König weniger geeignet, sein Amt ordnungsgemäß – im Sinne Englands – auszuüben. Dies zeigte sich auch im Vergleich mit seinen zeitgenössischen Nachbarn. Es bleibt zu berücksichtigen, dass hauptsächlich das persönliche Empfinden des Chronisten (oder auch seiner Informanten) zum Ausdruck kam. Sein Bezugspunkt war neben England und natürlich dem Christentum vor allem sein Kloster. Je positiver ein Verhalten für St. Albans war, desto zusagender waren auch die Bewertungen dieses Verhaltens und umgekehrt. Auf diesen Blickwinkel lassen sich alle Einschätzungen zurückführen – sei es der Kurie, anderer Herrscher oder eben Heinrichs III. Interessant wird es, wenn äußere Einflüsse die Grundhaltung bzw. ihren schriftlichen Niederschlag schwierig machten, wie im Jahr 1247, als dem Chronisten durch die persönliche Ansprache des Königs auf82 Ebd., S. 89-93; allgemein siehe auch A. SOMMERLECHNER, Stupor mundi? Kaiser Fried-
rich II. und die mittelalterliche Geschichtsschreibung (Publikationen des Historischen Instituts beim österreichischen Kulturinstitut in Rom, 1. Abteilung, Abhandlungen 11), Wien 1999, zu diesem Zusammenhang speziell S. 142, 145. 83 Dazu vgl. den Aufsatz von B. WEILER, Matthew Paris and Europe (wie Anm. 35). 84 Dies untermauern auch Randbemerkungen in den Chronica maiora, die bestimmte Textpassagen als impertinens Anglorum historiae kennzeichnen, und der Name und die Ausrichtung des zweiten historiographischen Werkes des Mönchs – der Historia Anglorum, in welcher 39 der 47 gekennzeichneten Passagen tatsächlich fehlen; dazu vgl. R. VAUGHAN, Matthew Paris (wie Anm. 5), S. 64-65.
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ging, dass er seine kritischen Töne nicht in einem Werk beibehalten konnte, welches vielleicht vom König oder im königlichen Umfeld zur Kenntnis genommen werden würde. Seine Überarbeitungen und die kurze, verhältnismäßig königsunkritische, Zeitspanne in den Chronica maiora verdeutlichen beispielhaft, inwiefern Kritik und insbesondere die Darstellung von Kritik und damit auch die Darstellung von Idoneität oder eben mangelnder Idoneität, die uns in Quellen entgegen treten, bestimmten Arbeitsprozessen und äußeren Gegebenheiten unterworfen sein konnten.85
85 Dass Matthew Paris das Bestehen einer derartigen Grundproblematik – sogar ganz allge-
mein – durchaus bewusst war, zeigt eine Bemerkung aus dem Jahr 1254 (CM V, S. 469470): Sed ne veritas pariat inimicos, quod frequenter contingit, ista, licet vera et manifesta, sub dissimulatione praetereantur. Dura enim est conditio historiographorum; quia, si vera dicantur, homines provocantur; si falsa scripturis commendantur, Deus, qui veridicos ab adulatoribus sequestrat, non acceptat. Übersetzung: “Aber damit nicht die Wahrheit Feinde erzeugt, was häufig passiert, werden diese [Dinge], obschon wahr und erwiesen, übergangen durch Verheimlichung. Denn hart ist das Leben der Historiographen; weil, wenn Wahrheiten gesagt werden, die Menschen gereizt werden; wenn Unwahrheiten den Schriften übergeben werden, nimmt es Gott, der Wahres von Schmeichlern trennt, nicht an.” Dazu vgl. insbesondere den Aufsatz von N. KERSKEN, Dura enim est conditio historiographorum (wie Anm. 68).
FRANK REXROTH
Dauerhaft untauglich Die symbolische Inversion von Königsherrschaft im Rahmen der spätmittelalterlichen europäischen Königsabsetzungen
1. Einleitung Es fällt nicht leicht, im Hinblick auf das hohe und späte Mittelalter von fürstlicher oder dynastischer Idoneität zu sprechen und sich dabei frei zu machen von den Verlaufsannahmen vergangener Forschergenerationen. Lange Zeit nämlich hat der Glaube an das Vorhandensein impliziter verfassungsmäßiger ‘Ideen’ bereits vor der Ankunft der ersten geschriebenen Konstitutionen das Forschungsfeld bestimmt.1 So wird heute niemand mehr beispielsweise Walter Ullmanns Diktum hinnehmen, die Geschichte der mittelalterlichen politischen Ideen lasse sich als historischer Konflikt zwischen einer “aszendierenden”, auf Konsens und Mitbestimmung beruhenden, und einer “deszendierenden”, den Fürsten als Quelle des Rechts voraussetzenden Herrschaftsidee verstehen.2 Zu gewichtig sind die Einwände gegen die simplifizierende Einfachheit des Schemas, zu stark die Vorbehalte gegen die lange Zeit dominierende Tendenz, Konflikte um mittelalterliche Herrschaft zu einem zu frühen Zeitpunkt bereits als Verfassungskämpfe und mithin als Ausdruck geschichtsmächtiger politischer Prinzipien zu begreifen. Doch ist damit keineswegs gesagt, dass sich die Handlungslogiken mittelalterlicher Akteure überhaupt nicht verändert hätten und dass dabei gar keine Veränderungen im Sinne institutioneller Verstetigungen von adliger Mitbestimmung oder Herrscherkontrolle ausgelöst worden wären. Vor allem seit dem “langen 12. Jahrhundert” kann man eine Reihe von Veränderungen ausmachen, 1
2
Für Kritik und Unterstützung danke ich Sebastian Dümling M.A., Göttingen. Wertvolle Literaturhinweise zum 6. Abschnitt gab mir mein römischrechtlicher Kollege Johannes Platschek (jetzt Wien). W. ULLMANN, A History of Political Thought. The Middle Ages, Harmondsworth 1965, S. 12-14. Dazu die Kritik von F. OAKLEY, Celestial Hierarchies Revisited. Walter Ullmann’s Vision of Medieval Politics, in: Past and Present 60 (1973), S. 3-48; C. J. NEDERMAN, Lineages of European Political Thought. Explorations along the Medieval/Modern divide from John of Salisbury to Hegel, Washington, D.C. 2009, S. 3-12; K. UBL, The Concept of princeps in Late Medieval Political Thought. A Preliminary Survey, in: T. HUTHWELKER / J. PELTZER / M. WEMHÖNER (Hg.), Princely Rank in Late Medieval Europe. Trodden Paths and Promising Avenues (RANK. Politisch-soziale Ordnungen im mittelalterlichen Europa 1), Ostfildern 2011, S. 259-280.
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welche die Handlungsspielräume auf dem Feld des Politischen nachhaltig veränderten; die Tätigkeit von wissenschaftlich (und vor allem juristisch) geschulten Beratern ist in diesem Kontext besonders hoch einzuschätzen.3 Im Hinblick auf das Reich des späten Mittelalters und seine innere Struktur etwa besitzt weiterhin die Annahme einer großen Verlaufskurve einige Plausibilität, die Peter Moraw auf die suggestive Formel “ein Herrschaftsgefüge war auf dem Weg zum Verfassungsgefüge” gebracht hat.4 Forschungspraktisch war die Betonung der “Offenheit” struktureller Festlegungen im Reich, die gemäß dieser Formel für den größeren Teil des Spätmittelalters anzusetzen ist, ungeheuer fruchtbar. Moraw gerecht zu werden, hatte seit den 1980er Jahren geheißen, jene langsamen Prozesse der “Verdichtung” auf dem langen Weg zu einer dualistischen Reichsverfassung empirisch nachzuweisen und nicht nach dem Vorbild älterer Historikergenerationen aus vermeintlich überhistorischen Prinzipien oder gar aus spezifisch deutschen mentalen Dispositionen zu deduzieren.5 Was uns jedoch auch an dieser Lesart fremd geworden ist, ist die Tendenz, die besagte Offenheit durch den expliziten Vergleich mit den Situationen in den großen westeuropäischen Monarchien besonders scharf hervortreten zu lassen und nicht aus der Eigenlogik eines an das Reich gebundenen Herrschaftssystems heraus herzuleiten. Denn die Genese der Reichsverfassung wurde auf diese Weise vorschnell aus einer vermeintlich defizitären Situation der deutschen Geschichte heraus erklärt: Der schnelle Wechsel der Dynastien seit dem Ende der Staufer begegnete bei Moraw unter dem Stichwort “Kontinuitätsproblem”, die Tendenz der Könige, sich mit dem Reich in eins zu setzen, firmierte als das “MonismusDualismus-Problem”, die Heterogenität des Reichs und ihre Auswirkungen auf Königsferne und -nähe wurden als das “Kohärenzproblem” gefasst.6 Ganz in
3
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T. WETZSTEIN, Der Jurist. Bemerkungen zu den distinktiven Merkmalen eines mittelalterlichen Gelehrtenstandes, in: F. REXROTH (Hg.), Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen 73), Ostfildern 2010, S. 243296, hier S. 262-294; R. C. SCHWINGES (Hg.), Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 18), Berlin 1996; R. SCHNUR (Hg.), Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Berlin 1986. Vgl. H. LIEBERICH, Die gelehrten Räte. Staat und Juristen in Baiern in der Frühzeit der Rezeption, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 27 (1964), S. 120-189; H. BOOCKMANN, Zur Mentalität spätmittelalterlicher gelehrter Räte, in: Historische Zeitschrift 233 (1981), S. 295-316. P. MORAW, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter, 1250 bis 1490 (Propyläen Geschichte Deutschlands 3), Berlin 1985, S. 176. Z.B. H. HEIMPEL, Deutschland im späten Mittelalter, in: O. BRANDT / A. O. MEYER / F. METZ (Hgg.), Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 1: Deutsche Geschichte bis zum Ausgang des Mittelalters, Potsdam 1936, S. 260-407; DERS., Das Wesen des deutschen Spätmittelalters, in: DERS., Der Mensch in seiner Gegenwart. Acht historische Essais, Göttingen ²1957, S. 108-135. P. MORAW, Organisation und Funktion von Verwaltung im ausgehenden Mittelalter (ca. 1350-1500), in: K. G. A. JESERICH / H. POHL / G. C. VON UNRUH (Hgg.), Deutsche Ver-
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diesem Sinne sprachen Andere von einem “Allodialismusproblem”, einem “amtsherrschaftlichen Organisationsproblem” oder dem “Dualismusproblem”.7 So viele Probleme – ob die Zeitgenossen nachts noch schlafen konnten? Abermals: Hinter diesen terminologischen Festlegungen standen durchaus zutreffende Beobachtungen. Doch indem diese von vornherein als “Probleme” der deutschen Situation etikettiert wurden, hatte es nahegelegen, sie nicht als Teil einer aus sich selbst heraus bestehenden politischen Kultur des Reichs zu interpretieren, sondern unter dem Vorverständnis einer zutiefst defizitären Situation. Die in der deutschen Geschichtswissenschaft der 1970er Jahre dominierende Frage nach den strukturellen Defiziten moderner deutscher Geschichte, nach der Existenz eines deutschen “Sonderwegs” im Vergleich mit den westeuropäischen Demokratien erhielt hier eine Vorgeschichte, die bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts zurückreichte.8 Im Unterschied dazu glauben Historiker heute nicht mehr an die Verbindlichkeit, die normstiftende Kraft vermeintlicher historischer ‘Normal’-Entwicklungen. Sie fragen stattdessen nach der jeweils spezifischen Logik unterschiedlicher politischer Kulturen. Auf der Suche nach einer Meistererzählung, für die ‘Dynastie’ und ‘Genealogie’, ‘Idoneität’ und ‘Legitimation’ die Schlüsselbegriffe waren, soll hier versuchsweise ein Stück weiter in die Vergangenheit der eigenen Disziplin zurückgegangen werden, nämlich bis zu Fritz Kerns jahrzehntelang überaus einflussreicher Arbeit über “Gottesgnadentum und Widerstandsrecht” von 1914 – und mithin einer Deutung der frühmittelalterlichen Geschichte, die uns heute auf den ersten Blick recht wenig zu sagen hat. Dies sei nur getan, weil sich mit Kerns Studie eine Möglichkeit auftut, ‘Dynastie’, ‘Genealogie’, ‘Eignung’ und ‘Legitimation’ in ein operables Spannungsverhältnis zueinander zu setzen. Nach Kern und den Forschern, die ihm folgten, gab es im frühen Mittelalter ein pagan-germanisches Geblütsprinzip, ein dynastisches Prinzip von Monarchie, das allmählich von dem kirchlich propagierten Prinzip faktischer Idoneität korrumpiert und schließlich völlig überlagert wurde. Königsherrschaft sei ursprünglich auf ‘Erbe’ gegründet worden, doch ‘die Kirche’ (für Kern der Zerstörer der traditionellen germanischen Vorstellungen von der legitimierenden Gewalt des Geblüts) habe dagegen ‘Idoneität’ als konkurrierende Leitgröße propagiert: Kern
7
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waltungsgeschichte, Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches, Stuttgart 1983, §§ 1-4, S. 21-65. K.-F. KRIEGER, König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 14), München 1992, S. 1-4, 59-61. Es ist bezeichnend, dass Krieger seinen Überblick über die Forschungen, die diese “Probleme” thematisiert haben, abschließt mit der Bemerkung: “Zur wesentlich anders verlaufenen Entwicklung in den westeuropäischen Nachbarmonarchien sind für Frankreich […] sowie für England die neueren Gesamtdarstellungen von […] heranzuziehen.” (ebd., S. 61). T. WELSKOPP, Identität “ex negativo”. Der “deutsche Sonderweg” als Metaerzählung in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft der siebziger und achtziger Jahre, in: K. H. JARAUSCH / M. SABROW (Hgg.), Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S. 109-139.
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zufolge musste der Herrscher “zwei Dinge […] nach kirchlichem Richtmaß besitzen: den guten Willen und die Macht, das ‘Gesetz’ zur Durchführung zu bringen.”9 Diese beiden Ingredienzien hätten gesamthaft aus kirchlicher Sicht die Idoneität eines Thronanwärters ausgemacht. Obwohl diese Epoche der deutschen Geschichte gar nicht mehr zum Kerngegenstand seines Buches gehörte, sah Kern in der Geschichte des Reichs seit der Wahl Rudolfs von Rheinfelden durch die Fürsten 1077 den Beginn eines immer weitergehenden Prozesses der Übermächtigung an, in dem das germanische Erbrechts-Prinzip durch das kirchliche Prinzip der Idoneität ersetzt wurde, wobei die Herrscherwahl das entscheidende Durchsetzungsmittel gewesen sei. Die geistliche Gewalt siegte, weil sie sich auf das Bündnis mit den Fürsten stützen konnte, so dass “der Eigennutz der Wahlfürsten, gestützt auf den kirchlichen Idoneitätsgedanken, im 13./14. Jahrhundert eine völlige Verwüstung des dynastischen Rechts zuwege gebracht hat.”10 Die dynastischen Herrschaften von Luxemburgern und Habsburgern bedeuteten für den Bonner Mediävisten dabei nicht etwa eine Rückbesinnung auf alte, bessere Werte aus unverfälscht germanischer Vergangenheit, sondern beruhten auf dem Reimport des GeblütsPrinzips aus Westeuropa, auf der Wiederaneignung von etwas, das man in seiner eigenen Vergangenheit in reinerer und den Deutschen gemäßer Art hätte haben können. Selbstverständlich sind dies Stimmen aus einer fernen Welt. Heute noch von forschungspraktischem Interesse ist allerdings die Beobachtung, dass fürstliche Idoneität tatsächlich in einem konfliktträchtigen Spannungsverhältnis zur Frage nach der Legitimität fürstlicher Herrschaft stehen konnte. Dies war an dem berühmten Spruch des Papstes Zacharias im Vorfeld der Königserhebung Pippins des Jüngeren von 751 schon abzulesen: Mit seiner Aussage, es sei besser, denjenigen einen König zu nennen, der die Macht in Händen halte, als den, der ohne königliche Macht bleibe, habe er den “Grundsatz verkündet, dass die Idoneität der Legitimität vorangehe und im Streitfall sie breche”, so Kern.11 Dies galt auch bei manchen Thronfolge-Konflikten, und zwar dort, wo nicht legitime Aspiranten mit erheblichem Machtpotential gegenüber minderjährigen Kindern der verstorbenen Herrscher bevorzugt wurden. Und es galt schließlich dort, wo die Machtmittel eines Geschlechts verbraucht waren und es sich anbot, durchsetzungsfähige und somit eben geeignetere Kandidaten zu erheben. Das Ver-
F. KERN, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter. Zur Entwicklungsgeschichte der Monarchie, Darmstadt ²1954, S. 49. 10 Ebd., S. 61. 11 Annales regni Francorum inde ab a. 741 usque ad 829, qui dicuntur Annales Laurissenses maiores et Einhardi, ed. G. H. PERTZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi [6]), Hannover 1895, ad a. 749, S. 8; F. KERN, Gottesgnadentum (wie Anm. 9), S. 51 u. 252-253. 9
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ständnis der Vorgänge beim Übergang der Königsherrschaft von Konrad I. an Heinrich I. 918/919 kann als Paradebeispiel dafür gelten.12 Von dieser Warte aus muss man sich die Relation zwischen Idoneität, Genealogie und Legitimation als ein spannungsreiches Gefüge vorstellen: Idoneität, so ist zu erwarten, steht dort in K o n k u r r e n z zur Genealogie. Sie ist ein strategischer Joker bei der Durchsetzung eines dynastisch nicht gedeckten Nachfolgeanspruchs, der die faktische Eignung eines Aspiranten gegen die auf Abstammung begründeten Ansprüche eines innerdynastischen Thronfolgers kompensieren sollte. Und Abwägungen dieser Art begegnen auch durchaus, so etwa wenn Johann von Viktring zur Doppelwahl von 1314 bemerkt, dass Friedrich der Schöne und Ludwig der Bayer im Hinblick auf Adel und Würde (nobilitate, dignitate, generositate) einander ebenbürtig gewesen seien, dass der Habsburger aber seinem Widersacher überlegen gewesen sei, was Reichtum und Macht (diviciis et potencia) anbelange.13 Rudolf von Habsburg war zwar von seinem Widersacher Ottokar von Böhmen als minus idoneu[s] bezeichnet worden, aber interessanterweise nicht wegen seiner dynastischen Defizienz, sondern weil er ‘nur’ ein Graf war.14 Auf diese Spannung aufmerksam gemacht zu haben, war KERNs großes Verdienst.
2. Königsabsetzungen im Spannungsfeld zwischen Idoneität, Genealogie und Legitimation Was kann eine Sichtung der spätmittelalterlichen europäischen Königsabsetzungen zur Erhellung des Zusammenhangs von Idoneität, Genealogie und Legitimation beitragen?15 Ginge es darum, an ihrem Beispiel die Persistenz der dynas12 J. FRIED, Die Königserhebung Heinrichs I. Erinnerung, Mündlichkeit und Traditionsbil-
dung im 10. Jahrhundert, in: M. BORGOLTE (Hg.), Mittelalterforschung nach der Wende 1989 (Historische Zeitschrift, Beiheft N.F. 20), München 1995, S. 267-318. 13 Johann von Viktring, Liber certarum historiarum, ed. F. SCHNEIDER (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi [36]), 2 Bde., Hannover/Leipzig 1909-1910, Bd. 2, S. 106. Vgl. K. SCHREINER, “Correctio principis”. Gedankliche Begründung und geschichtliche Praxis spätmittelalterlicher Herrscherkritik, in: F. GRAUS (Hg.), Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme (Vorträge und Forschungen 35), Sigmaringen 1987, S. 203-256, hier S. 215. 14 So König Ottokar von Böhmen an Papst Gregor X.: Principes Alemanniae, quibus est potestas caesaris eligendi, concorditer in quendam comitem minus idoneum […] evidenter vota sua direxerunt, et eundem in gravamen imperii nostrumque preiudicium sacri diadematis insigniverunt maiestate. Annales Pragenses I, ed. R. KÖPKE (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 9), Hannover 1851, S. 169-181, hier S. 180, Anm. 73. 15 Zu den mittelalterlichen Königsabsetzungen neben zahlreichen Studien zu den jeweils einzelnen Fällen E. SCHUBERT, Königsabsetzung im deutschen Mittelalter. Eine Studie zum Werden der Reichsverfassung (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in
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tischen Vorstellungen auf den Prüfstand zu heben, so wären sie nur sehr eingeschränkt tauglich, denn nur unmittelbar um 1400 stand bei zwei Absetzungen die Wahrung dynastischer Kontinuität zur Disposition: in England, als auf den Plantagenet-König Richard II. ein Usurpator aus dem Hause Lancaster folgte, und im Reich, als auf den glücklosen Luxemburger Wenzel zunächst mit Ruprecht ein Wittelsbacher folgte. Doch sofern es um die Frage nach ‘Idoneität’ als einem politischen Konzept und seiner Rolle für die Verstetigung einer bestimmten Herrschaft geht, sind die europäischen Königsabsetzungen des späteren Mittelalters auch über diese beiden Fälle hinaus lehrreich. Denn es ging bei ihnen darum, einen möglichst umfassenden Konsens nicht über die Eignung, sondern im Gegenteil über die Untauglichkeit eines Herrschers herbeizuführen, der ja in der Vergangenheit in Akten der Erhebung, der Krönung und ggf. auch der Wahl seine Eignung förmlich zugebilligt bekommen hatte. Je stärker also die Initiationsrituale am Beginn von Königtum mit der Feststellung der Eignung für das Amt verknüpft waren, umso heikler war es, das Königtum des Gesalbten, Geweihten und Gekrönten später zu negieren. Genau dies aber war der Kern derjenigen Absetzungsverfahren, die seit der Deposition Kaiser Friedrichs II. auf dem Lyoner Konzil von 1245 während des ausgehenden Mittelalters praktiziert wurden. Sie beschränkten sich eben nicht auf Thronstürze oder schlichte ‘Verlassungen’ missliebig gewordener Herrscher, sondern sie bestanden in ihrem Kern aus rituellen Akten, in denen die zur Frage stehende Königsherrschaft für die V e r g a n g e n h e i t bejaht, in der G e g e n w a r t durch Symbolhandlungen abgebrochen und für die Z u k u n f t gänzlich negiert wurde. Dieses Paradox muss man hervorheben, wenn man Königsabsetzungen von andersartigen Konflikten zwischen Monarchen und ihrem Umfeld unterscheiden will: Den Monarchen abzusetzen hieß, die Rechtmäßigkeit der vergangenen Wahl und Krönung sowie einen guten Teil seiner Herrschaftspraxis anzuerkennen, zugleich aber Mittel zu ergreifen, die diesen Zustand auf eine möglichst akzeptabGöttingen, Philologisch-Historische Klasse 3/267), Göttingen 2005; F. REXROTH, Um 1399 – Wie man einen König absetzte, in: B. JUSSEN (Hg.), Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit, München 2005, S. 241-254, 393-394; DERS., Tyrannen und Taugenichtse. Beobachtungen zur Ritualität europäischer Königsabsetzungen im späten Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 278 (2004), S. 27-53; C. VALENTE, The Theory and Practice of Revolt in Medieval England, Aldershot 2003; H. G. WALTHER, Das Problem des untauglichen Herrschers in der Theorie und Praxis des europäischen Spätmittelalters, in: Zeitschrift für historische Forschung 23 (1996), S. 1-28; F. GRAUS, Das Scheitern von Königen: Karl VI., Richard II., Wenzel IV, in: R. SCHNEIDER (Hg.), Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich (Vorträge und Forschungen 32), Sigmaringen 1987, S. 17-39; E. M. PETERS, The Shadow King. Rex Inutilis in Medieval Law and Literature, 751-1327, New Haven/London 1970; K. SCHNITH, Gedanken zu den Königsabsetzungen im Spätmittelalter, in: Historisches Jahrbuch 91 (1971), S. 309-326. Zur juristischen Grundlage siehe die Arbeiten in Anm. 23. In Gemengelage mit der Fürstenabsetzung durch den König, also mit einem anderen Phänomen, behandelt die Königsabsetzungen A. KRAH, Art. “Fürstenabsetzung”, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Berlin ²2008, Bd. 1, Sp. 1893-1895.
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le, die politischen Akteure für die Zukunft bindenden Weise beendeten.16 Es handelt sich bei ihnen deshalb um Inversionsrituale: Akte der Wahl, Krönung, Salbung etc., die vormals im Glauben an göttliche Mitwirkung durchgeführt worden waren, wurden nicht nachträglich angefochten, sondern in korrespondierenden Akten der Deposition invertiert. Königsabsetzungen setzten also voraus, dass es eine Vorstellung von der Umkehrbarkeit der Initiation selbst in exponierte soziale Rollen gibt. Dies bedeutet, dass sie zu transzendenten Begründungen von Herrschertum in einem eigentlich gar nicht aufzulösenden Spannungsverhältnis standen. Im nächsten Schritt wird einiges Grundsätzliche zu den Absetzungsverfahren zu sagen sein, wobei zunächst exemplarisch die Deposition Friedrichs II. am 17. Juli 1245 durch Papst Innozenz IV. während des ersten Lyoner Konzils betrachtet werden soll. Im Anschluss daran geht es um die Frage, aufgrund welcher Denkformen die Inversion der Königwerdung überhaupt vollzogen werden k o n n t e. Dabei wird ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet werden, wie die Akteure die Inversion der vormals zugestandenen königlichen Idoneität motivierten. Im darauf folgenden Schritt sollen die Absetzungsrituale im Hinblick auf ihren Zweck, Königswerdung und Königtum umzukehren, interpretiert werden. In einem abschließenden Teil wird insofern abermals die Meistererzählung von der Versachlichung und ‘Entzauberung’ des Königtums thematisiert werden, als nach der modernisierenden Leistung des gelehrten Rechts bzw. der gelehrten Juristen gefragt werden soll.
3. Königsabsetzungen – Entstehung einer kulturellen Praxis Die regna des früheren Mittelalters kannten keine formalisierten und ritualisierten Königsabsetzungen.17 Was dem Historiker durchaus begegnet, sind Praktiken der Herrscherverlassung und des Thronsturzes sowie die Erhebung von Nachfolgern: Konrad Bund, der für seine Bonner Dissertation systematisch Be16 Vgl. die Ähnlichkeiten mit Papstabsetzungen: H. ZIMMERMANN, Papstabsetzungen des
Mittelalters, Wien 1968.
17 Von “Absetzungen” wird in der Forschung häufig in einem eher unspezifischen Sinn ge-
sprochen. Gemeint sind dann recht unterschiedliche Strategien, sich eines Königs zu entledigen. Dabei können sich solche Forschungen mitunter durchaus auf die Verwendung der Wortfamilie um deponere in den zeitgenössischen Quellen stützen. Dies gilt etwa für die Fälle, mit denen sich M. BLATTMANN, “Ein Unglück für sein Volk”. Der Zusammenhang zwischen Fehlverhalten des Königs und Volkswohl in Quellen des 7.-12. Jahrhunderts, in: Frühmittelalterliche Studien 30 (1996), S. 80-102, beschäftigt hat. Für die folgenden Ausführungen ist die Scheidung zwischen den rechtsförmlichen Absetzungsverfahren des späteren Mittelalters und den Akten des Thronsturzes und der Herrscherverlassung konstitutiv, die charakteristisch für die Jahrhunderte vor der Gregorianischen Wende waren.
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lege sammelte, kam für das Frühmittelalter auf 400 Ereignisse dieser Art.18 Doch mit dem Konflikt zwischen Papst Gregor VII. und König Heinrich IV. sowie den Vorgängen während der Fastensynode von 1076 veränderten sich die Akte um die Verlassung von Herrschern substantiell: Der Papst untersagte dem König das Herrschen, entband dessen Untertanen von ihrer Pflicht zum Gehorsam und exkommunizierte ihn sogar.19 Entscheidend war die Umdeutung, die diese Handlungsweisen während der folgenden Monate erfuhren: Der Zwang, das ungeheuerliche päpstliche Diktum in einen größeren Begründungszusammenhang zu stellen, führte dazu, dass es von manchen Beobachtern allmählich zu einer förmlichen Königsabsetzung, einem irgendwie normengerechten Totalentzug der königlichen Legitimität, uminterpretiert wurde. Als Gregor VII. den König 1080 dann zum zweiten Mal bannte, vollzog er dieses Mal bewusst dessen förmliche Absetzung.20 Die Vorstellung, dass durch eine vom Papst durchgeführte Deposition ein Königtum rechtsförmlich beendet werden könne, wurde zu einem Gegenstand der Streitschriftenliteratur,21 mehr aber noch zu einem Thema der Kanonistik. Im Konstanzer Domkapitel etwa begann man die Vergangenheit des Reichs nach Präzedenzien abzusuchen und ekklesiologische Verortungen vorzunehmen,22 und die Juristen suchten die Legitimität von Absetzungen möglichst widerspruchsfrei in das Normensystem des kanonischen
18 K. BUND, Thronsturz und Herrscherabsetzung im Frühmittelalter (Bonner Historische
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Forschungen 44), Bonn 1979. Zu den Verfahren, die von Königen des frühen Mittelalters gegen ihre Vasallen gehandhabt wurden, vgl. A. KRAH, Absetzungsverfahren als Spiegelbild von Königsmacht. Untersuchungen zum Kräfteverhältnis zwischen Königtum und Adel im Karolingerreich und seinen Nachfolgestaaten (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 26), Aalen 1987. Zur Intensivierung der Herrscherkritik im Reich während des letzten Jahrzehnts Kaiser Heinrichs III. F.-R. ERKENS, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006, S. 204. G. MEYER VON KNONAU, Jahrbücher des deutschen Reiches unter Heinrich IV. und Heinrich V. (Jahrbücher der deutschen Geschichte 14), 7 Bde., Leipzig 1894, Bd. 2, S. 638-641. In diesem Sinn, d.h. gegen die These von der förmlichen Deposition schon 1076, am entschiedensten E. SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 15), S. 117-159, siehe thesenhaft S. 118, 129, 140-141. Mit anderer Tendenz, aber im Hinblick auf 1076 ähnlich, schon W. SCHLESINGER, Die Wahl Rudolfs von Schwaben zum Gegenkönig 1077 in Forchheim, in: J. FLECKENSTEIN (Hg.), Investiturstreit und Reichsverfassung (Vorträge und Forschungen 17), Sigmaringen 1973, S. 61-85. T. STRUVE, Das Problem der Eidlösung in den Streitschriften des Investiturstreites, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 75 (1989), S. 107-132; C. MIRBT, Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII., Leipzig 1894, S. 226-238. J. AUTENRIETH, Die Domschule von Konstanz zur Zeit des Investiturstreits. Die wissenschaftliche Arbeitsweise Bernolds von Konstanz und zweier Kleriker dargestellt auf Grund von Handschriftenstudien (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte N.F. 3), Stuttgart 1956; vgl. I. S. ROBINSON, Einleitung, in: Bertholds und Bernolds Chroniken, ed. DERS. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 14), Darmstadt 2002, S. 5-8.
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Rechts einzuschreiben.23 Dies gelang ihnen im Lauf des 13. Jahrhunderts, indem sie unter dem Einfluss der zeitgenössischen Ketzerdekretalen die Frage nach dem Depositionsrecht des Papstes gegenüber dem weltlichen Herrscher neu formulierten. Der Papst, so die neue Lehre, konnte als iudex in temporalibus einen Fürsten ratione delicti absetzen. Doch rechtliche Begründbarkeit und faktische Durchsetzbarkeit förderten einander in diesem Fall nicht: Die Anlehnung des Verfahrens an den Umgang mit Häretikern implizierte, dass mit der Herrschaft auch das Gut des Deponenten zur res nullius erklärt und anderen Fürsten zum Erobern angeboten wurde. Dies aber machte die Absetzung des Fürsten durch den Papst zu einem irreversiblen Prozess, denn wie hätte man unter diesen Umständen das einmal an die Fürsten ausgegebene Königsgut für den reuigen, in den Schoß der Kirche zurückkehrenden Deponierten wieder einsammeln und neu zuweisen sollen? “Kuriale Doktrin und politische Realität”, so Othmar Hageneder, hätten sich deswegen immer weiter voneinander entfernt. Das Debakel Bonifaz’ VIII. sei das sichtbare Zeichen dafür gewesen, dass die kanonistischen Innovationen ins Leere gelaufen seien.24 Die Betreiber der Absetzungen seit ca. 1300 verzichteten zwar darauf, den Päpsten die Hauptrolle in ihrem Stück zu übertragen, doch zogen sie einigen Nutzen aus den kanonistischen Begründungsstrategien, wie sie gerade vom Lyoner Konzil von 1245 ausgegangen waren und neben der Absetzung des Stauferkaisers auch die Verfügungen über König Sancho II. von Portugal betroffen hatten. In der Dekretale Ad apostolicae dignitatis Papst Innozenz’ IV. vom 17. Juli 1245, aber auch in deren Kommentierungen (die der Juristenpapst selbst vornahm) sowie in der Glossa Ordinaria zum Liber Sextus des Johannes Andreae wurde eine Begründung entwickelt, nach der die Absetzung eines Kaisers nicht einfach dem Vorbild der kirchenrechtlich relativ einfachen Klerikerabsetzung folgte, sondern die Feststellung ganz bestimmter Verfehlungen voraussetzte. Der Deponent musste sich eines genau definierten Quartetts von Haupt23 O. HAGENEDER, Das päpstliche Recht auf Fürstenabsetzung. Seine kanonistische
Grundlegung (1150-1250), in: Archivum Historiae Pontificae 1 (1963), S. 53-95; F. KEMPF, Die Absetzung Friedrichs II. im Lichte der Kanonistik, in: J. FLECKENSTEIN (Hg.), Probleme um Friedrich II. (Vorträge und Forschungen 16), Sigmaringen 1974, S. 345-360; vgl. R. FOLZ, Translation de l’Empire et déposition de l’Empereur dans la vision des canonistes et des papes (1140-1245), in: E.-D. HEHL / H. SEIBERT / F. STAAB (Hgg.), Deus qui mutat tempora. Menschen und Institutionen im Wandel des Mittelalters. Festschrift für Alfons Becker zu seinem 65. Geburtstag, Sigmaringen 1987, S. 321-334; L. FOWLER, Innocent Uselessness in Civilian and Canonist Thought, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 58 (1972), S. 107-161. Sehr kritisch schätzte E. SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 15), den Beitrag der Kanonistik und der politischen Theorie zur Absetzungspraxis ein. Anders dagegen K. UBL, Die Laster des Fürsten. Theorie und Praxis der Königsabsetzung um 1300, in: C. FLÜELER / M. ROHDE (Hgg.), Laster im Mittelalter (Scrinium Friburgense 23), Berlin/New York 2009, S. 167-185. 24 O. HAGENEDER, Das päpstliche Recht (wie Anm. 23), S. 94.
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verfehlungen schuldig gemacht haben: des Meineids, des Friedensbruchs, des Sakrilegs und der Häresie. Damit, so der Papst in der Rolle des kommentierenden Juristen, seien non solum multa crimina, sed etiam multa genera peccatorum25 festgestellt. Es gab also aus päpstlicher Sicht einfache Verfehlungen und, gleichsam als deren Steigerungsform, eine Gruppe von Haupt-Verfehlungen, die gesamthaft einen Fürsten als gänzlich gescheitert erscheinen ließen. Diesem Konzept kam auch in den papstfernen Depositionsakten der Zukunft große Aufmerksamkeit zu. Darüber hinaus scheint die Dekretale Ad apostolicae dignitatis auch deshalb als attraktiv angesehen worden zu sein, weil sie in ihrer Begründung gänzlich auf die Herrschaftszeit Friedrichs II. rekurrierte und nicht behauptete, er sei schon zum Zeitpunkt seiner Krönung illegitim gewesen, etwa durch den Verweis auf seine Zugehörigkeit zum genus persecutorum der Staufer.26 Die Dekretale ließ daher den Gedanken zu, dass sich die Feststellung entscheidender Verfehlungen und die Deposition mit der Legitimität einer in der Vergangenheit liegenden Kaiserkrönung durchaus vereinbaren ließen. Nichts schien aus juristischer Sicht dem Gedanken im Wege zu stehen, dass die vormalige Weihe und Krönung durch die Deposition invertiert werden konnte. Freilich blieb es in ‘Lyon’ nicht bei der Durchführung eines juristischen Formalakts.27 Da der Kaiser zwar abwesend war, sich aber auf das Engagement juristisch versierter Fürsprecher wie Thaddaeus von Suessa verlassen konnte, musste es darum gehen, das Absetzungsverfahren auch sinnlich erfahrbar zu machen und seine Akzeptanz durch die Einkleidung in ein Ritual zu steigern, das den Absetzungsvorgang aus den ganzen gleichzeitig verhandelten Materien heraushob.28 Vom Beginn des Verfahrens an, das mit einer päpstlichen Predigt 25 Innocentius IV., Commentaria. Apparatus in V Libros Decretalium, Frankfurt a. M.
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26 Zum genus persecutorum vgl. Regestum Innocentii III papae super negotio Romani imperii,
ed. F. KEMPF (Miscellanea historiae pontificiae 12), Rom 1947, Nr. 29, S. 74-91.
27 Zu dem Vorgang O. B. RADER, Friedrich II. Der Sizilianer auf dem Kaiserthron. Eine
Biographie, München 2010, S. 473-477; E. SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 15), S. 217-228; W. STÜRNER, Friedrich II., T. 2: Der Kaiser 1220-1250, Darmstadt 2000, S. 533-539. Zur Rezeption A. SOMMERLECHNER, Stupor mundi? Kaiser Friedrich II. und die mittelalterliche Geschichtsschreibung (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom, 1. Abteilung, Abhandlungen 11), Wien 1999, S. 193-197. Eine Deutung der rituellen Elemente des Vorgangs unternimmt S. WEINFURTER, Der Papst weint. Argument und rituelle Emotion von Innocenz III. bis Innocenz IV., in: C. GARNIER / H. KAMP (Hgg.), Spielregeln der Mächtigen. Mittelalterliche Politik zwischen Gewohnheit und Konvention, Darmstadt 2010, S. 121-132. 28 Die Hauptzeugen dieser Vorgänge sind Matthaeus Paris, die sog. Brevis nota sowie ein Brief Innozenz’, in dem er auf die Vorgänge eingeht: Matthaeus Parisiensis, Chronica Maiora, ed. H. R. LUARD (Rolls Series 57/4), 7 Bde., London 1877, Bd. 4, S. 431-456 und 473; Brevis nota eorum, quae in primo concilio Lugdunense gesta sunt, in: Sacrorum conciliorum nova et amplissima Collectio, ed. G. D. MANSI, ND Graz 1961, Bd. 23, Sp. 610613; A. HUILLARD-BREHOLLES, Historia diplomatica Friderici secundi, 6 Bde., Paris 1860,
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am 28. Juni begonnen hatte, wurden die rituellen Anknüpfungspunkte genutzt, die Liturgie und Konzilsoratorik zu bieten hatten: ein festlich gewandeter Papst als Prediger über das Thema “Ihr alle, die ihr des Weges zieht, merket auf und sehet, ob es einen Schmerz gibt wie meinen Schmerz” (Klgl. 1,12); die Parallelisierung von fünf Hauptschmerzen mit den Wunden Christi, wobei der Kaiser als Feind der Kirche wie eine Klimax als der fünfte und letzte päpstliche Hauptschmerz gehandelt wurde; das Weinen und Schluchzen des predigenden Papstes;29 vor allem aber, während der Verlesung der Absetzungssentenz 19 Tage später (in die sich abermals die Seufzer und das Stöhnen von Friedrichs Anhängern mischten), die denkwürdige Einkleidung dieses Vorgangs: Papst und sämtliche anwesenden Prälaten hielten brennende Kerzen in ihren Händen – und senkten und löschten diese gemeinsam, als der Bann ausgesprochen wurde. So hätten sie den gebannten Friedrich abgesetzt, heißt es bei Matthaeus Paris: […] omnes praelati candelas suas accensas inclinarent et extinguerent, excommunicatum Frethericum deponentes.30 Und ein anderer Gewährsmann, ein anonymer Verfasser eines Berichts vom Konzilsgeschehen, betont, dass Innozenz nach diesem Akt sofort das Ende der Versammlung herbeiführte: Nach der Verlesung der Sentenz habe er sich erhoben, ein Te Deum angestimmt, und damit sei das Konzil beendet gewesen.31 Mit dieser Dramaturgie war ein Muster vorgegeben, das sich in der Zukunft leicht adaptieren ließ, sofern man es an lokale Besonderheiten anpasste: Der Akt der Deposition musste keineswegs einem und nur einem vorgegebenen Verfahrenstyp entsprechen. In einer Art Bricollage aus verschiedenen Mustern konnte man das Procedere des Gerichtsverfahrens mit liturgischen Praktiken, mit Predigten und sorgsam geplanten Reden abrunden. Konnte man bei künftigen Depositionsakten Druck auf den abzusetzenden König ausüben, dann konnte man diesen nötigen, zugleich förmlich auf sein Amt zu verzichten, womit als alternative Lesart des Geschehens die Abdankung des Throninhabers angeboten wurde. Man konnte ihn freilich auch heimlich töten und damit eine weitere alternative Lesart eröffnen: nämlich dass mit dem Tod des Monarchen ohnehin die Nachfolge zu regeln war. In England geschah dies bei der Absetzung Edwards II. und Richards II. gleich zweimal, was den Engländern schon Jahrhun-
Bd. 6, S. 346-347. Vgl. J. MIETHKE / A. BÜHLER, Kaiser und Papst im Konflikt. Zum Verhältnis von Staat und Kirche im späten Mittelalter (Historisches Seminar 8), Düsseldorf 1988, S. 105-112; Kaiser Friedrich II. Leben und Persönlichkeit in Quellen des Mittelalters, ed. K. VAN EICKELS / T. BRÜSCH, Düsseldorf 2000, S. 400-409. 29 S. WEINFURTER, Der Papst weint (wie Anm. 27), S. 126, deutet das Weinen des Papstes als einen Akt der imitatio Christi. Vgl. Kaiser Friedrich II., ed. K. VAN EICKELS / T. BRÜSCH (wie Anm. 28), S. 402. 30 Matthaei Parisiensis, Monachi Sancti Albani, Chronica Maiora (wie Anm. 28), S. 473. 31 Brevis nota (wie Anm. 28), Sp. 613.
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derte vor der Hinrichtung Karls I. im Januar 1649 den Ruf eintrug, eine Nation von Königsmördern zu sein.32 Nicht d i e eine Lesart des Geschehens strebten die Akteure an, vielmehr suchten sie zu erreichen, dass das Geschehen aus allen möglichen Blickwinkeln als legitim und akzeptabel erschien. Die Absetzungsrituale waren die Orte, an denen dieser Sinnüberschuss erarbeitet und den Rezipienten angeboten wurde.
4. Denkformen, die der Inversionspraxis vorangehen Die Depositionsakte, die durch den denkwürdigen Vorgang auf dem Konzil von 1245 angeregt wurden, waren durch eine ganze Reihe von Veränderungen in der Perzeption des Königtums vorbereitet worden, die im Folgenden freilich nur skizzenhaft eingebracht werden können. So ging schon seit dem 9. Jahrhundert die religiöse Fundierung der Herrscherethik mit der Verchristlichung der Vorstellungen vom Königtum einher.33 Nicht nur um Würde ging es bei der Monarchie, sondern auch um ein Amt, und mit dieser Neuperzeption war die Frage nach der Befähigung zum Herrschen ebenso impliziert wie die Praxis der Kritik an der faktischen Herrschaftsausübung. Angestoßen durch die gregorianische Reform und dann massiv verstärkt gerade unter Friedrich II., wurde die Herrschaft des Fürsten immer stärker in distinkte Felder der Religion, des Rechts und der Politik binnendifferenziert, wie Gerhard Dilcher unlängst gezeigt hat: in soziale Felder also, die durch jeweils eigene Logiken konstituiert wurden und jeweils eigene Räume des Sag- und des Machbaren ausprägten.34 Zu Recht hat Dilcher (und gleichzeitig Paolo Prodi35) in der Tradition von Ernst Kantorowicz auch darauf hingewiesen, dass diese Felder keineswegs isoliert nebeneinander bestanden, sondern intensiv miteinander kommunizierten. Mit anderen Worten: Die Religion verschwand nicht aus dem Recht oder der Politik, sondern sie wurde in eine neue, kontrollierbarere Relation zu ihnen gesetzt. Insbesondere vertrat Dilcher die These, dass mit der Säkularisierung von 32 P. S. LEWIS, Two Pieces of Fifteenth-Century Political Iconography, in: Journal of the
Warburg and Courtauld Institute 27 (1964), S. 317-320.
33 J. EHLERS, Grundlagen der europäischen Monarchie in Spätantike und Mittelalter, in: Ma-
jestas 8/9 (2000/01), S. 49-80, F.-R. ERKENS, Herrschersakralität (wie Anm. 18).
34 G. DILCHER, Säkularisierung von Herrschaft durch Sakralisierung der Gerechtigkeit?
Überlegungen zur Gerechtigkeitskonzeption bei Kaiser Friedrich II. und Ambrogio Lorenzetti, in: I. KROPPENBERG / M. LÖHNIG / D. SCHWAB (Hgg.), Recht – Religion – Verfassung. Festschrift für Hans-Jürgen Becker zum 70. Geburtstag am 3. November 2009, Bielefeld 2009, S. 9-47. 35 P. PRODI, Konkurrierende Mächte. Verstaatlichung kirchlicher Macht und Verkirchlichung der Politik, in: P. BLICKLE / R. SCHLÖGL (Hgg.), Die Säkularisation im Prozess der Säkularisierung Europas (Oberschwaben – Geschichte und Kultur 13), Epfendorf 2005, S. 21-36, hier S. 26.
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Herrschaft, die mit der gregorianischen Reform einsetzte, eine Sakralisierung der Gerechtigkeit einherging, welche die Beziehung des Monarchen zum Recht neu zu fassen half. Das Königtum wurde also nicht nur stärker als Amt angesehen, darüber hinaus konnte man auch die Kriterien für die Bewertung königlicher Amtsführung besser benennen, weil man lernte, sie losgelöst von der Person des Monarchen zu betrachten. Die Ausdifferenzierung von Religion erleichterte es auf diese Weise auch, die Ausübung kirchlicher Ämter und das kirchliche Amtsverständnis als Paradigmen für die Ausübung von Königsherrschaft, für Eignungsprüfung, Feststellung von Verfehlungen und Amtsenthebung anzusehen. Für das Papsttum beispielsweise, so hat bereits Harald Zimmermann anhand der Papstabsetzungen bis zur Gregorianischen Reform zeigen können, wirkten schon Jahrhunderte vor den Königsabsetzungen Denkformen, die man unter den beschriebenen Bedingungen seit ‘Lyon’ auf Kaiser und Könige anwandte: nämlich dass es sich im Falle einer Papstabsetzung um ein allgemein anerkanntes Pontifikat handeln musste, dass Klage und Verfahren vorausgingen und dass als Medium der Deposition ein Ritual zur Verfügung stehen musste, das als die Inversion der Papsterhebung selbst fungierte.36 Es lag nahe, diese Kriterien auf Kontrolle, Kritik und gegebenenfalls Entfernung der Könige zu übertragen. Zugleich stand der Klerus als Kontroll- und Korrekturinstanz für die Einschätzung von erfolgreicher bzw. erfolgloser Fürstenherrschaft zur Verfügung. In diesem Sinne betonte beispielsweise Jacobus von Viterbo in seinem Traktat De regimine christiano von ca. 1300: Geistliche Gewalt kann und muss weltliche Gewalt korrigieren, leiten und strafen – oder eben auch beenden.37 Weniger ausgeprägt, aber in seiner Anlage doch aufschlussreich war der Versuch der Fürsten im Reich, die Kontrolle des Königs – bis hin zur Bestrafung – dadurch zu institutionalisieren, dass der Pfalzgraf bei Rhein als Richter über den König fungieren sollte – ein Konzept, das seinen Ausgang von Sachsenspiegel,38 Schwabenspiegel39 und sächsischem Weichbildrecht40 nahm und, so Ernst 36 H. ZIMMERMANN, Papstabsetzungen (wie Anm. 16). 37 Jacobus de Viterbo, De Regimine Christiano (1301-02), ed. H. X. ARQUILLIERE (Études
de theologie historique), Paris 1926, S. 234-235: […] quia eam [potestatem temporalem] potest et debet [potestas spiritualis] corrigere et dirigere, punire et penam ei inferre non solum spiritualem sed temporalem, ratione criminis et delicti, etiam usque ad eius destitutionem procedere, si hoc delicti qualitas exigat. 38 Sachsenspiegel. Landrecht, ed. K. A. ECKHARDT (Monumenta Germaniae Historica, Fontes iuris Germanici antiqui N.S. 1/1), Göttingen 21955, lib. III, Art. 52, § 3, S. 237238: […] went klaget men over den richtere, he scal antwarden vor deme sculteiten, went de sculteite is richtere siner scult; alse is de palenzgreve over den keiser, unde de borchgreve over den markgreven. 39 Schwabenspiegel – Kurzform, ed. K. A. ECKHARDT (Monumenta Germaniae Historica, Fontes iuris Germanici antiqui N.S. 4/1), Hannover 1960, Landrecht 121c, S. 211: […] der kunig sol mit recht dieser herchaft [sic] chainer in seiner gewalt han. Er sol sy leyhenn ye do sy pestetet sey. tut er des nicht das klagen die fursten vnd ander das in werre dem pfalczgrauen von rein. der ist ze recht uber in ir richter.
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Schubert, “während des späten Mittelalters nicht vergessen” wurde.41 Nicht nur dem Primat des Rechts, sondern auch dem des bonum commune wurde der Herrscher dabei untergeordnet.42 Gerechtigkeit und Gemeinwohl standen als Begründungsressourcen bereit und fungierten als Konkurrenten der älteren, transzendenten Begründung der Königsherrschaft via ‘Dynastie’ oder ‘Geblüt’. Dass die Absetzung eines Herrschers auch auf dieser Basis als dringend notwendig präsentiert werden konnte, zeigt beispielhaft ein Blick auf das buchli des sogenannten Oberrheinischen Revolutionärs (zw. 1498 u. 1510):43 Also ich hoer von hern, ‘ich han genuog, das land ist min, si muossen tuon, was ich will!’ ‘Nein’, seit die gloß, ‘man sol den wuottrich nit losen regieren. Weger ist, ein man verderben, dan ein gantz land vnderbracht.’ Secht an diß buochli, wie man mit recht ein babst, ein keisser, ein kunig mag absetzen!
Die Relation zwischen Herrscher und Beherrschtem konnte als Vertrag, jedenfalls als reziprokes Verhältnis konzipiert werden, etwa nach dem Vorbild der Vasallität, die mit Ritualen wie der diffidatio oder der exfestucatio (d.h. der Aufsagung einer Vasallenbindung durch Halmwurf) gleichfalls annulliert werden konnte. In diesem Sinne hat Marc Bloch in seiner einschlägigen Studie das Ritual der Exfestukation als “la contre-partie” des hominium gefaßt. Inversion ist auch hier schon die Praxis, mit der selbst solche sozialen Bindungen aufgehoben werden konnten, die den ‘ganzen Menschen’ einbegriffen und somit eigentlich als totale soziale Institutionen unverbrüchlich sein müssten.44 Eine letzte Denkform, die hier zu erwähnen ist, betrifft ein anderes Maß, an dem Königsherrschaft gemessen werden konnte. Unlängst hat Karl Ubl zeigen können, dass Philosophen und Theologen des späten Mittelalters ihre Vorstellungen vom princeps aus jeweils ganz verschiedenen Traditionen bezogen. Diese rekurrierten dabei zwar mehrheitlich auf antike Vorbilder (römisches Recht, 40 Dat buk wichbelde recht – Das sächsische Weichbildrecht nach einer Handschrift der
Königl. Bibliothek zu Berlin von 1369, ed. A. VON DANIEL, Berlin 1853, Art. IX, § 5, S. 8.
41 E. SCHUBERT, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungs-
geschichte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 63), Göttingen 1979, S. 117-118. 42 M. S. KEMPSHALL, The Common Good in Late Medieval Political Thought, Oxford 1999; P. HIBST, Utilitas Publica – Gemeiner Nuz – Gemeinwohl (Europäische Hochschulschriften Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 497), Frankfurt a. M./ Bern/New York 1991. Kommunale Anfänge dieses Konzepts vermutet: P. BLICKLE, Der Gemeine Nutzen. Ein kommunaler Wert und seine politische Karriere, in: H. MÜNKLER / H. BLUHM (Hgg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische Semantiken politischer Leitbegriffe (Forschungsberichte der interdisziplinären Arbeitsgruppe “Gemeinwohl und Gemeinsinn” der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 1) Berlin 2001, S. 85-107. 43 Der Oberrheinische Revolutionär. Das buchli der hundert capiteln mit xxxx statuten, ed. K. H. LAUTERBACH (Monumenta Germaniae Historica, Staatsschriften 7), Hannover 2009, S. 536. 44 M. BLOCH, Les formes de rupture de l’hommage dans l’ancien droit féodal, in: Nouvelle revue historique de droit français et étranger 36 (1912), S. 141-177.
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Bibel, Patristik, stoische Philosophie), entnahmen diesen aber ganz verschiedene Konzepte von Herrschaft. Im Fall der Fürstenspiegel-Tradition meinten sie beispielsweise einen Monarchen, in Anlehnung an die neue Übersetzung der aristotelischen “Politik” durch Wilhelm von Moerbeke aber die Amtsträger in einem Stadtstaat. Im ersteren Fall ist mit dem princeps also der Fürst gemeint, im letzteren Fall ist das Gegenteil zur Privatperson gemeint: der aristokratische Amtsträger! Damit aber waren Interferenzen zwischen dem Königtum als einem Handlungsraum und dem politischen Repertoire der Kommunen gegeben, zu dem beispielsweise der Umgang mit einem Podestà gehörte. Dem entspricht die Beobachtung, dass in der Praxis der Königsabsetzungen, etwa anlässlich der Deposition Edwards II. von England 1327, die städtische Kommune als Schwureinung unter der Führung eines periodisch neu zu wählenden maior das Muster dafür bereitstellte, wie man auch einen Monarchen einer effektiven Kontrolle unterwerfen konnte. Denn die Idee zur förmlichen Absetzung Edwards II. stammte 1327 höchstwahrscheinlich aus den Reihen der Londoner Bürgerschaft, und sie wurde so in die Tat umgesetzt, dass die Mitglieder der baronialen Opposition gegen Edward durch Eidesleistung der “Commune of London” beitraten. Hintergrund war, dass der König als Stadtherr in den Jahren unmittelbar vor dem Ereignis die Freiheiten und Privilegien der Londoner kassiert und in diesem Zusammenhang auch Bürgermeister abgesetzt hatte. Es waren dann die Londoner, die auf dem Tiefpunkt von Edwards Autorität an der Jahreswende 1326/27 den Spieß umkehrten und die Magnaten anfragten, ob man den Monarchen nicht einfach absetzen sollte.45
5. Herrscherabsetzungen als Inversionsrituale Die Rituale selbst, mit deren Vollzug der in der Vergangenheit liegende Akt der Königserhebung invertiert und mit denen damit die Herrschaft eines Königs annulliert wurde, sind an anderer Stelle eingehender untersucht worden.46 Einige 45 F. REXROTH, Die Bilderwelt moderner Geschichtsschreibung und das mittelalterliche
Imaginarium. Eine Studie über die Absetzung König Edwards II. von England 1327, in: O. G. OEXLE / M. A. BOJCOV (Hgg.), Bilder der Macht in Mittelalter und Neuzeit. Byzanz – Okzident – Rußland (Veröffentlichungen des Max-Planck-Institut für Geschichte 226), Göttingen 2007, S. 361-388; vgl. R. M. HAINES, King Edward II. His Life, his Reign, and its Aftermath, 1284-1330, Montreal 2003, S. 182-184, 193-194; G. A. WILLIAMS, Medieval London. From Commune to Capital (University of London Historical Studies 11), London 1963, S. 297. Für die Quellenkritik zur Absetzung Edwards II. ist wichtig C. VALENTE, The Deposition and Abdication of Edward II, in: English Historical Review 113 (1998), S. 852-881. 46 F. REXROTH, Um 1399 – Wie man einen König absetzte (wie Anm. 15); DERS., Tyrannen (wie Anm. 15); DERS., Die Absetzung König Adolfs von Nassau in einer europäischen Perspektive – und im Spiegel der Colmarer Dominikanerchronik, in: P. AUFGEBAUER /
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Charakteristika, die für die Frage nach ihrer ‘invertierenden’ Qualität entscheidend sind, sollen daher an dieser Stelle bevorzugt betrachtet werden. Die rituelle Ausgestaltung der Absetzungen bedeutete zum ersten, dass der Akt in Raum und Zeit gestreckt wurde. Hierdurch wurde der Vorgang sinnlich erfahrbar gemacht. Für die Absetzung des schottischen Königs John Balliol im Jahr 1296 nahm man sich ganze vier Tage Zeit.47 Schwellenzeiten und -räume wurden genutzt, etwa indem die Akteure zwischen der Absetzung des Deponenten und der Wahl seines Nachfolgers eine Nacht verstreichen ließen; der steirische Chronist Ottokar aus der Gaal hatte ein offenes Auge dafür, als er zum Jahr 1298 von der Absetzung Adolfs von Nassau berichtete.48 Signifikante Wege boten den Anlass zu Prozessionen, die das Voranschreiten zur Absetzung bzw. Neuerhebung symbolisierten: 1298 aus der Stadt Mainz heraus zum bischöflichen Tiergarten,49 oder, am stärksten, 1400 mittels einer Bootsfahrt auf dem Rhein von der Absetzung Wenzels bei Oberlahnstein zur Wahl Ruprechts am gegenüberliegenden Ufer in Rhense.50 Die sinnliche Erfahrbarkeit des Vorgangs wurde zweitens, in enger Verknüpfung mit dieser Streckung des Geschehens in Raum und Zeit, durch seine
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C. VAN DEN HEUVEL (Hgg.), Herrschaftspraxis und soziale Ordnungen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Ernst Schubert zum Gedenken (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 232), Hannover 2006, S. 35-49. M. PRESTWICH, The English Campaign in Scotland in 1296 and the Surrender of John Balliol: Some Supporting Evidence, in: Bulletin of the Institute of Historical Research 49 (1976), S. 134-139; E. L. G. STONES / M. N. BLOUNT, The Surrender of King John of Scotland to Edward I in 1296. Some New Evidence, in: Bulletin of the Institute of Historical Research 48 (1975), S. 94-106; G. G. SIMPSON, Why was John Balliol Called “Toom Tabard”?, in: The Scottish Historical Review 47 (1968), S. 196-199. Ottokars Österreichische Reimchronik, ed. J. SEEMÜLLER (Monumenta Germaniae Historica, Deutsche Chroniken 5/2), Hannover 1893, V. 71743-71756, S. 948. Annales Moguntini, ed. G. H. PERTZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 17), Hannover 1861, ad a. 1298, S. 3: In vigilia beati Iohannis baptistae Gerhardus archiepiscopus Moguntinensis, dux Saxoniae, et marchio Brandenbuorgensis, Moguntiae in horto ferarum deposuerunt de facto regem Adolfum, et substituerunt Albertum ducem Austriae. Vgl. Johann von Viktring, Liber certarum historiarum (wie Anm. 13), Bd. 1, S. 355: Presul Maguntinus primo in quodam loco rurali in vicinia civitatis Moguntine Alberto presente publice Adolfum […] indignum regno, immo non esse regem Romanorum pronunciat. Der Fall ist in jüngerer Zeit am häufigsten behandelt worden: K. UBL, Laster (wie Anm. 23); F. REXROTH, Die Absetzung (wie Anm. 46); J.M. MOEGLIN, Chute et mort d’Adolf de Nassau (1298). Stratégies et scénarios pour un coup d’État, in: F. FORONDA / J.-P. GENET / J. M. NIETO SORIA (Hgg.), Coups d’état à la fin du moyen âge? Aux fondements du pouvoir politique en Europe occidentale (Collection de la casa de Velazquez 91), Madrid 2005, S. 153-180; M. WALLNER, Zwischen Königsabsetzung und Erbreichsplan. Beiträge zu den Anfängen der kurfürstlichen Politik im 14. Jahrhundert (1298-1356) (Historische Studien 482), Husum 2004, S. 22-85; E. SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 15), S. 254-273; E. SCHUBERT, Die Absetzung König Adolfs von Nassau, in: M. THUMSER / A. WENZ-HAUBFLEISCH / P. WIEGAND (Hgg.), Studien zur Geschichte des Mittelalters. Jürgen Petersohn zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2000, S 271-301. Dazu ausführlicher und mit Belegen F. REXROTH, Tyrannen (wie Anm. 15), S. 46-47.
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Theatralität weiter gesteigert. Als im Juni 1465 in Avila der abzusetzende König Enrique IV. von Kastilien nicht anwesend war, ersetzte man ihn durch eine Puppe, die man mit den königlichen Insignien versehen hatte. Diese entfernte man dann sukzessive, und man konfrontierte die Puppe dabei mit Enriques vier Hauptverfehlungen (ein deutlicher Rekurs auf die Absetzung Friedrichs II.!), wobei jeder Verfehlung die Entfernung einer bestimmten Insignie folgte. Die Urteilsverkündung wurde schließlich von der Entfernung der Krone, des Schwertes und des Szepters begleitet. Anschließend trat man die Puppe unter Beschimpfungen vom Podest: “In den Staub, Sodomiter”, rief einer, während die Zuschauer der Szene “wegen des furchtbaren Todes des Entthronten” laut weinten.51 An die Wegnahme der Insignien erinnerte man sich auch, als man in Schottland des Depositionsaktes gegen John Balliol gedachte, wie die Chronik Andrews von Wyntoun aus dem frühen 15. Jahrhundert zeigt:52 The pellour thai tuk out of his tabart, Tuyme Tabart he was callit eftirwart; And al othir insignyis That fel to kynge on ony wise, Baythe septure, suerde, crowne and rynge, Frau this Johun, that he made kynge, Hallely fra hym he tuk thar, And mad hym of his kynrik bare.
Drittens zielten die Akte darauf zu demonstrieren, dass sie göttlich inspiriert waren. Predigtmotti wurden entsprechend gewählt, Protagonisten standen in Orantenhaltung und mit schlotternden Händen vor der Versammlung und versuchten diese in Ekstase zu versetzen, Akklamationen hallten durch den Raum (wie hier durch das am 7. Januar 1327 in Westminster versammelte Parlament: fiat, fiat, fiat, amen).53 In Stockholm griff man im Verlauf der Absetzung Magnus Erikssons auf Visionen der heiligen Birgitta zurück.54 51 A. MACKAY, Ritual and Propaganda in Fifteenth-Century Castile, in: Past and Present
107 (1985), S. 3-43, hier S. 9-10. Vgl. F. FORONDA, La monarchie élective dans la Castille du XVe siècle. Retour sur la farce d’Avila (5 juin 1465), in: C. PENEAU (Hg.), Élections et pouvoirs politiques du VIIe au XVIIe siècle. Actes du colloque réuni à Paris 12 du 30 novembre au 2 décembre 2006, Pompignac 2008, S. 351-382. 52 The Original Chronicle of Andrew of Wyntoun, ed. F. J. ARMOURS, 6 Bde., Edinburgh 1907, Bd. 5 (The Scottish Text Society 56), S. 295. Vgl. G. G. SIMPSON, Why was John Balliol Called “Toom Tabard”? (wie Anm. 47). 53 Sog. Forma depositionis regis Edwardi Anglie aus der Chronik Cambridge, Trinity College Ms. R.5.41, fol. 125r-126v. zit. bei N. FRYDE, The Tyranny and Fall of Edward II, 1321-1326, Cambridge/London/New York 1979, S. 234: Quod audiens populus universus unanimi consensu rursus manus ut prius extendentes clamabat Fiat, fiat, fiat, Amen. Die Akteure hatten zuvor alle Register der emotionalen Mobilmachung gezogen. 54 Svenskt diplomatarium (bisher 11 Bde.), hier Bd. 8, H. 2: 1361-1365, ed. J. G. LILJEGREN, Stockholm 1964, Nr. 6901, S. 420-424; vgl. Scriptores rerum Svecicarum Medii Aevi, ed.
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Viertens ist wichtig, dass die Absetzungsverfahren als Inversionsrituale ausgestaltet wurden: Die Akteure von Verfahren wie demjenigen, das im Juni 1298 im Mainzer Tiergarten (Adolf von Nassau), im Januar 1327 in der Abteikirche von Westminster bzw. der Londoner Gildehalle (Edward II.), im Februar 1364 auf der Morawiese bei Uppsala (Magnus Eriksson) oder im August 1400 am Rhein bei Oberlahnstein (Wenzel) vollzogen wurden, nahmen in ihrer Gestaltung Bezug auf die entsprechenden Wahlakte bzw. die Usancen, nach denen in den betreffenden Königreichen Herrscher erhoben und gekrönt wurden. Akklamationen gestaltete man so, dass sie die Zuhörer an die Zurufe während der Wahlhandlungen selbst erinnerten. In England verkündete man, dass der Deponierte fortan wieder den Namen tragen sollte, den er mit seinem Königtum aufgegeben hatte: Edward solle fortan wieder Edward von Carnavan heißen, sein Urenkel Richard II. wieder Richard von Bordeaux.55 Die Auflösung des königlichen Haushalts konnte man anzeigen, indem man dessen Vorsteher den Amtsstab zerbrechen ließ, der ihm einstmals während des Krönungsrituals übergeben worden war.56 Die Annullierung der lehnsmäßigen Beziehung zwischen dem König als dem Herrn und dem Untertan als seinem “Mann” wurde als formaler Akt der diffidatio ausgestaltet: John Balliol von Schottland wurde 1296 gezwungen, seine Rechte am Königtum cum fusto et baculo wieder abzugeben.57 Laut Ottokars steirischer Reimchronik “entsagte” Erzbischof Gerhard Adolf “Königs Recht und Reiches Ehre” und verbot den Fürsten, ihn fortan “Herr” zu nennen:58 […] sô entsag ich hiut und immer mêre kuniges reht und des rîches êre von Nazzou dem selben gouch und verbiut im ouch bî dem banne und bî got mit allem dem gebot und ich im gebieten mac,
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C. ANNERSTEDT, Uppsala 1871/1876, Bd. 3, S. 16-20: Commentarii historici super nonnullis revelationibus s. Birgittae de rege magno Erici et successoribus ejus. Vgl. B.-U. HERGEMÖLLER, Magnus versus Birgitta. Der Kampf der heiligen Birgitta von Schweden gegen König Magnus Eriksson (Hergemöllers historiographische Libelli 3), Hamburg 2003. Nachweise dazu bei F. REXROTH, Tyrannen (wie Anm. 15), S. 45, Anm. 56. Geoffrey le Baker, Chronicon, ed. E. M. THOMPSON, Oxford 1889, S. 28: In crastino iidem nuncii homagia et ligiamenta domino Edwardo de Karnavan nuper regi, per manus Willelmi Trossel militis, ex parte tocius regni refuderunt, et Thomas de Blount miles, regalis ospicii senescallus, fraccione virge, suum officium designantis, regiam familiam nunciavit esse licenciatam. Johannes de Fordun, Chronica gentis Scotorum, ed. W. F. SKENE (The Historians of Scotland 1), Edinburgh 1871-1872, S. 327. Vgl. zu dieser Form des schottischen Rechts E. L. G. STONES / M. N. BLOUNT, The Surrender (wie Anm. 47), S. 100. Ottokars Österreichische Reimchronik (wie Anm. 48), S. 947. Die mündliche Rede des Mainzer Erzbischofs ab V. 71660, das o.g. Zitat V. 71672-71680. Das Verbot an die Fürsten, grâf Adolfs niht ze herren [zu] jehen, in V. 71683-71689.
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daz er für disen tac mit dem rîche iht zu schaffen hab.
Im Jahre 1327 ließ man in England einen Ritter namens William Trussel die Diffidation vollziehen. Trussel teilte dem König dabei offenbar mit, niemand wolle fortan estre en vostre fealte ne en vostre legeaunce ne clayment de vous come de Roy rien tenir.59
6. Die Gelehrten und das “Symmetrieprinzip” von Königskrönung und -absetzung Zuletzt noch einmal zu den Meistererzählungen der spätmittelalterlichen politischen Geschichte und dem Platz, den die Königsabsetzungen in diesen einnehmen. Es ist evident, dass diese nur vorstellbar waren aufgrund von Veränderungen, denen die Einstellung zum Königtum unterworfen war. Reziprozität der Beziehung zwischen Herrscher und Beherrschten, Vorstellungen von Vasallität und vom Königtum als Amt, die universitas civium als alternatives Beziehungsmodell zwischen Obrigkeiten und Untertanen, das auf die Vorstellungen vom Königtum abfärbt – diese neuen Denkformen ließen sich gesamthaft als Erklärungsansätze für die Bedingungen anführen, unter denen Könige zu ehemaligen Königen gemacht werden konnten. Ein schwieriger Punkt wurde allerdings dort erreicht, wo man dem Akt der Königsweihe und -krönung die Kraft zusprach, einem Mann eine neue, ‘totale’ Identität zu verleihen, die wegen ihrer transzendenten Grundlagen prinzipiell nicht mehr weggenommen werden konnte. Noch in den Tagen, als seine Niederlage und der Triumph seines Widersachers Heinrich von Lancaster beschlossene Sache waren, hielt Richard II. seinen Gegnern entgegen, durch die einstmals an ihm vorgenommene sacra unccio sei seiner Seele etwas eingeschrieben worden (carecteribus anime sue impressis), das er nicht zu widerrufen beabsichtige. Er sei bereit, das regimen regni an Henry Bolingbroke abzugeben. Damit implizierte er aber, dass selbst bei der Übergabe der faktischen Regentschaft die eigentliche Substanz des Königtums bei ihm verbleibe, ja gar nicht von ihm entfernt werden konnte.60 John Balliol, so berichtete ein Ratgeber des französischen Kö59 N. FRYDE, The Tyranny (wie Anm. 53), S. 234; vgl. Gesta Edwardi de Carnavan, auctore
canonico Bridlingtoniensi, in: Chronicles of the Reigns of Edward I and Edward II, ed. W. STUBBS (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores 76), 2 Bde., London 1883, Bd. 2, S. 90-91. 60 G. O. SAYLES, The Deposition of Richard II. Three Lancastrian Narratives, in: Bulletin of the Institute of Historical Research 54 (1981), S. 257-270, 266. Die Annales Ricardi Secundi geben seine Antwort in ganz ähnlichen Worten wieder: respondit quod noluit renunciare spirituali honori characteris sibi impressi, et inunctioni, quibus renunciare nec potuit, nec ab hiis cessare. Annales Ricardi Secundi, in: Johannis de Trokelowe et Henrici de Blaneforde Chronica et
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nigs, nannte sich auch zwei Jahre nach dem demütigenden Depositionsakt von 1296 noch roy d’Escoce.61 Letztlich konnte diese Schwierigkeit nicht aus der Welt geschafft werden. Sie trug auch fraglos dazu bei, dass die Depositionsakte bei allem Raffinement der Durchführung insofern von fragwürdigem Erfolg waren, als sie fast genauso viele Schwierigkeiten in die Welt brachten, wie sie eigentlich lösen sollten. Fasst man, so muss man fragen, mit der transzendenten Begründung der personalen Herrschaft einen Bereich, der sich weitergehender Rationalisierung und Verrechtlichung verschließt? Mit anderen Worten: Gibt es dort, wo die quasisakramentalen Akte der Königsweihe, -krönung und -salbung als Letztbegründungsinstanzen gegen die depersonalisierten Ideale der Gerechtigkeit und des bonum commune ausgetauscht werden, unweigerlich einen Rest, der immer übrigbleiben wird? Und wenn wir die gelehrten Räte sowie die Verfasser philosophischer, theologischer und juristischer Traktate über Herrschaft und Königtum als die Stichwortgeber des besagten Austauschs ansehen – muss man dann folgern, dass sie letztlich in ihren Bemühungen, eine wirkungsvolle und belastbare Technik für die Absetzung von Königen zu schaffen, gescheitert sind?62 Selbst wenn man diese Frage bejaht, ist doch zu bedenken, dass das gelehrte Personal, das seit dem Akt von 1245 an den Depositionsvorgängen mitarbeitete, mit großer Zuversicht an die Inversion der Wahl-, Weihe- und Krönungsakte heranging. Dass ihnen dieses Unterfangen vor dem Horizont ihrer Wissenschaft nicht aussichtslos erschien, kann man vermuten, wenn man den Blick auf diejenige Disziplin richtet, die in Fragen des Verfahrens, der Legitimitätsstiftung durch die Befolgung von Formen, tonangebend war: die Legistik. Wer mit den Digesten vertraut war, war auch vertraut mit dem, was man später als das “Symmetrieprinzip” des römischen Zivilrechts bezeichnet hat. Dieses besagte, dass dem Akt, der ein Rechtsgeschäft begründete, ein Lösungsakt entsprechen musste, und zwar dergestalt, dass Akt und Gegenakt “dem gleichen Formtyp angehören” (Bruno Schmidlin):63 Omnia, quae iure contrahuntur, contrario iure pereunt, erfuhr Annales, ed. H. T. RILEY (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores 28), London 1866, S. 286-287. 61 Notula super Guerra contra regem Angliae movenda (ca. 1298), ed. J. SCHWALM (Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et acta publica imperatorum et regum 3), Hannover/Leipzig 1904-1906, Nr. 645, S. 633, Z. 12-15. 62 Die Beteiligung gelehrter Juristen ist für die Absetzung Wenzels am besten untersucht worden: H. G. WALTHER, Der gelehrte Jurist als politischer Ratgeber. Die Kölner Universität und die Absetzung König Wenzels 1400, in: A. ZIMMERMANN (Hg.), Die Kölner Universität im Mittelalter. Geistige Wurzeln und soziale Wirklichkeit (Miscellanea Mediaevalia 20), Berlin 1989, S. 467-487. Für die fast gleichzeitige Absetzung Richards II. ist besonders hinzuweisen auf Adam von Usk; The Chronicle of Adam Usk, 1377-1421, ed. C. GIVEN-WILSON (Oxford Medieval Texts), Oxford 1997. 63 B. SCHMIDLIN, Die römischen Rechtsregeln. Versuch einer Typologie (Forschungen zum römischen Recht 29), Köln 1970, S. 74-75; vgl. R. KNÜTEL, Zum Prinzip der formalen Korrespondenz im römischen Recht, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung 88 (1971), S. 67-104; M. KASER, Das römische Privat-
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man aus den Digesten (50.17.100). Oder, an anderer Stelle: Nichts sei so natürlich wie die Tatsache, dass etwas auf eben jene Weise aufgelöst werden könne, in der es vormals zustande gekommen sei (Nihil tam naturale est quam eo genere quidque dissolvere, quo colligatum est. ideo verborum obligatio verbis tollitur: nudi consensus obligatio contrario consensu dissolvitur, 50.17.35).64 Accursius hielt diesen Rechtsgrundsatz für selbstevident, so dass er eine der Belegstellen (Prout quidque contractum est, ita et solvi debet) in seiner Glosse schlicht paraphrasierte.65 Aus der Sicht der Legisten – und auch anderer Juristen, die am römischen Recht Maß nahmen – lag es aus diesem Grund wahrscheinlich durchaus nahe, dass dieses zivilrechtliche Prinzip auch auf den Umgang mit dem Königsamt angewendet werden konnte. Dem rituellen Akt der Königwerdung musste ein inversives Depositionsritual entsprechen. Sprechen wir also von dem modernisierenden Beitrag des gelehrten Rechts zur Schöpfung von Verfahrensformen wie denen, die in diesem Beitrag behandelt wurden, dann können wir annehmen, dass es sich dabei keineswegs um die Umwandlung vermeintlich atavistischer Rechtsrituale in rationale Verfahrensformen handelte. Die gelehrten Helfer derjenigen Adelsgruppen, die sich der Könige entledigten, wirkten stattdessen mit an der Elaboration der rituellen Handlungsweisen, mit denen ein weiter Konsens über die Rechtmäßigkeit der Depositionen hergestellt werden sollte.
recht, Erster Abschnitt. Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, München 1971. Vgl. H. BROOM, A Selection of Legal Maxims, classified and illustrated, Union N.J. 82000, S. 877, 887. 64 Vgl. Dig. 46,3,80; 50,17,153. 65 Corpus juris civilis cum glossa, Lyon 1527, Sp. 1185-1186: Ista lex nihil aliud dicit, quam quod omnis contractus soluitur per ea per quae factus est vel ligatus. vt si verbis factus sit, verbis dissoluatur. Si re, etiam rei solutione soluatur. si consensu: tunc dissensu soluatur.
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Idoneität und Genealogie in Wolframs Parzival I. Einleitung In ihrer Einführung zum Programm dieser Tagung haben Gert Melville und Cristina Andenna konstatiert, dass die Untersuchung von Aspekten der mittelalterlichen Herrschaftslegitimation eine lange Forschungstradition hat.1 Insbesondere der Aspekt der genealogischen Legitimation von Herrschaft ist in der jüngeren Forschung breit untersucht worden. Weniger Beachtung fand dagegen die Frage nach der Idoneität derjenigen Akteure, die politische Ämter inne hatten, für ihre Übernahme vorgesehen waren oder sie für sich beanspruchten – also die Begründung ihrer persönlichen Eignung zur Herrschaft. Genealogie und Idoneität mussten aber keineswegs als zusammenfallend betrachtet werden. In der Geschichte des mittelalterlichen Königtums standen sich Erbrecht bzw. Geblütsrecht und Wahlrecht als zwei Prinzipien der Königserhebung gegenüber. Beide konnten kompetitiv gegeneinander ins Feld geführt, sie konnten aber auch miteinander verknüpft werden. Die Idoneität des künftigen Herrschers wurde dabei von beiden Seiten als Argument vertreten. Während diejenigen, die das Wahlrecht bevorzugten, erklärten, es sichere die persönliche Idoneität des Königs, behaupteten die Vertreter des Erb- bzw. Geblütsrechts, die Idoneität des Nachfolgers sei schon durch dessen Zugehörigkeit zu einer geeigneten Dynastie gesichert. Mit Bezug auf das Idoneitätsprinzip ließen sich demnach Machtpositionen einfordern und legitimieren, aber auch anfechten. Die Tagung hat es sich zum Ziel gesetzt, Elemente und Mechanismen der Idoneitätsstiftung anhand von Fallbeispielen aus dem europäischen Hoch- und Spätmittelalter vergleichend zu analysieren. Im Fokus stehen dabei solche Erscheinungsformen von Idoneität, wie sie für Individuen ausdrücklich in Anspruch genommen worden sind. Dabei hat zweifellos die dynastisch hergeleitete Befähigung für das Herrscheramt eine entscheidende Rolle gespielt, denn aus der dynastischen Genealogie ließ sich immer auch die Befähigung einzelner Mitglieder dieser Dynastie ableiten. Setzt man dies mit Max Webers Typologie von Herrschaft in Beziehung, so lässt sich das Prinzip der Idoneität durch Genealogie der traditionalen Herrschaft zuordnen. In der traditionalen Herrschaft geht Idoneität in der Regel in der genealogischen Erbfolge der Dynastie auf, bei der die Idoneität des jeweiligen Herrschers 1
Vgl. die Einleitung von Cristina Andenna und Gert Melville (Idoneität – Genealogie – Legitimation. Überlegungen zur Begründung und Akzeptanz von dynastischer Herrschaft im hohen und späten Mittelalter. Eine Einleitung, S. 11-20) zum vorliegenden Band.
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durch seine Abstammung garantiert wird. Dafür ist die bis in die Antike zurückreichende lange dynastische Traditionslinie mit einem Spitzenahn kennzeichnend, wie sie sich etwa bei der staufischen Begründung ihrer Herrschaft als traditionaler Herrschaft findet. In zahlreichen Traktaten des 12. und 13. Jahrhunderts erfolgte ein “Rückbezug auf die Tradition der trojanischen Könige und römischen Kaiser”,2 um der staufischen Herrschaft eine legitimatorische Basis zu geben. Eine vergleichbare Argumentation findet sich auch in Rudolfs von Ems Weltchronik, in der die Herkunft Konrads IV. über seine Mutter Isabella auf den biblischen König David zurückgeführt wird.3 Konrad, der letzte von Gott auserwählte Spross der Stauferdynastie, gilt als der neue David, in dem sich weltliches und geistliches Königtum vereinen. Mit dem Bezug auf David mischen sich genealogische und typologische Modelle. Genealogisch wird Konrad in eine Abstammungslinie zu König David gestellt, typologisch erscheint er als die Erfüllung des in David Verheißenen. Die Bedingungen und Voraussetzungen persönlicher Idoneität waren demgegenüber sehr viel schwerer zu fassen. Am ehesten ließen sie sich in Erziehungs- und Lehrwerken beschreiben, in denen formuliert wurde, über welche Eigenschaften ein König oder Fürst verfügen musste, um den Ansprüchen zu genügen, die als Voraussetzungen für die Ausübung von Herrschaft galten. Die Fürstenspiegel des frühen und hohen Mittelalters artikulierten exemplarisch, welche Qualitäten er dafür mitbringen musste.4 Sie bildeten damit bis ins späte Mittelalter und die Frühe Neuzeit die Textsorte, die am ehesten Idoneität einforderte, ihre Kriterien definierte und zugleich Idoneitätsbehauptungen am deutlichsten unterstützte.5 2
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Vgl. in diesem Band den Beitrag von C. ANDENNA, Cesarea oder viperea stirps? Zur Behauptung und Bestreitung persönlicher und dynastischer Idoneität der späten Staufer in kurialen und adligen Diskursen des 13. Jahrhunderts, S. 213. Vgl. ebd., S. 221 und G. MELVILLE, Die Wege der Zeit zum Heil. Beobachtungen zu mittelalterlichen Deutungen der Menschheitsgeschichte anhand der Weltchronik des Rudolf von Ems, in: H.-B. GERL-FALKOVITZ (Hg.), Zeitenwende – Wendezeiten (Dresdner Hefte für Philosophie 3), Dresden 2001, S. 159-179. Zu früh- und hochmittelalterlichen Fürstenspiegeln vgl. K.-P. SCHROEDER, Fürstenspiegel, in: Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 2, 2. neu bearbeitete Auflage, Berlin 2008, Sp. 1905-1906; H.-H. ANTON, Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit (Bonner historische Forschungen 32), Bonn 1968; DERS. (Hg.), Fürstenspiegel des frühen und hohen Mittelalters (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 45), Darmstadt 2006. Zu spätmittelalterlichen Fürstenspiegeln vgl. W. BERGES, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters (Schriften des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde 2), Leipzig 1938; A. DE BENEDICTIS (Hg.), Specula principum (Ius commune, Sonderhefte: Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 117), Frankfurt a. M. 1999. Zu Gottesgnadentum und Idoneität vgl. E. BUSCHMANN, Ministerium Dei – idoneitas. Um ihre Deutung aus den mittelalterlichen Fürstenspiegeln, in: Historisches Jahrbuch 82 (1963), S. 70-102; H. H. ANTON, Fürstenspiegel und Herrscherethos (wie Anm. 4). Zur besonderen Funktion des Königs als Garant der Gerechtigkeit vgl. M. SCHMOECKEL, Die Jugend der Justi-
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Hauptsächlich arbeiteten die zumeist von Geistlichen verfassten Fürstenspiegel mit religiösen und moralischen Ermahnungen; es wurden aber auch genuin politische Kategorien eingesetzt, um aktuelle oder künftige Herrscher zu belehren.6 “Die legitimatorischen Diskurse rekurrierten auf ein sowohl religiös fundiertes wie auch laikal-adelig geprägtes Tugendsystem, das auf einer ideellen – und daher ebenfalls ‘unverfügbaren’ – vorchristlich-antiken (prudentia, fortitudo, iustitia, temperantia) und christlichen (fides, caritas, spes) Tradition basierte. Es hatte sich ein Set an generellen Erwartungen an den Herrscher herausgebildet, das in zunehmendem Maße sowohl durch Herrschaftslehren – wie beispielsweise Fürstenspiegel– eine gelehrte Reflexivität erfahren als auch durch fiktionale Texte modellhafte Exemplifizierungen erhalten hatte: Gerechtigkeitssinn, Klugheit, Tapferkeit, Gelehrtheit usw.”7
II. Idoneität durch Genealogie und die Probleme der agnatischen Linie Bei der behaupteten oder bestrittenen Idoneität eines künftigen Königs standen sich demnach zwei Prinzipien gegenüber, das Prinzip der dynastischen und das Prinzip der persönlichen Idoneität. Daraus ergibt sich die Frage, wie genealogische Entwürfe und Behauptungen persönlicher Idoneität aufeinander bezogen werden konnten. Standen sie sich konträr gegenüber oder ließen sie sich verknüpfen? Und wenn sie miteinander verknüpft waren, in welcher Weise erfolgte dann eine solche Verknüpfung? Inwieweit konnte fehlende oder bestrittene Eignung zum Ausschluss von der Herrschaft trotz genealogisch gesicherter Voraussetzungen führen? Wendet man diese Fragen auf den um 1210/20 entstandenen Parzival Wolframs von Eschenbach an, so zeigt sich, dass sich hier in besonderer Weise die Probleme von Genealogie und Idoneität verbinden. Genealogische Legitimität und Idoneität werden einerseits gegeneinander ausgespielt, andererseits werden sie aber auch wechselseitig aufeinander bezogen.8 Einerseits sind Verwandt-
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tia. Archäologie der Gerechtigkeit im Prozessrecht der Patristik, Tübingen 2013, insbesondere S. 197-205. Zu den politischen Aspekten vgl. insbesondere S. BAGGE, The Political Thought of the King’s Mirror (Medieval Scandinavia. Supplements 3), Odense 1987. C. ANDENNA, Wer ist zur Herrschaft geeignet? Konstruktion und Dekonstruktion dynastischer Idoneität und Legitimation am Beispiel der späten Staufer, in: H. VORLÄNDER (Hg.), Transzendenz und die Konstitution von Ordnungen, Berlin/Boston 2013, S. 115141, hier S. 119. Insofern scheint mir Peter Czerwinskis These, Wolframs Parzival sei völlig bestimmt von “genealogischer Wahrnehmung, einer Wahrnehmung, die vollständig von Denkfiguren einer Identität im dynastischen Verband geprägt ist”, nicht zuzutreffen. Vgl. P. CZERWINSKI, Exempel einer Geschichte der Wahrnehmung, Bd. 1: Der Glanz der Abstraktion.
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schaftsstrukturen und über Verwandtschaft begründete dynastische Sukzession im Parzival von entscheidender Bedeutung für die Nachfolge auf dem Gralsthron, andererseits verdeutlicht schon die Aufgabe, die der potentielle Nachfolger bewältigen muss, bevor er die Herrschaft übernehmen kann, dass Genealogie allein nicht genügt, um eine legitime Herrschaftssukzession zu begründen. Der künftige Herrscher muss auch seine persönliche Idoneität unter Beweis stellen, bevor er die Gralsherrschaft antreten kann. Und ein großer Teil der Erzählung behandelt die Schwierigkeiten, die der Hauptprotagonist hat, Idoneität zu erwerben und unter Beweis zu stellen. Dieses Problem spiegelt sich in der Forschung freilich nur bedingt wieder. Genealogie und Verwandtschaft sind in Bezug auf Wolframs Parzival vielfach untersucht worden.9 Dagegen ist das Problem der Idoneität des Herrschers als Voraussetzung für die Übernahme von Herrschaft in der mediävistischen Germanistik nicht thematisiert worden. Es scheint lediglich implizit in jenen Forschungsdiskussionen auf, in denen Parzivals tumpheit als Ursache seines Scheiterns auf der Gralsburg thematisiert wird, wobei das ‘Versagen auf der Gralsburg’ jedoch unter dem Aspekt der Erlösungsfähigkeit, nicht aber dem der Herrschaftsfähigkeit diskutiert worden ist.10
Frühe Formen der Reflexivität im Mittelalter, Frankfurt a. M./New York 1989, S. 135. Auch die These, das eigentliche epische Subjekt sei die Dynastie und nicht ein einzelner Held, halte ich nicht für überzeugend. Zwar ist zutreffend, dass Sippe und Dynastie eine entscheidende Rolle spielen, aber das verhindert nicht, dass das Problem von Parzivals persönlicher Idoneität im Zentrum steht. 9 Vgl. W. DELABAR, Erkantiu sippe unt hoch geselleschaft. Studien zur Funktion des Verwandtschaftsverbandes in Wolframs von Eschenbach Parzival (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 518), Göppingen 1990; M. PRZYBILSKI, Verwandtschaft als Wolframs Schlüssel zur Erzählten Welt, in: Zeitschrift für Germanistik 15 (2005), S. 122-137; E. SCHMID, Familiengeschichten und Heilsmythologie. Die Verwandtschaftsstrukturen in den französischen und deutschen Gralromanen des 12. und 13. Jahrhunderts (Zeitschrift für romanische Philologie, Beiheft 211), Tübingen 1986, S. 171-205; R. E. SUTTER, mit saelde ich gerbet han den gral. Genealogische Strukturanalyse zu Wolframs Parzival, Diss., Tübingen 2000. Nicht auf den ‘Parzival’ bezogen, aber grundlegend zur Genealogie: B. KELLNER, Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mittelalter, München 2004; vgl. daneben auch C. BRINKER-VON DER HEYDE, Raumüberspannende Vernetzungen. Verwandtschaftssysteme in Rechtstexten und fiktionaler Literatur, in: U. STÖRMERCAYSA / S. GLAUCH / S. KÖBELE (Hgg.), Projektion – Reflexion – Ferne. Räumliche Vorstellungen und Denkfiguren im Mittelalter, Berlin/Boston 2011, S. 321-346. 10 Zur Diskussion um Parzivals tumpheit vgl. H. RUPP, Die Funktion des Wortes tump im Parzival Wolframs von Eschenbach, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 38 (1957), S. 97-106; A. M. HAAS, Parzivals tumpheit bei Wolfram von Eschenbach (Philologische Studien und Quellen 21), Berlin 1964; J. BUMKE, Wahrnehmung und Erkenntnis im Parzival Wolframs von Eschenbach, in: U. PETERS (Hg.), Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150-1450 (Germanistische Symposien, Berichtsbände 23), Stuttgart/Weimar 2001, S. 355-370; DERS., Die Blutstropfen im Schnee. Über Wahrnehmung und Erkenntnis im “Parzival” Wolframs von Eschenbach (Hermea. Germanistische Forschungen N.F. 94), Tübingen 2001, S. 100-109.
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Im Hinblick auf die Herrschaftsnachfolge auf dem Gralsthron ist die Grundkonstellation des Romans im Prinzip einfach: Das Geschlecht der Gralskönige, dessen Herrscher Anfortas aufgrund persönlichen Versagens die Herrschaft nicht mehr ausüben kann, droht auszusterben und damit der Gral, der als Verbindung von Immanenz und Transzendenz fungiert, herrenlos zu werden. Der Gralsherrscher Anfortas ist unverheiratet und kinderlos und kann definitiv auch keine Kinder mehr zeugen; sein Bruder Trevrizent hat sich um, um stellvertretend für seinen Bruder Buße zu leisten, als asketischer Einsiedler in den Wald zurückgezogen und damit selbst von der möglichen Nachfolge ausgeschlossen; die einzige Schwester, die einen Sohn hat, der die genealogische Nachfolge sichern könnte, ist verschwunden und bemerkenswerter Weise sucht auch niemand nach ihr, obwohl man Kenntnis davon haben müsste, dass sie die Mutter eines Knaben ist, der folglich der einzig mögliche Kandidat für die Thronfolge wäre.11 Allerdings käme ihr Sohn nur unter der Voraussetzung einer Umstellung der Lineage von der agnatischen auf die kognatische Erbfolge in Frage, denn bis zu ihm wurde die Gralsherrschaft streng agnatisch vom Vater auf den erstgeborenen Sohn übertragen: Auf Titurel folgte dessen Sohn Frimutel und auf diesen sein erstgeborener Sohn Anfortas, der bestenfalls durch seinen jüngeren Bruder ersetzbar gewesen wäre. Betrachtet man die Ausgangssituation der Erzählung von Parzival her, so zeigt sich, wie schwach die Verwandtschaftsbindung als Lebensordnung ist: Parzival wächst abgetrennt von allen verwandtschaftlichen Bindungen auf, seine Mutter ist die einzige Verwandte, die er kennt. Für Parzivals Mutter Herzeloyde ist Verwandtschaft allein Mutterschaft.12 Von allen anderen verwandtschaftlichen Bindungen hat sie Parzival abgeschnitten, um zu verhindern, dass er die Techniken des ritterlichen Kampfes erlernt und dabei vorzeitig zu Tode kommt wie sein Vater Gahmuret. Weil Herzeloyde ihn aus Sorge um sein Leben der ritterlichen Welt entzogen hat, wächst Parzival ohne ritterliche und höfische Erziehung auf.13 Die Entfernung von der ritterlichen Welt ist freilich nicht von 11 Dasselbe Problem gilt im Prinzip auch für die Artusdynastie, denn sein einziger Sohn Illi-
not ist bei einem Kampf getötet worden, und Artus hat damit keinen unmittelbaren Nachfolger mehr. Der einzige legitime Nachfolger wäre Gawan, der Sohn seiner Schwester. Da sich die Frage der Artusnachfolge aber nicht stellt, bleibt dieses Problem im Roman ausgeblendet. Allerdings könnte man von Gawan in jeglicher Hinsicht sagen, dass er sich im Laufe des Romans als geeignet für eine mögliche Herrschaftsnachfolge erweist. 12 Zu Herzeloyde vgl. J. GREENFIELD, Wolframs zweifache Witwe. Zur Rolle der Herzeloyde-Figur im Parzival, in: M. MEYER / H.-J. SCHIEWER (Hgg.), Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. FS für Volker Mertens zum 65. Geburtstag, Tübingen 2002, S. 159-173; S. HECKEL, die wîbes missewende vlôch (113,12). Rezeption und Interpretation der Herzeloyde, in: A. M. HAAS / I. KASTEN (Hgg.), Schwierige Frauen – schwierige Männer in der Literatur des Mittelalters, Bern u.a. 1999, S. 35-52; S. CHRISTOPH, Gahmuret, Herzeloyde, and Parzival’s ‘erbe’, in: Colloquia Germanica 17 (1984), S. 200-219. 13 Vgl. D. N. YEANDLE, Herzeloyde: Problems of Characterization in Book III of Wolfram’s Parzival, in: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte 75 (1981), S. 1-28.
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Erfolg gekrönt: Schon bei der Jagd nach Vögeln und anderen Tieren mit Hilfe eines selbst gebastelten Wurfspeers erweist sich Parzivals art als ritterlich. Durch den Rückzug von der ritterlichen Welt ist dieser art nicht aufzuhalten. Erziehung ist für seine Ausprägung bedeutungslos. Parzival fehlt lediglich das Bewusstsein davon, dass sein Trieb zu jagen und zu kämpfen Bestandteile einer bestimmten Welt sind, nämlich der ritterlichen. Als er nach der Begegnung mit den drei Rittern erkennt, dass dieser art einen festen Platz in der ritterlichen Welt hat, in der man dafür Anerkennung erlangen kann, beschließt er unverzüglich, diese Welt aufzusuchen und seine Mutter zu verlassen. Herzeloydes Entscheidung, ihn von der Welt des Rittertums zu trennen, ist jedoch auch in anderer Hinsicht folgenreich, die sich durch ritterlichen art nicht ausgleichen lässt. “Die Einöde in Soltane, wohin sich Herzeloyde mit Parzival zurückzieht, um ihn vor dem Schicksal seiner Stammväter zu bewahren, ist zugleich Sinnbild für die genealogische Beziehungslosigkeit, in welche der vaterlose Parzival hineinwächst.”14 Insbesondere, so konstatiert der Erzähler, fehlt ihm durch die Entscheidung seiner Mutter jene höfische Erziehung, die ihm als Königssohn eigentlich zukäme: der knappe alsus verborgen wart zer waste in Soltâne erzogn; an küneclîcher fuore betrogn (V. 117, 30-118, 2)15
Werte des Rittertums und des Familienverbands treten somit auseinander, wodurch ein Konflikt zwischen den Geltungsansprüchen von Genealogie und Idoneität entsteht: Nach Auffassung seiner Mutter muss der patrilineare Nachkomme vor den Risiken des Kampfes geschützt werden, aber der Erweis seiner persönlichen Idoneität geht in aller Regel mit seiner Beherztheit zum und im Kampf einher. “Die regelhaft aus der Annahme genealogischer Auszeichnung ableitbaren Erzählmuster erweisen sich als unzureichend. Wolfram setzt den Erzählkern, ‘Der Held wird, was er ist’ voraus, um ihn zu destruieren. Er erzählt nämlich, daß die genealogische Bestimmung von Ethos nicht ausreicht.”16
Durch diese genealogische Beziehungslosigkeit tritt Parzival als ein unbeschriebenes Blatt in die Welt. Alle Personen, denen er begegnet, sind ihm fremd, alle Wahrnehmungen, die er macht, müssen ihm befremdlich sein, alle Beziehungsgeflechte, in die er hineingerät, sind ihm unbekannt, alle damit verbundenen 14 R. E. SUTTER, mit saelde ich gerbet han (wie Anm. 9), S. 66. 15 Dieses und alle nachfolgenden Zitate, die stets mit der Verszahl in Klammern im Text
nachgewiesen werden, folgen der Ausgabe: Wolfram von Eschenbach, Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns revidiert und kommentiert von E. NELLMANN. Übertragen von D. KÜHN (Bibliothek deutscher Klassiker 110. Bibliothek des Mittelalters 8), 2 Bde., Frankfurt a. M. 1994. 16 J.-D. MÜLLER, Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik, Tübingen 2007, S. 53.
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normbewehrten rechtlichen und moralischen Verpflichtungen sind ihm unbegreiflich. Letzteres hängt nicht nur damit zusammen, dass seine Mutter ihn über seine verwandtschaftlichen Bindungen im Unklaren gelassen hat, sondern auch damit, dass sie ihm nahezu keine gesellschaftlichen Normen vermittelt und auch die transzendente normsetzende Instanz nur rudimentär und damit in völlig inadäquater Weise vorgestellt hat. Herzeloyde hat für Parzival keinerlei erkennbare Erziehungsrichtlinien, weder religiös noch ständisch codierte, sondern belehrt ihn lediglich okkasionell, wenn Probleme auftreten oder Parzival Fragen stellt. Insbesondere Herzeloydes Gotteslehre ist ebenso rudimentär wie missverständlich und sie erteilt sie Parzival überhaupt nur, weil er sie fragt, owê muoter waz ist got? (V. 119, 17). Herzeloyde beantwortet diese aus dem Kindermund kommende gewichtige Frage mit einer Gotteslehre, die ohne Christus und Trinität auskommt und sich hart an der Grenze zum gnostischen Dualismus bewegt.17 ‘sun, ich sage dirz ane spot. er ist noch liehter denne der tac, der antlitzes sich bewac nach menschen antlitze. sun, merke eine witze, und flêhe in umbe dine not: sin triwe der werlde ie helfe bôt. so heizet einr der helle wirt: der ist swarz, untriwe in niht verbirt. von dem kêr dîne gedanke, und och von zîlvels wanke.‘ sin muoter underschiet im gar daz vinster unt daz lieht gevar.’ (V. 119, 18-28)
Ihre Verantwortlichkeit wird durch den Erzähler nur dadurch gemildert, dass das unbedarfte Kind damit schnell zufrieden ist und wieder davon stürmt (dar nâch sîn snelheit verre spranc, V. 120, 1). Nach den Vorgaben der Fürstenspiegel wäre eine solche Gotteslehre inakzeptabel, denn sie spricht weder von der Gerechtigkeit Gottes noch von der Gnade und erläutert auch nicht, wie das Böse in die Welt gekommen und in Christus überwunden worden ist.
III. Idoneität im Artusroman Vor diesem Hintergrund lohnt sich ein knapper Vergleich zwischen Wolframs Gralsroman und dem Artusroman Hartmann’scher Prägung. Grundsätzlich lässt 17 Zum Dualismus vgl. A. ANGENENDT, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darm-
stadt 1997, S. 112-114.
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sich der Artusroman als Erzählung von innerweltlichem Idoneitätsaufbau, als Weg von der Ritterschaft zur Ausübung von Herrschaft beschreiben.18 Der Held des Artusromans kann in dreifacher Hinsicht Träger von ritterlichen und herrscherlichen Eigenschaften sein: als Vertreter einer Dynastie, als Träger von aventiure und als Eroberer von Herrschaft. Die Eroberung von Herrschaft ist in der Regel mit minne verknüpft.19 Die Bewährung als Ritter ermöglicht die Erringung (Iwein) oder die genealogisch vorherbestimmte Übernahme (Erec) von Herrschaft. Die Ausdifferenzierung von ritterlicher und herrschaftlicher Idoneität führt jedoch dazu, dass die ritterliche Bewährung zwar zur Erringung von Herrschaft qualifiziert, aber nicht zu Ihrer Ausübung.20 Der Artusroman als literarisches Modell der Ausdifferenzierung von Idoneität erzählt diese deshalb im Modell der Krise. Das zeigt sich sowohl an Hartmanns Erec, der die geregelte Nachfolge seines Vaters antritt, dessen Herrschaftsübernahme also genealogisch codiert ist, als auch an Iwein, der Land und Frau durch die Tötung des Landesherrn erringt, im Prinzip also ein Usurpator ist.21 In beiden Fällen stürzt der Held nach der Übernahme oder Erringung der Herrschaft in eine Krise, weil er Herrschaft zwar ererben oder erringen kann, ihren Anforderungen aber nicht genügt. Während Erec, der dem Zauber seiner Ehefrau Enite erliegt, seine höfischrepräsentativen, herrschaftlichen und ritterlichen Pflichten gleichermaßen vernachlässigt (verligen), scheitert Iwein an der Erfüllung seiner landesherrlichen Aufgaben, weil er auf den Rat des perfekten Ritters Gawan hin weiter das Leben eines ungebundenen Ritters pflegen will, der seine Aufgabe in erster Linie im Turnieren sieht und darüber die ihm von seiner Frau gesetzte Frist versäumt (versitzen).22 Während es Erec nicht gelingt, Minne und Herrschaft in Einklang 18 Terminologisch ist Idoneität in Untersuchungen zum Artusroman jedoch so gut wie
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nicht verwendet worden. Eine Ausnahme bildet: F. KRAGL, Land-Liebe. Von der Simultaneität mythischer Wirkung und logischen Verstehens am Beispiel des Erzählens von arthurischer Idoneität in Iwein und Lanzelet, in: F. WOLFZETTEL / C. DIETL / M. BÄUMER (Hgg.), Artusroman und Mythos (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft 8), Berlin/New York 2011, S. 3-40. Die Aspekte von dynastischer Legitimität, aventiure und minne hat Jan-Dirk Müller in Bezug auf Wilhelm von Österreich genannt. Vgl. J.-D. MÜLLER, Höfische Kompromisse (wie Anm. 16), S. 216. Jan-Dirk Müller hat darauf hingewiesen, dass der Artusheld auf eigene Rechnung kämpfe und nur durch die Sitte, einen besiegten Ritter an den Artushof zu schicken, eine Verbindung aufrecht halte. Vgl. ebd., S. 182. Zum Modell der Eroberung der Herrschaft durch die Eroberung der Frau: A. SCHULZ, Der Schoß der Königin. Metonymische Verhandlungen über Macht und Herrschaft im Artusroman, in: M. DÄUMER / C. DIETL / F. WOLFZETTEL (Hgg.), Artushof und Artusliteratur (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft 7), Berlin/New York 2010, S. 119-135. Silvia Ranawake hat Erecs und Iweins Verfehlung mit der Sünde der acedia verknüpft. Vgl. S. RANAWAKE, verligen und versitzen. Das Versäumnis des Helden und die Sünde der Trägheit in den Artusromanen Hartmanns von Aue, in: M. H. JONES / R. WISBEY (Hgg.),
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zu bringen, versagt Iwein davor, die Ansprüche von Herrschaft und ritterlichen Aufgaben sinnvoll zu hierarchisieren. Im zweiten Teil des Doppelweges muss der Held deshalb herrschaftliche Idoneität aufbauen. Paradox ist dabei freilich, dass auch der zweite Weg ein genuin ritterlicher Weg ist, der von aventiure dominiert wird.23 Wie aber kann damit herrschaftliche Idoneität aufgebaut werden? Bekanntlich unterscheiden sich die aventiuren der zweiten Hälfte des Doppelwegs von denen des ersten. Die zentrale kategoriale Differenz besteht darin, dass die aventiuren des ersten Weges dem Erwerb oder der Wiederherstellung von Ehre dienen, während die aventiuren des zweiten Weges die Kämpfe des Ritters in den Dienst anderer stellen und ihnen damit eine soziale Dimension verleihen, die am Modell von Schutz und Schirm als herrschaftlicher Verpflichtung orientiert sind.24 Auf diese Weise werden ritterliche und herrscherliche Idoneität miteinander versöhnt. Wie auch sonst gegenüber dem Artusroman nimmt der Parzival hier eine Sonderstellung ein. Einerseits kommt das Wort aventiure nur in wenigen höfischen Romanen häufiger vor als bei Wolfram, andererseits wird es nicht sehr häufig, nämlich nur sieben Mal, auf Parzival bezogen.25 Nach Dennis Green kann aventiure im Parzival vielfältige Bedeutungen haben: a.) ritterliche Tat; b.) Risiko, Gefahr; c.) Wunder, Wunderbares; d.) Übernatürliches; e.) Chance, Hasard, Fortune; f.) göttliche Vorsehung; g.) Neuigkeit; h.) Geschichte, Bericht; j.) die Erzählung.26 Im Hinblick auf die Aufgaben der ritterlichen Helden des Artusromans, und das gilt auch für Wolframs Parzival, meint aventiure die Bewährung im Kampf gegen einen im Prinzip gleichwertigen Gegner. Sie ist damit stets mit Gewalthandeln verbunden. Solches Gewalthandeln dominiert auch im Parzival und es wird vom Erzähler keineswegs prinzipiell verurteilt; das geschieht nur dann, wenn es mit moralischen oder religiösen Normen kollidiert. Was Wolframs Gralsroman vom Artusroman am deutlichsten unterscheidet, ist die durchweg negative Sicht auf das Minnerittertum, die im Artusroman Hartmann’scher Prä-
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Chrétien de Troyes and the German Middle Ages. Papers from an International Symposium (Arthurian Studies 26. Publications of the Institute of Germanic Studies 53), Cambridge 1993, S. 19-35. Siehe daneben auch: L. LIEB, Der Erfolg der Werte. Literarische Lektionen eines Artusritters (Hartmanns Iwein), in: A. KEHNEL (Hg.), Erfolg und Werte (Wirtschaft und Kultur im Gespräch 3), Frankfurt a. M. 2012, S. 193-202. Zur Wortgeschichte und Semantik von aventiure vgl. K.-P. WEGERA, mich enhabe diu âventiure betrogen. Ein Beitrag zur Wort- und Begriffsgeschichte von âventiure im Mittelhochdeutschen, in: V. ÁGEL / A. GARDT / U. HASS-ZUMKEHR / T. ROELCKE (Hgg.), Das Wort. Seine strukturelle und kulturelle Dimension. FS für Oskar Reichmann zum 65. Geburtstag, Tübingen 2002, S. 229-244. Vgl. H. WANDHOFF, Âventiure als Nachricht für Augen und Ohren. Zu Hartmanns von Aue “Erec” und “Iwein”, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 113 (1994), S. 1-22. D. H. GREEN, The Concept “âventiure” in “Parzival” in: D. H. GREEN / L. P. JOHNSON (Hgg.), Approaches to Wolfram von Eschenbach. Five Essays (Mikrokosmos 5), Bern u.a. 1978, S. 83-162. Vgl. ebd., passim.
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gung insgesamt positiv ist. Sowohl in der Gralswelt als auch in der Artuswelt erzeugt das Minnerittertum in erster Linie Leid: Anfortas wird bei Kämpfen für seine Minneherrin schwer verwundet, Artus’ Sohn Ilinot kommt dabei ebenso zu Tode wie Schionatulander, dessen Minnedame Sigune es bis zu ihrem Lebensende bereut, dass sie ihn mit der Verweigerung des Minnelohns in sinnlose Kämpfe getrieben hat. Die Verbindung von Minne und Gewalt ist also ein spezifisches Problem, das in der Welt der Erzählung dominiert und sowohl durch einzelne Figuren und ihr Leid als auch durch die Stimme des Erzählers überaus kritisch beleuchtet wird. So erklärt Trevrizent gegenüber Parzival, sein Bruder Anfortas sei um der Minne willen ûz durch âventiure gezogen, wofür das liebende Begehren verantwortlich sei: des twanc in der minnen ger (V. 479, 5-7). Amor sei sein Schlachtruf gewesen (Amor was sîn krîe, V. 478, 30), aber dieser Ruf sei kein Zeichen der Demut, sondern des Hochmuts (hochvart) und der Sündhaftigkeit, der unkiusche. Bei einem solchen Kampf habe er sich die schwere Verletzung mit einer vergifteten Lanze zugezogen, die ihm seither größte Schmerzen bereite, woraus erkennbar sei, dass Gott ihn selbst gestraft habe. Anfortas ist eine Wiedergutmachung seiner Verfehlung unmöglich; anders als im Modell des Artusromans kann er nicht auf ein anderes Normenmodell umgestellt werden, in dem er sich auf der Handlungsebene aber im Prinzip gleich bleiben könnte. Anfortas ist damit ein König, dessen persönliche Idoneität sich für die Ausübung der Herrschaft als unzureichend erwiesen und damit sein Reich in eine tiefe Krise gestürzt hat.27 In der Gralswelt ist das Problem des aventiure suchenden Minneritters sehr viel gewichtiger, weil es nicht nur ein Problem der dynastischen Nachfolge und des innerweltlichen Leids produziert, sondern grundsätzlich die transzendent begründete Geltung des Gralskönigtums gefährdet, insofern es deren Normen nicht nur verletzt, sondern zu zerstören droht.
IV. Normen der Artuswelt und Gralwelt In seinen “Regeln der soziologischen Methode” beschreibt Emil Durkheim Normen, die er mit soziologischen Tatbeständen und damit sozialen Phänomenen gleichsetzt, als “mehr oder minder festgelegte Art des Handelns, die die Fä27 Vgl. E. PETERS, The Shadow King. Rex Inutilis in Medieval Law and Literature, 751-1327,
New Haven/London 1970, bes. S. 188-190. Zu Anfortas vgl. auch: O. NEUDECK, Das Stigma des Anfortas. Zum Paradoxon der Gewalt in Wolframs “Parzival”, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 19 (1994), S. 52-75; C. REDZICH, Der Schmerz des Anfortas: Zu Wolframs poetischer Inszenierung eines augustinischen Theorems, in: H.-J. SCHIEWER (Hg.), Schmerz in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (Transatlantische Studien zu Mittelalter und früher Neuzeit 4), Göttingen 2010, S. 213-242.
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higkeit besitzt, auf den Einzelnen einen äußeren Zwang auszuüben; oder auch, die im Bereich einer gegebenen Gesellschaft allgemein auftritt […].”28 In ähnlicher Weise begreift Heinrich Popitz soziale Normen als das Basiselement der sozialen Existenz von Menschen.29 Popitz nennt vier, seiner Auffassung nach universal gültige, Grundmerkmale sozialer Verhaltensnormierung: “Ein Verhalten, das wir als zukünftiges Verhalten erwarten können; ein Verhalten, das bestimmten Verhaltensregelmäßigkeiten entspricht; ein gesolltes, desideratives Verhalten; ein Verhalten, das mit Sanktionsrisiko bei Abweichungen verbunden ist.”30 Dabei ist nach Popitz zwischen allgemeinen Normen, die für alle Mitglieder einer Gesellschaft gelten und damit die Gleichheit aller voraussetzen, und nicht-reziproken sowie reziproken Partikularnormen31 zu unterscheiden. Wenn es neben Normen, die für alle verbindlich sind, auch Normen gibt, die nicht für alle gleichermaßen gelten, können diese in Konkurrenz geraten. Da der Einzelne meist mehreren sozialen Einheiten (Gruppen oder Kollektiven) angehört und damit verschiedene soziale Rollen einnehmen muss,32 konstatiert Popitz, die “Vielheit sich überschneidender und übergreifender Verpflichtungen bedeutet, daß die Möglichkeit eines Normenkonfliktes prinzipiell in der Struktur sozialer Ordnungen angelegt ist.”33 Das Funktionieren einer sozialen Ordnung aber ist darauf angewiesen, dass sich heterogene Normen ausbalancieren, um mögliche Konkurrenzen zu beseitigen oder zu relativieren. Popitz’ Überlegungen zu Normen und Normenkonkurrenzen gehen davon aus, dass es Normen und Normkonkurrenzen in allen Gesellschaften und Gesellschaftsformationen gibt, es sich also nicht um ein spezifisches Phänomen der Moderne handelt.34 Für das Mittelalter lassen sich unterschiedliche Normsysteme nicht zuletzt an der funktionalen Ausdifferenzierung des Systems der Religion festmachen.35 Das hat seinen Grund in der Regulierung des Verhältnisses 28 Vgl. E. DURKHEIM, Die Regeln der soziologischen Methode (Soziologische Texte 3),
Neuwied/Berlin 31970, S. 112.
29 Vgl. H. POPITZ, Die normative Konstruktion von Gesellschaft, Tübingen 1980. 30 Ebd., S. 10. 31 Nicht reziproke Partikularnormen setzen die Ungleichheit der Akteure voraus, wie das
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etwa bei den Generationen oder zwischen den Geschlechtern der Fall ist. Reziproke Partikularnormen hingegen setzen die Verklammerung von Gleichheit und Anderssein voraus. Vgl. H. POPITZ, Soziale Normen, in: F. POHLMANN / W. ESSBACH (Hgg.), Heinrich Popitz. Soziale Normen (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1794), Frankfurt a. M. 2006, S. 61-75, hier S. 67. Ebd., S. 68 (Hervorhebungen im Original). Als Grund für die Möglichkeit von Normenkonflikten sieht Popitz vor allem verschiedene Zugehörigkeitserwartungen und deren standpunktabhängige Interpretationen. Vgl. ebd., S. 67. Alois Hahn und Cornelia Bohn haben unter Bezug auf die vita monastica bereits darauf hingewiesen, dass in einer Gesellschaft, die sich auf ein Jenseits hin entwirft, die Religion eigene Exklusionsmuster entwickle, womit das bereits ausdifferenzierte Funktionssystem der Religion auf moderne Exklusions- und Inklusionsverhältnisse vorgreife: A. HAHN /
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von Immanenz und Transzendenz: Der Primat der Transzendenz gegenüber der Immanenz führt einerseits dazu, dass die Regeln der Immanenz stets unter dem Aspekt der Transzendenz zu betrachten sind und von daher die religiösen Normen per se dominant zu sein scheinen, andererseits verhindert diese Regulierung des Verhältnisses von Immanenz und Transzendenz aber nicht, dass religiöse und soziale Normen miteinander konkurrieren. Die Gegenüberstellung von Immanenz und Transzendenz und das Hineinragen der Transzendenz in die Immanenz sind vielmehr die Voraussetzung dafür, dass religiöse Normen stets das unverfügbare Gegenüber der sozialen Normen sind.36 In der Artuswelt und in der Gralswelt gelten daher unterschiedliche Formen von Idoneität. In der Artuswelt kann Idoneität zum Herrscher durch die Orientierung an innerweltlichen Normen wie triuwe, êre, staete etc. unter Beweis gestellt werden, die per se keine spezifisch herrschaftlichen Tugenden sind. Hier kommt es in erster Linie darauf an, die innerweltlichen Partikularnormen miteinander auszubalancieren und sie differenziert verfügbar zu machen. Auf diese Weise lassen sich ritterliche Tugenden in herrschaftliche Tugenden transformieren. Im Parzival dagegen müssen innerweltliche Partikularnormen und transzendent gesetzte Normen miteinander verbunden werden, so dass eine einfache Transformation von ritterlichen in herrschaftliche Tugenden nicht gelingen kann. In der Gralswelt werden die Regeln durch den Gral selbst vorgegeben, es sind also keine innerweltlichen, sondern transzendent festgelegte Normen, die Parzival erst durch seinen Onkel Trevrizent erfährt. So ist das Minnerittertum ausdrücklich untersagt, die Mitglieder der Gralsgemeinschaft dürfen keine innerweltlichen Liebesspiele pflegen und außer dem Gralskönig selbst, dessen Ehefrau aber vom Gral ausgewählt wird, um die dynastische Nachfolge zu sichern, dürfen sie auch nicht heiraten, so lange sie sich im Bereich des Grals befinden. Heiraten können sie nur, wenn sie die Gralswelt verlassen, um dort, wo weltliche Herrschaft unterzugehen droht, die Stabilität der Ordnung wiederherzustellen. “In Wolframs ‘Parzival’ steht die Gralsgesellschaft auf der Grenze zwischen Ritterorden und profanem politischem Verband. Ihre Regeln verbinden die Forderung sexueller Enthaltsamkeit (für die Ritter) mit streng regulierten Eheschließungsvorschriften (für den König) und schließen sexuelle Aktivität vor der Ehe aus. Sie erneuert sich durch BeruC. BOHN, Partizipative Identität, Selbstexklusion und Mönchtum, in: G. MELVILLE / M. SCHÜRER (Hgg.), Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum (Vita regularis. Abhandlungen 16), Münster 2002, S. 3-25, hier S. 15-16. Was für das Mönchtum gilt, gilt erst recht für die Entwürfe von Heiligkeit. 36 Zur Gegenüberstellung von Immanenz und Transzendenz als basalem Prinzip religiöser Kommunikation vgl. N. LUHMANN, Die Religion der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 2005, insbesondere S. 77-92. Die von Lumann entwickelte basale Differenzierung religiöser Kommunikation hat Susanne Knaeble für die Lektüre des Parzival fruchtbar zu machen versucht. Vgl. S. KNAEBLE, Höfisches Erzählen von Gott. Funktion und narrative Entfaltung des Religiösen in Wolframs ‘Parzival’ (Trends in Medieval Philology 23), Berlin/ New York 2011.
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fung, indem ihre Mitglieder aus dem angeborenen dynastischen Zusammenhang herausgelöst werden, um in einer ehelosen Ordensgemeinschaft zu leben.”37
Mit dieser Welt passt die Minnedienstkonzeption der arthurischen Welt nicht zusammen, aber gerade diese Konzeption übt auf die Angehörigen der Gralswelt und des Gralsgeschlechts eine besondere Anziehungskraft aus, die nahezu zur Zerstörung dieser Welt führt.
V. Idoneität und Normsouveränität Idoneität muss sich in der Gralswelt also anders erweisen als in der Artuswelt. Auch die genealogische Nachfolge ist offenbar kein hinreichender Grund, denn schon die Tatsache, dass Parzival auf der Gralsburg eine Aufgabe bewältigen muss, verweist darauf, dass Genealogie allein nicht der Schlüssel zur Legitimierung der Herrschaftssukzession sein kann. Es ist der Gral selbst als transzendente Geltungsressource, der die Verbindung von Genealogie und Idoneität zerschneidet bzw. sie dem Blickfeld der Beteiligten entzieht. Als das Problem der Nachfolge für den siechen König Anfortas immer drängender wird, erscheint auf dem Gral eine Schrift, die einen Ritter ankündigt (vgl. V. 483, 2023), der den Gralskönig von seinem Leiden erlösen und seine Nachfolge antreten könne, wenn er die geforderte Aufgabe löse. Über die genealogische Verbindung dieses Ritters mit dem Gralskönig teilt die Schrift auf dem Gral nichts mit. Auch die Gralsritter und die Angehörigen der Gralsfamilie wissen nicht, dass der zum Gralskönig bestimmte, dessen Kommen die auf dem Gral erscheinende Schrift verkündet hat, der nächste männliche Verwandte des Gralskönigs und folglich genealogisch der einzig mögliche Kandidat für das Amt des Gralskönigs ist. Für die Gralsgemeinschaft muss dies zugleich das Ende der genealogisch bestimmten Herrschaft über den Gral bedeuten und den König selbst ein weiteres Mal strafen: Der König wird gesunden, aber er darf die Herrschaft nicht mehr ausüben. Die Körperstrafe wird in eine soziale Degradierung verwandelt, und die Herrschaft geht vom Gralsgeschlecht auf ein anderes, unbekanntes Geschlecht über. In der Wahrnehmung der Gralsgesellschaft wird damit vom dynastischen Modell der Herrschaftssukzession auf das Modell der persönlichen Idoneität umgestellt. Dieser Aspekt der persönlichen Idoneität wird dadurch besonders hervorgehoben, dass die Frage mit zwei besonderen Kautelen belegt ist: Der Ritter muss die richtige Frage von sich aus stellen, wobei ihm niemand einen Hinweis geben darf, und er muss sie am ersten Abend seines Eintreffens auf der Gralsburg stellen, weil sie sonst ihre Macht verliert, ihn in die Herrschaft einzusetzen (vgl. V. 484, 1-8). 37 J.-D. MÜLLER, Höfische Kompromisse (wie Anm. 16), S. 144.
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Offenbar kann persönliche Idoneität für die Übernahme der Gralsherrschaft aber nicht durch die Orientierung an ritterlich-herrschaftlichen Tugenden aufgebaut werden, denn sie scheinen gerade in dem Moment, in dem Parzival gezielt auf sie zurückgreifen möchte, eher idoneitätszerstörend als -aufbauend zu sein.38 Als Parzival auf der Gralsburg ankommt, ist er bekanntlich keineswegs mehr das unbedarfte tumbe Kind, als das er seine Mutter verlassen hat, und auch nicht mehr der Knabe, der seine Ritterschaft am Artushof durch die Tötung Ithers blutig erworben hat, ohne zu wissen, welche Tugenden das Rittertum erfordert. Auf seiner Zwischenstation bei Gurnemanz hat er höfischritterliche wie auch herrschaftlichen Tugenden erlernt. Die herrschaftlichen Tugenden hatte Gurnemanz ihm in der Form einer politischen Klugheitslehre erläutert, die in erster Linie die Formen politischer Kommunikation reguliert.39 Das Problem ist freilich, dass diese Lehre für die Gralswelt durchaus kontraproduktiv zu sein scheint. Parzivals durch Fokalisierung mitgeteilte Reflexion auf Gurnemanz’ Lehre über höfische Kommunikation verhindert, dass er nach dem fragt, was ihn irritiert. Allerdings macht die Fokalisierung auf Parzival auch deutlich, dass Parzival sich keineswegs blind auf ein Frageverbot (irn sult niht vil gevrâgen) bezieht, sondern reflektiert darauf zurückgreift: wol gemarcte Parzival die richeit unt daz wunder grôz: durch zuht in vrâgens doch verdrôz. er dâhte ‘mir riet Gurnamanz mit grôzen triuwen âne schranz, ich sollte vil gevrâgen niht. waz ob mîn wesen hie geschiht die mâze als dort bi im? âne vrage ich vernim 38
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Vgl. U. HENNIG, Die Gurnemanzlehren und die unterlassene Frage Parzivals, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 97 (1975), S. 312-332. Hennig setzt sich in ihren Ausführungen zu Gurnemanz ritterlich-herrschaftlichen Lehren mit der älteren Untersuchung von Madeleine Pelner Cosman auseinander, die zu zeigen versucht hat, dass seine Lehren mit dem – allerdings erst nach dem Parzival entstandenen – Prinzenspiegel des Aegidius Romanus De regimine Principum übereinstimmen. Vgl. M. P. COSMAN, The Education of the Hero in Arthurian Romance, Chapel Hill 1966, bes. S. 191ff. Siehe zu den Gurnemanzlehren auch: D. H. GREEN: Advice and Narrative Action. Parzival, Herzeloyde and Gurnemanz, in: D. H. GREEN / L. P. JOHNSON / D. WUTTKE (Hgg.), From Wolfram and Petrarch to Goethe and Grass: Studies in Literature in Honour of Leonard Forster (Saecula spiritalia 5), Baden-Baden 1982, S. 33-81; D. A. WELLS, Fatherly Advice: The Precepts of “Gregorius”, Marke, and Gurnemanz and the School Tradition of the “Disticha Catonis”. With a Note on Grimmelshausen’s “Simplicissimus”, in: Frühmittelalterliche Studien 28 (1994), S. 296-332. Vgl. M. MÜNKLER, Inszenierungen von Normreflexivität und Selbstreflexivität in Wolframs von Eschenbach „Parzival“, in: Zeitschrift für Germanistik N.F. 18 (2008), S. 497511, hier S. 507-510.
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wie ez dirre massenîe stêt.’ (V. 239, 8-17)
Der scheinbar präskriptive Lehrsatz, den Gurnemanz im Kontext seiner höfischen Erziehungslehre geäußert hatte, war in eine umfangreichere Erörterung über Reden und Schweigen in höfischer Interaktion eingebunden. Auf diese Lehre, nicht nur auf den einzelnen Satz, reflektiert Parzival. Gurnemanz hatte ihn gelehrt, dass man auch ohne viele Fragen zu stellen mittels der Sinneswahrnehmung herausfinden könne, was man wissen wolle: irn sult niht vil gevrâgen: ouch sol iuch niht betrâgen bedâhter gegenrede, diu gê reht als jenes vrâgen stê der iuch will mit worten spehen. Ir kunnet hœren unde sehen, entseben unde dræhen: daz solt iuch witzen næhen. (V. 171, 17-24)
Betrachtet man das Gebot, nicht zu viel zu fragen, im Kontext der Unterrichtung über Reden und Schweigen, dann handelt es sich keineswegs um eine starre Regel. Vielmehr ist sie mit dem Hinweis verbunden, selbst nicht zu viel auszuplaudern, wenn man befragt werde. Es handelt sich hier also nicht um eine Benimmregel, sondern um eine politische Klugheitsregel, in der Reden und Schweigen dergestalt miteinander verknüpft werden, dass sie in beiden Fällen mit einer genauen Beobachtung der Situation und einer gezielten Interessenabwägung verbunden werden, mit anderen Worten, eine Beobachtung zweiter Ordnung eingezogen werden soll. An diese Lehre herrschaftlichen Redens und Schweigens hält sich Parzival, denn er geht davon aus, dass er ohne Frage herausfinden werde, wie ez dirre massenie stêt (V. 239, 17), und er setzt darauf, dass er hinreichend lange auf der Gralsburg sein wird, um seine Beobachtungen zu machen. Insofern ist es nicht überzeugend, Gurnemanz’ Lehre höfischer Kommunikation als ursächlich für das Frageversäumnis im Sinne eines Versagens der höfischen Regeln zu betrachten.40 In welcher Weise aber tangiert die ausbleibende Frage Parzivals herrschaftliche Idoneität? Auffällig ist, dass Wolfram die Frage gegenüber Chrétien völlig verändert hat. Mit der Mitleidsfrage als Idoneitätsprobe wird im Parzival nicht nur gegenüber dem klassischen Artusroman auf eine völlig andere Art von Idoneität umgestellt, sondern auch gegenüber Chrétiens Conte du Graal. Bei Wolfram ist sie im religiös codierten Aspekt der compassio begründet und verweist damit auf eine völlig andere Art von Idoneität.41 Caritas und misericordia sind ent40 Vgl. hierzu ausführlich ebd., S. 507-510. 41 Zur Funktion der compassio im Parzival vgl. K. MERTENS FLEURY, Leiden lesen. Bedeutun-
gen von compassio um 1200 und die Poetik des Mit-Leidens im ‘Parzival’ Wolframs von Eschenbach (Scrinium Friburgense 21), Berlin/New York 2006. Andreas Krass hat compassio auch schon für Erec und Iwein als wichtiges Motiv betrachtet. Vgl. A. KRASS, Die
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scheidende Elemente dieser Idoneität.42 Insbesondere caritas und misericordia gehören durchaus zu den in Fürstenspiegeln wie auch der Spruchdichtung vermittelten herrschaftlichen Tugenden.43 Es ist jedoch durchaus fraglich, ob Parzival diese Idoneitätsregeln tatsächlich verletzt. Die Voraussetzung dafür wäre, dass Parzival das Leiden des Gralskönigs überhaupt bemerkt. Das ist der Erzählung jedoch keineswegs zu entnehmen. Während bei Chrétien das Hereintragen der Lanze und der feierliche Aufzug des Grals Perceval kinästhetisch auf die beiden von ihm erwarteten Fragen hinweist, lenkt der deutlich prächtigere Aufzug bei Wolfram davon ab. Das, wonach er fragen soll, ist von kostbaren herrscherlichen Gewändern sorgsam verdeckt und durch den festlich-sakralen Aufzug der Gralsträgerin und ihrer Jungfrauen zusätzlich der Aufmerksamkeit entzogen. Die einzig vorgenommene Fokalisierung, aus der auf Parzivals Wahrnehmung zurückgeschlossen werden kann, beschränkt sich auf die Feststellung des Erzählers, wol gemarcte Parzival / die richeit unt daz wunder grôz (V. 238, 8-9). Aber Parzivals Wahrnehmung richtet sich damit auf die Pracht und das Wunder des Grals, nicht aber auf das Leiden des Gralskönigs. Deutlich wird nur, dass er etwas bemerkt und sich nicht gestattet, danach zu fragen, weil er meint, es taktvoll auch anders herausfinden zu können. Nun könnte man vielleicht annehmen, dass sich Parzival das Leiden des Gralskönigs vermittelt durch die Klagegesten der Gralsgemeinschaft hätte erschließen können. Aber darauf gibt weder seine wörtliche Rede noch die Stimme des Erzählers einen Hinweis.44 Deshalb kann Parzival auch nichts von seinem Versagen wissen. Mitleidfähigkeit des Helden. Zum Motiv der compassio im höfischen Roman des 12. Jahrhunderts (Eneit - Erec - Iwein), in: W. HAUBRICHS / E. C. LUTZ / G. VOLLMANN-PROFE (Hgg.), Aspekte des 12. Jahrhunderts. Freisinger Kolloquium 1998 (Wolfram-Studien 16), Berlin 2000, S. 282-304. 42 Zu caritas und misericordia vgl. W. HAGENLOCHER, Der guote vride. Idealer Friede in deutscher Literatur bis ins frühe 14. Jahrhundert (Historische Wortforschung 2), Berlin/New York 1992; zur Funktion der caritas vgl. S. 94, zur misericordia S. 97. 43 Vgl. hierzu die eingehenden Ausführungen von U. HENNIG, Die Gurnemanzlehren (wie Anm. 38), S. 316-317. 44 Die Auffassung, Parzival habe nicht nach dem Leiden des Gralkönigs fragen können, hat auch Hartmut Bleumer vertreten, er führt dies aber auf die Überschneidung zweier unterschiedlicher Rituale bei Parzivals Empfang auf der Gralburg zurück: das Angleichungsritual zwischen Wirt und Gast, das Fragen verbietet, und das Gralsritual, das Fragen gestatten würde, weil Parzival hier nicht Mitwirkender, sondern Beobachter eines Rituals sei. Vgl. H. BLEUMER, Im Feld der âventiure. Zum begrifflichen Wert der Feldmetapher am Beispiel einer poetischen Leitvokabel, in: G. DICKE / M. EIKELMANN / B. HASEBRINK (Hgg.), Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter (Trends in Medieval Philology 10), Berlin/New York 2006, S. 347-367, hier S. 360-361. Auch Bernd Schirok (Die Inszenierung von Munsalvaesche. Parzivals erster Besuch auf der Gralburg, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 46 [2005] S. 39-78, bes. S. 60-61) hat bereits in Zweifel gezogen, dass Parzival die richtige Frage hätte stellen können.
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Dass er in den Augen der Gralsgemeinschaft versagt und damit alle Hoffnungen der Gralsgemeinschaft und ihres leidenden Königs enttäuscht hat, erfährt Parzival erst in der zweiten Begegnung mit Sigune (V. 251, 29-255, 30), dass dieses Versagen auch seine ritterlich-höfische Existenz betrifft, teilt sich ihm erst in der Verfluchung durch Cundrî mit (V. 314, 23-318, 4), und dass ihm das Leid der Gralsgemeinschaft aufgefallen ist (V. 492, 16), erfährt der Hörer/ Leser erst in der Trevrizent-Szene des IX. Buches.
VI. Kahenîs und Trevrizent: Gotteslehre und Lehre vom Gral Die Trevrizent-Szene, die durch Parzivals Begegnung mit einem frommen Ritter eingeleitet wird, der ihm den Weg weist, gehört im Hinblick auf Parzivals Idoneität zweifellos zu den wichtigsten Szenen des Romans. Von der Ausprägung herrschaftlicher Idoneität allerdings scheint sie zunächst denkbar weit entfernt zu sein. Trevrizent fungiert als asketischer Virtuose, der sich sowohl von der Gralswelt als auch von der höfisch-ritterlichen Welt zurückgezogen hat. Er lebt als Einsiedler abgeschieden im Wald,45 aber er wird von Mitgliedern der höfisch-ritterlichen Welt als heilec man (V. 448, 23) geachtet und übernimmt stellenweise eine priesterliche Funktion, obwohl er Laie ist. Zu seiner Klause pilgern am Karfreitag in härene Bußgewänder gekleidete Mitglieder der höfischen Gesellschaft. Auf einem Reliquienschrein in seiner Klause, der als Altar fungiert,46 werden Eide geschworen, er nimmt die Beichte ab und erlegt Buße auf.47 Damit übt er eine quasi-priesterliche Funktion aus, die 45 Zur Bedeutung des Waldes als vasta solitudo vgl. M.-E. BRUNERT, Das Ideal der Wüsten-
askese und seine Rezeption in Gallien bis zum Ende des 6. Jahrhunderts (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums 42), Münster 1994, S. 389393. 46 Nach Aelred von Rievaulx (Inklusenregel Kap. 26) war ein Altar das wichtigste Ausstattungsstück einer Klause. Vgl. Inklusenregel des ehrwürdigen Abtes Aelred von Rievaulx, in: H. BREM (Hg.), Aelred von Rievaulx, Samenkörner zur Meditation. Der zwölfjährige Jesus – Hirtengebet – Inklusenregel, lateinisch-deutsch (Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur 8), Langwaden 2004, S. 112-193. 47 Die genannten Praktiken, wie der Schwur auf dem Reliquienschrein, werden zwar teilweise nur einmal erwähnt, aber es ist davon auszugehen, dass es sich um geläufige Praxen handelt. Das bezieht sich hier allerdings nur auf den Vorgang des Schwurs überhaupt; Parzival selbst kommt nur einmal zu dem Reliquiar, um einen Schwur abzulegen. Diesen Schwur vor dem Altar vollzieht Parzival nach dem Kampf mit Orilus, um Jeschutes Unschuld zu beweisen. Er dient später bei Trevrizent als Grundlage für den Wiedereintritt Parzivals in die christliche Zeitordnung. Trevrizent kann anhand der Erinnerung an den Schwur unter Zuhilfenahme des Psalters errechnen, dass seitdem viereinhalb Jahre und drei Tage vergangen sind (vgl. Parzival, V. 460, 22-27). Trevrizent berechnet den Zeitablauf nach dem Kalenderteil des Psalters. Vgl. A. BÜCHLER, Psalter und Zeitrechnung in Wolframs Parzvial, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 50 (1998), S. 95-
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sich auf seine Fama gründet, ein heiliger Mann zu sein. Diesen Ruf hat er durch seine extrem asketische Lebensweise und Frömmigkeit erworben. Parzival erfährt von ihm durch die auf der Ebene der Geschichte zufällige Begegnung mit einem Ritter, der am Karfreitag mit seiner Familie zu Trevrizent pilgert, um die Beichte abzulegen.48 Bei ihrer zufälligen Begegnung tadelt der Ritter Parzival dafür, dass er an diesem heileclîchen tage bewaffnet ausgeritten sei, woraufhin Parzival ihm bekennt, dass er sich von Gott abgewandt hat, weil dieser ihm Hilfe versagt habe. ‘ich diende eim der heizet got, ê daz sô lasterlichen spot sîn gunst übr mich erhancte: mîn sin im nie gewancte, von dem mir helfe was gesagt: nu ist sîn helfe an mir verzagt.’ (V. 447, 25-30)
Parzival bezieht sich damit implizit auf die Lehre seiner Mutter, die ihm über Gott gesagt hatte, sîn triuwe der werlde ie helfe bot (V. 119,24), ohne dies jedoch in eine umfängliche Gotteslehre einzubetten, die ihm erläutert hätte, wie diese Hilfe zu verstehen sei. Die wörtliche Rede gegenüber Kahenîs macht deutlich, dass Parzival daraus abgeleitet hat, Gott müsse ihm jederzeit und sofort helfen. Angesichts des ihm vorgeworfenen Versagens, das in seiner Verfluchung durch Cundrî im öffentlichen Raum des Artushofs gipfelte, den er als lasterlichen spot (V. 447, 26) begreift, fühlt sich Parzival jedoch von Gott verlassen. Der graubärtige Ritter repliziert darauf, fast ungläubig wirkend, dass man am Tages dieses Opfers, dem Karfreitag, davon nichts wissen könne: meint ir got den diu magt gebar? (V. 448, 2). Diese Nachfrage leitet auf der Ebene der histoire die soteriologischchristologische Wende ein. Noch vor Parzivals Begegnung mit Trevrizent erläutert der Ritter Kahenîs – und damit ein Angehöriger der höfischen Welt – Parzival das Prinzip des mit dem Opfer Christi verwirklichten Loskaufs der Menschheit von der Schuld der Erbsünde.49 109, H. HAFERLAND, Parzivals Pfingsten. Heilsgeschichte im “Parzival” Wolframs von Eschenbach, in: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte 88 (1994), S. 263-301, hier S. 263-264; A. GROOS, Time Reference and the Liturgical Calendar in Wolfram von Eschenbach’s Parzival, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 49 (1975), S. 43-65. 48 Kahenîs und seiner Familie befinden sich beim Zusammentreffen mit Parzival ûf ir bîhte verte (V. 446, 16) zu dem heiligen Einsiedler. Aus der Festlegung des Karfreitags als Beichttermin ergibt sich eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit der Einführung der jährlichen Pflichtbeichte für Laien im IV. Lateranum von 1215, denn als Termin wird dort die Zeit vor Ostern genannt. Vgl. M. OHST, Pflichtbeichte. Untersuchungen zum Bußwesen im hohen und späten Mittelalter (Beiträge zur historischen Theologie 89), Tübingen 1995, bes. S. 131-138. 49 Die zentrale Funktion des Ritters Kahenîs im Hinblick auf Parzivals Sündenbekenntnis hat auch Brian Murdoch hervorgehoben. Vgl. B. MURDOCH, Parzival and the Theology of Fallen Man: A Companion to Wolfram’s “Parzival”, in: W. HASTY (Hg.), A Compa-
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‘wâ wart ie hôher triwe schîn Dan die got durch uns begienc, den man durch uns anz kriuze hienc? hêrre, pflegt ir toufes, sô jâmer iuch des koufes: er hât sîn werdeclîchez leben mit tôt für unser schult gegebn, durch daz der mensche was verlorn, durch schulde hin zur helle erkorn.’ (V. 448, 13-18)
Kahenîs vermittelt Parzival damit ein völlig neues Gottesbild. Hatte Parzival nach der Lehre seiner Mutter Gott bis dahin zunächst als strahlenden und dann als finsteren und ungerechten Herrscher begriffen, so erläutert Kahenîs ihm nun das Bild des leidenden und sich selbst für die Menschheit opfernden Gottes. Zugleich ist damit zum ersten Mal über die Erbsünde explizit der Gedanke der Schuld des Menschen gegenüber Gott eingeführt. Diese Erbsünde aber, so erklärt ihm Kahenîs, ist mit Christus bereits aufgehoben, weil er mit seinem Leid die Sünden der Menschen auf sich genommen und sie damit von der Hölle erlöst hat. Mit Christus als leidendem Erlöser vermittelt Kahenîs Parzival ein anschlussfähiges Gottesbild, das ihn nicht von Gott trennt, sondern ihn Gott näher bringt. Wie bedeutend diese Belehrung durch den grauen Ritter ist, hebt der Erzähler in seinem Kommentar selbst überdeutlich hervor, wenn er über Kahenîs bemerkt: von des râte er sît gelücke enphienc (V. 446, 24). Mit seiner im Vergleich zu Herzeloyde völlig anders gearteten Beschreibung bereitet er Parzival nicht nur auf eine neue Gotteswahrnehmung, sondern auch auf eine neue Selbstwahrnehmung vor. Die Begegnung mit dem grauen Ritter eröffnet Parzival damit die Möglichkeit, seine unwissentlich und unwillentlich begangene Verfehlung als solche anzuerkennen und wieder Gottvertrauen zu fassen. alrerste er do gedahte, wer al die werlt volbrahte, an sînen schepfere, wie gewaltec der wêre. er sprach ‚waz ob got helfe phligt, diu mînem trûren an gesigt? wart ab er ie ritter holt, gedient ie ritter sînen solt, ode mac schilt unde swert siner helfe sîn so wert, und rehtiu manlîchiu wer, daz sîn helfe mich vor sorgen ner, ist hiut sîn helflicher tac, nion to Wolframs Parzvial (Studies in German Literature, Linguistics, and Culture), Columbia SC 1999, S. 143-158, hier S. 153.
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so helfe er, ob er helfen mac. (V. 451, 9-22)
Dass Parzival diese Lektion verstanden hat, zeigt sich bei seiner Ankunft bei dem Einsiedler, in dessen Klause er mit den Worten ich bin ein man der sünde hât [V. 456, 30]) eintritt. Diesem Bekenntnis nähert Trevrizent sich vorsichtig, indem er nach den Gründen und den näheren Umständen der begangenen Sünden fragt.50 Als erstes jedoch sagt Trevrizent dem ihn aufsuchenden Sünder Hilfe zu (ich bîn rates iwer wer [V. 457, 3]) und nimmt den Unbekannten bei sich auf. Damit gibt er ihm die Gelegenheit, sein Sündenbekenntnis zu präzisieren, um ihm die zugesagte Hilfe leisten zu können. Trevrizent stellt ein Vertrauensverhältnis zwischen sich und dem Sünder her, indem er nach Einzelheiten fragt und so immer tiefer zu den Ursachen von Parzivals Gotteshass vordringt. Er führt das Gespräch damit so, wie es in den im IV. Laterankonzil von 1215 festgelegten Regeln für die Durchführung des Beichtgesprächs vorgegeben ist: “Der Priester muß vorsichtig und klug sein, in die Wunden Wein und Öl gießen und die näheren Umstände der Sünde und des Sünders genau erforschen, um zu finden, welchen Rat er geben, welches Mittel er anwenden müsse, um den Kranken zu heilen.”51
Beim vorsichtigen Erforschen dieser Ursachen erfährt Trevrizent überhaupt erst, dass es sich bei dem kummerbeladenen Sündenbekenner um seinen Neffen Parzival handelt, und Parzival erfährt, dass der heilec man, dem er seine Sünden bekennt, sein Oheim (Onkel mütterlicherseits) ist.52 Die Entdeckung ihrer na-
50 Das Gespräch zwischen Parzival und Trevrizent ist in der Forschung eingehend unter-
sucht und analysiert worden. Es ist nach meiner Kenntnis bislang aber nicht als Beichtgespräch gedeutet worden. Vgl. D. NEUENDORFF, Das Gespräch zwischen Parzival und Trevrizent im IX. Buch von Wolframs “Parzival”. Eine diskursanalytische Untersuchung, in: L. KAHLAS-TARKKA (Hg.), Neophilologica Fennica (Mémoires de la Société Néophilologique de Helsinki 45), Helsinki 1987, S. 267-294; D. GREEN, The Art of Recognition in Wolfram’s “Parzival”, Cambridge u.a. 1982, S. 176-225, B. SCHIROK, Trevrizent und Parzival. Beobachtungen zur Dialogführung und zur Frage der figurativen Komposition, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 10 (1976), S. 43-71, P. W. TAX, Trevrizent. Die Verhüllungstechnik des Erzählers, in: W. BESCH / G. JUNGBLUTH / G. MEISSBURGER / E. NELLMANN (Hgg.), Studien zur deutschen Literatur und Sprache des Mittelalters. Festschrift für Hugo Moser zum 65. Geburtstag, Berlin 1974, S. 119-134. 51 Sacerdos autem sit discretus et cautus ut more periti medici superinfundat vinum et oleum vulneribus sauciati diligenter inquirens et peccatoris circumstantias et peccati per quas prudenter intelligat quale illi consilium debeat exhibere et cuiusmodi remedium adhibere diversis experimentis utendo ad sanandum ægrotum. (Concilium Lateranense IV anno 1215, in: Conciliorum Oecumenicorum Decreta, hg. v. J. ALBERIGO / J. A. DOSSETTI / P. JOANNOU / C. LEONARDI / P. PRODI, Bologna 1973, S. 230-271, hier S. 245). Dt. Übers. zit. nach F. FOREVILLE, Lateran I-IV (Geschichte der ökumenischen Konzilien 6), Mainz 1970, S. 417. 52 Vgl. D. GREEN, The Art of Recognition (wie Anm. 50), S. 192-200; P. W. TAX, Trevrizent (wie Anm. 50), S. 120-126. Sigune hatte Parzival zwar schon bei ihrer zweiten Begegnung (vgl. V. 251, 1-24) über die Gralsfamilie informiert, und dabei namentlich auch
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hen Verwandtschaft scheint zunächst jedoch keineswegs hilfreich zu sein, sondern führt dazu, dass Trevrizent Parzival mit Sünden konfrontiert, von denen dieser bis dahin überhaupt noch nichts weiß: Die unritterliche Tötung des nur fern mit ihm verwandten Ither, den Trevrizent jedoch als sein eigen verch (sein eigenes Fleisch, V. 475, 21) bezeichnet und betont, ir bêde wart ein bluot (V. 475, 23), und der Tod seiner Mutter, weil Parzival sie verlassen hat (vgl. V. 476, 1213).53 Trevrizent hält Parzival damit zwei Tatsünden vor, die dieser weder wissentlich noch willentlich begangen hat. Er unterscheidet dabei nicht zwischen Tatsünden und Intentionalsünden, was in Theologie und Beichtpraxis der Zeit aber durchaus üblich ist. Dass er Parzival damit nicht noch tiefer in den Abgrund der Verzweiflung stürzt, der ihn erneut von Gott entfernen würde, begründet sich darin, dass er ihn nicht anklagt, sondern bedauert und eine Korrelation zwischen Buße und Gnade herstellt: Auch unwissentlich und unwillentlich begangene Sünden können von Gott verziehen werden, wenn der Sünder Reue empfindet und Buße tut. Dass wiederum Parzival derjenige ist, der auf der Gralsburg die so dringend erhoffte Frage nicht gestellt hat, teilt er Trevrizent erst im späteren Verlauf des Gesprächs mit. Die drei Schritte von allgemeinem Sündenbekenntnis, Sündenvorwurf und spezifischem Sündenbekenntnis führen zu einer Aufteilung von Trevrizents Lehren in drei Themenbereiche: Gottes- und Sündenlehre, Geheimnisse des Grals und seine Funktion sowie die Geschichte des Gralsgeschlechts und den drohenden Verlust seiner Herrschaft. Zunächst klärt Trevrizent Parzival über den Engelssturz, die Erbsünde und den Charakter der Sünde überhaupt auf. Er narrativiert und präzisiert damit die Sünden- und Gnadenlehre des grauen Ritters. Ähnlich wie dieser versucht Trevrizent, Parzival davon zu überzeugen, dass Gott den Sünder nicht verstoße, sondern ihm mit triuwe begegne, sofern er Buße tue. Die doppelte Gotteslehre trägt entscheidend dazu bei, eines von Parzivals zentralen Problemen zu lösen: sein inadäquates Verständnis des triuwe-Verhältnisses zwischen Mensch und Gott. Parzival begreift dieses Verhältnis im Sinne einer do-ut-des-Verpflichtung: Der Mensch ist Gott treu, dafür hilft ihm dieser in der Not. In dieser Weise hatte ihm seine Mutter Herzeloyde das Verhältnis zwischen Mensch und Gott beschrieben und es damit an das Verhältnis von Lehensmann und Lehensherr angelehnt, das bei Pflichtverletzung der einen oder anderen Seite aufkündbar war. Trevrizent dagegen lehrt Parzival, dass das triuwe-Verhältnis zwischen Mensch und Gott unauflöslich und durch den Tod Christi bereits mit ErfülTrevrizent und Anfortas genannt, ihn aber über seine (und auch ihre) verwandtschaftliche Bindung mit ihnen jedoch im Unklaren gelassen. 53 Vgl. M. OHST, Pflichtbeichte (wie Anm. 48), S. 55-60; siehe auch A. HAHN, Zur Soziologie der Beichte und anderer Formen institutiononalisierter Bekenntnisse: Selbstthematisierung im Zivilisationsprozeß, in: DERS., Konstruktionen des Selbst, der Welt und der Geschichte. Aufsätze zur Kultursoziologie (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1505), Frankfurt a. M. 2000, S. 387-403.
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lungsgarantie versehen sei, sofern der Mensch für seine Sünden Buße tue und damit seine triuwe erweise. Es ist damit nicht Gott gegenüber dem Menschen, sondern der Mensch gegenüber Gott, der seine unverbrüchliche triuwe unter Beweis stellen muss:54 sît sîn getriuwiu menischeit mit triwen gein untriwe streit. ir sult ûf in verkiesen, welt ir sælde nicht verliesen. lât wandel iu für sünde bî. sît rede und werke niht sô frî: wan der sîn leit so rîchet daz er unkiusche sprichet, von des lône tuon i’u kunt, in urteil sîn selbes munt. nemt altiu mær für niuwe, op si iuch lêren triuwe. […] von dem wâren minnaere sagten disiu süezen mære. der ist durchliuhtec lieht, und wenket sîner minne nieht. swem er minne erzeigen sol, dem wirt mit sîner minne wol. (V. 465, 9-466, 6)
Diese religiöse Lehre ist jedoch keineswegs der einzige Gegenstand des Gesprächs: Auf die Lehre von der Erbsünde folgen lange Ausführungen über das Geschlecht der Gralskönige, die Regeln der Gralsherrschaft und den Sündenfall des Gralsherrschers sowie Trevrizents Bußhilfe für seinen Bruder durch die Absage gegenüber dem Rittertum und den Eintritt in ein asketisches Eremitenleben.55 In der Absage an das Rittertum, sofern man es nicht allein auf den verbotenen ritterlichen Minnedienst beschränkt, hat Trevrizents Bußhilfe für Anfortas jedoch durchaus problematische Seiten, denn er hat sich damit selbst von der möglichen Nachfolge für seinen Bruder ausgeschlossen, was die Gralsgemeinschaft nach Trevrizents eigener Aussage gegenüber Parzival heftig beklagt:
54 Zum triuwe-Begriff und seiner Semantik im Parzival vgl. A. KRUSE / G. RÖSSLER, Unter-
suchungen zu Begriffsinhalt und literarischer Funktion des Wortes “triuwe” in Wolframs “Parzival”, in: C. L. GOTTZMANN / H. KOLB (Hgg.), Geist und Zeit: Wirkungen des Mittelalters in Literatur und Sprache. Festschrift für Roswitha Wisniewski, Frankfurt a. M. 1991, S. 123-150, hier bes. zur triuwe gegenüber Gott S. 136-139. 55 Zu Trevrizents vom Erzähler sehr ausführlich geschilderten asketischen Praktiken und zur Funktion von Askese im Parzival insgesamt vgl. M. MÜNKLER, Buße und Bußhilfe. Modelle von Askese in Wolframs von Eschenbach ‘Parzival’, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 86 (2010), S. 131-159.
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daz was der diet ander klage, lieber neve, als ich dir sage, daz ich schiet von dem swerte mîn. sie sprâchen ‘wer sol schirmer sîn über des grâles tougen?’ dô weinden liehtiu ougen. (V. 480, 19-24)
Trevrizents Askeseschwur impliziert auch, dass Anfortas nicht sterben darf, weil sonst der Gral keinen Herrscher mehr hätte (wand im sterben dô niht dohte, / sît daz ich mich het ergebn / in alsus ärmeclichez lebn [V. 480, 30-481, 2]). Er ist insofern mitverantwortlich für Anfortas’ fortgesetztes körperliches Leid, das aber offenbar im Vergleich mit dessen Seelenheil (er darf ohne vorherige Rekonziliation nicht sterben) und der Notwendigkeit, das Gralsreich nicht ohne Herrscher zu lassen, als nachrangig betrachtet wird. Zumindest finden sich, abgesehen von Trevrizents eigenen Erläuterungen, weder von Seiten des Erzählers noch von einer anderen Figur innerhalb der Erzählung Ansätze von Kritik des Inhalts, dass Trevrizent eine Mitschuld an Anfortas’ weiterem Leiden trage. Deutlich wird damit aber, welches Gewicht Parzivals Aufgabe hat. Ihre Funktion ist doppelt codiert: Er soll den Gralskönig von seinem Leiden erlösen und er soll die Gralsherrschaft antreten. Mit der Erkenntnis der genealogischen Verbindung zwischen Parzival, Trevrizent und Anfortas muss Trevrizent und damit auch dem Hörer/Leser klar werden, dass dies die Gralsfamilie vor vollständiger Depossedierung bewahrt hätte. Als Spross der Gralsdynastie hätte Parzival das Gralskönigtum der Titureldynastie, wenn auch nicht in agnatischer, so doch in kognatischer Herrschaftssukzession fortsetzen können. Das Problem, das Anfortas’ Sünde geschaffen und das Gelübde Trevrizents prolongiert hat, hätte Parzival zu Gunsten der Gralsfamilie lösen sollen. Seine Aufgabe bestand demnach darin, Genealogie und Idoneität für die Ausübung der Gralsherrschaft wieder zusammen zu führen. Mit dem Verstoß gegen die Regeln des Grals, wonach der Gralsherrscher keinen Minnedienst leisten dürfe und seine dynastisch notwendige Ehefrau vom Gral selbst ausgewählt werde, hatte Anfortas die Herrschaft der Gralsdynastie wegen seiner mangelnden Idoneität nahezu zerstört. Gegenüber dieser Sünde ist Parzivals angebliches Versagen auf der Gralsburg, das ihm von Sigune und Cundrî so heftig vorgeworfen wird, bestenfalls, wenn es denn nach Wolframs Umstellung der Frage überhaupt ein Versagen ist, eine lässliche Sünde. Unter dem Primat religiöser Kommunikation besteht Parzivals einzige, allerdings schwerwiegende Sünde in seinem Gotteshass, von dem ihn Kahenîs und Trevrizent befreien, woran sich Reue und Buße anschließen. Diese Buße hebt an mit der zeitweiligen Übernahme von Trevrizents Askeseregeln: Während seines fünfzehn Tage währenden Aufenthalts bei Trevrizent unterwirft sich Par-
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zival dessen Nahrungsaskese. Die gemeinsam gesammelten Wurzeln scheinen ihm köstlicher als selbst die Speisung durch den Gral.56 Allerdings sind Nahrungsaskese und die Teilhabe an Trevrizents Einsiedlerleben nur Zwischenstationen auf Parzivals Bußweg, der sich nicht vollständig von den Regeln der ritterlichen Welt ablösen lässt. Trevrizent verlangt von Parzival aber auch keineswegs die Abkehr vom ritterlichen Dasein. sus was er dâ fünfzehen tage. der wirt sîn pflac als ich iu sage. krût unde würzelîn daz muose ir bestiu spîse sîn. Parzivâl die swære truoc durch süeziu mære, wand in der wirt von sünden schiet unt îm doch rîterlichen riet. (V. 501, 11-18)
Nach der immanenten Logik der Gralsherrschaft wäre eine vollständige Ablösung vom ritterlichen Leben auch nicht möglich, denn der Herrscher, der den Gral schützen muss, kann kein weltabgewandter Eremit sein. Es ist deshalb konsequent, wenn der für die Sünden seines Bruders Anfortas Buße leistende Trevrizent Parzival beim Abschied anbietet, auch dessen Sünden zu übernehmen. er sprach ‘gip mir dîn sünde her: vor ich bin dîn wandels wer. und leist als ich die hân gesagt: belîp des willen unverzagt.’ (V. 502, 24-28)
Der Erzähler vermeidet jedoch ausdrücklich, sich frühzeitig auf den Erfolg dieser Operation festzulegen, und beschließt das neunte Buch mit einer den Hörer/Leser selbst zum Richter erhebenden Bemerkung: von ein ander schieden sie: ob ir welt, sô prüevet wie. (V. 502, 29-30)
Insofern kann der Leser nur beobachten, dass Parzival sich als fähig erweist, eine Schuld auf sich zu nehmen, die er nicht auf sich geladen hat. Was keine der 56 T. EHLERT, Das Rohe und das Gebackene. Zur sozialisierenden Funktion des Teilens
von Nahrung im Yvain Chrestiens de Troyes, im Iwein Hartmanns von Aue und im Parzival Wolframs von Eschenbach, in: L. KOLMER / C. ROHR (Hgg.), Mahl und Repräsentation. Der Kult ums Essen. Beiträge des internationalen Symposions in Salzburg, 29. April bis 1. Mai 1999, Paderborn u.a. 2000, S. 23-40, hier S. 34, hat hinsichtlich der Unterwerfung Parzivals unter Trevrizents Askesepraktiken betont, dass Wolfram hier einmal mehr von Chrétien abweicht, indem er die Beschreibung der geteilten kärglichen Mahlzeit vor Parzivals Sündenbekenntnis legt. “Während das asketische Mahl bei Chrestien also zugleich Bußleistung und als Versöhnung fungiert, trägt es bei Wolfram dazu bei, Parzival zum Sündenbekenntnis bereit zu machen und ihn auf die Rückkehr in die Glaubensgemeinschaft vorzubereiten.”
Idoneität und Genealogie in Wolframs Parzival
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Figuren des Romans, die Parzival alle an witze überlegen sind, auch nur zu ahnen vermag, löst Parzival nicht durch die Mitleidsfrage, sondern durch seine Mitleidensbereitschaft: Die Erlösungsbedürftigkeit des anderen ist nur durch die eigene Erlösungsbedürftigkeit zu erfahren. Narrativ wird diese Erlösungsbedürftigkeit durch das Verschwinden der Hauptfigur aus der Erzählung markiert: Über mehrere Bücher tritt Gawan an Parzivals Stelle als der Held der Erzählung – ohne dass dies im Prolog angekündigt worden wäre –, und Parzival taucht nur hin und wieder, allein an der Beschreibung seiner Rüstung erkennbar, im Hintergrund als ein Umherirrender auf, der immer noch auf der Suche nach dem Rückweg zur Gralsburg ist und keinen sich ihm bietenden Kampf auslässt. Letztlich erweist sich Parzivals Idoneität am bedingunslosen Festhalten an seiner Aufgabe, den Gralsherrscher zu erlösen und die Gralsherrschschaft zu übernehmen. Diese Idoneität muss sich in einem langen, schmerzlichen Prozess bewähren, in dem Parzival völlig auf sich allein gestellt und zugleich der Beobachtung durch die Leser/Hörer entzogen ist. Deshalb auch kann der Aufenthalt bei Trevrizent nur ein weiterer, wenn auch zentraler Zwischenschritt sein. Erst durch einen göttlichen Gnadenerweis kann Parzivals Idoneität nach außen sichtbar werden, erst die Gnade Gottes kann ihm verleihen, was auf dem Weg der Buße vorbereitet, aber nicht erzwungen werden kann: die Erlösung des Gralsherrschers und die Übernahme der Gralsherrschaft.57 Die Anforderungen religiöser Transzendenz überschreiten die Möglichkeiten ritterlich-herrschaftlicher und zugleich narrativer Immanenz. Sie heben Wolframs Parzival damit deutlich vom Modell des Artusromans ab. Parzival erbringt keine sichtbare oder zumessbare Leistung, sondern wird von der Gnade Gottes zum Herrscher über das Gralsreich erhoben. Seine Idoneität wird von Gott selbst bestätigt – gegen die Erwartungen sämtlicher Personen des Romans, die um seine Aufgabe wissen und von der Unaufhebbarkeit seines ‘Versagens’ ausgehen, und gegen die Erwartungen der Hörer oder Leser, die durch das Modell des Artusromans auf ein Lohn-Leistungsmodell eingeschworen sind, in dem herrschaftliche Idoneität sich durch die ritterlich-herrschaftliche Leistung des in eine Krise geratenen Herrschers bewähren muss. Genau dieses Modell innerweltlicher Idoneität löst Wolfram radikal auf, indem er Parzival den Ohren und Blicken entzieht. Von daher ist es auch erklärlich, dass Parzival die Frage, entgegen den früheren Bedingungen, dass sie am ersten Abend gestellt werden müsse und danach ihre Wirksamkeit verliere, wiederholen darf. Als Gott ihn bereits zum Gralskönig erhoben und dies über das Kommunikationsmedium Gral mitgeteilt hat, darf Parzival die Frage noch einmal stellen. Darauf gesundet Anfortas augenblicklich und überstrahlt danach selbst den wunderschönen Parzival an Schönheit, aber die Frage ist nichtsdestoweniger nur noch ein zeremonieller Akt. An57 Zur Funktion der Gnade im Parzival vgl. S. FUCHS-JOLIE, Von der Gnade erzählen. Par-
zival, Gottes hulde und die Gesetze des Grals, in: Frühmittelalterliche Studien 41 (2007), S. 435-446.
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fortas’ Erlösung ist ebenso ein Akt göttlicher Gnade, wie Parzivals Erhebung zum Gralskönig. Das wird auch daran deutlich, dass Parzival den ihm von Trevrizent mitgeteilten Wortlaut der Frage, herre, wie stât iuwer nôt (V. 484, 27) in die Frage transformiert: Œheim, waz wirret dier? (V. 795, 29). Die Veränderung des Wortlauts impliziert den souveränen Umgang mit einer magischen Frage, zu deren Bestimmungen im Prinzip ihre unbedingte sprachliche Konstanz gehört. Betrachtet man insoweit die Konstanz der Frage als Fragenorm, so gestattet sich Parzival am Schluss seines und Anfortas’ Leidensweges eine Normtransgression. Diese gezielte Transgression macht beobachtbar, dass Parzival nach seiner Berufung zum Gralskönig, aber nicht allein durch sie, ein Ausmaß an Normsouveränität erlangt hat, das ihm Abweichungen gestattet. In dieser Normsouveränität erweist sich schließlich seine persönliche Idoneität, die ihren letzten Grund in göttlicher Gnade hat.
STEFAN WEINFURTER
Idoneität – Begründung und Akzeptanz von Königsherrschaft im hohen Mittelalter Im März 1077 fand in Forchheim ein bemerkenswertes Ereignis statt. Die Großen des Reiches trafen sich dort, beschlossen die Absetzung ihres bisherigen Königs, Heinrichs IV., und wählten einen neuen König, Rudolf von Rheinfelden. Aber damit nicht genug. Man fasste überdies den Beschluss, “dass im Unterschied zum bisherigen Brauch fortan die königliche Gewalt niemandem als Erbe (per hereditatem)”1 zufallen solle. Vielmehr solle der Sohn des Königs, auch wenn er noch so würdig sei, eher durch “spontane Wahl” als durch Sukzession König werden.2 Wenn der Sohn des Königs aber nicht “würdig” sei oder das Volk ihn nicht haben wolle, “so solle es in der Macht des Volkes (populus) stehen, denjenigen zum König zu machen, den es wolle.”3 Erst, nachdem dies alles in gesetzmäßiger Weise so beschlossen worden war (his omnibus legaliter constitutis),4 sei Rudolf in Mainz zum König geweiht worden.5 Bruno, der Verfasser dieses Berichts, zeigt sich zum Fürstentreffen in Forchheim auch in anderen Details gut unterrichtet, so dass wir ihm hohe Glaubwürdigkeit einräumen dürfen. Mit populus sind die Großen des Reiches gemeint. Sie sollten künftig darüber urteilen, wer für das Königsamt “würdig” (dignus) sei. Mit diesem fürstlichen Reichsbeschluss von 1077 sollte das traditionelle Prinzip einer Legitimation des Königs durch hereditas und successio, also durch Erbe und Nachfolgerecht des Sohnes, beendet werden. Das wäre für sich genommen schon ein bemerkenswerter Vorgang. Die ganze Tragweite dieses Ereignisses wird aber erst dann deutlich, wenn wir den Blick auf das Gesamtgefüge richten, das jeweils der alten und der neuen Vorstellung von der Würdigkeit und “Tauglichkeit”, der idoneitas eines Königs, zugrunde lag.
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Brunos Buch vom Sachsenkrieg, ed. H.-E. LOHMANN (Monumenta Germaniae Historica, Deutsches Mittelalter. Kritische Studientexte 2), Leipzig 1937, cap. 91, S. 85, Z. 28-29. Ebd., Z. 29-31: […] etiam si valde dignus esset, potius per electionem spontaneam quam per successionis lineam rex proveniret. Ebd., Z. 31-33: Si vero non esset dignus regis filius, vel si nollet eum populus, quem regem facere vellet, haberet in potestate populus. Ebd., Z. 33. Siehe hierzu H. KELLER, Schwäbische Herzöge als Thronbewerber: Hermann II. (1002), Rudolf von Rheinfelden (1077), Friedrich von Staufen (1125). Zur Entwicklung von Reichsidee und Fürstenverantwortung, Wahlverständnis und Wahlverfahren im 11. und 12. Jahrhundert, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 131 (1983), S. 123-162.
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Die alte Ordnung war nach Bruno von der hereditas und der successio geprägt.6 Man könnte geneigt sein, diese beiden Begriffe als dynastischen Erbanspruch zu deuten. Aber damit würden wir an der Oberfläche bleiben. Die eigentliche Bedeutung von hereditas und successio für diese Periode erschließt sich uns erst, wenn wir den ordo der Königsweihe hinzuziehen. Er ist um 960 in Mainz, wahrscheinlich im Kloster St. Alban, entstanden und bei der Erhebung der folgenden Könige mit großer Wahrscheinlichkeit auch zum Einsatz gekommen.7 Für die Erhebung Heinrichs II. von 1002 kann man das jedenfalls nachweisen.8 In diesem ordo lesen wir nun, dass der König zwei Voraussetzungen für seine Würdigkeit zu erfüllen habe:9 Zum einen müsse er die paterna successio10 vorweisen, d.h. das Recht der väterlichen Nachfolge, welches demzufolge im Prinzip beim Sohn des Vorgängers lag. Aber damit war er laut Krönungsordo noch nicht König. Er musste zum anderen auch das ius hereditarium11 übertragen bekommen, und zwar durch die Weihe und die Salbung, vermittelt durch die Bischöfe.12 Wie den Leviten im Alten Testament wurde ihm dadurch das göttliche ius hereditarium zuteil.13 Erst dann konnte er in das wirkliche Erbe eintreten, nämlich in das Erbe Christi. Das irdische Reich war in dieser Vorstellung ein Reich Gottes, oder, wie es in den Quellen heißt, das “Haus Gottes”, die domus Dei,14 und der König war der Stellvertreter Christi, des wahren Herrschers.15 6 7 8 9
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Brunos Buch vom Sachsenkrieg (wie Anm. 1), cap. 91, S. 85 A. BÜTTNER, Der Weg zur Krone. Rituale der Herrschererhebung im spätmittelalterlichen Reich (Mittelalter-Forschungen 35), 2 Bde., Ostfildern 2012, Bd. 1, S. 96-107. Zur Benutzung bei der Erhebung Heinrichs II. im Jahre 1002 siehe S. WEINFURTER, Heinrich II. Herrscher am Ende der Zeiten, Regensburg ³2002, S. 43. Siehe S. WEINFURTER, Der Anspruch Heinrichs II. auf die Königsherrschaft 1002, in: J. DAHLHAUS / A. KOHNLE (Hgg.), Papstgeschichte und Landesgeschichte. Festschrift für Hermann Jakobs zum 65. Geburtstag (Archiv für Kulturgeschichte, Beiheft 39), Köln/Wien/Weimar 1995, S. 121-134. Mainzer Krönungsordo, in: Le pontifical romano-germanique du dixième siècle, Bd. 1: Le texte, ed. R. ELZE / C. VOGEL (Studi e testi 226), Città del Vaticano 1963, cap. 25, S. 258. Ebd. Ebd., cap. 13, S. 252: Tunc domnus metropolitanus unguat de oleo sanctificato caput, pectus et scapulas ambasque compages brachiorum. Vulgata Biblia sacra iuxta vulgatam versionem, ed. R. WEBER, Stuttgart 52007, Dtn. 18,12: non habebunt sacerdotes et Levitae et omnes qui de eadem tribu sunt partem et hereditatem cum reliquo Israhel […] Dominus enim ipse est hereditas eorum. Das Reich als domus Dei erscheint in besonderem Maße in der Zeit Heinrichs II., etwa in seinem Diplom Nr. 99 (Die Urkunden Heinrichs II. und Arduins, ed. H. BRESSLAU / H. BLOCH [Monumenta Germaniae Historica, Diplomata regum et imperatorum Germaniae 3], Berlin 21957, S. 124): In domo dei largiflua summos dispensatores nos esse scimus. Für eine umfassende Ausführung der Bildidee des Hauses Gottes siehe: Boto von Prüm, De domo Dei, ed. M. LA BIGNE / P. DESPONT (Bibliotheca maxima veterum patrum 23), Lyon 1677, S. 489-516. Schon bei Tertullian findet sich das Verständnis des vicarius als a Deo secundus, wo es über die Kaiser heißt: […] sentiunt eum esse Deum solum, in cuius solius potestate sunt, a quo secundi, post quem primi, ante omnes et super omnes deo, Tertullian, Apologeticum, ed. C. BECKER,
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Das Königtum war demzufolge gar keine irdische Einrichtung, sondern von Gott selbst geschaffen. Welche Kraft von dieser Idee ausging, zeigt sich an der Erhebung Ottos III. Obwohl er noch ein dreijähriges Kind war, als sein Vater, Otto II., 983 starb, konnte sich Heinrich der Zänker, der die Königswürde für sich beanspruchte, nicht durchsetzen.16 Otto III. war bereits von Erzbischof Willigis von Mainz gesalbt und geweiht worden,17 und dieses Sakrament konnte kein Sterblicher mehr rückgängig machen. Nicht minder klar tritt dieses Konzept der Idoneität bei der Erhebung Heinrichs II. 1002 hervor. Er war zwar nicht der Sohn des Vorgängers, aber dessen nächster Verwandter in männlicher Linie.18 Als es ihm in einem Überraschungscoup gelang, sich am 7. Juni 1002 in Mainz weihen und salben zu lassen,19 war die Entscheidung gefallen. Er habe, so formuliert sein Biograph Adelbold von Utrecht, das Königtum als ein solium hęreditarium übernommen, als einen “Erbthron”.20 Und der Chronist Thietmar von Merseburg fasste den Vorgang in die Worte: Dies alles, “was sich auf das Göttliche wie auf das Menschliche bezog” – also göttliches Erbe und verwandtschaftliche Nähe – habe Heinrich II. zur Königsherrschaft im Reich geführt, ob nun “die anderen wollten oder nicht”.21 Eine Wahl durch die Großen hatte überhaupt nicht stattgefunden, sie war in diesem Ordnungsgebäude nicht vorgesehen. Der König als vicarius Christi: Das bedeutete auch, dass der irdische Stellvertreter im übertragenen Sinne die Genealogie Christi fortsetzte. Dieser Gedanke klingt bereits bei Heinrich II. an. Nachdem er von den meisten Großen des Rei-
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München 41992, cap. 30.1, S. 164. Über die verschiedenen Vicarius-Positionen von Kaiser und Papst um 1100 handelt: De consecratione pontificum et regum, ed. H. BÖHMER (Monumenta Germaniae Historica, Libelli de lite 3), Hannover 1897, S. 662-679. Für die Begriffsgeschichte des Königs als vicarius Christi allgemein siehe: S. SCHAEDE, Stellvertretung. Begriffsgeschichtliche Studien zur Soteriologie (Beiträge zur historischen Theologie 126), Tübingen 2004, S. 40-42. Noch im März 984 strebte Heinrich der Zänker die Königswürde selbst an: Thietmar von Merseburg, Chronik, ed. R. HOLTZMANN (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum N.S. 9), Berlin 1935, lib. IV, cap. 2, S. 132: Inde egressus Heinricus proximum pascha Quidilingeburg festivis peregit gaudiis. […] Hac in festivitate idem a suis publice rex appellatur laudibusque divinis attolitur. Er entsagte diesem Anspruch aber bald, versöhnte sich mit Otto III. und erhielt dafür sein Herzogtum wieder zurück: Inter regem et ducem pax firmatur […] regis gratiam in Francanafordi et ducatum dedicius promeruit (ebd., cap. 8, S. 140). Hierzu S. WEINFURTER, Otto III. (983-1002), in: B. SCHNEIDMÜLLER / S. WEINFURTER (Hgg.), Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I. (919-1519), München 2002, S. 73-96, hier S. 79. Thietmar von Merseburg, Chronik (wie Anm. 16), lib. V, cap. 3, S. 224: […] Heinricum Christi adiutorio et iure hereditario regnaturum. S. WEINFURTER, Heinrich II. (wie Anm. 8), S. 52. Adelbold von Utrecht, Vita Heinrici II imperatoris, ed. H. VAN RIJ, in: Nederlandse Historische Bronnen 3 (1983), cap. 1, S. 48. Thietmar von Merseburg, Chronik (wie Anm. 16), lib. V, cap. 2, S. 222: Omnia, quae ad divina vel humana pertinebant, hunc pre caeteris sibi tunc contemporalibus – nollent vellent – ad regnum promovebant.
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ches als König anerkannt worden war, bestieg er am 8. September 1002 in Aachen den Thron Karls des Großen.22 Der 8. September aber ist der Festtag von Mariä Geburt, und dieser Tag hatte für die Legitimation des Königs geradezu programmatischen Charakter. Der Grund liegt darin, dass beim Festgottesdienst von Mariä Geburt der Anfang des Matthäusevangeliums gelesen wird. Es sind die Worte, mit denen der Stammbaum Jesu Christi, also der Liber generationis Iesu Christi,23 beschrieben wird. Das biblische Königsgeschlecht wird von Abraham und David hergeleitet. Am Ende steht der Satz: “Jakob war der Vater von Josef, dem Mann Marias. Von ihr wurde Jesus geboren, der Christus genannt wird.”24 Am 8. September ging es im Kirchenjahr also um das biblische Königtum und seine Erfüllung durch den Sohn Marias. Damit war auch eine entscheidende Schlüsselposition angesprochen, die von der heiligen Maria eingenommen wurde.25 Sie, die den himmlischen König als Menschen geboren hatte, sollte nun auch die Beschützerin des irdischen Stellvertreters ihres Sohnes sein. Doch es kam noch ein zweiter, vielleicht noch bedeutenderer Aspekt hinzu. Der irdische König führte im Grunde die Genealogie Christi fort. Dafür war freilich ein Sohn erforderlich, den Heinrich II. am Ende nicht vorweisen konnte. Das löste, wie wir von dem Chronisten Wipo wissen, nach Heinrichs Tod große Unruhe im Reich aus.26 Man stand plötzlich vor der Notwendigkeit, irgendwie einen neuen König hervorzubringen. Letztlich konnte man sich aber zu einer eindeutigen Wahl gar nicht durchringen. Man erteilte vielmehr dem Haus der Salier den Auftrag, sich intern auf ein Mitglied zu einigen.27 Dies geschah in der separaten Unterredung der beiden Salier, also zwischen Konrad dem Älteren und Konrad dem Jüngeren, wie wir wiederum von Wipo wissen. Als sich der Ältere 1024 durch den Kuss, den er dem Jüngeren verabreichte, durchgesetzt hatte,28 nutzte auch er die symbolische Kraft des 8. Septembers. An diesem Tag fanden seine Weihe und Salbung im Mainzer
22 Ebd., cap. 20, S. 245: Quo in nativitate sancte Marie a primatibus Luithariorum in regem collauda-
tur et in sedem regiam more antecessorum suorum exaltatur et magnificatur.
23 Vulgata (wie Anm. 13), Mt. 1,1. 24 Ebd., Mt. 1,16: Iacob autem genuit Ioseph virum Mariae de qua natus est Iesus qui vocatur Christus. 25 Zur Bedeutung Marias im ottonisch-salischen Herrschaftskonzept vgl. grundlegend E.-
D. HEHL, Maria und das ottonisch-salische Königtum. Urkunden, Liturgie, Bilder, in: Historisches Jahrbuch 117 (1997), S. 271-310. 26 Wipo, Gesta Chuonradi imperatoris, ed. H. BRESSLAU (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum [61]), Hannover/Leipzig 31915, cap. 1, S. 9: Post imperatoris obitum res publica amisso patre tamquam desolata in brevi vacillare coepit. Unde cuique optimo metus et sollicitudo, pessimis autem in voto imperium periclitari erat. […] Nam cum imperator sine filiis obiisset […]. 27 Ebd., cap. 2, S. 15: […] de paucis admodum duo sequestrati sunt, in quibus examen extremum summorum virorum summa diligentia diu deliberatum in unitatis puncto tandem quievit. 28 Ebd., cap. 2, S. 18: Inter haec verba maior Chuono pluribus videntibus paululum se acclinans cognatum osculatus est, quo osculo primum deprehensum est utrumque illorum alteri acquievisse.
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Dom statt.29 Auch in der Folgezeit wurde dieser Tag mit Förderung des Königs im Reich besonders feierlich begangen. So erhielt die Kirche von Worms von ihm eine Stiftung, damit, wie es in der Schenkungsurkunde heißt, jährlich der Tag, “an dem wir durch die göttliche Barmherzigkeit die Königssalbung erlangt haben, das Gedenken an uns, an unsere Gemahlin, die Königin Gisela, und an unseren Sohn Heinrich […] gefeiert wird.”30 Bei den Saliern, die damit die Königsherrschaft erlangten, ist der Gedanke der Genealogie besonders ausgeprägt. Von Beginn an hat Konrad II. seinen Sohn, Heinrich III., in die symbolischen Zeichen seines Königtums aufgenommen. Dieser erscheint als spes imperii – Hoffnung für das Kaisertum – auf einer Kaiserbulle des Vaters von 1028 (Abb. 3),31 wurde in die bildlichen Darstellungen auf dem Apsisfresko im Dom von Aquileia mit aufgenommen32 (Abb. 4) und schließlich auch schon bei der Anlage der Grablege im Dom zu Speyer mit berücksichtigt (Abb. 5).33 Angesichts dieser Zusammenhänge kann man festhalten, dass das genealogische Prinzip der Herrscherdynastie in dieser Epoche, aus der die Idoneität erwuchs, seine besondere Kraft aus der Anbindung an die Genealogie Christi schöpfte. Sofern es einen Sohn gab, waren im System dieser Gesamtordnung seine Würdigkeit und Tauglichkeit zunächst allein in seiner Existenz begründet. Nur Weihe und Salbung waren noch erforderlich, um das Sakrament der Stellvertreterschaft Christi in Kraft zu setzen. Allerdings musste sich dieser Herrscher fortan in seinen Handlungen seiner göttlichen Berufung stets als würdig erweisen. Es war also von größter Bedeutung, dass der König seine Eignung, seine idoneitas, in der Praxis fortlaufend bestätigte. Um das “Haus Gottes” zu leiten, musste er sich streng an die göttlichen Gebote halten und darauf achten, dass diese in seinem Volk verbreitet und be29 Ebd., cap. 3, S. 20-21: Rex pervenit Moguntiam. […] Ad quem benedicendum in die nativitatis
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sanctae Mariae cum archiepiscopus Moguntinensis et omnis clerus sollemniter se praepararent, inter sacra officia regiae unctionis archiepiscopus hoc ad regem usus est sermone: […] Omnis potestas a Deo. Die Urkunden Konrads II. Mit Nachträgen zu den Urkunden Heinrichs II., ed. H. BRESSLAU (Monumenta Germaniae Historica, Diplomata regum et imperatorum Germaniae 4), Hannover/Leipzig 1909, Nr. 51, S. 59: […] ea videlicet ratione, ut per singulos annos in die, quo divina misericordia regalem unctionem suscepimus, memoria nostra atque coniugis nostre Gisele regine filiique nostri Heinrici in elemosinis et orationibus iure sollempni a predictis fratribus celebretur. Zum Herrschaftsantritt Konrads grundlegend H. WOLFRAM, Konrad II. 990-1039. Kaiser dreier Reiche, München 2000, S. 64-68. Vgl. K. SCHMID, Zum Haus- und Herrschaftsverständnis der Salier, in: S. WEINFURTER unter Mitarbeit von H. KLUGER (Hg.), Die Salier und das Reich, 3 Bde., Sigmaringen 1991, Bd. 1: Salier, Adel und Reichsverfassung, S. 21-54, hier S. 29. Die Bulle gehört zum Diplom Konrads II. (Die Urkunden Konrads II. [wie Anm. 30], Nr. 129, S. 174-175), das am 23. August 1028 für das Stift Gernrode ausgestellt wurde. K. SCHMID, Zum Haus- und Herrschaftsverständnis (wie Anm. 31), S. 26-32. Siehe dort die Abbildungen 1a bis 1d. S. WEINFURTER, Herrschaftslegitimation und Königsautorität im Wandel: Die Salier und ihr Dom zu Speyer, in: DERS. (Hg.), Die Salier und das Reich (wie Anm. 31), Bd. 1, S. 5596, hier S. 70-73.
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folgt werden. Bezeichnend dafür sind die Worte Heinrichs II., die er 1005 mit großer Wahrscheinlichkeit selbst diktiert hat: “Im reich gefüllten Haus Gottes sind wir, so ist uns bewusst, die obersten Verwalter. Wenn wir die Verwaltung getreu ausführen, werden wir selig werden und, indem wir in die Freuden des Herrn eingehen, dessen Güter besitzen. Wenn wir aber untreu sind, dann werden wir in die Folterkammer hinabgestoßen und bis zum letzten Glied gefoltert werden.”34
Die Stellvertretung des himmlischen Königs ließ dem irdischen König keinen Spielraum. Er musste sich seine gesamte Herrschaftszeit über als tauglich und würdig erweisen, andernfalls erwarteten ihn ewige Folter und Pein. Mit diesem Herrschermodell und seiner Legimitierung sollte 1077 Schluss sein. Auf die Würdigkeit, die sich erst in der Praxis herausstellte, wollten sich die Großen nicht mehr einlassen. Das hatte viele Gründe. Einer der wichtigsten war gewiss der autokratische und als willkürlich empfundene Regierungsstil des Königs, der sich als vicarius Christi sah, am Ende als imitator Christi auftrat35 und dem Reich Friedensbefehle erteilte,36 die alle Rechtstraditionen missachteten. Ein derartiger König wurde zunehmend als rex iniustus empfunden.37 Der Widerstand der Großen äußerte sich erstmals 1053, als sie in Trebur die Zustimmung zur Nachfolge des kleinen, dreijährigen Heinrichs IV. mit der Bedingung ver34 In domo dei largiflua summos dispensatores nos esse scimus; si fideliter dispensaverimus, beati erimus et
in gaudium domini intrantes bona ipsius possidebimus, si infideliter, in tortorium detrudemur et usque ad novissimum quadrantem torquebimur (Die Urkunden Heinrichs II. [wie Anm. 14], Nr. 99, S. 124). 35 Vgl. S. WEINFURTER, Canossa. Die Entzauberung der Welt, München 32007, S. 36-37. Beide Bezeichnungen werden bereits bei der Königskrönung Konrads II. vorgeprägt: Ad summam dignitatem pervenisti, vicarius es Christi. Nemo nisi illius imitator verus est dominator (Wipo, Gesta Chuonradi [wie Anm. 26], cap. 3, S. 22-23). 36 Siehe hierzu S. WEINFURTER, Ordnungskonfigurationen im Konflikt. Das Beispiel Kaiser Heinrichs III., in: J. PETERSOHN (Hg.), Mediaevalia Augiensia. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters. Vorgelegt von Mitgliedern des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte (Vorträge und Forschungen 54), Stuttgart 2001, S. 79-100; DERS., Ordnungskonfigurationen. Das Beispiel Heinrichs III., in: DERS. (Hg.), Neue Wege der Forschung. Antrittsvorlesungen am Historischen Seminar Heidelberg 2000-2006 (Heidelberger Historische Beiträge 3), Heidelberg 2009, S. 15-45. Bezeichnend dafür ist Heinrichs III. Friedensbefehl auf der Synode von Konstanz 1043, wo er “einen seit vielen Jahrhunderten nicht bekannten Frieden” (pacem multis seculis inauditam) anordnete (Hermann von Reichenau, Chronik, ed. G. H. PERTZ [Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 5], Hannover 1844, a. 1043, S. 124). 37 Vgl. S. WEINFURTER, Das Reich im Mittelalter. Kleine deutsche Geschichte von 500 bis 1500, München 22011, S. 87. Beschwerden über die abnehmende iusticia Heinrichs III. finden sich z. B. bei Hermann von Reichenau: Quo tempore regni tam primores quam inferiores contra imperatorem magis magisque mussitantes, iam dudum eum ab inchoatae iusticiae, pacis, pietatis, divini timoris, multimodaeque virtutis tenore, in quo de die in diem debuerat proficere, paulatim ad quaestum et incuriam quandam deficere multumque se ipso deteriorem fore causabantur (Hermann von Reichenau, Chronik [wie Anm. 36], a. 1053, S. 132).
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knüpften, dieser müsse aber ein rector iustus werden.38 Die vielbehandelte Entsakralisierung des Königs in der Kirchenreform kam als weiterer, wesentlicher Faktor hinzu, auch wenn man berücksichtigen muss, dass ‘Entsakralisierung’ gar nicht der richtige Begriff ist und dass es sich eher um die Entfernung des Königs aus der Stellvertreterschaft Christi handelte.39 Diese Rolle nahm fortan der Papst ein.40 Die wachsende Fürstenverantwortung für das Reich und die sakrale Mediatisierung des Königs, aber auch eine allgemeine Entwicklung zur Vereindeutigung von Herrschafts- und Amtslegitimierung gipfelten schließlich in der Fürstenerklärung von Forchheim 1077. Wer für das Königtum würdig ist, sollte künftig von ihnen festgestellt werden.41 Als dieses Prinzip von Heinrich V. bei seiner Erhebung im Januar 1106 anerkannt wurde,42 waren die Weichen für die Zukunft gestellt. Dieser fundamentale Wandel in der Legitimierung von Königsherrschaft schlug sich auch in einem neuen Verständnis von Genealogie nieder. Dies wird vor allem durch einen Vergleich bildlicher Herrscherdarstellungen deutlich. Ausgangspunkt sind die beiden Miniaturen im Codex Aureus Spirensis (Escorial, Cod. Vitrinas 17), der 1045/46 im Auftrag König Heinrichs III. im Kloster Echternach angefertigt wurde (Abb. 6 und 7).43 Die beiden Bilder sind auf zwei gegenüberliegenden Seiten aufgebracht (fol. 2v und 3r) und bilden ein Gesamtprogramm. Sie zeigen die damalige Dynastie der Salier. Auf dem Bild links sieht man die Vorgänger-Generation, nämlich Konrad II. und seine Gemahlin Gisela. Sie flehen Christus auf dem Himmelsbogen um Vergebung ihrer Sünden an. Das Bild rechts zeigt das damals regierende Herrscherpaar, Heinrich III. und 38 Ebd., a. 1053, S. 133: Imperator Heinricus magno aput Triburiam conventu habito filium aequivocum
regem a cunctis eligi eique post obitum suum, si rector iustus futurus esset, subiectionem promitti fecit.
39 F.-R. ERKENS, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investitur-
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streit, Stuttgart 2006; DERS., Anmerkungen über die Sakralität des Reiches im späteren Mittelalter, in: H. KNÜPPEL / M. OSTEN / U. ROSENBAUM (Hgg.), Wege und Spuren. Verbindungen zwischen Bildung, Wissenschaft, Kultur, Geschichte und Politik. Festschrift für Joachim-Felix Leonhard (Schriftenreihe des Wilhelm-Fraenger-Instituts Potsdam 10), Berlin 2007, S. 223-239. Innozenz III. benutzte den Titel vicarius Christi erstmals explizit für den Papst in der Nachfolge Petri. Vgl. W. FANNING, Vicar of Christ, in: The Catholic encyclopedia. An international work of reference on the constitution, doctrine, discipline and history of the Catholic Church, Bd. 15, New York 1912, Sp. 544-545. Siehe oben, Anm. 1. S. WEINFURTER, Das Ende Heinrichs IV. und die neue Legitimation des Königtums, in: G. ALTHOFF (Hg.), Heinrich IV. (Vorträge und Forschungen 69), Ostfildern 2009, S. 331-353. Siehe hierzu: Codex Aureus Escorialensis. Das salische Kaiser-Evangeliar. Faksimile, ed. C. OLMOS PIERI (Colección scriptorium 5), Madrid/Münster 1995. Dazu die beiden Kommentarbände: J. RATHOFER (Hg.), Das salische Kaiser-Evangeliar. Der Codex Aureus Escorialensis. Kommentar zur Faksimile-Ausgabe, 2 Bde., Madrid/Münster 19992001.
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seine Gemahlin Agnes. Sie verneigen sich vor Maria, der Schutzherrin des irdischen Stellvertreters ihres Sohnes, und der König bittet um Marias Wohlwollen und Segen. Hintergrund der Darstellung ist die Krise der Dynastie unter Heinrich III., denn ihm waren zwar vier Töchter, aber bis dahin kein Sohn geboren worden.44 Das bedeutete höchste Gefahr für dieses Königtum, das sich ja aus sich heraus fortsetzen sollte – in Entsprechung zur Genealogia Christi. Das Ausbleiben eines Sohnes konnte nur damit erklärt werden, dass im Königshaus gesündigt worden war. Vielleicht waren es die simonistischen Handlungen des Vaters, also Konrads II., der für die Besetzung von Bischofsstühlen Geld verlangt hatte?45 Jedenfalls vergießt er auf dem Bild Tränen und bittet um Verzeihung. Der Sohn, Heinrich III., wiederum beteuert, dass er sich mustergültig an die Gebote Gottes halte, die in den vier Evangelien dieses Codex niedergelegt waren. Die Anfertigung des kostbaren Evangeliars war selbst Beweis dafür. Auf der Rückseite des Bildes, auf dem er dargestellt ist, ist zu lesen: “Heinrich, der kaiserliche Herrscher, dem niemand gleich ist an Tugenden, der als König herrschen soll, den niemand an Weisheit übertrifft, er bringt dem König aller diese Krone der Bücher dar. Mit Gold hat er es schreiben lassen, da die Weisheit gesagt hat: Alles wird vergehen, meine Worte aber werden niemals vergehen.”46
Das war das Programm der Idoneität dieses Königtums. Auf diese Weise versicherte Heinrich III., dass sich die salische Dynastie den für sie geltenden Regeln vollständig unterwerfe und sich daher der Herrschaft würdig erzeige. Deshalb sollte von himmlischer Seite auch die Fortsetzung der Dynastie gewährt werden, wie auf dem rechten Bild zu sehen ist. Heinrich überreicht Maria das Goldene Buch und spricht zu ihr: “Oh Königin des Himmels, weise mich, den König, nicht zurück. Indem ich diese Gaben überreiche, vertraue ich mich, den Vater mit der Mutter und insbesondere die mir in Liebe zum Nachkommen verbundene Gattin deinem Schutz an, damit du Helferin bist und Gönnerin für alle Zeiten.”47
Auf der anderen Seite setzt sich der Impuls fort, indem Maria die vor ihr gebeugt stehende Agnes segnet. In diesen Tagen war Agnes wieder einmal guter Hoffnung, und die Gestaltung des Bildes drückt die Hoffnung aus, Agnes möge den Sohn und Nachkommen bereits in sich tragen.48 Auch die dritte GeneraS. WEINFURTER, Ordnungskonfigurationen im Konflikt (wie Anm. 36), S. 87-88. H. WOLFRAM, Konrad II. (wie Anm. 30), S. 325-328. J. RATHOFER (Hg.), Das salische Kaiser-Evangeliar (wie Anm. 43), Bd. 2, S. 117. Ebd., S. 116: O regina poli, me regem spernere noli. Me tibi commendo praesentia dona ferendo, patrem cum matre, quin iunctam prolis amore, ut sis adiutrix et in omni tempore fautrix. 48 J. FRIED, Tugend und Heiligkeit. Beobachtungen und Überlegungen zu den Herrscherbildern Heinrichs III. in Echternacher Handschriften, in: W. HARTMANN (Hg.), Mittelalter. Annäherung an eine fremde Zeit (Schriftenreihe der Universität Regensburg N.F. 19), Regensburg 1993, S. 41-85. 44 45 46 47
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tion der salischen Dynastie wurde auf solche Weise in die Darstellung mit einbezogen, so, wie es die zugrundeliegende Herrscheridee verlangte. Als Vergleich zu diesen Bildern dient die Saliergenealogie, die 1106 oder kurz danach entstanden ist. Sie atmet einen völlig anderen Geist (Abb. 8). Diese Strichzeichnung stammt aus der Chronik Ekkehards von Aura, eines Parteigängers Heinrichs V. und glühenden Verfechters der neuen Ordnung.49 Hier gibt es keine transzendenten Räume mehr. Alles ist im Irdischen verankert: Konrad II. erscheint als Stammvater seines Hauses. Aus seiner Hand entwickelt sich die Abfolge der Medaillons, das heißt, die Abfolge der Generationen.50 Auch eine solche Dynastie machte erbrechtliche Ansprüche geltend, aber nur noch nach Maßgabe irdischer und biologisch-erbrechtlicher Grundlagen. Nun entstand ein Herrscherhaus, wie es die Architektur auf dem Bild andeutet und wie es dem neuen politischen und gesellschaftlichen Ordnungsgefüge entsprach. Künftig wurden neue Kriterien der Würdigkeit und der Kompetenzen eines Königs entwickelt, die zwar durchaus nach machtpolitischen, vor allem aber nach Gesichtspunkten des Gemeinwohls zu erörtern waren. Dieser Gedanke, dass ein König im Konsens der Gemeinschaft erhoben werde und dadurch seine Legitimation erhalten sollte, prägte sich in der Frühzeit des 12. Jahrhunderts intensiv aus. Es war der Gedanke der gemeinschaftlichen Lebensordnung, der sich vor allem aus der religiösen Bewegung der vita communis nährte. Im Klerus und im Mönchtum entstanden um 1100 neue Formen gemeinschaftlichen Handelns und Entscheidens. Die freie Wahl des Abtes und des Bischofs zählte dazu. Ebenso der Gedanke der Fürstenverantwortung für das Reich, der sich Ende des 11. und Anfang des 12. Jahrhundert in verschiedenen Aktionen der Großen manifestierte. Dies ging soweit, dass man 1121 König Heinrich V. als Repräsentanten des Reiches gegenübertrat und ihn auf dem Hoftag in Würzburg zum Frieden mit dem Papst zwang. Diese Phase stärkte die Vorstellung von der Idoneität eines künftigen Königs in hohem Maße. 1125 war es soweit. Nach dem Tod Heinrichs V. sollte in einer freien Wahl der Geeignetste gewählt werden. Es sollten keine Vorbesprechungen oder Vorentscheidungen getroffen werden, so wurde in der Einladung zur Wahl eigens hervorgehoben.51 Nicht persönliche Vorteile sollten den Ausschlag geben, sondern der Wille der Wahlversammlung. 49 S. WEINFURTER, Reformidee und Königtum im spätsalischen Reich. Überlegungen zu
einer Neubewertung Kaiser Heinrichs V., in: DERS. (Hg.), Reformidee und Reformpolitik im spätsalisch-frühstaufischen Reich (Quellen und Abhandlungen zur Mittelrheinischen Kirchengeschichte 68), Mainz 1992, S. 1-45, hier S. 1-2. 50 Vgl. A. FINGERNAGEL, Die illuminierten lateinischen Handschriften deutscher Provenienz der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin. 8.-12. Jahrhundert (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Kataloge der Handschriftenabteilung, Reihe 3: Illuminierte Handschriften 1/1-2), 2 Bde., Wiesbaden 1991, Bd. 1: Text, S. 5. 51 Mainzer Urkundenbuch, Bd. 1: Die Urkunden bis zum Tode Erzbischof Adalberts I. (1137), ed. M. STIMMING, Darmstadt 1932, Nr. 534, S. 443: Nullum tamen praeiudicium deliberationi et voluntati vestrae facientes nichil nobis singulare ac privatum in hac re usurpamus.
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Aber es gab nach wie vor keine einheitlichen Kriterien für Idoneität. Die Interessen der Reformkirche rückten als vorrangige Maßgabe zwar in den Vordergrund, aber Macht und Durchsetzungskraft waren ebenso erforderlich. Am Ende setzte sich der Anspruch der sächsischen Vertreter, nach einem fränkischen Jahrhundert wieder den König stellen zu wollen, in einer spontanen Aktion durch. Lothar von Sachsen wurde tumultartig zum neuen Herrscher ausgerufen, die anderen beugten sich. Wie konnte angesichts solcher Deutungsvielfalt die Idoneität eines Königs, die nicht aus transzendenten Wurzeln gespeist war, definiert werden? Am Ende des 12. Jahrhunderts, so die Antwort, wurde die Entscheidung darüber, wer für das Königsamt geeignet sei, dem Papst übertragen. Innozenz III. bediente sich der Methoden von Jurisprudenz und Dialektik, als er zum Jahresbeginn 1201 in seiner Deliberatio super facto imperii de tribus electis die Frage nach der Rechtmäßigkeit der drei Könige, Friedrichs II., Philipps von Schwaben und Ottos IV., in juristisch schulmäßiger Methode abhandelte.52 Im Mittelpunkt stand der Nutzenaspekt. Idoneität wurde am Nutzen gemessen: Wer schadet der Kirche und dem Reich, wer gewährleistet Nutzen und Vorteile? Und schließlich brachte Innozenz III. den Gesichtspunkt ins Spiel, dass bestimmte Wähler teilnehmen müssten, damit eine Wahl gültig sei.53 Die Entscheidung über die Idoneität des Königs wurde also mit der Idoneität der Wähler verknüpft – ein wegweisender Vorgang, der das Element der Verrechtlichung und das künftige Modell der dualistischen Herrschaft von König und (Kur-)Fürsten auf den Weg brachte.54 Der Nutzenaspekt und die schrittweise rechtliche Begründung blendeten zwar die persönlichen Qualitäten eines künftigen Herrschers nicht ganz aus, aber die idealistische Phase der Zeit des ausgehenden 11. und frühen 12. Jahrhunderts, in der es auf die ‘würdige’ Person – auch im Sinne einer moralischen Forderung – ankommen sollte, war doch vorüber. Länger als ein Jahrhundert lag die Entscheidung über die Eignung nun in letzter Instanz in der Hand des 52 Regestum Innocentii III papae super negotio Romani imperii, hg. von F. KEMPF (Miscel-
lanea historiae pontificiae 12), Rom 1947, Nr. 29, S. 74-91. Vgl. M. LAUFS, Politik und Recht bei Innozenz III. Kaiserprivilegien, Thronstreitregister und Egerer Goldbulle in der Reichs- und Rekuperationspolitik Papst Innozenz’ III. (Kölner historische Abhandlungen 26), Köln/Wien 1980; F. KEMPF, Innozenz III. und der deutsche Thronstreit, in: Archivum Historiae Pontificiae 23 (1985), S. 63-91. 53 Zum Anteil der Kölner Juristen an dieser Entwicklung siehe M. GROTEN, Köln im 13. Jahrhundert. Gesellschaftlicher Wandel und Verfassungsentwicklung (Städteforschung, Reihe A: Darstellungen 36), Köln/Weimar/Wien 1995, S. 50-54. 54 E. SCHUBERT, Kurfürsten und Wahlkönigtum. Die Wahlen von 1308, 1314 und 1346 und der Kurverein von Rhens, in: J. MÖTSCH / F.-J. HEYEN (Hgg.), Balduin von Luxemburg. Erzbischof von Trier – Kurfürst des Reiches 1285-1354. Festschrift aus Anlaß des 700. Geburtsjahres (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 53), Mainz 1985, S. 103-117; E. SCHUBERT, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 63), Göttingen 1979; A. BÜTTNER, Der Weg zur Krone (wie Anm. 7), bes. S. 437-446.
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Papstes, mit dem die Kurfürsten bestenfalls ihren eigenen Vorteil abstimmen konnten. Am Ende war es der reine Machtfaktor, der die Eignung auf einen immer kleineren Kreis von königsfähigen Häusern beschränkte. Und es war auch die Transpersonalisierung des Königtums, die eine Veränderung mit sich brachte. Sie bedurfte zwar eines Königs, aber dieser war eher für das System selbst erforderlich. Geherrscht wurde auf anderen Ebenen.
THOMAS FOERSTER
Neue Herrschaft in neuen Reichen Genealogie, Idoneität und die Ursprünge weiblicher Nachfolge im 12. Jahrhundert
I. Die Zeit des 11. und 12. Jahrhunderts war eine Epoche gewaltiger und gleichsam wohlbekannter Umbrüche in Europa. Mit Kreuzzügen, Reconquista, Ostsiedlung und der Christianisierung Nord- und Osteuropas brachte diese Zeit eine ganze Reihe neuer Königreiche hervor. Robert Bartlett hat in dieser Expansion die Ursprünge des heutigen Europa gesehen.1 Ganz besonders treten in dieser Entwicklung die Normannen in den Vordergrund, die in dieser Epoche ganze zwei Königtümer errichteten. Schon oft hat die Forschung Vergleiche dieser Königreiche in West- und Südeuropa unternommen. Die Normannen, die unter Wilhelm dem Eroberer 1066 England einnahmen und jene, die Sizilien und Unteritalien eroberten und diese Länder unter den Hauteville zu einem neuen Königreich vereinten, haben die Forschung schon lange beschäftigt. Ein solcher Vergleich ‘normannischer Königtümer’ impliziert aber auch, dass diese Herrschaften für ihre gesamte Bestandszeit als ‘normannisch’ gesehen werden können. Gerade dieser ‘normannische Mythos’ wurde aber in den letzten Jahren von der modernen Forschung hinterfragt.2 Gewiss gehen diese Herrschaftsbereiche auf normannische Traditionen zurück, diese wurden aber in den eroberten Gebieten bald mit dem dort vorgefundenen Erbe verschmolzen.3 In England begann man schon ab ca. 1140, sich mit dem angelsächsischen Erbe zu identifizieren,4 gerade um sich von den kontinentalen Normannen abzugrenzen 1 2 3
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R. BARTLETT, The Making of Europe. Conquest, Colonization, and Cultural Change, 950-1350, London 1993, bes. S. 5-23. R. H. C. DAVIS, The Normans and their Myth, London 1976. T. FOERSTER / S. BURKHARDT, Introduction: Tradition and Heritage. The Normans in the Transcultural Middle Ages, in: S. BURKHARDT / T. FOERSTER (Hgg.), Norman Tradition and Transcultural Heritage. Exchange of Cultures in the ‘Norman’ Peripheries of Medieval Europe, Farnham 2013, S. 1-18. I. SHORT, Tam Angli quam Franci. Self-definition in Anglo-Norman England, in: C. HARPER-BILL (Hg.), Anglo-Norman Studies 18: Proceedings of the Battle Conference 1995, Woodbridge 1996, S. 153-175; vgl. D. BATES, Normandy and England after 1066, in: The English Historical Review 104 (1989), S. 851-880. Zu diesem Phänomen in der Historiographie siehe J. GILLINGHAM, Henry of Huntingdon and the Twelfth-Century Revival of the English Nation, in: S. FORDE / L. JOHNSON / A. V. MURRAY (Hgg.), Concepts of
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(was natürlich nicht bedeutete, dass auch alte angelsächsische Familien in ihren früheren Besitzungen restituiert worden wären;5 dieser Prozess fand mehr auf der Ebene der Selbstidentifikation und der Konstruktion von Geschichtsbildern statt). In Sizilien ließ man ebenfalls sehr bald die normannischen Traditionen hinter sich, oder verband sie mit dem transkulturellen Erbe, das man im neuen Herrschaftsbereich im Süden vorfand, einem Raum zwischen lateinischen, griechischen, arabischen, jüdischen und auch starken antiken Einflüssen.6 Auch hier begann man bald, sich mit den lokalen Traditionen stärker zu identifizieren, was zuletzt in einer Bezeichnung Siculi für ansässige Araber, Griechen und Lateiner (einschließlich der Normannen), in gewissem Sinne für alle Untertanen des Königs gelten konnte.7 Der ‘normannische Mythos’, das Narrativ eines normannischen Volkes, das in England, der Normandie, Sizilien und Antiochia herrschte, geht vor allem auf Ordericus Vitalis zurück,8 der eben nicht in England oder Sizilien schrieb, sondern in der Normandie. Vor diesem Hintergrund, mit einer normannitas als tertium comparationis, erscheint ein Vergleich Englands und Siziliens zumindest problematisch. Was die beiden Königtümer aber in viel stärkerem Maße auf eine ähnliche Ebene stellt, was sie viel eher vergleichbar macht, ist die Tatsache, dass man es in beiden Fällen mit ‘neuer Herrschaft in neuen Reichen’ zu tun hat. In England stammte die neue Dynastie zumindest noch aus dem normannischen Herzogshaus (und konnte daher Ansprüche auf den Thron Englands erheben), in Sizilien basierten aber alle Titel und Länder auf Eroberung. Die Schaffung solch neuer Königreiche und neuer Dynastien brachte natürlich legitimatorische Probleme mit sich. Hierzu nur einige Beispiele aus dem Königreich Sizilien: Natürlich wird in vielen Quellen die Idoneität des Eroberers und ersten Königs Rogers II. besonders betont.9 Erst in späterer Rückschau entwickeln die Historiographen auch eine differenziertere Sicht. Laut dem Bericht eines späte-
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National Identity in the Middle Ages (Leeds Texts and Monographs NS 14), Leeds 1995, S. 75-101. Vgl. hierzu in Teilen auch: J. CAMPBELL, Some Twelfth-Century Views of the Anglo-Saxon Past, in: Peritia 3 (1984), S. 131-150. Für Süditalien vgl. E. JOHNSON, Normandy and Norman Identity in Southern Italian Chronicles, in: J. GILLINGHAM (Hg.) Anglo-Norman Studies 27: Proceedings of the Battle Conference 2004, Woodbridge (Suffolk) 2005, S. 85-100 und N. WEBBER, The Evolution of Norman Identity, 911-1154, Woodbridge 2005. Jetzt siehe auch G. A. LOUD, Norman Traditions in Southern Italy, in: S. BURKHARDT / T. FOERSTER (Hgg.), Norman Tradition (wie Anm. 3), S. 35-56. Zur politischen Stellung der normannischen Adeligen in England vgl. J. A. GREEN, The Aristocracy of Norman England, Cambridge 1997. T. FOERSTER / S. BURKHARDT, Tradition (wie Anm. 3). Chronica ignoti monachi S. Mariae de Ferraria, in: Ignoti monachi S. Mariae de Ferraria Chronica et Ryccardi de sancto Germano Chronica Priora, ed. A. GAUDENZI (Monumenti Storici 1, Cronache 1), Neapel 1888, S. 11-39, hier S. 32, ad annum 1197. R. H. C. DAVIS, The Normans and their Myth (wie Anm. 2), hier S. 35. Vgl. etwa Alexander von Telese: Alexandri Telesini abbatis Ystoria Rogerii Regis Siciliae, Calabriae atque Apuliae, ed. L. DE NAVA, komm. D. CLEMENTI (Fonti per la storia d’Italia 112), Rom 1991, Praefatio.
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ren Chronisten erwarb Roger seine königliche Idoneität erst als König, nicht jedoch schon vor der Erhebung: “Er war es, der als erster das Herzogtum Apulien und das Fürstentum Capua zum Königreich Sizilien vereinigte, und aus ihnen ein Königtum erschuf, was sie zuvor nicht gewesen waren; und während er in den Anfängen brutal, grausam und gierig war, so wurde er später friedliebend und milde, gerecht und aufrichtig, und in einen solchen Frieden führte er sein Königreich, so dass niemand es wagte, gegen einen anderen das Schwert zu nehmen”.10 Zur Königserhebung 1130 selbst fasst sich derselbe Chronist sehr kurz.11 Genealogie konnte für Roger keine Grundlage bilden; deshalb entwickelte man andere Strategien. Zum Beispiel findet sich vereinzelt der Hinweis, Roger habe kein neues Königreich gegründet, sondern ein früheres erneuert, das zuvor auf der Insel Sizilien bestanden habe, er habe gleichsam eine restitutio regni Siciliae betrieben.12 Es ist wenig überraschend, dass die Chronisten in beiden Fällen Idoneität eindeutig gegenüber Genealogie hervorheben (müssen). Erst in etwas späterer Zeit, als in diesen neuen Reichen schon eine gewisse Dynastiebildung stattgefunden hatte, finden sich Situationen, die ein dynamisches Verhältnis dieser beiden Grundbegriffe aufzeigen und in welchen beide als Alternativen diskutiert werden konnten. In diesen Fällen unterscheiden sich diese neuen Königreiche vom Rest des latein-christlichen Europa. Dynastiebildung setzte in beiden Königreichen schon früh ein. Sowohl Wilhelm der Eroberer als auch Roger II. entwarfen differenzierte Nachfolgeregelungen. Zu Wilhelms Nachfolge gibt es mit dem Text De obitu Wilhelmi schon eine propagandistische Schrift.13 Seine Nachfolgeregelung zeigt darüber hinaus eine Gewichtung zugunsten der Versorgung aller Söhne gegenüber einer zukünftigen Integration und Verbindung der einzelnen Herrschaftsbereiche.14 Zwar waren die einzelnen Herrschaftswechsel (1087 und 1100) nicht unumstritten; das dynastische Prinzip und die Nachfolge in der Linie Wilhelms des Eroberers wurden in England aber nicht mehr in Fra-
10 Chronica ignoti monachi S. Mariae de Ferraria (wie Anm. 7), S. 29, ad annum 1154: Hic
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primus coniuncxit ducatum Apulie et principatum Capue regno Sicilie et fecit inde unum regnum; quod antea non fuerat; et cum prius fuisset ferus et crudelis et ad acquirendum avidus, effectus est postmodum pacificus et mansuetus, iustus et rectus, et in tanta pace redegit regnum suum, ut nullus contra alium auderet levare glaudium. Ebd., S. 18, ad annum 1130. Siehe hierzu insbesondere H. WIERUSZOWSKI, Roger II of Sicily, Rex-Tyrannus in TwelfthCentury Political Thought, in: Speculum 38 (1963), S. 46-78, hier S. 51-53 wie auch J. DEÉR, Papsttum und Normannen. Untersuchungen zu ihren lehnsrechtlichen und kirchenpolitischen Beziehungen (Studien und Quellen zur Welt Kaiser Friedrichs II. 1), Köln/Wien 1972, S. 221-222. Siehe hierzu K. LACK, The De Obitu Willelmi. Propaganda for the Anglo-Norman Succession, 1087-88?, in: The English Historical Review 123 (2008), S. 1417-1456. Vgl. A. PLASSMANN, Die Normannen. Erobern – Herrschen – Integrieren (UrbanTaschenbücher 616), Stuttgart 2008, S. 189-192.
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ge gestellt.15 In Sizilien, in der Zeit vor Gründung des Königreiches, war die Nachfolge in den einzelnen Erobererfamilien tatsächlich noch an Traditionen des normannisch-französischen Westeuropa gebunden.16 Königliche Würde musste aber prinzipiell anders vererbt werden. Die Erblichkeit des Königtums wurde Roger II. vom Papsttum zugesichert.17 Sie musste aber auch im Königreich selbst durchgesetzt werden. Daher ließ Roger auf einem Hoftag in Melfi 1129, noch vor der Erhebung zum König, die Großen seines Herrschaftsbereiches die Nachfolge seines Sohnes als Hierarchen (und wohl schon gedacht als König) beschwören.18 Die zahlreichen Versuche Rogers II., seine Nachfolge frühzeitig zu regeln, scheiterten jedoch an der hohen Sterblichkeitsrate seiner Erben.19 Seinen letzten verbliebenen legitimen Sohn, den späteren König Wilhelm I., erhob er 1151 offiziell zum Nachfolger und gleichsam zum Mitkönig.20 Mit solchen Maßnahmen reagierten sowohl Roger als auch Wilhelm auf die legitimatorische Herausforderung ihrer nicht vorhandenen oder problematischen und angefochtenen genealogischen Legitimation als König. Mit der Sicherung einer eigenen Dynastie sollten vollendete Tatsachen geschaffen werden, welche das Problem mangelnder Legitimität für die Zukunft entschärfen sollten. In beiden Fällen, sowohl in England als auch in Sizilien, schafften es die Könige, die freie Erbfolge durchzusetzen und damit Genealogie zur wesentlichen Grundlage der Sukzession zu machen. In Sizilien hatte sich gegen Ende des 12. Jahrhunderts die Erbfolge so weit verfestigt, dass Alternativen undenkbar erschienen. Zum Jahr 1189 schrieb ein lokaler Annalist: “Im November starb König Wilhelm ohne Erben, was zu einer großen Gefahr wurde.”21 Idoneität findet man aber in anderen Bereichen: Idealerweise ist ein König auch bei freier Erblichkeit idoneus, zumeist jedoch wird die Frage der Idoneität in Königtümern diskutiert, die auf Wahl bzw. Akklamation beruhen. Damit stehen sich zwei Prinzipien gegenüber: Wahlkönigtum, wo Idoneität ein grundlegender Faktor sein muss, da auf ihr Anerkennung oder Ablehnung beruhen können, und Erb15 Vgl. zum Wechsel 1087 K. LACK, The De Obitu Willelmi (wie Anm. 13) und allgemein
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J. A. GREEN, Unity and Disunity in the Anglo-Norman State, in: Historical Research 62 (1989), S. 115-134. Siehe hierzu C. REISINGER, Tankred von Lecce. Normannischer König von Sizilien 11901194 (Kölner historische Abhandlungen 38), Köln/Weimar/Wien 1992, S. 78-92. Zu diesen Fragen insg. J. DEÉR, Papsttum und Normannen (wie Anm. 12), S. 202-256. Siehe Romuald von Salerno, Chronicon, ed. C. A. GARUFI (Rerum Italicarum Scriptores, Nuova Edizione 7/1), Città di Castello 1909-1935, S. 217, ad annum 1129. Vgl. dazu J. DEÉR, Papsttum und Normannen (wie Anm. 12), S. 224-225. Vgl. hierzu und im folgenden R. HIESTAND, Zur Geschichte des Königreichs Sizilien im 12. Jahrhundert, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 73 (1993), S. 52-69, hier S. 52-57. H. HOUBEN, Roger II. von Sizilien. Herrscher zwischen Orient und Okzident (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 1997, S. 102-103. Annales Ceccanenses, ed. G. H. PERTZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 19), Hannover 1866, S. 275-302, hier S. 288, ad annum 1189: Mense Novembris Guilielmus rex Siciliae absque haerede, quod magnum periculum fuit, mortuus est.
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königtum, wo die Genealogie den Legitimationsgrundstock bildet. Hier ist aber keine klare Trennung möglich; es gibt durchaus Fälle, die zwischen den beiden Prinzipien stehen. Beansprucht etwa ein externer Faktor, wie das Papsttum, Lehns- oder andere Hoheit – und damit einen Approbationsanspruch – kann durchaus auch in Erbkönigtümern Idoneität zum Faktor werden.22 Die wichtigsten dieser Fälle treten vor allem bei dynastischen Brüchen auf. Es sind Nachfolgekrisen, welche die Beteiligten zwingen, sich Fragen der Genealogie und Idoneität zuzuwenden. Oft kann der verstorbene König noch zu Lebzeiten einen Nachfolger designiert haben, oder sogar zum Mitkönig erhoben haben, in vielen Fällen musste sich der Designierte im Erbfall dennoch gegen andere Prätendenten durchsetzen. Vorgängerliche Designation konnte hier durchaus einen legitimatorischen Vorteil schaffen, im Grunde aber wurden in diesen Fällen Idoneität und Genealogie diskutiert: Genealogie, weil man zumeist versuchte, einen Kandidaten aufzustellen, der in irgendeiner Weise noch mit dem Vorgänger verwandt war – je näher desto besser; und Idoneität, weil in diesen Fällen auf die Wahl und die Unterstützung durch die Großen des Reiches zurückgegriffen werden musste. Blickt man auf solche Nachfolgekrisen, so stößt man auf weitere Parallelen zwischen den Königreichen England und Sizilien. Nach der Dynastiebildung, genauer, drei Generationen nach den Stammvätern Wilhelm und Roger, stürzten beide Reiche in eine solche dynastische Krise. In beiden Fällen starb der letzte königliche Spross der Dynastie (Heinrich I. und Wilhelm II.) ohne männlichen Erben. In beiden Fällen ließ dieser letzte König die Großen seines Reiches auf die Nachfolge einer weiblichen Erbin einen Eid ablegen. Diese Frauen waren noch dazu beide Kaiserinnen, Mathilde, die Tochter König Heinrichs I. und Witwe Kaiser Heinrichs V. und gemeinhin als “The Empress” bekannt, und Konstanze, die Tante Wilhelms II. von Sizilien und Gattin Kaiser Heinrichs VI. In beiden Königreichen führte die Frage weiblicher Nachfolge zu heftigen Bürgerkriegen und in beiden Fällen wurden unter Bruch des vorherigen Eides (männliche) Könige erhoben, die ein zumindest problematisches Verwandtschaftsverhältnis zum letzten König aufwiesen: Stephan von Blois in England23 und Tankred von Lecce in Sizilien.24 Die beiden Fälle zeigen, dass es den Menschen des 12. Jahrhunderts offenbar leichter fiel, einen illegitimen Spross Rogers II. auf den Thron zu setzen,25 oder einen Verwandten, der nur in weiblicher Linie von Wilhelm dem Eroberer 22 Siehe z.B. für Roger II.: J. DEÉR, Papsttum und Normannen (wie Anm. 12), hier S. 221. 23 Vgl. zu Stephan B. WEILER, Kingship, Usurpation and Propaganda in Twelfth-Century
Europe. The Case of Stephen, in: J. GILLINGHAM (Hg.), Anglo-Norman Studies 23: Proceedings of the Battle Conference 2000, Woodbridge 2001, S. 299-326. 24 Zu Tankred siehe insbesondere C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16). 25 Zur Illegitimität (am Beispiel der Kinder Heinrichs I. von England) siehe K. THOMPSON, Affairs of State. The illegitimate children of Henry I, in: Journal of Medieval History 29 (2003), S. 129-151.
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abstammte, als etwa eine Frau. Man war sogar bereit, hierfür einen öffentlich und kollektiv geschworenen Eid zu brechen. Stephan behauptete zwar, er sei von Heinrich I. noch auf dem Sterbebett designiert worden, was ihn vom früheren Eid entbunden hätte,26 konnte damit den Anspruch Mathildes jedoch auch nicht erfolgreich bekämpfen. Zur Designation eines Nachfolgers waren solche Eide nicht unüblich. Die in unseren Fällen geleisteten verdienen dennoch nähere Betrachtung. Der sogenannte Eid von Troia, mit dem Wilhelm II. die Fürsten seines Reiches auf Konstanzes und damit Kaiser Heinrichs Nachfolge einschwören wollte, wurde in der Forschung schon lange diskutiert,27 gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Berichte über die Eide erst nach dem Tode Wilhelms II. niedergeschrieben wurden.28 Christoph Reisinger rückt hierbei vom Problem ab, ob es einen solchen Eid wirklich gegeben hat, und stellt vielmehr die Frage, ob Wilhelm nicht gegen Ende seines Lebens von ursprünglich angedachten Lösungen abgekommen war.29 Ähnlich wie Stephan habe auch Tankred laut einigen Quellen diesen Eid selbst geleistet. Der stauferfreundliche Petrus von Eboli berichtet sogar, Tankred habe sich an einem Schreiben beteiligt, das den Kaiser einlud, sein Erbe im Süden anzutreten.30 Deutsche Chronisten wissen nichts von diesem Eid zu berichten (obgleich er ihnen weitere Vorwurfsmöglichkeiten gegen Tankred geboten hätte); die Überlieferung findet sich nur in unteritalienischen Quellen. Interessanterweise wird aber der Eid gerade auch in englischen (als einzigen außeritalienischen) Texten überliefert. Man kann wohl annehmen, dass einem Benedict von Peterborough oder einem Roger von Howden die deutliche Parallele zum Fall Stephans auch auffiel.31 Die Geschichten der Bürgerkriege zwischen Stephan und Mathilde wie auch zwischen Tankred und Konstanze sind wohlbekannt und müssen hier nicht aufgegriffen werden. Tankred und Stephan waren beide gleichsam als Gegenkönige aufgestellt und beide konnten nur zumindest zweifelhafte oder eben nicht ausreichende genealogische Legitimation aufbieten. Der Eidbruch und damit die Abkehr der Großen von einer direkten weiblichen Erbfolge bedeuteten, dass die Königtümer Stephans und Tankreds auf dem Konsens dieser Großen und insbesondere deren Wahl beruhten. Aus diesem Grunde kann man hier verstärkte Diskussionen um Idoneität erwarten. Die einzig verfügbaren Aussagen dieser Art sind jedoch die Eigenschaften, welche die Historiographen den beiden Königen später zuschrieben. 26 M. T. CLANCHY, England and its Rulers 1066-1307, Malden 32006, S. 108. 27 Zum Eid von Troia vgl. C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 66-68, mit
Forschungsüberblick.
28 D. MATTHEW, The Norman Kingdom of Sicily (Cambridge Medieval Textbooks), Cam-
bridge 1992, S. 286.
29 Siehe hierzu C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 69. 30 Petrus von Eboli, Liber ad honorem augusti sive de rebus Siculis. Codex 120 II der Bur-
gerbibliothek Bern. Eine Bildchronik der Stauferzeit, ed. T. KÖLZER / M. STÄHLI, Sigmaringen 1994, Particula XI, S. 77. 31 Die Stellen bei C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 66-67.
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II. Für englische Chronisten stand Stephans Königtum stets zwischen eidbrüchiger Usurpation und friedenssichernder Herrschaftsübernahme. Damit befand sich der König in einem Spannungsfeld von vorgängerlicher Designation und Approbation der Großen, aber auch zwischen genealogischen Ansprüchen und persönlicher Idoneität. Die Gesta Stephani,32 verfasst von einem Kleriker aus der Partei von Stephans Bruder Heinrich von Blois, vielleicht von Bischof Robert von Hereford,33 war eine Biographie des Königs, die für den Autor den antiken Klassikern würdig sein sollte.34 Dieser Text stellte sich natürlich auf die Seite des Protagonisten. In anderen Texten der Zeit, wie etwa Heinrich von Huntingdons Historia Anglorum35 und Wilhelm von Malmesburys Historia Novella36 wird Stephans Legitimation zwar nicht unkritisch diskutiert, dennoch folgt das Narrativ in beiden Werken Stephan, und nicht etwa Mathilde. Dies lässt darauf schließen, dass man in diesen Texten Stephan vielleicht nicht de iure, doch zumindest de facto das Königtum zuerkannte. Einige Autoren vermeiden es geradezu, sich einer Seite des Konflikts zuzuschlagen. Für Robert von Torigni etwa spielte Genealogie eine große Rolle: in längeren genealogischen Abschweifungen (welche er selbst beinahe apologetisch so nennt37) behandelt er die großen Familien der Normandie und ihre europäischen Verknüpfungen.38 Was den Herrschaftsantritt Stephans angeht, lässt er sich jedoch zu keiner Stellungnahme hinreißen, er berichtet lediglich, dass Stephan auf die Nachricht vom Tode Heinrichs nach England kam, wo er die Krone erwarb. Mathilde wird demgegenüber “Erbin des Königs” (heres ipsius regis) genannt; der gesamte Thronstreit findet aber kaum Erwähnung. Weiterhin erwähnt er auch nur die väterliche Designation Mathildes, nicht aber den Eid, den 32 Siehe die Einleitung von R. H. C. Davis in der Edition: Gesta Stephani, ed. u. übers.
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K. R. POTTER, eingel. u. komm. R. H. C. DAVIS (Oxford Medieval Texts), Oxford 1976; die Einleitung S. XI-XL. Weiterhin siehe E. KING, The Gesta Stephani, in: D. BATES / J. CRICK / S. HAMILTON (Hgg.), Writing Medieval Biography, 750-1250. Essays in Honor of Professor Frank Barlow, Woodbridge 2006, S. 195-206. Vgl. hierzu die Einleitung von R. H. C. Davis in Gesta Stephani (wie Anm. 32), S. XXVIXXVIII. Ebd., S. XXX. Henry, Archdeacon of Huntingdon, Historia Anglorum. The History of the English People, ed. u. übers. D. GREENWAY (Oxford Medieval Texts), Oxford 1996. Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, ed. E. KING, übers. K. R. POTTER (Oxford Medieval Texts), Oxford 1999. Vgl. v.a. auch S. BAGGE, Ethics, Politics, and Providence in William Of Malmesbury’s Historia Novella, in: Viator 41 (2010), S. 113-132, hier S. 124. Robert von Torigni, Gesta Normannorum Ducum: The Gesta Normannorum Ducum of William of Jumièges, Orderic Vitalis and Robert of Torigni, ed. E. M. C. VAN HOUTS, 2 Bde. (Oxford Medieval Texts), Oxford 1992-1995, Bd. 2, lib. VIII, cap. 38, S. 274: Sed ut redeamus ad ea, unde digressi sumus causa harum genealogiarum. Ebd., lib. VIII, cap. 37, S. 272.
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Heinrich seinen Großen abverlangte.39 Heinrich von Huntingdon wird hier viel deutlicher. Für ihn stellt die Genealogie nicht das Problem dar; Stephans Abstammung erwähnt er gar nicht. Es ist die mangelnde Idoneität Stephans, die seine Königsherrschaft zum Scheitern verurteilt. Er schreibt zum Herrschaftsantritt 1135: “Denn ohne Verzug kam Stephan, der jüngere Bruder des Grafen Theobald von Blois, ein Mann von großer Tapferkeit und großem Heldenmut, obgleich er der Tochter König Heinrichs den Treueschwur des englischen Königreiches geleistet hatte, vertrauend auf seine Kraft und seine Unverfrorenheit, und versuchte Gott indem er die Krone des Reiches ergriff. Wilhelm, der Erzbischof von Canterbury, der als erster den Eid geleistet hatte, segnete ihn (oh Schmerz!) als König. Aus diesem Grunde erließ Gott über ihn das gleiche Urteil wie über den, der den Hohepriester Jeremias schlug, dass er nämlich kein Jahr mehr leben sollte.”40
Hier verwechselt Heinrich die biblischen Personen: es war Paschur, der Jeremias schlug, und es war Hananja, dem der frühe Tod prophezeit wurde.41 In jedem Falle aber ist die Bewertung des Erzbischofs deutlich, und die Stephans nicht minder: königliche Idoneität wird ihm hier keine zugeschrieben. Stephan wird aber nicht so sehr selbst für den Eidbruch kritisiert, vielmehr alle Großen des Reiches, die ihm so eilig ihre Unterstützung zusagten. Deutlicher wird Stephans Idoneität bei Wilhelm von Malmesbury diskutiert.42 Neben einigen guten Eigenschaften wirft er ihm vor allem Verschwendung und Gier vor.43 Wie in seinen anderen Königsdarstellungen wird Stephan jedoch nicht in ein Gut-Böse-Schema eingeordnet, sondern durchaus differenziert betrachtet.44 Wilhelm schrieb königlichen Misserfolg mangelnder Eignung 39 Vgl. ebd., lib. VIII, cap. 34, S. 267. 40 Henry, Archdeacon of Huntingdon, Historia Anglorum (wie Anm. 35), lib. X, cap. 1,
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S. 700: Venit enim sine mora Stephanus Theobaldi Blesensis consulis frater, junior eo, vir magnæ strenuitatis et audaciæ; et quamvis jurasset sacramentum fidelitatis Anglici regni filiæ regis Henrici, fretus tamen vigore et impudentia, regni diadema Dominum tentans invasit. Willelmus Cantuariensis archiepiscopus, qui primus sacramentum filiæ regis fecerat, eum, proh dolor! in regem benedixit, unde judicium illud Deus in eum statuit, quod sacerdoti magno Jeremiæ percussori statuerat, scilicet ne post annum viveret. Jer. 20,2 und 28,15-17. Vgl. den Kommentar von Diana Greenway in der Edition der Historia Anglorum: Henry, Archdeacon of Huntingdon, Historia Anglorum (wie Anm. 35), Anm. 10, S. 700-701. Vgl. hierzu insbesondere B. WEILER, William of Malmesbury on Kingship, in: History 90 (2005), S. 3-22, der vor allem rechtes Verhalten, symbolische Handlungen und moralische Führung im Zentrum von Wilhelms Königsbild hervorhebt, das nicht zuletzt von monastischen und patristischen Konzeptionen geprägt war. Vgl. weiterhin J. G. HAAHR, The Concept of Kingship in William of Malmesbury’s Gesta regum and Historia Novella, in: Mediaeval Studies 38 (1976), S. 351-371, wo insbesondere rechtliche und militärische Aspekte hervorgehoben werden. Siehe auch S. BAGGE, Ethics, Politics, and Providence (wie Anm. 36), S. 118. B. WEILER, William of Malmesbury (wie Anm. 42), S. 14-15. Ebd., S. 22. Vgl. auch J. G. HAAHR, The Concept of Kingship (wie Anm. 42), S. 360.
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und Charakterschwächen zu, während Erfolge umgekehrt nicht nur durch Idoneität, sondern eben auch durch göttliche Unterstützung erklärt werden.45 Erfolge sieht Wilhelm vor allem in einem starken Königtum.46 Was die Nachfolge betrifft, ist er nicht eindeutig: Die Dynastie Wilhelm des Eroberers wird nicht in Zweifel gezogen, und in Krisensituationen wird Designation durch den Vorgänger gegenüber anderen Nachfolgemöglichkeiten bevorzugt, wie etwa Wahl oder reine Blutsverwandtschaft.47 In seiner bekannten Ausgewogenheit merkt Wilhelm über Stephan an: “Er veränderte alles zum schlimmeren, als ob er seinen Eid nur geschworen habe, um sich im ganzen Reiche als Eidbrecher zu zeigen. Es steht mir aber nicht zu, die Wahrheit zu verbergen, und Friede sei deshalb dem gütigen Manne; dem, wenn er denn rechtmäßig die Herrschaft erlangt hätte, und in der Regierung nicht jenen sein argloses Gehör geschenkt hätte, die ihm übelwollten, zweifelsohne wenig zur Zierde der königlichen Person gefehlt hätte.”48
So aber habe Stephans Königtum in geplünderten, beraubten und enteigneten Kirchen und in allgemeinem Chaos in der ecclesia resultiert. Dies alles schreibt Wilhelm – wie Heinrich von Huntingdon – aber explizit Stephans Beratern zu, nicht dem König selbst.49 An anderer Stelle wird deutlich, wie Stephan in Wilhelms Sicht durchaus einige Königsideale in sich vereine; aber in gewissem Sinne stimme einfach die Mischung nicht: “Er war ein unverdrossener Mann, aber auch ein unkluger, tatkräftig im Kriege, von großem Geiste in der Überwindung von Schwierigkeiten, seinen Feinden mild und nachgiebig, und mit allen leutselig; wenn man auch seine süßen Versprechungen anerkennt, so sucht man doch Wahrheit in den Worten und Tatkraft in den Versprechungen.”50
Weiterhin schreibt Wilhelm ihm eine facilitas morum, eine Leichtigkeit der Sitten, zu, und die Gewohnheit, auch mit Untergebenen zu scherzen oder zu essen.51 Eine gewisse Ausprägung der Eignung in Form von guten Eigenschaften sieht auch Heinrich in Stephan: er sei beispielsweise energisch52 und überaus mutig: 45 46 47 48
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B. WEILER, William of Malmesbury (wie Anm. 42), S. 19. J. G. HAAHR, The Concept of Kingship (wie Anm. 42), S. 355. Ebd., S. 366-369. Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella (wie Anm. 36), cap. 19, S. 36: […] quia pene omnia ita perperam mutauit, quasi ad hoc tamen iurasset ut preuaricatorem sacramenti se regno toti ostenderet. Liceat enim michi, pace mansuetissimi hominis, uerum non occulere; qui, si legitime regnum ingressus fuisset, et in eo administrando credulas aures maliuolorum susurris non exhibuisset, parum ei profecto ad regiae personae decorem defuisset. Ebd. Ebd., cap. 15, S. 28-30: Vir quidem impiger sed imprudens, armis strenuus, immodici animi ad quelibet ardua inchoanda, lenis et exorabilis hostibus, affabilis omnibus: cuius cum dulcedinem in primisis susciperes, ueritatem tamen dictorum et promissorum efficatiam desiderares. Vgl. ebd., cap. 17, S. 30-32. Henry, Archdeacon of Huntingdon, Historia Anglorum (wie Anm. 35), lib. X, cap. 6, S. 710 und lib. X, cap. 16, S. 732.
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“An Weihnachten des zwölften Jahres [1146] zeigte sich König Stephan mit allen königlichen Insignien in der Stadt Lincoln, was vor ihm kein anderer König gewagt hatte, abgeschreckt durch abergläubische Leute. Das zeigt, dass König Stephan große Kühnheit besaß und Gefahren nicht fürchtete.”53
Trotz alledem war Stephans Königtum “eine sorgenschwere und glücklose Regierung.”54 In sehr positiver Bewertung hebt der Autor der Gesta Stephani ähnliche Eigenschaften hervor.55 Er schreibt seinem Protagonisten einen geradezu legendarischen Elan zu; legendarisch, weil Stephan hier mit vielen Legendengestalten gleichgesetzt wird: “Es war wie das, was wir von der Hydra des Herkules lesen, welcher, schlug man ihr einen ihrer Köpfe ab, gleich zwei oder mehr nachwuchsen; dies muss uns insbesondere auch in Bezug auf Stephans Probleme so erscheinen, denn war eines gelöst, so folgten endlos neue nach, noch schwierigere; und wie ein neuer unbesiegbarer Herkules rüstete er sich beständig und tapfer um diese einzeln zu erdulden.”56
Auch mit König Saul wird er verglichen; seine Situation sei sogar noch schlimmer gewesen.57 Damit nicht genug: Auch die Makkabäer und Alexander der Große werden auf den Plan geführt; aber: Stephans Probleme waren ungleich schwerer zu ertragen.58 Idoneität stellte die Autoren vor Probleme: schwer zu fassen, konnte man die gleichen Eigenschaften einem König sowohl in positiver als auch in negativer Absicht zuschreiben. Was Stephans Legitimation als König anging, mussten daher auch andere Faktoren einbezogen werden. Dies ist jedoch nicht nur in der Dichotomie von Idoneität und Genealogie zu fassen; in einem rechtlichen Sinne betonen die Autoren demgegenüber auch Designation und Approbation. Während aber etwa ein Wilhelm von Malmesbury vorgängerliche Designation als wichtigste legitimatorische Grundlage von Stephans Königtum herausstellt,59 reagiert der Verfasser der Gesta Stephani auf die Verhältnisse und legt Stephans 53 Ebd., lib. X, cap. 25, S. 748: Duodecimo rex Stephanus anno ad Natale Domini in urbe Lincoliensi
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diademate regaliter insignitus est, quo regem nullus introire prohibentibus quibusdam supersticiosis fuerat. Vnde comparet quante rex Stephanus audatie et animi pericula non reformidantis fuerit. Hier ist die Historia Anglorum die einzige Quelle, sowohl für das Unter-der-Krone-gehen wie auch für den Aberglauben; vgl. auch im Kommentar von D. Greenway, ebd., Anm. 139, S. 749. Ebd., lib. X, cap. 39, S. 774: cum fere nouendecim annis laboriose nimis et infeliciter regnasset. Vgl. auch Richard von Hexham, De gestis regis Stephani, in: Chronicles of the Reigns of Stephen, Henry II., and Richard I., ed. R. HOWLETT (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores 82), ND London 1996, Bd. 3, S. 137-178, hier S. 145. Gesta Stephani (wie Anm. 32), S. 68: Sicut enim de fabulosa illa Herculis legimus hydra, cuius uno resecto capite duo uel ampliora suboriebantur, sic et de regis Stephani laboribus specialiter sentiendum: quia uno quolibet finito alii grauiores infinite succedebant, et ad singulos sufferendos ut alter Alcides invicte se semper et fortiter accingebat. Ebd., S. 68-70. Ebd., S. 70. Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella (wie Anm. 36), cap. 18, S. 32-36. Vgl. dazu S. BAGGE, Ethics, Politics, and Providence (wie Anm. 36), S. 120.
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Königtum den Konsens der Großen zu Grunde.60 So wurde hier durch Notwendigkeit “konsensuale Herrschaft” zum Ideal erhoben.61 Zugleich hebt dieser Verfasser aber auch als erste Eigenschaft, die er über Stephan äußert, seine vornehme Herkunft hervor: “Während die Engländer sich so zügellos und unheilvoll aufführten, und, die Zügel der Gerechtigkeit gelockert, sich freimütig zu jedem Frevel hinreißen ließen, landete Graf Stephan von Boulogne, ein Mann von ausgezeichneter adeliger Abstammung, mit wenigen Truppen in England.”62 Nachdem der Autor hier Stephans Stammbaum betont, geht er auch auf vorgängerliche Designation ein. Schon im nächsten Satz wird seine Abstammung konkretisiert und mit Designation sowie Idoneität verbunden: “Denn dieser Mann war dem friedsamen König Heinrich der liebste unter all seinen Neffen, nicht nur weil er ihm in Blutsverwandtschaft verbunden war, sondern auch weil er besonders durch eine Vielzahl an Tugenden auffiel.”63 Auch diese Tugenden werden sogleich im Detail dargestellt: Stephan sei reich, aber doch bescheiden, freigebig und leutselig, mutig und tapfer im Kriege, vornehm und geduldig.64 Damit verbindet Stephan alles, worauf königliche Legitimität aufbauen konnte: Genealogie, Designation, Idoneität und später auch die Approbation der Großen. Wenn auch die ersten beiden Faktoren Stephan nur als blutsverwandten Lieblingsneffen zeigen können, nicht aber als klar designierten direkten Nachkommen, so bleibt vor allem die Idoneität, die dann stark betont werden muss. Dies macht der Autor wiederum in einem biblischen Vergleich deutlich: In der Art Sauls (de more illius Saulis) habe Stephan nach England übersetzen wollen.65 Der Vergleich mit dem ersten König der Israeliten hebt erneut die Idoneität gegenüber der Genealogie hervor, fragte doch Saul den Propheten Samuel, als dieser ihn zum König bestimmte: “Bin ich nicht ein Benjaminiter und von einem der geringsten Stämme Israels, und mein Geschlecht das kleinste unter allen Geschlechtern der Stämme Benjamin? Warum sagest du denn mir 60 J. NELSON, Kingship and Empire, in: J. H. BURNS (Hg.), The Cambridge History of Me-
dieval Political Thought, c. 350-1450, Cambridge 1988, S. 211-251, S. 242.
61 Zum Begriff siehe B. SCHNEIDMÜLLER, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen
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und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: P.-J. HEINIG / S. JAHNS / H.J. SCHMIDT / R. C. SCHWINGES / S. WEFERS (Hgg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw (Historische Forschungen 67), Berlin 2000, S. 53-87. Gesta Stephani (wie Anm. 32), S. 4: Interea dum se Anglenses ita turbulenter, ita et calamitose continerent, laxatisque iustitiæ frenis ad omne nefas libere prorumperent, Stephanus Bulonicensis comes, vir præclara nobilitatus prosapia, Angliam cum paucis applicuit. Ebd., S. 4: Erat enim idem uir pacifico regi Henrico omnium nepotum solus carissimus; eo quod non solum ei germana contribulis lineæ consanguinitate conjunctus, sed multimodo esset uirtutum coruscamine præcipue insignitus. Ebd. Ebd.: Hic itaque tantus, cum primum regem Henricum extremum exhalasse spiritum, fama intimante, percepisset, magnum quoddam, de more illius Saulis, in corde concipiens, cum transmarinis inesset partibus, ad litus tetendit, nactoque fortuitu flatu secundo, animum cum naui penes Angliam direxit.
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solches?”66 Dennoch wurde Saul würdiger König, und als solcher auch von den Stämmen Israels auf einer Versammlung anerkannt.67 Solche Anerkennung des Volkes und der Großen beschreibt der Autor sogleich auch für Stephan: mit Akklamation sei er empfangen worden und in einer Versammlung der Großen sei Stephan zum König auserkoren worden, “der, wie ihnen schien, durch göttlichen Willen zu ihnen geführt worden sei; alle erachteten ihn geeignet (idoneus), sowohl durch die Würde seiner Abstammung wie auch durch die Rechtschaffenheit seines Charakters.”68 Abstammung musste betont werden, konnte aber in Stephans Fall keine ausreichende Legitimation bieten. Daher musste dieser Defekt überspielt werden. Damit traten Idoneität und Approbation gegenüber Genealogie und Designation hervor. Hatte man keinen Abstammungsdefekt zu verbergen, konnte die dynastische Legitimität auch gleichberechtigt neben oder sogar über Idoneität stehen. Auf dieser Grundlage konnten die Großen des Reiches Stephan unterstützen. Dennoch kamen Wilhelm, dem Erzbischof von Canterbury, Zweifel vor der Krönung. Er erinnerte Stephans Unterstützer an den Eid, den Heinrich I. alle Großen des Reiches habe schwören lassen. Stephans Partei lässt der Autor der Gesta Stephani hier den Zwang hervorheben, der diesen Eid ungültig mache.69 Mit den besten Intentionen habe Heinrich I. diesen Eid einverlangt; habe er doch, wie Ezechiel, durch Designation eine Zeit des Friedens schaffen wollen.70 Auf dem Sterbebett habe Heinrich diesen Schritt aber bereut und daher sei Stephan auf der Grundlage seiner Akklamation zum König zu krönen. Dies überzeugte den Erzbischof, Stephan erhielt die Krone und wurde von allen Großen des Königreiches “freudig und ehrfürchtig” (læte et ueneranter) als König akzeptiert. Damit ist es vor allem die Akklamation und die Approbation der Fürsten, die Stephans Königtum in diesem Text legitimieren. Heinrich von Huntingdon macht Stephan genau diese Unterstützung zum Vorwurf. Bei ihm wird er des Öfteren dafür kritisiert, dass er sich mit schlechten Beratern umgab und den eigentlichen Großen seines Reiches nicht die Aufmerksamkeit widmete, welche sie nach Heinrichs Auffassung verdienten. “Aus diesem Grunde war König Stephans Haus am Ende dem Untergang geweiht.”71 Stephan versuchte zwar noch eigene Dynastiebildung, indem er seinen Sohn
66 1. Sam. 9,21. 67 Vgl. 1. Sam. 10,17-26. 68 Gesta Stephani (wie Anm. 32), S. 6: Nec alium sese in manu habere, qui regis uices adimplens
tantis regni periculis finem imponeret, quam Stephanum ilium, diuino, ut sibi uidebatur, nutu inter eos adductum: qui ad hoc idoneus, tam generis dignitate quam animi probitate, omnibus apparebat. 69 Hier und im Folgenden vgl. ebd., S. 10-12. 70 Vgl. Ezechiel 34,25 und 37,26. 71 Henry, Archdeacon of Huntingdon, Historia Anglorum (wie Anm. 35), lib. X, cap. 11, S. 722. Zu schlechten Ratgebern vgl. auch ebd., lib. X, cap. 39, S. 766: Ob quod patefacta est domus regis Stephani finitime condempnationi.
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Eustach zum König erheben wollte, scheiterte aber mit diesem Vorhaben,72 obgleich Eustach laut den Gesta Stephani über alle königlichen Tugenden verfügte.73 Für die meisten Geschichtsschreiber war Stephans Königtum auf Eidbruch gegründet und musste daher scheitern.74 Auch Stephan selbst erhielt Vorzeichen seines Falls: Eine Kerze, die er an Mariä Lichtmess (vor der Schlacht von Lincoln, in welcher Stephan gefangen genommen wurde) dem Bischof überreichte, zerbrach in symbolträchtige Stücke. “Dies war eine Warnung an den König, dass auch er selbst gebrochen werden würde”.75 In den Gesta Stephani konnte in der gleichen Szene die Kerze wieder zusammengefügt werden, was anzeigte, dass er wegen seiner Sünde das Königtum verlieren, es aber nach seiner Buße von Gott zurückerhalten werde.76
III. Insgesamt ergibt sich für Stephan ein historiographisches Bild mit ausgesprochen vielen Schattierungen. Für Tankreds Königtum sind die Fronten in der Geschichtsschreibung viel klarer gezogen. Konstanze – und vor allem ihr Mann Heinrich VI. – war für viele Große im Süden inakzeptabel.77 Als Wilhelm II. 1189 starb, zeigten die Großen des Reiches, wie zuvor jene in England, kaum ein Interesse, den geleisteten Treueid wirklich einzuhalten.78 Auf einer Wahlversammlung am 8. Dezember wurde Tankred, der illegitime Enkel Rogers II., zum König erhoben. Zwar war Tankred als Graf von Lecce unter Wilhelm II. durchaus den obersten politischen Kreisen zuzuordnen, genealogisch aber ließ sich seine Herrschaft nicht legitimieren. Tankreds Königtum basierte daher, wie auch jenes Stephans, auf der Zustimmung der Großen und der Akklamation – und in seinem Fall insbesondere auch auf päpstlicher Unterstützung.79 Für Heinrich, der durch Konstanzes Erbanspruch alte Reichsansprüche aktualisieren konnte, 72 E. KING, King Stephen (The English Monarchs Series), New Haven 2010, S. 262-264,
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324-325. Auch Tankred versuchte eine solche Dynastiebildung, seine Söhne starben aber zu früh; vgl. C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 12-14. Gesta Stephani (wie Anm. 32), S. 208. Siehe z. B. Henry, Archdeacon of Huntingdon, Historia Anglorum (wie Anm. 35), lib. X, cap. 32, S. 758. Ebd., lib. X, cap. 16, S. 730. Ähnliche Geschichten finden sich in Gesta Stephani (wie Anm. 32), S. 110-113 und Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica: The Ecclesiastical History of Ordericus Vitalis, ed. u. übers. M. CHIBNALL (Oxford Medieval Texts), 6 Bde., Oxford 1980, hier Bd. 6, S. 544. Gesta Stephani (wie Anm. 32), S. 110-112. D. MATTHEW, The Norman Kingdom of Sicily (wie Anm. 28), S. 286. Siehe hierzu C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 73. J. DEÉR, Papsttum und Normannen (wie Anm. 12), S. 260-261. Siehe hierzu C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 101-107.
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war ein solcher Legitimationsansatz undenkbar: Das Königreich musste als alter Teil des sacrum imperium gelten und nicht als päpstliches Lehen.80 Obwohl der Staufer betonte, lediglich in alte Rechte einzutreten, wurde im Königreich selbst die staufische Eroberung als externer Barbarensturm gesehen.81 Diese polarisierende Sicht spiegelt sich auch im Bild, das die Historiographen von Tankred zeichneten. Grundsätzlich finden sich zu ihm kaum eingehende Be- oder Zuschreibungen von charakterlichen Eigenschaften in den Quellen.82 Beispielhaft kann hier der Ferrareser Mönch stehen: “Tankred, der Graf von Lecce, wurde am 8. Dezember in Palermo zum König von Sizilien gekrönt.”83 Weitere Charakterisierung erfährt der König nicht. In stauferfreundlichen Darstellungen hingegen wird Tankred geradezu zur Karikatur stilisiert, so dass man nach Idoneität gar nicht erst zu suchen braucht. Insbesondere Petrus von Eboli tritt hier in den Vordergrund, der Tankred in seinen Zeichnungen mit Vorliebe als Affen oder als Missgeburt darstellt.84 Die deutsche Chronistik dieser Zeit hielt sich fern von solcher Polemik, wenngleich sie sich generell auf die Seite Heinrichs stellte. Beinahe nüchtern und sachlich wurde das staufische Verständnis der Rechtslage im Kreuzzugsbericht Friedrich Barbarossas zum Ausdruck gebracht: “Im Jahre des Herrn 1190 starb König Wilhelm von Sizilien, der allen Pilgern auf dem Weg nach Jerusalem fromm geholfen hatte, ohne Erben. Und da die königliche Linie mit ihm starb, entbrach um die Nachfolge im Königsamt ein schwerer Streit, in welchem einige einen gewissen Tankred erhoben, der nicht königlichen Blutes war, sondern einer privaten Familie entstammte.”85
An anderer Stelle wird Tankreds Abstammung noch einmal konkretisiert: Er sei wohl ein Abkömmling Rogers, aber nicht aus legitimer Ehe, sondern aus der Verbindung mit der Tochter eines Grafen Rupert (welche Roger später geheira-
80 T. FOERSTER, Romanorum et regni Sicilie imperator. Zum Anspruch Kaiser Heinrichs VI. auf
das normannische Königreich Sizilien, in: Archiv für Diplomatik 54 (2008), S. 37-46.
81 Epistola ad Petrum Panormitane ecclesie thesaurarium de calamitate Siciliae, in: La Histo-
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ria o Liber de Regno Sicilie e la Epistola ad Petrum Panormitane Ecclesie Thesaurarium di Ugo Falcando, ed. G. B. SIRAGUSA (Fonti per la Storia d’Italia 22), Rom 1897, S. 169186, hier bes. S. 172. Siehe hierzu C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 15. Chronica ignoti monachi S. Mariae de Ferraria (wie Anm. 7), S. 32, ad annum 1190: Tancredus patruus eiusdem comes Licie vj Ydus Decembris apud Panormum coronatur in regem Sicilie. Siehe unten, Anm. 96. Historia de expeditione Friderici imperatoris, in: Quellen zur Geschichte des Kreuzzuges Kaiser Friedrichs I., ed. A. CHROUST (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum N.S. 5), Berlin 1928, S. 1-115, hier S. 94: Anno domini M. C. LXXXX. Willihelmus rex Sicilię qui omnibus peregrinis in expeditione Ierosolimitana decertantibus pie subvenit, obiit sine herede. Unde quia regia proles in ipso defecerat, de successore in regnum gravis oritur dissensio, quibusdam assumentibus quendam Tancredum, qui non de regia stirpe sed de privato genere originem traxit.
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tet habe, um die Verbindung zu legitimieren).86 Die Abschnitte zeigen, dass die vorherige Dynastiebildung der Hauteville im Reich nördlich der Alpen durchaus akzeptiert war. Dies lässt sich wiederum auf die Veränderungen kaiserlicher Politik nach 1177 zurückführen. Roger II., Wilhelm I. und Wilhelm II. galten damit in staufischer Auffassung als legitime Könige (was sich nicht zuletzt in späteren Urkundenbestätigungen Heinrichs VI. in Sizilien zeigt).87 Wilhelm II. wird im Kreuzzugsbericht für seine fromme Unterstützung von Kreuzfahrern gelobt. Damit widerspiegelt dieser Text beinahe offiziös die Sicht des staufischen Hofes. Diesen Chronisten war es ein Leichtes, Tankred in ihr politisches Bild einzuordnen: sie mussten nur auf die alte tyrannis-Rhetorik zurückfallen, mit der die Hautevillekönige vor den Umbrüchen der späten Barbarossazeit am Stauferhof umschrieben wurden.88 Während dieser Bericht sehr nüchtern bleibt, geht in anderen deutschen Quellen die Polarisierung der Darstellung um einiges weiter: Für Otto von Sankt Blasien war Tankred zwar durchaus ein Verwandter der normannischen Könige; das machte seine Sache aber nicht unbedingt besser: “Denn nach Wilhelms Tod hatte ein Verwandter aus dem Geschlecht Rogers mit Namen Tankred die Gewaltherrschaft in Sizilien – die Nährmutter von Tyrannen seit alters her – unter dem Namen eines Königs an sich gerissen; mit der Zustimmung aller Barone dieses Landes und der Städte widerstand er dem Kaiser heftig und vertrieb ihn hartnäckigst aus dem Erbe der Gemahlin.”89
Aus Ottos Darstellung ergibt sich damit ein Bild ganz ähnlich wie es sich für Stephan in der englischen Historiographie entwickeln ließ: Aufgrund zweifelhafter genealogischer Ansprüche kommt Tankred durch Gewalt an die Macht, an die Tyrannis, die den Schwarzwälder Chronisten für das Königreich Sizilien 86 Ebd., S. 107. 87 Vgl. z.B. RI IV,3 (Die Regesten des Kaiserreiches unter Heinrich VI. 1165 (1190) – 1197,
ed. G. BAAKEN [J. F. BÖHMER, Regesta Imperii IV: Lothar III. und ältere Staufer, Abt. 3], Bd. 1: Köln/Wien 1972; Bd. 2: Köln/Wien 1979), Nrr. 152, 376, 383, 377, 393, 400, 404, 407, 414-419, 423, 426, 430, 433-436, 589, 598. 88 T. REUTER, Vom Parvenü zum Bündnispartner. Das Königreich Sizilien in der abendländischen Politik des 12. Jahrhunderts, in: T. KÖLZER (Hg.), Die Staufer im Süden. Sizilien und das Reich, Sigmaringen 1996, S. 43-56, hier S. 54. Zur Neuausrichtung staufischer Politik nach 1177 siehe v.a. S. WEINFURTER, Venedig 1177 – Wende der Barbarossazeit? Zur Einführung, in: S. WEINFURTER (Hg.), Stauferreich im Wandel. Ordnungsvorstellungen und Politik in der Zeit Friedrich Barbarossas (Mittelalter-Forschungen 9), Stuttgart 2002, S. 9-25 und C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 52-55. 89 Ottonis de Sancto Blasio Chronica, ed. A. HOFMEISTER (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum [47]), Hannover/Leipzig 1912, cap. 37, S. 56: Nam mortuo Wilhelmo rege quidam consanguineus eius de genere Rogerii, Tancredus nomine, tyrannidem in Sicilia, que nutrix tyrannorum ab antiquo fuit, sub regio nomine arripiens cum consensu omnium ipsius terre baronum civitatumque imperatori violenter restitit ipsumque de hereditate coniugis, quoad vixit, constantissime propulsavit. Übersetzung: Die Chronik Ottos von St. Blasien und die Marbacher Annalen, ed. u. übers. F.-J. SCHMALE (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 18a), Darmstadt 1998, S. 109.
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nicht überrascht.90 In dieser Bemerkung konnte Otto einfach seiner Vorlage Otto von Freising folgen.91 Auch für Tankred war es die Unterstützung der Großen, welche die Herrschaftsübernahme möglich machte. Im Elsass schrieb der Annalist von Marbach zu Tankreds Herrschaftsantritt, er habe das Königreich mit List und Gewalt usurpiert (per dolos et tyrannidem).92 Dieser Annalist bezeichnet Tankred beständig nur als tyrannus,93 oder als Usurpator.94 Während englische Chronisten Stephan noch in ihr Geschichtsbild als König einordnen und dabei auch seine Eignung zum König diskutieren mussten, hatten es die deutschen Geschichtsschreiber leichter. Für ihre externe Sicht reichte es, Tankred als illegitimen Thronräuber abzutun. Idoneität musste von ihnen nicht diskutiert werden. Im Königreich Sizilien selbst, wo die Herrschaft Tankreds erfahrbar war, lassen sich andere Schwerpunktsetzungen der stauferfreundlichen Chronistik beobachten. Petrus von Eboli kann wohl als der schärfste Kritiker Tankreds gelten. Petrus ist weitaus parteiischer als es die Stephan-freundliche Geschichtsschreibung in England (wie etwa die Gesta Stephani) jemals vermocht hätte. Tankred erscheint bei Petrus als Monstrum, als Missgeburt, als Affe oder als Zwerg.95 Zur Krönung Tankreds heißt es: “Siehe, ein Ungeheuer, ein Verbrechen gegen die Natur, eine Fehlgeburt! / Siehe, es wird ein Affe gekrönt, ein schimpflicher Mensch!”96 Höllengleich erschienen die Tage unter Tankreds Herrschaft. Die vermeintliche Natur Tankreds als Halbgeburt weist aber doch auf seine Abstammung. Petrus könne sich nicht erklären, wie ein solches Wesen, halb Jüngling, halb Greis, zur Welt kommen könne. Eine pseudo-wissenschaftliche Erklärung führt den Umstand biologisch darauf zurück, dass der Samen eines Herzogsgeschlechts sich nicht mit niedriger Geburt vermischen wolle und daher nur ein Halbwesen zustandekomme.97 In übelster Weise wird Tankreds mangelnde Idoneität hier auf seine Abstammung zurückgeführt. In anderen – weniger parteiischen – lokalen Quellen ergibt sich ein anderes Bild: In den Annales Ceccanenses wird Tankreds Königtum mit einstimmiger Wahl 90 H. WIERUSZOWSKI, Roger II of Sicily (wie Anm. 12), S. 53-64. Vgl. auch T. REUTER,
Vom Parvenü zum Bündnispartner (wie Anm. 88), S. 53-54.
91 Ottonis episcopi Frisingensis Chronica sive Historia de duabus civitatibus, ed. A. HOF-
(Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum [45]), Hannover/Leipzig 1912, lib. II, cap. 19, S. 90. Annales Marbacenses qui dicuntur, ed. H. BLOCH (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum [9]), Hannover/Leipzig 1907, S. 61. Ebd., S. 61, 62. Ebd., S. 64: […] Tancradus, qui Apuliam per invasionem obtinuit […]. Vgl. die Darstellungen Tankreds in Petrus von Eboli, Liber ad honorem augusti (wie Anm. 30), Bildteil, fols. 99r, 102r, 103r, 104r, 120r, 121r, 124r, 125r und 128r. Petrus von Eboli, Liber ad honorem augusti (wie Anm. 30), Particula VII; J. F. BÖHMER, Regesta Imperii IV,VII, S. 61, l. 184-185: Ecce vetus monstrum, nature crimen aborsum; / Ecce coronatur simia, turpis homo! Petrus von Eboli, Liber ad honorem augusti (wie Anm. 30), Particula VIII, S. 65. MEISTER
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durch die Fürsten des Königreiches begründet: “Deshalb kamen alle Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte wie auch alle Grafen des Hofes zusammen, wählten Tankred und krönten ihn ehrenvoll zum König”.98 Es ist das Wort omnes, welches Tankred hier Legitimität verleiht. Seine Idoneität schwingt nur implizit mit. Ähnlich sind es auch in den Annales Casinenses die Großen, die Tankred nach Palermo berufen, um ihn zum König zu erheben – obgleich Tankred zuvor den Eid von Troia geleistet habe. Da die Königserhebung aber auch mit päpstlicher Zustimmung erfolgt sei, sieht der Annalist hier keine weiteren Probleme.99 Diese Annalen berichten die Einzelheiten der nachfolgenden Auseinandersetzungen, bieten aber wenige Bewertungen zu Idoneität, Approbation oder zur Rechtslage. Tankred scheint lediglich für seinen Eidbruch kritisiert zu werden.100 Richard von San Germano hingegen führt Tankreds Wahl durch die Großen eben nicht auf eine irgendwie geartete Idoneität zurück, sondern nur auf seine Abstammung von Roger II., wenn auch nicht in legitimer Linie.101
IV. Die Quellenlage bringt es mit sich, dass die Urteile über Konstanze, Heinrich und Tankred nicht so vielseitig erscheinen wie jene über Mathilde, Gottfried von Anjou und Stephan. Die Quellen zu Konstanze und Tankred bieten lediglich stark polarisierende Informationen. Es wurde aber deutlich, dass verschiedene Idoneitätsmuster an den Tag gelegt wurden. Generell wurde Idoneität in den genannten Beispielen fast ausschließlich für die Männer diskutiert (Stephan und Gottfried wie auch Tankred und Heinrich), nicht aber für die Frauen in diesen Konflikten. Mathilde und Konstanze werden kaum Charaktereigenschaften zugeschrieben, die Zustimmung oder Ablehnung ihrer königlichen Position begründen könnten. Dies heißt aber nicht, dass das 12. Jahrhundert weiblicher Erbfolge oder politischer Beteiligung von Frauen insgesamt feindlich gegenüberstand. Generell waren dynastische Nachfolgekrisen Zeiten erhöhter politischer Aktivität von Frauen. Die Kreise möglicher Thronprätendenten waren aber schon im Frühmittelalter in vielen Fällen eingeengt worden, so dass Frauen aus diesen Ein-
98 Annales Ceccanenses (wie Anm. 21), S. 288, ad annum 1189: Et sic omnes archiepiscopi
episcopi abbates et universi aulici comites Siciliae invicem convenientes, elegerunt comitem Tancredum, et honorifice in regem coronaverunt. 99 Annales Casinenses, ed. G. H. PERTZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 19), Hannover 1866, S. 303-320, hier S. 314, ad annum 1189-1190. 100 Ebd., S. 314, ad annum 1190. 101 Richard of San Germano, Chronica, ed. C. A. GARUFI (Rerum Italicarum Scriptores, Nuova Edizione 7/2), Bologna, 1938, S. 8-9, ad annum 1190.
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flusssphären verdrängt wurden.102 Wie es scheint, führten die Fälle Mathildes in England und Konstanzes in Sizilien hier eine Änderung herbei. Beide nahmen ihre Herrschaftsrechte selbstbewusst auch ohne ihre Gatten wahr. Nachdem Stephan in der Schlacht von Lincoln 1141 von den Truppen Roberts von Gloucester, des Heerführers Mathildes, gefangen genommen wurde, wurde sie seitens der Kirche nicht zur eigentlichen Königin Englands ausgerufen, sondern zur Angliae Normanniaeque domina.103 Damit war sie für einige Monate Regentin des Königreichs England, wenn auch ohne eigentliche Krönung. Ein halbes Jahrhundert später würde sich Konstanze nicht mit so wenig zufrieden geben. Will man ihre eigenen Herrschaftskonzeptionen untersuchen, so muss man zunächst ihren Rechtsanspruch auf das Königreich deutlich machen. Dieses Problem hat die Forschung lange beschäftigt, insbesondere die Frage, ob Wilhelm II. zu Zeiten der staufisch-sizilischen Verhandlungen sich schon mit dauerhafter Kinderlosigkeit abgefunden hatte (und damit Konstanze schon zu diesem Zeitpunkt als Erbin auserkoren hatte).104 Einige Quellen aus Süditalien vermitteln den Eindruck dass Wilhelm II. mit vollkommen ungeklärter Nachfolge gestorben sei.105 Weiterhin hat auch die späte Verlobung Konstanzes 102
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P. STAFFORD, Powerful Women in the Early Middle Ages: queens and abbesses, in: P. LINEHAN / J. L. NELSON (Hgg.), The Medieval World, London/New York 2001, S. 398-415. Siehe jetzt auch M. SHADIS, Berenguela of Castile (1180-1246) and Political Women in the High Middle Ages (The New Middle Ages), New York 2009. Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella (wie Anm. 36), cap. 47, S. 92. Siehe auch Henry, Archdeacon of Huntingdon, Historia Anglorum (wie Anm. 35), lib. X, cap. 19, S. 738. Im Kommentar zu dieser Stelle erklärt die Herausgeberin D. Greenway dies als Vorstufe zur Krönung in Westminster, die dann aber nicht zustande kam. Dazu R. H. C. DAVIS, King Stephen, London 31990, S. 52-57 und E. KING, King Stephen (wie Anm. 72), S. 158-159. Mathilde selbst hob in ihren Urkunden ähnliche Konstruktionen selbstbewusst hervor: vgl. Regesta Regum Anglo-Normannorum 1066-1154, Bd. 3: Regesta regis Stephani ac Mathildis imperatricis ac Gaufridi et Henrici ducum Normannorum, 1135-1154, ed. H. A. CRONNE / R. H. C. DAVIS / H. W. C. DAVIS, Oxford 1968, S. 150, Nr. 391: […] quando in Angliam veni post mortem regis Henrici patris mei, Milo de Glocestria quam citius potuit venit ad me apud Bristolliam et recepit me ut dominam et sicut illam quam justam heredem regni Anglie recognovit, et inde me secum ad Glocestriam adduxit et ibi homagium suum mihi fecit ligie contra omnes homines. In seinen Urkunden erwähnte Heinrich II. seine Mutter problemlos in einer Reihe mit seinem Grossvater und anderen Vorgängern: ebd., S. 35, Nr. 90: Sciatis me pro salute Henrici regis avi mei et Gaufridi patris mei et Matill(is) imperatricis matris mee et aliorum antecessorum meorum. G. BAAKEN, Unio regni ad imperium. Die Verhandlungen von Verona 1184 und die Eheabredung zwischen König Heinrich VI. und Konstanze von Sizilien, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 52 (1972), S. 219-295, hier S. 250-255; H. WOLTER, Die Verlobung Heinrichs VI. mit Konstanze von Sizilien im Jahre 1184, in: Historisches Jahrbuch 105 (1985), S. 30-51, hier S. 37 und 39. Vgl. dazu T. KÖLZER, Sizilien und das Reich im ausgehenden 12. Jahrhundert, in: Historisches Jahrbuch 110 (1990), S. 3-22, hier S. 9-14. Siehe zusammenfassend C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 55-62. Vgl. dazu auch C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 66.
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schon manchen Forscher erstaunt.106 Die Quellen dagegen sind uneins, ob Konstanze als eigene Königin Siziliens auftreten konnte, oder es eben doch nur ihr Mann Heinrich war, der – gestützt auf ihren Erbanspruch – die Königsherrschaft ausüben konnte. Burchard von Ursberg etwa stellt Heinrichs Anspruch klar auf das Erbrecht Konstanzes und beschreibt Tankred sogar als einen nepos reginae.107 Dies erweckt beinahe den Eindruck als werde Konstanze bei Burchard als eigenständige Königin geführt. Später wird aber deutlich: Heinrich erobert das Königreich, und Heinrich unterwirft es dem Reich.108 Für Otto von Sankt Blasien wurde schon bei der Verlobung altes Reichsgut “unter dem Namen des Heiratsgutes” (dotis nomine) für die Zeit nach Wilhelms Tod restituiert.109 Für Konstanze selbst war die Rechtslage klar: Nach Erbrecht stand ihr das Königreich zu.110 Während Heinrich in komplexen Konstruktionen dieses Erbrecht mit altem Reichsanspruch verbinden musste,111 betonte die Kaiserin in ihren Urkunden selbst, dass ihr Recht auf der paterna successio beruhe, lediglich darüber hinaus auf der potentia Heinrichs.112 Ob aber Konstanze auch gedachte, die Herrschaft tatsächlich selbst anzutreten und damit eine tatsächliche weibliche Erbfolge einzuleiten, lässt sich auf Basis der überlieferten Quellen kaum entscheiden. Jedenfalls nahm die Kaiserin durchaus ihr eigenes Recht wahr und scheute sich auch nicht, sich beim Papst zu empören, wenn sie ihre Rechte angegriffen sah.113 Wohl aus diesem Grund wurde sie auch von Heinrich VI. 1195 als Regentin, bzw. als Herrscherin,114 im Königreich zurückgelassen, eine Rolle, die sie auch nach Heinrichs Tod 1197 bis zu ihrem eigenen im folgenden Jahr ausübte – für das Königreich Sizilien und nicht etwa für das Kaisertum.115 Immer wieder wurde der Kaiserin auch offene Gegnerschaft zu ihrem Mann unter-
106 Vgl. etwa D. MATTHEW, The Norman Kingdom of Sicily (wie Anm. 28), S. 275. 107 Burchardi praepositi Urspergensis Chronicon. Die Chronik des Propstes Burchard von
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Ursberg, ed. O. HOLDER-EGGER / B. VON SIMSON (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum [16]), Hannover/Leipzig 21916, S. 71. Ebd., S. 72. Ottonis de Sancto Blasio Chronica (wie Anm. 89), cap. 28, S. 39. Übersetzung: Die Chronik Ottos von St. Blasien (wie Anm. 89), S. 81. So wurde dies neben deutschen auch in unteritalienischen Texten dargestellt; vgl. Richard von San Germano, Chronica (wie Anm. 101), S. 11, ad annum 1191. Zur Stellung Konstanzes siehe C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 92-95. T. FOERSTER, Romanorum et regni Sicilie imperator (wie Anm. 80), S. 40-42. Die Urkunden der Kaiserin Konstanze, ed. T. KÖLZER (Monumenta Germaniae Historica, Diplomata regum et imperatorum Germaniae 11/3), Hannover 1990, S. 8-11, Nr. 3. Vgl. dazu. J. DEÉR, Papsttum und Normannen (wie Anm. 12), S. 256-257. Vgl. Die Urkunden der Kaiserin Konstanze (wie Anm. 112), S. 8-11, Nr. 3. Siehe hierzu D. MATTHEW, The Norman Kingdom of Sicily (wie Anm. 28), S. 292. Siehe hierzu C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 93-94. Für ihre Regentschaft in Sizilien 1197-1198 siehe Richard von San Germano, Chronica (wie Anm. 101), S. 18-19, ad annum 1197.
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stellt.116 Die Unterstützung ihrer Landsleute war ihr auch nach dem Tod Heinrichs sicher, nicht wie es zuvor Margarethe von Navarra 1166 beim Tod ihres Mannes Wilhelm I. von Sizilien zugestoßen war.117 Diese Treue zur Linie Rogers II. betonte etwa der Ferrareser Mönch schon für die Lebzeiten Heinrichs: Wegen einer Meinungsverschiedenheit habe Heinrich VI. Konstanze mit dem Leben bedroht. Als diese Nachricht sich verbreitete, hätten alle im Lande, Lateiner, Griechen wie auch Sarazenen, sich vereinigt und gemeinsam gegen den Kaiser rebelliert.118 Dies zeigt, wie sehr Konstanze im Königreich als die eigentliche Erbin betrachtet wurde, die somit auch, zumindest im Auge des Chronisten, einen einigenden Einfluss ausüben konnte. Das erweist sich auch vor allem darin, dass derselbe Chronist Konstanze bei ihrem Tod den Titel “Kaiserin von Sizilien” verleiht.119 Dennoch wehrte sie sich nach Heinrichs Tod gegen kaiserliche oder deutsche Ansprüche im Königreich und stellte sich vielmehr in die Tradition der Hauteville. Für Konstanze, wie zuvor auch schon für Mathilde in England, dürfte ihr Gatte lediglich wegen der befehligten Truppen von Bedeutung gewesen sein.120 Beide Frauen gedachten, die Herrschaft selbst wahrzunehmen, oder sie zumindest für ihren jeweiligen Sohn zu wahren. Beide Königinnen, bzw. Kaiserinnen, konnten sich also in der Herrschaft bis zu einem gewissen Grad durchsetzen und wurden auch als Herrscherinnen, zumindest von Teilen der politischen Sphäre, akzeptiert. Die Ablehnung, die beide auch erfuhren, äußerte nie Kritik an weiblicher Erbfolge. Den zukünftigen Eidbruch spricht etwa Wilhelm von Malmesbury schon direkt nach der Heirat Mathildes mit Gottfrieds an und lässt so durchscheinen, dass weibliche Nachfolge an sich kein Problem darstellte, sondern dass Mathilde einfach nur mit dem falschen Mann verheiratet war.121 Hätte Mathilde das Erbe angetreten, bestand die Möglichkeit, dass ihr Mann Gottfried von Anjou Herzog der Normandie und König von England geworden wäre. Dies geschah zwar nicht, denn Gottfried hielt sich zumeist aus diesen Fragen heraus; als Möglichkeit wurde es aber durchaus gefürchtet.122 Die einzige Quelle zu dieser Verbindung, die nicht nach 1135 verfasst wurde, die Königsgeschichte des Symeon von Durham, macht deutlich, dass Gottfried wohl als tatsächlicher Nachfolger ausersehen war, sollten keine direkten Erben mehr zur 116 D. MATTHEW, The Norman Kingdom of Sicily (wie Anm. 28), S. 293-294. Vgl. auch
T. KÖLZER, Sizilien und das Reich (wie Anm. 104), S. 16.
117 D. MATTHEW, The Norman Kingdom of Sicily (wie Anm. 28), S. 294-295. 118 Chronica ignoti monachi S. Mariae de Ferraria (wie Anm. 7), S. 32-33, ad annum 1197. 119 Ebd., S. 33, ad annum 1198: Constantia imperatrix Sicilie. Für eine alternative Deutung sol-
cher Titel vgl. T. FOERSTER, Romanorum et regni Sicilie imperator (wie Anm. 80), S. 42-46.
120 Für Konstanze siehe T. KÖLZER, Sizilien und das Reich (wie Anm. 104), S. 16. 121 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella (wie Anm. 36), cap. 3, S. 10. Vgl. S. BAGGE,
Ethics, Politics, and Providence (wie Anm. 36), S. 129 und K. SCHNITH, Regni et pacis inquietatrix. Zur Rolle der Kaiserin Mathilde in der ‘Anarchie’, in: Journal of Medieval History 2 (1976), S. 135-158, hier S. 136-137. 122 Vgl. etwa auch Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella (wie Anm. 36), cap. 3, S. 10.
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Welt kommen.123 Das Grundproblem war, dass die Fürsten in der Normandie keinen Angiovinen als ihren Herzog annehmen konnten, hatte Anjou doch stets in langer Feindschaft mit der Normandie gestanden. Ihre Vettern auf der Insel unterstützten sie daher in ihrer Ablehnung, zumal die meisten Fürsten Besitztümer beiderseits des Kanals hatten.124 In Sizilien wurde 1189 gegen den deutschen Barbarensturm, den Konstanze mit sich nach Süden bringen werde, ein mitreißendes Pamphlet geschrieben. Auch hier wird deutlich, dass es eben nicht weibliche Erbfolge war, die abgelehnt wurde, sondern der Mann, mit dem die Thronerbin verheiratet war.125 Im Süden tritt Konstanze viel deutlicher als eigene Herrscherin hervor als Mathilde dies im Westen getan hatte. Dennoch bietet die englische Chronistik mehr verdeckte Andeutungen zu persönlicher Idoneität der Empress Mathilda als man es zu Konstanze finden kann. Die wenigen Erwähnungen Mathildes in Heinrich von Huntingdons Historia Anglorum sprechen etwa trotz der Kritik an Stephan auch der Königin keine Idoneität zu: es sei vor allem ihre Arroganz gewesen, weswegen ihre Unterstützung und ihre gewonnene Position nach der Schlacht von Lincoln schnell wieder verloren gegangen sei.126 Robert von Torigni beschreibt dagegen Mathilde in vorteilhaftestem Ton, insbesondere über ihre religiöse Hingabe;127 von königlichen Tugenden kann hier aber dennoch nicht die Rede sein.
V. In beiden Fällen gilt: Die Historiographen diskutieren Idoneität, die Eignung zum Königsamt, für Männer, und nicht für Frauen. Arroganz oder religiöse 123 J. GILLINGHAM, The Angevin Empire, London 22001, S. 10, auch mit seiner Kritik an der
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früheren Deutung von C. W. HOLLISTER / T. K. KEEFE, The Making of the Angevin Empire, in: Journal of British Studies 12 (1973), S. 1-25. Vgl. grundsätzlich M. T. CLANCHY, England and its Rulers (wie Anm. 26), S. 108-109; und allg. D. POWER, Angevin Normandy, in: C. HARPER-BILL / E. M. C. VAN HOUTS (Hgg.), A Companion to the Anglo-Norman World, Woodbridge 2002, S. 63-85, hier S. 75. Siehe auch R. BARTLETT, England under the Norman and Angevin Kings 10751225 (The New Oxford History of England), Oxford 2000, S. 13-17 und D. BATES, Normandy and England (wie Anm. 4), S. 851-880. Epistola ad Petrum (wie Anm. 81), S. 171: Constantia cum rege teutonico. Henry, Archdeacon of Huntingdon, Historia Anglorum (wie Anm. 35), cap. X,19, S. 738. Vgl. M. CHIBNALL, The Empress Matilda as a subject for biography, in: D. BATES / J. CRICK / S. HAMILTON (Hgg.), Writing Medieval Biography (wie Anm. 32), S. 185-194; K. SCHNITH, Regni et pacis inquietatrix (wie Anm. 121), S. 149. Robert de Torigni, Gesta Normannorum Ducum (wie Anm. 37), lib. VIII, cap. 11, S. 216-218, lib. VIII, cap. 27-28, S. 247-246. Vgl. hierzu M. CHIBNALL, The Empress Matilda (wie Anm. 126).
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Hingabe werden nicht mit dem Königtum in Verbindung gebracht. Dies schließt hingegen nicht aus, dass in den Augen dieser Chronisten Frauen auch de facto die Herrschaft antreten konnten. Für männliche Herrscher war es oft ein Problem, nomen und res in Übereinstimmung zu bringen. Thomas Ertl zeigte für Heinrich VI., dass er das nomen eines Königs von Sizilien erst gebrauchte, als er das Königreich auch erobert hatte und damit auch die res beherrschte.128 Frauen war das nomen zumeist gewährt, wenn auch ihr königlicher Titel nur bedingten Zugang zur res gewährte. Demnach finden sich aus dem gesamten Mittelalter viele Fälle, in denen eine Frau nicht selbst die Königsherrschaft ererben konnte, sondern in welcher ein Thronprätendent eben nur über seine Mutter mit dem Königshaus verwandt war. Als Beispiele kann man hier Duncan I. von Schottland (1034),129 oder auch Sven Estridsen von Dänemark (1047) erwähnen, nach dessen Mutter Estrid die gesamte dänische Königsdynastie bis 1412 benannt wurde.130 In den norwegischen Bürgerkriegen des 12. Jahrhunderts wurde 1161 Magnus Erlingsson, Sohn des Jarls Erling Skakke mit Kristin, einer Tochter König Sigurd des Jerusalemfahrers, zum König erhoben.131 In der feindlichen Birkebeinerpartei erhob man 1204 Inge II. zum König, dessen Vater Bård, ein lendmann im Trøndelag, Cecilia geheiratet hatte, eine Tochter König Sigurds II. Munn.132 Ein zentraler Fall ist auch der römisch-deutsche König Konrad III., dessen Mutter Agnes eine Tochter Kaiser Heinrichs IV. war, wodurch die Staufer an die Salier angesippt werden konnten.133 Aus Südeuropa ließe sich Zar Boril von Bulgarien (1207)134 er-
128 T. ERTL, Der Regierungsantritt Heinrichs VI. im Königreich Sizilien (1194). Gedanken
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zur zeremoniellen Bewältigung der unio regni ad imperium, in: Frühmittelalterliche Studien 37 (2003), S. 259-289, hier S. 268-280. Duncan stammte über seine Mutter Bethoc von König Malcolm II. ab; ähnliche Abstammungsverhältnisse gelten vermutlich auch für Macbeth und Lulach; vgl. generell A. A. M. DUNCAN, The Kingship of the Scots 842-1292: Succession and Independence, Edinburgh 2002, hier S. 166-168. Estrid war die Tochter Sven Gabelbarts (und Schwester Knuts des Grossen), die den Jarl Ulf geheiratet hatte; vgl. M. H. GELTING / H. SØRENSEN, A Kingdom at the Crossroads: Denmark in the Eleventh Century, in: P. URBAŃCZYK (Hg.), The Neighbours of Poland in the 11th Century, Warschau 2002, S. 49-59. S. BAGGE, From Viking Stronghold to Christian Kingdom. State Formation in Norway, c. 900-1350, Kopenhagen 2010, S. 45-46. Siehe auch O. SANDAAKER, Magnus Erlingssons kroning. Ein “politiserande” sagatradisjon?, in: Historisk Tidsskrift (Oslo) 77 (1998), S. 181-196. S. BAGGE, From Viking Stronghold (wie Anm. 131), S. 46. Vgl. W. HECHBERGER, Staufer und Welfen 1125-1190. Zur Verwendung von Theorien in der Geschichtswissenschaft (Passauer Historische Forschungen 10), Köln/Weimar/Wien 1996, S. 136-140. Boril war der Sohn einer Tochter des Asen; cf. S. GEORGIEVA, Le mariage aristocratique dans la politique intérieure bulgare à l’époque du Moyen Âge, in: Bulgarian Historical Review / Revue bulgare d’histoire 22 (1994), S. 12-21.
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wähnen, oder auch Theobald von Champagne, ab 1234 König von Navarra.135 All diese Herrscher folgten ihrer Mutter nach, während die Mutter selbst den Thron nicht besetzte. Betrachtet man diese Fälle und die Eide, welche zur Absicherung der weiblichen Nachfolge in England und Sizilien nötig schienen, so entsteht der Eindruck, dass weibliche Nachfolge im Mittelalter generell wenig vorstellbar war und so im 12. Jahrhundert ein gewisses Novum darstellte. Das Mittelalter stand Frauen in der Politik jedoch nicht grundsätzlich feindlich gegenüber. Schon früh findet man Frauen, die als Regentinnen zentrale politische Funktionen wahrnahmen. Verwiesen sei hier nur auf die bekannte Allianz der kaiserlichen Frauen, die nach dem Tod Ottos II. (983) die Zügel des Reiches in die Hand nahmen: Äbtissin Mathilde von Quedlinburg, die alte Kaiserin Adelheid und Theophanu.136 Noch früher (945-59) regierte Olga die Heilige in der Kiewer Rus’.137 1030 konnte Knut der Große seine Frau Ælfgifu als Regentin in Norwegen einsetzen.138 Auch hier ließen sich problemlos noch weitere Beispiele finden, nicht nur als Regentinnen von Königreichen, sondern auch in hohen adeligen Stellungen.139 Dass aber eine Frau die Herrschaft und das Königsamt selbst von ihrem Vater erben konnte ist hingegen ein Phänomen, das sich vor dem 12. Jahrhundert nicht beobachten lässt. Daher kann man in dieser Zeit durchaus den Ursprung weiblicher Erbfolge annehmen. Gewiss war die agnatische Erbfolge im europäischen Mittelalter der Normalfall, die kognatische, das Erbe in weiblicher Linie, war die Ausnahme, auf die nur zurückgegriffen wurde, wenn keine direkten 135 Theobald von Champagne, König von Navarra, war ein Sohn des Grafen Theobald III.
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von Champagne und der Blanka von Navarra, der Tochter des Königs Sancho VI.; zu Theobald vgl. die einzelnen Beiträge im Sammelband: Y. BELLENGER / D. QUERUEL (Hgg.), Thibaut de Champagne, prince et poète au XIIIe siècle (Collections Archives de Champagne), Lyon 1987. S. WEINFURTER, Otto III. (983-1002), in: B. SCHNEIDMÜLLER / S. WEINFURTER (Hgg.), Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I., München 2003, S. 73-96, hier S. 73-80. Zu diesen Fällen vgl. auch P. STAFFORD, Powerful Women (wie Anm. 102), besonders S. 406-412. Zu Olga vgl. C. GOEHRKE, Männer- und Frauenherrschaft im Kiever Fürstenhaus. Olga von Kiev als Regentin (945-960/61), in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 50 (1995), S. 139-154; M. DIMNIK, Succession and Inheritance in Rus’ Before 1054, in: Mediaeval Studies 58 (1996), S. 87-117. T. BOLTON, Ælfgifu of Northampton. Cnut the Great’s Other Woman, in: Nottingham Medieval Studies 51 (2007), S. 247-268 und M. W. CAMPBELL, Queen Emma and Ælfgifu of Northampton. Canute the Great’s Women, in: Mediaeval Scandinavia 4 (1971), S. 6679. Erinnert sei hier nur an Zoe und Theodora in Byzanz (1042), Mathilde von Canossa (gest. 1115) und Eleonore von Aquitanien (gest. 1204). Zur Rolle von Frauen in Urkunden vgl. D. BATES, The Representation of Queens and Queenship in Anglo-Norman Royal Charters, in: P. FOURACRE / D. GANZ (Hgg.), Frankland. The Franks and the World of the Early Middle Ages. Essays in Honour of Dame Jinty Nelson, Manchester 2008, S. 285-303.
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männlichen Erben verfügbar waren. Damit sind die Fälle Mathildes und Konstanzes durchaus singulär. Dennoch: Wie John Gillingham angemerkt hat, konnte man für die Entscheidung in England auch Präzedenzfälle heranziehen.140 Am bekanntesten dürfte im angevinischen Bereich dabei das Beispiel des Königreiches Jerusalem gewesen sein; war es doch Fulko V. von Anjou, Mathildes Schwiegervater, der sich, wie sein Sohn Gottfried, ein Königreich erheiratete: 1128 war Melisende von ihrem Vater Balduin II. zur Nachfolgerin ernannt worden. Auch dieser Fall mündete in Konflikten, und auch schon hier findet sich ein Beispiel für eine Frau, die durchaus selbstbewusst die Herrschaft ausübte. Die Nachfolge Melisendes schuf im Königreich zwar einen bedeutenden Präzedenzfall, war aber wohl ursprünglich nicht programmatisch gedacht.141 Weiterhin konnte man auch das Beispiel Urracas von Kastilien in Betracht ziehen, die am Anfang des Jahrhunderts ihrem verstorbenen Mann Alfons VI. in der Herrschaft nachfolgte und 1109 zur Königin gekrönt wurde.142 Diese Fälle waren in Europa durchaus bekannt. Die Eheverbindungen werden etwa von Robert von Torigni diskutiert.143 Die beschlossene Nachfolge Melisendes von Jerusalem wurde 1128 durch Boten in Frankreich bekannt gemacht, die Fulko V. von Anjou ihre Hand anboten. Man kann durchaus annehmen, dass diese Erfahrung der kognatischen Nachfolge auch die Verhandlungen Fulkos mit Heinrich I. vorangebracht haben.144 Damit sollten sowohl Vater als auch Sohn durch Heirat ein Königreich erlangen. Dass beide kaum oder gar nicht als Könige auftreten konnten, lag nicht zuletzt auch daran, dass die fraglichen Frauen, Melisende und Mathilde, nicht einfach nur Gemahlinnen sein wollten. Die deutliche Ähnlichkeit zwischen den Fällen Mathildes und Konstanzes wurde in der Forschung vereinzelt vor Hintergründen eines normannischen Rechtsbereiches erklärt.145 Wie einleitend angemerkt, ist aber das einzige, was 140 J. GILLINGHAM, The Angevin Empire (wie Anm. 123), S. 9-11. 141 Hans Eberhard Mayer hob diese Parallele ebenfalls hervor, argumentierte aber umge-
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kehrt, dass die Kreuzzugsherrschaft hier dem englischen Beispiel folgte (H. E. MAYER, The Succession to Baldwin II of Jerusalem. English Impact on the East, in: Dumbarton Oaks Papers 39 [1985], S. 139-147, hier S. 146). Siehe auch DERS., Studies in the History of Queen Melisende of Jerusalem, in: Dumberton Oaks Papers 26 (1972), S. 93-182; DERS., Geschichte der Kreuzzüge (Urban-Taschenbücher 86), Stuttgart/Berlin/Köln/ Mainz 21985, S. 81-82. Zu späteren weiblichen Erbfolgen im Königreich Jerusalem siehe unten, Anm. 146. B. ARAM, Authority and Maternity in Late Medieval Castile: Four Queens Regnant, in: B. BOLTON / C. MEEK (Hgg.), Aspects of Power and Authority in the Middle Ages (International Medieval Research 14), Turnhout 2007, S. 121-130. Robert de Torigni, Gesta Noramonnorum Ducum (wie Anm. 37), lib. VIII, cap. 34, S. 260-264. Vgl. mit anderem Vorschlag zur Chronologie H. E. MAYER, The Succession (wie Anm. 141), S. 146. Siehe hierzu C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 96-99 und S. 78-111. Zwar betont Christoph Reisinger, es gebe kein “normannisches Politikmodell”; aufgrund
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die Normannen im Westen und im Süden Europas zu dieser Zeit gemeinsam hatten, die Tatsache, dass sie schon lange keine Normannen mehr waren. Die Parallele sollte daher vielmehr dadurch erklärt werden, dass es sich in beiden Fällen um neue Herrschaften handelte, mit neuen, bzw. zweifelhaften dynastischen Ursprüngen, und deren Etablierung auf Eroberungsrecht beruhte. Diese Definition lässt sich auf mehrere Königreiche beziehen: auf Aragón, Kastilien und Jerusalem, genau wie auf England und Sizilien. Kastilien und Aragón waren 1035 zu Königreichen erhoben worden; England erlebte 1066 seinen gewaltigen Umbruch, das Königreich Jerusalem wurde 1099 gegründet und das Königreich Sizilien 1130. In allen diesen neuen Reichen kamen neue Dynastien an die Macht, ohne vorherige königliche Tradition oder Legitimation. In allen diesen Fällen beruhte die neue Herrschaft auf Eroberung: auf der Reconquista in Aragón und Kastilien, auf dem ersten Kreuzzug in Jerusalem, und eben auf den normannischen Eroberungen in den Fällen Englands und Siziliens. Es war auch in genau diesen Regionen, wo sich auch weiterhin viele Fälle direkter weiblicher Erbfolge fanden: In Aragón und Kastilien und besonders auch wieder im Königreich Jerusalem.146 Vor allem trat zuerst in diesen Reichen mit Urraca, Melisende, Mathilde und Konstanze weibliche Erbfolge ein. Die hier untersuchte Analogie sollte daher nicht über normannische Traditionen erklärt werden. Es bleibt festzuhalten, dass man in neuen Reichen mit neuen Dynastien neue Wege zur Überwindung dynastischer Spannungen suchte. Man war in solchen Reichen viel abhängiger vom Fortbestand der Dynastie, denn zumindest in England hatten die Erfahrungen von 1066 gezeigt, dass solche Krisen nicht nur in einem Wechsel des Herrschergeschlechts, sondern in
der regen Beziehungen zwischen dem anglonormannischen Raum und Sizilien könne man aber durchaus Gemeinsamkeiten feststellen (S. 78). Hiergegen ist aber einzuwenden, dass ähnliche Beziehungen fast zwischen allen Reichen des mittelalterlichen Europa festgestellt werden können; etwa mit Sizilien und Frankreich oder auch Sizilien und Byzanz. Die “skandinavisch-germanischen Traditionen” (S. 78-79), die Christoph Reisinger noch in Unteritalien sieht, dürften wohl eher zu vernachlässigen sein. 146 Kastilien: Berenguela I. von Kastilien war zuerst mit Alfons IX. von Leon verheiratet, wurde nach dem Tod Heinrichs I. 1217 Königin von Kastilien, verzichtete aber noch im gleichen Jahr zugunsten ihres Sohnes Fernando. Vgl. jetzt M. SHADIS, Berenguela (wie Anm. 102), S. 221. Aragón: Petronella von Aragón, Tochter des Königs Ramiro II. von Aragón wurde entsprechend der Nachfolgeregelung ihres Vaters 1137 mit dem Grafen Raimund Berengar IV. von Barcelona verlobt. Ramiro trat daraufhin zurück und übergab die Regentschaft an Raimund Berengar. Petronella galt offiziell als Königin, aber ihr Vater behielt den Königstitel bei. Nach Ramiros Tod 1157 wurde sie alleinige Königin von Aragón, wohingegen Raimund Berengar keinen Königstitel führte, real aber die Herrschaft ausübte. Vgl. B. ARAM, Authority and Maternity (wie Anm. 142). Das Königreich Jerusalem wurde, zunächst real, dann nominell 1186, 1190, 1192 und 1212 in weiblicher Folge vererbt. Vgl. H. E. MAYER, Geschichte der Kreuzzüge (wie Anm. 141), S. 121-122, 131-132, 148-149 und 205.
Thomas Foerster
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einem ganz fundamentalen Umbruch enden konnten.147 Wollte man das gleiche Schicksal nicht selbst erleiden, musste man experimentierfreudiger sein. Gerade wenn man, wie die Hauteville in Sizilien,148 in geringerem Grad aber auch wie die Könige von Jerusalem, als Emporkömmling oder Parvenü gesehen wurde, musste die Dynastiebildung Stabilität aufweisen. War dies nicht der Fall, musste man zumindest Ausweichmöglichkeiten haben. Das Besondere an solchen neuen Herrschaften war, dass man für derartige Fragen eben auch keine königliche Tradition hatte, die man heranziehen konnte oder befolgen musste. So konnte man auch auf das zurückfallen, was aus den Zeiten vor der Königserhebung bekannt war, nämlich erbliche Lehen, die man, zumindest in der Normandie und dann auch in England und Italien, auch in weiblicher Linie vererben konnte.149 Dass das Papsttum in beiden Fällen den männlichen Prätendenten den Vorzug gab (Innozenz II. 1139 auf dem 2. Laterankonzil für Stephan; Clemens III. 1189 und Coelestin III. 1192 für Tankred), sollte man nicht etwa, wie die frühere Forschung dies getan hat, als “naturrechtliche Erwägungen” deuten,150 vielmehr kann man darin ein rückwärtsgewandte Politik der Päpste sehen. Die Zeichen der Zeit standen auf das Notmittel direkter weiblicher Nachfolge, die man lehnsrechtlich legitimieren konnte. Das Königtum wurde damit auch lehnsrechtlich ausgedeutet. Dieser Prozess wurde insbesondere von den ‘Neuen Herrschaften in neuen Reichen’ angeführt. Dass die Hautevillekönige das Königreich Sizilien als Lehen vom Papst erhielten und dass auch der König von England – zumindest für seine Festlandsbesitzungen – ein Vasall des Königs von Frankreich war, mag zu solchen feudalen Deutungen beigetragen haben. In beiden Fällen, in England und in Sizilien, war es dann aber dennoch der kognatische – männliche – Nachfolger, der die Parteien versöhnen konnte und der unangefochtener Herrscher wurde: Heinrich II. in England und Friedrich II. in Sizilien. Dort wurde Friedrich nicht so sehr in staufischer Tradition gesehen, sondern setzte als Federico Secondo Traditionen der Hauteville fort. Heinrich von Huntingdon etwa sieht nur in einem König des Bürgerkrieges die nötige Idoneität: Heinrich II., dessen Herrschaft die langen Kriegszeiten endlich beendete. Als dieser 1153 nach England kommt, schreibt ihm Heinrich einen Dialog mit dem Land zu, das die Insel hier in Hexametern führt, wie es schon Lukan für Cäsar am Rubicon tat.151 England begrüßt ihn als “Herzog Heinrich, größter 147 Zum Umbruchscharakter vgl. D. BATES, 1066 – Does the date still matter?, in: Historical
Research 78 (2005), S. 443-464.
148 T. REUTER, Vom Parvenü zum Bündnispartner (wie Anm. 88), S. 51-53. H. WIERUSZOWSKI,
Roger II of Sicily (wie Anm. 12), S. 53-54.
149 Siehe hierzu C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 95-96. 150 O. RÖSSLER, Kaiserin Mathilde, Mutter Heinrichs von Anjou, und das Zeitalter der Anar-
chie in England (Historische Studien 7), Berlin 1897, hier S. 169-170. Vgl. dazu C. REISINGER, Tankred von Lecce (wie Anm. 16), S. 98. 151 Henry, Archdeacon of Huntingdon, Historia Anglorum (wie Anm. 35), lib. X, cap. 33, S. 760-762. Vgl. ebd. den Kommentar der Herausgeberin D. GREENWAY. Siehe auch
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Nachfahre des großen Heinrich.”152 Möglich wurde dies aber nur durch die beiden Mütter, Mathilde und Konstanze, die mit Konsequenz und Durchsetzungsvermögen ihr Recht auf Herrschaft erstritten hatten.
M. Annaei Lucani De bello civili libri X, ed. D. R. SHACKLETON BAILEY, Stuttgart 21997, I, S. 183-203. 152 Henry, Archdeacon of Huntingdon, Historia Anglorum (wie Anm. 35), lib. X, cap. 33, S. 760: Dux Henrice, nepos Henrici maxime magni.
STEFAN BURKHARDT
Idoneität im Spannungsfeld von Verwandtschaft und päpstlicher Begutachtung Zwei Fälle mediterranen Kaisertums
Die Vorwürfe wogen schwer. Innozenz IV. beklagte unter Tränen das Verhalten des Kaisers, der “obgleich er der oberste weltliche Hausherr und Schutzvogt der Kirche Christi sein sollte, ihr tatsächlicher und mächtiger nächster Feind und bereits ein erklärter Gegner ihrer Diener geworden ist”.1 In der Absetzungsbulle des Konzils von Lyon wird diese päpstliche Anklage gegenüber Friedrich II. spezifiziert: Gesetzesübertretungen, Häresie, Kirchenschändung, Verbrüderung und Unzucht mit Muslimen, Bruch von Eiden, Verträgen und Frieden.2 Die Vorwürfe sind bekannt und das Ende des Konzils von Lyon und des staufischen Kaisers ebenso, diese Ereignisse sollen deshalb hier keine weitere Behandlung finden. Vielmehr führen uns die Klagen gegen Friedrich II. in das Zentrum der im vorliegenden Band behandelten Thematik, der Fragen nach dem Zusammenhang von Idoneität, Genealogie und Legitimität. Gleich einem Verzerrungsspiegel wirft die inserierte Rede des Papstes nämlich das Idealbild des Kaisers zurück. Ihm zu entsprechen war der höchste Ausweis weltlicher Idoneität. In Reflexion der Vorgänge von Lyon mag sich mancher Prozessteilnehmer auch gefragt haben, ob man es nicht hätte besser wissen können: Stammte nicht Friedrich II. aus einem altgedienten Geschlecht von Kirchenverfolgern, die wiederum in Kontinuitätslinie zu den kaiserlichen Feinden der Urkirche standen? Eine Illustration in der Cronica des Giovanni Villani zeigt etwa Friedrich II. als siebten Kopf des apokalyptischen Drachens neben Nero und anderen Kirchenverfolgern.3 Kaiserliche Idoneität ist – so zeigt dieses Beispiel – weitaus mehr als persönliche Eignung, sie ist eingebettet in jahrhundertealte Schichtungen und Dynamiken. Wie musste also um 1200 ein ‘geeigneter’ Kaiser beschaffen sein? Welche Nachweismöglichkeiten von Idoneität lassen sich feststellen? Welche 1
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Ex Mathei Parisiensis Cronicis Maioribus, ed. F. LIEBERMANN (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 28), Hannover 1888, S. 107-398, hier S. 259: […] alium vero de principe, id est imperatore, qui, cum esse teneretur summus secularium yconomus et protector ecclesie, hostis factus familiaris ecclesie Christi efficax et validus factus est inimicus et ministrorum eius adversarius iam manifestus. Vgl. H. WOLTER / H. HOLSTEIN, Lyon I, Lyon II (Geschichte der ökumenischen Konzilien 7), Mainz 1972, S. 114-118. Vgl. fol. 5r. der Cronica des Giovanni Villani in der Handschrift Biblioteca Apostolica Vaticana, Rom, Vat. Lat. 3822.
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Dynamiken der Wechselwirkungen zwischen Ideal und Wirklichkeit ergaben sich? Dem Ideal kaiserlicher Herrschaft soll ein erster Abschnitt des vorliegenden Aufsatzes gewidmet sein. In einem zweiten Abschnitt gilt es dann, anhand eines Vergleichs zweier Ausformungen mediterranen Kaisertums4 das Wechselspiel der Ideale und der Realität um 1200 nachzuzeichnen.
Die Erwartungen an einen Kaiser Wie bereits erwähnt, spiegeln die Vorwürfe Innozenz’ die Messlatte von Idealen wider, die das Papsttum um 1200 an kaiserliche Herrschaft anlegte. Diese Ideale waren das Ergebnis einer damals bereits mehr als tausendjährigen Entwicklung des kaiserlichen Amtes, in deren Zuge sich verschiedene Schichten an einem Kern altrömischer Amtskonzeptionen anlagerten. Die altrömischen Autoren lassen das Kaisertum mit Caesar beginnen5 – zu Recht, wenn man bedenkt, dass mit dem Julier erstmals die für die weitere Geschichte des Kaisertums so bedeutende Kombination von hellenistischen und altrömischen Elementen erfolgte.6 Kaum eine Gestalt wird aber so stark mit der Institutionalisierung des Kaisertums assoziiert wie Augustus.7 Vespasian war es, der als erster Kaiser nachweislich ein geschlossenes Bündel an Kompetenzen erhielt.8 Das Kaisertum unserer landläufigen Vorstellung könnte hingegen vor allem ein mittelalterliches Zuschreibungs- und Erinnerungsphänomen sein, ein Konstrukt des Papsttums. Die oben genannte päpstliche Anklage spricht wichtige Elemente der eher weltlich orientierten kaiserlichen Ideale an: Ein Kaiser um 1200 hatte in der Vorstellung verschiedener Kreise wichtige Funktionen bei der Rechtswahrung, der Gerichtsbarkeit und der Anlage von Gesetzessammlungen und Rechtsbü-
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Vgl. grundsätzlich S. BURKHARDT, Mediterranes Kaisertum und imperiale Ordnungen. Das lateinische Kaiserreich von Konstantinopel (Europa im Mittelalter 25), Berlin/Boston 2014. Vgl. etwa K. CHRIST, Kaiserideal und Geschichtsbild bei Sextus Aurelius Victor, in: Klio. Beiträge zur alten Geschichte 87 (2005), S. 177-200, hier S. 178f. Vgl. zu diesem Fusionsprozess H. LEPPIN, Kaisertum und Christentum in der Spätantike, in: H. LEPPIN / B. SCHNEIDMÜLLER / S. WEINFURTER (Hgg.), Kaisertum im ersten Jahrtausend. Wissenschaftlicher Begleitband zur Landesausstellung “Otto der Große und das Römische Reich. Kaisertum von der Antike bis zum Mittelalter”, Regensburg 2012, S. 153-172, hier S. 153-156 und zum Widerstand dagegen C. MEIER, Caesar, Sonderausg. Berlin 2004, etwa S. 510-515 und 543-578. Vgl. aus der reichhaltigen Literatur etwa E. LYASSE, Le principat et son fondateur. L’utilisation de la référence à Auguste de Tibère à Trajan (Collection Latomus 311), Brüssel 2008; D. KIENAST, Augustus. Prinzeps und Monarch, Darmstadt 31999. B. LEVICK, Vespasian, London/New York 2005, S. 15-18.
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chern auszuüben.9 Die kaiserliche Majestät sollte legibus armatam sein, der Kaiser galt dem Liber Augustalis als Vater und Sohn der Gerechtigkeit.10 Entsprechend nimmt es auch nicht wunder, dass Rechtspflege und Gesetzgebung generell zu den Hauptaufgaben eines Kaisers gezählt wurden.11 Im byzantinischen Raum blieb die Kontinuität zur Spätantike bezüglich Rechtspflege und Gesetzgebung weitgehend ungebrochen: Hier war der Kaiser theoretisch dem Gesetz nicht unterworfen, sondern verkörperte es in seiner Person, hier war die Rechtssetzung ganz selbstverständlich Teil der kaiserlichen Aufgaben.12 Hinzu traten Funktionsansprüche des Kaisers bei der ‘Außenpolitik’, die bis auf die Prärogativen des römischen Senates zurückgingen. Wichtiger als eine wie auch immer geartete reale Weltherrschaft scheint für Kaiser oder kaisergleiche Potentaten eher der inszenatorische Charakter großräumiger Herrschaft gewesen zu sein, der sich in der Stellung über viele Könige oder viele Völker auskristallisierte. Über die Qualität und Tiefe der Herrschaft, etwa ob sie vereinheitlichende Tendenzen implizierte oder dem Ideal der mehr oder minder freiwilligen Toleranz folgte, ist und wird hiermit nichts ausgesagt. Die Herrschaft über viele Völker und die Vorstellung großräumiger Herrschaft war auch mit der HerrVgl. S. GAGNÉR, Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung (Studia iuridica Upsaliensia 1), Stockholm/Uppsala/Göteborg 1960, S. 115f.; H. M. KLINKENBERG, Die Theorie der Veränderbarkeit des Rechtes im frühen und hohen Mittelalter, in: P. WILPERT (Hg.), Lex et sacramentum im Mittelalter (Miscellanea mediaevalia 6), Berlin 1969, S. 157188, hier S. 160-162 und 182f. 10 Der berühmte erste Satz aus dem Proömium der Institutionen lautet ausführlich: Imperatoriam maiestatem non solum armis decoratam, sed etiam legibus oportet esse armatam, ut utrumque tempus et bellorum et pacis recte possit gubernari et princeps Romanus victor existat non solum in hostilibus proeliis, sed etiam per legitimos tramites calumniantium iniquitates expellens, et fiat tam iuris religiosissimus quam victis hostibus triumphator; vgl. zum Liber Augustalis Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, ed. W. STÜRNER (Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et acta publica imperatorum et regum 2 – Supplementum), Hannover 1996, I 31, S. 185: […] iustitie patrem et filium. 11 Vgl. insb. G. DILCHER, Der mittelalterliche Kaisergedanke als Rechtslegitimation, in: D. WILLOWEIT (Hg.), Die Begründung des Rechts als historisches Problem (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 45), München 2000, S. 153-170. Zum Liber Augustalis vgl. W. STÜRNER, Die Konstitutionen Friedrichs II. für sein Königreich Sizilien – Anspruch und Textgestalt, in: A. ESCH / N. KAMP (Hgg.) Friedrich II. Tagung des Deutschen Historischen Instituts in Rom im Gedenkjahr 1994 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 85), Tübingen 1996, S. 263-275, insb. S. 264; K. VAN EICKELS, Legitimierung von Entscheidungen durch Experten. Friedrich II. als Gesetzgeber im Königreich Sizilien und als Richter nördlich der Alpen, in: K. GÖRICH / J. KEUPP / T. BROEKMANN (Hgg.), Herrschaftsräume, Herrschaftspraxis und Kommunikation zur Zeit Kaiser Friedrichs II. (Münchner Beiträge zur Geschichtswissenschaft 2), München 2008, S. 391-405, hier S. 394-397. 12 R.-J. LILIE, Einführung in die byzantinische Geschichte (Urban-Taschenbücher 617), Stuttgart 2007, S. 161 und D. SIMON, Princeps a legibus solutus. Die Stellung des byzantinischen Kaisers zum Gesetz, in: D. NÖRR / D. SIMON (Hgg.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Kunkel, Frankfurt a. M. 1984, S. 449-492, insb. auch S. 487-490 zur praktischen Seite. 9
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schaft über viele Religionen verbunden. Dies musste jedoch nicht automatisch zu einer wie auch immer gearteten Toleranz oder einer Stellung des Herrschers zwischen oder über den Kulturen und Religionen führen.13 Von großer Bedeutung waren in diesem Zusammenhang auch Verträge. Gerade das 13. Jahrhundert scheint eine erste Hochzeit des bereits in modernen Kategorien gedachten Vertragswesens zu sein, das damals in Italien schon auf eine längere Geschichte zurückblicken konnte.14 Insbesondere in der oberitalienischen Städtelandschaft gewannen vertragliche Regelungen als Grundgerüst der internen und externen kommunalen Beziehungen eine bis dahin ungeahnte Dominanz. Umso wichtiger waren die kaiserlichen Funktionen, die im Zusammenhang mit Verträgen standen – eine zentrale Frage, die im Weiteren noch eingehendere Behandlung finden wird. Darüber hinaus treten drei Funktionsbereiche, die in engem Zusammenhang mit der kirchlichen Sphäre stehen, gerade in der Zeit um 1200 klar hervor und finden ihre Entsprechung in der Anklage Innozenz’ IV.: Ein Kaiser hatte generell die Kirchen Gottes zu schützen15 und insbesondere im Inneren Tendenzen der Ketzerei zu bekämpfen16 und im Äußeren auf Kreuzzug zu gehen17. Die Zeit Friedrich Barbarossas mit ihren Spannungen verdeutlicht diese Funktionsbereiche: Das Alexandrinische Schisma entsprang letztlich auch der Frage nach der kaiserlichen Kirchenvogtei, bereits unter Friedrich I. sind Maßnahmen ge-
13 Vgl. zur Hinterfragung des Toleranzbegriffs exemplarisch für den normannischen Be-
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reich H. HOUBEN, Die Tolerierung Andersgläubiger im normannisch-staufischen Süditalien, in: O. ENGELS / P. SCHREINER (Hgg.), Die Begegnung des Westens mit dem Osten. Kongreßakten des 4. Symposions des Mediävistenverbandes in Köln 1991 aus Anlaß des 1000. Todesjahres der Kaiserin Theophanu, Sigmaringen 1993, S. 75-87 und v.a. W. KOLLER, Toleranz im Königreich Sizilien zur Zeit der Normannen, in: A. PATSCHOVSKY / H. ZIMMERMANN (Hgg.), Toleranz im Mittelalter (Vorträge und Forschungen 45), Sigmaringen 1998, S. 159-185. S. BURKHARDT, Verhandelte Autorität? Friedrich II. und die oberitalienischen Kommunen, in: W. BOMM / H. SEIBERT / V. TÜRCK (Hgg.), Autorität und Akzeptanz. Das Reich im Europa des 13. Jahrhunderts, Ostfildern 2013, S. 183-201. Vgl. zur Kirchenvogtei grundlegend W. GOEZ, Imperator advocatus Romanae ecclesiae, in: H. MORDEK (Hg.), Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. Festschrift für Friedrich Kempf zu seinem 75. Geburtstag und 50jährigen Doktorjubiläum, Sigmaringen 1983, S. 315-328 und U. SCHLUDI, Advocatus sanctae Romanae ecclesiae und specialis filius beati Petri. Der römische Kaiser aus päpstlicher Sicht, in: S. BURKHARDT / T. METZ / B. SCHNEIDMÜLLER / S. WEINFURTER (Hgg.), Staufisches Kaisertum im 12. Jahrhundert. Konzepte – Netzwerke – Politische Praxis, Regensburg 2010, S. 41-73. Vgl. zur Ketzerbekämpfung H. KÖHLER, Die Ketzerpolitik der deutschen Kaiser und Könige in den Jahren 1152-1254 (Jenaer historische Arbeiten 6), Bonn 1913. Vgl. hierzu J. S. C. RILEY-SMITH, Wozu heilige Kriege? Anlässe und Motive der Kreuzzüge (Wagenbachs Taschenbücherei 480), Berlin 22005, S. 20f., aber auch C. JONES, Eclipse of Empire? Perceptions of the Western Empire and its Rulers in Late-Medieval France (Cursor mundi 1), Abingdon 2007, S. 340-352.
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gen Ketzer bekannt, und der alte Kaiser starb bekanntermaßen auf dem Dritten Kreuzzug.
Idoneität Nach dem Tod Heinrichs VI. trat jedoch im sogenannten Thronstreit – wie ja auch bei fast allen umstrittenen Ernennungen – gegenüber der zweifellos auch wichtigen Frage nach kaiserlichen Funktionsbereichen und dem Ideal kaiserlicher Herrschaft die Frage nach der persönlichen Eignung und der allgemeinen Idoneität der Kandidaten auf den Königs- und Kaiserthron in bis dahin nicht gekannter Weise in den Vordergrund.18 Wer konnte aufgrund seiner Disposition die geforderten Aufgaben am besten erfüllen? Wer war überhaupt dafür geeignet? Für uns sind jene Diskussionen am Ende des 12. Jahrhunderts, auf die an dieser Stelle nicht explizit eingegangen werden soll, in zweierlei Hinsicht erleuchtend: Erstens wird deutlich, dass Idoneität keineswegs eine objektive Eigenschaft, sondern an die Wertung bestimmter Personenkreise rückgebunden ist. Deutlich lassen sich für die Phase der Auseinandersetzungen des Thronstreites Parteiungen scheiden, die unterschiedliche Überzeugungen von den Qualitäten ihrer jeweiligen Kandidaten und den anzuwendenden Verfahren, diese nachzuweisen, hatten. Diese Kreise sollten für die dauerhafte Artikulation und Bewertung der Idoneitätskriterien von Kaisern entscheidend sein. Die Kriterien waren keineswegs statisch: Ältere Entwicklungen konnten aufgenommen, einzelne Elemente ausgetauscht, aber auch neu kombiniert werden. Zweitens zeigt gerade der Thronstreit, dass auch die Frage nach dem Wesen und dem Nachweis von Idoneität keineswegs einfach zu beantworten ist. Grundsätzlich lassen sich zwei Modi unterscheiden: Die Befähigung eines Kandidaten auf den kaiserlichen Thron konnte vor dem Antritt des jeweiligen Amtes nachgewiesen werden oder der Beweis konnte mit der Amtsausübung erfolgen.19 Im letzteren Falle ist man recht rasch wieder bei der Bewertung kaiserlicher Funktionsausübung. Eines der wichtigsten Idoneitätskriterien war die Abstammung, die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, das einen hohen Rang in der europäischen Adelsgesellschaft einnahm und idealerweise ‘seit Menschengedenken’ über Macht und Einfluss verfügt hatte. Von der realen Abstammung 18 Vgl. F. KEMPF, Innocenz III. und der deutsche Thronstreit, in: Archivum historiae ponti-
ficiae 23 (1985), S. 64-91, insb. S. 75f.; vgl. zur Haltung Innozenz’ III. S. KRIEB, Vermitteln und Versöhnen. Konfliktregelung im deutschen Thronstreit 1198-1208 (Norm und Struktur 13), Köln/Weimar/Wien 2000, S. 218-228. 19 Vgl. zur Parallele zwischen Königen und Bischöfen etwa G. ALTHOFF, Bischofsweihen und -investituren, in: G. MELVILLE / M. STAUB (Hgg.), Enzyklopädie des Mittelalters, 2 Bde., Darmstadt 2008, Bd. 1, S. 251, und im selben Band: A. ANGENENDT, Christentum, S. 327-330, hier S. 329.
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war der Übergang fließend zu Formen konstruierter Genealogien wie etwa der Verwandtschaft mit großen Kaisern (etwa Karl dem Großen), der Rückführung auf mythische Geschlechter (etwa der Trojaner) oder beide Elemente kombinierend, die Propagierung eines bestimmten Kaisergeschlechts.20 Hinzu trat die Bewertung der bisherigen persönlichen und politischen Bewährung wie etwa Alter, Erfahrung und Lebenswandel. Hier ergaben sich auch Anknüpfungspunkte zu den Tugendkatalogen und Herrscherspiegeln, die für den Hochadel weltlicher und geistlicher Provenienz aufgestellt wurden.21 Von Wichtigkeit zur Bewertung der Idoneität war ebenso das richtige Maß an Macht des Kandidaten – nicht zu viel und nicht zu wenig –, das sich insbesondere in der Verfügungsgewalt über materielle und personelle Ressourcen (‘Schätze’, Ländereien, Rechte, Lehnsmänner usw.) äußerte.22 Die Erfüllung der genannten Kriterien war sicherlich auch in Bezug auf andere adlige Führungspositionen von Bedeutung. Was jedoch insbesondere für einen Kandidaten für das Kaisertum wichtig sein kann, ist die Herrschaft innerhalb (oder zumindest der ungehinderte Zugang zu) bestimmten Orten oder Räumen von zentraler machtpolitischer oder legitimatorischer Bedeutung – man denke nur an Norditalien, Aachen und Rom (oder im Falle des byzantinischen Kaisertums: Konstantinopel).23 Diese Herrschaft konnte nicht nur für den Er20 O. ENGELS, Gottfried von Viterbo und seine Sicht des staufischen Kaiserhauses, in:
H. MORDEK (Hg.), Aus Archiven und Bibliotheken. Festschrift für Raymund Kottje zum 65. Geburtstag (Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte 3), Frankfurt a. M./ Bern/New York/Paris 1992, S. 327-345, hier S. 336-345. Vgl. zum Trojamythos in europäischer Perspektive K. WOLF, Troja – Metamorphosen eines Mythos. Französische, englische und italienische Überlieferungen des 12. Jahrhunderts im Vergleich (Europa im Mittelalter 13), Berlin 2009. Vgl. grundsätzlich auch G. MELVILLE, Vorfahren und Vorgänger. Spätmittelalterliche Genealogien als dynastische Legitimation zur Herrschaft, in: P.-J. SCHULER (Hg.), Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, Sigmaringen 1987, S. 203-309. 21 Vgl. zu den antiken Grundlagen etwa J. M. SCHULTE, Speculum regis. Studien zur Fürstenspiegel-Literatur in der griechisch-römischen Antike (Antike Kultur und Geschichte 3), Münster 2001; vgl. für das Mittelalter grundlegend W. BERGES, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters (Schriften des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde 2), Leipzig 1938; H. H. ANTON, Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit (Bonner historische Forschungen 32), Bonn 1968 und zu einem Überblick ausgewählter Werke DERS. (Hg.), Fürstenspiegel des frühen und hohen Mittelalters (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 45), Darmstadt 2006, S. 3-37. 22 Vgl. M. HARDT, Gold und Herrschaft. Die Schätze europäischer Könige und Fürsten im ersten Jahrtausend (Europa im Mittelalter 6), Berlin 2004, insb. S. 301-303. 23 Vgl. zur Bedeutung Roms A. M. GOWING, Empire and Memory. The Representation of the Roman Republic in Imperial Culture (Roman Literature and its Contexts), Cambridge/New York/Melbourne 2005, insb. S. 132-159 zur Architektur. Vgl. zur rituellen Bedeutung Roms im antiken Kaisertum S. BENOIST, Rome, le prince et la cité. Pouvoir impérial et cérémonies publiques (Ier siècle av.-début du IVe siècle apr. J.-C.) (Le noeud gordien), Paris 2005. Vgl. auch zur Weiterwirkung der Traditionen um die Kaiserresiden-
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werb des Kaisertums entscheidend sein, sondern entsprechende Ambitionen auch erst auslösen, wie dies möglicherweise bei Karl dem Großen und Otto I. der Fall war. Gerade die Herrschaft über diese Zentralräume erwies sich aber auch als wichtiger Anknüpfungspunkt für Usurpatoren. Im byzantinischen Kulturbereich war etwa die Gewalt über Konstantinopel häufig entscheidend dafür, ob eine Usurpation erfolgreich war, ja man kann diese Stadtherrschaft als eine Art zentrales Abgrenzungskriterium von Usurpationen und legitimer Herrschaft ansehen.24 Der Usurpator, der sich in Konstantinopel etablieren konnte, war auf einem guten Weg zu einer Herrschaft von gewisser Dauer. Gerade für Usurpatoren war der zweite Modus der Idoneität, die ex post nachgewiesene Eignung, ausgesprochen wichtig. Usurpationen sind eine Art nachdrücklich vorgebrachte Idoneitätsbehauptung, die sich unter Berufung auf bestimmte ‘Ausnahmesituationen’ aggressiv von legitimen Verfahren und Modi absetzt. Auch deshalb mussten Usurpatoren gleichsam im Nachhinein unter Beweis stellen, dass der Bruch der legitimatorischen Kontinuität ‘sinnvoll’ und gottgewollt war. Eine solche ‘nachträgliche’ Idoneität konnte sich etwa in der jeweiligen Politik und ihrer Wirkung zeigen, ebenso jedoch im Lebenswandel. In beiderlei Hinsicht musste ein Usurpator erhebliche Anstrengungen unternehmen und insbesondere im byzantinischen Bereich gelang die Verstetigung der eigenen Herrschaft bei Usurpatoren nicht immer.25 Die Verstetigung der Idoneität über die eigene Person hinaus war ebenso zentrale Aufgabe für den ‘legitimen’ Gründer einer neuen Dynastie von Kaisern. Verschiedene Maßnahmen boten sich an: Durch die Ausbildung des präsumtiven Thronfolgers konnte dessen persönliche Eignung gefördert werden, zen etwa J. FRIED, Friedrich Barbarossas Krönung in Arles (1178), in: Historisches Jahrbuch 103 (1983), S. 347-371, hier S. 354f. Vgl. zur Bedeutung von Konstantinopel etwa H. G. BECK, Konstantinopel. Zur Sozialgeschichte einer frühmittelalterlichen Hauptstadt, in: DERS., Ideen und Realitäten in Byzanz. Gesammelte Aufsätze (Collected Studies Series 13), London 1972, S. X 11-X 45; P. J. ALEXANDER, The strength of Empire and Capital as seen through Byzantine eyes, in: Speculum 37 (1962), S. 339-357; vgl. zur byzantinischen Sicht auf Rom F. DÖLGER, Rom in der Gedankenwelt der Byzantiner, in: DERS. (Hg.), Byzanz und die europäische Staatenwelt. Ausgewählte Vorträge und Aufsätze, Ettal 1953, S. 70-115. 24 Vgl. zur Stellung des Kaisers R.-J. LILIE, Einführung in die byzantinische Geschichte (Urban-Taschenbücher 617), Stuttgart 2007, S. 132-146; Vgl. grundsätzlich zur Thematik der Usurpation DERS., Der Kaiser in der Statistik. Subversive Gedanken zur angeblichen Allmacht der byzantinischen Kaiser, in: C. STAVRAKOS / A.-K. WASSILIOU-SEIBT / M. K. KRIKORIAN (Hgg.), Hypermachos. Studien zur Byzantinistik, Armenologie und Georgistik. Festschrift für Werner Seibt zum 65. Geburtstag, Wiesbaden 2008, S. 211233. 25 Vgl. allgemein S. ELBERN, Usurpationen im spätrömischen Reich (Habelts Dissertationsdrucke, Reihe Alte Geschichte 18), Bonn 1984; E. FLAIG, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich (Historische Studien 7), Frankfurt a. M./New York 1992; J. SZIDAT, Usurpator tanti nominis. Kaiser und Usurpator in der Spätantike (337476 n. Chr.) (Historia Einzelschriften 210), Stuttgart 2010.
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eine Heirat konnte den Ruhm des jeweiligen Geschlechts fördern und vermehren, genealogische Konstruktionen konnten helfen, dass die Herrschaftsrechte auch Brüche und Krisen der dynastischen Kontinuität überstanden.26 Eines der wichtigsten Pfunde für die Förderung der Idoneität der jeweiligen Nachfolger war jedoch ihre Designation zur Zeit der Regierung ihrer Vorgänger – etwa im Fall des römischen Kaisers durch ihre Wahl zum römisch-deutschen König. Gerade um 1200 unterlag die Konzeption Kaisertum und mit ihr auch die Frage nach der Idoneität der Kandidaten vielfältigen Änderungsimpulsen. Dies betrifft nicht nur den bereits angedeuteten deutschen Thronstreit, sondern auch die Etablierung des lateinischen Kaisertums in Konstantinopel. Der Mittelmeerraum verband nicht nur diese Phänomene des Umbruchs und ermöglichte eine Wechselwirkung der politischen Ereignisse und der ihnen zum Teil zugrundeliegenden Ordnungsvorstellungen.27 Im südlichen Italien und um Konstantinopel im ehemaligen Zentrum des byzantinischen Reiches vermengten sich zudem ‘westliche’ und ‘östliche’ Konzeptionen kaiserlicher Herrschaft. Dort hatten sich neue Dynastien etabliert, die – gleichsam unter erschwerten Bedingungen ‘zwischen den Kulturen’ – ihre Idoneität nicht nur unter Beweis stellen, sondern ihr auch Dauerhaftigkeit verleihen mussten. War nun beides vor allem dadurch möglich, dass die jeweiligen Herrscher Anknüpfungspunkte an die jeweiligen Idoneitätshybridisate suchten bzw. durch geschickte Bezugnahme auf unterschiedliche Traditionsstränge diese herstellten? Am Beispiel der lateinischen Kaiser von Konstantinopel und des römisch-deutschen Kaisers Friedrich II. sollen im Folgenden die Fragen beantwortet werden, wie in diesen Regionen Idoneität nachgewiesen wurde und welche Einflüsse kulturelle Unterschiede auf die verschiedenen Idoneitätskonstrukte hatten. 26 Vgl. etwa H.-W. GOETZ, Frauen im frühen Mittelalter. Frauenbild und Frauenleben im
Frankenreich, Weimar/Köln/Wien 1995, S. 223. T. WELLER, Auf dem Weg zum ‘staufischen Haus’. Zu Abstammung, Verwandtschaft und Konnubium der frühen Staufer, in: H. SEIBERT / J. DENDORFER (Hgg.), Grafen, Herzöge, Könige. Der Aufstieg der frühen Staufer und das Reich (1079-1152) (Mittelalter-Forschungen 18), Ostfildern 2005, S. 4163, S. 51 zu den frühen Staufern. 27 Vgl. zum ‘Kontaktraum’ Mittelmeer B. ARBEL (Hg.), Intercultural Contacts in the Medieval Mediterranean, London/Portland 1996; D. A. AGIUS / I. R. NETTON (Hgg.), Across the Mediterranean Frontiers. Trade, Politics and Religion, 650-1450. Selected Proceedings of the International Medieval Congress, University of Leeds, 10-13 July 1995, 8-11 July 1996 (International Medieval Research 1), Turnhout 1997; B. BURTSCHER-BECHTER / P. W. HAIDER / B. MERTZ-BAUMGARTNER / R. ROLLINGER (Hgg.), Grenzen und Entgrenzungen. Historische und kulturwissenschaftliche Überlegungen am Beispiel des Mittelmeerraums (Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft 36), Würzburg 2006; E. AREND, Mare nostrum? – Das Mittelmeer in der Diskussion um kulturelle und literarische Grenzziehung, in: H. TURK / B. SCHULTZE / R. SIMANOWSKI (Hgg.), Kulturelle Grenzziehungen im Spiegel der Literaturen. Nationalismus, Regionalismus, Fundamentalismus (Veröffentlichung aus dem Sonderforschungsbereich 529 “Internationalität Nationaler Literaturen”, Serie B: Europäische Literaturen und internationale Prozesse 1), Göttingen 1998, S. 263-283.
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Zwei Fälle mediterranen Kaisertums Das Ende des Vierten Kreuzzuges brachte 1204 die Eroberung und Plünderung Konstantinopels und die Vertreibung des byzantinischen Kaisers – Alexios IV. – mit sich.28 Bereits zuvor hatten sich die Kreuzfahrer darauf verständigt, dass nach der Eroberung der Stadt ein neuer Kaiser gewählt werden solle.29 Kein anderes Mal im Mittelalter trat ein ähnlicher Fall ein, dass ein Kaiser gleichsam direkt ‘vom Heer’ gewählt wurde.30 Anhand einer solchen Situation kann man auch einen Blick durch das Möglichkeitsfenster auf jene Idoneitätskriterien werfen, die ein Kaiser am Beginn des 13. Jahrhunderts erfüllen musste. Byzantinische Vorstellungen prägten diese Wahl faktisch nicht, die entscheidenden
28 Vgl. hierzu die Übersichtsdarstellungen bei R.-J. LILIE, Byzanz und die Kreuzzüge (Ur-
ban-Taschenbücher 595), Stuttgart 2004, S. 157-180; G. OSTROGORSKY, Byzantinische Geschichte 324-1453 (Beck’s Historische Bibliothek), München 22006, S. 360-405 und zur Frühphase v.a. D. E. QUELLER / T. F. MADDEN, The Fourth Crusade. The Conquest of Constantinople (The Middle Ages Series), Philadelphia 21997. 29 Die Grundlage des – erst später päpstlich sanktionierten – Kaisertums bildete eindeutig militärische Gewalt, und so legt auch der Teilungsvertrag vom März 1204 lakonisch fest: In primis omnium armata manu Christi invocato nomine civitatem expugnare debemus (Die Register Innocenz’ III., Bd. 7: 7. Pontifikatsjahr, 1204/1205, bearb. v. O. HAGENEDER / A. SOMMERLECHNER / H. WEIGL gemeinsam mit C. EGGER / R. MURAUER [Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom, Abt. 2, Reihe 1/7], Graz 1997, S. 361, Nr. 205). 30 Laut Gunther von Pairis, Hystoria Constantinopolitana. Untersuchungen und kritische Ausgabe, ed. P. ORTH (Spolia Berolinensia 5), Hildesheim/Zürich 1994, cap. 20, S. 163 war die Wahl eines lateinischen Kaisers für das Heer notwendig, ne absque principe quasi acephali remanerent. Vgl. zur spätantiken Tradition: F. KOLB, Herrscherideologie in der Spätantike (Studienbücher Geschichte und Kultur der Alten Welt), Berlin 2001, S. 25-27. Für die Diskussionen der Mediävistik wurde grundlegend Widukind von Corvey, Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei, ed. P. HIRSCH / H.-E. LOHMANN (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum [60]), Hannover 51935, lib. III, cap. 49, S. 128: Triumpho celebri rex factus gloriosus ab exercitu pater patriae imperatorque appellatus est. Eine ähnliche Stelle findet sich zu Heinrich I. (lib. I, cap. 39, S. 58): […] pater patriae, rerum dominus imperatorque ab exercitu appellatus. Trotz aller Kritik an Widukind scheint es so zu sein, dass die Vorstellungen vom “Heer, das den Kaiser macht”, im ganzen Mittelalter lebendig blieb. Vgl. hierzu bereits E. E. STENGEL, Den Kaiser macht das Heer. Studien zur Geschichte eines politischen Gedankens, Weimar 1910, S. 17-29 und DERS., Kaisertitel und Souveränitätsidee. Studien und Vorgeschichte des modernen Staatsbegriffs, in: DERS. (Hg.), Abhandlungen und Untersuchungen zur Geschichte des Kaisergedankens im Mittelalter, Köln/Graz 1965, S. 239-286, hier S. 254-256. Vgl. zur heutigen Sichtweise J. LAUDAGE, Otto der Große (912-973). Eine Biographie, Regensburg 22006, S. 171-180. Vgl. auch für die Stauferzeit etwa die fingierte Ansprache Barbarossas an die Römer: Otto von Freising und Rahewin, Gesta Friderici I. imperatoris, ed. G. WAITZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum [46]), Hannover/Leipzig 31912, lib. II, cap. 30, S. 136-139.
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Gruppen waren ‘Lateiner’.31 Bald nach der Einnahme Konstantinopels kam es insofern zu einer Vorentscheidung, als sich die Alternative auf die beiden Kandidaten Markgraf Bonifaz von Montferrat und Graf Balduin von Flandern und Hennegau verfestigte. Beide waren in vielfältiger Hinsicht für das Amt prädestiniert, vor allem durch ihre hohe Abstammung und ihren Ruhm als erfahrene Heerführer und tapfere Ritter. Deutlich zeigt sich allerdings bereits hier ein Unterschied zum traditionellen Westkaisertum: Ein römisch-deutscher König musste bei seiner Wahl damals noch zumindest herzogliche Herkunft haben – Kriterien, die die Kandidaten nicht erfüllten. Bonifaz stammte aus dem Geschlecht der Markgrafen von Montferrat, die wiederum von den Aleramiden abstammten. Einer seiner Ahnen war im 10. Jahrhundert durch König Berengar II. (von Ivrea) mit der Markgrafschaft Westligurien ausgestattet worden. Die Montferrat hatten seit dem 11. Jahrhundert die Nähe des römisch-deutschen Kaisers gesucht und waren Heiratsverbindungen mit dem europäischen Hochadel eingegangen: Die Stieftochter Markgraf Rainers (gest. um 1136) wurde etwa Königin von Frankreich, Markgraf Wilhelm V. heiratete Judith, die Tochter Markgraf Leopolds III. von Österreich.32 Durch die oberitalienischen Kommunen unter Druck gesetzt, wandten sich die Montferrat im 12. Jahrhundert einerseits den staufischen Herrschern zu, andererseits nutzten sie energisch die Möglichkeiten, die sich ihnen im mediterranen Osten boten: Der älteste Bruder Bonifaz’, Wilhelm, heiratete Sibylle, die Tochter König Amalrichs von Jerusalem und wurde Vater des späteren Königs Balduin V.33 Ein weiterer Bruder Bonifaz’, Konrad, wurde enger Vertrauter und Schwager des byzantinischen Kaisers Manuel I. Komnenos und faktisch König von Jerusalem.34 Auch ein anderer der Montferrat-Brüder, Rainer, war im Osten zunächst erfolgreich: Er wurde Schwiegersohn Manuels I. Komnenos und zum 31 Vgl. hierzu etwa R. ELZE, Die Krönung der lateinischen Kaiser, in: B. SCHIMMELPFEN-
/ L. SCHMUGGE (Hgg.), Päpste, Kaiser, Könige und die mittelalterliche Herrschaftssymbolik. Ausgewählte Aufsätze (Collected Studies Series 152), London 1982, S. VII 839VII 844, der auf S. VII 842 schlussfolgert: “Der Charakter der neuen Herrschaft war zu allererst und im wesentlichen französisch und stark durch ritterliche Vorstellungen und Ideale bestimmt, und über diesem westlichen Grunde lag nur eine dünne Schicht byzantinischer Tradition, die bloß in den Äußerlichkeiten respektiert wurde und niemals genügte, den griechischen Untertanen gegenüber die Rechtmäßigkeit der Nachfolge im Reiche zu begründen.” 32 T. ILGEN, Markgraf Conrad von Montferrat, Marburg 1880, S. 33f. K. HOPF, Bonifaz von Montferrat, der Eroberer von Konstantinopel und der Troubadour Rambaut von Vaqueiras (Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, 12. Serie, Nr. 272), Berlin 1877; D. BRADER, Bonifaz von Montferrat. Bis zum Antritt der Kreuzfahrt (1202) (Historische Studien 55), Berlin 1907, S. 1-17. W. HABERSTUMPF, Dinastie europee nel Mediterraneo orientale. I Monferrato e i Savoia nei secoli XII-XV (Gli alambicchi 5), Turin 1995. 33 T. ILGEN, Markgraf Conrad von Montferrat (wie Anm. 32), S. 35f. 34 D. JACOBY, Conrad of Montferrat, in: A. V. MURRAY (Hg.), The Crusades. An Encyclopedia, 4 Bde., Santa Barbara (Calif.)/Denver/Oxford 2006, Bd. 1, S. 273f. NIG
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caesar ernannt; in die Nachfolgestreitigkeiten nach dem Tod des Kaisers verwickelt, wurde er allerdings im Zuge der antilateinischen Ausschreitungen unter Andronikos Komnenos ermordet.35 Die Montferrat waren also durch eine eindrucksvolle doppelte Machtstellung zwischen West und Ost gekennzeichnet, die Hauptpfund, aber auch Hauptbelastung für einen Idoneitätsnachweis Bonifaz’ von Montferrat sein sollten. Wegen seiner vielfachen Eignung war Bonifaz nach dem Tod Graf Theobalds III. von der Champagne zum Führer des Vierten Kreuzzugs ernannt worden und diente auch als eine Art Schutzbeauftragter für den jungen Alexios IV. Angelos, der durch die Kreuzfahrer als Basileus eingesetzt werden sollte.36 Nach den folgenden Wirren und der Eroberung von Konstantinopel 1204 trat Bonifaz in die Fußstapfen seiner Brüder37 und festigte rasch seine Position: Die griechische Bevölkerung begrüßte ihn als künftigen Kaiser; sicherlich war dies auch dadurch bedingt, dass sie sich an die erfolgreichen Mitglieder seiner Familie erinnerten. Bonifaz besetzte den Löwenmaul-Palast und die Hagia Sophia und hatte somit die entscheidenden Zentralräume Konstantinopels unter seiner Herrschaft.38 Wohl auch zum zusätzlichen und zugleich verstetigenden Nachweis seiner Idoneität heiratete Bonifaz zu dieser Zeit die Witwe Kaiser Isaaks II. Angelos, Margarethe/Maria von Ungarn (die Tochter König Belas III. von Ungarn).39 Mit dieser Heirat schädigte jedoch Bonifaz in den Augen der Venezianer, die in Konstantinopel nach 1204 eine dominante Stellung innehatten, seine ohnehin vermeintlich zweifelhafte Idoneität. Für sie war der Markgraf nämlich vor allem wegen der Beziehungen seiner Familie zum byzantinischen Kaiserhaus und seinem daraus resultierenden Ansehen bei der griechischen Bevölkerung als lateinischer Kaiser nicht akzeptabel – zu stark und unabhängig wäre wohl seine Stellung gewesen. Hinzu trat die Machtposition der Montferrat in Oberitalien, die 35 T. ILGEN, Markgraf Conrad von Montferrat (wie Anm. 32), S. 36. 36 E. GERLAND, Geschichte des Kaisers Balduin I. und Heinrich, 1204-1216, Homburg v. d.
Höhe 1905, S. 24f.
37 Bonifaz soll unter anderem seinen Anspruch auf das Königreich Thessaloniki mit dem
Verweis auf dessen Verleihung an seinen Bruder Rainer legitimiert haben. Vgl. hierzu P. LOCK, The Franks in the Aegean, 1204-1500, London/New York 1995, S. 37 und J. LINSKILL, The Poems of the Troubadour Raimbaut de Vaqueiras, The Hague 1964, S. 227 und 309. 38 Geoffroy de Villehardouin, La conquête de Constantinople, ed. E. FARAL, Bd. 1: 11991203 (Les classiques de l’histoire de France au Moyen Âge 18), Paris 1938; Bd. 2: 12031207 (Les classiques de l’histoire de France au Moyen Âge 19), Paris 1939, cap. 249 und 250, S. 51-52; Robert de Clari, La Conquête de Constantinople, ed. P. LAUER (Les classiques de l’histoire de France au Moyen Âge 40), Paris 1924, cap. 80, S. 80. 39 Für manche Griechen war Bonifaz der eigentlich rechtmäßige Herrscher. Vgl. auch den Bericht Villehardouins (wie Anm. 38), cap. 279, S. 88 anlässlich der Auseinandersetzungen zwischen Bonifaz und Kaiser Balduin um Thessaloniki: Et lors comencent li Grieu a lui a torner par l’acointement de l’empereris, et, de tote la terre de la entor, a une jornee ou a deus, venir a sa merci. Vgl. hierzu auch P. LOCK, The Franks (wie Anm. 37), S. 37.
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der venezianischen Politik gefährlich werden konnte.40 Oberitalien war ein Zentralraum, der sich für die Idoneität Bonifaz’ als negativ erwies. Idoneität ist – dies zeigt das Beispiel Bonifaz’ deutlich – immer auch gruppenbezogene Bewertungssache. Zum Kaiser von Konstantinopel wurde Graf Balduin IX. von Flandern und VI. von Hennegau gewählt. Auch er stammte ebenso wie Bonifaz aus dem Hochadel; im Nordwesten des römisch-deutschen Reiches hatte er bedeutende Grafschaften inne. Sein gleichnamiger Vater war Graf von Flandern, Graf von Hennegau und Markgraf von Namur.41 Sein Großvater mütterlicherseits, Dietrich von Elsass, war insgesamt vier Mal in Palästina gewesen, unter anderem auf dem Zweiten Kreuzzug. Hier hatte Dietrich Sibylle von Anjou, die Tochter König Fulkos von Jerusalem, geheiratet.42 Über die Grafschaft Flandern trat Balduin auch in die illustre Reihe der Grafen von Flandern (Robert I. und Robert II.) ein, die in engen Kontakt mit dem byzantinischen Raum und den Kaisern in Konstantinopel gekommen waren und sich beim Ersten Kreuzzug hervorgetan
40 E. GERLAND, Geschichte (wie Anm. 36), S. 2 zu den Gründen: “Die Montferrat standen
schon seit längerer Zeit in Beziehung zu Byzanz. Es war nicht ausgeschlossen, daß sie im Osten fester einwurzelten und eine Herrschaft errichteten, die in der Hand eines italienischen Fürsten den Venetianern unbequem werden konnte.” Vgl. zur Frage des Zusammenhangs zwischen sozialem Kapital und Wahl am Beispiel der Wahlen von Erzbischöfen S. BURKHARDT, Mit Stab und Schwert. Bilder, Träger und Funktionen erzbischöflicher Herrschaft zur Zeit Kaiser Friedrich Barbarossas. Die Erzbistümer Köln und Mainz im Vergleich (Mittelalter-Forschungen 22), Ostfildern 2008, S. 113-128. Auf die wohl nicht ganz fiktiven Kalkulationen Enrico Dandolos hinsichtlich der Wahl des ersten Kaisers wies Niketas, Historia, cap. 6, S. 175-176 hin: “Da er blind und deshalb verhindert war, selbst gewählt zu werden, wollte er, dass ein heiter-umgänglicher und nicht herrschsüchtig-ehrgeiziger Mann das Kaisertum erhalte, noch mehr Wert aber legte er darauf, dass der zu Wählende sein eigenes Land weit weg vom Gebiete der Venetiker habe, damit er, sollte es einmal zu einem Zerwürfnis zwischen den Venetikern und ihm kommen, nicht gleich aus der Nähe Verstärkung von seinen eigenen Leuten holen oder mit Leichtigkeit in das Gebiet Venetias einbrechen, es durchstreifen und verwüsten könnte, was alles – wie er wusste – der Markesios Boniphatios aus Lambardia zu tun imstande gewesen wäre.” (vgl. die Edition der Historia des Niketas: Nicetae Choniatae historia, Bd. 1: Praefationem et textum continens, ed. J. L. VAN DIETEN [Corpus fontium historiae Byzantinae 11; Series Berolinensis], Berlin/New York 1975; hier nur zitiert nach der deutschen Übersetzung von F. GRABLER [Hg.], Die Kreuzfahrer erobern Konstantinopel. Die Regierungszeit der Kaiser Alexios Angelos, Isaak Angelos und Alexios Dukas, die Schicksale der Stadt nach der Einnahme sowie das “Buch von den Bildsäulen” (1195-1206) aus dem Geschichtswerk des Niketas Choniates [Byzantinische Geschichtsschreiber 9], Köln 1958). Vgl. hierzu auch E. GERLAND, Geschichte (wie Anm. 36), S. 2. 41 Vgl. zu Balduin und seiner Einordnung in den Hintergrund seiner Familie und der anderen Inhaber des flandrischen Grafentitels etwa K. N. CIGGAAR, Flemish Counts and Emperors. Friends and Foreigners in Byzantium, in: V. D. VAN AALST / K. N. CIGGAAR (Hgg.), The Latin Empire. Some Contributions, Hernen 1990, S. 33-62. 42 T. DE HEMPTINNE, Dietrich, 1. D. v. Elsaß, Gf. v. Flandern, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3, München 2000, Sp. 1021-1022.
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hatten43. Diese ‘Amtsgenealogie’ wurde durch verwandtschaftliche Bindungen unterstützt: Robert der Friese, ein eifriger Reisender in den mediterranen Osten, war Ururgroßvater Balduins. In gewissem Sinn war somit auch der Weg Balduins im Osten zum Teil vorbestimmt. Die Idoneität Balduins gewann jedoch weniger durch ein mögliches Beziehungsnetzwerk in Konstantinopel als vielmehr darin, dass er nur über Ahnen mit Erfahrungen, nicht aber über verwandtschaftliche Bindungen vor Ort verfügte. Gerade seine – im Vergleich zu Bonifaz – relative Unbekanntheit bei den Griechen Konstantinopels führte zusammen mit der Ferne seines eigentlichen Herrschaftsschwerpunktes dazu, dass er den Venezianern günstiger erschien als Bonifaz von Montferrat. Balduin wurde schließlich an Stelle des Markgrafen zum lateinischen Kaiser gewählt. In vielerlei Hinsicht zeigen sich somit bei der ersten Kaiserkür im Osten gegenüber dem Westen differente Idoneitätskonstrukte. Dies ist nicht nur eine Folge der speziellen Ausprägung kaiserlicher Herrschaft im lateinischen Kaiserreich, die sich erheblich von den Bedingungen des römisch-deutschen und byzantinischen Kaisertums unterschied. Vielmehr führte die Wahl durch das Kreuzfahrerheer in Kombination mit der faktischen Vetoposition der Venezianer zu einer ersten Kandidatenauswahl, die herrschaftspraktische Gründe über mögliche traditionelle Legitimierungsmöglichkeiten oder Eignungsvorstellungen stellte: Gesucht wurde nicht der Verwandte eines Kaiserhauses und auch nicht ein vom Papst examinierter und geförderter Kandidat, der vor allem Kirchen schützte, sondern ein fähiger Heerführer ohne zu viel Macht vor Ort und mit einer gewissen Distanz zu den griechischen Eliten.44 Recht rasch wurden diese gleichsam maßgeschneidert-personalisierten Kriterien jedoch durch ein traditionelles Idoneitätskriterium ersetzt: die Verwandtschaft mit dem jeweiligen Vorgänger, vermittelt auch über weibliche Erbfolge. Entsprechend folgten auf Balduin dessen Bruder Heinrich, sein Schwager Peter und seine Neffen Robert und Balduin II.45 Konkurrierende Konzepte suchte der unterlegene Bonifaz zu verwirklichen: Nach seiner Heirat knüpfte er über 43 Vgl. C. CAHEN, La politique orientale des comtes de Flandre et la lettre d’Alexis Com-
nène, in: P. SALMON (Hg.), Mélanges d’islamologie. Volume dédié à la mémoire de Armand Abel par ses collègues, ses élèves et ses amis, 3 Bde., Leiden 1974-1977, Bd. 1, S. 84-90; M. DE WAHA, La lettre d’Alexis Comnène à Robert le Frison, in: Byzantion 47 (1977), S. 115-125. 44 Auch Kaiser Peter I. hatte nicht nur an der Seite Philipps II. Augustus am 3. Kreuzzug teilgenommen, sondern auch an den Albigenserkriegen und kämpfte in der Schlacht von Bouvines. Vgl. J. LONGNON, L’Empire latin de Constantinople et la principauté de Morée. Avec 2 cartes, Paris 1949, S. 153-154. 45 Heinrich nannte sich während seiner Regentenzeit auch häufig “Bruder des Kaisers”. Vgl. Die Register Innocenz’ III. (wie Anm. 29), Bd. 8: 8. Pontifikatsjahr, 1205/1206, S. 239, Nr. 132 (131); ähnlich: J. LONGNON, Recherches sur la vie de Geoffroy de Villehardouin (Bibliothèque de l’École des Hautes Études, Sciences Historiques et Philologiques 276), Paris 1939, S. 192, Nr. 74. Auf Heinrich I. folgten der Mann seiner Schwester Jolante, Peter von Courtenay, auf Peter dann seine Söhne Robert und Balduin II. (nach dem Regenten Johann von Brienne).
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die Söhne seiner Gattin aus erster Ehe an byzantinische Traditionen an, konnte sich allerdings nie wieder als Kandidat für kaiserliche Herrschaft ins Spiel bringen. Schließlich wählte er auch den Weg der Verwandtschaft mit dem lateinischen Kaiserhaus und verheiratete seine eigene Tochter mit Balduins Bruder, Kaiser Heinrich.46 Man kann diese Fixierung auf verwandtschaftliche Bindungen als eine Art ‘Wettbewerbsnachteil’ des lateinischen Kaiserreichs ansehen. In westlicher Tradition war es nämlich faktisch undenkbar, einen regierenden Kaiser zu stürzen oder den Regierungswechsel zur Usurpation auszunützen. Dies führte letztlich auch dazu, dass nicht immer die fähigsten Personen den Thron bestiegen – eine Tatsache, die im schwierigen mediterranen Umfeld rasch problematische Folgen zeitigen konnte. Im byzantinischen Reich war es hingegen durchaus üblich, unfähige oder auch ‘minderjährige’ Herrscher mehr oder minder gewalttätig abzusetzen zugunsten von Personen, die zur Lösung aktueller Probleme bestimmenden Kreisen als geeigneter schienen.47 Wenngleich sich diese Usurpatoren selten lange an der Macht halten konnten und in den seltensten Fällen Dynastien hervorbrachten, konnte das byzantinische System – auch dank flankierender flexib46 Vgl. zum Verhalten des Bonifaz bei seinen Streitigkeiten mit Balduin auch Niketas, His-
toria (wie Anm. 40), cap. 7, S. 178: “Er besetzte Didymotoichon und befestigte die Stadt auf jede Weise. Außerdem wiegelte er die anderen thrakischen Städte auf – nur Orestias überging er, weil in ihr eine sehr große Schutztruppe des Balduinos lag –, legte ihnen Steuern auf und scharte die Rhomäer um sich. Bei allen hochheiligen Namen, vor denen die Menschen schaudern, verschwor er sich und sagte sich von allen Bündnissen und aller früheren Gemeinsamkeit mit den anderen Lateinern los und trat offen und entschieden auf die Seite der Rhomäer. Er tat auch noch ein übriges, um seine Sinnesänderung glaubhaft zu machen: er ließ Manuel, den erstgeborenen Sohn seiner Gattin Maria [= Margarethe], zum Kaiser der Rhomäer ausrufen und verzichtete zu dessen Gunsten auf den Namen und die Abzeichen eines Kaisers. Auf solches, wie sich später zeigte, unehrliches Blendwerk verlegte sich also der Markesios und lockte unter diesem schönen Vorwand die Rhomäer in hellen Scharen auf seine Seite”. Klar wertend zeigt sich Niketas, Historia (wie Anm. 40), cap. 7, S. 180 zur Herrschaftsübernahme Bonifaz’ von Montferrat in Thessaloniki: “In seinem Gefolge befanden sich auch einige Rhomäer, besonders solche aus der Zahl der Vornehmen, die in Wirklichkeit Wegbereiter und Ohrenbläser des Markesios und der Lateiner, Verführer und Verkuppler ihres eigenen Vaterlandes waren, wenn sie auch hinterhältig und betrügerisch vorgaben, sie wollten Manuel, dem Erstgeborenen Marias, die Pfade ebnen und die Länder zuschanzen.” Vgl. zur Heirat von Bonifaz’ Tochter Agnes mit Kaiser Heinrich: Ogerii Panis annales a. 1197-1219, ed. G. H. PERTZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 18), Hannover 1863, S. 115142, hier S. 125: In predicto quidem anno in civitate Ianuae armate fuerunt galee quatuor, in quibus delata fuit filia marchionis Bonifacii de Monferrato ad eum qui imperatorem Constantinopolitanum se appellari faciebat, cui copulari debebat. Vgl. auch Geoffroy de Villehardouin, La conquête (wie Anm. 38), cap. 458, S. 272: Et l’esposa l’empereres Henris au mostier Sainte Sophye, le diemenche aprés la feste madamme sainte Marie Candelor, a grant joie et a grant honor; et porterent corone ambedui; et furent les noces haltes et planieres el palais de Bochelion. Ensi fu fait li mariages de l’empereor e de la file le marchis Boniface, qui Agnés l’empereris’ avoit li nom, com vos avés oï. 47 Vgl. hierzu oben, Anm. 24.
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ler Legitimitätskonstrukte – kurzfristig effektiver auf Regierungsschwächen reagieren. Gewissermaßen standen in Byzanz täglich Fragen der ‘personalisierten’ kaiserlichen Idoneität auf der Agenda verschiedener Personenkreise, während diese im Westen durch ‘überpersönliche’ stabilisierende Kräfte ‘gepuffert’ wurden. Eine dieser entscheidenden Kräfte war zweifellos das Papsttum. Im Westen prüften die Päpste die Eignung der Kandidaten, maßen ihre Amtsausübung an bestimmten Kriterien und korrigierten bei Zuwiderhandeln. Erst wenn es die Kurie “reute den Menschen gemacht zu haben” und sie zur Überzeugung kam, dass die Idoneität eines Kaisers nicht mehr gegeben war – aufgrund seiner Amtsausübung und seines persönlichen Lebenswandels – und eine Absetzung verfügte, war der Weg zur Neuwahl frei.48 Die Idoneität des Herrschers und die Legitimität von Herrschaft sind bezüglich dieses Punktes besonders eng verbunden. Das bedeutete freilich nicht, dass auch andere Personenkreise mit dem Entzug der päpstlichen Gnade einen Herrscher automatisch für ungeeignet hielten, weiterhin die Regierung auszuüben. Der Nachweis von Idoneität qua Verwandtschaft (und eventuell deren Bestätigung durch Wahl) war – wie bereits geschildert – im Westen Garant für eine lang andauernde Herrschaftsausübung: Das Blut der Familie war hier sehr viel dicker als das Wasser politischer Differenzen. Im lateinischen Kaiserreich selbst sollte es nie zu ernsten Meinungsverschiedenheiten zwischen den Kaisern und den jeweiligen Päpsten kommen; zu klar waren die Abhängigkeiten, zu gering die realen Streitpunkte bzw. die Überschneidung der Machtsphären.49 Im Großen und Ganzen erkannte das Papsttum die Anstrengungen der lateinischen Kaiser bei der Erfüllung ihrer Aufgaben an. Hinzu trat die Rolle der Venezianer: Ihre Stellung in Konstantinopel setzte die Wirksamkeit päpstlicher Interventionen vor Ort stark herab. Ganz anders sah die Sache in Italien aus. Das konfliktreiche Zusammenspiel von Idoneitätsüberzeugungen, verwandtschaftlichen Bindungen und päpstlicher Herrschaft lässt sich nämlich auch deutlich am Beispiel des römisch-deutschen Kaisers Friedrich II. nachvollziehen. Sicherlich fand seine Wahl unter ganz anderen Vorzeichen wie diejenige Balduins von Flandern statt, entfaltete sich seine Herrschaft in ganz anderen Kontexten. Dennoch lassen sich ähnliche Diskurse um seine Idoneität mit ähnlichen Legitimationskonstrukten und Argumentationsmustern nachweisen. Auch das westliche Kaisertum wurde um 1200 durch starke Entwicklungsdynamiken geprägt, die sich in der Figur Friedrichs II. widerspiegeln. 48 Vgl. die Äußerungen von Innozenz III. über Otto IV.: Altissimus, qui puritatem animi nostri
plene cognoscit, nec sine causa legitur de se ipso dixisse: ‘Panitet me fecisse hominem’ (Innocentii III Regesta sive Epistolae, in: Migne Patrologia Latina 216, lib. XIII, ep. 210, Sp. 375). 49 So spricht auch E. GERLAND, Geschichte (wie Anm. 36), S. 73 davon, dass “die weite Entfernung und die mangelhafte Verbindung zwischen Rom und Konstantinopel hemmend auf jede Wendung der päpstlichen Politik einwirken” musste”. Vgl. zum Papsttum J. GILL, Byzantium and the Papacy, 1198-1400, New Brunswick (NJ) 1979, S. 9-96.
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Seine Abstammung aus zwei Dynastien – Staufern und Hautevilles – vererbte ihm gleichsam auch alle Erfahrungen, die andere Akteursgruppen mit seinen Ahnen gemacht hatten.50 Als Staufer standen ihm nicht nur bestimmte Gruppen der deutschen Großen nahe, sondern auch bestimmte oberitalienische Städte und manche gekrönten Häupter Europas. Umgekehrt ererbte er die Skepsis anderer Kommunen Oberitaliens und des Papsttums an sich – allzu lebendig war noch die Erinnerung an die Wirren des Alexandrinischen Schismas.51 Und auch in Sizilien war die Erinnerung an Heinrich VI. und die staufische Eroberung wach.52 Bereits vor seiner Krönung wurde Friedrich II. als Angehöriger der Staufer wohl im Zusammenhang mit dem Kaisertum gedacht – auch in dieser Hinsicht ‘ererbte’ er bestimmte Konzeptionen und Erwartungshaltungen, die er erfüllen oder von denen er sich distanzieren musste, wollte er bestimmte Akteursgruppen nicht enttäuschen oder verärgern. Insbesondere das welfische Kaisertum diente als Negativfolie, von deren dunklem Hintergrund sich seine Regierung umso strahlender abheben musste.53 Darüber hinaus war Friedrich aber auch Angehöriger des normannischen Königshauses der Hauteville und stand so in der Tradition der süditalienischen Herrscherfamilie, musste auch hier bestimmte Erwartungen erfüllen, wenn er sich nicht als ungeeigneter Herrscher erweisen sollte.54 Entscheidend für die Durchsetzung Friedrichs war neben seiner Abstammung seine (potentielle) Herrschaft über zwei Zentralräume: Als König Süditaliens war er Hauptgegner der Expansionspläne Ottos IV., als Angehöriger einer angesehenen Dynastie des römisch-deutschen Reiches kam er auch dafür infrage, den Welfen seiner Machtbasis im Norden zu berauben. Die Herrschaft im Norden war unabdingbar dafür, dass Friedrich durch Innozenz III. als Kandidat gegen Otto IV. in Stellung gebracht werden konnte. Zugleich sprach aber eine Herrschaft über beide Räume aus Sicht des Papsttums gerade gegen die Eignung Friedrichs II. für den Kaiserthron – so drohte die gefürchtete unio regni ad
50 S. BURKHARDT, Anfänge der Staufer nördlich der Alpen – Normannische Wurzeln im
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Süden, in: B. SCHNEIDMÜLLER / S. WEINFURTER / A. WIECZOREK (Hgg.), Die Staufer und Italien. Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa (Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen 37/38), 2 Bde., Darmstadt 2010, Bd. 1: Essays, S. 73-80. Vgl. für die Kontinuitäten in Oberitalien etwa K. GÖRICH, Misstrauen aus Erfahrung. Mailand und Friedrich II., in: Frühmittelalterliche Studien 38 (2005), S. 411-429. H. JERICKE, Imperator Romanorum et rex Siciliae. Kaiser Heinrich VI. und sein Ringen um das normannisch-sizilische Königreich (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 765), Frankfurt a. M./Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1997. Vgl. B. U. HUCKER, Otto IV. Der wiederentdeckte Kaiser. Eine Biographie (Insel-Taschenbuch 2557), Frankfurt a. M./Leipzig 2003, S. 183-201. T. KÖLZER, Ein mühevoller Beginn. Friedrich II. 1198-1212 in: F.-A. BORNSCHLEGEL / T. KÖLZER / C. FRIEDL / G. VOGELER (Hgg.), De litteris, manuscriptis, inscriptionibus… Festschrift zum 65. Geburtstag von Walter Koch, Wien/Köln/Weimar 2007, S. 605-616.
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imperium, die ja auch gewissermaßen in der Abstammung Friedrichs angelegt war.55 Bereits frühzeitig stand der Staufer nicht nur in dieser Hinsicht unter einer Art päpstlichem Eignungsvorbehalt, scharf achtete die Kurie auf die Erfüllung der von ihr angelegten Maßstäbe durch den päpstlich legitimierten ‘Usurpator’.56 Folglich überlagerte bei Friedrich II. die Erfüllung der kaiserlichen Funktionen alle anderen Idoneitätskriterien. Allerdings stand das auferlegte Schema durchaus in Widerspruch zu anderen Idoneitätskonstrukten – die Erfüllung der Verpflichtung zum Kreuzzug kollidierte möglicherweise auch mit der Vorstellung am süditalienischen Königshof von den Notwendigkeiten, denen ein König entsprechen musste. Erst sollten die Dinge in Sizilien geordnet werden, die großen Gesetzessammlungen und Reformvorhaben entsprangen nicht nur der alleinigen Intention Friedrichs II., sondern waren wohl auch Ergebnis einer tragenden Schicht bestimmter Kreise.57 Friedrich suchte offensichtlich eine Doppelstrategie zu verfolgen, um diesem Dilemma zu entfliehen: Zum einen kam er den päpstlichen Forderungen nach – etwa durch eine energische Ketzerbekämpfung und Kirchenschutz – zum anderen stellte er sich durch Gesetzgebungsmaßnahmen in normannische Traditionen.58 Auch die Aufnahme von Elementen der normannischen symbolischen Kommunikation diente letztlich dem Nachweis der Idoneität, die hier – gleichsam in der ex-post-Perspektive – praktisch ununterscheidbar von der Legitimität ist. Weitere Möglichkeiten, die eigene Herrschaft als berechtigt und sich selbst als geeignet zu inszenieren, lassen sich dem Themenbereich der Verwandtschaft zuordnen. Hierzu sind etwa die Ehen Friedrichs zu zählen, die ihn mit den Königshäusern von Aragon, Jerusalem und England sowie mit dem Kaiserhaus Nikaia verbanden.59 Dieses Konnubium führte dazu, dass Friedrich in verstärk55 W. STÜRNER, Friedrich II. 1194-1250, 2 Bde., Darmstadt ³2009, Bd. 1, S. 240-253. 56 Deutlich wird diese Sicht auf Friedrich II. etwa in Albert von Stade, Annales, ed.
J. M. LAPPENBERG (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 16), Hannover 1859 (ND Stuttgart 1963), S. 271-379, hier ad annum 1212, S. 355: Papa Innocentius imperatori redeunti in Alemanniam adversarium suscitavit, scilicet Fridericum regem Siciliae, Hinrici imperatoris filium, cui per papam multae civitates accesserunt Italiae. 57 W. STÜRNER, Die Konstitutionen (wie Anm. 11), S. 263-275; K. VAN EICKELS, Legitimierung (wie Anm. 11), S. 394-397. 58 Vgl. hierzu etwa die sogenannte Constitutio in Basilica beati Petri, ed. L. WEILAND (Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et acta publica imperatorum et regum 2), Hannover 1896, Nr. 85f., S. 106-110. Vgl. zur Gesetzgebung Friedrichs II. auch W. STÜRNER, Friedrich II. (wie Anm. 55), Bd. 2, S. 189-210. 59 Vgl. zum Hintergrund O. B. RADER, Kaiser Friedrich II. und Jerusalem, in: M. FANSA (Hg.), Kaiser Friedrich II. (1194-1250). Welt und Kultur des Mittelmeerraums. Begleitband zur Sonderausstellung “Kaiser Friedrich II. (1194-1250). Welt und Kultur des Mittelmeerraums” im Landesmuseum für Natur und Mensch, Oldenburg (Schriftenreihe des Landesmuseums für Natur und Mensch 55), Mainz 2008, S. 104-111. Vgl. zum bedeutenden Faktor unehelicher Kaisersöhne etwa C. SPERLE, König Enzo von Sardinien und Friedrich von Antiochia. Zwei illegitime Söhne Kaiser Friedrichs II. und ihre Rolle in
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tem Maße auch durch europäische Monarchen als geeignet und legitim angesehen wurde. Dies half, eine einseitige Wertung anhand päpstlicher Idoneitätsvorstellungen zu verhindern und die kaiserliche Herrschaft zu einem gewissen Teil auf ‘normales’, ‘europäisches’ Niveau zurückzuführen – nicht allein der Papst hatte zu urteilen, auch die europäische Verwandtschaft. Ja, mehr noch: Die Aussicht auf eine kaiserliche Heirat konnte Bündnisse beflügeln, stieg doch der potentielle Schwiegervater in den Rang der Monarchengemeinschaft – Idoneitätskonzepte sind auch offen für Rangfragen. Im Zusammenhang mit Fragen der Verwandtschaft sind ebenso die Konstrukte zu behandeln, die Amtskonzepte in Geschlechtern überhöhen und gleichsam Idoneität auch jenseits der direkten Blutlinie ‘vererbbar’ machen. Die bekanntesten hierunter sind die Vorstellungen eines Kaisergeschlechts, wie sie sich unter anderem in der berühmten Rede des Nikolaus (‘von Bari’) und dem Kanzelrelief in der Kathedrale zu Bitonto manifestieren.60 Greifbarer als diese luftigen Konstruktionen waren zweifellos Fragen der unmittelbaren Herrschaftsnachfolge. Obwohl es keine Erbmonarchie im herkömmlichen Sinne war, stand für das römische Kaisertum eine Möglichkeit bereit, die Idoneität des eigenen Nachfolgers so zu verstetigen, dass sie im Normalfall nicht mehr hinterfragt werden konnte – die Wahl des Nachfolgers zum römisch-deutschen König. Obwohl er einst zunächst auf seinen Anspruch zugunsten seines Onkels Philipp von Schwaben hatte verzichten müssen, griff auch Friedrich II. auf diese Möglichkeit zurück und verstetigte so die Herrschaft seines Hauses: Heinrich (VII.) und Konrad IV. wurden vivente imperatore gewählt.61 Virulent wurde bei solchen Handlungen erneut die sich abzeichnende Frage nach der Herrschaft über die jeweiligen Zentralräume – eine Herrschaft der Verwaltung des Regnum Italiae (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 894), Frankfurt a. M./Berlin/Bern/Brüssel/New York/Oxford/Wien 2001, insb. S. 107-114 und 253-262; A. KIESEWETTER, Die Heirat zwischen Konstanze-Anna von Hohenstaufen und Kaiser Johannes III. Batatzes von Nikaia (Ende 1240 oder Anfang 1241) und der Angriff des Johannes Batatzes auf Konstantinopel im Mai oder Juni 1241, in: Römische historische Mitteilungen 41 (1999), S. 239-249, insb. S. 245-248. 60 Vgl. zu Nikolaus und dem Kanzelrelief R. M. KLOOS, Nikolaus von Bari, eine neue Quelle zur Entwicklung der Kaiseridee unter Friedrich II., in: G. WOLF (Hg.), Stupor mundi. Zur Geschichte Friedrichs II. von Hohenstaufen (Wege der Forschung 101), Darmstadt ²1982, S. 134-146 und im gleichen Band H. M. SCHALLER, Das Relief an der Kanzel der Kathedrale von Bitonto. Ein Denkmal der Kaiseridee Friedrichs II., S. 299-324; vgl. auch grundsätzlich F. DELLE DONNE, Il potere e la sua legittimazione. Letteratura encomiastica in onore di Federico II di Svevia (Testis Temporum 2), Arce 2005, S. 99-129 und W. STÜRNER, Friedrich II. (wie Anm. 55), Bd. 2, S. 174-178. 61 V. HUTH, Reichsinsignien und Herrschaftsentzug. Eine vergleichende Skizze zu Heinrich IV. und Heinrich (VII.) im Spiegel der Vorgänge von 1105/6 und 1235, in: Frühmittelalterliche Studien 26 (1992), S. 287-330; W. STÜRNER, Der Staufer Heinrich (VII.) (1211-1242). Lebensstationen eines gescheiterten Königs, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 52 (1993), S. 13-33.
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des Nachfolgers über regnum und imperium hätte zweifellos den energischen Widerstand der Kurie zur Folge gehabt. Die Grenzen der Vererbbarkeit zeigte ebenfalls die Situation in Oberitalien recht deutlich: Über mehrere Jahrzehnte führte Friedrich II. erbitterte Auseinandersetzungen mit den übermächtigen lombardischen Kommunen unter der Führung Mailands. In den Kämpfen standen erneut funktionale Aspekte im Vordergrund, widersprachen zu einem gewissen Teil den oben geschilderten Konzeptionen des Staufers: Für die kommunalen Machthaber war die Nützlichkeit des Kaisers für ihre Stadt entscheidend, für den Staufer seine ererbte Stellung. Neben den Konflikten um Konzepte der Ehre und Autorität könnten es auch Konflikte um die Idoneitätskonzeptionen gewesen sein, die den norditalienischen Konflikt zwischen Staufern und Kommunen befeuerten.62 Als entscheidend für das weitere Schicksal Friedrichs II. sollte sich jedoch die Wertung des Papsttums erweisen. Die auf die kaiserlichen Funktionen bezogenen negativen päpstlichen Idoneitätsbewertungen dominierten letztlich alle anderen Maßstäbe, die man an die Eignung des Kaisers ebenso anlegen konnte. Gerade das Konzil von Lyon war Arena dieser Auseinandersetzungen.63 Bezeichnenderweise wurde neben Friedrich II. auch zugleich sein Sohn Konrad IV. exkommuniziert und abgesetzt. Es würde sich lohnen, die dortigen Ereignisse unter dem Aspekt der Idoneität zu betrachten.64
Schlussbetrachtung Der Vergleich der beiden Ausprägungen mediterranen Kaisertums zeigte unterschiedliche Idoneitätskonstrukte. Im Falle der lateinischen Kaiser von Konstantinopel fand sich praktisch keine Koppelung der Idoneität an bestimmte traditi62 S. BURKHARDT, Verhandelte Autorität (wie Anm. 14). 63 Vgl. zur Anwesenheit des lateinischen Kaisers Balduin II. auf dem Konzil von Lyon
H. WOLTER / H. HOLSTEIN, Lyon (wie Anm. 2), S. 71 u. 74 und zu den Auswirkungen S. 133f. 64 Vgl. etwa auch die unterstützende Funktion, die die Könige von Frankreich und England nach dem Bericht des Matthaeus Paris (Ex Mathei Parisiensis Cronicis Maioribus [wie Anm. 1], S. 260) auf dem Konzil von Lyon ausübten: Sequenti vero die ad instanciam procuratorum regum Anglie et Francie, maxime vero Anglie, qui periculo et dedecori eius plus aliis propter affinitatem inter ipsum imperatorem et regem Anglie et fedus amicicie contractum tanti principis condoluerunt, concesse sunt ipsi Thadeo inducie fere duarum ebdomadarum, non sine multorum gravamine Lugduni expectancium. Diese Versuche kann man auch als Indikator für die Auseinandersetzungen um unterschiedliche Idoneitätskonzepte sehen: Verwandtschaft gegen päpstliche Eignungsprüfung. Gewissermaßen tragisch realitätsfern wirkt auch etwa das sogenannte Testament Friedrichs II., in dem er seinen Sohn Konrad auch als “Erben im Kaiserreich” (Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones 2 [wie Anm. 58], Nr. 274, S. 382-389) einsetzt.
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onelle Ideale kaiserlicher Herrschaft: Zunächst wurde derjenige gewählt, der den Baronen und vor allem den Venezianern am geeignetsten erschien, unmittelbare Probleme vor Ort zu lösen – ohne Rücksicht auf päpstliche Vorstellungen oder die Meinung der griechischen Archonten. Das Wahlprinzip – und mit ihm differenzierte Vorstellungen von Idoneität – konnte sich jedoch gegen die Dominanz der Verwandtschaft als maßgebliches Kriterium für eine Eignung als Kaiser nicht durchsetzen. Der lateinische Kaiser war zwar praktisch qua Amt auf Kreuzzug und Mission festgelegt, eingefordert wurden diese Funktionen jedoch von päpstlicher Seite nicht – zu klar war die Schwäche der lateinischen Herrschaft; ebenso verzichtete etwa Venedig auf Einflussnahme, solange nur die venezianischen Privilegien gewahrt blieben und bestätigt wurden. Die Kontinuität des lateinischen Kaiserthrons – die jeweilige Idoneität der Kandidaten – blieb somit über das Kriterium der Verwandtschaft definiert, durch das Papsttum stabilisiert und, in Maßen, durch Venedig kontrolliert. Diese Konfiguration war so stark, dass sie sogar das Ende der realen Herrschaft überdauern konnte – das lateinische Kaisertum bestand noch längere Zeit als süditalienische Titularwürde weiter. Im Falle Friedrichs II. kam es hingegen in zweifacher Hinsicht zu einer Koppelung von Idoneität und kaiserlicher Funktionserfüllung:65 Zum einen unterwarf das Papsttum Friedrich II. einer verstärkten Überprüfung seiner Amtsführung. Seine Regierung war den Diskussionen des Thronstreites entsprungen; er war gleichsam als ‘Gegenkonzept’ zu Otto IV. gefördert worden. Zum anderen unterlag die Herrschaft Friedrichs aber auch in Oberitalien einem verstärkten Druck dahingehend, seine Idoneität zu hinterfragen. Gegenüber beiden Tendenzen erwiesen sich die Versuche, Idoneität etwa über verwandtschaftsbasierte Konstrukte zu verstetigen, als unterlegen. Ja, ‘Verwandtschaft’ oder die Herrschaft über bestimmte Zentralräume wurden nach der Absetzung Friedrichs II. durch die Kurie eher negativ gebraucht: Das Papsttum wollte keinen Nachfolger aus der “Schlangenbrut”, dem Geschlecht der Kirchenverfolger, der eventuell auch noch eine unio regni ad imperium anstreben wollte.66 Vielmehr wurde auch bei der Suche nach einem Nachfolger in Sizilien gerade derjenige als geeignet angesehen, der keine verwandtschaftliche Bindung zu den Staufern auf65 Umgekehrt wirft etwa die kaiserliche Streitschrift Levate in circuitu (Historia diplomatica
Friderici Secundi, ed. J. L. A. HUILLARD-BRÉHOLLES, 6 Bde., Paris 1852-1861, Bd. 5/1, Paris 1859, S. 295-307) dem Papst mangelnde Idoneität vor. 66 Vgl. etwa den Brief von Innozenz IV. an die Stadt Neapel (Epistolae saeculi XIII e regestis pontificum Romanorum, ed. C. RODENBERG [Monumenta Germaniae Historica, Epistolae saeculi XIII], Bd. 3, Berlin 1894, Nr. 125, S. 105-107, insbesondere S. 105): Sublato namque Fr. quondam Romanorum imperatore ac Sicilie rege de medio, qui, austeritate Pharao, Herodes impietate sevitiaque Nero, predictum regnum continue afflictionis iugo depresserat et furoris immanis gladio laniarat, eadem civitas, ut regnum ipsum ad statum reduceretur liberum et tranquillum et a pristine oppressionis erueretur oneribus, que adhuc illius pestilentis reliquie, ipsius videlicet filii, paterne malitie successores, eidem inferre regno more patrio utpote genimina viperarum venenosa egressa de colubro moliuntur.)
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zuweisen hatte und keine Ambitionen erkennen ließ, den römisch-deutschen Königsthron anzustreben und damit Anspruch auf die römische Kaiserwürde zu erheben. Hingegen sollte der Erwählte des Papstes – Karl I. von Anjou – als sizilischer König auch all jene Aufgaben erfüllen, die an Friedrich II. gestellt worden waren. Der Vergleich des lateinischen und des römischen Kaisertums im 13. Jahrhundert machte deutlich, dass die Frage nach Kriterien kaiserlicher Idoneität nicht einfach zu beantworten ist, sich die Materie als sperrig gegenüber einer Systematisierung erweist. Diese Schwierigkeiten beruhen zum einen auf den höchst unterschiedlichen Rahmenbedingungen der verschiedenen Ausprägungen kaiserlicher Herrschaft. Diese differierenden Kontexte brachten auch recht verschiedene Konfigurationen kaiserlicher Idoneität – Konzepte und bewertende Gremien – hervor. So unterlag das römische Westkaisertum einer verstärkten Beobachtung und Prüfung durch das Papsttum. Zum anderen zeigt sich aber auch die generelle Dominanz von Vorstellungen genealogischer Bindungen von Idoneität gegenüber anderen, etwa funktionalen Kriterien. Nur in Umbruchsituationen – wie etwa bei Dynastiewechseln – wurden diese Kriterien der Funktionserfüllung verstärkt berücksichtigt. Diese Spannungen an den Bruchstellen der Herrscherreihen will der vorliegende Band für künftige Forschungen von Idealen der Idoneität nutzbar machen.
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Cesarea oder viperea stirps? Zur Behauptung und Bestreitung persönlicher und dynastischer Idoneität der späten Staufer in kurialen und adligen Diskursen des 13. Jahrhunderts
[…] ex imperatore tyrampnus, ex protectore impugnator, ex defensore factus est ecclesie persecutor.1 Mit diesen harschen Worten zeichnete der franziskanische Verfasser der Vita Innocentii IV., Nikolaus von Calvi,2 im ersten Kapitel seines Werkes ein de
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Dieser Aufsatz stellt einige wesentliche Ergebnisse der im Rahmen des Projektbereichs A “Dynastie, Idoneität und Transzendenz in der Historiographie der Stauferzeit” im Teilprojekt C des Dresdner Sonderforschungsbereichs 804 “Transzendenz und Gemeinsinn” betriebenen Forschungen zur Verbindung von Idoneitätsvorstellungen und genealogischen Konzeptionen am Beispiel des süditalienischen Raumes vor. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei meinem langjährigen Mitarbeiter in diesem Forschungsprojekt, Herrn Kai Hering, für die zahlreichen fruchtbaren Diskussionen und insbesondere für die unermüdliche Hilfe bei der sprachlichen Korrektur des vorliegenden Textes. Für die sorgfältige Lektüre des Manuskriptes danke ich außerdem sehr herzlich Herrn Lukas Clemens und Frau Katrin Rösler. Die Vita Innocentii IV. scripta a fratre Nicolao de Carbio findet sich in einer neuen Transkription in: A. MELLONI, Innocenzo IV. La concezione e l’esperienza della cristianità come regimen unius personae (Testi e ricerche di storia religiosa N.S. 4), Genua 1990, S. 259-293, hier S. 259, cap. 1: […] ab Honorio papa tertio in arcem imperiali magnificentie sublimatus, ut tamquam christianissimus imperator sacrosanctam Romanam ecclesiam, multiplici persecutione ac tyrampnide Octonis imperatoris predecessoris ipsius ea tempestate graviter molestatam, tanto defensaret fidelius, quanto per eam extiterat gracius exaltatus, imperiali derogans maiestati et tue promotionis ingratus, ex imperatore tyrampnus, ex protectore impugnator, ex defensore factus est ecclesie persecutor. Quippe in eam, quam toto conamine tueri debuerat, toto exorsus est malignitatis spiritu debac(c)hari. Geboren im Umbrien im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts, trat Nikolaus als Franziskaner dem Konvent in Narni bei. Während des Kardinalats von Sinibaldo Fieschi, dem späteren Papst Innozenz IV., wurde er Mitglied von dessen familia. Nach der Wahl Sinibaldos zum Papst blieb er in seiner Gefolgschaft und wurde päpstlicher Kapellan und Beichtvater. Im Jahre 1250 wurde er zum Bischof von Assisi gewählt, der er bis zu seinem Tod 1273 blieb; vgl. P. VOGEL, Nikolaus von Calvi und seine Lebensbeschreibung des Papstes Innozenz IV. (Münstersche Beiträge zur Geschichtsforschung 72), Münster 1939; A. PARAVICINI BAGLIANI, Le biografie papali duecentesche e il senso della storia, in: Il senso della storia nella cultura medievale italiana (1150-1350). XIV convegno di studi (Pistoia, 14-17 maggio 1993), Pistoia 1995, S. 155-173, hier S. 162-173; N. D’ACUNTO, La cattedra scomoda. Niccolò da Calvi, frate Minore e vescovo di Assisi (1250-1273), in: Il difficile mestiere di vescovo (secoli X-XIV) (Quaderni di storia religiosa 7), Caselle di Sommacampagna (VR) 2000, S. 189-216; DERS., Il primo vescovo francescano: Niccolò
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zidiert negatives Bild Kaiser Friedrichs II. Diese Auffassung, der staufische Kaiser sei ein Tyrann, ein Bekämpfer und ein Verfolger der Kirche, entsprach einer Inversion der Idealvorstellungen eines gerechten und kirchentreuen Herrschers und spiegelte ex negativo die Darstellung eines idealen christianissimus imperator wider.3 Nikolaus’ vernichtendes Urteil über Friedrich II. wurde in den päpstlichen Schriften seiner Zeit und in der hiervon beeinflussten antistaufischen Historiographie auch auf die Nachkommen des Stauferkaisers übertragen. Im Hintergrund der drastischen Bewertungen des Kaisers und seiner Nachkommenschaft, die in der Innozenz-Vita zu finden sind, verbirgt sich der schon seit mehreren Generationen bestehende Konflikt zwischen Kaisertum und Kirche, zwischen regnum und sacerdotium. Der franziskanische Autor misst in seiner Papstvita dieser grundlegenden Auseinandersetzung eine zentrale Bedeutung bei, weil sie einen der größten Schwerpunkte des Pontifikats von Innozenz IV. (1243-1254) darstellt. So wird in der päpstlichen Biographie den Taten des Kaisers viel Raum gewidmet. Gleich am Anfang konzentriert sich der Verfasser auf
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da Calvi (1250-1273), in: DERS., Assisi nel Medioevo. Studi di storia ecclesiastica e civile (Quaderni dell’Accademia properziana del Subasio 8), Assisi 2002, S. 207-235. Die Bezeichnung christianissimus imperator stammt von Eusebius und führte im Falle Kaiser Konstantins zur Gleichsetzung der Rolle des propagator imperii mit der des propagator ecclesiae. Ambrosius erweiterte den Begriff um die Tugend der Frömmigkeit. Theodosius entsprach in Anlehnung an das Beispiel des Königs David dem Idealbild eines christlichen Kaisers, der restitutor ecclesiae und vindex fidei, aber auch propagator ecclesiae und praedicator Christi zu sein hatte; vgl. H. BELLEN, Christianissimus Imperator. Zur Christianisierung der römischen Kaiserideologie von Constantin bis Theodosius, in: R. GÜNTHER / S. R. REBENICH (Hgg.), E fontibus haurire. Beiträge zur römischen Geschichte und zu ihren Hilfswissenschaften (Heinrich Chantraine zum 65. Geburtstag) (Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums 1/8), Paderborn 1994, S. 3-19 und K. GROSS-ALBENHAUSEN, Imperator christianissimus. Der christliche Kaiser bei Ambrosius und Johannes Chrysostomus (Frankfurter althistorische Beiträge 3), Frankfurt a. M. 1999. Der Begriff christianissimus princeps oder rex findet sich in mehreren Briefen Alexanders III. an Ludwig VII., König von Frankreich. Im Jahr 1161 berichtete Alexander III. dem französischen König über die konfliktreichen Ereignisse im Reich und beschrieb das von seinen eigentlichen Pflichten gegenüber der Kirche stark abweichende Verhalten des Kaisers: Illo, siquidem Friderico, qui pro suis officiis debito advocatus ecclesie ac defensor deberet existere, adversus eam crudeliter servientes tu sicut princeps christianissimus eam diligis et honoras et ipsam sincero venerari affectu; Alexandri III Romani Pontificis opera omnia: id est epistolae et privilegia, in: Patrologia Latina, Bd. 200, Paris 1855, Sp. 100. Vier Jahre später machte Papst Alexander in einem Brief erneut deutlich, dass er an der Sorge und Einsatzbereitschaft Ludwigs in Belangen der römischen Kirche keine Zweifel hegte: Quoniam sicut charissimus et specialem ecclesiae filium, et catholicum principem, ac regem christianissimum, de statu ecclesiae et nostro sollicitum et studiosum existere minime dubitamus; ebd., Sp. 382. Dazu vgl. G. B. LANDNER, The Concepts of ecclesia and christianitas and their Relation to the Idea of Papal plenitudo potestatis from Gregory VII to Boniface VIII, in: DERS., Images and Ideas in the Middle Ages. Selected Studies in History and Art (Storia e Letteratura. Studi e testi 156), Rom 1983, S. 487-515, hier 500501. Über diese Eigenschaft als Idoneitätsmerkmal eines Königs siehe M. Z. ISENRING, Fürstenethik in den Schreiben der Päpste von Gregor VII. bis Coelestin III. (1073-1198), Bern 1970, S. 60-62.
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die Erzählung des Umgangs Friedrichs mit den Päpsten schon seit den ersten Jahren nach dem Tod Heinrichs VI. Laut der Darstellung Nikolaus’ war Friedrich II. seit seiner Kindheit von Papst Innozenz III. (1198-1216) amore tenero im Königreich Sizilien ernährt und erzogen,4 dann von Innozenz’ Nachfolger Honorius III. (1216-1227) zur kaiserlichen Macht verholfen worden. Er hatte seine Idoneität als catholicus princeps für den apostolischen Stuhl bewiesen und war infolgedessen mit der Aufgabe betraut, die Kirche zu schützen:5 je mehr Friedrich das Papsttum gegen die vielfältigen Verfolgungen Ottos IV. treu (fidelius) verteidigte, desto mehr wurde er von der Kirche dankbar erhöht.6 Die Erwartungen der Kurie gegenüber Friedrich II. wandelten sich jedoch zu einer bitteren Enttäuschung. Schon während des Pontifikats von Gregor IX. (1227-1241), der knapp zwei Jahre vor der Amtszeit von Innozenz IV. gestorben war, änderten sich die Beziehungen zwischen Kaiser und Papst.7 Friedrich II. entzog sich den kaiserlichen Pflichten und zeigte sich undankbar für die 4
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Vita Innocentii IV. (wie Anm. 1), S. 259. In einem Brief vom 12. Juli 1213 (Historia diplomatica Frederici secundi, ed. J. L. A. HUILLARD-BRÉHOLLES, 6 Bde., Paris 18521861, hier Bd. 1/1, S. 268-271, insbesondere S. 269 und 270 [nachfolgend zitiert als HB]; Die Urkunden Friedrichs II. 1212-1217, bearb. v. W. KOCH unter Mitwirkung von K. HÖFLINGER / J. SPIEGEL / C. FRIEDL [Monumenta Germaniae Historica, Diplomata regum et imperatorum Germaniae 14/2], Hannover 2007, S. 74-77, doc. 204) bezeichnete Friedrich den amtierenden Papst Innozenz III. als protector et benefactor […] per cuius benefitium, operam et tutelam aliti sumus, protecti pariter et promoti. Er versprach der katholischen Kirche obedientia, honorificentia atque reverentia, wie seine kaiserlichen und königlichen Vorgänger, und versicherte dem Papst, die Missetaten seiner Vorfahren zu vermeiden: So wollte er die freie, kanonische Wahl der Bischöfe und die Besitzungen der Kirche respektieren und gleichzeitig zu deren Schutz und Verteidigung tamquam devotus filius et catholicus princeps bereit sein. Am selben Tag leistete Friedrich in einem anderen Dokument (HB 1/1, S. 272-273) seinen Treueid gegenüber der Kirche als defensor und advocatus. T. KÖLZER, Ein mühevoller Beginn: Friedrich II. 1198-1212, in: T. KÖLZER / F.-A. BORNSCHLEGEL / C. FRIEDL / G. VOGELER (Hgg.), De litteris, manuscriptis, inscriptionibus … Festschrift zum 65. Geburtstag von Walter Koch, Wien/Köln/Weimar 2007, S. 605-616. Im Jahre 1219 wiederholte Friedrich II. gegenüber Papst Honorius III. wörtlich die am 12. Juli 1213 gemachten Versprechungen tamquam devotus filius et catholicus princeps (siehe Anm. 4); HB (wie Anm. 4), Bd. 1/2, S. 675-676; und Friderici II. Constitutiones, in: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum (1198-1272), ed. L. WEILAND (Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et acta publica 2), Hannover 1896, S. 7779. Am 22. November 1220 krönte der Papst Friedrich II. zum römischen Kaiser; siehe W. STÜRNER, Friedrich II., Teil I: Die Königsherrschaft in Sizilien und Deutschland 1194-1220, Darmstadt 1992, und Teil II: Der Kaiser 1220-1250, Darmstadt 2000, hier Teil I, S. 246-253. Siehe dazu noch T. FRANTZ, Der große Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum zur Zeit des Hohenstaufen Friedrich II., Mannheim 1903, insbesondere S. 125-156 und zu den Verhandlungen in Gaeta jetzt K. GÖRICH, Friedensverhandlungen mit Rücksicht auf den honor ecclesie. Papst Gregor IX. und Kaiser Friedrich II. im Streit um Gaeta (12291233), in: T. KÖLZER / F.-A. BORNSCHLEGEL / C. FRIEDL / G. VOGELER (Hgg.), De litteris (wie Anm. 4), S. 617-632.
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päpstliche Förderung. In seiner Erzählung referiert der päpstliche Biograph mit ausgiebigen Details über die Verfolgungen und Nachstellungen des Kaisers gegenüber der Kirche,8 die schon in der Zeit Gregors IX. begonnen hatten und die bis zur Eskalation der Auseinandersetzung führten, die in der Absetzung des Kaisers am 17. Juli 1245 durch Innozenz IV. gipfelte.9 Die in Lyon versammelten Konzilsteilnehmer erklärten den Stauferkaiser für unwürdig (indignus), woraufhin ihm honor et dignitas entzogen wurde.10 Es ist wichtig zu bemerken, dass Innozenz IV. in dem Absetzungsbrief sich nur auf das persönliche sündhafte Verhalten Friedrichs II. gegenüber der Kirche und ihren Vorstehern berief, was allein hinreichend war, die Deposition zu begründen.11 Seine Untreue als Lehnsmann im Königreich Sizilien, sein Friedensbruch, seine wiederholten Gotteslästerungen und seine Häresie waren so gravierende Verfehlungen, dass sie sich nicht mehr mit der grundlegenden Idee vom Kaiser als Verteidiger der Kirche und der gesamten Christenheit vereinbaren ließen und zur Aberkennung seiner persönlichen Eignung zur Kaiserherrschaft führten.12 Friedrich II. stellte jetzt, nach dem päpstlichen Urteilsspruch, die InUnter den Vergehen, mit denen der Kaiser als Verfolger der Kirche profiliert wurde, ist zuerst das nicht eingelöste, während der Krönung ausgesprochene Kreuzzugsversprechen zu erwähnen, welches Friedrich II. im Jahre 1227 die erste Exkommunikation eingehandelt hatte. Andere provokative Akte waren 1241 die Gefangennahme der Kardinäle zur Verhinderung der von Gregor IX. gegen den Kaiser einberufenen Kirchenversammlung und seine Verantwortung für die Zerstörung von Kastellen (castra), Türmen und Palästen (turres et palatia) sowie auch von Kirchen (ecclesie) während der gewaltsamen Belagerung der Stadt Rom im selben Jahr. Infolgedessen hatte der Papst ihn für die stetigen Übergriffe auf die Rechte und Besitzungen der Kirche mit einer zweiten Exkommunikation bestraft; Vita Innocentii IV. (wie Anm. 1), S. 259-260, cap. 2-4. 9 Eine detaillierte Beschreibung der Vorgänge zur Absetzung findet sich in der Brevis nota in Matthei Parisiensis, Monachi Sancti Albani Chronica Maiora, ed. H. R. LUARD (Roll Series 57/4), 7 Bde., London 1877 (ND London 1964), Bd. 4, S. 431-456 und 473, aber auch in der Brevis nota eorum, quae in primo concilio Lugdunense gesta sunt, in: Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, ed. G. D. MANSI, Bd. 23, Graz 1961, Sp. 610-613 und in HB (wie Anm. 4), Bd. 6/1, S. 346-349. 10 Vita Innocentii IV. (wie Anm. 1), S. 272: Quare super […] eius nefandis excessibus cum fratribus suis et sacro concilio idem summus pontifex deliberatione prehabita diligenti, memoratum principem Fredericum, qui se imperio et regnis reddidit tam indignum, ab omni honore et dignitate sententiando privavit. Siehe auch die offizielle Sentenz des Papstes in: Brevis nota eorum, in: Sacrorum conciliorum (wie Anm. 9), Sp. 613-619, hier 618: […] memoratum principem, qui se imperio & regnis omnique honore ac dignitate reddidit tam indignum, quique propter suas iniquitates a Deo ne regnet vel imperet est abjectus […] Illi autem ad quos in eodem imperio imperatoris spectat electio, eligant libere successorem. De prefato vero Siciliae regno providere curabimus, cum eorundem fratrum nostrorum consilio, sicut viderimus expedire. 11 In seiner Argumentation versuchte der franziskanische Chronist die Entscheidung Innozenz’ IV. und des Konzils mit einer Tradition von päpstlichen Eingriffen und Interventionen gegenüber früheren Kaisern zu untermauern, sowie der Notwendigkeit, den abgesetzten Kaiser zu ersetzen; Vita Innocentii IV. (wie Anm. 1), S. 272-273. 12 Vgl. die Anklagepunkte im päpstlichen Absetzungsschreiben: Epistolae saeculi XIII e regestis pontificum Romanorum, ed. C. RODENBERG (Monumenta Germaniae Historica, 8
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version des Vorbilds eines idealen princeps christianissimus dar: Er hatte sich in einen tyrampnus, in einen impugnator und in einen persecutor der Kirche verwandelt, wie Nikolaus von Calvi es ausdrückte. Damit hatte er seinen Treueid als devotus filius et catholicus princeps, den er Honorius III. bei Übernahme seines hohen Amtes geleistet hatte, gebrochen.13 Die Unwürdigkeit des Kaisers wird hier aus der persönlichen Verantwortung Friedrichs II. für seine Verfehlungen abgeleitet und führte aus kirchlicher Perspektive zu seiner Nichteignung als Herrscher.14 Die Auswirkungen dieses Konflikts und die Folgen der päpstlichen Absetzung strahlten auf die Nachkommen des Kaisers nicht nur im Reich, sondern auch in Süditalien aus. Die Idoneität seiner Söhne und Nachkommen – Konrads IV., Manfreds und seines Enkels Konradin – wurde vom Papst und den Gegnern der Stauferdynastie diesseits wie jenseits der Alpen angezweifelt. Die persönliche – und damit an den sterblichen Leib Friedrichs gebundene – Unwürdigkeit wandelte und erweiterte sich dabei zur Nichteignung des gesamten Staufergeschlechts. Mit einer akribischen diplomatischen Offensive versuchte der Papst im Reich sowie in Italien, andere Kandidaten für die Herrschaft vorzuschlagen, zu bemächtigen und zu legitimieren, sowie die Vertreter der Stauferdynastie zu entmachten und ihre Legitimation in Frage zu stellen. Welche Argumente brachten die Päpste und ihre Anhänger vor, um die politische Öffentlichkeit von der Untauglichkeit der staufischen Dynastie zu überzeugen und die Würdigkeit der aus ihrer Sicht geeigneten Kandidaten zu untermauern? Mit welchen Geltungsbehauptungen antworteten die Staufer, um ihre Befähigung ebenso wie ihre Legitimation zu verteidigen, und welche Strategien setzten sie ein, um ihre Idoneität zur Herrschaft zu beweisen? Epistolae saeculi XIII), Bd. 2, Berlin 1887, S. 88-94, Nr. 124, hier S. 90-93. Dazu E. SCHUBERT, Königsabsetzung im deutschen Mittelalter. Eine Studie zum Werden der Reichsverfassung (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse 3, Folge 267), Göttingen 2005, S. 217-228. Mit Blick auf das Absetzungsritual vgl. in diesem Band den Beitrag von F. REXROTH, Dauerhaft untauglich. Die symbolische Inversion von Königsherrschaft im Rahmen der spätmittelalterlichen europäischen Königsabsetzungen; über die Idoneität von Friedrich II. siehe S. BURKHARDT, Idoneität im Spannungsfeld von Verwandtschaft und päpstlicher Begutachtung: Zwei Fälle mediterranen Kaisertums. 13 Vgl. Anm. 5 und 6. 14 Anders verhielt sich Innozenz IV. gegenüber Sancho II. von Portugal, der ebenfalls auf dem Lyoneser Konzil verurteilt und von der Herrschaft dispensiert wurde. Seine Regierung war von negligentia und ignavia gekennzeichnet, heißt es in der Begründung, die beigetragen hatten, im Königreich eine große Unruhe zu verursachen und zur Zerstörung von Kirchen und Klöstern führten. Sancho II. war im Gegensatz zu Friedrich II. wegen seiner angeblich mangelhaften persönlichen Qualitäten ein ungeeigneter König, ein rex inutilis. Sein Bruder Alfons wurde ihm auf Forderung des Konzils als coadiutor et conservator regni aufgezwungen. – Für die Denkfigur der herrscherlichen inutilitas siehe E. M. PETERS, The Shadow King. Rex Inutilis in Medieval Law and Literature, 751-1327, New Haven/ London 1970, insbesondere S. 135-169 und DERS., Rex inutilis: Sancho II. of Portugal and Thirteenth-Century Deposition Theory, in: Studia Gratiana 14 (1967), S. 253-305.
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Anhand von Urkunden aus der päpstlichen und königlichen bzw. kaiserlichen Kanzlei sowie von Propagandaschriften und historiographischen Texten werden im Folgenden die Argumente untersucht, die zur Konstruktion von kaiserlichen oder päpstlichen Idoneitätsbehauptungen respektive zu ihrer Bestreitung beitrugen und die zur persönlichen und dynastischen Legitimierung oder Delegitimierung von Herrschaftsträgern dienten.
1. Persönliche und dynastische Idoneität aus der Sicht des Papsttums – ein kurzer Überblick Aspekte der genealogischen Herkunft und der persönlichen Idoneität oder Nichteignung waren in den weltlichen und kirchlichen politischen Diskursen schon lange vor der Absetzung Friedrichs II. präsent. Am Anfang des 13. Jahrhunderts rekapitulierte Papst Innozenz III. in seiner umfangreichen Briefkorrespondenz mit den deutschen Fürsten, den rivalisierenden Thronkandidaten und den Königen Europas mit deutlicher Aussagekraft die aus der kirchlichen Sicht vertretbaren Behauptungen und Bestreitungen über die Befähigung und die Berufung zur Kaiserwürde. Das Papsttum hatte schon früher einen Anspruch auf die Bestätigung des gewählten Kandidaten und dessen Zulassung zur Krönung zu sichern versucht, was die Autorität zur Beurteilung der moralischen Eignung des zukünftigen oder amtierenden Amtsinhabers einerseits und die Entscheidungsbefugnis zur Verwerfung eines ungeeigneten und sittenlosen Fürsten andererseits beinhaltete.15
1.1. Zur Vorgeschichte im 11./12. Jahrhundert Diese Interventionsversuche erlangten in der Zeit der Auseinandersetzungen zwischen Heinrich IV. (1056-1106) und Gregor VII. (1073-1085) eine besondere Intensität. In diesem Konflikt vertrat die päpstliche Publizistik verstärkt die Meinung, dass ein geeigneter König (rex idoneus) gehorsam (obediens), demütig (humilis), ergeben (devotus) und der Kirche nutzbringend (utilis) zu sein hatte, entsprechend dem Modell eines christlichen Herrschers.16 Wenn solch ein Kandi15 D. UNVERHAU, Approbatio – Reprobatio. Studien zum päpstlichen Mitspracherecht bei Kai-
serkrönung und Königswahl vom Investiturstreit bis zum ersten Prozess Johanns XXII. gegen Ludwig IV. (Historische Studien 424), Lübeck 1973, S. 195-277. 16 Gregorii VII Registrum. Das Register Gregors VII., Teil 1: Buch I-IV; Teil 2: Buch V-IX, ed. E. CASPAR (Monumenta Germaniae Historica, Epistolae selectae 2/1-2), Berlin 19201923, hier Teil 2, lib. IX, 3, S. 573-577, insbesondere S. 574-575: Praeterea admonendi sunt omnes in partibus vestris Deum timentes ac sponse Christi libertatem diligentes, ut non aliqua gratia suadente aut ullo metu cogente properent eam timere personam eligere, cuius mores et cetera, que regi opor-
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dat zur Verfügung stünde, wäre genau dieser für die Wahl als König zu bevorzugen, anstelle einer unwürdigen Person (aliquis indignus),17 deren Wahl nur als Ergebnis einer dynastischen Sukzession stattfand. Man kann daraus schließen, dass Gregor VII. als Folge der heftigen Kontroversen mit Heinrich IV. das gewohnte Prinzip der dynastischen Herrschaftsweitergabe vom Vater auf den Sohn als Kriterium für die Befähigung zur Herrschaft widerrufen18 und dabei die Entscheidung einiger Fürsten für Rudolf von Rheinfelden (1077-1080) anstelle des als arrogant und ungehorsam kritisierten salischen Herrschers unterstützt hatte.19 Im gegnerischen Lager beriefen sich die Autoren der königlichen Gegenpropaganda in ihren Streitschriften auf das genealogische Prinzip und die dynastische Erbfolge als wichtige Grundsätze der Herrschaftslegitimation, deren Missachtung einen Eingriff in den Heilsplan Gottes darstellte.20 Wie der Liber de unitate ecclesiae conservanda, eine Schrift aus dem pro-heinrizianischen Umfeld, exemplarisch zeigt, wurde die Begründung der Würdigkeit Heinrichs zur Herrschaft an die persönlichen Tugenden und die Verdienste seiner Vorfahren gekoppelt. Die Befähigung Heinrichs IV. bestand gerade darin, dass er natus et nutritus in regno war, wie der anonyme Autor betonte.21 Auf der Seite der salischen Anhä-
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tet inesse, a suscipienda christiane religionis defensione et cura discordent. […] Nisi enim ita obediens et sancte romane ecclesie humiliter devotus ac utilis, quemadmodum christianum regem oportet et sicut de R. speravimus, fuerit, procul dubio ei non modo sancta ecclesia non favebit, sed etiam contradicet. Ebd., S. 575: Melius quippe fore arbitramur, ut aliqua mora secundum Deum ad honore sanctę ecclesię rex provideatur idoneus, quam nimium festinando in regem aliquis ordinetur indignus. Ebd., lib. VIII, 21, S. 544-563, hier S. 562: Non carnali amore illecti studeant filium suum gregi, pro quo Christus sanguinem suum fudit, preponere, si meliorem illo et utiliorem possunt intervenire; ne plus Deo diligendo filium maximum sancte ecclesie interferant detrimentum. Ebd., lib. VII, 14a, S. 479-487; vgl. über dieses Thema L. MELVE, Inventing the Public Sphere. The Public Debate during the Investiture Contest, c. 1030-1122, 2 Bde. (Brill’s Studies in Intellectual History 154/1-2), Leiden 2007, hier Bd. 2, S. 349-421. Die Bedeutung der Königswahl 1077 in Forchheim als wichtigen Moment für einen Wandel in der Königserhebung, in welchem die Aufmerksamkeit der Fürsten auf die persönlichen Idoneität des Königs gelenkt wurde, schildert J. SCHLICK, König, Fürsten und Reich (10561159). Herrschaftsverständnis im Wandel (Mittelalter-Forschungen 7), Stuttgart 2001, S. 26-48. G. KOCH, Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 20), Berlin 1972, S. 126-127. Liber de unitate ecclesiae conservanda, ed. W. SCHWENKENBECKER (Monumenta Germaniae Historica, Libelli de Lite 2), Hannover 1892, lib. I, cap. 3, S. 173-204, hier S. 188: Sed nostri temporis rex et imperator, natus et nutritus in regno, quantum spectat ad humanum iudicium, dignus quidem videtur imperio, cum ex propria virtute tum ex maiorum suorum merito et dignitate. […] non invenitur in toto Francorum regno aptior persona Romano imperio, quem per totum tempus imminentis belli, quod iam per XVII annos gestum est, Deus mirabiliter custodivit, quem et in omnibus praeliis, quibus sex Liberies cum hostibus conflixit, ineffabili modo protexit et eripuit; siehe auch lib. II, cap. 2, S. 212 und cap. 11, S. 222. Dazu vgl. G. KOCH, Auf dem Wege (wie Anm. 20), S. 109 und T. STRUVE, Der ‘gute’ Kaiser Heinrich IV. Heinrich IV. im Lichte der Verteidiger des salischen Herrschaftssystems, in: G. ALTHOFF (Hg.), Heinrich IV. (Vorträge
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nger und Verteidiger war demnach die Überzeugung fest verankert, dass die Sittlichkeit, die Untadeligkeit und die Rechtschaffenheit Heinrichs IV. eng mit seiner kaiserlichen Herkunft verbunden waren.22 Nach dem Tod Heinrichs V. schienen die Königswahlen in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts weitestgehend frei von dynastischen Einflüssen zu sein.23 Die Zugehörigkeit zu einem königlichen Geschlecht war für die Erfolgschancen eines Thronkandidaten auch weiterhin wichtig, wurde aber nicht als eines der entscheidenden Kriterien, die die Idoneitätsbehauptung konstituierten, gewertet.24 Seit der Wahl Konrads III. im Jahre 1138 nahmen die herrscherfreundlichen Propagandaschriften wieder auf diese dynastische Idee Bezug und legten aus legitimatorischen Gründen besonderes Gewicht auf seine Abstammung aus dem salischen Geschlecht. Der Fortsetzer der Chronik Sigeberts von Gembloux begründete sogar die Wahl Konrads mit seiner Abstammung aus einer stirps regia.25 Konrads Bemühungen, eine Herrschaftskontinuität für seinen Sohn zu sichern, scheiterten allerdings: Sein ältester und 1147 zum Nachfolger designierter Sohn Heinrich starb vor dem Vater, und der zweite Sohn namens Friedrich war noch ein Kind, als Konrad III. am 15. Februar 1152 unerwartet verschied. Das Prinzip der freien Wahl eines Königs durch die Fürsten blieb ebenso im Falle Friedrich Barbarossas konstitutiv. Friedrich Barbarossa, der Neffe Konrads, betonte bei unterschiedlichen Gelegenheiten, dass er sein Königtum der Gnade Gottes und dem Prinzip der Fürstenwahl verdankte und dass diese bei-
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und Forschungen 69), Ostfildern 2009, S. 161-188. Eine andere Quelle, die sogenannte Anonyme Kaiserchronik, unterstreicht lobend die kaiserliche Würde Heinrichs und verbindet diese explizit mit seiner Herkunft und den hervorragenden physischen und moralischen Eigenschaften des Saliers; vgl. Frutolfs und Ekkehards Chroniken und die anonyme Kaiserchronik, ed. F.-J. SCHMALE / I. SCHMALE-OTT (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 15), Darmstadt 1972, lib. III, S. 244: […] nemo nostris temporibus natu, ingenio fortitudine et audacia, statura quoque totaque corporis elegantia fascibus aptior viderentur imperialibus. T. STRUVE, Der ‘gute’ Kaiser (wie Anm. 21), S. 187-188. U. SCHMIDT, Königswahl und Thronfolge im 12. Jahrhundert (Forschungen zur Kaiserund Papstgeschichte 7), Köln/Wien 1987. W. HECHBERGER, Staufer und Welfen. Zur Verwendung von Theorien in der Geschichtswissenschaft (Passauer historische Forschungen 10), Köln/Weimar/Wien 1996, S. 135137. Siehe zum Beispiel den Gratulationsbrief aus dem Jahre 1138 von Petrus Diaconus von Montecassino, in dem er Konrad III. als ex antiqua caesarum prosapia stammend rühmt; Petri Diaconi Epistolae tres, in: Patrologia Latina 173, Paris 1854, Sp. 1133-1144, hier Sp. 1142, Nr. 3, und Sigiberti Gemblacensis Chronica cum continuationibus, in: Chronica et annales aevi Salici, ed. G. H. PERTZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 6), Hannover 1844, S. 386: Post mortem regis Lotharii, non ferentes principes Teutonici regni, aliquem extraneum a stirpe regia sibi dominari, regem constituerunt sibi Cunradum, virum regii generis. Erat quippe ex sorore nepos Heinrici quinti regis […]. Vgl. dazu W. HECHBERGER, Staufer und Welfen (wie Anm. 24), S. 138-139.
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den Elemente die Grundlagen seiner Macht darstellten.26 Das genealogische Argument blieb für Barbarossa und die Publizistik seiner Zeit eine unter vielen Komponenten, die seine Eignung postulieren konnten, um die Legitimation der Herrschaftswechsel im Reich zu untermauern.27 In seiner langen Regierungszeit als König und Kaiser (1152-1190) wurde ein breites Spektrum an narrativen Strategien zur Begründung seiner Macht herausgearbeitet. Die wichtigsten Protagonisten dieser Versuche, den Staufern eine bedeutende Position in der Heilsgeschichte zu sichern, waren ein Verwandter des Kaisers, der Zisterzienserbischof Otto von Freising,28 und der kaiserliche Kapellan Gottfried von Viterbo.29 Beiden Autoren galten die Qualität und die historische Kontinuität der Stauferdynastie als Voraussetzungen einer erfolgreichen Herrschaft. Otto von Freising präsentierte in seinen Werken ein hochgradig stilisiertes Herrscherbild Friedrichs:30 Zusammen mit den traditionellen christlichen Idealvorstellungen eines rex iustus et pacificus31 wurden in den Gesta Frederici imperatoris die besonderen politischen und militärischen Leistungen Barbarossas präsentiert, die seine Herrschaftsführung auszeichneten, und seine Zugehörigkeit zu einer regum familia herausgestellt.32 In seiner Historia de duabus civitatibus betitelten Weltgeschichte 26 Ottonis episcopi Frisingensis et Rahewini Gesta Frederici, seu rectius Cronica, ed. F.-
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J. SCHMALE (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 17), Darmstadt 1965, lib. III, cap. 13, S. 420: Cumque per electionem principum a solo Deo regnum et imperium nostrum sit, qui in passione Christi filii sui duobus gladiis necessariis regendum orbem subiecit […]; vgl. auch den Bericht von Bischof Diepold von Passau (1172-1190) über entsprechende Äußerungen Barbarossas auf dem Dritten Kreuzzug und die Beobachtungen von W. HECHBERGER, Staufer und Welfen (wie Anm. 24), S. 135-137. Dazu siehe in diesem Band: K. HERING, Fridericus primus […] natus ex clarissima progenie Carolorum. Genealogie und Idoneität bei den frühen Staufern. Vgl. J. EHLERS, Otto von Freising: Ein Intellektueller im Mittelalter. Eine Biographie, München 2013. Vgl. S. FINKELE, Gottfried of Viterbo, in: G. DUNPHY (Hg.), The Encyclopedia of the Medieval Chronicle, 2 Bde., Leiden/Boston 2010, Bd. 1, S. 722-724. Zum Herrscherbild Friedrich Barbarossas siehe ausführlich H. KRIEG, Herrscherdarstellung in der Stauferzeit. Friedrich Barbarossa im Spiegel seiner Urkunden und der staufischen Geschichtsschreibung (Vorträge und Forschungen. Sonderband 50), Ostfildern 2003. K. GÖRICH, Rex iustus et pacificus? Der Herrscher als schlichtender Richter und als interessierte Partei in staufischer Zeit, in: R. BALLOF (Hg.), Geschichte des Mittelalters für unsere Zeit. Erträge des Kongresses des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands “Geschichte des Mittelalters im Geschichtsunterricht” (Quedlinburg, 20.-23. Oktober 1999), Stuttgart 2003, S. 249-261. Otto von Freising, Gesta Frederici (wie Anm. 26), lib. II, cap. 2, S. 286; vgl. ausführlicher H. SCHWARZMAIER, Nobilis patris futurus heres nobilior. Das Doppelporträt von Friedrich Vater und Sohn bei Otto von Freising, in: D. WALZ (Hg.), Scripturus vitam. Lateinische Biographie von der Antike bis in die Gegenwart. Festgabe für Walter Berschin zum 65. Geburtstag, Heidelberg 2002, S. 509-518 und K. HERING, Studien zur Idoneität und Herrschaftslegitimation der staufischen Dynastie im Spiegel der zeitgenössischen Historiographie. Mit einem Textanhhang: Das Speculum regum – Transkription der Handschrift München, Bayrische Staatsbibliothek, Clm 28330, Dissertation zur Erlangung des Grades
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führte Otto entsprechend dem Konzept der translatio imperii die staufischen Ursprünge indirekt, durch die Verbindung über Gisela, die Frau von Kaiser Konrad II., bis auf Karl den Großen zurück.33 Gottfried von Viterbo, Kapellan und Kanzleinotar der ersten staufischen Herrscher, entwickelte diese geschichtlichen Vorstellungen weiter und verherrlichte Friedrich Barbarossa und seinen Sohn Heinrich VI. als die gegenwärtig letzten genealogischen Glieder einer altehrwürdigen imperialis prosapia, deren Anfang er bis auf König Nimrod zurückführte.34 Der auch für die Staufer nachweisbare Versuch, eine möglichst lückenlose und weit in die Vergangenheit zurückreichende Ahnenkette zu reklamieren und zu propagieren, in der mythische, heldenhafte und hervorragende Herrschergestalten sich aneinanderreihten, fungierte für die Adelsgesellschaft des Mittelalters als eines der wichtigsten Idoneitätsmerkmale, die zur Geltendmachung und Begründung von Herrschaftsansprüchen beitrug. Genealogische Entwürfe veranschaulichten die Weitergabe des mit den Verdiensten und Tugenden der Vorfahren angereicherten Geblüts, welches an den gegenwärtigen Vertreter einer Herrscherdynastie weitergegeben wurde. Insbesondere in krisenhaften und konfliktträchtigen politischen Situationen fungierte der Beweis der dynastischen Herausgehobenheit einer Familie als eines der entscheidenden Kriterien für die Eignung des jeweiligen aktuellen Vertreters zum Herrschen.35
eines Doktors der Philosophie an der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Dresden (2013), S. 99-175. 33 Otto von Freising, Gesta Frederici (wie Anm. 26), lib. VI, cap. 28, S. 291 und cap. 32, S. 297. 34 Gotfridi Viterbiensis Pantheon, in: Johannes Pistorius, Germanicorum scriptorum, qui rerum a Germanis per multas aetates gestarum historias vel annales posteris reliquerunt, Bd. 2: Quo continentur Gotefridi Viterbiensis Pantheon, Werneri Rolewinkii Fasciculus temporum, & H. Mutii Chronica. Ad hos scriptores, magna diligentia recognitos, accessit nunc recens secundi appendix, numquam antehac in lucem edita, Frankfurt a. M. 1584, Sp. 1-580, hier Pars III, Sp. 88 und dazu K. HERING, Studien zur Idoneität (wie Anm. 32), S. 235-246 und 305. 35 Dies war der grundlegende Ansatz des Projekts C “Dynastie, Idoneität und Transzendenz. Vergleichende Untersuchungen zum hohen und späten Mittelalter” des Sonderforschungsbereichs 804 “Transzendenz und Gemeinsinn” an der TU Dresden, siehe dazu C. ANDENNA / G. MELVILLE, Dynastie, Idoneität und Transzendenz. Vergleichende Untersuchungen zum hohen und späten Mittelalter, in: H. VORLÄNDER (Hg.), Transzendenz und Gemeinsinn. Themen und Perspektiven des Dresdner Sonderforschungsbereichs 804, Dresden 2010, S. 40-45. Über die Konstruktion von Genealogien als Mittel zur Legitimation siehe grundlegend G. MELVILLE, Vorfahren und Vorgänger. Spätmittelalterliche Genealogien als dynastische Legitimation zur Herrschaft, in: P.-J. SCHULER (Hg.), Die Familie als historischer und sozialer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, Sigmaringen 1987, S. 203-309; B. KELLNER, Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mittelalter, München 2004. Für die spätere Stauferzeit vgl. auch C. ANDENNA, Wer ist zur Herrschaft geeignet? Konstruktion und Dekonstruktion dynastischer Idoneität und Legitimation am Beispiel der späten
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An einer Stelle nutzte Papst Alexander III. (1159-1181) in der Zeit des Schismas genealogisches Gedankengut als Kritikpunkt gegenüber dem Kaiser: Zwischen verschiedenen Vorwürfen fügte der Papst in einem Brief an Bischof Arnulf von Lisieux (1141-1181) an, dass Friedrich Barbarossa den verbrecherischen Spuren seiner Vorfahren nachgefolgt sei (vestigia avorum suorum sceleratissima subsecutus), was einen Rückbezug auf die von den Päpsten verurteilte Kirchenpolitik der salischen Herrscher im 11./12. Jahrhundert und zugleich auf die Abstammung Barbarossas von Heinrich IV. darstellte.36 Der normannische Prälat wiederum griff dieses Argument der kaiserfeindlichen Propaganda in einem Brief an verschiedene Bischöfe und Erzbischöfe auf und betonte, dass “es schon seit langem das Streben der Vorgänger Friedrichs war, die Kirche ihrer Macht zu unterwerfen und deshalb immer die Schismatiker anzutreiben oder zu unterstützen.”37
1.2. Innozenz III. und der Thronstreit Nach dem Tod Kaiser Heinrichs VI. (1197) wurden diese Diskurse in der weltlichen und päpstlichen Publizistik erneut aufgegriffen. Innozenz III. nahm im Zuge des Thronstreits zwischen Philipp von Schwaben und Otto von Braunschweig Einfluss auf das politische Geschehen nördlich der Alpen38 und beStaufer, in: H. VORLÄNDER (Hg.), Transzendenz und die Konstitution von Ordnungen, Berlin/Boston 2013, S. 115-141, hier S. 116-121. 36 W. HECHBERGER, Staufer und Welfen (wie Anm. 24), S. 139-140 und F. BÖHM, Das Bild Friedrich Barbarossas und seines Kaisertums in den ausländischen Quellen seiner Zeit (Historische Studien 289), Berlin 1936, S. 91-93. Vgl. dazu Alexandri III Romani Pontificis opera omnia (wie Anm. 3), Sp. 88-90, hier Sp. 89 und Pontificum Romanorum qui fuerunt inde ab exeunte saeculo IX usque ad finem saeculi XIII vitae, ed. J. M. WATTERICH, 2 Bde., Bd. 2: Paschalis II. – Coelestinus III (1099-1198), Leipzig 1862, S. 490-493, hier S. 491. 37 Arnulfi Lexoviensis Episcopi epistolae ad Henricum II. regem Angliae, St. Thomam Arch. Cant. et alios, ed. J. A. GILES (Patres ecclesiae Anglicanae), Oxford 1844, S. 112116, hier S. 113; hier wird der Text aus F. BÖHM, Das Bild Friedrich Barbarossas (wie Anm. 36), S. 92 zitiert. 38 F. KEMPF, Innocenz III. und der deutsche Thronstreit, in: Archivum Historiae Pontificiae 23 (1985), S. 63-92; E. BOSHOF, Innozenz III. und der deutsche Thronstreit, in: T. FRENZ (Hg.), Papst Innozenz III.: Weichensteller der Geschichte Europas. Interdisziplinäre Ringvorlesung an der Universität Passau 5.11.1997-26.5.1998, Stuttgart 2000, S. 51-67; S. KRIEB, Vicarius summi mediatoris. Innocenz III. als Vermittler im deutschen Thronstreit, in: A. SOMMERLECHNER (Hg.) Urbs et orbis. Atti del Congresso Internazionale (Roma, 9-15 settembre 1998) (Miscellanea della Società Romana di Storia Patria 44. Nuovi studi storici 55), Bd. 2, Rom 2003, S. 1065-1076; H.-J. DERDA, Päpstliche Autorität und weltliche Herrschaft. Der Machtanspruch von Papst Innocenz III. zur Zeit des deutschen Thronstreits, in: B. U. HUCKER / S. HAHN / H.-J. DERDA (Hgg.), Otto IV.: Traum vom welfischen Kaisertum. Landesausstellung “Otto IV. – Traum vom welfischen Kaisertum”, Braunschweigisches Landesmuseum – Dom St. Blasii – Burg Dank-
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gründete seine Intervention neben verschiedenen rechtlichen Argumentationssträngen auch mit seinem Recht, über die persönliche Idoneität des Kandidaten zu entscheiden. In seinen Ausführungen, die zur Erlangung oder zur Ablehnung der Kaiserwürde gegenüber einem Anwärter Position bezogen, übernahm der Papst jetzt auch das in der Publizistik der kaiserlichen Seite wohl bekannte genealogisch-dynastische Motiv. Im Jahre 1198 hatten die beiden gewählten Könige, Philipp von Schwaben39 und Otto IV. von Braunschweig,40 sich beim Papst um die Anerkennung ihrer Königsherrschaft bemüht. Beide Thronbewerber besaßen nicht die vollständige Legitimationskraft, weil Wahl und Krönung in beiden Fällen nicht ordnungsgemäß vollzogen worden waren. Aus der Sicht der staufischen Anhänger hatte Philipp die Mehrheit der Wähler für sich gewonnen; zudem sei die Wahl Ottos IV. aufgrund der Einmischung eines päpstlichen Legaten, des Kardinalbischofs von Palestrina, ungültig gewesen.41 Aus Sicht der welfischen Partei besaß die Erhebung Philipps hingegen keine Gültigkeit: Wahl und Krönung waren nicht am ‘rechten Ort’ erfolgt. Die Wahl hatte in Thüringen und nicht, wie üblich, auf fränkischem Gebiet stattgefunden, und die Krönung war in Mainz aus der Hand des burgundischen Erzbischofs Aimo von Tarentaise (1179-1210) erfolgt und nicht am traditionellen Krönungsort Aachen vom Kölner Erzbischof durchgeführt worden. Wenngleich die traditionelle Ausführungsart der Wahl und die Krönungsordnung nicht respektiert worden waren, besaß Philipp zu seiner Legitimation immerhin die Reichsinsignien.42 Nicht viel besser sah die Lage bei dem welfischen Kandidaten Otto IV. aus: Trotz der Befolgung des Ordo, was die Richtigkeit der Orte der Wahl und des
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warderode vom 8. August bis 8. November 2009, Petersberg 2009, S. 57-62; C. EGGER, Innocenz III., Philipp von Schwaben und Köln – eine Nachlese, in: A. RZIHACEK / R. SPREITZER (Hgg.), Philipp von Schwaben. Beiträge der internationalen Tagung anlässlich seines 800. Todestages, Wien, 29. bis 30. Mai 2008 (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 19. Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 399), Wien 2010, S. 263-275. Über die Rivalität zwischen der Staufer- und der Welfendynastie siehe W. HECHBERGER / F. SCHULLER (Hgg.), Staufer und Welfen. Zwei rivalisierende Dynastien im Hochmittelalter, Regensburg 2009. Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 2-4, doc. 2-3. Ebd., S. 23-24, doc. 18. Siehe dazu B. CASTORPH, Die Ausbildung des römischen Königswahlrechtes. Studien zur Wirkungsgeschichte des Dekretale Venerabilem, Göttingen/Frankfurt a. M./Zürich 1978, S. 19-22 und D. UNVERHAU, Approbatio – Reprobatio (wie Anm. 15), S. 195-277. Quellen zur Geschichte der Welfen und die Chronik Burchards von Ursberg, ed. M. BECHER, unter Mitarbeit von F. HARTMANN / A. PLASSMANN (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 18b), Darmstadt 2007, S. 232: Volebat enim tenere Imperium, cum in potestate sua haberet insignia imperialia, utpote coronam et crucem et alia, que attinebant. Non enim cautum esset sibi, ut ad alium transiret Imperium, et sic tam ipse quam fratruelis suus, licet tunc parvulus, omni hereditate sua privarentur, quod etiam non placuit altissimo, sicut adhuc eventus rerum manifeste demonstrat, quamvis multa ceperint intervenire impedimenta.
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Krönungszeremoniells betraf,43 blieb seine Legitimation vor allem wegen des Fehlens der echten Insignien anfechtbar. Um den päpstlichen Konsens zu erlangen, schrieb Otto IV. am 12. Juli 1198, dem Tag seiner Aachener Krönung, an Papst Innozenz III. und erklärte sich kraft seiner regia dignitas für geeignet ad imperii consecrationem. Als Begründungen führte Otto IV. seinen Glauben und seine Treue sowie die Verdienste seines Vaters und seiner englischen Vorfahren an, die sich niemals von dem Gehorsam gegenüber der römischen Kirche entfernt hätten.44 Seine persönliche Idoneität, die dem kirchlichen Ideal eines geeigneten Königs entsprach, war auf diese Weise auch mit der Eignung seiner Vorfahren vermischt. Die Argumente zur Rückweisung Philipps und damit die Begründung seiner Nichteignung wurden im Gegenzug auf die Ungerechtigkeiten zurückgeführt, die er und seine kaiserlichen Familienmitglieder an der Kirche verübt hatten.45 Nach komplizierten Verhandlungen forderte der Papst im Sommer des Jahres 1200 die geistlichen und weltlichen Fürsten Deutschlands zur Wahl einer geeigneten Person auf, die ad honorem et exaltationem imperii würdig sei und gleichzeitig ad honorem et exaltationem ecclesiae handeln könne. Der Gewählte sollte der priesterlichen sowie der weltlichen Dimension der Herrschaft entsprechen, genauso wie die alttestamentarische Figur des Melchisedech, der König von Salem und Priester des Höchsten Gottes gewesen sei.46 Im Speziellen hatte es eine mit Voraussicht und Gerechtigkeitssinn ausgestattete Person zu sein (provida […] et iusta), mutig und anständig (strenua et honesta),47 die durch das Verdienst der Tapferkeit (strenuitas) und der Tüchtigkeit (probitas) zur Kaiserherrschaft geeignet wäre.48 In der Konsistorialrede, der Deliberatio super facto imperii de tribus electis,49 verfasst 1200/1201, sowie dann etwas später in der Dekretale Venerabilem vom 26. März 1202 betonte der Papst, dass die Fürsten im Wahlprozess die idoneitas und die dignitas des Gewählten als Voraussetzungen stärker in Betracht nehmen sollten als die Interessen (studia) der Wähler.50 Aus seiner Autorität, die ihm gemäß dem Prinzip der translatio imperii zugewiesen worden sei,51 erklärte Inno43 44 45 46
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Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 23-24, doc. 18. Ebd., S. 23. Ebd. Regestum Innocentii III papae super negotio Romani imperii, ed. F. KEMPF (Miscellanea Historiae Pontificiae 12. Collectionis 21), Rom 1947, S. 59-64, doc. 21, hier S. 62 (im Folgenden als RNI zitiert): […] rex regum et dominus dominantium, sacerdos in eternum secundum ordinem Melchisedech. Über die Figur des Melchisedech siehe E. F. KUEHN, Melchizedek as Exemplar for Kingship in Twelfth-Century Political Thought, in: History of Political Thought 31 (2010), S. 557-575. RNI (wie Anm. 46), S. 63. Ebd., S. 62. Ebd., S. 74-91, doc. 29. Ebd., S. 166-175, doc. 62. Das Argument der translatio imperii wird kurz in der Deliberatio des Jahres 1200/1201 (ebd., S. 75) erwähnt und eingehend in der Dekretale Venerabilem ausgeführt (ebd., S. 168-169).
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zenz III. die Gründe für die Zurückweisung Philipps und diejenigen, die zur Anerkennung Ottos IV. geführt hatten.52 Damit hatte Innozenz III. die päpstlichen Idoneitätsvorstellungen und die entscheidenden Kriterien definiert, die die Nichteignung zur Kaiserwürde bedeuteten und behielt sich das Recht einer sorgfältigen Prüfung des zum Kaiser zu krönenden Herrschers vor.53 In der Deliberatio erklärte der Papst darüber hinaus auch die Gründe der Ablehnung eines dritten Kandidaten, des jungen Staufers Friedrich. Die Designation Friedrichs war 1196 auf dem Würzburger Hoftag gegen den Widerstand vieler Reichsfürsten durchgesetzt und seine Wahl zum Mitkönig an der Seite seines Vaters Heinrich noch im selben Jahr in Frankfurt vollzogen worden.54 Mit dem Ableben Heinrichs VI. besaß der kleine Staufer jetzt wegen seiner Minderjährigkeit nicht mehr die notwendige Eignung, die er sonst in der Obhut des Vaters gehabt hätte. Ein zweijähriges Kind war weder für das Reich, noch für irgendein politisches Amt tauglich. Sein kindliches Alter und noch dazu die fehlende Taufe waren aus der Sicht des Papstes deutliche Defizite, welche die Ablehnung seiner Kandidatur zur Folge hatten.55 Als Begründung führte der Papst an, dass jemand, der wegen seines noch jugendlichen Alters die Aufsicht durch andere Personen benötige, nicht die Verantwortung der Regierung über andere übernehmen könne. Auch die Argumentation von Friedrichs Unterstützern, dass ihm die Fürsten einen Eid geschworen hatten, war wirkungslos geworden, weil jeder Eid mit dem Tod des Vaters seine Verbindlichkeit verloren hatte.56 Die vom Papst bevorzugte Trennung von Reich und sizilischem Königtum geriet durch die Bündelung der Herrschaftsrechte in einer Person in große Gefahr, ein zusätzliches Element, das die Befähigung Friedrichs zur Kaiserwürde in Frage stellte. Die Zurückweisung des zweiten staufischen Kandidaten, Philipp von Schwaben, wurde von Innozenz III. mit seinen Untaten und seinem unwürdigen Verhalten gegenüber der Kirche begründet.57 Die Argumentation, mehrfach vom 52 Ebd., S. 74-91, doc. 29. Die Urteile gegen Philipp und die Begünstigung Ottos IV. sind
auch in der Dekretale Venerabilem wiedergegeben; ebd., S. 166-175, doc. 62.
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tas examinandi personam electam in regem promovendam ad imperium ad nos spectat, qui eam inungimus, consecramus et coronamus. Est enim regulariter ac generaliter observatum, ut ad eum examinatio persone pertineat, ad quem impositio manus spectat. U. SCHMIDT, Königswahl (wie Anm. 23), S. 255. RNI (wie Anm. 46), S. 78, doc. 29: Elegerunt enim personam non idoneam nec non solum imperio, sed nec alicui officio congruentem, puerum videlicet vix duorum annorum, et nondum sacri baptismatis unda renatus. Ebd., S. 79, doc. 29; vgl. dazu D. UNVERHAU, Approbatio – Reprobatio (wie Anm. 15), S. 206-211. Die Argumente gegen Philipp von Schwaben sind in mehreren päpstlichen Schreiben genannt worden: Zusammen mit der Deliberatio (RNI [wie Anm. 46], S. 74-91, doc. 29) und der Dekretale Venerabilem (ebd., S. 166-175, doc. 62) sind dies der Brief an die weltlichen und geistlichen Fürsten Deutschlands vom Juni/Juli 1200 (ebd., S. 59-64, doc. 21) und
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Papst wiederholt, wurde auf die notoria impedimenta Philipps zurückgeführt: die öffentliche Exkommunikation, den offenkundigen Eidbruch und die allgemein bekannte Verfolgung gegen die Kirche. Die päpstliche Ablehnung seiner Wahl wurde nicht nur auf rechtlicher Ebene durch die Zwietracht, die zwischen den Fürsten entstanden war, und die Modalitäten der Wahl erklärt, sondern der Urteilsspruch des Papstes wurde auch mit der Feststellung bekräftigt, dass das römische Oberhaupt es niemals akzeptieren könne, einen Prätendenten zum Kaiser zu weihen und zu krönen, wenn dieser ein Frevler, ein Tyrann, ein Narr, ein Häretiker oder ein Heide war.58 Sein ruchloses Verhalten gegenüber dem Apostolischen Stuhl und der Kirche ließ sich aus der Sicht der römischen Kurie aus seiner Abstammung erklären:59 Philipp sei aus einem Geschlecht von Verfolgern (genus persecutorum) hervorgegangen, das seit der Zeit Heinrichs V., Generation für Generation, Untaten gegen die Kirche begangen hätte.60 Angemahnt wurde vom Papst auch die Tatsache, dass er sich trotz der kirchlichen Bannung – ein Kriterium, das per se Mangel an Würdigkeit zeigte – zum König hatte wählen lassen61 und damit den seinem Neffen Friedrich II. geleisteten Treueid gebrochen hatte.62 Der Anspruch Philipps auf die Kaiserwürde nach dem Tod seines älteren Bruders Heinrich war aus päpstlicher Sicht eine abusio, ein Missbrauch, den hinzunehmen bedeutet hätte, die Erlangung kaiserlicher Ehren durch das Staufergeschlecht zu einer Gewohnheit (usus) werden zu lassen.63 Philipp von
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das Schreiben vom 1. März 1201 an die deutschen Fürsten, welches die Annahme Ottos als Kaiser verkündete (ebd., S. 102-110, doc. 33). Ebd., S. 169, doc. 62: Numquid enim si principes, non solum in discordia, sed etiam in concordia sacrilegum quemcumque vel excommunicatum in regem, tirampnum vel fatuum, hereticum eligerent aut paganum, nos iniungere, consecrare ac coronare hominem huiusmodi deberemus? Ebd., S. 105, doc. 33: […] propter excommunicationem publicam, periurium manifestum, et vulgatam persecutionem, quam progenitores eius et ipse apostolicam sedem et ecclesias exercere nullatenus dubitarunt, propter insolentiam etiam quam exercuerunt in principes et alios sibi subiectos, et ne libertas principum in imperatoris electione vilescat, si non per electionem, sed successionem transferri a patribus in filios et in fratres an fratribus imperium videatur – : consentire in alterum nos oportet. Ein ähnliches Urteil wurde in dem Brief vom 26. März 1202 wiederholt, vgl. ebd., S. 173-174, doc. 62. Ebd., S. 83, doc. 29: Quod autem expediat opponere nos Philippo, liquet omnibus manifeste. Cum enim persecutor sit et de genere persecutorum fuerit oriundus, si non opponeremus nos ei, videremur contra nos armare furentem et ei gladium in capita nostra dare. Die Ruchlosigkeit wird hier bis auf Heinrich V. zurückgeführt, den Innozenz als ersten Vertreter der Stauferdynastie in der Kaiserwürde auffasste. Heinrich war das Bindeglied zwischen Saliern und Staufern, denn die Ehe seiner Schwester Agnes mit Herzog Friedrich I. von Schwaben begründete die staufische Königsdynastie. Philipps Abstammung aus dem genus persecutorum wurde mit einer ähnlichen Formulierung auch am 1. März 1201 (ebd., S. 107, doc. 33) wiederholt. Dazu siehe D. UNVERHAU, Approbatio – Reprobatio (wie Anm. 15), S. 211-222. RNI (wie Anm. 46), S. 81, doc. 29 und S. 172-174, doc. 62. Ebd., S. 82 und S. 106, doc. 33. Ebd., S. 83, doc. 29: Quod ei nos opponere deceat, manifeste videtur ex eo quod, si prout olim patri filius, sic nunc immediate succederet frater fratri, videtur imperium ei non ex electione conferri, sed ex successione deberi, et sic efficeretur hereditarium quod debet esse gratuitum […] et per hoc forsan in posterum abusio traheretur in usum.
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Schwaben hatte sich, zumindest in der Zeit (presertim hoc tempore) des Thronstreits,64 aus all diesen Gründen für den Papst als ungeeigneter Kandidat (persona indigna quoad imperium) erwiesen.65 Anders fiel die päpstliche Beurteilung gegenüber Otto IV. aus, dessen Wahl im Gegensatz zu derjenigen Philipps nicht durch die Mehrheit der Wähler erfolgt war. Das Argument der minor pars, welches die prostaufischen Fürsten als ein wichtiges Hindernis für die Anerkennung wahrgenommen hatten, war für den Papst kein entscheidender Grund, der gegen Otto IV. sprach: Nicht die zahlenmäßige Mehrheit, sondern eine heilsame Urteilskraft der Wähler (nec tantum pluralitas quoad numerum, sed salubritas quoad consilium requiratur) war entscheidend, um anzuerkennen, dass Otto IV. wegen seiner Regsamkeit (strenuitas) und Tüchtigkeit (probitas)66 magis sit idoneus ad regendum imperium.67 Otto IV. habe sich als fleißiger, vorausblickender und maßhaltender sowie starker und beständiger Mann (vir industrius, providus et discretus, fortis et constans) erwiesen. Im Kontrast zu den vielfältigen iniurias, für die die Staufer verantwortlich gemacht wurden, hatte er sich durch seine persönliche devotio gegenüber der Kirche als idoneus qualifiziert. Die besonderen Vorzüge, die zu seiner Befähigung führten, wurden auch durch seine Abstammung aus einem genus devotorum begründet.68 Das Argument der dynastischen Herkunft aus einer longa et antiqua regum prosapia, die ex utraque linea spectabiliter hergeleitet werden konnte, war mit der besonderen Akzentuierung der merita seines Vaters schon zu Beginn des Wahlstreits von den welfischen Anhängern dem Papst zur Kenntnis gebracht worden.69 Von mütterlicher 64 Siehe dazu D. UNVERHAU, Approbatio – Reprobatio (wie Anm. 15), S. 221-222. 65 RNI (wie Anm. 46), S. 90, doc. 29. Hier bekräftigte der Papst wiederum sein Urteil ge-
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genüber Philipp: Personam vero Philippi propter impedimenta patentia penitus reprobamus, et obstinendum ei dicimus ne imperio valeat usurpare; siehe auch ebd., S. 108, doc. 33. Ebd., S. 109. Ebd., S. 89, doc. 29. Ebd., S. 109, doc. 33: Cum autem carissimus in Christo filius noster Otto vir sit industrius, providus et discretus, fortis et constans, et per se devotus existat ecclesie ac descendat ex utraque parte de genere devotorum, cum etiam electus in regem, ubi debuit et a quo debuit fuerit coronatus, et ipse sue strenuitas et probitas meritis ad regendum et exaltandum imperium idoneus esse nullatenus dubitetur […]. Im März 1201 teilte Innozenz III. dem neugewählten Bischof und dem Kapitel von Hildesheim seine Entscheidung für die Anerkennung Ottos IV. mit und begründete seine Begünstigung mit den Qualitäten des Welfen: Karissimus in Christo filium nostrum Ottonem, quem esse novimus virum industrium et prudentem, fortem et strenuum […], ebd., S. 110-112, doc. 34, hier S. 111. Auf das Argument der Verdienste von Ottos Vorfahren war Innozenz III. schon am Beginn des Thronstreits von Erzbischof Adolf von Köln (1193-1205) und den welfischen Wahlanhängern aufmerksam gemacht worden; siehe ebd., S. 21-23, doc. 9 und S. 23-26, doc. 10, hier insbesondere S. 24: […] dominum Ottonem, christiane fidei cultorem devotissimum, atque sancte Romane ecclesie advocatum et defensorem fidelissimum, et iudiciarie potestatis observatorem iustissimum, de longa et antiqua regum prosapia ex utraque linea spectabiliter editum, ad Romani regni fastigium iuste ac rationabiliter eligimus et, sicut debuimus, ipsius electioni consensimus […] und S. 25: […] merita quoque illustrissimi patris sui H(enrici) ducis Saxonie, qui ab obsequio sacrosante Romane
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Seite her entstammte Otto dem englischen Königshaus, seine väterlichen Vorfahren gehörten der sächsischen Linie des Welfengeschlechts an. In beiden Fällen waren Ottos Ahnen treue Anhänger der Kirche gewesen, insbesondere sein kaiserlicher Urgroßvater (proavus), Lothar III. von Süpplingenburg (1125-1137), der mit seinen Italienzügen den honor der Kirche zweimal verteidigt hatte.70 Schon im Mai 1200 hatte sich Otto IV. bereit erklärt, alles zu erfüllen, was Innozenz III. durch seinen Legaten gefordert hatte.71 Nach verschiedenen Verhandlungen schwor Otto IV. am 8. Juni 1201 in Neuss dem Papst seinen Eid, in dem er die päpstlichen Rechte über das patrimonium Sancti Petri zu respektieren versprach und sich bereit erklärte, auf eine eigenständige Italienpolitik zu verzichten.72 Mit seiner Bereitwilligkeit, die libertas ecclesiae zu schützen, hatte Otto der Kirche seine Idoneität bewiesen,73 zu der die Verdienste seines Hauses eine glaubwürdige Dignität beisteuerten.74 Zwei Jahre später, im Mai 1203, erklärte der staufische Kandidat Philipp von Schwaben in einem an Papst Innozenz III. adressierten Schreiben seine Bereitschaft, pro reformanda pace inter ecclesiam et imperium einige Zugeständnisse zu machen, die zwei päpstliche Gesandte – der Zisterzienser Otto aus dem Kloster Salem und Martinus, Prior der Camaldulenser – ihm vorgeschlagen hatten.75
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ecclesie numquam recessit, memoriter tenentes […], vgl. dazu D. UNVERHAU, Approbatio – Reprobatio (wie Anm. 15), S. 229. RNI (wie Anm. 46), S. 90-91, doc. 29: […] et per se devotus existat ecclesie et ex utraque partes trahat originem ex genere devotorum: ex parte matris de domo regis Anglie, ex parte patris de prosapia ducum Saxonie, qui omne ecclesie fuere devoti, et specialiter Lotharius imperator proavus eius, qui bis pro apostolice sedis honore Apuliam est ingressus et in obsequio ecclesie Romane decessit […]. Gervasius von Tilbury präsentierte Otto IV. als legitimen Erben der Kaiserwürde. Der englische Autor stellte in seinem Werk Otia imperialia ein genealogisches Programm auf, welches die Fülle der veteris imperialis dignitas zeigte; siehe B. KELLNER, Ursprung und Kontinuität (wie Anm. 35), S. 358-362. RNI (wie Anm. 46), S. 54-59, doc. 20, hier besonders S. 57. Ebd., S. 207-211, doc. 77; dazu D. UNVERHAU, Approbatio – Reprobatio (wie Anm. 15), S. 222-230 und 244-246. RNI (wie Anm. 46), S. 209-212, doc. 77: Tibi etiam domino meo Innocentio pape et successoribus tuis omnem obedientiam et honorificientiam exibebo quam devoti et catholici imperatores consueverunt sedi apostolice exhibere. Zur Kategorie des Gehorsams im ekklesiologischen Denken des 11. und 12. Jahrhunderts vgl. H. FUHRMANN, Quod catholicus non habeatur, qui non concordat Romanae ecclesiae. Randnotizen zum Dictatus Papae, in: K.-U. JÄSCHKE / R. WENSKUS (Hgg.), Festschrift für Helmut Beumann zum 65. Geburtstag, Sigmaringen 1977, S. 263-287; O. HAGENEDER, Die Häresie des Ungehorsams und das Entstehen des hierokratischen Papsttums, in: Römische Historische Mitteilungen 20 (1978), S. 29-47 und K.-J. BENZ, Kirche und Gehorsam bei Papst Gregor VII. Neue Überlegungen zu einem alten Thema, in: M. WEITLAUFF / K. HAUSBERGER (Hgg.), Papsttum und Kirchenreform. Historische Beiträge. Festschrift für Georg Schwaiger zum 65. Geburtstag, St. Ottilien 1990, S. 97150. Über die besondere Bedeutung dieses Gehorsamsversprechens als Erweiterung zu den verhältnismäßig beständigen kaiserlichen Formeln siehe D. UNVERHAU, Approbatio – Reprobatio (wie Anm. 15), S. 227-228, hier Anm. 160. Ebd., S. 228-229. Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 8-10, doc. 8 und 9.
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Dient dieses Schriftstück auch als Beleg für die unklare Positionierung des Papstes gegenüber dem komplizierten politischen Kontext,76 so erbringt es gleichwohl nochmals einen Nachweis über die kirchlichen Erwartungen hinsichtlich der Aufgaben eines Kaisers und damit auch der Anforderungen an die kaiserliche Idoneität. Philipp drückte seinen Willen aus, gegenüber der Kirche obedientes et devotus zu sein und ging in seinem Brief auf mehrere wichtige Kernpunkte ein. Diese scheinen konform mit den traditionellen Brennpunkten, die die Auseinandersetzungen zwischen Papsttum und Kaisertum charakterisiert hatten. In seinem Schreiben entschuldigte sich Philipp für alle gegen die Kirche gerichteten Vergehen und gab sein Versprechen, ein Vasall, Getreuer, Sohn und Beschützer der Kirche zu sein (fidelis et devotus atque filius et defensor). Philipp verkündete dann seine Absicht, die Organisation eines Kreuzzugs zur Befreiung des Heiligen Landes zu übernehmen und im Falle eines Sieges über das Regnum Grecorum die Unterstellung der Kirche Konstantinopels unter die römische Kirche anzuerkennen. Zusätzlich erklärte er sich bereit, jene Güter und Rechte, die er und seine Vorgänger ungerechtfertigt der Kirche entfremdet hatten, zurückzugeben. Die Rechte der Kirche über die Regalien versprach Philipp anzuerkennen und bei der Wahl der Bischöfe und Prälaten das kanonische Recht zu respektieren sowie die Übertragung der spiritualia dem Papst zu überlassen. Auch wollte Philipp zugunsten der Kirche seine Vogteirechte reduzieren und eine generalis lex im Reich einführen, nach der ein zuvor Exkommunizierter umgehend dem weltlichen Bann verfallen sollte.77 Um den Frieden (pax) und die Freundschaft (amicitia) zwischen ihm und Innozenz III. dauerhaft zu besiegeln, stellte Philipp die Vermählung seiner Tochter mit einem Verwandten des Papstes in Aussicht,78 ein Vorhaben, das wenige Jahre später erneuert wurde und Philipp offenbar das Leben kostete: Zur Realisierung dieses Eheprojekts wurde die bereits bestehende Verlobung einer der Königstöchter mit dem bayerischen Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach († 1209) aufgelöst, woraufhin der in seiner Ehre gekränkte Adlige den Staufer am 21. Juni 1208 in Bamberg erschlug.79 76 Über die Gründe, die den Papst zwangen, sich mit Philipp immer wieder die Verhand-
lungen offen zu halten, siehe D. UNVERHAU, Approbatio – Reprobatio (wie Anm. 15), S. 231-233. Dazu auch S. KRIEB, Vermitteln und Versöhnen. Konfliktregelung im deutschen Thronstreit 1198-1208 (Norm und Struktur 13), Köln/Weimar/Wien 2000, S. 153182 und allgemein W. MALECZEK, Das friedensstiftende Papsttum im 12. und 13. Jahrhundert, in: J. FRIED (Hg.), Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen 43), Sigmaringen 1996, S. 249-332. 77 Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 8-10, doc. 8 und 9. 78 Ebd. Siehe T. WELLER, Die Heiratspolitik des deutschen Hochadels im 12. Jahrhundert (Rheinisches Archiv 149), Köln/Weimar/Wien 2004, S. 292, Anm. 341; DERS., Dynastische Politik unter Philipp von Schwaben, in: A. RZIHACEK / R. SPREITZER (Hgg.), Philipp von Schwaben (wie Anm. 38), S. 193-214, insbesondere S. 201-209. 79 D. UNVERHAU, Approbatio – Reprobatio (wie Anm. 15), S. 233; T. WELLER, Dynastische Politik (wie Anm. 78), S. 209-213. Zum Königsmord vgl. P. LANDAU, Die Ermordung des deutschen Königs Philipp von Schwaben in Bamberg am 21. Juni 1208. Rechtsgeschichtliche Fragen zum ersten deutschen Königsmord, in: J. GIESSAUF (Hg.), Päpste,
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Aus den Schriftstücken, die in diesen Jahren des Thronstreits entstanden, wird klar ersichtlich, dass Idoneität für Papst Innozenz III. eine conditio sine qua non für die Erhöhung eines gewählten römisch-deutschen Königs zur Kaiserwürde war. Neben der unabdingbaren devotio zur römischen Kirche wurden andere Eigenschaften von einem zukünftigen Kaiser erwartet, wie Stärke (strenuitas), Tüchtigkeit (probitas), Fleiß (industria), Voraussicht und Maßhalten (providitas et discretio), Kraft und Beständigkeit (fortia et constantia). Diese persönlichen Merkmale, die zum etablierten Kanon der Herrscherethik gehörten, waren aber im Erwartungshorizont der Zeit nicht ausreichend. Die persönliche Eignung wurde erstmalig vom Papst direkt an die merita der Vorfahren und an ihre Treue zur römischen Kirche rückgebunden, wie es in der kaiserlich-staufischen Tradition schon lange verankert war und von den welfischen Kreisen übernommen worden war. Schon im Jahre 1198 wurden die Wahl und die Krönung Ottos IV. von seiner Anhängerschaft mit der Erklärung seiner Befähigung und Berufung zum Regieren untermauert: Er hatte sich als ein christiane fidei cultor devotissimus, atque sancte Romane ecclesie advocatus et defensor fidelissimus, et iudiciarie potestatis observator iustissimus erwiesen.80 Aus der Korrespondenz des Papstes erfährt man gleichermaßen die Kriterien, die die Unwürdigkeit zum Regieren definierten: Die Exkommunikation, der Eidbruch und die verschiedenen Verfolgungen gegen die Kirche, sowie seine Zugehörigkeit zu einem Geschlecht von Verfolgern stellten aus der Sicht des Papstes hinreichende Begründungen dar, um die Befähigung König Philipps zur Kaiserherrschaft abzulehnen. Einige Jahrzehnte später wurde in einer völlig veränderten politischen Situation die Zugehörigkeit zum staufischen Geschlecht wieder als Argument sowohl für als auch gegen die Idoneität seiner Vertreter angewendet.
2. Die Nachkommen Friedrichs II.: Behaupten und Bestreiten von dynastischer und persönlicher Idoneität Nach dem Urteil des Lyoneser Konzils von 1245 war Kaiser Friedrich II. aus päpstlicher Perspektive ein subtractionis et perditionis filius, dem die Idoneität zum Regieren aberkannt worden war.81 Der staufische Kaiser starb fünf Jahre später Privilegien, Provinzen: Beiträge zur Kirchen-, Rechts- und Landesgeschichte. Festschrift für Werner Maleczek zum 65. Geburtstag (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 55), Wien 2010 S. 229-244 und W. MALECZEK, Papst Innocenz III. und die Ermordung Philipps von Schwaben. Überlegungen zum Verfahren gegen den Königsmörder und seine mutmaßlichen Helfer, in: A. RZIHACEK / R. SPREITZER (Hgg.), Philipp von Schwaben (wie Anm. 38), S. 25-58. 80 RNI (wie Anm. 46), S. 24, doc. 10. 81 Vita Innocentii IV. (wie Anm. 1), S. 278, cap. 29: […] sepe fatum tyrampnum Fredericum subtractionis et perditionis filium, anno Domini millesimo CCL, festo beate Lucie, pontificatus domini In-
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im Dezember 1250.82 Sein Tod wurde von dem antistaufischen päpstlichen Biographen Nikolaus von Calvi als acerrima et crudelis beschrieben. Das Elend seines Ablebens war ein klares Indiz dafür, dass er eine vita nequissima geführt hatte: Wie ein Ketzer habe er einen fürchterlichen Tod erlitten; zähneknirschend, brüllend und mit Schaum vor dem Mund sei Friedrich zugrunde gegangen.83 Über den Kaiser und sein lasterhaftes Leben wollte Nikolaus von Calvi nocentii pape IIII anno VIII, subtraxit de medio ipse Deus; qui in Apulia castro Florentini laborans gravibus dissenteriis, frendens dentibus, spumans, et se discerpens, ac rugiens immensis clamoribus, excommunicatus et depositus miserabiliter expiravit, ut sic merito attestaretur sue vite nequissime mors hec tam acerrima et crudelis: mors enim peccatorum pessima et finis interitus terminatur. Der Begriff perditionis filius wurde in der päpstlichen Kommunikation verwendet, um diejenigen zu bezeichnen, die nicht dem christlichen Glauben folgten. Gregor IX. wendete sich in einem Brief des Jahres 1232 mit dieser Bezeichnung etwa gegen die Sarazenen von Lucera, vgl. Epistolae saeculi XIII e regestis pontificum Romanorum, ed. C. RODENBERG (Monumenta Germaniae Historica, Epistolae saeculi XIII), Bd. 1, Berlin 1883, S. 398-399, doc. 494, hier S. 398. Ein Jahr später bezeichnete Gregor IX. mit demselben Ausdruck einige Häretiker: ebd., S. 432-434, doc. 537, hier S. 433. Einige Jahre später, als der Konflikt zwischen Kaiser und Papst apokalyptische Töne erreichte, wurde dieser Terminus auf den exkommunizierten Kaiser angewendet. Am 12. Februar 1241 hatte Gregor IX. in Ungarn einen Kreuzzug contra Fridericum dictum imperatorem perditionis filium predigen lassen; vgl. ebd., S. 706-707, doc. 801. Im Mai desselben Jahres schrieb der Papst dem Podestà, dem consilium und der Kommune von Ianua, um von der Stadt Hilfe gegen den perditionis filius, vir flagitiosus, apostata Fridericus dictus imperator zu erbitten, ebd., S. 714-716, doc. 813, hier S. 715. Zur Eskalation des Kaiser-Papst-Konfliktes und seiner Verknüpfung mit Endzeitvorstellungen siehe H. M. SCHALLER, Endzeit-Erwartung und Antichrist-Vorstellungen in der Politik des 13. Jahrhunderts, in: DERS., Stauferzeit. Ausgewählte Aufsätze (Monumenta Germaniae Historica, Schriften 38), Hannover 1993, S. 25-52. 82 W. STÜRNER, Friedrich II. (wie Anm. 6), Teil II, S. 311. 83 Siehe Anm. 81. Es handelt sich um ein ziemlich verbreitetes Motiv in der stauferkritischen Geschichtsschreibung. Das qualvolle Ende des Kaisers galt als ein sicheres Indiz dafür, dass Friedrich II. ein schlechter Herrscher war; vgl. z.B. die Fortsetzung der Chronik Ottos von Freising: Ottonis episcopi Frisingensis Chronicon, ed. R. WILMANS (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 20), Hannover 1868, S. 276-277 (Continuatio altera), hier S. 276: Sed Fridericus tanquam tyrannus adhuc in regno magis potestate et violencia quam auctoritate legitima in imperio permansit. Sed anno Domini 1250 a Domino percussus diem extremum clausit, sed quia excommunicatus, ut diximus, fuerat a summis pontificibus […] tanquam canis et infidelis abiectus est nec fidelium participavit sepulture. Morsque eius ab his baronibus et principibus qui tunc in curia sua presentes aderant, fuit occultata; Saba Malaspina, Die Chronik des Saba Malaspina, ed. W. KOLLER / A. NITSCHKE (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 35), Hannover 1999, S. 94. Ricordano Malispini erwähnt in seinem Geschichtswerk (Istoria Fiorentina di Ricordano Malespini, gentiluomo Fiorentino, in: L. A. MURATORI, Rerum Italicarum Scriptores, Bd. 8, Mailand 1726, Sp. 881-1046), dass der Tod des Kaisers senza penitenzia, e senza sacramenti erfolgte (ebd., Sp. 974, cap. 143), und bei dem thüringischen Fortsetzer der Sächsischen Weltchronik (Sächsische Weltchronik, ed. L. WEILAND [Monumenta Germaniae Historica, Deutsche Chroniken 2], Hannover 1877, S. 295) heißt es: Dornach starp keyser Vrederich, der bose man. Sofort danach verhängte der Chronist dasselbe Urteil auch über Konrad IV.: Dornach kurzlichen starp koning Conrat, sin son, ouch jamerliche unde art begraben bei dem vatere. Der Topos des schlechten Todes als Strafe eines schlechten Königs kommt schon in biblischen Erzählungen vor, wie zum Beispiel den Makkabäer-
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nicht weiter berichten und ließ im Prinzip das Urteil für die Nachwelt offen: […] turpe est cogitare, turpius dicere, turpissimum exercere.84 Der exkommunizierte und abgesetzte Kaiser nahm kurz vor seinem Tod in seinem Testament wichtige Anordnungen de imperio et regnis […] disponendum vor. Sein 1228 geborener Sohn Konrad, der seit dem Ableben des ältesten Kaisersohnes Heinrich (VII.) im Jahre 1242 primogenitus von Friedrichs männlichen Erben war, wurde als rex Romanorum et Regni Ierosolimitanum heres eingesetzt, sowohl in imperio als auch in den anderen angekauften sowie hinzugekommenen Territorien und specialiter in regno nostro Sicilie.85 Die Bestimmung Konrads IV. zum universalen Nachfolger Friedrichs im Imperium fand in den Augen der kaiserfreundlichen Partei ihre rechtliche Grundlage in dem Wahlverfahren auf dem Hoftag von Wien im Jahre 1237.86 büchern. In der Antike schrieb Lactanz in seinem Werk De mortibus persecutorum allen Königen, die Gottesfrevler und Christenverfolger waren, schmerzhafte, abscheuliche und entehrende Todesarten zu, um die Herrscher zu warnen, sich nicht gegen die göttliche Allmacht zu stellen, siehe I. BRAISCH, Eigenbild und Fremdverständnis im Duecento. Saba Malaspina und Salimbene da Parma, 2 Bde. (Grundlagen der Italianistik 12), Frankfurt a. M. 2010, hier Bd. 1, S. 213 und B.-U. HERGEMÖLLER, Die Freunde des Bösen. Malographie, Schwarze Legende und Hate Crime im Mittelalter (Hergemöllers Historiographische Libelli 5), Hamburg 2007, S. 55 und 59-61. Kontrapunkt ist die Erwähnung des ‘christlichen Todes’ von Friedrich II. infolge seiner Bekehrung, wie es in einigen kaiserfreundlichen Quellen dargestellt wird. Exemplarisch hierfür ist Matthew Paris, der berichtet, dass der bußfertige Kaiser auf dem Sterbett von dem Erzbischof von Palermo die Absolution erlangte und in der Kutte eines Zisterziensermönchs als Zeichen seiner Frömmigkeit starb; Matthaei Parisiensis, Monachi Sancti Albani, Chronica Maiora, ed. H. R. LUARD (Rolls Series 57), 7 Bde., London 1872-1883 (ND London 1964), Bd. 5, S. 216: Completis autem eodem anno diebus natalitiis, et iminente festo purificacionis beate Marie, increbruit rumor per partes Occidentales de morte Fretherici, quondam Romanorum imperatoris, quod scilicet die sancte Lucie virginis morbo percussus irremediabili, die sancti Stephani obierit. Qui, ut dicitur, videns mortem suam indubitanter iminere, contritus pro peccatis suis confessionem fecit plenissimam cum lacrimarum ubertate, se Deo commendans et ordini Cisterciensi, unde habitum Cisterciensium ante mortem, ut nobis suorum fidelium patefecit certa relatio, humiliter ac devote suscepit. Et quia mors in foribus erat, quidam episcopus ex parte Dei, Qui neminem in se credentem vult perire, ipsum satisfactionem promitentem absolvit. 84 Vita Innocentii IV. (wie Anm. 1), S. 279, cap. 29. 85 Testament Friedrichs II., in: Breve chronicon de rebus Siculis, ed. W. STÜRNER (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum 77), Hannover 2004, S. 118-122, hier insbesondere S. 119. Über die Söhne Friedrichs II. siehe W. STÜRNER, Die Söhne Friedrichs II. und das Ende der Staufer, in: W. HECHBERGER / F. SCHULLER (Hgg.), Staufer und Welfen (wie Anm. 38), S. 202-215 und C. SPERLE, König Enzo von Sardinien und Friedrich von Antiochia. Zwei illegitime Söhne Kaiser Friedrichs II. und ihre Rolle in der Verwaltung des Regnum Italiae (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 894), Frankfurt a. M. 2001. 86 Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 439-441, doc. 329. Über Konrad IV. siehe G. BAAKEN, Corrado IV, re dei Romani, di Sicilia e di Gerusalemme, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 29, Rom 1983, S. 388-394; H. M. SCHALLER, Konrad IV., in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 12, Berlin 1980, S. 500-501 und über die politische Praxis vgl. M. KAUFHOLD, Konrad IV. – Königliches Handeln in einer Zeit des Wandels, in:
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Die Willensentscheidung des Kaisers bezüglich der dynastischen Sukzession von Konrad sowohl im Reich als auch im Regnum vertrug sich nach dem Konzil von Lyon nicht mehr mit den Plänen des Papstes, der sich für die Prüfung der Idoneität des Bewerbers um die kaiserliche Würde verantwortlich fühlte und die Lehnshoheit über das Regnum Siciliae innehatte. Es ist an dieser Stelle notwendig zu bemerken, dass Konrad nach seiner Wahl im Jahre 1237 in Aachen weder gekrönt noch gesalbt worden war.87 Die päpstliche Kanzlei verweigerte ihm konsequent in jedem an ihn adressierten Schriftstück den Königstitel.88 Mit der Absetzung des Kaisers in Lyon und der Einladung der Fürsten, eine neue Wahl vorzunehmen, war die Ablehnung Konrads als deutscher König schon vor dem Ableben Friedrichs II. von Seiten des Papstes vollzogen worden.89
2.1. Cesarea stirps: Staufische Diskurse zur Idoneitätsbehauptung Es wird im Folgenden gezeigt, mit welchen Argumenten in der staufernahen Publizistik die Idoneität der Nachkommen von Kaiser Friedrich II. zur Herrschaft begründet wurde. Dies geschieht in einem ersten Schritt anhand einiger Schriftstücke aus der staufischen Kanzlei mit eindeutig legitimationsstiftender Intention – unabhängig davon, ob diese in Umlauf gelangten oder aber rhetorische Stilübungen blieben. In einem zweiten Schritt werden dann ausgewählte historiographische und narrative Werke herangezogen, in denen die Vorstellung
Konrad IV. (1228-1254). Deutschlands letzter Stauferkönig (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 32), Göppingen 2012, S. 10-25. 87 Vgl. ebd., S. 12-13. Konrad selbst bezeichnete sich bis zum Tode des Kaisers als Conradus divi augusti imperatoris Friderici filius Dei gratia Romanorum in regem electus semper augustus et heres regni Ierusalem; vgl. alle Intitulaturen in den Dokumenten bis zum Jahr 1245 in: Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 442-449. Seit dem Tod Friedrichs II. bezeichnete er sich als Conradus Dei gracia Romanorum in regem electus semper augustus et Ierusalem et Sicilie rex, vgl. ebd., S. 449-451. 88 In einem Brief des Jahres 1240 schrieb Gregor IX. Corrado nato Friderici dicti imperatoris, qui se facit regem Teutonie appellari. Wie Gerhard Baaken unterstrichen hat, wurde Konrad IV. in anderen Briefen von Innozenz IV. als nobilis vir oder als Friderici filius, in den päpstlichen Briefwechseln mit dem Kaiser als natus tuus oder filius tuus angesprochen; G. BAAKEN, Corrado IV (wie Anm. 86), S. 388-394. 89 1251 schrieb die päpstliche Kanzlei über Conradus filius F. quondam imperatoris et […] numquam rex extiterit nec potuerit vicem vel officium pro illo gerere, quem a regimine constat imperii auctoritate divina in Lugdunensi concilio cecidisse; Epistolae saeculi XIII e regestis pontificum Romanorum, ed. C. RODENBERG (Monumenta Germaniae Historica, Epistolae saeculi XIII), Bd. 3, Berlin 1894, doc. 74, S. 59.
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des Hofes über die Idoneität eines Herrschers verdeutlicht und für die Leserkreise plausibel gemacht wurde.90
2.1.1. Die Argumente der staufischen Kanzlei a) Die Wahlanzeige Konrads IV. Das erste Dokument, welches für die Analyse in Betracht kommt, ist das Protokoll des Wahlverfahrens des Jahres 1237. Abgesehen von der Bedeutung, die das Protokoll für die Entwicklung des Königswahlrechts besaß, zeigt der Text die politische Stärke Friedrichs II., der die Wahl auch nach der Bulla Venerabilem von 1202 ohne Vermittlung des Papstes durchsetzen konnte.91 Mit welchen Argumenten operierten die Fürsten und die stauferfreundlichen Akteure, um die Legitimation Konrads als zukünftigem Kaiser ohne die Zustimmung des Papstes zu untermauern? Die Fürsten wollten ad voluntatem et preces des Kaisers dessen Sohn Konrad “einmütig […] zum König der Römer und zum […] künftigen Kaiser nach dem Tode des Vaters” erheben.92 Sie versprachen, ihm ihre Treueeide zu leisten und ihm mit Rat und Tat beim Erwerb der Kaiserkrone beizustehen.93 Die Legitimität der Wahl wurde in dem Text durch den 90 Zur Plausibilisierung von genealogisch-dynastischen Konstruktionen siehe C. ANDENNA,
Wer ist zur Herrschaft geeignet? (wie Anm. 35), S. 116-121; G. MELVILLE, Die Bedeutung geschichtlicher Transzendenzräume und ihre Kritik. Zum Problem der Plausibilisierung dynastischer Geltungsbehauptungen, in: H. VORLÄNDER (Hg.), Transzendenz und die Konstitution von Ordnungen (wie Anm. 35), S. 142-160 und K. HERING / T. TANNEBERGER, Unglaubliche Geschichten? Zur Plausibilisierung von Transzendenzbehauptungen, in: S. DREISCHER / C. LUNDGREEN / S. SCHOLZ / D. SCHULZ (Hgg.), Jenseits der Geltung. Konkurrierende Transzendenzbehauptungen von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin 2013, S. 212-232. 91 Das Protokoll ist ediert in: Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 439-441, doc. 329. Vgl. B. CASTORPH, Die Ausbildung des römischen Königswahlrechtes (wie Anm. 41), S. 40-45; H. MITTEIS, Die deutsche Königswahl. Ihre Rechtsgrundlagen bis zur Goldenen Bulle, Darmstadt 21969, S. 176-182 und J. ROGGE, Die deutschen Könige im Mittelalter. Wahl und Krönung, Darmstadt 2006, S. 45. 92 Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 441, doc. 329: Sicque nos, inspirante nobis tam salubre consilium gratia summi Regis, ad voluntatem et preces eiusdem domini nostri imperatoris, apud Viennam unanimiter vota nostra contulimus in Conradum antedicti domini imperatoris filium, regni Ierosolimitani legitimum successorem, eligentes ipsum ibidem in Romanorum regem et in futurum imperatorem nostrum post obitum patris habendum; vgl. auch W. STÜRNER, Friedrich II. (wie Anm. 6), Teil II, S. 333. Ausgiebig behandelt wurde diese Wahl von K. G. HUGELMANN, Die Wahl Konrads IV. zu Wien im Jahre 1237, Weimar 1914. 93 Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 440, doc. 329: […] ad obtinendum solemniter imperii diadema sibi, prout de iure tenemur, consilium et auxilium impendemus. Über die Funktion des Senats siehe J. STROTHMANN, Kaiser und Senat. Der Herrschaftsanspruch der Stadt Rom zur Zeit der Staufer (Archiv für Kulturgeschichte, Beiheft 47), Köln/Weimar/Wien 1998.
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Rückbezug auf die antike königliche und kaiserliche Tradition, an deren Basis das Konzept der translatio imperii stand, hergestellt. Das Königtum sowie das Prinzip des Wahlrechts waren von Troja über Rom nach Deutschland übertragen worden.94 Die Fürsten, die in Wien Konrad wählten, bezeichneten sich als patres et imperii lumina und erklärten, dass sie die Stellung des römischen Senats übernommen hätten.95 Gleichermaßen wurde auch die Begründung der Wahl des Sohnes des herrschenden Kaisers – und damit implizit die Idoneität Konrads selbst – auf die Tradition der Antike zurückgeführt. Die Übertragung der Herrschaft innerhalb einer dynastischen Kontinuität wird hier als positive und nützliche Praxis sowohl für den Kaiser als auch für das Reich angeführt.96 Etwa ein halbes Jahrhundert zuvor hatte Gottfried von Viterbo den Mythos von Troja als einen der wichtigen Knotenpunkte der Geschichte in seine Genealogie der Staufer eingebaut.97 Solche Vorstellungen trugen gleichzeitig dazu bei, die Idee eines auf Rom zentrierten Kaisertums zu festigen, dessen Sakralität nicht in der Anerkennung des Papstes durch Krönung und Salbung lag.98 Einen zusätzlichen Schritt mussten die Fürsten allerdings unternehmen, um dem Wahlprozess Gültigkeit zu verleihen: Die Zustimmung zu der Wahl Konrads konnte nur mit dem Argument der Nichteignung des schon gewählten und gekrönten Königs Heinrich (VII.) erlangt werden. Der erstgeborene Sohn des Kaisers hatte sich wegen 94 Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 440, doc. 329: Nam quamquam in Urbis ini-
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tiis, post memorabile Troianorum exitium et deletam tam inclitam civitatem, apud illius nove congregationis patres summa regni potestas et imperialis creationis suffragium resideret, ex successivis tamen et continuis incrementis imperii, postmodum calescente virtute tante fortune fastigium apud unicam civitatem, licet pre ceteris regiam, non potuit contineri. Sed post quam etiam remotissimos terminos quadam girovaga peregrinatione lustravit, tandem apud Germanie principes non minus probabili quam necessaria ratione permansit, ut ab illis origo prodiret imperii, per quos eiusdem utilitas et defensio procurantur. Ebd.: […] qui circa hoc Romani senatus locum accepimus. Ebd., S. 441: Considerationibus etenim nostris occurrit, qualiter divi cesares progenitores imperatoris eiusdem, qui longis retro temporibus imperio prefuerunt, non solum ut domini iustitie solium inclite tenuere, sed tamquam patres imperii paterne dilectionis zelum ad omnes et singulos habuerunt, qualiter nec personarum periculis nec rerum parcendo dispendiis et plerumque per dura bellorum discrimina imperii nostri fines in citramarinis et transmarinis partibus produxerunt, propter quod parentum laboribus fraudari filios nostri noluere maiores: nos ipsorum vestigiis laudabiliter inherentes, presentem imperatorem, quem in exaltationem Romani nominis et dignitatis auguste predecessorum suorum verum successorem agnoscimus et filium experimur, in sobole sua simili retributione decrevimus honorare, ut dum filium eius ex nunc in futurum imperatorem nostrum post eius mortem assumimus, iuste pro imperio pater hactenus laborasse se gaudeat laboretque libentius amodo, velut laborum suorum fructus non relicturus extraneo, sed ex communi voto parentum filio paraturus. K. HERING, Studien zur Idoneität (wie Anm. 32), S. 254-268; über den Trojamythos vgl. auch K. WOLF, Troja – Metamorphosen eines Mythos. Französische, englische und italienische Überlieferungen des 12. Jahrhunderts im Vergleich (Europa im Mittelalter 13), Berlin 2009 und K. GÖRICH, Troia im Mittelalter – der Mythos als politische Legitimation, in: M. ZIMMERMANN (Hg.), Der Traum von Troia. Geschichte und Mythos einer ewigen Stadt, München 2006, S. 120-134. Zur Romidee siehe E. DUPRÉ-THESEIDER, L’idea imperiale di Roma nella tradizione del medioevo, Mailand 1942.
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seiner Auseinandersetzung mit dem Vater als unwürdig für die königliche Stellung und die Kaiserwürde erwiesen (loco tanti regimini se monstravit indignum).99 An dieser Stelle ist es der Konflikt mit dem Vater, der die Unwürdigkeit des Sohnes zur Erwerbung der Kaiserrechte zur Folge hatte. In den offiziellen politischen Diskursen des 12./13. Jahrhunderts stellte dieser Rückbezug auf die Tradition der trojanischen Könige und römischen Kaiser eines der zentralen Elemente dar, die die Idoneität der aktuellen Herrscherdynastie und ihrer Vertreter begründete und zeigte, dass die Legitimation ihrer Macht aus einer weit in die Vergangenheit zurückreichenden Herrschaftstradition resultierte. Indes war die genealogische Abstammung nicht die einzige Komponente der Idoneität eines Herrschers. Dies belegt ein Brief Kaiser Friedrichs II. von 1238, worin der Kaiser den Sohn ermunterte, sich der sapientia zu widmen und auf die prudentia zu hören. Der Kaiser erklärte seinem Sohn Konrad, dass den Königen und den Herrschenden eine clara progenie allein nicht genüge, wenn ihre vornehme Herkunft nicht von der Tugend der generositas gestützt und ihre Herrschaft durch ruhmvolles Handeln ausgezeichnet würde.100 Könige und Kaiser unterschieden sich von den übrigen Menschen, weil sie sich zum einen in einer herausgehobenen Position befänden, zum anderen aber, weil ihnen durch die Tugend der prudentia geboten sei, mit einem schärferen Blick zu sehen und in vorbildlicher Weise zu handeln.101 Die Sorge um die tugendreiche Erziehung seines zum zukünftigen König und Kaiser designierten Sohnes erscheint auch in zwei anderen Briefen des Jahres 1244. Konrad war in schlechte Gesellschaft geraten, und der Kaiser ermahnte diejenigen, welche mit der Unterweisung seines Sohnes betraut waren, die distorti mores Konrads zu korrigieren und ihn in viam honestatis et disciplinae zurückzuführen.102 In dem zweiten, direkt an Konrad adressierten Schreiben empfahl 99 Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 441, doc. 329; vgl. dazu R. GRAMSCH, Das
Reich als Netzwerk der Fürsten. Politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) 1225-1235 (Mittelalter-Forschungen 40), Ostfildern 2013; W. STÜRNER, König Heinrich (VII.). Rebell oder Sachwalter staufischer Interessen?, in: Staufisches Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze zur Herrschaftspraxis und Persönlichkeit Friedrichs II. (Stuttgarter historische Forschungen 14), Köln/Weimar/Wien 2011, S. 265290 und E. SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 12), S. 211-217. 100 Sapientia und generositas sind auch die Leitideen der Herrschaft Friedrichs II. laut der Historia de rebus gestis Friderici II Imperatoris, siehe F. DELLE DONNE, Gli usi e i riusi della storia. Funzioni, struttura, parti, fasi compositive e datazione dell’Historia del cosiddetto Iamsilla, in: Bullettino dell’Istituto storico italiano per il medioevo 113 (2011), S. 31-122, hier S. 35 und S. 50-52. 101 Primatibus orbis et regibus clara progenies sola non sufficit, nisi genus egregium generositas adiuvet et illustris industria clarificet principatum; nec hoc solum quod altius sedeant reges et Caesares ab aliis distinguuntur, et quod profundius videant et virtuosius operentur. […] Ergo, fili mi, attende sapientiam spiritus et prudentie inclina aurem tuam, HB (wie Anm. 4), Bd. 5, S. 274; über den Begriff der nobiltà am Hof Friedrichs II. vgl. F. DELLE DONNE, Una disputa sulla nobiltà alla corte di Federico II di Svevia, in: Medioevo romanzo 23 (1999), S. 3-20. 102 HB (wie Anm. 4), Bd. 6, S. 244-245, hier S. 245.
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Friedrich II. seinem Sohn, sich an den Rat seiner weisen Berater zu halten und von Tugend zu Tugend fortzuschreiten sowie jene Tugenden, die er erlernt habe, in der Praxis anzuwenden. Im Einklang mit den Vorgaben des PseudoCyprianus sollte er sich hingegen vor schlechten Ratgebern hüten.103 Durch die direkten Anweisungen des Vaters an den Sohn trägt der kaiserliche Brief den Charakter eines Fürstenspiegels. Es folgt eine detaillierte Beschreibung, welche Eigenschaften notwendig seien, um sich auf die Herrschaft vorzubereiten: Voraussicht, Gerechtigkeit, Leutseligkeit, Barmherzigkeit, fromme Gesinnung, Wahrhaftigkeit, sowie Tüchtigkeit in Heeresdingen und das Streben nach Frieden sind die Eigenschaften, die ihm besonders nahegelegt werden.104 Das Beispiel seines älteren Bruders Heinrich und dessen unvorsichtige Tollkühnheit sollte Konrad fest vor Augen stehen und ihn stets zu Respekt und Gehorsam gegenüber dem Vater anhalten. Heinrich war aufgrund seiner Undankbarkeit aus seinem Amt und seiner Stellung entfernt worden. Er hatte sich den Schmeicheleien und schlechten Ratschlägen ausgeliefert, die nicht nur zur Plünderung seiner Güter geführt hatten, sondern auch zur Korruption seines Verhaltens.105 Dieses Verhalten hatte zur Uneignung Heinrichs (VII.) geführt und aus Sicht des Kaisers seine Entmachtung verursacht. b) Manfreds Manifest an die Römer Einige Jahrzehnte später sind der von Konrads Königswahl her bekannte Bezug zum römischen Senat und zur Stadt Rom sowie die Abstammung aus einer alten kaiserlichen Dynastie wiederum die zentralen Argumente eines diesmal von der Kanzlei Manfreds im sizilischen Regnum verfassten Dokuments. Der unehelich geborene Sohn des Kaisers hatte sich 1258 ohne die Einwilligung des Papstes in Palermo zum König des Regnum Sicilie krönen lassen (Abb. 9) und dabei seine
103 Pseudo-Cyprianus, De duodecim abusivis saeculi, ed. S. HELLMANN (Texte und Untersu-
chungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 34), Leipzig 1909, S. 1-61, abusio 9, S. 51-53. Für die Einflüsse dieses Textes auf den Okzident vgl. H. H. ANTON, PseudoCyprian, De duodecim abusivis und sein Einfluß auf den Kontinent, insbesondere auf die karolingischen Fürstenspiegel, in: H. LÖWE (Hg.), Die Iren und Europa im früheren Mittelalter (Veröffentlichungen des Europa-Zentrums Tübingen, Kulturwissenschaftliche Reihe), Bd. 2, Stuttgart 1982, S. 568-617. Dazu auch C. ANDENNA, Wer ist zur Herrschaft geeignet? (wie Anm. 35), S. 133. 104 HB (wie Anm. 4), Bd. 6, S. 245-246, hier S. 246: […] in severitate militum et militie delecteris, affabilem te prebeas et exaudibilem subditis, juste pius et pie justus existens, pacificus rex et verax, ut in te sibi misericordia et veritas obviantes, iustitia simul et pax tuum regale solium amplectantur. 105 Ebd., S. 246: Ad nos autem memoriter respectum habeas […] improvisa tui fratris quondam regis Henrici et incauta temeritas veniat frequenter in mentem, qui pro eo nobis conscendere noluit et obedire patris filius recusavit, secutus adulationes, blanditias et suggestus nec non prava consilia dirimpientium bona sua et pervertentium cotidie mores ejus […].
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Erhebung mit dem Gerücht vom Tod seines Neffen Konradin abgesichert.106 Der Papst hatte diese Usurpation nicht akzeptiert und Verhandlungen geführt, um einen neuen geeigneten Kandidaten für das Regnum zu finden.107 Nach einer langwierigen Suche konnte Urban IV. im August 1263 die Verhandlungen mit Karl von Anjou über die Belehnung mit Sizilien erfolgreich abschließen. Der Bruder des französischen Königs zog am 23. Mai 1265 feierlich in die ‘Ewige Stadt’ ein und erhielt hier die Senatorenwürde. Seine Belehnung und seine Krönung zum König von Sizilien erfolgten dann am 6. Januar des darauffolgenden Jahres.108
106 E. PISPISA, Il regno di Manfredi: proposte di interpretazione (Historica 4), Messina 1991,
inbesondere über die Bemächtigung mit der Krone von Sizilien S. 20-26. Über Manfred siehe auch W. KOLLER, Manfredi, re di Sicilia, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 68, Rom 2007, S. 633-641. 107 Innozenz IV. versuchte schon seit 1252, das Königreich Sizilien zuerst an Richard von Cornwall zu übertragen, der seine Abstammung aus der normannischen Dynastie nachweisen konnte und sowohl Bruder König Heinrichs III. von England als auch der dritten Gemahlin Friedrichs II. war. Richard lehnte die Aufforderung des Papstes ab, der dann seine Aufmerksamkeit auf Prinz Edmund von Lancaster richtete, dessen Vater Heinrich III. großes Interesse an einer Belehnung mit der Krone des sizilischen Königreichs hatte (siehe dazu auch unten bei Anm. 223). Im Jahre 1256 war Richard von Cornwall von einem Teil der Reichfürsten als König der Römer und zukünftiger Kaiser gewählt geworden, während der restliche Teil der Fürsten für Alfons von Kastilien plädierte. Erneut bat der Papst Heinrich III. und seinen Sohn Edmund 1256 und nochmals 1259 um Unterstützung und eine Kandidatur für die sizilische Krone. Alle diese Versuche blieben allerdings ohne Erfolg; vgl. J. SCHWARZ, Herrschaft und Herrschaftskonzeptionen des römisch-deutschen Königs Richard von Cornwall, in: A. NEUGEBAUER / K. KREMB / J. KEDDIGKEIT (Hgg.), Richard von Cornwall. Römisch-deutsches Königtum in nachstaufischer Zeit (Beiträge zur pfälzischen Geschichte, Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 109), Kaiserslautern 2010, S. 55-90, hier S. 58-60 und J. HALLER, Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit, Bd. 4: Die Krönung, verb. u. erg. Aufl., Esslingen 1962, S. 188; M. KAUFHOLD, Die Könige des Interregnum: Konrad IV., Heinrich Raspe, Wilhelm, Alfons, Richard (1245-1273), in: B. SCHNEIDMÜLLER / S. WEINFURTER (Hgg.), Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I. (919-1519), München 2003, S. 315-339; zu Richard (1257-1271) S. 335-338; B. WEILER, Matthew Paris, Richard of Cornwall’s candidacy for the German throne, and the sicilian Business, in: Journal of medieval History 26 (2000), S. 71-92; A. WACHTEL, Die sizilische Thronkandidatur des Prinzen Edmund von England, in: Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters 4 (1940/41), S. 98-178. Im Gespräch als Kandidat stand schon seit 1253 auch Karl von Anjou; siehe den Brief von Innozenz IV., datiert auf den 12. Juni 1253 (Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 [wie Anm. 89], S. 176-177, doc. 8). 108 P. HERDE, Karl von Anjou (Urban-Taschenbücher 305), Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1979, S. 34-67 und C. CAROZZI, Saba Malaspina et la legitimité de Charles Ier, in: L’État Angevin. Pouvoir, culture et société entre XIIIe et XIVe siècle. Actes du colloque international organisé par l’American Academy in Rome (Rome - Naples, 7-11 novembre 1995) (Collection de l’École Française de Rome 245. Nuovi Studi storici 45), Rom 1998, S. 8197.
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Am 24. Mai 1265, einen Tag nach der feierlichen Ankunft seines Rivalen, erließ Manfred als dei gratia rex Sicilie in vollkommener Fehleinschätzung der realen politischen Situation ein Manifest,109 in dem er seine Absicht verkündete, nach Rom zu kommen. Auch wenn dieses Dokument zu spät nach Rom gelangte und somit in den ghibellinisch orientierten Senatorenkreisen keine Wirkung mehr ausüben konnte, stellt sein Inhalt gleichwohl einen interessanten Beitrag zur Kenntnis des Herrschaftsverständnisses Manfreds dar. In dem Text entwickelte er die Idee eines gleichsam entsakralisierten Kaisertums, welches der Kontrolle und dem Einfluss der Kirche vollends hätte entzogen sein sollen. Er begründete sein Streben nach der Kaiserkrone mit der Verantwortung, die er durch seine genealogische Abstammung trug: Er, König Manfred, os de osse, caro de carne antiquissime cesaree monarchie, stehe in einer bereits zwölf Generationen zurückreichenden kaiserlichen Tradition,110 die ihre Anfänge in Julius Caesar besaß.111 Wenn seinerzeit Caesar nicht von Geburts wegen oder aus Würdigkeit oder aus seiner Machtfülle heraus das Imperium geschaffen hatte, so verfügte Manfred jetzt umso mehr durch seine Herkunft de antiquissimo sanguine cesaris christiani über die unbestreitbare Idoneität, das Reich neu zu formen (reformare). Diese Zugehörigkeit zur prosapia der antiken Kaiser (ex antiquorum imperatorum nostra prosapia) verschaffte ihm den Anspruch auf die Kaiserwürde.112 Um diese Würde zu er-
109 Der Text ist ediert in Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), doc. 424, S. 558-565.
Vgl. dazu C. FRIEDL, Herrschaftskonzeption bei König Manfred. Staufisches Ideal und Scheitern der realpolitischen Ansätze, in: D. ENGELS / L. GEIS / M. KLEU (Hgg.), Zwischen Ideal und Wirklichkeit. Herrschaft auf Sizilien von der Antike bis zum Spätmittelalter, Stuttgart 2010, S. 325-336, hier insbesondere 332-333 und E. PISPISA, Il Manifesto di Manfredi ai Romani, in: R. CASTANO / F. LATELLA / T. SORRENTI (Hgg.), Comunicazione e propaganda nei secoli XII e XIII. Atti del convegno internazionale (Messina, 2426 maggio 2007), Rom 2007, S. 529-539 und A. FRUGONI, Scritti su Manfredi (Nuovi studi storici 72), Rom 2006, S. 43-82. 110 Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), doc. 424, S. 559: Nos itaque os de osse ac caro de carne antiquissime cesaree monarchie attendentes, qualiter pervigili studio nec minus longis laboribus divi augusti victoriosissime recordacionis magnificencie nostre pater, avus, proavus, attavus, trittavus et ceteri progeniei nostre duodecimo numero retro temporibus orbi terrarum felicissime imperantes, circa imperii ac reipuplice triumphalem promotum, mundi quietem hominumque salutem singulis studuerunt sollerciis, heriditario debito relativis sollicitati affectibus ad imperialis culminis gloriam serenitatis nostre aciem direximus, ut qui speciali prerogativa imperandi, constitucionis infixa forma nostris ossibus a primevo ex antiquorum imperatorum nostra prosapia, pre ceteris mundi regibus prefulgemus, non autem accidentis coloris sophisticacione subcingimur, imperiali dyademate divino favente auxilio feliciter gloriemur. 111 Ebd., S. 564: Preterea non est novum, si potencia nostre maiestatis vult et esse debet predictorum omnium operatrix, cum legamus Iulium Cesarem, suo motu in venientem primordia imperialis fastigii, nullius auctoritatis suffragio primitus coronam possedisse imperii, eciam vestro invito senatu, quod potest forcius reputari, et hoc illud poete testatur Lucani: ‘traximus imperium quamvis nolente senatu’. 112 Ebd.: Si predictus igitur, non tante nativitatis, dignitatis atque potencie sicut nostra prefulgens maiestas, a se ipso novitatis formam eduxit, multo racionabilius nos, editi de antiquissimo sanguine cesaris christiani, forme reddere possumus imperium reformandum, tum quia prerogativa nostre nativitatis cesarea ac imperii possessione amplixima christianum quemlibet superamus, tum quia tibi Rome maxime nostre po-
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langen, benötigte er aber die Hilfe der auctoritas […] senatus, populi et comunis.113 Nicht die ecclesia imperatrix,114 die sich illegitimerweise des Anrechts auf das Imperium bemächtigt habe, sondern die Stadt Rom als mundi ac imperii capud necnon sacrosancte matris ecclesie fundamentum115 besäße das Recht (lex regia), den Kaiser zu wählen.116 c) Kanzleischreiben aus dem Umfeld Konradins Nach dem Tod Konrads IV. im Jahre 1254 versuchten einige Reichsfürsten am 23. Juni 1256, Konradin, aus staufischer Sicht designierter König von Sizilien und Jerusalem sowie Herzog von Schwaben, als Erbnachfolger seines Vaters im römischen Königtum durchzusetzen.117 Der Papst unterband dieses Vorhaben sowie auch einen zweiten Versuch im Jahr 1262 mit der Androhung der Exkommunikation gegenüber allen, die sich an der Unterstützung des Wahlprozesses beteiligten.118 Ein dritter und letzter Anlauf zur Erhebung von Konradin erfolgte nach dem Tod Manfreds in der Schlacht bei Benevent am 26. Februar 1266. Mit der Unterstützung der ghibellinischen Partei in Italien verstärkten die süddeutschen Stauferanhänger ihre Bemühungen, eine neue Wahl zu betreiben.119 Ihrer Überzeugung nach hätte er nach dem Erwerb der sizilischen Krone
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tencie confinibus confinamus, tum quia nostre prosapie non est novum, circa imperii libertatem se viriliter agere ac cunctis votis intendere. Ebd., S. 561: Hec tecum agere intendimus, Roma maxima, mundi capud, ut tam auctoritate tui senatus, populi et communis imperii iura resurgant et magestas nostra imperii solio preponatur, quam, imperiali nostra potencia privilegiis renovatis, antiquissime tue sedis dominabilem gloriam reassumas […] und S. 565: […] quoniam pro iam dicta restauracione imperii ac reipuplice Romanorum ad sacri sumendum dyadema imperii auctoritate sui senatus, populi et comunis [cum] maxime nostre potencie commitiva, Christi nomine invocato, advenire [ad] te Romam matrem et capud imperii properamus. Ebd., S. 562: Ait ecclesia imperatrix, cornix pennis sophistice pavonis [induta]: ‘Fungamur, fungamur utroque officio, imperii scilicet et papatus, et persequamur cesareum sanguinem Friderici, ut illo repulso, cui antiqua consuetudine imperandi antonomasice natura imperii arridebat, et inde suis filiis fecundabat, in fluctibus potentis ecclesie percussus resileat et eiusdem exemplo ceteri gradus imperii acquirere non presumant […]’. Ebd., S. 561. Ebd., S. 564: Nec tue potest contradicere maxime potestati Lex Regia, qua cavetur, omne imperium omnemque potestatem Romanum populum in cesarem transtulisse, cum illa in iure condendo, non enim circa eleccionem et formam imperii alloquatur. K. HAMPE, Geschichte Konradins von Hohenstaufen, Innsbruck 1892/93 (ND Leipzig 1940); H. M. SCHALLER, Konradin, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 12, Berlin 1980, S. 557-559; P. HERDE, Corradino di Svevia, re di Gerusalemme e di Sicilia, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 29, Rom 1983, S. 364-378 und W. STÜRNER, Die Söhne Friedrichs II. (wie Anm. 85), S. 211-215. Siehe unten den Abschnitt 2.2. Viperea stirps: Die Bestreitung von Idoneität aus der Sicht der kurialen Propaganda. O. H. BECKER, Kaisertum, deutsche Königswahl und Legitimitätsprinzip in der Auffassung der späten Staufer und ihres Umkreises (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 51), Bern/Frankfurt a. M. 1975, S. 59-66, hier
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den Papst zur Anerkennung seiner auf geblütsrechtlichen Vorstellungen beruhenden Ansprüche auf das römische Königtum und Kaisertum bewegen sollen. Die starke Opposition Richards von Cornwall, König Ottokars II. von Böhmen und des Papstes Clemens IV. ließ das Projekt endgültig scheitern.120 Der Publizist und Notar Petrus von Prece,121 der schon in der Kanzlei Friedrichs II. gewirkt hatte und anschließend sicher in derjenigen von Manfred tätig war,122 war nach dem Ableben Manfreds nach Bayern gereist und in den Dienst des jungen Konradin als Vizekanzler und Protonotar getreten.123 In Vorbereitung des Wahlverfahrens und dessen Proklamation hatte er schon einige propagandistische Texte entworfen.124 Besonders in zwei solcher Texte tritt das genealogische Argument wieder in den Vordergrund als Kriterium für die Idoneität Konradins zuerst als erbberechtigter rex Siciliae und später dann als rex Romanorum in imperatorem promovendus. In dem ersten Dokument, der Protestatio Corradini, wird der rechtmäßige Anspruch des jungen Staufers auf das Erbe des Regnum Sicilie dargelegt und begründet. Er ist nach den testamentarischen Dispositionen seines Vaters der einzige legitime Nachfolger. Seit langer Zeit hatten seine Vorfahren das Regnum in ihrer Obhut gehabt, sie hatten es in blutigen Kämpfen errungen und dann ruhmreich weitergeführt.125 Jetzt, nachdem der
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S. 59 und Anm. 13, S. 282-283. Vgl. insbesondere die Erzählung von Saba Malaspina in Die Chronik des Saba Malaspina (wie Anm. 83), S. 181-182: Quamplures igitur viri magnifici […] in Alamanniam ad suscitandum catulum dormientem et pullum aquile, qui nondum etate ceperat adulta pennescere, propere se convertunt. Ibi enim de tota Frederici posteritate solus Corradinus natus quondam regis Corradi, eiusdem Frederici filii, qui tam Frederico de Stuffa quam duci Austrie ac multis de Theutonia magnis viris linea consanguinitatis attinuit, tamquam quoddam memoriale supererat. Ad hunc sane vanis licet allectivis suasionibus excitandum non solum predicti exules et alii quam plures e regno perveniunt, sed ab omnibus Gebellinis predictis et a civitatibus eciam imperialibus de provinciis supradictis, que quondam sub devotione Frederici et filiorum suorum fuerant, solempnes nuncii destinantur, qui sibi tanquam regi venturo aurum, thus offerebant et mirram, ac ei de propriis peculiis, eciam civitatum ipsarum thesauris promittentes pro expendiis necessariis ampliores; non tantum ipsum, qui corpus et cor etatis iuvenilis habebat, sed alios eo maiores virtutibus et etate amicos et consanguineos suos ad deliciosas et fertiles regni epulas invitarunt, quos illico illuc festinis gressibus concitavere a venturos. O. H. BECKER, Kaisertum (wie Anm. 119), S. 59. B. GRÉVIN, Rhétorique du pouvoir médiéval. Les lettres de Pierre de la Vigne et la formation du langage politique européen (XIIIe-XVe siècle) (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome 339), Rom 2008, insbesondere S. 383-391. Vgl. zu ihm jetzt auch F. DELLE DONNE, Pietro da Prezza, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 83, Rom 2014 (im Druck). E. MÜLLER, Peter von Prezza, ein Publizist der Zeit des Interregnums (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 37), Heidelberg 1913; R. M. KLOOS, Ein Brief des Petrus de Prece zum Tode Friedrichs II., in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 13 (1957), S. 151-170. DERS., Petrus de Prece und Konradin, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 34 (1954), S. 88-108, hier S. 88-93. Siehe ebd., S. 94-105. Die sogenannte Protestatio Corradini ist ediert in: L. A. MURATORI, Rerum Italicarum Scriptores (wie Anm. 83), Bd. 10, Mailand 1727, Sp. 824-828, cap. 34, hier Sp. 824-825: […] hereditarium regnum nostrum, quoque dudum antiquitus progenitores nostri propriis aspersum sanguini-
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Papst illegitimerweise das Regnum Karl von Anjou übertragen und ihn damit betrügerisch um sein Erbreich gebracht hatte, war Konradin bereit, mit der Unterstützung einiger stauferfreundlicher italienischer Fraktionen das väterliche Erbe zurückzugewinnen, um die Ehre und die Macht seines schon lange Zeit herrschenden Geschlechts zu verteidigen.126 In dem zweiten Text, einer fiktiven Wahlanzeige der Reichsfürsten, rückt das genealogische Argument noch prominenter in den Vordergrund. Aufgrund des Prinzips der translatio imperii war den Reichsfürsten die Verfügungsgewalt über das Imperium von der Kirche, dem Senat sowie dem Volk von Rom übertragen worden.127 Die Wahlentscheidung der Fürsten für Konradin hatte ihre Berechtigung in seiner Abstammung von einer altehrwürdigen, seit langer Zeit in legitimer Blutsfolge bestehenden cesarea stirps. Über seine kaiserliche Herkunft wurden alle virtutes vermittelt, die für Konradin als Herrscher notwendig waren und die ihm die Eignung verliehen, mit der Würde des Reichs betraut zu werden. Trotz seiner Jugendlichkeit besaßen seine Sitten die Reife eines Erwachsenen, heißt es in dem Text, und in der Weisheit seiner Worte und Taten gingen die Früchte des Alters den Blüten der Jugend voran. Schon Konradins kaiserliche Vorfahren hätten nicht gezögert, immense Reichtümer und ihr eigenes Leben für die Ehre und Stärke des imperium und für den Wohlstand ihrer Untergebenen einzusetzen.128 Diese Verdienste hatten sich in seiner Person erneuert und mit seinen eigenen Qualitäten vereinigt, sodass niemand gefunden werden könne, der größer, besser oder gleich gut sei und genauso geeignet (ydoneus) und fähig (aptus) wäre zur Kaiserherrschaft.129 Aufgrund seiner herausragenden dynastischen Voraussetzungen und persönlichen Eigenschaften hatten die Reichfürsten sich, laut dem Entwurf, einstimmig
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bus cum mille quaesierunt laboribus, quaesitum possederunt diutius, et possessum variis decoravere ornatibus, et diversis decoribus ornaverunt […]. Ebd., Sp. 827: ut magnificum genus nostrum, quod iam longis et antiquis temporibus imperavit, nostra non degeneret in persona, et injuria taliter ipsum pessumdari non contingat, sed alta potentia nostrae domus, si annuerit, nostris temporibus reveletur […]. R. M. KLOOS, Petrus de Prece (wie Anm. 123), S. 94-98, doc. 1, hier S. 96: nos […] ipsius imperii principes, quibus ab olim antiquitus eodem, sicut narratum est, in Theutoniam transplantato legitime data fuit auctoritas et potestas longis temporibus iam prescripta eligendi ac eciam erigendi reges et dominos ad arduum imperii solium per huius scale gradarium ascensuros; vgl. auch ebd., S. 102-104, doc. 2, hier S. 103. Ebd., S. 97-98: […] illustrissimum de cesarea stirpe germen ab augustorum sanguine longo legittime derivatum, qui nec thesauros immensos expendere nec personas exponere dubitarunt, ut ibidem imperium honore, potencia, dignitatibus et dicionibus ampliarent, fidelibus subditis statum prosperum statuentes. In mehreren Briefen propagierte Konradin auch die Nachahmung seiner Vorfahren und die Kontinuität ihrer politischen Praxis, siehe O. H. BECKER, Kaisertum (wie Anm. 119), S. 60 und Anm. 48, S. 284. R. M. KLOOS, Petrus de Prece (wie Anm. 123), S. 98: Quapropter antiquis eorum meritis in novum sui subsidium suscitatis et eiusdem condicionibus propriis prudenter undique circumspectis, quia nemo maior aut melior nec eciam eque bonus, sic ydoneus nec sic aptus ad regendas habenas imperii potuit inveniri, concordibus cordibus et coniunctis ad idem votis et consensibus singulorum, eundem in Romanorum regem, promovendum in imperatorem dominum nostrum eligimus […].
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entschlossen, ihm ihre Treue zu schwören und ihn zugleich mit den Rechten und Pflichten des römischen Königs als erwähltem Kaiser zu betrauen. Zu dieser Würde gehörten die reine Herrschaft (merum imperium), die freie Entscheidungbefugnis über die Gesetze (arbitrium liberum solutum legibus) und die Gewalt (gladii potestatem) zur Bestrafung der Übeltäter zum Schutz der Rechtschaffenen. Es oblag Konradin, im Namen Gottes zu errichten und zu zerstören sowie die Fülle des Friedens und der Gerechtigkeit an die Bedürftigen auszuteilen. Seine Untergebenen sollte er begünstigen, Rebellen aber bekämpfen und die Schwachen vor den Mächtigen beschützen. Witwen, Waisen und Kinder galt es zu verteidigen und die gewohnte Verwegenheit der Gesetzesbrecher durch Strafen einzugrenzen, damit unter seiner Herrschaft glückliche Zeiten und eine goldene Ära von neuem anbrächen.130
2.1.2. Idoneitätsbehauptungen in der hofnahen Literatur und Geschichtsschreibung Die Einbettung der Nachkommen Friedrichs II. in eine kaiserliche prosapia, die eine tief in der Vergangenheit verankerte Tradition von antiqui imperatores konstruierte, diente nicht nur in den offiziellen Verlautbarungen der Kanzlei als Argument zur Legitimation, sondern wurde in den Adelskreisen durch narrative Werke weiter ausgestaltet, veranschaulicht und plausibilisiert. Einer dieser Autoren, der in den 1240/50er Jahren am staufischen Hof arbeitete, war Rudolf von Ems.131 In einem Werk historiographischen Charakters, der sogenannten ‘Weltchronik’, setzte Rudolf von Ems seinem Auftraggeber, dem erwählten deutschen König Konrad IV., ein literarisches Denkmal (ewiclich memorial)132 und beabsichtigte in der schwierigen politischen Lage der Jahre nach dem Tod von Konrads Vater, mit geschichtlichen Argumenten einen Beitrag zur Legitimation seines Herrschaftsanspruchs als Nachfolger Friedrichs II. zu leisten.133 Die lange Eröffnungspassage zu Beginn der Darstellung des fünften Weltzeitalters in der 130 Ebd., S. 98. 131 G. WALLICZEK, Rudolf von Ems, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasser-
lexikon, Bd. 8, Berlin/New York 1992, Sp. 322-345.
132 Vgl. K. LASCH, der undirscheit der zit. Mittelalterliche Ordnungsprinzipien der Menschheits-
geschichte anhand der „Weltchronik“ des Rudolf von Ems und ihre Legitimationsfunktion für Konrad IV., Examensarbeit an der Philosophische Fakultät der Technischen Universität Dresden 2010, und M. HERWEG, Konrad IV. und die „Weltchronik“ Rudolfs von Ems: ewiclich memorial und imperiale Agenda vor neuem Quellenhorizont, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 128 (2009), S. 397-420. 133 Vgl. G. MELVILLE, Die Wege der Zeit zum Heil. Beobachtungen zu mittelalterlichen Deutungen der Menschheitsgeschichte anhand der Weltchronik des Rudolf von Ems, in: H.-B. GERL-FALKOVITZ (Hg.), Zeitenwende – Wendezeiten (Dresdner Hefte für Philosophie 3), Dresden 2001, S. 159-179 und I. VON TIPPELSKIRCH, Die „Weltchronik“ des Rudolf von Ems. Studien zur Geschichtsauffassung und politischen Intention (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 267), Göppingen 1979.
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Verschronik, welches dem augustinischen Einteilungsprinzip der irdischen Geschichte folgend die Zeit von der Herrschaft König Davids bis zum Ende des Alten Bundes umfasst, ist kúnig Chůonrat gewidmet und zeigt die Intentionen des Werkes: Rudolf möchte ein ewiclich memorial errichten, das keiserlichir werdeckeit / und kúniglichir herschaft zieme.134 In seiner Erzählung verfolgt Rudolf die biblische Heilsgeschichte und – als synchronistische Einschübe – die Entwicklungslinien der großen Weltreiche. Beide Stränge der Geschichte fließen in Konrad zusammen. Die Herrschergenealogie, die über Troja und Rom zu Konrad IV. führt, weist ihn als legitimen Erben des Imperiums und König in Sizilien aus. Mit seiner direkten genealogischen Abstammung von dem biblischen Geschlecht König Davids, die Konrad seiner Mutter Isabella († 1228) verdankt, begründet Rudolf den Anspruch des Staufers auf die Krone von Jerusalem. Konrad wird in der Erzählung durch König David präfiguriert, er ist aber auch sein Nachfolger im Amt. Er ist der neue David, von Gott auserwählt, und in ihm, dem letzten Spross der Stauferdynastie, sind weltliches und geistliches Königtum vereint. Damit ist Konrad in den heilsgeschichtlichen Plan integriert. Konrads Idoneität wird in diesem Werk aber nicht nur geschichtlich hergeleitet, sondern zusätzlich auch durch die Auflistung seiner Tugenden bewiesen: Der junge Staufer sei mit libe und ouh mit gůte, / mit milte in hohim můte, / mit prise in eregernder tugint, / mit wisheit in blundir jugint, / mit kúniglichin kúnegis sitin ausgezeichnet.135 Ein ähnlich idealisiertes Herrscherporträt hatte Rudolf schon früher in einem anderen Werk, seinem höfischen ‘Alexander’-Roman, präsentiert. Der Roman gibt die Geschichte Alexanders des Großen wieder und diente in der ersten redaktionellen Phase mit hoher Wahrscheinlichkeit als Fürstenunterweisung für die Söhne Friedrichs II., Heinrich und Konrad. Mittels einer hochgradig stilisierten historischen Figur, dem Heerführer und makedonischen König Alexander, präsentierte Rudolf seiner Rezipientenschaft die Qualitäten, die in dem Erwartungshorizont des Hofes zur Idoneität und Legitimation eines guten Herrschers notwendig waren. Alexander ist für Rudolf von Ems der tugendrîchste man / der ritters namen ie gewan.136 Er war sowohl mit ritterlich-kämpferischen Qualitäten ausgestattet als auch von religiösen Tugenden und größter Vorbildlichkeit geprägt. Als bester riter und guter Heerführer zeigte der Makedonenkönig Klug-
134 Die Zitate aus der Edition: Rudolf von Ems, Weltchronik aus der Wernigeroder Hand-
schrift, ed. G. EHRISMANN (Deutsche Texte des Mittelalter 20), Berlin 1915 (ND Dublin/ Zürich 1967), hier vv. 21670-21671; vgl. dazu auch M. HERWEG, Konrad IV. und die „Weltchronik“ (wie Anm. 132), S. 400. 135 Rudolf von Ems, Weltchronik (wie Anm. 133), vv. 21597-21606; vgl. dazu M. HERWEG, Konrad IV. und die „Weltchronik“ (wie Anm. 132), S. 411. 136 […] ein der tugenrîchste man / der ritters namen ie gewan / dirre welte pris erwarp […], in: Rudolf von Ems, Alexander. Ein höfischer Versroman des 13. Jahrhunderts, ed. V. JUNK, 2 Bde. (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 272/274), Leipzig 1928-1929 (ND Leipzig 1970), Bd. 1, vv. 43-45.
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heit, milte, Gerechtigkeit, Frömmigkeit und Gottesfurcht, sowie Mäßigung (maze) und Glück und Heil (saelde).137 In der ‘Weltchronik’ wird aber die persönliche Idoneität auch als Resultat einer Akkumulation von ‘Geblütsheil’ dargestellt.138 Die Idoneität des Individuums zeigte sich also durch Transzendierung auf seine Vorfahren, von deren Gesamtheit – als einer historischen Gemeinschaftskonstruktion – eine bereits erwiesene Qualifikation für eine bestimmte Herrschaftsausübung abgeleitet werden konnte. Die Verdienste der Vorfahren ließen sich demgemäß auf den gegenwärtigen Vertreter einer Herrscherdynastie übertragen.139 Am Beispiel Konrads IV. zeigte Rudolf durch einen genealogischen Exkurs über die ehrwürdige staufische künne von Konrad III. bis Friedrich II., dass Konrad auch dank der Verdienste seiner Vorfahren ein tugendhafter Herrscher sei. Diese Vorstellung wurde als Gegenmodell eingesetzt, um das disqualifizierende Bild der Gegenpropaganda, das Konrad als Sohn eines depravierten und verdammten Vaters zeigte, zu kontrastieren.140 ‘Sakrale’ Herkunft, Geblütsrecht und persönliche Qualitäten scheinen für die offizielle kaiserliche Publizistik sowie auch für die stauferfreundlichen Literatenkreise die Hauptargumente gewesen zu sein, die den Bedarf Konrads an Legitimation kompensieren und seine Idoneität zur Herrschaft durch die Einordnung in einen historischen Entwicklungskontext plausibel darstellen sollten. Nicht nur im Reich, sondern auch im süditalienisch-sizilischen Regnum wurde Konrad einige Jahre vor dem Tod seines Vaters in höchsten Tönen gelobt. In einer zu Ehren Friedrichs II. verfassten Predigt des Klerikers Nikolaus von Bari besaß Konrad als einziger zum Nachfolger designierter Sohn des sizilischen Königs einen zwar marginalen, aber keineswegs unbedeutenden Platz. Mit einer narrativen Strategie gelang dem Autor Nikolaus die Parallelisierung Konrads mit Christus. Der Kleriker verwendete in seiner kurzen Beschreibung dieselben Worte, die Gott auf dem Berg Tabor zu Christus sprach: hic est Filius meus dilectus in quo mihi bene conplacuit (Mt 17,5). Konrad wird somit als präfigurierter Lieb137 E. LIENERT, Deutsche Antikenromane des Mittelalters, Berlin 2001, S. 53-54, vgl. dazu
auch R. WISBEY, Das Alexanderbild Rudolfs von Ems, Berlin 1966, S. 47-54.
138 Ebd., S. 41. 139 Dazu C. ANDENNA, Wer ist zur Herrschaft geeignet? (wie Anm. 35), S. 116-124; G. MEL-
VILLE, Zur Technik genealogischer Konstruktionen, in diesem Band. Grundlegend auch DERS., Vorfahren und Vorgänger (wie Anm. 35), S. 203-309 und DERS., Geschichte in
graphischer Gestalt. Beobachtungen zu einer spätmittelalterlichen Darstellungsweise, in: H. PATZE (Hg.), Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen 31), Sigmaringen 1987, S. 57-154. Über Blut und Blutsverwandtschaft vgl. noch immer K. SCHMID, Geblüt, Herrschaft, Geschlechterbewußtsein. Grundfragen zum Verständnis des mittelalterlichen Adels. Aus dem Nachlaß, hg. v. D. MERTENS / T. ZOTZ (Vorträge und Forschungen 44), Sigmaringen 1988. 140 Siehe unten den Abschnitt zu Idoneitätsbestreitungen aus der Sicht der kurialen Propaganda. Eine ausführliche Darstellung dieser negativen Bilder auch bei W. PUHLMANN, Der Staufer König Konrad IV. im Lichte augustinisch-eschatologischer Geschichtsauffassung, Langensalza 1914.
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lingssohn des Kaisers dargestellt, der in seiner Person die väterlichen Tugenden und die kaiserliche Ehre nicht nur vermehrt, sondern sogar übersteigt.141 Die Nachahmung und Übersteigung der väterlichen Tugendhaftigkeit durch den Sohn ist auch eines der zentralen Elemente eines ebenfalls in Süditalien verfassten historiographischen Werkes, der Historia de rebus gestis Friderici II Imperatoris ejusque filiorum.142 Dieser Text hat eine sehr komplizierte Entstehungsgeschichte und kann, wie Fulvio Delle Donne vor Kurzem gezeigt hat, grundsätzlich in drei separate Kerntexte aufgeteilt werden, die von verschiedenen Autoren mit je unterschiedlichen Intentionen verfasst und erst in der Zeit der aragonesischen Herrschaft von einer anderen Hand für einen vollkommen neuen legitimatorischen Bedarf zusammengestellt wurden.143 Insbesondere der erste Kerntext ist von einem Literaten, der in der Rhetorik und der Publizistik der Kanzlei von König Manfred erfahren war,144 verfasst worden – mit der Intention, einen Beitrag zur Legitimation des neuen Königs Manfred zu leisten, der sich nach dem Tod Konrads im Jahre 1258 gerade der Krone des Königreichs Sizilien bemächtigt hatte. Manfred war im Testament seines Vaters mit dem Fürstentum von Tarent, eines der wichtigsten des Regnum Siciliae, sowie dem honor Montis Sancti Angeli belehnt, aber wegen seiner unehelichen Geburt von der direkten
141 Vgl. R. M. KLOOS, Nikolaus von Bari, eine neue Quelle zur Entwicklung der Kaiseridee
unter Friedrich II., in: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters 11 (1954), S. 166-190. Hier wird nach der Edition der Predigt bei F. DELLE DONNE, Il potere e la sua legittimazione: letteratura encomiastica in onore di Federico II di Svevia (Testis temporum 2), Arce 2005, S. 101-107 zitiert; hier S. 104, cap. 14: […] benedictus fructus ventris tui, id est fructus pulcherrimus rex Cunradus, vester filius predilectus, in quo vobis bene complacuit et in perpetuo complacebit, filius accrescens Ioseph, filius accrescens et decorus aspectu, filius accrescens per etatem, filius accrescens per sapienciam, potestatem et honorem, et decorus aspectu abintus atque afforis, omnis gloria filiorum regum abinturus. Siehe dazu auch die Kommentierung ebd., S. 119. 142 Nicolai de Jamsilla Historia de rebus gestis Friderici II Imperatoris ejusque filiorum Conradi et Manfredi Apuliae et Siciliae regum: ab anno MCCX usque ad MCCLVIII; adnectitur anonymi supplementum de rebus gestis ejusdem Manfredi, Caroli Andegavensis et Conradini regum ab anno MCCLVIII usque ad MCCLXV, in: G. DEL RE (ed.), Cronisti e scrittori sincroni Napoletani. Storia della monarchia, 2 Bde., Neapel 1845-1868, hier Bd. 2, S. 108 (im Folgenden als Historia zitiert). Über das kulturelle Umfeld am Hof im Regnum Sicilie vgl. F. DELLE DONNE, L’atmosfera culturale e le fonti letterarie, in: P. CORDASCO / M. A. SICILIANI (Hgg.), Eclisse di un regno. L’ultima età sveva (1251-1268). Atti delle diciannovesime giornate normanno-sveve (Bari, 12-15 ottobre 2010) (Atti Centro di Studi Normanno-Svevi 19), Bari 2012, S. 253-282. 143 Über die Entstehung und die Funktion dieses komplexen Textes siehe jüngst F. DELLE DONNE, Gli usi e i riusi della storia (wie Anm. 100), S. 31-122 und auch DERS., L’Historia del cosiddetto Iamsilla e le origini del Vespro, im Druck. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei dem Autor, der mir seinen noch unveröffentlichten Text zur Verfügung gestellt hat. 144 Zur langanhaltenden Questio der Autorschaft dieses Werkes vgl. F. DELLE DONNE, Gli usi e i riusi della storia (wie Anm. 100), S. 31-34; 92-100 und 107-122; vgl. dazu auch das Stichwort von DEMS., Nicolò Jamsilla, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 78, Rom 2013, S. 401-404.
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Thronnachfolge ausgeschlossen worden.145 Seine Anerkennung als sizilischer König war deswegen höchst umstritten. Der laut der testamentarischen Dispositionen des Vaters legitime Nachfolger, Konradin, war noch am Leben und der Papst, der die Lehnshoheit innehatte, hatte Manfred nicht akzeptiert. Der Autor konzentrierte sich auf die Frage der Eignung Manfreds und versuchte durch die Betonung seiner persönlichen Eigenschaften und seiner Taten den Beweis der Idoneität zur Herrschaft zu erbringen. Manfred wird als geeigneter und universeller Nachfolger (universalisque successor) seines Vaters deklariert. Die anderen Söhne des Kaisers sind im Text als prudentes […] atque magnificos gekennzeichnet und haben die paternasque virtutes nachgeahmt, doch nur Manfred entspricht vollständig dem Erbe der paternae gratiae atque virtutes.146 Um dies noch besser klarzustellen, legte der Verfasser zuerst den Schwerpunkt auf die Aufstellung der Voraussetzungen, der Taten und der persönlichen Tugenden Friedrichs II.147 In dem historischen Porträt des Kaisers finden sich schon alle drei Argumente, die zur Plausibilisierung der Idoneität Manfreds notwendig sind: Zuerst wird die Zugehörigkeit des Kaisers zu einer imperialis prosapia148 thematisiert, die dafür sorgt, dass auch Manfred trotz seiner unehelichen Geburt eine dynastische Herausgehobenheit für sich in Anspruch nehmen kann.149 In einem zweiten Schritt werden die Taten Friedrichs II. knapp dargelegt. Diese Erzählung, die ohne eine chronologische Ordnung erfolgt, stellt ein Gegenbild zu den Kritikpunkten der päpstlichen Propaganda dar und zielt auf einen anderen unverzichtbaren legitimatorischen Aspekt: die Unterstützung durch göttliches Wohlwollen,150 die Friedrichs Regierung begleitet. In einer dritten Etappe präsentiert der Autor dann seine Darstellung der Tugenden und der qualifizierenden Eigenschaften Friedrichs II.: Wie es sich für einen guten Herr145 Ausführlicher hierzu C. ANDENNA, Wer ist zur Herrschaft geeignet? (wie Anm. 35),
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S. 121-124. – Über die Entstehung des Fürstentums von Tarent siehe jetzt H. HOUBEN, Da Guglielmo I d’Altavilla a Manfredi di Hohenstaufen: il principato di Taranto in età normanno-sveva, in: L. PETRACCA / B. VETERE (Hgg.), Un principati territoriale nel Regno di Napoli? Gli Orsini del Balzo principi di Taranto (1399-1463). Atti del Convegno di studi (Lecce, 20-22 ottobre 2009) (Fonti e studi per gli Orsini di Taranto, Studi 1), Rom 2013, S. 131-146. Historia (wie Anm. 142), S. 108: Cum igitur ipse Imperator plures genuerit filios, prudentes quidem atque magnificos, paternasque virtutes particulariter imitantes, iste tamen princeps Manfredus paternarum gratiarum atque virtutum heres fuit universalisque successor, ut ius primogeniturae, quod secundum carnem apud aliquos ex fratribus suis erat, ex praefiguratione aliqua in filiis Isaac atque David, in eum esset divinae provisionis consilio transferendum; dazu vgl. C. ANDENNA, Wer ist zur Herrschaft geeignet? (wie Anm. 35), S. 115-116 und 124-125. Vgl. die Beschreibung der Taten und der Tugenden Kaisers Friedrich II. in: Historia (wie Anm. 142), S. 105-107. Vgl. ebd., S. 105. Dieses Argument ist explizit in dem sogenannten Manifest Manfreds an den Senat und das Volk von Rom aufgeführt; siehe oben bei Paragraph 2.1.1. Die Argumente der staufischen Kanzlei b) Manfreds Manifest an die Römer. Historia (wie Anm. 142), S. 105. Ebd.
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scher gehört, vereint er die Tugendpaare der Großmut (magnanimitas) und Weisheit (sapientia), sowie der Gerechtigkeit (iustitia) und Gnade (clementia).151 Weiterhin stellt der Autor schon von Anfang an die Bedeutung der sapientia und der generositas als besondere Leitideen in der Herrschaftsauffassung Friedrichs II. heraus.152 Diese kurze Skizze über die persönliche Eignung des Vaters eröffnet die Geschichte des eigentlichen Protagonisten des Werkes: Manfred, angeblich der vom Kaiser am meisten geliebte Sohn.153 An dieser Stelle werden die hervorragenden physischen Qualitäten Manfreds angeführt,154 und es wird gezeigt, wie die außerordentlichen Eigenschaften Friedrichs II. unmittelbar in dessen Sohn weiterleben155 und sogar von ihm übertroffen werden, sodass “das kaiserliche Haus beherrscht und in einem rühmlichen Zustand bewahrt werden” könne.156 Um Manfred als direkte Emanation Friedrichs darzustellen, bediente sich der Verfasser einer spezifischen, in der mittelalterlichen Wahrnehmung besonders überzeugend wirkenden Methode: Der etymologischen Auslegung von Manfreds Namen, die mit der Variation des ersten Vokals “herrschaftsrechtsstiftende Zusammenhänge” zwischen Vater und Sohn herstellt.157 Seine Taten sowie seine Regierung beweisen auch eine unerwartete Kontinuität zur Herrschaft des Vaters, die sich unter vielen Aspekten zeigen lässt: Manfred habe für Friedlichkeit und ein Kräftegleichgewicht gesorgt, das höfisch-administrative Personal seines Vaters nicht ersetzt und die Pflege der iustitia sowie die Ausübung der iurisdictio nicht vernachlässigt.158 In dieser Hinsicht wird vom Verfasser der Historia auch an einer späteren Stelle bezüglich der Einnahme der rebellierenden Stadt Foggia durch Manfred das besondere Ideal der iustitia wieder aufgegriffen, 151 F. DELLE DONNE, Gli usi e i riusi della storia (wie Anm. 100), S. 35-54. 152 Historia (wie Anm. 142), S. 105: Inter eos, quos memoria hominum habet, ab antiquo scripta, com-
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memorant Romano praefuisse imperio, Fredericus imperator ex patre aliquando imperatore clarissimam ducens originem, ipsius imperii dignitatem sapientia, et generositate sua ceteris amplius decoravit, ut majorem decorem ipse imperio, quam sibi imperium contulisse probetur. Ebd., S. 107: […] pre ceteris filiis dilectissimum et in aula sua nutritum suisque documentis instructum […], in cuius indole precognoverat pater qui qualisque princeps ipse facturus esset […]. Ebd.: […] formavit enim ipsum natura gratiarum omnium receptabilem, et sic omnes corporis sui partes conformi speciositate composuit, ut nihil in eo esset, quod melius esse posset. Ebd., S. 108-111. Ebd., S. 103. Ebd., S. 108: Manfredus wird als quasi manens Fridericus bezeichnet, weil in ihm der Vater und seine Tugenden fortleben, und als manus Friderici, der des Zepters seines Vaters würdig ist. Manfred ist mens und memoria Friderici, aber auch minus Fridericus und mons, sive munitio Friderici, in dem der Namen und der Ruhm des Vaters bewahrt und für die Nachkommen befestigt sind. Dazu vgl. W. GIESE, Kaiser Friedrich II. in der lateinischen Chronistik des sizilischen Reiches aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in: T. KÖLZER / F.-A. BORNSCHLEGEL / C. FRIEDL / G. VOGELER (Hgg.), De litteris (wie Anm. 4), S. 633-654, hier S. 644; F. DELLE DONNE, Gli usi e i riusi della storia (wie Anm. 100), S. 48 und C. ANDENNA, Wer ist zur Herrschaft geeignet? (wie Anm. 35), S. 128-129. Historia (wie Anm. 142), S. 109-111.
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welches im Unterschied zu Friedrich II. mit der Ausübung der misericordia kombiniert ist.159 Als Zeichen seiner Stärke legte Manfred die Stadt nicht komplett nieder, wie es der Vater in früheren Fällen getan hatte,160 sondern zerstörte mit den sie umgebenden Erdwällen nur die Teile, die symbolisch ein Hindernis für die Durchsetzung der königlichen Macht darstellten.161 Eine besonders wichtige Rolle spielt in der Erzählung das umfassende Wissen, welches Manfred – vom Autor als philosophiae filius et alumnus gewürdigt162 – im Laufe seiner vom Vater beeinflussten Erziehung erworben hatte. Diese jugendliche Neigung zu den Wissenschaften und die hierdurch gesammelten Kenntnisse vermittelten ihm dann in einer späteren Zeit die nötige perspicacitas und prudentia, die aus der Sicht des anonymen Verfassers seine Regierung charakterisierten. Als Schlüssel für einen guten und gerechten Herrschaftsstil galten damit die philosophia und die mit ihr untrennbar verknüpfte sapientia.163 Dieser erste, prostaufische Teil der Historia beabsichtigte das Wirken Manfreds gegenüber dem Papst zu rechtfertigen und seine Regierung als grundsätzlich anders als diejenige des Vaters darzustellen. Mit seinen Tugenden und Taten und durch die besondere Ausübung der innata prudentia sowie der alles überragenden sapientia möchte der Text vermitteln, dass Manfred bereit war, mit dem Papst in einen Dialog zu treten.164 Damit war die Idoneität Manfreds für den Autor bewiesen und die Voraussetzung geschaffen, seine Legitimation zu sichern.
159 Ebd., S. 111. 160 C. ANDENNA, Federico II e le civitates novae: il successo della quotidianità e il fallimento
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della celebrazione, in: A. KEHNEL / C. ANDENNA (Hgg.), Paradoxien der Legitimation. Ergebnisse einer deutsch-italienisch-französischen Villa Vigoni-Konferenz (Micrologus’ Library 35), Florenz 2010, S. 511-532, S. 515. Historia (wie Anm. 142), S. 111. Über das Verhältnis Manfreds zu den Städten siehe auch M. THUMSER, Der König und sein Chronist. Manfred von Sizilien in der Chronik des sogenannten Nikolaus von Jamsilla, in: Die Reichskleinodien. Herrschaftszeichen des Heiligen Römischen Reiches (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 16), Göppingen 1997, S. 222-242, hier insbesondere S. 229-232 und F. DELLE DONNE, Federico II: la condanna della memoria: metamorfosi di un mito (I libri di Viella 138), Rom 2012, S. 65131. Historia (wie Anm. 142), S. 109. Ebd., S. 108: […] a pueritia enim paterne philosophie inherens, ostendebat per certa ingenite discretionis indicia, quantum in maiori etate prudentie esse habiturus, et qualiter ipse erat, per quem domus augusta gubernari poterit et in statu glorie conservari. Vgl. dazu F. DELLE DONNE, L’atmosfera culturale (wie Anm. 142), S. 266-270, insbesondere aber auch S. 262-263, wo Fulvio Delle Donne auf drei Briefe Manfreds des Jahres 1259 verweist, in denen der sizilische König die politische Bedeutung der philosophia und der sapientia darlegt, vgl. auch DERS., Per scientiarum haustum et seminarium doctrinarum. Storia dello Studium di Napoli in età sveva (Quaderni del Centro di studi normanno-svevi 3), Bari 2010, S. 127-129. F. DELLE DONNE, Gli usi e i riusi della storia (wie Anm. 100), S. 59 sowie insgesamt über die Tugenden Manfreds und speziell die Rolle der sapientia vgl. DERS., L’atmosfera culturale (wie Anm. 141), S. 260-270.
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Ein letzter Text, der den Charakter eines Fürstenspiegels besitzt, wird der Feder des Petrus von Prece zugeschrieben und ist an Konradin gerichtet.165 Es handelte sich inhaltlich um Anweisungen, welche allgemeine Grundsätze der Regierungspraxis umrissen und die Vorstellungen der höfischen Kreise über einen geeigneten König, seine Eigenschaften und seine Aufgaben widerspiegeln. Die prominenteste Stellung im Leben eines Fürsten haben die Tugenden, die er pflegen und lieben soll, während er sich von den Lastern fernzuhalten und diese zu verabscheuen habe. Einen zentralen Platz besitzt erneut die sapientia, welche die Aufgabe hat, den Geist zu erhellen, weil sie dem Fürsten eine sichere und bessere Urteilsfähigkeit vermittelt.166 Genauso wie der Fürst selbst sollte auch der Hof mit den Tugenden geschmückt sein, sich auf honestas, generositas, probitas und auf curialitas stützen.167 Nach diesem allgemeinen Umriss der höfischen und adligen Tugenden werden dann in dem Text knappe Anweisungen über die Verwaltungsorgane gegeben und dadurch auch über die innenpolitischen Verhältnisse gesprochen, sowie über die Notwendigkeit, ein Heer zu unterhalten und eine vernünftige Finanzordnung zu pflegen. Eine herausragende Stellung nimmt auch die Aufforderung zu einer gerechten Rechtsprechung ein. Genauso wie in der Historia soll die Gerechtigkeit in Begleitung der misericordia ausgeübt werden und dabei auch immer die Anwendung der pietas in Betracht zu nehmen sein. Bei der Ausübung der iustitia soll der Fürst immer den Schutz der Armen, der Schwachen, der Bescheidenen und der Machtlosen vor Augen haben. Auch die außenpolitischen Verhältnisse finden in dem Text eine kurze Erwähnung, insbesondere bezüglich der Ermahnung zum Frieden.168 Diese Ermahnung ähnelt dem Pflichtenkatalog des künftigen Herrschers in der bereits erwähnten fiktiven Wahlanzeige für Konradin in auffälliger Weise. In den hier betrachteten Schriften der staufischen Kanzlei wurden die zur Herrschaft qualifizierenden Fähigkeiten primär auf die Abstammung des jeweiligen dynastischen Vertreters zurückgeführt, um seine Legitimation in wichtigen politischen Entscheidungssituationen zu stärken. Diese genealogischen Argumentationen finden sich in den Werken der hofnahen Literatur wieder, häufig eingebunden in welt- und heilsgeschichtliche Zusammenhänge, die dem Wissenshorizont der adligen Rezipienten vertraut waren. Engstens verflochten mit den Werten des traditionellen Tugendkanons, vermittelten diese Texte auf plausible Weise die Befähigung des einzelnen Prätendenten zur Herrschaft und schufen die Voraussetzungen, einen Konsens zu erzeugen.
165 R. M. KLOOS, Petrus de Prece (wie Anm. 123), S. 108. Der Text ist S. 105-107, doc. 5
ediert.
166 Ebd., S. 105-106. 167 Ebd., S. 106. 168 Ebd., S. 107.
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2.2. Viperea stirps: Die Bestreitung von Idoneität aus der Sicht der kurialen Propaganda Der Tod Kaiser Friedrichs II. am 13. Dezember 1250 stellte für die Kirche eine bedeutende Zäsur dar: In mehreren Rundschreiben verkündete der Papst der Christenheit den Anbruch einer neuen Zeit und betrieb – ebenso wie auch seine Amtsnachfolger – eine dezidiert antistaufische Propaganda, die sich jetzt entschieden gegen die Idoneität der Nachkommen des Kaisers sowohl im Reich als auch im Königreich Sizilien richtete. Für die nachfolgenden Analysen werden zum einen die offiziellen Verlautbarungen der Päpste aus der kurialen Kanzlei herangezogen und zum anderen einige Werke der papstfreundlichen Publizistik, in denen sich die päpstlich-kurialen Argumentationsmuster widerspiegeln.
2.2.1. Konrad IV. und das Gegenmodell des rex idoneus a) Die Argumente der päpstlichen Kanzlei Die antistaufische Propaganda der Kurie zielte insbesondere gegen Konrad IV., der von seinem Vater Friedrich II. zu dessen legitimen Nachfolger sowohl im Reich als auch im sizilischen Regnum designiert worden war. In einem auf den 19. Februar 1251 datierten Brief machte Innozenz IV. den Ratsmitgliedern und dem Volk der Stadt Worms feierlich bekannt, dass mit dem Ableben des Kaisers auch die Drangsale, die Friedrich II. pro suis nefandis excessibus verursacht habe, ein Ende gefunden hätten. Der Papst forderte die Stadt nun nach dem Tod Friedrichs auf, sich mit der Kirche wieder zu versöhnen und den zum Nachfolger gewählten Kandidaten, Wilhelm von Holland, als neuen rex Romanorum anzuerkennen.169 Hierdurch sendete Innozenz IV. erneut ein klares Zeichen über die Nichtigkeit der im Jahre 1237 auf dem Hoftag bei Wien vollzogenen Wahl und damit verbunden die Aberkennung von Konrads Idoneität zur Herrschaft.170 Die Stadt Worms habe – wie das Kirchenoberhaupt in seinem Brief ausführt – jetzt nichts mehr zu fürchten, weil Konrad, ebenso wie auch die anderen Kaisersöhne, nach der Absetzung Friedrichs auf dem Lyoneser Konzil, keinerlei Anrecht auf die Kaiserwürde besäße und die Funktion eines Königs in der Vertretung oder dem Amt des Vaters niemals hätte ausüben können. Um alle Zweifel auszuräumen, betonte der Papst außerdem, dieser Titel sei non successione, sed electione zu erwerben.171 Einige Wochen, Ende März 1251, später teilte der Papst in zwei Briefen an den schwäbischen Adel172 nochmals deutlich mit, dass keiner der Nachkommen 169 170 171 172
Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 59-60, doc. 74. Vgl. hierzu oben bei Anm. 91-99. Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 60, doc. 74. Ebd., S. 79-80, doc. 100 [29. März 1251] und S. 80-81, doc. 101 [31. März 1251].
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des Kaisers, hier kollektiv als stirps […] viperea verdammt,173 mit der Erlaubnis oder dem Einverständnis des Apostolischen Stuhles ad Romanorum regnum vel imperium aut principatum Suevie emporsteigen werde.174 Die Unwürdigkeit des Vaters hatte sich auf seine Söhne übertragen, weshalb Innozenz IV. die Anerkennung der Idoneität und Legitimität Konrads als rex Romanorum verweigerte. Als inimicus ecclesie war er schon im Jahre 1248 exkommuniziert,175 von dieser Bannbestrafung dann aber nie mehr gelöst worden.176 Die Regierung Friedrichs II. verglich der Papst mit der tyrannischen Herrschaft des römischen Machthabers Herodes. Die väterliche Tyrannei sei, der Argumentation des Papstes nach, quasi hereditario iure von Konrad IV. übernommen worden, und um dieses rigorose Urteil noch zu verdeutlichen, wird der deutsche König in dem päpstlichen Schreiben mit Archelaus, dem Sohn des Herodes, identifiziert.177 In seinem Schreiben begründete Innozenz IV. nochmals den Ausschluss Konrads von der Herrschaftssukzession mit dem Argument, dass die kaiserliche Nachkommenschaft der Nachahmung (imitatio) der paterna perfidia verdächtig sei und seiner
173 Erste Anklänge an das später verfestigte Bild des ‘staufischen Viperngeschlechts’ finden
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sich beispielsweise in einem Pamphlet aus der Umgebung des Kardinals Rainer von Viterbo, das vermutlich im April 1245 entstand und die Teilnehmer des bevorstehenden Konzils von Lyon gegen den Kaiser einnehmen sollte: Friedrich II. wird hier einleitend als Schlangenbrut seines Vaters Heinrich vorgestellt, welcher seinerseits de germine scismatici Friderici stammte. Dem Vorbild seines Großvaters Friedrich Barbarossa folgend, heißt es, würde der Kaiser more vipere die Flanke seiner Mutter – der Kirche – spalten und zerfressen. Vgl. die Überlieferung der Flugschrift in: Das Brief- und Memorialbuch des Albert Behaim, ed. T. FRENZ / P. HERDE (Monumenta Germaniae Historica, Briefe des späteren Mittelalters 1), München 2000, S. 215-226, doc. 54, hier S. 216. Dazu H. M. SCHALLER, Endzeit-Erwartung (wie Anm. 81), S. 314. – Über den Begriff stirps viperea vgl. J. SCHWARZ, Die Herrscher- und Reichstitel bei Kaisertum und Papsttum im 12. und 13. Jahrhundert (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 22), Köln/Weimar 2003, S. 228 mit Anm. 886 und DERS., Herrschaft und Herrschaftskonzeptionen (wie Anm. 107), S. 57-58 mit Anm. 8. Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 80-81, doc. 101. Conradus filius quondam imperatoris et ecclesie inimicus vinculo excommunicationis astrictus; Epistolae saeculi XIII, Bd. 2 (wie Anm. 12), S. 372, doc. 531. Diese Nachricht stammt aus Matthaei Parisiensis, Monachi Sancti Albani, Chronica Maiora (wie Anm. 83), Bd. 5, S. 266: Remanserant autem in excommunicacione, qua involverat papa ossa Fretherici, et Conradus, filius eius, qui ex dono patris pociorem imperii partem violenter occupaverat, et qui regnorum a Sardanie, Sicilie, Apulie et Calabrie violenter et sine Romane ecclesie assensu sibi appropriaverant (ad annum 1251). Monumenta Germaniae Historica. Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 80, doc. 100: alter sibi vindicat Archelaus. Archelaus war der Sohn der vierten Frau von Herodes dem Großen. Er wurde nach der Hinrichtung seiner Halbbrüder und dem Tod des Vaters im Jahr 4 v. Chr. von Augustus als Ethnarch über Judäa, Samaria und Idumäa eingesetzt, während sein Bruder Herodes Antipas die Kontrolle über Galiläa und Peräa bekam. Über ihn berichtete man, er sei ein tyrannischer und launischer Regent gewesen, der Samariter und Juden gleichermaßen schlecht behandelte; K. BRINGMANN, Herodes 3., in: Der Neue Pauly, Bd. 5, Stuttgart 1998, Sp. 460.
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Tyrannei nacheifern würde, die bereits seit Generationen (ab avis et proavis) in dem Staufergeschlecht fest verankert war.178 Im Fall von Konrad hatten nicht nur die väterlichen Verbrechen seine Disqualifizierung als Nachfolger bewirkt, auch seine individuellen Missetaten wurden von Innozenz IV. für den Entzug des kaiserlichen Erbes verantwortlich gemacht. Die persönliche Schuldigkeit Friedrichs II. summierte sich mit der Verantwortung der Nachkommenschaft, der ihrerseits zur Verfolgung der Kirche beigetragen hatte und noch aktiv beitrug. Zu dem negativen Vorbild der Staufer präsentierte der Papst in seiner Korrespondenz ein Gegenmodell, das den kirchlichen Idoneitätsvorstellungen entsprach. Kurz nach der Absetzung Friedrichs II., im Mai 1246, hatten die Fürsten den Landgrafen von Thüringen, Heinrich Raspe, zum König und künftigen Kaiser gewählt.179 Aus päpstlichen Briefen erfährt man, dass die Idoneität Heinrich Raspes namentlich in seiner Bereitschaft bestand, treu, beständig und tapfer (fideliter, et constanter, ac viriliter) für das Lob (laus) und den Ruhm (gloria) Jesu Christi und für die Vermehrung (augmentum) des katholischen Glaubens, der Freiheit der Kirche und der Ruhe (tranquillitas) des christlichen Volkes einzutreten.180 Nach seiner Königserhebung eignete sich Heinrich diese Vorstellungen an und versprach scutum et gladium der Kirche pro populo christiano gegen ihren größten Feind zu sein.181 Nach Heinrich Raspes frühem Tod wurde Wilhelm von Holland von den papstreuen Fürsten als neuer Kandidat vorgeschlagen. Der Papst begrüßte die Kandidatur des Grafen und empfahl den Erzbischöfen und Fürsten im Reich seine Wahl, zu der es am 3. Oktober 1247 in Worringen kam. Innozenz motivierte seine Zustimmung mit der besonderen Eignung zur Herrschaft, die Wilhelm auszeichnete. Erneut stellte der Papst sein Bild eines geeigneten Kandidaten zur Kaiserwürde vor, das als Kontrapunkt zu Konrads negativer Darstellung steht. Wilhelms Idoneität hatte sich durch seine Treue zur katholischen Kirche, seine Voraussicht (animo prudens), seine Tüchtigkeit (milicia strenuus), seine Stärke (propriis potens viribus), seine Verwandtschaft mit verschie178 Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 79-80, doc. 100: […] universitatem vestram
volumus esse certam, quatinus quondam F., qui olim pro imperatore se gessit, soboles, nobis ac vobis merito de paterne perfidie hereditaria imitatione suspecta et traducte ab avis e proavis seve tyrampnidis emulatrix, numquam ad Romanorum regnum vel imperium aut Suevie principatum consurget ex permissione sedis apostolice aut favore. 179 Epistolae saeculi XIII, Bd. 2 (wie Anm. 12), S. 120-123, doc. 159-162. Vgl. auch Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 454-457, doc. 346-350. Dazu vgl. M. WERNER, Landgraf Heinrich Raspe von Thüringen (1227-1247). Reichsfürst in der Mitte des Reiches und “Gegenkönig” Konrads IV., in: Konrad IV. (1228-1254) (wie Anm. 86), S. 2648 und insbesondere das Sammelwerk: M. WERNER (Hg.), Heinrich Raspe – Landgraf von Thüringen und römischer König (1227-1247). Fürsten, König und Reich in spätstaufischer Zeit (Jenaer Beiträge zur Geschichte 3), Frankfurt a. M. 2003. 180 Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 454, doc. 346 und S. 457, doc. 350. 181 Siehe den Brief Heinrichs an den potestas von Mailand und den Rat und die Kommune der Stadt Mailand; ebd., S. 456-457, doc. 349.
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denen Dynastien Europas (multorum principum consanguinitate et affinitate connexus), seine Mäßigung (experiencia moderatus) sowie durch sein angenehmes Verhalten und sein anmutiges äußeres Erscheinungsbild (gratus moribus et specie corporis in oculis omnium gratiosum) ergeben.182 Der gerade zwanzig Jahre alte Graf Wilhelm von Holland besaß aus der Sicht des Papsttums alle Eigenschaften und Qualitäten, die für einen König und Kaiser notwendig waren. Hierbei bildete die consanguineitas und affinitas mit den verschiedenen Königsgeschlechtern Europas eine wichtige Voraussetzung. Seine Krönung konnte erst Ende Oktober 1248 in der Stadt Aachen durch die Hand des Erzbischofs von Köln erfolgen, nachdem Wilhelm die Stadt nach einer achtmonatigen Belagerung eingenommen hatte.183 In seinem schriftlich fixierten Eid gegenüber dem Papst vom 9. Februar 1249 versprach er Gehorsam und Ehrerbietung, genauso wie es die devoti et catholici imperatores et reges gegenüber dem Apostolischen Stuhl zu tun pflegten, und stellte sich damit in die Tradition seiner Vorgänger. Im selben Dokument erklärte Wilhelm selbstbewusst seine Eignung zum Kaiser: imperii […] coronam adeptus.184 Von der Kurie wurde nicht nur die Idoneität des Staufers bezüglich der Kaisersukzession hinterfragt, sondern auch sein Anspruch auf die Nachfolge im Regnum Sicilie angezweifelt. Konrad IV. verließ Anfang des Jahres 1252 wegen der schwierigen Lage Deutschland und brach in das Königreich Sizilien auf,185 um sich der cura Italica anzunehmen.186 Auch im süditalienischen Regnum bemühte sich die kuriale Propaganda, ähnliche Diffamierungen wie im Reich gegenüber Konrad zu verbreiten, wie zum Beispiel die an den Erzbischof von Bari187 182 Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 459-461, doc. 352: […] idem rex, sicut pre-
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dicto cardinale referente cognovimus et fama publica protestatur, est quidem fidelis catholicus, animo prudens, milicia strenuus, propriis potens viribus, multorum principum consanguinitate et affinitate connexus, iuventute fervidus, experiencia moderatus, gratus moribus et specie corporis in oculis omnium gratiosum. W. STÜRNER, Friedrich II. (wie Anm. 6), Teil II, S. 567-569; siehe auch B. CASTORPH, Die Ausbildung des römischen Königswahlrechts (wie Anm. 41), S. 40-45; H. MITTEIS, Die deutsche Königswahl (wie Anm. 91), S. 183-203 und J. ROGGE, Die deutschen Könige (wie Anm. 91), S. 46-48. Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 463-464, doc. 357. Über die politische Situation in Italien siehe J. RIEDMANN, Konrad IV. als König des Regnum Siciliae, in: Konrad IV. (1228-1254) (wie Anm. 86), S. 86-110, hier S. 87-88; DERS., Il governo di Corrado IV nel regno di Sicilia (1251-1254) alla luce di documenti recentemente scoperti, in: P. CORDASCO / M. A. SICILIANI (Hgg.), Eclisse di un regno (wie Anm. 142), S. 37-54; DERS., Unbekannte Schreiben Kaiser Friedrichs II. und Konrads IV. in einer Handschrift der Universitätsbibliothek Innsbruck: Forschungsbericht und vorläufige Analyse, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 62 (2006), S. 135-200, hier S. 165-168, reg. 53; 54; 57; 60; 63. Vgl. auch M. PACIFICO, Corrado IV di Svevia: la fortuna di un imperatore, re di Sicilia e di Gerusalemme, 1250-1254, in: E. CUOZZO (Hg.), Puer Apuliae. Mélanges offerts à Jean-Marie Martin (Monographies. Centre de Recherche d‘Histoire et Civilisation de Byzance 30), Paris 2008, S. 491-528. J. RIEDMANN, Unbekannte Schreiben (wie Anm. 185), S. 165, reg. 54. Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 84-85, doc. 105 [April 1251].
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oder die Stadt Neapel188 adressierten Schreiben aus dem Jahr 1251 zeigen. Die Argumente sind stets dieselben: Die Nachkommen des Stauferkaisers gelten als paterne malitie successores, die die Verbrechen der Regierung Friedrichs II. fortsetzten, welchem die Strenge (austeritas) des Pharao, die Gottlosigkeit (impietas) des Herodes und die Grausamkeit (saevitia) Neros nachgesagt werden. Gegen diese erklärten Feinde der Kirche und ihre Parteigänger hegte Innozenz IV., wie er in dem Brief an den Erzbischof von Bari mitteilte, die Absicht, einen Kreuzzug predigen zu lassen.189 b) Die Bestreitung staufischer Idoneität in der papstnahen Publizistik Die Darstellung Konrads IV. nimmt wegen seines kurzen Lebens einen sehr geringen Platz in den zeitgenössischen chronikalischen Texten ein, und seine Taten blieben in den Quellen unterbeleuchtet. Trotz der Knappheit der Informationen flossen die von der Kurie verwendeten Motive, die die Idoneität des gewählten staufischen Königs bestritten, in die Erzählungen der antistaufischen Geschichtsschreibung ein. Die Idoneitätsbestreitungen konzentrierten sich grundsätzlich auf drei Argumentationsstränge – zunächst eine sozusagen genealogische Begründung, die Konrad schon a priori disqualifizierte: Er war Nachkomme eines Viperngeschlechts (viperea stirps), einer Dynastie von Feinden und Verfolgern der Kirche.190 Dieses Prinzip war von Innozenz IV. allerdings auch in positivem Sinne verwendet worden: In einem Einladungsbrief an Karl von Anjou wandte der Papst im Juni 1253 dieselbe Argumentation an, um den Bruder des französischen Königs für den Erwerb der sizilischen Krone zu gewinnen. Karls Eignung verbürgte schon seine Abkunft aus einer frommen Dynastie, was in der päpstlichen Deutung als Garantie für einen tüchtigen Herrscher
188 Ebd., S. 105-107, doc. 125 [13. Dezember 1251]. 189 Ebd., S. 105; siehe auch S. 228-229, doc. 260. 190 Diese Idee der Übertragbarkeit der Würdigkeit wie auch der Unwürdigkeit eines Herr-
schers auf die Nachkommen kommt zuvor schon in einem päpstlichen Brief des Jahres 1247 an den Markgrafen von Meißen deutlich zum Ausdruck. Der Papst warnte Markgraf Heinrich III. († 1288), welcher der Eheschließung seines ältesten Sohnes mit Margareta, einer Tochter Friedrichs II., zugestimmt hatte, vor den Konsequenzen. Der Markgraf als kluger princeps catholicus hätte sich nicht erlauben dürfen, klagte der Papst, sein Haus (domus) und seine Nachkommenschaft (posteritas) mit dem sanguis sceleratus der staufischen Dynastie gleichsam zu infizieren; Epistolae saeculi XIII, Bd. 2 (wie Anm. 12), S. 258-259, doc. 346: Miramur plurimum et turbamur, quod cum iniquitates et scelera F. quondam imperatoris nota sint omnibus, tam prope positis quam remotis, ac ad omnes orbis angulos pervenerit de ipsius calliditate, sevitia et versutia manifestis, tu, qui tamquam vir sapiens et expertus non deberes hec omnia ignorare, vis domum tuam et posteritatem inficere ipsius sanguine scelerato, cum sis princeps catholicus et de maioribus mundi unus. […] considerato prudenter quod progenitores tui constanter in devotione sedis apostolice perstiterunt, quibus debes, sicut propagatione sanguinis, sic devotionis imitatione succedere […].
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galt.191 Ein zweites gegen Konrad verwendetes Argument ist sein bösartiges Verhalten, das die Nachahmung des väterlichen Handelns darstellte und sogar übertraf. Ein drittes Argument gründete sich auf seine Ansprüche als Herrscher: Im Reich hatte er aus der Sicht des Papsttums die Kaiserkrone unrechtmäßig beansprucht und durch sein gewalttätiges Eindringen das Regnum Siciliae usurpiert. Besonders aussagekräftig für die negative Darstellung Konrads in den publizistisch geführten Diskursen ist die eingangs erwähnte Biographie Papst Innozenz’ IV., deren Redaktion stark von den Briefen der römischen Kurie abhängig war. Der Text fasst die historischen Fakten nochmals kurz zusammen und benutzt dieselben Motive, die aus der päpstlichen Kanzlei für die Kommunikation mit Friedrich II. eingesetzt worden waren. Um die unwürdigen Taten des Staufers, seine Tyrannei und seine Heimtücke zu erklären, bediente sich der franziskanische Autor der Worte Jesajas (Jes 14, 29): Konrad sei wie “eine Natter, die aus einer Schlange (scilicet Friedrich II.) hervorgeht”.192 Die genealogische Abstammung Konrads determinierte für Nikolaus von Calvi ganz offensichtlich seine negativ konnotierten Eigenschaften und bewirkte eine vollständige Nachahmung der väterlichen Untaten. Auch in späteren chronikalischen Texten kommt dieses Motiv vor, wie zum Beispiel der in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts verfassten Universalgeschichte Mari historiarum aus der Feder des dominikanischen Autors Johannes Colonna,193 oder in der Istoria Fiorentina von Ricordano Malispini, in welcher Konrad als derjenige vorgestellt wird, der die schlechten Eigenschaften des Vaters noch übertroffen habe.194 191 Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 176-177, doc. 9: […] evidenti et manifesta
ratione comperimus, quod tu, quem semper invenimus ad beneplacita nostra paratum et in negotiis ecclesie non remissum, cuiusque progenitores a longis retro temporibus fide ferventes, devotione sinceri, ecclesiam de proprio multis opibus et libertatum privilegiis ampliarunt, ad tantum dinosceris fastigium merito attollendus. 192 Vita Innocentii IV. (wie Anm. 1), S. 282-283. 193 Siehe Johannes de Columpna, Mari historiarum, ed. G. WAITZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 24), Hannover 1879, S. 266-284, hier S. 284: Eodem anno Henricus [gemeint ist eigentlich Konrad IV.], Frederici filius, quem ex filia regis Ierosolimitani Iohannis de Brenna susceperat, cum uxore in Italiam ad hereditatem paternam occupandam venit; qui in persequenda ecclesia in omnibus vestigiis patris adherens, multa mala tam in Lumbardia, tam in Tuscia fidelibus ecclesie irrogavit. Veniensque in Regnum, Neapolitanam urbem obsedit quinque mensibus continuis. Vgl. zum Autor: F. SURDICH, Giovanni Colonna, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 27, Rom 1982, S. 337-338. 194 So die Aussage in der Istoria Fiorentina, die nach der gängigen Forschungstradition um 1270 von Ricordano Malispini verfasst wurde. Die aktuelle Forschung datiert die Abfassung der Istoria hingegen in eine spätere Zeit, in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts, und betont die starke Abhängigkeit von der Cronica des Giovanni Villani; L. MASTRODDI, Malispini, Ricordano, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 68, Rom 2007, S. 227230. – Vgl. Istoria Fiorentina di Ricordano Malespini (wie Anm. 83), cap. 146, Sp. 976: […] se questo Corrado fosse vissuto lungo tempo, sarebbe stato peggiore […]. Der Autor erinnert zugleich an die Missetaten Konrads IV. im Regnum gegen die Kirche, ihre Gläubigen und Anhänger: […] abbatando ogni suo ribello, o chi fosse amico, o seguace di Santa Chiesa […] eziando i
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Der Erzählung des päpstlichen Biographen Nikolaus von Calvi zufolge war Konrad nach dem Tod des Vaters widerrechtlich in das Regnum eingedrungen und hatte dieses militärisch besetzt.195 Ein besonderer Platz ist in der InnozenzBiographie der eigentlichen Intention der Gesandtschaft Konrads an den Papst reserviert. Nach der Interpretation des Autors war es die Absicht Konrads IV., durch Verstellung und Bestechung die kuriale Anerkennung seiner Rechte tam in imperio quam regno zu erlangen und anstelle des Vaters rechtmäßig die Herrschaft zu übernehmen.196 Der Biograph verwendet hier das Motiv der Bestechung und Verschleierung, welches in der späteren Publistik eine entscheidende Rolle für die Nichteignung von Manfred und Konradin spielen wird. Infolge seines ruchlosen Verhaltens hatte Konrad es verdient, vom Papst ut moris est pontificum Romanorum auf dem Lateranplatz öffentlich mit der kirchlichen Exkommunikation bestraft zu werden.197 Wie der Vater, erläutert der Verfasser, so wurde auch Konrad von einem grausamen Tod ereilt,198 was als deutliches Zeichen seiner großen Ungerechtigkeit erschien. Der staufische König starb, ohne im Anschluss eine angemessene Beisetzung erhalten zu haben. Auch in anderen Quellen der Zeit wird die Erzählung vom unwürdigen Ende Konrads wiederholt und mit zusätzlichen Details ausgeschmückt.199 Als Kontrapunkt zu der solcherart verdammten Stauferdynastie wirkt in der päpstlichen Vita eine nur kurze Erwähnung der Gegenkönige Heinrich Raspe († 1247) und Wilhelm von Holland († 1256). Beide scheinen die kirchlichen Idealvorstellungen eines geeigneten Königs zu erfüllen. Der eine, Heinrich Raspe, wird als vir catholicus et magne fidei plenus bezeichnet, immer bereit, die Anliegen der Kirche constanter et viriliter zu verfolgen. Heinrich begegnete im Unterschied zu den Staufern seinem Tod tanquam vir catholicus contritus pariter et confusus, der die kirchlichen Sakramente mit großer Ergebenheit empfing.200 Im Fall von Wilhelm von Holland wird Bezug auf die Bemühungen des Papstes hinsichtlich dessen Wahl und Krönung genommen. Zur Charakterisierung seiner Figur finden Wilhelms vornehme Herkunft und seine Bedachtsamkeit (vir nobilis et pru-
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religiosi, e sacre persone fece morire per tormenti, […] abbatando chi non era nella sua ubbidienza e promutando i benefici, siccome fusse papa […]. Vita Innocentii IV. (wie Anm. 1), S. 282-283. Ebd., S. 283; 286-287. Ebd., S. 287. Ebd., S. 288. Siehe beispielweise die Fortsetzung der Weltchronik Ottos von Freising (Ottonis episcopi Frisingensis Chronicon [wie Anm. 83], S. 276), wo der Autor auch auf die außerkirchliche Bestattung hinweist: Reliquit tamen hic filium nomine Chunradum, quem in Sicilia ante regnare in preiudicium Romane ecclesie fecerat, qui etiam tamquam paterne imitator malicie a summis pontificibus excommunicatur, sed pauco tempore, id est quinto post mortem patris anno, infausta morte raptus et occulte subtractus nec ecclesiastice participavit ut pater sepulture […]. Vita Innocentii IV. (wie Anm. 1), S. 274.
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dens) Erwähnung,201 während die Bezeichnungen als rex christianissimus und filius devotus ecclesie die traditionellen Attribute eines frommen und kirchentreuen Herrschers sind.202 Es werden somit alle Qualitäten eingeführt, welche die von den Päpsten favorisierten Könige im Vergleich zu den Staufern auszeichneten und die aus der Perspektive der Kirche die Voraussetzung für die Idoneität eines christlichen Königs darstellten. Als weitere exemplarische Vertreter einer propagandistischen Historiographie sollen im Folgenden der an der römischen Kurie tätige Skriptor und papstnahe Chronist Saba Malaspina und der franziskanische Geschichtsschreiber Salimbene de Adam näher betrachtet werden. Beide schrieben ihre Werke nach dem Ende der Stauferära in der Zeit der neuen Herrschaft Karls von Anjou. In seiner zwischen 1283 und 1285 entstandenen Rerum Sicularum Historia berichtet der Bischof von Mileto, Saba Malaspina,203 sehr knapp über Konrad IV.204 Die genealogische Abstammung ist hier das Element, das Konrads negatives Bild prägt und seine Eignung zur Herrschaft in Zweifel zieht. Die Staufer sind ein höllisches Geschlecht, gekennzeichnet von Ketzerei und teuflischem Betrug.205 Bei Konrad IV. schlug das böse Erbe seines Vaters durch, wovon seine Untaten Zeugnis ablegten.206 Die schlimmste Heimtücke ist für Saba Malaspina sicher die (versuchte) gewaltsame Übernahme des Königreichs Sizilien. Diesen Schritt unternahm Konrad IV. nicht mit der Absicht, ein fremdes Land zu besitzen, sondern um sein väterliches Erbe wiederzuerlangen. Als papstnaher Chronist wirft Saba ihm vor, nicht anerkannt zu haben, dass das Regnum ein Lehen der Kurie war und nur der Papst über dieses verfügen könne.207 Auch in dem Bericht Saba Malaspinas kann auf Konrad nur ein schreckli-
201 Ebd., S. 275: […] nobilem et prudentem virum Guillelmum comitem Ollandie in Romanorum regem
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IIII nonas octobris elegerunt […] kalendis novembris prefatum G(uillelmum) secundum antiquorum modum honorifice coronavit […] rex ipse dives non esset, quamquam preclarus genere […]. Ebd., S. 280: […] rex Alamanie christianissimus Guillelmus, filius devotus ecclesie […]. Über Saba Malaspina vgl. P. BERARDO, Malaspina, Saba, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 67, Rom 2006, S. 803-806 und I. BRAISCH, Eigenbild und Fremdverständnis (wie Anm. 83), hier Bd. 1, S. 49-56. Vgl. ebd., S. 213. Die Chronik des Saba Malaspina (wie Anm. 83), lib. I, 2, S. 93: […] ut perhenniter totam posteritatem cesaream conturbaret, cordibus Frederici tociusque familie variis contra ecclesiam inebriatis erroribus Erinis seva, que est furia infernalis, cum sororibus bachatrix irrepsit eumque antiqua serpentis lacius momordit astucia et propensius fraus dyabolica circumvenit. Ebd., lib. I, 3, S. 96-97: Tandem idem Corradus in regno predicto plenum per violenciam et per amiciciam eciam sine obice optinens e principatum cepit in olla paterne nequicie veneno ebulliente fervescere, ac succedens vitiose vitio genitoris complices et fautores quondam cesaris studuit excitare, sepultos et factos iam hebetes perdito capite contra redivivam ecclesiam provocare. Ebd., lib. I, 3, S. 95: Postmodum autem, licet regnum Sicilie foret ad dispositionem ecclesie Romane, cuius iuris et proprietatis extitit libere devolutum, rex Corradus eiusdem Frederici filius regnum ipsum occupans eo non tamquam alieno sed velut re patrimoniali, quam sibi credebat ex paterna successione competere.
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ches Ende warten: Der König starb durch Gift auf Betreiben seines eigenen Bruders Manfred.208 In der am Ende des 13. Jahrhunderts verfassten Chronik des aus Parma stammenden Franziskaners Salimbene de Adam209 ist die Erwähnung Konrads IV. ebenfalls nur sehr knapp gehalten. Das Geschlecht der Staufer wird als generatio prava et experans stigmatisiert und die Herrschaft Friedrichs II. und die seiner Söhne mit der von Luzifer verglichen.210 Auch hier ist das genealogische Argument der vererbten Schlechtigkeit entscheidend für die Charakterisierung Konrads und seiner Ungeeignetheit zur Herrschaft. Er ist der Fortsetzer der väterlichen Tyrannei, und an ihn ist die Prophezeiung Daniels (Dan 11, 18-20) gerichtet, die das Emporkommen eines schlimmen und unwürdigen Herrschers anstelle des alten Tyrannen ankündigt.211 Sein Ableben zeigte für Salimbene das Schicksal jedes Gottlosen: Durch Gift getötet, fand Konrad nach seinem Tod kein ordentliches Begräbnis, seine Gebeine wurden auf dem Weg nach Palermo von den Bewohnern der rebellierenden Stadt Messina ins Meer gestreut.212
208 Ebd., lib. I, 4, S. 98: potissime illorum de regno, cavebat sibi vehementer, ne frater in eum manus sevas
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extenderet et vel occulte vel per fraudem vel dolum aut publice per potenciam mortem eius crudeliter intentaret. Siehe auch noch S. 99-100: Sicque quidam Salernitanus phisicus, qui erat ad curam Corradi, quem Manfredus pluries ad dilectionis sue graciam verborum humilium blandimentis illexerat, fuit instantissime per Manfredum et quosdam suos amatores inveteratos diebus malis sub sigillo penitencie requisitus, ut, cum per gustum Corradus venenari non posset, aliam excogitaret fraudis viam, per quam idem Corradus omnino mortis discrimini traderetur. Salernitanus igitur predictus, ut fertur, tritum adamantem cum pulvere dyagridii in aqua clisteris immiscuit et illa ventrem stipticum intrinsecus irrigavit. L. GATTO, Dalla parte di Salimbene: raccolta di ricerche sulla Cronaca e i suoi personaggi, hg. v. P. MESSA (Medioevo 13), Rom 2006, S. 19-55 und I. BRAISCH, Eigenbild und Fremdverständnis (wie Anm. 83), hier Bd. 2, S. 1-59. Salimbene de Adam, Cronica, ed. O. HOLDER-EGGER (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 32), Hannover/Leipzig 1905-1913, S. 347: Et nota, quod illa que dicuntur XIIII capitulo Isaie de destructione Babylonis et de Lucifero congrue possunt exponi de Friderico et filiis suis […] Et infra, postquam de Lucifero aliqua interseruit, subiungit quedam, que ad Fridericum et ad filios eius optime spectant. […] Ad litteram bene fecit Deus de filiis Friderici extirpando et delendo eos, quia hec fuit generatio prava et exasperans, generatio que non direxit cor suum, et non est creditus cum Deo spiritus eius. Dazu siehe auch I. BRAISCH, Eigenbild und Fremdverständnis (wie Anm. 83), Bd. 2, S. 364-368. Salimbene de Adam, Cronica (wie Anm. 210), S. 205: Impleta est tamen in eo scriptura Danielis XI que dicit: ‘Cessare faciet principem opprobrii sui, et opprobrium eius convertetur in eum. Et convertet faciem suam ad imperium terre sue, et impinget et corruet et non invenietur. Et stabit in loco eius vilissimus et indignus décore regio, et in paucis diebus conteretur, non in furore nec in prelio.’ Hoc potest ad Conradum filium Friderici referri, qui paucis diebus post patrem supervixit et per cristere mortuus est veneno inmisso. Ebd., S. 486: Conradus vero fuit filius supradicti imperatoris legitimus, et tamen istis honoribus caruit, quia a Messenis civibus ossa eius sparsa et proiecta fuerunt in mare civitatis Messane et piscibus sociata, quando portabantur Panormum ad sepeliendum, ubi regum Sicilie monumenta habentur. Et ideo Ecclesiasticus dicit VII: ‘Noli facere mala, et non te apprehendent.’ Offenderat enim Messenos cives sicut et pater suus.
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2.2.2. Das Ausklingen der Staufer: Manfred und Konradin a) Die Argumente der päpstlichen Kanzlei Mit dem Tod des exkommunizierten Staufers Konrad IV. am 21. Mai 1254 und dem Ableben des (Gegen-)Königs Wilhelm von Holland nur knapp zwei Jahre später, im Januar 1256, war die Erlangung der Kaiserwürde ebenso wieder relevant geworden wie die problematische Nachfolge im Regnum Sicilie. Gegen die Rechtsansprüche des jungen Konradin, des letzten legitimen Nachkommen der Dynastie der Staufer, auf die Kaiserwürde sprach sich Papst Alexander IV. schon am 28. Juli 1256 dezidiert aus. In einem an den Erzbischof von Mainz adressierten Brief drohte er diesem und auch den anderen Mitwählern mit der Strafe der Exkommunikation, sollten sie bei der bevorstehenden Wahl des römischen Königs ihre Unterstützung Konradin,213 dem Sohn Konrads IV. und Enkel Friedrichs II., geben. Eine Kandidatur des jungen Konradin galt für Alexander als ausgeschlossen, da dieser dem Kirchenbann verfallen war.214 Wie der Papst betonte, war die Wahl des römischen Königs eine sehr bedeutsame und schwierige Angelegenheit (altius et difficilius negotium), welche mit der notwendigen diligentia und cautela vorzunehmen sei, um schlimme Folgen und ein noch schädlicheres Ergebnis zu vermeiden.215 Der Papst mahnte bei der Wahl des künftigen advocatus ecclesiae klug und vernünftig abzuwägen, damit die Kirche als ihren Verteidiger (advocatus) nicht einen Bekämpfer (impugnator) und als Beschützer (defensor) keinen Feind (offensor) erhalte.216 Alexander IV. forderte 213 K. HAMPE, Geschichte Konradins von Hohenstaufen (wie Anm. 117), hier insbesondere
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214 Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 397-400, doc. 440, hier S. 399: […] quati-
nus prefatum Conradum puerum nullatenus in regem eligas nec nomines neque consentias in eundem, ita quod excommunicatus existas, si contra mandatum nostrum facere vel venire presumpseris et eundem Conradum nominaveris vel elegeris aut in ipsum consenseris seu opem vel operam, consilium, auxilium vel favorem, ut eligatur, impenderis; et etiam si eius electionem non impediveris toto posse aut si forte ad ipsius electionem vel nominationem processeris, scias te prius excommunicatione ligatum. Aliis vero coelectoribus tuis, tam ecclesiasticis quam secularibus, auctoritate nostra firmiter inhibeas, ne ipsum ad hoc nominent vel eligant nec in eum consentiant, promulgando eadem auctoritate in eos excommunicationis sententiam, si contra hanc tuam inhibitionem venire temptaverint, immo nostram, ita quod si eum nominare vel eligere aut in ipsum consentire presumpserint, noscant se prius excommunicationis vinculo innodatos, ut ex hoc ipso, si de predicto puero quicquam in hac parte attemptatum fuerit, sit prorsus vacuum, irritum et inane. 215 Ebd., S. 398: Sane intelleximus, quod instat tempus electionis celebrande de rege, in imperatorem postmodum promovendo; super quo tanto propensior adhibenda est diligentia et cautela, quanto altius et difficilius est negotium, quod geritur in hac parte, quantoque res, si aliqua in ea interveniret negligentia seu improvidentia vel desidia, deteriorem habere posset effectum et exitum noxiorem. 216 Ebd.: Unde hic vehementer vigilandum est, hic perspicaciter intuendum, hic considerandum prudenter, hic mature deliberandum, hic provide precavendum, hic aperiendi sunt oculi, hic habende sunt aures intente, hic mens esse debet non rudis et torpida sed diligens, pervigil et consulta, ubi de advocato ecclesie agitur, de ipsius defensore tractatur, ne pro advocato impugnator et pro defensore assumatur vel eligatur offensor.
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den Erzbischof von Mainz und die Fürsten auf, mit Gottes Hilfe einen Kandidaten zu finden und zu wählen, der treu (fidelis) und ergeben (devotus) sei, der aus einem kirchentreuen Geschlecht stamme und für geeignet (idoneus) und fähig (sufficiens) gehalten werde, die höchste Ehre der Lenkung des Reiches zu übernehmen.217 In der letzten Aussage hatte der Papst die wichtigsten Voraussetzungen gleichsam synthetisiert, die aus der Sicht der römischen Kirche zur Erlangung der Kaiserwürde notwendig waren. In Anlehnung an die Deliberatio super facto imperii de tribus electis sowie an die Dekretale Venerabilem vom Beginn des 13. Jahrhunderts waren nach der Absetzung Friedrichs II. die dynastische Zugehörigkeit eines Anwärters zu einem frommen Geschlecht und die persönliche Treue und Hingebung zur römischen Kirche diejenigen Elemente, die die Idoneität zum Kaisertum konstituierten. Gleichzeitig präsentierte der Papst klare Argumente bezüglich der Unfähigkeit des letzten Staufererben, die Herrschaft über das deutsche Reich zu übernehmen. Im Vordergrund stand erneut die genealogische Begründung: Die Tyrannei Friedrichs II., sowie die seiner Ahnen und Nachfolger, übertraf diejenige anderer Verfolger, die die Kirche durch Unrecht schädigten und sie durch Gewalttaten plagten. Die Staufer hätten “mit dem Bogen ihrer Wut und dem Schwert ihrer Wildheit” auf die völlige Vernichtung der Kirche gezielt. Überall hätten sie die Kirche durch Geißelungen leiden lassen, ihr schwere Wunden zugefügt und sie mit ihren Verfolgungen bis ins Mark getroffen. “So wie in diesem verdorbenen Geschlecht die Bosheit (malitia) durch das Blut den Söhnen, wie durch das Erbe des Fleisches, weitergegeben wurde, sind auf gleiche Weise die Nachgeborenen ihren Erzeugern durch Nachahmung ihrer Werke gefolgt”, befand Alexander IV.218 Der Papst äußerte dergestalt seine Zweifel und fragte, was von den Nachfahren solcher Ahnen in der Zukunft zu erwarten wäre. Die Erinnerung an die entsetzlichen und verderblichen Taten der Vorfahren kündigte die Ungerechtigkeit der Nachkommen an, sodass aus der Sicht des Papstes künftig nichts Gutes von Konradin zu erwarten und zu hoffen sei. Diese Aussage war in Metaphern gekleidet, die aus der Tier- und Pflanzenwelt stammten: “Aus der Schlange (coluber) kommt gewiss der Basilisk (regulus) hervor, so wie ein schlechter Baum noch schlechtere Früchte bringt und ein verdorbener Anfang niemals eine gute Voll-
217 Ebd.: Quare undique summe cogitationis perferenda est acies et circumquaque districta explorandum
indagine, ut talis cooperante Domino repperiatur et eligatur, qui fidelis et devotus existat et de prosapia processerit devotorum ac idoneus et sufficiens merito reputetur ad optinendum tanti honoris culmen et imperii regimen exercendum. 218 Ebd.: Qualiter autem quondam Fr. olim Romanorum imperator et sui progenitores et posteri erga matrem ecclesiam se gesserint, et qualem ei retributionem de beneficiis ab ipsa perceptis impenderint, patens est et cognitum toti orbi, quoniam hii, aliorum persecutorum excedentes tyrampnidem, gravioribus eam affecerunt iniuriis et oppressionibus durioribus afflixerunt, et velud in cedem et exterminium eius tendentes, furoris arcum et feritatis gladium acuentes, diris illam ubilibet tribulavere flagellis et usque ad interiora profundis illatis vulneribus sauciarunt. Nam in hoc pravo genere patrum in filios cum sanguine derivata malitia, sicut carnis propagatione, sic imitatione operum nati genitoribus successerunt.
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endung verheißt”.219 Mittels dieser symbolhaften genealogischen Argumentation, die ein Wortspiel mit dem lateinischen Diminutiv regulus für ‘Königlein’ beinhaltete, schloss der Papst Konradin unwiderruflich als möglichen Kandidaten für eine Wahl aus. An dieser Stelle fügte er aber noch eine zusätzliche Begründung zur Uneignung Konradins bei. Der junge Staufer wäre wegen seines kindischen Wesens und seines zu geringen Alters für diese Aufgabe untauglich (inhabilis) und nicht wählbar (inelegibilis), weil die fehlende geistige Reife einen Mangel an Unterscheidungsvermögen mit sich brächte. Auch wenn die Fürsten gegen den Willen des Papstes und trotz der offenbar mangelnden Idoneität Konradins sich auf seine Person einigen würden, wäre eine päpstliche Zustimmung zu der Wahl trotzdem nicht möglich. Denn wer weder sich selbst zu beherrschen noch angemessen für das Wohl von anderen zu sorgen wisse und zudem wegen offenkundiger Mängel der Obhut und Vormundschaft fremder Personen unterstellt sei, könne auf keinen Fall zum König oder Lenker (rector) des weiträumigen deutschen Reiches ernannt werden.220 Es sind dies im Kern dieselben Motive, die schon in der Zeit des Ringens zwischen Otto IV. und Philipp von Schwaben den Ausschluss des jungen Kaisersohnes Friedrich von der Wahl und Thronfolge determiniert hatten.221 Aus diesen Überlegungen heraus wiederholte der Papst nochmals deutlich, dass Konradin nicht zum König erhoben werden sollte. Die Kirche erwartete durch eine solche Wahl einen geeigneten Beschützer 219 Ebd.: Ex quo liquido perpendi potest et conici, si ex ipso alique posteritatis reliquie remanserunt, quid
sperandum sit in futurum de illis, quid in posterum expectandum; vita namque ac gesta predecessorum perversa iniquitatem prenuntiant successoris, nec a horribilis et scelesta illorum memoria quicquam boni de ipsorum posteritate credere vel sperare permittit; de colubro quidem egreditur regulus et arbor mala noxios fructus profert pravumque principium nunquam bonum pollicetur effectum. 220 Ebd.: […] maxime cum propter infantiam nimiumque defectum etati sit ad ista prorsus inhabilis ac intellegibilis penitus puer iste; nec ius, quod ex electione provenire vel consurgere consuevit, sibi posset competere nec in sua cadere vel retineri persona, cum propter puerilem etatem, que discretione caret et legitimum consensum vel dissensum non habet, efficaciam vel vigorem. Et ex eo etiam idem puer in regem eligi vel nominari non debet, quia cum per electionem huiusmodi de advocato vel defensore idoneo debeat ecclesie provideri et ipse puer sit omnimodo ineptus et inutilis ad talis defensionis officium seu ministerium exequendum, oporteret eandem ecclesiam, si contingeret eligi dictum puerum, manere diutius non absque gravibus forte dispendiis defensionis commodo destitutam. Nec per hoc etiam consuleretur amplo et spatioso regno Theotonie de rege vel rectore condigno, cum male possit alios regere, qui non novit gubernare se ipsum, nec bene vel digne aliorum gubernaculo preesse valeat, qui regimine ducitur alieno et cui propter tot patentes defectus necessaria est alterius custodia et tutela; propter quod regnum ipsum longo tempore non sine multo discrimine sub oportuni regiminis expectatione langueret. 221 Vgl. oben die Bulle Deliberatio super facto imperii de tribus electis, Anm. 54-56 und die entsprechenden Bemerkungen. Auch im kanonischen Wahlrecht gab es genauere Angaben über die Wahleignung eines Kandidaten. Dieser hatte verschiedenen Voraussetzungen zu genügen; so sollte er gebildet sein, gutes und sittsames Verhalten zeigen, ein passendes Alter besitzen und aus einer legitimen Ehe stammen, siehe B. CASTORPH, Die Ausbildung des römischen Königswahlrechts (wie Anm. 41), S. 52, Anm. 86 sowie J. PELTZER, Canon Law, Careers, and Conquest. Episcopal Elections in Normandy and Greater Anjou, c. 1140 - c. 1230 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought 4/71), Cambridge 2008.
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(defensor) und Verteidiger (advocatus) zu erhalten, und deswegen erklärte man das Stauferkind als offenkundig völlig untauglich (ineptus) und nutzlos (inutilis), um die Aufgabe (ministerium) eines solchen Amtes (officium) zu erfüllen.222 In der Erwartung einer neuen, angemessenen Herrschaft im Reich kam es zur Doppelwahl des Jahres 1257, bei der sich die Präferenzen der Fürsten auf Richard von Cornwall und Alfons X. von Kastilien verteilten. Die Frage der Nachfolge im Kaisertum blieb aufgrund der blutigen Auseinandersetzungen, die hieraus entstanden waren, vorerst offen.223 Im Jahre 1262 wurden die Verhandlungen zu einer neuen Wahl wiederaufgenommen, und Papst Urban IV. bemühte sich, jeder Parteinahme der deutschen Fürsten für Konradin vorzubeugen. In drei vom Juni 1262 datierenden Briefen an den König von Böhmen,224 den Erzbischof von Mainz225 und den Bischof von Konstanz226 wiederholte der Papst die Argumente, die schon sein Amtsvorgänger Alexander IV. gegen die Wählbarkeit Konradins zum römischen König vorgebracht hatte, und drohte den hohen Klerikern mit der Exkommunikation, wenn sie sich an der Wahl beteiligen sollten. Im Falle Bischof Eberhards II. von Konstanz (1248-1274) sah sich der Papst zu noch schärferen Drohungen veranlasst, weil der Bischof die Vormundschaft des jungen Staufers angenommen und sich aktiv für die Erwerbung des Königstitels durch Konradin eingesetzt hatte. Auch hier stehen die schon bekannte genealogische Begründung der Abstammung Konradins aus einem pravum genus sowie die Idee der vererbten malitia wieder im Mittelpunkt der päpstlichen Argumentation. Von daher konzentriert sich die Anklage auf das bösartige tyrannische Verhalten, auf die wiederholten Verfolgungen und auf die Bedrückungen, die die Vorfahren des Staufers gegen die Kirche begangen hatten.227 Auch im sizilischen Königreich stellte sich parallel das Problem der Idoneität und der Anerkennung der Rechte Konradins. Laut der testamentarischen Dispositionen Friedrichs II. von 1250 war der (damals noch nicht geborene) Sohn Konrads IV. als dessen rechtmäßiger Nachfolger vorgesehen. Der andere Sohn des Kaisers, Heinrich-Carlotus, der aus der Ehe mit Isabella von England stammte und in der Nachfolgeregelung hinter Konrad IV. stand, war 1253 oder 1254 gestorben. Konradin, im März 1252 geboren, blieb von staufischer Seite
222 Siehe Anm. 216. Zur Kaiserwürde als ministerium Dei vgl. E. BUSCHMANN, Ministerium Dei
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– idoneitas. Um ihre Deutung aus den mittelalterlichen Fürstenspiegeln, in: Historisches Jahrbuch 82 (1962), S. 70-102. B. CASTORPH, Die Ausbildung des römischen Königswahlrechts (wie Anm. 41), S. 54-93. Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 486-488, doc. 520. Ebd., S. 488-490, doc. 521. Constitutiones et acta publica (wie Anm. 5), S. 520-521, doc. 403. Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 487 und S. 489.
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somit der alleinige legitime Nachkomme – doch nicht der einzige, der Anspruch auf die Krone Siziliens erhob.228 Kurz nach dem Tod Konrads IV. hatte sich Papst Innozenz IV. im September des Jahres 1254 mit Manfred versöhnt. Die erreichte Annäherung wurde vom Papst als honor, commodum et exaltatio ecclesie gefeiert, wozu Manfreds Eigenschaften wie auch der Ruhm des Geschlechts (generis claritas), seine Stärke (potentia) und sein Eifer (industria) beigetragen hätten. Als Belohnung erkannte der Papst ihm, wie es in den testamentarischen Bestimmungen des Vaters enthalten gewesen war, das Fürstentum von Tarent mit den comitati von Gravina und Tricarico sowie den honor Montis Sancti Angeli zu.229 Gleichzeitig erklärte sich Innozenz bereit, die Rechte Konradins über das Regnum Ierosolimitanum, über das Herzogtum Schwaben und das Regnum Siciliae noch zu bewahren.230 Dieser Friedenszustand blieb jedoch nur ein kurzes Intermezzo. Ungeachtet der Rechte seines Neffen strebte Manfred, der ab April 1255 das Bajulat und die Vormundschaft Konradins übernahm, selbst nach der sizilischen Krone.231 Da der Papst das Königreich als sein Lehen betrachtete, bemühte er sich um einen geeigneteren Kandidaten als Herrscher. Nach verschiedenen Versuchen belehnte Alexander IV. am 9. April 1255 Prinz Edmund von Lancaster, der genealogische Bindungen zur früheren normannischen Dynastie in Sizilien vorweisen konnte und als Neffe der dritten Gemahlin Friedrichs II., Isabella, sogar eine verwandtschaftliche Verbindung zu den Staufern hatte. Die Verhandlungen über das negotium Regni mit König Heinrich III., Edmunds Vater, wurden abgebrochen wegen der Verzögerungen seitens der englischen Krone, das erwartete Kontingent für den von der Kirche geplanten Angriff gegen Manfred zur Verfügung zu stellen. Die Einladung zur Kandidatur für die sizilische Krone trug der Papst Edmund in den Jahren 1256 und 1259 erneut an. Alle diese Versuche blieben trotz der positiven Voraussetzungen, die Edmund wegen seiner Her-
228 Testament Friedrichs II. (wie Anm. 85), S. 118-122, hier insbesondere S. 119. Über Hein-
rich-Carlotus, den 1238 geborenen Sohn des Kaisers, siehe W. STÜRNER, Friedrich II. (wie Anm. 6), Teil II, S. 311; 563 und 588. 229 Siehe den Brief Innozenz’ IV. vom 27. September 1254 in Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 287-289, doc. 318, hier S. 288. Vgl. dazu E. PISPISA, Il regno di Manfredi (wie Anm. 106), S. 275-294, hier insbesondere S. 279-281. Über die politische Unterstützung der baroni für Manfred im Regnum Sicilie siehe W. KOLLER, Manfredi di Sicilia: la base del potere, in: P. CORDASCO / M. A. SICILIANI (Hgg.), Eclisse di un regno (wie Anm. 142), S. 55-74. Zu den Beziehungen und Konflikten zwischen dem Papsttum und den Staufern vgl. grundlegend C. D. FONSECA, Chiesa e Regno meridionale (1250-1268), in: ebd., S. 75-100. 230 Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 290, doc. 320. 231 Vgl. E. PISPISA, Il regno di Manfredi (wie Anm. 106), S. 279-286 und F. GELDNER, Konradin und das alte deutsche Königtum. Opfer der hohenstaufischen Italienpolitik, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 32 (1969), S. 495-524 sowie auch K. HAMPE, Geschichte Konradins von Hohenstaufen (wie Anm. 117), S. 1-20.
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kunft mit sich brachte, aber ergebnislos.232 Am 28. Juli 1263 entschloss sich Urban IV., Heinrich III. und seinen Sohn zu informieren, dass die Kirche nach dem Ausbleiben der englischen Unterstützung wieder die komplette Verfügung über das Regnum Siciliae übernommen hatte.233 Der Brief enthält zudem eine unmissverständliche Anklage gegen Manfreds Verhalten,234 der sich am 10. August 1258 in Palermo ohne Zustimmung des Papstes zum König hatte krönen lassen und in den folgenden Jahren seine avidas et occupatrices manus auch auf andere Territorien des Kirchenstaats ausgestreckt habe.235 Das schon gegen Konradin instrumentalisierte genealogische Motiv der ‘angeborenen’ malitia, die in dem pravum genus der Staufer nicht nur über das Blut, sondern auch durch die Nachahmung der von den Vorfahren begangenen Kirchenverfolgungen weitergegeben werde, stand erneut im Zentrum der Idoneitätsbestreitungen.236 Seine Unterdrückung, die er angeblich im Regnum ausübte, wurde von Urban IV. mit einer pharaonica oppressio verglichen, weil die Brutalität von Manfreds Tyrannei an die Gefangenschaft Israels unter den ägyptischen Pharaonen erinnere.237 In mehreren päpstlichen Schriftstücken wiederholen sich die Anklagen gegen Manfred und die Feststellungen seiner Ungeeignetheit und seiner fraglichen Legitimität: Er stamme aus einer viperea stirps;238 seine Niederträchtigkeiten fänden ihren Ursprung in der paterna malitia, die er mit seiner Bösartigkeit sogar übertreffen würde, genauso wie aus der Schlange ein noch schrecklicheres Tier, der Basilisk, hervorgeht.239 Der Makel seiner illegitimen Geburt wird vom Papst auch an einer anderen Stelle mit den Worten erwähnt, Manfred sei filius de damnabili commixtione susceptus.240 Daneben finden sich Passagen, in denen er mit diabolisch konnotierten Bezeichnungen als dux perfidiae, princeps tenebrarum und perse-
232 B. WEILER, Matthew Paris (wie Anm. 107), S. 71-92; A. WACHTEL, Die sizilische Thron-
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kandidatur (wie Anm. 107), S. 98-178. Siehe auch die entsprechenden Angaben oben in Anm. 107. A. WACHTEL, Die sizilische Thronkandidatur (wie Anm. 107), S. 98-178; vgl. Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 532, doc. 551; S. 533, doc. 552 und S. 553-537, doc. 553. E. PISPISA, Il regno di Manfredi (wie Anm. 106), S. 20-26, insbesondere S. 23 und über die Beziehungen Manfreds zu Urban IV. und Clemens IV. ebd., S. 286-293; vgl. aber auch K. HAMPE, Urban IV. und Manfred (1261-1264) (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 11), Heidelberg 1905. Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 534. Ebd., S. 534 und 535; für die Briefe Konradins siehe oben Paragraph 2.1.1. Die Argumente der staufischen Kanzlei c) Kanzleischreiben aus dem Umfeld Konradins. Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 535. Ebd., S. 482-486, doc. 519, hier S. 484. Ebd.: […] ac tamen idem iniquitatis filius, ut se de radice columbri regulum probaret egressum, non solum successor paterne malitie set excessor, eiusque nepoti morte conficta regnum ipsum tamquam hereditatem propriam usurpavit. Ebd., S. 666, doc. 657.
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cutor ecclesie erscheint.241 Als unmenschlicher Tyrann verfolgte er die Kirche242 und zeichnete sich als iniquitatis filius et perditionis alumnus negativ aus.243 Seine Herkunft aus einem korrumpierten Geschlecht, die sein verdammenswertes Verhalten determinierte, wird in einigen Briefen mit dem Bild Karls von Anjou, dem Bruder des französischen Königs, kontrastiert, welcher als bevorzugter Kandidat für die Belehnung mit Sizilien von der Kirche angesehen wurde. Karl sei tüchtig (strenuus), eifrig (industrius) und treu (fidelis); diese Eigenschaften zeigen seine Idoneität, die Krone zu übernehmen. Neben seinen persönlichen Qualitäten konnte Karl auch eine ausgezeichnete dynastische Herkunft vorweisen: Er gehe aus einer Linie von christianissimi progenitores hervor, welche die Kirche fromm verehrt, deren Rechte vermehrt und für ihre Bewahrung gekämpft hätten.244 Genau dieses Argument, das schon in einem Brief des Jahres 1253 deutlich wurde,245 spielt in den kurialen Schriftstücken eine entscheidende Rolle, indem es gemäß der päpstlichen Deutung als Garantie für einen tüchtigen Herrscher galt und als sicherer Beweis der vollständigen Eignung Karls fungierte. Im Sinne einer Umkehrung des Gedankengangs, welcher für Manfred und Konradin die Negation jeglicher Idoneität bedeutet hatte, war sich der Papst sicher, dass ebenso wie das edle Geblüt weitergegeben wird, auch die frommen Werke der Vorfahren von den Nachgeborenen imitiert würden.246 241 Ebd., S. 525-526, doc. 544 und S. 616, doc. 624. 242 Ebd., S. 586-589, doc. 594; S. 615-616, doc. 623; S. 619-620, doc. 628; S. 633-634,
doc. 643.
243 Ebd., S. 599-601, doc. 606. 244 Ebd., S. 586-589, doc. 594, insbesondere S. 588 und S. 589-590, doc. 595; vgl. aber auch
S. 635-639, doc. 645, insbesondere S. 636. – Die glanzvolle genealogische Herkunft wurde in der Descriptio victoriae Karoli des Andreas von Ungarn besonders herausgestellt: Karl von Anjou ist der “zweite und neue” Karl und stammt vom dem kirchentreuen Kaiser Karl dem Großen ab. Andreas Ungarus, Descripcio victorie Beneventi, ed. F. DELLE DONNE (Fonti per la Storia dell’Italia Medievale. Antiquitates 41), Rom 2014, insbesondere S. XLVII-XLVIII, und S. 9-10, cap. VI: […] scilicet secundus Karolus, dextera Domini virtutum, qui de lumbis illius excelsi nominis Magni Karoli tamquam lapis offensionis, petra scandali in ruinam et resurrectionem multorum […] sowie S. 14-15, cap. X.1: […] perpenso consilio [Mater Ecclesia] preelegit ex vena fidei, scilicet Magni Karoli divi condam imperatoris Romanorum pariterque illustris regis Francorum, hunc secundum novumque Carolum prodeuntem, qui, tracta fide ab ipso fonte fidei, fortitudine ab ipsa manu forti, recuperet dona imperialia constancia Constantini. Über die Legitimationsstrategien Karls von Anjou vgl. C. CAROZZI, Saba Malaspina et la legitimité (wie Anm. 108), S. 81-97. Gleichzeitig versuchte ein stauferfreundliches narratives Werk, die Adhortatio ad Henricum illustrem Landgravium Thuringiae de casus regis Conradini nepotis Friderici aus der Feder des Petrus von Prece, die Disqualifizierung Karls von Anjou nicht nur durch dessen persönliche Untauglichkeit, sondern auch über das genealogische Motiv zu begründen; vgl. dazu C. ANDENNA, Wer ist zur Herrschaft geeignet? (wie Anm. 35), S. 136-141, insbesondere S. 139-140. 245 Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 176-177, doc. 9. 246 Ebd., S. 590, doc. 595: […] et ideo nequaquam nobis venit in dubium, quin tu, eis sicut carnis propagatione sic piorum operum imitatione succedens, velis et desideres iura et iurisdictiones ipsius ecclesie integra et illibata servari […].
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Nach dem Tod Manfreds in der Schlacht von Benevent im Jahre 1266 versuchten einige Exponenten der ghibellinischen Partei, die Ansprüche Konradins auf die Kaiserwürde und gleichzeitig auf die sizilische Krone wieder ins Leben zu rufen. Auf dieses Doppelprojekt reagierte Papst Clemens IV., indem er den Fürsten im Reich sowie Konradins Anhängern in Italien mit dem Interdikt und der Exkommunikation drohte. Er nahm die Argumente seiner Vorgänger wieder auf und erklärte erneut, dass der als “einziger Funke” der Stauferdynastie noch verbliebene Konradin keine Idoneität für die Kaiserwürde besäße.247 Die Begründungen der Ungeeignetheit Konradins greifen auf die schon bekannten, bereits von Alexander IV. und Urban IV. angewendeten Motive zurück: Seine genealogische Abstammung, einschließlich der von den Vorfahren geerbten Neigung zur Schlechtigkeit, sowie auch sein noch zu junges Alter.248 Zwischen den verschiedenen Vorwürfen, die der Papst an Konradin richtete, fügte die Kurie einen neuen Kritikpunkt ein, und zwar dessen Gewohnheit, sich mit dem Königstitel von Sizilien zu schmücken, das königliche Siegel zu verwenden und als gekrönter Herrscher zu handeln.249 Ungeachtet der wiederholten Warnungen der Kurie machte sich Konradin im Herbst 1267 auf den Weg nach Italien. Sein Vorhaben war von einigen ghibellinischen Vertretern der italienischen Städte angeregt worden, die sich mit den übrigen staufischen Anhängern vereinigt hatten, um einen Zug zu planen, der Konradin bis nach Rom, in das Zentrum der Kaiserwürde, hätte führen sollen. Anders als die bisherigen königlichen und kaiserlichen Romzüge hatte Konradins Zug in die ‘Ewige Stadt’ mehr oder weniger den Charakter eines ‘privaten’ Unternehmens.250 Clemens IV. versuchte mit einer Propagandakampagne, die Pläne Konradins zu vereiteln. Die Handlung des jungen Staufers wurde vor der Öffentlichkeit als ein Angriff auf das Papsttum dargestellt. Am 18. November 1267 verhängte der Papst wegen der großspurigen Tollkühnheit und der offenkundigen Tücke Konradins die Exkommunikation über ihn und seine Begleiter. Der Papst hegte die Hoffnung, Konradin würde nun endlich auf seine Pläne verzichten. Clemens erklärte, dass Konradin infolge der Absetzung seines Großvaters in Lyon keine Verfügungsgewalt über das Regnum und das Reich besaß und ihm von dem Moment an auch jegliche Rechte über die Krone des Königreichs Jerusalem entzogen waren.251 In einem Rundschreiben vom 28. Februar 1268 erinnerte der Papst nochmals an die Gründe der Nichteignung Konradins und dessen anfechtbare Stellung: Die Abstammung aus einer dampnata 247 Ebd., S. 666-670, doc. 657, hier S. 666: Sed misericors dominus […] domus ipsius Frederici […] 248 249 250 251
adeo in radice arefecit et ramis, quod de illa unica sola scintilla remansit. Ebd. Ebd., S. 667 und S. 683-686, doc. 666, hier S. 684. F. GELDNER, Konradin und das alte deutsche Königtum (wie Anm. 231), S. 511-512. Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 683-686, doc. 666, hier insbesondere S. 685. Über die politische Lage siehe K. HAMPE, Geschichte Konradins von Hohenstaufen (wie Anm. 231), S. 111-238.
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progenies und die Tyrannei, mit der seine Vorfahren und er selber die Kirche verfolgt hätten, sind als Motive der Verwerfung von Konradins Ansprüchen wiederum zentral und bedienen sich abermals der Gleichsetzung Konradins mit einem Basilisken, der aus der Schlangenbrut hervorgeht, sowie mit einem Verderben bringenden Zweig, dessen Schlechtigkeit aus den Wurzeln eines wertlosen Baumes erwächst. Der maledictionis alumpnus war jetzt, nachdem er sich ungebührend des sizilischen Königstitels bemächtigt hatte, im Begriff, entgegen der päpstlichen Anordnungen von Pavia aus Rom zu erreichen.252 Die Intention des Papstes war es, Karl von Anjou, den tapferen Streiter und unermüdlichen Faustkämpfer (pugil) im Namen der römischen Kirche zu beschützen und zu verteidigen.253 Wenige Wochen später, am 5. April 1268, wiederholte der Papst die Exkommunikation Konradins und den Entzug des Titels eines Königs von Jerusalem.254 Ebenso wie die herrschenden Mitglieder seiner Dynastie vor ihm war er der Setzling eines verdammten Baumes und ein hostis ecclesie manifestus, der von seinem Großvater Friedrich II. die trügerische Heuchelei erlernt hatte, die Gläubigen mit Schmeicheleien, Versprechungen und Verschlagenheiten zugrunde zu richten und in deren Gedanken das Unkraut des Verrats zu säen. Gerüstet mit einer satanisch wütenden Hinterlist habe er in der Stadt Rom Zerwürfnisse verursacht und den Verfall der Kirche betrieben.255 Auf die an der Seite des Staufers stehenden Städte Pisa, Siena, Pavia, Verona, Grosseto, Fermo und Città di Castello erstreckte Clemens IV. den Kirchenbann und das Interdikt.256 Der Kampf gegen Konradin nahm den Charakter eines Kreuzzugs an. Diejenigen, die auf Seiten Karls und des Papstes agierten, erhielten vom Papst denselben Ablass, den er den Kämpfern im Heiligen Land gewährte. Am 22. August 1268, einen Tag vor der Schlacht in Tagliacozzo, schrieb der Papst dem Bischof von Rieti mit der Bitte, Karl und seine Heere in dem Kampf gegen
252 Epistolae saeculi XIII, Bd. 3 (wie Anm. 89), S. 694-696, doc. 672, hier S. 695: […] damp-
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nata progenies […] verumtamen de stirpe columbri nuper erumpens regulus adolescens, Conradinus videlicet, maledictionis alumpnus, qui veluti ramusculus pestilens malitiam suam de nequam arboris radice contraxit, suo spiritu vel alieno seductus et se regem Sicilie fatua et falsa fictione denominans, contra nostra prohibitionem expressam presumpsit intrare […]. Ebd.: […] strenuum nostri redemptoris athletam et indefessum eiusdem ecclesie pugilem, sicut nostra pupillam oculi custodire ac idem regnum, quod a nobis et eadem ecclesia tenet in feudum, plenis defendere studiis intendamus […]. Ebd., S. 697-699, doc. 674, hier S. 698. Ebd., S. 699-702, doc. 675: […] nam ille quondam Fredericus coluber tortuosus, de cuius venenosa radice Conradinus iam prodiisse videtur in regulum cuiusque doctrinam eius ministri dolosis fictionibus imitantur, adulationibus, promissionibus et fellitis versutiis fideles evertere nitebatur et in agro mentium illorum proditionis zizaniam seminabat; et munitus Sathane furentis astutia, sepe movebat in Urbe discidium, sponsam Christi ponere satagens in ruinam, cuius sanguinem, illius satiatus angustiis, ad eius exterminium sitiebat. Siehe ebd. die Briefe S. 702-704, doc. 676; S. 705, doc. 677; S. 706-708, doc. 678; S. 708709, doc. 679; S. 711-712, doc. 681 und S. 712-713, doc. 682.
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Konradin, seine Anhänger und die Sarazenen von Lucera zu unterstützen.257 Konradin wird hier more sui pestiferi generis als ecclesie precipuus inimicus diffamiert. Wieder sind die Abstammung aus einem verdorbenen Geschlecht, die sein Verhalten determiniert hätten, und seine Stellung als Feind der Kirche die Gründe, die Konradins Idoneität negieren. In dem Brief ist der polemische Tonfall gegen das Staufergeschlecht noch härter als zuvor. Das gesamte staufische Haus gilt als domus exasperans, aus welchem Konradin als maledictionis et dampnationis alumpnus hervorkommt.258 Durch den auffälligen Begriff domus exasperans ist der herannahende Endkampf zwischen Konradin und Karl angezeigt, welcher mit dem bevorstehenden Gericht über das abgefallene, sündige Israel assoziiert wird.259 Nach der Schlacht von Tagliacozzo teilte Karl von Anjou in einem Brief dem Papst seinen Sieg mit und forderte die Kirche zum Jubel auf. Als atleta Christi habe er dank der Unterstützung Gottes die Kirche aus der Qual befreit und sie von der gierigen Rache ihrer Verfolger erlöst.260 Die Schlacht in Tagliacozzo am 23. August 1268 mit der Niederlage Konradins und dessen Hinrichtung am 29. Oktober besiegelten den Untergang der Staufer. Noch zehn Jahre nach den Geschehnissen wiederholte Papst Nikolaus III. (1277-1280) in einem nachträglichen Urteil die entscheidenden Vorwürfe gegen Konradin. Auch hier war die genealogische Verbindung zu Friedrich II. verantwortlich für das bösartige Verhalten Konradins und dessen Vorhaben, die Kirche zu vernichten.261
257 H. M. SCHALLER, Ein Originalmandat Papst Clemens’ IV. gegen Konradin, in: Deutsches
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Archiv für Erforschung des Mittelalters 44 (1988), S. 181-185 (wonach hier zitiert wird), insbesondere S. 184-185, wiederabgedruckt in: DERS., Stauferzeit (wie Anm. 81), S. 577582. Ein ähnlicher Brief wurde dem Guardian des franziskanischen Konvents in Perugia am 13. April 1268 gesendet, vgl. Bullarium franciscanum Romanorum pontificum constitutiones, epistolas, ac diplomata continentibus Ordinibus minorum, Clarissarum et Poenitentium a seraphico patriarcha sancto Francisco institutis concessa ab illorum exordio ad nostra usque tempora, ed. J. H. SBARALEA, 4 Bde., Rom 1759-1768, hier Bd. 3, Rom 1765, S. 153-154, doc. 162. Ebd., S. 153: Conradinus maledictionis, et damnationis alumnus, quem produxit domus experans consueta eosdem ecclesiam et fideles gravibus injuriis et jacturis afficere, variisque perturbare malestiis; factus more pestiferi sui generis et eiusdem ecclesiae praecipuus inimicus […]. Es handelt sich, wie Hans Martin Schaller bemerkt hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit um den Verweis auf eine der Visionen des Propheten Ezechiel; vgl. H. M. SCHALLER, Ein Originalmandat (wie Anm. 257), S. 184. S. RUNCIMAN, Die sizilianische Vesper. Eine Geschichte der Mittelmeerwelt im Ausgang des 13. Jahrhunderts, München 1959, S. 120. Über die Hinrichtung siehe H. SCHLOSSER, Der Tod des letzten Staufers. Prozess und Hinrichtung Konradins im Jahre 1268, in: Oberbayerisches Archiv 127 (2003) S. 41-59. Codex diplomaticus Dominii temporalis Sanctae Sedis. Recueil de documents pour servir à l’histoire du gouvernement temporel des États du Saint-Siège, ed. A. THEINER, Rom 1861 (ND Frankfurt a. M. 1964), Bd. 1, S. 217, doc. 371: […] quondam Conradinum, qui de venenosa radice Frederici quondam Romanorum imperatoris, columbri tortuosi iusto ipsius ecclesie iusdicio reprobati, prodiisse videbatur in Regulum, quinque ad exterminium Romane matris ecclesie manifestis
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b) Die Bestreitung staufischer Idoneität in der papstnahen Publizistik Wie schon in dem Fall Konrads IV. begegnen die Motive, die die päpstliche Kurie gegen Manfred und Konradin anwendete, auch in propagandistischen Werken aus dem kurialen Umfeld. Die Vita Innocentii IV. beschreibt die Ereignisse im sizilischen Regnum nach dem Tod von Konrad IV. bis zum Ableben des Papstes Anfang Dezember 1254. Manfreds negatives Bild nähert sich darin mehr als das des Bruders demjenigen Friedrichs II. an. Er ist princeps impiissimus, der sich nicht scheut, die Sarazenen von Lucera zur Verfolgung der Kirche einzusetzen.262 Genau wie der Vater ist er ein Heuchler, der die Versprechungen an die Kirche nicht halten kann und damit die schon aus der päpstlichen Korrespondenz bekannte Bezeichnung als ecclesie persecutor verdient hat.263 Auch hier verdeutlichen die negativen Eigenschaften und das Verhalten gegenüber der Kirche die fehlende Eignung Manfreds, sowie seiner Familienmitglieder, zur Herrschaft. Das Gesamtbild der Stauferdynastie, das hier vom Verfasser der Innozenz-Vita präsentiert wird, offenbart, wie Nicolangelo D’Acunto richtigerweise bemerkt hat, die Intention des Werkes, das den Charakter einer “storiografia militante” aufweist. Nikolaus von Calvi hatte als Bischof und als familiaris des Papstes den Konflikt zwischen den Staufern und der römischen Kirche erlebt und setzte in dem noch immer schwierigen politischen Kontext der 50er und 60er Jahre des 13. Jahrhunderts mit seiner Biographie ein klares Signal gegen die Stauferdynastie und gegen die nach wie vor bestehende Gefahr ihrer tyrannischen Herrschaft.264 Breiter Raum ist wiederum Manfred und Konradin in der Rerum Sicularum Historia des Saba Malaspina gewidmet. Als Vertreter einer propagandistischen Geschichtsschreibung, die die Entscheidung der Kirche zur Belehnung Karls von Anjou unterstützte, versuchte er ein schlechtes Licht auf die späten Staufer zu werfen und führte dezidierte Gründe für den Niedergang ihrer Herrschaft an. Im Anklang an die päpstlichen Kanzleischriften zeigte der Chronist die Verfehlungen Manfreds auf. Trotz dessen illegitimer Geburt (ex dampnato coitu derivatus)265 zeichnete sich sein Erscheinungsbild durch körperliche und geistige
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iudiciis una cum suis fautoribus aspirabat […]; hier zitiert nach I. BRAISCH, Eigenbild und Fremdverständnis (wie Anm. 83), Bd. 2, S. 370, Anm. 179. Vita Innocentii IV. (wie Anm. 1), S. 291, cap. 41: […] iussu dicti Manfredi principis immo impiissimi […] iniuxit se Sarazenis de Nucerio, cum quibus in omnibus persecutus est quantum potuit Ecclesiam Dei. Ebd., S. 291, cap. 42: […] idem Manfredus ecclesie persecutor contra fidelitatem et iuramenta propria venire non metuens […]; vgl. Bullarium franciscanum (wie Anm. 257), Bd. 2, Rom 1761, S. 571-572, doc. 163. N. D’ACUNTO, Un testimone sconosciuto della sentenza di scomunica di Federico II e la cosiddetta Vita Innocentii IV di Niccolò da Calvi, in: Bullettino dell’Istituto storico italiano per il medioevo 104 (2002), S. 85-119. Die Chronik (wie Anm. 83), lib. I, 1, S. 91.
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Vorzüge aus. Seine Darstellung ist zumindest am Anfang durch gutes Aussehen, tugendhaftes Verhalten, großzügiges und wohlwollendes Handeln sowie ein ausgeprägtes Interesse für die Wissenschaft insgesamt vorteilhaft.266 Die zunächst positiv wirkenden Voraussetzungen Manfreds, die in Sabas Erzählung vorkommen, nehmen in ihrem weiteren Verlauf jedoch eine baldige Wendung: Durch seine illegitime Geburt war er nämlich praescitus oder praedestinatus ad malum,267 sodass er sich nach dem Amtsantritt Konrads IV. im Königreich Sizilien in einen anderen Menschen verwandelt habe. Das böse Erbe des Vaters, welches ihm die atrocitas sanguinis übermittelt habe, und die mangelhafte Erziehung, die ihn nicht zur Bescheidenheit anleitete,268 beeinflussten seine schier unersättliche Machtgier.269 Im Blick auf die Gesamtdarstellung stellen die negativen Eigenschaften in vielfacher Hinsicht die Umkehrung des Idealbildes des rex iustus aus dem Werk des Pseudo-Cyprianus dar.270 Die schlechten Regierungsfähigkeiten Manfreds dominieren dann den Fortgang der Geschichte. Im Vordergrund steht als einer der wichtigsten Kritikpunkte der kurialen Propaganda sein hinterlistiges Verhalten gegenüber der Kirche, gegenüber seinem Bruder und seinem Volk. Die Versöhnungsversuche seitens der römischen Kirche und die große Freigiebigkeit des Papstes, ihn von der Exkommunikation zu befreien,271 bleiben ohne Folge. Anstatt sich als Verteidiger der Kirche zu verhalten, täuschte Manfred mit seinem Handeln den Papst und leistete aufgrund seiner inobedientia Widerstand gegen die Kirche. Unterstützt vom Adel, begnügte er sich nicht mit den Ämtern, die ihm die Kirche übertragen hatte, sondern streckte seine Hände sogar nach dem Königtum aus wie ein junger Adler, der seine Krallen in die Beute schlägt.272 Um sein Ziel zu erreichen, gewann er seinerseits sowohl die Apulier
266 Ebd., lib. I, 1, S. 91; 3, S. 98; 7, S. 110; 8, S. 112. Dazu vgl. C. ANDENNA, Wer ist zur
Herrschaft geeignet? (wie Anm. 35), S. 131-136, hier insbesondere S. 132.
267 Die Chronik (wie Anm. 83), lib. I, S. 160 und 172. 268 Ebd., lib. I, 6, S. 106. 269 Ebd., lib. I, 8, S. 112: Et dum in eo temperancia moderatrix denuo prophanam carnis suspicabatur
offensam, nec eius delectationes illicitas nec voluptates fervidas potuit refrenare nec moderata dominatio adversus libidinem alios non rectos impetus animi compescere potuit neque motus. Eius namque invalescente sevicia sanguinis atrocitas et libidinis incentivum iam eidem adimere ceperant, quidquid studiosus virtutibus compararat, et a se ipso priore vita et moribus dissidens virumque mutatus in alterum universos regni magnates, in quorum animis ecclesiastica fervere devotio credebatur, aut perpetuo relegavit exilio aut horribilibus mortis penis tum o per insidias clandestinas maceravit, tum aliis sevis et apertis debacationibus interemit. 270 Pseudo-Cyprianus, De duodecim abusivis saeculi (wie Anm. 103), S. 1-61; siehe auch M. M. SZURAWITZKI, Contra den ‘rex iustus/rex iniquus’? Der Einfluss von Machiavellis Il Principe auf Marlowes „Tamburlaine“, Shakespeares „Heinrich V.“ und Gryphius’ „Leo Armenius“, Würzburg 2005, S. 33-37 und C. MEIER, Der rex iniquus in der lateinischen und volkssprachigen Dichtung des Mittelalters, in: G. ALTHOFF (Hg.), Heinrich IV. (wie Anm. 21), S. 13-40. 271 Die Chronik (wie Anm. 83), lib. I, 5, S. 102-103. 272 Ebd., lib. I, 6, S. 107.
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als auch die Sarazenen.273 Begierig, seine Herrschaft auf ganz Süditalien zu erstrecken, ermordete Manfred, folgt man der Erzählung von Saba Malaspina, auf Einflüsterungen von schlechten Beratern hin sogar seinen Halbbruder Konrad IV.274 Nach dem Tod des Papstes Innozenz IV. errang er schließlich 1258 mittels Lüge und Betrug die Krone des Regnum275 und widmete sich, hiermit noch nicht zufrieden, einer noch gefährlicheren Politik, die die Gebiete des Patrimonium Sancti Petri bedrohte.276 Je mehr sein Ruhm und sein Einfluss auf die Gebiete in Norditalien wuchsen, desto mehr wurde sein Unrecht gegenüber der Kirche virulent.277 In der Erzählung Sabas Malaspina wird Manfreds Verrat an der Kirche mit dem Verhalten des Judas gegenüber Jesus verglichen.278 Die Herrschaft des Staufers erweist sich als grausame Tyrannei,279 und Manfred wird mit dem Pharao, der das auserwählte Volk Israel verfolgte, gleichgesetzt.280 Im Einklang mit seinen Vorfahren281 verhielt er sich rücksichts- und skrupellos wie ein frevelhafter und blutrünstiger König. An anderen Stellen der Historia wird er aufgrund seiner politischen Verführungskünste mit Luzifer identifiziert,282 dem aus dem Himmel vertriebenen Engel, der im Mittelalter als Synonym für Satan verwendet wurde. Ein Mangel an der notwendigen prudentia kennzeichnet seinen Herrschaftsstil:283 So wie er andere getäuscht hatte, wurde er selbst mit Heuchelei und Lüge konfrontiert. Manfred zeigte sich unfähig, den Ernst seiner bedrohten politischen Lage nach der von der römischen Kirche begünstigten Ankunft Karls von Anjou in Italien zu erkennen, ähnlich wie ihm die Fähigkeit zu der Einsicht fehlte, dass die regnicoli und seine Anhänger ihn kurz vor dem Kampf schon längst verraten hatten.284 Sein leichtsinniges Vertrauen in eine unzuverlässige fortuna, von der er sich in seinem Tun sehr stark bestimmen ließ, verweist auf das Fehlen einer anderen grundlegenden Herrschertugend, der sapientia, die im Gegenteil in der stauferfreundlichen Historia de rebus gestis Friderici II imperatoris ejusque filiorum als dominierende Charakteristik der Herrschaft der Staufer erscheint.285 273 Ebd., lib. I, 5, S. 103-104. 274 Ebd., lib. I, 4, S. 98-99. 275 Ebd., lib. I, 8, S. 111-112: Sed mentita Corradini protectione tutoria universa deludens, ut regnicola-
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rum corda fragilia concitaret ad desideria promissorum, libertatis et munerum indifferenter premia promittebat. Ebd., lib. II, S. 122 und 124. Ebd., lib. II, 2, S. 124: Cepit continue regis honor augeri et ecclesie iniuria crescere. Ebd., lib. I, 6, S. 106. Ebd., lib. I, 8, S. 112 und S. 114. Ebd., lib. II, 12, S. 142-143. Ebd., lib. IV, 2, S. 179: Huius Gezolini consilio et suggestu rex, quem regum predecessorum suorum vitam et vivendi modum sequi ac mores eorum probabiles non pudebat habere. Ebd., lib. I, 3, S. 97 und S. 209; vgl. auch C. CAROZZI, Saba Malaspina et la legitimité (wie Anm. 108), S. 81-97. Die Chronik (wie Anm. 83), lib. II, 6, S. 131-133. Ebd., lib. II, 20, S. 155. Ebd., lib. II, 20, S. 154 und lib. IV, 2, S. 179. Vgl. oben Anm. 163-164.
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Ähnliche Motive tauchen in der für die Anjou geschriebenen Descriptio victoriae a Beneventi auf. Der Text, verfasst in den 1280er Jahren von dem in Frankreich und Süditalien wirkenden Kleriker Andreas Ungarus, bedient sich gegen die Staufer als hostes patentes et publici der mater ecclesia286 der von der päpstlichen Kanzlei verbreiteten Propaganda. Das absolut negative Verhalten Friedrichs II. hätten seine Nachkommen mala paterna malis succrescentibus […] more viperarum vermehrt.287 Insbesondere der aus dem Viperngeschlecht stammende Manfred, dessen Legitimation das Werk in Frage stellt, wird als “verdammter, verfluchter Setzling des Weinstocks” bezeichnet.288 Ihn hatte die Kirche wegen seiner fehlenden geburtsrechtlichen Legitimation mit dem Fürstentum von Tarent belehnt. Der illegitime Sohn des Kaisers zeigte der Kirche jedoch keine Dankbarkeit, stattdessen ging er gegen sie vor: So ermordete er einen ihrer Legaten, besetzte mit Gewalt die kirchlichen Territorien und insbesondere Apulien, und verhielt sich – wie der Vater – als Häretiker.289 Manfreds ohnehin umstrittene Idoneität stellte Andreas Ungarus zusätzlich zur Diskussion, weil er aus der Sicht des Verfassers nicht nur der Ermordung seines Bruders beschuldigt wurde, sondern sogar der seines Vaters.290 Die schon auf Manfred bezogenen Vorwürfe werden von Saba Malaspina auch gegen dessen Neffen Konradin gerichtet. Das Motiv der Täuschung, zusammen mit denjenigen des Ehrgeizes und der Selbstsucht, sind in seiner Erzählung dominant. Der kleine Prinz wuchs in einem Netz von Lügen, Betrug und Verrat auf, und er selbst fing dann auch an, andere zu täuschen291. So wird etwa der Versuch von italienischen Adligen beschrieben, das Interesse Konradins an seinem Erbe zu wecken. Die Hilflosigkeit des jungen Konradins wird in der Erzählung mit der eines schlafenden Hündchens und eines federlosen Adlerjungen verglichen.292 Die Verlockungen der falschen Versprechungen der italienischen Gesandten sind nicht nur an Konradin adressiert, sondern die Kritik 286 Andreas Ungarus, Descripcio victorie Beneventi (wie Anm. 244), S. 6, cap. III.1. Über
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den Entstehungskontext des Werkes und seine Bedeutung vgl. die Einleitung ebd., S. IXLIV. Ebd., S. 8-9, cap. VI.1: Inter ipsa siquidem sevicie huiusmodi exercicia de femore ipsius extracto sui duces itineris dirivati mala paterna malis succrescentibus augmentarunt, more viperarum benefactricis sue sancte matris Ecclesie latera corrodendo […]. Ebd., S. 9-10, cap. VI.2: [Karolus] Manfridum, maledicte vitis execrabilem surculum, tamquam statuam Nabugodonosor tanta virtute percuciat […]. Ebd., S. 8-12, cap. VI-VIII. Ebd., S. 12: […] licet nec ipse Corradus – cum sanguinis vox imperiosa et miserabilis de Manfridrico fratricida, sicut et vox prophana stupendaque patris sui de eiusdem Friderici paricidio clamat de terra ad Deum ulcionem! Über die Gerüchte der Ermordung seiner Familienmitglieder vgl. F. DELLE DONNE, Federico II: la condanna della memoria (wie Anm. 161), S. 37-38. Insgesamt vgl. BRAISCH, Eigenbild und Fremdverständnis (wie Anm. 83), Bd. 1, S. 226233. Die Chronik (wie Anm. 83), lib. II, 3, S. 181: Quamplures igitur viri magnifici […] veniam post eventum preterite debellationis indulxerat, in Alamanniam ad suscitandum catulum dormientem et pullum aquile, qui nondum etate ceperat adulta pennescere, propere se convertunt.
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Sabas erstreckte sich auch auf die Adligen in der unmittelbaren Umgebung Konradins, die besser als der unerfahrene Jüngling hätten wissen müssen, welche Gefahren ein solches Unternehmen barg.293 Saba spielte auf den Mangel an Erfahrung und an Unterscheidungsvermögen des jungen Staufers an, einen der Gründe der Uneignung, die der Papst in seinen Briefen über die geplante Wahl Konradins angemahnt hatte.294 Konradin und seine Anhänger ließen sich von den Gesandtschaften überzeugen und zogen nach Italien. Sein Verhalten gegenüber der Kirche und seine Bereitschaft zur Gewalt bestätigten für Saba Malaspina Konradins ererbte malitia. Dessen triumphaler Einzug in Rom wird von dem Verfasser als eine Inszenierung von trügerischer Pracht präsentiert und dergestalt mit einem anderen Empfang kontrastiert, dem des ‘wahren’ Königs Karl von Anjou, der nur drei Jahre vor Konradin prunkvoll in die Stadt eingezogen war.295 Die Missachtung von grundlegenden Werten und Normen hatte nicht nur zur Disqualifizierung Konradins geführt, sondern brachte in letzter Konsequenz die Verurteilung und die Hinrichtung des jungen Staufers nach seiner Niederlage bei Tagliacozzo mit sich. Diese Episode bietet dem Autor die Möglichkeit, sich über das Schicksal der Staufer insgesamt zu äußern: Die posteritas Frederici sei aufgrund der Nachahmung seiner Missetaten bestraft worden.296 Friedrichs Bösartigkeit wurde durch das Blut weitergegeben, und seine Schlechtigkeit ist für Saba Malaspina wie eine ansteckende Krankheit, die die Nachkommen des Kaisers infiziert hat.297 In ähnlicher Art und Weise hatte sich bereits die päpstliche Kanzlei geäußert. Mit Hilfe von Metaphern aus der Tier- und Pflanzenwelt, die auch schon in den päpstlichen Briefen mehrmals vorkamen, beschreibt Saba Malaspina das unwiderrufliche Ende des Staufergeschlechts und seinen endgültigen Zusammenbruch: Die letzten Staufer seien untergegangen wie die Jungen des Adlers, wie die Wurzeln einer Pflanze, die nicht mehr treiben, wie eine Schlange, die nicht mehr zischt, wie ein Baum der keine Reiser mehr hat, nicht 293 Ebd., S. 182: Ad hunc sane vanis licet allectivis suasionibus excitandum non solum predicti exules et
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alii quamplures e regno perveniunt, sed ab omnibus Gebellinis predictis et a civitatibus eciam imperialibus de provinciis supradictis, que quondam sub devotione Frederici et filiorum suorum fuerant, solempnes nuncii destinantur, qui sibi tanquam regi venturo aurum, thus offerebant et mirram, ac ei de propriis peculiis, eciam civitatum ipsarum thesauris promittentes pro expendiis necessariis ampliores; non tantum ipsum, qui corpus et cor etatis iuvenilis habebat, sed alios eo maiores virtutibus et etate amicos et consanguineos suos ad deliciosas et fertiles regni epulas invitarunt, quos illico illuc festinis gressibus concitavere a venturos. Siehe oben den Text bei Anm. 220. Die Chronik (wie Anm. 83), lib. IV, 13, S. 197-199, hierzu den Vergleich mit Karls Einzug, S. 198: nec fuit aliqua pompositatis et glorie comparatio, quando Romani regem Karolum venientem universaliter exceperunt. Ebd., lib. IV, 23, S. 215: Posteritas igitur Frederici, cuius emula quasi fuit transgressio genitoris, tanquam succedens criminibus avitis evanuit nullo de suo satellicio superstite remanente. Ebd.: Infecerat enim sue propagationis rivulos Frederici dira contagione nequicia et in traducem generationis sue maculam sceleris orriginale traduxerat et exquisite malicie incentivum.
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mehr blüht und keine Früchte mehr trägt, und wie ein Haus, das unabänderlich zusammenstürzt.298
3. Abschließende Bemerkungen Ab dem 11. Jahrhundert wurde als Konsequenz des Konflikts zwischen regnum und sacerdotium im deutsch-römischen Reich neben der dynastischen Nachfolgeregelung die Aufmerksamkeit der Fürsten zunehmend auf die persönlichen Qualitäten und Tugenden eines Kandidaten als Voraussetzungen für die Herrschaftsübernahme gelenkt. Idoneität wurde in Fällen strittiger Legitimität in den politischen Diskursen als Gegenmodell zur dynastischen Sukzession propagiert. Die Zugehörigkeit zu einer herausgehobenen Dynastie blieb jedoch während des hohen und späten Mittelalters gleichwohl eines der wichtigsten Kriterien für die Herrschaftsbefähigung. In vielen historiographischen und chronikalischen Werken des 11. und 12. Jahrhunderts wurden genealogische Konstruktionen, die eine möglichst weit in die Vergangenheit zurückreichende Abfolge von herrscherlichen Vorfahren aufzeigten, für die Geltendmachung adliger Machtansprüche entworfen und instrumentalisiert. Auch die Staufer versuchten seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, mit solchen Geschichtsentwürfen ihre Idoneität zur Königs- und Kaiserherrschaft zu behaupten, denkt man etwa an die Werke Ottos von Freising oder Gottfrieds von Viterbo. Diese Konstruktionen bereiteten Argumentationsmaterial auf, das in die politischen Diskurse einging und einen Beitrag zur Legitimation der herrschenden Akteure und ihrer Geschlechter leistete. Während des Pontifikats von Innozenz III. stellten die Konflikte, die die Doppelwahl des Jahres 1198 verursacht hatten, an den Höfen der Thronrivalen sowie an der päpstlichen Kurie ein wichtiges Moment für die Auseinandersetzung mit Fragen und Problemen der Legitimation dar. Der Papst erhob den Anspruch auf die Bestätigung des von den Reichsfürsten gewählten Kandidaten und versuchte, die Kontrolle über die Zulassung des Elekten zur Krönung als römischer König – und Kaiser – zu behalten. Der Welfe Otto IV. und der Staufer Philipp von Schwaben waren, um den Konsens der Reichsfürsten zu gewinnen, bestrebt, ihre Legitimation in den politischen Diskursen durchzusetzen. Idoneität wurde damit eines der zentralen Argumente für die Geltendmachung ihrer Ansprüche und für die Sicherung ihrer Legitimation. 298 Ebd.: Pereunt aquile pulli et eorum pullulatio, locusque confidencie perhenniter desolatur. Radix non
germinat ulterius Frederici nec serpens ulterius sibilat nec absorbet sue commentationis effectum nec viciosa cupidus frendet amplius detentione possessor. Arbor huiusmodi non facit plus surculos neve floret nec fructus producit ulterius valituros. Ruit irreparabiliter domus, et machina tota convellitur eiusque successio sue perhennis desolationis incomoda perhenniter deplorabit.
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Papst Innozenz III. brachte in die politische Diskussion einige zentrale Aussagen über die Kriterien ein, die bei der Beurteilung der moralischen Eignung eines zukünftigen oder amtierenden Amtsinhabers helfen sollten. Die Herrschaft eines Königs oder eines Kaisers wurde als officium verstanden, als ein von Gott übertragenes Amt, dessen Aufgabe in der Lenkung und sittlichen Besserung der Untergebenen bestand. In Anlehnung an die biblisch-patristische Morallehre näherte sich diese Funktion dem Modell des alttestamentarischen Priesterkönigs an. Durch die Salbung wurden Person und Amt des Königs ein sakraler Charakter verliehen. Als minister Dei war er zu moralisch vorbildlichem Handeln aufgerufen und in besonderer Weise den Normen ethischen Verhaltens verpflichtet. Vor dem Hintergrund dieser allgemein akzeptierten Idee des christlichen Herrschertums nannte Innozenz III. in seiner Briefkorrespondenz mit den Mächtigen seiner Zeit auch die genealogische Herkunft als einen der Gründe, die – zusammen mit den persönlichen Eigenschaften des jeweiligen Kandidaten – die Feststellung der Herrschaftseignung beeinflussten oder aber zur Verwerfung eines ungeeigneten Fürsten führten. Gemäß der traditionellen Auffassung des Papsttums hatte ein geeigneter König (rex idoneus) gehorsam (obediens), demütig (humilis), ergeben (devotus) und der Kirche nutzbringend (utilis) zu sein. Physische Qualitäten wie Stärke oder ein anmutiges Aussehen stellten sowohl an den Adelshöfen als auch an der päpstlichen Kurie ebenfalls einen wichtigen Teil der Ausstattung eines geeigneten Königs dar. Nicht zuletzt galten das Wohlwollen und der Segen Gottes, dessen sich ein amtierender oder zukünftiger Herrscher bei seinen Unternehmungen offenkundig erfreute, als Ausweis seiner Idoneität. Neben den verschiedenen individuellen moralischen und physischen Qualitäten, die zu dem etablierten Kanon der Herrscherethik gehörten, spielte zudem das Argument der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Dynastie eine wichtige Rolle. Die Abstammung aus einem der Kirche stets treuen und wohlgesinnten genus devotorum erscheint in dem Falle von Otto IV. unter den Elementen, die als Gründe für die Befähigung des welfischen Thronanwärters erwähnt werden und die zu seiner Anerkennung als Herrscher führten. Seine Herkunft aus einem Geschlecht von frommen Königen, die die Kirche in der Vergangenheit unterstützt hatten, nimmt dabei einen prominenten Rang ein. Auf der anderen Seite wurde die genealogische Herkunft Philipps von Schwaben, Ottos staufischem Rivalen, aus einem genus persecutorum als ein Argument gegen seine Idoneität verwendet – mit der Begründung, seit Generationen hätten Philipps Vorfahren die Kirche verfolgt und somit eine Schuld auf sich geladen, die den Staufer als Vertreter dieser Blutslinie von der Herrschaft exkludierte. Genealogie wurde auf diese Weise mit der persönlichen Idoneität in den Diskursen über die politische Ordnung miteinander verflochten. Sie wurde ein Element, welches entweder für oder auch gegen die Idoneität des jeweiligen Kandidaten sprach. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, nach der Absetzung des exkommunizierten Kaisers Friedrich II., gewann das genealogische Argument in den
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adligen und kurialen Diskursen um die Befähigung und die Berufung zur kaiserlichen oder – im Falle des Königreichs Sizilien – königlichen Würde erneut an Bedeutung. Das persönliche sündhafte Verhalten Friedrichs II. gegenüber der Kirche war in der Absetzungsbulle des Jahres 1245 im Grunde ausreichend gewesen, um seine Unwürdigkeit zur Ausübung der Reichsherrschaft zu erklären. Mit seiner Untreue als Lehnsmann im Königreich Sizilien, seinem Friedensbruch, seinen wiederholten Gotteslästerungen und seiner Häresie war Friedrich II. aus päpstlich-kurialer Sicht so gravierende Verfehlungen eingegangen, dass sie die Aberkennung seiner Herrschaft nach sich ziehen mussten. Anstatt dem Ideal eines christianissimus imperator zu entsprechen, eines der Kirche anhängenden devotus filius et catholicus princeps, hatte sich Friedrich II. in einen Tyrannen, einen Anfechter und Verfolger der Kirche verkehrt. Aus kirchlicher Perspektive war er dementsprechend indignus, den honor und die dignitas des Reichs weiterhin zu vertreten und die Krone des Regnum Sicilie zu tragen. Die persönliche, an seinen sterblichen Leib gebundene Unwürdigkeit des Staufers strahlte negativ auf seine posteritas nicht nur im Reich, sondern auch in Süditalien aus. Der Papst zweifelte die Idoneität von Friedrichs Söhnen und deren Nachkommen in beiden Herrschaftsräumen an und steigerte diese Ablehnung in Briefen und Sendschreiben zum Urteil der Nichteignung des gesamten staufischen Geschlechts. Erneut diente das genealogische Motiv in den päpstlichen Stellungnahmen als eine der zentralen Begründungsstrategien für oder gegen die Eignung der staufischen Prätendenten, ebenso wie umgekehrt in der Kanzlei des Herrscherhofes und in den stauferfreundlichen Kreisen die dynastische Zugehörigkeit propagiert und genealogische Konstruktionen als Argumente für die Behauptung und Plausibilisierung von Herrschaftsansprüchen verwendet wurden. Die Situierung des Kandidaten in einer langen, seit der Antike kontinuierlich bestehenden königlichen und kaiserlichen Tradition vermittelte dank des anerkannten Prinzips der translatio imperii die nötige Legitimation und förderte damit auch Akzeptanz und Konsens seitens der adligen Elite, der dieses Denken vertraut war. In dem Bericht der staufischen Kanzlei zur Königswahl Konrads IV. von 1237 noch eher implizit enthalten, spielte das Kriterium der über das Blut vererbten Eigenschaften, Qualitäten und Verdienste der Ahnen in der von Petrus von Prece verfassten Skizze für die Wahlanzeige Konradins eine wesentlich prominentere, ja ausschlaggebende Rolle. Konradins Zugehörigkeit zu einer cesarea stirps hatte ihm alle Voraussetzungen verschafft, um mit der kaiserlichen Würde betraut zu werden und ihn als für diese Funktion besser geeignet erscheinen zu lassen. Die blutsmäßige Verbindung zu einem antiquus sanguis cesareus ist auch in dem von der Kanzlei Manfreds verfassten, allerdings nicht in Umlauf gebrachten Manifest die maßgebliche Voraussetzung für seine Ansprüche zum Erwerb der Kaiserwürde. Die Anbindung wird hier unmittelbar auf die direkte Abstammung von Caesar zurückgeführt und erfolgt nicht durch den Rekurs auf die Verwandtschaft mit den Saliern und die dynastische Kontinuität,
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wie es häufig in den nördlich der Alpen entstandenen Schriften und Kanzleitexten der Fall ist. Der im süditalienischen Regnum geborene und erzogene uneheliche Sohn des Kaisers konnte sich nicht der traditionsreichen Motive und Argumente des Reichs bemächtigen, um seinen Anspruch zu begründen. Die genealogische Herkunft ist aber nicht das einzige Element, das die Idoneität eines zukünftigen Kaisers bewies. Ein tugendhaftes Verhalten im Einklang mit dem Kanon der Herrscherethik, wozu Friedrich II. in seinen Briefen an Konrad IV. mahnte, ist eine ebenso wichtige Voraussetzung für einen späteren Kaiser. Zum Kanon der Tugenden eines Herrschers gehörten die charakterlichen Eigenschaften der Weisheit (sapientia), Einsicht (prudentia), Rechtschaffenheit (probitas), sowie der Großmut (magnanimitas), die Barmherzigkeit (misericordia), die Gnade (clementia) und die Frömmigkeit (pietas). Ein König sollte aber auch fähig sein, Gerechtigkeit (iustitia) angemessen walten zu lassen. Unter diesen Anforderungen ragt in den hier untersuchten Texten die – durch das aktive Betreiben der philosophia zu erwerbende – Tugend der sapientia als Instrument für eine erfolgreiche Herrschaftsführung heraus. Eine ruhmvolle Herkunft aus einer altehrwürdigen Dynastie und ein vorbildliches Herrscherporträt, mit ritterlich-kämpferischen Qualitäten sowie religiösen Tugenden ausgeschmückt, fanden in den Adelskreisen und am Hof ihre Verbreitung auch über die Verlautbarungen der Kanzlei hinaus. Narrative Werke mit historigraphischem Charakter transportierten sowohl im Reich als auch im Regnum diese genealogischen Konstruktionen. Durch deren Einbettung in einen geschichtlichen Kontext versuchten sie, die Befähigung des jeweiligen dynastischen Vertreters als plausibel erscheinen zu lassen und damit seiner Herrschaft die Voraussetzungen, akzeptiert zu werden, zu verschaffen. Mit ähnlichen Strategien operierte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts jedoch auch die päpstliche Kanzlei und Publizistik, um den jeweiligen staufischen Prätendenten zu diskreditieren. Durch das Argument der von Kaiser Friedrich II. auf seine Söhne und Enkel vererbtem malitia, der Nachahmung der paterna nequitia und durch narrative Parallelisierungen mit negativen Leitfiguren aus biblischen und eschatologischen Kontexten (der Pharao, Nero oder Herodes) wurden die persönlichen Eigenschaften der jeweiligen Vertreter des Staufergeschlechts in ein schlechtes Licht gerückt. Die Argumente zur Idoneitätsbestreitung konzentrieren sich im Falle der späten Staufer als der sogenannten viperea stirps grundsätzlich auf zwei miteinander verbundene Argumentationsstränge: Zum einen war es die genealogische Herkunft aus einer Dynastie von vermeintlichen Feinden und Verfolgern der Kirche, die die staufischen Prätendenten disqualifizierte. Ein zweites negatives Element speziell gegen Konrad IV. und Manfred ergab sich aus ihrer direkten Abstammung von Friedrich II., nämlich ihr angeblich bösartiges Verhalten, das die Nachahmung des väterlichen Handelns darstellte. Beide hätten die paterna malitia geerbt und den Vater sogar noch übertroffen in ihrer Schlechtigkeit. Wegen dieser genealogischen Konditionierung und der verwerflichen persönlichen
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Eigenschaften erweist sich ihre Herrschaft a priori als Tyrannei. Insbesondere im Falle Konradins wurde explizit über die Vererbung der Bosheit durch das Blut mehrmals reflektiert, als Beweis seiner Nichteignung und als Vorankündigung seiner zu erwartenden Ungerechtigkeit. Ein drittes (Gegen-)Argument gründete sich auf deren jeweilige Ansprüche als Herrscher im Regnum Sicilie: Konrad IV. hatte aus der Sicht des Papsttums die Krone unrechtmäßig beansprucht und Manfred sich illegitimerweise der sizilischen Königswürde bemächtigt, während Konradin durch sein versuchtes gewalttätiges Eindringen in das Regnum Siciliae ein Usurpator war. Allen drei Staufern fehlte im Verständnis ihrer Gegner zudem die Gnade der göttlichen Gunst. Im Falle von Manfred und Konradin wurden vom Papst auch zusätzliche Argumente gegen die Eignung der beiden Staufernachkommen ins Spiel gebracht: Manfreds illegitime Geburt galt als ein weiterer Grund für seine negativen Eigenschaften wie auch für seine unkontrollierte Machtgier; bei Konradin markierten sein junges Alter und seine fehlende Reife ihn als untauglich und nicht wählbar als zukünftiger Kaiser. Mit diesen Argumentationsmustern operierte die päpstliche Kanzlei. Ihre Motive wurden als Stoff von der kurialen Publizistik aufgenommen und in narrativen und historiographischen Werken adapiert. Die papstnahen Autoren waren bestrebt, die Schlechtigkeit der posteritas Frederici und ihre Nichteignung zur Herrschaft zu plausibilisieren, um die politische Öffentlichkeit von der Untauglichkeit und Unwürdigkeit der staufischen Dynastie zu überzeugen. Im Regnum Siciliae, von den Staufern als Erbreich betrachtet, warf die päpstliche Übertragung der Königskrone auf Karl von Anjou erheblichen Legitimationsbedarf auf. Erneut stellte sich in den politischen Diskursen das Problem der Idoneität und Legitimierung des neuen Herrschers. Die Elemente der Idoneitätsbehauptung waren dabei dieselben: Zusammen mit den persönlichen Eigenschaften und Vorzügen erhielt auch die Abstammung Karls aus einem frommen, bis auf Karl den Großen zurückgehenden Herrschergeschlecht besonderes Gewicht. Die Diskurse um die Nachfolge im Königreich Sizilien eröffnen ein anderes, weites Feld – das der Debatten über die Legitimität der Sukzessionsansprüche der Anjou und der Aragonesen und die Idoneität ihrer jeweiligen dynastischen Vertreter, ma questa è un’altra storia…
SVERRE BAGGE
Die Herausbildung einer Dynastie Thronfolge in Norwegen bis 1260
Die Legende der Dynastie In seiner Heimskringla (“Der Weltkreis”, benannt nach dem Anfangswort), berichtet der isländische Geschichtsschreiber Snorri Sturluson (1179-1241) von einem Traum der Königin Ragnhild, der Mutter von Harald Schönhaar, dem angeblich ersten König, der über ganz Norwegen herrschte (ca. 870-932). Sie träumt, dass sie einen Dorn aus ihrem Kleid zieht, der schnell zu einem langen Zweig heranwächst und im Boden Wurzeln schlägt. Er entwickelt sich schließlich zu einem großen Baum, dessen Äste sich über das gesamte Land ausbreiten. Später hat auch ihr Gatte Halvdan einen Traum, in dem sein Haar außerordentlich lang wächst und dabei mehrere Locken bildet, einige lang, einige kurz, und eine von besonderer Länge und Schönheit.1 Gemeinsam prophezeien die beiden Träume die Entwicklung einer Verbindung zwischen der Dynastie und dem Land. Ragnhilds Sohn Harald wird das gesamte Land beherrschen und an eine lange Linie von Nachkommen weitergeben, welche alle mehr oder weniger erfolgreich regieren werden. Der berühmteste von ihnen – durch die längste Locke gekennzeichnet – ist Olav Haraldsson (1015-1030), der Heilige und Märtyrer, der den Sieg des Christentums im Land sicherstellte. Mit diesen prophetischen Träumen betont Snorri die Vereinigung Norwegens durch Harald als entscheidendes Ereignis und Harald selbst als den Begründer der Dynastie, die das Land immer noch beherrscht. Wie auch der anonyme Verfasser der lateinischen Historia Norwegie (ca. 1150-1200) verfolgt Snorri die norwegische Königsdynastie sogar noch weiter in der Geschichte zurück bis in die Zeit von Christi Geburt. Snorri behauptet, dass die Linie von dem heidnischen Gott Odin abstamme, den er für einen großen König hält und welcher nach seinem Tode als Gott verehrt wurde. Die Dynastie soll aus dem Inneren Asiens herstammen, von wo sie nach Schweden und dann nach Norwegen kam. Die fünf Generationen vor Harald hätten ihren Wohnsitz schließlich in der Region Vestfold auf der Westseite des Oslofjords gehabt. Gleichartige Genealo 1
Die deutsche Übersetzung des Beitrags fertigte Volkmar Lehmann an. Snorri Sturluson, Heimskringla. Nóregs Konunga sogur, ed. F. JÓNSSON, 4 Bde. (Samfund til Udgivelse af Gammel Nordisk Litteratur 23/1-4), Kopenhagen 1893-1900, Bd. 1, S. 93-94.
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gien finden sich auch in anderen Ländern, und natürlich sagen sie mehr über das dynastische Bewusstsein zur Zeit ihrer Abfassung als über die tatsächlichen Ursprünge der Dynastie aus. Freilich ist die Dynastie, die normalerweise als die der Ynglinger bezeichnet wird, keine reine Erfindung der beiden Geschichtsschreiber: Sie basiert auf einem an Haralds Hof entstandenen Gedicht des Dichters (skáld) Tjodolv von Hvine. Das Gedicht ist nur in Form von Zitaten in den Handschriften von Snorris Werk erhalten, aber die meisten Forscher nehmen an, dass es mündlich weitergegeben wurde, bis es im späten zwölften Jahrhundert verschriftlicht wurde.2 In Anbetracht der Tatsache, dass es bereits in der Historia Norwegie erwähnt wird, ist das Gedicht wahrscheinlich schon vor Snorris Zeit niedergeschrieben worden. Sowohl die Träume von Ragnhild und Halvdan als auch Tjodolvs Gedicht handeln im Gegensatz zu den origo gentis-Geschichten in verschiedenen anderen Ländern von einer Dynastie und nicht von einem Volk.3 Als politische Einheit wird Norwegen weniger von seiner Bevölkerung als vielmehr von seinen Herrschern definiert. Was diesen Herrschern an alter Verbindung zum Land fehlt, wird durch eine herausragende Abstammung kompensiert, die bis zu der divisio imperii zwischen den Römern im Süden einerseits und Odin sowie seinen Nachkommen im Norden andererseits zurück geht.
Harald Schönhaar und seine Nachfolger Falls Tjodolvs Gedicht ein authentisches Zeugnis eines dynastischen Bewusstseins bereits im frühen zehnten Jahrhundert darstellt, scheint das dynastische Prinzip in Norwegen zu einem ziemlich frühen Zeitpunkt begründet worden zu sein. Allerdings ist die Verbindung der Dynastie zu Norwegen schwach ausgeprägt. Es ist nicht gesichert, dass sich die überlieferte Genealogie tatsächlich auf Haralds Vorfahren bezieht, da das Gedicht mit Ragnvald Heidumhære endet, der in späteren Sagas als Haralds Cousin benannt wird. Darüber hinaus bezweifelt die moderne Forschung mehrheitlich Haralds Verbindung zu Vestfold mit dem Hinweis, dass die meisten der verfügbaren spärlichen Anhaltspunkte auf den Westen Norwegens hindeuten, insbesondere in das Gebiet zwischen den
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C. KRAG (Ynglingatal og ynglingesaga. En studie i historiske kilder, Oslo 1991) nimmt an, dass es aus dem zwölften Jahrhundert stammt, aber diese Meinung hat nur wenig Akzeptanz gefunden, siehe dazu z. B. B. FIDJESTØL, [rev. of] Claus Krag, Ynglingatal og ynglingesaga. En studie i historiske kilder, in: Maal og minne (1994), S. 191-199. N. KERSKEN, Geschichtsschreibung im Europa der “nationes”. Nationalgeschichtliche Gesamtdarstellungen im Mittelalter (Münstersche Historische Forschungen 8), Köln 1995, S. 788-789.
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heutigen Städten Bergen und Stavanger.4 Damit hat das im Gedicht bezeugte genealogische Bewusstsein nicht zwingend eine königliche Konnotation, sondern es könnte sich dabei allenfalls um die Angabe einer bestimmten Abstammungslinie handeln, wie bei den zahlreichen Genealogien herausragender Männer in den norwegischen und isländischen Sagas. Die Sagas schreiben Harald eine beeindruckende Zahl von Ehefrauen und Konkubinen zu – eine Unterscheidung zwischen beiden scheint zu dieser Zeit noch sehr vage –, mit denen er eine Reihe von Söhnen hatte, wobei ihre Zahl in den verschiedenen Sagas zwischen elf und achtzehn schwankt. Einige Historiker waren skeptisch in Bezug auf die Existenz dieser Söhne. Obwohl es keinen Grund gibt zu bezweifeln, dass Harald mit verschiedenen Frauen Söhne hatte, dürfen wir vermuten, dass sowohl spätere Könige als auch die Verfasser von Sagas Nachkommen Haralds erfanden, um so eine Abstammung von ihm zu beanspruchen. Harald hätte sicher ein Interesse daran gehabt, sein Königtum an seine Söhne weiterzugeben, aber das konnte nur durch die Unterstützung des Volkes gelingen; es ist schwer vorstellbar, dass die Nachkommen eines Königs zu dieser Zeit überhaupt ein gesetzmäßiges Recht zur Thronnachfolge hatten. Harald war ein Eroberer, dessen Position auf seiner militärischen Macht und seinen persönlichen Beziehungen beruhte und nicht auf irgendwelchen Konzeptionen vom Königtum als Amt. Die Sagas stimmen darin überein, dass Norwegen nach Haralds Tod nicht vereinigt blieb; seine angeblichen Nachkommen befanden sich in den nächsten hundert Jahren in einem nahezu ständigen Kampf um die Macht, sowohl untereinander als auch mit den Jarlen von Lade in Trøndelag (dem Gebiet um das heutige Trondheim). Es gibt Hinweise, dass die SagaSchreiber die Darstellung der Auseinandersetzungen simplifizierten: Sie beschreiben einen fast durchgängigen Konflikt zwischen den verschiedenen Linien von Haralds Nachkommen und den Jarlen von Lade um die Kontrolle des gesamten Landes; in Wirklichkeit waren diese Auseinandersetzungen um einiges offener.5 Insbesondere ist es unwahrscheinlich, dass die beiden Könige, die die Christianisierung vorantrieben, nämlich Olav Tryggvason (995-1000) und Olav Haraldsson (1015-1030), Haralds Nachkommen waren. Trotz diesbezüglicher Behauptungen gibt es dazu kaum Hinweise in der skaldischen Dichtung, der einzigen möglicherweise zeitgenössischen Quelle.6 Beide Könige hatten als Wikinger oder Söldner Karriere gemacht, und beide kamen mit Männern, Gold 4
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Die Fakten zur norwegischen und skandinavischen Geschichte werde ich in diesem Aufsatz nicht detailliert nachweisen. Die Informationen lassen sich gut in den zuletzt auf Englisch erschienen Studien zur norwegischen und skandinavischen Geschichte finden. Siehe dazu K. HELLE (Hg.), The Cambridge History of Scandinavia, 3 Bde., Cambridge 2003, Bd. 1: Prehistory to 1520, und S. BAGGE, From Viking Stronghold to Christian Kingdom. State Formation in Norway, c. 900-1350, Kopenhagen 2010. Ebd., S. 27. C. KRAG, Norge som odel i Harald Hårfagres ætt in: Historisk tidsskrift 68 (1989), S. 288-302.
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und Silber von Expeditionen aus England zurück, was wahrscheinlich einen gewichtigeren Grund für ihre Akzeptanz darstellte als irgendeine Abkunft von Harald. Es scheint also, als hätte es mindestens bis in die Mitte des elften Jahrhunderts einen offenen Konkurrenzkampf um den Thron gegeben.
Vom offenen zum begrenzten Konkurrenzkampf Der Übergang vom offenen zum begrenzten Konkurrenzkampf geschieht normalerweise durch einen starken Herrscher, dem es gelingt, in einer relativ langen Regierungszeit seine Macht im Land zu festigen und seinen Sohn oder seine Söhne als Nachfolger anerkennen zu lassen. Genau dies geschah zum Teil in Norwegen, allerdings beeinflussten zwei weitere, möglicherweise miteinander in Verbindung stehende Faktoren die Entwicklung: Zum einen die dänische Eroberung Norwegens infolge Olav Haraldssons Niederlage und Tod in der Schlacht von Stiklestad 1030, gefolgt vom Versuch Knuts des Großen, das Land direkt durch seine Geliebte und seinen Sohn regieren zu lassen, was die Norweger in der Opposition gegen die Dänen einte; zum anderen die bereits kurz nach seinem Tod erfolgte Heiligsprechung Olavs, der dadurch zu einer Art Nationalsymbol avancierte. Königliche Heilige waren charakteristisch für die sich ab dem zehnten Jahrhundert neu formierenden Königreiche in Skandinavien und Ostmitteleuropa, und sie waren oftmals eng mit der Gründung einer Dynastie verbunden. Impliziert dies nun eine christliche Version eines früheren Begriffs von heiligem Königtum oder handelt es sich dabei um eine genuin christliche Konzeption, die in einem dynastischen Kontext Anwendung fand? Letzteres mutet wahrscheinlicher an. Die frühesten königlichen Heiligen, unter ihnen die Merowinger und angelsächsischen Könige, waren Heilige trotz und nicht wegen ihres königlichen Rangs. Erst allmählich entstand die Verbindung zwischen Heiligkeit und Königtum. So ist St. Olav tatsächlich eines der frühesten Beispiele für diese Kombination.7 Darüber hinaus besteht ein erheblicher Unterschied zwischen der heidnischen und der christlichen Version sakralen Königtums. Im christlichen Denken handelt es sich bei Heiligkeit um ein persönliches Merkmal, das nicht über die Generationen hinweg übertragen werden kann. In Verbindung mit der Vorstellung von dynastischen Linien konnte die Existenz eines königli7
E. HOFFMANN, Die heiligen Könige bei den Angelsachsen und den skandinavischen Völkern. Königsheiliger und Königshaus (Quellen und Forschungen zu Geschichte Schleswig-Holsteins 69), Neumünster 1975, S. 58-89; G. KLANICZAY, Holy Rulers and Blessed Princesses. Dynastic Cults in Medieval Central Europe (Past and Present Publications), Cambridge 2002, S. 62-113; H. T. ANTONSSON, Some Observations on Martyrdom in Post-Conversion Scandinavia, in: Saga-Book of the Viking Society for Northern Research 28 (2004), S. 70-94 und DERS., St Magnus of Orkney. A Scandinavian Martyr-Cult in Context (The Northern World 29), Leiden 2007, S. 103-145, 221-225.
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chen Heiligen sicherlich die Position eines Erben stützen; unzweifelhaft erwies sich Olavs Heiligkeit in der Periode nach seiner Heiligsprechung als bedeutsam für die Dynastie und die Monarchie. Diese beiden Faktoren ebneten den Weg zum Thron zuerst für Olav Haraldssons Sohn Magnus (1035-1046) und dann für dessen Halbbruder Harald. Harald war als starker und skrupelloser Herrscher in der Lage, eine Dynastie zu begründen und verfügte zudem über eine direkte Nachkommenschaft, die ihm nachfolgen konnte. Tatsächlich folgten ihm zwei Söhne auf dem Königsthron. Einer von ihnen, Magnus, starb nach wenigen Jahren (1069), während der zweite, Olav (genannt Kyrre, “der Ruhige”), bis 1093 herrschte und damit die Dynastie weiter festigte. Nach Olav Kyrres Tod (1093) ging der Thron an seinen einzigen Sohn Magnus (genannt “Barfuß”). Jedoch hatte auch Olavs Bruder Magnus einen Sohn mit Namen Håkon hinterlassen, der ebenfalls Thronansprüche anmeldete, aber schon im nächsten Jahr plötzlich starb. In den verfügbaren Sagaberichten wird angedeutet, dass Magnus Barfuß keineswegs gewillt war, seinen Cousin als Mitherrscher anzuerkennen, aber dass es Håkon nichtsdestotrotz gelang, in Trøndelag Anerkennung zu finden indem er besondere Zugeständnisse an die dortige Bevölkerung gemacht hatte. Nach Håkons Tod erkannten seine Anhänger einen neuen Thronprätendenten als König an, der offensichtlich nur ein entfernter Verwandter der Dynastie war und bald von Magnus besiegt wurde. Magnus regierte nur zehn Jahre und wurde von seinen drei Söhnen Eystein, Sigurd und Olav beerbt (1103), die zu dem Zeitpunkt vierzehn, dreizehn und vier oder fünf Jahre alt waren. Zum ersten Mal ist hier die Wahl von Minderjährigen zu Königen zu beobachten. Wie angenommen wird, lag die Volljährigkeit zu dieser Zeit freilich bei fünfzehn Jahren, so dass die beiden Älteren nur kurz vor Erreichen derselben standen. Dies kann als starker Beleg für die allgemeine Akzeptanz einer Dynastie durch die Aristokratie gelten, deren Mitglieder nicht länger nach Unabhängigkeit strebten, sondern Macht und Einfluss durch Unterstützung der Monarchie zu erlangen suchten. Ideologisch kann diese Entwicklung mit bestimmten ererbten Eigenschaften in aristokratischen Familien erklärt werden, die schließlich als besonders hervorstechend in der königlichen Linie angesehen wurden und damit dem Sakralkönigtum ähnelten. Die Existenz einer solchen Idee wurde als Teil einer Reaktion gegen die germanistische Schule in der Nachkriegszeit zurückgewiesen, gewinnt aber wieder an Akzeptanz.8 Auf jeden Fall waren solche Eigenschaften 8
Die Hauptkritik an dieser Theorie lieferte W. BAETKE, Yngvi und die Ynglingar. Eine quellenkritische Untersuchung über das nordische ‘Sakralkönigtum’ (Sitzungsberichte der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 109/3), Berlin 1964. Eine jüngere positivere Interpretation liefert S. BAGGE, From Viking Stronghold (wie Anm. 4), S. 147-148 mit Literaturangaben. Eine Studie zur gesamten Debatte mit umfangreicher Bibliographie findet sich bei H. H. ANTON / H. BECK / A. P. BRONISCH / M. DIESENBERGER / F.-R. ERKENS / A. GOLTZ / L. KÖRTNGEN /
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zur Gewinnung von Unterstützung nötig; ein König, dem es an Freigebigkeit, militärischem Geschick oder den heldenhaften Qualitäten mangelte, konnte seine Anhänger schnell verlieren und abgesetzt oder getötet werden. Ein Beispiel für diese Ideen lässt sich am Anfang der aus dem späten zwölften Jahrhundert stammenden Saga von König Sverre finden.9 Sverre wächst auf den FäröerInseln als Sohn eines Handwerkers und Neffe eines Bischofs auf und wird Priester. Jedoch zeigt er eine kriegerische und aggressive Natur, die nicht seiner Herkunft und seinem Stand entspricht. Dieses Verhalten erhält seine nachträglich logische Erklärung, als Sverre herausfindet, dass er der Sohn eines Königs ist. Im folgenden Bericht festigt eine Serie von erfolgreichen Überfällen und Schlachten diesen Eindruck und beweist seine königliche Abstammung. Im Gegensatz zur Ideologie von der Vererbbarkeit bestimmter Eigenschaften, die zur Herrschaftsbegründung befähigen, mündete der Besitz eines Landes über mehrere Generationen in der Idee, dass Blutsverwandtschaft das Recht zur Herrschaft auf die gleiche Weise begründete, wie das etwa für das erbliche Recht auf ein Bauerngut galt; dieses Recht wurde besonders in solchen Fällen deutlich zum Ausdruck gebracht, in denen ein Kind den Thron erbte. Nichtsdestotrotz beseitigte die Begründung der Dynastie den Konkurrenzkampf um den Thron nicht, sondern schränkte ihn lediglich ein. Während der seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts andauernden inneren Konflikte, in denen zahlreiche Prätendenten um den Thron kämpften, beanspruchten immer nur Angehörige der Dynastie den Thron für sich und nie einer der Großen, egal wie mächtig er war. Gleichwohl gab es keine klaren Regeln über den Vorrang eines bestimmten Mitglieds der Dynastie gegenüber anderen. Es scheint, dass Königssöhne gegenüber weiter entfernten Verwandten bevorzugt worden sind. Bei mehr als einem Sohn mussten diese entweder gemeinsam herrschen oder um den Thron kämpfen. Im ersten Fall gab es keine territoriale Aufteilung. In dem gesamten hier betrachteten Zeitraum hatte der König keine permanente Residenz, sondern zog durch das Land, um die Versorgung des Hofes zu gewährleisten und um die Bündnisse mit den lokalen Führungspersonen an unterschiedlichen Orten zu stärken. Wenn es mehrere Könige gab, hatten diese normalerweise unterschiedliche Itinerare, wenngleich sie gelegentlich Grund hatten, gemeinsam an einem Ort zu sein. Frühere Historiker diskutierten, ob es sich in dieser Zeit um eine Wahlmonarchie oder eine Erbmonarchie handelte. Die Antwort dazu lautet, dass die königliche Nachfolge in Norwegen Elemente beider Typen beinhaltete. Der Thronanwärter musste vor einer örtlichen Versammlung erscheinen und dort
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L. E. VON PADBERG / A. PESCH / W. POHL / O. SUNDQVIST, Sakralkönigtum, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 26, Berlin 2004, S. 179-320, hierbei besonders O. SUNDQVIST, ‘Skandinavische Quellen’, in: ebd., S. 279-293 über die Verhältnisse in Skandinavien. S. BAGGE, From Gang Leader to the Lord’s Anointed. Kingship in Sverris saga and Hákonar saga Hákonarsonar (The Viking Collection 8), Odense 1996, S. 52-65.
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gewählt werden. Im Prinzip konnte dies in jeder Versammlung geschehen, auch wenn der Øreting in Trondheim offenbar einen besonderen Status hatte. Gleichwohl haben wir es hier nicht mit einer etablierten ‘Verfassung’ zu tun, sondern mit einem ziemlich kompetitiven System, obgleich mit einigen Begrenzungen hinsichtlich der Frage, wer an dem Konkurrenzkampf teilnehmen durfte. Entscheidend in der Praxis war die Unterstützung durch den Adel. Die Volksversammlungen scheinen zurückhaltend in der Zurückweisung eines Thronanwärters, der seinen Anspruch vorbrachte, gewesen zu sein, aber die Unterstützung durch Adel und Volk waren für den Erfolg langfristig von größerer Bedeutung. Eine königliche Abstammung in irgendeiner Form stellte somit zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung dar. Trotz einiger in den Sagas erwähnter Rivalitäten gab es zwischen den drei Söhnen von Magnus Barfuß keinen offenen Konkurrenzkampf um den Thron. Als zwei von ihnen ohne Erben starben und der dritte, Sigurd, nur einen Sohn hinterließ, mochte es scheinen, dass der Frieden auch für die nächste Generation gesichert war. Gegen Ende der zwanziger Jahre des zwölften Jahrhunderts kam jedoch ein Mann namens Gilchrist (gemeinhin Harald Gille genannt) von Irland nach Norwegen und behauptete, ein Sohn von Magnus Barfuß zu sein, was er dadurch bewies, dass er sich einem Gottesurteil unterzog. Der herrschende König Sigurd akzeptierte ihn ebenfalls als Halbbruder, zwang ihn daraufhin, einen Eid zu leisten – den Königsthron nicht zu beanspruchen, solange Sigurd selbst und sein Sohn Magnus noch lebten. Nach Sigurds Tod 1130 brach Harald seinen Schwur und zwang Magnus, die Herrschaft mit ihm zu teilen. Dies führte schnell zum Konflikt zwischen den beiden Königen, der mit Haralds Sieg endete. Magnus wurde gefangen genommen, geblendet, verstümmelt und in ein Kloster gesteckt (1135). Ein Jahr später allerdings wurde Harald von einem neuen Thronprätendenten, Sigurd Slembe, ermordet, der gleichfalls behauptete, ein Sohn von Magnus Barfuß zu sein. Er fand zudem Zuspruch bei den Anhängern des abgesetzten Königs Magnus, weil er diesen aus dem Kloster holte und zum Mitherrscher machte. Beide wurden wiederum besiegt und getötet (1139), und der Thron ging an Haralds minderjährige, drei und fünf Jahre alten Söhne Sigurd und Inge. Ein dritter älterer Sohn, Eystein, der noch vor Haralds Ankunft in Norwegen geboren worden war, wurde 1142 als König anerkannt. Ein erneuter Konflikt brach aus, als die Könige 1155 ihre Volljährigkeit erreicht hatten, und führte schließlich zum Tod aller drei. Sigurd und Eystein starben 1155 und 1157. Inge wurde, obwohl er zunächst seine beiden Brüder besiegt hatte, von einem Sohn Sigurds 1161 umgebracht. In der Folge entstanden zwei Fraktionen: Die erste bestand aus Inges früheren Anhängern, deren Kandidat, der siebenjährige Magnus Erlingsson, ein Nachkomme von König Sigurd Magnussons Tochter war; die zweite, gebildet aus den Unterstützern von Sigurd und Eystein, stellte als ihre Kandidaten verschiedene illegitime Söhne dieser
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beiden Könige auf. Diese Parteiungen bestanden unter verschiedenen Namen bis 1227.
Das Nachfolgegesetz von 1163/64 Im Nachfolgegesetz von 1163/64 ersetzte ein auf einer komplett verschiedenen Ideologie basierendes Verständnis die frühere Vorstellung von Thronfolge, indem es festlegte, dass immer nur jeweils ein König herrschen sollte. Lediglich legitime Söhne des vorangegangenen Königs wurden anerkannt, wobei der Älteste bevorzugt wurde; am wichtigsten aber war, dass der neue König von einer in Trondheim stattfindenden Versammlung des Volkes nach dem Tod des alten Königs gewählt werden sollte. Versuche, den Thron auf anderem Wege zu erlangen, sollten mit Ächtung und Exkommunikation bestraft werden. Zwar stärkte dieses Gesetz die dynastische Nachfolge, indem der älteste Sohn eines verstorbenen Königs der bevorzugte Thronkandidat wurde. Allerdings stellte die im Gesetz beschriebene Wahl keinen rein formalen Akt dar: Wie im Gesetz im Detail festgelegt, sollte der König von der Versammlung gewählt werden, wobei den Bischöfen die entscheidende Stimme zukam. Die Versammlung hatte das Recht, den ältesten Sohn abzulehnen, wenn sie zu der Meinung kam, dass ihm die moralischen Qualitäten für sein hohes Amt fehlten. In diesem Fall konnte sie frei zwischen den anderen Söhnen auswählen. Gab es keine Söhne, hatte die Versammlung in der Auswahl zwischen den verschiedenen Kandidaten eine relativ große Freiheit, in Bezug auf deren Abkunft und Eigenschaften. Die ideologische Basis für dieses Gesetz bestand in der christlichen Lehre vom rex iustus. Ob ein König sein Amt erben oder durch Wahl erlangen sollte, stellte eine praktische Frage dar, auch wenn die Geistlichkeit in Analogie zu kirchlichen Ämtern dazu neigte, eine Wahl zu bevorzugen. Das königliche Geblüt spielte in diesem Gesetz ebenfalls keine Rolle. Nicht in der Person des Königs lag der übernatürliche Aspekt des Königtums, sondern im Amt. Das Nachfolgegesetz von 1163/64 ist vor allem deshalb bedeutsam, weil darin neue ideologische Prinzipien formuliert werden, die einen großen Einfluss auf die Zukunft erlangen sollten. Dennoch war diesem Gesetz keine unmittelbare praktische Bedeutung beschieden, denn keine Thronfolge fand nach dessen Bestimmungen jemals statt. Wäre es zur Anwendung gekommen, hätte es jedoch kaum die Bedeutung der dynastischen Sukzession verringert; es scheint schwer vorstellbar, dass eine Versammlung – auch wenn sie von den Bischöfen dominiert würde – den ältesten Königssohn als moralisch ungeeignet abgelehnt hätte. Der Stellenwert der Verfügung ergibt sich vielmehr daraus, dass sie den Wählern – und hierbei zuerst den Bischöfen – die Möglichkeit gab, Bedingungen für die Wahl zu stellen, wie es in den Nachbarländern und in Norwegen im späten Mittelalter tatsächlich geschah. Der Klerus konnte auch argumentieren, dass er dem
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König erst durch das Ritual von Salbung und Krönung die legitime Macht übertrug. In der Tat brachte die erste Krönung 1163/64 die Unterordnung und den Gehorsam des Königs gegenüber der Kirche deutlich zum Ausdruck, wie aus Magnus’ Krönungseid und Privilegien für die Kirche hervorgeht. Wie auch die Ideologie des Gesetzes scheint dies die allgemeine Forschungsmeinung zu bestätigen, dass die Kirche die treibende Kraft hinter seiner Entstehung war. Der unmittelbare Grund für die Verabschiedung des Gesetzes bestand in der Notwendigkeit seitens der zu dieser Zeit dominierenden Parteiung, ihren neuen König Magnus Erlingsson gegen die Ansprüche von Rivalen zu schützen. Magnus’ späterer Gegner, Sverre, behauptete, dass kognatische Sukzession gegen das Gesetz sei. Obgleich die meisten vorangegangenen Könige agnatische Abstammung für sich reklamiert hatten, ist dies nicht notwendigerweise korrekt. Ernster zu nehmen waren in Magnus’ Sicht die anderen Thronprätendenten, die ebenso gute Ansprüche wie er selbst vorweisen konnten. Darüber hinaus trachtete die neue, von Magnus’ starkem, rücksichtslosem und ehrgeizigem Vater Erling geführte Parteiung danach, das neue Gesetz zur Ausschaltung aller Rivalen einzusetzen und die königliche Macht zu monopolisieren, indem alle Gegner als Rebellen und Häretiker abgestempelt wurden.
Sverres Revolte – Tradition oder Erneuerung? Schlussendlich scheiterte Erling mit seinem Versuch, vollständige Sicherheit für seinen Sohn zu erlangen. Nachdem er eine Reihe von Thronkonkurrenten besiegt hatte, wurde er seinerseits von Sverre Sigurdsson geschlagen, der – wahrscheinlich zu Unrecht – behauptete, ein Sohn von Sigurd Haraldsson (gest. 1155) zu sein. Sverre versammelte 1177 die Reste der ‘Birkebeiner’ genannten Faktion um sich;10 in einer Serie von Feldzügen kämpfte er sich den Weg zum Thron frei, wobei er Erling 1179 in der Schlacht tötete und Magnus 1184. Der Rest seiner Herrschaftszeit bis zu seinem Tod 1202 – der bemerkenswerterweise friedlich und nicht im Kampf erfolgte – ähnelte dahingehend in vielem Erlings Regentschaft: Eine Reihe von neuen Thronprätendenten erhob sich gegen Sverre, wobei die meisten von ihnen behaupteten, Söhne von Magnus zu sein, welcher den gleichen Ruf als Schürzenjäger erlangt hatte wie Sverres vermeintlicher Vater Sigurd. Wie im Fall von Erling erwies sich die letzte dieser Rebellionen der sogenannten ‘Bagler’ (Krummstäbe) von 1196 als die ärgste.11 Von einigen längeren Friedensperioden unterbrochen blieb die Kluft zwischen Birkebeinern 10 Der Name war ursprünglich abfällig gemeint: Die Leute waren zu arm, um sich Schuhe
zu leisten, so dass sie stattdessen Birkenrinde um ihre Beine wickelten.
11 Der Name ist von bagall, “Stab” abgeleitet, normalerweise dem Bischofsstab (vgl. lat.
baculum), was sich wiederum auf das Bündnis dieser Parteiung mit den Prälaten im Kampf gegen Sverre bezieht.
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und Baglern bis 1217 bestehen. Als in diesem Jahr der Bagler-König starb, gelangten die Parteiungen zu einer Einigung und ihre Anführer verständigten sich darauf, das Kerngebiet der Bagler in Ostnorwegen zwischen sich aufzuteilen. Die Verlierer dieser Übereinkunft bildeten wiederum neue Parteiungen und kämpften bis 1227 weiter, als der letzte ihrer Anführer kapitulierte. Eine Spaltung der Birkebeiner 1239-1240 zwischen Sverres Enkel Håkon und Skule Bårdsson aus der Verwandtschaft der Rein, ein Halbbruder des früheren Birkebeiner-Königs Inge (1204-1217), markiert schließlich das Ende der inneren Konflikte. Nach Skules Niederlage und Tod 1240 forderte kein Thronprätendent Sverres Nachkommen mehr heraus. Sverre reklamierte für sich, als Sohn eines Königs selbst rechtmäßiger König zu sein, und verurteilte seinen Gegner als Usurpator ohne Recht auf den Thron, weil der nur über eine Königstochter von der Dynastie abstammte. Sverres Propaganda wies Magnus’ Krönung als erfolglosen Kompensationsversuch für dessen fehlende königliche Abstammung zurück.12 Damit scheint er das Gesetz von 1163/64 und die neue Ideologie vom Königtum zugunsten der alten Ideen von königlichem Blut, der Unterstützung durch das Volk und von gleichen Rechten für alle Königssöhne abgelehnt zu haben. Nach dem Bericht einer Saga soll Sverre nach einer Aussprache im Jahre 1181 angeboten haben, das Land mit Magnus zu teilen. Doch Magnus lehnte das Angebot mit Hinweis auf seine durch Salbung und Krönung auferlegte Verantwortung ab. Als allerdings ein anderer Thronrivale namens Eirik in einem Gottesurteil bewies, dass er ein Königssohn war, verweigerte ihm Sverre die Teilhabe an der Herrschaft im Königreich. Dies wiederum geschah aus gänzlich pragmatischen Gründen: Er hatte so schwer um seinen Thron gekämpft und dabei so viel erlitten, dass er nun nicht einfach einen Teil davon aufgeben wollte. In der Praxis teilte Sverres Ideologie viele Elemente mit der von Magnus. Er wies auf seine göttliche Erwählung und auf St. Olav und König David als seine Beschützer und Vorbilder hin. In der “Rede gegen die Bischöfe”, einem gegen Ende seiner Herrschaft im Konflikt mit der Kirche entstandenen Propagandapamphlet, entwickelte er die Ideologie vom König als Gottes Stellvertreter auf Erden. Trotz seiner Ablehnung der Vorstellung, dass die Krönung Magnus zu einem rechtmäßigen König mache, drängte es Sverre selbst danach, diese Würde zu empfangen, wie aus seinem Bericht über einen Traum hervorgeht, in dem er die Salbung vom Propheten Samuel empfängt. Nach langen Verhandlungen und Drangsalierungen der Bischöfe erlangte Sverre schließlich 1194 die Krönung. Die genaue Gestaltung des Rituals bleibt ebenso unbekannt wie die Versprechungen, welche er im Gegenzug hatte leisten müssen; es gibt jedoch Hinweise in der Saga, dass die Krönung zu einem Element seiner Propaganda wurde.
12 Für das Folgende siehe S. BAGGE, From Gang Leader (wie Anm. 9), S. 61-71.
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Das dreizehnte Jahrhundert: Königliches Geblüt und christliche Ideologie Es scheint, dass Sverre seinem Enkel Håkon Håkonsson (1217-1263) ein etwas gemischtes ideologisches Erbe hinterließ. Wie Sverre gründete Håkon seinen Thronanspruch auf sein königliches Geblüt: Er war ein Königssohn, wenn auch nicht aus einer legitimen Ehe. Die Frage nach dem königlichen Geblüt bildet daher zwar ein zentrales Element sowohl in der Hákonar saga als auch in der Sverris saga. Allerdings war die christliche rex iustus-Ideologie in der Umgebung des Königs viel verbreiteter als während der Herrschaft Sverres. Der Verfasser des wahrscheinlich um 1250 an Håkons Hof entstandenen “Königsspiegels” plädiert für eine Einzelnachfolge, indem er detailliert die verheerenden Auswirkungen einer Teilung des Königreichs unter mehreren Erben beschreibt, worin seiner Meinung nach der Grund für die früheren inneren Kriege zu finden sei.13 Diese Argumentation bezieht sich direkt auf die rex iustus-Ideologie, nach welcher der König für Frieden, Gerechtigkeit und soziale Ordnung im Land verantwortlich ist, wobei die Vermutung geäußert wird, dass jegliche Teilung des Königreichs den König von der Ausübung dieser Pflichten abhalte. Im Gegensatz dazu ist der Verfasser eher vage in Bezug auf die Art und Weise der Thronfolge. Er stellt sich gegen eine Einmischung der Kirche in Königswahlen und war – zumindest indirekt – vermutlich ein Anhänger dynastischer Sukzession, auch wenn er keine genaue Lösung für das Problem der Auswahl zwischen mehreren legitimen Erben vorbringen konnte. Die gleiche Unbestimmtheit scheint in Hofkreisen lange vorhanden gewesen zu sein. Die Hákonar saga beschreibt eine Erörterung über die Teilung des Landes zwischen den beiden Königssöhnen im Jahre 1255, wobei Håkon Gott die Wahl überlassen wollte. Dieser wählte zwei Jahre später, indem er den Älteren, Håkon, sterben ließ.14 1260 traf der König schließlich die letzte Entscheidung mit der Verabschiedung eines Gesetzes zur Einzelnachfolge und Primogenitur. Das Grundproblem Håkon Håkonssons und seiner Berater war der Konflikt zwischen der Idee einer Blutslinie und der Amtsidee, wobei eine logische Verbindung zwischen der Amtsidee und der einer Wahlmonarchie existierte, wie im Fall eines kirchlichen Amtes. Unabhängig davon, ob es sich um eine wirkliche Wahl handelte – in den meisten Fällen bestand sie nur darin, den Kandidaten zu wählen, der als mit dem verstorbenen König am nächsten verwandt betrachtet wurde –, entsprach dieser Vorgang am ehesten der Idee von einem Amt, in das man gewählt und nicht geboren wurde. Dagegen verschwamm in einer Erbmonarchie die Unterscheidung zwischen Amt und Person: War die Idee eines Erb13 DERS., The Political Thought of The King’s Mirror (Medieval Scandinavia. Supplements
3), Odense 1987, S. 49-51.
14 Hákonar saga Hákonarsonar, ed. G. VIGFUSSON (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scrip-
tores 88/1-2), London 1857, ND 1964, cap. 284, S. 280-281; cap. 291, S. 294-295; S. BAGGE, From Gang Leader (wie Anm. 9), S. 102-103.
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königtums von der Idee besonderer Eigenschaften des königlichen Blutes abgeleitet, erscheint die Existenz eines Konzeptes vom Königsamt insgesamt zweifelhaft. Der König würde dann König aufgrund ererbter persönlicher Eigenschaften, nicht durch Wahl oder formale Autorität. Problematisch gestaltete sich dieses Konzept jedoch, weil es keine Kriterien lieferte, um überhaupt irgendeinen Nachkommen der Dynastie von der Nachfolge auszuschließen. Dazu nämlich war ein Wahlelement erforderlich. Zu diesem Zweck bestimmte das Gesetz von 1163/64 eine Wahlversammlung. Ähnlich ging auch das Gesetz von 1260 vor, machte dabei aber deutlich, dass die Aufgabe der Versammlung nicht in der Entscheidung darüber bestand, wer König sein sollte, sondern darin, einfach denjenigen zu wählen, der am nächsten in der Nachfolgeordnung stand – entweder den ältesten Königssohn, oder im Fall der Söhnelosigkeit des Königs den nächsten Erben. Diese Wahl wurde in der Sprache der Saga und des “Königsspiegels” als Gottes Wahl definiert. Die gegenwärtige Dynastie konnte sich damit die gesamte christliche Königsideologie aneignen, die in Magnus Erlingssons Nachfolgegesetz und den Kirchenprivilegien mit der Wahlidee verbunden war. Am wichtigsten aber wurde weniger die Qualität der königlichen Abstammung, sondern vielmehr Gottes Wahl des nächsten innerhalb der Erbfolge, der dann aufgrund seines Amtes eine andere Person werden konnte. Die Gesetze von 1260 und 1273 entsprachen beiden Kriterien für die Institutionalisierung der Monarchie – sowohl der Unterscheidung zwischen Person und Amt, als auch der klaren Regelung des Zugangs zum Königsamt. Das Gesetz von 1260 und die Ideologie am Hof Håkon Håkonssons stellen eine Synthese der beiden gegensätzlichen Ideologien der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts dar. Die christlichen Lehren vom rex iustus und dem Königtum als Amt waren vollständig anerkannt und hatten mit der Idee von der Erwählung durch Gott die Vorstellung einer dynastischen Sukzession und eines königlichen Geblüts integriert. Inwieweit tatsächlich der Glaube an die besonderen Eigenschaften königlichen Blutes in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts eine Rolle spielte, ist noch offen; im Gegensatz zu dem charismatischen Kriegerhelden der Sverris Saga zeigt die Hákonar Saga ihren Protagonisten als christlichen rex iustus und legitimen König. Überdies war das königliche Interesse an einer dynastischen Sukzession Grund genug, die Tradition der Erbmonarchie zu unterstützen, sogar ohne Vorstellung vom königlichen Geblüt. Bezeichnenderweise sorgte Håkon dafür, dass Weihe und Krönung Bestandteil der normalen Thronbesteigungsprozedur wurden, einmal durch seine eigene Krönung 1247 und dann durch die seines Sohnes Magnus 1261. Wie sein Großvater hatte Håkon wegen seiner illegitimen Geburt Schwierigkeiten, die Krönung zu erlangen; er musste viel Zeit und Geld für einen päpstlichen Dispens investieren und erreichte sein Ziel erst nach über dreißig Jahren auf dem Thron. Die Einführung einer offiziellen Krönung dient als weiterer Beweis für die Akzeptanz der rex iustus-Ideologie und der Vorstellung, dass die Macht des Königs
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von Gott abgeleitet wurde. Das traditionelle Ritual für den Regierungsantritt, die konungstekja, symbolisiert eine Erhebung durch das Volk: Der König wird von zwei prominenten Mitgliedern der Wahlversammlung auf einen erhöhten Stuhl gehoben, so dass er von allen gesehen werden kann.15 Im Gegensatz dazu erhält der König im christlichen Krönungsritual seine Insignien von Gott durch die Hand des Bischofs und des Klerus und wird mit heiligem Salböl gesalbt, das “ihn zu einem anderen Mann” macht, wie die Liturgie verkündet. Die beiden verschiedenen Rituale erscheinen jeweils als perfekte Illustration der absteigenden und aufsteigenden Motive von Walter Ullmann.16 Auch nach Einführung der Krönung blieb das alte Ritual erhalten und die Akklamation wurde immer noch als entscheidendes Ritual angesehen, obwohlgleich die hochmittelalterliche Lehre vom Königtum eher dem Krönungsritual entsprach als dem der konungstekja. Problematisch für Håkon, wie auch für Magnus Erlingsson und Sverre, war, dass die Krönung eine Interpretation ermöglichte, dass der König sein Amt von der Kirche empfing. Die Hákonar Saga erwähnt in Verbindung mit der Krönung von 1247, dass Håkon die Forderung der Bischöfe zurückwies, den gleichen Gehorsamseid gegenüber der Kirche zu leisten wie Magnus Erlingsson.17 An dieser Stelle wiederholt Håkon Sverres Argument, dass Magnus zur Kompensation seines fehlenden Erbrechts Zugeständnisse an die Kirche machen musste, und erklärt, dass er eher auf die Krönung verzichten würde, als sie um einen solchen Preis zu erlangen. Laut der Saga akzeptierte der als Koronator fungierende Kardinal Wilhelm von Sabina Håkons Argumente; dies scheint angesichts des verzweifelten Ringens seines Herrn, Papst Innozenz’ IV., mit Kaiser Friedrich II. relativ wahrscheinlich. Gleichwohl ließ sich nach wie vor behaupten, dass derjenige, der die Krönung durchführte, den höheren Rang gegenüber demjenigen einnahm, der die Krone empfing. Dieses Problem spricht der wohl bald nach Håkons Krönung verfasste “Königsspiegel” an. Der Autor legt dar, dass der König unabhängig von einer Krönung der Gesalbte des Herrn (Christus Domini) sei, denn im Alten Testament benutzte Gott diesen Titel für Könige – sogar für den heidnischen König Cyrus. Konsequenterweise stellt die Krönung lediglich eine Manifestation des vom König bereits innegehabten Ranges dar und bedeutet nicht, dass die Kirche die Macht hätte, seiner Würde irgendetwas hinzuzufügen.18
15 Das Ritual wird im Hird-Gesetz beschrieben, siehe dazu Hirdloven til Norges konges
menn, ed. S. IMSEN, Oslo 2000, cap. 2, S. 66-68.
16 W. ULLMANN, Principles of Government and Politics in the Middle Ages, London 1966,
S. 19-26.
17 S. BAGGE, From Gang Leader (wie Anm. 9), S. 102 und 105-106. 18 DERS., The Political Thought (wie Anm. 13), S. 43-49.
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Dynastie und Staatsbildung In Kombination mit dem neuen Gesetz über die Einzelnachfolge gab die Herausbildung der königlichen Dynastie der norwegischen Monarchie eine rechtliche Grundlage. Eine bestimmte Person hatte nun in gleicher Weise das Geburtsrecht, ein Land zu regieren, welches in vielerlei Hinsicht sein Eigentum war, wie ein Bauer das Recht auf sein Land hatte. Die Idee einer gesetzmäßigen Sukzession und des Königsrechts, das Land zu regieren, wurde in Urkunden, in der Geschichtsschreibung und in didaktischen Schriften entwickelt und diente zur Verteidigung der Monarchie gegen innere und äußere Rivalen. Hinzu kam die kirchliche Lehre vom Königtum als einem Amt und dem König als Stellvertreter Gottes auf Erden. Diese Lehre fand ihren Ausdruck in den norwegischen Quellen vom Privileg Magnus Erlingssons (ca. 1170) bis zum “Königsspiegel” und dem Volksrecht. Klar unterscheiden diese Quellen zwischen der Person und dem Amt, wobei letzteres als von Gott an den König verliehen erscheint, und zwar zur Herstellung von Gerechtigkeit auf Erden. Im Gegensatz zur traditionellen heidnischen Auffassung19 beinhaltete die christliche Lehre von der Sakralität des Königs keine Vorstellung einer göttlichen Abkunft. Als Person war der König genauso ein gewöhnliches menschliches Wesen; und es war sein Amt, das Gott eingerichtet hatte, um ihn auf Erden zu vertreten. Trotz des eher indirekten Konzepts von Sakralität wurde diese Lehre einflussreicher als diejenige der heidnischen Gesellschaft. Besonders der “Königsspiegel” entwickelt äußerst detailreich den Kontrast zwischen der Person des Königs, als einem schwachen und sündigen menschlichen Wesen, und dem Gottes Macht und Herrlichkeit repräsentierenden Königtum.20 Der König erhält sein Amt von Gott; dies gibt ihm die Herrschaft über Leben und Tod seiner Untertanen und stellt Ungehorsam ihm gegenüber demjenigen Gott gegenüber gleich. Obwohl es zwischen diesen hochgestochenen Ideen und der politischen Praxis Unterschiede gibt, lassen sich nichtsdestotrotz ihre praktischen Folgen aufzeigen. Die erste besteht in der Tatsache, dass Könige nicht mehr getötet wurden. Während im frühen Mittelalter der Tod in der Schlacht oder von der Hand eines Rivalen für einen König eine normale Art des Ablebens darstellte, wurde nach dem 1184 erfolgten Schlachtentod von Magnus Erlingsson kein regierender König von Norwegen mehr umgebracht. Eine zweite Folge sind die stabilen Grenzen zwischen den skandinavischen Ländern. Es gab im Volk kaum starke Zugehörigkeitsgefühle zu einer speziellen Nation, aber es existierte die Vorstellung vom König als dem rechtmäßigen Herrscher eines bestimmten Territoriums. Zugegebenermaßen konnten Teile des Territoriums als Lehen an jüngere Mitglieder der Dynastie oder an einen sehr wichtigen Verbündeten ausgegeben werden; aber in den meisten Fällen fand die Verbindung zwischen König und 19 Siehe oben Anm. 8. 20 S. BAGGE, The Political Thought (wie Anm. 13), S. 22-26, 61-64 und 161.
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Territorium sowohl im Volk als auch – zumindest zum Teil – bei anderen Königen Anerkennung. Darum war es für einen König einfacher, die Bevölkerung zur Verteidigung eines Teils seines Reiches als zur Eroberung eines neuen Gebietes zu mobilisieren.
Von Ragnhild bis zu Håkon V. Im Dezember 1263 lag König Håkon Håkonsson in Kirkwall auf Orkney auf dem Sterbebett, nachdem er früher im Jahr auf seiner Expedition gegen Schottland erkrankt war. Er ließ sich vorlesen, zunächst Heiligenviten in Latein und, als er schwächer wurde und es zunehmend schwieriger fand, der fremden Sprache zuzuhören, Sagas seiner Vorfahren auf Norwegisch. “Gegen Mitternacht endete die Saga von König Sverre (Håkons Großvater). Und kurz nach Mitternacht rief der allmächtige Gott Håkon aus dem irdischen Leben ab.”21 In seiner Beschreibung unterstreicht der Verfasser die Kontinuität zwischen Håkon und seinen Vorfahren, und vor allem zu König Sverre, dem heldenhaften Gründer des Zweiges der Dynastie, zu dem Håkon gehörte. Die Entwicklung der Dynastie und der Königsideologie, der wir über die vorangegangenen Seiten gefolgt sind, weist große Veränderungen auf, ausgelöst durch die Rezeption christlicher Ideologie ab der Mitte des zwölften Jahrhunderts, zusammen mit verstärkten Versuchen, die gegenwärtigen Könige mit ihren Vorfahren in der entfernten Vergangenheit in Verbindung zu bringen. In dieser Zeit entstanden auch die meisten Königssagas. Obwohl nicht jede Saga für den König oder unter königlichem Einfluss verfasst wurde, besteht kein Zweifel daran, dass ihr allgemeiner Charakter dynastischer Geschichtsschreibung ein Ergebnis des Bedürfnisses der Könige nach dynastischer Kontinuität darstellte. Wo auch immer Ragnhilds und Halvdans Träume, Tjodolvs Gedicht oder Harald Schönhaars zahlreiche Nachkommen, die beiden Olavs eingeschlossen, ihren Ursprung hatten, dienten diese Geschichten unzweifelhaft den Interessen Håkons und seiner Vorgänger. Håkons Enkel, Håkon V., drückte dies im Jahre 1302 folgendermaßen aus: “Gott erwählte uns, um das Reich nach unseren Vorfahren zu regieren.”22
21 Hákonar saga (wie Anm. 14), cap. 330, S. 355. 22 […] guð kaus oss til rikis stiornar eftir uart foreldri; Norges gamle Love, ed. R. KEYSER /
P. A. MUNCH, 3 Bde., Christiania 1849, Bd. 3, S. 45.
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Eine Definition der weiblichen Regentschaft im Herzogtum Savoyen am Ende des Mittelalters* 1. Die Definition der Regentschaft Vor ungefähr zehn Jahren hat ein Teil der mittelalterlichen Geschichtsforschung in Italien damit begonnen, Anregungen der nordalpinen Mediävistik und der Forschung zur neuzeitlichen Geschichte aufzunehmen, die sich mit der Frauenforschung auseinandersetzt.1 Diese neue Tendenz richtet ihr Augenmerk im Besonderen auf die spätmittelalterliche Geschichtsforschung in Italien bezüglich der Rolle der Frau in der aristokratischen Gesellschaft des Mittelalters. Die Rolle darf nicht als eine marginale, eine ungewöhnliche oder völlig auf das religiöse Umfeld beschränkte verstanden werden, sondern vielmehr als integraler Bestandteil der Geschichte der Politik und der Institutionen des mittelalterlichen Okzidents. Die Überwindung der traditionellen Sichtweise der “erduldeten Macht” und, mehr noch, das Erforschen der Handlungsspielräume einer “ausgeübten Macht” einiger elitärer Frauen haben die Rahmenbedingungen der Forschung – im Bezug auf die Vorstellungen von Souveränität und Ausübung von Macht zwischen Mittelalter und früher Neuzeit – auf positive Weise verkompliziert. *
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Dieser Beitrag deckt sich in Teilen mit meinem jüngst erschienen Aufsatz: Lo statum reginale tra distinzione ed eccezione: il caso sabaudo (XV secolo), in: Le pouvoir symbolique en Occident (1300-1640), Bd. 6: Marquer la prééminence sociale. Actes de la conférence organisée à Palerme en 2011 par SAS en collaboration avec l’École Française de Rome et l’Université de Palerme, hg. v. J.-P. GENET / I. MINEO (Histoire ancienne et médiévale 127. Collection de l’École Française de Rome 485), Paris 2014, S. 129-156. Die deutsche Fassung des Vortrags zur Tagung wurde von Stephanie Righetti erstellt; für den Druck wurde diese Version von Volkmar Lehmann, Kai Hering und Cristina Andenna bearbeitet. Diese Neuerung bringt die empfehlenswerte Reihe “Storia di genere” des Verlags Viella in den Bänden, die dem späten Mittelalter gewidmet sind, zum Ausdruck. Diese Initiative kann die ‘Verspätung’ der italienischen Mediävistik im Bezug auf die Geschlechterforschung nicht ungeschehen machen. Siehe dazu: D. CORSI, Un itinerario negli studi di storia medievale, in: A. ROSSI-DORIA (Hg.), A che punto è la storia delle donne in Italia. Seminario Annarita Buttafuoco (Milano, 15 marzo 2002), Rom 2003, S. 17-41, und T. LAZZARI, Le donne nell’alto Medioevo, Mailand/Turin 2010. Zur Diskussion des Problems im modernistischen Rahmen siehe im Besonderen: O. NICCOLI (Hg.), Rinascimento al femminile, Rom/Bari 1991; L. PANIZZA, Women in Italian Renaissance. Culture and Society, Oxford 2000; L. ARCANGELI / S. PEYRONEL (Hgg.), Donne e potere nel Rinascimento (I libri di Viella 85), Rom 2008.
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Es ist eine Epoche, in der regierende Frauen mehrfach aktiv einschreiten. Auch in der Geschichte von Savoyen ist eine aktive Beteiligung der Fürstin an der Lenkung des Herrschaftsgebietes dokumentiert. Es handelt sich dabei aber um eine Praxis und nicht um eine juristische Institution. Um die fehlende Kodifikation teilweise zu rechtfertigen, praktizierte man den Ausschluss der Frauen aus der Erbfolge, dem sich Savoyen – als ein Nachbarreich von Frankreich2 – im Laufe des 14. Jahrhunderts zur Zeit von Amadeus VI. von Savoyen (dem Grünen Grafen) mit der Konsequenz anschloss, dass eine eventuelle Machtergreifung einer Frau stets vom Titel des officium getrennt blieb, welcher nur von einem Mann geführt werden konnte.3 Anders als in Frankreich, wo in den Jahren 1374 und 1407 unter der Herrschaft Karls V. und Karls VI. aus dem Hause Valois eine genaue Definition und Regeln für die Regentschaft eines minderjährigen Dauphin festgelegt worden waren, blieb in den Ländern von Savoyen die Vormundschaft des Thronfolgers lange Zeit nicht normiert, man vertraute vielmehr auf die im väterlichen Testament festgelegten Anordnungen. Genau dies war am Ende des 14. Jahrhunderts bei Bonne de Bourbon, Gemahlin des Grafen Amadeus VI., der Fall: Schon vor dem Ableben des Grafen von Savoyen hatte sich die Gräfin im Namen ihres Ehemannes und mit Hilfe der Ratgeber Girard d’Estrée und Pierre Gerbaix mehrfach um die Abwicklung der Staatsgeschäfte gekümmert4. Kurz vor seinem Tod (27. Februar 1383) hatte der Grüne Graf sein Testament abgeändert, wobei er seiner Gattin sein Vertrauen schenkte, indem er ihr die Vormundschaft zu ihren Gunsten übertrug und seinen erstgeborenen Sohn Amadeus (den späteren Grafen Amadeus VII.) als Thronfolger bestimmte: […] considerans et attendens grata, fructuosa et laudabilia servicia sibi facta fideliter et inpensa per illustrem consortem suam carissimam dominam Bonam de Borbonio […] eandem dominam Bonam facit, vult, ordinat, nominat et disponit dominam veram et administratricem ac usufructuariam in comitatu Sabaudie, ducatu Chablasii et Auguste, et marchionatu in Italia, et principatu, ac in omnibus universis et singulis civitatibus, villis, castris, oppidis, locis, hominibus, homagiis […].
Mit der Übertragung der Staatsverwaltung auf Bonne verließ sich der Graf von Savoyen auf die Formulierung, um die Dankbarkeit gegenüber seiner fructuosa et 2
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R. E. GIESEY, Le rôle méconnu de la loi salique. La succession royale, XIVe-XVIe siècles, Paris 2007. Obgleich von Philipp V. im Jahre 1317 festgesetzt, wurde der Ausschluss der Frauen aus der Erbfolge mit einer zusätzlichen und definitiven Bekräftigung in Frankreich in der Neuzeit zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert gefestigt: M. A. VISCEGLIA, Riti di corte e simboli della regalità. I regni d’Europa e del Mediterraneo dal Medioevo all’età moderna (Piccoli saggi 44), Rom 2009, S. 160. L. RIPART, Non est consuetum in comitatu sabaudie quod filia succedit patri in comitatu et possessione comitatus. Genèse de la coutume savoyarde de l’exclusion des filles, in: B. ANDENMATTEN / A. PARAVICINI BAGLIANI / E. PIBIRI (Hgg.), Pierre II de Savoie. Le Petit Charlemagne (Cahiers Lausannois d’histoire médiévale 27), Lausanne 2000, S. 295-331: S. 302. G. SERGI, Bona di Borbone, Contessa di Savoia, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 11, Rom 1969, S. 424-426.
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laudabilia servicia sibi facta fideliter et impensa in Worte zu fassen, indem er an erster Stelle als Ehemann der vertrauensvollen ehelichen Zusammenarbeit mit der Gattin Tribut zollte. Die testamentarische Designation seiner Ehefrau Bonne bestärkte die Idee der Herrschaft als privatem Familienbesitz. Dennoch vergaß er nicht, den überbrückenden Charakter und die Außergewöhnlichkeit dieser Regentschaft sowie den Ausschluss der Töchter von der Erbfolge festzuhalten: volens […] quod […] nunquam filie ad ipsius successionem vocentur.5 Acht Jahre später, im Jahr 1391, gebot der Tod des Sohnes und designierten Thronfolgers, Amadeus VII., dem Hof von Savoyen die Rückkehr zu einer erneuten Regentschaft von Bonne de Bourbon. Wie schon der Vater hatte auch Amadeus VII. das Testament benutzt, um seiner eigenen Mutter die Verwaltung des Staates und die Vormundschaft für seine beiden Kinder – Amadeus, der zukünftige Amadeus VIII., der zu dieser Zeit noch ein Kind war (geboren im Jahre 1383), und Bonne – anzuvertrauen. In diesem Fall obsiegte das Recht der Großmutter über das der Mutter, gemäß der justinianischen Gesetzgebung (in der Novelle 118).6 Doch der Ausschluss der Witwe Bonne de Berry von der Vormundschaft für ihre Kinder und von der Regierung setzte die regierende Bonne de Bourbon Beschuldigungen aus, sie habe ihren eigenen Sohn vergiften lassen.7 Daraus entstand eine derartige Instabilität, dass schließlich der Neffe und König von Frankreich, Karl VI., intervenieren musste. Im Jahre 1393 entsandte dieser die Herzöge von Bourgogne, von Orléans und von Berry nach Savoyen, welche ein Abkommen arrangierten, das der Bourbonin die Vormundschaft zusprach und die Regierung des Landes einem Regierungsrat übertrug.8 Dies geschah nach einer gemeinsamen Bewertung der Vormundschaft und der Regentschaft, die Karl VI. nur wenige Jahre später für das französische Reich mit der berühmten Anordnung aus dem Jahr 1407 festlegen würde.9 5
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ASTo (= Archivio di Stato di Torino, Sezione Corte), Materie politiche per rapporto all’interno, Testamenti, Mazzo 2.2, Fasc. 15; S. GUICHENON, Histoire généalogique de la royale maison de Savoie, 3 Bde., Turin 21780, t. 4, carte 219-220: “Ihre angenehmen Dienste vor Augen und ertragreichen und rühmenswerten Taten und Aufwendungen abwägend, vertrauensvoll an die vornehme Gattin, unsere viel geliebte Dame Bonne de Bourbon […] tut, will, befiehlt, ernennt und beschließt selbige Dame Bonne, zur wahren Herrin und Verwalterin und Nutznießerin der Grafschaft Savoyen, im Herzogtum Chablais und Aosta, im Markgrafentum und Fürstentum in Italien und über alle Städte, Gutshöfe, Burgen, Landstädte, Orte, Menschen […].” M. T. GUERRA MEDICI, Donne di governo nell’Europa moderna (Ius Nostrum. Studi e Testi 32), Rom 2005, S. 39 und Anm. 5. G. CARBONELLI, Gli ultimi giorni del Conte Rosso e i processi per la sua morte. Studio con documenti inediti (Biblioteca della Società Storica Subalpina 66), Pinerolo 1912. ASTo, Materie politiche per rapporto all’Interno, Tutele Reggenze Luogotenenze generali, Mazzo 1, Fasc. 6 Die Anordnung von 1407 bestätigte den Beginn der unmittelbaren Erbfolge (“le roi ne meurt jamais”: R. E. GIESEY, Le roi ne meurt jamais. Les obsèques royales dans la France de la Renaissance, Paris 1992) und setzte die gemeinschaftliche Regentschaft der Mutter, der blutsverwandten Prinzen und der ersten Ratgeber fest. F. COSANDEY, De la loi sa-
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Die Abhängigkeit von dem Testament des Ehemanns verbreitete sich allerdings nur begrenzt in den savoyischen Ländern in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, denn als der Tod der beiden Herzöge, wie beschrieben, die weibliche Regentschaft harschen Vorwürfen aussetzte, spornte dies wiederum dazu an, ein anderes Vorgehen zur Bestimmung und Ratifikation zu suchen. Bereits die Kontroverse um die Vormundschaft von Amadeus VIII. hat die Diskussion der Regentschaft in der Generalversammlung der Landesteile nördlich und südlich der Alpen als angebracht erscheinen lassen, die vom 14. bis zum 16. April 1393 in Chambéry zusammenkam.10 Es handelte sich um eine wichtige Präzedenz, auf welche die Politik Savoyens in den folgenden Jahrzehnten ihr Augenmerk richtete. Die Übertragung der Vormundschaft wurde im 15. Jahrhundert tatsächlich durch die Miteinbeziehung des Rates cum domino residens und der Versammlung der drei Stände bei solchen Themen dem exklusiven Bereich des ehelichen regimen entzogen, um sie dagegen den ersten Organen der Regierung und der Repräsentanz des Staates anzuvertrauen. Ohne die in der Geschichtsschreibung Savoyens im 19. Jahrhundert auf der Suche nach dem Ursprung des Parlamentarismus11 übliche Ideologie über zu betonen, bot dennoch die Erweiterung der Kompetenzen der Ständeversammlung eine Lösung für die Fragilität der dynastischen Erbfolge in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts.12
lique à la regence, le parcours singulier du pouvoir des reines, in: F. VARALLO (Hg.), In assenza del Re. Le reggenti dal XIV al XVII secolo: Piemonte ed Europa (Biblioteca dell’Archivum Romanicum, Serie I: Storia, letteratura, paleografia 354), Florenz 2008, S. 183-197: S. 187; DIES., La reine de France. Symbole et pouvoir, XVe-XVIIIe siècle (Bibliothèque des histoires), Paris 2000, S. 37. 10 G. CARBONELLI, Gli ultimi giorni del Conte Rosso (wie Anm. 7), S. 126; A. TALLONE, Parlamento sabaudo, VIII/II: Patria Oltramontana I (ca. 1120 - 1444) (R. Accademia dei Lincei. Atti delle Assemblee costituzionali italiane dal medioevo al 1831, I/V), Bologna 1935, S. CCCXLIX, 70-72; S. GUICHENON, Histoire généalogique (wie Anm. 5), IV, 240. 11 Ich beziehe mich hier im Besonderen auf den Juristen Ferdinando Dal Pozzo, vormaliger Minister des Inneren während der Regentschaft von Karl Albert im Jahre 1821 und acht Jahre später Verfasser eines Essays (Essai sur les anciennes assemblées nationales de la Savoie, du Piémont et des Pays qui y sont ou furent annexés [Bresse et Bugey, Pays de Vaud, Val d’Aoste, Monferrat etc.], I, Paris/Genève 1829), in welchem er die frühzeitige Einbeziehung der Ständeversammlung in die Regelung der Thronfolge und die Übertragung der Regentschaft vertrat; siehe dazu die Einschätzung von A. TALLONE, Parlamento sabaudo, I/I: Patria Cismontana (1286-1385) (R. Accademia dei Lincei, Atti delle Assemblee costituzionali italiane dal medioevo al 1831, I/V), Bologna 1928, p. XXVII, Anm. 4 und 5. 12 A. BARBERO, Il ducato di Savoia. Amministrazione e corte di uno stato franco-italiano (1416-1536), Rom/Bari 2002, S. 17-20; B. ANDENMATTEN / L. RIPART, Ultimes itinérances. Les sépultures des princes de la maison de Savoie entre Moyen Age et Renaissance, in: A. PARAVICINI BAGLIANI / E. PIBIRI / D. REYNARD (Hgg.), L’itinérance des seigneurs (XIVe-XVIe siècles) (Cahiers lausannois d’histoire médiévale 34), Lausanne 2003, S. 193248: S. 209-210.
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Wie bereits von Tallone13 und von De Vergottini14 dargelegt, bedingte die notwendige Inanspruchnahme einer weiblichen Stellvertretung die Ausweitung der Sonderrechte der Versammlung bei der Ratifikation der Regentschaft und der Vormundschaft über einen minderjährigen Prinzen, insbesondere von der Thronbesteigung des Herzogs Amadeus IX. an bis zur letzten Dekade des Jahrhunderts. Es konnte nicht anders sein: Die politische Rolle der Ständeversammlung, welche diese in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts angenommen hatte, musste eine Praxis einbeziehen – eben diese Übertragung der Regentschaft –, die nicht kodifiziert und ein leichtes Opfer für dynastische Streitigkeiten war und die infolgedessen eine immer feierlichere Sanktion benötigte. Die Übertragung der Vormundschaft verwandelte sich so von einem familiären Akt zu einem Staatsakt. Diese Entwicklung lässt sich von 1466 an beobachten, als Yolande von Frankreich und Herzogin von Savoyen auf Grund einer Erkrankung von Amadeus IX. die Regentschaft zum ersten Mal auf sich nahm, dann erneut im Jahr 1472 nach dessen Tod, eingesetzt noch vom Herzog selbst15, und schließlich im Jahr 1490, als der Tod von Karl I. auf dem selben Weg wiederum das Einsetzen einer weiblichen Regentschaft notwendig machte – dieses Mal war es die Herzogin Bianca von Montferrat. Da es keine präzise testamentarische Anweisung des verstorbenen Herzogs gab, übertrugen der ansässige herzogliche Rat und die Versammlung der Stände die Vormundschaft und die Regentschaft auf die Witwe, was sich auf eine sehr symbolische Art und Weise vollzog. Die Übertragung der Regentschaft verlagerte sich, wie gesagt, vom Privaten, also einer Angelegenheit des Prinzen und seiner ehelichen Verbindung, ins Öffentliche, wurde zu einer Angelegenheit des Staates und seiner repräsentativen Organe. Auf Grund dieser verfahrensrechtlichen Neuerung blieb die Zeremonie der acceptio tutele auf einer symbolischen und kommunikativen Ebene, welche die Tradition verlässlich nach außen vermittelt, und auf die mütterliche Funktion festgesetzt, die seitens der römisch-byzantinischen Legislation die einzige Rechtfertigung einer Ausnahme war und weiterhin sein sollte. Der Codex Theodosianus zuerst und später dann der des Justinian erkannten die Regentschaft als ein Recht der Mutter auf Vormundschaft über ihre Kinder an, vorausgesetzt, sie heiratete nicht erneut (sei es bezüglich eines ehelichen Paktes in der
13 A. TALLONE, Parlamento sabaudo, I/I (wie Anm. 11), S. CLXIV-CLXXXVII. 14 G. DE VERGOTTINI, Lezioni di storia del diritto pubblico italiano. Il diritto pubblico itali-
ano nei secoli XII-XV, Neudruck der dritten Auflage mit ergänzter Bibliographie, hg. v. C. DOLCINI, Mailand 1993, S. 482-483. 15 Die erste Regentschaft wurde ihr im Juni und Juli 1466 in Lausanne übertragen, als sich die Versammlung der Stände traf: A. TALLONE, Parlamento Sabaudo, IX/II: Patria oltramontana, II (1444-1536) (R. Accademia dei Lincei, Atti delle Assemblee costituzionali italiane dal medioevo al 1831, I/V), Bologna 1937, S. 278-279, Anm. (a). Anders als es wenige Jahre später der Fall gewesen wäre, ist es nicht möglich festzustellen, ob und von welcher Zeremonie die Übertragung dieser ersten Regentschaft begleitet worden war: DERS., Parlamento sabaudo, I/I (wie Anm. 11), S. CLXVI-CLXVII, Anm. 7.
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Tradition der concors und coadiutrix16 oder der Vormundschaft der verwitweten Mutter über den minderjährigen Erbfolger oder der acceptio tutele). Die jüngere Jurisprudenz hat sich nicht weit von dieser Tradition entfernt: Weder in Kastilien (wo die zweite der Siete Partidas – die gegen Ende des 13. Jahrhunderts verfasst und Alfonso dem Weisen zugeschrieben wurde – von der Regentschaft der Mutter an Stelle des minderjährigen Königs spricht17), noch in Frankreich, wo mit der Vormundschaft der Bianca von Kastilien über ihren Sohn Ludwig IX. in den selben Jahren das Thema der weiblichen Regentschaft die Aufmerksamkeit der Juristen weckte.18 Die juristische Beurteilung der Zulässigkeit dieses Zugangs der Mutter zur Macht wurde in jedem Fall als eine Ausnahme eingeschätzt, die im Lichte der natürlichen mütterlichen pietas für die Kinder gerechtfertigt wurde (die nächsten Verwandten der weiblichen Seite mit einbeziehend), und erklärte die allgemeine Norm nicht für ungültig, die dagegen den Frauen das Ausüben einer Vormundschaft auf Grund ihrer juristischen Unmündigkeit verbot: mulieribus enim nos interdicimus tutelae subire officium, nisi mater aut avia fuerint, wie man damals in der bereits erwähnten Novelle 118 lesen konnte.19 Ein solcher normativer Kontext erschien in den Ländern Savoyens als so hinreichend, dass er mindestens bis zum Ende des 17. Jahrhunderts keine weitere Definition des statum reginale erforderlich machte. Bevor man in der Geschichte Savoyens von einem “Jahrhundert der Regenten”20 sprechen kann, schaffte es die Figur der regierenden Fürstin nicht, sich einem ‘fließenden’ semantischen Feld zu entziehen, welches immer den Charakter einer Ausnahme und einer Abgrenzung zu den zur selben Zeit existierenden Formen der männlichen Regierung und Verwaltung der Macht unterstrich. Zu einer weiblichen, aristokrati-
16 C. G. MOR, Consors regni. La regina nel diritto pubblico italiano dei secoli IX-X, in: Archi-
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vio Giuridico 135 (1948), S. 7-28; P. DELOGU, Consors regni: un problema carolingio, in: Bullettino dell’Istituto storico italiano per il medio evo 76 (1964), S. 47-98. Das frühmittelalterliche Thema der consors regni bearbeiteten in jüngster Zeit vor allem: T. LAZZARI, Una mamma carolingia e una moglie supponide: percorsi femminili di legittimazione e potere nel regno italico, in: G. ISABELLA (Hg.), “C’era una volta un re…”. Aspetti e momenti della regalità, Bologna 2005, S. 41-57; und M. C. LA ROCCA, Consors regni: a problem of gender? The consortium between Amalasuntha and Theodahad in 534, in: J. L. NELSON / S. REYNOLDS / S. M. JOHNS (Hgg.), Gender and historiography. Studies in the earlier middle ages in honour of Pauline Stafford, London 2012, S. 127-143. Zur “collaborazione coniugale” im späten Mittelalter siehe: M. T. GUERRA MEDICI, Donne di governo nell’Europa moderna (wie Anm. 6), S. 97 und folgende. Vgl. ebd., S. 55-57. Ebd., S. 181-182. Novelle 118,5 im Codex Iustinianus: Ebd., S. 39. Bezugnehmend auf die “Madame Reali” in der Geschichte Savoyens: Marie Christine von Frankreich und Jeanne Baptiste von Nemours. M. A. VISCEGLIA, Politica e regalità femminile nell’Europa della prima età moderna. Qualche riflessione comparativa sul ruolo delle regine consorti, in: A. MEROLA / G. MUTO / E. VALERI / M. A. VISCEGLIA (Hgg.), Storia sociale e politica. Omaggio a Rosario Villari, Mailand 2007, S. 425-458: S. 456.
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schen Identität, die schwierig zu definieren ist21, kam eine semantische Ungreifbarkeit der Regentschaft, welche in vielen Fällen von einer institutionellen Fragilität symbolischer Mehrdeutigkeit begleitet und determiniert wurde. Sie konnte aber auch unerschlossene Räume für Initiativen öffnen: Diese erlaubten das Experimentieren mit Prozeduren für die Bekräftigung und die Ratifikation, die wir als politische Sprachen (linguaggi politici) klassifizieren. Selbige können wiederum als ein breitgefächertes Bedeutungsfeld verstanden werden, das mit der vielgliedrigen spätmittelalterlichen Kategorie der “littérature au miroir du prince”22 übereinstimmt. Mit anderen Worten ermöglichte das Fehlen einer soliden institutionellen Legitimation den weiblichen Regentinnen, Erfahrungen bei interpretativen und propagandistischen Bemühungen zu sammeln, was zu einer Entwicklung der Idee der Souveränität am Ende des Mittelalters führte: der “Manipulation des eigenen Bildes”.23. Diese manipulierte Selbstinszenierung, von welcher regierende Königinnen und Fürstinnen zwischen dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit Zeugnis ablegen, war eine Antwort auf den Bedarf nach der Legitimation, der Anerkennung und der Ratifikation ihrer Regentschaft. Es war eine Antwort auf die Notwendigkeit der Legitimation, der Anerkennung und der Ratifikation von diesen Regierenden, aber es wurde auch zu einer wesentlichen Voraussetzung für die Souveränität, der Künstler, Literaten und Intellektuelle ihre Werke widmeten. In dem Kontext, den wir nun beleuchten werden, kommt dies zum Ausdruck durch die Erarbeitung eines Rituals, welches auf die mise-enscène einer politisch-institutionellen Ordnung – stabil und undurchlässig für jene Neuerungen, die die zeitgenössischen Praktiken der Macht beinhalten – ausgerichtet ist.
21 Über die schwierige Identität einer “princesse en cette fin du Moyen Âge” siehe: A.-
H. ALLIROT, Filles de roy de France. Princesses royales, mémoire de saint Louis et conscience dynastique (de 1270 à la fin du XIVe siècle) (Culture et société médiévales 20), Turnhout 2010, S. 15. 22 Bezugnehmend auf diese breite Definition der “littérature politique”, welche es erlaubt “balayer […] une grande multitude de textes”: J.-P. GENET, Conclusion: la littérature au miroir du prince, in: F. LACHAUD / L. SCORDIA (Hgg.), Le Prince au miroir de la littérature politique de l’Antiquité aux Lumières, Rouen 2007, S. 405-423: S. 406, 415. 23 G. RICUPERATI, Einleitung, in: F. VARALLO (Hg.), In assenza del Re (wie Anm. 9), S. VXXII: S. IX-X.
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2. Yolande, Bianca und die symbolischen Ebenen der acceptio tutele Besonders die Aufmerksamkeit für den symbolischen Gehalt von weiblicher Souveränität bestärkte die neueste Forschung in der Analyse der sogenannten “Übergangsriten”, welche die Krönung, das entrée der Königin, die Geburt und die Taufe der Kinder sowie das Begräbnis als Schlüsselmomente einer weiblichen Dimension von Souveränität begreifen24. Nicht minder wichtig war die Übertragung der Regentschaft, welche der königlichen Gattin die Regierung des Staates zugestand – auch dort, wo Frauen formell von der Thronfolge ausgeschlossen waren. Visceglia schreibt dazu: “Lediglich die Regentschaft […] machte aus einer souveränen Gattin eine souveräne Herrscherin: der vorherrschende Ausschluss der Frauen von der dynastischen Erbfolge widersprach nicht dem Einsetzen von weiblichen Regentinnen, bedingt auch durch dynastische Umstände und angeheiratete Familienmitglieder.”25
Wenn die Geburten, Todesfälle, Hochzeiten, Krönungen und Einführungen der Fürsten immer mehr Gegenstand von Zeremonien und öffentliche Präsentationen wurden, die auf diese Weise zur Definition einer neuen Idee der Souveränität beitrugen, so kann nicht das gleiche für die Übertragung der Regentschaft an eine verwitwete Mutter gesagt werden.26 Bei diesen Zeremonien schloss auch die Königin, genauso wie der König, einen ‘Vertrag’, in dem sie sich den Prinzen, dem Klerus und dem Volk verpflichteten. Aber die normative Unbestimmtheit, welche das Phänomen der Regentschaften in Europa im 12. und 13. Jahrhundert charakterisierte27, erlaubte unterschiedlichen Interpretationen28, denen verschiedene Modalitäten der öffentlichen Präsentation entsprachen. Mit den Herzoginnen Yolande von Frankreich und Bianca von Montferrat bieten die Länder von Savoyen besonders prägnante Beispiele für eine solche Pluralität an möglichen Interpretationen und Repräsentationen. Das vierte Kind von Karl VII. und Maria von Anjou, Yolande von Frankreich, war Enkelin von Yolande von Aragon und Cousine der Königin von England, Margarete von Anjou, und daher vertraut mit weiblichen Erfahrungen von Souveränität, was ihre Interpretation der Regentschaft beeinflusst haben dürfte. 24 F. COSANDEY, La reine de France (wie Anm. 9), S. 364; M. A. VISCEGLIA, Riti di corte e
simboli della regalità (wie Anm. 2), S. 165-166.
25 DIES., Politica e regalità femminile (wie Anm. 20), S. 452, 453, 454. 26 Für das subalpine Gebiet des Staates von Savoyen siehe die Arbeit von L. C. GENTILE,
Riti ed emblemi. Processi di rappresentazione del potere principesco in area subalpina (XIII-XVI secc.) (Corti e principi fra Piemonte e Savoia 2), Turin 2008, vor allem S. 34, 47-49, 76. 27 E. VIENNOT, La France, les femmes et le pouvoir. L’invention de la loi salique (Ve-XVIe siècle), Perrin 2006, S. 424-426. 28 F. COSANDEY, La reine de France (wie Anm. 9), S. 318.
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Als älteste der überlebenden Töchter des Königspaares wurde sie im Alter von zwei Jahren Amadeus (dem späteren Amadeus IX.), dem Sohn von Ludwig von Savoyen und Anna von Zypern, versprochen. Im selben Jahr (1436) wurde die zukünftige Braut an den Hof von Savoyen gebracht, um im kulturellen und spirituellen Klima des Hofes von Amadeus VII. aufzuwachsen. Sechzehn Jahre später, im Jahre 1452, wurde die Hochzeit des Prinzenpaares gefeiert und 1465, nach dem Tod von Herzog Ludwig, übernahm Amadeus die Regierung des Herzogtums. Doch der Gesundheitszustand des Herzogs war Ursache dafür, dass die Regierung sogleich von Yolande übernommen wurde. Dabei behinderte sie jedoch ihr Schwager, Philipp von Bresse, der die Statthalterschaft übernehmen wollte. Um die eigene Vollmacht zu konsolidieren, bemühte sich die Herzogin im Mai und Juni 1466 um eine öffentliche Amtseinführung, indem sie die Versammlung der Stände um eine Ratifikation der Regentschaft bat29. Die Versammlung übernahm in Folge dessen eine politische Rolle, die nicht zur ursprünglichen Funktion dieses Organs gehörte – die eigentliche Aufgabe war die Erörterung der finanziellen Anliegen des Herzogs.30 Eine ähnliche Prozedur setzte sich in Frankreich mit der Präsentation der Regentin vor den Generalständen durch, welche das Parlament zu Beginn des folgenden Jahrhunderts ersetzen sollten.31 Im Herzogtum Savoyen hatte der Tod des Herzogs im Jahre 1472 den Konflikt zwischen der Regentin und Philipp wieder entfacht, weil man von dem Recht Gebrauch machte, mit dem Amadeus IX. einige Monate vor seinem Tod (10. September 1471) einen Generalstatthalter für alle Länder eingesetzt hatte.32 Es bestand also eine äußerst dringliche Notwendigkeit für die Herzogin, ihre Regentschaft öffentlich zu ratifizieren. Auf diese mise-en-scène lohnt es sich, nun ein genaues Augenmerk zu richten.33 Die Versammlung der drei Stände wurde am 13. April 1472 im Schloss von Vercelli eröffnet, wo man über die Übertragung der Vormundschaft an die Herzogin von Savoyen verhandelte. Dennoch schrieben die Abgesandten Mailands 29 F.-C. UGINET, Iolanda di Francia, duchessa di Savoia, in: Dizionario Biografico degli Ita-
liani, Bd. 62, Rom 2004, S. 549-553.
30 A. BARBERO, Il ducato di Savoia (wie Anm. 12), S. 18. 31 F. COSANDEY, La reine de France (wie Anm. 9), S. 308-309. 32 ASTo, Materie politiche per rapporto all’Interno, Tutele Reggenze Luogotenenze genera-
li, Mazzo 1, Fasc. 13.
33 Der originale Wortlaut der Zeremonie findet sich in: ASTo, Materie politiche per rappor-
to all’interno, Tutele Reggenze Luogotenenze generali, Mazzo 1, Fasc. 14. Der Text wurde dann publiziert von A. TALLONE, Parlamento Sabaudo IV/I: Patria Cismontana IV (1458-1472) (R. Accademia dei Lincei. Atti delle Assemblee costituzionali italiane dal medioevo al 1831, I/V), Bologna 1931, S. 430-433, doc. MMCXC; vorher von F. SCLOPIS, Degli stati generali e d’altre istituzioni politiche del Piemonte e della Savoia. Saggio storico corredato di documenti, Turin 1851, S. 123-125 und von L. MÉNABRÉA, Chroniques de Yolande de France, duchesse de Savoye, soeur de Louis XI. Documents inédits (Document de l’Académie Impériale de Savoie 1), Chambéry 1859, S. 295-300. Eine neue Edition jetzt in: L. GAFFURI, Lo statum reginale tra distinzione ed eccezione (wie Anm. *), S. 148-152, Appendice I.
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noch am 14. April an Galeazzo Maria Sforza und beklagten sich darüber, dass, obwohl bereits die Mehrheit der Repräsentanten der drei Stände anwesend sei, die Gespräche dennoch still standen. Die Ungeduld der mailändischen Abgesandten und mit ihr die der Sforza hängt mit der Tatsache zusammen, dass die Versammlung auch das am 13. Juli des Vorjahres vereinbarte Bündnis mit dem Herzog von Mailand ratifizieren sollte, das von den Herzögen von Savoyen bereits am 5. Oktober bestätigt worden war.34 Die Wichtigkeit dieser Ratifizierung hatte Galeazzo dazu bewegt, darauf zu bestehen, dass sich die Versammlung in Vercelli traf und nicht in Turin, wie von Yolande vorgesehen, “weil Turin in der Mitte ihres Herrschaftsbereiches lag” (perché Turino era nel mezo del dominio suo). Den Druck, den der Herzog von Mailand dagegen auf die eigenen Abgesandten ausübte, brachte schließlich auch die Herzogin dazu, die Versammlung in Vercelli35 einzuberufen, wegen der Gefahr, sich nach Turin zu begeben – einer Gefahr, von welcher der Herzogin bewusst war, dass diese für sie und ihre Kinder eintreten konnte (per il pericolo che quella conosceva potere intervenire per ley et per soi figlioli).36 Als die Versammlung dann endlich zusammen gekommen war, konnte dennoch keine Beschlussfassung bezüglich der Regierung des Staates oder, genauer, bezüglich der Übertragung der Regentschaft und des Treueschwurs an den Herzog Filiberto vorangebracht werden37: “dieser Hof verfügt über eine große Vielfalt an Meinungen, auch was die Ernennung besagter Dame als Beschützerin der drei Stände betrifft” (questa corte è molto longa per la varietà dell’opinione loro et anche per non essere questa madama declarata tutrice per li Tre Stati),38 wie die Mailänder Abgesandten feststellten. Erst am 15. April stimmte die Herzogin zu, die Regentschaft im Namen ihres Sohnes auszuüben.39 Auf diese Weise gab sie die Arbeit der Versammlung frei. Die Wartezeit von drei Tagen ist ein wichtiger Teil dieses Zeremoniells der acceptio tutele. Im unteren Saal des Schlosses von Vercelli wurde vor dem Bischof Urbano Bonivardi, dem Rat cum domino residens und vor den drei Ständen der cismontanen Heimat die Anfrage an die Herzogin gerichtet, sowohl öffentlich als auch privat, ob sie die Vormundschaft akzeptiere: Den Anfragen des Rates und der Stände schlossen sich die exhortation(es) atque requisition(es) der Abgesandten des Herzogs von Mailands an und sprachen summa cum instantia und mit lauter Stimme vor der öffentlichen Versammlung (vive vocis oraculo in publica concione predicta 34 A. TALLONE, Parlamento Sabaudo (wie Anm. 33), S. 414-416, doc. MMCLXXI. 35 Ebd., S. 417, doc. MMCLXXIII. 36 Ebd., S. 422-424, doc. MMCLXXXI. Besonderen Nachdruck bezüglich der Gefahr der
Reise Yolandes nach Turin verleiht Antonio d’Appiano in dem Brief an Galeazzo Maria Sforza am 3. April 1472: […] et chi la consigliava andare a Turino l’ingannava et tradiva, et fecegli tochare cum mane la ruyna del suo stato andando là (ebd., S. 424-425, doc. MMCLXXXII). 37 Ebd., S. 424-425, doc. MMCLXXXII: […] in queste parti la principale solennità che se fa è zurare fidelità in le mani sue; et questo si farà giunti che siano a Turino, dove verano li Tri Stati et li zentilhomini a zurare fidelità. 38 Ebd., S. 428, doc. MMCLXXXVII. 39 Ebd., S. 430-433, doc. MMCXC.
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rogantes et requirentes) und mit ihnen die preces […] multorum illustrium et magnificorum virorum. Obwohl der Text von mult(e) et vari(e) raciones, die von den Anwesenden zur Unterstützung der Anfrage genutzt wurden40, spricht, war das Argument, das am Ende den Willen der Herzogin beugte (flectit), vor allem eines: actento quod lex confidens de matribus tutelam filiorum pre ceteris illis detulit.41 Die Übertragung der Vormundschaft erfolgte somit in einem alten normativen Kontext, der das Gewicht auf das natürliche Band zwischen einer Mutter und den Kindern legt: Verisimile est et ipsi fermiter tenent quod iustius, benignius, et humanius ipsi, qui sunt subditi prelibati illustrissimi domini nostri ducis eius filii, per eam cuius virtutes, bonitatem, prudentiam, benignitatem, iusticiam, equitatem ab experto noverunt tractabuntur et gubernabuntur […].42
Die moralischen Tugenden der Herzogin sind essentiell, da sie als Mutter ihre Kinder mehr als sich selbst liebt (que mater est et magis filios suos diligit quam se ipsam), und aus dieser mütterlichen Liebe entspringt die Liebe für die Untertanen, die nicht der Herzogin, sondern sich selbst gehören, und für die materiellen Güter, die gleichermaßen nicht die ihren, sondern die der Untertanen sind: […] et consequenter eorum subditos statum, bona et utilitates pre ceteris cordi, cure et amori habet.
Dies sind die Argumente, die den Willen der Herzogin beugten: Die mütterliche Liebe (cum nullus amor superet paternum et maternum) und die dilectio, zusammen mit der Angst Gott zu beleidigen, wenn sie die Vormundschaft über die Kinder nicht angenommen hätte, zu der sie im Übrigen kein Gesetz zwang: de iure non teneatur assumere tutelam nisi velit. Das Schweigen des ius steht im Einklang mit dem Naturgesetz, wonach sich die Mutter aus Liebe zu ihren Kindern unterordnet. In diesem Zusammenhang sind die normativen Bestandteile der Vormundschaftsübergabe genau die gleichen wie beim Anvertrauen der außerordentlichen Verwaltung von fremden Gütern, für welche die Herzogin zu gegebener Zeit Rede und Antwort stehen und auch eine Aufstellung der verwalteten Güter abfassen musste – all dies allerdings nicht ohne den Verzicht auf weitere Heiraten. Einige Jahre später wies die Übertragung der Vormundschaft auf Bianca von Montferrat wichtige Unterschiede auf. Die Prinzessin von Montferrat, Tochter von Wilhelm VII. Palaiologos und von Elisabetta Sforza, heiratete im Jahr 1483 Karl I. von Savoyen. Die beiden Kinder, Yolande Ludovica und Karl Johann Amadeus, wurden in den darauffolgenden Jahren geboren. Doch am 14. März 40 Ebd.: […] propter quas regimen, tutelam et gubernium personarum et bonorum […] suscipere non recu-
saret.
41 Ebd. 42 Ebd.: “Es ist wahrscheinlich und diejenigen, die dem erhabenen Herrn unserem Herzog
und seinem Sohn untertan sind, sind überzeugt, dass sie von ihr gerechter, gnädiger und menschlicher behandelt würden, als von jedem anderen, ihr, von der sie die Tugend, die Güte, die Weisheit, das gute Herz, die Gerechtigkeit und die Unparteilichkeit kannten.”
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1490 starb Herzog Karl I. in Pinerolo, ohne ein Testament verfasst zu haben.43 Anders als bei Yolande von Frankreich war Bianca von Montferrat die Regentschaft in zwei Phasen übertragen worden: Am 20. März vom Rat cum domino residens, der sich im Schloss von Pinerolo versammelt hatte, wo die Leiche des Herzogs aufgebahrt war, und von der Versammlung der Stände im Zeitraum vom 6. bis zum 16. April.44 Die Rolle des Rates cum domino war unbestritten relevant gegenüber der Versammlung, die in diesem Fall ausschließlich die Funktion der Kenntnisnahme und der Ratifikation übernahm. Indes wickelte man in der ersten Sitzung vor dem Rat die Zeremonie mit einer ähnlichen Prozedur ab, wie sie bei der Herzogin Yolande vollzogen wurde, jedoch mit weniger Feierlichkeit. Das Protokoll dokumentiert die verschiedenen Momente der Zeremonie mit einer viel nüchterneren Sprache: Die Bezugnahme auf das Gesetz, das die Mutter als Vormund der Kinder anerkennt, die Anfrage des Rates an die Mutter (eidem illustrissime domine nostre ducisse humiliter supplicarunt), die Wartezeit (prehabita diligenti inquisicione per temporis intervallum prout et quemadmodum in similibus fieri convenit et consuevit), die Beurteilung der Fürstin (Aufrichtigkeit, Schönheit, Reinheit und beste Sitten sind die Gaben von Bianca, die, erst zwanzigjährig, in Bezug auf die Tugend, den Fleiß und die Weisheit mit einer Vierzigjährigen verglichen wurde), und schließlich die Antwort, die sie wie einen Akt des Zuhörens und Gehorchens gegenüber der Autorität des Rates präsentierte (cuius iudicium parere, actendere et sequi volens). Trotz dieser offensichtlichen Unterschiede dokumentiert die kommunikative Ebene beider Zeremonien eine Idee von weiblicher Souveränität, gemessen an den Parametern einer Besonderheit und einer persönlichen Auszeichnung. In beiden Akten wurde die weibliche Fähigkeit oder Unfähigkeit zum Verwalten und Regieren als Folge aus dem Verhalten der Mutter bei der Obhut der Kinder und, im weiteren Sinne, der Untergebenen, abgeleitet. Um diese führende Rolle auszufüllen, ist nicht hauptsächlich die Berufung auf die Legalität des Prozederes (die im übrigen, wie wir bereits erwähnt haben, nicht festgelegt waren) ausschlaggebend, sondern auch die Rhetorik des Hofes, die absichtlich jeden Bezug der Regentin zu einer vis ausschließt und damit das Paradoxon überwindet, die Regierung an jemanden ohne ein Anrecht darauf zu übertragen. Die Zielsetzung besteht darin, die Vormundschaft von der aktiven Machtausübung zu trennen, welche ein männliches Vorrecht blieb. Zwischen der aktiven und passiven Dimension, zwischen dem Ausführen des Befehls und der Disziplin oder der Hal43 A. GORIA, Bianca di Monferrato, duchessa di Savoia, in: Dizionario Biografico degli Ita-
liani, Bd. 10, Rom 1968, S. 16-18.
44 Den originalen Wortlaut der acceptio findet man in: ASTo, Materie politiche per rapporto
all’interno, Tutele Reggenze Luogotenenze generali, Mazzo 1, Fasc. 16; ediert bei: A. TALLONE, Parlamento Sabaudo (wie Anm. 33), S. 1-3, doc. MMDCXCVII, und bei F. SCLOPIS, Degli stati generali e d’altre istituzioni politiche (wie Anm. 33), S. 185-187 und jetzt auch in L. GAFFURI, Lo statum reginale tra distinzione ed eccezione (wie Anm. *), S. 153-156, Appendice II.
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tung der Untergebenheit45, verband die Rhetorik des Hofes problemlos die weibliche Rolle mit diesem zweiten Gesichtspunkt.
3. Erziehung des Prinzen und Regierung des Staates Neben diesen gemeinsamen Elementen, die scheinbar die Festigung einer Prozedur dokumentieren, gibt es dennoch einen relevanten Unterschied bei der Regentschaft von Yolande von Savoyen bis zum Moment der Machtübertragung – dieses Phänomen blieb im 15. Jahrhundert in Savoyen einzigartig. Während der Inhalt der acceptio im Falle der Herzogin Bianca lediglich von der Vormundschaft über den minderjährigen Herzog und von der Verwaltung ihrer Länder spricht, nimmt der Text im Falle Yolandes explizit Bezug auf die Regierung und das regimen: […] rogata et persuasa tribus diebus continuis in publica concione dictorum Trium Statuum ac eciam privata instanter et instantissime super acceptatione gubernii et regiminis.46
Daraus gehen die besondere mise-en-scène dieser Zeremonie und ihr symbolischer Gehalt hervor: Auf der einen Seite präsentiert sich die Herzogin vor der Versammlung in ihrer dunklen Witwentracht (in obscuro habitu viduali) und gibt ihre Einwilligung nur aus Liebe zu den eigenen Kindern, nachdem sie von den wichtigsten Vertretern der Stände eine aufreibende Wartezeit erzwungen hatte. Auf der anderen Seite stellt sie sich über alle Anwesenden und setzt ihren eigenen Rang als erstgeborene Tochter des Königs von Frankreich, Karls VII. (Karoli septimi Francorum regis primogenita), vor den Rang als Witwe des Herzogs von Savoyen (relictaque uxor […] Amedei Sabaudie ducis nuper deffuncti). Der Gebrauch des Titels “Tochter und Schwester der Könige von Frankreich” (“fillie et seur ‘des roys’ de France”; primogenita et soror cristianissimorum Francie ‘Regum’) ist nicht einmalig, sondern wird konstant bei allen Amtshandlungen der Herzogin von Savoyen im Laufe ihres regimen auftreten. Der Titel war im 13. Jahrhundert entstanden, um die Nebenlinie am kapetingischen Hof von Ludwig IX. und Bianca von Kastilien zu definieren. Er wurde im 14. Jahrhundert auf die Töchter übertragen (besonders auf die Witwen), um einen Kontrapunkt zum Aus-
45 Über die Polarität zwischen diesen zwei Ebenen in den Mechanismen der Staatslegitima-
tion zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit vgl. P. SCHIERA, Legittimità, disciplina, istituzioni: tre presupposti per la nascita dello Stato moderno, in: G. CHITTOLINI / A. MOLHO / P. SCHIERA (Hgg.), Origini dello Stato. Processi di formazione statale in Italia fra medioevo ed età moderna (Annali dell’Istituto Storico italo-germanico 39), Bologna 1994, S. 17-48. 46 ASTo, Materie politiche per rapporto all’interno, Tutele Reggenze Luogotenenze generali, Mazzo 1, Fasc. 14; ediert bei: A. TALLONE, Parlamento Sabaudo (wie Anm. 33), S. 431.
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schluss von der Thronfolge zu schaffen.47 Der Wechsel vom Singular zum Plural, wie er für die Kanzlei Savoyens während der Regentschaft von Yolande dokumentiert ist, stellt ferner einen semantischen Übergang von der Verwandtschaft zum Geschlecht heraus und drückt das Bewusstsein der Herzogin von Savoyen aus, einer königlichen Linie anzugehören. Damit pflichtet sie selbst der Legitimation ihrer Übernahme der Regentschaft bei und betont einen ‘beigeordneten Wert’: Anders als die gebürtigen Prinzen (im Besonderen Philipp von Bresse) konnte sie alleine dem jungen Herzog Filiberto, und damit dem Herzogtum von Savoyen, die grundlegenden Werte einer großen Monarchie vermitteln. Das Oxymoron der Demut einer Witwe und der dynastischen Größe, das die ganze Situation mit zwei Extremen artikuliert, bestimmt im Falle der Herzogin von Savoyen die symbolische Ebene der gesamten Zeremonie der acceptio tutele et regiminis. Aus dem Bericht der Abgesandten Mailands an Herzog Galeazzo wissen wir, dass die Sitzung am 15. April bereits auch eine Sitzung der Regierung war48: Die Herzogin zeigte sich in Begleitung des Herzogs Filiberto und der anderen vier Kinder. Sie brachte, nach der Aussage des Bischofs von Vercelli, den Anwesenden einige Gesuche vor. Unter diesen war die Anfrage nach einer Ratifikation des vereinbarten Bündnisses mit den Sforza, an dem vor allem die Abgesandten interessiert waren. Im Protokoll war natürlich kein Platz für diese Information, welche der Zeremonie fremd bleiben musste. Auch als die Witwe mit der Vormundschaft die Regierung des Staates übernahm, behielt die Übernahme der Regentschaft dennoch die Bedeutung eines Opfers, das die Mutter für ihre Kinder auf sich nimmt, wohl um die Grenzen der eigenen Fähigkeit wissend (pro posse suo) und keine Mühen scheuend (non vigiliis parcendo neque laboribus).49 Eine Regierungsübernahme mit “Bescheidenheit” und “Mühe” ist und bleibt ein Topos, wie die Rede von Giovanni Rondinelli aus dem Jahr 1588 im Gedenken an Caterina de Medici, Königin von Frankreich, aufzeigt.50 Das Vorherrschen einer Sprache der Zuneigung bewirkt es, die Regentin in eine der – von Barbara H. Rosenwein so genannten – “sepa-
47 Die Benutzung des Titels vom kapetingischen Hof begleitet den Prozess des Ausschlus-
ses der Töchter von der Erbfolge und betrifft vor allem die Witwen: “Ces princesses, détentrices d’une autorité au nom de leurs fils, puis d’un patrimoine en tant que douairières, ont souvent besoin de défendre leur droits. Cette titulature leur permet de revendiquer un rang lié au sang plus qu’au mariage”: A.-H. ALLIROT, Filles de roy de France (wie Anm. 21), S. 62. Auch die “Madama Reale” Christine von Bourbon bediente sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts des Titels “Fille de France”: M. A. VISCEGLIA, Politica e regalità femminile (wie Anm. 20), S. 205. 48 A. TALLONE, Parlamento Sabaudo (wie Anm. 33), S. 433-434, doc. MMCXCI. 49 ASTo, Materie politiche per rapporto all’interno, Tutele Reggenze Luogotenenze generali, Mazzo 1, Fasc. 14; A. TALLONE, Parlamento Sabaudo (wie Anm. 33). 50 M. A. VISCEGLIA, Riti di corte e simboli della regalità (wie Anm. 2), S. 202.
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rate emotional communities” einzubinden,51 die den Kern des Auftrages beschönigt, und gibt ihm dieses “saper governare le facoltà del marito e la casa sua e i figlioli”52 wieder, welches lange den einzigen Bereich dargestellt hatte, der den Frauen als Handlungsspielraum zugestanden wurde. Die fehlende Aktualisierung besagter Definitionen konnte lange auf eine Literatur bauen, die unerschütterlich an den Themen der Unfähigkeit (militärisch und juristisch) der Frauen und ihrer ‘natürlichen Schwachheit’ festhielt, die der ‘vertu mâle’, welche die Politik fordert, gegenübergestellt wurde.53 Im 13. Jahrhundert hatten die wichtigsten Intellektuellen der Mendikantenorden keine Zweifel an der Distanz der Frauen zur Macht: Das Kapitel VI des vierten Buches der Schrift De regimine principum von Thomas von Aquin vergleicht das weibliche proprium mit dem quiescere in domo und mit der curam gerere rei familiaris: […] in gubernatione suae familiae proprius actus est mulieris, sive in nutritione filiorum, sive in honestate servanda in domo, sive in provisione victualium, weil natura mulieris est a viro pati, et non agere. Und gemäß dem Recht der Erbfolge hielt Aegidius Romanus den Ausschluss der Frauen von der Thronfolge auf Grund der invalida complexio des weiblichen Geschlechts für gerechtfertigt. Wenn das Aufeinandertreffen von christlicher humilitas und königlicher dignitas das Modell war, das sich den Frauen der europäischen Aristokratie im Frühmittelalter anbot54, so war die Richtung, welche die Mendikanten ihren Anhängern vorgaben, der Verzicht auf die Macht55. Vor allem wenn sie kinderlos war, wurde der Witwe eines Fürsten empfohlen, in ein Kloster einzutreten, wie zum Beispiel Elisabeth von Ungarn (Gemahlin des Landgrafen von Thüringen) oder – im Gebiet von Savoyen – Bonne von Savoyen, Witwe Ludwigs von Achaia. Ein weiteres Beispiel ist die Tochter von Yolande von Savoyen, Louise, die, nachdem sie Hugo von Châlon geheiratet hatte und 1490 schließlich zu einer kinderlosen Witwe geworden war, dem Orden der Heiligen Klara im Konvent von Orbe in Vaud beigetreten war (in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sollte sie von Papst Gregor XVI. seliggesprochen werden). Zur Bestärkung solchen Verhaltens erblühte ein Pantheon an weiblichen Beispielen56. Die Brüder der Mendikantenorden trugen diese Modelle an die europäischen Höfe, damit sie den weiblichen Majestäten 51 B. H. ROSENWEIN, Worrying about Emotions in History, in: The American Historical
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53 54 55 56
Review 107 (2002) S. 821-845, hier S. 844 (online verfügbar unter http://rm.univr.it/ biblioteca/scaffale/r.htm#Barbara%20H.%20Rosenwein [letzter Aufruf am 20.12.2013]). So Baldassarre Castiglione in seinem Cortigiano (III 2.27; III 5); zitiert nach A. QUONDAM, Castiglione e la “donna di Palazzo”, in: F. VARALLO (Hg.), In assenza del Re (wie Anm. 9), S. 109-138: S. 118, Anm. 11. M. A. VISCEGLIA, Politica e regalità femminile (wie Anm. 20), S. 455. C. THIELLET, Femmes, reines et saintes (Ve-XIe siècles) (Cultures et civilisations médiévales 28), Paris 2004, S. 340-342. G. KLANICZAY, Holy rulers and blessed princesses. Dynastic cults in medieval central Europe, Cambridge 2002, S. 195ff. Ebd.
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einen Sinn und eine Einordnung der Grenzen der Macht vermittelten. Aber zwischen dem 14. und 15. Jahrhundert wuchs das Bedürfnis vieler Regentinnen, die Legitimität der eigenen Regierungen zu bestärken – dies taten sie auch, indem sie eine andere Art der Selbstdarstellung herausbildeten. Dies trug zur Entstehung eines wahren und eigenen Pantheons an weiblichen Vorbildern bei, die aus der biblischen Tradition oder aus Katalogen berühmter Frauen der antiken Welt stammten. Ganz im Zeichen des Humanismus und der Renaissance finden sich daher viele Nachahmer des Werks De mulieribus claris von Giovanni Boccaccio. Oftmals wurden bei Aufzählungen von berühmten Männern diese von mulieres illustres flankiert. Dies ist zum Beispiel im catalogus mulierum illustrium im Werk Italia illustrata von Biondo Flavio der Fall, welches im Auftrag von Alfonso von Aragon im Jahre 1447 entstand. Ein weiteres Beispiel ist De mulieribus admirandis von Antonio Cornazzano, das Bianca Maria Visconti gewidmet war, der Witwe von Francesco Sforza und Regentin von Mailand für ihren Sohn Galeazzo, sowie das Werk desselben Autors mit dem Titel Modo di reggere e regnare, verfasst zwischen 1478 und 1480. Diese Schrift war Eleonora von Aragon, der Gattin des Herzogs Ercole I. d’Este, und deren Sohn und zukünftigen Herzog Alfonso gewidmet.57 Gerade am Hofe der Valois in Frankreich gab es eine große Fülle an Texten, die nicht nur an die Männer, sondern auch an die Frauen des Hofes adressiert waren. Die Frage nach der Legitimität der Linie der Valois rechtfertigte, dass die Angehörigen dieser Dynastie eine stattliche Anzahl an literarischen und künstlerischen Werken in Auftrag gaben, um die Kontinuität der Linie der Kapetinger zu demonstrieren.58 Für Karl VI. sind Werke geschrieben worden wie der Songe du Vieil Pèlerin (1389) von Philippe de Mézières59 oder das Speculum morale regium (1427) von dem dominikanischen magister Robert Gervais. Letzteres entstand in Fortsetzung und Tradition der Traktate aus dem 13. Jahrhundert von Hélinand de Froidmont (De bono regimine principis60), von Gilbert de Tournai (Eruditio regum et principum) und von Vincent de Beauvais (das Speculum historiale, welches der Dominikaner König Ludwig IX. widmete, dem Auftraggeber des Werks). Aber am Hofe Karls VI. gab es auch wichtige Reflexionen 57 P. PONTARI, Un Catalogus Mulierum Illustrium nell’ Italia illustrata di Biondo Flavio?, in:
F. VARALLO (Hg.), In assenza del re (wie Anm. 9), S. 35-56; S. MARCUCCI, Le “Donne illustri” nel De mulieribus admirandis di Antonio Cornazzano, in: ebd., S. 57-108. 58 Diesbezüglich siehe die Ausführungen von Allirot bezüglich “la légitimité des Valois dans quelques manuscrits destinés aux dames” (A.-H. ALLIROT, Filles de roy de France [wie Anm. 21], S. 463-510). 59 J. KRYNEN, Idéal du prince et pouvoir royal en France à la fin du Moyen Age (13801440). Étude de la littérature politique du temps. Avant-propos de B. Guenée, Paris 1981, S. 140 mit den Anmerkungen 314 und 316. 60 DERS., Du bon usage des “Leges”. Le droit savant dans le De bono regimine principis d’Hélinand de Froidmont (1210), in: A. DE BENEDICTIS (Hg.), Specula principum (Ius commune, Sonderhefte: Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 117), Frankfurt a. M. 1999, S. 159-170: S. 169-170.
Eine Definition der weiblichen Regentschaft im Herzogtum Savoyen
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über den statum reginale. Christine von Pizan (das Livre de la Cité des Dames und das Livre des trois vertus) lehrte die Prinzessinnen des Hofes und die Königin, Isabeau von Bayern, die Pflichten gegenüber Gott, der Familie und der Gesellschaft (allerdings nicht ohne den Einfluss der Predigten an die Damen des Hofes von Jean Gerson, wie die Studien von Lori J. Walters zeigen61). Den Damen dieser französischen Dynastie, unter ihnen Johanna von Burgund, war auch das Livre royal von Jean de Chavenges bekannt. Des Weiteren las man die französischen Übersetzungen von Werken wie dem Ludus scacchorum des Dominikaners aus Asti, Jacobus de Cessolis, oder dem Speculum dominarum des Franziskaners Durand de Champagne, Beichtvater von Johanna von Navarra, der Gattin von Philipp IV. dem Schönen.62 Das Vorbild, das der Großteil dieser Texte – oftmals in Anlehnung an die Figuren der Königinnen des Alten Testaments – den Prinzessinnen am Hofe vor Augen hielt, war vor allem das der weisen Ratgeberin des Königs, der Beschützerin und Garantin des Seelenheils am Hofe. Dies geschah durch ihre Gebete, ihre Ergebenheit und den Kult um die Reliquien: Ihre mütterliche Fruchtbarkeit musste in eine spirituelle übergehen, was durch ihre Verpflichtung, Tugenden und Wissen an die Kinder und vor allem an den Thronerben weiterzugeben, realisiert wurde.63 Die Regierung des Staates musste sich also manchmal Initiativen zuwenden, welche die Rolle der Regentin als mater und nutrix bekräftigten: Im Falle Yolandes von Frankreich gab es zahlreiche Initiativen der Herzogin, um die Hagiographie64, die Geschichtsschreibung der Dynastie von Savoyen65 und die Erziehung des Sohnes Filiberto66 zu stärken. Dies geschah nach einem Modell zum Benehmen der aristokratischen Frau, das man in den gleichen Jahren auch am Hofe Frankreichs finden konnte und das im Begriff war, sich an die meisten europäischen Höfe zu verbreiten. Es ist bemerkenswert, wie hervorragend die Vervielfältigung der Instrumente der Legitimation war – eine Konsequenz aus der semantischen Leere der weiblichen Regentschaft. 61 L. J. WALTERS, The Royal Vernacular: Poet and Patron in Christine de Pizan’s Charles V
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and the Sept Psaumes allégorisés, in: R. BLUMENFELD-KOSINSKI / D. ROBERTSON / N. WARREN (Hgg.), The Vernacular Spirit. Essays on Medieval Religious Literature (The New Middle Ages), New York 2002, S. 145-182. A.-H. ALLIROT, Filles de roy de France (wie Anm. 21), S. 493 und ff. Ebd., S. 500-502. Zur Funktion der Hagiographie als dynastisches Propagandamittel siehe: G. KLANICZAY, Holy rulers and blessed princesses (wie Anm. 54), S. 295 und ff. das Kapitel über “The cult of dynastic saints as propaganda”. Eine offiziöse Geschichte der Dynastie stammt von Perrinet Dupin, Sekretär und Chronist der Herzogin Yolande; vgl. A. BARBERO, Il ducato di Savoia (wie Anm. 12), S. 184195. Auf den Tractatus moralis ad erudiendum principem Philibertum Sabaudie ducem machte Gustavo Vinay in den 1930er Jahren aufmerksam (G. VINAY, L’umanesimo subalpino nel sec. XV. Studi e Ricerche [Biblioteca della Società storica subalpina 148], Turin 1935, S. 16-19).
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Da sie sich nicht mit einer eigenen, rechtlich anerkannten Souveränität identifizieren konnten, bewirkten die weiblichen Vertreterinnen in der Regierung einen ‘Überschuss’ an Legitimation durch eine Vielfalt an Initiativen, in denen sich der honor der Abstammungslinie und ihr eigenes Andenken spiegelten. Es handelte sich dabei nicht um eine “von der Macht getrennte” Rolle. Wenn die Anordnung aus dem Jahre 1407 zwischen der Erziehung des Prinzen und der Regierung des Staates, zwischen der Vormundschaft und der Regentschaft differenzierte, gelangten die Fürstinnen aus Frankreich als Mütter und Erzieherinnen des Thronerben zur Macht – Verwahrerinnen und Hüterinnen der dynastischen Memoria und auch Vorbild der Perfektion, das die individuelle Dimension überschritt und dessen allgemeingültigen sozialen Werte auf den Hof und auf den ganzen Staat zurückfielen. * Es ist nicht übertrieben, dem Ritual der acceptio tutele et regiminis von Yolande die Absicht zuzuschreiben, dieses eigene Bewusstsein von einer weiblichen Souveränität darstellen zu wollen. Auch wenn die Bedingungen sehr schwierig waren, begann die Regentschaft von Yolande von Savoyen auf der einen Seite der Alpen und reichte schließlich nach dem Tod des Königs, ihres Bruders Ludwig XI., bis nach Frankreich: Oder besser gesagt, die Erziehung des Dauphin und die Regierung des Staates konzentrierten sich in den Händen einer Frau (mit Anna von Beaujeu und Louise von Savoyen).67
67 F. COSANDEY, La reine de France (wie Anm. 9), S. 296-301.
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Zur Technik genealogischer Konstruktionen Als Napoleon Bonaparte einmal mit einem Vertreter des römischen Adelsgeschlechts Colonna zusammentraf, fragte er ihn, ob es stimme, dass seine Familie von Cäsar abstamme. Der Colonna antwortete ihm, er könne dies nicht beweisen, aber das Gerücht hielte sich bereits seit über 1800 Jahren. Mit dieser hübschen, in verschiedenen Varianten überlieferten Anekdote möchte ich von vorneherein verdeutlichen, dass ein ganz bestimmter Aspekt der Genealogie nicht im Mittelpunkt meiner Ausführungen1 stehen wird: Es wird mir nicht um aszendente Stammbäume gehen, die von einer zeitgenössischen Person ihren Ausgang nehmen und in vollständiger Verzweigung Generation für Generation alle Elternpaare brachten, bis dann die Vervielfältigung von 16 oder gar 32 Vorfahren erreicht war. 16 Vorfahren adeligen Geblüts nachweisen zu können, war zum Beispiel bei gesteigerten Abgrenzungsbemühungen des Adels im Spätmittelalter für die Turnierfähigkeit eines Edelmannes bekanntlich von hoher Bedeutung.2 Für die Zahl 32 war etwa das Grabmal von Jacques de Lalaing († 1453), la fleur des chevaliers, ein illustres Beispiel aristokratischer Selbstrepräsentation: Dort hielten 32 steinerne Herolde jeweils mit den Wappen der einzelnen Vorfahren die Totenwache.3 Es wird sich bei meinen Ausführungen zwar auch um das genealogische Prinzip der Anreicherung eines zeitgenössischen Nachfahrens an Ehre, Ruhm und vermuteten Fähigkeiten durch qualitätsvolle Positionen der Vorfahren handeln.4 Jedoch wird es mir hier darauf ankommen, zu zeigen, wie im Mittelalter
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Im Folgenden handelt es sich um die kurz gefasste Herausarbeitung der genealogischen Darstellungstechniken, wie ich sie bereits vor längerer Zeit, eingewoben in einem größeren kulturgeschichtlichen Kontext, angesprochen habe: G. MELVILLE, Vorfahren und Vorgänger. Spätmittelalterliche Genealogien als dynastische Legitimation zur Herrschaft, in: P.-J. SCHULER (Hg.), Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, Sigmaringen 1987, S. 203-309. Siehe J. ECKERT, Ahnenprobe, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1: Aachen – Geistliche Bank, Berlin 22008, Sp. 106-107. Siehe Livre des Faits de Jacques de Lalaing, in: Œuvres Georges Chastellain, ed. J. B. BARON KERVYN DE LETTENHOVE, Bd. 8, Brüssel 1866, S. 256-257; das Zitat ebd., S. 252. Vgl. G. MELVILLE, Der Held – in Szene gesetzt. Einige Bilder und Gedanken zu Jacques de Lalaing und seinem Pas d’armes de la Fontaine des pleurs, in: J.-D. MÜLLER (Hg.), “Aufführung” und “Schrift” in Mittelalter und Früher Neuzeit (Germanistische Symposien, Berichtsbände 17), Stuttgart/Weimar 1996, S. 253-286. Dazu äußerte ich mich kürzlich ausführlicher in dem Beitrag: G. MELVILLE, Die Bedeutung geschichtlicher Transzendenzräume und ihre Kritik. Zum Problem der Plausibilisie-
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versucht wurde, diese Anreicherung durch die Reduktion auf eine einzige Linie (mit allenfalls einigen wenigen Seitenlinien) nachzuweisen, welche sich eben nicht in aszendenter, sondern in deszendenter Richtung zeigte. Bei einer solchen Linienführung wurde von einer bestimmten Person in der Tiefe der Geschichte ausgegangen – die deutsche Forschung prägte hierfür den Begriff “Spitzenahn”5 – und dann durch die Zeiten Generation für Generation hinabgeführt zu einem jeweiligen Zeitgenossen. In unserer Anekdote eben – wie von Napoleon staunend und zweifelnd erfragt – von Cäsar bis zum Colonna des beginnenden 19. Jahrhunderts. Die Hervorhebung einer solch deszendent unilinearen Gestaltung ist deshalb so wichtig, weil sich hier die genealogische Darstellungsform in aller Deutlichkeit als narrative Konstruktion zeigt. Allein dieser Sachverhalt war es – wie im Folgenden gezeigt werden soll –, der genealogischen Aufzeichnungen ihre herausragende Bedeutung ebenso für das Geschichtsverständnis wie für die politische Argumentation des Mittelalters verlieh. Er ließ eine schier unübersehbare Fülle an entsprechenden textlichen und bildlichen Gestaltungen entstehen. Das wohl aufwendigste und sicherlich auch prominenteste Unternehmen zur Produktion solcher Genealogien stellte nach dem großen dynastischen Freskenwerk, das im 14. Jahrhundert von dem Luxemburger Karl IV. veranlasst wurde,6 der Arbeitskreis um Jakob Mennel dar, der im Auftrag Kaiser Maximilians I. eine Habsburgergenealogie anfertigte, um innovativ nachzuweisen, dass von Troja eine direkte agnatische Blutslinie zu jenem Kaiser verlief.7 Doch andere Dynastien standen dem nur wenig nach.8
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rung dynastischer Geltungsbehauptungen, in: H. VORLÄNDER (Hg.), Transzendenz und die Konstitution von Ordnungen, Berlin 2013, S. 142-160. Siehe K. HAUCK, Haus- und sippengebundene Literatur mittelalterlicher Adelsgeschlechter, von Adelssatiren des 11. und 12. Jahrhunderts her erläutert, in: W. LAMMERS (Hg.), Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter (Wege der Forschung 21), Darmstadt 1961, S. 165-199, hier S. 173; vgl. zum Gebrauch B. KELLNER, Zur Konstruktion von Kontinuität durch Genealogie. Herleitungen aus Troja am Beispiel von Heinrichs von Veldecke ‘Eneasroman’, in: G. MELVILLE / K.-S. REHBERG (Hgg.), Gründungsmythen, Genealogien, Memorialzeichen. Beiträge zur institutionellen Konstruktion von Kontinuität, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 37-59, hier S. 39. Die monumentalen Fresken befanden sich in der Repäsentationsburg Karlstein südwestlich von Prag und stellten die ‘luxemburgische’ Linie von Noah bis Karl IV. dar (heute noch als Pergamentkopien erhalten); vgl. J. NEUWIRTH, Der Bildercyklus des Luxemburger Stammbaumes aus Karlstein (Forschungen zur Kunstgeschichte Böhmens 2), Prag 1897. Vgl. A. LHOTSKY, Apis Colonna. Fabeln und Theorien über die Abkunft der Habsburger, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 55 (1944), S. 171255; G. ALTHOFF, Genealogische und andere Fiktionen in mittelalterlicher Historiographie, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongress der Monumenta Germaniae Historica (München, 16.-19. September 1986) (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 33), Teil 1: Kongreßdaten und Festvorträge – Literatur und Fälschung, Hannover 1988, S. 417-441; B. KELLNER / L. WEBERS, Genealogische Entwürfe am Hof Kaiser
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Was aber ist das eigentlich Konstruktive an dieser Form der Genealogie? Einen Faden von irgendeinem Vorfahren hinunter zu einem seiner Nachfahren zu ziehen, dürfte auf dem ersten Blick nichts Besonderes sein? – Ich werde aufzuzeigen versuchen, dass dieser Faden zum einen gar nicht so ohne weiteres über den ganzen Zeitenverlauf hinweg zu spannen war, dass man dabei vielmehr ganz bestimmte gut ausgeklügelte Gestaltungsprinzipien zur Anwendung bringen musste, und dass dann zum anderen der jeweilige Verlauf auf höchst unterschiedliche Weise zum Bedeutungsträger werden konnte.
1. Die Kontinuität der Blutslinie Die Basis des zunächst zu erläuternden genealogischen Prinzips ist die behauptete Kontinuität der aufzuzeichnenden Blutslinie – das heißt einer Blutslinie, die sich nach der Formel A genuit B, B genuit C, C genuit D und so weiter ohne Brüche fortsetzt. Voraussetzung war, dass sich Adel nicht nur als gewissermaßen horizontaler Sippen- bzw. Familienverband von gleichzeitigen agnatischen oder kognatischen Mitgliedern, sondern auch als vertikaler Verband diachroner Vererbung von Rang, Besitz, Renommee und Ehre verstand. Ein entsprechender Wechsel von horizontalen zu vertikalen Verbänden hatte bekanntlich vor allem während des 12. Jahrhunderts eingesetzt, als Burgen namensbildend und für den Adel zu Stammsitzen wurden (z. B. Staufen, Wittelsbach, Habsburg etc.), somit also ein jeweils identitätsstiftendes Substrat durch die Geschichte hindurch lieferten.9 Seit diesem Zeitpunkt haben wir – abgesehen von Königsgeschlechtern
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Maximilians I. (am Beispiel von Jakob Mennels Fürstlicher Chronik), in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 37 (2007), S. 122-149. Vgl. J.-M. MOEGLIN, Les ancêtres du prince. Propagande politique et naissance d’une histoire nationale en Bavière au Moyen Âge (1180-1500) (Ecole Pratique des Hautes Etudes – IVe Section, Sciences historiques et philologiques 5, Hautes études médiévales et modernes 54), Genf 1985; G. MELVILLE, Troja: Die integrative Wiege europäischer Mächte im ausgehenden Mittelalter, in: W. EBERHARD / F. SEIBT (Hgg.), Europa 1500 – Integrationsprozesse im Widerstreit: Staaten, Regionen, Personenverbände, Christenheit, Stuttgart 1987, S. 415-432; E. CLEMENS, Luxemburg-Böhmen, Wittelsbach-Bayern, HabsburgÖsterreich und ihre genealogischen Mythen im Vergleich, Trier 2001; M. A. NORBYE, Genealogies in Medieval France, in: R. L. RADULESCU / E. D. KENNEDY (Hgg.), Broken Lines. Genealogical Literature in Late-Medieval Britain and France (Medieval Texts and Cultures of Northern Europe 16), Turnhout 2008, S. 79-101; T. TANNEBERGER, Die historiographischen Konstruktionen in der Genealogia principum Tungro-Brabantinorum im Vergleich, in: J.-M. CAUCHIES (Hg.), Mémoires conflictuelles et mythes concurrents dans les pays bourguignons (ca 1380-1580) (Publications du Centre Européen d’Etudes Bourguignonnes [XIVe-XVIe s.] 52), Turnhout 2012, S. 183-193. Dazu grundlegend K. SCHMID, Geblüt, Herrschaft, Geschlechterbewußtsein. Grundfragen zum Verständnis des mittelalterlichen Adels, aus dem Nachlass hg. v. D. MERTENS / T. ZOTZ (Vorträge und Forschungen 44), Sigmaringen 1998.
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wie z. B. den Karolingern10 und (als große Ausnahme) von den sich an die Karolinger ansippenden Flandern11 – überhaupt erst genealogische Darstellungen des uns hier interessierenden Stiles. Der Leitgedanke hatte sich am deutlichsten in Form von Namenskreisen, die durch eine Linie verbunden waren, graphisch darstellen lassen (Abb. 10).12 Zwei ganz unterschiedliche Muster lagen für eine solche Ordnung der Aneinanderreihung vor. Zum einen war dies der Liber generationis Iesu Christi filii David filii Abraham, wie er bei Matthäus 1, 1-17 überliefert ist, und der insgesamt 42 Generationen nach dem unilinearen Schema X genuit Y von Abraham bis Christus aufzählt. Auch dies ist graphisch umgesetzt worden – nämlich gegen Ende des 12. Jahrhunderts durch die Hand des Petrus von Poitiers (Petrus Pictaviensis), der ein Compendium historiae in genealogia Christi verfasste. Es setzte allerdings schon mit Adam ein13 und wurde dann auch zum Modell für die Präsentation einer inhaltlich anders strukturierten, aber doch analog gestalteten Kontinuitätslinie. Sie zeigt nicht die biologische Sukzession wie die einer Genealogie an, sondern die Aufeinanderfolge von Amtsträgern einer Institution. Vorlage hierfür war zweifellos der sog. Liber Pontificalis, der die Päpste von Petrus bis zu seinen Nachfolgern im 10. Jahrhundert und dann, mehrfach angestückelt, bis ins 15. Jahrhundert aneinanderreihte und somit die Legitimation des jeweils zeitgenössischen Papstes durch die successio Sancti Petri nachwies.14 Die Abbildung (Abb. 11) zeigt eine Rollenhandschrift aus dem 15. Jahrhundert von 11 Metern Länge mit der Abfolge der Päpste. Ein derartiger Aufweis von i n s t i t u t i on e l l e r Abfolge, deren übergeschichtliches Substrat ein Amt war, wird uns noch erneut beschäftigen.
2. Die Selektivität der Linien Es ist augenfällig, dass im Unterschied zu Darstellungen von Amtssukzessionen die rein genealogischen Linienführungen stets das Ergebnis einer strikten Selektion sind, welche den Verlauf der Weitergabe vom Vorfahren zu den Nachfah10 Vgl. O. G. OEXLE, Die Karolinger und die Stadt des hl. Arnulf, in: Frühmittelalterliche
Studien 1 (1967), S. 250-364.
11 E. FREISE, Die ‘Genealogia Arnulfi comitis’ des Priesters Witger, in: Frühmittelalterliche
Studien 23 (1989), S. 203-243.
12 Dazu G. MELVILLE, Geschichte in graphischer Gestalt. Untersuchungen zu einem spät-
mittelalterlichen Darstellungsprinzip, in: Hans PATZE (Hg.), Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen 31), Sigmaringen 1987, S. 57-154. 13 Vgl. zu diesem Werk, seiner graphischen Gestalt, seinem aussagekräftigen Prolog und seinen Bearbeitungen ebd., S. 68-88, 118-123, 128-133, 149. 14 Vgl. O. BERTOLINI, Il “Liber Pontificalis”, in: La storiografia altomedievale (Settimane di studio del Centro italiano di studi sull’alto medioevo 17), Spoleto 1970, S. 387-456.
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ren in einer einzigen Richtung gleichsam ‘kanalisierte’ und andere Möglichkeiten der Blutsweitergabe unter Geschwistern vernachlässigte. Die wichtigste Weichenstelle war jene zwischen einer agnatischen oder einer kognatischen Fortführung – also konkret jeweils zwischen einem Sohn oder einer Tochter. Den europäischen, insbesondere den mitteleuropäischen Gegebenheiten entsprechend, war die überwiegende Zahl der Linienführungen agnatisch bestimmt.15 Dennoch erforderten manchmal gewisse Umstände, vornehmlich politischer Art, auch eine kognatische Linienziehung, wie in der Genealogie einer spätmittelalterlichen Rollenhandschrift (Abb. 12). Unter anderem wird dort von Heinrich I. von England die Blutslinie (links) zunächst zur Tochter Mathilde gezogen, da die beiden Söhne Richard und Wilhelm bereits gestorben waren, und dann zu deren Sohn Heinrich (II. von England) weitergeführt. Eine weitere Weichenstellung war natürlich auch diejenige, die wiederum unter den Söhnen (bzw. Töchtern) eine Auswahl herbeiführte. Zumeist wurde hier dem Älteren der Vorrang gegeben. Dessen ungeachtet konnte eine solche, einmal getroffene Auswahl jeweils zu völlig differenten Verläufen führen. Die wohl am tiefsten greifende war die verschiedene Setzung der beiden Söhne von Noah – Sem und Japhet (Ham spielte keine nennenswerte Rolle). Bis weit in das Spätmittelalter hinein stand Sem in der gewichtigsten – das heißt: mittigen – Position, wie auf diesem Bild erkenntlich (Abb. 13). Mit Sem begann nach mittelalterlicher Auffassung die linea sacra, die gemäß Matthäus – wie wir sahen – kontinuierlich zu Christus führte und die dadurch auch den Ordnungsmaßstab für die gesamte Heilsgeschichte bedeutete. Im 15. Jahrhundert wurde dann vermehrt auch Japhet an die Stelle von Sem in der Mitte positioniert (Abb. 14). In das Zentrum rückten somit die Nachfahren dieses Sohnes von Noah. Sie waren – in Linienführung über den Knotenpunkt Troja16 – dann die europäischen Adelsgeschlechter: die Dynastien der Franken, der Römer, der Engländer, der Brabanter, Luxemburger etc. Nicht mehr die Heilsgeschichte war der Maßstab in vielen Geschichtswerken jener Zeit, sondern gleichsam eine säkularisierte Geschichte mit sozusagen ‘europäischer’ Prädominanz.17 Es ist faszinierend, dass für die Verdeutlichung dieses Parameterwechsels nur ein kleiner graphischer Austausch von zwei Personen ausreichte.
15 Vgl. W. GOEZ, Der Leihezwang. Eine Untersuchung zur Geschichte des deutschen Le-
henrechts, Tübingen 1962, S. 29-49; K.-F. KRIEGER, Die Lehnshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 1200-1437) (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N.F. 23), Aalen 1979, S. 332-350. 16 Siehe G. MELVILLE, Troja (wie Anm. 8); F. GRAUS, Troja und trojanische Herkunftssage im Mittelalter, in: W. ERZGRÄBER (Hg.), Kontinuität und Transformation der Antike im Mittelalter. Veröffentlichung der Kongreßakten zum Freiburger Symposion des Mediävistenverbandes, Sigmaringen 1989, S. 25-43. 17 Dazu schon ausführlich G. MELVILLE, Geschichte (wie Anm. 12), S. 95-107.
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3. Qualität der Linien Die Selektivität der Linien hatte ein einziges Ziel – nämlich eine besondere Qualität der jeweiligen Linie zu erzeugen und vor Augen zu führen. Um die Bedeutung dieses Sachverhaltes richtig einzuschätzen, sollte man sich nochmals vergegenwärtigen, dass die Dynastien Europas vom Zeitpunkt des Beginns der Abfassung von Genealogien an aus den oben erwähnten Gründen erst sehr kurzfristige Gebilde waren. Selbst so große Geschlechter wie zum Beispiel die Staufer waren nicht in der Lage, ihre agnatischen Vorfahren über das 11. Jahrhundert hinaus zurückzuführen.18 Im Laufe des späteren Mittelalters kam bekanntlich hinzu, dass häufig einerseits durch Abspaltungen ganz neue dynastische Identitäten entstanden, die ihrerseits wiederum agnatische Abfolgen von erst kurzer Dauer hervorbrachten, und dass andererseits aber auch Geschlechter vielfach ausstarben, und allenfalls durch eine kognatische Weiterführung ein gewisser Fortbestand seitens Dritter geltend gemacht werden konnte.19
a) Hohes Alter Genealogische Konstruktionen sollten jene Kurzfristigkeiten und Brüche überdecken und Stabilität von langer Dauer suggerieren. – Zwei Wege gab es, um eine Verlängerung zurück in die Tiefen der Geschichte zu erzielen und damit dem Geschlecht eine höhere Würde zuzuschreiben bzw. die Möglichkeit zu vergrößern, durch Ausweis ehemaliger Leistungen einer hohen Zahl an Vorfahren das Ansehen der Nachkommen zu heben: Zum einen durch eine sog. “Ansippung” an ältere Geschlechter, von denen bereits eine längere Genealogie vorlag, 18 Zur dynastischen Erinnerung der Staufer vgl. O. B. RADER, Die Grablegen der Staufer als
Erinnerungsorte, in: B. SCHNEIDMÜLLER / S. WEINFURTER / A. WIECZOREK (Hgg.), Verwandlungen des Stauferreichs. Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa, Darmstadt 2010, S. 20-33. 19 Zum Wechselspiel einer solchen Politik siehe unter zahlreichen Handbuchdarstellungen des späteren Mittelalters immer noch die überaus anschauliche Abhandlung von G. TELLENBACH, Die Grundlegung der späteren Weltstellung des Abendlandes, in: Saeculum Weltgeschichte, Bd. 5: Die Epoche des Mongolensturms. Die Formation Europas. Die neuen islamischen Reiche, Freiburg/Basel/Wien 1970, S. 69-239, hier S. 69-138. – Erasmus von Rotterdam brachte in seinem Werk Querela pacis vom Jahre 1521 (zit. nach der Übersetzung von R. LIECHTENHAN, Erasmus von Rotterdams Klage des Friedens, Bern/ Leipzig 1934, S. 35-36) die negativen Auswirkungen dynastischen Ehrgeizes um Herrschaftserweiterung auf Kosten anderer Geschlechter deutlich auf den Punkt: “Jetzt schämt man sich, daran zu denken, aus was für schäbigen und schändlichen Ursachen christliche Fürsten den Erdkreis mit Krieg überziehen. Da ist einer, der irgendeinen fadenscheinigen oder anrüchigen Rechtstitel bald erfunden oder konstruiert hat […]. Da hat einer mit dem anderen einen Privatzwist, weil er ihm die Braut weggeschnappt hat […].”
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zum anderen durch die simple, aber zumeist sehr geschickt gemachte Erfindung von agnatischen Vorfahren.20 Das Grafengeschlecht von Flandern liefert für beide Möglichkeiten ein anschauliches Beispiel (Abb. 15). Die linke Seite zeigt einen Anschluss an die Karolinger über die Gattin Balduins I., Judith, eine Tochter Karls des Kahlen, wie er (sehr früh schon) um 951/59 in der Prosapia domni Arnulfi comitis gloriosissimi filiique eius Balduini Witgers durchgeführt wurde.21 Die rechte Seite zeigt eine Linienführung, die zu Beginn des 12. Jahrhunderts in Saint-Bertin gezogen wurde und nun ausschließlich agnatische – freilich erfundene – Vorfahren Balduins I. zurück bis Lidricus als Spitzenahn und damit Begründer der Dynastie aufführte.22 Die letztere Form präsentierte einen autochthonen Ursprung und verwies auf die Kraft, eine autonome Herrschaftsgründung bewerkstelligt zu haben; die erste Form erbrachte mit Hilfe eines weiblichen Verbindungsgliedes vornehme karolingische Herkunft und zudem Vorfahren kaiserlichen Geblüts. Allzu sehr durfte man solche Kombinationen allerdings auch nicht überspannen. Wenn sie unglaubwürdig wirkten, ernteten sie herbe Kritik.23 So zum Beispiel geschehen, als in einem fiktiven Streitgespräch aus dem 15. Jahrhundert der Herold von England für seine Königsdynastie einen Ursprung in Troja über einen gewissen Brutus, der Britannien gegründet habe, beanspruchte.24 Sein französischer Kollege widerlegte dies: Zwar stimme die Geschichte mit Brutus, der englische Herold aber rede vom englischen und nicht vom alten britischen Königshaus. Das heutige englische stamme von den Angeln in den sächsischen Sümpfen ab, jene hätten einst den Nachfahren des Brutus ihr Reich entrissen,
20 Zu diesen Praktiken siehe die in den Anm. 1, 5 und 8 genannte Literatur sowie G. MEL-
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VILLE, Kompilation, Fiktion und Diskurs. Aspekte zur heuristischen Methode der mittelalterlichen Geschichtsschreiber, in: C. MEIER / J. RÜSEN (Hgg.), Historische Methode (Beiträge zur Historik 5), München 1988, S. 133-153, hier 140-144. Genealogia comitum Flandriae, ed. L. C. BETHMANN (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 9), Hannover 1851, S. 303. Ebd., S. 305-306. Ausführlicher zu beiden Genealogien G. MELVILLE, Vorfahren (wie Anm. 1), S. 267-268. Dazu G. MELVILLE, Bedeutung (wie Anm. 4). Zur Geschichte dieser Argumentation siehe P. JOHANEK, König Arthur und die Plantagenets. Über den Zusammenhang von Historiographie und höfischer Epik in mittelalterlicher Propaganda, in: Frühmittelalterliche Studien 21 (1987), S. 346-389; W. G. BUSSE, Brutus in Albion. Englands Gründungssage, in: P. WUNDERLI (Hg.), Herkunft und Ursprung. Historische und mythische Formen der Legitimation. Akten des Gerda Henkel Kolloquiums veranstaltet vom Forschungsinstitut für Mittelalter und Renaissance der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 13. bis 15. Oktober 1991, Sigmaringen 1994, S. 207-223.
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sodass keine Blutsverbindung zu diesen zu schlagen sei. Somit sei der englische Herold ein Lügner und seine Argumentation nichts wert.25
b) Anreicherung durch seitliches Hereinholen anderer Geschlechter Nicht nur die die eigene Blutslinie diachron verlängernde Ansippung war eine technische Möglichkeit, die Bedeutung eines Geschlechts zu heben, sondern auch gleichsam das Hereinholen einer anderen Dynastie in die eigene Linie. Zumeist funktionierte dies über den Aufweis einer Gemahlin, die einem ranghohen Geschlecht entstammte. Um dieses Prinzip aus Zeitgründen nur an einem Beispiel zu zeigen: In einer brabantischen Genealogie vom Beginn des 16. Jahrhunderts, der Genealogia principum Tungro-Brabantinorum,26 wurde die Hauptlinie des Blutes mit der Familie des Gaius Julius Cesar dergestalt in Verbindung gebracht, indem Jachus Karolus, ein Glied der Hauptlinie, Germana, eine Tochter des Vaters Cesars, nämlich Lucius Julius Cesar, heiratete und mit ihr eine Tochter Germana, dann Swana genannt zeugte, die die Blutslinie kognatisch (!) weiterführte. Von nun an besaß die Linie caesarisches Blut, das sie in die Nähe des römischen Imperiums, ja der Kaiserwürde brachte.
c) Anreicherung durch selbst hervorgebrachte, herausragende Ahnen Die Hervorbringung von Dynastie-eigenen Mitgliedern mit herausragender Bedeutung dürfte das nächstliegende und vor allem vom Konstruktiven her gesehen das einfachste Mittel gewesen sein, um den Rang und das Ansehen eines Geschlechts zu veranschaulichen. Ob diese Mitglieder erfunden wurden oder ob sie tatsächlich belegbar waren, spielte dabei keine Rolle, solange Glaubwürdigkeit erreicht wurde. Ein anschauliches Beispiel liefert die Arbor genealogie regum Francorum (Abb. 16) aus der Feder des Bernard Gui,27 wo in lateralen Zweigen
25 Le Débat des Hérauts de France et d’Angleterre, ed. L. PANNIER / P. MEYER (Société
des Anciens Textes Français), Paris 1872; vgl. dazu G. MELVILLE, Geschichte im Diskurs. Zur Auseinandersetzung zwischen Herolden über die Frage: Qui est le royaume chrestien qui plus est digne d’estre approuché d’Onneur?, in: C. GRELL / W. PARAVICINI / J. VOSS (Hgg.), Les princes et l’histoire du XIVe au XVIIIe siècle. Actes du colloque organisé par l’université de Versailles - Saint-Quentin et l’Institut Historique Allemand, Paris/Versailles, 13-16 mars 1996 (Pariser historische Studien 47), Bonn 1998, S. 243-262. 26 Dazu schon G. MELVILLE, Vorfahren (wie Anm. 1) S. 225-246; siehe jetzt auch die monographische Darstellung mit Teiledition von T. TANNEBERGER, Vom Paradies über Troja nach Brabant. Die „Genealogia principum Tungro-Brabantinorum“ zwischen Fiktion und Akzeptanz (Vita curialis 3), Berlin 2012. 27 Vgl. A.-M. LAMARRIGUE, La rédaction d’un catalogue des rois de France. Guillaume de Nangis et Bernard Gui, in: C. GAUVARD / F. AUTRAND / J.-M. MOEGLIN (Hgg.), Saint-
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unter anderem Heilige, Bischöfe, Äbtissinnen usw. vermerkt sind, welche Nachfahren verschiedener Glieder der Blutslinie waren und der Dynastie zum Schmucke gereichten.28
4. Deckungsgleichheit mit Herrschaftssukzession Rang, Ansehen, Ruhm konnten die besprochenen genealogischen Konstruktionen vermitteln, wenn sie sorgsam im Bereich des Plausiblen blieben und zudem geschickt die richtigen Verläufe in den möglichen Blutslinien auswählten. Eine Dynastie gewann damit eine Position, die nicht zuletzt auch im Messen mit anderen Dynastien Selbstbewusstsein und Stolz verleihen konnte. Aus edelstem Hause zu sein, ließ die Chance auf Gewinnung der wichtigen Ressource Ehre steigen und schuf Beachtung in der europäischen Hofkultur,29 die längst schon international vernetzt war, die regelrechte Turnierreisen durch die verschiedenen Länder kannte und die in den Herolden ihre überregionalen Propagandisten gefunden hatte.30 Eine genealogische Konstruktion schuf gleichsam den “Transzendenzraum”31 für den jeweiligen zeitgenössischen Vertreter einer Dynastie, in ihr gewann er seine Identität, in ihr war, wie er meinte, alles nach und nach an Tugenden, Fähigkeiten und Würden angehäuft worden, was ihm nun als Erbe zukam – er sah sich in hohem Maß als das Ergebnis einer historischen, von Generation zu Generation fortgetragenen und angewachsenen Gewordenheit.
* Doch diese Feststellungen umfassen noch nicht das Wesentliche, beantworten vor allem noch nicht die Frage nach dem Grund der Unilinearität, denn alles, was eben gesagt wurde, hätte auch – und vielleicht sogar stärker – durch eine Plurilinearität, die hier eingangs beiseite gestellt worden ist, erreicht werden können, da sie das Potential von Erbe zu kumulieren vermochte. Und in der Tat
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Denis et la royauté. Études offertes à Bernard Guenée, membre de l’Institut (Publications de la Sorbonne, Série Histoire ancienne et médiévale 59), Paris 1999, S. 481-492. Zu einem anderen Beispiel – den Habsburgern – siehe T. REINHARDT, Die habsburgischen Heiligen des Jakob Mennel. Diss. Freiburg 2002 (http://www.freidok.uni-freiburg. de/volltexte/2438/pdf/Dissertation_Tanja_Reinhardt.pdf [urn:nbn:bsz:25-opus-24389]). Zum Überblick W. PARAVICINI, Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters (Enzyklopädie deutscher Geschichte 32), München 21999. Vgl. T. HILTMANN, Spätmittelalterliche Heroldskompendien. Referenzen adeliger Wissenskultur in Zeiten gesellschaftlichen Wandels (Frankreich und Burgund, 15. Jahrhundert) (Pariser historische Studien 92), München 2010. Dazu jetzt G. MELVILLE, Bedeutung (wie Anm. 4).
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ist das manchmal auch geschehen. Als zum Beispiel Philipp der Gute von Burgund auf dem Konzil von Basel einen bevorzugten Sitzplatz beanspruchte, argumentierte dementsprechend sein Sprecher, der Bischof von Nevers, mit einem vierfachen Bündel von direkten Herkunftslinien Philipps: Beim Vater Philipps, Johann Ohnefurcht, könne man zurückgehen in Blutslinie ebenso der kapetingischen Könige wie der burgundischen Könige und der Karolinger, bei der mütterlichen in die Genealogie der großen bayerischen Herzöge.32 So müssen wir noch einen Gesichtspunkt hinzunehmen, um die besondere Qualität der Unilinearität zu begründen – und er ist zentral: Dynastien wollten herrschen – ja, definierten sich (wie der mittelalterliche Adel als ganzer) aus dem Herrschen. Herrschen aber bedurfte eines Substrates. Dieses Substrat konnte im Zuge der spätmittelalterlichen Verdinglichung von Herrschaft nur ein Amt wie das Königtum, Herzogtum usw. sein, dem ein Volk der Untertanen und ein Territorium, dessen Besitz ererbt, verliehen, erkauft oder militärisch errungen worden war, zugeordnet ist. Damit aber trat neben die Kontinuität der Blutslinie die Kontinuität der Institution bzw. des Amtes, wie eingangs schon angesprochen. Es sei zur Veranschaulichung an jene Form einer beispielhaften Amtssukzession erinnert, die keinerlei Vererbung kennt und dennoch allein durch eine Einsetzungsfolge von sehr stabiler Dauer ist und deshalb visuell auch in gleicher Weise wie eine Genealogie dargestellt werden kann: das Papsttum. Will eine Dynastie geschichtlich begründete Herrschaftsansprüche stellen, muss sie versuchen, ihre Blutslinie mit der Sukzessionslinie dergestalt in einen Zusammenhang zu bringen, dass sich eine möglichst große bzw. eine besonders qualifizierende Deckungsgleichheit zeigt. Hierin liegt der tatsächliche Grund für die Unilinearität, denn sie allein ist kompatibel mit der ebenfalls unilinearen Sukzessionslinie eines Amtes. Sehr deutlich ist dies optisch durch die Gegenüberstellung der beiden Möglichkeiten, eine Blutslinie in Bezug auf eine Sukzessionslinie zu führen (Abb. 10). In der linken Genealogie werden die Nachfahren des Normannenherzogs Rollo, die später den englischen Thron bestiegen, gezeigt – und zwar in reiner Blutsfolge. Das heißt, allein diejenigen wurden in die zentrale Linie gesetzt, die das Blut weiter vererbten. Das konnten dann Herzöge bzw. Könige gewesen sein oder nicht – oder anders gesagt: Könige (wie z. B. Heinrich II.) konnten durchaus in eine Seitenlinie gesetzt sein (Abb. 12). Bei dieser Rollenhandschrift verhält es sich genau umgekehrt: Hier stand die Sukzession der englischen Königsherrschaft im Vordergrund; das heißt, in die zentrale Linie wurden nach und nach alle Herrscher gesetzt, ohne dass sie in einem direkten Abstammungsverhältnis zueinander stehen mussten. Darum herum rankt sich im direkten Sinn 32 Siehe Ad Basileense Concilium, in: Sacrorum Conciliorum Nova et Amplissima Collectio,
ed. J. D. MANSI, ND Paris/Leipzig 1904, Bd. 30, Sp. 207; vgl. G. MELVILLE, Vorfahren (wie Anm. 1), S. 204-206.
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des Wortes die Blutsfolge, die immer wieder Überschneidungen mit der Sukzession im Amt aufwies. Der geschichtliche Hintergrund für die Notwendigkeit, solche Linienführungen zu konstruieren, wurde bereits genannt: Er liegt in der Fragilität dynastischer Blutsfolge mit ihren biologisch bedingten Brüchen, im Verschwinden des Wissens um die Vorfahren im Dunklen der Geschichte und ebenso in der Variabilität des Besitzes von Herrschaft. Das mehrfach schon zitierte Brabant in den Händen des Valois Philipp des Guten, das Böhmen in den Händen der Luxemburger usw. sind hierfür anschauliche Beispiele. Es gab also beträchtliche Brüche in der Deckung von Institutions- und Dynastiekontinuität. Diese Brüche konnte man zeigen (Abb. 17), wie hier in einer genealogischen Chronik Frankreichs, wo der Übergang von den Karolingern zu den Kapetingern als eine Kluft dargestellt wurde. Man kann aber auch versuchen – und das war der Normalfall – solche Brüche zu überbrücken. Das wohl bekannteste Beispiel ist der sog. Reditus regni Francorum ad stirpem Karoli, der zum ersten Mal von Andreas von Marchiennes gegen Ende des 12. Jahrhunderts aufgezeigt wurde (Abb. 18).33 Dargelegt werden sollte die Rückkehr der Herrschaft zum alten Blut der Karolinger in einer Zeit, als sich die Kapetinger schon seit vielen Generationen auf dem französischen Thron etabliert hatten. Die Vermählung Philipps II. August mit Elisabeth von Hennegau bot die Möglichkeit, für den Sohn Ludwig VIII. karolingisches Blut zu reklamieren: Elisabeths Aszendenz wies über ihren Großvater Dietrich von Flandern zurück auf Judith, die Gemahlin Balduins von Flandern, die zugleich Tochter Karls des Kahlen war. Die Kapetinger wurden also gewissermaßen Karolinger und konnten damit – endlich – auch als genealogisch legitimierte Besitzer des Königsamtes gezeigt werden. Nicht zufällig wurde in dieser Zeit das Recht des Adels, den König zu erheben, ausgesetzt und die reine Erbfolge verwirklicht. Im Übrigen hatten bereits die Karolinger eine analoge Anbindung an die Merowinger vollzogen, wie aus dieser schematischen Rekonstruktion (Abb. 19) einer Genealogia regum Francorum aus dem 9. Jahrhundert zu erkennen ist.34 Da also Karolinger auch Merowinger geworden sind und die Kapetinger Karolinger, konnte eine Durchgängigkeit von Dynastie und Herrschaft über die – wie man sagte – “trois races” hinweg postuliert werden, die ohne Vergleich in Europa blieb und sicherlich dazu beitrug, dass das französische Königreich trotz der Wirren des Hundertjährigen Krieges mit
33 Dazu K. F. WERNER, Die Legitimität der Kapetinger und die Entstehung des “Reditus ad
stirpem Karoli Magni”, in: Die Welt als Geschichte 12 (1952), S. 203-226; G. M. SPIEGEL, The Reditus Regni ad Stirpem Karoli Magni: A New Look, in: French Historical Studies 7 (1971), S. 145-174. 34 Genealogia regum Francorum, in: Genealogiae Karolorum, ed. G. WAITZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 13), Hannover 1881, Nr. 4, S. 246f. Vgl. hierzu G. MELVILLE, Vorfahren (wie Anm. 1), S. 269f.
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seinen englischen Ansprüchen auf den französischen Thron so hartnäckigen Bestand in seiner eigenen Dynastie hatte.35 Durch eine derartige Konstruktionstechnik konnte erreicht werden, dass der gegenwärtig herrschende Vertreter einer bestimmten Dynastie (wie etwa der Valois und zugleich Burgunderherzog Philipp der Gute im durch Heirat erworbenen Brabant) nicht mehr als Angehöriger einer fremden Dynastie, sondern als Mitglied des sozusagen ‘eingeborenen’ – indigenen – Geschlechts galt und als dominus naturalis, als seigneur naturel angesehen wurde. Nicht alle genealogischen Konstruktionen folgten – wie wir sahen – diesem Leitgedanken. Die große Ahnenreihe im böhmischen Karlstein diente zum Beispiel tatsächlich nur dem Ruhm eines Kaisers wie Karl IV., der sich als Lenker der Weltgeschichte im traditionellen Sinne verstand; bei Mennel und Maximilian I. war es nicht anders: es ging um das universale Kaisertum mehr als um die Herrschaft in Böhmen bzw. in Österreich. Zum überwiegenden Teil aber wurden die Genealogien für den Nachweis der dynastischen Deckung mit der institutionellen Sukzession angefertigt. Am überzeugendsten dürfte dann das Ziel erreicht und die Idoneität zur Ausübung des Amtes nachgewiesen worden sein, wenn erkennbar war, dass der gegenwärtige Amtsinhaber einem Geschlecht angehörte, das von Anfang an über das betreffende Volk herrschte, ja es sogar selbst in Form einer Ethnogenese zusammengeführt hatte und ihm ein selbst geschaffenes und stetig ausgebautes Territorium gegeben hatte. Herrschaftssukzession und dynastische Blutsfolge zeigen sich dann als untrennbar miteinander verschmolzen.
35 Noch 1771 konnte Robert de Hesselns (DERS., Dictionnaire universel de la France […],
6 Bde., Paris 1771) sechsbändige Beschreibung Frankreichs betitelt werden mit: Dictionnaire universel de la France, contenant la description géographique & historique des provinces, villes, bourgs & lieux remarquables du royaume, l’état de sa population actuelle, de son clergé, de ses troupes, de sa marine, de ses finances, de ses tribunaux, & des autres parties du gouvernement. Ensemble l’abrégé de l’histoire de France, divisée sous les trois races de nos rois; des détails circonstanciés sur les productions du sol, l’industrie & le commerce des habitans; sur les dignités & les grandes charges de l’état; sur les offices de judicature & emplois militaires; ainsi que sur ceux de toutes les autres branches de l’administration.
KAI HERING
Fridericus primus […] natus ex clarissima progenie Carolorum Genealogie und Idoneität bei den frühen Staufern*
1. Einleitung Die im Juni 1156 geschlossene Ehe Kaiser Friedrich Barbarossas mit Beatrix von Burgund († 1184) blieb offenbar zunächst ohne Nachwuchs.1 Nach einer Beatrix genannten Tochter gebar die Kaiserin auf dem dritten Italienzug ihres Gemahls am 16. Juli 1164 in Pavia erstmals einen Jungen, der denselben Taufnamen erhielt wie sein Vater und dessen Vorfahren in agnatischer Linie.2 Wohl im Oktober oder November des darauffolgenden Jahres brachte Beatrix in der Pfalz von Nimwegen dann erneut einen Sohn zur Welt, für den mit ‘Heinrich’ ein Leitname aus dem Traditionsgut der salischen Herrscherdynastie gewählt wurde. Nur wenige Wochen nach Heinrichs Geburt fand in Aachen ein Weihnachtshoftag statt, auf dem sich Kaiser Friedrich den anwesenden Fürsten mit seiner Gemahlin Beatrix und den gemeinsamen Kindern nicht nur als domus imperialis präsentieren, sondern am 29. Dezember 1165 auch der feierlichen Heilig-
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Für kritische Lektüre und wertvolle Hinweise bei der Überarbeitung der Vortragsfassung bin ich Cristina Andenna, Mirko Breitenstein und Reinhardt Butz sowie Anne Katrin Lemmel und Christian Oertel zu besonderem Dank verpflichtet. Nach der Annullierung seiner ersten Ehe auf dem Konstanzer Hoftag 1153 hatte Friedrich Barbarossa zunächst ein byzantinisches Heiratsprojekt verfolgt, dieses Vorhaben dann aber 1156 zugunsten einer Eheverbindung mit der Erbtochter des Grafen von Burgund aufgegeben; vgl. zu Beatrix: U. VONES-LIEBENSTEIN, Vir uxorius? Barbarossas Verhältnis zur Comitissa Burgundiae im Umkreis des Friedens von Venedig, in: S. WEINFURTER (Hg.), Stauferreich im Wandel. Ordnungsvorstellungen und Politik in der Zeit Friedrich Barbarossas (Mittelalter-Forschungen 9), Stuttgart 2002, S. 189-219; K. GÖRICH, Kaiserin Beatrix, in: K.-H. RUESS (Hg.), Frauen der Staufer (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 25), Göppingen 2006, S. 43-58; M. HARTMANN, Beatrix, in: A. FÖSSEL (Hg.), Die Kaiserinnen des Mittelalters, Regensburg 2011, S. 197-212. Grundlegende Studien über die Nachkommenschaft aus der kaiserlichen Ehe besitzen wir von G. BAAKEN, Die Altersfolge der Söhne Friedrich Barbarossas und die Königserhebung Heinrichs VI., in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 24 (1968), S. 46-78 und E. ASSMANN, Friedrich Barbarossas Kinder, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 33 (1977), S. 435-472. Eine bemerkenswerte Parallele in der Namensgebung besteht übrigens zu Barbarossas Vorgänger auf dem Königsthron, Konrad III., dessen zwei Söhne ebenfalls die Namen Heinrich († 1150) und Friedrich († 1167) trugen.
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sprechung Karls des Großen beiwohnen konnte.3 Barbarossa war daran interessiert, sich politisch wie genealogisch in die Nachfolge des den idealen christlichen Herrscher verkörpernden Frankenkaisers zu stellen: Als “zweiter Karl” wird der staufische Auftraggeber der in zeitlicher Nähe zur Kanonisation entstandenen Vita Karoli Magni gerühmt,4 und in einem Brief an italienische Empfänger sprach Friedrich bereits 1163 von Karl dem Großen als seinem Ahnherrn (progenitor noster).5 Die dynastische Zukunft, wie sie in Aachen so glanzvoll inszeniert werden sollte, erwies sich als unbeständig, denn der Erstgeborene Friedrich starb vermutlich bereits in der zweiten Jahreshälfte 1169, gerade erst fünf Jahre alt.6 3
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Über den Aachener Hoftag schreibt etwa ein Fortsetzer der Sigebert-Chronik: Fredericus imperator natale Domini in palacio suo celebravit Aquis, ad cuius curiam omnes optimates tocius regni, sive ecclesiastici seu seculares, ab ipso submoniti convenerunt, et corpus domni Karoli Magni imperatoris, qui in basilica beate Marie semper virginis quiescebat, de tumulo marmoreo levantes, in locello ligneo in medio eiusdem basilice reposuerunt. – Sigeberti Gemblacensis chronicae Continuatio Aquicinctina, ed. L. C. BETHMANN (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 6), Hannover 1844, S. 405-438, hier S. 411. Hinsichtlich der nachweisbaren Teilnehmer am Hoftag geht L. VONES, Heiligsprechung und Tradition: Die Kanonisation Karls des Großen 1165, die Aachener Karlsvita und der Pseudo-Turpin, in: K. HERBERS (Hg.), Jakobus und Karl der Große. Von Einhards Karlsvita zum Pseudo-Turpin (Jakobus-Studien 14), Tübingen 2003, S. 89-106, relativierend von einer “Versammlung der Kölner Kirchenprovinz mit synodalartigem Charakter” (S. 92) aus. Vgl. den Vitenprolog in: H. DEUTZ / I. DEUTZ (Hgg.), Die Aachener “Vita Karoli Magni” des 12. Jahrhunderts auf der Textgrundlage der Edition von Gerhard Rauschen unter Beifügung der Texte der Karlsliturgie in Aachen (Veröffentlichungen des Bischöflichen Diözesanarchivs Aachen 48), Siegburg 2002, S. 56/58: Vere etenim speramus eum huius canonizationis auctorem a deo ad id preelectum, quem a primo illo iustissimo Karolo Magno alterum magnum Karolum mundo credimus illuxisse. Die Urkunden Friedrichs I. 1158-1167, bearb. von H. APPELT (Monumenta Germaniae Historica, Diplomata regum et imperatorum Germaniae 10/2), Hannover 1979, Nr. 417, S. 303. Vgl. auch die programmatische Aussage in der Arenga des am 8. Januar 1166 ausgestellten kaiserlichen Privilegs für das Marienstift und die Stadt Aachen ebd., Nr. 502, S. 432: Ex quo primitus divina ordinante clementia imperii Romani fastigia gubernanda suscepimus, voluntatis nostre atque propositi summum desiderium fuit, ut divos reges et imperatores, qui nos precesserunt, precipue maximum et gloriosum imperatorem Karolum quasi formam vivendi atque subditos regendi sequeremur et sequendo pre oculis semper haberemus, ad cuius imitationem ius ecclesiarum, statum rei publice incolumem et legum integritatem per totum imperium nostrum servaremus. Zur Kanonisation von 1165 mit stärkerer Betonung der religiösen Beweggründe und lokalen Interessenlagen jetzt auch K. GÖRICH, Karl der Große – Ein ‘politischer Heiliger’ im 12. Jahrhundert?, in: L. KÖRNTGEN / D. WASSENHOVEN (Hgg.), Religion and Politics in the Middle Ages. Germany and England by Comparison (Prinz-Albert-Studien 29), Berlin/ Boston 2013, S. 117-155 sowie allgemein D. LOHRMANN, Politische Instrumentalisierung Karls des Großen durch die Staufer und ihre Gegner, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 104/105 (2002/03), S. 95-112 und A. A. LATOWSKY, Emperor of the World. Charlemagne and the Construction of Imperial Authority, 800-1229, Ithaca/London 2013, jeweils mit weiterer Literatur. Wohl aufgrund der schwachen Gesundheit Friedrichs hatte Kaiser Barbarossa seinen Zweitgeborenen für die Thronfolge bestimmt und im Juni 1169 zum König wählen las-
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Auch entfaltete die Propagierung des Heiligenkultes um den karolingischen Vorfahren Barbarossas unter den Bedingungen des seit 1159 bestehenden Papstschismas nur begrenzte Wirkung. Wichtiger für die hier verfolgte Themenstellung ist jedoch der Sachverhalt, dass die sich im Hochmittelalter zu Dynastien formierenden Adelsgeschlechter – so auch die Staufer7 – ihr Selbstverständnis und die Legitimation ihrer politischen Herrschaft maßgeblich aus der Geltungsressource tatsächlicher oder auch nur behaupteter Traditionen und Kontinuitätslinien gewannen. Dabei standen insbesondere historisch-genealogische Formen der Legitimierung im Vordergrund, denen der vorliegende Beitrag am Beispiel der frühen Staufer gewidmet ist. Im Lichte jüngerer Forschungen erscheint die Geschlossenheit der staufischen Dynastie brüchig und der Aufstieg ihrer Vertreter in den Königsrang als das Resultat einiger günstiger Ereigniskonstellationen.8 Die Frage nach der genealogisch abgestützten Legitimation der Stauferherrschaft beim Fehlen einer besonders traditions- und damit prestigereichen Herkunft lenkt das Interesse auf die Konstruktion von dynastischer Idoneität in einigen Geschichtswerken, die der Hofkapellan Gottfried von Viterbo im ausgehenden 12. Jahrhundert für Friedrich Barbarossa und speziell für dessen Sohn Heinrich VI. schrieb, um beider exponierte Stellung an der Spitze des sacrum imperium historisch zu begründen. Ehe jedoch Gottfrieds Person und Schriften in das Blickfeld rücken, soll mit einigen Bemerkungen über die Beziehungen zwischen Genealogie und Idoneität im hohen Mittelalter das Spannungsfeld kurz skizziert werden.
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sen. Als Friedrich wenige Monate später starb, gingen sein Name und die ihm verliehene schwäbische Herzogswürde auf den 1167 geborenen Kaisersohn Konrad über; siehe dazu E. ASSMANN, Friedrich Barbarossas Kinder (wie Anm. 2), S. 444-445. An dem Sammelnamen ‘Staufer’ wird man für den hier behandelten Zeitraum meines Erachtens festhalten dürfen, auch wenn es nach den Forschungen von W. HECHBERGER, Staufer und Welfen. Zur Verwendung von Theorien in der Geschichtswissenschaft (Passauer historische Forschungen 10), Köln/Weimar/Wien 1996, kaum Anhaltspunkte für ein spezifisch ‘staufisches’ Haus- oder Dynastiebewusstsein in den Quellen des 12. Jahrhunderts gibt. Wichtige Studien zum Themenkomplex des staufischen Aufstiegs am Übergang vom 11. zum 12. Jahrhundert in H. SEIBERT / J. DENDORFER (Hgg.), Grafen, Herzöge, Könige. Der Aufstieg der frühen Staufer und das Reich (1079-1152) (Mittelalter-Forschungen 18), Ostfildern 2005; vgl. auch die den neuen Forschungsansätzen verpflichtete Gesamtdarstellung der Barbarossa-Herrschaft von K. GÖRICH, Friedrich Barbarossa. Eine Biographie, München 2011.
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2. Idoneität und genealogisches Denken im 11./12. Jahrhundert Die Heilsnotwendigkeit irdischer Herrschaft stand weithin außer Frage, weil die auf den königlichen Monarchen hingeordnete gesellschaftliche Hierarchie als Folge des Sündenfalls der Menschheit gedeutet wurde.9 In den Gesellschaftstheorien des hohen Mittelalters, die vermehrt von funktionalen Gesichtspunkten bestimmt waren und sich auszudifferenzieren begannen, wurde den adligen Herrschaftsträgern die Aufgabe des Schutzes aller Wehr- und Waffenlosen zugewiesen.10 Soweit diese Modelle als Abbild einer gottgewollten Ordnung galten, war die adlige Lebensform theologisch – wenn auch nicht per se biblisch – legitimiert11 und der Adel zur Herrschaft berufen. Eng mit diesem Begründungsschema verknüpft zeigt sich die Vorstellung, dass bereits die adlige Herkunft selbst zur Übernahme und Ausübung von Herrschaft berechtigte. Gerade in der Einbettung des Einzelherrschers in eine lange Generationenkette, die die Weitergabe des mit den Verdiensten und Tugenden zahlloser Vorfahren angereicherten Geblüts darlegte, bestand daher ein kaum zu überschätzender Faktor der politischen Legitimation.12 Andererseits musste ein Träger solcher Geblütskontinuität, der nach Herrschaftsämtern strebte oder diese bereits innehatte, gleichwohl den Nachweis erbringen, dass er hierfür auch die nötige Eignung besaß. Die Eignungskriterien konnten physischer Art sein, beispielsweise Anforderungen der körperlichen Stärke und Integrität betreffen, aber auch ethische Qualitäten wie eine besondere Tugendhaftigkeit. Nach den gängigen Idealen der Zeit sollte das gesamte äußere Erscheinungsbild eines politischen Akteurs der Würde seiner herausgehobenen Position angemessen sein; Krankheiten oder Vgl. hierzu W. STÜRNER, Peccatum und potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 11), Sigmaringen 1987 und B. TÖPFER, Urzustand und Sündenfall in der mittelalterlichen Gesellschafts- und Staatstheorie (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 45), Stuttgart 1999. 10 O. G. OEXLE, Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im frühen und hohen Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte des Wissens, in: F. GRAUS (Hg.), Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme (Vorträge und Forschungen 35), Sigmaringen 1987, S. 119-156; DERS., Die funktionale Dreiteilung als Deutungsschema der sozialen Wirklichkeit in der ständischen Gesellschaft des Mittelalters, in: W. SCHULZE (Hg.), Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 12), München 1988, S. 19-52. 11 Einen Überblick zu Versuchen der Legitimierung von Adelsherrschaft mit aus der Bibelexegese gewonnenen Argumenten gibt K. SCHREINER, Zur biblischen Legitimation des Adels. Auslegungsgeschichtliche Studien zu 1. Kor. 1,26-29, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 85 (1974), S. 317-357. 12 Einschlägig für dieses Thema: G. MELVILLE, Vorfahren und Vorgänger. Spätmittelalterliche Genealogien als dynastische Legitimation zur Herrschaft, in: P.-J. SCHULER (Hg.), Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, Sigmaringen 1987, S. 203-309. 9
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sichtbare körperliche Gebrechen konnten hingegen Zweifel an der Herrschaftsfähigkeit wecken. Ein ebenso bekanntes wie strittiges Beispiel ist der Vater Kaiser Barbarossas, Herzog Friedrich II. von Schwaben († 1147), der in einigen späteren Texten als monoculus bezeichnet wird.13 Diese Quellenaussagen gaben der Forschung zu Mutmaßungen Anlass, nach dem Verlust eines Auges könnte der 1125 noch ‘königsfähige’ Schwabenherzog seinem jüngeren und unversehrten Bruder Konrad sowohl 1127 wie auch 1138 den Vortritt gelassen haben, da seine Einäugigkeit ihn für das Herrscheramt ungeeignet machte.14 Gesichert ist ein derartiger Zusammenhang zwischen dem körperlichen Defekt und Friedrichs Verzicht auf eine erneute Königskandidatur nach 1125 jedoch nicht, zumal die angebliche Verletzung seiner Tauglichkeit als schwäbischer Herzog keinen Abbruch getan zu haben scheint.15 Bischof Otto von Freising († 1158),16 Historiograph und von mütterlicher Seite immerhin ein Halbbruder der beiden Staufer Konrad und Friedrich, verliert in den Kaiser Friedrich Barbarossa gewidmeten Gesta Friderici17 jedenfalls kein Wort über einen solchen Makel bei Herzog Friedrich II. Vielmehr nutzt Otto jede sich erzählerisch bietende Gelegenheit, die nachahmenswerten Leistungen und Verdienste von Barbarossas Vater und Großvater zu beschreiben – damit das, was in den Büchern der Gesta über den staufischen Kaiser selbst zu sagen sei, “durch den Glanz ihrer Taten noch glän-
13 Friedrichs Einäugigkeit vermerken im späten 12. und frühen 13. Jahrhundert u.a. der by-
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zantinische Geschichtsschreiber Johannes Kinnamos, die Annales Spirenses und Burchard von Ursberg; siehe dazu H. SCHWARZMAIER, Pater imperatoris. Herzog Friedrich II. von Schwaben, der gescheiterte König, in: J. PETERSOHN (Hg.), Mediaevalia Augiensia. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters (Vorträge und Forschungen 56), Stuttgart 2001, S. 247-284, hier S. 251-252 mit Anm. 13-14. Vgl. die Diskussion der Forschungsmeinungen zu Friedrichs Verzicht bei U. SCHMIDT, Königswahl und Thronfolge im 12. Jahrhundert (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte 7), Köln/Wien 1987, S. 62 mit Anm. 10-13; an der Verletzungstheorie zweifelnd auch G. LUBICH, Beobachtungen zur Wahl Konrads III. und ihrem Umfeld, in: Historisches Jahrbuch 117 (1997), S. 311-339, hier S. 312. Zur Gesamtproblematik siehe auch den Beitrag von Oliver AUGE in diesem Band mit der dort verzeichneten Forschungsliteratur. Die jüngste biographische Darstellung von J. EHLERS, Otto von Freising. Ein Intellektueller im Mittelalter. Eine Biographie, München 2013, legt den Schwerpunkt auf die Gelehrtenpersönlichkeit des adligen Bischofs. Vermutlich 1157 hatte der Bischof von Freising seinem kaiserlichen Neffen angeboten, ein Geschichtswerk über dessen erste Herrschaftsjahre zu verfassen. Dem eigentlichen Bericht über Friedrichs Taten in Deutschland und Italien stellte Otto allerdings ein Buch voran, in dem er den Aufstieg des staufischen Hauses kontrastiv zum Niedergang des Reiches unter den letzten Saliern beschreibt. Ottos Kapellan und Notar Rahewin, dem er das Werk bei seinem Tod zur Vollendung hinterließ, fügte den beiden vorhandenen Büchern zwei weitere hinzu und sandte die Gesta Friderici imperatoris wohl um 1160 an den staufischen Kaiserhof. Ausführlich zum Entstehungsprozess der Gesta und dem Anteil Rahewins an dem Werk siehe R. DEUTINGER, Rahewin von Freising. Ein Gelehrter des 12. Jahrhunderts (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 47), Hannover 1999.
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zender erscheine”.18 Der Gedanke einer wesenhaften Ähnlichkeit von Vater (Friedrich II.) und Sohn (Friedrich Barbarossa) wird in den Gesta ebenso greifbar wie die Auffassung von einer über das Blut erfolgenden Konditionierung für tugendhaftes Handeln.19 Politische Relevanz erlangten Idoneitätsvorstellungen besonders im Kontext von Ämterbesetzungen und Sukzessionsregelungen; so formulierte etwa der Reformpapst Gregor VII. (1073-1085) nach den Erfahrungen mit dem gebannten König Heinrich IV. als Anforderung an einen rex idoneus, dieser müsse sich gegenüber Papst und römischer Kirche durch Treue und Gehorsam auszeichnen. Kein dynastisch vermitteltes Erbrecht, sondern moralische Qualitäten und tatkräftiger Einsatz zum Nutzen der Kirche sollten nach dem Willen von Papst und Fürstenopposition künftig über die Legitimität königlicher Herrschaft entscheiden.20 Für die Verteidiger der angefochtenen salischen Herrschaftstradition hingegen stand die Kontinuität und Stabilität verheißende Thronfolge vom Vater auf den Sohn im Zeichen göttlichen Segens. Das Beharren von Papst und Fürsten auf der Wahl eines nicht dynastisch legitimierten Prätendenten ließ sich in diesem Sinne als Eingriff in die gottgewollte Ordnung verurteilen – und die Parteigänger Heinrichs IV. konnten ihre Haltung durch den frühen Tod respektive den ausbleibenden politischen Erfolg der 1077 und 1081 gewählten Könige bekräftigt sehen.21
18 Otto von Freising und Rahewin, Gesta Friderici I. imperatoris, ed. G. WAITZ / B. VON
SIMSON (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum [46]), Hannover/Leipzig 31912, Prooemium, S. 12: Sed antequam tuorum gestorum seriem attingam, de avo, patre patruoque tuo quedam summatim prelibare cogitavi, ut, sic quasi quodam filo narrationis descendens, per clara clariora, que de tua persona dicenda fuerint, appareant. Die deutsche Übersetzung nach Bischof Otto von Freising und Rahewin, Die Taten Friedrichs oder richtiger Cronica, übers. v. A. SCHMIDT, hg. v. F.-J. SCHMALE (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 17), Darmstadt 1965, S. 119. 19 Vgl. dazu H. SCHWARZMAIER, Pater imperatoris (wie Anm. 12), S. 247-284; DERS., Nobilis patris futurus heres nobilior. Das Doppelporträt von Friedrich Vater und Sohn bei Otto von Freising, in: D. WALZ (Hg.), Scripturus vitam. Lateinische Biographie von der Antike bis in die Gegenwart. Festgabe für Walter Berschin zum 65. Geburtstag, Heidelberg 2002, S. 509-518. 20 Zu den kirchlichen Idoneitätsforderungen siehe Z. M. ISENRING, Fürstenethik in den Schreiben der Päpste von Gregor VII. bis Coelestin III. (1073-1198), Bern 1970, bes. S. 29-68 und G. KOCH, Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 20), Berlin 1972. 21 Vgl. R. PAULER, Wahlheiligkeit, in: K. SCHNITH / R. PAULER (Hgg.), Festschrift für Eduard Hlawitschka zum 65. Geburtstag (Münchener Historische Studien. Abteilung Mittelalterliche Geschichte 5), Kallmünz 1993, S. 461-478, hier bes. S. 469. Umfassend zur Deposition Heinrichs IV. siehe E. SCHUBERT, Königsabsetzung im deutschen Mittelalter. Eine Studie zum Werden der deutschen Reichsverfassung (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse, 3. Folge 267), Göttingen 2005, S. 117-159. Das Wirken der gegen Heinrich IV. erhobenen Könige untersucht
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Mit dem Tod Kaiser Heinrichs V. am 23. Mai 1125 ging die zuletzt prekär gewordene Herrschaft der Salierdynastie nach etwas mehr als einem Jahrhundert zu Ende. Heinrich hinterließ weder eigene männliche Nachkommen noch einen von ihm designierten Anwärter auf die Königsherrschaft. Den Magnaten des ostfränkisch-deutschen Reiches eröffnete sich mit der vereinbarten Wahl eines Nachfolgers die Chance auf eine Neuordnung der politischen Verhältnisse.22 Weil die spärlich fliessenden Quellen kaum Details über die Beratungen und den eigentlichen Wahlverlauf preisgeben, steht im Grunde nur das Ergebnis der in Mainz geführten Verhandlungen unumstößlich fest: Der sächsische Herzog Lothar von Supplinburg, einer der schärfsten Widersacher des letzten Salierkaisers, ging siegreich aus der Königswahl hervor und wurde am 13. September 1125 als Lothar III. (1125-1137) in Aachen inthronisiert.23 Eine dynastische Abstammung des Supplinburgers spielte für die Akzeptanz seines Königtums offenbar keine ausschlaggebende Rolle und trat gegenüber seiner persönlichen Idoneität in den Hintergrund. So notierte der Annalista Saxo zu 1125, dass in dieser Zeit allein der im Waffenhandwerk erprobte und kirchentreue Sachsenherzog Lothar der Herrschaft würdig gewesen sei,24 und der gelehrte Mönch Petrus Diaconus hielt in der Chronik des fernen Klosters Montecassino gleichfalls fest, wegen seiner militärischen Erfahrungen und seiner Frömmigkeit habe man Lothar für nützlich und geeignet (utilis et idoneus) erachtet, die Lenkung des Reiches zu übernehmen.25
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ausführlich mit zahlreichen Neubewertungen M. MUYLKENS, Reges geminati – Die “Gegenkönige” in der Zeit Heinrichs IV. (Historische Studien 501), Husum 2012. Hierzu insgesamt J. SCHLICK, König, Fürsten und Reich (1056-1159). Herrschaftsverständnis im Wandel (Mittelalter-Forschungen 7), Stuttgart 2001. Für die Einzelheiten des Herrschaftswechsels von 1125 siehe u.a H. DIEDLER, Eine vergessene Designation? Zu den politischen und verfassungsrechtlichen Hintergründen der deutschen Königswahl von 1125, in: Concilium Medii Aevi 1 (1998), S. 28-58; J. ROGGE, Die deutschen Könige im Mittelalter. Wahl und Krönung, Darmstadt 2006, S. 22-25; B. SCHNEIDMÜLLER, 1125 – Unruhe als politische Kraft im mittelalterlichen Reich, in: W. HECHBERGER / F. SCHULLER (Hgg.), Staufer und Welfen. Zwei rivalisierende Dynastien im Hochmittelalter, Regensburg 2009, S. 30-49 und S. 248-252. Annalista Saxo, ed. G. WAITZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 6), Hannover 1844, S. 542-777, hier S. 762-763. Zur Herrschaft des Supplinburgers siehe im Überblick O. HERMANN, Lothar III. und sein Wirkungsbereich. Räumliche Bezüge königlichen Handelns im hochmittelalterlichen Reich, 1125-1137 (Europa in der Geschichte 5), Bochum 2000 und G. ALTHOFF, Lothar III. (1125-1137), in: B. SCHNEIDMÜLLER / S. WEINFURTER (Hgg.), Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I. (919-1519), München 2003, S. 201-216. Chronica Monasterii Casinensis, ed. H. HOFFMANN (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 34), Hannover 1980, lib. IV, cap. 87 (S. 548): Hoc preterea tempore Heinrico quinto imperatore defuncto consules, prefecti, dictatores, duces et principes in unum convenientes de imperatoris electione tractare ceperunt. Visum demum omnibus est, ut electionem ipsam in arbitrio archiepiscopi Maguntini et Lotharii ducis Saxonie ponerent, ut, quem illi utilem Romano imperio esse astruerent, hunc procul dubio eligerent universi. Archiepiscopus autem ferali zelo adversus cognationem Einrici inperatoris deseviens et de imperiali culmine Fredericum et Conradum nepotes eius propellere cupiens ob illorum odi-
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Genealogisch fundierte Idoneitätsvorstellungen waren trotz der Stärkung des Wahlprinzips bei den Geschehnissen von 1125 dennoch wirksam; mit Herzog Friedrich II. von Schwaben kandidierte auch ein Neffe des Salierkaisers für die Herrscherwürde. Mütterlicherseits konnte sich der schwäbische Herzog zusammen mit seinem Bruder Konrad als der stirps regia zugehörig betrachten, denn beide entstammten der Heiratsverbindung ihres Vaters mit Agnes († 1143), einer Tochter Heinrichs IV. und Schwester von Heinrich V. Diese Einheirat in das salische Königshaus hatte schon bei den Zeitgenossen für Aufsehen gesorgt: In der Sichtweise des Geschichtsschreibers Ekkehard von Aura beruhte die Reputation Friedrichs I. von Schwaben († 1105) vorrangig auf seiner Ehe mit der Salierin Agnes und auf den Kindern aus dieser Verbindung. Der kluge und vornehme Herzog Friedrich verfügte durch die berühmte Kaisertochter Adelheid – damit ist eigentlich Agnes gemeint – über eine Nachkommenschaft von wunderbaren Anlagen (mirae indolis proles), schrieb Ekkehard über den Verstorbenen und dessen jugendliche Söhne,26 was die Rezipienten seiner Chronik unzweifelhaft als Hinweis auf die besondere Qualität königlichen Geblüts verstanden haben dürften. Das im konkreten Fall durch Heirat konstituierte Verwandtschaftsverhältnis der herzoglichen Familie zu den Saliern implizierte im adligen Denken der Zeit sowohl eine privilegierte Nähe zum Kaiserhaus als auch die Befähigung zu eigener Königsherrschaft.27 Dergestalt von der Rechtmäßigkeit seiner Ansprüche überzeugt, reiste Herzog Friedrich II. von Schwaben zur Wahlversammlung nach Mainz – in der sicheren Erwartung, dort selbst König zu werden, glaubt man der anonym verfassten Narratio de electione Lotharii.28 Doch weder Friedrich um supradictum Lotharium armis experentissimum, religione et prudentia multa pollentem, qui per plura annorum curricula Leuticos expugnans sub Romano imperio redegerat, utilem atque idoneum ad imperiale fastigium accipiendum iudicavit, sicque huius callidate Romanum imperium a Teutonicis ad Saxones translatum est. 26 Vgl. Ekkehardi Uraugiensis Chronica, ed. G. WAITZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 6), Hannover 1844, S. 1-265, hier S. 230: Fridericus dux obiit, vir prudentia, moribus et nobilitate satis clarus, sed clarissimo et singularis ac inclitae famae Adelheidae, filiae scilicet imperatoris, matrimonio et ex eadem mirae indolis prole decoratus. 27 Nach W. HECHBERGER, Staufer und Welfen (wie Anm. 5), S. 137 “wird man davon ausgehen können, daß sich Friedrich 1125 als Mitglied der stirps regia und damit als geeigneten Kandidaten betrachtete.” Siehe hierzu auch B. WEILER, Suitability and right: imperial succession and the norms of politics in early Staufen Germany, in: F. LACHAUD / M. PENMAN (Hgg.), Making and breaking the rules: succession in medieval Europe, c. 1000-c. 1600 / Établir et abolir les normes: la succession dans l’Europe médiévale, vers 1000-vers 1600 (Histoires de famille. La parenté au Moyen Âge 9), Turnhout 2008, S. 71-86. 28 Narratio de electione Lotharii in regem Romanorum, ed. W. WATTENBACH (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 12), Hannover 1856, S. 509-512. Eine Neubewertung der lange als Augenzeugenbericht über das Wahlgeschehen geltenden Quelle erfolgte durch B. SCHNEIDMÜLLER, Mittelalterliche Geschichtsschreibung als Überzeugungsstrategie: Eine Königswahl des 12. Jahrhunderts im Wettstreit der Erinnerungen, in: A. CHANIOTIS /
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noch sein babenbergischer Stiefvater, Markgraf Leopold III. von Österreich († 1136), der seit 1106 mit der Herzogswitwe Agnes verheiratet war und ebenfalls für die Thronfolge vorgeschlagen wurde, erlangten schließlich die Krone, sondern mit Lothar III. ein dynastieferner Bewerber. Zwei Jahre später, im Dezember 1127, wurde der zwischenzeitlich von einer Pilgerreise aus dem Orient zurückgekehrte Konrad von Schwaben durch seinen Bruder Friedrich und dessen Anhänger zum König erhoben.29 Auch wenn Konrads Erhebung den Makel der Usurpation trug und 1135 im Verzicht auf die Krone endete, konnte er bei den staufischen Parteigängern nach dem Tod Lothars ideell an dieses Gegenkönigtum anknüpfen. Da 1125 sowohl ein Neffe als auch der Schwager Kaiser Heinrichs V. als nächste Verwandte nicht zur Herrschaft berufen wurden, entsteht leicht der Eindruck, die in Mainz versammelten Großen des Reiches hätten dynastisch-genealogischen Ansprüchen auf die Nachfolge im Königtum eine dezidierte Absage erteilen wollen. Jedoch war der Ausgang der Wahl nicht vorhersehbar, und wie die Kandidaturen von Friedrich II. und Leopold III. erkennen lassen, wurde beanspruchte Idoneität zur Herrschaft nach wie vor aus Kategorien der Herkunft und Verwandtschaft abgeleitet – wenn auch nicht (oder nicht mehr) ausschließlich. Für das Bestreben, die dynastische Abkunft eines Fürsten speziell im Hinblick auf seine Befähigung für das Herrscheramt zu betonen, stellten genealogische Schriften im Hoch- und Spätmittelalter ein besonders anschlussfähiges Medium dar.30 Die persönliche Idoneität eines Machtakteurs, seine qualifizierende Eignung und Würdigkeit zur Herrschaftsausübung, konnte im Sinne genealogischer Argumentation vor allem dann überzeugend behauptet werden, wenn die Vorgänger in der beanspruchten oder ausgeübten Herrschaft identisch waren mit den leiblichen Vorfahren.31 Aus der erwiesenen – oder zumindest A. KROPP / C. STEINHOFF (Hgg.), Überzeugungsstrategien (= Heidelberger Jahrbücher 52 [2008]), Berlin/Heidelberg 2009, S. 167-188. 29 Welche Rolle geblütsrechtliche Vorstellungen für die Legitimierung von Konrads Königserhebung 1127 spielten, ist wegen des Fehlens entsprechender Belege ungewiss, im Vordergrund standen sie aber wohl anscheinend nicht. Konträre Ansichten vertreten diesbezüglich W. GIESE, Das Gegenkönigtum des Staufers Konrad 1127-1135, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 95 (1978), S. 202220 und U. SCHMIDT, Königswahl und Thronfolge (wie Anm. 13), S. 60-68. 30 Vgl. zur Quellengattung L. GÉNICOT, Les généalogies (Typologie des sources du Moyen Âge occidental 15), Turnhout 1975 sowie im knappen Überblick K. HECK, Genealogie, in: W. PARAVICINI (Hg.), Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe, 2 Bde., Teilbd. 1: Begriffe (Residenzenforschung 15/2), Ostfildern 2005, S. 265268 und B. KELLNER, Genealogien, in: W. PARAVICINI (Hg.), Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Hof und Schrift (Residenzenforschung 15/3), Ostfildern 2007, S. 347-360. Siehe zur dynastisch orientierten Geschichtsschreibung auch L. SHOPKAW, Dynastic History, in: D. M. DELIYANNIS (Hg.), Historiography in the Middle Ages, Leiden 2003, S. 217-248. 31 Zu dieser Technik genealogisch-dynastischen Argumentierens vgl. insbesondere G. MELVILLE, Vorfahren (wie Anm. 12) und ihrer visuellen Verstärkung durch Zeichensysteme
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glaubhaft suggerierten – Übereinstimmung von Sukzessionslinie und Generationenfolge ließen sich wiederum ein besonderer Vorrang und das Anrecht auf politische Ämter ableiten. Sehr häufig wurden zur Steigerung des dynastischen Herkunftsprestiges die noch erinnerten Vorfahren über Zwischenglieder an bekannte Herrschergeschlechter wie die Karolinger und Merowinger angeschlossen.32 Diese Vorgängerdynastien konnten wiederum ihren Anfang bei heroischen Spitzenahnen in mythischer Vorzeit nehmen oder gar mit den Genealogien der Bibel bis hin zu Noah verknüpft sein, von dem aus die Ahnenreihe weiter zum Urvater Adam führte.33 Nahezu mustergültig lassen sich diese auf den Nachweis herrscherlicher Idoneität zielenden Konstruktionsprinzipien genealogischer Geschichtsentwürfe in jenen Schriften aufzeigen, die wir aus dem späten 12. Jahrhundert von dem staufischen Hofkapellan Gottfried von Viterbo besitzen und die im Folgenden näher betrachtet werden sollen.
3. Gottfried von Viterbo als staufischer Geschichtsschreiber Als ein herausragender Vertreter genealogisch-dynastischen Denkens in der Umgebung der frühstaufischen Herrscher hat Gottfried von Viterbo zu gelten, der aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Kapellan und Kanzleinotar nicht nur intensiv mit den Herrschaftsvorstellungen am Stauferhof vertraut war, sondern diese wohl sogar mitgestaltet und beeinflusst hat: Geboren um 1125 in Viterbo, wurde Gottfried nach seiner durch Lothar III. vermittelten Ausbildung an der Bamberger Domschule bereits unter Konrad III. (1138-1152) in die königliche Hofkapelle aufgenommen. Konrads Nachfolger Friedrich Barbarossa berief den Kapellan, der über Verbindungen zur römischen Kurie verfügte und die Schule von Salerno besucht haben dürfte, an seinen Hof und zog ihn mehrfach für notarielle Aufgaben in der Kanzlei heran. Auch dem Sohn Barbarossas, König Heinrich VI., diente Gottfried von Viterbo noch als Hofkapellan; ob er
DERS., Geschichte in graphischer Gestalt. Beobachtungen zu einer spätmittelalterlichen Darstellungsweise, in: H. PATZE (Hg.), Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen 31), Sigmaringen 1987, S. 57-154. 32 Beispiele für die reale oder fiktive genealogische Ansippung an vorgängige Dynastien gibt es in großer Zahl; schon die ältesten karolingischen Genealogien vom Beginn des 9. Jahrhunderts postulieren die Verwandtschaft Karls des Großen mit den Merowingerkönigen, siehe dazu O. G. OEXLE, Die Karolinger und die Stadt des heiligen Arnulf, in: Frühmittelalterliche Studien 1 (1967), S. 250-364. 33 A. ANGENENDT, Der eine Adam und die vielen Stammväter. Idee und Wirklichkeit der Origo gentis im Mittelalter, in: P. WUNDERLI (Hg.), Herkunft und Ursprung. Historische und mythische Formen der Legitimation. Akten des Gerda Henkel Kolloquiums, veranstaltet vom Forschungsinstitut für Mittelalter und Renaissance der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf, 13. bis 15. Oktober 1991, Sigmaringen 1994, S. 27-52.
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darüber hinaus ein Erzieher des Thronerben gewesen ist, erscheint dagegen zweifelhaft.34 Während zahlloser Gesandtschaftsreisen, die er in kaiserlichem Auftrag von Deutschland aus nach Rom, Sizilien, Burgund und Frankreich unternahm, will Gottfried über Jahrzehnte das Quellenmaterial für seine Geschichtswerke gesammelt haben. Diese begann er zwar erst zu schreiben, nachdem er sich wohl um 1180 aus dem aktiven Hofdienst in seine Heimatstadt Viterbo zurückgezogen hatte, allerdings scheint Gottfried weiterhin Zugang zu Informationen über die politischen Entwicklungen am Barbarossa-Hof besessen zu haben. Eine Urkunde vom 24. Juni 1186 bezeugt den magister Godefridus Viterbiensis dann zum ersten und zugleich einzigen Mal als Kapellan an der Seite Heinrichs VI., der damals mit seinem Heer das nördlich von Viterbo gelegene Orvieto belagerte.35 Im Feldlager könnte der Geistliche möglicherweise versucht haben, dem jungen König ein Exemplar seiner im Vorjahr entstandenen und Memoria seculorum36 betitelten Darstellung der Weltgeschichte zu überreichen. Die von Gerhard Baaken geäußerte Vermutung, dass Gottfried keinen Erfolg hatte und es wegen seiner auf Verständigung bedachten Haltung im Konflikt der Staufer mit Papst Urban III. (1185-1187) zu einem regelrechten Bruch zwischen Historiograph 34 Die Forschungslage über den staufischen Hofkapellan und -notar hat sich in den letzten
Jahrzehnten deutlich verbessert, doch liegen manche Untersuchungen lediglich als unveröffentlichte Qualifikationsschriften vor; auswahlhaft seien genannt: C. A. CONTRERAS, Gottfried of Viterbo. An Appraisal [Dissertation], Los Angeles 1972; G. BAAKEN, Zur Beurteilung Gottfrieds von Viterbo, in: K. HAUCK / H. MORDEK (Hgg.), Geschichtsschreibung und geistiges Leben im Mittelalter. Festschrift für Heinz Löwe zum 65. Geburtstag, Köln/Wien 1978, S. 373-396; F. BOOCKMANN, Studien zum Pantheon des Gottfried von Viterbo, Teil 1 [Dissertation], München 1992; F. HAUSMANN, Gottfried von Viterbo. Kapellan und Notar, Magister, Geschichtsschreiber und Dichter, in: A. HAVERKAMP (Hg.), Friedrich Barbarossa. Handlungsspielräume und Wirkungsweisen des staufischen Kaisers (Vorträge und Forschungen 40), Sigmaringen 1992, S. 603-621; L. J. WEBER, Godfrey of Viterbo’s Pantheon: Origin, Evolution, and Later Transmission, Ann Arbor 1993; DIES., The Historical Importance of Godfrey of Viterbo, in: Viator 25 (1994), S. 153-195; M. E. DORNINGER, Gottfried von Viterbo. Ein Autor in der Umgebung der frühen Staufer (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 345, Salzburger Beiträge 31), Stuttgart 1997; O. KILLGUS, Studien zum Liber Universalis Gottfrieds von Viterbo [Dissertation], Augsburg 2001. Vgl. auch den Überblick von S. FINKELE, Art. “Gottfried of Viterbo”, in: G. DUNPHY (Hg.), The Encyclopedia of the Medieval Chronicle, 2 Bde., Leiden/Boston 2010, Bd. 1: A-I, S. 722-724. 35 Ein Abdruck des in obsidione Urbeveti ausgestellten Privilegs für die Camaldulenserabtei Fonte Avellana bei G. BAAKEN, Ungedruckte Urkunden Heinrichs VI. Diplomatische Miszellen, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 31 (1975), S. 455-533, hier S. 477-481. 36 Die Memoria seculorum von 1185 ist ‘Kaiser’ Heinrich VI. sowie omnes principes regni Teutonicorum gewidmet. Aus den beiden erhaltenen Handschriften italienischer Provenienz in Paris (WAITZ-Sigle A 1) und in Montpellier (WAITZ-Sigle A 2) gibt die MGH-Edition die Vorreden und kurze Exzerpte aus dem prosaischen Teil wieder; die Verspartien fehlen vollständig: Gotifredi Viterbiensis opera, Memoria seculorum, ed. G. WAITZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 22), Hannover 1872, S. 94-106.
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und Herrscherhaus kam, ist weitgehend spekulativ und wird von der Forschung dementsprechend kontrovers beurteilt.37 Auf der Grundlage seiner Memoria seculorum, einem Geschichtswerk aus Prosa und Versen, verfasste Gottfried jedenfalls ab 1186 zwei weitere Universalchroniken, den Liber universalis38 und schließlich – in mehreren Überarbeitungen – das rezeptionsgeschichtlich äußerst erfolgreiche Pantheon.39 Die Arbeit an den Chronikwerken beschäftigte ihn wohl noch um 1190/91, danach verliert sich seine Spur. Sofern Gottfried von Viterbo die Verfasserschaft an den Gesta Heinrici VI. mit Recht zugesprochen wird, hat der Historiograph bis in die Zeit nach dem Tod Kaiser Heinrichs VI. († 1197) gelebt und starb im Alter von fast achtzig Jahren.40
4. Helden, Herrscher und Heilige – eine Genealogie für den Thronfolger Während umstritten ist, ob Gottfried oder vielleicht ein anderer Dichter die Gesta Heinrici zu Ehren des Stauferkaisers schrieb, besteht in der Forschung Ei37 G. BAAKEN, Zur Beurteilung (wie Anm. 34), S. 379-381 entwickelte diese These einer
Distanzierung ausgehend von dem Befund, dass Gottfrieds Name in zwei Diplomen Heinrichs VI. von 1186 und 1191, die im Wortlaut ältere Urkunden Friedrich Barbarossas mit ausdrücklichen Erwähnungen des Hofkapellans wiederholen, eliminiert worden zu sein scheint. Im Desinteresse des Hofes an der Memoria seculorum sieht L. J. WEBER, The Historical Importance (wie Anm. 34), S. 189-191 den Impuls für die Arbeiten am Liber universalis und am Pantheon, deren Widmungen sich jeweils an amtierende Päpste richteten. Ablehnende Positionen in dieser Frage beziehen etwa S. WEINFURTER, Venedig 1177 – Wende der Barbarossa-Zeit? Zur Einführung, in: DERS. (Hg.), Stauferreich im Wandel (wie Anm. 1), S. 9-25, hier S. 23, Anm. 87 und V. HUTH, Staufische ‘Reichshistoriographie’ und scholastische Intellektualität. Das elsässische Augustinerchorherrenstift Marbach im Spannungsfeld von regionaler Überlieferung und universalem Horizont (Mittelalter-Forschungen 14), Ostfildern 2004, S. 23, Anm. 68. 38 Vgl. die Teiledition nach der – in Partien wohl autographen – Pariser Handschrift Ms. latin 4894 bei O. KILLGUS, Studien zum Liber Universalis (wie Anm. 34), S. 177-278. 39 Trotz des beträchtlichen Umfangs bietet die Edition Gotifredi Viterbiensis opera, Pantheon, ed. G. WAITZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 22), Hannover 1872, S. 107-307 nur Auszüge aus der letzten, mit der Sigle E bezeichneten Pantheon-Redaktion. 40 Die in Versen abgefassten Gesta Heinrici VI. sind in drei Handschriften der sog. D-Redaktion des Pantheon enthalten (Gotifredi Viterbiensis opera, Gesta Heinrici VI. auctore, ut videtur, Gotifredo, ed. G. WAITZ [Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 22], Hannover 1872, S. 334-338) und dürften bald nach 1200 entstanden sein. In der Forschung wird die Zuschreibung der Gesta an Gottfried von Viterbo teils aus inhaltlich-stilistischen Gründen befürwortet (so z.B. von F. HAUSMANN und M. E. DORNINGER), teils mit der Annahme seines Todes in den 1190er Jahren bestritten: H. KRIEG, Herrscherdarstellung in der Stauferzeit. Friedrich Barbarossa im Spiegel seiner Urkunden und der staufischen Geschichtsschreibung (Vorträge und Forschungen, Sonderband 50), Ostfildern 2003, S. 33 mit Anm. 104.
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nigkeit darüber, dass seine frühen historiographischen Schriften eine enge Verbindung zum staufischen Hof und besonders zu Heinrich VI. aufweisen: Für den ältesten lebenden Sohn Barbarossas und voraussichtlichen Nachfolger in der Herrscherwürde verfasste der kaiserliche Kapellan zu Beginn der 1180er Jahre sein Erstlingswerk, das im Folgenden zu betrachtende Speculum regum. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gedachte Gottfried dem jungen König eine Abschrift seines Speculum zukommen zu lassen, allerdings gibt es für eine Überreichung des Werkes an Heinrich keine gesicherten Anhaltspunkte, zumal die überlieferten Textzeugen mehrheitlich dem 15. Jahrhundert entstammen.41 Erst nach dem Erscheinen der 1872 von Georg Waitz besorgten Edition42 wurde in Paris eine Speculum-Handschrift italienischer Provenienz aus dem frühen 13. Jahrhundert entdeckt,43 neben die sich eine – von der neueren Forschung bislang unbeachtete – stauferzeitliche Kopie des Herrscherspiegels aus Rieti stellen lässt, die heute unter der Signatur Clm 28330 in München aufbewahrt wird.44 Diese Abschriften sind immerhin ein Beleg, dass Gottfrieds Speculum regum nach der Entstehung nicht etwa für annähernd drei Jahrhunderte in Vergessenheit geriet, sondern 41 Vgl. W. WATTENBACH / F.-J. SCHMALE, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter.
Vom Tode Kaiser Heinrichs V. bis zum Ende des Interregnums, Bd. 1, Darmstadt 1976, S. 79-82, hier bes. S. 81. Für seine Edition (siehe nächste Anm.) konnte Georg Waitz auf acht Textzeugen zurückgreifen, die er drei Rezensionen zuordnete. Da sich die Zahl der bekannten Handschriften seither jedoch fast verdoppelt hat, erscheint eine Neuausgabe des Speculum unter Verwendung der noch unberücksichtigten Codices als Desiderat. 42 Gotifredi Viterbiensis opera, Speculum regum, ed. G. WAITZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 22), Hannover 1872, S. 21-93. 43 Eine ausführliche Beschreibung der Handschrift Paris, Bibliothèque nationale nouv. acq. lat. 299 in der Magisterarbeit von H. AMBERG, Studien zur handschriftlichen Überlieferung der Werke Gottfrieds von Viterbo, Würzburg 1969, S. 42-58. 44 Der laut Kolophon auf fol. 36r (Scriptus fuit iste liber Reate anni[!] domini M.CC.L. temporibus domini Innocentii quarti pp.) um 1250 in Rieti entstandene Codex ist bereits 1984 durch Günter Glauche beschrieben worden: G. GLAUCHE, Katalog der lateinischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Clm 28255-28460 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Regiae Monacensis 4/8), Wiesbaden 1984, S. 115. Gleichwohl finden sich in der seither erschienenen Literatur lediglich verstreute Hinweise auf diese frühe Abschrift des Speculum regum, vgl. etwa DERS., Godefridus Viterbiensis, ‘Speculum regum’, in: Auf den Spuren des Mittelalters. 30 Jahre Handschriftenzentrum an der Bayerischen Staatsbibliothek, red. von B. HERNAD / B. WAGNER, München 2005, Nr. 12, S. 48-49 (mit Abbildung von fol. 8r); F. FUCHS, Erkenntnisfortschritte durch Handschriftenkatalogisierung am Beispiel des Faches “Geschichte des Mittelalters”, in: Katalogisierung mittelalterlicher Handschriften in internationaler Perspektive. Vorträge der Handschriftenbearbeitertagung vom 24. bis 27. Oktober 2005 in München, hg. von der Bayerischen Staatsbibliothek (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 53), Wiesbaden 2007, S. 1-13, hier S. 7 und zuletzt auch bei M. GIESE, Über die Gesta Friderici Ottos und Rahewins von Freising. Anmerkungen zur Editions- und Überlieferungsgeschichte, in: Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 119 (2011), S. 311-330, hier S. 311-312, Anm. 1. Die 1994 von L. J. WEBER, The Historical Importance (wie Anm. 34), nach S. 191 erstellte Handschriftenliste verzeichnet den Münchener Codex Clm 28330 auffallenderweise nicht.
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trotz seiner unvollendeten Gestalt zumindest im italienischen Raum schon früh Verbreitung gefunden zu haben scheint, wobei die handschriftliche Rezeption freilich gering blieb. In Konzeption und Inhalt kann der ‘Spiegel der Könige’ insbesondere deshalb als bemerkenswert gelten, weil das zwei Bücher umfassende Werk keine theologisch oder philosophisch basierte Fürstenlehre bietet, wie sein programmatischer Titel erwarten ließe.45 Das Incipit mit der Widmung an den römischdeutschen König und Kaisersohn Heinrich gibt als Gegenstand der Verse vielmehr die “Abstammung (genealogia) aller Könige und Kaiser der Trojaner, Römer und Deutschen von der Zeit der Sintflut bis zum heutigen Tag” an, womit ein universalhistorischer Rahmen für die Beschreibung der Geschlechterfolgen festgelegt wird.46 Ferner sollte der ‘Königsspiegel’ neben den Herrschergenealogien auch die Taten Kaiser Friedrichs schildern, was sich gut in das didaktischparänetische Gesamtkonzept des Werkes einfügen würde, doch beinhaltet keine der bekannten Handschriften die in der Vorrede angekündigten Gesta Frederici.47 Tatsächlich beginnt der diachrone Erzählstrang im Speculum regum beim Auszug Noahs aus der Arche, wird aber nicht bis in die Gegenwart Gottfrieds und der staufischen Herrscher gezogen, sondern bricht entgegen der geplanten Durchführung bereits in der Karolingerzeit ab. Gleichwohl geben die historischgenealogischen Darlegungen ihre Ausrichtung auf Heinrich VI., der von Gottfried mehrfach direkt angesprochen wird, klar zu erkennen. Nach Inhalten einer Herrscherlehre für den König und zukünftigen Kaiser sucht man weithin vergebens, stattdessen wird zur Unterweisung des jungen Staufers die Weltgeschichte in metrischer Form als vorgeblich ununterbrochene Folge von Herrschaftssukzessionen dargeboten – beginnend bei Noah und seinen drei Söhnen Sem, Cham und Japhet, die nach der Sintflut die Kontinente unter sich aufteilten und mit ihren Nachkommen bevölkerten. Wie Gottfried abweichend von der im Buch Samuel (1. Sam 8) beschriebenen Errichtung der Königsherrschaft bei den Israeliten erläutert, seien bereits in dieser nachsintflutlichen Epoche die ersten 45 Noch immer grundlegend, wenn auch z.T. veraltet W. BERGES, Die Fürstenspiegel des
hohen und späten Mittelalters (Schriften des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde 2), Leipzig 1938. Aus der neueren Forschung siehe H. H. ANTON (Hg.), Fürstenspiegel des frühen und hohen Mittelalters (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 45), Darmstadt 2006, hier S. 24-26 und 208-229 zu Gottfrieds Speculum regum. 46 Gotifredi Viterbiensis opera, Speculum regum (wie Anm. 42), S. 21: Incipit speculum regum compositum a magistro Gotifredo Viterbiensi, imperialis aule capellano, ad dominum Henricum VItum regem Romanorum et Theutonicorum, filium domini Frederici imperatoris, de genealogia omnium regum et imperatorum Troianorum et Romanorum et Theutonicorum a tempore diluvii usque in hodiernum diem […], et de omnibus gestis Frederici secundum capitula que scripta sunt. 47 Auch in den beiden bekannten Handschriften des Folgewerkes, der Memoria seculorum, fehlt ein solcher Text. Die heute in Paris und München befindlichen Textzeugen des Liber universalis enthalten dann als 15. Kapitel die gereimten Gesta Friderici, die von Georg Waitz separat abgedruckt wurden: Gotifredi Viterbiensis opera, Gesta Friderici, ed. G. WAITZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 22), Hannover 1872, S. 307-334.
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Könige unmittelbar von Gott zur Disziplinierung der sündhaft lebenden Menschheit eingesetzt worden, wobei die “erste Krone” jenes Geschlecht erhielt, dem auch Heinrich VI. angehörte (Prima tui generis fuit hec, Henrice, corona). Dergestalt wurde das irdische Königtum als primordiale Institution zur Erfüllung des göttlichen Heilsplans legitimiert und mit der Ahnenreihe der staufischen Herrscher in direkte Verbindung gebracht.48 Auf diese Weise ließ sich zugleich behaupten, dass die Vorfahren der Staufer bereits in Amt und Würden waren, lange bevor es römische Bischöfe oder auch nur die Stadt am Tiberfluss gab, und weder Päpste noch Fürsten demzufolge einen Anteil an der Vermittlung weltlicher Herrschaft besaßen. Als ersten Träger der Königswürde von Noahs Stamm behandelt Gottfried den für seine Machtfülle bekannten, ja schier berüchtigten Herrscher Nimrod. Die Kapitelübersicht zum Speculum, welche nur die ältesten Handschriften aufweisen, bezeichnet Nimrod ausdrücklich als Sohn von Sem und Enkelsohn des Noah,49 was in deutlichem Widerspruch zur biblischen Überlieferung der Genesis steht. In den alttestamentlichen Geschlechterreihen wird Nimrod über den Noah-Sohn Cham und dessen Sohn Chus als Urenkel des Stammvaters Noah ausgewiesen: Chus habe Nimrod gezeugt, den ersten Machthaber auf Erden.50 Die entsprechenden Verse über König Nimrod im Speculum regum sind bezüglich seiner genealogischen Herkunft zurückhaltender, ordnen ihn nur allgemein dem Geschlecht Noahs zu.51 Umso entschiedener griff der Historiograph in seinen späteren Werken die zeitgenössisch vor allem durch Petrus Comestor († 1178) verbreitete Meinung auf, Nimrod sei kein Enkelsohn des stigmatisierten Noachiden Cham gewesen, sondern ein Nachkomme von dessen älterem Bruder Sem.52 Diese Ansippung Nimrods an einen anderen, vornehmeren Spitzenahn 48 Gotifredi Viterbiensis opera, Speculum regum (wie Anm. 42), lib. I, S. 30: Non erat im-
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perium, neque rex, neque nomen eorum; | Immo ferunt aratrum, vomere rura colunt. | Culpa gravis populi meruit sub lege teneri, | Unde Deus voluit homines sub rege tueri, | Ultor ut ipse Dei puniat acta rei. | Sic regi dat regna Deus, sic iurgia rerum. Ebd., S. 22: De Nembroth, filio Sem, nepote scilicet Noe. Die oben bei Anm. 43 erwähnte Speculum-Handschrift in München hat fol. 2r ebenfalls De Nebrot filio Sem nepote silicet[!] Noe. Vgl. Gn 10,6 (filii autem Ham Chus et Mesraim et Fut et Chanaan) und Gn 10,8-9 (porro Chus genuit Nemrod | ipse coepit esse potens in terra | et erat robustus venator coram Domino | ab hoc exivit proverbium quasi Nemrod robustus venator coram Domino). Gotifredi Viterbiensis opera, Speculum regum (wie Anm. 42), lib. I, S. 31-32; die Verse De Nebrot in der Münchener Speculum-Handschrift auf fol. 4v-5r. Vgl. Petrus Comestor, Historia scholastica, Historia libri Genesis, cap. 37, in: Patrologia Latina 198, Sp. 1088: A quo rediens Nemrod accensus amore dominandi, sollicitavit genus suum de Sem, ut imperaret aliis, quasi primogenitus, sed noluerunt; et ideo transivit ad Cham, qui acquievit, et regnavit inter eos in Babylone, et exinde dictus est de filiis Cham. Als Gottfried in einer der Vorstufen zum Pantheon die Deszendenz der italischen Herrscher von Noah darlegt, begründet er die biblische Version der Herkunft Nimrods mit dessen Herrschaft über die Nachkommen von Cham; vgl. O. KILLGUS, Studien zum Liber Universalis (wie Anm. 34), S. 215: Nembrot […] regnavit super filios Cham, unde putatur aput quosdam fuisse natus de genere Cham. Sed non est ita! Fuit enim de propagine Sem, sicut iste liber in consequentibus declarat.
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war bei Gottfried mit Sicherheit kein Zufall oder Versehen, sondern geschah im Sinne dynastischer Propaganda: Von Sem, dem erstgeborenen Sohn Noahs, stammten den Evangelisten zufolge König David und die väterlichen Vorfahren Jesu ab, insofern gehörten nach dieser gewagten Konstruktion die Staufer über den zum ‘Semiten’ erklärten Nimrod zu einem Seitenstrang der Genealogia Christi – jener durch die Hervorbringung des Erlösers geheiligten Blutslinie, deren Filiation seinerzeit in Frankreich von dem Theologen Petrus Pictaviensis († 1205) mit graphischen Hilfsmitteln so wegweisend ins Bild gesetzt wurde.53 Ähnlich wie bei den Noahsöhnen musste Gottfried von Viterbo für seine genealogische Linienführung auch unter den zahlreichen Söhnen von König Nimrod eine Auswahl treffen und entschied sich wiederum für den Erstgeborenen Cres, heros eponymos und erster Herrscher auf der Insel Kreta, dessen Name in der Hieronymus-Chronik zu finden war. Im weiteren Fortgang der Geschichtserzählung werden zudem heroische Gestalten aus der Götterwelt der griechisch-römischen Antike als Nachfahren von Nimrod in die Herrscherfolge eingereiht, was zweifellos die Dignität der Vorfahrenschaft Heinrichs VI. noch stärker betonen sollte. Die Aufnahme von heidnischen Gottheiten wie Saturn54 und Jupiter in einen Stammbaum christlicher Könige bedurfte mit Rücksicht auf das zeitgenössische Geschichts- und Weltverständnis einer besonderen Plausibilisierung: Um sich nicht dem Verdacht der Blasphemie auszusetzen, wurden die paganen Götter – entsprechend der augustinisch geprägten Tradition des Euhemerismus – aus der Sphäre des Numinosen in die irdische Welt des Altertums überführt. Die Umdeutung der Göttergestalten zu herausragenden, jedoch sterblichen Menschen erlaubte zugleich die Einordnung ihres Wirkens in den profanen Geschichtsverlauf.55 Saturn und dessen Sohn Jupiter gelten Gottfried somit als besonders
53 Zum Compendium historiae in genealogia Christi siehe noch immer P. S. MOORE, The Works
of Peter of Poitiers, Master in Theology and Chancellor of Paris (1193-1205) (Publications in Mediaeval Studies 1), Notre Dame 1936, S. 97-117. Primär für den Schulunterricht bestimmt, entwickelten sich die Zeichensysteme zu einem Erfolgsmodell für die Visualisierung von Universalgeschichte und genealogischen Zusammenhängen; vgl. dazu die Ausführungen von G. MELVILLE, Geschichte in graphischer Gestalt (wie Anm. 30), bes. S. 68-73 und auch die Beiträge in L. RADULESCU / E. D. KENNEDY (Hgg.), Broken Lines. Genealogical Literature in Late-Medieval Britain and France (Medieval Texts and Cultures of Northern Europe 16), Turnhout 2008. 54 Vgl. den Überblick über die literarischen Saturn-Darstellungen bei J. M. FRITZ, Du dieu émasculateur au roi émasculé: métamorphoses de Saturne au Moyen Age, in: L. HARFLANCER / D. BOUTET (Hgg.), Pour une mythologie du Moyen Âge (Collection de l’École Normale Supérieure de Jeunes Filles 41), Paris 1988, S. 43-60. 55 Speziell zur Euhemerismus-Rezeption im Mittelalter vgl. die älteren Studien von F. VON BEZOLD, Das Fortleben der antiken Götter im mittelalterlichen Humanismus, Bonn/ Leipzig 1922; J. D. COOKE, Euhemerism. A Medieval Interpretation of Classical Paganism, in: Speculum 2 (1927), S. 396-410, P. ALPHANDERY, L’euhémérisme et les débuts de l’histoire des religions au Moyen-Âge, in: Revue de l’Histoire des Religions 109 (1934),
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verdienstvolle Könige von Griechenland, die wegen ihrer kulturschöpferischen Leistungen – insbesondere hinsichtlich der Einführung von Gesetzen, Wissenschaften und Künsten – schon zu Lebzeiten oder nach ihrem Tod vergöttert wurden. Die Interpretation von Titulaturen wie ‘deus’ oder ‘divus’ aus der Kanzleisprache als solchen exzellenten Herrschern angeblich vom Volk beigelegte Ehrennamen56 stellt in diesem Zusammenhang einen geschickten Kunstgriff Gottfrieds dar, den königlichen Adressaten des Speculum regum, Heinrich VI., emphatisch als “Gott aus einem Geschlecht von Göttern” (deus es de prole deorum) ansprechen zu können.57 Interessanterweise wird hier der euhemeristische Deutungsansatz, welcher die konstruierten Abstammungszusammenhänge glaubhaft machen soll, in den Dienst einer Mythisierung des staufischen Herrschergeschlechts gestellt, die in der Darstellung des Barbarossa-Sohnes Heinrich als Spross des (durch sein Wirken) göttlichen Jupiter gipfelt. Der Stammvater der trojanischen und griechischen Könige sicherte in Gottfrieds Geschichtsbild desweiteren die Verwandtschaft der Staufer zu Alexander dem Großen,58 einem Prototypen des universalen Herrschers. Von Jupiter führt die genealogische Linie sodann weiter zu dessen Söhnen Dardanus und Troius; letzterer wird im Einklang mit der Praxis etymologischer Herleitungen als Gründer und Namensgeber von Troja beschrieben. Die Mythenerzählungen um die untergegangene Stadt Troja erfreuten sich an den Adelshöfen des 12. Jahrhunderts wachsender Beliebtheit und hielten, da die Historizität der Ereignisse und Protagonisten des Trojanischen Krieges als verbürgt galt, vielfach auch das Material für historiographisch-genealogische Herkunftskonstruktionen bereit: So wurde etwa vom Verfasser der um 1170 entS. 1-27; J. W. SCHIPPERS, De ontwikkeling der euhemeristische godencritiek in de christelijke latijnse literatuur, Groningen 1952. 56 Gotifredi Viterbiensis opera, Speculum regum (wie Anm. 42), lib. I, S. 38-39 (De Iove primo rege Atheniensi): Usus erat, reges divos quandoque vocari, | Vulgus eos tunc esse deos omnino putavit, | Simplicitas populi nomina vana trahit. | In terris qui tunc potuit premaior haberi, | Hunc populi voluere deum summe revereri. 57 Ebd. S. 39: Nam Troianorum tu regna tenebis avorum, | Filius illorum deus es de prole deorum. In der bei Anm. 43 genannten Handschrift befindet sich dieser Passus auf fol. 7v. 58 Gotifredi Viterbiensis opera, Speculum regum (wie Anm. 42), lib. I, S. 39: Magnus Alexander Troianaque regia proles | Romani reges Ioviano semine florent. Die Abstammung von Jupiter wird Alexander im Pantheon auch selbst in den Mund gelegt und mit dessen Anspruch auf eine exzeptionelle Stellung als Weltherrscher verbunden: Orbis ego Dominus summus et absque pari. | Me genuit natura Iovis, censura deorum, | Lege supernorum regnum mihi cedit avorum, | Ecce mihi tribuit Iupiter omne solum. – Pantheon, sive Universitatis Libri, qui Chronici appellantur, XX […], Basel 1559, Pars XI, Sp. 269. Zum Kontext dieser Passage aus der fiktiven Korrespondenz Alexanders mit dem Brachmanenkönig Dindimus siehe F. RÄDLE, Eine ‘christliche’ Lektion für den Ritter Alexander. Alexanders Briefwechsel mit dem König der Brachmanen im Pantheon Gottfrieds von Viterbo, in: U. MÖLK (Hg.), Herrschaft, Ideologie und Geschichtskonzeption in Alexanderdichtungen des Mittelalters (Veröffentlichungen aus dem Göttinger SFB 529, Serie A: Literatur und Kulturräume im Mittelalter 2), Göttingen 2002, S. 77-105.
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standenen Historia Welforum dem Welfengeschlecht in Schwaben und Bayern eine vornehme – wenngleich nicht näher konkretisierte – Abkunft von den ‘trojanischen’ Franken bescheinigt.59 Weitere Beispiele für die Verknüpfung der Ursprünge mittelalterlicher Adelsdynastien mit den legendären Geschehnissen in Troja ließen sich anführen.60 Mit Blick auf die zunehmende Popularität von Trojageschichten in adligen Kreisen überrascht es daher kaum, wenn Gottfried von Viterbo sich ebenfalls antiker Mythen bediente, um den Stammbaum seines Adressaten weit in die Geschichte zu verlängern und durch die Verbindung mit Heroen des Altertums aufzuwerten. Bei den Nachkommen der letzten Könige von Troja setzt der Geschichtsschreiber dabei eine entscheidende dynastische Zäsur an, nämlich eine Teilung der prosapia regum in einen italisch-römischen und in einen fränkisch-deutschen Strang, die erst mit der Zeugung und Geburt von Karl dem Großen überwunden worden sei:61 “In zwei Zweige geteilt ist die Abkunft von troischem Samen: | Roms Diadem erwarb in italischem Land sich der eine, | Deutsche Reiche beherrscht glücklich der zweite mit Gunst. | Karl, im Leibe von Bertha aus Pippins Samen empfangen, | Führt die zwei Linien fort, nach Abkunft von beiden Seiten, | Mütterlich römischen Stamms, väterlich deutschen Geschlechts.”62
Der Trojanische Krieg hatte aus der dynastischen Perspektive Gottfrieds von Viterbo eine Aufspaltung der königlichen Blutslinie zur Folge. Einerseits habe sich Aeneas, Sohn des Anchises und der Venus, nach der Zerstörung von Troja mit seinem Sohn Ascanius und zahlreichen Kriegern in Mittelitalien niedergelassen, näherhin im Latium. Antenor und ein von Gottfried fingierter gleichnamiger Neffe des Königs Priamus sollen andererseits mit ihrem Gefolge über das 59 Historia Welforum Weingartensis, ed. L. WEILAND (Monumenta Germaniae Historica,
Scriptores 22), Hannover 1869, S. 454-471, hier cap. 1, S. 457-458.
60 Zum Trojastoff in der lateinischen Historiographie siehe A. E. COHEN, De visie op Troje
van de westerse middeleeuwse geschiedschrijvers tot 1160 (Van Gorcum’s historische Bibliotheek 25), Assen 1941. Zwar sind die Formen der historisch-genealogischen Bezugnahme auf die Trojaner noch nicht ansatzweise systematisch erfasst worden, doch besitzt die Thematik schon seit einiger Zeit das Interesse der Forschung; vgl. etwa B. KELLNER, Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mittelalter, München 2004, bes. S. 131-294 und zum Trojamythos speziell im 12. Jahrhundert auch K. WOLF, Troja – Metamorphosen eines Mythos. Französische, englische und italienische Überlieferungen des 12. Jahrhunderts im Vergleich (Europa im Mittelalter 13), Berlin 2008. 61 Gotifredi Viterbiensis opera, Speculum regum (wie Anm. 42), lib. II (Prooemium), S. 62: In duo dividimus Troiano semine prolem: | Una per Ytaliam sumpsit dyademata Rome, | Altera Theutonica regna beata fovet. Karolus in Berte Pipini semine ventre | Hec duo continuat, conceptus utroque parente, | Romuleus matre, Theutonicusque patre. Vgl. auch ebd. den Werkprolog, S. 21: In Priamo autem et Anchise prosapia regum in duo dividitur. 62 Zitiert nach der Übersetzung von H. H. ANTON, Trojaner, Franken, Deutsche im Königsspiegel des Gottfried von Viterbo, in: A. GREULE / H.-W. HERRMANN / K. RIDDER / A. SCHORR (Hgg.), Studien zu Literatur, Sprache und Geschichte in Europa. Wolfgang Haubrichs zum 65. Geburtstag, St. Ingbert 2008, S. 617-633, hier S. 629.
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Illyrische Meer nach Pannonien gelangt sein. In Italien bot sich dem Neuankömmling Aeneas wegen seiner edlen Abstammung aus dem trojanischen Königshaus die Möglichkeit, in das hier ansässige Geschlecht der Latinerkönige einzuheiraten und deren Herrschaft fortzusetzen, obgleich Lavinia, die Erbtochter von König Latinus, eigentlich bereits dem tugendreichen Fürsten Turnus versprochen war und wenig Interesse an dem deutlich älteren Brautwerber aus Troja zeigte.63 Aeneas’ glanzvolle genealogische Herkunft wog jedoch die Nachteile seines Alters auf und ließ ihn in den Augen von Latinus als den würdigeren Erben des Königtums erscheinen.64 Die Entscheidung der Heiratsfrage fiel schließlich in einem Zweikampf, bei dem Aeneas seinen Rivalen Turnus bezwang und tötete. Aus der daraufhin geschlossenen Ehe mit Lavinia ging die Linie der latinischen Herrscher hervor, deren Abfolge Gottfried im ersten Buch seines Speculum bis zum letzten römischen König Tarquinius Superbus und der nachfolgenden Errichtung der Senatsherrschaft in Rom entwickelt. Der Kontinuitätsbruch war freilich insofern nur vorübergehend, als sich im zweiten Buch mit dem ‘kaiserlichen’ Aeneas-Nachfahren Julius Caesar wieder an das Trojanergeschlecht anknüpfen ließ. Außer Aeneas, der in Italien zum Ahnherrn der römischen Kaiser und ihrer mittelalterlichen Nachfolger werden sollte, hatten aber – wie bereits erwähnt – noch andere Mitglieder der Königsfamilie aus dem brennenden Troja fliehen können: Der jüngere Priamus und Antenor erreichten mit den Resten des trojanischen Heeres Pannonien und erbauten dort die bald mächtige Stadt Sicambria, die kommenden Generationen als Ausgangspunkt für Eroberungszüge nach 63 Vgl. hierzu die Detailuntersuchungen von E. DORNINGER, Abstammung und politische
Macht. Zur ‘stirps nobilis’ im 12. Jahrhundert am Beispiel von Aeneas, in: P. CSÓBADI / G. GRUBER / J. KÜHNEL / U. MÜLLER / O. PANAGL / V. SPECHTLER (Hgg.), Politische Mythen und nationale Identitäten im (Musik-)Theater: Vorträge und Gespräche des Salzburger Symposions 2001, Bd. 1 (Wort und Musik 54), Anif 2003, S. 89-108; DIES., In Zeit und im Angesicht der Ewigkeit. Lavinia und Aeneas: eine dauernde Liebe mit weitreichenden Folgen, in: G. JARITZ / G. MORENO-RIAÑO (Hgg.), Time and Eternity. The Medieval Discourse (International Medieval Research 9), Turnhout 2003, S. 373400; DIES., Mutter- und Tochterbeziehungen am Beispiel des Aeneasstoffes: Heinrich von Veldecke und Gottfried von Viterbo, in: S. JEFFERIS (Hg.), Current Topics in Medieval German Literature. Texts and Analyses (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 748), Göppingen 2008, S. 32-54. 64 Dies kommt in der erzürnten Antwort von König Latinus auf die von seiner Gemahlin Amata vorgebrachten Bedenken gegen Aeneas (Iste senex merito seu probitate minor) zum Ausdruck, siehe Gotifredi Viterbiensis opera, Speculum regum (wie Anm. 41), lib. I, S. 46: Quero michi generum, qui stirpe fulget [refulget in der Hs. München, Clm 28330, fol. 10v] avorum, | Cui dedit Ytalicum regnum censura deorum, | Det sibi virgineum filia nostra thorum. Vgl. auch die ebd., S. 47 abgedruckte Kommentarglosse, in welcher Latinus’ Rede paraphrasiert wird: Rex Latinus vero hec omnia destruere volens, dixit, se potius velle filiam suam copulari viro seniori, qui de antiquissimo nobilissimoque semine regali natus esset, vitam suam in honoribus et bona fama hucusque deduxisset, cui et dii regnum Ytalie promiserunt possidendum, quam iuniori inexperto subiungens […].
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Germanien und Gallien diente.65 Eingenommen von der Schönheit und Fruchtbarkeit der Gebiete entlang des Rheins begannen nach Gottfrieds Schilderung die trojanisch-sicambrischen Heerführer sich dort anzusiedeln, was die Sicambrer veranlasst habe, ihre Volksbezeichnung zu ändern und sogar ihre ursprüngliche Sprache zugunsten der deutschen Sprache und Gebräuche abzulegen: Gens Troiana sibi Germanica nomina querit, | Et cupit a patria populus Germanus haberi.66 Jener Priamus iunior, Schwestersohn von König Priamus und Anführer der schließlich zu ‘Deutschen’ gewordenen Flüchtlinge aus Troja sei als Spitzenahn der universa Theutonicorum nobilitas anzusehen, heißt es dazu schon im Widmungsprolog des Speculum regum67 – und dass den Staufern der erste Rang innerhalb dieser nobilitas gebührte, stand für einen hofnahen Geschichtsschreiber wie Gottfried wohl außer Frage. In Italien und Germanien gründeten die Trojaner durch friedliche oder gewaltsame Landnahme neue Adelsgeschlechter und Völker, ihr gemeinsames trojanisches Blut aber sei nach vielen Generationen in Karl dem Großen wieder zusammengeflossen, wie Gottfried von Viterbo im Anschluss an die Geschichte der antiken römischen Kaiser und der fränkischen Könige im zweiten Buch des Speculum ausführt. Der Erneuerer des westlichen Kaisertums und progenitor Friedrich Barbarossas68 leitete seine Herkunft nach Gottfrieds genealogischer Theorie in doppelter Linie vom Königsgeschlecht der Trojaner ab, vermittelt durch seine Eltern Pippin und Berta: Von Berta ‘mit dem großen Fuß’ behauptet der Chronist, dass sie aus Ungarn stammte und ihre “griechische” Mutter eine Tochter des (ost-)römischen Kaisers Heraclius gewesen sei.69 Als angebliche Enkeltochter von Heraclius (610-641) gehörte Berta zum genus der römischen und byzantinischen Kaiser, das mit der Ehe von Aeneas und Lavinia seinen An65 Ebd., lib. II, S. 62: Castra parant populi regibus apta suis. | Arte parant urbem similantem menia
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Troie. […] Urbs ornata viris nova dicta Sicambria crevit [creavit in der Hs. München, Clm 28330, fol. 17r]. Siehe ebd., lib. II, S. 63 und die kommentierte Übersetzung der Verse bei H. H. ANTON, Trojaner, Franken, Deutsche (wie Anm. 62), S. 631. Gotifredi Viterbiensis opera, Speculum regum (wie Anm. 42), Prolog, S. 21: Ex Anchise enim Eneas et Ascanius omnesque reges et imperatores Ytalici oriuntur usque ad Karolum regem Magnum; a Priamo autem iuniore, nepote magni Priami ex sorore, universa Theutonicorum nobilitas usque ad eundem Karolum patenter emanat. Siehe oben bei Anm. 5. Gotifredi Viterbiensis opera, Speculum regum (wie Anm. 42), lib. I, S. 92: Sponsa fuit regi grandis pede nomine Berta: | Venit ab Ungaria, set Greca matre reperta, | Cesaris Eraclii filia namque fuit. Vgl. auch ebd. den Speculum-Prolog, S. 21-22: In ipso Karolo utriusque propaginis genus concurrit. Mater enim eius Berta, cum esset filia filie imperatoris Eraclii, de genere imperatorum Romanorum et Grecorum fuit, Pipinus autem pater eius, rex Theutonicorum, a genere Troiano descendit. Fuit itaque Karolus Magnus patre Theutonicus et matre Romanus. Zur im 13. Jahrhundert verschriftlichten Bertasage vgl. B. LUNDT, Berta mit den großen Füßen. Von den Schwierigkeiten, die richtige Mutter eines Herrschers zu werden (Ein Fallbeispiel aus dem 13.-15. Jahrhundert), in: C. EIFERT / A. EPPLE / M. KESSEL (Hgg.), Was sind Frauen? Was sind Männer? Geschlechterkonstruktionen im historischen Wandel, Frankfurt a. M. 1996, S. 97-121.
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fang genommen hatte. Der zweite Strang verläuft über Bertas Gemahl Pippin († 768), der als Frankenkönig ebenfalls trojanische Wurzeln besaß, war das Geschlecht der fränkisch-deutschen Herrscher doch aus der prosapia von Priamus und Antenor hervorgegangen.70 Mütterlicherseits ein ‘Römer’ und väterlicherseits ein ‘Deutscher’, vereinte der gemeinsame Sohn von Berta und Pippin in sich das Blut der seit dem Untergang Trojas getrennt verlaufenen Abstammungslinien, wie es auch in einer – sehr wahrscheinlich von Gottfried selbst herrührenden – Prosanotiz zu den Versen über die Geburt Karls des Großen nochmals expliziert wird: “Merke, dass das trojanische Geschlecht in zwei [Linien] geteilt war, nämlich in die Italiener durch Aeneas und in die Deutschen durch Priamus. Diese beiden Zweige sind in Karl vereint”.71
Seit der Geburt des Karolingers existierte nach Gottfrieds Überzeugung nur noch eine einzige (trojanische) Blutslinie, welche über die Salier direkt in Friedrich Barbarossa und Heinrich mündete. Anstatt jedoch dem staufischen Thronerben die im Prolog angekündigte genealogia omnium regum et imperatorum von der Sintflut bis zur Gegenwart zu schildern, endet der ‘Königsspiegel’ bei der Vermählung von Pippin und Berta mit einem Ausblick auf ihren Sohn Karl als Bindeglied zwischen Römern und Deutschen.72 Als Umsetzung des hier noch Fragment gebliebenen genealogischen Konzepts lassen sich die auf dem Speculum regum aufbauenden Werke Gottfrieds bis hin zum Pantheon beschreiben, das in fast vierzig Handschriften aus dem 13.15. Jahrhundert überliefert ist und folglich als ein ‘Bestseller’ der mittelalterlichen Chronistik gelten kann.73 Vom Speculum behielt Gottfried den Leitgedanken dynastischer Kontinuität im Herrschertum bei und gestaltete ihn zu einer Universalgenealogie der Könige und Kaiser von Adam bis zu den Staufern aus. Durch die fortlaufende Aufnahme zusätzlicher Materialien wuchsen Gottfrieds 70 Vgl. den Cathalogus Troianorum regum secundum ystorias in Gotifredi Viterbiensis opera, Pan-
theon (wie Anm. 39), Particula XXXII, cap. 4, S. 300: Iunior autem Priamus et Antenor transierunt in Pannoniam et inde in Iermaniam, et ibi regnaverunt. De quorum prosapia omnes reges Francorum habent originem. 71 Ebd., S. 93: Nota, Troyanam prosapiam in duo fuisse divisam, scilicet in Ytalicos per Eneam et in Teotonicos per Priamum; iste ambe parentele in Carolo sunt unite. Jene Notiz zu den Schlussversen enthält an gleicher Stelle auch die Speculum-Handschrift in München (fol. 30r), weshalb sie zum Bestand der wohl von Gottfried eingefügten Bemerkungen gehören dürfte. 72 Der Codex Clm 28330 bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme – auf den letzten Vers (Sicut et intitulis pagina nostra sonat) folgt auf fol. 30v-36r ein vom Apostelfürsten Petrus bis zu Nikolaus I. (858-867) geführter Papstkatalog in Prosa; vgl. Gotifredi Viterbiensis opera, Speculum regum (wie Anm. 42), S. 25-30. 73 Alle bekannten und verfügbaren Manuskripte der (nach WAITZ) insgesamt drei Redaktionsstufen wurden 1993 kodikologisch beschrieben von L. J. WEBER, Godfrey of Viterbo’s Pantheon (wie Anm. 33), S. 255-388. Der Einfluss von Gottfrieds Geschichtsdarstellungen auf die Historiographie des späteren Mittelalters harrt im Übrigen noch einer eingehenderen Untersuchung.
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Schriften mehr und mehr an und entwickelten sich dabei in Gestalt und Umfang zu historischen Enzyklopädien.74 In der Perspektive seiner kühnen historiographischen Konstruktion bot sich Gottfried von Viterbo die Abfolge der Herrscher und Reiche als genealogischer Zusammenhang dar, als die fortwährende Herrschaft eines kaiserlichen Geschlechts (imperialis prosapia), in welchem die Herrschaft stets vererbt wurde. Die Weitergabe der höchsten Herrscherwürde könne deshalb als ‘Genealogie’ verstanden werden, führte Gottfried in der Memoria seculorum aus, weil die Sukzession immer vom Vater auf den Sohn, den Bruder oder Neffen des regierenden Königs oder auf ein anderes Mitglied derselben parentela erfolgt sei.75 Lücken und Brüche in der successio regum waren aber nicht völlig ausgeschlossen, so gehörte für Gottfried der 1125 zum König gewählte Sachsenherzog Lothar nicht dem Geschlecht Karls des Großen an,76 dessen staufische Nachfolger hingegen sehr wohl: Mit Konrad III. de proienie Carulorum77 und seinem ex clarissima progenie Carolorum stammenden Neffen Friedrich I.78 kehrten nach diesem Verständnis dann wieder Angehörige des alten karolingischen Geschlechts auf den Thron zurück, wobei die Königswahlen durch die deutschen Fürsten ausdrücklich vermerkt werden. Seine aus der Geschichtsbetrachtung gewonnene Lehre, dass die von Gott verliehene Herrschergewalt – im Erbgang oder eben durch Wahl – auf lange Sicht stets an die Blutslinie ihrer ersten Träger gebunden bleibe, fand Gottfried demnach in der Herrschaft der Karolinger-Nachfahren Konrad, Friedrich Barbarossa und Heinrich bestätigt. Die Suggestionskraft der vom Hofkapellan Barbarossas formulierten Idee, es habe seit den frühesten Anfängen der Menschheit bis in die Gegenwart des aus74 Vgl. hier und zum Folgenden auch O. ENGELS, Gottfried von Viterbo und seine Sicht
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des staufischen Kaiserhauses, in: H. MORDEK (Hg.), Aus Archiven und Bibliotheken. Festschrift für Raymund Kottje zum 65. Geburtstag (Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte 3), Frankfurt a. M. 1992, S. 327-345. Gotifredi Viterbiensis opera, Memoria seculorum (wie Anm. 36), S. 100: Ecce habes, lector, clarissimam regum genealogiam a tempore diluvii usque ad imperatorem nostri temporis dominum Fredericum; ita dumtaxat quod omni tempore et per omnes etates successio fiat illius sanguinis sive de patre in filium sive in fratrem sive in nepotem aut in consanguineum istius parentele. Et si aliquando in alienam proieniem successio regum exorbitasse asseritur, semper ad prime stirpis propaginem redire monstratur, et semper ad propriam rediit parentelam. Diesen für das genealogische Verständnis der imperialis prosapia markanten Passus nahm Gottfried auch in den Liber universalis auf, während ihn die Pantheon-Fassungen in dieser Form nicht mehr beinhalten. In einer genealogia der fränkisch-deutschen Herrscher von Noah bis zu Heinrich VI. heißt es einschränkend, der “aus dem Volk der Sachsen” stammende Lothar sei “weder vom Geschlecht noch vom Blute der Karolinger” gewesen: O. KILLGUS, Studien zum Liber Universalis (wie Anm. 34), S. 214: Lotharius de gente Saxonum, qui non fuit ex proienie vel de sanguine Carulorum, imperat annis XIJ. Vgl. ebd.: Post mortem Lotarii imperatoris de gente Saxonum regnat Conradus tercius de proienie Carulorum et sedit annis XV. Pantheon, sive Universitatis libri (wie Anm. 58), Sp. 597; siehe auch Gotifredi Viterbiensis opera, Pantheon (wie Anm. 39), Particula XXIV, cap. 1, S. 264.
Fridericus primus […] natus ex clarissima progenie Carolorum
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gehenden 12. Jahrhunderts gleichsam nur ein einziges zur Universalherrschaft befähigtes und berufenes Geschlecht gegeben, zeigt sich (in Verschränkung mit eschatologischem Gedankengut) an dem später von Heinrich VI. unternommenen Versuch, das deutsche Königtum – und damit auch die Anwartschaft auf die Kaiserkrone – von der Wahlentscheidung der Fürsten abzukoppeln und erblich an seine Dynastie zu binden, nachdem ihr Fortbestand in der nächsten Generation durch die Geburt eines Sohnes am Weihnachtsfest 1194 gesichert schien.79 Aus der Ehe Heinrichs mit der gut zehn Jahre älteren Königstochter Konstanze von Sizilien († 1198) waren bis dahin noch keine Kinder hervorgegangen,80 weshalb die Geburt des künftigen Thronfolgers an einem derart symbolträchtigen Zeitpunkt von Dichtern und Historiographen aus dem Umfeld des kaiserlichen Hofes geradezu euphorisch gefeiert, von den politischen Gegnern des Stauferkaisers mit allerlei boshaften Gerüchten umrankt wurde, doch soll diese Thematik zugunsten eines kurzes Fazits ausgespart bleiben.81
79 Vgl. zum – erfolglosen – kaiserlichen Versuch der Schaffung einer Erbmonarchie und
den historisch-politischen Vorstellungen im Umkreis des Herrschers U. SCHMIDT, Königswahl und Thronfolge (wie Anm. 13), S. 231-255; DERS., “Ein neues und unerhörtes Dekret.” Der Erbreichsplan Heinrichs VI., in: Kaiser Heinrich VI. Ein mittelalterlicher Herrscher und seine Zeit, hg. von der Gesellschaft für staufische Geschichte (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 17), Göppingen 1998, S. 61-81; H. JAKOBS, Weltherrschaft oder Endkaiser? – Ziele staufischer Politik im ausgehenden 12. Jahrhundert, in: T. KÖLZER (Hg.), Die Staufer im Süden. Sizilien und das Reich, Sigmaringen 1996, S. 13-28 (skeptisch); L. VONES, Confirmatio Imperii et Regni. Erbkaisertum, Erbreichsplan und Erbmonarchie in den politischen Zielvorstellungen der letzten Jahre Kaiser Heinrichs VI., in: S. WEINFURTER (Hg.), Stauferreich im Wandel (wie Anm. 1), S. 312-334; T. FOERSTER, Der Prophet und der Kaiser. Staufische Herrschaftsvorstellungen am Ende des 12. Jahrhunderts, in: S. BURKHARDT / T. METZ / B. SCHNEIDMÜLLER / S. WEINFURTER (Hgg.), Staufisches Kaisertum im 12. Jahrhundert. Konzepte – Netzwerke – Politische Praxis, Regensburg 2010, S. 253-276. 80 Dass die Hochzeitsfeierlichkeiten Anfang 1186 in Mailand stattfinden konnten, der jahrzehntelang von Heinrichs Vater bekämpften Lombardenmetropole, spiegelt wohl am eindrücklichsten das ‘renversement des alliances’ in Italien nach den Friedensschlüssen von Venedig (1177) und Konstanz (1183); siehe zur sizilisch-staufischen Heiratsverbindung u.a. T. KÖLZER, Sizilien und das Reich im ausgehenden 12. Jahrhundert, in: Historisches Jahrbuch 110 (1990), S. 3-22; T. WELLER, Die Heiratspolitik des deutschen Hochadels im 12. Jahrhundert (Rheinisches Archiv 149), Köln/Weimar/Wien 2004, S. 116-130. Vgl. auch DERS., Konstanze von Sizilien, in: A. FÖSSEL (Hg.), Die Kaiserinnen des Mittelalters (wie Anm. 1), S. 213-231. 81 Zur Überhöhung der Stauferdynastie, die in der hofnahen Literatur und Geschichtsschreibung um 1200 einsetzt, siehe ausführlich F. DELLE DONNE, Il potere e la sua legittimazione. Letteratura encomiastica in onore di Federico II di Svevia (Testis Temporum 2), Arce 2005. Aus der praktisch nicht mehr zu überblickenden Fülle von Publikationen über den späteren König und Kaiser Friedrich II. († 1250) sei an dieser Stelle stellvertre-
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Kai Hering
5. Zusammenfassung Für die dynastisch hergeleitete Idoneität der Frühstaufer waren die agnatischen Vorfahren aus dem schwäbisch-elsässischen Raum, um die man am Hof Barbarossas durchaus noch wusste, praktisch kaum von Bedeutung. Der Aufstieg vom Herzogsrang zur Königs- und Kaiserwürde, aber auch die Festigung der imperialen Herrschaft während der fast vierzigjährigen Regierung Friedrichs I. bewirkten in diesem Sinne vielmehr eine dezidierte Betonung der Verwandtschaft zum salischen Haus. Dass die für das staufische Rangbewusstsein und Herrschaftsverständnis überaus wichtige Anbindung an das Geschlecht der Salier so prägend wirken konnte, obschon sie auf kognatischem Wege – durch die Gemahlin Friedrichs I. von Schwaben – vermittelt wurde –, ist bezeichnend für das noch nicht auf patrilineare Strukturen festgelegte adlige Herkunftsdenken im hohen Mittelalter. Gottfried von Viterbo griff die Salierverwandtschaft der Staufer auf und verknüpfte sie mit verschiedenen historiographischen Traditionssträngen – wie der Troja-Herkunft der Franken und Römer oder der Abstammung von den Karolingern – zu einer universalen Herrschergenealogie, deren historisch gewachsenes Idoneitätspotential vorerst nicht mehr zu übertreffen war. Ob aber der junge staufische König Heinrich VI., am vorläufigen Ende einer die gesamte Welt- und Heilsgeschichte umgreifenden Ahnenkette stehend, jemals selbst im Speculum regum oder in einem von Gottfrieds anderen Geschichtswerken über seine Abstammung von Jupiter, Aeneas und Karl dem Großen nachgeschlagen hat, ob er überhaupt Kenntnis von ihnen besaß, ist dagegen eine andere, weitaus schwieriger zu beantwortende Frage.
tend nur die jüngste deutschsprachige Lebensbeschreibung von O. B. RADER, Friedrich II.: Der Sizilianer auf dem Kaiserthron. Eine Biographie, München 2010, genannt.
MARIGOLD ANNE NORBYE
Iste non ponitur in recta linea arboris genealogie Graphische Darstellung und Legitimität in französischen Königsgenealogien
Iste Hugo non ponitur in recta linea arboris genealogie quia regnum invasit cum non esset de stipite regio.1 “Dieser Hugo ist nicht auf der richtigen Linie des Stammbaums platziert, weil er das Königtum an sich riss, obwohl er nicht von königlichem Geblüt war.” So erklärte Bernard Gui in dem von ihm verfassten Stammbaum der Könige von Frankreich, warum er einen der wichtigsten französischen Könige und Gründer einer neuen Dynastie von der Hauptlinie der Thronnachfolge in seinem genealogischen Diagramm nicht berücksichtigte. Mit dieser einfachen Aussage legte Bernard dem Leser dar, warum Hugo seiner Meinung nach nicht der legitime König war. In der beigefügten graphischen Darstellung ist Hugo in eine Seitenlinie gesetzt und nicht auf den zentralen Stamm, der die Abfolge der rechtmäßigen Herrscher verdeutlicht. Die über die Graphik vermittelte Botschaft ist noch deutlicher als der Text; sie weist den Betrachter unmittelbar auf das Legitimationsdefizit Hugos hin. Bernard Gui ist einer von mehreren mittelalterlichen französischen Verfassern genealogischer Diagramme der Könige von Frankreich. In diesem Aufsatz untersuche ich verschiedene Beispiele im Hinblick auf die zugrundeliegenden Konzepte von Legitimation.2 Der Hugo Bernard Guis, bei dem es sich um keinen anderen handelt als Hugo Capet, den Gründer der Kapetingerdynastie, soll dafür als Beispiel dienen. Einen Großteil des diesem Aufsatz zugrundeliegenden 1 2
Bernard Gui, Arbor genealogie, Paris, BnF, MS latin 4989, fol. 89-89v, fol. 260v. Dieser deutsche Aufsatz basiert auf den Forschungen und Analysen, die ich andernorts veröffentlicht habe: M. A. NORBYE, Genealogies in Medieval France, in: R. L. RADULESCU / E. D. KENNEDY (Hgg.), Broken Lines. Genealogical Literature in Late-Medieval Britain and France (Medieval Texts and Cultures of Northern Europe 16), Turnhout 2008, S. 79-101; DIES., Arbor genealogiae: Manifestations of the Tree in French Royal Genealogies, in: P. SALONIUS / A. WORM (Hgg.), The Tree: Symbol, Allegory, and Mnemonic Device in Medieval Art and Thought (International Medieval Research 20), Turnhout 2014, S. 69-93 und XIV. Die Sachinformationen sind zusammengefasst in: DIES., Genealogical Chronicles in French and Latin, in: G. DUNPHY (Hg.), Encyclopedia of the Medieval Chronicle, 2 Bde., Leiden/Boston 2010, Bd. 1, S. 671-672. Einen Überblick über diagrammatische Chroniken gibt A. WORM, Diagrammatic chronicles, in: ebd., S. 522-532. Für die Übersetzung danke ich Andrea Worm, Franz Hackenberg und Volkmar Lehmann. Ich bedanke mich auch bei Cristina Andenna und Gert Melville für ihre Einladung zu dieser Tagung.
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theoretischen Rahmens verdanke ich Gert Melville. Mein Beitrag besteht in der Zusammenstellung einer Sammlung von Beispielen aus verschiedenen französischen Handschriften und ihrer Nutzung als Fallstudien, die Melvilles Ausführungen und Ergebnisse bestätigen und weiter illustrieren.3 Es sei kurz an die hauptsächlichen Funktionen genealogischer Diagramme bei der Legitimierung königlicher Dynastien erinnert: Zunächst dienen die graphischen Darstellungen dazu, eine bestimmte königliche Abstammungslinie hervorzuheben und ihre Kontinuität aufzuzeigen. Sodann betonen sie die Verbindungen zwischen einem bestimmten gegenwärtigen Herrscher und seinen berühmten Vorfahren und mehren so sein Prestige. Durch den Ein- oder Ausschluss bestimmter Linien und Personen wirken genealogische Schaubilder häufig selektiv. Schließlich können sie auch beim Fehlen von direkten Blutsverbindungen die Übertragung politischer Macht gleichwohl als ungebrochene Kette herausstellen und betonen. Die Entscheidungen, die bei den Hervorhebungen und schon bei der Auswahl der Personen getroffen werden, sind selten neutral: Wie der französische Historiker Bernard Guenée bereits feststellte, handelt es sich bei der Aufnahme eines Königsnamens in eine Liste um einen politischen Akt, mit dem die Legitimität des Königs anerkannt und bestätigt wurde.4 Dasselbe gilt für das Einbeziehen eines Herrschers in eine Genealogie. Nun erstellten verschiedene Autoren des Mittelalters abweichende Listen der französischen Könige – es gab keine allgemein akzeptierte Liste. Dies wirft die Frage auf, nach welchen Kriterien sie die Legitimität eines Königs ermittelten: Abstammung und Geburt, Krönung und Salbung – oder aber die faktische Ausübung von Herrschaft und Macht, unabhängig davon, ob sie auf gewaltsame oder friedliche Art erlangt wurde. Im mittelalterlichen Frankreich erbte die Mehrzahl der Könige ihren Thron tatsächlich durch ihr Geblütsrecht, meistens von ihrem Vater oder von einem anderen männlichen Verwandten, so dass die Abstammung ein Hauptelement zur Legitimierung eines Königs darstellte. Die Blutslinie wurde zunehmend wichtiger und am Ende des Mittelalters zu einem unerlässlichen Element in der
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G. MELVILLE, Geschichte in graphischer Gestalt. Beobachtungen zu einer spätmittelalterlichen Darstellungsweise, in: H. PATZE (Hg.), Geschichtsschreibung und Geschichtsbewusstsein im späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen 31), Sigmaringen 1987, S. 57154. DERS., Vorfahren und Vorgänger. Spätmittelalterliche Genealogien als dynastische Legitimation zur Herrschaft, in: P.-J. SCHULER (Hg.), Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, Sigmaringen 1987, S. 203-309. B. GUENÉE, Les généalogies entre l’histoire et la politique: la fierté d’être Capétien, en France, au Moyen Age, in: Annales. Économies, Sociétés, Civilisations 33 (1978), S. 450477 (S. 450), ND in: DERS., Politique et histoire au Moyen Âge. Recueil d’articles sur l’histoire politique et l’historiographie médiévale (1956-1981) (Publications de la Sorbonne. Série réimpressions 2), Paris 1981, S. 341-368 (S. 341).
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französischen Königsideologie.5 Allerdings wurde die Blutslinie zweimal durch Dynastiewechsel unterbrochen: von den Merowingern zu den Karolingern und von den Karolingern zu den Kapetingern. Der erste Karolinger, Pippin der Jüngere, bestieg den Thron mit dem Segen des Papstes und der Zustimmung des Adels. Der erste Kapetinger, Hugo Capet, errang die Herrschaft durch politische Intrigen und militärische Macht; er sicherte sich die Unterstützung der wichtigsten Mitglieder des Adels und der Geistlichkeit und stellte zugleich sicher, dass der potentielle nächste karolingische Thronerbe machtlos blieb. Pippins Aufstieg ging relativ unumstritten vonstatten. Hugos Herrschaftsübernahme im westfränkisch-französischen Königreich dagegen sahen einige als Usurpation an. Obwohl er die tatsächliche Macht innehatte und gekrönter König war, stellten manche Geschichtsschreiber in den folgenden Jahrhunderten immer wieder seine Legitimität infrage. Als im späten 13. Jahrhundert die Ideologie der Blutslinie immer mehr Bedeutung gewann, entstand in der Abtei Saint-Denis bei Paris mit den Grandes Chroniques de France eine gewissermaßen ‘offizielle’ Geschichte Frankreichs.6 Dabei gab es ein Bemühen um das Aufspüren von Blutsverbindungen zwischen allen drei Dynastien. Der erste karolingische König Pippin stammte von Arnulf, dem Bischof von Metz ab. Nach einer von den Grandes Chroniques implizit unterstützten Tradition war Arnulfs Großvater ein gewisser Ansbert. Dieser war mit der mythischen Blitildis verheiratet, angeblich eine Tochter des Merowingerkönigs Chlothar.7 Diese fiktive Genealogie machte die Karolinger zu entfernten Abkömmlingen der Merowinger. Im Fall der Kapetinger wiesen Hugo und seine Nachfahren über ihre Mütter karolingisches Blut auf (die meisten Adelsfamilien hatten an irgendeiner Stelle karolingische Vorfahren), aber in den Grandes Chroniques lag der Fokus auf einer bis dahin unklaren Prophezeiung, nach welcher der Thron nach sieben Generationen zu den Karolingern zurückkehren würde (reditus regni ad stirpem Karoli Magni).8 Der entsprechende kapetingische König 5
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Siehe dazu zum Beispiel C. BEAUNE, The Birth of an Ideology. Myths and Symbols of Nation in Late-Medieval France, übers. v. S. ROSS HUSTON, hg. v. F. L. CHEYETTE, Berkeley 1991, sowie A. W. LEWIS, Royal Succession in Capetian France. Studies on Familial Order and the State (Harvard Historical Studies 100), Cambridge, Mass./London 1981. G. M. SPIEGEL, The Chronicle Tradition of Saint-Denis. A Survey (Medieval Classics. Texts and Studies 10), Brookline, Mass./Leyden 1978; B. GUENÉE, Les Grandes Chroniques de France. Le Roman aux roys (1274-1518), in: P. NORA (Hg.), Les Lieux de mémoire. Les Frances, 3 Bde., Paris 1986, Bd. 2: La Nation, S. 189-214. Les Grandes chroniques de France, Bd. 7: Louis VIII et Saint Louis, ed. J. VIARD (Société de l’histoire de France. Publications 429), Paris 1932, S. 4, behaupten, dass Pippin von Blatude, Tochter Chlothars I., abstamme. Ebd., S. 2-7, erzählen die reditus-Geschichte. E. A. R. BROWN, La généalogie capétienne dans l’historiographie du Moyen Age: Philippe le Bel, le reniement du reditus et la création d’une ascendance carolingienne pour Hugues Capet, in: D. IOGNA-PRAT / J.-C. PICARD (Hgg.), Religion et culture autour de l’an Mil. Royaume capétien et Lotharingie. Actes du colloque Hugues Capet, 987-1987. La France de l’An Mil (Auxerre, 26 et 27 juin 1987 – Metz, 11 et 12 septembre 1987), Paris 1990, S. 200-202.
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(Philipp II. August) hatte passenderweise eine Adlige mit karolingischer Vorfahrenschaft (Isabella von Hennegau) geheiratet, so dass mit dem Sohn aus dieser Verbindung (Ludwig VIII.) die Prophezeiung als erfüllt galt. Trotz derartiger Versuche, die drei Dynastien miteinander zu verbinden, wird von der Struktur der Grandes Chroniques her klar zwischen den Dynastien unterschieden, wie es auch in den meisten anderen Chroniken über die französischen Könige der Fall war. Die dynastischen Brüche in der Sukzessionslinie werden innerhalb genealogischer Diagramme besonders gut sichtbar. Diese Schaubilder sind im Gegensatz zum genealogischen Text in erster Linie ein visuelles Instrument.9 Sie können sowohl als Stammbäume für sich allein stehen als auch neben dem Text vorkommen. Bei dem Begleittext kann es sich um eine Abfolge von Beschriftungen oder kurzen ergänzenden Paragraphen zu den durch die Medaillons repräsentierten historischen Personen handeln, bis hin zu einer mit bildlichen Darstellungen ausgestatteten Chronik. Die genealogischen Darstellungen in den folgenden Beispielen reichen von einfachen Königslisten in Tabellenform, die einer Chronik voran- oder nachgestellt wurden, bis hin zu sorgfältig entwickelten Stammbäumen, in denen der Text dem Bild untergeordnet wird. Bei allen hier betrachteten Werken lässt sich danach fragen, in welcher Weise die genealogischen Diagramme benutzt wurden, um eine Botschaft über Legitimität oder deren Fehlen zu vermitteln. Ich beschränke mich dabei auf die Punkte, an denen die französische Königslinie unterbrochen wurde, nämlich das Ende der Merowinger und den Aufstieg der Karolinger, das Eindringen einer parallelen Dynastie, der Robertiner, zu Lebzeiten eines der späten karolingischen Könige, sowie die letztlich erfolgreiche Gründung der neuen Dynastie der Kapetinger durch Hugo Capet, einen Nachkommen der Robertiner. Im Folgenden seien die historischen Ereignisse zunächst vereinfachend skizziert. Der erste Dynastiewechsel erfolgte relativ unkompliziert. Die reale Macht lag seit einigen Generationen nicht bei den Merowingerkönigen, sondern bei den Hausmeiern, die in ihrem Namen regierten. Pippin von Landen († 640) gründete eine Familiendynastie von Hausmeiern; 751 setzte sein Nachkomme Pippin der Jüngere (auch bekannt als Pippin der Kurze) den letzten merowingischen Marionettenkönig Childerich III. mit der impliziten Zustimmung des Papstes ab. Er arrangierte seine Königswahl durch eine Versammlung der Großen des Reiches sowie eine Krönung mit religiös umrahmtem Zeremoniell, womit er auf eine doppelte Legitimation für seinen Aufstieg zum Thron verweisen konnte. Sein Sohn Karl der Große gab seinen Namen für die neue Dynastie, die Karolinger. Kompliziert wurde die Situation im Jahrhundert zwischen 888 und 987, als zwei Familien um das westfränkische Königtum stritten. Zwar stellte die 9
Eine ausgezeichnete Studie über Stammbäume und ihre Nutzung als graphische Instrumente bietet C. KLAPISCH-ZUBER, L’ombre des ancêtres. Essai sur l’imaginaire médiéval de la parenté (L’esprit de la cité), Paris 2000, welche den Startpunkt für einen Großteil meiner eigenen Forschung bildet.
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karolingische Dynastie immer noch die Herrscher, doch die Macht wechselte für einige Zeit zwischen ihnen und den mit ihnen konkurrierenden Robertinern. König zu Beginn dieses Zeitraums war der Karolinger Karl der Einfältige (879-929, regierte 896-923), der beim Tod seiner nur kurze Zeit herrschenden engsten Verwandten noch minderjährig und damit noch nicht regierungsfähig war. Deshalb wurde der erste Robertiner Odo (888-898) zum König gewählt.10 Als Karl die Volljährigkeit erreichte, wurde er schließlich an der Regierung beteiligt, und als Odo starb, wurde Karl sein Nachfolger. Odos Bruder Robert I. (922-923) kämpfte jedoch später gegen Karl und erlangte nach einem militärischen Erfolg Wahl und Krönung. Nur kurze Zeit darauf starb Robert in einer Schlacht, aber Karl geriet in Gefangenschaft und blieb bis zu seinem Tod machtlos, und Roberts Schwiegersohn Rudolf (923-936) okkupierte den Thron. Alle Robertiner erwarben die Krone mittels militärischer Stärke und politischer Intrigen. Nachdem sie einmal gewählt worden waren, erlangten sie auch die kirchliche Billigung der Krönung. Versuche, ihre Herrschaft durch dynastische Verbindungen mit den Karolingern zu legitimieren, gab es zu dieser Zeit keine. Als Rudolf starb, hätte Roberts Sohn Hugo der Große nach der Krone greifen können. Stattdessen unterstützte er seinerseits den legitimen karolingischen Erben Ludwig IV. (936-954), den jungen Sohn Karls des Einfältigen, der bis dahin im Exil gewesen war. Damit herrschten drei weitere Generationen karolingischer Könige, bis der letzte König 987 jung und ohne einen Erben zu hinterlassen starb. Die Krone hätte eigentlich an Karl von Niederlothringen, den Onkel des letzten karolingischen Königs, übergehen können. Aber der Sohn von Hugo dem Großen, Hugo Capet, riss die Macht an sich, wobei er sowohl von der fehlenden politischen Unterstützung für Karl als auch von dem eigenen persönlichen Prestige und dem Ansehen seiner Familie profitierte. Hugo wurde zum König gewählt und gekrönt, Karl besiegt und gefangen gesetzt. Vor seinem Tod sorgte Hugo dafür, dass sein eigener Sohn Robert II. zum König gekrönt wurde, und als er starb, war die kapetingische Machtposition bereits so gefestigt, dass Robert und seine Nachkommen sie behielten. Die frühen Kapetinger ließen ihre ältesten Söhne immer zu ihren Lebzeiten krönen, um so die Legitimation ihrer neuen Blutslinie durch die heilige Krönungshandlung zu stärken. Hugo Capet und seine robertinischen Vorgänger erscheinen in allen modernen Listen der französischen Könige, sie hatten alle faktisch die Macht inne und regierten das Land. Darüber hinaus gelang es allen von ihnen, sogar Robert I., zum König gesalbt und gekrönt zu werden. Damit hatten diese Könige auch die alles entscheidende göttliche und religiöse Sanktionierung ihrer Herrschaft erreicht. Und dennoch erachteten einige mittelalterliche Autoren sie nicht für echte oder legitime Könige und nahmen sie nicht in die Sukzessionsreihen der Könige auf. Die im Folgenden beispielhaft vorgestellten genealogischen Diagramme zeigen besonders deutlich, wie verschiedene Autoren die Frage der Legitimi10 Die Benennung der Familie leitet sich von Odos Vater Robert dem Tapferen, Graf von
Anjou, ab.
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tät entweder ignorierten oder im Gegenteil sogar besonders betonten. Einige urteilten dabei durchaus auch moralisch über die Könige, deren Legitimität sie in Zweifel zogen. Andere dagegen argumentierten, dass Hugo Capet nicht nur kein Usurpator, sondern faktisch ein Karolinger gewesen sei. Die Untersuchung dieser Beispiele erfolgt im Hinblick auf die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Text und graphischer Darstellung. Betrachtet werden sollen dabei zunächst diejenigen Werke, in denen die Diagramme den Text der Chronik ergänzen, gefolgt von denjenigen, in denen sie die Aussage des Textes verstärken oder gar beherrschen, und abschließend die Werke, in welchen die Graphik eine zusätzliche Dimension eröffnet, die über den Text hinausgeht. Ich möchte mit einer Chronik beginnen, die in der Mitte des 13. Jahrhunderts von einem unbekannten Minnesänger geschrieben wurde, dem sogenannten Récit d’un ménéstrel d’Alphonse de Poitiers.11 Er enthält eine französische Übersetzung der Historia regum Francorum (auch bekannt als die Gesta francorum usque ad annum 1214), die zwischen 1250 und 1270 für den jüngeren Bruder Ludwigs IX. des Heiligen (1226-1270), Alfons von Poitiers, angefertigt wurde, und welche die Geschichte bis einschließlich der Regierungszeit Ludwigs IX. weiterführt. In den verschiedenen Handschriften ist dem Text der Chronik eine getrennte Gruppe von genealogischen Diagrammen vorangestellt beziehungsweise angehängt. Es handelt sich dabei nicht um Stammbäume im eigentlichen Sinn, sondern eher um nach den drei französischen Hauptdynastien der Merowinger, Karolinger und Kapetinger gegliederte Königslisten. Im Hinblick auf den Inhalt einerseits und visuelle Aspekte andererseits lassen sich zwei Typen von Diagrammen unterscheiden. Der erste Typ taucht in einer der Handschriften auf und ist einer Abschrift der Chronik beigefügt, welche – wie das lateinische Original – mit der Regierungszeit Philipps II. August endet.12 Die am Ende der Handschrift befindlichen genealogischen Diagramme sind in derselben Hand wie die Chronik geschrieben. Jede der Dynastien wird dabei in einer ganzseitigen Übersicht dargestellt: Innerhalb von vertikal angeordneten Kreisen, die auf diese Weise eine schmale Mittelspalte bilden, sind die Namen der meisten Könige gesetzt; weitere Namen befinden sich außerhalb dieser Hauptspalte. Bei den außenstehenden Namen auf der Seite der Merowinger handelt es sich in der Regel um nebeneinander regierende Könige in Folge von zeitweiligen Reichsteilungen zwischen Königssöhnen. Es gibt außerdem einige wenige Sätze an den Rändern, die kurze Informationen zu manchen der Könige enthalten. Einer davon verweist auf die mythische Blitildis: “Dieser Chlothar hatte eine Tochter, aus der die Linie des Pippin hervorging”.13 Die karolingische Seite beginnt mit den Vorfahren der 11 M. A. NORBYE, Récit d’un ménéstrel d’Alphonse de Poitiers, in: G. DUNPHY (Hg.), En-
cyclopedia of the Medieval Chronicle (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 1264-1265.
12 Paris, Bibliothèque nationale de France (fortan: BnF), MS français 13565, S. 201-203. 13 Ebd., S. 201: Cist Clotaires ot une fille dont la lingniee Pepin issi. Gemäß dem Aufbau dieses
Diagrammes war Blitildis die Tochter Chlothars II. und nicht Chlothars I.
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Könige: Die ersten Namen in der Mittelspalte sind Aubert, der mutmaßliche Ehemann von Blitildis, sein ‘Sohn’ Hernaut und sein ‘Enkel’ Arnulf von Metz (Hernoul), gefolgt von Arnulfs Nachkommen bis zu König Pippin, welcher als “König” (roi) bezeichnet wird, wie alle seine Nachfolger in der Mittelspalte. Die Männer an den Seiten sind alle Brüder der Könige, mit Ausnahme von König Rudolf. Er taucht ohne den Königstitel an der Seite von Karl dem Einfältigen auf. Weder Odo noch Robert I. sind auf der Seite der Karolinger aufgeführt. Auf der Seite für die Kapetinger sind deren robertinische Vorfahren am Anfang der Mittelspalte zu finden: Graf Robert von Anjou, dann seine Söhne Robert I. mit dessen Bruder Odo an seiner Seite, doch keiner von ihnen wird als König tituliert. Dann kommt Roberts Sohn Hugo der Große, gefolgt von Hugo Capet, der als erster als König bezeichnet wird. Diesen Titel tragen von nun an seine Nachfolger in der Mittelspalte (manche mit ihren Brüdern an ihrer Seite) bis zum letzten König Ludwig IX. Die Vorlage für den zweiten Typ bildet ein anderes Manuskript, möglicherweise Paris, Bibliothèque nationale de France (fortan: BnF), MS français 5700, welches wahrscheinlich während der Herrschaftszeit Ludwigs IX. kopiert wurde.14 Hier steht das Diagramm am Anfang der Handschrift und zeigt die genealogischen Informationen in Tabellenform mit mehreren Spalten, mit einem Kreis für jeden König. Darin befinden sich jeweils der Königsname und eine Angabe zu seiner Herrschaftszeit. Etliche Kreise, vor allem von Merowingerkönigen, enthalten zusätzliche Informationen, welche identisch oder gleichartig zu den Sätzen an den Rändern des ersten Typs sind. Vorfahren werden nicht gezeigt, sondern nur die tatsächlich herrschenden Könige, wobei die drei Robertiner zwischen die Karolinger gesetzt sind. Die Chronik enthält auch die für die meisten Versionen des Récit charakteristische Fortsetzung bis zur Krönung Ludwigs IX.15 Ein schlichteres Beispiel des zweiten Typs befindet sich in einem anderen Codex (Abb. 20).16 Diese Handschrift enthält das gleiche genealogische Schema, allerdings nur mit den Kurzbeschreibungen ohne die zusätzlichen Informationen in den Kreisen. Die Aufmachung ähnelt sehr stark MS français 5700. Die Chronik ist dieselbe wie in der bereits behandelten Handschrift, allerdings schließt sich ihr ein kurzer genealogischer Text mit einer Aufzählung der Könige Frankreichs und einer kurzen Zusammenfassung ihrer Herrschaft in wenigen Zeilen an (La generacion des rois de France). Sie reicht bis zum Enkel Ludwigs IX., 14 Der ursprüngliche Schreiber des Diagramms weist darauf hin, dass Ludwig IX. zur Ab-
fassungszeit noch lebte: Loeis qui ore est sera roi tant con dieu plera (“Ludwig, der nun König ist und sein wird, so lange es Gott gefällt”); eine spätere Hand strich das meiste davon durch und ersetzte es mit der Dauer seiner Herrschaft. Paris, BnF, MS français 5700, fol. 4. 15 Eine inhaltlich sehr ähnliche Handschrift befindet sich in London, British Library, Cotton MS Vespasian A.vi. Sie ist allerdings etwas später, nämlich während der Herrschaftszeit Philipps III. des Kühnen, dem Sohn Ludwigs IX., angefertigt worden. 16 Paris, BnF, MS français 4961.
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dem noch als lebend erwähnten Philipp IV., und umfasst Ereignisse bis 1293.17 Der Rest der Handschrift enthält verschiedene religiöse Texte ohne näheren Bezug zueinander. Ich werde diese schlichte Version für meine Analyse eines Diagramms des zweiten Typs benutzen. Die Rubriken (Text in roter Tinte) geben einfach das Ende der einen und den Beginn der nächsten Dynastie an. Auf der gezeigten Seite stellt die Rubrik auf der linken oberen Ecke den Übergang von den Merowingern zu den Karolingern dar. Dann erscheinen alle karolingischen Könige in den Kreisen – unter ihnen auch die Robertiner Odo, Robert (in dieser Handschrift fälschlicherweise Charles genannt) und Rudolf. Es gibt keine visuelle Unterscheidung zwischen ihnen und den anderen Königen, obwohl die Beischriften in den beiden Kreisen andeuten, dass diese Herrscher gewissermaßen Außenseiter sind. Odo wird als Heudes li empruntez, beschrieben, also jemand, der zur zeitweiligen Ausübung eines Dienstes “ausgeliehen” ist. Robert I. und Rudolf werden jeweils li estranges, “der Fremde”, genannt.18 Am Ende der Karolinger stellt die Rubrik in neutralem Ton das Ende der Dynastie fest und beginnt mit der nächsten. Hugo Capet erscheint ohne weiteren Kommentar als der erste kapetingische König in der rechten oberen Ecke. Der genealogische Text nach der Chronik konstatiert, dass Hugo “durch die Wahl der Barone Frankreichs zum König gekrönt wurde”: Wahl und Krönung werden als legitimierende Elemente angegeben.19 Beide Typen wurden in diesem Fall zur Ergänzung derselben Chronik angefertigt, wobei beide Autoren unterschiedliche Schemata zur Zusammenfassung der königlichen Nachfolge erstellten. Der eine fügte die Vorfahren jeder Dynastie hinzu, inklusive der mythischen Verbindung zwischen Merowingern und Karolingern. Keiner der robertinischen Könige erhielt den Titel eines Königs, Rudolf (der kein gebürtiger Robertiner war, sondern nur eingeheiratet) wurde parallel zu dem König gesetzt, dessen Thron er okkupierte, und die anderen robertinischen Könige wurden auf den Status von Vorfahren oder Verwandten der Kapetinger degradiert. Jemand, der nur die genealogischen Diagramme betrachtete, bekäme somit keine Kenntnis von der Existenz eines robertinischen Königtums. Der andere Verfasser platzierte die robertinischen Könige inmitten der Aufstellung der karolingischen Monarchen; optisch sind sie so vollständig eingebunden. Dennoch könnte ein aufmerksamer Leser die sie begleitenden Adjektive bemerken (“geliehen”, “Fremder”), die implizieren, dass sie sich von den anderen Königen unterschieden (und damit vielleicht weniger rechtmäßig erschienen). Beide Autoren stellten durch die graphische Darstellung tatsächlich 17 Ebd., Schaubild, fol. 1-2; Chronik, fol. 2-77v; genealogischer Text, fol. 77v-80. 18 Ebd., fol. 79-79v: Der genealogische Text bezeichnet später richtig Robers li estranges. Be-
achtenswert ist die durch den Genealogen vorgenommene Unterscheidung zwischen Odo und Rudolf einerseits, die beide von den Baronen gewählt wurden (par election des barons und esleus par la cort des barons) und Robert I. andererseits, der “durch Gewalt” König war (par force). Alle drei jedoch seien gekrönt gewesen. 19 Ebd., fol. 79v: […] fu couronnez roys […] par election des barons de France.
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eine Behauptung über die Legitimität oder deren Fehlen in Bezug auf die robertinischen Herrscher auf. Während es sich bei dem Récit d’un ménéstrel d’Alphonse de Poitiers um eine Geschichte der Könige Frankreichs handelt, gliedert sich die nächste, ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert stammende Chronik um die Geschichte der Abtei Cluny.20 Der Verfasser, Girardus de Arvernia (auch bekannt als Girardus de Antwerpia, † 1288) schrieb seine Weltchronik, die Historia figuralis, vor 1272 und verkürzte sie nachträglich zur Abbreviatio figuralis historie. Dabei setzte er einfache Kreis/Linien-Diagramme an die Seitenränder, in denen die jeweils zeitgenössischen Herrscher repräsentiert sind, und zwar genau an der Stelle, an der im Text von ihnen die Rede ist. Sobald seine Geschichte zur Gründung Clunys gelangte, handelte jeder Abschnitt von der Amtszeit eines Abtes von Cluny. Um jeden der Abschnitte befanden sich Kreise mit den während dieser Zeit herrschenden Päpsten, Kaisern und Königen von Frankreich, die zusammen mit dem Text einen durch ein Band eingerahmten Block bildeten. In dem genealogischen Diagramm folgen auf die Kreise der letzten Merowinger diejenigen von Pippin und seinen Nachfolgern ohne Hinweis auf den Dynastiewechsel. Der Text gibt die übliche Erklärung für die Herrschaftsüberahme wieder: der letzte merowingische König war “nutzlos”.21 Infolgedessen “setzten” die Franken “Pippin als König über sich ein”.22 Odo und Rudolf tauchen später in den Schaubildern beide als Herrscher von Frankreich auf, auf Robert aber gibt es keinen Hinweis. Der Textwortlaut “Odo herrschte über sie” entspricht dem der anderen karolingischen Könige.23 Rudolf “wurde zum König gewählt und herrschte über sie”.24 Robert wird im Text nicht erwähnt, aber die Beschreibung des traurigen Schicksals Karls des Einfältigen lässt sich als indirekte Kritik an der robertinischen Usurpation interpretieren: “Karl der Einfältige starb als Märtyrer”.25 Als erster kapetingischer König erscheint Hugo Capet einfach als die Person, die während der Amtszeit eines bestimmten Abtes König war. Im Text wird jedoch darauf hingewiesen, dass Hugo das Königtum “usurpierte”, womit ein im Diagramm nicht enthaltenes Werturteil gefällt wird.26 In diesem Werk stellt die graphische Darstellung eine einfache und leichte Weise dar, die Abfolge der in der verkürzten Weltchronik erwähnten Päpste, Kaiser und Könige aufzuzeigen, und auf einen Blick herauszufinden, wer die für Cluny 20 Paris, BnF, MS latin 4910. M. A. NORBYE, Girardus de Arvernia, in: G. DUNPHY (Hg.),
Encyclopedia of the Medieval Chronicle (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 713. C. KLAPISCH-ZUL’ombre des ancêtres (wie Anm. 9), S. 150-152, Abb. 21. G. MELVILLE, Geschichte in graphischer Gestalt (wie Anm. 3), S. 85-88, Abb. 13-14; S. 132-135. Vgl. das Bild in M. NORBYE, Arbor genealogiae (wie Anm. 2), S. 76: Abb. 4.3. Paris, BNF, MS latin 4910, fol. 16: inutilis. Ebd., fol. 16v: […] Pipinum […] super se regem statuunt. Ebd., fol. 17v: […] reg(nat) super eos Odo. Ebd., fol. 18v: […] electus est in regem […] qui reg(nat) super eos. Ebd., fol. 18: […] Karolus simplex […] martyr […] obit. Ebd., fol. 19v: […] regnum usurpat.
BER,
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bedeutenden Herrscher während der Amtszeit eines bestimmten Abtes waren. Allein das Fehlen Roberts I. im Schaubild deutet darauf hin, dass seine Legitimität von bestimmten mittelalterlichen Geschichtsschreibern angezweifelt wurde; diese Abwesenheit spiegelt sich im Text, welcher damit auch an der Legitimität von Hugo Capets Methoden der Throngewinnung Zweifel aufkommen lässt. Beide bisher untersuchten Werke wurden ungefähr in der gleichen Zeit verfasst, in der ein Mönch der Abtei Saint-Denis namens Primat die früheste Ausgabe der Grandes Chroniques de France kompilierte, die so eng mit den kapetingischen Königen verbunden wurde. Dieser Chronik sollte späterhin ein offiziöser Stellenwert zukommen. Sie beeinflusste zahlreiche nachfolgende historische und politische Schriften und trug maßgeblich dazu bei, die Ideologie von durch die Blutslinie begründeter Legitimität weiter zu fördern und zu stärken. Neben den Grandes Chroniques wurden in Saint-Denis noch andere historiographische Projekte verfolgt. So beauftragte der König im zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts den Mönch Yves (lat. Ivo) aus Saint-Denis mit der Niederschrift eines Werkes über das Leben und die Wunder des Heiligen Dionysius von Paris, des Schutzheiligen der Abtei.27 Viele dieser Wunder betrafen die Könige von Frankreich direkt, da sie enge Verbindungen zur Abtei unterhielten, und so beinhaltete die Heiligenvita schließlich auch einen Abschnitt, der sich als kurze Geschichte der Könige von Frankreich charakterisieren lässt. In zwei reichhaltig illustrierten Handschriften des Werkes befinden sich innerhalb des Textes kleine quadratische, die Könige darstellende Miniaturen. In einigen Fällen zeichnete Yves Linien zwischen die Miniaturen zur Verdeutlichung ihres Verhältnisses zueinander und erstellte damit einfache genealogische Schaubilder. Yves verwendete nicht viele derartige Graphiken, aber die beiden von ihm angefertigten ganzseitigen genealogischen Diagramme über die Dynastiewechsel spielten eine zentrale Rolle in seinem Werk. In ihnen versuchte er zu zeigen, dass jede neue dynastische Linie auch Blutsverbindungen mit der vorhergehenden besaß. Obwohl selbst Mönch in Saint-Denis, dem Herkunftsort der die reditus-Geschichte instrumentalisierenden Grandes Chroniques, griff Yves nicht auf dieses Konzept zurück, das besagte, dass der von den Kapetingern okkupierte Thron nach sieben Generationen an die Karolinger zurückkehren würde. Er ging einen Schritt weiter und versuchte zu beweisen, dass Hugo Capet selbst karolingischen Blutes war. 27 E. A. R. BROWN / M. A. NORBYE, Yves of St. Denis, in: G. DUNPHY (Hg.), Encyclopedia
of the Medieval Chronicle (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 1539-1540. Illustrationen und Analyse der zwei genealogischen Diagramme in Bezug auf die beiden Dynastiewechsel in C. BEAUNE, Les manuscrits des rois de France au Moyen Âge. Le Miroir du Pouvoir, Paris 1997, S. 147-148. A. D. HEDEMAN, The Royal Image. Illustrations of the Grandes chroniques de France, 1274-1422 (California Studies in the History of Art 28), Berkeley 1991, S. 35: Kommentar und genealogisches Diagramm zu Hugo Capet; Abb. S. 36 (das Buch ist online zugänglich, s. Kapitel 2). Eine Transkription des Textes zu den Dynastiewechseln befindet sich bei E. A. R. BROWN, La généalogie capétienne (wie Anm. 8), S. 209214.
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Yves war sich der Wirkung der graphischen Darstellung bewusst. Kurz vor der Seite mit dem ersten ganzseitigen genealogischen Diagramm erklärte er Pippins Genealogie und fügte hinzu: “im folgenden Baum werden [diese Dinge] deutlicher erklärt”.28 Im ersten seiner beiden Schaubilder zeigte er die üblichen angeblichen Verbindungen zwischen Merowingern und den Karolingern über die mythische Blitildis, dargestellt als Tochter Chlothars I. und als Großmutter Arnulfs von Metz. Im zweiten Diagramm verband er die Karolinger und Hugo Capet, wobei er in Anlehnung an eine Genealogie aus einer Chronik von ca. 1220 mehrere weibliche Vorfahren benutzte.29 Bedauerlich für Yves ist, dass eine seiner Verbindungen historischer Prüfung nicht standhält.30 Ironischerweise war Hugo Capet tatsächlich von karolingischem Geblüt, allerdings nicht über die von Yves aufgezeigte Linie. Auf der dem Schaubild vorangehenden Seite beginnt der Text mit der Aussage, dass “dieser Hugo in keinerlei Weise als Eindringling des Königreichs oder Usurpator zu beurteilen ist”.31 Anschließend wischt Yves das reditus-Argument zur Seite und fährt mit seiner eigenen genealogischen Beweisführung fort, wobei er erneut angibt, dass es im ‘Baum’ deutlicher würde. Am unteren Ende des genealogischen Diagramms behauptet er dann direkt: “Es darf nicht geleugnet werden, dass dieser Hugo aus dem Geschlechte Karls des Großen abstammt”.32 Sein Standpunkt ist ziemlich deutlich. Es ist aufschlussreich, dass er in seiner Formulierung Widersprüche vorwegzunehmen scheint und den Leser gewissermaßen auffordert, ihm diese Widersprüche nachzuweisen.33 Yves war sich der Macht der graphischen Darstellung zur Ergänzung und Stärkung der Textaussage bewusst, aber dennoch ist sein Werk vorrangig textlich. Ich wende mich nun einigen Fällen von vorrangig graphischen Genealogien zu, in denen der Text zur Untermalung oder Erklärung des genealogischen Diagramms dient. Das erste Beispiel (Abb. 21) wurde im dritten Viertel des 11. Jahrhunderts in einem Provinzkloster geschrieben, als die Macht der frühen Kapetinger außer-
28 Paris, BnF, MS latin 13836, fol. 11v: […] in arbore sequenti planius declarantur. Das Dia-
gramm folgt auf fol. 12.
29 Chronicon magnum turonense; s. A. W. LEWIS, Royal Succession (wie Anm. 5), S. 113 u. 145-
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30 Er macht Mathilde von Ringelheim, die Großmutter Hugo Capets mütterlicherseits, zur
Tochter von Kaiser Ludwig IV., der eigentlich ohne Erben starb.
31 Paris, BnF, MS latin 13836, fol. 77v: […] iste Hugo nec regni invasor ne usurpator est aliqualiter
iudicandus. Das Diagramm folgt auf fol. 78.
32 Ebd., fol. 78: Iste Hugo Chapet […] non debet negari de Karoli Magni progenie descendisse. 33 Für weitere Bemerkungen zu diesem bekannten Beispiel siehe C. BEAUNE, Les manu-
scrits des rois de France (wie Anm. 27) und A. D. HEDEMAN, The Royal Image (wie Anm. 27), aber auch die Analysen von E. A. R. BROWN, La généalogie capétienne (wie Anm. 8), S. 203-204 und A. W. LEWIS, Royal Succession (wie Anm. 5), S. 147.
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halb des Umkreises von Paris noch schwach war.34 Das Kloster Saint-Aubin lag im Anjou, dessen Grafen die tatsächliche Macht in der Gegend innehatten, während die fernen Könige noch mit dem Aufbau ihrer Autorität über ihr Königreich beschäftigt waren. Die Mönche von Saint-Aubin verfassten eine Chronik der Grafen von Anjou, inklusive einiger einfacher Skizzen von deren Familienstammbaum. Außerdem fügten sie an das Ende der Annalen drei Seiten mit Schemata der königlichen Genealogien an. Diese graphische Darstellung ist eines der frühesten erhaltenen Beispiele eines Stammbaums, in dem die Namen durch Linien über die Generationen hinweg miteinander verbunden sind. Jede Seite umfasst eine Dynastie: die Merowinger, die Karolinger, und schließlich die Robertiner und frühen Kapetinger. Die Seite der Merowinger zeigt nicht nur die Könige, sondern auch die Hausmeier, welche die reale Macht ausübten. Dies führt logischerweise zu einem seitlichen ‘Baum’ von Pippin von Herstal und seinen Nachkommen bis hinunter zu Karl dem Großen, wobei dessen Vater Pippin mit “er war der erste, der zum König gemacht wurde” charakterisiert wurde.35 Parallel dazu findet man den letzten merowingischen König als “vom Königtum abgesetzt” beschrieben.36 Auf der nächsten, die Karolinger betreffenden Seite werden die Angaben erneut ausgeführt. Der kurze Text am Anfang erklärt, dass Pippin von Herstal Hausmeier und Vorfahr des karolingischen Hauses war. Von ihm geht die erste Linie des Diagramms aus und führt zu seinen drei Söhnen und von dort weiter bis zu den karolingischen Königen. Eine kurze Beschreibung neben dem Namen König Pippins gibt erneut an, dass er der erste aus dieser Linie zum König Erhobene sei. Es gibt keine Andeutungen über blutsmäßige Verbindungen zwischen den beiden Dynastien; das, was einem Legitimitätskriterium am nächsten kommt, ist die Betonung der Hausmeier Seite an Seite mit den späten merowingischen Königen. Damit konnte König Pippin als der Höhepunkt einer langen Reihe von mächtigen Männern erscheinen. Pippin selbst hatte die Erklärung des Papstes erlangt, dass der Thron demjenigen gehören solle, der die wirkliche Macht innehabe.37 Die Genealogie gibt diese Details nicht wieder, aber genauso fehlen Anspielungen auf unehrliche oder illegitime Vorgänge. In Bezug auf die Rivalen und Nachfolger der Karolinger nimmt der Verfasser jedoch eine gänzlich andere Haltung ein. Der erste Anhaltspunkt ist die Beschreibung Karls des Einfältigen: “Er wurde durch den Tyrannen Robert seines 34 Annalen von Saint-Aubin, Paris, BnF, MS latin 4955, fol. 101-102. C. KLAPISCH-ZUBER,
L’ombre des ancêtres (wie Anm. 9), S. 93-94, Abb. 12. Vgl. auch das Bild in M. NORBYE, Arbor genealogiae (wie Anm. 2), S. 73: Abb. 4.1 (die Karolinger). 35 Paris, BnF, MS latin 4955, fol. 101: […] hic primus rex levatus. 36 Ebd., fol. 101: […] depositus […] a regno. 37 Basierend auf früheren Chroniken sagte der Papst nach den Grandes Chroniques, dass cil devoit estre rois apelez qui le roiaume gouvernoit et qui avoit le soverain pooir (“Derjenige, der das Königreich regiert und die oberste Macht hat, soll König genannt werden”): Les Grandes chroniques de France, Bd. 2: De Clotaire II à Pépin le Bref, ed. J. VIARD (Société de l’histoire de France. Publications 401), Paris 1922, S. 242.
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Königtums beraubt”.38 Das Diagramm auf der nächsten Seite beginnt mit dem mächtigen Abt Hugo, der nach dem Tod von Odos und Roberts Vater als deren Beschützer auftrat. Es fährt, beginnend bei Odo, mit den Robertinern fort. In den Worten der Beschreibungen und den kurzen Paragraphen neben den Robertinern kommen dabei die wahren Gefühle des Autors ziemlich deutlich zum Ausdruck. Odo ist allenfalls “König auf Zeit”.39 Im zugehörigen Paragraphen wird erklärt, dass er zum “Erzieher” für den jungen Karl den Einfältigen gewählt wurde, und dass er für seine treuen Dienste bestimmte Ländereien erhielt.40 Robert I. erhält nur eine kurze Beschreibung: rex tirannicus.41 Er ist ein “König”, aber auch “Tyrann”, wie zuvor angedeutet. Rudolf (fälschlicherweise “Robert” genannt) wird als Schwiegersohn des Tyrannen Robert bezeichnet, ansonsten ist die ihn betreffende Kurzbeschreibung neutral: “Er wurde zum König von Frankreich gemacht.”42 Der Verfasser merkt anerkennend an, dass sein Nachfolger im Schaubild, Roberts Sohn Hugo der Große, “sich nicht erlaubte, sich zum König machen zu lassen”43, aber fügt hinzu, dass er “vom Beispiel des väterlichen Schicksals abgeschreckt”44 war und dass er schließlich seinem König “untreu” wurde.45 Sein Sohn Hugo – Hugo Capet – wurde König “durch Tyrannei”.46 Der verbleibende Text zu den frühen Kapetingern ist gleichfalls wenig schmeichelhaft: Hugo und sein Sohn Robert II. “regierten sehr unfähig und nur dem Namen nach. Wir beobachten, dass dies bis auf den heutigen Tag bei ihren Sprösslingen vorkommt”.47 Unter dem vierten kapetingischen König Philipp I. (1060-1108) war es deutlich, dass einige seiner Untertanen die Legitimität des Gründers der Dynastie bezweifelten und keine hohe Meinung von dessen Nachfolgern hatten. Der nächste Autor stammt ebenfalls aus der Provinz, diesmal aus Südfrankreich. Er schrieb ungefähr drei Jahrhunderte später im 14. Jahrhundert etwa zeitgleich mit Yves, als die Kapetinger bereits seit mehr als dreihundert Jahren erfolgreich regierten. Weitab vom Pariser Zentrum der Macht hielt er seine eigene Geschichtsinterpretation in einer Chronik fest.
38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
Paris, BnF, MS latin 4955, fol. 101v: […] destitutus est a regno per Rodbertum tirannum. Ebd., fol. 102: […] rex ad tempus. Ebd., fol. 102: nutricius. Ebd., fol. 102. Ebd., fol. 102: […] factus est rex Francie. Ebd., fol. 102: […] non se passus est regem fieri. Ebd., fol. 102: […] exemplo territus paterne legis. Ebd., fol. 102: infidelis. Ebd., fol. 102: per tirannidem. Ebd., fol. 102: […] inertissime et solo nomine regnaverunt, quod usque hodie itidem fieri conspicimus in illorum sobole.
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Der Verfasser war der Inquisitor und Geschichtsschreiber Bernard Gui.48 Eines seiner zahlreichen historischen Werke war die Arbor genealogie, bemerkenswert als ein frühes Beispiel genealogischer Darstellungen, die in ihrer Erscheinung tatsächlich an Bäume angelehnt sind. Jede Seite der Handschrift zeigt die Zeichnung eines Baumes, wobei sich Medaillons mit den legitimen Königen auf dem Hauptstamm befinden. Kleinere Kreise mit anderen Personen sind an den Rändern zu finden. Zu diesen Personen gehörten die Frauen und Kinder der Könige sowie ein dutzend wichtiger politischer Personen und zeitgenössische Heilige, und schließlich diejenigen Herrscher, die Bernard Gui nicht als rechtmäßige Könige betrachtete. Jedem Baum wurden dazu kurze Paragraphen zu den jeweiligen Königen beigefügt. Für die Perspektive dieser Untersuchung ist Bernard Gui von besonderem Interesse, weil er explizit darüber Rechenschaft gibt, wie er die Unterscheidung zwischen den Königen trifft, die in der Mittellinie des Baumes als ‘echte’ Könige dargestellt sind und jenen, die in periphere Bereiche verwiesen werden. Dadurch bekommen wir einen unmittelbaren Eindruck dessen, was in Bernards Augen einen legitimen König ausmacht. Neben der Stellung auf dem zentralen Hauptstamm erhalten die echten Könige in dem kurzen beigefügten Text eine Nummer; die Fälle, in denen Bernard keine Nummer vergibt, begründet er. Die mit Nummern versehenen Könige sind legitim, oder, wie Bernard Gui sagt, sie finden sich “in richtiger Linie des Baumes in absteigender Reihe”.49 Auf der Seite des Merowingerkönigs Chlothar II. findet sich unter seinen Kindern auch Blitildis (hier nicht als Tochter Chlothars I.), welche die erste Figur in einer Seitengenealogie am Rand ist. Sie wird Bathildis uxor Auberti genannt, und neben ihr befindet sich ein Kreis mit ihrem Ehemann, Aubertus senator.50 Verwirrend ist dabei, dass ihnen nicht ihre üblichen beiden ‘Nachkommen’, einschließlich des historischen Arnulf von Metz folgen, sondern ein Zeitgenosse von Arnulf, der Hausmeier Erchinoald (Erchenoaldus).51 In der nächsten Generation kehrt Bernard Gui zur Standardgenealogie zurück und zeigt Arnulfs Sohn Ansegisel (auch bekannt als Anchise), gefolgt von dessen Sohn Pippin von Her-
48 R. RECH, Bernard Gui, in: G. DUNPHY (Hg.), Encyclopedia of the Medieval Chronicle
(wie Anm. 2), Bd. 1, S. 170-172. C. KLAPISCH-ZUBER, L’ombre des ancêtres (wie Anm. 9), S. 174-76, Abb. 25. G. MELVILLE, Geschichte in graphischer Gestalt (wie Anm. 3), S. 90-91; S. 137, Abb. 16. Zu Bernard Guis Ansichten zur Monarchie vgl. A.-M. LAMARRIGUE, Bernard Gui (1261-1331). Un historien et sa méthode (Études d’histoire médiévale 5), Paris 2000, S. 435-465, sowie DIES., La rédaction d’un catalogue des rois de France. Guillaume de Nangis et Bernard Gui, in: C. GAUVARD / F. AUTRAND / J.M. MOEGLIN (Hgg.), Saint-Denis et la royauté. Mélanges offerts à B. Guenée. Actes du Colloque international en l’honneur de B. Guenée (Publications de la Sorbonne, Série Histoire ancienne et médiévale 59), Paris 1999, S. 481-492. 49 Zum Beispiel in Paris, BnF, MS latin 4989, fol. 83v: […] in recta linea arboris descendendo. 50 Ebd., fol. 80v. 51 Ebd., fol. 81.
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stal und seinen Nachkommen bis zum zukünftigen König Pippin dem Kurzen.52 Die folgenden Seiten des Buches konzentrieren sich auf die übrigen merowingischen Könige. Gleichwohl hat Bernard Gui die mythische Blutslinie zwischen Merowingern und Karolingern deutlich aufgezeigt. Der letzte merowingische König bleibt ohne Nummer. Dazu erklärte Bernard Gui wie andere Chronisten vor ihm, dass der König “vertrieben” wurde, weil er “nutzlos” war.53 Bernard fügte hinzu, dass der Merowinger “an der Seite und nicht in der richtigen Linie des Baumes eingetragen ist”, weil er das Ende seines Geschlechts darstellt: Mit seiner Vertreibung hatte er seine Legitimität als König eingebüßt.54 König Pippin hingegen bekommt eine Nummer, wenngleich Bernard Gui zugibt, dass dieser “eher den Thron bestieg als ihn zu erben”55 und damit anerkannte, dass er den Thron dadurch gewann, dass er “zum König gemacht und erhoben wurde” und nicht durch dynastische Nachfolge.56 Obwohl er, wie andere Autoren, Blitildis’ Verbindung eher erwähnt hatte, kommt Bernard bei der Beschreibung von Pippins Aufstieg nicht darauf zurück. Das macht es wahrscheinlich, dass bereits im Mittelalter einige Geschichtsschreiber diese Geschichte nicht sehr ernst nahmen und sich auf andere Begründungen für die Legitimität Pippins konzentrierten. Bezüglich der robertinischen Könige war Bernard Gui ziemlich eindeutig: Keiner von ihnen war legitimer König. Auf der relevanten Seite seiner Genealogie befindet sich der Karolinger Karl der Einfältige im zentralen Baum (Abb. 22).57 Auf der rechten Seite gibt es ein kleines genealogisches Schema der Robertiner, beginnend mit Robert von Anjou, dem Vater von Odo und Robert I. Innerhalb dieses Schaubildes an der Seite erkennt Bernard Gui an, dass sowohl Odo als auch Rudolf Könige waren und malte sie Krone tragend. Dennoch wird Robert I. einfacher “Fürst” genannt und trägt keine Krone.58 In den Kurzbeschreibungen tritt Odo als Karls “Vormund” auf, “der König war, als Karl jung war”.59 Rudolf wird als “König während Karls Gefangenschaft” bezeichnet.60 So lange also Karl als legitimer König aus dem königlichen Geschlecht lebte, sei es als Minderjähriger oder sei es in Gefangenschaft, konnte eigentlich kein anderer vollständige Legitimität erlangen, selbst wenn er die Krone trug. Im Begleittext sagt Bernard Gui über Odo, dass “er nicht auf der richtigen Linie des Baumes platziert ist, weil er nicht von königlichem Samen herkommt”.61 Im Abschnitt über Rudolf stellt er fest, dass Rudolf “nicht von kö52 53 54 55 56 57 58 59 60 61
Ebd., fol. 81: Pippinus brevis postea rex Francie. Ebd., fol. 83: […] expulso […] inutilis. Ebd., fol. 83v: […] describitur in latere et non in recta linea arboris. Ebd., fol 83v: […] non tam in regno successit quam accessit. Ebd., fol. 83v: […] in regem constituitur et levatur. Paris, BnF, MS latin 4975, fol. 120. Ebd., fol. 120: princeps. Ebd., fol. 120: […] tutor […] qui fuit rex quando Karolus erat iuvenis. Ebd., fol. 120: […] rex dum Karolus tenebatur captus. Ebd., fol. 119v: […] non ponitur in recta linea arboris quia de semine regio minime descenderat.
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niglichem Geblüt war; er ist auf der Seite dargestellt und nicht in der richtigen Linie des Stammbaums”.62 Am unteren Ende des genealogischen Diagramms zu den Robertinern nennt die Bildunterschrift zu Hugo Capet diesen den Graf von Paris, einen “Besetzer des Königreichs”, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass ihm die Herrschaft nicht von Geblüts wegen zukam, sondern er sich ihrer bemächtigte.63 Auf der folgenden Seite wendet sich Bernard Gui dem Schicksal Karls von Niederlothringen zu, dem jüngeren Sohn Ludwigs IV. und Onkel des letzten Karolingerkönigs. König Ludwig IV. befindet sich im zentralen Baum und Karl ist in einem kleinen Kreis an der rechten Seite dargestellt. In vielen Manuskripten zeichnete der Schreiber außerhalb des Kreises eine Krone ein, um damit zu zeigen, dass Karl die Krone nie erwarb.64 Karl erscheint nicht in der recta linea, “da er weder zum König gesalbt noch gekrönt war. Hugo Capet hatte dies verhindert”, wie der Text aussagt.65 Damit wird hier zwar einerseits die Krönungszeremonie als einer der Faktoren benannt, welche die königliche Legitimität bestimmen. Andererseits aber war eine Krönung nach Bernard Gui nicht unbedingt ausreichend dafür, als legitimer König zu gelten: Wie einige andere Autoren hatte er bereits Robert I. übergangen, obgleich dieser ja tatsächlich gekrönt worden war. Wichtiger erscheint, dass Bernard Gui Hugo Capet nicht als legitimen und also im Diagramm mit einer Nummer versehenen König anerkannte, welcher nicht nur gekrönt war, sondern auch neun Jahre regierte. Hugo ist zum ersten Mal am Fuß der Seitengenealogie der Robertiner ohne Krone in einem kleinen Kreis dargestellt. Dann taucht er auf derselben Seite wie die beiden letzten im zentralen Stamm platzierten karolingischen Könige auf. Hugo befindet sich gleichwohl immer noch ohne Krone in einem kleinen Kreis am Rand, obwohl die Bildunterschrift einräumt, dass er später König wurde.66 Der Haupttext bekräftigt: “Hugo ist nicht auf der richtigen Linie des Stammbaums platziert, weil er das Königreich an sich riss, obwohl er nicht von königlichem Geblüt war. Deshalb wird auch keine Krone [für ihn] verwendet”.67 Bernard Gui indes akzeptierte das Unvermeidliche, und auf der nächsten Seite wird unter einer die dritte Königsdynastie einführenden Rubrik Hugos Sohn Robert II. als echter König im Baum dargestellt. Bisher haben wir unterschiedliche graphische Anordnungen untersucht: Tabellen mit Angaben in einer oder mehreren Spalten, in irgendeiner Form durch 62 Ebd., fol. 120: […] quia non fuit de regali stipite natus depingitur in latere, et non in recta linea arbo-
ris genealogie.
63 Ebd., fol. 120: obtentor regni. 64
Vgl. die Abbildung in M. NORBYE, Arbor genealogiae (wie Anm. 2), S. 79: Abb. 4.4.
65 Paris, BnF, MS latin 4989, fol. 88 oder fol. 260: […] quia non fuit unctus in regem nec coronatus
impediente Hugone Chapeti.
66 Ebd., fol. 260v: […] postea rex Francorum. 67 Ebd., fol. 89-89v oder fol. 260v: Hugo non ponitur in recta linea arboris genealogie quia regnum in-
vasit cum non esset de stipite regio et quia dyademate non est usus.
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Linien verbundene Namen, oder einzelne auf separaten Seiten befindliche ‘Bäume’. Der nächste Typus von Diagrammen ist wohl für genealogische Darstellungen am besten geeignet: Dabei handelt es sich um oftmals in langen Ketten mit Linien verbundene Kreise, welche die Kontinuität einer Blutsline oder die Herrschaftssukzessionen aufzeigen helfen. Einer der ersten, die eine derartige graphische Darstellung benutzten, war Petrus von Poitiers, der Theologie in Paris lehrte.68 Um 1200 erstellte er sein Compendium in genealogia Christi, ein neues Werkzeug für seine Schüler zum Memorieren der biblischen Geschichte – eine Reihe von Kreis/Linien-Schemata, welche die Beziehungen zwischen den in der Bibel erwähnten Personen zeigten. Das Compendium ist sowohl auf Rotuli wie in Codices überliefert. Die Rollenhandschriften erweisen sich dabei als sehr effektives Mittel zur Darstellung langer kontinuierlicher Linien, die sich buchstäblich vor den Augen des Lesers entrollen.69 Petrus’ genealogisches Diagramm inspirierte wahrscheinlich die Stammbäume in Weltchroniken und ebenso die in den folgenden Jahrhunderten geschriebenen säkularen Genealogien, wie die der Könige von England und später von Frankreich.70 Eine dieser Genealogien war die anonyme kurze Chronik der Könige von Frankreich, A tous nobles.71 Dieser Text existiert in mehr als zwanzig Versionen, von denen sich viele innerhalb einer Weltchronik befinden, parallel zu Päpsten, Kaisern und Königen von England.72 Die meisten dieser Chronikversionen werden von separaten Versionen eines genealogischen Schaubildes begleitet. 68 Zu Petrus von Poitiers siehe A. WORM, Visualizing the Order of History: Hugh of Saint
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Victor’s Chronicon and Peter of Poitiers’ Compendium historiae, in: R. PLANT / J. MCNEILL (Hgg.), Romanesque and the Past. Retrospection in the Art and Architecture of Romanesque Europe, Leeds 2013, S. 243-263. M. A. NORBYE, Peter of Poitiers, in: G. DUNPHY (Hg.), Encyclopedia of the Medieval Chronicle (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 1205-1206. C. KLAPISCH-ZUBER, L’ombre des ancêtres (wie Anm. 9), S. 121-146, Abb. 19. G. MELVILLE, Geschichte in graphischer Gestalt (wie Anm. 3), S. 68-73 u. 149; S. 118-119, Abb. 3. Ein Beispiel dafür ist London, British Library, Harley roll C.9. Im “Catalogue of Illuminated Manuscripts” sind unter dem Suchbegriff “Peter of Poitiers” Bilder daraus online zugänglich. W. H. MONROE, Thirteenth and Early Fourteenth Century Illustrated Genealogical Manuscripts in Roll and Codex. Peter of Poitiers’ Compendium, Universal Histories and Chronicles of the Kings of England [unveröffentl. Diss.], University of London, Courtauld Institute of Arts, 1990. O. DE LABORDERIE, Genealogical Chronicles in Anglo-Norman, in: G. DUNPHY (Hg.), Encyclopedia of the Medieval Chronicle (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 668669. M. A. NORBYE, The king’s blood: royal genealogies, dynastic rivalries and historical culture in the Hundred Years War. A case study of “A tous nobles qui aiment beaux faits et bonnes histoires” [unveröffentl. Diss.], University of London, UCL, 2004. DIES., A tous nobles, in: G. DUNPHY (Hg.), Encyclopedia of the Medieval Chronicle (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 1. Für die am meisten verbreitete Version der Weltchronik siehe L. FAGIN DAVIS, Chronique anonyme universelle à la mort de Charles VII, in: G. DUNPHY (Hg.), Encyclopedia
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Die Stammbäume in A tous nobles haben meistens die Form genealogischer Diagramme in Gestalt von Kreisen und Linien, oftmals auf Rollen anstatt auf Codices gezeichnet, womit sie die Kontinuitäten und Brüche in der königlichen Nachfolgelinie visuell hervorheben.73 In allen diesen Stammbäumen gibt es klare Unterbrechungen zwischen den Dynastien. So zeigt sich nach dem Kreis für den letzten Merowinger eine Lücke vor dem Kreis für Pippin. Neun Versionen des Baumes zeigen Blitildis als Tochter Chlothars I., mehr oder weniger gleichlautend beschrieben als “Blitildis, von der Pippin abstammt”.74 Gleichwohl werden wie in den Grandes Chroniques keine Details zu den dazwischenliegenden Personen in dieser mythischen Genealogie angegeben, und es gibt auch keine Pippin und Blitildis verbindende Linie in der graphischen Darstellung. Der Text der Chronik erwähnt sie an keiner Stelle. Keiner der Autoren der verschiedenen Versionen von A tous nobles unternimmt also besondere Anstrengungen, die beiden Dynastien blutsmäßig zu verbinden. In Bezug auf die verworrene Periode der späten Karolinger bleiben die Hauptversionen von A tous nobles ziemlich konsistent, wie die Illustrationen meines ersten Beispiels zeigen (Abb. 23).75 Sie präsentieren Karl den Einfältigen in der zentralen Linie zwischen seinen karolingischen Vorgängern und Nachfolgern. Odo und Rudolf, die beide während seiner Lebenszeit als Könige regierten, sind ganz korrekt parallel zu ihm dargestellt. Allerdings gibt es keine Andeutung einer Familienbeziehung zwischen Odo und Rudolf. Zudem wird Odo manchmal fälschlich als Abkömmling einer karolingischen Seitenlinie gezeigt. Robert I. hingegen erscheint überhaupt nicht. Später sind die letzten karolingischen Könige zu sehen: Lothar und Ludwig V. Mit dem Kreis für Ludwig endet die karolingische Linie. Parallel zu dem kleinen Kreis für Ludwig steht ein kleiner Kreis für Hugo den Großen, den Vater Hugo Capets. Er wird als Vater von zwei weiteren Söhnen neben Hugo Capet gezeigt, der normalerweise in einem großen Medaillon of the Medieval Chronicle (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 296-297 und DIES., La Chronique Anonyme Universelle. Reading and Writing History in Fifteenth-Century France, Turnhout [in Vorbereitung]. In meiner eigenen Typologie von A tous nobles-Versionen habe ich diese Universalchronik “version H” genannt. Eine der Handschriften, welche diese spezielle Weltchronik beinhalten, wurde untersucht bei G. MELVILLE, Geschichte in graphischer Gestalt (wie Anm. 3), S. 104-110; S. 147-148, Abb. 23-24. Eine Beschreibung und Darstellung einer der Rollen befindet sich in: E. MORRISON / A. D. HEDEMAN, Imagining the Past in France. History in Manuscript Painting, 1250-1500, Los Angeles 2010, S. 242245. 73 Für Beispiele von Abschriften im Rollenformat, siehe M. A. NORBYE, Genealogies and dynastic awareness in the Hundred Years War. The evidence of A tous nobles qui aiment beaux faits et bonnes histoires, in: Journal of Medieval History 33 (2007), S. 297-319 (doi:10.1016/j.jmedhist.2007.07.002), Abbildungen 3 und 4: Paris, BnF, MS français 6470 sowie MS nouvelle acquisition française 1493. 74 Zum Beispiel Paris, BnF, MS français 23019, fol. 20: Blotide de qui Pepin descendit. 75 London, BL, Harley roll O.1, membr. 5. Ich habe dieses Manuskript als “version L” in meiner Typologie der A tous nobles-Versionen kategorisiert.
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dargestellt wird. Solche großen Medaillons werden nur für wichtige Könige eingesetzt. Offensichtlich wurde Hugo Capet als Gründer einer neuen Dynastie für besonders bedeutend erachtet. Es wird aber kein Versuch unternommen, Hugo Capet mit den Karolingern zu verbinden. Genauso wenig aber gibt es eine Andeutung, dass er kein legitimer König gewesen sei. Das Diagramm zeigt vielmehr schlicht die Tatsachen: Die karolingische Linie endete und Hugo begründete eine neue Dynastie. Auch der begleitende Text legt die Fakten dar, allenfalls um den Zusatz ergänzt, dass Hugo den Thron durch Waffengewalt erlangte. Ein ähnliches Muster findet sich in einer anderen Version von A tous nobles, trotz der visuellen Unterschiede zwischen den beiden Manuskripten.76 Die Version des vorangegangenen Beispiels war Teil einer auf eine Rolle kopierten vierspaltigen Weltchronik. Das folgende Beispiel ist hingegen ein Codex, der nur A tous nobles enthält. Der Schreiber bediente sich eines optischen Tricks, indem er die Sukzessionslinie horizontal zog, um damit die Beschränkungen des CodexFormates zu überwinden; indem das Auge über die doppelseitige Buchöffnung wandert und der Linie beim Umblättern folgt, erzeugt diese Anordnung einen stärkeren Eindruck von Kontinuität. Er gestaltete die grundlegende Struktur von Kreisen und Linien dadurch weiter aus, dass er die Hauptlinie in den grünen Stamm einer Pflanze und die Kreise in Rosen verwandelte, aus denen menschliche Figuren hervorkommen. Trotz dieser visuellen Ablenkung ähnelt die grundlegende Struktur den meisten Stammbäumen anderer A tous noblesVersionen. Auf den in Abb. 17 dargestellten Seiten ist zum Beispiel deutlich zu erkennen, wie der karolingische Stamm des horizontalen Baums endet, während darunter – durch die Darstellung von Wurzeln auf dem Kreis mit dem Namen Hugos des Großen – das Entstehen einer neuen Dynastie angezeigt wird. Die Darstellung von Figuren ermöglichte dem Autor dieser Version, zusätzliche visuelle Elemente einzuführen, welche die Botschaft des genealogischen Diagramms erweitern und verstärken. So macht er zum Beispiel die Kopfbedeckung zu einem bedeutsamen Attribut. In den meisten Versionen von A tous nobles wird Odo als König beschrieben, der für den minderjährigen Karl den Einfältigen regiert; diese Version nun unterscheidet sich dadurch, dass sie ihn einen bloßen gouverneur nennt, jemand, der für Karl regiert. Unterstrichen wird diese Tatsache dadurch, dass er in der Darstellung nur einen Hut und keine Krone trägt. An einer späteren Stelle in der Handschrift ist Karl von Valois, der Träger des Geblütsrechts als Sohn und Vater von Königen – ohne aber selbst König zu sein – mit einer ähnlichen Kopfbedeckung ausgestattet.77 Auf der im vorliegenden Band wiedergegebenen Seite trägt Hugo Capet eine Krone, aber bemerkenswerterweise keine Robe wie die Könige vor und nach ihm. Stattdes76 Paris, BnF, MS français 4991, fol. 10v-11r (Version 5 meiner Typologie). Die Handschrift
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wurde behandelt in G. MELVILLE, Geschichte in graphischer Gestalt (wie Anm. 3), S. 9192, S. 138, Abb. 17 und siehe Abb. 17 (Tafelteil) in diesem Band. Vgl. das Bild in M. NORBYE, Arbor genealogiae (wie Anm. 2), S. 85: Abb. 4.7.
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sen ist er in eine Rüstung gekleidet und hält sowohl ein Schwert als auch ein Zepter in seinen Händen. Der Künstler hat damit das Element militärischer Stärke illustriert, die zur Erlangung der Macht notwendig war, wie der Text mitteilt. Bis jetzt haben wir gesehen, dass viele genealogische Diagramme die Aussagen der begleitenden Texte ergänzen oder verstärken. Es gibt aber auch Beispiele, bei denen die Angaben der Schaubilder durch visuelle Gestaltungsmittel zusätzliche Dimensionen eröffnen. Beim Karolinus handelt es sich um ein didaktisches Gedicht über die Könige von Frankreich, das um 1200 von Gilles de Paris (auch bekannt als Aegidius Parisiensis) für den zukünftigen König Ludwig VIII. geschrieben wurde.78 In der wichtigsten erhaltenen Abschrift wird es von genealogischen Schaubildern der drei Hauptdynastien begleitet.79 Von besonderem Interesse dabei ist, dass der Urheber der graphischen Darstellung (der wahrscheinlich zugleich der Autor des Hauptgedichts war) ein System der Farbcodierung entwickelte, für das er blaue, rote und schwarze Tinte benutzte. Er setzte diese Farbcodierung ein, um zwischen bestimmten Personentypen in den Stammbäumen zu unterscheiden, so etwa Kaiser, Könige, Königinnen, jüngere Brüder und nachgeordnete Linien, sowie nicht-königliche Personen, wie zum Beispiel oberste Ratgeber oder zeitgenössische Heilige etc. Der Autor bezog dabei sogar ein Werturteil ein, indem er einen eigenen Farbcode für ‘gute’ Könige reservierte. Es gibt einige Untersuchungen zu diesem Stammbaum, insbesondere von Andrew Lewis, weshalb ich mich auf eine kurze Beschreibung der relevanten Abschnitte beschränken werde.80 Der Codex enthält fünf Seiten mit genealogischen Diagrammen, davon drei für die Merowinger, und jeweils eine für jede der übrigen Dynastien. Die letzte Seite der Merowinger (fol. 47v) präsentiert die mythische Blitildis als Tochter Chlothars II., Frau von Ansbertus senator und Mutter des Hausmeiers Erchinoald (Erchennoaldus), welcher als Vater Ansegisels gezeigt wird.81 Damit wird die 78 Paris, BnF, MS latin 6191. C. KLAPISCH-ZUBER, L’ombre des ancêtres (wie Anm. 9),
S. 163-166; Abb. 22. M. L. COLKER, The ‘Karolinus’ of Egidius Parisiensis, in: Traditio 29 (1973), S. 199-325. A. W. LEWIS, Dynastic structures and Capetian throne-right: the views of Giles of Paris, in: Traditio 33 (1977), S. 225-252. DERS., Royal Succession (wie Anm. 5), S. 107-109, 119-120, 137. E. A. R. BROWN, La notion de la légitimité et la prophétie à la cour de Philippe Auguste, in: R.-H. BAUTIER (Hg.), La France de Philippe Auguste: le temps des mutations. Actes du colloque international organisé par le C.N.R.S. (Paris, 29 septembre - 4 octobre 1980), Paris 1982, S. 81-82. 79 Paris, BnF, MS latin 6191, fol. 46v-48v. 80 Für eine Detailanalyse des Stammbaums siehe insbesondere A. W. LEWIS, Dynastic structures (wie Anm. 76), S. 232-248. 81 Bernard Gui beging einen ähnlichen Fehler, indem er Arnulf von Metz durch Erchinoald ersetzte. A. W. LEWIS, ebd., S. 233, behauptet, dass die meisten Genealogien Arnulf als Sohn von Erchinoald zeigten. In diesem Fall übergingen sowohl Gilles de Paris als auch Bernard Gui Arnulf.
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Blutsverbindung zwischen den beiden Dynastien dargestellt. Hingegen gibt es keinen expliziten Hinweis auf eine solche Verbindung zwischen den beiden folgenden Dynastien, und das, obwohl das Begleitgedicht durchaus impliziert, dass der kapetingische Prinz Ludwig auf irgendeine Art Karolinger war. Noch nicht einmal der reditus findet Erwähnung, obwohl die Prophezeiung angeblich in Ludwig erfüllt war; denn Gilles schrieb zwei Generationen bevor die Grandes Chroniques das reditus-Konzept stark förderten. Auf der nächsten Seite (fol. 48) erscheinen die Karolinger und Robertiner gemeinsam, hier ausschnittsweise in Abb. 24 von Karl dem Kahlen an dargestellt.82 Die Linie der karolingischen Könige ist in roter Tinte ausgeführt, die Kaiser sind mit blauer Tinte geschrieben und die Könige von Frankreich in einem mit doppelten Linien in Rot eingefassten Kästchen. Karl der Einfältige besitzt das Privileg, ein ‘guter’ König zu sein, wie die um sein Kästchen gezogene blaue Linie anzeigt. Der Gestalter hat, wie einige andere bereits kennengelernte Autoren auch, parallel zu den letzten Karolingern ein eigenes Schema für die Robertiner gezeichnet. In diesem traf er sorgfältige Unterscheidungen zwischen den einzelnen Herrschern. Odo ist kein vollgültiger König – sein Name ist in schwarzer Tinte geschrieben und schwarz umrahmt – aber dieses Kästchen wiederum ist mit einer roten Linie umrandet, um einen partiellen Königsstatus zu markieren. Dies spiegelt sich in der zugehörigen Kurzbeschreibung, die besagt, dass er der “Vormund” des jungen Karls des Einfältigen gewesen und König nur “an seiner Statt” gewesen sei.83 Robert I. ist lediglich ein “Fürst”, geschrieben mit schwarzer Tinte: Wie so oft wird seine Herrschaft ignoriert.84 Vielleicht etwas überraschend wird Rudolf in der graphischen Darstellung als legitimer vollgültiger König charakterisiert, in roter Tinte und mit der Beschriftung “König während der Gefangenschaft Karls des Einfältigen”.85 Darüber hinaus weist ihn die Farbcodierung auch als ‘guten’ König aus, obwohl er schließlich von der Gefangenschaft eines anderen ‘guten’ Königs profitierte. Was Hugo Capet anbelangt, so wird auch er durch einen schwarzen Namen in einem schwarzen Kästchen zurückgesetzt und als bloßer obtentor regni bezeichnet, als “Besetzer des Königreichs”.86 Der Begleittext bekräftigt diesen Umstand: Hugo “nahm das Königtum von Karl, dem Bruder Ludwigs [IV.] und sei-
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Vgl. das Bild der ganzen Seite in M. NORBYE, Arbor genealogiae (wie Anm. 2), S. XIV, Colour Plate 2. Paris, BnF, MS latin 6191, fol. 48: […] tutor […] rex loco eius. Ebd., fol. 48: princeps. Ebd., fol. 48: rex dum Karolus Simplex captus. Der Autor brachte seine Genealogie an dieser Stelle etwas durcheinander, da er annahm, dass Rudolfs Vater Richard ein Bruder von Odo und Robert I. gewesen sei, obwohl Rudolf nur durch Heirat mit Robert verwandt war. Ebd., fol. 48. Parallel bezeichnet auch Bernard Gui Hugo als optentor regni (zum Beispiel Paris, BnF, MS latin 4975, fol. 120).
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nen Nachkommen”.87 Nichtsdestotrotz erkannte auch dieser Autor den zwangsläufigen Dynastiewechsel an und beginnt bei dem Kästchen Hugo Capets eine dicke rote königliche Linie. Auf der Rückseite des Blattes eröffnet sein Sohn Robert II. das genealogische Diagramm der Kapetinger und wird dabei als vollgültiger und sogar als ‘guter’ König dargestellt!88 Die Gestaltung des Schaubildes und seine Farbcodierung eröffnen dem Leser demnach auch ohne den Begleittext die Ansichten des Autors zur Legitimität der einzelnen Könige, wobei das Konzept des ‘guten Königs’ eine weitere Dimension hinzufügt – freilich ohne dass die Kriterien dafür vom Autor definiert worden wären. Abschließend sollte man nicht vergessen, dass das 14. Jahrhundert das Aufkommen einer neuen Debatte über königliche Legitimität hervorbrachte, die weit über die gelehrten Argumente hinausging und eine verheerende Wirkung auf das Leben vieler Menschen für mehr als ein Jahrhundert ausübte: Wer waren die legitimen Nachfolger der letzten direkten Kapetinger? Der Hundertjährige Krieg wurde wegen eines weiteren dynastischen Wechsels in Frankreich begonnen, mit dem Übergang von den direkten Kapetingern auf ihre Cousins aus dem Hause Valois. König Edward III. von England begründete seinen Anspruch auf den französischen Thron mit seiner kapetingischen Mutter. Auf einer weiteren Seite des Manuskripts mit dem horizontalen Stammbaum von A tous nobles ist Edward III. dargestellt, vor Philipp von Valois, dem nunmehrigen König Philipp VI., kniend und die Lehnshuldigung für seine französischen Ländereien leistend (Abb. 25).89 Edward erkennt damit Philipp als den legitimen König an. Die einzigartige künstlerische Ausstattung dieser Handschrift geht weit über das meist übliche Schema von Kreisen und Linien hinaus, mit dem die genealogische Chronik A tous nobles üblicherweise auskommt. Auf den letzten Seiten gestaltet der Maler den verfügbaren Platz mit zusätzlichen Dekorationselementen, wie etwa Schlachtenszenen, aus. Die Darstellung der Huldigung Edwards ist aber von besonderer Bedeutung, denn der Maler verbindet hier eine Person aus dem genealogischen Diagramm (König Philipp) mit einer szenischen Darstellung eines symbolisch hoch aufgeladenen Aktes. Mit dieser sorgfältig in das genealogische Schema integrierten Darstellung führt er eindringlich vor Augen, wer der rechtmäßige König von Frankreich war, und wer nicht.
87 Ebd., fol. 48: Karolo fratri Ludovici et posteris eius regnum abstulit. 88 A. W. LEWIS, Dynastic structures (wie Anm. 76), S. 242, weist darauf hin, dass auch etli-
che frühere Geschichtsschreiber Hugos Machtübernahme missbilligten, ohne dabei ungünstige Urteile über seine Nachkommen zu fällen. 89 A tous nobles, Paris, BnF, MS français 4991, fol. 17v.
FULVIO DELLE DONNE
Nobilitas animi: Attribut oder Requisit einer nobilitas sanguinis? Die ideologische Reflexion am aragonesischen Hof von Neapel*
Am 26. Februar 1443 wollte Alfons von Aragon, genannt “der Großmütige”, das Ende eines beinahe 20 Jahre währenden Krieges feiern, welcher nicht nur die Eroberung des Königreiches Neapel, sondern zugleich auch den Beginn eines neuen Zeitalters mit sich gebracht hatte:1 ein neues Zeitalter nicht nur in politisch-institutioneller, sondern auch in kultureller Hinsicht, da es neue ‘humanistische’ Modelle gebot. Das aus diesem Anlass dargebotene Schauspiel war in absoluten Zahlen vielleicht nicht außerordentlich, ähnliche Zeremonien fanden schließlich sowohl in Italien als auch auf der Iberischen Halbinsel häufig statt.2 Dennoch war jene des Alfons – ein wahrhaftiger und eigener laikaler Ersatz für eine Krönungszeremonie, die er nie wollte – der erste der Antike nachempfundene Triumphzug3 und konstituierte auch für andere Herrscher der * 1
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Die deutsche Übersetzung des Beitrags übernahm Frau Katrin Rösler (Dresden), wofür ich ihr an dieser Stelle herzlich danke. Zum Beginn eines neuen goldenen Zeitalters mit dem Sieg Alfons’ siehe Gaspare Pellegrino, Historia Alphonsi primi regis, ed. F. DELLE DONNE (Il ritorno dei classici nell’Umanesimo 4. Edizione Nazionale dei Testi della Storiografia Umanistica 2), Florenz 2007, X 233-240, S. 312 (neue Ausgabe mit Übersetzung: Gaspar Pelegrí, Historiarum Alphonsi regis libri X. I dieci libri delle Storie del re Alfonso, ed. F. DELLE DONNE [Quaderni della Scuola nazionale di studi medievali. Fonti, studi e sussidi 3], Rom 2012, S. 498-501). Zur Kontextualisierung des Abschnitts siehe F. DELLE DONNE, Storiografia e propaganda alla corte aragonese. La descrizione del trionfo di Alfonso il Magnanimo secondo Gaspare Pellegrino, in: DERS., Politica e letteratura nel Mezzogiorno medievale. La chronachistica dei secoli XII-XV (Immagini del medioevo 4), Salerno 2001, S. 147177. Vgl. H. MAXWELL, Trionfi terrestri e marittimi nell’Europa medievale, in: Archivio storico italiano 152 (1994), S. 641-667, wo auch auf die Praktiken in anderen Regionen Bezug genommen wird, ohne dass jedoch immer eindeutige Triumphzüge, Auftritte, Reiterzüge etc. behandelt werden. Für ein ähnlich spektakuläres Ereignis (auch wenn es technisch gesehen kein Triumphzug war), dessen Protagonisten Alfons und die Neapolitaner waren, siehe DERS., “Uno elefante grandissimo con lo castello di sopra”: il trionfo aragonese del 1423, in: Archivio storico italiano 150 (1992), S. 847-875. In wenig sachbezogener Weise wird oft der Bezug zu dem als Vorläufer behandelten triumphalen Festzug Friedrichs II. hergestellt, der Cremona im Jahr 1237 nach dem Sieg über Cortenuova durchzogen hatte. Diese Begebenheit, die knapp bei Petrus de Vinea, Friderici II. Imperatoris epistulae, ed. J. R. ISELIUS, 2 Bde., Basel 1740, Bd. 1, S. 235-239 geschildert wird, hatte zum Ziel, den lombardischen Kommunen die kaiserliche Macht zu
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Zeit ein Muster,4 von welchem sie den Prunk und die Zurschaustellung von Macht übernahmen, ohne freilich alle Implikationen und alle wesentlichen Konnotationen dabei erfasst zu haben.5 Die Organisation war präzise und in allen Einzelheiten ausgearbeitet von einer sorgfältigen Regie, welche auf der Zusammenarbeit sowohl von bedeutenden Humanisten wie etwa Lorenzo Valla und dem Panormita (Antonio Beccadelli) als auch von florentinischen und katalanischen Kaufleuten beruhte.6 Alfons, auf einem vergoldeten Wagen postiert, in wertvolles Tuch gehüllt und von vier oder fünf weißen Pferden gezogen, durchquerte die Innenstadt von Neapel, passierte eine jubelnde Menschenmenge und wirkte an einer Reihe von Schauspielen, oder besser gesagt, lebenden Gemälden mit, die mit großer bühnenbildnerischer Wirkung und hohem symbolischen Gehalt ausgestattet waren. Hier werden wir den Blick jedoch nur auf einen bestimmten Moment des Triumphzuges lenken, speziell auf einen Zeitpunkt der von Florentinern organisierten Vorstellungen. Nicht lange, nachdem Alfons seine Rundfahrt begonnen hatte, traf er auf das Bildnis der Fortuna, welche, von einem Wagen getragen, eine Krone aus
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demonstrieren, um den Widerstand durch Demütigung zu brechen: Der Mailänder Wagen wurde nämlich, mit umgekippten Mailänder Insignien und den berühmtesten gefesselten Gefangenen, von einem Elefanten (den Friedrich auch während der Schlacht benutzt hatte) gezogen. Vgl. A. PINELLI, Feste e trionfi. Continuità e metamorfosi di un tema, in: S. SETTIS (Hg.), Memoria dell’antico nell’arte italiana. I generi e i temi ritrovati, 2 Bde., Turin 1984, Bd. 1, S. 321-335. Zur Bedeutung des Triumphzuges als Ersatz für eine Krönung vgl. F. DELLE DONNE, Il trionfo, l’incoronazione mancata, la celebrazione letteraria: i paradigmi della propaganda di Alfonso il Magnanimo, in: Archivio storico italiano 169 (2011), S. 447-476. Zu den Beschreibungen des Triumphzuges vgl. F. DELLE DONNE, Storiografia e propaganda (wie Anm. 1), S. 147-177. Für andere detaillierte Beschreibungen von Alfons’ Triumphzug vgl. auch N. F. FARAGLIA, Storia della lotta tra Alfonso V d’Aragona e Renato d’Angiò, Lanciano 1908, S. 329-335; F. MASSIP, De ritu social a espectacle del Poder. L’Entrada triomphal d’Alfons el Magnànim a Nàpols (1443), entre la tradiciò catalana i la innovació humanística, in: La corona d’Aragona ai tempi di Alfonso il Magnanimo. XVI Congresso internazionale di storia della corona d’Aragona (Napoli/Caserta/Ischia, 18-24 settembre 1997), 2 Bde., Neapel 2000, Bd. 1, S. 1859-1886; A. IACONO, Il trionfo di Alfonso d’Aragona tra memoria classica e propaganda di corte, in: Rassegna storica salernitana 51 (2009), S. 9-57; weniger detailliert A. PINELLI, Fatti, parole, immagini. Resoconti scritti e rappresentazioni visive del trionfo napoletano di Alfonso d’Aragona, in: G. ALISIO / S. BERTELLI / A. PINELLI, Arte e politica tra Napoli e Firenze. Un cassone per il trionfo di Alfonso d’Aragona (Saggi 13), Modena 2006, S. 35-75; P. HELAS, Der Triumph von Alfonso d’Aragona 1443 in Neapel. Zu den Darstellungen herrscherlicher Einzüge zwischen Mittelalter und Renaissance, in: P. JOHANEK / A. LAMPEN (Hgg.), Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt (Städteforschung, Reihe A: Darstellungen 75), Köln/Weimar/ Wien 2009, S. 133-228.
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reinem Gold in ihren Händen trug.7 Die Fortuna war auf einer goldenen Kugel postiert, die von einem Knaben mit dem Äußeren eines Engels gestützt zu werden schien.8 Dahinter kamen die drei theologalen Tugenden: Die Hoffnung trug eine Krone, der Glaube einen Kelch, die Liebe wurde von einem nackten Knaben begleitet. Diesen folgten die vier Kardinaltugenden: Die Tapferkeit trug eine Marmorsäule, die Mäßigung vermischte Wein und Wasser in einem Becher, die Besonnenheit hielt in ihrer rechten Hand einen Spiegel und in ihrer linken eine Schlange, die Gerechtigkeit zückte mit der rechten Hand ein Schwert und hielt in der linken eine Waage.9 An den Schultern der Gerechtigkeit ragte ein von drei Engeln umgebener Thron empor. Diese schienen aus dem Himmel herabzusteigen und reichten Alfons mit einer Geste eine dreifache Krone.10 Für den Fall, dass der symbolische Sinngehalt des Schauspiels nicht vollständig erfasst wurde, war zur endgültigen Erhellung und in eindeutiger Weise die Figur des Cäsar vorgesehen.11 Dieser ermahnte Alfons in einem in Volgare verfassten Sonett, sich nicht auf Fortuna zu verlassen, sondern die sieben Tugenden, die diesem soeben vorangezogen waren, zu bewahren und zu pflegen. In einem in Sizilianisch verfassten Brief, der den Triumphzug schildert, wird ausgesagt, es wären 12 mit Pfeilen bewaffnete Reiter vorangegangen; der Brief wurde veröffentlicht von G. M. MONTI, Il trionfo di Alfonso I di Aragona a Napoli in una descrizione contemporanea, in: Archivio scientifico del Regio Istituto Superiore di Scienze Economiche e Commerciali di Bari 6 (1931-1932), S. 1-16 (der Abschnitt befindet sich S. 9-10), und vorher bereits von S. DI MARZO, Delle origini e vicende di Palermo, Palermo 1864, S. 101-110. Bei dem Panormita, Alphonsi regis triumphus, in: Antonius Panormita, De dictis et factis Alphonsi regis Aragonum libri quatuor, ed. J. SPIEGEL, Basel 1538, S. 232, waren es zehn Reiter. In einem dem Triumphzug gewidmeten Werk (Il trionfo di Alfonso I d’Aragona cantato da Porcellio, ed. V. NOCITI, Rossano 1895, II 140-144, S. XXV und bei dem Panormita, Alphonsi regis triumphus, S. 232-233, ist Fortuna in der Darstellung erkennbar durch die fließende Mähne auf der vorderen und die Glatze auf der hinteren Kopfseite. Die in Händen gehaltene goldene Krone ist allerdings weggelassen worden. 8 Vgl. Il trionfo di Alfonso I d’Aragona cantato da Porcellio (wie Anm. 7), II 142-143, S. XXV, und Panormita, Alphonsi regis triumphus (wie Anm. 7), S. 233. 9 Vgl. Il trionfo di Alfonso I d’Aragona cantato da Porcellio (wie Anm. 7), II 145-158, S. XXV, und Panormita, Alphonsi regis triumphus (wie Anm. 7), S. 233. Porcellio nennt, obgleich er eine absolut identische Beschreibung der Tugenden wie diejenige des Panormita vornahm, die Tapferkeit nicht und bringt statt der Mäßigung die Bescheidenheit. 10 Vgl. Il trionfo di Alfonso I d’Aragona cantato da Porcellio (wie Anm. 7), II 160-161, S. XXVI; Panormita, Alphonsi regis triumphus (wie Anm. 7), S. 233; Marino Jonata, in: F. ETTARI, El Giardeno di Marino Jonata Aragonese, in: Giornale napoletano di filosofia e lettere, scienze morali e politiche 9 (1884), S. 834. Der Autor des Briefes in Sizilianisch (G. M. MONTI, Il trionfo [wie Anm. 7], S. 10) deutet die angebotene Krone als die kaiserliche. 11 Vgl. Il trionfo di Alfonso I d’Aragona cantato da Porcellio (wie Anm. 7), II 204-209, S. XXVIII-XXIX und Panormita, Alphonsi regis triumphus (wie Anm. 7), S. 234, die in Ergänzung aussagen, dass Cäsar eine Lorbeerkrone auf dem Kopf gehabt und mit der rechten Hand das Zepter und mit der linken die Erdkugel gehalten hätte. Vgl. auch den Brief in Sizilianisch in G. M. MONTI, Il trionfo (wie Anm. 7), S. 10. 7
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Nur im Besitz dieser Tugenden könne er in jedem Krieg glücklich triumphieren. Der Text des kurzen Werkes lautet so: Eccelso re, o Cesare novello, Giustitia con Fortezza e Temperanza, Prudenza, Fede, Carità e Speranza ti farà trionfar sopr’ogni bello. Se queste donne terrai in tu’ ostello, quella sedia fia fatta per tua stanza; ma ricordasi a te, tu sarai sanza, se di Giustizia torcessi ’l sugello. E la Ventura che ti porge il crino, non ti dar tutto a lei, ch’ell’è fallace, che me, che trionfai, misse in dechino. El mondo vedi che mutazion face! Che sia voltabil, tienlo per destino: e questo vuole Dio perché li piace. Alfonso, re di pace, Iddio t’esalti e dia prosperitate, salvando al mio Firenze libertate.12
Cäsar hatte sich an Alfons gewandt und ihn im ersten Vers ‘neuer Cäsar’ genannt. Die Bezugnahme auf das alte kaiserliche Zeitalter Roms und an dessen durch den aragonesischen Herrscher bewirkte Wiedergeburt, die in diesem Titel enthalten war, wurde zu einem bedeutenden Element der von den Humanisten um Alfons organisierten Propaganda. Der Panormita, der hauptsächliche Organisator der ‘Zustimmungsmaschinerie’, war in seinem Werk bei der Schilderung der gleichen Szene, die den Triumphzug Alfons’ beschreibt, sehr viel deutlicher. In seiner eleganten lateinischen Fassung des Sonetts forderte Cäsar Alfons folgendermaßen zur Befolgung der sieben Tugenden auf: “Alfons, Erwähltester unter den Königen, ich fordere Dich auf, an diesen sieben Tugenden, die Du soeben an Dir vorüberziehen sahst, bis zum Ende festzuhalten.”13
Anschließend erklärte Cäsar sogleich, welches die unmittelbare Konsequenz seines Verhaltens sein konnte:
12 Das von Cäsar deklamierte “sonetto caudato” wurde von Piero de’ Ricci komponiert, ei-
nem Dichter der florentinischen Kolonie in Neapel. Es ist entnommen aus der Edition von I teatri di Napoli. Dal rinascimento alla fine del secolo decimottavo, ed. B. CROCE, hg. v. G. GALASSO (Biblioteca Adelphi 258), Mailand 1992, S. 18. Außerdem kann man es, mit einigen Varianten, in einem anonymen, in Sizilianisch verfassten Brief lesen bei G. M. MONTI, Il trionfo (wie Anm. 7), S. 10-11; und bei Angelo de Tummulillis, Notabilia temporum, ed. C. CORVISIERI (Fonti per la Storia d’Italia 4), Livorno 1890, S. 51. 13 Panormita, Alphonsi regis triumphus (wie Anm. 7), S. 234: Ego te, praecellentissime regum
Alphonse, cohortor ut septem has virtutes, quas coram te modo transire vidisti, quas perpetuo coluisti, ad ultimum usque tecum serves.
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“Wenn Du dies tust, und ich bin sicher, dass Du es so machen wirst, werden jene, die Dich jetzt triumphierend dem Volk zeigten, Dich eines Tages dieses Thrones würdig machen, den Du begehrtest, als Du ihn gerade vorbeiziehen sahst.”14
Also könnte er den kaiserlichen Thron als Preis erhalten, jenen Thron, den er tatsächlich wahrscheinlich nie erstrebt hat, dessen Beschwörung jedoch durchaus erwünscht gewesen sein kann. Sicher war sie aber dem preisenden Werben um denjenigen Herrn dienlich, der einen großen Teil des Mittelmeerraumes beherrschte. Der Rest der Ansprache des Cäsar folgt in der Überlieferung des Panormita genau jener des Sonetts. Dennoch ist in der Version des Panormita neben der expliziten Erwähnung des kaiserlichen Titels mindestens eine vielsagende Abweichung festzustellen: “Wie Du gesehen hast, wurde der Thron von der Gerechtigkeit begleitet, damit Du verstehen mögest, dass ohne Gerechtigkeit niemand wahrhaftigen und beständigen Ruhm erlangen kann.”15
In der bei dem Panormita wiedergegebenen Rede Cäsars wurde der Gerechtigkeit eine herausgehobene Stellung eingeräumt, wie sie generell in der Tradition der theoretischen Abhandlungen über das Tugendsystem anzutreffen ist.16 Der große Unterschied gegenüber dem Sonett besteht darin, dass die Lobpreisung der Gerechtigkeit die Gelegenheit liefert, eine Belehrung zu erteilen, welche diese Tugend in eine äußerst enge Verbindung zum Ruhm bringt. Es ist möglich, dass diese Passage einen Verweis auf den ‘Triumph des Ruhmes’ von Petrarca verbirgt, von welchem möglicherweise Alfons’ gesamter Triumphzug eine Art Widerschein darstellte.17 Möglicherweise wurde dieser aus dem Blickwinkel der Humanisten am Hof, also Valla und ebenjenes Panormita, vermittelt.18 Auch in der Vorrede zum vierten und letzten Buch von De dictis et factis Alphonsi regis, einer der Arbeiten, welche entscheidend zur Entwicklung des ‘Mythos
14 Ebd.: […] quod si feceris, ut facies certe scio, quae te nunc triumphantem populo ostendant aliquando
dignum efficient sede illa imperatoria, quam modo transeuntem intuitus, concupisti.
15 Ebd.: Quacum [sedes], ut vidisti, iustitia simul deducebatur, ut intelligeres sine iustitia neminem veram
solidamque gloriam assecuturum.
16 Vgl. G. M. CAPPELLI, Introduzione, in: Giovanni Pontano, De principe, ed. G. M. CAPPELLI (Testi
e documenti di letteratura e di lingua 22), Rom 2003, S. LXXII-LXXIV.
17 Vgl. A. PINELLI, Feste e trionfi (wie Anm. 4), S. 294-303. 18 Die Rede geht folgendermaßen weiter: Panormita, Alphonsi regis triumphus (wie Anm.
7), S. 234: Sed fortunae, quae tibi paulo ante crinem aureum porrigere videbatur, nequaquam confidas, fluxa et instabilis est. Ecce et mundus volubilis et praeter virtutem omnia incerta. Hanc igitur, quod facis, religiosissime colas. Ego Deum optimum maximum rogabo, ut te in prosperitate, sed et Florentiam in libertate conservet. Also: “Aber vertraue dem Glück nicht, welches Dir soeben sein goldenes Haar anzubieten schien, da es beweglich und unbeständig ist. Deshalb be-achte es in ehrfürchtigster Weise, wie Du es bereits tust. Ich werde den großartigen und höchsten Gott bitten, Dich in Wohlstand und Florenz in Freiheit zu erhalten.”
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der Großmut’ bei Alfons von Aragon beigetragen haben,19 stellte der Panormita einen Bezug zum kaiserlichen Schicksal des Königs her. Er zählt einige bedeutende römische Kaiser iberischer Abstammung wie Traian, Hadrian, Theodosius, Arcadius, Honorius und Theodosius II. auf, denen er Alfons hinzufügte: “Und zuletzt Alfons, lebendiges Abbild aller Tugenden, der als nicht weniger lobenswert erscheint als die antiken, sondern der vor allem aufgrund seiner Religion, das heißt für diese wahrhafte Weisheit, aufgrund derer wir uns als den wilden Tieren überlegen ansehen, ein beachtliches Stück höher steht und um einiges lobenswerter ist.”20
Die Anspielung auf die Rechte, wenn nicht gar auf den Wunsch der kaiserlichen Machtausübung des Alfons ist hier ausreichend deutlich und benutzt als Hebel allein die Tugenden: Er ist deshalb gegenüber den antiken Kaisern höherwertig, weil er neben den Tugenden der Vorgänger zudem die religio besitzt, welche wahre sapientia ist.21 Die direkte Ableitung der Würde von dem Verdienst verweist unbestritten auf einen typisch humanistischen theoretischen Kontext, ist zugleich jedoch auch für einen spezifischeren Umstand hilfreich. Tatsächlich bezweckt das propagandistische Spiel des Panormita die familiäre Abstammung des Gepriesenen – also die Dynastie der Trastámara – in den Hintergrund treten zu lassen und sie durch eine ideale, nämlich die römische, zu ersetzen. Die gotische, also barbarische Herkunft des Alfons sollte verschwiegen, die italische gestärkt werden. Diese erschien zweckmäßiger, um die Erhebung auf den Thron von Neapel zu rechtfertigen und zu bestätigen, die in Wahrheit durch kriegerische Eroberung erfolgt war, indem die vorherige rechtmäßige Dynastie der Anjou verdrängt wurde. Jedenfalls ist das Prinzip der dynastisch-amtlichen Abstammung geeigneter als das dynastisch-familiale. Das heißt, wenn die Abwesenheit geeigneter Blutseigenschaften dazu zwingt, den persönlichen Tugenden ein höheres Gewicht 19 Vgl. G. FERRAÙ, Il tessitore di Antequera. Storiografia umanistica meridionale (Nuovi
studi storici 53), Rom 2001, insbesondere das Kapitel zu “Nascita della leggenda ‘magnanima’: Facio e dintorni”, S. 43-80. 20 Der Text (Antonius Panormita, De dictis et factis Alphonsi regis) richtet sich vorwiegend nach der Edition von M. VILALLONGA, enthalten in: Antonio Beccadelli “el Panormita”, Dels fets e dits del gran rey Alfonso, versió catalana del segle XV de Jordi de Centelles, ed. E. DURAN (Els Nostres Clàssics, Colecció A: Volums en octau 129), Barcelona 1990, S. 250-252: […] postremo Alfonsum, virtutum omnium vivam imaginem, qui cum superioribus his nullo laudationis genere inferior extet, tum maxime religione, id est vera illa sapientia, qua potissimum a brutis animalibus distinguimur, longe superior est atque celebrior. Dennoch wurde diese Edition kontrolliert und korrigiert auf Basis der 1538 in Basel gedruckten Edition (ex officina Hervagiana), S. 105-106, und der Hs. 106 der Bibliothek von Huesca. 21 Zu der hier verwendeten Bedeutung von religio vgl. F. DELLE DONNE, Virtù cristiane, pratiche devozionali e organizzazione del consenso nell’età di Alfonso d’Aragona, in: “Monasticum regnum”. Religione e politica nelle pratiche di legittimazione e di governo tra Medioevo ed Età moderna, welcher sich gerade im Druck befindet in der Reihe Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiösen Lebens im Mittelalter.
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beizumessen, so versucht man nachzuweisen, dass der königliche und der kaiserliche Titel einem aufgrund der selbst besessenen Tugenden und nicht aufgrund von Vererbung zustehen. Die Situation von Alfons’ Herrschaft unterschied sich im Übrigen kaum von denen anderer großer zeitgenössischer italienischer Staaten. Bis auf Venedig wurde keiner der anderen von einer antiken Dynastie geführt. Wie Guido Cappelli bestätigt, sind die meisten Signori des Zeitalters von einem juristischen Standpunkt aus ‘Tyrannen’ ex defectu tituli und auf der Suche nach Legitimation ex parte exercitii.22 Und genau in diesem Umfeld ist das äußerst gewagte theoretische Experimentieren möglich, welches die Ausübung der Regierung legitimieren soll. Dennoch ist der Fall bei Alfons noch etwas spezieller, da er – wenn auch in einem anderen Territorium – König durch Geblütsrecht war. Sein Geblütsadel konnte nicht vergessen werden, galt allerdings andernorts und hatte in Italien nicht die gleiche Bedeutung. So zeigen die propagandistischen Theoretisierungen zwei Tendenzen, die nur scheinbar divergieren. Einer ersten, klarer erkennbaren Linie folgte der Panormita in De dictis et factis Alphonsi regis, wo er an dem Konzept der persönlichen Tugenden festhielt. Diese rechtfertigen die Annahme der königlichen Würde und sind unabhängig von der Vererbbarkeit des Titels. Die deutlichste Passage hierzu findet sich in Kapitel 29 des zweiten Buches, wo mit einer einzigartigen Anekdote folgendermaßen begonnen wird: “Als eine Person Alfons für dessen Adligkeit hoch gelobt hatte, da er König, Sohn des Königs, Neffe des Königs, Bruder des Königs und anderes mehr war, wandte sich der König an diesen Mann und sagte ihm, dass er in seinem Leben nichts geringer schätze als das, was dem Mann das Wichtigste zu sein scheine.”23
Alfons’ Antwort scheint an die Tugend der moderatio gut angepasst, welcher das Kapitel seinen Namen verdankt: er weist mit Bescheidenheit den höfischen Prunk zurück und beweist so, dass er die Eitelkeit der irdischen Reichtümer für gering erachtet. Er belässt es jedoch nicht dabei, sondern fährt folgendermaßen fort: “Er sagte, dass dieses Lob nicht ihm, sondern seinen Ahnen gebühre, welche sich mit Gerechtigkeit, Mäßigung und Vorzüglichkeit des Geistes das Königreich verschafft hätten. Den Nachfolgern hingegen kommen die Königreiche als Last, und letztendlich als 22 Vgl. dazu von den zahlreichen, diesem Thema gewidmeten Aufsätzen von G. CAPPELLI,
Sapere e potere. L’umanista e il principe nell’Italia del Quattrocento, in: Cuadernos de Filología Italiana 15 (2008), S. 73-91 und DERS., La otra cara del poder. Virtud y legitimidad en el humanismo político, in: G. M. CAPPELLI / A. GÓMEZ RAMOS (Hgg.), Tiranía. Aproximaciones a una figura del poder, Madrid 2008, S. 97-120. 23 Antonius Panormita, De dictis (wie Anm. 20), II 29, S. 160, teilweise in der Zeichensetzung korrigiert: Cum aliquis Alfonsum a nobilitate maxime laudaret, quod rex esset, filius regis, regis nepos, regis frater et cetera istiusmodi, rex hominem interpellans dixit nihil esse quod in vita minoris ipse duceret, quam quod ille tanti facere videretur.
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Ehre zu, wenn sie sich bei deren Erhalt mehr an die Tugend als an das Testament halten.”24
Es genügt nicht, dass man zum Führen eines Reiches einfach da ist, man muss sich dieser Würde auch gewachsen zeigen, indem man sich beständig von den Tugenden leiten lässt. Die Erbrechte sind keine Belohnung, sie sind sinnentleert, wenn sie nicht durch angemessenes Verhalten am Leben gehalten werden: “Folglich müssen die Verdienste, sofern vorhanden, aus einem selbst erwachsen und nicht von den verstorbenen Vätern genommen werden.”25 Die zweite Linie wird allerdings subtiler und mit mehr Umsicht verfolgt, wenn auch nicht immer mit den erhofften Ergebnissen: Diese beabsichtigt die Hervorhebung des dynastischen Aspekts. Sie leitet sich aus Alfons’ Versuch ab, sein Recht auf den Thron von Neapel als Konsequenz seiner – umstrittenen – Adoption durch Königin Johanna II. darzustellen. Vor allem auf literarischem Gebiet ist diese jedoch in dem Bestreben Alfons’ offenkundig, eine dynastischenkomiastische Geschichtsschreibung nach kastilisch-aragonesischem Modell zu initiieren. Die Aufgabe, dieses Projekt voranzutreiben, war Lorenzo Valla übertragen worden, der bis zum Jahr 1435 an Alfons’ Seite blieb. Das mit dem aragonesischen Herrscher offenbar vereinbarte Vorhaben sah die Schaffung eines neuen historiographischen Ideals vor, welches die Unternehmungen des Herrschers pries, jedoch bereits mit der Schilderung der Taten seines Vaters, König Ferdinands I., begann. Der Auftrag für diese dynastische Erzählung wurde ihm bereits 1438 übertragen, die Gesta Ferdinandi regis Aragonum wurden aber erst 1445 bzw. 1446 endgültig fertiggestellt.26 Die Ergebnisse dürften allerdings äußerst gegensätzlich zu den Erwartungen des Alfons gewesen sein. Valla benutzte seine Prosa nicht zur feierlichen Erhöhung der Dynastie der Trastámara, sondern versuchte vielmehr, ein neues ethisches Ideal aufzudrängen, in welchem die ‘Historiographie’ sich für seine Suche nach der Wahrheit als übergeordnet gegenüber der Poesie und der Philosophie durchsetzte.27 Sein Werk fand deshalb nicht die vorgesehene Fortsetzung in der Erzählung der Unternehmungen des Alfons, sondern erzeugte eine äußerst heftige Debatte bezüglich de historia conscribenda, in welcher er schließlich den ‘dem Hof eher entgegenkommenden’ Positionen des Panormita und des Bartholomäus Facio unterlag. Es ist hier nicht der Ort, um alle Bestandteile des Streits zurückzuverfolgen, dem bereits 24 Ebd., II 29, S. 160: Laudem enim illam non suam sed maiorum suorum esse, quippe qui iustitia,
moderatione atque animi excellentia sibi regnum comparassent, successoribus quidem oneri regna cedere, et ita demum honori si virtute potius, quam testamento illa suscipiant. 25 Ebd., II 29, S. 160: […] a se itaque, si qua modo extent, eliceret ornamenta, non a patribus iam mortuis extorqueret. 26 Vgl. die Einleitung von O. BESOMI in seiner Edition von Laurentius Valla, Gesta Ferdinandi regis Aragonum, ed. O. BESOMI (Thesaurus mundi 10), Padua 1973, S. X-XI; M. FOIS, Il pensiero cristiano di Lorenzo Valla nel quadro storico-culturale del suo ambiente (Analecta Gregoriana 174), Rom 1969, S. 172 mit Anm. 24. 27 Vgl. das Proömium in Laurentius Valla, Gesta Ferdinandi (wie Anm. 26), S. 4-6.
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detaillierte und gewissenhafte Studien gewidmet sind.28 Es genügt lediglich der Hinweis, dass Vallas Verweigerung einer ideologisierten Rekonstruktion der Figur des Herrschers sowie seine konsequent ‘unwürdigen’ und ‘unschicklichen’ Darstellungen der Repräsentanten der aragonesischen Dynastie nicht einfach wieder in das propagandistische Projekt des Alfons eingegliedert werden konnten. Dieses trachtete ja nach der Lobpreisung seiner königlichen Würde und seiner magnanimitas. Aus diesem Grund bedeutete die Verfertigung der Gesta auch das Ende der Zusammenarbeit zwischen Alfons und Valla, während der Panormita mit seinen als Geschichtswerke verkleideten specula principis zum führenden Historiographen der neuen königlichen Linie werden sollte.29 Der Versuch zu zeigen, dass auch die blutsmäßige Abstammung bei der Annahme eines königlichen Titels ihr eigenes Gewicht hatte, ist also unternommen worden, scheiterte jedoch, da er auf das Wertesystem prallte, welches zumindest formal weiterhin das italienische humanistische Panorama bestimmte. Weder Bartholomäus Facio, der neue Historiograph des Alfons, noch dem Panormita gelang es, einer Theorie des sich auf Abstammung gründenden Königtums zur Durchsetzung zu verhelfen. Wahrscheinlich aber wollten sie sich noch nicht einmal daran versuchen und fuhren fort, mit der Mehrdeutigkeit der Situation zu spielen, in welcher der Herrscher oft aufgrund dynastischer Kontinuität amtierte, sich jedoch als der Herrschaft würdig erwies durch die Tugenden. Es wurde nicht explizit gesagt, ob die Tugenden ebenfalls vererbt oder nur erworben werden könnten. Man begnügte sich mit der Feststellung ihres Vorhandenseins und dem Wunsch nach deren perfekter Ausübung. Für diese Absicht können noch einmal zwei Kapitel aus De dictis et factis Alphonsi aussagekräftig sein. Im ersten, es ist das 30. Kapitel des zweiten Buches – welches dem ersten bereits zitierten direkt folgt –, wendet sich der sterbende König Ferdinand mit folgenden Worten an seinen Sohn: “Ausgezeichneter Sohn, da ich alle Reiche solange gehalten habe, wie es Gott gefiel, weiß und möchte ich, dass diese durch das Vorrecht Deines Alters an Dich übergehen. Dennoch möchte ich das Land in dem Kastilien genannten Teil Spaniens Deinem Bruder Johannes überlassen, wenn Du nur zustimmen mögest.”30
Selbstverständlich respektierte und akzeptierte Alfons den Wunsch seines Vaters aus Hochachtung gegenüber den Tugenden pietas und liberalitas. Diese wurden gewählt, um das Kapitel des Werks zu bezeichnen, aber auch als Beweis 28 Vgl. vor allem G. FERRAÙ, Il tessitore di Antequera (wie Anm. 19), S. 1-42; M. REGOLIOSI, Riflessioni umanistiche sullo DIES., Introduzione, in: Laurentii
‘scrivere storia’, in: Rinascimento 31 (1991), S. 16-27; Valle Antidotum in facium, ed. DIES. (Thesaurus mundi 20), Padua 1981, S. XXXIV-LXVII. 29 Vgl. G. FERRAÙ, Il tessitore di Antequera (wie Anm. 19), S. 40-41. 30 Antonius Panormita, De dictis (wie Anm. 20), II 30, S. 160: Optime fili, quoniam regna quaecumque dum Deo placuit obtinui, ad te aetatis praerogativa deferri et scio et volo. Optarem eas modo terras, quas in ea parte Hispaniae, quam Castellam vocitant, habemus, Ioanni fratri tuo, si modo per te liceat, relinquere.
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dafür, dass die Königreiche zwar vererbt wurden, aber nur durch die Tugend auch bewahrt werden, und selbst dafür, dass die Tugend dazu führen konnte, auf ebendiese Erbrechte zu verzichten. Ein anderes, aus unserer Perspektive noch interessanteres Kapitel ist das 51. des dritten Buches. Darin wendet sich Alfons an seinen Sohn Ferdinand, der gerade im Begriff ist, in einem Feldzug gegen Florenz zu ziehen, und gibt diesem einige Ratschläge mit auf den Weg: “Also, ehre zuallererst Gott, vertraue auf ihn, denn von ihm kommen ohne Zweifel alle Siege und ausgezeichneten Dinge.”31 Diese Art von Gebot verbindet sich gewiss mit derjenigen Tugend, die der Panormita zuvor bereits gepriesen hatte: jene religio, die es Alfons ermöglichte, sich über die antiken Kaiser zu erheben. Doch dies allein genügt nicht: “Außerdem würde ich wünschen, dass Du für Deine Ehre und Deine Wertschätzung besondere Sorge tragen mögest, so dass es nicht geschehen oder auch nur so scheinen möge, als würde es in Deinem Leben irgendetwas Teureres oder Prächtigeres geben. Tatsächlich sind Würde und Ruf höher zu schätzen als der Sieg.”32
Erneut erfolgt der Hinweis – dem wir bereits vorher begegnet sind – auf den wesentlichen Wert des guten Rufs und der Würde, welche vor jedwedem materiellen Nutzen angestrebt werden soll. Das genügt jedoch nicht: “Umarme also die Achtbarkeit, ohne die wir uns weder dem Höchsten Verteiler der Siege gefällig erweisen, noch unter den Menschen das Ansehen der Lebenden oder den ewigen Namen der Toten erlangen können.”33
Die Achtbarkeit ist ein anderer Aspekt der Würde: wie diese dient sie dazu, ewigen Ruhm zu erlangen, ermöglicht aber auch das richtige Regieren. “Schließlich will ich Dich ermahnen: sowohl, wenn einer der Feinde sich Deiner Treue anvertraut, damit Du ihn gönnerhaft empfangen mögest; als auch, wenn jemand mit trotzigem Gemüt sich bis zur endgültigen Konfrontation widersetzt: wenn Du ihn gefasst hast, gedenke Deiner Milde mehr als seinem Starrsinn, und dass unser Geschlecht stets genügend Abstand zu jeglicher Grausamkeit und Quälerei gehabt hat.”34
In dem Epos des Vergil richtet Anchises die zeitlose Ermahnung an Äneas: “Verschone den, der sich unterwirft und bekämpfe die Hochmütigen” (Aen. VI 31 Ebd., III 51, S. 238: Deum igitur in primis cole, in eum confide, a quo cum victorias omnis, tum
optima quaeque provenire dubio procul est.
32 Ebd., III 51, S. 238: […] praeterea decus et existimationem tui tibi plurimum commendatam optarim,
ut qua nihil in hac vita tibi carius aut praeclarius esse aut videri debeat: pluris enim dignitas et fama quam victoria aestimanda est. 33 Ebd., III 51, S. 238: […] honestatem itaque amplectere, sine qua neque Summo Illi victoriarum datori grati esse possumus, neque inter homines vivi auctoritatem, neque mortui nomen diuturnum adipisci. 34 Ebd., III 51, S. 240: Postremo te monitum volo: si qui ex hostibus tuae fidei sese permiserint, ut illos benigne suscipias; si qui etiam obstinatis animis usquam ad extremam expugnationem perstiterint, eos cum ceperis, tuae potius mansuetudinis quam illorum pertinaciae memineris; nec minus progeniem nostram ab omni crudelitate et saevitia longe semper alienam extitisse.
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851-853: Tu regere imperio populos, Romane, memento / haec tibi erunt artes, pacisque imponere morem, / parcere subiectis et debellare superbos). Alfons kommt dem geradewegs nach, legt seinem Sohn jedoch nur den ersten Teil der Mahnung des Vergil ans Herz, offensichtlich unter dem Blickwinkel der religio, welche den Christen über den Heiden erhebt. Diese Art eines kleinen speculum principis verzeichnet in normativer Perspektive die gleichen Tugenden, die in einem Lobgedicht in beschreibender Weise unter denen präsentiert werden würden, welche der Gepriesene in Kriegszeiten zu beweisen hat. Dennoch wurde dieses speculum von einem König an dessen Erben empfohlen, an denjenigen, der ihm auf dem Thron folgen sollte und der deshalb qua Geburt die besonderen Charaktereigenschaften seines Geschlechtes bereits besitzt. In der Tat beendet Alfons in der Rekonstruktion des Panormita seine Rede mit dem Bezug auf seine Nachkommen. Und nicht anders widmet Giovanni Pontano, Freund und man kann sagen: Schüler des Panormita, seine Reflexionen über das gute Regieren in seinem De principe nicht an jedermann, der Macht ausüben möchte, sondern an Alfons, den Herzog von Kalabrien, Sohn des Ferdinand und dessen Thronerbe.35 Um schließlich der im Titel aufgeworfenen Frage gerecht zu werden, kann man an dieser Stelle abschließend feststellen, dass die nobilitas animi in der komplexen ideologischen Diskussion am aragonesischen Hof in Neapel formal als ein Attribut der nobilitas sanguinis, konkret jedoch als ein unausweichliches Requisit davon angesehen wurde. Die theoretischen Leitlinien waren vielfältig und vor allem geprägt von den durch unvorhergesehene Probleme auferlegten Veränderungen. Alfons gehörte einer königlichen Dynastie an, war zugleich jedoch auch ein Usurpator, der sein Recht zur Eroberung nur durch das Wohlwollen Gottes und mit dem damit zusammenhängenden Besitz der Tugenden legitimieren konnte. Sein Sohn Ferdinand war in der gleichen Weise illegitim, konnte jedoch königliche Abstammung und entsprechende Tugenden für sich beanspruchen. Diese Umstände verkomplizieren jede eindeutige These zur theoretischen Reflexion über den Wert der Adligkeit. Eine Reflexion, die im staufischen Königreich Sizilien zwei Jahrhunderte vorher am Hof Friedrichs II. eingesetzt hatte, ohne zu irgendeiner abschließenden Definition gelangt zu sein.36 Vielleicht startete man in der aragonesischen Epoche nicht bei denselben theoretischen Grundlagen, die immerhin von Dante übertragen wurden, dennoch wurde die Diskussion, obwohl von den ethischen Grundsätzen der humanitas der klassischen Überlieferung geprägt, vor allem in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wieder aufgenommen. Dominiert wurde sie hauptsächlich von den entgegengesetzten Verhaltensparadigmen, welche Tristano Caracciolo und Giovanni Pontano anboten. Das erste war von Strenge, Mäßigung und Schmucklosigkeit 35 Vgl. Giovanni Pontano, De principe (wie Anm. 16). 36 Die umstrittene contentio am Hof Friedrichs ist kritisch herausgegeben in F. DELLE DONNE, Una disputa sulla nobiltà alla corte di Federico II di Svevia, in: Medioevo Romanzo 23 (1999), S. 3-20.
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der Kleidung inspiriert, das zweite hingegen wesentlich beeinflusst von dem beständigen Streben nach magnificentia und splendor.37 Diese Divergenz der Modelle fand ihren Ausdruck in einer umfangreichen pädagogischen und präskriptiv-politischen Traktatliteratur, die – wie im Fall von Diomede Carafa, Antonio Galateo, Belisario Acquaviva und Francesco Elio Marchese38 – Ausdruck eines dringenden Bedarfs war: Es sollten Verhaltensmodelle ermittelt werden, die geeignet schienen, den anhaltenden Veränderungen und Neubestimmungen des Herrscherideals im Wandel von politischen und sozialen Ordnungen gerecht zu werden, die sich nicht mehr auf eine beruhigende und gefestigte Tradition stützen konnten.
37 Vgl. G. VITALE, Modelli culturali nobiliari nella Napoli aragonese (Immagini del medio-
evo 6), Salerno 2002, S. 11-13.
38 Vgl. ebd., S. 52-137.
GRISCHA VERCAMER
Die Herkunftsgeschichte der Piasten als politisches Konzept der Gegenwart des Chronisten Vinzenz Kadłubek (1150-1223) 1. Einleitung Wenn man sich mit der Herkunft einer Dynastie beschäftigt, stößt man sehr schnell auf die Begrifflichkeit der origo gentis: Dieser Terminus ist ein künstlicher Forschungsbegriff, der selten im Mittelalter selbst verwendet wurde und aus diesem Grund in der Wissenschaft auch nicht unumstritten ist.1 Er bezieht sich nicht auf die Dynastie selbst, sondern – rein sprachlich – auf das Volk.2 Dennoch wissen wir, dass die gens und das regnum stark zusammenhängen.3 Es existieren 1
2
3
Überblick der aktuellen Forschung: H. H. ANTON / M. BECHER / W. POHL / H. WOLFRAM / I. N. WOOD, Origo Gentis, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 22, Berlin/New York 2003, S. 174-210; A. PLASSMANN, Origo gentis. Identitäts- und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 7), Berlin 2006, speziell S. 15-16. Der Ausdruck wird selten verwendet, zum Beispiel im Titel origo gentis Langobardorum aus dem 7. Jahrhundert. – H. WOLFRAM, Origo Gentis (wie Anm. 1), ‘§ 1 Allgemeines’, S. 174-175. Es existiert außerdem der Ausdruck Origo gentis romanae aus dem 4. Jahrhundert. Cassiodor schrieb 533 seine origo actusque Getarum. Andere Autoren (zum Beispiel Isidor, Gregor von Tours) haben die origo im Titel. Für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff siehe W. GOFFARD, The Narrators of Barbarian History (A.D. 550–800). Jordanes, Gregory of Tours, Bede, and Paul the Deacon, Princeton (NJ) 1988. Gut zusammengefasst und mit den anderen Theorien in Beziehung gesetzt bei A. GILLETT, Ethnicity, History and Methodology. Introduction, in: DERS. (Hg.), On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages (Studies in the Early Middle Ages 4), Turnhout 2002, S. 1-20. A. PLASSMANN, Origo gentis (wie Anm. 1), S. 11, 189; H. WOLFRAM, Origo Gentis (wie Anm. 1), ‘§ 1 Allgemeines’, S. 174-178; R. WENSKUS, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, Köln 1961, S. 14-17. Plassmann zeigt, wie Fredegar die gens und duces der Karolingerdynastie (zu dieser Zeit noch die fränkischen Hausmeier) in der Traditionslinie von Troja aufbaut und dabei die Merowingerdynastie komplett übergeht. Besonders der Konflikt mit den Römern ist hervorzuheben, da die duces hier eine wichtige Rolle spielten. K. F. WERNER, Völker und regna, in: C. BRÜHL / B. SCHNEIDMÜLLER (Hgg.), Beiträge zur mittelalterlichen Reichs- und Nationsbildung in Deutschland und Frankreich (Historische Zeitschrift, Beihefte N.F. 24), München 1997, S. 15-43; A. PLASSMANN, Origo gentis (wie Anm. 1), S. 17; H. H. ANTON, Origo gentis (wie Anm. 1), ‘§ 2 Franken’, S. 189, 192. Ältere Autoren beziehen die Herkunftssage aus Troja auf das Volk, während jüngere (Gregor von Tours) sie auf Vertreter der merowingischen Dynastie beziehen.
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immerhin keine origines regum oder origines ducum – die Geschichte der Dynastie ist Teil der origo gentis. Den Herrschern lag selbstverständlich daran, ihre Urahnen möglichst weit zurückverfolgen zu können.4 Im 12. Jahrhundert fand ein verstärkter Rekurs auf Troja statt, welcher bereits ursprünglich im 6.-8. Jahrhundert adaptiert wurde5 – hier wurden von verschiedenen Historiographen der Zeit diverse Gestalten aus Troja sowie dem Umfeld (Aeneas, Francio oder auch Brutus) als Urahnen beispielsweise der Engländer oder der Franken gewählt.6 Dabei kann man feststellen, dass diese Rekurse durchaus von Herrschergeschlechtern genutzt wurden; so suchten die frühen Karolinger, unter Umgehung der Merowinger, eben die Trojaner für sich zu vereinnahmen.7 Spätere Herrschergeschlechter, die schon zeitgleich mit den Piasten herrschten, hatten es da schon schwerer: Die Staufer kannten ihre Stammväter genau, ebenso die Kapetinger oder Angeviner – diese kamen oftmals aus bescheideneren, überschaubaren Verhältnissen –, und so beriefen sich diese Geschlechter häufig auf Karl den Großen, der seinerseits ‘nachgewiesenermaßen’ mit den Trojanern verwandt war. Die ostmitteleuropäischen Dynastien, wie die Árpáden, Przemysliden, Rurikiden und Piasten, grenzten sich von den westlichen Adelshäusern ab.8 Hier wurde im 12./13. Jahrhundert ein anderer, einfacherer und eher lokal verwurzelter Herkunftsmythos gewählt – kaum sind Anleihen von Troja, Alexander dem Großen oder den Römern zu finden.9 Historisch nachweisbar sind Reiche wie Böhmen, Ungarn, die Rus’ oder Polen ab dem 9./10. Jahrhundert; die historiographische Bearbeitung bezüglich Beginn und Fortgang der jeweiligen Völker begann ungefähr 150-200 Jahre später.10 Wie es zu dieser Verzögerung kam, ist schwierig zu beantworten. Hier muss sicherlich berücksichtigt werden, dass die Schriftlichkeit im Ostmitteleuropa auch verzögert eintrat – die Dynastien der ersten (und auch zweiten) Generationen mögen also noch keine Notwendigkeit eiH. WOLFRAM, Origo Gentis (wie Anm. 1), ‘§ 1 Allgemeines’, S. 175. K. WOLF, Troja – Metamorphosen eines Mythos. Französische, englische und italienische Überlieferungen des 12. Jahrhunderts im Vergleich (Europa im Mittelalter 13), Berlin 2008, S. 14-39. 6 H. H. ANTON, Origo Gentis (wie Anm. 1), ‘§ 2 Franken’, S. 194: Die Re-Interpretation der karolingischen Autoren gegenüber ihren Vorgängern (Fredegar, Gregor) durch den direkten Anschluss der Karolinger an die Trojaner und die Vernachlässigung der Merowinger ist typisch. Man muss bedenken, dass die älteren angelsächsischen Autoren, wie Bede, kein Interesse an einer origo aus Troja hatten. – Vgl. I. N. WOOD, Origo Gentis (wie Anm. 1), ‘§ 6 Angelsachsen’, S. 202. 7 H. H. ANTON, Origo Gentis (wie Anm. 1), ‘§ 2 Franken’, S. 194. 8 Wir könnten auch von A l t e u r o p a und N e u e u r o p a sprechen (Oskar Halecki) oder später vom älteren und vom jüngeren Europa sprechen (Moraw, Samsonowicz, Kłoczowski), vgl. N. KERSKEN, Mittelalterliche Geschichtsentwürfe in Alt- und Neueuropa, in: J. WENTA (Hg.), Die Geschichtsschreibung in Mitteleuropa. Projekte und Forschungsprobleme (Subsidia historiographica 1), Toruń 1999, S. 111-113. 9 Vgl. A. PLASSMANN, Origo gentis (wie Anm. 1), S. 367 unter Berücksichtigung von Gallus und Cosmas von Prag im Vergleich mit den westlichen Autoren. 10 Ebd. 4 5
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ner schriftlichen, historischen Legitimation gesehen haben.11 Es scheint aber doch nicht zufällig, dass all diese ostmitteleuropäischen Dynastien/Fürstenhäuser einen eher bescheidenen, provinziellen Herkunftsmythos wählten, der andererseits aber selbstreferentiell und unabhängig war. Die Árpáden, vielleicht etwas glamouröser und ‘internationaler’ als die anderen, wählten einen mystischen Falken (Turul), welcher die Mutter (Emese) von Álmos im Schlaf schwängerte, während sie noch in Skythien war, der althergebrachten Heimat der Ungarn. Der Enkel war Árpád, der Gründer der Dynastie.12 In Böhmen ist Přemysl der erste mythische Fürst – als Pflüger wird er von Libussa, der Tochter Boemus’, zum Ehemann und somit Fürsten genommen.13 In der ersten Chronik der Rus’ kann man nachlesen, wie die Slaven, nachdem Gott den Turm von Babel zerstört hatte, in die Donauebene zogen. Später siedelten die Poliani, ein kleiner slawischer Stamm, zu dem sich der Autor selbst zu zählen scheint, entlang des Dnepr. Sie befreiten sich zunächst von den Waräger-Herrschern, stritten dann aber so sehr, dass sie die Rus’ (Waräger) wieder um einen Herrscher bitten mussten – dieser Herrscher wurde schließlich 862 Rurik.14 Nach diesem kurzen Überblick gilt die Aufmerksamkeit zunächst der ältesten polnischen Chronik von Gallus Anonymus (von ca. 1116).15 Hier lässt sich ein überraschender Befund machen: Vor dem historisch bezeugten Mieszko lassen
11 Ebd., S. 117; für einen guten Überblick zum Thema siehe die verschiedenen Beiträge in:
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A. ADAMSKA / M. MOSTERT (Hgg.), The Development of Literate Mentalities in East Central Europe (Utrecht Studies in Medieval Literacy 9), Turnhout 2004. Zuerst erwähnt in den Gesta Hungarorum: Die “Gesta Hungarorum” des anonymen Notars. Die älteste Darstellung der ungarischen Geschichte, ed. G. SILAGI / L. VESZPRÉMY (Ungarns Geschichtsschreiber 4), Sigmaringen 1991, S. 3, 36, vgl. P. ENGEL, Realm of St. Stephen. A History of Medieval Hungary, 895-1526, London 2001, S. 18-20. Cosmas von Prag, Cosmae Pragensis Chronica Boemorum, ed. B. BRETHOLZ unter Mitarbeit von W. WEINBERGER (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum N.S. 2), Berlin 1923, lib. I, c. IV-V, S. 11-15; M. BLÁHOVÁ, Die Anfänge des böhmischen Staates in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung, in: F.-R. ERKENS / H. WOLFF (Hgg.), Von sacerdotium und regnum. Geistliche und weltliche Gewalt im frühen und hohen Mittelalter [Festschrift für Egon Boshof zum 65. Geburtstag] (Passauer historische Forschungen 12), Köln/Weimar/Wien 2002, S. 67-76, hier S. 69-70. Nestorchronik, übersetzt von L. MÜLLER (Handbuch zur Nestorchronik 4. Forum Slavicum 56), München 2001, a. 862, S. 19-20. P. WISZEWSKI, At the Beginnings of the Piast Dynastic Tradition. The Ancestors of Mieczko in the Chronicle by Gallus Anonymous (Quaestiones Medii Aevi Novae 9), Warszawa 2004, S. 153-182; DERS, Domus Bolezlai. Values and Social Identity in Dynastic Traditions of Medieval Poland (c. 966-1138) (East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450-1450 9), Leiden 2010, S. 121-255. Für einen neuen Überblick zur Erforschung dieses Autors siehe: E. MÜHLE, Cronicae et gesta ducum sive principum Polonorum. Neue Forschungen zum so genannten Gallus Anonymus, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 65 (2009), S. 459-496, und verschiedene Beiträge in: K. STOPKA, Gallus Anonymous and his Chronicle in the Context of Twelfth-Century Historiography from the Perspective of the latest Research, Krakau 2010.
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sich gerade einmal drei weitere ‘sagenhafte’ Herrscher der Piasten feststellen16 – Gallus ging es aber nur um die Anfänge der Dynastie der Piasten, er wollte (und sollte vermutlich) nicht weiter zurückgehen. Der Name der Piasten musste erklärt werden17 – daher die ‘story’ des Ackermanns Piast, der dann ein Prinz wurde.18 Die ‘ausgedachten’ Generationen zwischen Piast und Mieszko sind typisch für die europäische Historiographie. Oftmals wurden sie allerdings von der polnischen Geschichtswissenschaft für ‘bare Münze’ genommen.19 Der Chronist hielt sich bei diesen ‘legendären’ Herrschern nicht lange auf, und so musste die polnische Forschung bislang eher Untersuchungen im prosopographischen Bereich bezüglich der Symbolik der Namen (Siemowit, Lestek, Siemomysł) anstellen.20 Von dem legendären Begründer der Dynastie führt eine gerade Linie zu Bolesław III., an dessen Hof Gallus höchstwahrscheinlich tätig war. Schon Gallus aber, das muss betont werden, nannte einen tyrannischen Vorgängerfürsten (Popiel) aus einer augenscheinlich anderen Dynastie, der durch Piast abgelöst wurde – nicht durch dessen Zutun, sondern aufgrund seines eigenen Unverstandes. In dem Verständnis oder der Vorstellung des Chronisten (bzw. der Zeitgenossen)21 war die Stabilität des polnischen Fürstentums von der Kontinuität des Herrschergeschlechts abhängig.
16 J. BANASZKIEWICZ, Podanie o Piaście i Popielu. Studium porównawcze nad wczesnośred-
niowiecznymi tradycjami dynastycznymi, Warszawa 1986.
17 P. WISZEWSKI, Domus Bolezlai (wie Anm. 15), S. 365-375. 18 Gallus Anonymus, Galli anonymi cronica et gesta ducum sive principum Polonorum /
Anonima tzw. Galla kronika czyli dzieje książąt i władców polskic, ed. K. MALECZYŃSKI (Monumenta Poloniae Historica, Nova Series 2), Krakau 1952, I, 2-3, S. 10-14. 19 Henryk Łowmiański (H. ŁOWMIAŃSKI, Dynastia Piastów we wczesnym średniowieczu, in: K. TYMIENIECKI [Hg.], Początki państwa polskiego. Księga tysiąclecia, Bd. 1, Poznań 1962, S. 112) versuchte die Geschichtlichkeit der ersten von Gallus erwähnten Regenten erneut zu beweisen, worin ihm noch andere Historiker (Gerhard Labuda, Kasimierz Jasiński) folgten; Jacek Banaszkiewicz auf der anderen Seite suchte (und fand) Parallelen zu europäischen Mythen in der mittelalterlichen Geschichte; vgl. J. BANASZKIEWICZ, Podanie o Piaście (wie Anm. 16), S. 6-24. Bis heute existieren diese zwei unterschiedlichen Ansätze, vgl. K. OŻÓG / S. SZCZUR, Piastowie: leksykon biograficzny, Kraków 1999, S. 1-14. 20 Zusammenfassend (neben einer eigenen Analyse): P. WISZEWSKI, Domus Bolezlai (wie Anm. 15), S. 157-181. 21 Vgl. zum Konzept der Vorstellungsgeschichte: H.-W. GOETZ, “Vorstellungsgeschichte”: Menschliche Vorstellungen und Meinungen als Dimension der Vergangenheit. Bemerkungen zu einem jüngeren Arbeitsfeld der Geschichtswissenschaft als Beitrag zu einer Methodik der Quellenauswertung, in: Archiv für Kulturgeschichte 61 (1979), S. 253-271 (Nachdruck in: DERS., Vorstellungsgeschichte. Gesammelte Schriften zu Wahrnehmungen, Deutungen und Vorstellungen im Mittelalter, hg. v. A. AURAST u.a., Bochum 2007, S. 3-17); DERS., Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters, Teil 1, Bd. 1: Das Gottesbild (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 13/1), Berlin 2011, S. 15-30.
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2. Vinzenz Kadłubeks Zugriff auf die Herkunft der Polen/Polens – ein neuer Blick Mit dieser Einführung im Hinterkopf wenden wir uns Vinzenz Kadłubek zu, der ca. 90 Jahre nach Gallus schrieb – um das Jahr 1205. Die Chronik ist in vier Bücher unterteilt; die ersten drei Bücher sind in Dialogform zwischen zwei bekannten polnischen Bischöfen gehalten, während das vierte Buch eine Narration des Erzählers ist.22 Vinzenz schrieb seine Historia Polonorum, wie er immer wieder betont, nicht auf die Piasten begrenzt. Er erweiterte die Piastengeschichte ganz entscheidend nach hinten; es entstehen Brüche in der Dynastiefolge, die ganz deutlich gewollt sind. Teilweise bekam er die Vorgabe schon von Gallus, der den Übergang Popiel-Piast bereits legendenhaft dargestellt hatte. Dennoch kann man hier entgegenhalten, dass Vinzenz sich daran nicht hätte halten müssen, sondern Gallus als schlecht informierten Ausländer hätte darstellen können – schließlich ist der Dynastiewechsel von Popiel auf Piast in der Tat nur bei Gallus überliefert.23 Da Vinzenz dieses nicht tat, kann hier das ‘kollektive Gedächtnis’ in Polen angeführt werden, dem sich Vinzenz bei seiner Konzeption unterordnete.24
22 Für neuere Arbeiten zum Thema mit weiterführender Literatur vgl. G. VERCAMER, Vor-
stellung von Herrschaft bei Magister Vincentius von Krakau (um 1150-1223), in: N. KERSKEN / G. VERCAMER (Hgg.), Macht und Spiegel der Macht. Herrschaft in Europa im 12. und 13. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Chronistik (Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien 27), Wiesbaden 2013, S. 308-339, hier S. 313ff.; S. GAWLAS, Das Problem der Fürstenmacht zur Zeit von Vincentius Kadłubek, in: ebd., S. 273308; A. LIS, Spory wokół biografii mistrza Wincentego Kadłubka, Lublin 2013. 23 Ähnlich wie sich jüngere karolingische Autoren nicht an die Geschichten von Gregor von Tours und Fredegar gehalten haben (H. H. ANTON, Origo Gentis [wie Anm. 1], ‘§ 2 Franken’, S. 193-194), wie Geoffrey von Monmouth sich nicht an die angelsächsische historische Tradition gehalten, sondern eine ganz neue Geschichte konstruiert hat. Vinzenz hatte es nicht zwingend nötig, Gallus bezüglich der ersten polnischen Fürsten zu kopieren, tat es aber trotzdem. 24 Die Piasten und der polnische Hof dürften sich darüber bewusst gewesen sein, dass ein fantasievoller Herkunftsmythos der Piastendynastie bei Auslassung von Popiel und seiner Dynastie unmöglich und sogar lächerlich gewesen wäre, weil das ‘kollektive Gedächtnis’ ihrer Zeit es besser gewusst hätte. Dennoch wollen wir darauf hinweisen, dass es außer Gallus in den frühesten Quellen von Polen keinen Kommentar zu Popiel gibt (vgl. W. DRELICHARZ, Mittelalterliche Krakauer Annalistik, in: W. FALKOWSKI [Hg.], Intelectual Milieu [Quaestiones Medii Aevi Novae 8], Warszawa 2003, S. 231-288). Nehmen wir das Argument des ‘kollektiven Gedächtnisses’ aber ernst, so m u s s t e Vinzenz sogar Brüche konstruieren, um damit zu vermeiden, dass die Popieldynastie am Anfang der polnischen Geschichte steht. Diese war durch Gallus bereits sehr negativ konnotiert. – Eine Parallele zu diesem Phänomen ist das Schweigen der karolingischen Quellen über die origo gentis der Franken – obwohl es auch hier seltsam erscheint, dass die Karolinger ihre Chance nach dem radikalen Wechsel während des 8. Jahrhunderts nicht genutzt haben, um ihre eigene Legitimation auszubauen. Das ist letztlich nur durch das Faktum zu erklären, dass Pippin und Karl genau wussten, wie absurd eine Geschichte der Karolinger ohne merowingische
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Trotzdem galten für Vinzenz völlig andere Prioritäten als für Gallus: Es ging dem späteren Chronisten um das Land Polen, die res publica,25 und nicht nur um die Herrscher.26 Seine Chronik ist, wie der Titel schon verrät,27 die Geschichte der Polen und nicht ihrer Herrscher. Er erkennt die Piasten nicht, wie Gallus, als domini naturales (natürliche Herren) an und verwendete auch nicht dessen Terminologie.28 Stattdessen nutzte er principes succedanei (‘Fürsten, die im Namen von etwas regierten’ – beispielsweise der res publica). In diesem Kontext schreibt er auch, dass die Fürsten weder vom plebs abstammten noch das Land gekauft hatten, sondern immer schon da waren.29 Daher muss das Schema domini naturales auch für Vinzenz gelten, aber nicht im Sinne der Piasten als den natürlichen Herrschern, sondern in Bezug auf die Nobilität und Unabhängigkeit (z.B. von dem deutschen Kaiser) der polnischen Fürsten (und nicht notgedrungen der Piasten). Die Idoneität, die sich für Vinzenz aus verschiedenen Herrschereigenschaften zusammensetzte – die Eignung also, das Land zu führen und zu regieren – stand an vorderster Stelle.30 Notfalls könnte die res publica oder die Polonia, so die Argumentationslinie von Vinzenz, auch ohne Könige oder Fürsten existieren.31 Diese Interpretation des Textes kann man sogar noch weiter treiben: Keinesfalls war ein Fürst nur durch seine Herkunft berechtigt, die Herrschaft auszuüben! Vinzenz entwirft Szenarien von schlechter und guter Herrschaft.32 Gegen die schlechte Herrschaft kann sich die gens oder eine Versammlung von Adeligen seiner Meinung nach auflehnen. Die theoretischen Gedanken hierfür könnte
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Wurzeln gewirkt hätte. – Vgl. A. PLASSMANN, Origo gentis (wie Anm. 1), S. 375-377, speziell S. 376. E. A. MĄDROWSKA, Polska jako “patrimonium”, “regnum” i “res publica” w “Kronice” Mistrza Wincentego Od liryki do retoryki, in: I. KADULSKA (Hg.), W kregu słowa, literatury i kultury. Prace ofiarowane Jadwidze i Edmundowi Kotarskim, Gdańsk 2004, S. 41-46; für eine Untersuchung zum frühen Mittelalter bis Jordanes siehe: W. SUERBAUM, Vom antiken zum frühmittelalterlichen Staatsbegriff. Über Verwendung und Bedeutung von res publica, regnum, imperium und status von Cicero bis Jordanis (Orbis antiquus 16/17), Münster 31977. Vgl. für Gallus’ Einwände A. PLASSMANN, Origo gentis (wie Anm. 1), S. 356. Gallus bringt den Anfang mit der terra und nicht mit der gens in Verbindung. Es muss hervorgehoben werden, dass dieser Name nicht vom Autor, sondern später von den Editoren gewählt wurde (Magistri Vincentii dicti Kadłubek Chronica Polonorum, ed. M. PLEZIA (Monumenta Poloniae Historica, Nova Series 2/11) Kraków 1994, S. IX-X; XX [weiterhin: CP]). Allerdings lässt die Chronik selbst keinen Zweifel, dass die polnische Bevölkerung für den Autor von großer Wichtigkeit war. In dieser Hinsicht ist der Titel des Buches irreführend: E. A. MĄDROWSKA, Domini naturales. Portrety polskich władców w Chronicon Polonorum mistrza Wincentego, Bydgoszcz 2010. CP I, S. 1, 7: Non enim plebei aborigines, non uendicarie illi principate sunt potestates, set principes succedanei. S. GAWLAS, Das Problem der Fürstenmacht (wie Anm. 22), S. 285-287. CP I, S. 9, 14. G. VERCAMER, Vorstellung von Herrschaft (wie Anm. 22), S. 322-328.
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Vinzenz von Johannes von Salisbury adaptiert haben33 – einem seiner Zeitgenossen, der dem Tyrannenmord als ultima ratio positiv gegenüberstand.34 Vinzenz hatte als Geistlicher, Politiker und Autor an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert einen guten Grund für diese geistige Haltung: Polen drohte auseinanderzufallen und in Kleinstherrschaften aufzugehen, was die große Gefahr barg, dass diese sehr schnell durch die Nachbarn ‘geschluckt’ werden konnten – wie es letztlich an dem Beispiel Schlesiens sehr gut sichtbar wird.35 Es kann hier keine detaillierte Beschreibung des Lebenswegs von Vinzenz und der politischen Situation Polens um 1200 erfolgen, aber diese ist in der Forschungsliteratur einschlägig bekannt, und das zuvor Skizzierte reicht für unsere Zwecke vollauf aus.
3. Argumente für die Hauptthese Man kann es auf folgende These herunterbrechen: Laut Vinzenz soll immer der ‘richtige’ Fürst an die Macht kommen – jener also, der die moralischen Ansprüche erfüllt und nicht allein durch sein väterliches Erbe berechtigt ist. Nur dadurch bleibt das polnische regnum als Ganzes erhalten. Dieses Denksystem, das der Chronist durch die Konstruktion von Dynastiebrüchen in der vorgeschichtlichen Zeit Polens sowie durch seine origo gentis entwirft, ist einzigartig und somit äußerst bemerkenswert für seine Zeit.
33 Die polnische Forschung bezweifelt massiv, dass er Johannes von Salisbury gekannt hat.
Vgl. S. GAWLAS, Das Problem der Fürstenmacht (wie Anm. 22), S. 287; J. DOMAŃSKI, Prolog Kroniki polskiej Mistrza Wincentego zwanego Kadłubkiem. Próba anarracji, in: Przegląd Tomistyczny 12 (2006), S. 9-60. Selbst wenn ein direkter Kontakt nicht gegeben war, so kann man davon ausgehen, dass dieses Gedankengut sehr schnell in der Gelehrtenwelt des 12. Jahrhunderts bekannt wurde. 34 Vgl. T. STRUVE, Die Entwicklung der organologischen Staatsaufassung im Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 16), Stuttgart 1978, S. 144ff. Der kranke Staat musste geheilt werden; der Tyrannenmord wird bei Johannes von Salisbury an einigen Stellen wörtlich gerechtfertigt (Porro tirannum occidere non modo licitum est sed aequum et iustum. – Policr. III, 15, S. 232) Laut Struve vertritt Johannes damit eine für seine Zeit erstaunlich unabhängige Haltung; er vergleicht ihn mit Hugo von Fleury, der den Tyrannen als Strafe Gottes betrachtet, der ertragen werden müsse – eine völlig andere Haltung. 35 H. SAMSONOWICZ, Sytuacja polityczna Polski w czasach Wincentego, in: A. DĄBRÓWKI (Hg.), Onus Athlanteum. Studia nad Kronika biskupa Wincentego (Studia staropolskie, Series nova 25=81), Warszawa 2009, S. 29-39; W. IRGANG, Der Anteil der Piastischen Landesherren an der Deutschen Besiedlung Schlesiens, in: DERS., Schlesien im Mittelalter: Siedlung, Kirche, Urkunden. Ausgewählte Aufsätze, hg. von N. KERSKEN / J. WARMBRUNN (Materialien und Studien zur Ostmitteleuropa-Forschung 17), Marburg 2007, S. 2029, hier S. 20-22.
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3.1. Wie konstruiert Vinzenz die Vorgeschichte der Polen? Vinzenz geht es um die res publica und das Volk der Polen, welches völlig unabhängig von anderen Herrschern oder Völkern ist. Im Prolog sagt er schon, dass er die aureas patrie columpnas und ueras patrum effigies darstellen will – die “goldenen Säulen der Heimat” und die “wahren Figuren der Väter” (NB: nicht Fürsten!).36 Es geht um die Geschichte des ‘Staates’ (de huius rei publice origine, progressu et consummatione).37 In den ersten Kapiteln werden die Polen folglich als komplett frei und unabhängig von anderen dargestellt. Dabei waren die Polen “nicht Stammesleute oder Potentaten, die ihre Macht gekauft haben, sondern natürliche Fürsten” (Non enim plebei aborigines, non uendicarie illi principate sunt potestates, set principes succedanei).38 Sie werteten ein Königtum nicht höher als ihre Felder. Es trieb sie nicht die Ambition zu herrschen.39 Es überrascht bei dieser Einschätzung der Polen nicht, dass Gracchus, der erste namentlich bekannte Fürst der Polen, erst spät eingeführt wird. Überhaupt sind die namentlich bekannten Herrscher im ersten Buch (also dem vorgeschichtlichen) eher episodenhaft dargestellt und nicht als vollständiges Bild. Sie dienen als exempla für gute oder schlechte Herrschaft. Vinzenz war ein gelehrter und belesener Mann, daher knüpfte er Bezüge zur Antike.40 Diese Bezüge werden allerdings als exogene Faktoren dargestellt, werden also von außen an die an die Polen herangetragen. Zudem werden sie als bedrohliches Moment dargestellt, da Alexander der Große, Julius Cäsar und auch die Gallier versuchten, Polen zu erobern. Diese handfesten Okkupationspläne von außen – es ist bemerkenswert, dass Gestalten wie Alexander oder Cäsar, also sonst als antike Vorbilder gehandelte Fürsten, hier eine äußerst negative ‘Presse’ bekommen – führen jedes Mal dazu, dass Führer von den Polen gewählt werden, um diese Pläne dann erfolgreich zurückzuweisen bzw. abzuwehren. Schon die Söhne dieser konsensual gewählten Führer konnten sich allerdings als äußerst schwache oder sogar schändliche Fürsten herausstellen, die das Königreich gefährdeten (siehe detailliert weiter unten). Polen war historisch gesehen über lange Zeit (11./12. Jahrhundert) eben kein Königreich, sondern ein Herzogtum.41 Dennoch wird von Vinzenz ausschließlich Vgl. CP Prologus, S. 6. Ebd. Ebd. Narrabat itaque grandis natu quidam infinitissime numerositatis manum quondam hic uiguisse, aput quos tanti regni inmensitas uix unius meruit iugeris estimatione censeri. Adeo illos non dominandi ambitus [...] set adulte robur animositatis exercebat, ut preter magnanimitatem nihil magnum estimarent, […]. – Ebd. 40 K. CHMIELEWSKA, Rola wątków i motywów antycznych w “Kronice polskiej” Mistrza Wincentego zwanego Kadłubkiem, Częstochowa 2003. 41 Das Wissen um Bolesław I. und seinen Sohn Mieszko II., die Könige Polens gewesen waren, war zur Zeit von Vinzenz zweifellos präsent, aber seither hatte Polen keine Könige gehabt. Vgl. M. SACH, Stiftungs-und Schenkungsakte als Formen von Herrschaftslegitimation 36 37 38 39
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über das regnum Poloniae, die res publica oder Polonia gesprochen oder sogar über ein imperium. An einer Stelle kommt die personifizierte imperatrix Poloniae vor, welche die Forderungen von Alexander dem Großen ablehnt. Vinzenz kreiert also eine gleichberechtigte und unabhängige Partnerin zu dem römischen, später: fränkischen Reich. Dieses ‘polnische Reich’ steht mal mit Fürsten und mal ohne Fürsten da – funktioniert aber grundsätzlich die ganze Zeit.
3.1.1 Welche Brüche der Dynastien werden in welcher Weise ‘erzählt’? Die Herrscherhäuser in der Vorgeschichte Polens von Vinzenz wechseln konkret dreimal, bevor die piastische Dynastie an die Macht kommt: 1. 2. 3. 4.
Krak I. – Krak II. – Wanda; herrscherlose Zeit (zeitlicher Bruch); Lestek I. (zeitlicher Bruch); Lestek II. – Lestek III. – Popiel I. – Popiel II. (kurzer Bruch); Die legendären Piastenherrscher: Piast – Siemowit – Lestek IV. – Siemomysł – sowie der erste historisch verbürgte Piastenherrscher: Mieszko I.
Die Wechsel der Herrscherdynastien folgen mehr oder minder dem gleichen Prinzip, sollen aber trotzdem ausgeführt werden. Erste Dynastie: Krak, ein militärischer Führer, der gerade erst aus Carinthia (heute geographisch ein Teil von Österreich) zurückgekehrt war, als die Gallier eine militärische Annektierung Polens planten, nachdem sie bereits viele andere Reiche unterworfen hatten. Krak berief sofort eine Versammlung ein und sprach dort vor allen Polen: “Ein Reich (imperium) ohne König (sine rege) ist lächerlich, gerade wie ein verstümmeltes Tier, ein kopfloser Mensch, ein Körper ohne Seele, eine Lampe ohne Licht, die Welt ohne die Sonne. […] Sie sollten ihn daher wählen – aber nicht als König, sondern als Gefährte des Reichs (regni socius).”42
Nachdem er tatsächlich gewählt wurde, brachte er unmittelbar danach eine (wohl auch: schriftliche) Zivilverfassung für Polen ein.43 Die Polen hatten also einen König und eine Konstitution. Denn eine gerechte Justiz wird von Vinzenz ge-
und religiöser Selbstvergewisserung im mittelalterlichen Polen (10.-12. Jahrhundert), in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 55 (2007), S. 491-516. 42 CP I, S. 5, 9: Ait: ridiculum esse pecus mutilum, hominem acephalum; idem esse corpus exanime, sine luce lampadem, mundum sine sole, quod sine rege imperium […] Se non regem set regni socium pollicetur, si se deligant, […] [Übersetzung G. Vercamer]. 43 CP I, S. 5, 9. Sic ergo nostri iuris civilis nata est conceptio.
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nannt, welche “dem am meisten einbringt, der am wenigsten vermag.”44 Die drohende Invasion durch die Gallier scheint abgewehrt worden zu sein; Vinzenz kommentierte das jedoch noch nicht einmal. Die res publica war also in guten Händen und alles funktionierte, könnte man euphemistisch denken. Die Geschichte geht aber weiter: Ein Drache im Süden bedrohte die Stadt Krakau und forderte von dieser kontinuierlich menschliche Opfer. Krak sandte seine beiden Söhne aus. Der jüngere, der spätere Krak II., ermordete während des Kampfes mit dem Drachen zugleich den älteren Bruder und stellte es ihm Nachhinein so hin, als ob der Drache diesen getötet hätte. Der nichtsahnende Vater machte ihn daher zu seinem Nachfolger auf dem Thron. “Aber” – so kommentiert Vinzenz, indem er sich als Erzähler in die Narration einmischt – “er war durch den Brudermord weiterhin ‘beschmutzt’, das konnten auch die Insignien des Imperiums nicht überdecken.”45 Kurz danach nämlich flog seine schändliche List auf und er musste in die ewige Verbannung gehen – immerhin schon auf dem Thron des Imperiums sitzend! Nur da sich das polnische Volk an den Vater, Krak I., sehr positiv erinnerte, konnte dessen Tochter Wanda (die Schwester also des verbannten Krak II.) auf den Thron gelangen. Sie regierte gerecht und gut. Hier ist aber der springende Punkt: Obgleich also dann doch noch ein (wenn auch weiblicher) gerechter Herrscher auf den Stammvater folgte, unterbrach Vinzenz die Abfolge der Herrscher. Wanda ist hier nur noch ein (offenbar im polnischen Volksgedächtnis mit der Sage um den Drachen) zu nennender Anhang, den Vinzenz nicht vermeiden konnte. Warum hatte diese keine Nachkommen? Warum heiratete sie nicht? Die Untat durch Krak II., ihren Bruder, war begangen, und daher baut Vinzenz einen (nochmals: völlig unnötigen!) Dynastiebruch ein. Nach ihrem Tode nämlich folgten viele Fürsten (nicht aus der gleichen Dynastie), die auch von Vinzenz nicht namentlich benannt werden, sondern bei denen er nur ihre einfache Herkunft hervorhebt: “Die Verwaltung unserer res publica lag [danach] oft in den Händen von Personen einfacher oder nicht bekannter Herkunft, niemand weder aus dem gemeinem Volk noch aus dem Adel neidete es ihnen, selbst heute lobt man noch mit Freude deren berühmte Taten.”46
Zweite Dynastie: Diese ebenfalls namenlose Dynastie begann und endete mit Lestek I. Er war ein Goldschmied, und durch einen Trick konnte er das Heer Alexanders des Großen in die Flucht schlagen und wurde anschließend König. Seine bescheidene Herkunft wurde von Vinzenz durch eine antike Parallele gerechtfertigt: Auch Sosthenes von Mazedonien kam aus kleinen Verhältnissen und 44 CP I, S. 5, 9: […] et dicta est iustitia que plurimum prodest ei qui minimum potest [Übersetzung
G. Vercamer].
45 CP I, S. 5, 11: Sic iunior Graccus paterno succedit imperio […], set diutius fratricidio fuit sordidus
quam imperio insignis. Nam paulo post dolo deprehenso piaculi deputatur supplicio, exilii perpetuitate dampnatus. 46 CP I, S. 9, 14: Huius quoque rei publice administratio humilibus nonnumquam et incertis cessit personis, nulla prorsus uel uulgi uel procerum sigillante inuidia, utpote quorum gloriosis etiam hodie gloriari delectet insignibus [Übersetzung G. Vercamer].
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wurde durch das mazedonische Heer – anstatt eines Adeligen – zum König gewählt. Lestek I. hatte, wie oben schon angedeutet, weder Ahnen noch Nachfolger. Vinzenz informiert den Leser, dass vor und nach Lestek jeweils herrscherlose Perioden lagen. Obgleich die Beschreibung des Tricks von Lestek, mit dem er Alexander den Großen schlug, in der Chronik zwei Seiten einnahm, folgt danach keinerlei Beschreibung der eigentlichen Regierung von Lestek. Einzig seine Wahl zum König wird durch seine Tugenden, besonders seine Schlauheit, begründet.47 Nach einer Zeit ohne Herrscher wurden die Zustände in Polen immer schlimmer – die Ambitionen konkurrierender Adeliger führten dazu, dass das Land immer mehr heruntergewirtschaftet wurde.48 Wieder wurde ein starker, durchsetzungsfähiger Führer gebraucht und die Adeligen sahen offenbar ein, dass die Wahl dieses Fürsten in die Hände von neutralen und somit gemeinen Personen gelegt werden müsse.49 Die ‘Gemeinen’ veranstalteten ein Pferderennen, dessen Gewinner der neue Fürst sein sollte. Lestek II., wieder ein Mann aus bescheidenen Verhältnissen, gewann das Rennen. Von seinem Regierungsstil erfahren wir, dass er sehr bescheiden blieb. Er wollte lieber durch seine niedrige Herkunft als durch seinen Reichtum als König bekannt sein: Wann immer er sich dem Thron bei einer öffentlichen Zeremonie nährte, trug er seine alten Lumpen, und erst an der obersten Stufe beim Thron zog er sein königliches Ornat an.50 Die Nachfolger von Lestek II. waren in den ersten beiden Generationen ebenfalls so gut und tugendhaft wie der Begründer der Dynastie.51 Sein Sohn, Lestek III., heiratete sogar eine Tochter Julius Cäsars, weil der römische Imperator Lestek nicht durch militärische Macht besiegen konnte. Diese Tochter kehrte später, nachdem sie Lestek III. geheiratet sowie einen Sohn geboren hatte, nach Rom zurück. Ihr Sohn blieb jedoch in Polen beim dem Vater und wurde dann schließlich als Popiel I. der Nachfolger auf dem polnischen Thron. Er hatte 20 jüngere Brüder, alles Bastarde aus den Liaisons seines Vaters mit verschiedenen Konkubinen. Alle jedoch waren demütig darauf bedacht, die Aufmerksamkeit Popiels I., ihres Fürsten, für sich zu gewinnen. Mit ihrer Hilfe regierte Popiel nicht nur Polen, sondern auch die angrenzenden imperia.52 Sein Sohn, Popiel II., 47 CP I, S. 11, 18: Ideo ille tam saluberrime magister artis patrie quam saluauerat princeps constituitur.
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Nec multo post uirtutum coadiutus meritis regie dignitatis celsitudine insignitur, dictusque Lestco id est astutus, quia astu plures hostium confecerit quam uiribus. CP I, S. 13, 18: Orbata namque rege Polonia, dum de regis successione contenderent, seditionis pene obruitur tempestate, singulis primorum tyrannidem occupare ambientibus. CP I. S. 18-19: Diuque non sine periculo ea conflictatione agitati, eligendi tandem censuram principis priuatorum deferunt arbitrio, utpote quorum insuspecta uideretur simplicitas et a quibus longe relegata esset omnis ambitio. CP I, S. 15, 21: Quotiens namque regalibus eum insigniri regia, ut assolet, poposcisset dignitas, originarie non immemor condicionis in h a b i t u s o r d i d o prius orchestram conscendit, regalium ornatum scabello pedum supprimens, subinde regiis decussatus insignibus scabello insedit, illis extreme paupertatis panniculis in supremo orchestre suggestu reuerentissime collocatis. CP I, S. 17, 22: Huius item filius non tam patris imperio quam paternis multa adiecit uirtutibus. CP I, S. 17, 23: Ex hac et aliis thoris minus legitimis XX perhibetur filios suscepisse, quibus totidem principatus assignauit, quibusdam ducatus, aliis comitias seu marchias, nonnullis regna distribuens. Pom-
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wurde bereits als Kind von den Onkeln geehrt und geschätzt. Aber ihn, den jüngeren Fürsten, verfolgten Gedanken – die durch schlechte Ratgeber noch genährt wurden –, dass seine Onkel ihn töten wollten. Er war eigentlich ein guter Herrscher, wurde aber durch eine Frau manipuliert, bzw. eine Hexe, wie es Vinzenz ausdrückt. Dies verwandelte alle seine guten Tugenden in schlechte.53 Er konspirierte schließlich gegen seine Onkel, stellte ihnen eine tödliche Falle und brachte sie alle während eines Festmahls um. Von den Leichnamen seiner Onkel strömten Mäuse aus, die Popiel II. und seine Familie jagten und sie schließlich fraßen. Vinzenz fasst zusammen: “Mit dem Tode dieser Sterne [der Onkel] des Vaterlandes starb auch sämtliche Würde; die Glorie aller Polen wurde zu Asche verbrannt.”54 Damit endete das erste Buch der Chronik und das zweite beginnt mit einer neuen Perspektive: “Die Wurzeln von der Dynastie der Popielaner wurden ausgerissen, eine neue Nachfolge von Fürsten begann.”55
Vinzenz modifizierte die Geschichte Gallus’ ein wenig, aber doch entscheidend: Popiel II. und Piast haben bei Vinzenz keinen direkten Kontakt miteinander. Gallus berichtete noch von einem armen Ackermann namens Piast, der im Dorf bei dem Palast von Popiel lebte. Da Popiel es bei Gallus ablehnt, drei Fremde zu gasten, nahm Piast die Bedürftigen bei sich auf. Diese Fremden können in der Gallus-Chronik als das Ende der Popielaner-Dynastie und der Anfang der Piasten gesehen werden. Piast übernahm also die Regierung, und es könnte durchaus hineininterpretiert werden, dass er für das Ende der vorherigen Dynastie selbst verantwortlich war. Die Version von Vinzenz erlaubt solche Schlussfolgerungen schon nicht mehr: Das Reich war, laut ihm, wieder (wie schon bei Krak, später Lestek I. und dann Lestek II.) ohne Führer, da sich Popiel II. durch die Untat an seinen Onkeln selbst ins Unglück gestürzt hatte. Wie zuvor ging die Macht also ganz natürlich an Piast oder besser: dessen Sohn Siemowit über. Kein Vorgänger kam durch diese zu Schaden. Auch sie blieben sich als Fürsten, was sehr wichtig für die Konzeption der Chronik ist, ihrer einfachen Herkunft bewusst. Fassen wir die Ergebnisse zusammen: 1. Die Regierung eines ‘guten’ Herrschers konnte durchaus unmittelbar von der ‘schlechten’ Herrschaft seines Nachfolgers abgelöst werden. Der schlechte Herrscher wird dann vom Volk (gens) zum Abdanken gezwunpilium uero iure primogeniture regem omnium statuit. Cuius nutu non Slauie dumtaxat monarchia, set etiam finitimorum gubernata sunt imperia. 53 CP I, S. 19, 24: Ille siquidem ille meritorum regratiator beneficus, ille, inquam, regum eximius minor Pompilius, cuiusdam uenefice debriatus illecebris, odiis gratiam, amicitias insidiis, cruore pietatem colere, fidem perfidia, tyrannide obsequia recompensans. 54 CP I, S. 21, 27: At uero hiis occidentibus patrie sideribus etiam omne decus occidit et omnis Polonorum Gloria ollapsa in fauillam extabuit. 55 CP II, S. 3, 31: Radice itaque Pompilii stirpitus excisa, noua principum iniciatur successio.
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gen (Krak II., Popiel II. [die Mäuse kann man wohl als Metapher für die gens sehen]). 2. Die dann folgenden Dynastien hatten keine Verbindungen zu den überkommenen Dynastien. Jegliche Art von Anschuldigung – sei es Königsmord oder Usurpation – wurde dadurch bereits im Keim erstickt.
3.1.2 Welche antiken Elemente spielen dabei eine Rolle? Vinzenz konzeptionierte seine Bücher in Dialogform. Der Bischof von Krakau spricht mit dem Erzbischof von Gnesen. Der Bischof von Krakau erzählt die Geschichte Polens, und der Erzbischof von Gnesen kommentiert und bekräftigt die Erzählung durch Beispiele aus der antiken Geschichte. Meist schöpft er aus dem reichen Fundus der klassischen Autoren der römischen Antike, besonders aus dem Werk des Pompeius Trogus, den Historiae Philippicae (44 Bücher), dessen Überreste in Auszügen bei Junianus Justinus überliefert sind.56 Es kommen immer wieder Motive der niedrigen Herkunft und auch des Tyrannenmordes darin vor. Hier liegt die Argumentation nahe, dass Vinzenz seine ‘story’ um die Anekdoten der Antike spinne, sozusagen ein antikes Korsett benutze, in das er die Frühgeschichte Polens einpasse. Das ist aber nicht der Fall; es verhält sich vielmehr geradezu umgekehrt: Die antiken Beispiele von Herrschern aus bescheidenen Verhältnissen, von Tyrannen usw. werden kunstvoll in den Fluss der Geschichte eingeflochten.57 An keiner Stelle entsteht allerdings der Eindruck, dass diese den Schreibfluss oder das Konzept a priori diktiert haben.
3.1.3 Welche Rolle spielt das ‘Volk’ dabei? Das Volk (vulgus) spielt bei Vinzenz eine zentrale Rolle. Die Demut (humilitas) der Fürsten wird immer wieder betont. Die einfache Herkunft (wie bei Lestek I. und Lestek II.) war sehr wichtig. Piast war ein armer Ackermann (humillimus agricola).58 Die Setzung von Recht, das dann den einfachen Leuten und nicht den Adeligen nutzen sollte, war wichtig und wird immer wieder hervorgehoben.59 56 I. LEWANDOWSKI, Mistrz Wincenty a Justyn – epitomator Pompejusza Troga, in: Studia
zródloznawcze 20 (1976) [= Mistrz Wincenty Kadłubek], S. 28-34; K. CHMIELEWSKA, Rola wątków i motywów antycznych (wie Anm. 40), S. 116-117. 57 K. CHMIELEWSKA, Recepcja rzymskiej literatury antycznej w Kronice polskiej Mistrza Wincentego, in: A. DĄBRÓWKI (Hg.), Onus Athlanteum (wie Anm. 35), S. 215-230, hier S. 219; 224-225. 58 CP II, S. 3, 31. 59 A. LIS, Mistrz Wincenty Kadłubek – ojciec prawa w Polsce?, in: DERS. (Hg.) Prawo w Europie średniowiecznej i nowożytnej, Bd. 1, Lublin 2011, S. 91-118.
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Der Chronist ist auf der Seite desjenigen Fürsten, der das Volk nicht mit schweren Abgaben oder den Adel begünstigenden Gesetzen belastet.60 In der Tat mag eingewandt werden, dass die humilitas als Tugend in anderen Chroniken ebenfalls unterstrichen wird. Dennoch scheint es so, als ob Vinzenz als Zisterziensermönch besonders die Worte Bernhards von Clairvaux (aus: De gradibus humilitatis et superbiae) über die Demut beherzigte: “Der Gesunde kann die Leiden des Kranken wohl nicht fühlen, der im Wohlstand Lebende kann nicht verstehen, was der Hungrige erleidet. Aber der Kranke kann den Kranken, der Hungrige den Hungrigen, je näher er ihm ist, desto besser bemitleiden [verstehen] […] nach dem Beispiel freilich unseres Erlösers, der leiden wollte, um Mitleid zu erfahren; er wurde elend [bemitleidenswert] um dadurch zu lernen, zu bemitleiden.”61
Man könnte kurz übersetzen: ‘Jemand also, der das Volk verstehen wollte, musste demütig leben’ – beispielsweise durch das Tragen seiner alten Lumpen, obgleich er bereits König war.
3.2. Warum konstruierte Vinzenz die Geschichte Polens
auf diese Weise? Letztlich ist diese Frage bereits beantwortet: Er greift wesentlich weiter aus als Gallus Anonymus. Es geht ihm nicht mehr um eine Dynastiegeschichte, wie eben noch Gallus, sondern um eine Geschichte des Volkes. Eines Volkes, das in seiner Zeit durch die Machtintrigen und -ränke der piastischen Fürsten erheblich leiden musste. Er ist der erste genuine Pole, der eine Chronik schreibt. Gallus war ein exul und peregrinus – ein Ausländer, der sicherlich mehr Einsichten am polnischen Hofe und bei den polnischen Eliten hatte, als beim einfachen Volk. Vinzenz, als polnischer Adeliger, als Bischof und als Mönch, sehnte sich – seiner Chronik nach zu urteilen – nach einem durchgreifenden, soliden Herrscher, der aber gleichzeitig volksnah und gerecht sein sollte. Ein solcher Herrscher war – so schildert ihn Vinzenz jedenfalls – Kasimir der Gerechte. Dieser war aber schon im Jahre 1194 gestorben, bevor die Chronik beendet wurde. Alle die Eigenschaften, die Kasimir in der Chronik auszeichnen – vor allem seine humilitas und die 60 Wie Mieszko III., der versuchte, ein grundlegendes Rechtssystem ein- oder wiedereinzu-
führen, das in Polen traditionell ius ducale genannt wurde. – Vgl. S. GAWLAS, Das Problem der Fürstenmacht (wie Anm. 22), S. 292-296. 61 Bernhard von Clairvaux, De gradibus humilitatis et superbiae, in: Sancti Bernardi opera, ed. J. LECLERCQ / H. M. ROCHAIS / C. H. TALBOT, Bd. 3, Rom 1963, S. 13-59, hier S. 21: Nescit sanus quid sentiat aeger, aut plenus quid patiatur jejunus. Et aeger aegro, et jejunus jejuno quanto propinquius, tanto familiarius compatiuntur. […] exemplo scilicet Salvatoris nostri, qui pati voluit, ut compati sciret; miser fieri, ut misereri disceret, […]. – Vgl. J. KITCHEN, Bernhard of Clairvaux’s De gradibus humilitatis et superbiae and the Postmodern Revisioning of Moral Philosophy, in: I. P. BEJCZY / R. G. NEWHAUSER (Hgg.), Virtue and Ethics in the Twelfth Century (Brill’s Studies in Intellectual History 130), Leiden/Boston 2005, S. 95-117, hier S. 100-101.
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Nähe zu den Menschen, aber auch seine simplicitas und der richtige Sinn für Gerechtigkeit (iustitia) wiederholen sich, bzw. werden im vorgeschichtlichen Buch (zeitlich) vorweggenommen. Wie bereits erwähnt, hätte Vinzenz dabei die Dynastie der Piasten durchaus stringent zurückverfolgen können, bis in antike oder biblische Vorzeiten. Dabei hätte er zwar Gallus ignorieren bzw. modifizieren müssen, aber: Wäre das abwegig gewesen? Vinzenz nahm den vorgezeichneten Bruch (Popiel I. – Piast bei Gallus) aber ganz geschickt auf und erweiterte ihn, um weitere exempla guter und schlechter Herrschaft konkret zu machen. Diese exempla werden noch konkreter und maßgeblicher, indem sie mit bekannten und weniger bekannten antike Beispielen parallelisiert werden. Immer wieder wird betont, dass Herrschaft vor allem dem Volk bzw. dem Land nutzen müsse und keinen Nutzen in sich selbst trage. Die Herrschenden werden durch die Brüche als Menschen einfacher Herkunft dargestellt und entstammen keiner Elite. Sie sollten sich dieser Herkunft immer bewusst bleiben – so versucht der Chronist den Leser zu überzeugen. Das Porträt von Kasimir zeigt in exakt diese Richtung.62 Er nutzt also die Vorgeschichte, um sein sehr tendenziöses Herrscherbild deutlicher hervorzuheben. Daher muss davon ausgegangen werden, dass wir es durchgehend mit einer Fiktion zu tun haben, die nur vorstellungsgeschichtlich von großem Wert ist, aber über die Frühgeschichte Polens keine Aussagen erlaubt.63 Vor diesem Hintergrund ist es geradezu erstaunlich, dass der Autor, bei dem wir erstmals namentlich und ausführlich behandelt das Senioratssystem antreffen (in Form des Testaments Bolesławs III.),64 selbst keinesfalls von solch einem Konzept überzeugt ist: Er will den richtigen Fürsten und nicht den angeborenen Fürsten!
4. Wie gingen andere Chronisten des ausgehenden Hochmittelalters mit der Problematik der Herkunft, der ‘gens’ und der ‘Dynastie’ um? Mit diesen Ergebnissen können wir die Analyse auf einige andere Chronisten der Zeit ausweiten und untersuchen, wie sie ihre ‘Vorgeschichte’ lösten und die Dynastie, in deren Zeit sie lebten, damit verflochten haben. Dichteten auch andere so ‘schamlos’? Ein breiter und detaillierter Überblick würde den Rahmen des vorliegenden Aufsatzes bei weitem sprengen, aber es sollen ausgewählte Beispiele erwähnt werden: Bereits in den ersten Jahrhunderten des frühen Mittelalters, in 62 Vgl. J. DOBOSZ, Kazimierz II. Sprawiedliwy, Poznań 2011, S. 215-227; G. VERCAMER,
Vorstellung von Herrschaft (wie Anm. 22), S. 328-335.
63 J. BANASZKIEWICZ, Polskie Dzieje Bajeczne Mistrza Wincentego Kadłubka, Wrocław
1998, S. 455-458.
64 Ebd., S. 324-348. Gemeint ist ein Erbschaftssytem, das die Weitergabe von Macht inner-
halb der Piastenfamilie durch das älteste Mitglied ermöglicht.
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den Geschichten der Goten, Lombarden und Franken (bei Cassiodor/Jordanes; Paulus Diaconus; Fredegar und dem Liber historiae Francorum),65 zeichnet sich eine klare Tendenz ab, lange prä-ethnische Linien zu entwerfen, welche wohl oftmals frei erfunden, jedenfalls wissenschaftlich kaum nachzuweisen sind. Diese dienten dazu, trojanische, mazedonische oder römische Wurzeln nachzuweisen: “Im wesentlichen waren es zwischen 500 und 1200 lateinische, seltener volkssprachliche Autoren, die vorethnographische Daten mit etymologischen Konstruktionen mischten, um die partikulare Herkunft eines Volkes in die universale, bis in ihre eigene Zeit reichende Geschichte zu übersetzen und ihm eine römisch-historische und damit christliche Identität zu geben.”66
Diese Autoren, deren Arbeiten mit der Chronik von Vinzenz vergleichbar sind, erfanden die Vorgeschichte also auch bereits kreativ, um die Größe und Tradition ihrer Herrscherhäuser zu beschreiben: “Wohl aus dem Fehlen einer eigenen Herkunftstradition sowie aus kräftigem Eigenbewußtsein sind die Herkunftssagen bei Fredegar und im Liber historiae Francorum im späten 6. oder im 7. Jh. gestaltet worden.”67
Aber der springende Punkt war, dass die Migration als Ausgang eines Neubeginns und einer neuen Ordnung immer eine große Rolle spielte. Keiner der von Alheydis Plassmann analysierten Autoren erfand eine ‘story’, welche die gens schon immer im Heimatland/-fürstentum situierte.68 Die Umsiedlungsphase einer gens war immer mit einem Führer (heros eponymos) verbunden – hieß dieser nun Aeneas, Britto oder Francio. Diesem geschlechtsbegründenden Führer folgte eine Kette von Fürsten, die im Idealfall bis zum gegenwärtigen Herrscher reichte.69 Die Identität der gens war folglich eher abhängig von einzelnen Herrschern oder deren Familien.70 Hier lassen sich also zwei ganz wichtige Unterschiede bei Vin65 Vgl. H. WOLFRAM / W. POHL / H. H. ANTON, Origo Gentis (wie Anm. 1), § 2-9, S. 178-
193. Vgl. H. WOLFRAM, Origo Gentis (wie Anm. 1), ‘§ 1 Allgemeines’, S. 174-175. Vgl. H. H. ANTON, Origo Gentis (wie Anm. 1), ‘§ 2 Franken’, S. 193. A. PLASSMANN, Origo gentis (wie Anm. 1), S. 361. Fredegar ist eine Ausnahme, weil er von der Herkunft aus Troja schrieb, aber keine direkte Verbindung zu den fränkischen duces konstruierte. Die Liebe zur Freiheit wird vom Volk der f r a n c i und nicht von ihren Herrschern überliefert. – Vgl. ebd., S. 155-156, wo Alheydis Plassmann daraus folgert, dass Fredegar in den H a u s m e i e r n die besseren Herrscher als in den offiziellen Herrschern sah. Wichtig für unseren Kontext ist, dass er keine Brüche innerhalb der Dynastie konstruierte. Vielleicht war für ihn die Transformation von den Trojanern zu den Merowingern ganz natürlich. 70 Ebd., S. 363-65; R. WENSKUS, Stammesbildung (wie Anm. 2), S. 66-70 sowie N. LUHMANN, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1997, S. 693-694; Plassmann sieht eine Entwicklung bei den älteren Historikern, die den einzelnen Herrscher (rex) und die gens betonen, während die späteren die Dynastien (familia) und das Territorium (terra) hervorheben. Die familia wurde zum Garanten der rechten Ordnung in der terra. Vgl. zu dem letzten Aspekt: N. KERSKEN, Geschichtsschreibung im Europa der “nationes”. Na66 67 68 69
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zenz ausmachen: Er band seine gens ganz fest an das Land Polen,71 und seine gens war auch noch völlig unabhängig von jeglichen Fürsten. Letztlich entstammen die bislang erwähnten Beispiele aber dem Frühmittelalter – es sollen daher noch einige Zeitgenossen von Vinzenz zu Wort kommen. Wilhelm von Malmesbury (1080/95-† um 1143) schrieb seine Chronik der englischen Könige um 1120 und wird von der Geschichtsschreibung als sehr seriöser Historiograph angesehen.72 Er war der erste seit der Kirchengeschichte von Beda, der sich um eine umfassende Geschichte von den Anfängen bemühte und soviel Material wie möglich sammelte, wofür er viele Reisen unternahm. Tatsächlich beginnen seine Gesta regum Anglorum im Jahr 449, er greift aber noch weiter zu den Römern bis Julius Cäsar zurück. Er hätte hier eine Verbindung für die britannischen Könige schaffen können, gerade weil er im Jahr 449 einen gesamtenglischen König Vortigern nennt, der die Angeln und Sachsen nach England zur Hilfe gegen die Schotten und Pikten ruft. Wilhelm tut es aber nicht – er folgt Beda und fängt nicht an, eine eigene Geschichte zu schreiben. Für die Angelsachsen erwähnt er die noble Herkunft von Wotan, von dem alle königlichen Familien bei den barbarischen Völkern ihre Herkunft haben und der bei den Engländern fälschlicherweise als Gott verehrt wird.73 Minutiös rekonstruiert er dann König für König und beschreibt kurz deren Regierung, wobei meist Kriege und Heiratsverbindungen als Erzählelemente dienen. Erst mit den normannischen Herzögen, ab dem vierten Buch, wird die Erzählung länger, aber Wilhelm leitet die Herkunft der Herzöge nicht her. Er setzt sie wahrscheinlich als allgemein bekannt voraus. Es wird bei Wilhelm jedoch nichts erfunden; kritisch setzte er sich später mit der Herrschaft von Stephan von Blois auseinander, dem er als englischem König in seiner Historia Novella ein äußerst negatives Zeugnis ausstellte. Auch bei Wilhelm ist das Wohlergehen des Volkes und der Kirche ein zentraler Aspekt, aber er erfindet dafür keine ‘märchenhafte’ Vorgeschichte. Geoffrey von Monmouth (um 1100-1154),74 sein etwas jüngerer Zeitgenosse, konstruierte die englische Geschichte in einer von Wilhelm völlig unterschiedli-
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tionalgeschichtliche Gesamtdarstellungen im Mittelalter (Münstersche Historische Forschungen 8), Köln 1995, S. 823-828. CP I, S. 2, 7: Narrabat itaque grandis natu quidam infinitissime numerositatis manum quondam hic uiguisse, aput quos tanti regni inmensitas uix unius meruit iugeris estimatione censeri. A. GRANSDEN, Historical Writing in England c. 550 to c. 1307, 2 Bde., London 1974-1982, Bd. 1, S. 168; William of Malmesbury, Gesta regum Anglorum. The History of the English Kings, ed. und übers. R. A. B. MYNORS (†) / R. M. THOMSON / M. WINTERBOTTOM (Oxford Medieval Texts), 2 Bde., Oxford 1998-1999; vgl. hier Bd. 1, S. XX sowie das Vorwort in Bd. 2, S. XXXIX-XLVI. Ebd., Bd. 1, lib. I, cap. 5, S. 22: […] errant enim abnepotes illius antiquissimi Woden, de quo omnium pene barbararum gentium regium genus lineam trahit, quemque gentes Anglorum deum esse delirantes, […]. Zu ihm siehe J. GILLINGHAM, The Context and Purposes of Geoffrey of Monmouth’s History of the Kings of Britain, in: M. M. CHIBNALL (Hg.), Anglo-Norman Studies 13. Proceedings of the Battle Conference 1990, Woodbridge 1991, S. 99-118 und die Einleitung
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chen Weise, indem er sie sehr stark in die ferne Vergangenheit verlängert und dadurch (notgedrungen) auch seiner Autorenkreativität freien Lauf lässt: In seiner Historia Regum Britanniae (um 1136) wird Brutus, ein Nachfahre von Priamos von Troja, eingeführt als der legendäre erste König von Britannien.75 Die Trojaner waren die Kulturbringer und nicht etwa die Landnehmer – die Giganten, welche bis dahin auf der Insel Albion gelebt hatten, wurden vertrieben.76 Wie Aeneas war Brutus ein direkter Nachkomme von Priamos und daher waren die englischen Könige ebenbürtig mit dem römisch-deutschen Kaiser. Es bestehen allerdings Zweifel, dass die normannischen bzw. angevinischen Herrscher sich in dieser Tradition sehen durften.77 Daher darf man vermuten, dass sich Geoffrey, bei der Jagd um Mäzene und Pfründe, vor allem durch Originalität und Kreativität von seinen Konkurrenten Heinrich von Huntingdon und Wilhelm von Malmesbury abheben wollte.78 Schon Wilhelm von Newburgh konstatierte Ende des 12. Jahrhunderts ganz deutlich: “Es steht fest, dass alles, was dieser Mann über Artus, seine Nachfolger oder auch seine Vorgänger von Vortigern an zu schreiben pflegt, teils von ihm selbst und teils von anderen erdichtet worden ist”,79 aber dennoch wurde dieser kurze kritische Diskurs bald zurückgestellt, da der Mainstream der englischen Geschichtsschreibung bis ins 17. Jahrhundert Geoffrey folgte.80 In der deutschen Historiographie kann man keine allgemeine Geschichte des Reiches finden. Man findet Weltgeschichten (Frutolf, Ekkehard, Otto, Gottfried von Viterbo), Papst- und Kaiserchroniken (Annalista Saxo, Kölner Kaiserchronik, deutsche Kaiserchronik) oder Geschichten, die auf einzelne Herrscher ausge-
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in: Geoffrey of Monmouth, The History of the Kings of Britain, ed. und übers. M. FALETRA (Broadview Editions), Peterborough/Ontario 2008, S. 8-21. Der Autor beruft sich hier schon auf ältere Werke, wie die Historia Brittonum (Nennius, Historia Brittonum lateinisch-deutsch, ed. und übers. G. KLAWES, Wiesbaden 2012), die aber wesentlich knapper berichtet. – K. WOLF, Troja (wie Anm. 5), S. 222, mit Verweis auf eine andere, ausführlichere Stelle; R. W. HANNING, The vision of history in early Britain. From Gildas to Geoffrey of Monmouth, New York 1966, S. 139; A. GRANSDEN, Historical Writing in England (wie Anm. 72), S. 5-12. K. WOLF, Troja (wie Anm. 5), S. 199; J. GILLINGHAM, The Context and Purposes (wie Anm. 74), S. 109. K. WOLF, Troja (wie Anm. 5), S. 198. Die romantische Literatur aus Frankreich könnte einen beträchtlichen Einfluss auf Geoffrey gehabt haben, vgl. A. GRANSDEN, Historical Writing in England (wie Anm. 72), S. 186187. Wilhelm von Newburgh, Historia Rerum Anglicarum, in: Chronicles of the Reigns of Stephen, Henry II, and Richard I, Bd. 1: Containing the first four books of the Historia Rerum Anglicarum, ed. R. HOWLETT (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores 82), London 1884, lib. I (Prooemium), S. 14: […] cuncta, quae homo ille de Arturo et ejus vel successoribus vel, post Vortigirnum, praedecessoribus scribere curavit, partim ab ipso, partim et ab aliis constat esse conficta […]. – Siehe Geoffrey of Monmouth. The History of the Kings of Britain, ed. und übers L. THORPE, London 1966, S. 17. Vgl. auch M. FALETRA (Ed.), Geoffrey (wie Anm. 74), S. 8. Zusammenfassend: K. WOLF, Troja (wie Anm. 5), S. 175.
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legt sind (z.B. Gesta Frederici).81 Keiner ihrer Autoren bezweifelt die Verwandtschaft der deutschen Kaiser mit den Karolingern und damit die Wurzeln der Kaiser- und Königsgeschlechter in der Antike. Dafür war genug historisches Material vorhanden, und man konnte auf Werken von Isidor von Sevilla, Gregor von Tours, Einhard und vielen anderen mehr aufbauen.82 Brüche mussten nicht künstlich hergestellt werden, sondern sind faktisch vorhanden gewesen, wurden aber meist nicht extra kommentiert oder herausgestellt. So kommt es in der Weltgeschichte (Chronica sive historia de duabus civitatibus) von Otto von Freising aus der Mitte des 12. Jahrhunderts zu dem Übergang von den Merowingern zu den Karolingern: Pippin, der Hausmeier, welcher faktisch die Regierungsgewalt bereits ausübte, ließ beim Papst anfragen, wie in der Sache zu verfahren sei.83 Der Papst antwortete, “es sei besser, der wirkliche Inhaber der gesamten Gewalt heiße König als einer, der nur den Namen eines Königs führe.”84 In der Folge wurde Childerich III., der letzte Merowinger, abgesetzt, geschoren und in ein Kloster geschickt. Otto kommentierte emotionslos: “Damit endete die Herrschaft der Merowinger, und die der Karolinger begann, […].”85 Letztlich kann man für den gesamten deutsch-italienischen Raum des Reiches konstatieren, dass sich die Frage wie bei Vinzenz für die Kaiser nicht ergab: Es mussten nicht künstlich Ahnenreihen geschaffen werden, man konnte die genealogische Abfolge mühelos bis auf die Römer zurückführen. Die Eignung für die Herrschaft, die im Reich nach Wahl und nicht nach Geblütsrecht erfolgte, wurde besonders bei Königswahlen oder Reichskonflikten reflektiert, so z.B. in der Narratio de electione Lotharii, der zufolge Friedrich II. von Schwaben, der Vater von Friedrich Barbarossa, gegen die Spielregeln verstieß, sich in dem Wahlprozedere äußerst hochmütig gab und daher nicht gewählt wurde.86 Auch in der anonymen Vita Heinrichs IV. wird Heinrich V. stark dafür kritisiert, wie er sich gegen seinen Vater aufgelehnt hat. Es gab also selbstverständlich auch im Reich diverse Wege, einen Herrscher zu kritisieren oder zu loben – niemals jedoch auf den verschlungenen Umwegen, die Vinzenz für sich wählte. Rigord, der am Ende des 12. Jahrhunderts in Frankreich schrieb, konstruierte in den Gesta Philippi Augusti eine trojanische Herkunft von Francio, dem Enkel-
81 Für alle diese Autoren oder anonymen Werke vgl. das digitale Repertorium “Geschichts-
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quellen des deutschen Mittelalters” unter http://www.geschichtsquellen.de/index.html (vom 18. Februar 2013) mit der neuesten Literatur zu den genannten Werken. Vgl. H. H. ANTON, Origo Gentis (wie Anm. 1), ‘§ 2 Franken’, S. 189-193. Ottonis episcopi Frisingensis Chronica sive Historia de duabus civitatibus, ed. A. HOFMEISTER (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum [45]), Hannover 31912, lib. V, c. 21-23, S. 249-250. Ebd., S. 249: Pontifex ergo melius esse, ut ille, qui curam omnium haberet, rex diceretur, quam qui solum nomen regis gereret, remandavit. Ebd. S. 250: Hic Merovingorum regno finito Karolingorum […] cepit. Narratio de electione Lotharii ducis Saxoniae in regem Romanorum, ed. W. WATTENBACH (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 12), Hannover 1856, S. 510-512, hier S. 511.
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sohn des Priamos.87 Dies kann eindeutig herrschaftslegitimierend ausgelegt werden, obgleich äußerst unsicher ist, ob Philipp August Rigords Werk überhaupt registriert hat. Wichtig für das Werk war der Ausbau von Paris durch König Philipp, was Rigord zum Anlass für einen langen trojanischen Exkurs nahm: Bereits seit 895 v. Chr. hätten die Trojaner in Gallien bei Lutetia gesiedelt und von Paris Alexander den Namen “Pariser” (Parisii) angenommen.88 Er argumentierte dabei, dass in der Vergangenheit immer wieder Zweifel an der herrschaftlichen Kontinuität geäußert wurden; mit diesen wolle er nun aufräumen und berief sich dabei auf ältere Historiographen (Gregor von Tours und andere). Ähnlich wie Geoffrey in England und wahrscheinlich in Anlehnung bzw. in Konkurrenz mit ihm wird also die Herrscherlinie möglichst weit nach hinten gezogen.89 Es wurden Tendenzen bei der Chronistik in England, Frankreich und dem Reich angerissen. Keine dieser Chroniken behandelt die Herkunft der Dynastie auf die bei Vinzenz vorgefundene Weise. Die letzten Jahrhunderte der Dynastiegeschichten in den westeuropäischen Ländern war meist bekannt – jedoch haben wir gesehen, wie Autoren wie Rigord oder Geoffrey von Monmouth besonders die Frühgeschichte frei ‘erfanden’, um Zukunftsversionen zu schaffen.
4. Fazit Vinzenz hat seine Geschichte der Polen sehr untypisch für Zeit und Genre geschrieben (sowohl im Vergleich mit der westeuropäischen als auch ostmitteleuropäischen Historiographie der Zeit), obgleich er zu der intellektuellen Elite Europas gehörte und hier sicherlich auch seine Inspirationen fand. Sein Fokus lag auf der res publica und der Unabhängigkeit der Polen – diese diktierten die untypische Konstruktion der Geschichte.90 Die bescheidene Herkunft der polnischen Herrscher war ebenfalls von entscheidender Wichtigkeit. Die Herrscher müssten ersetzt werden, so Vinzenz’ Grundtenor, wenn sie nicht im Interesse des Volkes regierten. Dieser Faktor wurde von Vinzenz noch stärker betont, indem er erklärte, dass eine gerechte Justiz, welche durch den Herrscher ausgeübt werden solle, vor allem dem Volk (vulgus) dienen müsse. In seinen Augen konnte nur 87 Einleitung in: Rigord, Histoire de Philippe Auguste, ed und übers. É. CARPENTIER /
G. PON / Y. CHAUVIN (Sources d’histoire médiévale 33), Paris 2006, S. 51-85; K. WOLF, Troja (wie Anm. 5), S. 240-243. 88 Ebd., S. 241. 89 So machte er die englische Abkunft von den Trojanern und Brutus schlecht und setzte sie neben der französischen von Paris herab; ebd., S. 243. 90 E. A. MĄDROWSKA, Polska jako “patrimonium” (wie Anm. 25), S. 41-46; es fällt auf, dass es keine neuere Arbeit gibt, die den Gebrauch von r e s p u b l i c a in den Chroniken des 12. und 13. Jahrhunderts untersucht. Ich konnte nur eine ältere Studie finden, die diese Terminologie für das frühe Mittelalter untersuchte: W. SUERBAUM, Vom antiken zum frühmittelalterlichen Staatsbegriff (wie Anm. 25).
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ein starker, guter Herrscher Polen und die res publica vor dem Auseinanderfallen (in der dem Autoren gegenwärtigen politischen Lage) bewahren. Dieses Konzept verfolgt er konsequent über die von ihm frei erfundenen und konstruierten Dynastiebrüche der Vorgeschichte: Schlechte Herrscher (wenn auch natürliche Erben des Throns) provozierten bei ihm durch ihren schlechten Regierungsstil einen (selbstverschuldeten) Dynastiebruch, welcher letztlich einen neuen, guten Herrscher an die Macht brachte. Diese Brüche werden aber kaum näher beschrieben. Der Leser erfährt nicht, wie lange diese herrscherlosen Zeiten anhielten (Jahre/Dekaden/Jahrhunderte?). Dadurch erreicht der Autor, dass der neue Herrscher kaum als Usurpator des Thrones bzw. Emporkömmling angesehen werden kann, da der Thron schon längere Zeit vakant gewesen war. Deutlich wird uns dieses Prinzip (vgl. oben) durch den Übergang von Popiel auf Piast vor Augen geführt: Er ist von Gallus und Vinzenz bei gleichem ‘Setting’ grundlegend anders konstruiert worden. Ebenfalls werden die domini naturales bei Gallus bei Vinzenz zu principes succedanei, welche zuvorderst für das Wohl der res publica zuständig waren. Der Idealfürst in der Chronik ist ganz eindeutig der zur Zeit der Abfassung schon einige Jahre verstorbene Kasimir der Gerechte. Weiterhin sieht Vinzenz die ihm zeitgenössischen noch lebenden Piasten entweder negativ oder relativ neutral. Daher könnte man sogar soweit gehen – die untypische Konstruktion der Vorgeschichte im Auge behaltend –, Vinzenz zu unterstellen, dass er gegenüber einem Regierungswechsel zu einem nicht-piastischen Fürsten kaum Einwände gehabt hätte. Vorausgesetzt, dass dieser in der Lage gewesen wäre, die res publica und Polen als Ganzes zu erhalten.
BIRGIT STUDT
Gründungsheroen, Ahnenreihen und historische Topographien Genealogische Narrative und konkurrierende Formen der politischen Raumbildung in den Geschichten von den Fürsten in Bayern
Im Gegensatz zur Verwendung des Begriffs der Genealogie in der modernen Wissenschaftssprache, die in der Regel nur noch selten die ursprünglichen Implikationen dieses Begriffes beachtet, war Genealogie in der Vormoderne ein System zur Demonstration von Verwandtschaft. Die Konstruktion von Geschichte, der Ordnung von Gesellschaft und der Ordnung von Wissen wurde weitgehend über genealogisches Denken geleistet. Das Modell der Genealogie stand dabei für eine Vielzahl von Ableitungsvorgängen, durch die Einzeldinge oder Einzelpersonen zusammengebracht wurden, die sich dabei aber stets am Modell der Verwandtschaft orientierten. Genealogisches Denken gibt sich den Anschein des Zwangsläufigen, des durch die Verankerung in den biologischen Gegebenheiten der menschlichen Fortpflanzung Naturgegebenen. Gerade dadurch war es dazu prädestiniert, kulturelle Ordnungen zu schaffen, und seine bildlichen, symbolischen oder narrativen Ausdrucksformen erfüllten ordnungsfundierende und -legitimierende Funktionen.1 Sigrid Weigel hat in ihren Studien auf die transzendenten Bedeutungsstrukturen und die Ubiquität dieser ‘Genea-Logik’ hingewiesen: Die Tendenz zur Angleichung kultureller Prozesse an das Reproduktionsgeschehen reicht bis weit in die Moderne hinein, denkt man nur an die Rolle von genetischen Metaphern in Begriffen wie Generation und Geschlecht, in Wissensfiguren wie dem Stammbaum oder in Narrativen, mit denen im Spannungsfeld von genealogischen und klassifikatorischen Operationen die unterschiedlichen Einheiten konstruiert und benannt werden – von der Generation über die Gattung bis zur Nation.2 1
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Vgl. B. KELLNER, Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mittelalter, München 2004; DIES., Genealogien, in: W. PARAVICINI (Hg.), Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Hof und Schrift (Residenzenforschung 15/3), Ostfildern 2007, S. 347-360. S. WEIGEL (Hg.), Generation. Zur Genealogie des Konzepts – Konzepte von Genealogie, Paderborn 2005; DIES., Genea-Logik. Generation, Tradition und Evolution zwischen Kultur- und Naturwissenschaften, München/Paderborn 2006.
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Erst Untersuchungen zum Einfluss der genealogischen Denkform in der alteuropäischen Gesellschaft machen verständlich, warum seit dem Hochmittelalter eine einflussreiche, an genealogischen Prinzipien orientierte heraldische Sachkultur entstehen konnte.3 Damit rücken Realien wie Wappen, Stammtafeln oder Ahnentafeln als Medien und Repräsentationsformen von genealogischem Wissen wieder zunehmend in den Fokus historisch arbeitender Kulturwissenschaften. Kilian Heck und Bernhard Jahn haben in ihrem programmatischen Sammelband über Genealogie als Denkform drei Strukturmerkmale des genealogischen Denkens in der Vormoderne identifiziert: den genealogischen Anfang, die genealogische Kette und den genealogischen Raum. Im ersten Fall geht es um die mythische Begründung des Bestehenden durch einen Spitzenahn. Eine solche Ursprungslegitimation konnte so lange ohne die Dimension der Zeit und Geschichte auskommen, wie durch die Kraft des Mythos einer gegenwärtigen Gruppe ihre Unterscheidbarkeit von anderen Gruppen garantiert war. War aber die mythische Gegenwart des Spitzenahns verloren gegangen, klaffte eine historische Lücke zwischen dem Ursprung und den gegenwärtigen Vertretern einer Gruppe, die durch historiographische Verfahren im Nachhinein geschlossen werden musste: Hier wurde eine durchgängige Kette von Geschlechterfolgen notwendig. Erst am Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit, so lautet die These, sei die Kategorie des Raumes im genealogischen Relationengefüge wichtiger geworden als die der Zeit. Die Aufwertung der räumlichen Kategorie zeigte sich in der zunehmenden Verbreitung von raumkonstituierenden Zeichen in Landschaft, Architektur oder im höfischen Zeremoniell.4 In der Forschung zur dynastischen Geschichtsschreibung ist die Kategorie des Raumes noch nicht hinreichend reflektiert worden, ganz im Gegensatz zur neueren kunsthistorischen und höfischen Zeremonialforschung.5 In diesen Un3
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W. PARAVICINI, Gruppe und Person. Repräsentation durch Wappen im späteren Mittelalter, in: O. G. OEXLE / A. VON HÜLSEN-ESCH (Hgg.), Die Repräsentation der Gruppen. Texte – Bilder – Objekte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 141), Göttingen 1998, S. 327-389; C. KLAPISCH-ZUBER, Stammbäume. Eine illustrierte Geschichte der Ahnenkunde, München 2004, und G. SCHEIBELREITER, Wappenbild und Verwandtschaftsgeflecht. Kultur- und mentalitätsgeschichtliche Forschungen zu Heraldik und Genealogie (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 53), Köln 2009. Nicht von ungefähr wird diese These vor allem in der kunsthistorischen Forschung verfolgt. K. HECK, Genealogie als Monument und Argument. Der Beitrag dynastischer Wappen zur politischen Raumbildung der Neuzeit (Kunstwissenschaftliche Studien 98), München/Berlin 2002, fokussiert die raumbildende Funktion von Wappen als ephemere Markierung von Gegenständen (Grabsteinen, Gebrauchsgegenständen, Büchern oder von auch festen, herausgehobenen Orten der Herrschaft wie Kirchenräumen, Stadttoren, Schlossportalen oder höfischen Festsälen). Vgl. ebd.; U. SCHÜTTE, Sakraler Raum und die Körper der Fürsten. Schloßkapellen und genealogisches Denken in den thüringischen Territorien um 1700, in: K. HECK / B. JAHN (Hgg.), Genealogie als Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 80), Tübingen 2000, S. 123-135, und K. HECK, Genea-
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tersuchungen besteht Einigkeit darin, dass soziale oder politische Räume nicht a priori gegeben sind, sondern Gesellschaften ihren Raum jeweils selbst herstellen, und dieser Raum das Produkt ihrer alltäglichen Praktiken sei.6 In der Raumtheorie Henri Lefebvres steht ein solcher “espace perçu” jedoch in steter Wechselwirkung mit zwei weiteren Raumebenen, dem konstruierten Raum (“espace conçu”), der als Raum des Wissens durch ein System architektonischer, sprachlicher oder visueller Zeichen geschaffen wird, sowie schließlich dem gelebten Raum (“espace vécu”), der durch symbolische Vermittlungsformen als Raumrepräsentation imaginiert wird, in dem auch widerständige oder alternative Raummodelle und Raumnutzungsmodelle ihren Platz haben.7 Im Folgenden geht es um die Ebene des “espace vécu”, den in der Historiographie konstruierten Raum. Im Mittelpunkt steht die Untersuchung der narrativen Logiken von Darstellungsformen der spätmittelalterlichen Landes- und dynastischen Geschichtsschreibung, um die raumkonstituierende Funktion von Genealogien beschreiben und beurteilen zu können. Die leitenden Fragen hierfür sind: Wie rüstete sich eine Dynastie mit genealogisch argumentierenden Medien aus, um die erbliche Legitimation der Herrschaft in ihrem Territorium zu begründen? Auf welche Weise konnte eine genealogisch orientierte Geschichtsschreibung dieses Herrschaftssystem verifizieren und manifestieren? Wie wurden in der Historiographie Stammbäume und Wappen als verkürzende und chiffrierende Zeichen eingesetzt, um den ererbten Anspruch einer Dynastie auf die Herrschaft in einem Land abstrakt zu vermitteln? Und traten schließlich diese Narrative und Wissensfiguren in Konkurrenz zu anderen historiographischen Darstellungsmustern? In der Geschichtsschreibung der Fürstentümer des spätmittelalterlichen Reiches galt es, zwei historiographische Modelle miteinander zu vereinbaren.8 Im
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logie als dynastische Sphärenbildung. Herzog Ulrich zu Mecklenburg in Güstrow, in: ebd., S. 137-144. Fast alle Untersuchungen berufen sich auf den einflussreichen Entwurf von Georg Simmel zur Raumsoziologie: G. SIMMEL, Der ‘Raum’ und die räumlichen Ordnungen der Gesellschaft, Berlin 1908; vgl. etwa dort S. 461: “Nicht der absolute Raum, sondern seine Gliederung und die Zusammenfassung seiner Teile durch die Bewohner eines Gebietes hat gesellschaftliche Bedeutung; ein unerfüllter Raum ohne bauliche, politische oder kulturelle Gliederung ist Nichts.” Zum “topographical turn” in den Kultur- und Geschichtswissenschaften vgl. S. WEIGEL, Zum “topographical turn”. Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften, in: KulturPoetik 2/2 (2002), S. 151165; K. SCHLÖGEL, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik (Fischer 16718), Frankfurt a. M. 2006; einen Überblick über verschiedene Raumkonzepte der Forschung bieten J. DÜNNE / S. GÜNZEL (Hgg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2006, vgl. bes. Teil 4: Soziale Räume, mit der Einleitung von J. DÜNNE, S. 289-303. H. LEFEBVRE, Die Produktion des Raums (1974), in: ebd., S. 330-342. Das Verhältnis dieser beiden Modelle diskutieren B. STUDT, Das Land und seine Fürsten. Zur Entstehung der Landes- und dynastischen Geschichtsschreibung in Hessen und Thüringen, in: I. BAUMGÄRTNER / W. SCHICH (Hgg.), Nordhessen im Mittelalter. Pro-
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Mittelpunkt des ersten steht die Geschichte des Landes. Sie ist Ausdruck einer Eigentradition mit seinen Adelsherrschaften, Klöstern und Städten in einem Land, dessen Identität allerdings ohne die Geschichte der darin herrschenden Dynastie kaum denkbar war. Der genealogischen Denkform entsprach auch hier die rückwärtsgewandte Verlängerung der Geschichte des Landes durch fundierende Geschichtserzählung wie etwa die Gründung von Burgen, Städten und Adelsherrschaften durch römische Adelige wie in den hessischen Chroniken des Johannes Nuhn oder Wigand Gerstenberg.9 Genealogische Ketten wurden durch Einführung und Verlängerungen von mythischen Herrscherreihen gebildet, wie etwa durch Leopold von Wien in seiner einflussreichen Chronik von den 95 Herrschaften in Österreich, die noch am Ende des 15. Jahrhunderts die österreichischen Chroniken des Heinrich von Gundelfingen und Albrecht von Bonstetten prägte.10 Im Laufe des 15. Jahrhunderts konzentrierte sich aber die Historiographie zunehmend auf die fürstliche Dynastie und erfasste darüber das von ihr beherrschte Land. In diesem zweiten Modell, das auf den Nachweis einer möglichst weitgehenden Identität von Dynastie und Land zielt, wird der Darstellung der fürstlichen Dynastie Vorrang eingeräumt. In den Fürstenfamilien selbst war allerdings lange Zeit gar kein ausgeprägtes genealogisches Wissen vorhanden gewesen, und jenseits der Hausklöster konnte ein solches nicht über längere Zeiträume hinweg tradiert werden. Auch wenn die Familienmemoria zu den allgemeinen Merkmalen des Adels gehört,11 lässt bleme von Identität und überregionaler Integration (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 64), Marburg 2001, S. 171-196, bes. S. 170-171; G. WERNER, Ahnen und Autoren. Landeschroniken und kollektive Identitäten um 1500 in Sachsen, Oldenburg und Mecklenburg (Historische Studien 467), Husum 2002, S. 36-46; J. SCHNEIDER, Die Chroniken des Wigand Gerstenberg im Kontext der zeitgenössischen Historiographie, in: U. BRAASCH-SCHWERSMANN / A. HALLE (Hgg.), Wigand Gerstenberg von Frankenberg 1457-1522. Die Bilder aus seinen Chroniken Thüringen (Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte 23), Marburg 2007, S. 105-122, bes. S. 109, und jetzt speziell mit Blick auf die bayerische Gegenwartsgeschichtsschreibung S. DICKER, Landesbewusstsein und Zeitgeschehen. Studien zur bayerischen Chronistik des 15. Jahrhunderts (Norm und Struktur 30), Köln/Weimar/Wien 2009. 9 Dazu vgl. B. STUDT, Das Land (wie Anm. 8) und J. SCHNEIDER, Die Chroniken (wie Anm. 8). 10 Zur Bedeutung der sog. Chronik von den 95 Herrschaften für die österreichische Historiographie vgl. J.-M. MOEGLIN, Dynastisches Bewußtsein und Geschichtsschreibung. Zum Selbstverständnis der Wittelsbacher, Habsburger und Hohenzollern im Spätmittelalter, in: Historische Zeitschrift 256 (1993), S. 593-635, hier S. 619-620. Vgl. auch R. SCHWEERS, Albrecht von Bonstetten und die vorländische Historiographie zwischen Burgunder- und Schwabenkriegen (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 6), Münster 2005, S. 137-142 und 193. 11 O. G. OEXLE, Aspekte der Geschichte des Adels im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: H.-U. WEHLER (Hg.), Europäischer Adel 1750-1950 (Geschichte und Gesellschaft. Sonderheft 13), Göttingen 1990, S. 19-56, hier S. 25-26.
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sich jedoch konstatieren, dass die Genealogie im Spätmittelalter besondere Konjunktur erfahren zu haben schien.12 Nun trugen gelehrte Autoren den Fürsten und Adligen Versionen ihrer Hausgeschichte vor, die sie daraufhin systematisch erforschen ließen. Seit dem 15. Jahrhundert mehrten sich Initiativen, die vom Fürstenhof selbst zur Darstellung von Dynastiegeschichten ausgingen. Von ihnen beauftragte geistliche wie weltliche Autoren betrieben in den Hausklöstern umfangreiche Archivforschungen, entfalteten eine ausgedehnte Korrespondenz zur Auffindung und zum Austausch von neuen Quellen.13 Humanistisch orientierte Gelehrte wie Ladislaus Sunthaym oder Jakob Mennel am habsburgischen Hof bearbeiteten die vorgefundenen Stoffe kreativ und wurden so zu aktiven Konstrukteuren der Dynastiegeschichte.14 Solchen Chroniken ist gemeinsam, dass sie das genealogische Herkommen als Argumentationspotential nutzen: Alter und Abstammung dienen als Nachweis der ererbten Befähigung zur Herrschaft. Parallel dazu führte aber die Rezeption der historisch-topographischen Landesbeschreibung im Zeichen des Humanismus zu einem intensivierten Interesse an der Geschichte von Territorien und damit zu einer neuartigen Konzeption des Landesbegriffs, für den die fürstliche Dynastie an Bedeutung verlor und genealogische Narrative hinter geographischen bzw. ethnographischen Darstellungsmustern zurücktraten.15
12 Hierzu allgemein G. MELVILLE, Vorfahren und Vorgänger. Spätmittelalterliche Genea-
logien als dynastische Legitimation zur Herrschaft, in: P.-J. SCHULER (Hg.), Die Familie als sozialer und historischer Verband, Sigmaringen 1987, S. 203-309. 13 Vgl. N. KERSKEN, Auf dem Weg zum Hofhistoriographen. Historiker an spätmittelalterlichen Fürstenhöfen, in: C. FEY / S. KRIEB / W. RÖSENER (Hgg.), Mittelalterliche Fürstenhöfe und ihre Erinnerungskulturen (Formen der Erinnerung 27), Göttingen 2007, S. 107-139. 14 D. MERTENS, Geschichte und Dynastie. Zu Methode und Ziel der “Fürstlichen Chronik” Jakob Mennels, in: K. ANDERMANN (Hg.), Historiographie am Oberrhein im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit (Oberrheinische Studien 7), Sigmaringen 1988, S. 121153; ferner die älteren Arbeiten von A. LHOTSKY, Apis Colonna. Fabeln und Theorien über die Herkunft der Habsburger, in: DERS., Das Haus Habsburg (Aufsätze und Vorträge 2), hg. v. H. WAGNER / H. KOLLER, München 1971, S. 7-102 und F. RÖHRIG, Der Babenberger-Stammbaum im Stift Kloster-Neuburg, Wien 1975. 15 Allgemein zum Zusammenhang von Historiographie und landesherrlicher Selbstdarstellung und territorialer Identität vgl. F. BRENDLE / D. MERTENS / A. SCHINDLING / W. ZIEGLER (Hgg.), Deutsche Landesgeschichtsschreibung im Zeichen des Humanismus (Contubernium 56), Stuttgart 2001, darin bes. D. MERTENS, Landeschronistik im Zeitalter des Humanismus und ihre spätmittelalterlichen Wurzeln, S. 19-31; J. HELMRATH, Probleme und Formen nationaler und regionaler Historiographie des deutschen und europäischen Humanismus um 1500, in: M. WERNER (Hg.), Spätmittelalterliches Landesbewusstsein in Deutschland (Vorträge und Forschungen 61), Ostfildern 2005, S. 333-392, sowie jetzt auch den Sammelband von J. HELMRATH / A. SCHIRRMEISTER / S. SCHLELEIN (Hgg.), Historiographie des Humanismus. Literarische Verfahren, soziale Praxis, geschichtliche Räume (Transformationen der Antike 12), Berlin 2013.
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Diese Prozesse sollen im Folgenden an Beispielen aus der wittelsbachischen Überlieferung untersucht und die Funktion von genealogischem Wissen im Kontext seiner Produktion befragt werden.16 Wie wird durch genealogische Operationen herrschaftliche Integrität evoziert? Mit welchen narrativen Verfahren wird die Identität von Land und Herrschaft suggeriert, und was sind die symbolischen und ikonographischen Techniken, mit denen diese Identität kommuniziert wurde? In der Vorrede seiner Bayerischen Fürstenchronik berichtet Andreas von Regensburg, dass er Herzog Ludwig dem Bärtigen von Bayern-Ingolstadt anlässlich dessen Besuches in Regensburg im Jahre 1425 einen von ihm angefertigten Stammbaum der Wittelsbacher von Otto von Wittelsbach bis Ludwig dem Bayern überreicht habe. Der Herzog habe ihn daraufhin aufgefordert, eine Chronik der bayerischen Herzöge zu verfassen. Der gelehrte Augustinerchorherr, der nach eigener Auskunft schon immer geplant habe, eine Geschichte zur Erinnerung und zum Lob der herausragenden Männer in generacione principum Bavariae bzw. in der Fürsten der Sippe zu Bayern zu schreiben, hat diesem Wunsch entsprochen und dafür seine umfangreichen historischen Forschungen für die Darstellung der bayerischen Fürstengeschichte genutzt.17 In seiner Darstellung der Dynastiegeschichte der bayerischen und pfälzischen Wittelsbacher wird deutlich, dass Andreas’ Vorstellungen von einem Land keinesfalls räumlich, 16 Vgl. hierzu grundlegend J.-M. MOEGLIN, Les ancêtres du prince. Propagande politique et
naissance d’une histoire nationale en Bavière au Moyen Âge (École Pratique des Hautes Études – IVe Section, Sciences historiques et philologiques 5, Hautes études médiévales et modernes 54), Genf 1985; weiterhin: DERS., Die Genealogie der Wittelsbacher. Politische Propaganda und Entstehung der territorialen Geschichtsschreibung im Mittelalter, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsschreibung 96 (1988), S. 3354; DERS., Dynastisches Bewußtsein (wie Anm. 10), und R. STAUBER, Herrschaftsrepräsentation und dynastische Propaganda bei den Wittelsbachern und Habsburgern um 1500, in: C. NOLTE / K.-H. SPIESS / R.-G. WERLICH (Hgg.), Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter (Residenzenforschung 14), Stuttgart 2002, S. 371-402. 17 Vgl. Andreas’ Auskunft in der lateinischen und deutschen Vorrede seiner Bayerischen Chronik bei G. LEIDINGER (Hg.), Andreas von Regensburg, Sämtliche Werke (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte N.F. 1), München 1903 (ND Aalen 1969), S. 505 bzw. S. 591. Vgl. dazu J. SCHNEIDER, Neue Aspekte zu Auftrag, Strategie und Erfolg einer zweisprachigen Dynastiegeschichte des 15. Jahrhunderts. Die ‘Bayerische Chronik’ des Andreas von Regensburg lateinisch und deutsch, in: R. SPRANDEL (Hg.), Zweisprachige Geschichtsschreibung im spätmittelalterlichen Deutschland (Wissensliteratur im Mittelalter 14), Wiesbaden 1993, S. 129-172, und S. DICKER, Landesbewusstsein (wie Anm. 8), S. 43-44, der ausgehend von dieser Auftragskonstellation – anders als J.-M. MOEGLIN, Les ancêtres (wie Anm. 16), S. 108 u. 129 – die bayerische Chronistik nicht nur als Dynastiegeschichte zur Glorifizierung des Fürsten und seines Hauses, sondern vor allem als frühe Landeschronik versteht. Er argumentiert, dass gerade Andreas in seinen Chroniken an keiner Stelle die ehrgeizigen politischen Ziele des Auftraggebers unterstütze, der als ältester unter den wittelsbachischen Vettern den alleinigen Erbanspruch auf den verwaisten Straubinger Landesteil stellte, sondern eher mäßigend auf ihn habe einwirken wollen.
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sondern rechtlich geprägt waren. Sein dynastisches Verständnis bezog sich nicht einmal auf die herrschende Rolle der Dynastie in einem Territorium, sondern allein auf die Kontinuität seiner Fürsten und deren Erbrechte.18 Die bayerischen Chroniken des Andreas von Regensburg, der die genealogische Haustradition der Wittelsbacher mit dem allgemeinen schriftlichen Geschichtswissen der gelehrten Historiographie zusammenfügte und durch weitere, systematisch angestellte Forschungen in für ihn erreichbaren Klosterbibliotheken ergänzte, stehen am Beginn der dynastischen Geschichtsschreibung in Bayern, die bald auch auf die anderen höfischen Zentren der Wittelsbacher ausstrahlen sollte. Zusammengehalten wurden sie aber durch eine gemeinsame Herkunftstradition sowie die Erinnerung an das überragende König- und Kaisertum Ludwigs des Bayern, der im 15. Jahrhundert zu einem Eckpfeiler des wittelsbachischen Dynastieverständnisses wurde und als einer der Stammväter und Wiedervereiniger des Hauses galt.19 In Heidelberg beendete um 1475 der Geschichtsschreiber Matthias von Kemnath seine Chronik des Pfalzgrafen und Kurfürsten Friedrich des Siegreichen, dessen Berechtigung zur Herrschaft durch die legitimitätsstiftende Herkunftsgeschichte der Pfälzer Wittelsbacher in einem ersten welt- und landeschronistisch orientierten Teil nachgewiesen wird.20 Die Darstellung des zweiten Teils zielt, abgesehen von einer kurzen, panegyrisch gehaltenen Vorgeschichte und einer Geschichte der Pfälzer Kurfürsten der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, ganz auf die Darstellung der Kriegserfolge des siegreichen Fürsten, dem es gelang, seine Stellung am Rhein gegenüber der mächtigen Koalition seiner Feinde nicht nur zu festigen, sondern in einer Serie von Kriegen noch weiter auszubauen. In der Widmungsvorrede und in der einleitenden Beschreibung der wittelsbachischen Pfalzgrafschaft werden Regierung und Territorium beschrie-
18 Vgl. S. DICKER, Landesbewusstsein (wie Anm. 8), S. 72-78. 19 Vgl. J.-M. MOEGLIN, Das Bild Ludwigs des Bayern in der deutschen Geschichtsschrei-
bung des Spätmittelalters (ca. 1370-ca. 1500), in: H. NEHLSEN / H.-G. HERMANN (Hgg.), Kaiser Ludwig der Bayer. Konflikte, Weichenstellungen und Wahrnehmung seiner Herrschaft (Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte N.F. 22), Paderborn/ München/Wien/Zürich 2002, S. 199-260, bes. S. 242-245. 20 Vgl. M. GOTTSCHALK, Geschichtsschreibung im Umkreis Friedrichs I. des Siegreichen von der Pfalz und Albrechts IV. des Weisen von Bayern-München, München 1989; B. STUDT, Fürstenhof und Geschichte. Legitimation durch Überlieferung (Norm und Struktur 2), Köln/Weimar/Wien 1992, S. 62-68, und DIES., Dynastien und Fürsten: Die Chronik des Heidelberger Hofkaplans Matthias von Kemnath als legitimierende Geschichtserzählung, in: B. STUDT / S. RAU (Hgg.), Geschichte schreiben. Ein Quellen- und Studienhandbuch zur Historiografie (ca. 1350-1750), Berlin 2010, S. 432-445. Zu Chronik und Oeuvre des Matthias von Kemnath insges. vgl. auch B. STUDT / F. J. WORSTBROCK, Matthias von Kemnat, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 6, Berlin/New York ²1987, Sp. 186-194 (Nachträge in Bd. 11 [2004], Sp. 981) und B. STUDT, Matthias von Kemnat [Matthias Widman], in: G. DUNPHY (Hg.), Encyclopedia of the Medieval Chronicle, 2 Bde., Leiden 2010, Bd. 2, S. 1095-1096.
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ben, indem sowohl die herausragenden Tugenden und Leistungen des Fürsten als auch die Vorzüge seines Landes gepriesen werden.21 Die Herkunftsgeschichte im ersten Buch hingegen folgt der Logik der genealogischen Erzählung von Andreas’ Fürstengeschichte, doch hat Matthias von Kemnath bei der Behandlung der pfälzischen Geschichte etwas andere Akzente gesetzt. Wird bei Andreas von Regensburg Ludwig der Bayer als großer Kaiser aus dem Hause der Wittelsbacher und als letzter Vereiniger des von Teilungen gezeichneten bayerischen Herzogtums präsentiert,22 stellt Matthias von Kemnath der ludowizisch-bayerischen Sukzessionsreihe der Wittelsbacher die rudolfinisch-pfälzische Geschichte als eigenständig gegenüber. Der Bericht über den Hausvertrag von Pavia 1329, der die gesamte rheinische Pfalz für die Nachkommen Rudolfs I. reservierte, während Bayern den Nachkommen Ludwigs des Bayern vorbehalten sein sollte, diente ihm als Anlass, diese beiden Geschichtsstränge getrennt zu behandeln. Dieses Konzept spiegelt sich auch in der graphischen Gestaltung des Textes wider, die Matthias ebenfalls nach dem Vorbild des Andreas von Regensburg vorgenommen hat. In das Kreis-Linien-System mit den Namen der Päpste und Kaiser, das sich als parallel geführte Sukzessionsreihen über die Buchseiten zieht, sind Stammtafeln der bayerischen Fürsten eingeschoben.23 Darin wird in genealogisch organisierten Vor- und Rückblenden auch auf der graphischen Ebene die Erzählung auf die Geschichte der Dynastie fokussiert. Im Seitenlayout wird die auf Ludwig bzw. Rudolf folgende Geschichte in zwei Erzählsträngen auf jeweils zwei gegenüber liegenden Seiten parallel behandelt, die jeweils den Seitentitel Beyern bzw. Pfaltz tragen (Abb. 26).24
21 Matthias von Kemnat, Chronik Friedrichs I., in: Quellen zur Geschichte Friedrichs I. des
Siegreichen Kurfürsten von der Pfalz, ed. K. HOFMANN (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte 2), München 1862 (ND Aalen 1969), Bd. 1, S. 1-4 u. 5-23; vgl. dazu B. STUDT, Fürstenhof (wie Anm. 20), S. 319-324, und J.-D. MÜLLER, Sprecher-Ich und Schreiber-Ich. Peter Luders Panegyrikus auf Friedrich den Siegreichen, die Chronik des Mathias von Kemnat und die Pfälzer Reimchronik des Michel Beheim, in: DERS. (Hg.), Wissen für den Hof. Der spätmittelalterliche Verschriftungsprozeß am Beispiel Heidelberg im 15. Jahrhundert (Münstersche Mittelalter-Schriften 67), München 1994, S. 289-321. 22 Vgl. J.-M. MOEGLIN, Das Bild Ludwigs (wie Anm. 19), S. 244. 23 Die Funktion dieses Paratextes hat der Autor zu Beginn des ersten Buches seiner Chronik selbst erläutert; das erste Buch ist nicht ediert, vgl. UB Heidelberg, Cod. Heid. N.F. 9, fol. 1 (zum Digitalisat s. die folgende Anm.). 24 Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt aus dem unedierten ersten Teil der Handschrift der Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Heid. N.F. 9, fol. fol. 30v/31r. Ein Digitalisat der gesamten Handschrift ist unter der persistenten URL: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/codheidnf9 eingestellt und abrufbar (1.5.2012). Zur Überlieferung und zum Verhältnis der Handschriften zueinander vgl. B. STUDT, Fürstenhof (wie Anm. 20), S. 69144. Dort erscheint die hier benutzte Handschrift noch als Bestand des J. Paul Getty Museum (aus der ehemaligen Sammlung Ludwig). Im Jahre 1997 wurde die Handschrift von der UB Heidelberg angekauft.
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Mit diesem Programm betont Matthias die Unabhängigkeit der pfälzischen Wittelsbacher gegenüber ihren bayerischen Vettern. Als wichtiges Distinktionsmerkmal erscheint hier die Kurwürde, die den Pfalzgrafen bei Rhein in der Goldenen Bulle endgültig zugesprochen wurde, während sie zuvor noch mit der bayerischen Linie hatte geteilt werden müssen. Auch die Pfalzgrafen haben allerdings seit Beginn des 15. Jahrhunderts ihre dynastischen Versorgungsprobleme auf Kosten der Einheit gelöst, und dies schien auch noch den Benutzern der Chronik Matthias’ von Kemnath erwähnenswert. Denn in einer Abschrift der Chronik sind in dem Stemma König Ruprechts von der Pfalz seinen Söhnen die ihnen zugedachten Herrschaftsbereiche, vertreten durch die Namen der Hauptstädte, zugeordnet.25 Ungefähr zur gleichen Zeit nutzten die Münchener Herzöge das von der Historiographie gebotene dynastische Legitimationspotential, um ihre Herrschaftsansprüche zu markieren.26 Bis 1467 gelangte der drittgeborene Albrecht IV., der eigentlich für den geistlichen Stand bestimmt war, zur alleinigen Regentschaft in Oberbayern. Noch aus der Zeit vor Albrechts Alleinherrschaft allerdings datiert ein ursprünglich ca. 23 m langer Freskenzyklus, der aus einem Repräsentationsraum des Alten Hofes in der Münchener Herzogsresidenz stammt. Er ist das erste bekannte Beispiel einer bildlichen Erinnerung mit Porträts der Vorfahren der Münchener Herzöge in weltlicher Umgebung, während genealogische Zyklen zuvor nur in kirchlich-monastischen Kontexten gezeigt wurden. Um 1465 wurde der Alte Hof großzügig umgebaut und erhielt profane Wandmalereien.27 Das heute nur noch in Resten erhaltene Fresko reichte bis in die legendären Anfänge des bayerischen Herzogtums zurück. Es präsentierte in friesartiger Reihung eine Auswahl von 62 bayerischen Herzögen – von den beiden aus Armenien eingewanderten legendären Herzögen Bavarus, dem Heros eponymos des Landes, und dem Herkules-Sohn Norix, der über den Nordgau herrschte und diesen nach sich benannte, über die beanspruchten karolingischen Vorfahren bis hin zum regierenden Fürsten. Die Figuren stehen in Paaren oder in Dreiergruppen auf einem Sockel, an dem ihre Allianzwappen dargestellt sind. Die Gemahlinnen der bayerischen Herzöge sind nur durch ihre Wappensymbo25 UB Heidelberg, Cod. Heid. 3599, fol. 59v-60r; vgl. Abbildung und Katalogbeschreibung
in: V. RÖDEL (Red.), Mittelalter. Der Griff nach der Krone. Die Pfalzgrafschaft bei Rhein im Mittelalter (Schätze aus unseren Schlössern 4), Regensburg 2000, S. 214-215, Nr. 42. 26 J.-M. MOEGLIN, Les ancêtres (wie Anm. 16), S. 185-197; M. GOTTSCHALK, Geschichtsschreibung (wie Anm. 20); kritischer zur panegyrischen Funktion der Chronistik: S. DICKER, Landesbewusstsein (wie Anm. 8), S. 116-125. 27 Vgl. A. SCHMID, Der Alte Hof zu München, der Ausgang der Residenzbildung im Herzogtum Bayern, in: Bayerische Vorgeschichtsblätter 65 (2000), S. 265-278, E. BURMEISTER, Die baugeschichtliche Entwicklung des Alten Hofes in München, München 1999, S. 50-56, und zuletzt A. M. DAHLEM, The Wittelsbach Court in Munich. History and Authority in the Visual Arts (1460-1508). PhD thesis, Faculty of Arts, University of Glasgow 2009, S. 133-134. URL: http://theses.gla.ac.uk/892/01/ 2009dahlemphd_edited.pdf (18.5.2012).
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le im Bild präsent. Unterhalb dieser Wappenreihe trägt ein rankengefüllter teppichartiger Fries erläuternde Merkverse.28 Die Bilder und Texte, die sich aus späteren Abschriften vollständig rekonstruieren lassen,29 orientieren sich an dem in der Bayerischen Fürstenchronik des Andreas von Regensburg vorgegebenen genealogisch-dynastischen Modell, bringen aber erst ab Ludwig dem Bayern die vollständige Reihe der Regenten in den bayerischen Teilherzogtümern, während sie für die Zeit davor nur eine, allerdings signifikante Auswahl vornehmen. Offensichtlich bestand der Zyklus aus zwei Reihen, in deren Mittelpunkt die Königsgestalten Karl der Große und Ludwig der Bayer gestellt sind, die im ursprünglichen Raumarrangement wohl miteinander korrespondierten und die auch die weitere Auswahl der Fürsten bestimmt haben. Die Verse darunter lauten: Karolus Magnus der gotlich, Römischer Khunig zw Franckhenreich bzw. Khayser Ludwig der Helt / Herzog in Bayrn der Auserwelt.
28 Von dem ursprünglichen Freskenzyklus sind heute nur noch 14 Fürstenbilder erhalten.
Sie wurden 1850 im 1. Obergeschoß des Südflügels im Alten Hof freigelegt. Die erhaltenen Reste befinden sich heute im Bayerischen Nationalmuseum; vgl. R. M. KLOOS, Die Inschriften der Stadt und des Landkreises München (Die deutschen Inschriften 5), Stuttgart 1958, S. 25-28, und S. HOFMANN, Die bayerischen Herzöge im Bild. Die Wandbilder im Alten Hof in München, in: K. BATZ (Hg.), Bayern-Ingolstadt, Bayern-Landshut 13921506. Glanz und Elend einer Teilung. Ausstellungskatalog des Stadtarchivs, der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek und des Stadtmuseums Ingolstadt, Ingolstadt 1992, S. 261288 (mit einer Abbildung eines Teils der Freskenreste S. 283); S. BÄUMLER / E. BROCKHOFF / M. HENKER (Hgg.), Von Kaisers Gnaden. 500 Jahre Pfalz Neuburg (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 50), Regensburg 2005, S. 57-59, Nr. 2.33, und A. M. DAHLEM, The Wittelsbach Court (wie Anm. 27), S. 133-135; eine Farbabbildung der Freskenreste ebd., S. 270, Plate 33. 29 Die wichtigste Abschrift überliefert ein im 19. Jahrhundert zweigeteilter Rotulus der Bibliothèque Nationale Paris, Cabinet des Estampes, Nr. 206 u. 207; vgl. F. LUGT / J. VALLERY-RADOT, Bibliothèque Nationale. Inventaire général des écoles du nord, Paris 1936, S. 13-14, Nr. 28 mit Taf. XVI; J. ERICHSEN, Genealogie des Hauses Bayern, in: H. GLASER (Hg.), Wittelsbach und Bayern. Katalog und Kommentarband der Ausstellung 1980, Bd. 1/2: Die Zeit der frühen Herzöge. Von Otto I. zu Ludwig dem Bayern, München/Zürich 1980, Nr. 31, S. 27, und J.-M. MOEGLIN, Les ancêtres (wie Anm. 16), S. 131-135; Abbildungen des gesamten Rotulus und die Transkription des Textes bei S. HOFMANN, Die bayerischen Herzöge (wie Anm. 28), S. 271-279 bzw. 284-286. Zu Fragmenten aus einer weiteren Abschrift vgl.: Vom Späten Mittelalter bis zu JacquesLouis David. Neuerworbene und neubestimmte Zeichnungen im Berliner Kupferstichkabinett, Berlin 1973, Nr. 11-13; spätere Abschriften sind bei S. HOFMANN, Die bayerischen Herzöge (wie Anm. 28), S. 269, und A. M. DAHLEM, The Wittelsbach Court (wie Anm. 27), S. 135-136 genannt. Zur Funktion dieser Abschriften und Einzelbilder vgl. U. VERSTEGEN, Ahnengalerien und Stammbäume, in: A. SCHUNICHT-RAWE / V. LUPKES (Hgg.), Handbuch der Renaissance. Deutschland, Niederlande, Belgien, Österreich, Köln 2002, S. 120-121, die auf die fürstliche Praxis verweist, Herrscherportraits untereinander auszutauschen, um vom Ansehen der Fürsten zu zeugen und Visionen ihrer politischen Anliegen zu verbreiten.
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Als Helden werden in beiden Reihen nur zwei Fürsten bezeichnet: Neben Kaiser Ludwig dem Bayern ist dies Herzog Otto I., der grosmiettig Helt vnnd Edel degen auserwelt. Dieser erste Wittelsbacher im Herzogtum Bayern ist der Begründer der Dynastie, der Ludwig der Bayer entstammt. Otto wird gefeiert als derjenige, der in der Fursten Bayrn Handt / hat […] widerbracht die Landt. Diese zweite Reihe beginnt mit einem Rückgriff auf die Söhne Ludwigs des Frommen, die in ihrer Person das Herzogtum Bayern mit dem Frankenreich genealogisch verklammerten. So steht etwa in der Beischrift zu Kaiser Lothar I.: Franckreich vnd Bayrn was sein stam bzw. zu Pipin I.: der was geborn von Frankenreich vnd auch von Bayren desgelich.30 Diese Darstellungsstrategie zielte darauf, die Geschichte Bayerns als altes Königreich, die Regierung von Kaisern und Königen als Herzöge in Bayern und die Abstammung der bayerischen Herzöge von Karl dem Großen und Ludwig dem Bayern erscheinen zu lassen. Die Herkunft aus einem Stamm, zu dem Könige und Kaiser gehörten, und die Kontinuität ihrer Herrschaft bildeten die Legitimationsgrundlage für die Herrschaft der regierenden Fürsten in Bayern.31 Die erste Reihe beginnt mit den legendären Vorfahren der wittelsbachischen Herzöge, mit den Stammvätern Bavarus und Norix wird der Ursprung des Territoriums dargestellt. Darauf folgen die Repräsentanten herausragender Dynastien, zumeist Könige und Kaiser, von den Agilolfingern über die Karolinger bis zu den Welfen, die in Bayern herrschten. In ihrem Mittelpunkt steht die Herrschergestalt Karls des Großen, dessen herausragende Bedeutung nur durch Ludwig den Bayern in der zweiten Reihe übertroffen wird, der als einziger Herrscher auf einem Thron sitzend dargestellt wird (Abb. 27 und 28).32 Herzog Albrecht IV. betrieb eine erhebliche Intensivierung der genealogischen Geschichtsdarstellung, um sich nach Antritt seiner Alleinregierung im Jahre 1467 gegenüber seinen jüngeren Brüdern und dem mit ihnen verbündeten ritterschaftlichen Adel durchzusetzen. Die unsicheren Anfänge seiner Herrschaft trugen wohl dazu bei, dass er sich in besonderem Maße für den Problemkreis von Haus, Dynastie und Erbrecht interessierte. Denn hier konnte er Argumente finden, die seine Regierungsansprüche stärkten. Die im herzoglichen Kanzleischrifttum seit der Mitte des 14. Jahrhunderts gebräuchliche Eigenbezeichnung ‘Haus Bayern’ ließ er zu einem politischen Leitbegriff umprägen, mit 30 Zitiert nach S. HOFMANN, Die bayerischen Herzöge (wie Anm. 28), S. 284-286. 31 Zum Programm des Zyklus vgl. A. M. DAHLEM, The Wittelsbach Court (wie Anm. 27),
S. 136-141.
32 Ein einzelnes Blatt aus einer Serie von Abschriften der bayerischen Fürstenreihe vom
Ende des 15. Jahrhunderts in der Bayerischen Staatsbibliothek München, cgm 8533, zeigt Ludwig den Bayern, begleitet von seinen beiden älteren Söhnen zur auf der rechten und seinem Bruder Pfalzgraf Rudolf bei Rhein auf der linken Seite. Auf der Rückseite des Blattes befindet sich in deutschen Versen und lateinischer Übersetzung der Begleittext zu Ludwigs Vater; vgl. das Digitalisat unter dem persistenten Link: http://daten.digitalesammlungen.de/bsb00047212/image_2; Abbildung in: S. BÄUMLER (Hg.), Von Kaisers Gnaden (wie Anm. 28), S. 31.
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dem er die auf die früh- und hochmittelalterliche terra Bavariae gegründete Einheit des Hauses zu Bayern beschwor. Damit stilisierte er sich zum Wiederbegründer und Retter der altbayerischen Einheit in der Nachfolge Ludwigs des Bayern.33 Die Bayerische Chronik, die der genealogisch, heraldisch und historisch bewanderte Kunsthandwerker und Literat Ulrich Füetrer in Albrechts Auftrag zwischen 1478 und 1481 verfasste und diesem widmete, repräsentiert dieses Programm nicht nur bildlich, sondern liefert dafür auch eine historiographische Begründung. Im Vorwort zu seiner Chronik schrieb Füetrer, er wolle mit seiner Arbeit Ehre und Rang der Wittelsbacher herausarbeiten, die Erinnerung an die Fürsten bewahren und das verstreute Wissen über den fürstlichen Stamm zusammenführen.34 Wohl eine Vorstufe zur Füetrers Chronik stellt eine in mehreren Handschriften überlieferte Fürstenreihe dar, die teilweise mit gemalten Fürstenbildnissen ausgestattet sind. Diese Fürstenbilder sind als Doppelfiguren mit ihren Wappen und darunter stehenden erläuternden vierzeiligen Versen in einen knappen chronikalischen Text eingefügt worden. Hier geht es darum, nachzuweisen, dass die bayerische Geschichte von Anfang an identisch war mit der Genealogie einer einzigen großen wittelsbachischen Dynastie bzw. ihrer verschiedenen Verzweigungen.35 Bald nach dem Abschluss dieser ersten Fassung hatte Füetrer mit der Chronik des Landshuter Hofmeisters Hans Ebran von Wildenberg eine neue Quelle kennengelernt, mit deren Hilfe er Modifikationen an der frühen Genealogie der Herzöge von Bayern vornahm. Der niederadlige Ritter, der im Dienst der Landshuter Herzöge stand, hatte seit den 1460er Jahren an seiner Chronik von den Fürsten aus Bayern gearbeitet. 33 Vgl. R. STAUBER, Staat und Dynastie. Herzog Albrecht IV. und die Einheit des ‘Hauses
Bayern’ um 1500, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 60 (1997), S. 539-565, bes. S. 561; DERS., Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 16), S. 379-380, und F. FUCHS, Das ‘Haus Bayern’ im 15. Jahrhundert. Formen und Strategien einer dynastischen Integration, in: W. MALECZEK (Hg.), Fragen der politischen Integration im mittelalterlichen Europa (Vorträge und Forschungen 63), Ostfildern 2005, S. 303-324. 34 Ulrich Füetrer, Bayerische Chronik, ed. R. SPILLER (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte N.F. 2/2), München 1909 (ND Aalen 1969), S. 5; vgl. H. WENZEL, Alls in ain summ zu pringen. Füetrers Bayerische Chronik und sein Buch der Abenteuer am Hof Albrechts IV., in: P. WAPNEWSKI (Hg.), Mittelalter-Rezeption. Ein Symposion (Germanistische Symposien, Berichtsbände 6), Stuttgart 1986, S. 10-31; B. BASTERT, Der Münchner Hof und Füetrers ‘Buch der Abenteuer’. Literarische Kontinuität im Spätmittelalter (Mikrokosmos 33), Frankfurt a. M. 1993, S. 139-151, J.M. MOEGLIN, Les ancêtres (wie Anm. 16), S. 185-192 und M. GOTTSCHALK, Geschichtsschreibung (wie Anm. 20), S. 92-100. 35 Vgl. J.-M. MOEGLIN, Das Reich und die bayerischen Fürsten in einer ersten (?) Fassung der Bayerischen Chronik von Ulrich Füetrer, in: P.-J. HEINIG / S. JAHNS / H.J. SCHMIDT / R. C. SCHWINGES / S. WEFERS (Hgg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw (Historische Forschungen 67), Berlin 2000, S. 675-697, und DERS., Les ancêtres (wie Anm. 16), S. 172.
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Im Gegensatz zu Andreas von Regensburg behandelte er die verschiedenen Linien des wittelsbachischen Hauses getrennt, indem er die Nachfahren Rudolfs und Ludwigs von Bayern sowie nach 1392 die Ingolstädter, Landshuter und Münchener Linie nacheinander in ihrer Abfolge nach Generationen bzw. staffeln behandelte.36 Auch wenn Ebran als Mitglied des turnierfähigen bayerischen Niederadels der einzige adlige bayerische Geschichtsschreiber ist, berücksichtigt seine Chronik nicht – wie häufig zu lesen ist – die ständische Komponente des niederbayrischen Herzogtums. Obwohl er seine landständischen Rechte durchaus nutzte, schrieb Ebran aus der Perspektive eines hohen adligen Funktionsträgers am Hof. Entsprechend stehen bei ihm die einzelnen Fürsten und ihre Abfolge im Mittelpunkt seiner Darstellung. Doch daneben versuchte er auch, die territoriale Entwicklung Bayerns zu behandeln und die Landesteilungen historisch einzuordnen.37 Damit erfasste er über die Darstellung der Dynastie die Geschichte des Landes. Darüber hinaus konkretisierte Hans Ebran seine Vorstellungen von der Dynastie und ihrer Bedeutung in Bayern. Er spricht nicht mehr nur von geschlecht, sondern setzt dieses auch in Bezug zum Land und zum Haus Bayern, wenn er etwa den Nutzen der Kriegsführung für das Land beurteilt oder die Fürsten an ihre Verpflichtung erinnert, den Besitz der Dynastie für ihre Nachkommen zu erhalten.38 In der zweiten, um 1490 abgeschlossenen Fassung seiner Chronik hat dann der Begriff des ‘Hauses Bayern’ eine konsistente Umdeutung erfahren. Hans Ebran benutzt ihn nicht mehr als Synonym für die Dynastie der Wittelsbacher, sondern bezeichnet damit den Raum ihrer Herrschaft. Er meint damit die Gesamtheit von Land und Leuten in Bayern ohne Rücksicht auf territoriale Grenzen zwischen den Teilherzogtümern.39 Bei Ulrich Füetrer hingegen war die Dynastie das zentrale Thema seiner Chronik. Dank der von Ebran gesammelten und mit der ersten Fassung seiner Chronik von 1479 neu erschlossenen Texte konnte Füetrer die gewaltigen Lücken, die Andreas von Regensburg in der Reihenfolge der ersten bayerischen Herzöge gelassen hatte, systematisch schließen. In der endgültigen, 1481 abgeschlossenen Fassung seiner Chronik bot Füetrer dann einen chronologisch stimmigen, lückenlosen genealogischen Entwurf der bayerischen Herzogsgalerie: Darin wurden Herrscherfolge und Familienbeziehungen bis zu den fabelhaften Vorfahren einer mythischen Vergangenheit zurückverfolgt, um so eine genealogische Kette ehrwürdiger und möglichst ruhmreicher Ahnen vorführen zu können. Ziel dieser doppelten genealogisch-historiographischen Argumentation war 36 Dieses Vorgehen beschreibt Hans Ebran ausführlich zu Beginn des zweiten Teils seiner
Chronik: Hans Ebran von Wildenberg, Chronik von den Fürsten aus Bayern, ed. F. ROTH (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte N.F. 2/1), München 1905 (ND Aalen 1969), S. 108. Vgl. S. DICKER, Landesbewusstsein (wie Anm. 8), S. 83 u. 93. 37 So explizit ebd., S. 92-93, 99 u. 105. 38 Ebd., S. 100-102. 39 Ebd., S. 107-108.
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es, die Identität von Herrschaftssukzession und Familienstamm zu erweisen, welcher seit den Zeiten Caesars die Herrschaft über das bayerische Territorium ausgeübt habe. Die Vorfahren waren zugleich Vorgänger im Amt; der jeweils regierende Herrscher war Nachkomme und Nachfolger zugleich.40 Füetrer verankerte die Geschichte des Landes in der Genealogie seiner Fürsten. Für ihn schien aufgrund der engen Verknüpfung der Geschichte Bayerns mit der in ihr regierenden herzoglichen Dynastie das Schicksal des Landes geradezu an der ununterbrochenen dynastischen Kontinuität der Herzogsreihe zu hängen. Anders als bei Hans Ebran spielt das Land Bayern keine eigenständige Größe in Füetrers Werk.41 Zur nachhaltigen Durchsetzung dieses dynastisch-genealogischen Konzepts gehört eine Stammtafel der bayerischen Herzöge,42 die 1501 mit einer kurzen Erläuterungsschrift als einzige bayerische Fürstenchronik in den Druck gelangt (Abb. 29). Die gedruckte Stammtafel liefert die bildliche Abbreviatur der beanspruchten genealogischen Kontinuität vom Urvater Bavarus bis zu dessen noch lebenden Nachfahren zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Zu Beginn der kurzen Chronik des Hans Wurm, die dem Stammbaum als historische Erläuterungsschrift beigegeben worden ist,43 werden die beiden fürstlichen Vettern Bavarus und Norix in küniglicher mayestat vorgestellt. In enger Anlehnung an Ulrich Füetrer wird ihre Herkunft von einem königlichen Geschlecht aus Armenien konstruiert. Anfänglich habe Norix Bavarus heftig bekämpft, dann seien beide durch die landsassen auch ander fürsten und heren ausgesöhnt und zu Brüdern gemacht worden. Als Norix ohne Nachkommen gestorben sei, habe er dem Bavarus sein Land, den ganzen nach ihm benannten Nordgau, der in der Chronik in seiner Ausdehnung mit seinen Flüssen, Gebirgen und Städten kurz umrissen wird, überlassen. Damit gilt sein Erbe Bavarus als eigentlicher Begründer des bayerischen Fürstenhauses.44 In der erläuternden Beischrift des Holzschnittes heißt es: Aber in Norix
40 Vgl. J.-M. MOEGLIN, Les ancêtres (wie Anm. 16), S. 177-185; DERS., Reich (wie
Anm. 35), S. 693-694, und S. DICKER, Landesbewusstsein (wie Anm. 8), S. 128-132.
41 Vgl. ebd., S. 133. 42 Die ca. 1,60 m hohe und 0,85 m breite, aus 12 Blättern zusammengesetzte und auf
Bretter aufgezogene Stammtafel befindet sich heute im Bayerischen Nationalmuseum München, Inv.-Nr. NN 1001; eine Schwarz-Weiß-Abbildung bei J.-M. MOEGLIN, Les ancêtres (wie Anm. 16), nach S. 283, fig. VI. 43 Faksimile-Edition und Einleitung von G. LEIDINGER, Chronik und Stamm der Pfalzgrafen bei Rhein und Herzöge in Bayern. Die älteste gedruckte bayerische Chronik, zugleich der älteste Druck der Stadt Landshut in Bayern (Drucke und Holzschnitte des XV. und XVI. Jahrhunderts 7), Straßburg 1901. Zu Hans Wurm und seiner literarischen und kunsthandwerklichen Tätigkeit vgl. ebd., S. 19-30. 44 G. LEIDINGER (Hg.), Chronik und Stamm (wie Anm. 43), fol. a II r-v; vgl. J.-M. MOEGLIN, Les ancêtres (wie Anm. 16), S. 197-198.
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ward derselb asst abgehawen, dann er kein erben liess. Aber auss Bauarij prust wechst ein roter stamm vnd wirt blutstamm genannt.45 Zur Symbolisierung der ununterbrochenen genealogischen Kontinuität von den regierenden Wittelsbachern zurück bis zu dem angesehenen Ahnherrn hat der Autor den Begriff des blutstams eingeführt, der im Bild des Holzschnitts aus der Brust des Bavarus wächst. Ihm gehören alle Träger der Genealogie an, deren Nachfahren zur Zeit der Niederschrift noch nicht ausgestorben waren. Nach Auskunft der Erläuterungsschrift werden diese genealogischen Verhältnisse in der Stammtafel durch farbige Linien angezeigt: Gelb steht dabei für die königliche Linie, schwarz und grün für früher bzw. später ausgestorbene Zweige, und die rote Farbe symbolisiert die lückenlose Konstruktion eines legitimen Blutstammes von dem ersten vatter Bavare […] bis auf disen tag.46 Alle dargestellten Fürsten, die mit der roten Linie untereinander verbunden sind, gehören zu legitimen Zweigen des Gesamthauses. Zielte dieser Entwurf darauf, mit der Geschichte der Vettern Bavarus und Norix die durch die Landstände gestiftete Einheit des bayerischen Hauses zu beschwören und die Geschichte des Landes ganz in der Genealogie aller seit ‘Urzeiten’ in Bayern regierenden Wittelsbacher aufgehen zu lassen,47 entstand auf der Grundlage von Wurms Chronik und Stammbaum wenig später ein genealogischer Entwurf, der keinen Zweifel mehr daran ließ, dass allein die Linie Herzog Albrechts IV. und seiner Nachkommen zur Herrschaft in Bayern berechtigt seien. In den Landshuter Erbfolgestreitigkeiten, die nach dem Tod Herzog Georgs des Reichen im Jahre 1503 um die Einheit Altbayerns einsetzten, ließ sich Albrecht IV. als Retter des Hauses, als Wiederbegründer der alten bayerischen Einheit und als durch Haus- und Reichsrecht legitimierter letzter Vertreter der altbayerischen Linien darstellen.48 Genau in den entscheidenden Jahren des Konflikts um das niederbayerische Erbe verfasste der Ebersberger Prior Veit Stopfer ein historisches Lehrbuch für Albrechts Sohn Wilhelm IV. In diesem Chronicon Bavaricum wird die von Hans Wurm eingeführte symbolische Darstellung des Blutstamms vereindeutigt. Zu Beginn des 1504 geschriebenen Widmungsexemplars zieht sich über 12 Blätter eine genealogische Tabelle, in der eine linea sanguinis als exklusiv legitimierte Trägerin der Herrschaft hervorgehoben ist. Diese verläuft vom sagenhaften Urvater 45 G. LEIDINGER (Hg.), Chronik und Stamm (wie Anm. 43), S. 8. 46 Ebd., fol. a III r-v; vgl. auch J.-M. MOEGLIN, Les ancêtres (wie Anm. 16), S. 198. 47 Damit spielt die bayerische Stammessage in dieser Chronik eine nur untergeordnete
Rolle; zur Stammessage vgl. F. GRAUS, Lebendige Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter, Köln 1975, S. 109-111; M. MÜLLER, Die bayrische Stammessage in der Geschichtsschreibung des Mittelalters, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 40 (1977), S. 341-371, und J. WEISSENSTEINER, Tegernsee, die Bayern und Österreich. Studien zu Tegernseer Geschichtsquellen und der bayerischen Stammessage (Archiv für österreichische Geschichte 133), Wien 1983. 48 Vgl. R. STAUBER, Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 16), S. 392-394.
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Bavarus direkt bis zu Albrecht IV. und dessen Sohn Wilhelm. In dieser Darstellung haben die erwähnten Mitglieder der Pfälzer, Ingolstädter und Landshuter Linie keinen Anteil an der linea sanguinis und deshalb auch keine Legitimität zur Herrschaft in Bayern.49 Damit wird das Ideal einer Erbfolgeregelung nach Primogeniturrecht aus Münchener Perspektive beschrieben, die tatsächlich im Jahre 1516 in Form einer Primogeniturordnung für den bayerischen Zweig des Hauses zustande kam.50 Vor dem Hintergrund von Albrechts exklusiv-expansiver Herrschaftslegitimation konnte das von Füetrer geschaffene und fortan durch den Münchener Hof verbreitete und ausgebaute genealogische Programm, das Dynastie und Fürsten als stringentes Gliederungsprinzip übernahm, als Argument für die politische Integration des Landes dienen. Gestärkt wurde sein legitimatorisches Potential durch die in der Chronik des Hans Wurm erstmals greifbare historische Konstruktion, mit der eine unauflösliche natürliche Bindung zwischen der regierenden Erbdynastie und den im Haus Bayern versammelten Ständen und Untertanen behauptet wurde. Trotz aller innerdynastischen Schwierigkeiten hatte sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts ein gesamtdynastisches Bewusstsein entwickelt, das im Begriff des ‘Hauses Bayern’ verkörpert war und rasch zur leitenden Idee für die Staatskonzeption Albrechts IV. wurde. Dieser stellte über das teilherzogliche Territorialbewusstsein, das seine Brüder und wittelsbachischen Verwandten pflegten, ein gesamtbayerisches Haus- und Herrschaftsbewusstsein als Anspruch und Leitbild. Durch die Konstruktion einer langen und lückenlosen genealogischen Reihe von Herzögen wurde die Einheit des bayerischen Stammes, die Existenz Bayerns als politisches Gebilde seit uralten Zeiten und die Identifizierung der Wittelsbacher mit den Herzögen von Bayern betont.51 Gleichzeitig artikulierte sich jedoch in der Historiographie – angeregt durch humanistische Einflüsse – es in Verständnis von Land, das durch geographische und topographische Elemente geprägt war. Widmete sich bereits Matthias von Kemnath in seiner Chronik um 1475 neben dem Lob seines Fürsten auch der 49 Vgl. C. WILLIBALD, Das Chronicon Bavarorum des Veit von Ebersberg, in: Zeitschrift
für bayerische Landesgeschichte 50 (1987), S. 493-541; zur genealogischen Argumentationsstrategie, die ihre Verdichtung in der Stammtafel des Widmungsexemplars clm 1229 der Bayerischen Staatsbibliothek München findet, vgl. J.-M. MOEGLIN, Les ancêtres (wie Anm. 16), S. 205; DERS., “Das Geblüt von Bayern” et la réunification de la Bavière en 1505. Les falsifications historiques dans l’entourage du duc Albert IV (1465-1508), in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica (München, 16.-19. September 1986) (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 33,1-33,5), 5 Bde., Hannover 1988, Bd. 1: Kongreßdaten und Festvorträge – Literatur und Fälschung, S. 471-496, bes. S. 488-496 (mit Abbildungen). 50 Vgl. R. STAUBER, Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 16), S. 395. Eine Auftragssituation bestand aber nicht, wie S. DICKER, Landesbewusstsein (wie Anm. 8), S. 194-195 nachweist. Veit wollte sich mit dieser Schrift wohl eher dem Fürsten bzw. den Prinzen als Historiker empfehlen. 51 Vgl. R. STAUBER, Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 16), bes. S. 376 u. 390-394.
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Residenzstadt Heidelberg und ihrer Umgebung und lieferte eine ausführliche Beschreibung Bayerns und des Fichtelgebirges im oberpfälzischen Landesteil,52 so wurde gegen Ende des 15. Jahrhunderts die regionale Historiographie zu einem Katalysator von Landesbewusstsein. Während zu Beginn des 15. Jahrhunderts die Herrschaftsrechte der Wittelsbacher in Bayern die Grundlage für das Landesbewusstsein bildeten, so rückte nun das Land zunehmend in den Vordergrund der Darstellung. Veit Arnpeck, der gelehrte Landshuter Pfarrer und Kaplan des Freisinger Bischofs Sixt von Tannberg, verstand in seiner Bayerischen Chronik die Herzöge anders als die höfischen Chronisten nicht als Dynastie, sondern er sah die Fürsten dem Haus zu Bayern untergeordnet. Im Mittelpunkt seiner Chronik stand daher nicht die dynastische Abfolge, sondern die provincia Bayern und ihre Bewohner. Die Dynastie bildet nur noch den formalen Rahmen seiner Chronik, die nicht mehr nach Herkunft und Genealogie der Wittelsbacher fragt, sondern nach Kontinuität der im Lande herrschenden Herzöge.53 Dieses neue Konzept erläutert Arnpeck programmatisch im Prolog seiner Chronik, die er 1495 dem Freisinger Bischof widmete. Dort verwendet er nicht mehr Termini wie domus Bavariae oder lateinische Entsprechungen des genealogischen Begriffs stammen, sondern er entwickelt hier nach dem Vorbild von Tacitus’ Germania sowie der Weltchronik des Hartmann Schedel und der Europa des Aeneas Silvius Piccolomini ein neues Bild von Bayern, das über das Land und seine Bewohner definiert wird. Daran schließt er eine Landesbeschreibung an, um Bayern aufgrund seiner Topographie, seiner Bodenschätze, Wirtschaft und der Herkunft seiner Bewohner als bedeutendste Provinz Deutschlands zu rühmen.54 Mit entsprechendem Interesse nahm Veit Arnpeck erstmals die Landstände im spätmittelalterlichen Bayern wahr, obwohl er als Weltkleriker nicht daran teilhatte und über ihre Tage nicht als Augenzeuge berichten konnte. Anders als seine Vorgänger, die die Landstände nur am Rande oder gar nicht behandelten, versteht er sie als Instanz von politischer Bedeutung in allen bayerischen Teilherzogtümern und beschwört ihr einvernehmliches Zusammenwirken mit den Fürsten bei außenpolitischen Entscheidungen wie in innerdynastischen Konflikten.55 Damit hat er erstmals eine Landeschronik mit einem breiten Themenspektrum entworfen, das die Genealogie der im Land regierenden Fürsten übersteigt. Obwohl ein solches Konzept völlig quer zu dem genealogisch-dynastischen Entwurf stand, den Veit von Ebersberg dem Münchener Prinzen Wilhelm IV. im Prolog und der Genealogie im Widmungsexemplar seiner Chronik vor Augen führte, hat auch der Ebersberger Prior im ersten Kapitel seiner Chronik eine Landesbeschreibung Bayerns entworfen, in der die provincia Bayern keineswegs mit dem Territorium der Wittelsbacher identifiziert wird. In dieser Landesbe52 53 54 55
Matthias von Kemnat, Chronik (wie Anm. 21), S. 7 u. 81-86. Vgl. S. DICKER, Landesbewusstsein (wie Anm. 8), S. 141, 173 u. 180. Ebd., S. 116-138 u. 180-181. Ebd., S. 163-166 u. 172-173.
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schreibung, die sich eng an das von Veit Arnpeck gelieferte Vorbild anlehnt, spielen denn auch die bayerischen Herzöge und die Wittelsbacher als regierende Dynastie kaum eine Rolle. Lediglich Bavarus als Namensgeber und primus dux wird genannt, vor allem um den Vorrang Bayerns gegenüber den benachbarten Regionen aufgrund der antiken Herkunft der Bayern zu belegen.56 Ebenso wie bei Matthias von Kemnath stehen die Identifikation des Landes mit der Genealogie der herrschenden Dynastie und seine historisch-topographische Beschreibung und Erfassung noch unverbunden nebeneinander. Diese beiden getrennten Formen von politischer Raumkonstruktion sind erst seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert in Kartenwerken zusammengeführt worden. Das Medium der Karte verfügte über verschiedene Typen von Zeichen, die auf spezifische Weise verschiedene Formen von Wissen speichern und verbreiten konnten. Durch skripturale, ikonische und diagrammatische Zeichen konnten Wissensfiguren höchst unterschiedlicher Logiken auf einer Ebene integriert werden.57 Während die Bayerischen Landtafeln Philipp Apians (Abb. 30) die einzelnen Bestandteile des Territoriums mit Wappen markieren, die aber immer noch durch das wittelsbachische Hauswappen zusammengefasst und dominiert werden,58 sind in der so genannten Großen Lubinschen Karte des Herzogtums Pommern (Abb. 31), die im Auftrag Herzog Philipps II. von Pommern-Stettin entstand, Genealogie des Herrscherhauses und kartographische Darstellung miteinander verschmolzen.59 56 Vgl. ebd., S. 204-206. 57 Vgl. J. GLAUSER / C. KIENING (Hgg.), Text – Bild – Karte. Kartographien der Vormo-
derne (Rombach Wissenschaften, Litterae 105), Freiburg 2007, Einleitung, S. 20, sowie die semiotischen Analysen von W. NOCH, Die Karte und ihre Territorien in der Geschichte der Kartographie, in: ebd., S. 39-68. 58 Philipp Apian / Jost Amman / Hieronymus Wolf, Bairische Landtafeln, XXIIII, [gewidmet] Alberto Com. Palatino Rheni, Ingolstadt 1568. Auf der fünften der insgesamt 24 Landtafeln sind neben dem kolorierten bayerischen Wappen das Flussgebiet von Rednitz und Schwarzach, die Städte Gunzenhausen, Weissenburg, Schwabach sowie einige individuell gestaltete Ortssignaturen abgebildet. Die Tafel zeigt auch noch die Wappen des ansbachischen Gunzenhausen und der Herren von Wolfstein bei ihrer Reichsherrschaft Sülzburg; Digitalisat des Exemplars Hbks/F 15 c = 2 Bavar. 55 der Bayerischen Staatsbibliothek unter dem persistenten Link: http://daten.digitale-sammlungen.de/ bsb00015528/image_1; vgl. auch H. WOLFF, Die Bayerischen Landtafeln – das kartographische Meisterwerk Philipp Apians und ihr Nachwirken, in: DERS. (Bearb.), Philipp Apian und die Kartographie der Renaissance (Auststellungskataloge Bayerische Staatsbibliothek 50), Wießenhorn 1989, S. 74-124 mit Abb. 66. 59 Eilhard Lubin, Karte des Herzogtum Pommern. Kupferstich von Nicolaes Geilkercken, 1617/18 auf 12 Blättern (125x221cm); Abbildung in: J. ERICHSEN (Hg.), 1000 Jahre Mecklenburg. Geschichte und Kunst einer europäischen Region. Landesausstellung Mecklenburg-Vorpommern 1995. Katalog zur Landesausstellung (Schloss Güstrow, 23. Juni - 15. Oktober 1995), Rostock 1995, S. 303. Schöpfer war der Rostocker Mathematikprofessor und Hebraist Eilhard Lubinus. Der Stammbaum der Pommern-Herzöge wächst oberhalb der Landkarte im Bereich der Ostsee aus einer Muschel heraus und zeigt
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Hinzu kommen Veduten, Grundrisse der Städte, Klöster und Schlösser sowie 353 Wappen der pommerschen Adelsfamilien. Im unteren Bereich der Karte findet sich verteilt über sieben Inschriftenblöcke eine lateinische Landesbeschreibung, die auf Nachweis der Herkunft des Herzogtums aus einem alten Königreich zielt.60 Damit wird im Medium der Karte ein umfassendes Ordnungsmodell fürstlicher Herrschaft repräsentiert, das durch genealogische, heraldische und historisch-topographische Darstellungsformen entworfen wird. Die untersuchten genealogischen Wissensfiguren und historiographischen Narrative zeigen deutlich: Genealogische Denkformen und Darstellungsmodelle repräsentieren immer auch politische Ordnungen. Die historiographische Erzählung, die durch gleichsam natürliche Argumente derartige Ableitungsvorgänge herstellt und zugleich erklärt, war in hohem Maße auf die Medien der Symbolik verwiesen.61 Die gemalten und gedruckten Fürstenreihen und Stammbäume, die die Chroniken nicht nur begleiteten, sondern ihnen im Prozess ihrer Entstehung bisweilen sogar vorausgingen, dienten dabei nicht nur als Transportmittel des genealogischen Wissens, sondern konstituierten dieses mit. Gleichwohl ging im Kontext der historiographischen Erzählung diese ‘Genealogik’ nicht unbedingt vollkommen auf. Historiographisches Erzählen erlaubte durchaus mehrsträngiges Argumentieren, das unterschiedliche Logiken zusammenführen konnte, ohne diese in einem homogenen Entwurf aufzulösen. So konnte eine Chronik durchaus genealogische, territoriale und historisch-topographische Darstellungsformen entwickeln, die unverbunden oder auch konkurrierend nebeneinander stehen und nicht einmal oberflächlich durch Paratexte miteinander verbunden werden. Besonders augenfällig wird dies durch den Vergleich mit Karten und Chorographien der frühen Neuzeit, in denen fürstliche Genealogie 157 Mitglieder des Greifenhauses mit Brustbildern in Medaillons; vgl. K. HECK, Genealogie als Monument (wie Anm. 4), S. 267. 60 E. JÄGER / R. SCHMIDT (Hgg.), Die große Lubinsche Karte von Pommern aus dem Jahr 1618 (Quellen zur Geschichte der deutschen Kartographie 2), Lüneburg 1980; vgl. auch R. SCHMIDT, Die ‘Pommerania’ als Typ territorialer Geschichtsdarstellung und Landesbeschreibung des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts, in: H.-B. HARDER (Hg.), Landesbeschreibungen Mitteleuropas vom 15. bis 17. Jahrhundert. Vorträge der 2. internationalen Tagung des Slawenkomitees im Herder-Institut Marburg an der Lahn (10.-13. November 1980) (Schriften des Komitees der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung der Slawischen Studien 5), Köln 1983, S. 49-78. Auf die Rantzau-Karte als einen anspruchsvollem Vorläufer dieser Darstellungsform aus ritterschaftlichem Adel, welcher Stammbaum, Wappen, Karte, Inschriften und Denkmäler verbindet, weist hin: O. AUGE, Adlige Selbstdarstellung und Legitimation um 1600. Die sog. Rantzauische Tafel auf Krengerup (Fünen), in: Nordelbingen. Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte Schleswig-Holsteins 80 (2011), S. 35-55, zur Lubinschen Karte vgl. ebd. S. 46-50 mit Abb. 6. 61 Vgl. S. WEIGEL, Genealogie. Zu Ikonographie und Rhetorik einer epistemologischen Figur in der Geschichte von Kultur- und Naturwissenschaft, in: H. SCHRAMM / H. C. VON HERRMANN / F. NELLE / W. SCHÄFFNER / H. SCHMIDGEN / B. SIEGERT (Hgg.), Bühnen des Wissens. Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst, Berlin 2003, S. 226267, bes. S. 231; wieder in: S. WEIGEL, Genea-Logik (wie Anm. 2), S. 21-58.
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und beanspruchter Raum, dynastische Herrschaft und Land medial überblendet werden. Darin hatte die Genealogie als Medium der politischen Raumordnung zwar ihre exklusive Stellung verloren, blieb aber noch lange ein unverzichtbares Element der Produktion und Repräsentation von historischem Wissen.
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Idoneität der Dynastie versus wechselnde Räume Die Chronik Georg Spalatins über die Sachsen und Thüringer
Im Jahre 1510 erteilte Friedrich der Weise von Sachsen-Wittenberg1 (14631525) seinem Hofhistoriographen Georg Spalatin2 (1484-1545) den Auftrag, eine Chronik des kurfürstlich-sächsischen Hauses aus der Dynastie der Wettiner zu schreiben,3 die sowohl den Ursprung der Sachsen, Thüringer und Meißner als auch ihre Geschichte bis in die eigene Zeit behandeln sowie mit der Darstel1
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Der Vortragsstil wurde weitgehend beibehalten und nur durch die notwendigen Belege ergänzt. Zu diesem Kurfürsten siehe: J. HOFSOMMER, Friedrich der Weise und die Reformation, Norderstedt 2008; K. KÜHNEL, Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen. Eine Biographie, Wittenberg 2004; I. LUDOLPHY, Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen (1463-1525), Göttingen 1984. Hier nur eine Auswahl biographischer Abhandlungen über Georg Spalatin als Hofhistoriograph, Bibliothekar, Prinzenerzieher und Reformator: B. SCHMALZ, Georg Spalatin und sein Wirken in Altenburg (1525-1545) (Veröffentlichungen des Thüringischen Staatsarchivs Altenburg), Beucha 2009; W. FLACH, Georg Spalatin als Geschichtsschreiber. Beiträge aus Spalatins Nachlaß im Thüringischen Staatsarchiv Weimar (Nachdruck des Aufsatzes aus O. KORN [Hg.], Zur Geschichte und Kultur des Elb-Saale-Raumes. Festschrift für Walter Möllenberg, Burg bei Magdeburg 1939, S. 211-230), in: C. MECKELNBORG / A.-B. RIECKE, Georg Spalatins Chronik der Sachsen und Thüringer. Ein historiographisches Großprojekt der Frühen Neuzeit (Schriften des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar 4), Köln/Weimar/Wien 2011, S. 623-641; I. HÖSS, Georg Spalatin 1484-1545. Ein Leben in der Zeit des Humanismus und der Reformation, Weimar 1989; A. KLEEBERG, Georg Spalatins Chronik für die Jahre 1513 bis 1530, Borna/Leipzig 1919; A. SEELHEIM, Georg Spalatin als sächsischer Historiograph. Ein Beitrag zur Geschichtsschreibung des Reformationszeitalters, Halle 1871; D. STIEVERMANN, Marschalk (ca. 1470-1525), Spalatin (1484-1545), Mutian (ca. 1470-1526), Hessus (1488-1540) und die Erfurter Humanisten, in: D. VON DER PFORDTEN (Hg.), Große Denker Erfurts und der Erfurter Universität, Göttingen 2002, S. 118-142; J. WAGNER, Georg Spalatin und die Reformation der Kirchen und Schulen in Altenburg, Altenburg 1830. Zu den Wettinern siehe: J. FLECKENSTEIN, Zum Aufstieg der Wettiner. Bemerkungen über den Zusammenhang und die Bedeutung von Geschlecht, Burg und Herrschaft in der mittelalterlichen Adels- und Reichsgeschichte, in: M. KINTZINGER / W. STÜRNER / J. ZAHLTEN (Hgg.), Das Andere Wahrnehmen. Beiträge zur europäischen Geschichte. August Nitschke zum 65. Geburtstag gewidmet, Köln 1991, S. 83-99; S. PÄTZOLD, Die frühen Wettiner. Adelsfamilie und Hausüberlieferung bis 1221 (Geschichte und Politik in Sachsen 6), Köln/Weimar/Wien 1997; F.-L. KROLL (Hg.), Die Herrscher Sachsens. Markgrafen, Kurfürsten, Könige (1089-1918), München 2004; J. ROGGE, Die Wettiner. Aufstieg einer Dynastie im Mittelalter, Ostfildern 2005; K. SCHMID, Die Nachfahren Widukinds, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 20 (1964), S. 1-47.
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lung des regierenden Fürsten enden sollte (Abb. 32). Um es gleich vorwegzunehmen, diesen fürstlichen Willen hat er in der Endkonsequenz nicht erfüllt. Die Chronik blieb unvollendet und von der Forschung bisher fast völlig unberücksichtigt.4 Im Bewusstsein der zeitnahen Wettiner ist sie jedoch geblieben, denn um 1585 fertigte man eine Kopie mit wenigen Abweichungen am Hofe Herzog Friedrich Wilhelms von Sachsen-Weimar an, die sich heute in der Forschungsbibliothek Gotha (Thüringen) befindet.5 Sachsen-Gotha hingegen war ein selbständiges Fürstentum in der Neuzeit. Große Teile, insgesamt drei Folianten, befanden sich aber im Fürstentum Sachsen-Coburg und der vierte Teil im Herzogtum Sachsen-Weimar. Den Auftrag zur Anfertigung einer Kopie erteilte Dorothea Susanna von Sachsen-Weimar. Nachweislich hat sie ihr Sohn Herzog Johann Philipp von Sachsen-Altenburg gelesen. Daraus folgt, dass das gesamte kopierte Werk in ein anderes Fürstentum am Ausgang des 16. Jahrhunderts gelangt sein muß, zumindest für das Ausfertigen einer Zweitschrift.6 Sachsen-Weimar und Sachsen-Gotha befinden sich in Thüringen und haben nichts gemein mit Sachsen im Frühmittelalter und dem Sachsen wie wir es heute kennen. Sachsen-Altenburg nimmt eine Zwischenstellung ein zwischen Thüringen und dem obersächsisch-meißnischen Raum. Erst 1423 begann man diesem Gebiet den Namen Sachsen zu geben.7 Die Landesbibliothek Coburg bewahrt drei Bände der Chronik in den Maßen von 46 x 31 cm auf.8 Kodikologischen Untersuchungen zufolge wurden diese 1516/17 gebunden. Der IV. Band kann heute im Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar eingesehen werden.9 Die Papiermaße weichen unwesentlich von den Coburger Exemplaren ab. Die buchbinderische Zusammenführung der in einzelnen Lagen überlieferten Sammlung erfolgte erst 1583, also kurz vor der Abschrift aller Teile. Dies bedeutet zudem, dass laut testamentarischer Verfügung Spalatins das Gesamtwerk nach seinem Ableben 1545 an den Hof von
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Erst jüngst erschien eine umfängliche monographische Abhandlung zur Entstehung der Chronik und deren Überlieferungsgeschichte. Besonders wertvoll sind neben den kodikologischen Untersuchungen die Beschreibung der Inhalte aller Bände und Kopien sowie die Beschreibung der Materialbände: C. MECKELNBORG / A.-B. RIECKE, Georg (wie Anm. 2). Siehe weiterhin zur Chronik: C. MECKELNBORG / A.-B. RIECKE, Die “Chronik der Sachsen und Thüringer” von Georg Spalatin, in: R. BENTZINGER / U.-D. OPPITZ (Hgg.), Fata Libellorum. Festschrift für Franzjosef Pensel zum 70. Geburtstag (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 648), Göppingen 1999, S. 131-162. Zu den Kopien in Gotha und Abschriften der Materialbände siehe: C. MECKELNBORG / A.-B. RIECKE, Georg (wie Anm. 2), S. 297-321. Zur Geschichte der Chronikhandschriften siehe ebd., S. 189-250. Zur sächsischen Landesgeschichte siehe: K. BLASCHKE, Geschichte Sachsens im Mittelalter, Berlin 1990; K. CZOK (Hg.), Geschichte Sachsens, Weimar 1989; R. KÖTZSCHKE / H. KRETZSCHMAR, Sächsische Geschichte, Augsburg 1995. Landesbibliothek Coburg, MS Cas 9, MS Cas 10, MS Cas 11. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. O 21.
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Kurfürst Johann Friedrich dem Großmütigen kam.10 Er war ein Neffe des Auftraggebers, also des Kurfürsten Friedrich des Weisen. Jener Johann Friedrich der Großmütige verlor die Schlacht bei Mühlberg 1547, und nicht nur diese, sondern vor allem den Titel des Kurfürsten von Sachsen-Wittenberg.11 Aus der Gefangenschaft entlassen, zog er sich auf seine allodialen Güter in Thüringen zurück und behielt den rangniederen Titel eines Herzogs von Sachsen. Nach dem Ableben seines Bruders Johann Ernst erbte er das Coburger Land. So kam aus dynastischen Gründen der Name Sachsen in das fränkische Gebiet.12 Ich möchte nicht weiter auf die komplizierten und komplexen Zusammenhänge der ernestinisch-thüringischen Wettiner im 16. Jahrhundert und die zahlreichen Teilungen eingehen.13 Aber in der mehr als kurzen Auflistung der Überlieferungsgeschichte des Werkes von Georg Spalatin sollte ein grundlegendes Problem deutlich werden, vor welchem auch der Chronist 1510 bei der Auftragserteilung stand.14 Was gibt es an Verbindendem und Zusammenhaltendem 10 J. BAUER / B. HELLMANN (Hgg.), Verlust und Gewinn. Johann Friedrich I., Kurfürst von
Sachsen (Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte 8), Weimar/Jena 2003.
11 H. JADATZ, Der Schmalkaldische Krieg und die Wittenberger Kapitulation, in: R. EIGEN-
(Hg.), Zäsuren sächsischer Geschichte, Markkleeberg 2010, S. 94-117; E. BÜNZ, Eine Niederlage wird bewältigt. Die Ernestiner und Kursachsen 1547 bis 1554, in: K. BLASCHKE (Hg.), Moritz von Sachsen. Ein Fürst der Reformationszeit zwischen Territorium und Reich (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 29), Leipzig 2007, S. 94-117; W. HELD, 1547. Die Schlacht bei Mühlberg/Elbe. Entscheidung auf dem Wege zum albertinischen Kurfürstentum Sachsen, Beucha 1997; S. ISSLEIB, Die Wittenberger Kapitulation von 1547, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte und Altertumskunde 12 (1891), S. 272-297. 12 T. NIKLAS, Das Haus Sachsen-Coburg. Europas späte Dynastie (Urban-Taschenbücher 583), Stuttgart 2002. 13 R. BUTZ / L.-A. DANNENBERG / B. STREICH, Sachsen, Kurfürstentum, Kurfürsten von [B.2.], in: W. PARAVICINI (Hg.), Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, Teilband 1: Dynastien und Höfe (Residenzenforschung 15/1), 2 Bde., Sigmaringen 2003, Bd. 1, S. 446-454; R. BUTZ / L.-A. DANNENBERG, Sachsen [B.7.]; in: ebd., S. 880-884; T. KLEIN, Politik und Verfassung von der Leipziger Teilung bis zur Teilung des ernestinischen Staates, in: H. PATZE (Hg.) Geschichte Thüringens, Bd. 3: Zeitalter des Humanismus und der Reformation (Mitteldeutsche Forschungen 48), Köln/Wien 1967, S. 146-294; DERS., Ernestinisches Sachsen, kleinere thüringische Gebiete, in: A. SCHINDLING / W. ZIEGLER (Hgg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650, Bd. 4: Mittleres Deutschland (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 52), Münster 1992, S. 9-39; G. KÖBLER, Sachsen und nachfolgende Artikel, in: Historisches Lexikon der deutschen Länder. Die deutschen Territorien und reichsunmittelbaren Geschlechter vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Beck’s Historische Bibliothek), München 51995, S. 523-533. 14 Zur Geschichtsschreibung im obersächsisch-meißnischen Raum siehe: B. MARQUIS, Meißnische Geschichtsschreibung im späten Mittelalter (ca. 1215-1420), München 1998. Georg Spalatin gibt in seiner Chronik auch einen Teil seiner Quellen an, aus denen er seine Informationen hat. Georg Spalatin, Chronik der Sachsen und Thüringer, Landesbibliothek Coburg, MS Cas 9, fol. 129v. WILL
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bei der Abfassung einer Geschichte der Sachsen und Thüringer, wenn sich ständig der politisch-administrativ determinierte Raum ändert? Wo bleibt das einigende Band? Geschrieben in Sachsen-Wittenberg, aufbewahrt teilweise in Sachsen-Coburg, später Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Weimar, gelesen in Sachsen-Altenburg und heute bekannt unter dem Titel “Chronik der Sachsen und Thüringer”. Wenn man den Nachlaß Georg Spalatins anschaut, findet man die ursprüngliche Konzeption seines Werkes. Er wollte (?) oder sollte eine Geschichte der Sachsen, Thüringer und Bayern schreiben. Aus ungeklärten Gründen entfiel die Geschichte Bayerns. Eventuell erleichtert uns das Auslassen der bayerischen Komponente das Verständnis für dieses Werk.15
* Nach umfangreichen Vorarbeiten beschrieb Georg Spalatin in der Zeit von 1515-1517 insgesamt vier großformatige und prächtig ausgestattete Folianten mit weit über 1000 Seiten. Das Werk zieren ca. 1800 Illustrationen aus der Werkstatt von Lucas Cranach d. Älteren und dennoch gilt dieses Werk als nicht abgeschlossen, denn bis zu seinem Tode 1545 sammelte er Material, um die ca. 200 leeren Seiten nach der Bindung zu Büchern zu vervollständigen.16 Dass er dies wirklich beenden wollte, zeigen die vorgezeichneten Hilfslinien und die Rahmenmarkierungen für die noch einzufügenden Illustrationen. Neben seiner Tätigkeit als Historiograph war er auch für den Aufbau der Bibliothek in der Residenz- und Universitätsstadt Wittenberg verantwortlich, was ihn bis 1536 beschäftigte. Zudem übertrug man ihm die Erziehung der Prinzen Otto und Ernst von Braunschweig-Lüneburg. Außerdem fungierte er als Hofprediger und arbeite in der Kanzlei des kurfürstlichen Hofes in Wittenberg. Dort fertigte er 15 C. MECKELNBORG / A.-B. RIECKE, Georg (wie Anm. 2), S. 35. 16 C. ANDERSON, Die Spalatin-Chronik und ihre Illustrationen aus der Cranach-Werkstatt,
in: C. GRIMM / J. ERICHSON / E. BROCKHOFF (Hgg.), Lucas Cranach. Ein Maler-Unternehmer aus Franken. Katalog zur Landesausstellung Festung Rosenberg, Kronach 17. Mai – 21. August 1994, Augsburg 1994, S. 208-217; E. BIERENDE, Lucas Cranach d.Ä. und der deutsche Humanismus. Tafelmalerei im Kontext von Rhetorik, Chroniken und Fürstenspiegeln (Kunstwissenschaftliche Studien 94), München 2002; E. BIERENDE, Die wettinischen Geschichtsmythen in der Bilderwelt Lucas Cranachs d. Ä., in: H. MARX (Hg.), Glaube und Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit. Aufsätze, Dresden 2004, S. 55-76; W. LIPPERT, Das “sächsische” Stammbuch. Eine Sammlung sächsischer Fürstenbildnisse, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte und Altertumskunde 12 (1891), S. 64-85; F. EISERMANN, Fürstliche Bücherlust. Kostbarkeiten der Forschungsbibliothek Gotha. Katalog zur Sommerausstellung der Universitäts- und Forschungsbibliothek Gotha/Erfurt im Spiegelsaal auf Schloß Friedenstein Gotha, 1. Juli bis 3. Oktober 2004. Aus den Sammlungen der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’schen Stiftung für Kunst und Wissenschaft (Veröffentlichungen der Forschungsbibliothek Gotha 41), Gotha 2004.
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vorrangig Übersetzungen an. Neben der Chronik verfasste er noch folgende historiographische Werke: eine Biographie des Kurfürsten Friedrichs des Weisen, eine Chronik über das Herkommen der Kurfürsten von Sachsen als Streitschrift gegen die Herzöge von Sachsen-Lauenburg, die ebenfalls diesen Titel für sich beanspruchten, ein Stammbuch der Sachsen sowie eine Abhandlung über den Germanenfürsten Arminius und die Varus-Schlacht.17 Aufgrund der Vielzahl der Verpflichtungen wird verständlich, warum sein Hauptwerk unvollendet blieb. Es sei noch erwähnt, dass der Titel der Chronik der Sachsen und Thüringer erst 1960 durch Franz Georg Kaltwasser eingeführt wurde, als er einen Handschriftenkatalog der Coburger Landesbibliothek veröffentlichte.18 Georg Spalatin fertigte kein Titelblatt und kein Inhaltsverzeichnis an. Aus seiner Korrespondenz wird ersichtlich sowie an wenigen Stellen seiner Abhandlung deutlich, dass er dieses Werk als eine kurfürstliche Chronik betrachtete und auch so bezeichnete.19 Die letzten 20 Lebensjahre wirkte Georg Spalatin in Altenburg und setzte sich vor allem für die Reformation und das Schulwesen ein.20
* Wir haben also eine Geschichte Sachsens und Thüringens von den Anfängen bis zu seiner Gegenwart vor uns liegen. Der Name Sachsen hat sich territorial oder politisch-administrativ massiv geändert vom 9. bis zum 16. Jahrhundert. Der Begriff wanderte vom Gebiet zwischen Weser und Ems sowie dem Harzvorland im 9. Jahrhundert zum Mittelelb-Saale-Gebiet unter Einschluß des Thüringer Beckens bis hin in die Ober- und Niederlausitz und Oberfranken im
17 Georg Spalatin, Chronica vnd Herkomen der Churfürsten, vnd Fürsten, des loblichen
Haus zu Sachsen, Jegen Hertzog Heinrichs zu Braunschweig, welcher sich den Jungern nennet, herkomen. Daraus ein jeder Leser befinden wird, mit was offentlich vngrund, vnd vnwar-heit derselbe sich elders herkomens gerhümbt, Wittenberg 1535; Georg Spalatin, Von dem thewern deudschen Fürsten Arminio / ein kurtzer auszug aus glaubwird. lat. Historien, Wittenberg 1535; Georg Spalatin, Friedrichs des Weisen Leben und Zeitgeschichte. Aus der Originalhandschrift hg. v. C. G. NEUDECKER / L. PRELLER (Georg Spalatin’s historischer Nachlaß und Briefe 1), Jena 1851. 18 F. G. KALTWASSER, Die Handschriften der Bibliothek des Gymnasiums und der ScheresZieritz-Bibliothek, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 5 (1960), S. 30-34; DERS., Die Schloßbibliothek des Herzogs Johann Casimir von Sachsen-Coburg (1564-1633). Die Auffindung ihrer der Plünderung entgangenen Reste. Mit einem Anhang: Bücher des Herzogs Johann Ernst von Sachsen-Coburg (1521-1553), in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 6 (1961), S. 13-26. 19 C. MECKELNBORG / A.-B. RIECKE, Georg (wie Anm. 2), S. 34f. 20 J. WAGNER, Spalatin (wie Anm. 2); B. SCHMALZ, Spalatin (wie Anm. 2).
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Spätmittelalter. Im Folgenden verwende ich naturräumlich-topographische Begriffe, wobei die Problematik jedes Einzelnen zu beachten ist.21 Im Projekt C “Dynastie, Idoneität und Transzendenz. Vergleichende Untersuchungen zum hohen und späten Mittelalter” des Sonderforschungsbereiches 804 gehen wir bei den einzelnen Untersuchungsgebieten von einer Einheit von Dynastie, politisch-administrativ strukturiertem Raum und etabliertem Adel aus. Wo diese augenscheinlich nicht vorlag, wurde mit Hilfe genealogischer Konstruktionen die Trias hergestellt. Als Unhinterfragbar kann eine monarchische Herrschaft, die transzendent begründet und legitimiert war, bezeichnet werden. Die Gemeinsinnigkeit ist ihr immanent. Unabhängig davon, wie ein Herrschaftsträger zu seinem Amt kam, sei es durch Erbe oder Belehnung, bedurfte es zur Legitimierung keiner metaphysischen Transzendenz. Es musste nur die Idoneität des Amtsinhabers begründet werden. Dies kann man durch eine lange Vorfahrenreihe sowie durch ausreichende Belege tugendhaften Verhaltens der zuvor herrschenden Personen erreichen und verdeutlichen, so dass der gegenwärtige Herrscher als derzeit letztes Glied dies alles in sich vereint. Schwieriger ist die Frage des Raumwechsels für eine Dynastie zu begründen. Der schillernde Begriff des Raumes kam in letzter Zeit verstärkt in den Fokus der Forschung.22 21 M. KOBUCH, Der Weg des Namens Sachsen, in: Sachsen und die Wettiner. Chancen und
Realitäten (Dresdener Hefte, Sonderband 1989), S. 29-35.
22 J. ROGGE, Politische Räume und Wissen. Überlegungen zu Raumkonzepten und deren
heuristischen Nutzen für die Stadtgeschichtsforschung (mit Beispielen aus Mainz und Erfurt im späten Mittelalter), in: DERS. (Hg.), Tradieren – Vermitteln – Anwenden. Zum Umgang mit Wissensbeständen in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten (Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften 6), Berlin 2008, S. 115-154; J. A. AERTSEN / A. SPEER (Hgg.), Raum und Raumvorstellungen im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 25), Berlin 1998; E. BÜNZ, Das Land als Bezugsrahmen von Herrschaft, Rechtsordnung und Identitätsbildung. Überlegungen zum spätmittelalterlichen Landesbegriff, in: M. WERNER (Hg.), Spätmittelalterliches Landesbewußtsein in Deutschland (Vorträge und Forschungen 61), Ostfildern 2005, S. 53-92; P. CZERWINSKI, Exempel einer Geschichte der Wahrnehmung, Bd. 2: Gegenwärtigkeit. Simultane Räume und zyklische Zeiten. Formen von Regeneration und Genealogie im Mittelalter, München 1993; J. EHLERS, Sachsen. Raumbewußtsein und Raumwahrnehmung in einer neuen Zentrallandschaft des Reiches, in: B. SCHNEIDMÜLLER / S. WEINFURTER (Hgg.), Ottonische Neuanfänge. Symposium zur Ausstellung “Otto der Große, Magdeburg und Europa”, Mainz 2001, S. 37-50; F.-R. ERKENS, Sakral legitimierte Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume. Versuch eines Überblicks, in: DERS., Die Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume, Berlin 2002, S. 7-32; K. FEHN, Persistente Kulturlandschaftselemente. Wichtige Quellen für Historische Geographie und Geschichtswissenschaft, in: U. DIRLMEIER / G. FOUQUET (Hgg.), Menschen, Dinge und Umwelt in der Geschichte. Neue Nachfragen der Geschichtswissenschaft an die Vergangenheit (Sachüberlieferung und Geschichte 5), St. Katharinen 1989, S. 1-26; S. GÜNZEL, Raumwissenschaften (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1891), Frankfurt a. M. 2009; K.-S. REHBERG / W. SCHMITZ / P. STROHSCHNEIDER (Hgg.), Mobilität – Raum – Kultur. Erfahrungswandel vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Kulturstudien 1), Dresden 2005; A. GOSZTONYI, Der Raum. Geschichte seiner Probleme in Philosophie und Wissenschaft, 2 Bde. (Orbis academicus 1. Geisteswissenschaftliche
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Susanne Rau hat dies jüngst systematisierend getan.23 Sie bezieht sich dabei vor allem auf Karl-Siegbert Rehberg,24 Martina Löw,25 Maurice Halbwachs,26 Christoph Dartmann, Marian Füssel und Stephanie Rüther,27 um nur einige zu nennen. Diese arbeiteten heraus, dass ein Ort mehrere Räume haben kann und Orte zur Herausbildung des Identischen dienen. Für unsere Fragestellung wäre der Ort die Gegebenheit, wo ein christlich legitimierter Herrscher den Anfang
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Abteilung 14), München 1976; K. HECK, Genealogie als Monument und Argument. Der Beitrag dynastischer Wappen zur politischen Raumbildung der Neuzeit (Kunstwissenschaftliche Studien 98), München/Berlin 2002; C. HOFFSTADT, Denkräume und Denkbewegungen. Unter-suchungen zum metaphorischen Gebrauch der Sprache der Räumlichkeit (EUKLID – Europäische Kultur und Ideengeschichte. Studien 3), Karlsruhe 2009; F. IRSIGLER, Raumerfahrung und Raumkonzepte im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: G. BRUNN (Hg.), Region und Regionsbildung in Europa. Konzeption der Forschung und empirische Befunde (Schriftenreihe des Instituts für Europäische Regionalforschungen 1), Baden-Baden 1996, S. 163-174; M. JAMMER, Das Problem des Raumes. Die Entwicklung der Raumtheorien, Darmstadt 21980; U. KUNDERT / B. SCHMID / R. SCHMID (Hgg.), Ausmessen – Darstellen – Inszenieren. Raumkonzepte und die Wiedergabe von Räumen in Mittelalter und früher Neuzeit, Zürich 2007; M. LÖW, Raumsoziologie (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1506), Frankfurt a. M. 2001; K. SCHLÖGEL, Im Raum lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik (Fischer 16718), Frankfurt a. M. 2006; B. SCHÖNEMANN, Region als Konstrukt, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 135 (1999), S. 153-187; M. WELTIN, Der Begriff des Landes bei Otto Brunner und seine Rezeption durch die verfassungsgeschichtliche Forschung, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung, Germanist. Abt. 107 (1990), S. 341-376; K.-H. SPIESS (Hg.), Landschaften im Mittelalter, Stuttgart 2006; U. STÖRMERCAYSA, Grundstrukturen mittelalterlicher Erzählungen. Raum und Zeit im höfischen Roman, Berlin 2007; J. M. LOTMAN, Die Struktur literarischer Texte (UTB 103), München 31989; DERS., Die Struktur des künstlerischen Textes (Edition Suhrkamp 582), Frankfurt a. M. 1973; G. MELVILLE, “Klosterlandschaft”. Über den Umgang mit einem problematischen Begriff, in: W. SCHREIBER / C. GRUNER (Hgg.), Raum und Zeit. Orientierung durch Geschichte, Neuried 2009, S. 219-237; S. RAU (Hg.), Raumkonzepte – Raumwahrnehmungen – Raumnutzungen (Mittelalter – Frühe Neuzeit) / Espaces: Concepts – Perceptions – Usa-ges (Moyen Age – Époque moderne), Paris 2011 (Internetressource: www.perspectiva. net/content/publikationen/discussions/5-2010/rau_editorial; Zugriff am: 18.12.2012); DIES., Räume. Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen (Historische Einführungen 14), Frankfurt a. M. 2013; B. BELINA, Staat und Raum (Staatsdiskurse 26), Stuttgart 2013. S. RAU, Raum und Religion. Eine Forschungsskizze, in: S. RAU / G. SCHWERHOFF (Hgg.), Topographien des Sakralen. Religion und Raumordnung in der Vormoderne, Hamburg/München 2008, S. 10-35. K.-S. REHBERG, Machträume als Objektivationen sozialer Beziehungen – Institutionenanalytische Perspektiven, in: C. HOCHMUTH / S. RAU (Hgg.), Machträume der frühneuzeitlichen Stadt (Konflikte und Kultur 13), Konstanz 2006, S. 41-55. M. LÖW, Raumsoziologie (wie Anm. 22). M. HALBWACHS, La topographie légendaire des Évangiles en terre sainte. Étude de mémoire collective (Bibliothèque de philosophie contemporaine), Paris 1941. C. DARTMANN / M. FÜSSEL / S. RÜTHER (Hgg.), Raum und Konflikt. Zur symbolischen Konstituierung gesellschaftlicher Ordnung in Mittelalter und Früher Neuzeit (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 5), Münster 2004.
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seines politischen Handelns und Wirkens hatte, sozusagen die Wiege, der Ursprung. Raum kann man daraus folgend als eine Organisationsform des Nebeneinanders betrachten, in der sich Differenz einschleicht nach Löw. Auf den Ursprungsort wird immer Bezug genommen und von dort ausgehend überlappen sich die Räume. Träger dieser Ausstrahlung sind die Dynasten, die über das Blut die Traditionen, die oft mit Mythenbildungen gepaart sind, weitergeben. Die Kontinuität wird gewahrt, Brüche bleiben somit idealerweise aus, nur die Organisationsform wandelt sich.
* Genau vor diesem Problem stand Kurfürst Friedrich der Weise von SachsenWittenberg 1510, als er Spalatin den Auftrag zur Anfertigung der Chronik gab. Er musste seine gegenwärtige Position, die durchaus nicht gefestigt war, im Kurfürstentum behaupten. Denn er war der erste Kurfürst, der als nicht im Raum etablierter Herrscher in der namengebenden Stadt residierte. 1423 erhielten die Wettiner den Rang eines Kurfürsten von Sachsen-Wittenberg.28 Ihre ursprünglichen Zentren befanden sich aber in Leipzig, Dresden und Meißen (in der alten Mark Meißen). 1485 teilten die Brüder Ernst und Albrecht die Gebiete und hielten sich in Thüringen und in der Mark auf.29 Erst unter Friedrich wurden die Zentralorte Wittenberg und Torgau im Kurfürstentum in Besitz genommen. Man wechselte den Raum und wollte Kontinuität beweisen. Wie es 28 I. VON BROESIGKE, Friedrich der Streitbare, Markgraf von Meißen und Kurfürst von
Sachsen, Düsseldorf 1938; R. BUTZ, Ensifer ense potens. Die Übertragung der sächsischen Kur auf Friedrich den Streitbaren als Beispiel gestörter Kommunikation in Strukturen institutioneller Verdichtung, in: H. DUCHHARDT / G. MELVILLE (Hgg.), Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit (Norm und Struktur 7), Köln 1997, S. 373-400; E. HINZE, Der Übergang der sächsischen Kur auf die Wettiner, Halle 1906; J. C. VON BLOH / D. SYNDRAM / B. STREICH (Hgg.), Mit Schwert und Kreuz zur Kurfürstenmacht. Friedrich der Streitbare von Meißen und Kurfürst von Sachsen (1370-1428), München/Berlin 2007; A. THIEME, Die Übertragung der sächsischen Kurwürde an die Wettiner, in: R. EIGENWILL (Hg.), Zäsuren (wie Anm. 11), S. 42-67. 29 K. BLASCHKE, Die Leipziger Teilung der wettinischen Länder 1485, in: Sächsische Heimatblätter 31 (1985), S. 276-280; E. HÄNSCH, Die wettinische Hauptteilung von 1485 und die aus ihr folgenden Streitigkeiten bis 1491, Leipzig 1909; J. ROGGE, Herrschaftsweitergabe, Konfliktregulierung und Familienorganisation im fürstlichen Hochadel. Das Beispiel der Wettiner von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 49), Stuttgart 2002; B. STREICH, Zwischen Reiseherrschaft und Residenzbildung. Der wettinische Hof im späten Mittelalter (Mitteldeutsche Forschungen 101), Köln/Wien 1989; A. THIEME, 1485 – Die Leipziger Teilung der wettinischen Lande, in: R. EIGENWILL (Hg.), Zäsuren (wie Anm. 11), S. 69-93.
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Georg Spalatin gelang, am Ursprungsort festzuhalten und dennoch eine bruchlose Entwicklung in Zeit und Raum niederzuschreiben, soll nun skizzenhaft am Beispiel der Chronik vorgeführt werden. Wie gesagt, ohne Titelblatt und Inhaltsverzeichnis, beginnt der Historiograph seine Geschichte der Sachsen und Thüringer. Dass hier noch Textteile fehlen, zeigt die Lagenzählung. Spalatin beginnt auf folio 5r mit König Widukind von Sachsen. Ihm widmet er in der Urplanung 67 Seiten, wobei zwischendurch 23 Blätter frei blieben (Abb. 33). Mit nur wenigen Worten werden seine Vorfahren erwähnt und seine Stellung als Souverän Sachsens betont: Diser Konig Widekÿndt. zů Sachssenn genant derr Gros vnd der hailig ist obbenants Herren. wernekÿns. Oder Wernecken vonn Jbůrg vnd Frawen. Kúnhilt. vonn Růgen gebornn Sůn. Vnnd ehr er an das konigRaich kam. Hertzog zů Engernn gewest. Etlich nennen ÿn aůch konig zů Engern. Jst aber entlich nach seinerr bekerůng Gros hertzog zů Sachssenn gewordenn.30
Spalatin beschreibt ausführlich seine beiden Ehen mit einer christlichen und einer nichtgetauften Frau und deren Kinder. Seine schwankende Position gegenüber Karl dem Großen nimmt viel Raum ein. Zum König von Sachsen wurde er durch die Wahl der Engerer und Westfalen erhoben. Seine Feldzüge gegen den Karolinger führten ihn nicht nur nach Franken und Thüringen, die er unterwerfen konnte, sondern sogar bis nach Frankfurt am Main und Koblenz am Rhein. Kurz vor seiner Bekehrung hatte er eine Vision: Kein geringerer als Karl der Große wird ihn in Paderborn taufen und zudem ein weißes Pferd schenken, welches er gegen sein bisheriges schwarzes austauschen wird. So kam es auch. Der Karolinger stiftete das dauerhafte Wappen, wo im Zentrum ein Schimmel abgebildet ist.31 Ab dieser Seite erscheint bei neuen Abschnitten im Wappenschild immer das weiße Pferd. Dies durchzieht alle vier Bände. Die Taufe durch den Karolinger begründet die christliche Herrschaft des Sachsen, nachdem er zuvor nach archaischen Traditionen nur Erwählter durch das Volk war. Nach seiner Taufe vollbrachte er fromme Werke, führte ein heiliges Leben und richtete das Kloster Herford ein.32 Danach folgen reichlich 20 unbeschriebene Lagen. Wahrscheinlich wollte Spalatin hier noch das weitere heilsgeschichtliche Wirken Widukinds einfügen. Seine christliche Frau Seva von Dänemark stiftete eine Kirche in Behlheim, die nun wörtlich in Vorzeiten Bethleem genant wurde.33 Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, wobei sein ungetaufter Sohn Widukind II. geographisch in seinem Wirken in der Ober- und Niederlausitz beschrieben wird.34 Dies erwähnt er aber nur kurz. Aber die vermittelten Kenntnisse frischt er viele Seiten später wieder auf, wenn Spalatin erklärt, warum das an das östliche Markengebiet von Meißen angrenzende Gebiet genuin zum sächsischen 30 31 32 33 34
Georg Spalatin, Chronik (wie Anm. 14), MS Cas 9, fol. 5r. Ebd., MS Cas 9, fol. 5v-37r. Ebd., MS Cas 9, fol. 38r; 39v. Ebd., MS Cas 9, fol. 67v. Ebd., MS Cas 9, fol. 68r-76r; 129r-130v.
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Herrschaftsbereich dazugehörend zu betrachten sei. Insgesamt erscheint dem Leser das System der Abfolge der Generationen auf den ersten Blick verwirrend. Immerhin handelt er über 200 Regenten ab. Doch es gibt eine innere straffe Logik und Systematik. Auf den Vater folgen kurze Erwähnungen zu den Ehen und den Kindern. Diese werden bildlich immer in Form von Bäumen mit anhängenden Körben dargestellt. Illustration und Text bilden eine genuine Einheit. Die weitere Entwicklung aller erbberechtigten Söhne verfolgt er dann, nennt ihre Nachkommen und vor allem ihren Wirkungsraum, um anschließend an den Ausgangspunkt zurückzukehren und die agnatische Hauptlinie der Dynastie zu beschreiben. Widukind hatte einen weiteren Sohn und dieser war getauft.35 Wiprecht folgte ihm als Herzog von Sachsen. Sein Sohn Walprecht beerbte ihn im Amt und von ihm aus erfolgte eine Aufteilung der Widukind-Sippe über Europa.36 In Sachsen verblieb die Linie, die die Immedingerdynastie begründete. Ein Zweig heiratete nach Savoyen ein37 und ein weiterer übernahm das Amt des Markgrafen von Montferrat, jene Grenzregion zwischen den Seealpen und dem Po, die Kaiser Otto I. eingerichtet hatte.38 Das Wappen erinnert in den heraldischen Grundfarben Rot und Silber sehr stark an das der Widukindsippe. Aus dieser gingen dann später Balduin V. von Jerusalem39 und dessen Bruder Rainer als (Titular-)König von Thessalonike und ‘Kaiser’ Ioannes von Byzanz hervor.40 Fragt man nach den Gründen für diese genealogische Konstruktion bei Spalatin, sollte man sich die Eheprojekte des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts ansehen. Einige Wettiner hatten in den italienischen Raum eingeheiratet bzw. nach Savoyen.41 Zudem hatten mehrere Angehörige des Fürstenhauses Pilgerfahrten in das Heilige Land unternommen, so u.a. Graf Dedo IV. der Feiste († 1124) und Kurfürst Friedrich der Weise († 1525). Sie reisten daher nicht nur zu den heiligen Stätten, sondern vielmehr in das Land ihrer Vorfahren. Wiprechts Enkel Dietrich von Sachsen wurde zum Stammvater der Wettiner aufgebaut. Er ist zudem Vater von Mathilde, der Mutter Kaiser Ottos I.42 So ist genealogisch der II. Band begründet. Die Ottonen als Nachfahren Widukinds setzen zwar kognatisch gebrochen die Blutslinie fort, aber es gibt direkte Nachfolger.
Ebd., MS Cas 9, fol. 68r-76r. Ebd., MS Cas 9, fol. 76v-80v. Ebd., MS Cas 9, fol. 88r-95r. Ebd., MS Cas 9, fol. 97r-128r. Ebd., MS Cas 9, fol. 110rv. Ebd., MS Cas 9, fol. 111r-112r. O. POSSE, Die Wettiner. Genealogie des Gesamthauses Wettin Albertinischer und Ernestinischer Linie mit Einschluß der regierenden Häuser von Großbritannien, Belgien, Portugal und Bulgarien. Mit Berichtigungen und Ergänzungen der Stammtafeln bis 1993 von M. KOBUCH, Leipzig 1994, Tafel 6. 42 Georg Spalatin, Chronik (wie Anm. 14), MS Cas 9, fol. 129r-130v. 35 36 37 38 39 40 41
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Dieser Dietrich bewahrte die Kontinuität der Herrschaft im Raum Sachsen, aber er ist zudem verantwortlich für die Ausbreitung des Namens Sachsen, der untrennbar mit Widukind verbunden ist, in das Gebiet östlich davon. Spalatin bietet für diesen räumlichen Wechsel eine überzeugende Argumentation: Hertzog Walprechts zů Sachssenn. Oder als etlich habenn zů Engern Virder Sůn wirt aůch in etlichenn Cronicken genant Ditterich Wÿdekint. Darůmb das er aůs des Grossen Wÿdekints geschlecht ist gewest. Er wirt aůch in etlichen Cronicken genent ain Graff zů Ringelhaÿm Jtem Bůrggraff zů Zcorbick. herr zů Bůdzes. Vnnd Graff zů Wittÿn. Aúch nennen die Cronick aůff dem Lawternberg. vnnd zů Mersbůrg vnnd die aůszcůge aůs denselben Cronicken gemacht disenn herrn nicht hertzogen Sůndern schlechts ein Graůen zů Wÿttin vnd ein man besůnderer freihait. Vnd soůil aůs den bemelten aůszůgen ist zůmerckenn Darůmb das kaÿser karll nach bekerůng derr Sachssen alle Fůrstenthůmb in Sachssen hab abgethan. vnd alle herschafft derselben Lanndt den Bischoůen vnnterthenig gemacht. aůff das die Lanndt dester bas mochten beÿ dem hailigen Cristlichen glaůben behaltenn werden. Ist aber zůbesorgenn das dieselb maÿnůng nicht fast bestendig vnnd gegrůndt sey. Angesehenn das kaÿser karrll konig Wÿdekint zů ainem Grossen hertzogenn gemacht hat. vnnd das er sein Sůn Wÿprecht sein brůder Braůn. vnnd andere vil sein nachkůmmen vnnd freůndt sein gewesen. vnd genant worden Hertzoge. vnd zům tail Gross hertzoge zů Sachssenn. Vnnd nach antzaigůng etlicher Cronickenn so seint aůs dises herren geschlecht die hertzogen in Obernn Westphaln vnnd die Graůen zů Ringelhaÿm kůmmenn.43
Bei dieser Textstelle wird besonders deutlich, was wir am Anfang als These aufgestellt haben. Der mythische Ausgangsort, in diesem Fall Ringelheim in Sachsen, wird hier als begründendes Element der ungebrochenen Herrschaft der Widukindsippe im Raum mit territorialen Erweiterungen genommen (Abb. 34). Spalatin kann nun ohne genealogische Brüche und ohne Probleme des Raumwechsels die Wettiner im Mittelelb-Saale-Gebiet als direkte Nachkommen und berechtigte Herrscher darstellen (Abb. 35). Dabei bedient er sich eines das gesamte Werk durchziehenden Mittels. Verläßt man den angestammten politischadministrativ bestimmten Raum, in unserem Beispiel von Altsachsen in das östliche Markengebiet oder nach Thüringen, beginnt er zunächst erst einmal mit einer Beschreibung der Landschaft und ihren topographischen Eigenheiten. Dabei verknüpft er dies geschickt zugleich mit Personen, die dort die Herrschaft ausgeübt haben und bringt damit eine schon immer bestehende Bindung im Raum mit nun handelnden Personen und deren blutsverwandtschaftlichen Beziehungen.44 Zu einem Bruch zwischen Dynastie und Raum kommt es so nicht. Umfangreich sind seine Äußerungen über Markgraf Konrad von Wettin († 1157), der als der Begründer der neueren Linie der Widukind-Nachfahren aufgebaut wird (Abb. 36). Er hat nicht nur die Würde eines Fürsten aus sächsischem Haus fortgesetzt, sondern dieses auch gewaltig territorial erweitert.45 Die43 Ebd., MS Cas 9, fol. 129rv. 44 Zum Beispiel ebd., MS Cas 11, fol. 3r-18r. 45 W. HOPPE, Markgraf Konrad von Wettin, der Reichsfürst und der Begründer des wettini-
schen Staates, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 40 (1909), S. 1-53; M. LINDNER, Eine Frage der Ehre. Markgraf Konrad von Wettin und Kaiser Friedrich Barbarossa, in: R. AURIG / R. BUTZ / I. GRÄSSLER / A. THIEME (Hgg.), Im Dienste der histori-
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se expansive Politik führte am Ende seines Lebens zur Aufteilung seines Herrschaftsbereiches in fünf Linien.46 Nachgeordnet bringt Spalatin den ersten Vertreter der Wettiner mit der Würde eines Markgrafen von Meißen. Hier musste er die Chronologie verlassen, denn allgemein war bekannt, dass Konrad unter nicht gerade würdigen Umständen die erbberechtigte Linie der Wettiner im Gebiet von Eilenburg aus dem Amt vertrieben hatte.47 Spalatin bricht an dieser Stelle einfach ab und zieht die Entwicklung der Einheit von Dynastie, Raum und etabliertem Adel bis zum Ende des I. Bandes fort und endet mit Friedrich Clem, Herr zu Dresden († 1316).48 Er war ein unebenbürtiger Sohn Markgraf Heinrichs des Erlauchten,49 der ausführlich im Band III behandelt wird. Es ist eine Besonderheit des Werkes, dass man alle, auch die nicht durch Idoneität ausgezeichneten Vertreter der Dynastie aufführt und keinen auslässt. Neben diesem unebenbürtigen Sohn werden auch weitere Vertreter abgehandelt wie der Lahme, der Arme, der Entartete, der Feiste, ohne Land etc.50 Band I endet, wie bereits gesagt, mit dem söhnelosen Tod von Friedrich Clem 1316. Zeitlich zurückspringend beginnt der zweite Teil seiner Chronik mit Kaiser Otto I. (Abb. 37).51 Der Chronist erwähnt nur kurz seinen Vater Heinrich. Aber größeren Raum nimmt die zweite Ehe Heinrichs mit Mathilde ein, einer Trägerin des Blutes der Widukind-Sippe. Ottos Frauen Edgith und vor allem Adelheid werden gebührend mit mehreren Seiten beschrieben.52 130 Seiten plante er für den ersten Vertreter der Nachfahren Widukinds, der aus Sachsen stammend, nicht nur König, sondern auch Kaiser war. 10 Seiten blieben aber leer. Spalatin bringt bereits am Anfang des Buches die machtpolitische Bindung des Markengebietes in Ostsachsen an den Kernraum, indem er ausführlich über die Braunschweiger Brunonen als Markgrafen von Meißen handelt, die von seinem gleichnamigen Sohn abstammen sollen und als Herzöge von Bayern eine eigene Linie aufbauten und doch letztendlich an ihren Ursprungsort zurück-
46 47 48 49
50 51 52
schen Landeskunde. Beiträge zu Archäologie, Mittelalterforschung, Namenkunde und Museumsarbeit vornehmlich in Sachsen. Festgabe für Gerhard Billig zum 75. Geburtstag, dargebracht von Schülern und Kollegen, Beucha 2002, S. 105-121; S. PÄTZOLD, Herrschaft zwischen Saale und Elbe. Markgraf Konrad von Wettin und seine Zeit, in: Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e.V. (Hg.), Konrad von Wettin und seine Zeit (Beiträge zur Regional- und Landeskultur Sachsen-Anhalts), Halle 1999, S. 14-32; J. ROGGE, Die Markgrafschaft Meißen in der Politik der deutschen Könige und Kaiser in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, in: ebd., S. 56-69. Georg Spalatin, Chronik (wie Anm. 14), MS Cas 9, fol. 273r-283r. Ebd., MS Cas 9, fol. 192r-193v. Ebd., MS Cas 9, fol. 328rv. W. R. LUTZ, Heinrich der Erlauchte (1218), Markgraf von Meißen und der Ostmark (1221-1288), Landgraf von Thüringen und Pfalzgraf von Sachsen (1247-1263) (Erlanger Studien 17), Erlangen 1977. Georg Spalatin, Chronik (wie Anm. 14), MS Cas 9, fol. 289r-292r; MS Cas 11, fol. 126v; 169r, 169v. Ebd., MS Cas 10, fol. 4r-120r. Ebd., MS Cas 10, fol. 116r-120r.
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kehrten.53 Die Brunonen aus Braunschweig sind nicht zu verwechseln mit Heinrichs Sohn Brun, der Erzbischof von Köln war. Über ihn weiß Spalatin unter Berücksichtigung der Herkunft zu vermelden, dass Herr. Brůno. ErtzBischoff zů Colnn. vnd Hertzog zů Sachssen.Westphalnn. vnnd Engern. ist des Romischenn konig. Hainrichs.des Voglers gnant. vnnd Frawen. Mechtildt. Romische konigÿnn vonn Engernn geborn. Sůn. Vnnd des Romischen kaÿsers. Otto. des Grossenn brůder gewest.54
Er betont hier vor allem seine Herkunft und stellt ihn als Träger sächsischen Blutes vor. Auch seinem Urenkel Brun, bekannt unter dem Namen Papst Gregor V., widmet er einen größeren Abschnitt.55 Ebenso wird Ottos Bastard bedacht und über ihn berichtet Spalatin wie folgt: Dieser Herr. Wilhelm ErtzBischoff zů Meintz ist gewest des grossen Romischenn kaÿsers. Otto. Sůn. vonn einer Edelnn Wendischenn wiewol gefangen Frawen gebornn. vnnd hat allen vleis gehabt. Sein Jůgent mit růmlichenn tůgendenn vnd loblichenn sittenn zůzcirnn. Deshalbenn er vonn seÿnem Vater dem Romischenn kaÿser. Vnnd allen Fůrstenn des Raichs ser geliebt wardt.56
Stärker als im I. Band füllte Spalatin, anscheinend immer dann, wenn ihm der Stoff ausging, die Seiten mit besonderen Begebenheiten und Kuriositäten. Der Foliant endet hier mit insgesamt 20 geplanten Seiten solcher Erzählungen.57 Obwohl der Band II ausführlich und detailreich über Otto I. bis zu Heinrich II. auf 329 Seiten berichtet, wird agnatisch Ottos Herkunft scheinbar nur nebenbei erwähnt. Doch der Schein trügt. Denn für die Fragen der Kontinuität sächsischer Herrschaft, getränkt mit dem Blut Widukinds, greift er zu Beginn des III. Bandes Ottos Vater Heinrich nochmals auf und belegt die genuine Zugehörigkeit Thüringens zum etablierten Machtbereich der Dynastie. Zunächst beschreibt er die geographischen Gegebenheiten und erläutert deren frühe Geschichte als selbständiges Herrschaftsgebiet bis in der Zeit der Karolinger. Er verschweigt nicht deren Selbständigkeit und die Zerschlagung des Reiches am Ausgang der Antike und dem Beginn des Mittelalters unter König Hermanifrid († 534). Doch dann wurde das führungslose Volk der Thüringer expansiv, kämpfte gegen die Sachsen, wurde aber unter Bonifatius bekehrt und fand somit den richtigen Weg.58 Spalatin legt den Ursprung Hessens in diese Zeit zurück, der doch aber ein Ergebnis der Erbfolgestreitigkeiten nach 1247 war. Nach den verheerenden Ungarneinfällen besinnen sich die Thüringer und erwählen König Heinrich I. zu ihrem Anführer (Abb. 38). Von da an gehörte also der thüringische Raum zum Herrschaftsbereich der sächsischen Herrscher. Durch die fast 20 Seiten umfassende Herleitung des Ursprungs der Thüringer und der Beschreibung der Landschaft fällt es Spalatin nicht schwer, den Bogen zu den Lu53 54 55 56 57 58
Ebd., MS Cas 10, fol. 152r-174r. Ebd., MS Cas 10, fol. 131r. Ebd., MS Cas 10, fol. 185r-189v. Ebd., MS Cas 10, fol. 175r-117r. Ebd., MS Cas 10, fol. 308v-310r. 310v-329v bleiben frei. Ebd., MS Cas 11, fol. 3r-18r.
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dowingern in direkter Blutslinie zu ziehen, denn der erste nachweisbare Ludowinger als Landgraf von Thüringen war Ludwig der Bärtige. Über seine direkte Verwandtschaft mit dem Herrscherhaus, nun aber in der Zeit der Salier, berichtet er wie folgt: Des Romischen kaÿser Cůnradts des andern der nachdem hailigen Romischen kaÿser Hainrich regirt. eelich gemahel die Romische kaÿserin Gÿsla hett zwen Vettern Graůen von Vidimont. Lůdwig mit dem Bart. Vnnd Hůgo genant gebrůdere aůs dem edeln Stam der alten Francken kaÿser karrl gebornn. vnd Graff hůgo hett ein Sůn gar geringer vernůfft dem entlich sein Grafschafft wart abgesprochen. Die einer an dess ErtzBischoffs von Meintz hoff annam. Derhalben diser wigman aůs seiner vnsÿnnickait beweget. gein Meintz zcog. vnd in des ErtzBischofen von Meintz Camer den erstach. der sein gůter angenůmmen het. Demnach er aůch baldt enthawbt wart. Derhalben erbet desselben landt an seins vater brůder Lůdwig Welcher Lůdwig mit dem Bart genant wart.59
Spalatin bezieht sich hier auf die genealogische Verbindung der Ludowinger zu den Ottonen, indem er den ersten Landgrafen von Thüringen als Vetter der Sachsenherrscher darstellt.60 Wiederum ist kein genealogischer Bruch festzustellen und die Einheit von Dynastie, Raum und etabliertem Adel besteht weiterhin. So auf sicherem Boden zieht Spalatin die Abfolge der Landgrafen durch, um letztendlich auf die Eventualbelehnung aus dem Jahre 1243 zu kommen, wo Kaiser Friedrich II. dem Wettiner Heinrich bzw. dem Ludowinger Heinrich Raspe61 die Erbfolge im jeweiligen anderen Herrschaftsraum zusicherte, falls ein Familienzweig im Mannesstamm aussterben würde. Der Kaiser war seit 1245 endgültig exkommuniziert, und 1247 trat die Eventualbelehnung in Kraft (Abb. 39). Die lehn- und erbrechtlich mehr als komplizierte und komplexe Situation übergeht er und betont die rechtmäßige Nachfolge im Blut.62 Der Wettiner konnte seine Ansprüche aber nur kognatisch begründen: Dieser Fůrst Lanntgraff Hainrich in Důringn. Marggraff zů Meissen Lawsatz vnnd Im Osterlandt. ist vil benants Marggraůen Dittrichs zů Meissen. vnnd Frawenn Jůtta vonn Důringen vnnd hessenn geborn Sůn gewest genant der Lomer. Vnd der Erst aůs dem Edelnn haws zů Meyssenn. an das Lant59 Ebd., MS Cas 11, fol. 20r-23r. 60 Ebd., MS Cas 11, fol. 20r. 61 M. WERNER (Hg.), Heinrich Raspe. Landgraf von Thüringen und römischer König
(1227-1247). Fürsten, König und Reich in spätstaufischer Zeit (Jenaer Beiträge zur Geschichte 3), Frankfurt a. M. 2003. 62 Siehe allgemein zur Entwicklung in Thüringen: H. HOFFMEISTER / V. WAHL (Hgg.), Die Wettiner in Thüringen. Geschichte und Kultur in Deutschlands Mitte (Schriften des Thüringischen Hauptstaatsarchivs 2), Arnstadt/Weimar 1999; H. PATZE, Die Entstehung der Landesherrschaft in Thüringen (Mitteldeutsche Forschungen 22), Köln/Graz 1962; H. PATZE / W. SCHLESINGER (Hgg.), Geschichte Thüringens. Hohes und spätes Mittelalter, Bd. II/1 (Mitteldeutsche Forschungen 48), Köln/Wien 1974; W. R. LUTZ, Heinrich (wie Anm. 49). Speziell zu Fragen der Belehnung: R. BUTZ, Der Anfall der Landgrafschaft Thüringen und der Pfalzgrafschaft Sachsen, in: R. EIGENWILL (Hg.), Zäsuren (wie Anm. 11), S. 28-41; H. KUNDE / S. TEBRUCK / H. WITTMANN, Der Weißenfelser Vertrag von 1249. Die Landgrafschaft Thüringen am Beginn des Spätmittelalters (Thüringen gestern & heute 8), Erfurt 2000.
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graffthůmb zů Důringn. den maistenn tail, darůmb das sein můter ein geborne von Důringn vnd hessen was.63
Der Wettiner vergrößerte den Herrschaftsbereich um ein vielfaches, wahrte aber gemäß unserer These die Einheit von Raum und Dynastie. Nur hatte der etablierte Adel große Probleme mit der Akzeptanz des Wettiners, welche sich in jahrelangen militärischen Auseinandersetzungen manifestierten, aber von Spalatin wohlwollend herabgespielt werden (Abb. 40). Die Blutslinie jedenfalls ging problemlos von der Mark Meißen auf die Landgrafschaft Thüringen über. Im weiteren Verlauf des Bandes III wird die Trias Raum, Dynastie und Adel durch den Chronisten an zahlreichen Beispielen vorgeführt, und man kann sich seiner Erzählung emotional kaum erwehren. Der Coburger Band III geht genealogisch bis in die Zeit Wilhelms des Reichen († 1425).64 Die spannenden und bisher noch völlig unausgewerteten Ausführungen in Band IV für die Zeit nach der Erhebung der Wettiner in den Stand eines Kurfürsten von Sachsen-Wittenberg 1423 bleiben weiterführenden Untersuchungen vorbehalten. Selbst mit der nunmehr vorliegenden Abhandlung von Christina Meckelnborg und Anne Beate Riecke über Spalatins Chronik bleibt dieser Band in analytischer Hinsicht vollkommen ein Desiderat. Beide Autorinnen liefern ein sehr nützliches Inhaltsverzeichnis des IV. Bandes65 sowie eine umfangreiche Beschreibung der überlieferten Materialbände und Abschriften.66 Zudem bringen sie in einem kürzlich erschienen Beitrag eine Transkription von 39 Lagen des IV. Bandes der Chronik Spalatins, die sich als Kopie heute in der Forschungsbibliothek Gotha befindet.67 Für unsere Fragestellung der Begründung der Herrschaft einer Dynastie in einem fremden Raum unter Einbeziehung der etablierten Geschlechter muß aber hier grundlegende Arbeit erst noch geleistet werden.68
Georg Spalatin, Chronik (wie Anm. 14), MS Cas 11, fol. 76r. Ebd., MS Cas 11, fol. 290r-293r. C. MECKELNBORG / A.-B. RIECKE, Georg (wie Anm. 2), S. 371-395. Ebd., S. 268-322. C. MECKELNBORG / A.-B. RIECKE, “ein ander buch in gron bergament eingebunden” – Der vierte Band von Georg Spalatins Chronik der Sachsen und Thüringer, in: H. J. KESSLER / J. PENNDORF (Hgg.), Spalatin in Altenburg. Eine Stadt plant ihre Ausstellung. Protokollband zum Kolloquium “Georg Spalatin und Altenburg” im Schloss Altenburg und im Lindenau-Museum Altenburg zur Vorbereitung der Ausstellung “Spalatin – Steuermann der Reformation” vom 1. bis 3. Dezember 2011, Halle 2012, S. 103-132. 68 Im Rahmen des Projekts C “Dynastie, Idoneität und Transzendenz. Vergleichende Untersuchungen zum hohen und späten Mittelalter” des SFB 804 “Transzendenz und Gemeinsinn” an der TU Dresden entstanden u.a. zwei Abschlußarbeiten, die sich mit der Chronik Georg Spalatins auseinandersetzten: F. RICHTER, Liegt mit den vier überlieferten Büchern die vollständige Chronik Georg Spalatins (1484-1545) vor?, ungedr. wissenschaftliche Arbeit im Fach Geschichte, Lehramt an Gymnasien, Dresden 2011; M. THIEME, Die genealogische Konstruktion politischer Räume der Wettiner in der Chronik der Sachsen und Thüringer von Georg Spalatin, ungedr. Magisterarbeit TU Dresden 2012. 63 64 65 66 67
TOBIAS TANNEBERGER
Land und Genealogie Das Identifikations- und Legitimationspotential des Raumes in der Genealogia principum Tungro-Brabantinorum
“Jede Geschichtsschreibung ist nur ein Teil aller Faktoren, die die Geschichtsvorstellungen einer bestimmten Zeit bilden, und sie steht immer mit den anderen Faktoren in einem empfangenden und gebenden Zusammenhang.”1
In der Genealogia principum Tungro-Brabantinorum2 wird die Kontinuität in Herrscheramt und Geblüt von Philipp III. von Brabant († 1506) bis zurück zum Urvater Adam nachgezeichnet. Hierbei wurde jedoch nicht nur eine riesige Spanne in der zeitlichen Dimension bewältigt, sondern auch auf signifikante Weise mit Räumen (im Sinne von Region beziehungsweise Land) umgegangen. Man kann sogar so weit gehen, von einer narrativen Strategie zum Beweis der herrscherlichen Idoneität zu sprechen. Dieses Geeignetsein zur Herrschaft über ein bestimmtes Gebiet definiert sich unter anderem über die Zugehörigkeit zur indigenen Herrscherdynastie bzw. – allgemeiner ausgedrückt – über das Verwurzeltsein im zur Debatte stehenden Raum.3 Dieser Aspekt der Argumentation und seine Umsetzung soll in diesem Beitrag am konkreten Beispiel der Genealogia näher beleuchtet werden. Vorher gilt es jedoch einen Blick auf eine mögliche Tradition der Verknüpfung von Land und Genealogie zu werfen, der auch Hinweise auf die Glaubwürdigkeit derartiger historiographischer Werke im Mittelalter geben kann (1. Vorbemerkungen). In einem zweiten Schritt soll die zentrale Quelle dieses Beitrages vorgestellt werden. Um die Abhandlung überschaubar zu halten, ist es sinnvoll, an dieser Stelle nicht nur gestaltungstechnische oder inhaltliche Besonderheiten zu behandeln, sondern en passant auch daran geknüpfte räumliche Fo1
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F. GRAUS, Funktionen der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung, in: H. PATZE (Hg.), Geschichtsschreibung und Geschichtsbewusstsein im späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen 31), Sigmaringen 1987, S. 54. Die Genealogia principum Tungro-Brabantinorum wird im Folgenden kurz Genealogia genannt. So lautet eine der Grundannahmen des Teilprojekts C “Dynastie, Idoneität und Transzendenz. Vergleichende Untersuchungen zum hohen und späten Mittelalter” im Dresdner Sonderforschungsbereich 804 “Transzendenz und Gemeinsinn”. Vgl. C. ANDENNA / G. MELVILLE, Dynastie, Idoneität und Transzendenz. Vergleichende Untersuchungen zum hohen und späten Mittelalter, in: H. VORLÄNDER (Hg.), Transzendenz und Gemeinsinn. Themen und Perspektiven des Dresdner Sonderforschungsbereichs 804, Dresden 2010, S. 42-43.
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kussierungen zu thematisieren (2. Die Quelle). Anschließend sollen Ansprüche an den Verfasser einer Genealogie und seine Arbeitsweise im Zentrum stehen (3. Die Ansprüche an eine neue Genealogie). Der Hauptteil ist der Herausarbeitung von Spezifika, welche die in unserer Quelle dargestellte Herrscherlinie vor anderen für eine Herrschaft in Brabant prädestinierten, gewidmet. Die Kategorien von Raum und Zeit und ihr identifikatorisch-legitimatorischer Wert sollen hierbei besonders beleuchtet werden (4. Die spezielle Qualifikation). Abschließend wird die politisch-gesellschaftliche Position der Genealogia in Bezug zur herausgearbeiteten spezifischen Qualifikation der Herzöge von Brabant gesetzt (5. Schluss)
1. Vorbemerkungen Die Verknüpfung von herausragenden, besonders potenten Persönlichkeiten mit der Gliederung geographischer oder herrschaftlicher Räume4 ist keineswegs eine nur im Mittelalter anzutreffende Denkfigur. Die Vorstellung, dass Landstriche, Flüsse, Gebirge oder Städte nach Erstsiedlern, Gründern, Herrschern oder deren großen Taten benannt werden, zeigt sich vielmehr in einer Vielzahl von Quellen aus allen Epochen der dokumentierten Menschheitsgeschichte. Geläufige Beispiele finden sich in der Bibel, wo Personennamen oft Völkernamen prägen, welche dann auf deren Siedlungsgebiet übergehen. Auch ein Großteil des Genres der Volkssage erklärt Ortsnamen. Eine der berühmtesten dieser Sagen ist diejenige von der Gründung Roms, wobei diese nicht nur den Namen der Stadt, sondern noch einer Reihe von Örtlichkeiten innerhalb Roms zu klären bemüht ist. Auch der griechische Geschichtsschreiber des siebten und achten vorchristlichen Jahrhunderts, Hesiod, schrieb Völkerschaften wie zum Beispiel den Hellenen, Makedoniern und Graikoi eine Benennung nach Heroen zu.5 Nun macht freilich ein Held noch keine Genealogie, aber ein Held kann durch seine Verknüpfung mit einem bestimmten Raum zur integrativen Leitfigur für diesen werden. Die mittelalterliche Variante wäre ein maßgeblich an der Landnahme eines Volkes beteiligter Spitzenahn einer Dynastie, worüber gleich zu handeln sein wird. Zunächst soll aber erneut betont werden, dass dieses in4
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Dieser Beitrag hat einen Vortrag zur Grundlage, der Teil der Tagung: Idoneität – Genealogie – Legitimation. Überlegungen zur Begründung und Akzeptanz von dynastischer Herrschaft im hohen und späten Mittelalter, Sektion III b “Genealogie und Raum” (Dresden, 08.-10.12.2011) war. Hesiod, Katalog der Frauen, Fragmente 2-4 (siehe: Hesiod, The shield, Catalogue of women, other fragments, ed. G. MOST, Cambridge 2007, S. 42-47). Weitere Beispiele in Übersicht bietet M. L. WEST, The Hesiodic Catalogue of Women: Its Nature, Structure, and Origins, Oxford 1985, S. 53, 173.
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tegrative, Identität und Gemeinsinn stiftende Moment des heros eponymos – wie der Terminus bereits andeutet – schon im griechischen Altertum, genauer gesagt in der attischen Demokratie wirksam wurde. In den Reformen des Kleisthenes (508 und 507 v. Chr.), die den Einfluss des Adels zurückdrängen, aber auch den Adel und die restliche Bevölkerung zusammenführen sollten und im Zuge dessen Athen neu gliederten, wurde bewusst auf diesen Effekt rekurriert, indem man die zehn neu geschaffenen Phylen6 nach Heroen – den daher sogenannten Eponymen – benannte. Unterstützt durch das transzendente Element der Beteiligung des Orakels von Delphi7 sollten diese schon vorher weithin bekannten Heroen als Integrationsfiguren der neuen Ordnung dienen.8 Die überaus zahlreichen erhaltenen Zeugnisse vom Kult um die Phylenheroen legen den Schluss nahe, dass die Reform in ihrer Ausrichtung auf die heroi eponymoi beziehungsweise in dieser Neuverknüpfung von Land, Volk und Helden erfolgreich war.9 Aristoteles berichtet uns von einer weiteren Maßnahme des Kleisthenes, die den Zugehörigkeitssinn der Athener formen sollte: die Abschaffung von Familiennamen (Patronymen) zugunsten von Demonymen.10 Diese Demen waren im Zuge der Reform zu den grundlegenden Verwaltungseinheiten geworden und trugen ihrerseits entweder Bezeichnungen, die sich auf ältere Ortsnamen bezogen oder – wenn es keine entsprechenden gab – die Namen ihrer Gründer erhalten hatten.11 Für Aristoteles gibt es also bezogen auf Räume zwei grundlegende Namensgebungspraktiken: die Benennung nach Gründer- oder Heldenfiguren und die Übernahme des Althergebrachten, wobei letzteres sich mittelbar durchaus ebenso auf einen heros eponymos zurückführen lassen kann. Interessant für unser Thema ist ferner, dass es Menschen sind, die den Raum gliedern, und Phylen sind Verwaltungseinheiten und Militärbezirke. Die von diesen zu stellenden Heeresverbände werden ebenfalls als Phylen bezeichnet. 7 Aristotle, Constitution of the Athenians, in: The Internet classics Archive: http://classics. mit.edu/Aristotle/athenian_const.html [online 08.05.2012], cap. 21: “The names given to the tribes were the ten which the Pythia appointed out of the hundred selected national heroes.” 8 Vgl. dazu H. VORLÄNDER, Einleitung. Wie sich soziale und politische Ordnungen begründen und stabilisieren: Das Forschungsprogramm, in: DERS. (Hg.), Transzendenz (wie Anm. 3), S. 6-15, besonders S. 9. 9 U. KRON, Die zehn Attischen Phylenheroen. Geschichte, Mythos, Kult und Darstellungen (Mitteilungen des deutschen archäologischen Instituts, Athenische Abteilung 5), Berlin 1976. Einen schnellen Überblick über die schiere Menge der erhaltenen Artefakte bietet der Katalog ebd., S. 249-282. 10 Aristotle, Constitution of the Athenians (wie Anm. 7), cap. 21: “All who lived in any given deme he declared fellow-demesmen, to the end that the new citizens might not be exposed by the habitual use of family names, but that men might be officially described by the names of their demes; and accordingly it is by the names of their demes that the Athenians speak of one another.” 11 Ebd.: “He [Kleisthenes, m. Erg.] gave names to the demes, some from the localities to which they belonged, some from the persons who founded them, since some of the areas no longer corresponded to localities possessing names.” 6
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dass der göttlich-transzendenten Sphäre, der Phythia, eher eine bestätigende oder legitimierende Rolle zugeschrieben wird. In einer mutmaßlich noch früheren Erschließung eines Raumes spielt das Transzendente eine weitaus zentralere Rolle, obwohl anzunehmen ist, dass der im Folgenden zu diskutierende Text unter dem Eindruck der eben behandelten Phylenordnung und ihrer heroi eponymoi entstanden ist. Die Rede ist von Platons Kritias,12 in dem die Aufteilung der Erde unter den Göttern und insbesondere die Gliederung von Atlantis thematisiert werden. Die Verknüpfung von Raum und Genealogie mittels Transzendenzbehauptung ließe sich kaum direkter aufzeigen als in diesem Text.13 Kritias berichtet davon, dass nachdem die Länder der Erde per Losverfahren unter den Göttern aufgeteilt worden waren, diese für die Besiedlung verantwortlich waren und auf ihre Geschöpfe auch weiterhin Einfluss nahmen.14 Poseidon fiel dabei die Insel Atlantis – auch wenn sie damals diesen Namen noch nicht trug – zu, welche er mit Nachkommen besiedelte, die er mit einer sterblichen Frau gezeugt hatte. Neben der genauen Schilderung der Beschaffenheit der Insel erfährt der Leser auch, dass Poseidon sich eine unbestimmte Zeit später erneut mit einer Menschenfrau namens Kleito verbindet und im Zuge dieser Verbindung nicht nur Atlantis eine Aufwertung seiner Lebensbedingungen erhält, sondern auch die politische Struktur des Atlantischen Reiches, die bis zu seinem Untergang Bestand haben soll, fundiert wird.15 Kleito wird als Tochter Leukippes, über die keine weiteren Informationen gegeben werden, und Euenors bezeichnet. Euenor gehört zu den “dort im Anfang aus der Erde entstandenen Menschen”.16 Kleito ist also väterlicherseits auf drastische Weise indigen. Aus ihrer Verbindung mit dem Gott Poseidon gehen fünf Zwillingspaare hervor, wobei der erstgeborene Atlas der Namensgeber der Insel und des umgebenden Ozeans wird. Auch sein Zwillingsbruder Eumelos wird als heros eponymos angeführt, allerdings über den Kunstgriff einer Übersetzung seines Namens in die Landessprache seines Herrschaftsbereichs, in der er Gadeiros genannt wurde.17 Alle zehn Brüder werden große und gute Herrscher, welche die von Poseidon gegebenen Gesetze ehren.18 Sie vererben ihre Würde als Regenten in den zehn von Poseidon eingeteilten Teilreichen in Primogenitur weiter, wobei die Nachkommenschaft des Atlas stets die Vormachtstellung innehat. Im Laufe der Generationen wird freilich der Anteil des Göttlichen in jenem Geschlecht immer mehr ausgedünnt, so dass die Dynastie schließlich moralisch immer mehr verfällt, 12 Platon, Kritias, übers. und komm. von H.-G. NESSELRATH, Göttingen 2006. 13 Der Kritias ist im Übrigen auch für Fragen der Plausibilisierung und Tabuisierung oder 14 15 16 17 18
Unverfügbarstellung interessant. Platon, Kritias (wie Anm. 12), V. 109b. Ebd., Vv. 113c-114d. Ebd., V. 113c. Ebd., V. 114b. Ebd., V. 119c.
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wodurch zuerst ein Schwinden des Wohlstandes und dann die Zerstörung ihres riesigen Reiches heraufbeschworen wird.19 Diese Geschichte erscheint dem Mittelalter-Historiker seltsam vertraut, denn in ihr sind eine Reihe grundlegender Mechanismen in idealtypischer Art und Weise enthalten, die sich auch in mittelalterlichen Genealogien finden. Ein grundlegender Unterschied besteht jedoch im zeitgenössisch-gelehrten Verständnis davon, inwieweit diese Geschichten fiktional waren. Zumindest für die römische Gelehrtenwelt kann konstatiert werden, dass genealogische Texte nicht als besonders glaubwürdige Quellen der Historiographie angesehen wurden.20 Kritisch oder skeptisch äußern sich zum Beispiel Livius, Cicero und Plutarch. Ascelapius von Myrlea qualifiziert Genealogien kategorisch als falsch ab, und Polybius stuft sie als für die Geschichtsschreibung ungeeignet ein.21 Augustinus gibt unter Berufung auf Varro sogar Motive an, wieso führende Männer behaupten, von heidnischen Gottheiten abzustammen, und fährt dann fort: “Es ist begreiflich, daß diese Ansicht Varros, die ich so gut wie möglich mit meinen eigenen Worten wiedergegeben habe, der Unwahrheit Tür und Tor öffnet, und leicht verstehen wir, daß sich da, wo man sogar Lügen über die Götter selbst als vorteilhaft für die Bürger erachtete, ein weites Feld für mythologische Erdichtungen auftat.”22
Im Mittelalter jedoch ist dieser differenzierte und kritische Umgang mit Genealogie oder konkreter mit Gründungsmythen jedoch nicht derartig pointiert nachweisbar. Zwar werden Göttergestalten euhemerisiert23 und auch sonst Abkünfte von Nicht-Menschen im späten Mittelalter mehr und mehr umgedeutet,24 dies dient jedoch der Erhöhung der Glaubwürdigkeit der Textgattung der Genealogie und natürlich auch einer Anpassung an die christliche Weltanschauung. Diese Art der Auseinandersetzung führte nicht zu einem Zweifel an der Glaubwürdigkeit von genealogischen Herleitungen insgesamt, wie die hohe Anzahl und Vielfalt derartiger Werke zu belegen im Stande ist. Man kann also festhalten, dass ein überliefertes Modell mit neuen kulturellen Erfordernissen konfrontiert war und, möglicherweise in Ermangelung einer Alternative, derartig 19 Ebd., Vv. 120b-121a. 20 Vgl. dazu T. P. WISEMAN, Legendary Genealogies in late-republican Rome, in: Greece &
Rome (Second Series) 21 (1974), S. 153-164.
21 Ebd., S. 158-159. 22 Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus zweiundzwanzig Bücher über den Got-
tesstaat. Aus dem Lateinischen, übers. von A. SCHRÖDER, Kempten/München 19111916, 3. Buch, 4. Kapitel (zitiert nach Bibliothek der Kirchenväter: http://www.unifr.ch/ bkv/kapitel1921-3.htm [online 05.08.2012]). 23 K. VON SEE, Euhemerismus, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München/Zürich 1989, Sp. 86-91. 24 Vgl. neben den euhemerisierten griechisch-römischen Göttern auch die Bedeutungsverschiebungen in der Schwanrittersage. Dazu ausführlich J. F. D. BLÖTE, Das Aufkommen der Sage von Brabon Silvius, dem brabantischen Schwanritter (Verhandelingen der Koninklijke Akademie van Wetenschappen te Amsterdam, Afdeeling Letterkunde 5/4), Amsterdam 1904.
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erweitert oder geändert wurde, dass es weiter als der Wahrheit entsprechend angesehen werden konnte.25 Das schon zum Klischee gewordene Diktum vom “dunklen Mittelalter”,26 bei dessen Beginn so viel Wissen verloren ging, kann hier tatsächlich für diesen Verlust an gelehrter Objektivität herhalten, denn von der in der Antike belegten grundlegenden Skepsis ist im Mittelalter nichts mehr zu spüren. Verantwortlich für diese Entwicklung ist vor allem Isidor von Sevilla († 636) und im Speziellen sein umfangreichstes und einflussreichstes Werk, die Etymologiae.27 Das Defizitäre darin im Vergleich zur Antike und die Ausnahmestellung, aus der sich – neben der Autorität des letzten Kirchenvaters – anteilig auch ihre Prägekraft auf das Mittelalter erklären lässt, beschreibt Ernest Brehaut folgendermaßen: “In judging the quality of Isidore’s science as science, we must remember that he is separated from Pliny, his great predecessor in the encyclopedic field, by nearly six centuries, and that those six centuries form a period of continuous intellectual decline; and, further, we must bear in mind the fact that Pliny himself sometimes copied what he did not understand, and was so little of a scientist as even to welcome the marvelous. After this, what can be expected from Isidore? That he wrote what he did write, at the time he did, is in itself the astonishing fact. His work is the only symptom of intellectual life in two centuries of Western European history.”28
Die enorme Anzahl von mehr als tausend heute noch erhaltenen Handschriften der immerhin zwanzig Bücher umfassenden und darum nur sehr aufwändig kopierbaren Etymologien Isidors spricht für sich.29 Es soll hier genügen festzuhalten, dass dieses Werk zu den populärsten des Mittelalters überhaupt zählt und auch darüber hinaus vielfältig rezipiert wurde, wie die wiederholten Druckaus25 Sehr anregend zum Thema des Adaptionspotentials und zur Weiterentwicklung von Er-
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klärungsmodellen: S. HAWKING / L. MLODINOW, Der große Entwurf. Eine neue Erklärung des Universums, Hamburg 2010, S. 50-53. Vgl. zu diesem Ausdruck die einführenden und mit Literaturhinweisen angereicherten Überlegungen in http://de.wikipedia.org/wiki/Dunkle_Jahrhunderte_(Mittelalter) (online 09.05.2012). Isidori Hispaliensis episcopi etymologiarum sive originum libri XX, ed. W. M. LINDSAY, 2 Bde., Oxford 51971. The Etymologies of Isidore of Seville, übers. von S. A. BARNEY / W. J. LEWIS / J. A. BEACH, Cambridge 2006. Eine deutsche Übersetzung besorgte Lenelotte Möller: Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, übers. von L. MÖLLER, Wiesbaden 2008. E. BREHAUT, An encyclopedist of the dark ages. Isidore of Seville, New York 1912, S. 78-79; in der digitalen Edition (http://bestiary.ca/etexts/brehaut1912/brehaut1912. htm [online 13.11.2012]) von 2003 findet sich das Zitat auf S. 45-46 wieder. U. KINDERMANN, Isidor von Sevilla (560-636 n. Chr.), in: W. AX (Hg.), Lateinische Lehrer Europas. Fünfzehn Portraits von Varro bis Erasmus von Rotterdam, Köln 2005, S. 278; vgl. auch DERS., Isidor von Sevilla, in: F.-W. BAUTZ / T. BAUTZ (Hgg.), Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 2, Herzberg 1990, Sp. 1374-1379, hier Sp. 1374 (http://www.uni-koeln.de/~ahz26/edition/oisidor.htm [online 09.05.2012]); ferner J. ELFASSI / B. RIBÉMONT (Hgg.), La réception d’Isidore de Séville durant le Moyen Âge tardif (XIIe-XVe s.) (Cahiers de recherches médiévales 16), Paris 2008 (http:// crm.revues.org/10712 [online 07.03.2010]).
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gaben seit 1472 belegen.30 Ob die Urheber des im Folgenden zu behandelnden Textes Zugriff auf eine solche Ausgabe hatten oder nicht, können wir nicht beurteilen. Doch ihr Werk kann als Beleg dafür gelten, dass diese ‘etymologische’ Art zu denken im ausgehenden Mittelalter unter den Gelehrten31 weit verbreitet war. Isidor von Sevilla hatte jedoch ein ganz anderes Verständnis von dem, was Etymologie ist und zu leisten vermag, als die heutige Sprachwissenschaft. Das Grundprinzip hierbei paraphrasiert Udo Kindermann wie folgt: “Wenn Du in einem Wort etwas Wahres über das mit dem Wort bezeichnete Objekt erkennen willst, dann überprüfe den Ursprung des Objekts, oder seine Wirkung oder das Gegenteil davon darauf, ob Du sprachliche und/oder sachliche/inhaltliche Ähnlichkeiten zwischen Wort und Sache findest.”32
Erkenntnisse die so – also über die Sprache – gewonnen wurden, standen höher und galten als tiefgründiger und wissenschaftlicher als solche, die sich auf anderem Wege erarbeiten ließen.33 Dies sollte man vor Augen haben, wenn es darum geht, das argumentative Potential einer Genealogie, die sich mittels eines eponymen Spitzenahns an ein Herrschaftsgebiet bindet, zu bewerten.
2. Die Quelle34 Der einzige Text des Codex Vaticanus Reginensis Latinus 947 trägt keinen zeitgenössischen Titel. Eine spätere Hand überschrieb den 75 Blätter umfassenden Text mit Chronicon ab initio mundi ad annum christi 1478. Gert Melville taufte das Werk in seinem wegweisenden Aufsatz “Vorfahren und Vorgänger” schließlich
30 Die Enzyklopädie des Isidor (wie Anm. 27), S. 16: “Gedruckt wurde das Werk erstmals
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von G. Zainer in Augsburg 1472 und von J. Mentelin in Straßburg 1473, von K. Winters in Köln 1478, von J. Amerbach in Basel 1489, von P. Loslein in Venedig (1483), von B. Locatello in Venedig (1493), von G. Wolf und T. Kerver (1499).” Es stellt ein Forschungsdesiderat dar, herauszufinden, inwieweit dieses Denken als ‘allgemein mittelalterlich’ zu verstehen ist, d.h. auch außerhalb gelehrter Diskurse nachweisbar ist. U. KINDERMANN, Isidor (wie Anm. 29), S. 283-284; Vgl. auch Lenelotte MÖLLER: “Isidor sucht den Wörtern durch Definition, Analogie und Unterscheidung auf den Grund zu gehen. Er erklärt Wörter durch Ableitung, aus ihrem Gegenteil, aus dem Klang, nach dem Urheber der Sache sowie aus anderen Ursprüngen.” Die Enzyklopädie des Isidor (wie Anm. 27), S. 13. U. KINDERMANN, Isidor (wie Anm. 29), S. 284. Siehe hierzu auch umfassend die kürzlich erschienene Monographie: T. TANNEBERGER, Vom Paradies über Troja nach Brabant. Die „Genealogia principum Tungro-Brabantinorum“ zwischen Fiktion und Akzeptanz (Vita curialis 3), Berlin 2012.
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Genealogia principum Tungro-Brabantinorum und verwies damit auf die besondere Betonung der gens Tungrorum in einer brabantischen Herrschergenealogie.35 Das Werk ist linear aufgebaut, verdeutlicht also gerade nicht die immer weiter fortschreitende Verästelung eines klassischen Stammbaums, sondern blendet diese zugunsten der Fokussierung auf einen Hauptstrang weitestgehend aus. In der Handschrift wird auf diese Art in besagtem, auch graphisch zentral positionierten Hauptstrang eine durchgehende Linie von Spitzenahn36 Adam bis hin zu Philipp dem Schönen von Brabant († 1506) nachgezeichnet. In den links und rechts des etwa eineinhalb Zentimeter breiten Hauptstranges in zwei jeweils circa 75 Millimeter breiten Kolonnen angeordneten Textpassagen werden neben den Abschnitten bezüglich der Herrscher im Hauptstrang auch Absätze zu deren Söhnen, Töchtern und Ehefrauen beziehungsweise Ehemännern geboten.37 Blutsverwandte sind immer durch rote Linien verbunden. Die Seiten sind überdies im Regelfall so konzipiert, dass Abschnitte in der linken Spalte zunächst durch Texte in der rechten Spalte ergänzt werden. Es ist dann in der linken Spalte weiterzulesen. Abweichungen von dieser Regel werden durch verschiedene Zeichen und Linien angezeigt. Auch weltgeschichtliche Incidentiae werden in dieser Art angeordnet wiedergegeben. Wenn sich diese auf berühmte Herrscher oder Herrscherinnen beziehen, so werden auch deren Namen – genau wie die Gattinnen der Potentaten im Hauptstrang – in rote Kreise gesetzt und so als Überschriften sichtbar gemacht. Besonderes Interesse hatte der Schreiber an Dynastien und Einzelherrschern, die in direktem Kontakt mit den Brabantern standen. So werden zum Beispiel die Julier38 oder auch die Merowinger39 in eigenen, wenn auch sehr einfach gehaltenen Stammbäumen gewürdigt und hervorgehoben. Thematische Überschriften werden nicht gestaltet, auf der graphischen Ebene sind alle Ereignisse und Vorgänge Personen zugeordnet. Auch auf der Textebene werden Ereignisse, die nicht im primären Herrscherkapitel – also links von im Hauptstrang hervorgehobenen Herrschern – dargestellt werden – meist zusätzlich zur parallelen, 35 G. MELVILLE, Vorfahren und Vorgänger. Spätmittelalterliche Genealogien als dynasti-
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sche Legitimation zur Herrschaft, in: P.-J. SCHULER (Hg.), Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, Sigmaringen 1987, S. 203-309. Die Namensgebung des Werkes findet sich auf S. 246. Vgl. zu diesem Terminus K. HAUCK, Haus- und sippengebundene Literatur mittelalterlicher Adelsgeschlechter, von Adelssatiren des 11. und 12. Jh. her erläutert, in: W. LAMMERS (Hg.), Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter (Wege der Forschung 21), Darmstadt 1961, S. 165-199, hier S. 173. Eine anschauliche Beschreibung der grundlegenden graphischen Gestaltung des Codex bietet auch G. MELVILLE, Vorfahren (wie Anm. 35), S. 229-230. Genealogia, fol. 26rb-27va. Ebd., fol. 36, fortgesetzt auf 38r und 41r (Es fällt auf, dass Charibert II. in diesem Diagramm fehlt, was entweder mit der Unkenntnis des Schreibers, seiner kurzen Regierungszeit [von 629 bis 632] oder damit zu erklären ist, dass er lediglich im fernen Aquitanien die Herrschaft inne hatte und daher aus dem räumlichen Fokus fiel).
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Gleichzeitigkeit anzeigenden Anordnung in der rechten Spalte – in Bezug zu diesen zentralen Figuren gesetzt.40 Zusätzlich sind Informationen zu den römischen Kaisern Bestandteil des zweiten Viertels des Codex. Diese Reihung beginnt auf fol. 26v mit Gayus Iulius Cesar und endet auf fol. 41v mit Constantinus 4us, welcher die Ordnungszahl 58 trägt.41 Die Kaiser, die seit Caesar eng an die braebonische42 Dynastie gebunden sind oder mit dieser interagieren und somit im normalen Textblock mitbehandelt worden waren, werden im späteren Verlauf zunehmend knapper behandelt. Mehrfach werden auch lediglich minimalistische Listen, die meist nur Namen und Nummern beinhalten, geboten.43 Dies zeigt deutlich die strikte Konzentration der Darstellung auf den brabantischen Raum, wenn man nicht sogar die Behauptung einer gewissen Höherwertigkeit der Herrscher Brabants unterstellen will. Neben der allgemeinen Fokussierung durch die graphisch ins Zentrum gestellte Herrscherabfolge setzten die Ersteller des Codex weitere Mittel der Hervorhebung ein. Zu nennen sind zunächst Rubrizierungen, vor allem jedoch ein-, zwei- oder sogar dreifache Kreise, die die Namen besonders wichtiger Personen umrahmen, während Glossen von der Schreiberhand fast ausschließlich auf Stadtgründungen hinweisen. Die Betonung von Herrschern einerseits und von diesen gegründeten Städten andererseits ist also vom Gestaltungskonzept der Handschrift her deutlich wahrnehmbar. Wenden wir uns nun dem eigentlichen Inhalt der Genealogie zu (Abb. 41). Von Adam und Eva, deren Namen jeweils in einen dreifachen Kreis gesetzt sind, ausgehend verläuft die genealogische Linie zunächst über die Nachkommen Japhets,44 dann durch die griechische Götterwelt hindurch,45 über Troja,46
40 Vgl. die einleitenden Phrasen: Nota quod huius tempore […], ebd., auf fol. 3vb, 12rb, 12va
und öfter sowie Huius tempore […] auf fol. 5rb, 8vb, 10vb, 12va und öfter.
41 Nummer 58 weicht in Schriftbild und Tinte ab, so dass es sich um eine spätere Ergän-
zung oder eine andere Hand handeln muss.
42 Dies bezieht sich auf den Leitnamen Braebon, siehe dazu unten im Kapitel “4. Die spe-
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zielle Qualifikation”. Gert Melville spricht von der “bracbonischen” Dynastie (G. MELVILLE, Vorfahren [wie Anm. 35], S. 234-237 und öfter), was der Schreibweise des Leitnamens der Dynastie entspricht, welche in den Kreisen, jedoch nicht im Text verwendet wurde – auch wenn wegen der oszillierenden Schreibweise der Buchstaben “e” und “c” keine vollständige Sicherheit möglich ist. Bezogen auf andere Namensvarianzen und gemäß der Beobachtung, dass der Text im Zweifelsfall die korrekte Schreibweise bietet, verwendet der Verfasser dieses Beitrages durchgängig den Namen Braebon (vgl. T. TANNEBERGER, Vom Paradies [wie Anm. 34], S. 17, Anm. 32). Hinzu kommt, dass die Namensnennungen im Text ungleich zahlreicher sind als in den Kreisen. Vgl. zum Beispiel die Nummern 28 (Claudius Quintillus) bis 32 (Carus cum filiis Carino et Numeriano), Genealogia, fol. 31va. Ebd., fol. 2v. Vgl. ebd., ab fol. 3v. Vgl. ebd., ab fol. 12r.
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hin zu sicambrischen47 und dann tungrischen Fürsten.48 Zeichnet man diesen Durchgang durch die Geschichte auf einer Landkarte nach, so wird – abgesehen vom notwendigen Abstecher nach Troja49 – die zielgerichtete Nordwestbewegung deutlich. Ebenso bezeichnend für den Stellenwert des Raumes ist, dass der Fokus des Werkes von nun an fest auf das brabantische Kerngebiet gerichtet bleibt. Egal wie groß oder klein das in den folgenden Jahrhunderten beherrschte Gebiet oder der Titel der Potentaten war: das 300 Jahre nach dem Fall Trojas erreichte Gebiet bleibt immer das zentrale. Seit einer Privilegierung durch Julius Caesar50 und der zeitgleich geknüpften ehelichen Verbindung mit der indigenen Dynastie der Braebonen ist dann auch explizit von Fürsten und Herzögen von Tungrien und Brabant die Rede. Der vorher nicht in den Quellen belegte Altgroßvater Pippins des Älteren51 († 640), Lando, heros eponymos der Stadt Landen, ist in der vorliegenden Genealogie der erste, der ohne weitere Zusätze als Herrscher des Herzogtums der Brabanter bezeichnet wird.52 Wenig später stellt die Dynastie auch den Herzog von Lothringen, den Markgrafen an der Schelde und den Erzherzog Austrasiens. Hinzu kommt das Maior Domus-Amt, sowie das des königlichen Schwertträgers. Den Höhepunkt stellt dann die Identität der brabantischen Herzogslinie mit den karolingischen Königen und Kaisern vom ausgehenden achten bis zum Ende des zehnten Jahrhunderts dar.53 Es folgen – weiterhin in direkter Abstammungslinie im Hauptstrang – Herzöge von Lothringen, sowie Gräfinnen und Grafen, bis Gottfried der Bärtige († 1069) schließlich wieder die Herzogswürde mit der Herrschaft über Brabant verbinden kann. Neu und nicht unwesentlich für das Gesamtkonzept der Genealogie ist, dass die Brabanter Herzöge in dieser Zeit auch Markgrafen des sacrum imperium werden und fortan sowohl deutsche als auch fränkisch-französische Lehnsherren haben. Die Herzogswürde bleibt dem Geschlecht jedenfalls von nun an mit nur einer Unterbrechung im zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts, nämlich bei Margareta,54 der Gräfin von Flandern, bis zum Ende der Quelle erhalten. Transpersonales Herrscheramt und Dynastie sind also engstens aneinander gebunden, ebenso eng wie die Dynastie und ihre Kernlande. 47 Vgl. ebd., ab fol. 20v. 48 Vgl. ebd., ab fol. 21v. 49 G. MELVILLE, Troja: Die integrative Wiege europäischer Mächte im ausgehenden Mittel-
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alter, in: F. SEIBT / W. EBERHARD (Hgg.), Europa 1500. Integrationsprozesse im Widerstreit: Staaten, Regionen, Personenverbände, Christenheit, Stuttgart 1987, S. 415-432. Genealogia, fol. 26v; vgl. ebenso seine graphisch gestaltete Genealogie auf fol. 26r. Dieser wird in der Historiographie oft als Pippin von Landen bezeichnet (Einem Altgroßvater entspräche umgangssprachlich der Urururgroßvater). Hic Lando filius Karoli qui Pulcher cognominatus fuit, eidem suo patri defuncto in ducatu Brabantinorum successit anno dominice incarantionis 461o. Genealogia, fol. 35r. Ebd., fol. 43r: Pippinus parvus rex († 768) bis fol. 47r: Ludovicus rex (Ludwig der Überseeische [† 954]). Ebd., fol. 63v.
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3. Die Ansprüche an eine neue Genealogie In den den Schreibern oder Urhebern der Genealogia vorliegenden Quellen war eine solche Kontinuität in der Vergangenheit nicht nachweisbar. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass es sich im Verständnis der Rezipienten um rekonstruierte Geschichte oder zumindest um den mehr oder weniger gelungenen Versuch einer Rekonstruktion handelte.55 Dies wird in der Analyse vor allem dort deutlich, wo wir miteinander konkurrierende oder sich einfach nur inhaltlich berührende Darstellungen zueinander in Bezug setzen können. An diesen Berührungspunkten wird deutlich, dass einerseits nicht völlig frei konstruiert oder erfunden wurde, sondern dass Genealogien sich immer am im Bewusstsein des Publikums verankerten Wissen orientierten und dadurch plausibel wurden.56 Argumentativer Spielraum ergab sich daher in besonderer Weise in der mythischen und damit unkonkreten Vergangenheit, die nur spärlich oder gar nicht mit bereits etablierten Geschichtsvorstellungen vorstrukturiert war. Vor allem durch die in den Vorbemerkungen dieses Beitrages behandelte Methode der ‘Isidorischen Etymologie’ wurden konkrete Erweiterungen dieses Wissens abgesichert beziehungsweise – von der Verfasserebene aus gesehen – auf wissenschaftliche57 Art erschließbar. Eine neue Herrschergenealogie musste zwei Grundkriterien erfüllen, wollte sie im Sinne einer Herrschaftslegitimation oder einer Identitätsstiftung erfolgreich sein. Erstens musste sie der herrschenden Dynastie ein hohes Alter bescheinigen, was bei einer Kontinuitätslinie bis hin zum ersten Menschen definitiv gewährleistet war, jedoch gemäß der Schöpfungslehre für jede entsprechend ambitionierte Familie möglich gewesen sein dürfte. Das zweite Kriterium ist also das entscheidende. Die Dynastie – und mit ihr der aktuell lebende Vertreter – musste sich im Zuge dieses Durchgangs durch die Ahnenreihe spezifisch qualifizieren. Die Idoneität des zeitgenössischen Herrschers musste durch die vererbte, also in der Dynastie inhärente und akkumulierte Idoneität seiner Vorfahren nachgewiesen und auch die Rechtmäßigkeit der Herrschaft über ein bestimmtes Volk oder ein klar definiertes Gebiet musste aufgezeigt werden,58 wodurch aus umgekehrter Perspektive auch der beherrschte Raum mit einer 55 Vgl. T. TANNEBERGER, Die historiographischen Konstruktionen in der Genealogia princi-
pum Tungro-Brabantinorum im Vergleich, in: J.-M. CAUCHIES (Hg.), Mémoires conflictuelles et mythes concurrents dans les pays bourguignons (ca 1380-1580) (Publications du Centre Européen d’Etudes Bourguignonnes [XIVe-XVIe s.] 52), Turnhout 2012, S. 183-193. 56 Siehe dazu ausführlich K. HERING / T. TANNEBERGER, Unglaubliche Geschichten? Zur Plausibilisierung von Transzendenzbehauptungen, in: S. DREISCHER / C. LUNDGREEN / S. SCHOLZ / D. SCHULZ (Hgg.), Jenseits der Geltung. Konkurrierende Transzendenzbehauptungen von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin 2013, S. 212-232. 57 Es sei daran erinnert, dass hier ein mittelalterliches Verständnis von ‘Wissenschaftlichkeit’ gemeint ist. 58 Grundlegend hierzu G. MELVILLE, Vorfahren (wie Anm. 35).
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Vergangenheit und somit mit einer (gewandelten) Identität ausgestattet werden konnte. Im Vokabular unseres Dresdner Sonderforschungsbereichs 80459 lässt sich also postulieren, dass sich mittels dieser (re)konstruierten Deszendenz eines Herrschers in eine ferne und eigentlich unverfügbare Vergangenheit gleichsam sein Herrschaftsanspruch durch einen transzendenten (unverfügbaren und unhinterfragbaren) Bezug behaupten lässt und auch ein Gemeinsinn beziehungsweise Sinn für das Gemeinsame des beherrschten Volkes gestiftet wird. Die zweite Ebene des Dresdner Gemeinsinnsbegriffs, nämlich dass es für eine gesellschaftliche Gruppe gemeinsinnig (also allgemein akzeptiert) ist oder gemacht wird, dass ein Herrscher rechtmäßig regiert, ist ebenso impliziert.
4. Die spezielle Qualifikation Worin besteht nun aber die besondere, Identität und Legitimität stiftende und für andere Geschlechter unverfügbare Verknüpfung dieser trojanisch-tungrischen Dynastie mit den Brabantern und dem Land Brabant? Wie oben dargelegt erreicht das bei der Erschaffung der Welt einsetzende Werk auf narrativer Ebene ungefähr 300 Jahre nach dem Fall Trojas den für die zeitgenössischen Rezipienten relevanten Raum. Doch bereits in der Generation der Trojaflüchtlinge60 ist eine bemerkenswerte Weichenstellung zu konstatieren, denn im Hauptstrang der Genealogia principum Tungro-Brabantinorum stehen weder der Prinz aus einer trojanischen Nebenlinie namens Eneas, seines Zeichens traditionell Vorfahre der Gründer und Könige Roms und auch des Geschlechts der Julier, noch jener Francion, der ein Herzog unter den Flüchtlingen war und in zahlreichen mittelalterlichen Geschichtswerken als Vorfahre des Frankenkönigs Chlodwig, der Merowinger, der Karolinger sowie der französischen Könige und auch der Herzöge von Burgund galt.61 Die Verfasser der hier diskutierten Quelle stellten zwar auch einen Francion auf, dieser war jedoch der Sohn Hektors, also ein Blutsverwandter und direkter Nachkomme der Könige von Troja. Diese Verwandtschaft wird dadurch noch deutlicher gemacht, dass auch im weiteren Verlauf der 59 Vgl. zur Einführung in das Forschungsprogramm: H. VORLÄNDER, Einleitung (wie
Anm. 8), S. 7-15.
60 Genealogia, fol. 17-20. 61 Vgl. Fredegarii et aliorum Chronica. Vitae sanctorum, ed. B. KRUSCH (Monumenta Ger-
maniae Historica, Scriptores rerum Merovingicarum 2), 2 Bde., Hannover 1888, Bd. 1, S. 45-46, 93-95); Hugo von Fleury, Historia regum francorum monasterii Sancti Dionysii, ed. G. H. PERTZ (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 9), Hannover 1851, S. 395-406, hier besonders S. 395; Edmund de Dynter, Chronica nobilissimorum ducum Lotharingiae et Brabantiae ac regum Francorum, ed. P. F. X. DE RAM (Commission royale d’histoire. Publications in-quarto 8/1-3), 3 Bde., Brüssel 1854-1860.
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Ahnenreihe trojanische Leitnamen auftauchen. So finden wir die Priamos-Hektor-Sequenz62 im zweiten Jahrhundert nach dem Fall Trojas wieder, Beinamen wie Silvius und Eneas63 sogar noch im letzten Jahrhundert vor der Zeitenwende. Die Würde der trojanischen Abkunft ist so – wie auch das hohe Alter des Geschlechtes – dargelegt. Nur fünf Generationen nach besagtem Francio erreicht die Genealogie Torgotus,64 der die Stadt Tungris/Tongeren gründet, die er nach seinem Sohn und Nachfolger benennt. Mögliche Gründe, wieso gerade Tongeren diese herausragende Rolle zu spielen hat,65 sind möglicherweise im späten Mittelalter noch sichtbare Relikte aus römischer und damit uralter Zeit und/ oder schlicht die Kenntnis der Stelle bei Tacitus, wo es heißt: […] ceterum Germaniae vocabulum recens et nuper additum, quoniam, qui primi Rhenum transgressi Gallos expulerint ac nunc Tungri, tunc Germani vocati sint: ita nationis nomen, non gentis, evaluisse paulatim, ut omnes primum a victore ob metum, mox et a se ipsis invento nomine Germani vocarentur.66
Den vielleicht deutlichsten Bezug zu Brabant als Herrschaftsgebiet stellt die Genealogia durch die Einbindung der seit dem 13. Jahrhundert hier tradierten67 und spätestens durch Konrads von Würzburg Versepos68 in Nijmegen verorteten Schwanrittersage in das Geflecht aus gleich drei zusammenfließenden trojanischen Linien her.69 Der Namensstifter der Braebonen, Braebon I., ist ein Onkel des Stadtgründers Tongerens und jüngster Sohn Hectors, des Königs von Cycambrien, der seinerseits ein Urenkel Francions ist.70 Da er nicht im Hauptstrang des Werkes auftaucht, erfährt man von seinen Nachkommen vorerst nur, dass sie hervorragende Herzöge in Cycambrien gewesen seien und alle den Leitnamen Braebon getragen hätten. Auch von der Wahl der Stadt Braebas als Hauptsitz der Braebonen ist eher am Rande die Rede.71 Dieser Linie wendet sich der Text erst wieder mit Braebon XX.(!), dem Großvater des Schwanenrit62 Genealogia, fol. 20v. 63 Ebd., fol. 26v: Brüder Silvius Braebon und Eneas Braebon, ihr Vater ist Braebon XXI.,
ihr Onkel heißt Priamos; fol. 30r: Julius Braebon; fol. 30v: Octavius Braebon.
64 Ebd., fol. 21r. 65 Die These, dass es auch eine Motivation dahingehend gab, dass Tongeren im 15. Jahr-
66 67 68 69 70
71
hundert zum Fürstbistum Lüttich gehörte und durch die Verknüpfung der Brabanter oder Burgunder mit dieser Stadt Herrschaftsansprüche im Fürstbistum untermauert werden sollten, bedarf weiterer Prüfung. Tacitus, Germania 2, 5 (vgl. Tacitus, Germania. Lateinisch-Deutsch, hg. u. übers. von A. STÄDELE / G. FINK, Berlin 2011, S. 10). J. F. D. BLÖTE, Das Aufkommen der Sage (wie Anm. 24), S. 124. Konrad von Würzburg, Kleinere Dichtungen II: Der Schwanritter. Das Turnier von Nantes, ed. E. SCHRÖDER, Zürich/Berlin 1998 (3. Repr. d. Ausg. 1959), S. 1-41. Genealogia, fol. 26rv. Vgl. ebd., fol. 20v, 21rb. Dieser Hector ist nicht identisch mit dem Sohn des Trojanerkönigs Priamos! Die Wiederaufnahme trojanischer Herrschernamen kann im Sinne adliger Leitnamen innerhalb einer Dynastie als weiteres plausibilisierendes Argument aufgefasst werden (siehe dazu auch T. TANNEBERGER, Vom Paradies [wie Anm. 34], S. 90-92). Genealogia, fol. 21rb.
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ters Silvius Braebon zu.72 Silvius Braebon ist es, der durch seine von Julius Caesar besiegelte Heirat mit Swana die im Hauptstrang stehende trojanisch-tungrische mit der trojanisch-braebonischen Linie wiedervereint. Hinzu kommt der Zusatz der Ansippung an das trojanisch-römische Geschlecht der Julier und damit der Eneaslinie, da Swana die Nichte Caesars ist. Außerdem wird der ducatus Tungrinorum et Cymbrorum73 im Zuge dieser geschichtsträchtigen Ereignisse fortan Brabancia genannt.74 In der Folge bleibt die Geschichte der Herzöge von Brabant eng mit der der römischen Kaiser verbunden. Um die autonome Stellung Brabants zu verdeutlichen, wurde allerdings vermieden, andere den Brabantern übergeordnete Herrscher in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken. Dass dies bewusst geschah, zeigt ein Blick auf die Annalen des Jacques de Guyse75 († 1399), die wohl das chronologische Grundgerüst für diesen Teil der Darstellung bis zu den karolingischen Hausmeiern im siebten nachchristlichen Jahrhundert bildeten. In diesem Werk sind es zu großen Teilen die Könige der Gallier und Belger, welche agieren und mit ihren Unternehmungen das Schicksal der Region prägen. Die im Hauptstrang der Genealogia dargestellten Herrscher strukturierten bereits seit Anbeginn der Zeit – wo immer die Potentaten auch ansässig wurden – den Erdkreis räumlich-herrschaftlich. Zu denken ist besonders an Noah und seine Söhne, an Jonan, den Begründer der Ionischen Herrschaft,76 Trous und Ylion, die Begründer Trojas als Machtzentrum77 und natürlich an Francion, Cycamber78 und Ambro,79 die jeweils so verdienstvolle Anführer waren, dass das Volk beziehungsweise der beherrschte Raum schließlich ihre Namen trug. Damit sind nur einige der zahlreichen Beispiele für heroi eponymoi genannt. Es erscheint nun also als folgerichtig, dass diese der Dynastie inhärente ordnende Kraft schließlich auch nach dem eben beschriebenen Zusammenfließen der drei trojanischen Linien weiter wirken muss. War Silvius Braebon bereits ein herausragender Krieger im Gefolge Julius Caesars, so stellt die Dynastie in den folgenden Jahren von Octavianus Rex ausgehend Könige von Agrippina und mit Vespasian80 sogar einen römischen Kaiser. Beide werden allerdings, um den Fokus zu wahren, nur in Nebenlinien behandelt. Der erste Fürst in der Hauptlinie namens Braebon ist schließlich Julius Braebon, welcher das Land zwischen 72 Ebd., fol. 26v. 73 Vgl. ebd, fol. 26r; 24r bis 25v mehrmals: ducatus Tungringetarum et Cymbrorum. 74 Ebd., fol. 27rb: Et Servius de Rhenberge et omnes nobiles illius terre vocati de iussu Cesaris ac con-
sensu Octaviani fratris sponse Swane ei tamquam domine et Braebone a quo Brabancia nomen accepit.
75 Iacobi de Guisia annales historiae illustrium principum Hanoniae, ed. E. SACKUR (Monu-
76 77 78 79 80
menta Germaniae Historica, Scriptores 30/1: Supplementa tomorum XVI-XXV), Hannover 1896, S. 44-334. Genealogia, fol. 3v. Ebd., fol. 13r. Ebd., fol. 20v. Ebd., fol. 22v. Vgl. ebd., fol. 27va und 29ra.
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zwischen Rhein und Maas ausbaute und die nach ihm benannte Stadt Jülich gründete.81 Schon allein die Kombination aus römischem Kaiser- und brabantischem Herzogsname, die auch bei seinem Sohn Octavius Braebon angedeutet ist, verweist auf die besondere Qualität der Dynastie. Die Wiederaufnahme des herrschertypischen Brauches der Stadtgründung und das explizit formulierte Ausbauen oder Fördern des Landes unterstreichen diese. Texander, welcher im Jahre 371 u.Z. – also fünf Generationen später als Octavius Braebon – Herzog wird, scheitert dann beim Versuch der Ausweitung seiner Befugnisse, die er auf ein Privileg aus der Zeit Herzog Karls, des Sohnes von Silvius Braebon, gründen zu können glaubt, an Kaiser Gratian († 383). Dieser setzt ihn zunächst wegen Majestätsbeleidigung für ein Jahr gefangen, doch mit göttlicher Hilfe kann er entfliehen. Nachdem er sich zum Dank dafür zum Christentum bekehrt und von Martin von Tours taufen lassen hat, kehrt er nach Brabant zurück und leistet Großes beim Kampf gegen die Franken unter Marchomir, welche aus Pannonien kommend den Rhein überqueren. Aus dieser Leistung wird die Einrichtung des Herzogtums Texandrien (Toxandrien) erklärt, da Texander nach dieser Abwehrschlacht nicht in sein eigentliches Kerngebiet um Tongeren zurückkehrte.82 Nachdem unter Texanders Enkel Karolus Pulcher eine Reihe der bedeutendsten Städte durch Hunneneinfälle zerstört wurde, ist es dessen Sohn Lando, der im Jahre 461 eine neue Herzogsresidenz namens Landen errichtet.83 Sein Sohn Austrasius, der 479 an die Macht gelangt, macht sich nun besonders um die Verbreitung des christlichen Glaubens in der ganzen Gallia Belgica verdient, wo er überdies auch prudenter et iuste pacifice et prospere regierte. Ihm zum Gedenken wurde dieses Gebiet dann Austrasia oder Austria inferior genannt.84 Auch dessen Enkel Karolus Hasba,85 einer der in der Quelle am spätesten datierten duces Brabantinorum unter den in der Forschung nicht als real akzeptierten, wird als heros eponymos eingeführt. Gleichzeitig wird durch den Doppelnamen die Überleitung zum Höhepunkt der genealogischen Reihung angekündigt: das Aufgehen der Dynastie in den pippinidisch-karolingischen Hausmeiern, Königen und Kaisern ab dem Anfang des 7. Jahrhunderts.86 Mit Toxandrien, dem Haspengau (Hespengau) und Austrasien sind ferner Räume, in denen die Pippiniden Besitzungen hielten oder später die Macht innehatten, eingeführt. Toxandrien 81 Ebd., fol. 30ra: Post mortem vero patris omnis terra a Reno usque ad Scaldam sue paruit ditioni. Sed
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quam prius coluerat inter Renum et Mosam diligencius procuravit fundavitque ibi opidum quod usque hodie a suo nomine Juliacum vocatur. Vgl. ebd., fol. 33rb. Im Mittelalter war Toxandrien zunächst Bestandteil des Herzogtums Niederlothringen, nach dessen Auflösung gehörte die heute nicht mehr exakt abzugrenzende Landschaft im Wesentlichen zum Herzogtum Brabant. (Vgl. http://de.wikipedia. org/wiki/Toxandrien [online 13.11.2012]). Genealogia, fol. 35r. Ebd., fol. 35v. Ebd., fol. 37r. Ebd., fol. 40v-42r.
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und der Haspengau können als zur Abfassungszeit der Genealogia zentrale Landschaften des Herzogtums Brabant angesprochen werden. Der Durchgang durch die Genealogia principum Tungro-Brabantinorum soll hier abgebrochen werden, auch wenn sich noch weitere Belege für die Raum ordnende und Herrschaft konstituierende Kraft der Dynastie finden lassen.
5. Schluss Wie an den angeführten Beispielen gezeigt werden konnte, wird in Zeiträumen ohne zur Bezugnahme zwingende Alternativquellen das mittelalterliche Verständnis einer Verwurzelung des Herrschergeschlechtes im Raum bzw. die Erschließung des Raumes durch die Dynastie besonders deutlich. Mag die Genealogia principum Tungro-Brabantinorum an diesen Punkten im Sinne einer Erforschung “wie es eigentlich gewesen”87 nicht viel hergeben, so lehrt sie uns dafür umsomehr, wie das Imaginaire des mittelalterlichen Chronisten und seines antizipierten Rezepientenkreises bezüglich einer idealtypischen Herrschaftsausübung ausgesehen haben kann. Die Idoneität eines Herrschers zeigt sich vor allem in der Zugehörigkeit zu der Dynastie, die im Laufe ihrer Geschichte bewiesen hat, dass sie in der Lage war, eine stabile Herrschaft zu gewährleisten. Hierbei geht es nicht nur um die möglichst ungebrochene Kontinuität des Geschlechtes im Amt, sondern auch um jeweils lange Herrschaftszeiten der einzelnen Vorfahren.88 Natürlich muss ein Herrscher auch militärisch potent sein. Aus der Perspektive der hier untersuchten Quelle zeichnet er sich jedoch besonders in Friedenszeiten oder dadurch, dass er Frieden zu wahren im Stande ist, aus. Die der Dynastie der Braebonen inhärente Kraft zur Ordnung des Raumes wird so auch nie vordergründig als kriegerische Landnahme dargestellt. Es sind vielmehr erschaffende Akte, wie Landesausbau und Stadtgründungen, durch die sich die guten Herrscher auszeichnen. Man wird zu Recht vermuten, dass darin Hinweise auf einen städtischen Entstehungskontext dieser Genealogie zu sehen sind. Zieht man die Abfassungszeit des Werkes am Ende des 15. Jahrhunderts und dessen relativ engen geographischen Fokus zusätzlich in Betracht, so kann dies die Motivation seiner Abfassung weiter erhellen. Nach dem Tode Karls des Kühnen († 1477) und seiner Tochter Maria († 1482) befanden sich die brabantischen Städte in einer unglücklichen Lage: Die ehemals machtvolle Stellung Brabants als zentrales und 87 F. L. VON RANKE, Sämtliche Werke, Bd. 33/34, Leipzig 1885, S. 7: “Man hat der Historie
das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beigemessen: so hoher Aemter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er will blos zeigen, wie es eigentlich gewesen”. 88 Die in der Quelle genannten Fürsten Brabants zwischen dem ersten und dem siebten Jahrhundert regieren durchschnittlich etwa 40 Jahre.
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vor allem wirtschaftlich prosperierendes Gebiet innerhalb der ausgedehnten Besitzungen der Herzöge von Burgund war durch den Zerfall des im 14. und 15. Jahrhundert zwischen römisch-deutschem Imperium und Frankreich geschaffenen Machtbereichs der Herzöge in Gefahr.89 Im Spannungsfeld zwischen der Befürchtung eines Identitätsverlustes durch die Machtübernahme des als fremd wahrgenommenen Maximilian von Habsburg, der als überlebender Ehemann Marias Thronansprüche geltend machen konnte, und der Bedrohung einer Invasion durch die französischen Truppen Ludwigs XI. ruhten die Hoffnungen auf Philipp dem Schönen, dem jungen Sohn Marias und Maximilians. Der in Brügge geborene – und damit nicht als Ausländer geltende – Philipp war gemäß narrativer Argumentation und graphischer Anlage der Genealogia rechtmäßiger Herrscher Brabants, da er aus der Dynastie der Braebonen hervorgeht, welche seit jeher den Frieden in diesem Gebiet gesichert hat.90 Von ihm erwartet die städtische Elite im Hintergrund des hier behandelten Codex die Wahrung einer eigenen burgundisch-brabantischen Identität, aber auch territorialer Integrität. Dynastische Legitimation und regionaler Gemeinsinn erscheinen eng verkoppelt.91 Die Idoneität Philipps des Schönen erklärt sich aus seiner Verbundenheit mit dem Raum Brabant, welche in der Quelle genealogisch erwiesen wurde.
89 Eine luzide Darstellung der politischen Situation nach der Teilung des Herzogtums Bur-
gund bietet H. KAMP, Burgund. Geschichte und Kultur, München 2007, S. 95-116.
90 Siehe hierzu auch T. TANNEBERGER, Vom Paradies (wie Anm. 34), S. 54-56. 91 Vgl. dazu R. STEIN, Jan van Boendales Brabantsche Yeesten: antithese of synthese?, in:
Bijdragen en mededelingen betreffende de geschiedenis der Nederlanden 106 (1991), S. 185-197.
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Zusammenfassung Zu Beginn der diesem Band zugrundeliegenden Tagung konnten die Teilnehmer seltene genealogische Handschriften und Frühdrucke aus den Beständen der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden betrachten. Dort war im ‘Sächsischen Stammbuch’ aus der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts auch der ‘Stammvater’ der Wettiner zu sehen, wie er sich im Plattenpanzer mit drei goldenen Glocken auf dem Schild herausfordernd präsentiert: Alexander der Große.1 Es sind gerade solche, immer wieder auch in den Beiträgen genannten phantasievollen Verlängerungen der mittelalterlichen Genealogien in die entlegensten Vorzeiten und Mythologien – zurück bis auf Cäsar und Alexander, zurück bis auf Noah und Adam, zurück bis auf Jupiter und Odin –, die uns die Alterität der damaligen Abstammungskonzepte schlagend vor Augen führen. Amt und Abstammung sollten in der dynastisch geprägten Adelswelt möglichst zur Deckung gebracht und in einer nicht abreißenden Linie kontinuierlich bis zu den ältesten Anfängen zurückgeführt werden – auch wenn diese Konstruktionen heutigen kritischen Beobachtern nur abenteuerlich vorkommen können. Um Herrschaftsansprüche zu legitimieren oder im Rangwettstreit ganz vorne zu liegen, konnten die herangezogenen Ahnen gar nicht alt und ehrwürdig genug und die vorgestellten Vorgänger, in deren Glanz man sich sonnen wollte, gar nicht heldenhaft und außerordentlich genug sein: So konnte der heidnische Alexander als Vorbild und Vorfahre christlicher Fürsten deklariert werden – wie ja auch Jesus von Nazareth über seine Mutter problemlos in eine alttestamentlich-jüdische Genealogie eingeordnet wurde. In der agonal bestimmten Adelskultur begegneten sich allerdings konkurrierende genealogische Konzepte, die mit großem Aufwand in den unterschiedlichsten Medien entworfen und kommuniziert wurden. Wo sich Lücken in der Kontinuität auftaten, wurde nachgeholfen, denn man bemühte sich darum, die Geltungsbehauptungen möglichst plausibel und unangreifbar zu machen, sie – nachdem sie ja in der Vergangenheit lagen – unverfügbar zu stellen, damit sie ihre herrschaftsstabilisierende Funktion erfüllen konnten. Dies ist genau die Relation von ‘Transzendenz und Gemeinsinn’, von der Hans Vorländer in seinem Grußwort sprach. Der Sonderforschungsbereich 804 beschäftigte sich gerade mit der Frage, welche Voraussetzungen, Bedingungen und Ressourcen für die Konstituierung und Stabilität von sozialen und politischen Ordnungen notwen1
Ein Digitalisat der reich bebilderten Handschrift Mscr.Dresd.R.3 ist zugänglich unter http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/56803/1/cache.off (zuletzt aufgerufen am 30.10.2014); die Bildnr. 18 zeigt die erwähnte Darstellung von Allexander Magnus.
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dig sind. Vorländer erinnerte daran, dass die Tagung aus einem Teilprojekt dieses Sonderforschungsbereiches hervorging mit dem Titel “Dynastie, Idoneität und Transzendenz. Vergleichende Untersuchungen zum hohen und späten Mittelalter”. Und genau dieses Programm wird in diesem Band zur Diskussion gestellt und gleichzeitig weitergetrieben, indem unter den Leitbegriffen ‘Idoneität – Genealogie – Legitimation’ ‘Überlegungen zur Begründung und Akzeptanz von dynastischer Herrschaft’ in dieser Zeit angestellt werden.2 Die vergleichende Perspektive, die im Teilprojekt bereits angelegt war, ist auch in zahlreichen der hier versammelten Beiträge sowie im Bündel der Beiträge insgesamt stark ausgeprägt. Der Raum reicht von Norwegen über Neapel bis Sizilien und von Schottland über Burgund bis Ungarn, die betrachtete Zeit hebt nicht erst mit dem elften Jahrhundert an und sie endet nicht mit dem fünfzehnten. Cristina Andenna und Gerd Melville räumen in ihrer Einleitung ein, dass die mit Transzendenz begründete allgemeine Herrschaftslegitimation für das Mittelalter schon recht gut erforscht ist. Zu verweisen ist etwa auf das bereits ein Jahrhundert alte grundlegende Webersche Legitimationskonzept von Herrschaft, von dem derartige Deutungen regelmäßig ausgehen. Sie betonen aber zu Recht, dass die Frage nach der Legitimation des jeweiligen Herrschaftsträgers als Einzelperson noch weitgehend offen ist, also die Frage danach, was in den Augen der Zeitgenossen einen Herrscher grundsätzlich zum Regieren befähigte. Bei der Beantwortung dieser Frage kann die analytische Kategorie der Idoneität helfen. Während die Tugendhaftigkeit schon immer zur Eignung eines Herrschers in Betracht gezogen wurde, ist mit der Verfestigung der Adelsherrschaften und mit der Herausbildung stabiler Herrschaftszentren ab etwa dem 11. Jahrhundert die Eignung eines mittelalterlichen Königs oder Fürsten mehr und mehr durch das dynastische Prinzip bestimmt worden. Spätestens ab dieser Zeit ist danach zu fragen, wie genealogische Entwürfe für Idoneitätsbehauptungen fruchtbar gemacht wurden. Der Einzelne verweist dann nämlich nicht mehr allein auf seine vorgeblich überdurchschnittlichen Tugenden, sondern er transzendiert gleichsam auf seine Ahnen, indem er sich in eine möglichst lange und lückenlose Kette von Vorfahren zu stellen sucht, deren gesammelte Eignungen und Verdienste in ihm als letztem Glied zum Wohle aller zusammenlaufen. Was aber, wenn der Einzelne offensichtlich unfähig oder gar untauglich war? Was, wenn eine Dynastie neu begründet werden sollte? Was, wenn sie sich in einem nicht angestammten Territorium oder gar in mehreren durchsetzen wollte? Die erste Sektion des Bandes stellt nun gleich den “Herrscher” als Einzelperson in den Mittelpunkt. Für Jörg Peltzer gibt der Rang den Rahmen vor, innerhalb dessen weitere Idoneitätskriterien in Anschlag gebracht wurden. Er 2
Vgl. hierzu H. VORLÄNDER, Einleitung. Wie sich soziale und politische Ordnungen begründen und stabilisieren: Das Forschungsprogramm, in: DERS. (Hg.), Transzendenz und Gemeinsinn. Themen und Perspektiven des Dresdner Sonderforschungsbereichs 804, Dresden 2010, S. 6-15.
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sieht Idoneität als Teil des Kommunikationsprozesses, der zu einem gesellschaftlichen Rang führte. In der Zubilligung eines Ranges erkannte man die Idoneität des Betreffenden für diese Rolle an. Es wird gleich eingangs die so schwierig einzuschätzende pragmatische Seite des Generalthemas angesprochen: Wie wurde an einem Adelshof im Konzert mit den übrigen Adelshöfen jeweils ganz konkret Akzeptanz dynastischer Herrschaft erreicht? Besonders interessant wird es nach Peltzer da, wo eine Nachfolge in Frage stand und unklar war, ob Erbfolge oder Wahl greifen solle – wie etwa bei den Königswahlen im 13. und 14. Jahrhundert im römisch-deutschen Reich häufiger. Er verweist auf einige zeitgenössische Autoren, die die Wahl zwar in der Theorie für besser hielten, der Erbfolge aber den Vorteil in der Praxis zubilligten. Als Argumente wurden hierbei etwa angeführt, dass die angenommene Ähnlichkeit von Vater und Sohn, die Fortsetzung des Gewohnten und eben der Rang der Vorfahren von Vorteil sein könnten – Wahl berge demgegenüber das Risiko eines Schismas. Oliver Auge betont in seinem Beitrag zunächst, dass das lange Zeit geltende Forschungspostulat von der hohen Relevanz körperlicher Unversehrtheit für mittelalterliche Herrscher inzwischen fraglich ist. Wie so häufig waren es die normativen Vorgaben, wie beispielsweise die der Goldenen Bulle, auf die die Forschung zu sehr vertraute, die allerdings einer differenzierten praktischen Überprüfung am Ende nicht immer standhalten. Die Überprüfung ist allerdings oftmals schwierig, weil die Quellen die Versehrtheit von Herrschern nicht selten übergehen. Narben allerdings wurden in Zeiten der agonalen adligen Gesellschaft sogar zur Schau getragen und geradezu als Ehrenzeichen angesehen, wie das Beispiel von Federico da Montefeltre zeigt. Überwundene Krankheiten wurden mitunter als Zeichen von Begnadung ausgelegt. Allerdings gibt es auch Beispiele dafür, dass sich Kranke von einem versehrten thaumaturgischen König, wie beispielsweise Edward II., abwandten, weil sie ihm offenbar keine heilenden Kräfte mehr zutrauten. Miriam Weiss untersucht die harsche Kritik an König Heinrich III. von England, wie sie uns in der Chronik des Matthäus Paris in Wort und Bild aufscheint. Bei ihren Analysen zeigt sich, dass der Autor schwankend in seinem Urteil war und offensichtlich Rücksicht auf die Leser und Hörer seiner Werke nahm. Dieser Befund legt es nahe, nach der praktischen Seite der Quellen zu fragen: Für wen wurden Genealogien und Chroniken angefertigt, wer bekam sie zu Gesicht – auch der Herrscher, von dem sie handelten? Ein weitgespannter Beitrag, ausgehend von spätmittelalterlichen Königsabsetzungen, stammt von Frank Rexroth, der insbesondere symbolischen Inversionen nachgeht. Die Schwierigkeit für die Absetzung eines für ungeeignet gehaltenen Herrschers bestand darin, dass die transzendente Würde, die einem König bei der Initiation zugewiesen wurde, ihm später nicht so ohne weiteres wieder zu nehmen war. Aus diesem Grund feilte man elaborierte, zeitlich und räumlich gestreckte Inversionsrituale aus, die es in einer komplizierten Prozedur dann doch möglich machten, auf akzeptable Weise das Feld für einen anderen
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zu räumen – das zuvor besetzte Königtum also wieder verfügbar zu machen. Wichtig war aber, dass man die angeführten Verfehlungen erst seit dem Herrschaftsantritt konstatierte, weswegen die Inversion der Weihe dann überhaupt erst möglich war. Um die Salbung zurückzunehmen entwickelte man narrative Strategien, die bis auf die Säuglingstage der Dynasten zurückverwiesen, wie etwa die Behauptung, dass Friedrich II. in Wirklichkeit ein untergeschobenes Kind gewesen sei. Beispielgebend sollte die päpstliche Absetzung Friedrichs II. auf dem Lyoner Konzil von 1245 werden. In den Kommunen gab es demgegenüber mit der Wahl eines Kandidaten auf Zeit ein alternatives Herrschaftskonzept zum adlig-dynastischen Prinzip. So durfte ein Bürgermeister in der Regel keinesfalls der Sohn seines Vorgängers sein. In England strahlte dieses Prinzip sogar auf die Königsherrschaft aus und wurde bei Depositionen vorgebracht. Vielleicht trat in der Stadt bei der Frage nach der Idoneität die Oligarchie an die Stelle der Dynastie. Allerdings gilt es zu betonen, dass mit den gegebenen Beispielen keine Verlaufskurve hin zu einer größeren Rationalität gezogen werden sollte. Idoneitätsfeststellungsrituale sind demgegenüber aus der höfischen Literatur bekannt, wie Marina Münkler am Beispiel von Parzivals persönlicher Idoneität zeigt. Nach Wolfram von Eschenbach sollte der Held am Gralshof eine alles entscheidende Frage stellen, um sich als der geeignete Nachfolger des sterbenden Anfortas zu erweisen. Obwohl Parzival mit dem Herrscher verwandt und damit eigentlich dynastisch legitimiert war – was er allerdings zunächst selbst nicht wußte –, sollte hier persönliche Befähigung Genealogie ersetzen. Normsouveränität galt als Zeichen der Idoneität, doch der Held versagt zunächst. Seine Eigensinnigkeit trägt am Ende aber doch zum Erfolg bei, weil er bei einer zweiten Chance die Frage abwandelt, damit Mitleid zeigt und den König erlöst. Als Zeichen einer immanenten Kritik am Modell der Genealogie zur Legitimierung von Herrschaft im Parzival kann angeführt werden, dass bei Wolfram auffällig oft vom Aussterben von Familien die Rede ist. Allerdings ist die Übertragbarkeit der im literarischen Text vorgegebenen Praktiken auf die historischen Gegebenheiten nicht ohne weiteres möglich: Kulturelle Probleme werden in der Literatur zwar bearbeitet, nicht aber einfach abgebildet. Die zweite Sektion der Beiträge stellt die “Dynastie” in den Mittelpunkt. Den grundsätzlichen Wandel in der Herrschaftslegitimation vor und nach der Wende von 1076/77 veranschaulicht Stefan Weinfurter: Bei der Absetzung Heinrichs IV. und der Wahl Rudolfs von Rheinfelden in Forchheim zählte nicht mehr das Prinzip der hereditas und successio, sondern das der idoneitas. In alter Zeit trat ein Prinz mit der paterna successio und dem ius hereditarium gemäß dem Mainzer Ordo nicht nur in das väterliche Erbe, sondern durch Krönung und Salbung auch in das des irdischen Reiches Christi ein, was ihn gleichsam sakrosankt machte. Über den Bezug auf Maria strebte man danach, sich der Genealogie Christi anzubinden, was für den Stellvertreter des himmlischen Königs auf Erden eine fortwährende Herausforderung darstellte. Die Stellvertreterrolle bean-
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spruchte während der Kirchenreform aber der Papst für sich, und nach der Entsakralisierung des Königs stellte dann ein Fürstenkolleg fest, wer würdig für die Nachfolge im Amte war. Hier erhebt sich die Frage nach dem Verhältnis von Idoneität und Erbrecht bei Wahlmonarchien. Den Wandel im Verständnis von Genealogie führt Weinfurter vor Augen, indem er die Herrscherbilder des Codex aureus aus der Mitte des 11. Jahrhunderts gegen die Saliergenealogie in der Chronik Ekkehards von Aura hält: Während in der alten Zeit Maria die Frucht der Königinmutter segnet, fehlt der pragmatischen Darstellung in der neuen Zeit gänzlich der Transzendenzbezug. Einen Vergleich über einen weiten Raum hinweg nimmt Thomas Foerster vor, indem er das normannische Königtum in England mit dem auf Sizilien vergleicht. In beiden Fällen wurden neue Herrschaften in neuen Reichen etabliert, was legitimatorische Herausforderungen ersten Ranges darstellte, die man zunächst, in der zweiten und dritten Generation, durch Dynastiebildungen bewältigen konnte. Doch brachen die Probleme in beiden Reichen nach drei Generationen während einer Nachfolgekrise auf, als Usurpatoren gegen die eigentlich vorgesehenen weiblichen Nachfolger auf den Thron gelangten. Eine interessante Beobachtung ist, dass man hier Idoneität offenbar nur für Männer, nicht aber für Frauen diskutierte, was nicht hieß, dass weibliche Erbfolge grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Der Geschlechterfrage widmete man Aufmerksamkeit, etwa wenn man wie hier auf Regentinnen oder auf kognatische Linien oder auf die Position Marias in der Genealogie Christi verwies, von dem es ja hieß, dass er keine Nachkommen und keinen natürlichen Vater gehabt habe. Stefan Burkhardt lenkt den Blick auf Byzanz und das Lateinische Kaisertum seit 1204. Hier sind während der Etablierung im Vergleich zum Westen erhebliche Unterschiede in der Idoneitätskonstruktion zu beobachten. Der erste Lateinische Kaiser wurde vom Heer gewählt, wobei sich die Venezianer durchsetzen, denen es gelang Markgraf Bonifaz von Montferrat, der ihnen unbequem hätte werden können, zu verhindern, so dass Graf Balduin von Flandern auf den Thron gelangte. Es obsiegten ganz offenbar herrschaftspraktische Gründe über mögliche traditionelle Legitimitierungsmöglichkeiten oder Eignungsvorstellungen. Schon beim Nachfolger Balduins allerdings war wieder die Verwandtschaft mit dem jeweiligen Vorgänger entscheidend. Im direkten Vergleich zwischen Ost und West bleibt als Besonderheit im Westen die größere Handlungsmacht des Papstes: Im Gegensatz dazu kam es im Osten wegen der Schwäche des Kaisertums zu keiner Koppelung von Idoneität und kaiserlicher Funktionserfüllung, die im Westen insbesondere vom Papst eingefordert wurde und im Falle Friedrichs II. im Jahre 1245 zur Absetzungsbulle Innozenz’ IV. führte. Cristina Andenna geht von der Verdammnis des letzten Stauferkaisers durch den Papst und die ihm treue Autorschaft aus, was gleich auch auf seine Nachkommen mit übertragen wurde. Die Idoneität sowohl der Söhne Konrad IV. und Manfred, als auch des Enkels Konradin wurde von den Gegnern der Stauferdynastie bestritten. Im Zentrum des Beitrags steht die Frage, mit welchen
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Argumenten auf der einen Seite die Gegner der Staufer diese für ungeeignet bzw. andere Kandidaten für geeignet erklärten und auf der anderen, mit welchen Argumenten sich die Staufer selbst und ihre Anhänger demgegenüber in ihrer Position rechtfertigten. Sie konstruierten Genealogien, die das Alter und die Ehrwürdigkeit der Staufer verherrlichen, also Karl den Großen einschließen und bis zu alttestamentarischen Königen zurückführen. Die Päpste kehrten umgekehrt die Abkunft der Staufer auch aus dem Salischen Haus gegen sie, nachdem Heinrich IV. ja ein erklärter Kirchenfeind war. Für Papst Innozenz III. zählten persönliche Tugenden, zu denen an erster Stelle die devotio gegenüber der Kirche gehören sollte, zu den unabdingbaren Voraussetzungen für einen Kaiser; allerdings wurden seit ihm auch die merita der Vorfahren zu den Tugenden gezählt, womit der genealogische Gedanke über Umwege auch von päpstlicher Seite im Positiven herangezogen und damit mit dem der Idoneität verschränkt wurde. Von einer neuen Dynastie handelt Sverre Bagge, der die Aufmerksamkeit auf das hochmittelalterliche Norwegen lenkt. Hier verständigte man sich erst mit einem Nachfolgegesetz von 1163/64 auf einen einzigen König, während es zuvor auch mehrere Könige geben konnte. Ein neues Nachfolgegesetz von 1260 schließlich regelte die Bestätigung der inzwischen etablierten Dynastie des Magnus Eriksson. Die neue Ordnung wurde organisatorisch verankert, indem es nun eine zentrale Versammlung gab, die mittels Akklamation den König kürte, womit die Gefahr schismatischer Wahlen ausgeräumt werden sollte, die zuvor gegeben war, weil ein Kandidat sich von verschiedenen Versammlungen im Land bestätigen lassen mußte. Bagges Beitrag verweist auf die Frage nach der Wertigkeit von Rechtsnormen für das Thema dynastische Akzeptanz, was in den Beiträgen immer wieder gestreift wird, aber noch der Vertiefung bedarf. Die geschlechtergeschichtliche Perspektive des Generalthemas greift Laura Gaffuri auf, indem sie auf die weibliche Regentschaft in Frankreich und Savoyen am Ende des Mittelalters eingeht. Eine gesteigerte Sakralität des Hofes minderte dort die Gestaltungsmöglichkeiten der Frauen. Legitimität konnten sie durch Designation erlangen, insbesondere in Testamenten – ähnlich wie in Sizilien und im normannischen England, wovon Thomas Foerster in seinem Beitrag berichtet –, sowie aus der Verantwortung für minderjährige Kinder. Im späten 14. Jahrhundert fand man auch in anderen Regionen Europas, so in Ungarn und Polen, neue Lösungen für dynastische Probleme, indem man auf weibliche Nachfolge rekurrierte. Auch an die Habsburger wäre in diesem Zusammenhang zu erinnern. Die dritte Sektion handelt vom “genealogischen Denken” des Mittelalters, in das Gert Melville einführt, indem er Beispiele für genealogische Konstruktionen gibt. Er betont dabei die Narrativität der Textsorte ‘Genealogie’ und fragt danach, was dies für das mittelalterliche Geschichtsverständnis und die damalige politische Argumentation bedeutete. Der Wechsel von einer horizontal-synchronen zu einer vertikal-diachronen Sichtweise im Selbstverständnis der Adelsfamilien kam im 12. Jahrhundert auf, als man Stammsitze als identitätsstiftendes
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Substrat aufbaute. Erst seitdem gab es auch genealogische Darstellungen. Modellbildend für diese Darstellungen war die biblische Abfolge der 42 Generationen der Vorfahren Jesu bis Abraham. Neben der biologischen Sukzession gab es aber stets auch das Modell der Amtssukzession, wie es im Liber pontificalis für die Petrusnachfolge vorlag. Es drängt sich die Frage auf, wozu die Genealogien, die man teils in unbenutzbaren, Dutzende von Metern langen Rollen anlegte, am Hof überhaupt gebraucht wurden: Dienten sie in erster Linie zur Selbstvergewisserung, hatten sie auch eine performative Funktion, waren sie bloße Vorlagen für andere Medien? Genealogie als Idoneitätskategorie am Beispiel der frühen Staufer zeigt Kai Hering auf. Er unterstreicht, wie wichtig die Ansippung der Staufer an die Salier bei ihrer Dynastiebildung war. Geschichtsschreiber wie Gottfried von Viterbo in seinem Speculum regum hatten Konstruktionen dynastischer Idoneität vorgenommen, um die Herrscher in den göttlichen Heilsplan einzubauen, dabei war Deszendenz des kaiserlichen Geblüts das strukturbildende Darstellungsprinzip. Wenn man wie Marigold Anne Norbye Abstammungsdiagramme und die sie begleitendenden Texte vergleicht, zeigt sich, dass die Texte eine eigene Lesart bieten und die Bilder nicht immer die in den Texten behauptetete Legitimität stützen. Die Illustratoren hatten eine Vielzahl von Möglichkeiten, Legitimitätsdefizite zu verdeutlichen: durch aussetzende Linienführung, durch Farbgebung, durch Weglassen oder Absetzen der Krone etc. Teils werden elaborierte Miniaturen beigegeben, die eine ganze Geschichte zur Legitimation von Herrschaft erzählen. Mit den Legitimationsstrategien Alfons des Großmütigen am Hof von Neapel beschäftigt sich Fulvio Delle Donne. Da der neue König nicht auf eine genealogische Tradition am Ort verweisen konnte, wurden in Dichtung wie Figurenschmuck besonders seine Tugenden hervorgekehrt. Anknüpfung an die Staufer und päpstliche Krönung schieden aus verschiedenen Gründen aus. Immerhin war Alfons im Gegensatz zu den tyranni ex defectu tituli genannten Signori in anderen italienischen Herrschaften schon König durch Geblütsrecht in seinem aragonesischen Territorium. Gleichwohl war er ein Usurpator, wenn er auch eine umstrittene königliche Adoption vorwies. Es zeigt sich hier ein kompliziertes Geflecht von dynastischen, formalen, performativen, rechtlichen und machtpolitischen Argumenten, die die neue Herrschaft stützen oder in Frage stellen konnten. Sie alle lassen sich anhand des berühmten Triumphzuges am Tor zum Castel Nuovo in Neapel diskutieren. Die letzte Sektion “Genealogie und Raum” eröffnet Grischa Vercamer, der den Blick nach Osten, auf Polen und die Herkunftsgeschichte der Piasten richtet, wie sie von dem Chronisten Vinzenz Kadłubek um 1200 in seiner Historia Polonorum konzipiert wurde. Im Unterschied zu westlichen Adelshäusern bemühten sich die ostmitteleuropäischen Dynastien bei ihrer jeweiligen Origo gentis generell nicht darum, sich vor die Geschichte ihres eigenen Volkes zurück an die Trojaner oder andere antike Völker und Gestalten anzusippen, also eine
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Wanderschaft ihrer ‘Völker’ einzubauen. In Böhmen, Ungarn, der Rus oder Polen wählte man im 12./13. Jahrhundert vielmehr regional verwurzelte und damit individuelle Herkunftsmythen – bei Vinzenz war dies das Land Polen, und die gens sollte ursprünglich völlig unabhängig von Fürsten gewesen sein. Das Thema Genealogie und Raum behandelt Birgit Studt, indem sie Land und Dynastie in den Geschichten von den Fürsten in Bayern betrachtet. Raumkonzepte wurden in der Forschung im Hinblick auf Dynastiefragen bislang kaum angewandt, während doch Genealogie, Geschichte und Raum auf mittelalterlichen Karten wie selbstverständlich medial überblendet werden. Mit ihrem Beispiel behandelt sie den konstruierten Raum, genauer die Frage, wie narrative Konzepte entwickelt wurden, um Raum und Dynastie in Deckung zu bringen, damit herrschaftliche Integrität und Identität generiert werden konnten. Bei der Erweiterung des Fokus auf Phänomene wie die Bedeutung von Stiftungen und Grablegen in der Landschaft könnten dem Generalthema sicher weitere Aspekte abgewonnen werden. Wie die Idoneität der Dynastie der Wettiner in der umfangreichen Chronik Georg Spalatins im Hinblick auf ihre wechselnden Herrschaftsräume konstruiert wurde, analysiert Reinhardt Butz. Auf 1.000 Seiten gelingt es Spalatin, durch genealogische Konstruktionen die konsistente Schaffung einer Einheit von Dynastie, politisch-administrativem Raum und etabliertem Adel herzustellen, indem er konsequent von einem mythischen Ausgangsort als begründendem Element ungebrochener Herrschaft ausgeht und dazu lediglich territoriale Erweiterungen postuliert. In den neuen Räumen soll es jeweils schon zuvor personale Verbindungen gegeben haben, an die einfach angeknüpft werden konnte. Tobias Tanneberger spricht bei seinem Blick in die Genealogia principum Tungro-Brabantinorum von einem Identifikations- und Legitimationspotential des Raumes. Ziel des Werkes war es gewesen, die frühere Landnahme durch direkte Vorfahren des burgundisch-niederländischen Geschlechts, die Kontinuität der Herrschaft dieser Dynastie, die bis auf den Urvater Adam zurückgeführt wurde, sowie ihre fortwährende Verwurzelung in Brabant plausibel zu machen. Immer wieder wird in den Beiträgen dieses Bandes um die drei vorgegebenen Leitbegriffe Idoneität – Genealogie – Legitimation gerungen, und es scheint, dass die Relation der Begriffe zueinander und ihre Gewichtung in Bezug auf eine angestrebte Stabilisierung dynastischer Herrschaft noch immer nicht ausreichend ausgelotet ist. War nun eine konstruierte Genealogie eine Voraussetzung für die Idoneität eines Prätendenden, der daneben etwa auch durch seine Tugendhaftigkeit Akzeptanz finden konnte, also legitimiert war – oder ist die Betonung persönlicher Idoneität, bewiesen beispielsweise durch erfolgreiche Usurpation oder besondere Tugendhaftigkeit, ein Substitut für Defizite in der Genealogie, die gegebenenfalls nachgeliefert wurde (wie beispielsweise bei Matthias Corvinus), ohne dass sie Voraussetzung für Legitimität gewesen wäre? Hier sollte die Diskussion künftiger Forschungen noch einmal ansetzen. Im Ergebnis der vorliegenden Beiträge zeichnet sich jedenfalls bereits ab, dass die mit
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Idoneität und Genealogie bezeichneten Konzepte während des hohen und späten Mittelalters in wechselnden politischen Konstellationen miteinander verknüpft, aber auch gegeneinander ausgespielt werden konnten, um die in einer konkreten Situation benötigte Herrschaftslegitimation zu generieren. Es scheint lohnenswert, dieses spannungsreiche Wechselverhältnis von Idoneität, Genealogie und Legitimation über die hier versammelten Fallstudien hinaus auch in anderen historischen Zusammenhängen weiter zu vertiefen.
Abbildungsverzeichnis
Aufsatz MIRIAM WEISS Abb. 1 Hirsch und Westminster, Randzeichnung in der Chronica maiora des Matthew Paris, Cambridge, Corpus Christi College, MS. 16, fol. 187r (Reproduced by permission of the Master and Fellows of Corpus Christi College, Cambridge). Abb. 2 Burg Montgomery, Randzeichnung in der Chronica maiora des Matthew Paris, Cambridge, Corpus Christi College, MS. 16, fol. 61r (Reproduced by permission of the Master and Fellows of Corpus Christi College, Cambridge). Aufsatz STEFAN WEINFURTER Abb. 3 Bleibulle Konrads II. vom 23. August 1028 (O. POSSE, Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige von 751 bis 1806, Bd. 1, Dresden 1909, Tafel 13, Nr. 5 und 6). Abb. 4 Apsisfresko im Dom von Aquileia mit der frühesten Darstellung (wohl 1028) der Salierfamilie mit (von links) Heinrich III. als Kind, Konrad II. und Gisela (Privataufnahme von Prof. Ernst-Dieter Hehl, Mainz). Abb. 5 Rekonstruktionszeichnung von der Vorkrypta im Speyerer Dom mit der Grablege Konrads II., die Platz für drei Sarkophage bereithält, von R. Hussendörfer (H. E. KUBACH, Der Dom zu Speyer, Darmstadt 31988, S. 21). Abb. 6 Kaiser Konrad II. und Kaiserin Gisela knien vor der Majestas Domini und flehen um Vergebung ihrer Sünden (Codex Aureus, Escorial, Cod. Vitrinas 17, fol. 2v). Abb. 7 König Heinrich III. übergibt das Goldene Evangelienbuch an die hl. Maria und erbittet ihre Gunst für seine Gemahlin, Königin Agnes (Codex Aureus, Escorial, Cod. Vitrinas 17, fol. 3r). Abb. 8 Darstellung des Salierhauses in der aus Havelberg stammenden Überlieferung der Chronik des Ekkehard von Aura, ursprünglich wohl in der Recensio II von 1106/1107 enthalten (Staatsbibliothek Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Cod. Lat. 295, fol. 81v). Aufsatz CRISTINA ANDENNA Abb. 9 Krönung Manfreds in Palermo (1258), Miniatur aus der Nuova Cronica des Giovanni Villani, Zweite Hälfte 13. Jahrhundert (A. L. TROM-
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Abbildungsverzeichnis BETTI BUDRIESI, Glanz und Scheitern der Söhne Friedrichs II., in: A. WIECZOREK / B. SCHNEIDMÜLLER / S. WEINFURTER [Hgg.], Die Staufer und Italien. Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa, Bd. 1: Essays [Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen 37], Mannheim 2010, S. 121, Abb. 3).
Aufsatz GERT MELVILLE Abb. 10 Nachzeichnung der Genealogie von Normannenherzögen bzw. englischen Königen [links] und westfränkisch-französischen Königen [rechts] (Vatikanstadt, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Reg. lat. 518, fol. 78v). Abb. 11 Nachzeichnung der Papst- und Kaisersukzession (Sigmaringen, Fürstlich Hohenzollern’sche Bibliothek, MS 22, Rollenhandschrift). Abb. 12 Nachzeichnung der Genealogie der Könige von England; mittig die Sukzessionslinie, ‘umrankt’ von der Blutslinie (Paris, Bibliothèque S. Geneviève, MS 2115, Rollenhandschrift). Abb. 13 Nachzeichnung der biblischen Genealogie in der Weltchronik des Johannes de Utino, mit Sem im Mittelstrang (Wolfenbüttel, HerzogAugust-Bibliothek, MS 1.6.5. Aug., fol. 4r). Abb. 14 Nachzeichnung einer biblischen Genealogie, mit Japhet im Hauptstrang (Paris, Bibliothèque S. Geneviève, MS 522, Rollenhandschrift). Abb. 15 Schematische Darstellung der Ansippung der flandrischen Grafen an die Karolinger bzw. der autonomen Herleitung der flandrischen Grafen. Abb. 16 Genealogie der westfränkisch-französischen Könige [links] und der Normannenherzöge [rechts], Bernard Gui, Arbor genealogie regum Francorum (Dresden, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, MS Dresd. F. 106, fol. 25v/26r). Abb. 17 Der Übergang von den Karolingern zu den Kapetingern in A tous nobles (Paris, Bibliothèque nationale de France, MS français 4991, fol. 10v/11r). Abb. 18 Schematische Darstellung des Reditus regni Francorum ad stirpem Karoli über das flandrische Grafenhaus. Abb. 19 Schematische Darstellung der Ansippung der Karolinger an die Merowinger. Aufsatz MARIGOLD ANNE NORBYE Abb. 20 Die Karolinger und die Robertinger; die ersten fünf Kapetinger, Récit d’un ménéstrel d’Alphonse de Poitiers (Paris, Bibliothèque nationale de France, MS français 4961, fol. 1v, Mitte 13. Jh.).
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Abb. 21 Die Robertinger und die ersten vier Kapetinger, Annalen von SaintAubin (Paris, Bibliothèque nationale de France, MS latin 4955, fol. 102r, 3. Viertel 11. Jh.). Abb. 22 Karl der Einfältige und die Robertinger, Bernard Gui, Arbor genealogie regum Francorum (Paris, Bibliothèque nationale de France, MS latin 4975, fol. 120r, 14. Jh.). Abb. 23 Die letzten Karolinger; Hugo der Große und Hugo Capet, Weltchronik mit A tous nobles (London, British Library, Harley roll O.1, membr. 5, 15. Jh.). Abb. 24 Die Karolinger von Karl dem Kahlen an, die Robertinger, Gilles de Paris, Karolinus (Paris, Bibliothèque nationale de France, MS latin 6191, fol. 48r, ca. 1200). Abb. 25 Edward III. von England und Philipp VI. von Frankreich in A tous nobles (Paris, Bibliothèque nationale de France, MS français 4991, fol. 17v, 15. Jh.). Aufsatz BIRGIT STUDT Abb. 26 Chronik des Matthias von Kemnath, ca. 1475 (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Heid. NF 9, fol. 30v/31r) (B. STUDT, Historiographie am Heidelberger Hof, in: J. PELTZER / B. SCHNEIDMÜLLER / S. WEINFURTER [Hgg.], Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte?, Regensburg 2013, S. 322-323, Abb. 2a und 2b). Abb. 27 Kopien der Wandbilder im Alten Hof in München von 1463/1465 (Miniaturen des späten 15. Jahrhunderts, Rotulus, Paris, Bibliothèque nationale de France, Cabinet des Estampes) (S. HOFMANN, Die bayerischen Herzöge im Bild. Die Wandbilder im Alten Hof in München, in: K. BATZ [Hg.], Bayern-Ingolstadt, Bayern-Landshut 1392-1506. Glanz und Elend einer Teilung. Ausstellungskatalog des Stadtarchivs, der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek und des Stadtmuseums Ingolstadt, Ingolstadt 1992, S. 272-273). Abb. 28 Ludwig der Bayer, Einzelblatt aus einer Serie von Abschriften der bayerischen Fürstenreihe, Bayerische Staatsbibliothek München, cgm 8533 (S. BÄUMLER / E. BROCKHOFF / M. HENKER [Hgg.], Von Kaisers Gnaden. 500 Jahre Pfalz-Neuburg [Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 50], Augsburg 2005, S. 31). Abb. 29 Chronik und Stamm der Bayerischen Herzöge, 1501 (Bayerisches Nationalmuseum München, Stammbaum aller Fürsten des Hauses Wittelsbach, Inv.-Nr. NN 1001, Foto Nr. D28394). Abb. 30 Philipp Apian, Bayerische Landtafeln, Taf. V, 1568 (H. WOLFF, Die Bayerischen Landtafeln – das kartographische Meisterwerk Philipp
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Abbildungsverzeichnis
Apians und ihr Nachwirken, in: DERS. [Bearb.], Philipp Apian und die Kartographie der Renaissance [Bayerische Staatsbibliothek, Ausstellungskataloge 50], Weißenhorn 1989, S. 80, Abb. 66). Abb. 31 Karte “Nova illustrissimi principatus Pomeraniae descriptio”, Eilhard Lubin 1611-1617; Stich: Nikolaus Geilkercken, Amsterdam, 1618, Kupferstich in 12 Blättern, Abzug von 1785, 125x221cm, Kiel, Stiftung Pommern (K53/71) (J. ERICHSEN [Hg.], 1000 Jahre Mecklenburg. Geschichte und Kunst einer europäischen Region, Rostock 1995, S. 303, Nr. 5.50). Aufsatz REINHARDT BUTZ Abb. 32 Obersächsisch-meißnische Territorien 1485 (K. BLASCHKE, Geschichte Sachsens im Mittelalter, Berlin 1990, S. 295). Abb. 33 König Widukind von Sachsen (Georg Spalatin, Geschichte der Sachsen und Thüringer, Landesbibliothek Coburg, MS Cas 09, fol. 5r). Abb. 34 Markgraf Heinrich von Eilenburg (Georg Spalatin, Geschichte der Sachsen und Thüringer, Landesbibliothek Coburg, MS Cas 09, fol. 132r). Abb. 35 Obersächsisch-meißnische Territorien um 1200 (K. BLASCHKE, Geschichte Sachsens im Mittelalter, Berlin 1990, S. 156). Abb. 36 Markgraf Konrad der Große von Meißen (Georg Spalatin, Geschichte der Sachsen und Thüringer, Landesbibliothek Coburg, MS Cas 09, fol. 173v). Abb. 37 Kaiser Otto der Große (Georg Spalatin, Geschichte der Sachsen und Thüringer, Landesbibliothek Coburg, MS Cas 10, fol. 4r). Abb. 38 Thüringer wählen Heinrich I. zu ihrem König (Georg Spalatin, Geschichte der Sachsen und Thüringer, Landesbibliothek Coburg, MS Cas 11, fol. 17v). Abb. 39 Markgraf Heinrich der Erlauchte von Meißen, Landgraf von Thüringen (Georg Spalatin, Geschichte der Sachsen und Thüringer, Landesbibliothek Coburg, MS Cas 11, fol. 76r). Abb. 40 Obersächsisch-meißnische Territorien 1247 (K. CZOK [Hg.], Geschichte Sachsens, Weimar 1989, S. 130-131). Aufsatz TOBIAS TANNEBERGER Abb. 41 Die Grundstruktur der Genealogia principum Tungro-Brabantinorum. Gepunktete Linien stehen für behauptete, jedoch im Codex nicht ausführlich dargestellte Abstammungen. Ziffern zwischen durchgezogenen Linien geben die jeweilige Anzahl der im Schema nicht dargestellten Glieder der Ahnenreihe an.
Register der Personen, Dynastien und Völkernamen
Verwendete Abkürzungen: bayer. (bayerisch); Bf. (Bischof); bibl. (biblisch); bulgar. (bulgarisch); byzant. (byzantinisch); dt. (deutsch); Ebf. (Erzbischof); fränk. (fränkisch); franz. (französisch); Gem. (Gemahlin); Gf./Gf.in (Graf/Gräfin); griech. (griechisch); hess. (hessisch); Hl. (Heiliger/Heilige); Hzg./Hzg.in (Herzog/Herzogin); ital. (italienisch); Kg./Kg.in (König/ Königin); Ks./Ks.in (Kaiser/Kaiserin); lat. (lateinisch); literar. (literarisch); merow. (merowingisch); Mgf. (Markgraf); myth. (mythisch); nord. (nordisch); norw. (norwegisch); poln. (polnisch); röm. (römisch); sächs. (sächsisch); spart. (spartanisch); ungar. (ungarisch).
A Abraham, bibl. Stammvater 130, 296 Accursius, ital. Rechtsgelehrter 97 Acquaviva, Belisario 362 Adam, bibl. Stammvater 296, 314, 325, 423, 430, 431, 441, 448 Adam v. Usk, Chronist 96A Adelbold v. Utrecht, Bf. u. Chronist 129 Adelheid, 2. Gem. Ottos I., Ks.in 161, 418 Adelheid v. Burgund, Hzg.in, Gem. Heinrichs III. v. Brabant 56A Adolf I. v. Altena, Ebf. v. Köln 204A Adolf v. Nassau, dt. Kg. 29A, 30, 32, 91A, 92, 92A, 94 Aegidius Romanus, AugustinerEremit 25, 27, 112A, 287 Ælfgifu, Gem. v. Knut d. Großen 161 Aeneas, myth. Figur 322, 323, 324A, 360, 434, 435 Aeneas Silvius Piccolomini 403 Agnes, Gem. Friedrichs I. v. Schwaben 203A, 312 Agnes, Gem. Ks. Heinrichs v. Flandern 180A Agnes, Tochter v. Ks. Heinrich IV. 160, 312, 313 Agnes v. Poitou 134 Aimo v. Tarentaise, Ebf. 200 Albert v. Stade, Abt u. Geschichtsschreiber 183A
Albrecht I. von Habsburg, dt. Kg. 28A, 29, 31A, 32, 35, 46, 54 Albrecht III. der Beherzte, Hzg. v. Sachsen 414 Albrecht IV. der Weise, Hzg. v. Bayern 395, 397, 398, 401, 402 Albrecht v. Bonstetten, Frühhumanist 390 Alcides → Herkules Aledis/Aleidim → Adelheid v. Burgund Alexander III., Papst 55, 170, 182, 190A, 199 Alexander IV., Papst 237, 238, 240, 241, 244 Alexander d. Große 148, 221, 321, 321A, 366, 372, 373, 374, 375, 384, 441 Alexander v. Telese, Abt u. Geschichtsschreiber 140A Alexios IV., byzant. Ks. 175, 177 Alexios V., byzant. Ks. 39A Alfons II. v. Neapel, Kg. 361 Alfons III. v. Portugal, Kg. 193A Alfons V. v. Aragón, Kg. 288, 351, 351A, 352, 352A, 353, 354, 355, 356, 357, 358, 359, 360, 361, 447 Alfons VI. v. Kastilien, Kg. 162 Alfons IX. v. Leon, Kg. 163A Alfons X. v. Kastilien, Kg. 215A, 240, 278 Alfons v. Poitiers, Gf. 334 Alfonso I. d’Este, Hzg. 288
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Register der Personen- und Völkernamen
Alfonso der Weise → Alfons X. v. Kastilien Álmos, ungar. Großfürst 367 Amadeus VI. v. Savoyen, Hzg. 274 Amadeus IX. v. Savoyen, Hzg. 277, 281 Amalrich v. Jerusalem, Kg. 176 Amata, Gem. v. Kg. Latinus 323A Ambro, myth. Figur 436 Ambrosius, Kirchenvater 190 Anchises, myth. Figur 322, 360 Andreae, Johannes 85 Andreas Ungarus → Andreas v. Ungarn Andreas v. Marchiennes, Historiograph 303 Andreas v. Regensburg, Chronist 392, 393, 394, 396, 399 Andreas v. Ungarn 243A, 250 Andrew v. Wyntoun, Chronist 93 Andronikos I. Komnenos, byzant. Ks. 177 Äneas → Aeneas Angeln → Angelsachsen Angelsachsen 299, 381 Angevinen → Anjou Angiovinen → Anjou Anjou 65A, 159, 250, 256, 356, 366 Anna v. Beaujeu, Tochter v. Ludwig XI. 290 Anna v. Zypern, Gem. Ludwigs v. Savoyen 281 Annalista Saxo 311, 382 Ansbert, Großvater Arnulfs v. Metz 331, 335, 342, 348 Ansbertus senator → Ansbert Ansegisel (auch Anchise), Sohn v. Bf. Arnulf v. Metz 342, 348 Antenor, myth. Figur 322, 323, 325, 325A Apian, Philipp, Kartograph 404 Aragonesen 256 Arcadius, röm. Ks. 356 Archelaus, spart. Kg. 229, 229A Aristoteles 23A, 24, 25, 36, 425
Arminius, Cheruskerfürst 411 Arnulf v. Kärnten, ostfränk. Kg., röm. Ks. 49 Arnulf v. Lisieux, Bf. 199 Arnulf v. Metz, Bf. 299, 331, 335, 339, 342, 348A Árpád, ungar. Großfürst 367 Árpáden 366, 367 Artus, Kg., Sagengestalt 103A, 108, 382 Ascanius, Sohn v. Aeneas 322, 324A Ascelapius v. Myrlea 427 Asen (Iwan Assen I.), bulgar. Zar 160A Atlas, Sohn v. Poseidon u. Kleito 426 Aubert → Ansbert Aubertus senator → Ansbert Augustinus, Kirchenvater 427, 427A Augustus, röm. Ks. 168, 229 Austrasius, Sohn v. Lando 437
B Balduin I., Gf. v. Flandern 299, 303 Balduin I., lat. Ks. 176, 177A, 178, 178A, 179, 180, 180A, 181, 445 Balduin II. v. Jerusalem, Kg. 162 Balduin II. v. Courtenay, lat. Ks. 179, 179A, 180, 185A Balduin IV. v. Jerusalem, Kg. 53, 53A, 54, 55A Balduin V. v. Jerusalem, Kg. 176, 416 Balduin IX., Gf. v. Flandern, und VI. v. Hennegau → Balduin I., Ks. Balliol, John, Kg. v. Schottland 92, 93, 94, 95 Barbarossa → Friedrich I. Barbarossa Bård, lendman in Trøndelag 160 Basileios I., byzant. Ks. 55A Basilius → Basileios I. Bathildis uxor Auberti → Blitildis Bauarius → Bavarus Bavarus, myth. Figur 395, 397, 400, 401, 402, 404 Bayern 404, 410
Register der Personen- und Völkernamen Beatrix v. Burgund, Gem. v. Friedrich Barbarossa 305 Beccadelli, Antonio (genannt Panormita), ital. Humanist 352, 353A, 354, 355, 356, 357, 358, 359, 360, 361 Beda (Beda Venerabilis), angelsächs. Geschichtsschreiber 366A, 381 Bela II. v. Ungarn, Kg. 55 Bela III. v. Ungarn, Kg. 177 Belger 436 Benedict v. Peterborough 144 Benjamin, bibl. Stammvater 149 Benno, Hl. 51A Berengar I. v. Italien, röm. Ks. 50 Berengar II. (v. Ivrea), Kg. v. Italien 176 Berenguela I. v. Kastilien, Kg.in 163A Bernardus de Westerstetten, Kanoniker 49A Bert(h)a (Bertrada d. Jüngere), Gem. Pippins d. Jüngeren 322, 324, 324A, 325 Bethoc, Tochter v. Malcom II. 160 Bianca v. Kastilien 278, 285 Bianca v. Montferrat 277, 280, 283, 284, 285 Biondo, Flavio, ital. Humanist 288 Birgitta, Hl. 93 Blanka v. Navarra 161 Blatude, Tochter Clothars I. 331A Blitildis, Gem. v. Ansbert 331, 334, 334A, 335, 339, 342, 343, 346, 348 Boccaccio, Giovanni, ital. Humanist 288 Böhmen 47 Boemus, myth. Figur 367 Bogislaw X. v. Pommern, Hzg. 46 Bolesław I., Kg. v. Polen 372A Bolesław III., Hzg. v. Polen 368, 379 Bonifatius, Missionar u. Kirchenreformer 419 Bonifaz v. Canterbury, Ebf. 71 Bonifaz I. (Bonifatius I.) v. Montferrat, Mgf. 176, 177, 177A, 178, 178A, 179, 180A, 445
457 Bonifaz VIII., Papst 85 Boniphatios → Bonifaz I. v. Monferrat Bonivardi, Urbano, Bf. v. Vercelli 282 Bonne de Bourbon 274, 275, 275A Bonne v. Savoyen 287 Boril, Zar v. Bulgarien 160, 160A Brabanter 432, 434, 435 Braebon I. 435 Braebon XX. 435 Braebon XXI. 435A Braebon, Julius 435A, 436 Braebon, Octavius, Sohn v. Julius Braebon 435A, 437 Braebonen 432, 435, 439 Braůn → Brun v. Sachsen Britto, myth. Figur 380 Brun v. Kärnten → Gregor V. Brun v. Köln, Ebf. 419 Brun v. Sachsen 417 Bruno v. Magdeburg, Geschichtsschreiber 127 Brutus 299 Bugenhagen, Johannes, Chronist 46 Burchard v. Ursberg, Chronist 157, 309A
C Caesar, Gaius Julius 168, 216, 254, 300, 323, 400, 431, 432, 436 Caesar, Lucius Julius 300 Capet, Hugo, franz. Kg. 329, 331, 332, 333, 334, 335, 336, 337, 338, 339, 339A, 341, 344, 346, 347, 349, 350 Caracciolo, Tristano, neapolitanischer Gelehrter 361 Carafa, Diomede, Bf. v. Ariano 362 Cassiodor, spätantiker Gelehrter 366, 380 Cecilia, Tochter v. Sigurd II. Munn 160 Cham, Sohn Noahs 318, 319, 319A Charibert II. 430A Childerich III., merow. Kg. 332, 383
458
Register der Personen- und Völkernamen
Chlodwig, Kg. d. Franken 434 Chlothar I., fränk. Kg. 331, 331A, 334, 334A Chlothar II., fränk. Kg. 334A Christine v. Bourbon 286A Christine v. Pizan 289 Chus, Sohn v. Cham 319, 319A Cicero, Marcus Tullius 427 Clemens III., Papst 164 Clemens IV., Papst 218, 241A, 243, 244, 245 Coelestin III., Papst 164, 190A, 310A Colonna, röm. Adelsgeschlecht 293, 294 Colonna, Johannes, Chronist 233 Cornazzano, Antonio 288 Corvinus, Matthias, Kg. v. Ungarn, Kroatien u. Böhmen 448 Cosmas v. Prag, Chronist 366 Cres, myth. Figur 320 Cůnradt → Konrad II., Ks. Cycamber, myth. Figur 436 Cyrus, bibl. Kg. 269
Dorothea Susanna v. SachsenWeimar 408 Duncan I., Kg. v. Schottland 160, 160A Durand de Champagne 289
D Dal Pozzo, Ferdinando, Jurist 276A Dandolo, Enrico, Doge v. Venedig 178A Dante Alighieri 361 Dardanus, myth. Figur 321 David, bibl. Kg. 100, 130, 190A, 220, 221, 224A, 266, 296, 320 Dedo IV. der Feiste, Gf. v. Wettin 416 Dietrich der Bedrängte, Mgf. v. Meißen 420 Dietrich v. Elsass, Gf. v. Flandern 178, 303 Dietrich v. Sachsen 416, 417 Dindimus 321A Dionysius, Hl. 338 Dittrich zů Meissen → Dietrich der Bedrängte
Eberhard II. v. Konstanz, Bf. 240 Edgith, 1. Gem. Ottos I., Kg.in. 418 Edmund v. Lancaster 215A, 241 Eduard, Hl. 72 Edward I., Kg. v. England 49A Edward II., Kg. v. England 49A, 87, 91, 91A, 94, 94A, 443 Edward III., Kg. v. England 350 Einhard, fränk. Gelehrter 383 Eirik 266 Ekkehard v. Aura, Geschichtsschreiber 135, 312, 382, 445 Eleonora v. Aragon 288 Eleonore v. Aquitanien 161 Elisabeth v. Hennegau 303 Elisabeth v. Ungarn 287 Emese, Mutter v. Álmos 367 Eneas → Aeneas Eneas Braebon, Sohn v. Braebon XXI. 435A Engelbert v. Admont 45 Engländer 87, 149, 297, 366, 381 Enrique IV. → Heinrich IV. v. Kastilien Erchinoald (Erchenoaldus), Hausmeier 342, 348, 348A Ercole I. d’Este, Hzg. 288 Eriugena → Johannes Scotus Erling Skakke, norw. Jarl 160 Ernst v. Braunschweig-Lüneburg 410 Ernst v. Sachsen, Hzg. 414 Estrid (Svensdotter) 160, 160A Euenor, Vater v. Kleito 426 Eumelos, Sohn v. Poseidon u. Kleito 426 Eustach, Sohn v. Stephan v. Blois 151 Eva, bibl. Figur 431
Register der Personen- und Völkernamen Eystein I. Magnusson, Kg. v. Norwegen 261 Eystein II. Haraldsson, Kg. v. Norwegen 263 Ezechiel, bibl. Prophet 150, 246
F Facio, Bartholomäus, Historiograph 358, 359 Federico da Montefeltro, Hzg. v. Urbino 51, 52, 443 Ferdinand I. v. Aragón, Kg. 358, 359 Ferdinand I. v. Neapel, Kg. 360, 361 Fernando, Sohn Berenguelas 163A Ferreto v. Vincenza 31 Fortuna, röm. Gottheit 249, 352, 353, 353A Francio, myth. Figur 366, 380, 383, 435 Francion, Sohn Hektors v. Troja 434, 435, 436 Franken 297, 306, 322, 325, 328, 337, 366, 369A, 380, 397, 434, 437 Franz v. Assisi, Hl. 41A Franzosen 68 Fredegar 365, 366A, 369A, 380, 380A Friedrich, Sohn v. Friedrich Barbarossa 54, 306, 306A, 307A Friedrich I. Barbarossa, röm.-dt. Ks. 54, 152, 153, 170, 175A, 196, 197, 197A, 198, 199, 229A, 305, 305A, 306, 306A, 307, 307A, 309, 309A, 310, 314, 315, 316A, 317, 318, 321, 324, 325, 326, 328, 383 Friedrich I. der Siegreiche, Pfalzgf. u. Kurfürst d. Pfalz 393 Friedrich I., Hzg. v. Schwaben 203A, 312, 328, 383 Friedrich II. der Einäugige, Hzg. v. Schwaben 54, 55A, 309, 309A, 310, 312, 313, 383 Friedrich II., röm.-dt. Ks., Kg. v. Sizilien 74, 75, 82, 83, 86, 87, 88, 93, 136, 164, 167, 174, 181, 182, 183, 183A, 184, 185, 185A, 186, 187, 190, 191, 191A, 192, 192A, 193, 193A,
459 194, 202, 203, 207, 208, 208A, 209, 209A, 210, 210A, 211, 213, 213A, 214, 215A, 218, 220, 221, 222, 224, 224A, 225, 226, 228, 229, 229A, 230, 232, 232A, 233, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 245, 246, 247, 250, 251, 253, 254, 255, 269, 327A, 351A, 352A, 361, 361A Friedrich III. der Friedfertige, röm.-dt. Ks. 58, 58A Friedrich (IV.) v. Rothenburg, Sohn v. Konrad III. 196, 305A Friedrich Clem, Herr zu Dresden 418 Friedrich d. Schöne, als Friedrich III. Hzg. v. Österreich u. d. Steiermark 28A, 30A, 81 Friedrich der Weise, Kurfürst v. SachsenWittenberg 407, 409, 411, 414, 416 Friedrich Wilhelm, Hzg. v. SachsenWeimar 408 Fredericus → Friedrich I. Barbarossa Frutolf, Chronist 382 Füetrer, Ulrich, bayer. Chronist 398, 399, 400, 402 Fulko IV., Gf. v. Anjou 52 Fulko V., Gf. v. Anjou, Kg. v. Jerusalem 162, 178
G Galateo, Antonio 362 Gallier 372, 373, 374, 436 Gallus Anonymus, Geschichtsschreiber 366A, 367, 368, 368A, 369, 369A, 370, 370A, 376, 378, 379, 385 Geoffrey v. Monmouth, engl. Geschichtsschreiber 369A, 381, 384 Georg I. v. Pommern, Hzg. 51 Georg der Reiche, Hzg. v. BayernLandshut 401 Gerbaix, Pierre 274 Gerhard v. Aurillac, Gf. 49 Germana Swana → Swana Germanen 43, 411 Gerson, Jean, franz. Mystiker 289
460
Register der Personen- und Völkernamen
Gerstenberg, Wigand, hess. Chronist 390 Gervasius v. Tilbury, Hofkleriker 205A Gilbert de Tournai 288 Gilchrist (Harald Gille) → Harald IV. Gilles de Paris (Aegidius Parisiensis) 348, 348A, 349 Girard d’Estrée 274 Girardus de Arvernia (Girardus de Antwerpia) 337 Gisela v. Schwaben, Gem. Konrads II., Ks.in 131, 133, 198, 420 Godefridus → Gottfried, Herr v. Aerschot Goten 380 Gottfried, Herr v. Aerschot 56A Gottfried III. der Bärtige, Hzg. v. Niederlothringen 432 Gottfried v. Anjou, Gf. 155, 158, 162 Gottfried (Geoffrey) v. Villehardouin, Geschichtsschreiber 177A Gottfried v. Viterbo, Hofkapellan u. Geschichtsschreiber 197, 198, 212, 252, 307, 314, 315, 316, 316A, 317, 318, 318A, 319, 319A, 320, 321, 322, 323, 324, 325, 325A, 326, 326A, 328, 382, 447 Gracchus, erster poln. Fürst 372 Gratian, röm. Ks. 437 Gregor V., Papst 419 Gregor VII., Papst 13, 84, 194, 195, 310 Gregor IX., Papst 191, 192, 192A, 208A, 210A Gregor X., Papst 81A Gregor XVI., Papst 287 Gregor d. Große (Gregor I.), Papst 65A Gregor v. Tours, Bf. 365A, 369A, 383, 384 Gui, Bernard 300, 329, 342, 342A, 343, 344, 348A, 349A Guido v. Lusignan, Schwager Kg. Balduins IV. v. Jerusalem 53 Günther, Gf. v. Schwarzburg 31, 32A Gÿsla → Gisela v. Schwaben
H Habsburger 31A, 32, 32A, 36A, 80, 81, 294, 301A, 446 Hadrian, röm. Ks. 356 Håkon, Sohn v. Magnus II. 261 Håkon IV. Håkonsson, Kg. v. Norwegen 266, 267, 268, 269, 271 Håkon V., Kg. v. Norwegen, Sohn v. Magnus VI. 271 Halvdan 257, 258, 271 Hananja, bibl. Figur 146 Hannibal 52 Hans Ebran v. Wildenberg, Chronist 398 Harald IV., norw. Kg. 263 Harald, Sohn v. Olav Haraldsson 261 Harald Schönhaar, norw. Kg. 257, 258, 259, 260, 271 Hauteville 39A, 139, 153, 158, 164, 182 Hector, Kg. v. Cycambrien 435, 435A Heinrich I., Kg. v. England 143, 143A, 144, 145, 146, 149, 150, 162, 165, 297 Heinrich I., ostfränk. Kg. 81, 175A, 418, 419 Heinrich I., Kg. v. Kastilien 163A Heinrich II. der Zänker, Hzg. v. Bayern u. Kärnten 129, 129A Heinrich II., Kg. v. England 156A, 164, 297, 302 Heinrich II., röm.-dt. Ks. 128, 128A, 129, 130, 132, 419 Heinrich III. v. Brabant, Hzg. 56A Heinrich III. der Erlauchte, Mgf. v. Meißen, Landgf. v. Thüringen u. Pfalzgf. v. Sachsen 232A, 418, 420 Heinrich III., Kg. v. England 59, 60, 62, 63, 64, 64A, 65A, 66, 66A, 67, 67A, 68, 71, 73, 74, 75, 215A, 241, 242, 443 Heinrich III., röm.-dt. Ks. 84A, 131, 132A, 133, 134 Heinrich IV., röm.-dt. Ks. 13, 36A, 84, 127, 132, 160, 194, 195, 196, 196A, 199, 310, 310A, 312, 383, 444, 446
Register der Personen- und Völkernamen
461
Heinrich IV., Kg. v. Kastilien 93 Heinrich IV. v. Brabant, Hzg. 56 Heinrich V., röm.-dt. Ks. 133, 135, 196, 203, 203A, 311, 312, 313, 383 Heinrich VI., röm.-dt. Ks. 39A, 54, 143, 144, 151, 152, 153, 155, 157, 158, 160, 171, 182, 191, 198, 199, 202, 203, 229A, 305, 307, 314, 315, 315A, 316, 316A, 317, 318, 319, 320, 321, 325, 326, 326A, 327, 327A, 328 Heinrich VII., dt. Kg., Gf. v. Luxemburg 29A, 30, 32 Heinrich (VII.), Sohn v. Friedrich II., dt. Kg. 184, 209, 212, 214, 221 Heinrich, Sohn v. Konrad III. 196, 305A Heinrich-Carlotus, Sohn v. Friedrich II. 240, 241A Heinrich der Löwe, Hzg. 35 Heinrich Raspe, Landgf. v. Thüringen, dt. Kg. 230, 230A, 234, 420 Heinrich Taube v. Selbach 32A Heinrich v. Blois, Bruder Stephans v. Blois 145 Heinrich v. Flandern, lat. Ks. 179, 179A, 180, 180A Heinrich v. Friemar 25, 25A Heinrich v. Gundelfingen, Chronist 390 Heinrich v. Huntington 65, 65A, 66, 145, 146, 147, 150, 159, 164, 382 Heinrich v. Lancaster (als Heinrich IV. Kg. v. England) 95 Hektor v. Troja, myth. Figur 434, 435 Helene, Tochter Kg. Waldemars I. v. Dänemark 35 Hélinand de Froidmont 288 Henricus → Heinrich III. v. Brabant Henry Bolingbroke (als Heinrich IV. Kg. v. England) 95 Heraclius, byzant. Ks. 324 Herkules, myth. Figur 148, 148A, 395 Hermanifrid, Kg. d. Thüringer 419 Hermann v. Reichenau, Chronist 132A Hernaut, Sohn Auberts 335
Hernoul → Arnulf v. Metz Herodes 229, 229A, 232, 255 Herrand v. Wildonie 53A Hesiod, griech. Geschichtsschreiber 424 Honorius III., Papst 191, 191A, 193 Honorius, Flavius, röm. Ks. 356 Hugo, Abt v. Saint-Aubin 341 Hůgo, Bruder Ludwigs d. Bärtigen 420 Hugo der Große, Vater v. Hugo Capet 333, 335, 341, 346, 347 Hugo v. Châlon 287 Hugo v. Fleury 371A
I Inge II., norw. Kg. 160, 266 Inge Krogrygg, norw. Kg. 263 Innozenz II., Papst 164 Innozenz III., Papst 133A, 136, 181A, 182, 191, 191A, 194, 199, 201, 202, 203A, 204A, 205, 206, 207, 252, 253, 269, 446 Innozenz IV., Papst 83, 85, 86A, 87, 167, 168, 170, 171A, 186A, 189A, 190, 191, 192, 192A, 193A, 210A, 215A, 228, 229, 230, 232, 233, 234, 241, 241A, 247, 249, 445 Iohannes → Johann I. v. Brabant Isaak II. Angleos, byzant. Ks. 39A, 177 Isabeau v. Bayern 289 Isabella v. Brienne, Kg.in v. Jerusalem u. Mutter Konrads IV. 100, 221 Isabella v. England 240, 241 Isabella v. Hennegau, Kg.in v. Frankreich 332 Isidor v. Sevilla 66, 365A, 383, 428, 429 Israeliter 149, 318 Stämme Israels 149 Volk Israel 249
J Jachus Karolus, myth. Figur 300 Jacobus de Cessolis 289
462
Register der Personen- und Völkernamen
Jacobus v. Viterbo 89 Jacques de Guyse, franz. Chronist 436 Jacques de Lalaing 293 Jakob, bibl. Figur 130 Japhet, Sohn Noahs 297, 318, 431 Jean de Chavenges 289 Jeremia → Jeremias Jeremias, bibl. Figur 146, 146A Jesaja, bibl. Prophet 233 Jesus Christus (Jesus v. Nazareth) 72, 87, 105, 116, 117, 119, 128, 129, 130, 131, 133, 167, 222, 230, 249, 257, 296, 297, 320, 441, 444, 445, 447 Jobst v. Mähren, Mgf. 43 Johann I. v. Brabant, Hzg. 56A Johann II. v. Aragón, Kg. 359 Johann Ernst, Hzg. v. SachsenCoburg 409 Johann Friedrich I. d. Großmütige, Kurfürst v. Sachsen-Wittenberg 409 Johann Ohnefurcht, Hzg. v. Burgund 302 Johann Philipp, Hzg. v. SachsenAltenburg 408 Johann der Blinde, Kg. v. Böhmen 51, 51A Johann v. Brienne 179A Johann v. Viktring, Chronist 81 Johanna II. v. Neapel, Kg.in 358 Johanna v. Burgund 289 Johanna v. Navarra 289 Johannes → Johann II. v. Aragón Johannes v. Jandun 25 Johannes v. Salisbury 65A, 66, 371, 371A Johannes Scotus Eriugena, irischer Gelehrter 45 Jolante v. Flandern 179A Jonan, myth. Figur 436 Josef, bibl. Figur 130 Judas Ischariot, bibl. Figur 249 Judith, Gem. Balduins I. v. Flandern 299, 303
Judith, Gem. Wilhelms V. v. Montferrat 176 Julier 168, 430, 434, 436 Junianus Justinus, röm. Geschichtsschreiber 377 Jupiter, röm. Gottheit 320, 321, 321A, 328, 441 Jůtta → Jutta v. Thüringen Jutta v. Thüringen, Gem. v. Dietrich dem Bedrängten 420
K Kantzow, Thomas, Chronist 46 Kapetinger 288, 302, 303, 329, 331, 332, 333, 335, 336, 338, 339, 340, 341, 350, 366 Karl, Sohn v. Silvius Braebon 437 Karl I., Kg. v. England 88 Karl I. der Kühne, Hzg. v. Burgund u. Luxemburg 438 Karl I. v. Anjou, Kg. v. Sizilien 187, 215, 215A, 219, 232, 235, 243, 243A, 245, 246, 247, 249, 251, 251A, 256 Karl I. v. Savoyen, Hzg. 277, 283, 284 Karl II. der Kahle, röm. Ks. 46, 299, 303, 349 Karl III. der Dicke, röm. Ks. 40, 49, 54, 55 Karl IV., röm.-dt. Ks. 28A, 32A, 35, 51, 58, 294, 294A, 304 Karl V., Kg. v. Frankreich 274 Karl VI., Kg. v. Frankreich 56, 274, 275, 288 Karl VII., Kg. v. Frankreich 280, 285 Karl der Einfältige, westfränk. Kg. 333, 335, 337, 340, 341, 343, 346, 347, 349 Karl der Große, fränk. Ks. 40, 50, 130, 172, 173, 198, 243A, 256, 306, 314A, 322, 324, 325, 326, 328, 332, 339, 340, 366, 369A, 396, 397, 415, 446 Karl Albert, Kg. v. Sardinien u. Hzg. v. Savoyen 276A Karl Johann Amadeus v. Savoyen, Hzg. 283
Register der Personen- und Völkernamen Karl v. Niederlothringen 333, 344 Karl v. Valois 347 Karolinger 296, 299, 302, 303, 314, 318, 325, 326, 326A, 328, 331, 332, 333, 334 Karolus Hasba, Sohn v. Austrasius 437 Karolus Pulcher, Enkel v. Texander 437 Kasimir II. der Gerechte, Hzg. v. Kleinpolen 378, 379, 385 Kinnamos, Johannes, byz. Geschichtsschreiber 309A Klaus v. Holstein → Nikolaus v. Holstein Kleisthenes v. Athen 425, 425A Kleito, Tochter v. Euenor 426 Knut d. Große, Kg. v. Norwegen u. Dänemark 160A, 161, 260 Konrad I. der Große (Konrad v. Wettin), Mgf. v. Meißen 417, 418 Konrad I., ostfränk. Kg. 81 Konrad II. (d. Ältere), röm.-dt. Ks. 130, 131, 131A, 132A, 133, 134, 135, 198, 420 Konrad II. d. Jüngere, Hzg. v. Kärnten 130 Konrad III. (Konrad v. Schwaben), dt. Kg. 54, 160, 196, 196A, 222, 223, 305A, 309, 312, 313, 313A, 314, 326 Konrad IV., dt. Kg. 100, 184, 185, 185A, 193, 208A, 209, 209A, 210, 210A, 211, 212, 213, 214, 217, 220, 221, 222, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 233A, 234, 235, 236, 237, 240, 241, 247, 248, 249, 254, 255, 256, 445 Konrad v. Megenberg 35, 36 Konrad v. Montferrat, Mgf. 176 Konrad v. Würzburg 435 Konrad (in Friedrich umbenannt), Sohn v. Friedrich Barbarossa) 307A Konradin, Sohn v. Konrad IV. 193, 215, 217, 218, 219, 219A, 220, 224, 227, 234, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 242A, 243, 244, 245, 246, 247, 250, 251, 254, 256, 445
463 Konstanze v. Sizilien, Gem. Heinrichs VI., Ks.in 143, 144, 151, 155, 156, 157, 157A, 158, 158A, 159, 162, 163, 165, 327 Krak I. 373, 374, 376 Krak II. 373, 374, 377 Kristin, Gem. v. Magnus V. Erlingsson 160 Kunhild v. Rügen, Mutter Widukinds v. Sachsen 415 Kúnhilt → Kunhild v. Rügen
L Lando, Sohn v. Karolus Pulcher 432, 437 Langobarden 365A Latinus, Kg. 323, 323A Lavinia, Tochter v. Kg. Latinus 323, 324 Leo III., Papst 50 Leopold III., Mgf. v. Österreich 176, 313 Leopold v. Wien, Chronist 390 Lestek 368 Lestek I. 373, 374, 375, 376, 377 Lestek II. 373, 375, 376, 377 Lestek III. 373, 375 Lestek IV. 373 Leukippe, Gem. v. Euenor 426 Libussa, Tochter v. Boemus 367 Lidricus 299 Liutprand, Kg. d. Langobarden 42 Liutprand v. Cremona, Bf. 55 Livius, Titus, röm. Geschichtsschreiber 427 Lombarden 327A, 380 Lothar, westfränk. Kg. 346 Lothar I., Ks. 397 Lothar III. v. Süpplingenburg, röm.-dt. Ks. 136, 205, 311, 311A, 313, 314, 326, 326A Lubinus, Eilhard 404, 404A Lucas Cranach d. Ältere, Maler 410 Ludowinger 420
464
Register der Personen- und Völkernamen
Ludwig I. der Fromme, fränk. Ks. 397 Ludwig II. der Deutsche, ostfränk. Kg. 41, 46, 47 Ludwig III. der Blinde, fränk. Ks. 50, 50A Ludwig IV. der Bayer, röm.-dt. Ks. 28A, 30A, 35, 81, 392, 393, 394, 396, 397, 397A, 398, 399 Ludwig IV., Kg. v. Frankreich 333, 339A, 344, 349, 432 Ludwig V., Kg. v. Frankreich 346 Ludwig VII., Kg. v. Frankreich 190A Ludwig VII. d. Bärtige, Hzg. v. BayernIngolstadt 392 Ludwig VIII., Kg. v. Frankreich 303, 332, 348, 349 Ludwig IX. der Heilige, Kg. v. Frankreich 278, 285, 288, 334, 335, 335A, Ludwig XI. der Kluge, Kg. v. Frankreich 290, 439 Ludwig der Bärtige, Landgf. v. Thüringen 420 Ludwig der Helt → Ludwig IV. der Bayer Ludwig v. Achaia 287 Ludwig v. Savoyen, Hzg. 281 Lukan (Marcus Annaeus Lucanus), röm. Dichter 164 Lulach, Kg. v. Schottland 160A Luxemburger 32, 80, 82, 294, 297, 303
Malaspina, Saba, Bf. v. Mileto 218, 235, 235, 247, 248, 249, 250, 251 Malcolm II., Kg. v. Schottland 160A Manfred, Kg. v. Sizilien 193, 214, 215A, 216, 217, 218, 223, 224, 224A, 225, 225A, 226, 226A, 234, 236, 237, 241, 241A, 242, 242A, 243, 244, 247, 248, 249, 250, 254, 255, 256, 445 Manuel I. Komnenos, byzant. Ks. 176 Marbacher Annalist 154 Marchese, Francesco Elio 362 Marchomir, myth. Figur 437 Margareta, Tochter v. Friedrich II. 232A Margareta, Gf.in v. Flandern 432 Margarete v. Anjou, Kg.in v. England 280 Margarethe v. Navarra, Gem. v. Wilhelm I. v. Sizilien 158 Margarethe/Maria v. Ungarn, Tochter v. Bela III. v. Ungarn 177, 180A Maria, Mutter Jesu’ 130, 130A, 134, 151, 444, 445 Maria, Tochter v. Karl d. Kühnen 438, 439 Maria v. Anjou, Gem. v. Karl VII. 280 Maria v. Brabant, Tochter v. Heinrich III. v. Brabant 56A Marsilius v. Padua 24A, 25, 26, 27 Martin v. Tours, Hl. 437 Martinus, Prior d. Camaldulenser 205 Mathias v. Neuenburg, Chronist 32 Mathilde, Äbtissin v. Quedlinburg 161 Mathilde, Mutter v. Otto I. 416, 418 Mathilde, Ks.in, Gem. Heinrichs V. 143, 144, 145, 155, 156, 156A, 158, 159, 162, 163, 165, 297 Mathilde v. Canossa 161A Mathilde v. Ringelheim, Großmutter v. Hugo Capet 339 Matthäus/Matthaeus Paris → Matthew Paris Matthew Paris, engl. Chronist 59, 59A, 60, 60A, 61, 63, 63A, 64, 64A, 66, 66A, 67, 67A, 69, 70, 71, 72, 73, 74,
M Macbeth, Kg. v. Schottland 160A Magnus I. der Gute, Kg. v. Norwegen u. Dänemark 261 Magnus II. Eriksson, Kg. v. Norwegen 93, 94, 446 Magnus II. Haraldsson, Kg. v. Norwegen 261 Magnus III. Barfuß, Kg. v Norwegen 261 Magnus IV., Kg. v. Norwegen 263 Magnus V. Erlingsson, Kg. v. Norwegen 160
Register der Personen- und Völkernamen
465
74A, 75, 76A, 86A, 87, 185A, 209A, 443 Matthias v. Kemnath, Chronist 393, 394, 395, 402, 404 Maximilian I. v. Habsburg, röm.-dt. Ks. 294, 304, 439 de’ Medici, Caterina, Kg.in v. Frankreich 286 Meinhard, Hzg. v. Österreich, Gf. v. Görz-Tirol 35 Melchisedech, bibl. Kg. 201, 201A Melisende, Kg.in v. Jerusalem 162, 163 Mennel, Jakob 294, 304, 391 Merowinger 260, 303, 314, 314A, 331, 332, 334, 335, 336, 337, 339, 340, 343, 346, 348, 365A, 366, 366A, 380, 383, 430, 434 Mesraim → Mizraim Michael v. Regensburg, Bf. 52, 52A Michael III., byzant. Ks. 55, 56 Michael V., byzant. Ks. 39A Mieszko I., Hzg. v. Polen 367, 368, 373, 378A, Mieszko II., Kg. v. Polen 372A Mieszko III., Hzg. v. Polen 378A Miles de Gloucester 156A Milo de Glocestria → Miles de Gloucester Mirk, John, Augustinerchorherr 57A Mizraim, Sohn v. Cham 319A Mussato, Alberto, ital. Chronist 32
Nimrod, bibl. Figur 198, 319, 319A, 320 Noah, bibl. Stammvater 294A, 297, 314, 318, 319, 319A, 320, 326A, 436, 441 Norix, myth. Figur 395, 397, 400, 401 Normannen 139, 140, 163, 302 Nuhn, Johannes, hess. Chronist 390
N Napoleon I. Bonaparte 294 Nero, röm. Ks. 36, 167, 232, 255 Nicolas d’Oresme 25 Nikolaus I., Papst 325A Nikolaus III., Papst 246 Nikolaus v. Bari 184, 184A, 222 Nikolaus v. Calvi 189, 189A, 190, 191, 193, 208, 233, 234, 247 Nikolaus (auch Klaus) v. Holstein, Gf. 51
O Odin, nord. Gottheit 41, 257, 258, 441 Odo, westfränk. Kg. 333, 333A, 335, 336, 336A, 337, 341, 343, 346, 347, 349, 349A Odo v. Cluny, Abt 49 Olav II. Haraldsson, Hl., norw. Kg. 257, 259, 260, 261, 266, 271 Olav III. (auch Olav Kyrre, “der Ruhige”), norw. Kg. 261 Olav Magnusson, norw. Kg. 261 Olav Tryggvason, norw. Kg. 259 Olga die Heilige (Olga v. Kiew) 161, 161A Otakar/Ottokar IV., Hzg. d. Steiermark 53 Otto I. v. Braunschweig, Hzg. 35 Otto I. v. Wittelsbach, Pfalzgf. u. Hzg. v. Bayern 392, 397 Otto VII. v. Wittelsbach, Pfalzgf. v. Bayern 206 Otto I., röm.-dt. Ks. 173, 416, 418, 419 Otto II., röm.-dt. Ks. 129, 161 Otto III., röm.-dt. Ks. 129, 129A Otto, päpstlicher Legat 60 Otto IV. v. Braunschweig, röm.-dt. Ks. 136, 181A, 182, 186, 191, 199, 200, 201, 202, 202A, 203A, 204, 204A, 205, 205A, 207, 239, 252, 253 Otto v. Braunschweig-Lüneburg 410 Otto v. Freising, Bf. u. Historiograph 154, 197, 198, 208A, 234A, 252, 309, 309A, 382, 383 Otto v. Salem 205 Otto v. St. Blasien, Chronist 153, 154, 157
466
Register der Personen- und Völkernamen
Ottokar II. v. Böhmen, Kg. 31, 31A, 81, 81A, 218 Ottokar aus der Gaal, Chronist 92, 94 Ottonen 416, 420
Philipp V., Kg. v. Frankreich 274A Philipp de Mézières 288 Philipp v. Bresse 281, 286 Philipp v. Schwaben, dt. Kg. 136, 184, 199, 200, 201, 202, 202A, 203, 203A, 204, 204A, 205, 206, 206A, 207, 239, 252, 253 Philipp v. Valois → Philipp VI. Philipp VI., Kg. v. Frankreich 350 Piast, myth. Figur 368, 369, 373, 376, 377, 379, 385 Piasten 365, 366, 368, 369, 369A, 370, 373, 376, 379, 379A, 385, 447 Pippin der Bucklige, Sohn Karls d. Großen 40 Pippin d. Jüngere, fränk. Kg. 80, 322, 324, 325, 331, 331A, 332, 334, 335, 337, 339, 340, 343, 346, 369A, 383 Pippin d. Ältere, fränk. Hausmeier 332, 432, 432A Pippin d. Kurze → Pippin d. Jüngere Pippin d. Mittlere, fränk. Hausmeier 340, 342 Pippin v. Herstal → Pippin d. Mittlere Pippin v. Landen → Pippin d. Ältere Pius II., Papst 51 Platon, griech. Philosoph 426 Plinius 428 Plutarch 427 Polen 369, 370, 372, 373, 376, 384 Polybius 427 Pompeius Trogus 377 Pontano, Giovanni 361 Popiel I. 368, 369, 369A, 373, 375, 379, 385 Popiel II. 373, 375, 376, 377 Popielaner 376 Porcellio (Giannantonio de’ Pandoni) 353A Poseidon, griech. Gottheit 426 Přemysl, myth. Figur 367 Priamos/Priamus, Kg. v. Troja 322, 324, 382, 384, 435, 435A
P Panormita → Beccadelli, Antonio Parzival, literar. Figur 102, 102A, 103, 104, 105, 107, 108, 110, 111, 112, 113, 114, 114, 115, 115A, 116, 116A, 117, 118, 118A, 119, 120, 121, 122, 122A, 123, 124, 444 Paschur, bibl. Figur 146 Paulus, Apostel 11 Paulus Diaconus 380 Peter II., Herr v. Courtenay, Peter I., lat. Ks. 179, 179A Peter d’Auvergne 24, 24, 25, 27, 28 Petrarca, Francesco 355 Petronella, Kg.in v. Aragón 163A Petrus, Apostel 325, 447 Petrus Comestor 319 Petrus Diaconus 196A, 311 Petrus Pictaviensis → Petrus v. Poitiers Petrus v. Eboli, Historiograph 144, 152, 154 Petrus v. Poitiers, franz. Theologe 296, 320, 345, 345A Petrus v. Prece 218, 227, 243, 254 Philipp I., Kg. v. Frankreich 341 Philipp I. v. Habsburg, Kg. v. KastilienLéon 302, 423, 430, 439 Philipp II. Augustus, Kg. v. Frankreich 179A, 303, 332, 334, 384 Philipp II. v. Pommern-Stettin, Hzg. 404 Philipp III. der Kühne, Kg. v. Frankreich 335A Philipp III. der Gute v. Burgund, Hzg. 302, 303, 304 Philipp III. der Schöne v. Brabant → Philipp I. v. Habsburg Philipp IV. der Schöne, Kg. v. Frankreich 289, 336
Register der Personen- und Völkernamen Priamos, Onkel v. Eneas Braebon u. Silvius Braebon 435A Priamus d. Jüngere 323, 324, 325 Priamus iunior → Priamus d. Jüngere Primat v. Saint-Denis, franz. Historiograph 338 Przemysliden 366 Ptolomäus v. Lucca 25, 26, 29
R Ragnhild, Kg., Gem. v. Halvdan 257, 258, 271 Ragnvald Heidumhære 258 Rahewin, Geschichtsschreiber 309A Raimund Berengar IV., Gf. v. Barcelona 163, 163A Rainer v. Montferrat, Kg. v. Thessalonike u. als Ioannes caesar in Byzanz 176, 416 Rainer, Mgf. v. Montferrat 176 Rainer v. Viterbo, Kardinal 229A Ramiro II., Kg. v. Aragón 163A Regino v. Prüm, Chronist 41 Rex, Octavianus, myth. Figur 436 de’ Ricci, Piero, Dichter 354A Richard II., Kg. v. England 82, 87, 94, 95, 96A, Richard v. Cornwall 59, 74, 74A, 215A, 218, 240 Richard v. San Germano, Chronist 155 Richard (Richard FitzRoy), Sohn Heinrichs I. v. England 297 Richard, Vater v. Rudolf v. Burgund 349A Ricordano Malispini, ital. Geschichtsschreiber 208A, 233, 233A Rigord, Chronist 383, 384 Robert I. der Friese, Gf. v. Flandern 178, 179 Robert I., Kg. v. Frankreich 333, 335, 336, 336A, 337, 338, 340, 341, 343, 344, 346, 349, 349A Robert II. der Fromme, Kg. v. Frankreich 333, 341, 344, 350
467 Robert II., Gf. v. Flandern 178 Robert d. Tapfere, Gf. v. Anjou 333A, 335, 343 Robert Gervais 288 Robert v. Courtenay, lat. Ks. 179, 179A Robert v. Gloucester 156 Robert v. Hereford, Bf. 145 Robert v. Torigni, Chronist 145, 159, 162 Robertiner 332, 333, 335, 336, 340, 341, 343, 344, 349 Roger II., Kg. v. Sizilien 30A, 140, 141, 142, 143, 143A, 151, 152, 153, 155, 158 Roger v. Howden, Chronist 144 Roger Wendover, Geschichtsschreiber 60, 60A, 61, 63, 63A, 66, 66A, 67 Rondinelli, Giovanni 286 Rudolf I., Hzg. v. Oberbayern u. Pfalzgf. b. Rhein 394, 397A, 399 Rudolf I. v. Habsburg, dt. Kg. 28A, 29, 30, 30A, 31, 31A, 32, 36A, 81 Rudolf II. v. Habsburg, Hzg. v. Österreich 35 Rudolf IV., Hzg. v. Österreich 36, 36A Rudolf v. Burgund, Hzg., Kg. v. Frankreich Rudolf v. Ems 100, 220, 221, 222 Rudolf v. Rheinfelden, dt. Kg. 13, 80, 127, 195, 444 Rupert, Gf. 152 Ruprecht I., dt. Kg., Pfalzgf. 29A, 43A, 44A, 82, 92, 395 Rurik, Warägerfürst 367 Rurikiden 366
S Sachsen 326A, 381, 407, 410l, 411, 415, 419, 420 Salier 130, 131, 133, 135, 160, 196A, 203A, 254, 309A, 312, 325, 328, 420, 445, 447 Salimbene de Adam, Chronist 235, 236
468
Register der Personen- und Völkernamen
Samuel, bibl. Prophet 149, 266, 318 Sancho II., Kg. v. Portugal 85, 193A Sancho VI., Kg. v. Navarra 161A Saul, bibl. Kg. 148, 149, 149A, 150 Schedel, Hartmann, Humanist 403 Sem, Sohn Noahs 297, 318, 319, 320 Seva v. Dänemark, Gem. Widukinds v. Sachsen 415 Sforza, Familie 282, 286 Elisabetta 283 Francesco 288 Galeazzo Maria, Hzg. v. Mailand 282, 282A, 286, 288 Siemomysł 368, 373 Siemowit 368, 373, 376 Sigebert v. Gembloux, Chronist 196, 306A Sigismund v. Luxemburg, röm.-dt. Ks. 46, 58 Sigurd I. der Jerusalemfahrer, Kg. v. Norwegen 160, 261, 263 Sigurd II. Munn, Kg. v. Norwegen 160, 263, 265 Sigurd Slembe 263 Silvius Braebon, Sohn v. Braebon XXI. 435A, 436, 437 Sinibaldo Fieschi → Innozenz IV. Sixt v. Tannberg, Bf. v. Freising 403 Skule Bårdsson, norw. Gegenkg. 266 Slaven 367 Snorri Sturluson, norw. Geschichtsschreiber 257, 258 Sosthenes v. Mazedonien 374 Spalatin, Georg, Historiograph 407, 407A, 408, 409, 409A, 410, 411, 414, 415, 416, 417, 418, 419, 420, 421, 421A, 448 Staufer 17A, 74, 75, 78, 86, 100, 152, 153, 160, 175A, 182, 183, 185, 186, 190, 193, 197, 198, 198A, 200A, 202, 203, 203A, 204, 206, 212, 221, 230, 231, 234, 235, 236, 237, 238, 240, 241, 241A, 242, 244, 246, 247, 249, 250, 251, 252, 253, 254, 255, 256, 298, 298A, 305, 307, 307A, 315, 319,
320, 321, 324, 325, 327A, 328, 445, 446, 447 Stephan v. Blois, Kg. v. England 143, 143A, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 149A, 150, 151, 153, 154, 155, 156, 159, 164, 381 Stephan v. Boulogne, Gf. → Stephan v. Blois Sunthaym, Ladislaus 391 Sven Estridsen, Kg. v. Dänemark 160 Sven Gabelbart 160A Sverre, literar. Figur 262 Sverre Sigurdsson, Kg. v. Norwegen 265, 265A, 266, 267, 269, 271 Swana, myth. Figur 300, 436 Sybille v. Anjou, Gem. Dietrichs v. Elsass 178 Sybille v. Jerusalem 176 Symeon v. Durham 158
T Tacitus, röm. Historiker 403, 435 Tankred v. Lecce, Gf., Kg. v. Sizilien 143, 143A, 144, 151, 151A, 152, 153, 154, 154A, 155, 157, 164 Tarquinius Superbus, röm. Kg. 323 Tertullian, Geschichtsschreiber 128A Texander, Hzg. 437 Thachulf, ostfränk. Heerführer 47 Thaddaeus v. Suessa 86 Theobald III., Gf. v. Champagne u. Kg. v. Navarra 161A, 177 Theobald IV., Gf. v. Blois 146, 146A Theobald v. Champagne, Kg. v. Navarra 161, 161A Theodora III., byzant. Ks.in 161A Theodosius I., röm. Ks. 190A, 356 Theodosius II., röm. Ks. 356 Theophanu, Ks.in, Gem. Ottos II. 161 Thietmar v. Merseburg, Chronist 52, 129 Thomasin v. Zerklaere 45 Thüringer 407, 410, 411, 415, 419
Register der Personen- und Völkernamen Tjodolv v. Hvine, Dichter 258, 271 Torgotus, myth. Figur 435 Traian, röm. Ks. 356 Trastámara 356, 358 Troius, myth. Figur 321 Trojaner 172, 318, 322, 323, 324, 366, 366A, 380A, 382, 384, 384A, 435A, 447 Trous, myth. Figur 436 Turnus, myth. Figur 323 Turul, Fabelwesen 367
U Ulf, dänischer Jarl 160A Ungarn 52, 367, 419 Urban III., Papst 315 Urban IV., Papst 215, 240, 242, 242A, 244 Urraca v. Kastilien, Kg.in 162, 163
V Valla, Lorenzo, Humanist 352, 355, 358, 359 Valois 274, 288, 288A, 304, 350 Varro, Marcus Terentius, röm. Polyhistor 427 Veit Arnpeck, Kaplan v. Bf. Sixt v. Tannberg 403, 404 Veit Stopfer v. Ebersberg 401, 402A, 403 Vener, Job 43 Venus, röm. Gottheit 322 Vergil 360, 361 Vespasian Augustus, röm. Ks. 168, 436 Villani, Giovanni, ital. Geschichtsschreiber 167, 167A, 233A Vincent de Beauvais 288 Vinzenz Kadłubek, poln. Geschichtsschreiber 365, 369, 369A, 370, 371, 372, 372A, 373, 374, 375, 376, 377, 378, 379, 380, 381, 383, 384, 385, 447, 448
469 Visconti, Bianca Maria 288 Vortigern 381, 382
W Walprecht, Sohn v. Widukind v. Sachsen 416 Wanda, myth. Figur 373, 374 Welfen 182, 200A, 204A, 205, 322, 397 Wenzel v. Luxemburg, dt. Kg. 82, 92, 94, 96A Wettiner 407, 407A, 408, 409, 414, 416, 417, 418, 420, 421, 441, 448 Widukind II., Sohn v. Widukind v. Sachsen 415 Widukind v. Corvey 175A Widukind v. Sachsen 415, 416, 417, 418, 419 Wilhelm I. der Eroberer, Kg. v. England 68A, 139, 141, 143, 147 Wilhelm I., Kg. v. Sizilien 142, 143, 153, 158 Wilhelm I., Mgf. v. Meißen 51, 51A Wilhelm II. der Reiche, Mgf. v. Meißen 421 Wilhelm II., Kg. v. Sizilien 143, 144, 151, 152, 153, 156, 157 Wilhelm III., Kg. v. Sizilien 39A Wilhelm IV., Sohn v. Albrecht IV. 401, 402, 403 Wilhelm V., Mgf. v. Montferrat 176 Wilhelm VII. Palaiologos, Mgf. v. Montferrat 283 Wilhelm v. Canterbury, Ebf. 146, 146A 150 Wilhelm v. Holland, dt. Kg. 228, 230, 231, 234, 237 Wilhelm v. Mainz, Ebf. Wilhelm v. Malmesbury, Geschichtsschreiber 65, 65A, 145, 146, 148, 158, 381, 382 Wilhelm v. Moerbeke 91 Wilhelm (Langschwert) v. Montferrat, Gf. v. Jaffa u. Askalon 176
470 Wilhelm v. Newburgh, Geschichtsschreiber 382 Wilhelm v. Sabina, Kardinal 269 Wilhelm v. Tyrus, Chronist 53 Wilhelm (William Ætheling), Sohn Heinrichs I. v. England 297 Willigis v. Mainz, Ebf. 129 Windecke, Eberhard, Geschichtsschreiber 46 Wipo, Historiograph 130 Wiprecht v. Sachsen, Hzg. 416 Wittelsbacher 82, 392, 393, 394, 395, 397, 398, 399, 401, 402, 403, 404 Wotan, nord. Gottheit 381 Wurm, Hans, Chronist 400, 400A
Y Ylion, myth. Figur 436 Yolande Ludovica 283 Yolande v. Aragon 280 Yolande v. Frankreich, Hzg.in v. Savoyen 277, 280, 281, 282, 282A, 284, 285, 286, 287, 289, 289A, 290 Yves (Ivo) v. Saint-Denis 338, 339, 341
Z Zacharias, Papst 80 Žižka, Jan, hussitischer Heerführer 51 Zoe, byzant. Ks.in 161A
Register der Personen- und Völkernamen
Register der geographischen Bezeichnungen
A Aachen 130, 172, 200, 201, 210, 231, 305, 306, 306A, 311 Agrippina 436 Albion, Insel → England Altenburg 411 Anjou 159, 340 Antiochia 140 Apulien, Herzogtum 141, 250 Aquileia 131 Aquitanien 430A Aragón, Königreich 163, 163A, 183 Armenien 395, 400 Asien 257 Assisi 189A Asti 289 Athen 425 Atlantis 426 Austrasien 432, 437 Avila 93
B Babel 367 Bamberg 206, 314 Bar, Grafschaft 35A Basel 302, 356A, 429A Bayern, Herzogtum 218, 322, 387, 393, 394, 397, 398, 399, 400, 401, 402, 403, 404, 410, 418, 448 Bayren/Bayrn → Bayern Behlheim 415 Benevent 217, 244 Bergen (Norwegen) 259 Bitonto 184 Böhmen, Königreich 32, 240, 303, 304, 366, 367, 448 Bourgogne, Herzogtum 275
Bouvines 179A Brabant, Herzogtum 303, 304, 424, 431, 432, 434, 435, 436, 437, 437A, 438, 438A, 439, 448 Braebas 435 Braunschweig 34A, 35, 418, 419 Brügge 439 Burgund 315, 434, 439, 439A, 442 Byzanz 161A, 163A, 178A, 181, 445
C Canterbury 146, 150 Capua, Fürstentum 141 Carinthia 373 Città di Castello 245 Cluny, Kloster 337 Coburg 408, 409, 411, 421 Cortenuova 351A Crécy 51 Cremona 351A
D Delphi 425 Deutsches Reich 178, 182, 239, 311, 443 Deutschland 23, 64A, 201, 202A, 212, 231, 309A, 315, 403 Didymotoichon 180A Dnepr, Fluss 367 Dresden 15, 39A, 198A, 351A, 414, 418, 421A, 423A, 424A, 434, 441
E Echternach, Kloster 133 Eilenburg 418 England 48, 59, 64, 65A, 67A, 71, 73, 74, 75, 79A, 82, 87, 94, 95, 139, 140,
472 140A, 141, 142, 143, 145, 149, 151, 154, 156, 158, 161, 162, 163, 164, 183, 185A, 260, 280, 299, 345, 381, 382, 384, 444, 445, 446 Europa 26A, 39A, 139, 141, 162, 163, 163A, 182, 194, 231, 280, 298, 303, 366A, 384, 416, 446 Nordeuropa 139 Osteuropa 139 Ostmitteleuropa 260, 366 Südeuropa 139, 160 Westeuropa 80, 139, 142
F Färöer-Inseln 262 Fermo 245 Flandern, Grafschaft 178, 299, 432 Florenz 355A, 360 Foggia 225 Forchheim 13, 14A, 127, 133, 195A, 444 Franken 415 Franckenreich → Fränkisches Reich Fränkisches Reich 297, 373, 397 Frankfurt am Main 43A, 202, 415 Frankreich 34A, 48, 64, 79A, 162, 163A, 164, 176, 185A, 250, 274, 274A, 278, 281, 285, 286, 288, 289, 290, 303, 315, 320, 329, 330, 331, 335, 336, 337, 338, 341, 345, 348, 349, 350, 382A, 383, 384, 439, 446
G Gaeta 191A Gallia Belgica 437 Gallien 324, 384 Geldern, Grafschaft 34A, 35A Germanien 324 Gnesen (Gniezno) 377 Gotha 408, 408A, 421 Griechenland 321 Grosseto 245
Register der geographischen Bezeichnungen Gunzenhausen 404A
H Haspengau (Hespengau) 437, 438 Heidelberg 393, 403 Heiliges Land 72, 74, 206, 245 Heiliges Römisches Reich 24 Herford, Kloster 415 Hessen, Landgrafschaft 34A, 35A, 56A, 419 Hildesheim 204A
I Iberische Halbinsel 351 Illyrisches Meer 323 Irland 263 Israel 150, 242, 246 Italien 52, 164, 170, 174, 181, 193, 205, 217, 231A, 244, 249, 251, 273, 275A, 305, 309A, 323, 324, 327A, 351, 357 Mittelitalien 52, 322 Norditalien 172, 249 Oberitalien 50, 177, 178, 182, 182A, 185, 186 Süditalien 140, 156, 182, 193, 223, 249, 250, 254 Unteritalien 139, 163A
J Jerusalem, Königreich 53, 152, 162, 162A, 163, 163A, 164, 176, 183, 217, 221, 244, 245 Jülich 34A, 35, 35A, 36, 437
K Kalabrien 361 Kärnten 34A, 35 Karlstein (Karlštejn), Burg 294A, 304 Kastilien 163, 163A, 278, 359 Kiewer Rus 161, 366, 367 Kirkwall 271
Register der geographischen Bezeichnungen Koblenz 415 Köln 136A, 200, 231, 306A, 382, 419, 429A Konstantinopel 172, 173, 173A, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 181, 181A, 185, 206 Konstanz 84, 132A, 240, 305A, 327A Krakau (Kraków) 374, 377 Kreta 320
L Lombardei (Lambardia) 178A Landen 432, 437 Latium 322 Lecce 151, 152 Leipzig 414 Lincoln 148, 151, 156, 159 London 64, 91, 94 Lugdunum → Lyon Lutetia 384 Lüttich 435A Luxemburg 34A, 35A Lyon 82, 83, 85, 86, 89, 167, 185, 185A, 192, 192A, 193A, 207, 210, 210A, 228, 229A, 244, 444
M Mailand 185, 230A, 281, 282, 286, 288, 327A, 352A Mainz 92, 94, 94A, 127, 128, 129, 130, 200, 237, 238, 240, 311, 312, 313, 412A, 444 Meißen 232A, 414, 415, 418, 421 Melfi 142 Mersbůrg → Merseburg Merseburg 417 Messina 236 Montecassino 196A, 311 Mühlberg 409
473
N Narni 189A Navarra, Königreich 161 Neapel 186A, 232, 351, 352, 354A, 356, 358, 361, 442, 447 Niederburgund 50 Niederlausitz 411, 415 Niederlothringen, Herzogtum 437A Nijmegen → Nimwegen Nikaia, Kaiserreich 183 Nimwegen (Nijmegen) 305, 435 Nordgau 395, 400 Normandie 140, 145, 158, 159, 164 Norwegen 161, 257, 258, 259, 260, 262, 263, 264, 266, 270, 442, 446
O Oberbayern 395 Oberfranken 411 Oberlahnstein 92, 94 Oberlausitz 411, 415 Orbe, Kloster 287 Orestiada (Orestias) 180A Orléans 275 Orkney 271 Orvieto 315 Oslofjord 257 Österreich 32, 35, 36A, 304, 373, 390
P Paderborn 415 Palästina 178 Palermo 152, 155, 209A, 214, 236, 242 Palestrina 200 Pannonien 323, 437 Paris 24, 316A, 317, 318A, 331, 335, 338, 340, 341, 344, 345, 384, 384A Pavia 245, 305, 394 Pinerolo 284 Pisa 245 Poitou 64, 68, 69A
474 Pommern, Herzogtum 404, 404A
Q Quedlinburg (Quidilingeburg) 129A
R Regensburg 52, 392 Rhein, Fluss 92, 94, 324, 393, 415, 437 Rhense 92 Rieti 245, 317, 317A Ringelheim 417 Rheinpfalz 394 Rom 50, 172, 192A, 212, 212A, 214, 216, 217, 219, 221, 224A, 244, 245, 251, 315, 322, 323, 354, 375, 424, 434 Rubicon, Fluss 164 Rus → Kiewer Rus
S Sachsen 311, 326, 408, 409, 411, 415, 416, 417, 418 Altsachsen 417 Ostsachsen 418 Sachsen-Altenburg, Herzogtum 408, 410 Sachsen-Coburg, Herzogtum 408, 410 Sachsen-Coburg-Gotha, Herzogtum 410 Sachsen-Gotha, Fürstentum 408 Sachsen-Lauenburg, Herzogtum 411 Sachsen-Weimar, Herzogtum 408, 410 Sachsen-Wittenberg, Kurfüstentum 409, 410, 414, 421 Saint-Aubin, Kloster 340 Saint-Denis, Kloster 331, 338 Savoyen 35A, 273, 274, 275, 275A, 276, 277, 278, 278A, 280, 280A, 281, 282, 285, 286, 287, 289, 416, 446 Schottland 93, 271, 442 Schwabach 404A Schwaben 217, 241, 322
Register der geographischen Bezeichnungen Schweden 257 Sicambria 323 Siena 245 Sizilien, Königreich 139, 140, 141, 142, 143, 152, 153, 154, 156, 157, 157A, 158, 159, 160, 161, 163, 163A, 164, 182, 183, 186, 191, 192, 215, 215A, 217, 221, 223, 228, 231, 235, 241, 243, 244, 248, 254, 256, 315, 361, 442, 445, 446 Skandinavien 260, 262A Skythien 367 Spanien 359 Speyer 131 Südeuropa 139, 160 St. Alban (Mainz), Kloster 128 St. Albans, Kloster 59A, 63, 65A, 66, 72, 73, 75 Stavanger 259 Stiklestad 260 Stockholm 93
T Tagliacozzo 245, 246, 251 Texandrien (Toxandrien) 437 Thessaloniki, Königreich 177, 177A, 180A Thüringen 200, 287, 408, 409, 411, 414, 415, 417, 419, 420, 420A, 421 Torgau 414 Toxandrien → Texandrien Trier, Erzbistum 36 Troia 144, 144A, 155 Troja 172A, 212, 212A, 221, 294, 297, 299, 321, 322, 322A, 323, 324, 325, 328, 365A, 366, 366A, 380A, 431, 432, 434, 435, 436 Trøndelag 160, 259, 261 Trondheim 259, 263, 264 Tschechien 51 Tungrien 432 Tungris/Tongeren 435 Turin 282, 282A
Register der geographischen Bezeichnungen
U Ungarn 55, 208A, 324, 366, 442, 446, 448 Uppsala 94
V Vaud 287 Venedig 46A, 186, 327A, 357, 429A Vercelli 281, 282, 286 Verona 245 Vestfold 257, 258 Viterbo 314, 315
W Weimar 408 Weissenburg 404A Westeuropa 80, 139, 142 Westligurien 176 Westminster 70, 72, 93, 94, 156A Wien 209, 212, 228 Wittenberg 410, 414 Worms 131, 228 Worringen 230 Würzburg 135, 202
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Abbildungen zum Beitrag Weiss Abb. 1 Hirsch und Westminster, Randzeichnung in der Chronica maiora des Matthew Paris
Abb. 2 Burg Montgomery, Randzeichnung in der Chronica maiora des Matthew Paris
Abbildungen zum Beitrag Weinfurter
Abb. 3 Bleibulle Konrads II. vom 23. August 1028
Abb. 4 Apsisfresko im Dom von Aquileia mit der frühesten Darstellung (wohl 1028) der Salierfamilie mit (von links) Heinrich III. als Kind, Konrad II. und Gisela
Abb. 5 Rekonstruktionszeichnung von der Vorkrypta im Speyerer Dom mit der Grablege Konrads II.
Abbildungen zum Beitrag Weinfurter
Abb. 6 Kaiser Konrad II. und Kaiserin Gisela knien vor der Majestas Domini und flehen um Vergebung ihrer Sünden
Abb. 8 Darstellung des Salierhauses in der aus Havelberg stammenden Überlieferung der Chronik des Ekkehard von Aura
Abb. 7 König Heinrich III. übergibt das Goldene Evangelienbuch an die hl. Maria und erbittet ihre Gunst für seine Gemahlin, Königin Agnes
Abbildungen zum Beitrag Andenna
Abb. 9 Krönung Manfreds (1258), Miniatur aus der Nuova Cronica des Giovanni Villani
Abbildungen zum Beitrag Melville
Abb. 10 Nachzeichnung der Genealogie von Normannenherzögen bzw. englischen Königen [links] und westfränkisch-französischen Königen
Abbildungen zum Beitrag Melville
Abb. 11 Nachzeichnung der Papstund Kaisersukzession
Abb. 12 Nachzeichnung der Genealogie der Könige von England
Abbildungen zum Beitrag Melville Abb. 13 Nachzeichnung der biblischen Genealogie in der Weltchronik des Johannes de Utino
Abb. 14 Nachzeichnung einer biblischen Genealogie
Abbildungen zum Beitrag Melville
Abb. 15 Schematische Darstellung der Ansippung der flandrischen Grafen an die Karolinger bzw. der autonomen Herleitung der flandrischen Grafen
Abb. 16 Genealogie der westfränkisch-französischen Könige [links] und der Normannenherzöge [rechts], Bernard Gui, Arbor genealogie regum Francorum
Abbildungen zum Beitrag Melville Abb. 17 Der Übergang von den Karolingern zu den Kapetingern in A tous nobles
Abb. 18 Schematische Darstellung des Reditus regni Francorum ad stirpem Karoli über das flandrische Grafenhaus
Abb. 19 Schematische Darstellung der Ansippung der Karolinger an die Merowinger
Abbildungen zum Beitrag Norbye Abb. 20 Die Karolinger und die Robertinger; die ersten fünf Kapetinger, Récit d’un ménéstrel d’Alphonse de Poitiers
Abb. 21 Die Robertinger und die ersten vier Kapetinger, Annalen von Saint-Aubin
Abbildungen zum Beitrag Norbye Abb. 22 Karl d. Einfältige und die Robertinger, Bernard Gui, Arbor genealogie regum Francorum
Abb. 23 Die letzten Karolinger; Hugo der Große und Hugo Capet, Weltchronik mit A tous nobles
Abbildungen zum Beitrag Norbye Abb. 24 Die Karolinger von Karl d. Kahlen an, die Robertinger, Gilles de Paris, Karolinus
Abb. 25 Edward III. von England und Philipp VI. von Frankreich in A tous nobles
Abbildungen zum Beitrag Studt
Abb. 26 Chronik des Matthias von Kemnath, ca. 1475
Abb. 27 Kopien der Wandbilder im Alten Hof in München von 1463/65, Miniaturen des späten 15. Jahrhunderts
Abbildungen zum Beitrag Studt Abb. 28 Ludwig der Bayer, Einzelblatt aus einer Serie von Abschriften der bayerischen Fürstenreihe
Abb. 29 Chronik und Stamm der Bayerischen Herzöge, 1501
Abbildungen zum Beitrag Studt
Abb. 30 Philipp Apian, Bayerische Landtafeln, Taf. V, 1568
Abb. 31 Karte “Nova illustrissimi principatus Pomeraniae descriptio”
Abbildungen zum Beitrag Butz
Abb. 32 Obersächsisch-meißnische Territorien 1485
Abb. 33 König Widukind von Sachsen, Zeichnung in Georg Spalatins Geschichte der Sachsen und Thüringer
Abb. 34 Markgraf Heinrich von Eilenburg, Zeichnung in Georg Spalatins Geschichte der Sachsen und Thüringer
Abb. 35 Obersächsischmeißnische Territorien um 1200
Abbildungen zum Beitrag Butz
Abbildungen zum Beitrag Butz
Abb. 36 Markgraf Konrad der Große von Meißen, Zeichnung in Georg Spalatins Geschichte der Sachsen und Thüringer
Abb. 37 Kaiser Otto der Große, Zeichnung in Georg Spalatins Geschichte der Sachsen und Thüringer
Abb. 38 Thüringer wählen Heinrich I. zu ihrem König, Zeichnung in Georg Spalatins Geschichte der Sachsen und Thüringer
Abb. 39 Markgraf Heinrich der Erlauchte von Meißen, Landgraf von Thüringen, Zeichnung in Georg Spalatins Geschichte der Sachsen und Thüringer
Abb. 40 Obersächsischmeißnische Territorien 1247
Abbildungen zum Beitrag Butz
Abbildungen zum Beitrag Tanneberger
Abb. 41 Die Grundstruktur der Genealogia principum Tungro-Brabantinorum
KATRIN BOURRÉE
DIENST, VERDIENST UND DISTINKTION FÜRSTLICHE SELBSTBEHAUPTUNGSSTRATEGIEN DER HOHENZOLLERN IM 15. JAHRHUNDERT (SYMBOLISCHE KOMMUNIKATION IN DER VORMODERNE)
Wie wird man als Aufsteiger den Anforderungen einer fürstlichen Existenz gerecht? Diese Frage mussten sich die Hohenzollern stellen, nachdem sie durch die Belehnung mit der Mark Brandenburg 1415 in den exklusivsten Kreis der spätmittelalterlichen Reichsfürsten aufgenommen worden waren. Zur Durchsetzung des neuen Herrschaftsanspruches war es erforderlich, sich besonders überzeugend als gleichberechtigte Reichsfürsten, mitherrschende Kurfürsten und unangefochtene Landesherren zu präsentieren. Die Studie untersucht, mit welchen sozialen Praktiken der Selbstbehauptung und diskursiven Strategien der Herrschaftslegitimierung sie dies zu erreichen suchten, und fragt zugleich nach ihrer Wahrnehmung durch die neuen Standesgenossen, den König und die Untertanen im fränkischen wie im märkischen Territorium. 2014. X, 721 S. 8 S/W- UND 14 FARB. ABB. GB. 145 X 220 MM. ISBN 978-3-412-20981-0
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NORM UND STRUK TUR STUDIEN ZUM SOZIALEN WANDEL IN MIT TEL ALTER UND FRÜHER NEUZEIT HERAUSGEGEBEN VON GERT MELVILLE IN VERBINDUNG MIT GERD ALTHOFF, HEINZ DUCHHARDT, PETER LANDAU, KLAUS SCHREINER UND GERD SCHWERHOFF
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GERT MELVILLE
FROMMER EIFER UND METHODISCHER BETRIEB BEITRÄGE ZUM MITTELALTERLICHEN MÖNCHTUM HG. VON CRISTINA ANDENNA UND MIRKO BREITENSTEIN
Klöster, Orden und religiöse Lebensformen zählen zu den zentralen Forschungsfeldern von Gert Melville. Sein Blick richtet sich insbesondere auf den frommen Eifer wie auf den methodischen Betrieb derjenigen, die sich für ein regelgeleitetes Leben entschieden hatten: Mönche und Nonnen, Kanoniker und Eremiten. Ein wesentliches Anliegen seiner Forschung ist es, die Vita religiosa als ein europäisches Phänomen aufzuzeigen, das nur im raum- wie zeitübergreifenden Vergleich angemessen gewürdigt werden kann. Mit diesem vergleichenden Ansatz hat er nicht nur wichtige Beiträge geleistet, sondern auch neue Impulse gegeben und Forschungsfelder eröffnet. Der vorliegende Band vereinigt anlässlich des 70. Geburtstags von Gert Melville zentrale Aufsätze zum mittelalterlichen Mönchtum, die einen Überblick über seine vielfältigen Forschungen geben. 2014. XVI, 398 S. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-22414-1
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