Hvanndalir – Beiträge zur europäischen Altertumskunde und mediävistischen Literaturwissenschaft: Festschrift für Wilhelm Heizmann 9783110569483, 9783110562842

This volume contains a broad collection of new essays in Old Norse studies, archeology, runology, and visual culture. Th

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German Pages 642 [658] Year 2018

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Autorenverzeichnis
Literaturwissenschaft
Fremd und Eigen in der Eiríks saga víðfǫrla: die Umkehrung der Erzählperspektive
Die Götterbilder im Tempel. Zur religionsgeschichtlichen Relevanz eines Motivs in Adam von Bremens Kirchengeschichte
‘Drjúg varð á því doegri konungs furða.’ Remarques sur la strophe de Sigvatr Þórðarson au sujet de l’éclipse solaire lors de la bataille de Stiklestad
The Medialization of the Supernatural in the Toponymy of the Book of Settlements
Es sannliga es sagt: Die Íslendingabók des Ari Þorgilsson inn fróði
Talismane als ‚handlungsmächtige Dinge’ in den Isländersagas
Der Ring der Nibelungen: Der Ring als Ding und Akteur in den skandinavischen und deutschen Versionen des ‚Nibelungenstoffes‘
Laxdœla saga – eine Königssaga?
Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen
Marian devotion in 14th century Norway
Epiphanien des Teufels in den altnordischen Marienmirakeln der B-Sammlung
Die Fiktion der Eindeutigkeit – Planung und Zufall in der Óláfs saga helga
Brennu-Njáll als scheiternder Trickster oder: Warum ein Seidengewand keinen Vergleich bricht
Ynglingakungarna i medeltida svensk historieskrivning. En studie i stegvis korruption och transformation
Der Nekromant und der Ring: Spuren christlicher Gelehrsamkeit in der Færeyinga saga?
Dei Huk uptrecken. Der häusliche Kesselhaken als materia magica
Ekphrasis bei Snorri
Versöhnung im Jenseits Überlegungen zur altnordischen Ideologie in Heldensage und Mythos
Svanhvít in den Wolfstälern Die Chronotopologie des eddischen Wielandliedes und das ‹rewriting› des Schwanjungfrau-Mythos in der Erzählprosa des Codex Regius
Altertumskunde und Archäologie
Gudum Man
Orsett-D – ein neuer Brakteatenfund aus Essex
Amazons of the North? Armed Females in Viking Archaeology and Medieval Literature
Wieland – Herodes. Der Bethlehemitische Kindermord und die Frontseite des Franks Casket
Götterthrone und ein gefährlicher Stuhl: Bemerkungen zum „Odin aus Lejre“
Die niederrheinischen Matronen: Vacallinehae, Austriahenae, Aufaniae
Runologie
Merkwürdiges zu Goldbrakteaten und anderen Inschriftenträgern
Der Runen-Glaskameo aus Mainz
Die Bronzefibel von Skabersjö
alu An attestation of a Scandinavian trait in Pre-Old English?
Register
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Hvanndalir – Beiträge zur europäischen Altertumskunde und mediävistischen Literaturwissenschaft: Festschrift für Wilhelm Heizmann
 9783110569483, 9783110562842

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Hvanndalir – Beiträge zur europäischen Altertumskunde und mediävistischen Literaturwissenschaft

Reallexikon der germanischen Altertumskunde – Ergänzungsbände

Herausgegeben von Sebastian Brather, Wilhelm Heizmann und Steffen Patzold

Band 106

  Hvanndalir – Beiträge zur europäischen Altertumskunde und mediävistischen Literaturwissenschaft

Festschrift für Wilhelm Heizmann Herausgegeben von Alessia Bauer und Alexandra Pesch

Entstanden mit der Förderung des Zentrums für Baltische und Skandinavische Archäologie, Schloss Gottorf, Schleswig.

ISBN 978-3-11-056284-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-056948-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-056917-9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis Literaturwissenschaft Alessia Bauer Fremd und Eigen in der Eiríks saga víðfǫrla: die Umkehrung der Erzählperspektive   3 Klaus Böldl Die Götterbilder im Tempel. Zur religionsgeschichtlichen Relevanz eines Motivs in Adam von Bremens Kirchengeschichte   19 Francois-Xavier Dillmann ‘Drjúg varð á því dœgri konungs furða.’ Remarques sur la strophe de Sigvatr Þórðarson au sujet de l’éclipse solaire lors de la bataille de Stiklestad   33 Matthias Egeler The Medialization of the Supernatural in the Toponymy of the Book of Settlements   47 Stefanie Gropper Es sannliga es sagt: Die Íslendingabók des Ari Þorgilsson inn fróði  Daniela Hahn Talismane als ‚handlungsmächtige Dinge‘ in den Isländersagas 

 67

 81

Andreas Hammer Der Ring der Nibelungen: Der Ring als Ding und Akteur in den skandinavischen und deutschen Versionen des ‚Nibelungenstoffes‘   97 Rolf Heller Laxdœla saga – eine Königssaga? 

 119

Ernst Hellgardt Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen   135 Karoline Kjesrud Marian devotion in 14th century Norway 

 177

VI 

 Inhaltsverzeichnis

Irene Kupferschmied Epiphanien des Teufels in den altnordischen Marienmirakeln der B-Sammlung   191 Jan Alexander van Nahl Die Fiktion der Eindeutigkeit – Planung und Zufall in der Óláfs saga helga 

 209

Anita Sauckel Brennu-Njáll als scheiternder Trickster oder: Warum ein Seidengewand keinen Vergleich bricht   223 Daniel Sävborg Ynglingakungarna i medeltida svensk historieskrivning. En studie i stegvis korruption och transformation   239 Andreas Schmidt Der Nekromant und der Ring: Spuren christlicher Gelehrsamkeit in der Færeyinga saga?   261 Monika Schulz Dei Huk uptrecken. Der häusliche Kesselhaken als materia magica  Rudolf Simek Ekphrasis bei Snorri 

 281

 301

Jiří Starý Versöhnung im Jenseits. Überlegungen zur altnordischen Ideologie in Heldensage und Mythos   317 Matthias Teichert Svanhvít in den Wolfstälern. Die Chronotopologie des eddischen Wielandliedes und das ‹rewriting› des Schwanjungfrau-Mythos in der Erzählprosa des Codex Regius   343

Altertumskunde und Archäologie Morten Axboe Gudum Man   361 Charlotte Behr Orsett-D – ein neuer Brakteatenfund aus Essex 

 379

Inhaltsverzeichnis 

Leszek Gardeła Amazons of the North? Armed Females in Viking Archaeology and Medieval Literature   391 Sigmund Oehrl Wieland – Herodes. Der Bethlehemitische Kindermord und die Frontseite des Franks Casket   429 Alexandra Pesch Götterthrone und ein gefährlicher Stuhl: Bemerkungen zum „Odin aus Lejre“   463 Theo Vennemann Die niederrheinischen Matronen: Vacallinehae, Austriahenae, Aufaniae 

Runologie Klaus Düwel Merkwürdiges zu Goldbrakteaten und anderen Inschriftenträgern 

 523

Bernd Päffgen, Klaus Düwel, Robert Nedoma Der Runen-Glaskameo aus Mainz   545 Edith Marold Die Bronzefibel von Skabersjö 

 585

Gaby Waxenberger alu. An attestation of a Scandinavian trait in Pre-Old English?  Register 

 625

 597

 497

 VII

Wilhelm Heizmann

Vorwort Hvanndalir, die Engelwurz-Täler in einer abgelegenen Gegend an der Nordküste Islands, sind bekannt für den Reichtum an wunderbaren Heilpflanzen und Blumen. Dort liegt verschiedenen Überlieferungen nach der Ódainsakr, das Feld der Untoten, wo es Menschen nicht möglich war, zu sterben: Ein elysischer, wenn auch etwas unheimlicher Ort. Denn die saftigen Wiesen der Hvanndalir waren auch ein Schlachtfeld: In der Landnamezeit Islands sollen dort im Streit um die Erstbesiedlung 17 Schweden und Norweger gefallen sein. Die Erinnerungen daran, komponiert aus mythischen Tiefen, jahrhundertealten Traditionen und historischen Überlieferungen, wurden im Mittelalter verschriftlicht und wachgehalten bis in die Neuzeit. Als Wilhelm Heizmann 1998 seinen Beitrag “Hvanndalir – Glæsisvellir – Avalon“ in den Frühmittelalterlichen Studien (32, S.  72–100) veröffentlichte und dabei die dies- und jenseitigen Facetten der drei Titelstätten mit ihren Gemeinsamkeiten und mythischen Verbindungen untersuchte, nutzte er dies zu einem eindringlichen Appell daran, daß sich die Altnordistik als Teil einer umfassenden Kulturwissenschaft verstehen müsse (ebd. S. 98). Dies blieben für sein eigenes Schaffen keine leeren Worte: Als Initiator multidisziplinärer Tagungen und Konferenzen, Herausgeber von fachübergreifenden Sammelbänden und allgemein durch den Aufbau und die Pflege interdisziplinärer wissenschaftlicher Netzwerke hat Wilhelm Heizmann dies in vorbildlicher Weise wahr gemacht. Sein Interesse macht nicht Halt bei den immer enger werdenden Fachgrenzen, und es gilt auch nicht nur der Altertumskunde allgemein. 1953 in Eggenfelden, Landkreis Rottal-Inn, Bayern, geboren, studierte Wilhelm Heizmann nach seiner Schulbildung am klassisch-humanistischen Maristengymnasium in Fürstenzell von 1974 bis 1981 ältere deutsche und skandinavische Sprache und Literatur des Mittelalters, Germanische Altertumskunde, Ethnologie sowie Alte und Mittlere Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und der Universität Wien. Im darauffolgenden Jahr hielt er sich zu Studienzwecken in Oxford und London auf. 1987 wurde er von seinem Lehrer Kurt Schier mit einer Dissertation zu den Pflanzennamen der altnordischen Überlieferung (Studien zur Altwestnordischen Pflanzenkunde. Teil 1: Wildpflanzen) promoviert. Diese Studie zeugt von einem überaus großen Wissen im Feld der Heilpflanzen und Kräuter und weist seinen Autor als den besten Kenner dieser Materie aus. In seiner Zeit als Assistent an der Georg-August-Universität Göttingen habilitierte sich Wilhelm Heizmann 1994 mit dem breitgefächerten Thema des Marienleben und der Mirakel (Das Altisländische Marienleben. Teil I: Historisch-philologische Studien). Dabei bediente er sich einer interdisziplinären Vorgangsweise, um einerseits die vielseitigen Quellen einbeziehen zu können und andererseits das Thema sowohl in literaturwissenschaftlicher als auch in historisch-religiöser Perspektive zu beleuchten. Der interdisziplinäre Ansatz hatte sich ebenfalls als fruchtbar, wenn nicht sogar unumgänglich, bei der Erforschung der Goldbrakteaten der Völkerwanderungszeit

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 Vorwort

Hvanndalir, Island. Foto: Matthias Egeler.

erwiesen, welche einen weiteren Forschungsschwerpunkt des Gefeierten bilden. Zusammen mit einer Gruppe renommierter Kolleginnen und Kollegen verschiedener Disziplinen beteiligte er sich an der 1985–89 erschienenen, siebenbändigen Edition der frühmittelalterlichen Goldbrakteaten (Goldbrakteaten: Karl Hauck et al., Die Goldbrakteaten der Völkerwanderungszeit. Ikonographischer Katalog Münstersche Mittelalter-Schriften 24, 1,1 bis 3,2, München). In diesem vorbildlichen, heute unverzichtbar gewordenen Werk mit seiner Fotodokumentation, den Zeichnungen aller Stücke und den sorgfältigen Beschreibungen wurden alle Aspekte der kleinen goldenen Amulette berücksichtigt, insbesondere wurden ihre Bilddarstellungen gemeinsam mit den Runeninschriften vorgestellt und analysiert. Die Realisierung des seitdem geplanten Auswertungsbandes übernahm dann Wilhelm Heizmann als Herausgeber und Mitautor gemeinsam mit Morten Axboe: Die Goldbrakteaten der Völkerwanderungszeit. Auswertung und Neufunde erschien 2011 als RGA-Ergänzungsband. So versteht Wilhelm Heizmann Wissenschaft: Sie muss abgelegene Spezialfragen untersuchen, aber dabei die Fachgrenzen überwinden und weit über sich hinausblicken, um fruchtbar gedeihen zu können. Wissenschaft muss verbinden und vernetzen, und Wilhelm Heizmann betrachtet dies als Devise in seiner Tätigkeit als Autor und wie auch als Herausgeber. Ein gelungenes Beispiel für letzteres ist der Sammelband Bilddenkmäler zur germanischen Götter- und Heldensage (2015).

Vorwort 

 XI

In diesem Sinne bietet auch die vorliegende Festschrift einen Strauß von etwa 30 Beiträgen aus den Bereichen der Altnordistik, Altgermanistik, Archäologie, Geschichte, Ikonographie, Runologie und Toponymie, die als Blumen zu einer bunten Wiese auf den Feldern der Kulturwissenschaft zusammenwachsen. Viele von ihnen nehmen mehr oder weniger direkt Bezug auf die Schwerpunkte und die Interessen der Heizmannschen Forschung und zeugen von deren Vielseitigkeit. Inhaltlich wurden sie in drei größere Einheiten untergliedert, nämlich mediävistische Literaturwissenschaft, Archäologie bzw. Altertumskunde sowie Runologie, die ohne Wertung in besagter Reihenfolge erscheinen. Für die tatkräftige Unterstützung bei der redaktionellen Bearbeitung der Beiträge danken wir herzlichst Johanna Schreiber, Courtney Burrell und Johann Levin, für die Erstellung des Bandes den Damen Elisabeth Kempf und Katja Brockmann vom de Gruyter Verlag sowie auch den anderen Herausgebern der Reihe der Ergänzungsbände. München / Schleswig, im Januar 2018

Alessia Bauer und Alexandra Pesch

Autorenverzeichnis Dr. phil. Morten Axboe, Curator, The National Museum of Denmark, Frederiksholms Kanal 12, DK-1220 Copenhagen K, Denmark, [email protected] PD Dr. phil. habil. Alessia Bauer, Institut für Nordische Philologie, Ludwig-Maximilians-Universität München, [email protected] Dr Charlotte Behr, Department of Humanities, University of Roehampton, Roehampton Lane, London SW15 5PH, UK, [email protected] Prof. Klaus Böldl, Instituts für Skandinavistik, Frisistik und Allgemeine Sprachwissenschaft (ISFAS), Christian-Albrechts-Universität Kiel, [email protected] Professeur François-Xavier Dillmann, Correspondant de l’Institut, 35 bis, rue du Maréchal-Gallieni, F-78000 Versailles, France, [email protected] Prof. Dr. Klaus Düwel (emer.), Am Sölenborn 18, 37085 Göttingen, E-Mail: [email protected] PD Dr. Matthias Egeler, Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Nordische Philologie, Geschwister-Scholl-Platz 1, D-80539 München, [email protected] Dr. Leszek Gardeła, Institute of Archaeology, University of Rzeszów, Ul. Moniuszki 10, 35–015, Rzeszów, Poland, [email protected] Prof. Dr. Stefanie Gropper, Eberhard Karls Universität Tübingen, Wilhelmstr. 50, 72074 Tübingen, [email protected] Daniela Hahn, Institut für Nordische Philologie, Ludwig-Maximilians-Universität München, ­Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München, [email protected] PD Dr. Andreas Hammer, Institut für Deutsche Sprache und Literatur I, Albertus Magnus Platz, D-50923 Köln, [email protected] Dr. Rolf Heller, Walter-Markov-Ring 114, 04288 Leipzig Prof. Dr. Ernst Hellgardt, Müllerstr. 39, 80469 München, [email protected] Dr. Karoline Kjesrud, Institutt for lingvistiske og nordiske studier, University of Oslo, [email protected] Dr. Irene Ruth Kupferschmied, Skandinavisches Seminar, Georg-August-Universität Göttingen, KäteHamburger-Weg 3, 37073 Göttingen Prof. Dr. Edith Marold (emer.), Institut für Skandinavistik, Frisistik und Allgemeine Sprachwissenschaft, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Leibnizstr. 8, 24098 Kiel, [email protected] Dr. Jan Alexander van Nahl, Stofnun Árna Magnússonar í íslenskum fræðum, Suðurgata, 101 Reykjavík, Island Prof. Dr. Robert Nedoma, Abteilung Skandinavistik, Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft, an der Universität Wien, 1010 Wien, E-Mail: [email protected] PD Dr. habil. Sigmund Oehrl, Institut für Nordische Philologie, Ludwig-Maximilians-Universität ­München, Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München PD Dr. phil. habil. Alexandra Pesch, Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie, Schloss Gottorf, 24837 Schleswig, [email protected] Prof. Dr. Bernd Päffgen, Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie und Provinzialrömische Archäologie, Ludwig-Maximilians-Universität München, E-Mail: [email protected]. uni-muenchen.de Dr. Anita Sauckel, Stofnun Árna Magnússonar í íslenskum fræðum, Árnagarði/Suðurgötu, 101 Reykjavík, [email protected] Daniel Sävborg, Professor of Scandinavian Studies, University of Tartu, Department of Scandinavian Studies, Lossi 3, 51003 Tartu, Estonia, [email protected] Andreas Schmidt, M.A., Ringseisstraße 3, 80337 München, [email protected]

XIV 

 Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Monika Schulz, Universität Regensburg, Institut für Germanistik, Universitätsstraße 31, 93040 Regensburg, [email protected] Prof. Dr. Rudolf Simek, Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, [email protected] Dr. Jiří Starý, Ústav germánských studií, Filozofická fakulta, Univerzita Karlova, nám. Jana Palacha 2, 116 38 Praha 1, Tschechische Republik apl. Prof. Dr. Matthias Teichert, Georg-August-Universität Göttingen, Skandinavisches Seminar, Käte-Hamburger-Weg 3, D-37073 Göttingen, Germany, [email protected] Prof. Theo Vennemann, Ph.D., [email protected], Institut für Deutsche Philologie, Universität München, Schellingstr. 3 RG, D-80799 München PD Dr. Gaby Waxenberger, RuneS – Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und Ludwig-Maximilians-Universität, Institut für Englisch Philologie, Schellingstr. 10, 80799 München, Gaby. [email protected]

Literaturwissenschaft

Alessia Bauer

Fremd und Eigen in der Eiríks saga víðfǫrla: die Umkehrung der Erzählperspektive Abstract: The Eiríks saga víðfǫrla tells the story of a Norwegian heathen that ventures to make an adventurous journey in the unknown East to find a sort of paradise on earth, called Ódáinsakr. On his way to the edge of the world he comes into contact with the civilized world of Christianity and becomes part of it. A narration starting as a ‘Viking-story’ deceives its audience, offering nothing but sympathy and enlightenment, instead of conflicts and struggles. The question arises why the expected narrative pattern was not respected in this case, as for example in other víðfǫrla-narrations, such as Yngvars saga víðfǫrla. Operating with the concept of alterity, I would like to show that in the Eiríks saga víðfǫrla, the relation between the ‘own’ and the ‘other’ does not correspond to the usual start situation and that, therefore, the order has to be re-established by changing the ordinary course of the story and omitting some of the constitutive narrative elements.

1 Alteritätsdiskurs in der Reiseliteratur Das ‚Andere‘ als Relationsbegriff zum ‚Eigenen‘ wird häufig funktional zur Herausbildung der eigenen Identität eingesetzt.1 Reiseliteratur scheint dafür am besten geeignet zu sein, weil hier die Begegnung des Eigenen mit dem Fremden im Fokus der Narration steht und besonders hervorgehoben wird. Aus diesem Grund dient häufig die Darstellung von entfernten Ländern dazu, „to negotiate [the own] identities“.2 Dies vorausgesetzt, wird im vorliegenden Beitrag zu zeigen versucht, wie der Alteritätsbegriff im Zusammenspiel mit der Erzählperspektive die Handlung beeinflussen kann. Dafür wird vorwiegend auf die Eiríks saga víðfǫrla (im Folgenden Esv) eingegangen, die kontrastiv anderen ähnlichen Reiseerzählungen, sog. víðfǫrlaNarrationen, gegenübergestellt wird. Die Saga präsentiert die Geschichte einer quest, einer Suche, die als wiederkehrendes Erzählelement in bestimmten Sagauntergattungen, wie fornaldarsǫgur und riddarasǫgur,3 vermehrt vorkommt. Eine solche Suche ist

1 Stagl 1997 zeigt, dass durchaus unterschiedliche Abstufungen der Fremdheit existieren, die als Reaktion von der Akzeptanz – z.  B. im Falle eines Gastes – bis zur Vernichtung des Fremden führen können. 2 Sverrir Jakobsson 2006, 935. 3 Hermann Pálsson (1979, 16) plädierte bereits 1979 dafür, dass man keine scharfe Linie zwischen den beiden Subgenres ziehen sollte, da beide einen gemeinsamen Ursprung in der europäischen Tradition

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 Alessia Bauer

gewöhnlich mit einer Fahrt in fremde Länder verbunden, die man nach der Definition von Reichert (1998, 5) als ‚Fernreise‘ ansehen könnte. Der zufolge seien als Fernreisen solche Unternehmungen zu bezeichnen, die „die Grenzen einer Kultur erreichen, diese überschreiten oder ihre Überschreitung ins Auge fassen“.4 Der Text der Esv ist in mehr als 50 Handschriften überliefert, von denen die älteste die Flateyjarbók (GkS 1005 fol = A3 in der Textedition)5 aus dem Ende des 14. Jh.s ist, während die jüngsten Papierhandschriften aus dem 19. Jh. stammen. Kurz zur Handlung: Der Königssohn Eiríkr Ϸrándarson von Ϸrándheimr, der aufgrund der unternommenen Reise den Beinamen víðfǫrli6‚weitgereist‘ erhält, schwört an einem Julabend, in die weite Welt zu reisen, um das Jenseitsgefilde Ódáinsakr (wörtlich ‚Feld des Unverstorbenen‘)7  – was die Christen als Paradies identifizieren – aufzusuchen. Auf seiner Reise, die zunächst über Dänemark verläuft, trifft er im Süden auf den Kaiser von Byzanz (als Grikkjakonungr von Miklagarðr bezeichnet), mit dem er sich ausführlich über gelehrte und religiöse Stoffe austauscht. Der Kaiser erklärt ihm, Ódáinsakr bzw. das christliche Paradies befinde sich weit im Osten, im weitesten Teil von Indien, und sei durch eine Feuerwand von dieser Welt abgegrenzt. Nach einem dreijährigen Aufenthalt am Hof, während dessen er im Christentum unterwiesen wird, letztlich zum christlichen Glauben übertritt und getauft wird, entscheidet Eiríkr, seine Reise fortzusetzen und weiterhin Ódáinsakr finden zu wollen. Die Reise erweist sich als lang, doch nicht unbedingt gefährlich, unter anderen weil dem Königssohn dank eines in vielen Sprachen abgefassten Empfehlungsbriefs des Kaisers alle Türen offen stehen. So kommt es, dass Eiríkr und sein Gefolge nach vielen Jahren einer eher unbeschwerten Reise ihr Ziel erreichen: Sie befinden sich an der

der romances haben und zahlreiche Gemeinsamkeiten aufweisen. Zu den spezifischen Erzählmotiven der quest in den riddarasǫgur (auch Märchensagas) siehe u.  a. Glauser 1983 sowie Lambertus 2013. 4 Dieser Argumentation entsprechend würde man folglich eine Reise von Island nach Norwegen oder Dänemark trotzt der erheblichen Entfernung nicht als Fernreise betrachten, da in diesem Fall der eigene Kulturraum nicht verlassen wird. 5 Aus dieser Fassung wird im Beitrag nach der Edition von Helle Jensen (1983) zitiert. 6 Die altnordische Überlieferung belegt einige Sagas und kürzere Erzählungen, sog. þættir (hier allesamt als víðfǫrla-Erzählungen bezeichnet), die abenteuerliche Reisen als zentrales Thema aufweisen. Dabei handelt es sich meist um Entdeckungsfahrten ins Unbekannte – weit im Osten oder im Westen gelegen, jedenfalls außerhalb der ‚normkonformen‘ Welt –, die sich teilweise als spirituelle Reisen erweisen. 7 Zu dieser Wohnstätte der Toten, die laut Heizmann (2002, 527  f.) einer eher volkstümlichen Vorstellung entspreche, wurde viel geschrieben, genau zu lokalisieren sei der Ort jedoch nicht. Die wichtigsten Belege der altnordischen Überlieferung, nämlich die Hervarar saga ok Heiðreks konungs und die Eiríks saga víðfǫrla, liefern entgegensetzte Angaben: Erstere platziert Ódáinsakr in die nördliche Region Jötunheimr, letztere hingegen östlich von Indien. Eine isländische Sage lokalisiert diesen Ort in den Hvanndalir am Eyjafjörður, einer gut versteckten und schwer zugänglichen Gegend im Norden Islands, in der zusätzlich besondere Kräuter wachsen sollen (siehe Heizmann 2002, 528  f. sowie Egeler 2015, 19–112).



Fremd und Eigen in der Eiríks saga víðfǫrla 

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Schwelle zum Jenseitsort, am Ufer des biblischen Flusses Phison (vgl. Genesis 2:11). Die letzte Hürde, um den Ort erreichen zu können, stellt ein schrecklicher Drache dar, in dessen Maul Eiríkr springen muss.8 Der Übergang ermöglicht ihm das Verweilen in einem sonnenüberfluteten Land voller Blumen und Kostbarkeiten, wo er nach einer Weile einschläft und einen Traum hat: Er träumt von einem Engel, der ihn über die Natur des überaus schönen Ortes unterrichtet und ihm klar macht, dass dieser lediglich als Kostprobe des wahren Paradieses gelte (En sa stadr er þu ser her er sem eyde mork til at iafnna vid Paradisum)9. Das Paradies sei allerdings den Lebenden vorenthalten und lediglich für diejenigen zugänglich, die es im Leben verdient haben ([…] þangat skulu öngir lifs koma ok skulu þar byggia andir rettlatra manna)10. Einmal aufgewacht, entscheidet Eiríkr zurückzukehren, um in der Heimat den christlichen Glauben zu verbreiten. Zehn Jahre werden ihm gewährt, bis er eines Tages beim Morgengebet vom Heiligen Geist abgeholt wird und endgültig aus dieser Welt scheidet.11 Im Diskurs der Reiseliteratur nimmt die Kategorie des Fremden eine zentrale Rolle ein. Reisebeschreibungen sind mehr oder weniger realitätsnahe Erzählungen über die Begegnung mit dem Fremden, das an sich keine festgelegte Entität darstellt, sondern immer in Relation zum Eigenen steht. Das Wechselverhältnis zwischen zwei sich bedingenden Identitäten generiert ein Denken in binären Oppositionen, in dem in der Regel die eigene Seite privilegiert wird und das ‚Fremde‘ als die Negativfolie des Eigenen erscheint. Letzteres wird meist als gefährlich, jedenfalls als nicht normkonform dargestellt. Und doch sind „[d]as Fremde und das Vertraute miteinander verschränkt“, wie Peter J. Brenner (1990, 18) in seiner Studie über den Reisebericht schreibt. Nach Todorov (1985, 221) kann sich das Subjekt auf verschiedene Weisen in Bezug auf das Fremde und den Anderen verhalten, nämlich: 1. Auf der axiologischen Ebene kann das Ich den Anderen als gut oder böse ansehen und über ihn als ebenbürtig oder untergeordnet urteilen. 2. Auf der praxeologischen Ebene kann sich das Ich für eine aktive Annäherung an den Anderen bzw. für die Distanzierung von ihm entscheiden: Das Ich identifiziert sich mit dem Anderen bzw. es zwingt den Anderen dazu, sich an das Ich anzupassen. Dazwischen kann es durchaus eine Haltung der Neutralität oder Indifferenz geben, wobei in der Literatur größtenteils eine dezidierte Stellungnahme des Subjekts dafür oder dagegen zu beobachten ist. Auf einem epistemologischen Niveau sieht

8 Durchaus grundlegend für die räumliche Gliederung einer Reise-Erzählung ist das Konzept der Grenze: Innerhalb der Grenze befindet sich der eigene Kulturraum, außerhalb das Unbekannte, wobei sich der Übergangsraum – wie in diesem Fall – als ergiebig für neue Impulse erweist. 9 Esv, 90 und 92 „Aber das Land, das du hier siehst, ist wie Ödland verglichen mit dem Paradies.“ (alle Übersetzung aus dem Altnordischen stammen von der Verf.) 10 Esv, 92 „Dahin sollen keine Lebenden kommen und dort sollen die Seelen rechtschaffener Menschen weilen.“ 11 Egeler (2015, 58  f.) vergleicht ihn dabei mit dem Propheten Elias, der noch lebend in den Himmel aufgenommen wurde, bzw. der biblischen Gestalt Enoch, der vor seinem Tod von Gott entrückt wurde.

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 Alessia Bauer

Todorov zudem die Möglichkeit, dass das Ich die Identität des Anderen kennenlernen möchte, unabhängig wie es diesen einschätzt.12

2 Die Erzählperspektive der Eiríks saga víðfǫrla Eine interessante und in gewisser Weise einzigartige Begegnung eines Subjekts in der Fremde wird in der kurzen Saga Eiríks saga víðfǫrla präsentiert. Der Text wird zu den fornaldarsǫgur gerechnet, stellt jedoch eher ein Mischwerk dar, in dem zwar die Rahmenerzählung die Kriterien einer fornaldarsaga erfüllt, die Inhalte jedoch eher belehrend und moralisierend sind und in den Kontext der didaktischen Literatur eingeordnet werden können. Die Themen, die darin vermittelt werden, stellen keinen besonderen originellen Einfall des Verfassers dar und sind den weitverbreiteten Werken des europäischen Mittelalters entlehnt, wie Elucidarius, Imago mundi und Visio Tnungdali, um die offensichtlichsten zu nennen (vgl. Jensen 1983 und Simek 1984).13 Hermann Pálsson (1979, 13) schlug für diesen besonderen Text, der sich schwer in die Kategorie der fornaldarsǫgur einordnen lässt, die Bezeichnung „sacred romance“ vor, aufgrund des religiösen Gelöbnisses des Protagonisten und der religiösen Natur der quest. Ein weiterer auffallender Aspekt des Textes ist die einzigartige Erzählperspektive, die im Fokus dieses Beitrages steht: In den fornaldarsǫgur wird in der Regel die Fiktion aufrechterhalten, dass es sich um die Darstellung einer Welt der Vorzeit handelt. Diese befindet sich außerhalb der historischen Zeit und deshalb spielt der christliche Glaube gar keine Rolle. Wie üblich in der Sagaliteratur, stellen die Autoren den Erzähler in den Hintergrund und zeigen meist kein Bestreben danach, sich durch ihn explizit in die Narration einzumischen und ihre eigene Sichtweise preiszugeben. Obwohl die fornaldarsǫgur erst in einer bereits christianisierten Gesellschaft verfasst und verschriftlicht wurden, akzeptieren die Verfasser stillschweigend, dass das Christentum innerhalb der erzählten Welt keine relevante Kategorie darstellt. Im Kosmos der fornaldarsǫgur taucht beispielsweise Odin des Öfteren auf und greift aktiv in das Geschehen ein, wie in der Vǫlsunga saga, oder es wird zumindest in den Strophen auf ihn verwiesen, wie es in der Ragnars saga loðbrókar geschieht.14

12 Interessante Beiträge zum Fremden und zu seinem Verhältnis zum Eigenen bieten u.  a. Simmel 1908 und Stagl 1997. 13 Durch einen Vergleich verschiedener Textstellen und der genannten Werke hat Simek herausgefunden, dass die lateinischen Originale als Vorlagen dienten und nicht die altisländischen Übersetzungen, da die Gemeinsamkeiten mit den lateinischen Texten markanter sind. 14 Odin erscheint weiter in Ketils saga hængs, Egils saga einhenda ok Ásmundar berserkjabana und Friðþjófs saga ins frækna, wobei er in den Texten unterschiedliche Funktionen erfüllt.



Fremd und Eigen in der Eiríks saga víðfǫrla 

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In Bezug auf die Alterität und die Festlegung der eigenen Identität anhand des Glaubens verhalten sich die Sagas unterschiedlich: In den Isländersagas, die in der historischen Zeit spielen, wird der Übergang zwischen Heidentum und Christentum explizit thematisiert und der religiöse Diskurs bzw. das Religionsdisput stehen oft im Vordergrund. Im Rahmen der Königssagas können zwei Gruppen ausgemacht werden: Zum einen präsentieren die Texte zu Beginn der Heimskringla eine weit zurückliegende Zeit, in der eine einheitliche, uniforme Welt mit eigenen Werten, Sitten und Gesetzen  – denen des Heidentums  – akzeptiert und nicht in Frage gestellt wird. Hierbei spielt das Religiöse eher eine untergeordnete Rolle. Im Fokus steht vielmehr der politische, weltliche Diskurs; es geht nämlich darum, Norwegen unter der Herrschaft eines starken Königs zu vereinen und das Land zu einem Königreich werden zu lassen. Zum anderen entfaltete sich im Verlauf der norwegischen Geschichte ein erbitterter Kampf zwischen dem heidnischen und christlichen Wertesystem und es entstanden Konflikte bei dem Versuch der Unterwerfung des Anderen, der inzwischen als ‚barbarisch‘ erachtet wurde. Dort, wo die Bestrebungen zur Etablierung des Christentums eine zentrale Rolle einnehmen, nämlich in der Hákonar saga góða und noch mehr in den Sagas der beiden Ólafr, Óláfs saga Tryggvasonar und Óláfs saga helga, stellt sich der Erzähler eindeutig auf die Seite der Könige und dementsprechend der ‚rechten‘ Lehre. Dies bedeutet, dass Snorri und andere Sagaverfasser, die Werke über die christlichen Könige verfassten (wie u.  a. Oddr Gunnlaugsson) grundsätzlich die Werte ihrer Protagonisten teilten. Letztere, und somit auch Skandinavien, standen von nun an als Vertreter der Christenheit und waren der zivilisierten Welt konform geworden. Die Erzählperspektive weist hier eine Übereinstimmung zwischen Erzähler (wenngleich dieser in der Regel in den Hintergrund gebannt und kaum sichtbar wird) und den Hauptfiguren auf, die grundsätzlich in ein positives Licht gestellt und für ihr Verhalten mehr oder weniger explizit gepriesen werden. Es handelt sich um eine dezidiert eurozentrische Perspektive, in der Spuren eines kolonialistischen Diskurses aufzufinden sind, obwohl dies für das Mittelalter womöglich anachronistisch erscheinen mag. Im Mittelalter herrschte die Vorstellung eines geschlossenen Kosmos: Die Himmelsphären waren materiell und wiesen klar definierte Grenzen auf. Auch innerhalb der irdischen Wirklichkeit findet sich eine dualistische Ordnung, in dem Eigenes und Fremdes dichotomisiert waren. Als entscheidendes Kriterium der Abgrenzung galt dabei die Zugehörigkeit zur christianitas, was nicht nur auf der religiösen, sondern auch auf der kulturellen und politischen Ebene Folgen hatte. Dies brachte beispielsweise Ari inn fróði dazu, die irischen papar – womöglich lediglich als fiktives Erzählmotiv in der narratio anzusehen  – an den Beginn der isländischen Geschichte zu stellen, damit das Land bereits in seinen Anfängen als Teil des zivilisierten Abendlands betrachtet werden konnte.15 Die Gemeinschaft der Christen konstituierte den

15 Eine solche Ansicht bezüglich der Íslendingabók vertreten u.  a. Hermann (2007) und Mundal (2011).

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nostrus mundus, dem sich unterschiedliche Arten von pagani – zunächst die Nordmänner, aber auch Muslime  – entgegensetzten. All diese werden in der Literatur undifferenziert als Heiden oder sogar ‚Barbaren‘ bezeichnet, ohne genauer auf ihre spezifischen Merkmale und die Unterschiede im Glauben einzugehen.16 Die Dichotomie war unüberwindbar, Abstufungen waren nicht vorgesehen. Dies kann als gemeinsamer Zug der europäischen Literatur, und nicht als skandinavischer Sonderweg, angesehen werden: Das Thema des Fremden, v.  a. in Verbindung mit der Religion, wird ebenfalls in den französischen Chansons de geste thematisiert, wobei hier unter pagani meist Araber (oder ‚Mauren‘) gemeint sind. Wer immer der ‚Andere‘ war und woher auch immer er kam, wurde er meist mit Argwohn und Ablehnung betrachtet. Der Argumentation des Kultursemiotikers Jurij M. Lotman (1990) folgend, könnte man sein Konzept der Semiosphäre auf einen geschlossenen Kulturraum auffassen, d.  h. als ein semiotisches Kontinuum, innerhalb dessen Zeichen auf unterschiedlichen Ebenen miteinander interagieren und als eigen betrachtet werden. Nur am Rande der Semiosphäre – in dem Übergangsraum – ist ein Austausch möglich. Das bedeutet konkret, dass die Religion und ihr Wertesystem (zusammen mit der Sprache, die im Alteritäts-Diskurs häufig thematisiert wird und eine wesentliche Rolle als maßgebender Teil der Identität spielt) bei der Identifikation der zwei in Relation stehenden Parteien ausschlaggebend sind. Obwohl es sich von selbst versteht, dass das Fremde keine feste Größe sein kann und als Relationsbegriff abhängig von der spezifischen Situation jeweils neu definiert werden muss, scheint im Mittelalter das binäre System eines ‚wir‘ – gemeint als die Christenheit – und der ‚Anderen‘ als die Heiden fest etabliert gewesen zu sein. Dem System entsprechend verhält sich beispielsweise die Yyngvars saga víðfǫrla (im Folgenden Ysv), in der der schwedische Häuptling Yngvar Eymundsson gen Osten in das Unbekannte auf der Suche nach einer mythischen Flussquelle aufbricht. Yngvar ist jedoch mehr als ein tapferer Held, der ein riskantes Unterfangen vor Augen hat; als überzeugter Christ ist er nämlich zudem bestrebt, die christliche Botschaft zu verbreiten und eine klare, unpassierbare Linie zwischen sich selbst und dem alter mundus, wo er immerhin mit zivilisatorischen Gestus eindringt, zu ziehen. Yngvar zuerst und sein Sohn Sveinn anschließend kommen in den Osten mit der Überzeugung, Träger

16 Ausschlaggebend ist dabei die Auffassung, dass jenseits der Grenzen der eigenen Kultur lediglich eine „kulturferne Region von ‚Barbaren‘ erscheint“ (Lambertus 2013, 14). Diesbezüglich differenziert Stagl (1997, 101) genauer zwischen benachbarten Fremden, die von den Griechen als xénoi bezeichnet wurden und meist eine hellenische Sprache redeten, und weit entfernten Fremden, sog. bárbaroi, die als kulturlos empfunden wurden. Letzteren wurde laut Simmel (1908, 690) sogar die Eigenschaft als Menschen partout abgesprochen. V.  a. in diesem Fall sei seiner Meinung nach ‚Fremdheit‘ für durch und durch negativ gehalten. Laut Lotman (1990, 293) braucht jede Kultur, um sich selbst definieren zu können, ein Gegenüber – als „äußere Desorganisation“ der inneren Organisation entgegengesetzt. Es spielt dabei keine Rolle, ob die ‚Barbaren‘ über eine (andere) Hochkultur verfügten und wer sie wirklich waren.



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der ‚Leitkultur‘ und der Wahrheit zu sein; die christliche Lehre wird als das ‚Wahre‘ geschätzt, während die Heiden den Protagonisten unterlegen sind. Letztere stellen sich nicht in Frage und ‚missionieren‘ das neue Land.17 Yngvar weigert sich zunächst, nähere Kontakte mit dem Gefolge von Königin Silkisif zu unterhalten, und verbietet seinen Männern, mit heidnischen Frauen zu verkehren, die er abwertend als teuflisch (djǫfullegar) bezeichnet. Dabei fühlt er sich offensichtlich dem Anderen überlegen und lässt ihm die Unterwerfung als einzig mögliche Wahl; sie wird friedlich verlaufen, wenn man sich bereit erklärt, sich taufen zu lassen, andernfalls gewaltsam, wenn man sich der Bekehrung entziehen möchte: Ynguar bio eina haull aullu lidi sinu ok lugti hana uanndliga, þuiat fullt uar af blotskap allt umhuertis. Ynguar bad þa uid uarzt allt samneyti heidinna manna, ok öllum konum bannadi hann at koma j sina haull utan drottningu. Nockurer menn gafu litinn gaum at hans mali, ok liet hann þa drepa; ok sidan treystizt engi at briota þat, er hann baud.18 Yngvar stattete eine Halle für sein ganzes Gefolge aus und schloss sie sorgfältig, denn überall war es voll heidnischer Götterverehrung. Yngvar befahl seinen Männern, sich vor jeglichem Umgang mit Heiden vorzusehen und verbot allen Frauen außer der Königin, in seine Halle zu kommen. Einige Männer achteten weniger auf seinen Befehl und er ließ sie töten, und danach traute sich niemand mehr zu missachten, was er sagte. Eina haull gaf Julfur þeim, ok þann uetur geymdi Ynguar suo sina menn, at engi spilltizt af kuenna uidskiptum edur audrum heidnum domi.19 Eine Halle gab ihnen Julfur und diesen Winter hielt Yngvar seine Männer so zusammen, dass niemand durch den Verkehr mit Frauen oder etwas Heidnisches Schaden erlitt.

Sein Glaube verleiht ihm zunächst den Schutz, dessen er bedarf, um durch Regionen zu reisen, die – wie Power (1985, 851) behauptet – der Autor mit Argwohn betrachtet. Die eigene Lebensform, sofern sie identitätsstiftend wirken soll, schafft immer eine Abgrenzung nach außen, die an obengenannter Textstelle durch das Hochziehen von Wänden und das Einsperren besonders plastisch dargestellt wird.

17 Todorov (1985) erkennt eine derartige kolonialistische Attitüde auch im Verhältnis zwischen den Konquistadoren und den Indianern, die den Einheimischen ihre Wahrheit aufzwingen wollten. Bezüglich der Aufteilung im Christianisierungsprozess sieht Scheel (2015, 700) Yngvar in der Rolle des Vorläufers und Sveinn als Vollender, parallel zur Geschichte von Óláfr Tryggvason und Óláfr helgi Haraldsson. 18 Yngvars saga víðfǫrla, 15  f. Diese Saga ist in einer sog. diplomatischen Ausgabe editiert, die exakt den Wortlaut wiedergibt, ohne ihn nach dem ‚Standard‘ des Altnordischen im Mittelalter zu normalisieren. Dabei werden jedoch die Abkürzungen, die durch Abbreviaturen in der Handschrift notiert sind, aufgelöst und durch die Kursivierung kenntlich gemacht. 19 Yngvars saga víðfǫrla, 17.

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Ein ähnliches Verhalten legt im letzten Teil der Saga auch Yngvars Sohn Sveinn an den Tag, der die Christianisierung zur Vollendung bringt ([…] þviat Sveinn kongur lætur christna landid ok oll þau rijke, sem drottning hafde adur stiórnad)20. Betrachtet man die Ysv als Beispiel für eine gattungskonforme Narration, so zeigt sich deutlich, dass dort, wo sich die zwei Weltanschauungen begegnen, in der Regel ein Konflikt entsteht, der des Öfteren durch Kämpfe ausgetragen wird und zu Verlusten an Menschenleben auf beiden Seiten führt. Bezugnehmend auf die originalen riddarasǫgur schätzt Glauser (1983, 216) den Konflikt als die notwendige Bedingung für die Profilierung des Helden ein. Dabei wird sowohl sprachlich durch die Stimme des Erzählers als auch durch die Handlung die Überlegenheit der eigenen Perspektive zum Ausdruck gebracht. Der Kategorisierung Todorovs zufolge werden die Anderen untergeordnet, ihnen wird das Weltbild des ‚wir‘ aufgezwungen und, um das zu tun, wählen die Hauptfiguren von Mal zu Mal, ob sie sich dem Anderen friedlich annähern, indem sie beispielsweise seine Sprache(n) lernen21 und in einen Dialog treten, oder ob sie ihn einfach erschlagen.22 In Bezug auf die Kategorie der romances, zu denen er sowohl fornaldarsǫgur als auch riddarasǫgur rechnet, erwähnt Hermann Pálsson (1979, 15) als gattungstypische Elemente „[t]he obstacles confronting the hero on his adventurous journey“. Diese Verallgemeinerung hebt hervor, dass Hindernisse und Konfliktsituationen offensichtlich als gattungsimmanent empfunden werden. Die Definition der fornaldarsǫgur als „a masculine warlike world“23 bestätigt und verstärkt diese Annahme. Die Tatsache, dass solche Elemente in der Esv fehlen, dürfte deswegen als etwas Besonderes angesehen werden (dazu mehr unten). Die Erzählperspektive der Ysv entspricht hingegen den Erwartungen der Leser bzw. Zuhörer: Am Ende der Saga ist auch in der Fremde Ordnung hergestellt. Der alter mundus wird nämlich in den nostrus mundus integriert. Erzähler, Protagonisten und Leser teilen dieselben Werte und dieselbe Weltanschauung, die zum Schluss als Norm etabliert wird. Die Saga präsentiert die Nordmänner als Mitglieder der Christenheit und Skandinavien als der zivilisierten Welt konform. In Anbetracht dieses wiederkehrenden Erzählmusters erstaunt umso mehr die Verkehrung der Erzählperspektive in der Esv. Hierbei teilt der sicherlich klerikale Verfasser, der eindeutige Beweise seiner Gelehrsamkeit und Belesenheit liefert, die Weltanschauung des vermeintlich ‚Fremden‘  – personifiziert durch den Kaiser von

20 Ysv, 44 „[…] denn Sveinn ließ das Land zum Christentum bekehren und das ganze Reich, über das die Königin zuvor geherrscht hatte.“ 21 Ysv, 12 „Þar uar Ynguar iij uetur ok nam þar margar tungur at tala“ („Dort hielt sich Yngvar drei Jahre und lernte viele Sprachen zu sprechen.“). Ähnlich wird sich später auch sein Sohn Sveinn verhalten, von dem gesagt wird, dass er dafür eine Schule besuchte. 22 Wie beispielsweise bei der Begegnung Sveinns und seines Gefolges mit den heidnischen Gastgebern, die beim Kreuzzeichen der Christen ausrasten (Kap. 10). 23 Hermann Pálsson / Paul Ewards (1971, 23).



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Byzanz, anstatt seinem Protagonisten gleichgesinnt zu sein. Die Erzählperspektive befindet sich deshalb zu Beginn der Narration im Ungleichgewicht. Der Adressat – Leser oder Zuhörer der Geschichte – kann sich nicht vollständig mit dem heidnischen Protagonisten identifizieren, denn dieser lebt und handelt außerhalb der normkonformen Welt: In einem bereits weitgehend christianisierten Europa ist Eiríkr noch ein Heide und unbewusst dessen unternimmt er eine Reise ins Zentrum der christianitas, um einen vermeintlich heidnischen Ort zu suchen.24 In der Saga wird die Geschichte eines Helden erzählt, der zwar nicht grundsätzlich als negativ konnotiert wird, der allerdings zunächst offensichtlich zum alter mundus gehört und  – anders als die meisten Protagonisten der fornaldarsǫgur – eine spirituelle Entwicklung durchlaufen muss, um in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen zu werden.25 Der Erzähler lässt sich auch nicht nehmen, alle Nordmänner  – und somit auch den Protagonisten – explizit zu verurteilen: Aus einer christlichen Perspektive gesehen, werden die Heiden durch die Worte des Kaisers insgesamt als illir (‚böse, verwerflich‘) verurteilt und damit wird eine Grenze zwischen Innen und Außen klar gezogen. Dies wird m.  E. sprachlich durch die Verwendung von Pronomen noch stärker betont (Paradisum köllum vér svá eða jörð lifandi): Dem ‚wir‘ (vér) steht der (heidnische) Andere gegenüber, der sich nach dem Ort Ódáinsakr erkundigt hatte.26 Bei der Frage nach der Hölle (helvíti), erklärt nämlich der Kaiser: Þat er iörd daudans er firir er buin syndugum monnum ok kallazst þat heluite. j þeim stad er huers kyns uesolld med ellde eilifum þar kueliazst vondir menn. Ærekr mællti. huerir eru þeir. konungr s(egir). hæidnir menn allir ok gudnidingar. Ærekr mællti. hui eru allir heidnir menn illir. (Hervorhebung durch die Verf.).27 Das ist die Welt der Toten, die für die Sünder geschaffen wurde, und nennt sich Hölle; an diesem Ort ist jede Art Elend im ewigen Feuer, dort werden die schlechten Menschen gequält. Eiríkr sprach: Wer sind es? Der König sagt: Heiden und Gottesleugner. Eiríkr sprach: Warum sind alle Heiden böse?

Woraufhin der Kaiser ihm den Unterschied zwischen Jesus Christus und den heidnischen Göttern erklärt. Anders als Dante in der Göttlichen Komödie, der die rechtschaffenen Paganen in einen ad hoc geschaffenen Ort, nämlich den Limbus, setzt und ihnen keine Schuld

24 Zur Bedeutung von Miklagarðr (Byzanz) in der altnordischen Literatur siehe Scheel 2015. Laut dieser Studie stellte Byzanz vielmehr als Rom den Bezugsort der christlichen Lehre dar (hier S. 710  f.). 25 Wie bereits gesehen, sind die Hauptfiguren in den anderen Narrationen entweder Heiden innerhalb einer heidnischen Welt oder sie sind Christen wie Yngvar víðfǫrli und bekämpfen die Heiden. 26 Die unterschiedliche Bezeichnung von ein und demselben Jenseitsort war bereits in den ersten Sätzen der Saga angesprochen worden und auch dort waren heiðnir menn und kristnir menn kontrastiv gegenüberstellt. Doch akzentuiert die Aussage durch die Pronomen noch stärker den Kontrast. 27 Esv, 28 und 30.

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für ihre Glaubensrichtung zukommen lässt, ist das Urteil der Esv unmissverständlich negativ und erbarmungslos zugleich: Alle Heiden gehören in die Hölle. Gewisse Einschränkungen sind zwar auch bei Dante den rechtschaffenen Heiden gesetzt: Vergil, der justus paganus, darf Dante als Erzähler und Protagonisten der Jenseitsreise, nur bis zur Pforte des Paradieses begleiten und nicht weiter. Doch ist Vergil in der Komödie eine vorbildliche Gestalt, die – wenngleich nicht christlich – bis zu einem gewissen Grad in der Lage ist, den göttlichen Plan zu durchschauen.28 Aufgrund dessen wird ihm kein Vorwurf gemacht. Lo buon maestro a me: “Tu non dimandi che spiriti son questi che tu vedi? Or vo’ che sappi, innanzi che più andi, ch’ei non peccaro; e s’elli hanno mercedi, non basta, perché non ebber battesmo, ch’è porta de la fede che tu credi; e s’e’ furon dinanzi al cristianesmo, non adorar debitamente a Dio: e di questi cotai son io medesmo. Per tai difetti, non per altro rio, semo perduti, e sol di tanto offesi che sanza speme vivemo in disio.“29

Der gute Meister sagte zu mir: „Warum fragst du nicht, welche Geister hier zu sehen? Nun sollst du wissen, eh du weiterschreitest, dass sie nicht sündigten, doch die Verdienste genügten nicht, da noch die Taufe fehlte die erst das Tor zu deinem Glauben öffnet. Und wenn sie vor dem Christentum lebten, so haben sie nicht richtig Gott verehret: Ich selbst gehöre auch zu diesen Leuten. Durch solch Mängel, nicht durch andre Sünde, sind wir verloren; und nichts andres drückt uns als das wir hoffnungslos in Sehnsucht leben.“

Kleivane (2011, 76) möchte Eiríkr mit einem biblischen Propheten der vorchristlichen Zeit, quasi als Präfiguration der christlichen Zeit im Norden, gleichsetzen. Doch aufgrund des scharfen Urteils, das in der Esv über die Heiden gefällt wird, halte ich diese Identifikation für zu stark und würde ihn eher als einen einsichtigen Heiden betrachten, der es in seiner Begegnung mit der genormten, christlichen Welt schafft, eine Entwicklung zu durchlaufen und seine Gesinnung zu ändern. Im ersten Kapitel der Hálfdanar saga Eysteinssonar wird Eiríkr nämlich als Urenkel Odins aufgelistet und scheint durch und durch in einen heidnischen Kontext eingeordnet zu sein. Anders als in den Königssagas bzw. in den Märchensagas, in denen die überaus ‚positiven‘ Protagonisten feindseligen Widersachern gegenüberstehen und große Anstrengungen auf sich nehmen, um die vermeintlich Fremden auf die Seite der rechten Lehre zu ziehen, nimmt Eiríkr bereitwillig den christlichen Glauben vom Kaiser an. Obwohl hier zwei sich gegenüberstehenden Weltanschauungen konfron-

28 Dantes Auffassung dieses Jenseitsorts ist allerdings milder als die Theologie seiner Zeit vorsah. In seinem Limbus versammeln sich berühmte Helden und große Denker des alten Griechenlands und Roms sowie berühmte Philosophen der arabischen Welt und biblische Gestalten. Ihnen kommt bei Dante keine direkte Schuld zu. 29 Dante, Inferno IV, 55; deutsche Übersetzung von Gmelin 1949, 49.



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tiert werden, entsteht merkwürdigerweise kein Konflikt.30 In der Erzählung, die wie eine Wikingersaga beginnt, wird erstaunlich wenig gekämpft und auch im weiteren Verlauf der Reise an die äußeren Ränder der Welt bleiben Gefahren und Probleme aus. Sverrir Jakobsson (2006, 941) hat zurecht auf die Mühelosigkeit des Unternehmens hingewiesen, wodurch sich die Esv von allen anderen víðfǫrla-Erzählungen stark unterscheidet. Das Mittel, das ihnen den Weg ebnet und eventuelle Probleme aus der Welt schafft, ist ein Empfehlungsbrief sowie ein Siegel des christlichen Kaisers.31 Im Text erweist sich zudem der austrvegr als frei von den zahlreichen Drachen, Riesen und Wunderwesen, die laut Ysv (1. Kap.) die Region Sviþjóð in mikla – als allgemeine Bezeichnung für die östliche, europaferne Region – bewohnen32 und mit denen sich beispielsweise Yngvar zu schlagen hat. Die Beschreibung dieses Landes ist weit entfernt von einer erkennbaren Landschaft; dieses schwer zugängliche Gebiet galt im Mittelalter als Enklave des ‚Wildfremden‘ und wurde zur Chiffre für das Exotische oder aber das Bedrohliche. Sviþjóð in mikla ist zudem das Gebiet, durch das Odin und die Asen in ihrer Auswanderung von Asien in den Norden zogen. Es steht für ein mythisches Land der Götter, dem Schweden (Svíþjóð) als Land der Menschen gegenübergestellt wird, und wird durch gewisse kennzeichnende Eigenschaften charakterisiert: einerseits die phantastischen und bedrohlichen Kreaturen, die es bevölkern, andererseits die Vervielfältigung der Sprachen, die eine klare Grenze, eine Barriere für die Verständigung darstellen können.33

30 Betrachtet man den ‚Katalog‘ der Grade der Fremdheit von Justin Stagl (1997), würde sich die soeben erwähnte Erzählsituation am besten mit der Kategorie des ‚Gastes‘ identifizieren lassen. Stagl (1997, 106) bezeichnet ‚Gastfreundlichkeit‘ als eine besondere Form der Begegnung mit dem Fremden, als eine „komplementäre Beziehung, wobei der eine Teil, der als gatekeeper seiner Gruppe fungierende Gastgeber, dem anderen, einem von ihm als Gast akzeptierten Fremden, Schutz und Versorgung gewährt und ihm dafür seine Verhaltensnormen auferlegt.“ 31 Vgl. hierzu Egeler (2015, 58): „Eiríkr übersteht seine lange Reise nicht durch lärmendes, aggressives Heldentum, sondern durch die Gnade Gottes und mit der Hilfe eines Engels und eines christlichen Herrschers […].“ 32 „En norðan at Svartahafi gengr Svíþjóð in mikla eða in kalda. […] Í Svíþjóð eru stórheruð mörg. Ϸar eru ok margs konar þjóðir ok margar tungr. Ϸar eru risar, ok þar eru dvergar, þar eru ok blámenn, ok þar eru margs konar undarligar þjóðir. Þar eru ok dýr ok drekar furðuliga stórir.“ (Ynglinga saga, 9  f.). In meiner Übersetzung: „Aber nördlich vom Schwarzen Meer erstreckt sich Großschweden oder das kalte Schweden. […] In Schweden sind zahlreiche Großgebiete. Dort befinden sich auch vielerlei Völker und es gibt viele Sprachen. Dort sind Riesen und dort sind Drachen und dort sind Zwerge und auch schwarzhäutige Menschen und dort sind viele wunderliche Völker. Dort sind auch Tiere und schrecklich große Drachen.“ 33 Das Thema des Erlernens von Sprachen nimmt in mehreren Sagas und insbesondere in den víðfǫrla-Erzählungen eine zentrale Rolle ein. Die Sprache markiert die klar wahrnehmbare Grenze zu einer anderen Kultur und einer anderen Semiosphäre und wirkt im höchsten Maße identitätsstiftend: Um den Kontakt zuzulassen bedarf der Kommunikation und dies geschieht am besten in den „Zonen kultureller Zweisprachigkeit“ (vgl. Lotman (1990, 292).

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Die Expedition Eiríks entwickelt sich auf zwei Ebenen: Sie entspricht einer tatsächlichen Bewegung, die sowohl per Schiff, zu Pferd und zu Fuß durchgezogen wird (en eftir þat fara þeir ymist askipum edr hestum en geingu þo oftazst, Evs, 54); sie ist aber auch eine spirituelle Reise in Richtung Norm, Zivilisation und christianitas, die vom Autor und seinem Erzähler begrüßt wird, und deswegen konfliktfrei und befreit von all den zu erwartenden phantastischen Elementen und den Gefahren gestaltet wird. Bezeichnend ist das Hilfsmittel, das der Expedition Tür und Tor öffnet: Ein Brief des Kaisers34 verfasst in allen Sprachen der Völker, die ihnen begegnen, stellt das Medium der ‚Übersetzung‘ und der Überwindung der Grenzen zwischen verschiedenen Semiosphären. Dieses Mittel der Mehrsprachigkeit ermöglicht den Kontakt und die Kulturberührung ohne Konfliktaustragung. Die Welt, die Eirekr begegnet, ist im Grunde die normkonforme Welt der Kleriker und des Sagapublikums; sie ist von Anfang an positiv konnotiert und deswegen kann es nicht zu Konflikten kommen, sondern zu sofortiger Akzeptanz von Seiten der Hauptfigur. Hinweise dafür werden durch ein Spiel mit mehrdeutigen Begriffen von Anfang an geliefert: Bezeichnend dabei ist die Tatsache, dass die Hauptfigur ausgerechnet an einem iola kuelld35 (awnord. jólakvǫld ‚Abend in der Jul- bzw. Weihnachtszeit‘) sein Vorhaben äußert und sein Gelöbnis nach dem Motiv der heitstrenging36 ablegt, zu einer Reise auf der Suche nach Ódáinsakr aufzubrechen. Durch eine konfliktscheue Strategie unternahm König Hákon Aðalsteinsfóstri den ersten Versuch, Norwegen auf unblutige Art und Weise zu christianisieren, was letzten Endes scheitern musste; um den Übergang zum neuen Glauben zu erleichtern, bediente sich der König einer Annäherungsstrategie, die zunächst die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Religionen, mehr als ihre Unterschiede, hervorheben sollte: Dabei wurde z.  B. das heidnische jól-Fest mit dem Weihnachtsfest zusammengelegt. Wenn also zu Beginn der Esv von jólkvǫld die Rede ist, ist die Angabe sicherlich mit Absicht zweideutig gehalten und der Begriff steht sowohl für ein heidnisches als auch für ein christliches Konzept.37

34 Nach der A-Redaktion, 56: „[…] bref ok jnnsigle Grikkia konungs ok patriarche ór Mikla garde ritat a allar tungur þeira þioda sem uon uar at þeir munde koma til.“ (‚[…] ein Brief und der Siegel des Griechen-Königs und des Patriarchen aus Miklagarðr, verfasst in allen Sprachen der Völker, wo es zu erwarten war, sie würden hinkommen‘). 35 Nach der Lesung der A-Redaktion, 4; leicht abweichend in den weiteren drei Hauptredaktionen: iola aptan (B), jolakuelld (C), jóladaxkuólld (D). 36 Damit wird die vorwiegend heidnische Praxis bezeichnet, ein feierliches Gelöbnis ablegen. Das Motiv, das i.  d.  R. mit einer abenteuerlichen Reise verbunden ist, ist ein häufig vorkommendes Erzählelement in Wikinger-oder Märchensagas. 37 In der Hákonar saga góða (Kap. 13, 166) wird erklärt, wie König Hákon Aðalsteinsfóstri in seinen Bestreben, das Christentum in Norwegen sanft und möglichst konfliktfrei einzuführen, u.  a. die bei-



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Das Spiel mit der Zweideutigkeit kommt ebenfalls bezüglich des Ziels der heitstrenging zum Ausdruck, wo der heidnische Ort per Analogiegedanken mit dem irdischen Paradies der Christen gleichgestellt wird ([…] ef hann fynde stad þann er heidnir menn kalla V dains akr. en kristnir menn jord lifande manna edr Paradisum)38. Möglicherweise könnte bereits der Name Ódáinsakr von der Vulgata Bezeichnung terra viventium abgeleitet worden sein und gar keiner heidnischen Vorstellung entsprechen.39 Dass der Konflikt ausbleibt, ist also u.  a. der Tatsache zu verdanken, dass Eiríkr im Grunde etwas sucht, das zwar einen anderen – heidnischen und fremden – Namen trägt, das jedoch in den Vorstellungen der Christen durchaus präsent ist. Als Mittel zur Verständigung und zugleich zur spirituellen Entwicklung des Helden wird auf die Erklärung durch Analogie rekurriert; Begriffe werden ‚übersetzt‘, wodurch der Vergleich der Konzepte erst möglich wird; auf ihre substantiellen inhaltlichen Unterschiede wird im Text jedoch nicht näher eingegangen. Sprache stellt – wie es scheint  – das Mittel der Mediation dar, sodass der Protagonist nicht lost in translation ist, sondern ausgerechnet dadurch für die gerechte Sache ‚gewonnen‘ wird.

3 Schlussbetrachtungen Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Assimilation und Integration in die Christenheit letztlich das Ergebnis der Handlung in der Esv sind. Der von der Erzähler- und Leserperspektive aus gesehen ‚fremde‘ und nicht normkonforme Protagonist kommt in seiner Suche nach einem heidnischen Ort zur genormten, christlichen Welt. Bemerkenswerterweise treffen die beiden Hauptakteure  – Eiríkr und der Kaiser  – aufeinander, ohne dass es zu einem Konflikt kommt und durch einen Aneignungsprozess, der durch Analogien entwickelt wird (Ódáinsakr = Paradies), wird schließlich der Heide zu einem Christen. Er assimiliert sich ganz ohne Zwang und eher durch kognitive Prozesse, nämlich durch die lange und gelehrte Unterweisung durch den Kaiser. Dieser wird zu seinem Mentor, zum „Vater im Glauben“ nach der Lesung Egelers (2015, 44). Anders als in den riddarasǫgur tritt der Held nicht

den Feierlichkeiten zusammenlegte. „Hann setti þat í lögum at hefja jólahald þann tíma sem kristnir menn, ok skyldi þá hverr maðr eiga mælis öl, en gjalda fé ella, ok halda heilagt, meðan öl ynnisk. En áðr var jólahald hafit hökunótt, þat var miðsvetrarnótt, ok haldin þriggja nátta jól. Hann ætlaði svá, er hann festisk í landinu ok hann hefði frjalsliga undir sik lagt alt land, at hafa þá fram kristniboð.“ Heute noch trägt das christliche Fest in den skandinavischen Sprachen den ursprünglichen heidnischen Namen nisl., fär. jól bzw. kontinentalskand. jul (siehe de Vries 1962, 292). 38 Esv, 4. „Ob er den Ort finden möge, den die Heiden ‚Unverstorbenengefilde‘ nennen, aber die Christen Welt der Lebenden oder Paradies.“ 39 Vgl. Power (1985, 851).

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durch den Kontrast zum Feind hervor, sondern vielmehr durch seine Fähigkeit vom ‚Anderen/Fremden‘ zu lernen und sich dessen Kultur unterzuordnen. Auf der anderen Seite bleiben die Erwartungen der Leser in gewisser Weise unerfüllt, denn die anfängliche heitstrenging als heldenhaftes Unternehmen wird nicht mit der stereotypen Vorstellung einer gefahrenträchtigen Reise nach Osten verbunden. Die anfängliche Beschreibung des Helden und seiner Mannschaft, denen Waffentüchtigkeit zugeschrieben wird, führt letztlich zu nichts und erweist sich als blindes Motiv. Wenngleich der Ansicht Egelers (2015, 58) gänzlich zuzustimmen ist, dass die Saga „dem mittelalterlichen Christentum ebenso verpflichtet [ist] wie in ihrer Gesamtstruktur“, würde ich einen Schritt weiter gehen wollen und behaupten, dass sie einen einzigartigen Aufbau innerhalb der altnordischen Überlieferung aufweist. Durch die vielen Abweichungen von der Regel, die Vermischung der Genres und die Verkehrung der Erzählperspektive erweist sich die Esv als beachtlicher Text, der sich schwer in eine Kategorie einordnen lässt – wie Hermann Pálsson zurecht bemerkte – und den Leser in vielerlei Hinsicht überrascht.

Literatur Quellen Dante Alighieri, La Divina Commedia, Inferno [dodicesima ristampa], Umberto Bosco, Giovanni ­Reggio (ed.). Firenze 1985. Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie: Italienisch und Deutsch. I. Teil: Die Hölle, übersetzt von Hermann Gmelin. Stuttgart 1949. Eiríks saga víðförla (Editiones Arnamagnæanæ, Series B, vol. 29), Helle Jensen (utg.). København 1983. Hákonar saga góða. In: Heimskringla I (Íslenzk Fornrit 26), Bjarni Aðalbjarnarson (útg.). Reykjavík 1941, 150–197. Hálfdanar saga Eysteinssonar. In: Fornaldar sögur Norðurlanda 4, Guðni Jónsson (útg.). Reykjavík 1954, 245–285. Ynglinga saga. In: Heimskringla I (Íslenzk Fornrit 26), Bjarni Aðalbjarnarson (útg.). Reykjavík 1941, 9–83. Yngvars saga víðfǫrla. Jämte ett bihang om Ingvarsinskrifterna (S.T.U.A.G.N.L. 39), Emil Olson (utg.). København 1912.

Sekundärliteratur Brenner 1989: Peter J. Brenner, Die Erfahrung der Fremde. Zur Entwicklung einer Wahrnehmungsform in der Geschichte des Reiseberichts. In: Ders. (Hg.), Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur (Suhrkamp-Taschenbuch 2097 / Materialien). Frankfurt a.  M. 1989, 14–49. Egeler 2015: Matthias Egeler, Avalon, 66°, Nord. Zu Frühgeschichte und Rezeption eines Mythos ­(Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 95). Berlin/Boston 2015.



Fremd und Eigen in der Eiríks saga víðfǫrla 

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Klaus Böldl

Die Götterbilder im Tempel. Zur religionsgeschichtlichen Relevanz eines Motivs in Adam von Bremens Kirchengeschichte Abstract: This article discusses the three images which Adam of Bremen describes in his Gesta Hammaburgensis in connection with the pagan temple in Uppsala. Most scholars today agree that the temple was in fact a hall. Various images found in Vendel and Viking age halls, e.  g. gold foils, indicate that images have played an important role in libation cults celebrated in chieftain’s halls. Literary sources mention images of deities in halls as well. Adam’s description could therefore be an authentic detail in the late pagan cult landscape of (Gamla) Uppsala. Über kaum ein tatsächlich vorhandenes Gebäude im Norden dürfte in den vergangenen Jahrhunderten so viel geschrieben worden sein wie über den ominösen Heidentempel von Uppsala, den Adam von Bremen in seiner Kirchengeschichte (IV, 26)1 von ca. 1076 in knappen Worten beschreibt. Seit der unbekannte Autor von Prosaiska Krönikan Mitte des 15. Jahrhunderts die Schilderung Adams in seine Darstellung der schwedischen Geschichte aufgenommen hat, sind der Tempel mit seinen Götterbildern und der benachbarte Hain, in dem alle neun Jahre Menschen und Tiere in großer Zahl geopfert worden sein sollen, zu einem festen Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses in Schweden geworden. Durch die teilweise von Prosaiska Krönikan abhängige Tempelschilderung in Ericus Olais wenig später entstandenen Chronica regni gothorum (Scheglov 2014) avancierte Gamla Uppsala zu einem Zentralort des Goticismus. Von der ideologischen Überhöhung, die Ende des 17.  Jahrhunderts in Olaus Rudbecks Bestimmung von Uppsala als dem Zentralheiligtum von Atlantis und mithin als Wiege der abendländischen Zivilisation kulminieren sollte (Alkarp 2009, 136–185, Eriksson 2002, bes. 279–340), hat sich die religionshistorische Forschung nie mehr völlig erholt, auch wenn man nach Rudbeck rasch zu Positionen fand, die Gamla Uppsala wieder einen bescheideneren Platz in der Weltgeschichte zuwiesen. Trotz der eindrucksvollen völkerwanderungszeitlichen Grabhügel und trotz des Umstands, dass Gamla Uppsala 1164 zum Sitz des ersten Erzbistums in Schweden erkoren wurde, hat der Platz am Nordrand der heutigen Universitätsmetropole

1 Alle Zitate und Verweise auf die Kirchengeschichte beziehen sich auf die Ausgabe von Schmeidler 1977.

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Uppsala seine Funktion als Gedächtnisort in einem hohen Maße seiner Charakterisierung durch Adam als eines Platzes von massierter paganer  – und damit autochthoner  – Heiligkeit zu verdanken. Die beiden Abschnitte der Kirchengeschichte einschließlich der drei ihnen zugeordneten Scholien – späteren Zusätzen zum Haupttext – bilden mit ihren kaum mehr als 400 Wörtern bis heute geradezu die Matrix aller Forschungen zur nordgermanischen Kultpraxis. So waren auch die Ausgrabungen, die Sune Lindqvist 1926 im Zuge einer Restaurierung der Kirche von Gamla Uppsala durchführte, von vornherein von der Erwartung geleitet, dass sich unter dem heutigen Kirchengebäude die Spuren eines wikingerzeitlichen Kulthauses mit besonderen Ausmaßen oder Formen entdecken ließen. Lindqvist hat die Resultate seiner archäologischen Untersuchung nie in einem zusammenhängenden Rapport, sondern nur einzelne Aspekte in eher populärwissenschaftlichen Zusammenhängen publiziert. Trotzdem stimulierten sie den Tempel-Diskurs in bemerkenswerter Weise und führten zu einer beträchtlichen Anzahl von Rekonstruktionen, die überwiegend von der Vorstellung einer baugeschichtlichen Kontinuität zwischen paganem Kultgebäude und mittelalterlicher Stabkirche gekennzeichnet waren (so etwa bei Boëthius 1930, Gellerstedt 1950, vgl. auch Gansum 2008). Tatsächlich lassen die Pfostenlöcher aus verschiedenen Perioden, die Lindqvist unter dem Boden der Steinkirche fand, keinerlei sichere Rückschlüsse auf einen paganen Vorgängerbau zu, wie Else Nordahl in ihrer gründlichen archäologischen Untersuchung des Tempelproblems darlegt (Nordahl 1996, speziell zu Lindqvists Interpretationen 56–60). Wenn sich also auch kein archäologischer Nachweis führen lässt, dass der Hei­ den­tem­pel jemals existiert hat, so hat man in Adams Notizen über Tempel und Opferhain doch andererseits Elemente identifizieren können, die auf eine partielle religionshistorische Authentizität seiner Darstellung des schwedischen Heidentums schließen lassen. Anders Hultgård hat ein Modell zur Analyse des Textes vorgeschlagen, bei dem zwischen vier Kategorien von Einflüssen unterschieden wird, die an der Formung des Texts beteiligt waren: eine rhetorische, bei der durch die Figuren der Evidentia und der Ekphrasis maximale Anschaulichkeit erzielt werden sollte, Umdeutungen nach dem Muster der interpretatio romana, ethnographische oder (heiden) polemische Klischees und schließlich Adams persönliche Wertungen und Einschätzungen (Hultgård 1997, 16–18). Es gelingt Hultgård überzeugend, durch die Dekonstruktion der Rhetorik des Textes zu den Sinnstrukturen jenes Augenzeugenberichts vorzudringen, auf den Adam sich beruft. Wenn man mit Hultgård davon ausgeht, dass Adams Notizen im Kern glaubwürdig sind, so stellt sich die Frage nach den konkreten religionshistorischen Realia, auf die Adams mit Elementen der klassischen und wohl auch biblischen Tradition komponierte Tempeldarstellung referiert. Die einzigen Elemente in den beiden Ubsola-Kapiteln, die sich an der physischen Realität unmittelbar überprüfen lassen, nämlich die Charakterisierung des Tempelumfelds, erweisen sich indessen als unzutreffend. Die Angabe in Scholion 139, das Heiligtum sei „von Bergen umgeben, die gleichsam ein Theater bilden“ lässt sich mit dem Terrain von Gamla Uppsala auch dann nicht in Übereinstimmung bringen, wenn



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man die montes mit den Großgrabhügeln identifizieren wollte, denn diese liegen in einer Reihe: Offenbar beabsichtigt Adam, dem Leser ein möglichst anschauliches Bild der Kultlandschaft vor Augen zu führen, indem er dieser die Struktur eines Am­phi­ thea­ters unterlegt (Adam av Bremen 1984, 252, Hultgård 1997, 17  f.). Diese Ekphrasis ist demnach rein rhetorisch und nicht informativ zu verstehen; als Hinweis etwa für eine Situierung des Tempels auf dem Domplatz des heutigen Uppsala, der der Topographie von Ubsola eher entspräche (so Sundquist 1953, 147–172, bes. 148; zu der Diskussion insgesamt Bonnier 1991, 83–85) kann sie kaum in Anspruch genommen werden. Schwieriger zu beurteilen ist die catena aurea, die goldene Kette, die den Tempel wiederum dem Scholion 139 zufolge umgeben haben soll. Lindqvist hat die Kette mit dem bisweilen vergoldeten Dachkamm norwegischer Stabkirchen in Zusammenhang gebracht (Lindqvist 1952, 93–95). Auch hausförmige Reliquiare, deren Trageketten an den Giebelenden befestigt sind, wurden als Vorbild vorgeschlagen (Simek 2003, 94). In Verbindung mit der Behauptung im Haupttext, der Tempel sei ganz aus Gold gefertigt, hat man eine Anspielung auf den Tempel Salomo erkennen wollen (1 Kön 6, 21; 1 Kön 7, 47–50) (Widéen 1951, 128, Holmquist 1981, Anm. 15). Das Motiv der Kette könnte allerdings auch aus dem Augenzeugenbericht oder der Erfahrungswelt Adams stammen, denn die Umhegung von Kirchen mit Ketten ist ein noch in neuerer Zeit in Bayern und Österreich belegter Brauch, der sich bis ins Frühmittelalter zurückverfolgen lässt und überdies außer- und vorchristliche Parallelen aufweist (Kretzenbacher 1973, zu Adam 19–22). Hier wird deutlich, dass die Unterscheidung zwischen literarischem Motiv und realer Erfahrung nicht immer leicht zu treffen ist – und sie mag auch nicht immer sinnvoll sein, bedarf es doch stets vorgeprägter Termini, Wendungen und Sprachbilder, um Erfahrenes narrativ verfügbar zu machen.2 Mit dieser Problematik wird man namentlich auch bei der Beschreibung und Charakterisierung der Götterbilder im Tempelinneren konfrontiert. Eine Reihe von Begriffen und Wendungen in dieser Passage indiziert indessen, dass Adam auf durchaus zutreffende Informationen über die dargestellten Götter zurückgreifen konnte: Wodan, dessen Namen Adam in einer interpretatio saxiana als furor deutet (Hultgård 1997, 20), werde mit Waffen dargestellt und im Kriegsfalle angerufen, Fricco, der wohl mit Freyr zu identifizieren ist, sei durch ein immenses Zeugungsglied (cum priapo ingentis) charakterisiert und komme bei Hochzeiten zum Zuge. Thor werde angerufen, wenn Hunger und Seuchen drohten (si pestis et fames imminet, IV, 26). Auf den ersten Blick zweifelhafter erscheinen die Angaben Adams über den Zentralgott Thor, der

2 Darauf hat v.  a. Hayden White aufmerksam gemacht: „[…] der Historiker muß aus dem Fundus an kulturell zur Verfügung stehenden mythoi schöpfen, um die Fakten so zu konstituieren, daß sie eine Geschichte von ganz bestimmter Art bilden.“ (White 1986, 78). Den Zusammenhang zwischen literarischem Motiv und zur Sprache zu bringender Erfahrung verkennt Holmquist wohl, wenn er von einem heidnischen Baumeister ausgeht, der in Abgrenzung vom Christentum bewusst nach alttestamentarischen Vorbild einen Tempel geschaffen habe (Holmquist 1981, 120  f.)

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durch sein Zepter Jupiter gleiche (cum sceptro Iovem simulare videtur). Während die Gleichsetzung Thors mit Jupiter seit der Antike als Gemeinplatz gelten kann, würde man als Attribut des nordgermanischen Himmelsgotts eher den Hammer erwarten, der gerade auch in der Region um Uppsala vielfältig ikonographisch präsent ist (Sund­ qvist 2013, 83). Besonderen Verdacht erregt hat die Wendung sicut nostri Martem, „wie bei unserem Mars“; man meinte hier einen bezeichnenden Lapsus Adams erkennen zu können, der zeige, dass es sich bei Adams Schilderung der Götterbilder um ein bislang nicht identifiziertes Zitat aus der antiken Literatur ohne Relevanz für das nordgermanische Heidentum handle (Widéen 1951, 128). Wahrscheinlicher ist hier aber wohl eine Bezugnahme auf zeitgenössische Mars-Darstellungen (Hultgård 1997, 19). Das von Adam verwendete Possessivpronomen ist kaum irritierend, wenn man bedenkt, in welchem Ausmaß die klassische Mythologie durch die Bestrebungen der ‚karolingischen Renaissance‘ bereits im Frühmittelalter in den Wissens- und Zeichenbestand der christlichen Kultur aufgenommen worden war (Panofsky 1996, 57–66). Die interpretatio romana, deren Adam sich hier in der für mittelalterliche Geschichtsschreiber typischen Weise bedient, ist kein Argument gegen die prinzipielle Authentizität des Beschriebenen, befördert aber die Gefahr von Ungenauigkeiten und Verwechslungen, wie das Beispiel von Thors Zepter zeigt, oder auch die WodanIkongraphie, die ein so zentrales Attribut wie die Raben vermissen lässt. Es stellt sich nun die Frage, ob Adams Erwähnung der kultischen Verehrung einer bildhaft dargestellten Göttertrias lediglich den in der Missionsliteratur stereotyp an die Heiden herangetragenen Vorwurf der Idolatrie variiert, hergeleitet aus den einschlägigen Stellen des Alten Testament und des Römerbriefs, oder ob der Reflex einer kultischen Praxis der Wikingerzeit vorliegt. Bemerkenswerterweise geht aus Adams Notizen nicht hervor, ob bzw. wie die Verehrung der Götterbilder im Zusammenhang steht mit den im Hain neben dem Tempel alle neun Jahre zelebrierten großen Tier- und Menschenopfern, bei denen die Opfermaterie in die Bäume gehängt und diese dadurch mit besonderer Heiligkeit aufgeladen worden sein sollen. Eine archäologische Bestätigung für eine derartige Praxis hat man unter der schwedischen Kirche von Frösö auf der gleichnamigen Insel im Storsjön (Jämtland) finden wollen, wo Knochen von Nutztieren sowie von Bären den Stumpf eines Baumes umgaben, an dem die Opfertiere zum Teil aufgehängt waren (Hildebrandt 1989, Näsström 1996, 65–67), während die Knochen um ein ergrabenes Gebäude mit vermutlich kultischer Funktion aus der jüngeren Eisenzeit in Borg (Östergötland) zu einem großen Teil von Pferden und Hunden stammten, also den Gattungen, die Adam erwähnt (Nielsen 1996, 95–102). Keiner der untersuchten wikingerzeitlichen Opferplätze zeigt allerdings Spuren von Menschenopfern; ob solche im Spätheidentum noch in nennenswertem Umfang vorkommen, ist zweifelhaft; die hierfür oft ins Feld geführten ikonographischen Belege, der gotländische Bildstein Lärbro Stora Hammars I und der Bildteppich aus dem Grab von Oseberg, lassen auch andere Deutungen zu (Hultgård 2001, 545, anders Simek 2003, 61). Es scheint sich bei den in die Bäume gehängten Menschenleibern also eher um ein heidenpolemisches Element zu handeln, ebenso wie die Angabe, die geopferten



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Lebewesen hätten männlich zu sein, offenkundig dem Alten Testament entstammt (Hultgård 1997, 36  f.). Die Neunzahl wiederum, die die Frequenz wie auch den Umfang der Opfer bestimmt, ist auch sonst aus nordgermanischen Opferzusammenhängen bekannt (Sundqvist 2007, 126–128, zum Motiv der neun Jahre Nordberg 2006, 80–84), so etwa von dem ins 6. oder 7.  Jahrhundert datierten Runenstein von Stentoften (Blekinge), dessen Inschrift der Deutung Lillemor Santessons zufolge ein Opfer von neun Hengsten und neun Böcken verkündet (Düwel 2008, 21, Schulte 2015, 183–185). Die Details der Opferschilderung brauchen an dieser Stelle nicht weiter vertieft zu werden,3 doch lässt sich festhalten, dass die Beschreibung Adams ungeachtet einer Reihe von ergänzenden Ausschmückungen die Praxis eines Hängeopfers indiziert, deren Authentizität, soweit es sich um Tiere handelt, durch Parallelen wahrscheinlich gemacht werden kann. Wie aber verhält sich dieses recht archaisch anmutende religiöse Handeln zu der Götterverehrung im Tempel? Der innere Zusammenhang zwischen den Kapiteln  26 und 27, der Tempel- und der Opferbeschreibung, wurde selten eingehender problematisiert; auf die heilige Handlung im Hain folgte eben das Opfermahl in dem hierfür vorgesehenen Kultgebäude (Hultgård 1997, 32). Dass nach Adams Worten die Götter durch das Opferblut besänftigt werden sollen (quorum sanguine deos placeri mos est), hat man mitunter so verstanden, dass die Götterbilder mit dem Blut bestrichen worden seien (Palm 1941, 100–102). Die ältere Forschung hat aus Adams Darstellung in einer religionsevolutionistischen Perspektive bisweilen zwei unterschiedlichen Entwicklungsstufen entsprechende Kultformen herauslesen wollen, einen archaischen Kult im Opferhain und eine spätzeitliche Götterverehrung im Tempel (Palm 1941, 97  f., Sundquist 1953, 201  f.), wobei Letztere auch als Reaktion auf das Christentum interpretiert wurde: Das Spätheidentum habe sich die Formen des neuen Glaubens anverwandelt, um konkurrenzfähig zu bleiben (Palm 1941, 108  f.). Die unterschwellige Analogie zu einem christlichen Sakralbau, die Adam insbesondere durch das triadisch strukturierte Heiligtum im Tempelinneren herstellt (Wessén 1924, 170), legt den Gedanken nahe, der Tempel könnte als ein religionshistorisches Übergangsphänomen aufgefasst werden, doch dürfte diese Parallelisierung zunächst mehr über Adams Konzeption des Verhältnisses zwischen Christentum und Heidentum aussagen als über die religiösen Verhältnisse Uppsalas im 11. Jahrhundert.4

3 Vgl. z.  B. die Diskussionen bei Sundqvist 2007, 115–122, Steinsland 2005, 295–298, Simek 2003, 82–86, Hultgård 1997, 30–40. 4 Die Antithetik zwischen Heidentum und Christentum bricht Adam in bemerkenswerter Weise auf, wenn er behauptet, die paganen Schweden hätten Christus bereits in die Schar ihrer Götter aufgenommen und ihn als den mächtigsten ausgewiesen (IV, 22; zur Interpretation dieser Stelle vgl. Fraesdorff 2005, 256  f.). Die Konstatierung solcher Annäherungen erleichtert es wohl nicht nur, die polytheistische Praxis überhaupt eingehender zu thematisieren, wie Fraesdorff schreibt, sie erlaubt auch die Annahme zumindest äußerlicher Ähnlichkeiten.

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In den sechziger Jahren brachte der Historiker Kjell Kumlien ein seit Jahrhunderten bekanntes, aber bis dahin meist als Fälschung betrachtetes Dokument in die Diskussion ein, die Annotationes ex scriptis Karoli episcopi Arosiensis excerptæ, angeblich aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, die u.  a. von der Grundsteinlegung der Kathedrale von Gamla Uppsala berichten und die Reinigung mit Feuer und die ‚Heiligung‘ des Heidentempels vermerken, der danach mit der Kirche vereinigt worden sei, und zwar durch einen gewissen Yggemundus (ab Yggemundo igne purificato & sanctificato conjunxit) (zit. nach Bonnier 1991, 88). Wenngleich Kumlien für die Echtheit des Dokuments Argumente vorbringen konnte, steht die Authentizität des über den Tempel Berichteten doch in Frage, das auf 1138, also etwa ein Jahrhundert vor Entstehung des Dokuments, datiert wird (Kumlien 1967, 51–53). Als glaubhafter Beleg für einen paganen Vorgängerbau unter der Kathedrale von Gamla Uppsala können die Anmerkungen des Erzbischofs Karl jedenfalls kaum gewertet werden (Bonnier 1991, 90  f., Nilsson 2001, 170). Seit den neunziger Jahren lässt sich eine neue Perspektive auf den Heidentempel beobachten: Aus dem imaginierten mehr oder weniger stabkirchenartigen Kultbau, der Mitte des 20.  Jahrhunderts noch griechische Tempel an Umfang übertraf und eine Höhe von bis zu 31 Metern erreichen konnte (Gellerstedt 1950, bes. 210 und 216), ist nun eine Fürstenhalle geworden, wie sie auch andernorts, z.  B. in Borg auf den Lofoten, nachweisbar ist. Grabungen auf einem der beiden Plateaus nördlich der Kirche förderten Reste eines etwa 40 Meter langen und zehn Meter breiten Hallengebäudes zutage, das vom frühen 7. bis zum späten 8. Jahrhundert genutzt wurde, ehe es niederbrannte und nicht mehr aufgebaut wurde (Nordahl 1996, 60, Duczko 1998, 415). Da es keinen Hinweis darauf gibt, dass die königliche Macht, die man hinter einem derart großen Gebäude vermutet, und die sich auch in den Upsala auðr (‚UppsalaReichtum‘) genannten königlichen Besitztümern manifestiert, zu Beginn der Wikingerzeit einen Bruch erfuhr, hat man vermutet, die Halle sei an einer anderen Stelle, vielleicht unter der heutigen Kirche, wieder aufgebaut worden (Nordahl 1996, 60). Es erscheint durchaus plausibel, dass der von Adam eindrucksvoll ausgemalte templum nobilissimum tatsächlich eine Halle war, in der der Herrscher außer seinen sozialen auch seinen religiösen Verpflichtungen nachkam. Adam berichtet freilich, von Priestern, die die Opfer des Volkes den Göttern darbringen würden (sacerdotes, qui sacrificia populi offerant; IV, 27), und auch der durch eine Marienerscheinung in Uppsala Bekehrte gehört der Priesterschar an, die in Uppsala den Götzendienst versieht (e sacerdotibus qui ad Ubsolam demonibus astare; IV, 28). Kultfunktionäre, also hauptberuflich mit religiösen Aufgaben betraute Personen oder gar eine regelrechte Priesterkaste scheint es im Norden allerdings nicht gegeben zu haben; es herrscht daher in der Forschung Einigkeit darüber, dass Adam an dieser Stelle antike oder christliche Verhältnisse auf Uppsala projiziert (Hultgård 1997, 19  f., Sundqvist 2007, 128  f.). In Scholion 140 wird überdies angemerkt, dass der christliche König Anund vertrieben worden sei, weil er sich geweigert hat, den Abgöttern zu opfern, eine Notiz, die in Übereinstimmung mit einer Vielzahl norröner Quellen also den Fürsten



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als denjenigen vorstellt, der die Kulthandlung durchführt bzw. dieser vorsteht (Sund­ qvist 2007, 128). Hierbei ist freilich anzumerken, dass die Königsmacht in Schweden seit dem späten 10. Jahrhundert, von kurzzeitigen Ausnahmen abgesehen, christlich geprägt war, sodass die Frage nach der Identität des Kultleiters im 11.  Jahrhundert offen bleiben muss, wie überhaupt die Frage nach dem Verhältnis von Christentum und Heidentum in Gamla Uppsala vor dem Kirchenbau im frühen 12. Jahrhundert kontrovers diskutiert wird, insbesondere im Hinblick auf die Runensteine in der Region und deren Aussagekraft für den Christianisierungsprozess (vgl. z.  B. Sundqvist 2013, 72–74, 78–82, Gräslund 2013, Zachrisson 2013, 173–190, Nilsson 2001, 90–93). Indessen enthält der Text Adams Begriffe, die ihrerseits die Assoziation einer Festhalle wecken: Im Zusammenhang mit der alle neun Jahre stattfindenden Opferfeier ist im Scholion 141 von commessationes et eiusmodi sacrificia (‚Festmahlzeiten und dergleichen Opferfeiern‘) die Rede, während im Haupttext (IV, 26) das Innere des Tempels mit triclinium (‚Speisesaal‘) umschrieben wird (Dillmann 1997, 65–67). Diese Beobachtung hatte schon Lindqvist zu dem Schluss geführt, dass es sich um ein ‚chorloses‘ Hallengebäude handeln müsse (Lindqvist 1923, 113), während FrançoisXavier Dillmanns Überlegungen weniger auf die architektonischen Implikationen von Adams Terminologie abzielen als vielmehr den Nachdruck auf das hier zum Ausdruck kommende Libationsopfer legen, das die Notizen Adams mit norrönen Opferfestschilderungen, v.  a. mit den Opferfesten von Lade und Mære (Hákonar saga goða Kap. 14 und 17) in einen religionsgeschichtlichen Zusammenhang bringt (Dillmann 1997, 59–67). Es stellt sich in dieser Perspektive die Frage, ob Adams Schilderung der Götterbilder den Schluss zulassen, dass bei den rituellen Gastmählern in der Herrscherhalle ein wie auch immer gearteter Bildkult eine Rolle gespielt haben könnte. Die triadische Struktur des Heiligtums bei Adam weckte bei einigen Forschern den Verdacht, diese könnte christlich beeinflusst sein (Palm 1941, 97). Wenngleich dies nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen ist, so liefern die germanischen und altnordischen Traditionen doch eine solche Fülle von Göttertriaden, dass die Annahme einer interpretatio christiana hier alles andere als zwingend ist (Simek 2003, 108–117; Beck 1998, 481). In Kosmogonie- und Anthropogoniemythen etwa bilden Dreiheiten von Göttern einen festen Bestandteil. Namentlich sind triadische Nennungen, in den Thor und Wodan bzw. Odin vorkommen, sehr früh belegt, ja bereits der älteste inschriftliche Beleg für diese beide Götternamen überhaupt nennt diese zusammen in einer Trias, nämlich in der Runeninschrift auf der ins 6. Jahrhundert datierten Bügelfibel von Nordendorf (Krause/Jankuhn 1966, 292  f.) Mit einer aus der Zeit Karls des Großen stammenden sächsischen Abschwörungsformel (Hauck 1994, 206), stimmt sie darin überein, dass sie Thor als erstes nennt und diesem Gott damit ebenso eine Spitzenstellung in der Hierarchie zuweist wie Adam dies tut, wenn er Thor ins Zentrum der Göttertrias rückt. Auch beim Opferfest von Lade huldigt man der Darstellung Snorris zufolge denselben drei Göttern; an anderer Stelle in der Heimskringla, nämlich in Kap. 69 der Óláfs saga Tryggvasonar, wird Thor ein besonderer Rang attestiert, sei er doch mest tígnaðr af ǫllum goðum gewesen, „am höchsten geehrt von allen

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Göttern“ (Heimskringla 1951, 317). Hier wie an anderen Stellen in den Königssagas erscheint Thor als der wichtigste Gott, mit dessen Verehrung die Missionare immer wieder konfrontiert sind. Auch bei Adam zerschlägt der englische Missionar Wulfrad in Schweden ein Thorsbild und wird daraufhin von den aufgebrachten Heiden im Moor versenkt (II, 62). Auch andere Quellen wie etwa die isländischen Personennamen deuten auf eine Dominanz Thors im Spätheidentum hin (Wessén 1924, 173). All diese Parallelen in der norrönen Tradition verleihen dem von Adam entworfenen Szenario ein in den Grundzügen authentisches Gepräge. Wenn man davon ausgehen darf, dass Adams Fricco mit Freyr zu identifizieren ist (Wagner 1989, Wessén 1924, 184–187), dürfen die drei Götter in den theophoren Ortsnamen Upplands als gut vertreten gelten: Thor ist sechzehnmal sicher belegt, Odin achtmal, Frö-Freyr sechsmal (Freyja fünfmal) (Hellberg 1986, 54). Nicht ins Bild passen die mit dem Götternamen Ull gebildeten Ortsnamen, elf an der Zahl, davon zwei, Ultuna und Ulleråker, in unmittelbarer Nähe von Uppsala. Indessen deutet vieles darauf hin, dass dieser Gott gegen Ende der heidnischen Periode kaum mehr eine Rolle spielte und seine Kultplätze zu dieser Zeit längst aufgegeben waren (Strid 1999, 105  f.). Trotz der hohen Übereinstimmung bei den Götternamen hat man aus onomastischer Perspektive doch Einwände gegen Adams Darstellung erhoben: In dem „uralten Vegetationskult“, von dem Lars Hellberg das wikingerzeitliche Uppland geprägt sieht, sei für den erst spät aus Südwesten, aus Västergötland ‚eingewanderten‘ Odin keinen Platz gewesen; die auf ihn verweisenden Ortsnamen deuteten auf einen eher marginalen Kult hin. Zudem indiziere der Ortsnamenbefund die Verehrung von nur jeweils einer Gottheit an einem Platz (Hellberg 1986, 68) – ein Argument, das stillschweigend voraussetzt, Ortsnamen könnten die kultische Praxis einer bestimmten Region in ihrer Gesamtheit abbilden. Dass Adams Uppsala so schlecht in die alte uppländische Kultlandschaft passt, ist indessen wohl weniger auf die verzerrte Perspektive des Kirchenhistorikers zurückzuführen als vielmehr auf Transformationen in der spätheidnischen Praxis angesichts einer machtvoll herandrängenden Konkurrenzreligion. Phänomene der Revitalisierung und Intensivierung des Heidentums im Horizont der Bekehrung wurden verschiedentlich beobachtet, etwa an den Gräbern des 10. Jahrhunderts im westnorwegischen Hordaland, die vielfach deutlicher heidnisch markiert sind als in früherer Zeit und offenbar auf die Präsenz des neuen Glaubens reagieren (Gellein 1998, 17  f.). Auch die „Renaissance heidnischer Ideen“ in der Skaldik aus dem Umkreis der norwegischen Ladejarle hat man auf diese Weise erklären wollen (Schier 1994, 92  f.) Reges et populi, omnes et singuli sua dona transmitterunt ad Ubsolam, (‚Könige und Stämme, die Gesamtheit und die Einzelnen, bringen das Ihre nach Ubsola‘) (IV, 27) schreibt Adam einleitend zu den Opferfeierlichkeiten. Christen hätten sich von der Kultteilnahme freizukaufen. Diese Notiz lenkt die Aufmerksamkeit auf einen in der Forschung lange Zeit vernachlässigten Aspekt, nämlich die ökonomische und damit politische Dimension des öffentlichen Kults. Auch Snorri berichtet von dem Brauch, dass die Bauern die Güter mitbrachten, die bei dem Opferfest dargebracht bzw. konsumiert wurden. Die Verpflichtung des Fürsten besteht darin, die von den Bauern in



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das Heil der Gemeinschaft investierte Opfermaterie an die Götter zu übermitteln bzw. im Rahmen eines Festmahls die Kommunikation mit diesen herzustellen. Die Legitimierung des Herrschers bestätigt sich in der Ausübung der Opferriten, die wiederum eine soziale Ordnung stiften bzw. abbilden, in der Eliten und Bauernschaft in reziproker Abhängigkeit zueinander stehen (Sundqvist 2002, 140–148). Der christliche König Hákon kann seine Herrschaft über die heidnischen Bauern des Trøndelag nur ausüben, solange er den Opferfeierlichkeiten vorsteht; der christliche König Anund wird folgerichtig aus Uppland vertrieben, als er sich dem Kult verweigert. Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, warum es im immer stärker christlich dominierten Uppland des 11. Jahrhunderts zu einer Konzentration des paganen Kultwesens in Uppsala gekommen sein könnte, bei der zuvor getrennt gehuldigten Göttern in einem zentralen kalendarischen Ritus geopfert wurde: Es dürfte sich hierbei in erster Linie um eine Strategie der heidnischen Eliten zur Sicherung ihrer politischen und ökonomischen Macht gehandelt haben (Sundqvist 2013, 96–100). Wenn die in Uppland im Spätheidentum hauptsächlich verehrten Götter in Uppsala Gegenstand eines die ganze Region einbeziehenden ‚Königsopfers‘ gewesen sind, stellt sich also die Frage, ob im Rahmen dieser Feierlichkeiten Bildwerke eine Rolle gespielt haben könnten. Zwei- und dreidimensionale Götterbilder sind im nordgermanischen Bereich zwischen Völkerwanderungs- und ausgehender Wikingerzeit in relativ großer Menge überliefert; aber auch sprachliche Zeugnisse, von bildbeschreibenden Skaldengedichten bis zu Erwähnungen in der Sagaliteratur, machen deutlich, dass man sowohl numinose Gestalten als auch religiöse Narrative im Bild festgehalten hat. Ein nicht unwesentlicher Teil namentlich der beweglichen Bildwerke, ob archäologisch gesichert oder literarisch belegt, lässt sich mit Hallen oder anderen als kultisch gedeuteten Gebäuden in Verbindung bringen (Carstens 2016, 121– 125). So wurden zwei der Figurinen von Lunda (Södermanland) innerhalb der Wände eines als hof (‚Tempel‘) interpretierten Hauses gefunden (Andersson 2004, 14  f.). Diese nur etwa drei Zentimeter großen anthropomorphen Kleinplastiken sind ebenso wie die Goldbleche, die beispielsweise in den Hallenfundkontexten von Borg auf den Lofoten (Stamsø Munch 2003) oder in Uppåkra in Skåne (Larsson 2011, 193  f.) aufgetaucht sind, in Dimension und wohl auch in ihrer Funktion denkbar weit entfernt von Adams Götterbildern; sie indizieren aber doch, dass figürliche Darstellungen in der kultischen Praxis ihren Platz hatten. Wie die Statuette von Rällinge (Södermanland) sind die drei Figurinen aus Lunda phallisch und erinnern an Adams Fricco mit seinem riesigen Zeugungsglied, ohne dass man die Figuren deshalb problemlos einem Freykult zuordnen könnte (Andersson 2004, 83–85). Die ‚Guldgubber‘ genannten Goldbleche sind sicherlich nicht Gegenstand idolatrischer Kulte gewesen. Da sie meist nur daumennagelgroß und sehr dünn sind, wurden sie auch nicht als Amulette getragen; vielmehr werden sie in der Forschung als eine Art kultisches Zahlungsmittel, als ‚Opfergeld‘ betrachtet (Watt 1999, 140). Da sie häufig in Wandgräben und Pfostenlöchern deponiert wurden, standen sie vielleicht mit Ritualen des Hausbaus in Zusammenhang und sollten – darauf deuten besonders

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die häufigen ein sich umarmendes Paar zeigenden Goldbleche hin  – Fruchtbarkeit und Gedeihen des Hofs gewährleisten;5 zu einem literarischen Reflex dieser Praxis in Landnámabók und Vatnsdœla saga vgl. Meulengracht Sørensen 2001).6 In dieser Funktion dienten die Goldbleche also ausschließlich der Kommunikation mit dem Numinosen: Man trat ihnen nicht als Abbildern des Göttlichen verehrend entgegen, sondern vergrub sie, häufig auch noch zusammengefaltet, in der Erde – eine Handlungsweise, die in völlig andere religionsphänomenologische Zusammenhänge weist als Adams Schilderung. Indessen sind wahrscheinlich nicht alle Guldgubber auf diese Weise ‚verbraucht‘ worden. In Svintuna (Östergötland) wurde ein Zwei-Figuren-Goldblech innerhalb eines Gebäuderisses in offenkundiger Korrespondenz zum Hochsitz des Hauses gefunden, und ebenso hat man angenommen, dass die Deponierungen in Borg und in Mære (Trøndelag) in Relation zum Hochsitz oder zu diesem gehörigen Pfeilern standen (Stamsø Munch 2003, 254–257). Die breite Diskussion zu Aussehen, Funktion und Situierung des Hochsitzes und zu den Hochsitzpfeilern kann hier nicht aufgerollt werden (vgl. z.  B. Steinsland 1991, Beck 2000, Böldl 2005, 163–176); angemerkt sei hier nur, dass der zweifellos sakral aufgeladene Ehrensitz des Fürsten (und seiner Frau), mittig oder anderweitig exponiert, in einer Verbindung mit Götterbildern gestanden hat oder auch mit solchen versehen gewesen sein kann. Dies legt auch die ­Eyrbygg­ja saga nahe, der zufolge in Þórólfr Mostrarskeggs Hochsitzpfeiler eine Thorsdarstellung eingeschnitzt gewesen sein soll (þar var Þórr skorinn á annarri; Eyrbyggja saga,  7), wenngleich in dieser Saga die Pfeiler zur Ausstattung eines hof gehören. Den berühmtesten literarischen Beleg für eine mit einem sakralen Bildwerk versehene Halle liefert die Laxdœla saga (Kap. 29) mit ihrem Bericht von der Hochzeit auf Harðarholt, bei der der Skalde Úlfr Uggason ein Gedicht vorgetragen haben soll, das eine Wandschnitzerei zum Gegenstand hatte. Kurt Schier weist auf die enge Verbindung des Bauern von Harðarholt zu dem Hof der Ladejarle hin, von dem der Anstoß zu einer solchen Ausschmückung gekommen sein könnte (Schier 1994, 85–88). In einem anderen Gedicht dieses Zeitraums, der Sigurðardrápa von Kormákr Ǫgmundarson, hat Helmut de Boor einen Hinweis auf Bildwerke in der Halle des Ladejarls Sigurðr erkennen wollen, die Thor und Odin darstellten (de Boor 1964, 229  f., Schier 1994, 95). Hinter Adams zunächst wie eine christliche Projektion erscheinenden Notiz von den drei Götterbildern im triclinium des Tempels könnten also durchaus spätheidnische Realitäten stehen. Religiöse Bildwerke, die im Kontext von Fürstenhallen kultischen Zwecken gedient haben, sind sowohl archäologisch als auch literarisch reich belegt; dass ihre Bedeutung in der Konkurrenz zum Christentum noch zugenommen

5 Vgl. hierzu z.  B. Stamsø Munch 2003, 259 und die dort diskutierte Literatur. Gro Steinsland sieht diese Guldgubber ferner in einem herrschaftsideologischen Kontext (Steinsland 1990). 6 Auf Borg stammen die Bleche allerdings aus verschiedenen Schichten und können also nicht alle auf die Errichtung der Halle bezogen werden; vgl. Stamsø Munch 2003, 261.



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hat, liegt nahe.7 Die Göttertrias, die  – wenngleich nicht im Bild  – auch in Snorris Schilderung des Opferfestes von Lade vorkommt, könnte für die politisch-religiösen Machtzentren Lade und Uppsala jeweils als Krisensymptom interpretiert werden: In der Bekehrungsphase kam es zu einer Umwandlung des vorher wohl weitgehend dezentralen Kultwesens zu einer Praxis der Zusammenfassung und Zentrierung der Opferfeierlichkeiten, durch die nicht nur die religiösen, sondern auch die politischökonomischen Ressourcen des Heidentums gebündelt werden sollten. Wenn dies zutrifft, so wäre es auch denkbar, dass man in (Gamla) Uppsala die drei hauptsächlich im Uppland der ausgehenden Wikingerzeit gehuldigten Gottheiten im Rahmen eines überregionalen Opferfests verehrt hat, und dass hierbei – möglicherweise unter dem Eindruck von Elementen der christlichen Liturgie – auch ein Kult um ein triadisch organisiertes Götterbildwerk geübt wurde.

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7 Eine Parallele hierfür könnte man in den Thorshammer-Amuletten sehen, die offenbar vermehrt getragen wurden, seit die frühen Christen im Norden mit Kreuzamuletten ihre religiöse Identität deutlich machten; vgl. z.  B. Wamers 1997.

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François-Xavier Dillmann

‘Drjúg varð á því dœgri konungs furða.’ Remarques sur la strophe de Sigvatr Þórðarson au sujet de l’éclipse solaire lors de la bataille de Stiklestad Abstract : The main topic of the present article is a stanza composed by the Icelandic scald Sigvatr Þórðarson about the solar eclipse that suddenly occured during the battle of Stiklestad (in the summer of 1030). After a review of the current research on the topic, with particular attention to the second part of the stanza, the article focuses on the sentence frák atburð orrostu austan, as well on the particular meaning of the word furða in the sentence Drjúg varð á því dœgri konungs furða. The argumentation begins by considering the meaning behind the syntagm konungs furða placed at the end of this magnificent stanza. Two similar examples of the word furða, recorded in two Icelandic literary sources from the 13th century (Eyrbyggja saga and Heiðarvíga saga), offer an instructive elucidation on the topic. Lastly it can be observed that Sigvatr Þórðarson’s stanza is devoid of any hagiographical connotations, unlike stanza no. 19 from the poem Geisli, which was composed by the scald Einarr Skúlason some twenty years later, and which concerns the same phenomenon.

L’une des questions les plus débattues au sein de l’historiographie du roi de Norvège Óláfr Haraldsson concerne un événement qui se serait produit lors de la bataille qui fut livrée à Stiklestad pendant l’été de l’année 1030 : selon plusieurs sources norroises  – deux strophes scaldiques, composées pour l’une peu après la disparition d’Óláfr et pour l’autre au milieu du xiie siècle, et deux ouvrages historiques de la première moitié du siècle suivant –, l’obscurité serait tombée subitement au cours de ce combat. Depuis la publication de l’étude de l’astronome norvégien Christopher Hansteen (1833), la discussion a porté principalement sur les points suivants : une éclipse du soleil s’est-elle réellement manifestée dans la province du Trøndelag, en Norvège, le jour du combat qui vit la mort d’Óláfr Haraldsson et la défaite de ses forces? Ou s’agit-il plutôt d’une légende qui aurait pris naissance après les événements de l’été 1030 et qui, d’inspiration hagiographique, aurait eu pour dessein de modeler, en recourant au procédé de syncrisis, la fin tragique d’Óláfr Haraldsson sur les récits évangéliques de la Passio de Jésus? Dès lors, cette légende fut-elle créée de toutes pièces? Ou trouvet-elle son origine dans la connaissance que l’on avait pu conserver de l’éclipse solaire qui, le 31 août de l’année 1030, obscurcit le ciel du Trøndelag, en particulier dans la

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 François-Xavier Dillmann

vallée du Verdalen où se situe Stiklestad,1 en sorte que la description d’un phénomène naturel aurait été insérée dans le récit d’une bataille qui se serait déroulée à une autre date? Par exemple le 29 juillet de la même année, jour qui, au moins depuis le milieu du xie siècle, est celui de la célébration de la Saint-Olaf? Selon les réponses qui ont été apportées à ces questions, des conséquences d’une grande portée historique ont pu être tirées : elles concernent non seulement la date de la dernière bataille d’Óláfr Haraldsson, mais la vénération de ce personnage qui, si l’on en croit la tradition norroise, fut proclamé saint peu après l’inventio de ses reliques dans la bourgade de Nidaros, un an environ après sa mort. Compte tenu des limites imparties aux contributions à cette Festschrift, la présente étude ne traitera pas de l’ensemble de ce dossier, aussi riche que complexe, sur lequel nombre de philologues et d’historiens se sont penchés depuis près deux siècles. Notre propos sera nécessairement beaucoup plus restreint, en portant principalement sur le plus ancien témoignage qui nous ait été conservé au sujet de cette éclipse solaire. * C’est dans une strophe que le scalde islandais Sigvatr Þórðarson a dû composer au cours de la décennie qui suivit la mort d’Óláfr Haraldsson que figure, pour la première fois, l’évocation d’un phénomène astronomique de grande ampleur qui se serait produit le jour où le roi de Norvège livra son ultime bataille. Cette très belle strophe scaldique est parvenue jusqu’à nous par la tradition manuscrite de la Saga Óláfs konungs hins helga (ou Grande Histoire du roi Olaf le Saint), œuvre qui est généralement attribuée à l’historien islandais Snorri Sturluson (1179–1241), et par la version de cet ouvrage qui fut insérée dans le recueil de la Heimskringla (ou Histoire des rois de Norvège). Elle est citée au chapitre ccxxv de la première,2 qui correspond au chapitre ccxxvii du tome II de la seconde (l’Óláfs saga ins helga ou Histoire du roi Olaf le Saint3). Souvent considérée comme faisant partie de l’Erfidrápa Óláfs helga (ou Poème funèbre d’Olaf le Saint 4), que le scalde pourrait avoir composée au début du règne de Magnús Óláfsson (1035–10475), la strophe sur l’éclipse solaire peut tout aussi bien avoir vu le jour indépendamment de ce poème, dès que Sigvatr Þórðarson, de retour

1 Cf. Hansteen 1833, 462–466 ; Koht, 1924, 30–32 ; Landmark 1931a, 29–30 ; Þorkell Þorkelsson 1933, 147 ; Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, XCIII ; Brøgger 1946, 15. 2 Saga Óláfs konungs hins helga 1941, 572. 3 Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, 382. 4 Finnur Jónsson 1912 A/I, 261, cf. B/I, 242 ; Kock I 1946, 125 ; Erfidrápa Óláfs helga, Jesch 2012, 682– 683. – Selon le classement qui fut établi par Finnur Jónsson (ibid.) et qui a été retenu par les autres éditeurs, ce serait la strophe xv de ce poème. 5 Cf. Erfidrápa Óláfs helga, Jesch 2012, 664–665.  – L’opinion qui a longtemps prévalu voulait que ce poème ait été composé peu de temps avant la mort du scalde vers 1044/1045, cf. p.ex. Lie 1970, col. 237 ; Turville-Petre 1976, 83.

‘Drjúg varð á því dœgri konungs furða.’ 



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dans le Trøndelag après un pèlerinage à Rome, aura appris la nouvelle de la bataille de Stiklestad : l’hypothèse en a été avancée, mais rien ne permet véritablement de trancher entre ces deux possibilités.6 Citons-la dans l’édition procurée par Bjarni Aðalbjarnarson (1945, 382), qui suit pour l’essentiel l’édition (en vieil islandais normalisé) qui fut établie par Finnur Jónsson7 : Undr láta þat ýtar eigi smátt, es máttit skæ-Njǫrðungum skorðu skýlauss rǫðull hlýja. Drjúg varð á því dœgri, dagr náðit lit fǫgrum, orrostu frák austan atburð, konungs furða.

L’ordre des mots et la disposition des phrases au sein des deux parties de cette strophe en dróttkvætt ne soulèvent pas de grandes difficultés, si bien que la construction proposée par Finnur Jónsson,8 à la suite de Konráð Gíslason,9 a le plus souvent été retenue,10 ainsi par Bjarni Aðalbjarnarson dans l’annotation de son édition de la Heimskringla (1945, 382–383) : Ýtar láta þat eigi smátt undr, es skýlauss rǫðull máttit hlýja skorðu skæ-Njǫrðungum. Drjúg varð furða konungs á því dœgri ; dagr náðit fǫgrum lit ; frák atburð orrostu austan.

Émise par le philologue suédois Otto von Friesen,11 la seule proposition divergente, qui concerne la seconde partie de la strophe, apparaît beaucoup trop contournée pour pouvoir emporter l’adhésion.12 *

6 Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, xciv. 7 Finnur Jónsson 1912 B/I, 242. 8 Heimskringla, Finnur Jónsson 1901, 169 ; Finnur Jónsson 1912, B/I, 242. 9 Konráð Gíslason 1892, 40. 10 Kock/Meissner 1931a, 32 ; Kock 1946, 125 ; Turville-Petre 1976, 85 ; Snorri Sturluson, Heimskringla, Bergljót S. Kristjánsdóttir et al. 1991, 532 ; Erfidrápa Óláfs helga, Jesch 2012, 682. 11 Von Friesen 1924, 6–7 : selon cet auteur, le second helmingr (ou demi-strophe) comprendrait d’abord la phrase Drjúg varð furða konungs (limitée à ces quatre mots), tandis que la phrase dagr náðit fǫgrum lit serait une proposition relative (sans particule initiale) qui serait reliée au syntagme á því dœgri, lequel introduirait lui-même la phrase frák atburð orrostu austan, et la traduction de cette demi-strophe serait dès lors : « Ja, stort var det varsel om konungen, som inträffade ; samma dag, som dagsljuset ej fick sin (vanliga) klarhet, erfor jag i västerväg stridens förlopp. » 12 Reprise par Koht 1924, 37 ; puis par Landmark 1931a 15 sq. et passim, elle a été réfutée avec des arguments entièrement convaincants par Kock 1925, § 662, 32–33.

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Arrêtons-nous tout d’abord sur la kenning qui a été insérée dans la première partie de cette strophe et qui est constituée par le vers 3 (skæ-Njǫrðungum skorðu), dans lequel le composé skæ-Njǫrðungar est au datif : attesté uniquement au pluriel (et toujours dans des composés13), l’élément Njǫrðungar (ou njǫrðungar) doit être une formation sur le nom du dieu Njǫrðr ou sur la racine de ce dernier ;14 à ce titre, elle est employée dans des kenningar désignant les hommes, comme le montre la citation de la première partie de cette strophe dans un fragment de l’Edda de Snorri Sturluson.15 La périphrase métaphorique skorðu skær (« cheval des tins ») désigne quant à elle le navire lui-même : le féminin skorða signifie « étai de soutien [du navire en construction16] » en désignant l’ensemble des « accores » ou des « tins » ; les Njǫrðungar d’un tel navire sont les membres de l’équipage et, partant, les hommes.17 Il s’agit manifestement d’une kenning d’un type habituel pour désigner les hommes en général,18 plutôt que les navigateurs en particulier.19 C’est néanmoins en se fondant sur cette acception précise que l’hypothèse a été avancée selon laquelle, en choisissant (ou en forgeant lui-même) la présente kenning, le scalde aurait visé ses compatriotes qui, après avoir traversé la mer, seraient entrés au service du roi Óláfr Haraldsson,20 en sorte que la participation des Islandais à la bataille de Stiklestad aurait été « relativement importante ».21En dépit de l’ingéniosité de plusieurs des arguments développés en ce sens,22 il ne fait guère de doute que l’expression doit désigner de préférence les hommes considérés dans leur ensemble, tant il est vrai que l’évocation par le scalde des effets d’un phénomène astronomique doit avoir une portée générale plutôt que

13 Finnur Jónsson 1931, 429. 14 Falk 1928, 319–321 ; Finnur Jónsson 1931,  429 ; Ásgeir Blöndal Magnússon 1989, 671, s.  v. -njǫrðung(u)r. 15 Edda Snorra Sturlusonar, Jón Sigurðsson 1852, 497 ; Edda Snorra Sturlusonar, Finnur Jónsson 1924, 105. 16 Fritzner 3, 1896, 369–370 ; Falk 1912, 30–31 ; Finnur Jónsson 1931, 511. 17 Heimskringla, Finnur Jónsson, 1901, 169 ; Finnur Jónsson 1931,  517 ; Kock/Meissner 1931b, 160 ; Heimskringla, Bjarni Aðalbjarnarson, 1945, 383 ; Erfidrápa Óláfs helga, Jesch 2012, 682. 18 Kock 1925, § 662. 19 von Friesen (1924, 5) traduit cette kenning par sjömännen, cf. son commentaire pp. 7–8, avec la glose sjömän, sjökrigare. 20 Barði Guðmundsson 1952, 154–157. 21 Ibid. 154 : en forholdsvis stor deltagelse av islendinger i slaget. 22 Ibid. 154–157, mais il est pour le moins incertain que la description donnée par Adam de Brême (Gesta Hammaburgensis ecclesiae Pontificum, II, lxi, Schmeidler 1917, 121, cf. éd. Trillmich 1961, 300) des forces du roi Óláfr Haraldsson à son retour d’exil fasse réellement mention d’Islandais (comme le voulait Barði Guðmundsson 1952, 156) : l’ensemble des manuscrits présentent ici la leçon de … populis insularum, qui paraît beaucoup plus acceptable que la leçon du seul manuscrit A1 : de … populis islanorum, cf. Tore Nyberg 1984, 327.



‘Drjúg varð á því dœgri konungs furða.’ 

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s’appliquer à un seul groupe de guerriers au sein de l’un des deux camps en présence sur le champ de bataille.23 * Disposée autour de cette remarquable kenning, la première partie de la strophe nous apprend que, lors même qu’il était « serein (skýlauss, littéralement : sans nuages) », qu’il brillait dans un ciel dégagé, l’astre solaire (rǫðull) ne put réchauffer (hlýja) les « hommes (skæ-Njǫrðungar skorðu) », et que cela fut considéré comme n’étant pas une « mince merveille (undr eigi smátt, littéralement : non petite) » ; il s’agit naturellement d’une litote pour exprimer le fait que l’on estima qu’il s’agissait là d’un grand prodige. Dans la seconde partie de la strophe, au vers 6, Sigvatr déclare que « belle couleur, le jour n’obtint pas (dagr náðit lit fǫgrum) », en employant à nouveau une litote afin de mettre en valeur l’obscurité qui se fit au cours de la bataille. Le scalde considère que ce fut un « puissant présage (drjúg furða) » qui se manifesta pour le roi « ce jour-là (á því dœgri) ». Et son propos s’achève sur cette phrase : Frák atburð orrostu austan, dans laquelle l’adverbe austan peut être interprété de plusieurs manières, en signifiant : a) « de l’Est », « en provenance de l’Est », en accord avec la signification obvie de cette forme adverbiale, ce qui pourrait laisser penser que Sigvatr se serait trouvé en Europe occidentale lorsqu’il apprit la nouvelle de l’événement ;24 b) « à l’Est », l’adverbe austan étant pris ici au sens de la locution adverbiale fyrir austan, et l’expression pourrait désigner l’Europe orientale, mais aussi la mer Baltique ou la Suède, et elle s’expliquerait par le fait que le scalde avait entrepris dans les années 1029–1030 des voyages en direction du Sud et de l’Est ;25 c) « à l’Est », entendons : « en Norvège », austan équivalant ici à austr, comme le proposait Finnur Jónsson,26 en accord avec les emplois proprement islandais de cet adverbe et des composés auxquels il a donné naissance (par exemple l’appellatif austmaðr, qui désigne notamment un Norvégien27), et aussi d’un emploi semblable dans une autre strophe de Sigvatr.28 Dans cette dernière hypothèse, que nous retenons de préférence, le scalde aura déclaré que ce fut la bataille elle-même qui se déroula « à l’Est », « en Norvège29 », l’adverbe se rapportant ici au mot orrosta (ou au syntagme nominal atburðr orrostu, voir ci-dessous), mais on ne peut exclure l’interprétation concurrente : l’adverbe

23 On observera que, dans sa première étude sur le sujet (Barði Guðmundsson 1937, 108), le même auteur rendait cette kenning par le mot hermenn (guerriers), sans autre commentaire. 24 Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, 383 ; Turville-Petre 1976, 85. 25 Kock 1925, § 662 B. 26 Dans Heimskringla 4, Finnur Jónsson 1901, 169 ; Finnur Jónsson 1912 B/I, 242. 27 Ordbog over det norrøne prosasprog, I, 1995, s.  v. austmaðr. 28 Erfidrápa Óláfs helga, Judith Jesch 2012, 683. 29 Finnur Jónsson 1912, B/I, 242, qui traduit par : kampen i østen (Norge).

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austan se rapporterait plutôt à la forme verbale frák (« j’appris / j’ai appris »), et le scalde indiquerait alors que ce fut « de l’Est30 », « de Norvège », qu’il reçut la nouvelle de cet événement, et ce quel que fût le lieu où il s’était trouvé à ce moment-là. Si l’adverbe austan est équivoque, la signification des autres termes de la dernière phrase de cette strophe ne fait pas difficulté, et cependant l’un d’entre eux – le sub­ stantif atburðr – a souvent été traduit de manière fautive ou à tout le moins trop libre, comme le montrent ces quelques exemples : « I öster sporde / jag, hur drabbningen gått till31 », « of the battle / I heard news from parts eastern32 », « I have heard the course of the battle from the east33 ». Objet direct du verbe fregna, qui est employé ici sous l’acception « apprendre », le masculin atburðr signifie d’abord « événement, incident34 », en accord avec sa formation sur le verbe bera(sk) at.35C’est indéniablement sous cette acception que Snorri Sturluson l’a entendu, comme le montre le passage en prose qui suit la citation de la présente strophe au chapitre ccxxvii de l’Óláfs saga ins helga : l’auteur y décrit les conséquences d’ordre pratique qu’aurait eues sur le déroulement du combat la tombée soudaine de l’obscurité peu après le début de la bataille de Stiklestad36 : Váru þessir atburðir margir jafnsnimma eða sumir litlu fyrr eða síðar37. Il en résulte que la phrase Frák atburð orrostu doit être traduite au mieux par : « J’ai appris l’événement de la bataille […] » (sous-entendu : « l’événement [qui survint au cours] de la bataille »), comme le proposait déjà Finnur Jónsson.38 Par « événement de la bataille (atburðr orrostu) », Sigvatr entend manifestement le phénomène naturel qu’il s’est attaché à décrire dans la présente strophe – l’éclipse solaire39 –, si bien que cette déclaration constitue un témoignage d’une importance capitale : selon le scalde islandais, qui se fonde sur les informations qu’il a dû recueillir au retour d’un pèlerinage à Rome, ce fut bel et bien au cours de la bataille de Stikle­ stad que l’obscurité tomba subitement, et non pas à un moment ultérieur, un autre 30 Heimskringla 4, Finnur Jónsson 1901, 169 : østfra. 31 Kock 1925, § 662. 32 Heimskringla 2, Finlay 2014, 256. 33 Turville-Petre 1976, 85. 34 Ordbog over det norrøne prosasprog, I, 1995, s.  v. atburðr, sens 1 : hændelse, begivenhed (ofte uventet voldsom begivenhed, ulykke) ‖ occurrence, event (often an unexpected violent event, accident), voir aussi le sens 2 : (spec. om overnaturlig begivenhed ‖ spec. of a supernatural event). 35 Finnur Jónsson 1931, 20. 36 Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, 383, cf. Saga Óláfs konungs hins helga, éd. Johnsen et Jón Helgason, 573 (chapitre ccxxv). 37 Voir aussi le début du chapitre ccxv (Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, 369) au sujet de l’arrivée d’un champion du nom d’Arnljótr gellini qui voulait se joindre aux forces d’Óláfr Haraldsson. 38 Heimskringla 4, Finnur Jónsson 1901, 169 : « jeg har hørt om denne tildragelse under kampen […] », cf. Finnur Jónsson 1912, B/I, 242. Voir aussi la traduction de Judith Jesch (Erfidrápa Óláfs helga) 2012, 682) : « I heard of the event at the battle […]. » 39 Ce point est bien marqué par Barði Guðmundsson 1952, 108 ; Id. 1952, 152 ; voir aussi Bjarni Aðalbjarnarson, « Formáli », dans Heimskringla 2, 1945, xciv.



‘Drjúg varð á því dœgri konungs furða.’ 

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jour, qui serait différent de celui de la mort d’Óláfr Haraldsson, comme l’envisageaient plusieurs exégètes qui voulaient dissocier les deux événements.40 * Revenons à présent sur la description de l’éclipse elle-même : au sein de chacune des deux parties de la strophe, Sigvatr met en évidence – comme dans un diptyque – l’une des caractéristiques principales du phénomène astronomique : d’un côté la chute de la température, de l’autre l’absence de clarté.41 Cette mise en parallèle, à la fois sobre et objective, des deux aspects essentiels d’une éclipse solaire est rehaussée par la place que le scalde a choisie pour chacun des deux termes qui lui servent à caractériser la tombée de l’obscurité le jour de la bataille : le neutre undr (merveille, prodige) vient tout au début du premier vers de la première demi-strophe, tandis que le dernier vers de la seconde demi-strophe s’achève sur le féminin furða. Avec le premier d’entre eux, le scalde se fait l’écho de l’opinion générale qui prévalut au sujet de l’événement : Undr láta þat ýtar (« les hommes déclarent… ») eigi smátt, tandis qu’avec le second Sigvatr livre manifestement sa propre interprétation de ce phénomène, qu’il relie au destin même de son ami le roi Óláfr Haraldsson : Drjúg varð á því dœgri … konungs furða. Placé qu’il est à la chute de la strophe, en formant un couple avec le mot undr, le substantif furða revêt dès lors une importance d’autant plus grande qu’il paraît exprimer le sentiment profond du scalde sur la signification qu’il accorda à cette merveille ou à ce prodige (undr). Mais quelle est ici l’acception du mot furða? Et que faut-il entendre par l’expression konungs furða? D’usage courant en vieux norrois pour désigner l’étonnement, la surprise, la stupéfaction voire la stupeur,42 le féminin furða signifie d’abord « présage, signe (annonciateur) », en accord avec son étymologie probable : *for-, *fur-riðōn (« qui chevauche en avant, qui va en avant43 »), et c’est certainement ce sens qu’il convient de retenir ici, de préférence à des acceptions telles que Schrecknis (Maurer 1856, 535), under (Koht 1924, 37) ou mirakel (Kock 1925, § 662).

40 Par exemple Landmark 1931a, 13 ; Id., 1931b, 110 ; Liestøl 1932, 17, cf. Id. 1941, 76. 41 Barði Guðmundsson 1937, 108–109 ;  Id. 1952,  152–153 ; Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, « Formáli », xcii. 42 Voir p.ex. Fritzner 1886, I, 505, s.  v. ; on sait que, sous la forme du cas oblique furðu, ce mot est volontiers placé devant un adjectif ou un adverbe pour marquer l’intensité voire la démesure, tournure que l’islandais moderne a conservée, cf. Sigfús Blöndal 1920–1924, 229, s.  v. ; Mörður Árnason et al. 2000, 404, s.  v. – Exceptionnellement il a servi à former des substantifs composés, p.ex. furðuhǫgg (dans la Karlamagnús saga, cf. Ordbog over det norrøne prosasprog, s.  v. [= onp.ku.dk]) et les énigmatiques Furðustrandir sur le littoral de l’Amérique du Nord, cf. Perkins 1976, 51–98. 43 Torp 1909, xl (repris dans Id. 1974, 15) ; Id. 1919, 140 ; Finnur Jónsson 1931, 159 ; Jan de Vries 1962, 147 ; Ásgeir Blöndal Magnússon 1989, 217.

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La notion de « présage », de « signe (annonciateur) », sur laquelle reposent à juste titre nombre de traductions des vers de Sigvatr,44 demande cependant à être précisée, à la lumière de deux épisodes des Íslendingasögur dans lesquels les mots undr et furða forment un couple, comme dans la présente strophe.45 Le premier d’entre eux est relaté au chapitre li de l’Eyrbyggja saga : un jour d’automne, par un beau temps sec, toute la maisonnée du domaine de Fróðá (sur la côte Nord de la péninsule de Snæfellsnes) était occupée aux travaux de la fenaison lorsqu’une panne de nuages noirs surgit subitement dans un ciel serein et se dirigea rapidement vers Fróðá : lorsque ces nuages passèrent au-dessus de la ferme, une obscurité totale se fit et il plut d’abondance, si bien que tout le foin qui n’avait pas encore été ratissé fut détrempé. Quand le ciel s’éclaircit à nouveau, on constata que c’était une pluie de sang qui était tombée. Interrogée sur la signification de ce prodige (undr) et sur ce qu’il annonçait,46 une femme du nom de Þórgunna répondit tout d’abord qu’elle ne le savait pas, puis elle ajouta47 : « …en þat þykkir mér líkligast […], at þetta muni furða nǫkkurs þess manns, er hér er. »

Soit dans une traduction littérale : « …mais il me semble que le plus vraisemblable est […] que cela doit être le présage de la mort de quelqu’un qui se trouve ici. »

De fait, l’un des membres de la maisonnée – Þórgunna en personne – tomba aussitôt malade, dut s’aliter et mourut peu de temps après. Dans la logique du récit, la mort de cette femme paraît être la conséquence directe de la « pluie de sang48 », mais l’interprétation qu’elle avait elle-même donnée du prodige n’en éclaire pas moins la valeur du mot furða d’une manière décisive : suivi d’un génitif d’objet, il prend l’acception particulière todesankündigung,49 feigðarboði,50 soit : « présage de mort », « annonce d’une mort (imminente) ».

44 Voir p.ex. Jón Ólafsson (frá Svefneyjum), dans Schøning, II, 1778, 368 : Tegn ; Sveinbjörn Egilsson, dans Historia regis Olavi Sancti, II, 1833, 85 : portentum ; Finnur Jónsson 1912, B/I, 242 : jærtegn ; Erfidrápa Óláfs helga, Jesch 2012, 682 : portent. 45 Cf. Turville-Petre 1976, 85. 46 Eyrbyggja saga, Einar Ól. Sveinsson, 1935, 140 : Þóroddr spurði, hvat Þórgunna ætlar, at undr þetta muni benda (au lieu du verbe benda, « indiquer, montrer », le manuscrit sur parchemin AM 162 E fol et, avec lui, trois autres manuscrits ([cf. Eyrbyggja saga, Scott, 2003, 238–239] présentent la leçon fyrirboða, « annoncer, présager, augurer », qui est plus explicite encore). 47 Eyrbyggja saga, Einar Ól. Sveinsson 1935, 140, cf. Eyrbyggja saga, Scott, 2003, 239, avec la leçon furða nǫkkurs manns þess, er hér er viðriðinn (« le présage de la mort de quelqu’un qui est ici concerné/ impliqué »). 48 Cf. Kjartan G. Ottósson 1983, 62. 49 Gering, dans l’annotation de son édition de l’Eyrbyggja saga, 1897, 185 50 Einar Ól. Sveinsson, dans l’annotation de son édition de l’Eyrbyggja saga, 1935, 140.



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C’est la même acception du mot furða que l’on relève également dans un curieux passage de la Heiðarvíga saga : au chapitre xxvi, l’auteur relate que, mécontent de la nourriture qui lui était présentée de bon matin, un homme du nom de Þorbjǫrn s’en prit violemment à la maîtresse de maison qui venait de le servir à table, en déclarant que ce plat ne contenait que du sang. Dans la réplique qu’elle adressa à Þorbjǫrn, la femme lui fit comprendre qu’il avait été victime d’une illusion des sens, mais que ce prodige (undr) signifiait qu’il séjournerait « bientôt dans le séjour des morts (brátt í helju) », avant d’ajouter51 : « et cela doit certainement être l’annonce de ta mort prochaine (þín furða) ». De fait, Þorbjǫrn périt au cours d’une bataille qui se déroula un peu plus tard et qui a donné son nom à cette œuvre islandaise du tout début du xiiie siècle.52 Employé avec un pronom possessif (comme dans ce dernier exemple) ou avec un génitif d’objet (comme dans l’Eyrbyggja saga), le mot furða doit non seulement posséder la signification de base « présage », « omen », mais désigner plus précisément le fait qu’un personnage était considéré comme feigr, c’est-à-dire « marqué par la mort », « voué à une mort prochaine53 ». Aussi l’acception spécifique « annonce d’une mort imminente » a-t-elle été légitimement retenue par plusieurs lexicographes54 de même que par les principaux éditeurs des poèmes scaldiques55 ou de la Heimskringla56. Comme le montre le parallélisme avec la déclaration attribuée à Þórgunna dans l’Eyrbyggja saga, le syntagme konungs furða, qui constitue la magnifique chute de la strophe de Sigvatr, ne peut pas être traduit par kongs-under57, ni par konunga­miraklet58

51 Heiðarvíga saga, Sigurður Nordal/Guðni Jónsson, 1956, 289. 52 Elle est relatée au chapitre xxx, éd. cit., pp. 301 sq. 53 Si la lecture du vers 3 de la strophe xxviii des Atlamál in grœnlenzku ne faisait pas difficulté, ce serait vraisemblablement cette acception qui devrait être retenue ici, mais l’on sait que le Codex regius des poèmes eddiques présente à cet endroit une graphie ambivalente : elle peut s’interpréter soit par le substantif fǫr suivi de l’adverbe þó (cf. Eddukvæði 2, Jónas Kristjánsson/Vésteinn Ólason 2014, 387) soit par le cas oblique du mot furða, comme cela a été proposé avec de bons arguments par Hjelmqvist 1894, 107–112), suivi notamment par Gering/Sijmons, Kommentar zu den Liedern der Edda 1931, 376 ; The Poetic Edda, Ursula Dronke 1969, 122 ; Kommentar zu den Liedern der Edda, Klaus von See et al. 2012, 490–491. 54 Erik Jonsson 1863, 154, s.  v. furða : « 1) Tegn, Varsel.  – Spec. Varsel for ens nærforestaaende Död […]. » ; Fritzner 1886, I, 505, s.  v., sens 2 : « Varsel, Forbud om en tilkommende Begivenhed, lat. portentum, omen ; […] ogsaa om ens (e-s) Død […] » ; Christopher Sanders dans Ordbog over det norrøne prosasprog, s.  v. furða [= onp.ku.dk], sens 1 : « [e-rs] [e-s / fyrir e-u] [e-m] omen (esp. of sby’s imminent death) ». 55 Notamment Konráð Gíslason 1892, 185, qui renvoie à Fritzner 1886, s.  v. furða, sens 2 (voir ci-dessus) ; Turville-Petre 1976, 85 : « Great was the portent of the King’s death […]. » 56 Par exemple Finnur Jónsson 1901, 169 : « det jærtegn, som angik kongen (dødsvarslet) » ; Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, 383, dans l’annotation : « furða : feigðarboði ». 57 Koht 1924, 37. 58 Kock 1925, § 662.

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ou that miracle of the king59 : nous ne sommes pas ici en présence d’un génitif subjectif qui indiquerait que l’action aurait été accomplie par la personne désignée, mais d’un génitif objectif60 : l’action (ici : le présage de mort) a pour objet la personne dont il est question, en l’occurrence le roi. Il en résulte que le scalde considéra manifestement que l’éclipse solaire avait été en elle-même un signe annonciateur de l’événement capital qui survint au cours de la bataille de Stiklestad : la mort du roi Óláfr Haraldsson. L’interprétation de ce phénomène astronomique par Sigvatr procède ainsi de la croyance aux présages, conviction qui était profondément ancrée dans les mentalités scandinaves, comme en porte amplement témoignage la littérature norroise61. * En conclusion, soulignons que la strophe de Sigvatr est dépourvue de toute connotation d’ordre hagiographique, de tout rapprochement explicite ou implicite avec la venue des ténèbres au moment de la Crucifixion62, en sorte qu’il paraît improbable que le scalde ait pu être abusé par un récit fallacieux que des clercs auraient construit au sujet du dernier combat d’Óláfr Haraldsson.63 Dans sa sobriété, dans son réalisme, dans son absence d’analogie avec la Passio du Christ, la description par Sigvatr de l’éclipse solaire lors de la bataille de Stiklestad tranche fortement sur l’évocation qu’en donna Einarr Skúlason quelque cent vingt ans plus tard. Lorsqu’il célébra le roi saint Olaf dans le poème Geisli, qu’il récita au sein de la cathédrale de Nidaros, vraisemblablement en 1153, le jour même de la célébration de la Saint-Olaf,64 ce scalde islandais, qui était de formation cléricale, démarqua son prédécesseur en rappelant les circonstances de la fin du roi de Nor-

59 Geisli, Chase 2005, 140. 60 Cf. Heimskringla, Finnur Jónsson 1901,  169 ; sur la distinction genitivus subjectivus et genitivus objectivus en vieux norrois, voir notamment Nygaard 1905, §§  124–125 (130–133) ; Faarlund 2004, 59–67. 61 Voir notamment Gehl 1939, 47 sq. et 157 sq. 62 Comme l’avait bien observé Barði Guðmundsson 1937, 110–111 ; Id. 1952, 153. 63 Comme l’envisageait Finnur Jónsson, Heimskringla, 1901, 169 : « det er noget, de gjestlige har lavet og som Sigvatr har trot ». Mais le seul argument avancé à l’appui de cette assertion n’est pas recevable : le fait que Sigvatr déclara expressément qu’il tenait d’autrui sa connaissance des événements n’implique en aucune manière que ce fut auprès d’affabulateurs (qu’ils aient été clercs ou non) que le scalde apprit la tombée subite de l’obscurité lors de la bataille de Stiklestad. La déclaration frák (« j’appris / j’ai appris ») est relevée dans nombre de strophes du même scalde, que ce soit dans l’Erfidrápa Óláfs helga (strophes vii, xii, xviii) ou dans d’autres œuvres, et c’est là un trait narratif très fréquent chez les scaldes (voir p.ex. Clover 1978, 64). 64 Cf. Geisli, Chase 2005, 9–10 ; Id. 2007, 5–6.



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vège.65 À la strophe xix de ce poème66, Einarr reprit plusieurs termes que Sigvatr avait employés au sujet de l’éclipse solaire (en particulier le mot poétique rǫðull et la forme verbale náðit), mais il en fit non seulement un événement concomitant de la mort d’Óláfr, qu’il rapprocha ainsi de celle du Christ (v.isl. dauði harra hauðrtjalda), mais une manifestation des signes de Dieu (grundar salvǫrðr sýndi sín tǫ´kn). Si ces deux innovations importantes influencèrent fortement le récit de la mort d’Óláfr Haraldsson par l’auteur de l’Histoire légendaire,67 force est de constater que Snorri Sturluson ne les reprit pas à son compte lorsqu’il composa l’Óláfs saga ins helga : fondée principalement sur l’Erfidrápa Óláfs helga, sa relation de la bataille de Stiklestad n’est pas marquée au sceau de l’hagiographie de saint Olaf, et la description que l’historien islandais nous a laissée de l’éclipse solaire procède  – pour l’essentiel – de la strophe de Sigvatr Þórðarson.68

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65 Einarr fait explicitement référence à Sigvatr (ainsi qu’Óttarr svarti) à la strophe xii du même poème (édition Chase, 2005, 62, cf. Id. 2007, 17). 66 Geisli 2005, 69, cf. Id. 2007, 22: Náðit bjartr, þás beiðir / baugskjalda lauk aldri / – sýndi salvǫrðr grundar / sín tǫ´kn – rǫðull skína. / Fyrr vas hitt, at harra / hauðrtjalda brá dauða / happ- (nýtask mér) – mætu / (máltól) skini sólar. Soit dans la traduction anglaise proposée par l’éditeur (2005, 69) : The bright sun was not permitted to shine then, when the desirer of the ring-shield lost his life ; the guardian of the hall of earth showed his signs. It was previously that the blessing-rich shining of the sun ceased at the death of the king of earth’s roof ; speech-tools are of use to me. 67 Chap. lxxxii, éd. Heinrichs et al., 1982, 196. 68 Voir nos Études sur l’Óláfs saga ins helga de Snorri Sturluson (en cours d’édition), dans lesquelles cette question est abordée de manière plus détaillée, avec en particulier un développement sur la durée de l’éclipse solaire le jour de la bataille.

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Matthias Egeler

The Medialization of the Supernatural in the Toponymy of the Book of Settlements Abstract: Next to extended narratives as they are presented by Eddic literature, the Sagas of Icelanders, or lives of saints, one of the most important media reflecting medieval Icelandic conceptualizations of and attitudes to the supernatural is the Icelandic landscape, and here especially the toponymy, which forms a core element of the ascription of meaning to this landscape. Drawing on the corpus of placenames brought together in the Hauksbók-recension of the Book of Settlements, the article explores an approach to the supernatural in medieval Icelandic culture that differs from previous scholarship by choosing a perspective covering a wider spectrum of the religious cosmos of early Iceland than it had traditionally stood in the centre of research on sacred placenames: it looks beyond questions of pagan cult and the great gods of the North to include the mythological cosmos as a whole, inclusive of beings like giants and trolls and, furthermore, it places its focus not specifically on Old Norse paganism, but rather on the interweaving of pagan and Christian elements in Icelandic sacral toponymy. Thus, in short, it attempts to explore not pre-Christian paganism, but the supernatural in Icelandic toponymy, approaching a holistic picture of the supernatural cosmos of medieval Iceland as it is presented to us in the Book of Settlements.

The present essay will explore the possibility of approaching the supernatural in Old Norse culture through the medium of landscape. In doing so, it will focus on placenames with supernatural referents and, particularly, on the intermingling and entanglement of pagan and Christian motifs within this corpus. This exploration, it should be emphasized, is very much a first and somewhat experimental attempt, more intended to test the viability of the proposed approach than to offer definitive conclusions. As such, it will also restrict itself to a very small selection from the toponymic corpus, the placenames of the Hauksbók-recension of Landnámabók, the ‘Book of Settlements’ (in the following quoted as H + chapter). I do have some hope, however, that this exploration will venture into territory that might, in the end, open up some new and unconventional perspectives on the supernatural in the Norse culture of the Middle Ages. For the present purpose, I will use the term ‘supernatural’ as a generic term that equally covers pagan and Christian motifs and that encompasses both matters of cult and narrative themes. Approaching the supernatural within the framework of a philological discipline, it goes without saying that traditionally what has stood in the centre of research have normally been its reflexes in the great works of literature: in the lives

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of saints, in the Sagas of Icelanders, or in the stories about the Norse gods collected in the poems of the Poetic Edda and in Snorri Sturluson’s Prose-Edda. Such literary texts present us with extensive narratives about the supernatural and thus constitute the single most important type of source for the supernatural and the conceptualizations of and attitudes towards it in Old Norse culture. Literary texts, however, are not the only medium through which we can glimpse Old Norse engagements with the supernatural. Another one is iconography: monuments like the picture stones of Gotland or the sculpted crosses of Northumbria and the Isle of Man carry narratives of the supernatural, of gods, heroes, and all manner of fantastic beings, out of the scribe’s chamber into the open space of the landscape.1 Furthermore, even this landscape itself carries such narratives and, by doing so, meaning and significance. For ‘landscape’, in the sense in which the term is used by current writers such as Robert Macfarlane (2008), Simon Schama (1996), Tim Robinson (1994), or Christopher Tilley (1994), is more than just ‘natural’ space or mere topography – an insight that in recent years has also increasingly been taken up in research on Old Norse religious history (e.  g. Brink/Nordeide 2013; Brink 2001; Vikstrand 2001, esp. 17–20). In the sense in which the term ‘landscape’ is used in landscape-theoretical writing of the last decades, it designates “not just the terrain but also the human perspectives on it, the land plus its overburden of meanings” (Robinson 1994, 162). Landscape, understood in this way, is first and foremost (in the words of Simon Schama) a “work of the mind” that is “built up as much from strata of memory as from layers of rock” (1996, 7): when we look at a landscape, or when we look at a representation of a landscape or read a literary account of it, what we are engaging with is not primarily something ‘natural’, but rather a space that is charged with a wide range of associations that exist in the mind of the viewer long before the act of viewing and deeply, fundamentally colour the viewer’s perception of what they see.2 The Book of Settlements is a treasure-trove of examples. When Þórólfr Beard-of-Mostr takes land on Þórsnes Peninsula and for the first time sees the prominent outcrop of Helgafell, the most eye-catching rock formation on the peninsula, he immediately recognizes it as a ‘holy mountain’ (Helga-fell) into which he and his relatives will go after their deaths (H73): the gaze of the viewer does not merely see the bare rock that ‘is really there’ but rather what he ‘knows’ to be there on the basis of his cultural and religious background, and thus he recognizes a mere rock outcrop to be a place of the supernatural, a manifestation of the otherworld of the dead in this world. Similarly, when Þorsteinn Rednosed makes sacrifices to the waterfall at Fors (H313), his identification of this waterfall as a sacred site has

1 On the picture stones of Gotland cf., for instance, Karnell 2012; Nylén/Lamm 2003; Lindqvist 1941/42; on the sculptural monuments from northern England cf. CASSS; Kopár 2012; Bailey 1980; on the Manx Crosses cf. Margeson 1983; Kermode 1907. 2 On the importance of associations for the cultural construction of landscapes cf. Egeler 2016b, 3, 5  f., 8  f., 22.



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its basis in a pre-existing Norse religious convention according to which waterfalls could be viewed as holy places – as illustrated by the Swedish theophoric toponyms Odensfors, ‘Odin’s Waterfall’, and Ullfors, ‘Ullr’s Waterfall’ (cf. Egeler 2016a, 280–283; Brink 2007, 113, 129 [nos. 2, 23], 134 [no. 9]). In both these cases – Þórólfr’s Holy Mountain and Þorsteinn’s sacred waterfall –, features of the natural landscape are not primarily perceived as the formations of rock and water that they are, but, drawing on encultured patterns of an Old Norse religious worldview, they are viewed as entities transcending the natural world into the realm of the supernatural. Thus, what is seen by the contemporary observer is not so much the natural topography, but rather the cultural construct of the landscape: the landscape as a work of the mind, where physical features and cultural semantics are inseparably intertwined. This intertwining of physical topography and cultural meaning brings about that physical topography is charged with significance. Yet this is not a unidirectional process, but one which acts in two directions: topography is charged with meaning (and thus it is transformed from mere nature into a culturally constructed ‘landscape’), but by being charged with such meaning, it also – to quote W. J. T. Mitchell – becomes a “physical and multisensory medium […] in which cultural meanings and values are encoded” (2002, 14). As a medium, it acts as a conveyor of cultural significance: the observer of a place does not merely see (feel, smell, walk) its natural topography, but the act of observing also turns the observer into a recipient of the ‘message’ conveyed by the specific cultural connotations of a place. In this way, Þórólfr’s Holy Mountain and Þorsteinn’s waterfall serve as constant reminders of a whole complex of ideas about the world, the otherworld, and the powers that act between the two; and in doing so, they make a significant contribution towards naturalizing these ideas. There is a broad range of strategies of how landscape can be turned into and act as a medium encoded with meanings and values. Buildings can be constructed and proclaim a message: a little chapel by a farm or the steeple of a church proclaim that the observer is seeing Christian territory – here belongs, for instance, the church built by Ørlygr Hrappsson in ch. H15 of the Book of Settlements. The ruins of a building may be connected with narratives about their former inhabitants: in H303, the Book of Settlements points to the large ruins of a house once inhabited by Ketill Salmon and his most famous son. Monuments can be erected to commemorate persons and, by implication, their deeds, as is the case with the grave mounds of which the Book of Settlements repeatedly points out that they can still be seen in the landscape, such as the mounds of the men fallen in the fight between Þórarinn Angle and Steinólfr the Short in H92. One of the most prominent, and characteristically Icelandic, strategies of semanticizing the landscape, however, is the use of semantically clear toponyms. To name a place is to give it an individual identity, opening up the possibility of associating it with narratives that give it significance and meaning (Tilley 1994, 18). For it is only the name that allows the place to become part of speech and thus to become part of a narrative, acting, as it does, as the connection between language and

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the physical world: “Placenames are the interlock of landscape and language” (Robinson 1994, 155, cf. ibidem 163 and Vikstrand 2001, 18–20 with fig. 1:1; Vikstrand 2002, 121  f. with fig. 1). In Iceland the near-exclusive prevalence of semantically clear place­ names greatly encourages this aspect of toponymy. An Icelandic placename is not just a designation of a location, it does not merely refer to degrees of longitude and latitude, but it makes a statement about a place (cf. Robinson 1994, 156). Thus, Krist­ nes, ‘Christ-Peninsula’, is not just a location in northern Iceland, but over and above defining a location the name also evokes that the place is a Christian place filled with trust in the Christian saviour; Helgafell is not just a rock outcrop that happens to be located roughly in the centre of Þórsnes, but it is the ‘Holy Mountain’; Þórsmǫrk is not just a valley in southern Iceland, but it is the ‘Forest of Thor’. Being semantically clear, Icelandic toponyms convey associations that imbue the thus-named places with meaning. Importantly, that placenames semanticize places is not just a modern interpretation: it is made virtually explicit in Icelandic literature itself. One instance of this is provided by the account of where Ketill the Foolish claimed land (H280): Cetill hinn filfski […] hann for til Islandz af Svðreyivm ok var vel kristinn. Ketill bio i Kirkív bœ. þar hofðv aðr setið Papar ok eigi mattv þar heiðnir menn bva. Ketill the Foolish […], he went to Iceland from the Hebrides and was a good Christian. […] Ketill lived at Kirkjubœr (‘Church-Farm’). Before, Irish monks (papar) had sat there, and pagan men could not live there.

In this narrative, the placename Kirkjubœr, ‘Church-Farm’, is explicitly given an association with the Irish monks that were thought to have been the first human beings to have discovered Iceland, and furthermore it is connected with a story according to which this place was so deeply Christian that a pagan would not have been able to live there – which later is confirmed when the pagan Hildir tries to move to Kirkjubœr, but drops dead at the fence of the home-field (H283). The narrative complex formed by the placename Kirkjubœr and the stories associated with it illustrates that semantically Christian placenames were indeed connected with a concrete Christian religious significance, i.  e.: the meanings of placenames did indeed colour the meaning of their places. In this way, by conveying connotations (religious or otherwise) to their places, Icelandic toponyms fundamentally contribute to filling the Icelandic landscape with cultural and religious significance: named places, already by force of their name, evoke associations, connotations, and even whole narratives. In fact, their names are narratives in (if extreme) miniature.3

3 Helgesson, correspondingly, even classifies placenames as one of the three main categories of textual sources for the study of Norse ritual and religious history (2015, 159; cf. 165).



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This being so, one wonders what picture would arise if one tried to approach Old Norse-Icelandic attitudes to the supernatural not through the classic medium of literary narratives (Eddas, sagas, lives of saints, etc.) but through Icelandic toponymy. Much valuable work has of course already been done on religion and the supernatural in Old Norse placenames. The main thrust of this research to date has particularly been aimed at studying the reflexes of Old Norse cult in this material, and here much headway has been made.4 The approach I want to explore builds on this line of research, but it differs from it by choosing a somewhat different focus in two respects: first, I will look beyond cult and the great gods of the North to include the mythological cosmos as a whole, inclusive of beings like giants or trolls; and second, I will not focus on the reflexes that have been left specifically by Old Norse paganism, but rather I will pursue the interweaving of pagan and Christian elements in Icelandic sacral toponymy.5 Given the large number of Icelandic toponyms that contain religious and supernatural references, spread across the whole country from Þórsmǫrk in the south to Þórshǫfn in the north of Iceland and from our earliest textual sources up to the present, a complete survey of this material would of course be a truly monumental undertaking. The scope of the present, purely exploratory essay must be more restricted: on the following pages, I will try to develop a few first impressions that arise from reading the toponymy of a single recension of a particular text. The text chosen for this exploration is the Book of Settlements. Other texts could have also been chosen, but this particular text has the alluring trait that, by giving an account of the settlement of the whole of Iceland, it provides us with a cross-section of what a medieval writer, perhaps after long deliberation, thought important of Icelandic placenames.6 The question to be pursued on the following pages will be: what is the overall picture of Icelandic attitudes to the supernatural that is presented to us by the placename evidence collected in this text? Or perhaps better: what is the religious-supernatural cosmos, seen in its totality, that is created by the toponymy of the Book of Settlements? The following discussion will be based on the Hauksbók-recension of the work, as this is the most detailed of the extant medieval recensions of this text.7 Questions of chronology will, unfortunately, have to be left aside: while the Book of Settlements in many cases makes claims about the time at which a particular toponym

4 Cf., for instance, Vikstrand 2016, 2002, 2001, 1999; Brink 2013, 2008, 2007; Særheim 2012. 5 For a survey of some research that, over the last century or so, has to some extent anticipated this approach (yet always remained on the margin of the scholarly discourse), cf. Særheim 2012, 195  f. 6 Cf. also Bandle 1977, 47, who calls the Book of Settlements our most important source for the oldest stratum of Icelandic toponymy. 7 Ed. by Finnur Jónsson 1900, 1–125. The more recent edition by Jakob Benediktsson (1968) is primarily based on the Sturlubók-recension, and its presentation of the H-text partly conflates this text with the S-text, making it impossible to use this edition as the basis of a discussion of specifically the H-recension.

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supposedly was coined, it is virtually impossible to verify such claims, since Icelandic placenames cannot be dated linguistically and since there are no independent sources for them that would predate the great flowering of Icelandic literature from the twelfth century onwards. The chronological problem is similar to the chronological problems we are faced with when dealing, for instance, with the literary mythological tradition of the Poetic and the Prose-Edda: a priori, we have to assume that the extant material reflects a complex stratigraphy grown over a time-span of several centuries and combining very old material, potentially even dating back to the Viking Age, with much later, high medieval innovations as well as everything in between these two extremes. The only truly fixed point in our chronologies is the writing-down of the material in the thirteenth and fourteenth centuries. The rather soft chronological focus that this situation necessitates for any overall interpretation of the supernatural material is regrettable, but cannot be avoided. For the purpose of the following discussion, the only fixed chronological point is the terminus ante quem provided by the Hauksbók-recension, which was composed c. AD 1302–1310. If one, for the present purpose, assumes ‘supernatural toponyms’ to mean ‘toponyms that make reference to any aspect of religion and the supernatural’, then the Book of Settlements mentions supernatural toponyms referring to places in Iceland in some fifty of its 356 chapters.8 Thus, supernatural placenames – even broadly understood  – form the minority of toponyms; the vast majority of Icelandic placenames make reference either to persons (Náttfaravík, ‘Náttfari’s Bay’) or are topographically descriptive (Húsavík, ‘Bay of Houses’; Jǫkulsá, ‘Glacier-River’). The majority of the religious and supernatural placenames is, broadly speaking, pagan in character: pagan toponyms appear in some 37 chapters. The relevant instances in the Hauksbók-recension are:

8 Here left aside are toponyms referring to places outside of Iceland as well as names of places where supernatural occurrences take place but where the toponym itself does not directly make reference to these happenings. Also not individually counted are places named from burial sites and instances of supernatural toponyms used merely as distinguishers of persons, such as it is the case in the name of ‘Hof-Kolli’ (‘Temple-Kolli’) or in the repeated recurrences of ‘Eiríkr in/of Goðdalir’, the ‘Valleys of the Gods’ (chs. 151, 162, 232, 354; furthermore cf. the ‘daughter of Þorkell from Guðdalir Valleys’, dottvr Þorkels or Gvðdolvm, in ch. 178). Functionally, in these instances the Goðdalir are used as a nickname and thus appear to have little or no geographical force. On the semantics of the toponym cf. below, n. 10.



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29: Hofstaðir (‘Temple-Steads’) 49: Þursstaðir (‘Giant’s Steads’) 58: Hǫrgsholt (‘Altar-Forest’) 61: Hofgarðar (‘Temple-Yards’) 70: Trǫllaháls (‘Ridge of the Trolls’) 71: Trǫllaháls (‘Ridge of the Trolls’) 73: Þórsnes (‘Thor’s Peninsula’), Hofsvágr ­(‘Temple-Bay’), Hofstaðir (‘TempleSteads’), Þórsá (Thor’s River’), Helgafell (‘Holy ­Mountain’) 86: Hofstaðir (‘Temple-Steads’) 124: Gýgjarsporsá (‘River of the Ogress’ Track’) 141: Ægissíða (‘Ægir’s Water-Side’)9 145: Hof (‘Temple’) 147: Hof (‘Temple’), Hofsland (‘Temple-Estate’) 154: Hof (‘Temple’) 155: Hof (‘Temple’) 163: Goðdalir (‘Valleys of the Gods’),10 Hof (‘Temple’) 164: Goðdalir (‘Valleys of the Gods’) 170: Hofstaðir (‘Temple-Steads’) 174: Hof (‘Temple’)

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175: Hof (‘Temple’) 187: Hǫrgárdalr (‘Altar-River-Valley’), Hǫrgárdalsá (‘Altar-River-Valley-River’) 188: Hǫrgá (‘Altar-River’) 189: Hǫrgárdalr (‘Altar-River-Valley’) 190: Hǫrgárdalr (‘Altar-River-Valley’) 192: Hǫrgárdalr (‘Altar-River-Valley’) 202: Lundr (‘Grove’) 230: Hof (‘Temple’) 232: Hofslǫnd (‘Temple-Lands’) 236: Hofsteigr (‘Temple-Meadow’) 266: Hof (‘Temple’) 272: Hofsfell (‘Temple-Mountain’) 273: Hof (‘Temple’) 301: Þórsmǫrk (‘Thor’s Forest’) 302: Ægisdyrr (‘Ægir’s Door’) 303: Hof (‘Temple’) 305: Hof (‘Temple’) 312: Trǫllaskógr (‘Forest of the Trolls’), Hof (‘Temple’) 328: Goðdalir (‘Valleys of the Gods’)

The majority of these toponyms refer to cult buildings: hof, ‘temple’ (i.  e. a rich farm on which cultic celebrations were held?); hǫrgr, ‘altar, temple’.11 The use of Lundr as a

9 Cf. Bandle 1977, 49 for comparative material. Bandle considers the possibility that in this toponym ægir could simply be a common noun denoting the sea, but given the prominence of the mythological person Ægir, it seems unlikely that the toponym would not have been perceived as being connected to the figure of the sea-giant. 10 Linguistically, the toponym Goðdalir appears to be a stem compound of goð, n., ‘pagan gods’, plus the geographical term dalir, ‘valleys’ (Bandle 1977, 56). If this analysis is correct, this formation closely parallels the Goðheimr that is attested in a number of continental Scandinavian placenames (Gudhem, Gudme, etc.), in Egill Skallagrímsson’s Sonatorrek (stanza 21), and (in the plural form Goðheimar) in ch. 9 of Snorri’s Ynglinga saga; in the two latter attestations, this name appears to refer to the abode of Odin and the dead warriors. It should be noted, however, that the interpretation of Goðheimr has not always been uncontroversial; for a detailed discussion and summary of the history of research on this toponym cf. Brink 2011, esp. p. 17 on linguistic aspects. As a caveat, it should also be noted that the pattern of Kristnes (which likewise is a stem compound) and the spelling or Gvðdolvm in H178 suggests the possibility of understanding Goðdalir as a compound containing the Christian term Guð, m., ‘(the Christian) God’, and with a corresponding meaning ‘Valleys of God’. The predominance of the o-spelling in Hauksbók, however, suggests that most Icelanders would probably have understood the name as a primarily pagan one. 11 In detail on these terms as part of toponyms cf. Vikstrand 2001, 207–225, 253–272, 424  f.; 2016, 179; 2002, 132–135. As Per Vikstrand points out in these discussions of the two terms, not all Norse placenames formed with one of these elements necessarily seem to have been sacral toponyms, as both words not only had a religious, but also a topographical meaning (with hof designating an ‘eleva-

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toponym derived from a sacred grove also belongs here, since the eponymous ‘grove’ (lundr) – being a natural place used as a cult site – is the functional equivalent of a temple.12 There is only one deity whose appearance in the corpus of placenames in the Book of Settlements is beyond dispute:13 the god Thor, who is referred to in the three toponyms Þórsnes (‘Thor’s Peninsula’), Þórsá (‘Thor’s River’), and Þórsmǫrk (‘Thor’s Forest’). The comparative frequency of toponyms formed with the name of the god Thor ties in with the huge popularity of personal names formed with Þór-/ Þor-. In addition, this also correlates well with Per Vikstrand’s (2001, 422) observation that also among the theophoric placenames of his study area (the Lake Mälaren region in central Sweden), toponyms formed with the name of this god are the ones that are most common; both factors suggests that the medieval toponymy of the Book of Settlements may to some extent still reflect the actual religious preferences of the Icelanders, and more broadly the Scandinavians, of the late pagan period. Apart from this god, only one other indubitable mythological personal name appears in the toponymic corpus of the Book of Settlements:14 the sea-giant Ægir gives his name to the two places Ægissíða (‘Ægir’s Water-Side’) and Ægisdyrr (‘Ægir’s Door’), the former of which seems to refer to a stretch of shoreline, while the latter is suggestive of a harbour-entrance.15 Here, the zone where the area of human habitation and the sea meet is named after a mythological being of the sea. That Ægir is named side by side with a major god corresponds to the fact that Eddic poetry recurrently describes him as a close associate and frequent host of the gods, and thus as a figure (nearly) on a par with them.16 Here, the literary and the toponymic evidence strikingly agree with each other: in placenames, only mythological beings from the world of the gods appear as individuals. Beyond the world of the gods lead the placenames Þursstaðir (‘Giant’s Steads’), Gýgjarsporsá (‘River of the Ogress’ Track’), Trǫllaskógr (‘Forest of the Trolls’), and Trǫllaháls (‘Ridge of the Trolls’). Of these, the mythological significance of Þursstaðir is insecure in that the narrative of the Book of Settlements explains the name as being derived not from a giant, but from one Þórðr þurs (‘Þórðr Giant’); while this person may be a secondary invention created to explain the toponym rather than its true origin, it has to be noted that in any case, the tradition represented by the Book of

tion, hill’ and hǫrgr indicating ‘stony ground’), and as the number of Icelandic toponyms containing these elements is suspiciously high. However, the usage of both terms in medieval Icelandic literature suggests that in medieval Iceland such placenames would at least have been thought to refer to built structures used in the context of pagan cult practices (cf., for instance, Book of Settlements H268; Vǫluspá st. 7; Hyndluljóð st. 10 [see Edda]). 12 Cf. Egeler 2016a, 289–304; Bandle 1977, 58. On the term ‘natural place’ cf. Bradley 2000. 13 Cf. the appendix to this essay. 14 Cf. the appendix. 15 On Ægisdyrr cf. Kålund 1877–1882, vol. 1, 280. 16 Introductory prose of Lokasenna; Grímnismál 45; Hymiskviða.



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Settlements did not consider the toponym Þursstaðir to be a mythological one. The three remaining toponyms of Gýgjarsporsá, Trǫllaskógr, and Trǫllaháls are as graphic as they are undetermined. In the extant medieval literature, Trǫllaskógr appears only in the Book of Settlements and in Njáls saga. In the latter text, the place as such does not play a noticeable role, though it just might be significant that Trǫllaskógr is the place of origin of the disagreeable character Ǫnundr Kolsson, who takes part in Gunnarr’s killing and personally slays Gunnarr’s hound Sámr (ch. 76).17 In modern-day toponymy, Tröllaskógur appears as the name of an abandoned farm in the Skógshraun,18 roughly in the area where one would expect the Trǫllaskógr of the Book of Settlements. The name Gýgjarsporsá does not seem to be attested elsewhere in the literature and furthermore has fallen out of use in contemporary toponymy; the river probably is today’s Skorará that flows from Lake Skorarvatn and the Drangarjökull glacier into the innermost part of the fjord Hrafnfjörður in the West Fjords. There are, however, possible reflexes of the old name Gýgjarsporsá in the modern folklore of this river: an alternative name of the river is Sporhamarsá, ‘Track-Rock’s River’ (Jakob Benediktsson 1968, 196 n. 6), which refers to the Gýgjarsporshamar rock (‘Rock of the Ogress’ Track’), a mountain spur located above the northern bank of the river and identified as a settlement of elves.19 Trǫllaháls, finally, is attested in modern-day toponymy, but this modern attestation of the placename designates a ridge above the fjord Vatnsfjörður in the West Fjords rather than the place on Snæfellsnes referred to by the toponym in the Book of Settlements; thus, the Trǫllaháls of this work remains restricted to this text. It may be worth highlighting that all these three ‘troll places’ – Trǫllaskógr, Gýgjarsporsá, and Trǫllaháls  – are located at the outer borders of the land-claims in connection with which they are mentioned; this seems very fitting, even though no explicit connection is made between their peripheral location and their association with trolls and ogres. Christian toponyms appear in a significantly smaller number of passages than pagan ones, being attested in a total of some 19 chapters:

17 Cf. Orri Vésteinsson and Sædís Gunnarsdóttir 1999, 212  f. 18 Ferðakort 2013: 21 P 12. 19 On the folklore of Gýgjarsporshamar cf. the Sagnagrunnur database of Icelandic folk legends (, last accessed 26 June 2016).

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1: Papey (‘Papar-Island’), Papýli ­(‘Papar-Abode’)20 15: Patreksfjǫrðr (‘Patrick’s Fjord’) 21: Ásólfsskáli (‘Ásólfr’s Hall’),21 Kirkjubólstaðr (‘Church’s-Farm-Stead’), Kirkjusandr (‘Church’s Sand’) 68: Kirkjufjǫrðr (‘Church-Fjord’) 69: Kirkjufjǫrðr (‘Church-Fjord’) 71: Kirkjufell (‘Church-Mountain’) 184: Kristnes (‘Christ-Peninsula’) 190: Kristnes (‘Christ-Peninsula’)

191: Kristnes (‘Christ-Peninsula’) 221: Krossáss (‘Cross-Ridge’) 229: Krossavík (‘Bay of the Crosses’) 233: Krossavík (‘Bay of the Crosses’) 255: Krossavík (‘Bay of the Crosses’) 273: Pappýli (‘Papar-Abode’) 280: Kirkjubœr (‘Church-Farm’) 283: Kirkjubœr (‘Church-Farm’) 301: Krossá (‘Cross-River’) 312: Kirkjubœr (‘Church-Farm’) 338: Byskupstunga (‘Bishop’s Tongue of Land’)

The composition of this group of placenames shows certain parallels to the composition of the pagan group. As is the case with the pagan toponyms, the majority of the Christian ones are formed with reference to a sacred building: just as most pagan toponyms refer to a hof (‘temple’), most Christian ones refer to a church (kirkja).22 Here, a particularly striking parallelism is constituted by the names Kirkjufell and Hofsfell, ‘Church-Mountain’ and ‘Temple-Mountain’. There may also be a structural parallel between the usage of Kross-/Krossa- and Hǫrg-, since both the cross and the hǫrgr (esp. if the latter is an altar rather than a ‘temple’)23 can be viewed as monuments representative of their respective religions. The toponym Byskupstunga (‘Bishop’s Tongue of Land’) probably expresses land ownership,24 just as the pagan name

20 Papýli (this form in H1; in H273 it appears as ‘Pappýli’) probably is to be understood as a contraction of an earlier *Papa(r)býli (Ahronson 2015, 67  f.), *Pap(a)-býli (Bandle 1977, 61), or *Pap-býli (Jakob Benediktsson 1968, 32 n. 2), the second element of which would be the word býli, ‘an abode’, a word which is predominantly used in compounds (Cleasby/Gudbrand Vigfusson 1874, s.  v. ‘býli’). Oskar Bandle (1977, 61, 63  f.) assumes that this toponym might have been transferred to Iceland directly from the British Isles (cf. Ahronson 2007); in detail see Egeler, forthcoming. 21 On Ásólfr as a Christian saint (which makes Ásólfsskáli a Christian sacral toponym) cf. Clunies Ross 2002; Egeler 2015b, 79–81, Egeler, forthcoming. 22 The main difference between hof-names and kirkja-names is that hof can be used as a toponym even as a simplex, while kirkja only appears in composites; i.  e., there are numerous instances of places simply called Hof, but there is no single instance of a place simply called Kirkja. The reason for this might be that hof, at least in its sacral meaning (cf. above, note 11), implies a complete working farm which also has a sacral function, whereas kirkja designates specifically, and exclusively, the cult building as such. This may have made the term as a simplex less suitable for the formation of placenames which, after all, first and foremost are names of farmsteads. 23 Even where it is used as a sacral term (cf. above, note 11), the exact meaning of the term hǫrgr is unclear, except that it designates some kind of built cultic structure: in Hyndluljóð st. 10 it is used of a stone-built altar (which is frequently thought to be its original meaning, cf. Brink 2008, 65), whereas in Vǫluspá st. 7 it seems to refer to a timbered building. 24 In H338, Byskupstunga is mentioned among the land taken by the first settler at Mosfell, which lies opposite the episcopal see of Skálholt, separated from it by the river Brúará. Thus, the narrative of the Book of Settlements anachronistically describes the property relations of the Settlement Period by using a name which semantically appears to reflect property relations consolidated only much



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Hofsteigr is claimed to do in H236.25 Furthermore, just as among pagan placenames, direct references to the highest divine power(s) are rare in Christian toponymy: there is only one single Christian placename that directly refers to the Christian saviour (Kristnes). In this sense, references to the highest power are even rarer in the Christian material than they are in pagan toponymy. This extreme scarcity of Christian toponymic references to the highest deity is, however, to some extent offset by some place­ names formed with the names of saints (Patreksfjǫrðr, Ásólfsskáli) and the saintly Irish papar (Papey, Papýli/Pappýli) (on these see Egeler, forthcoming). The parallels that can be observed between pagan and Christian toponymy strongly suggest that the one should not be seen in isolation from the other: both form part of one and the same culture of naming the land, and as such they are reflective of a particular cultural attitude to the semantization of the landscape and the medialization of religious meaning through toponyms. In fact, pagan and Christian toponymy are even more closely intertwined than it is suggested by the way of presentation chosen so far. So far, I have listed and discussed pagan and Christian toponyms separately. By doing so, I have, if implicitly, suggested a fundamental distinction between them. This, however, is not how they are used in the Book of Settlements: there, pagan and Christian toponyms are not two segregated classes of placenames, but intermingle indiscriminately. Therefore, if one were to follow the way how these two groups of religious toponyms appear in the text as it stands, one should perhaps list them not so much as two separate groups, as I have done above, but rather as a continuous sequence, in a way something like this (with Christian toponyms set in italics): Papey (‘Papar-Island’), Papýli (‘Papar-Abode’), Patreksfjǫrðr (‘Patrick’s Fjord’), Ásólfsskáli ­(‘Ásólfr’s Hall’), Kirkjubólstaðr (‘Church’s-Farm-Stead’), Kirkjusandr (‘Church’s Sand’), Hofstaðir (‘Temple-Steads’), Þursstaðir (‘Giant’s Steads’), Hofgarðar (‘Temple-Yards’), Kirkjufjǫrðr (‘ChurchFjord’), Kirkjufjǫrðr (‘Church-Fjord’), Trǫllaháls (‘Ridge of the Trolls’), Trǫllaháls (‘Ridge of the Trolls’), Kirkjufell (‘Church-Mountain’), Þórsnes (‘Thor’s Peninsula’), Hofsvágr (‘Temple-Bay’) …

Rather than separating pagan and Christian placenames, the toponymy of the Book of Settlements intermixes them. This not only happens within the larger structure of the text as a whole, but recurrently it even takes place within one and the same chapter of the text:

later, after the establishment of the episcopal see. Bandle 1977, 47 is likely to be correct to consider this placename to be a particularly late one. 25 The Book of Settlements claims about the origin of this name that Teigr (‘Strip of Meadow’) lay untaken between the land of the two settlers Þorsteinn the Charmer and Hákon, who then transferred ownership of Teigr to the local temple (hof); therefore it was renamed Hofsteigr (‘Temple’s Strip of Meadow’).

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71: Trǫllaháls (‘Ridge of the Trolls’) and 301: Krossá (‘Cross-River’) and Þórsmǫrk (‘Thor’s ­Kirkjufell (‘Church-Mountain’) Forest’) 190: Hǫrgárdalr (‘Altar-River-Valley’) and Kristnes 312: Trǫllaskógr (‘Forest of the Trolls’), Hof (‘Christ-Peninsula’) (‘Temple’), and Kirkjubœr (‘Church-Farm’) 273: Pappýli (‘Papar-Abode’) and Hof (‘Temple’)

In some of these instances, Christian and pagan toponyms are also associated with each other through close geographical relationships. The valley Hǫrgárdalr opens onto the same fjord on which the peninsula Kristnes is located; this geographical intimacy appears to mirror the tradition that one of the sons of Helgi the Skinny, the Christian name-giver of Kristnes, “built a big temple” (reisti þar hof mikit, H184) at his home, the son of the Christian erecting a pagan sanctuary. Similarly, Hof and – by implication – its eponymous temple were located in the district Pappýli, an area thought to be named from – and probably blessed by – its previous saintly Christian inhabitants. Here, the district takes its name from the papar, the holy Irish monks that Christian Icelanders used as a religious foundation myth by projecting them into their own prehistory; however, the sacred building standing in this district is a pagan hof, creating a situation in which the paganism of the building almost seems enveloped by the Christianity of the larger geographical unit. And similarly again, the Krossá, ‘Cross River’, flows through Þórsmǫrk, ‘Thor’s Forest’ (fig. 1), creating a situation in which the pagan sacred nature alluded to by the valley name ‘Forest of Thor’ virtually seems to envelope the Christian sacral element suggested by the river name ‘Cross River’.26 Looking at this intermingling of Christian and pagan elements in the toponymic cosmos of the Book of Settlements, and at the landscape of the mind created in this way, the question arises: what does all this mean? One possible answer is a confrontational one: perhaps the Christian-named river Krossá flowing through the pagannamed valley Þórsmǫrk is meant to split and break the pagan sacredness of the place; perhaps a Christian toponym Pappýli is meant to create an all-embracing, all-enveloping Christian significance intended to smother the paganism inherent in the farmname Hof. This is one possibility, and – as far as I can see – one that cannot be falsified, at least not easily. Yet, perhaps, it is not the only possible reading of the material.

26 Looking beyond toponymy as such, it might also be worthwhile mentioning here that Ketilbjǫrn, the owner of ecclesiastically-named Byskupstunga, is connected with a story about a failed plan to build a pagan temple (H338). Similarly, according to the narrative presented in H192, it might be worth noting that Hǫrgárdalr, the land-claim of the son-in-law of Helgi the Skinny, one of the foremost Christians of the Settlement Period, is named from a pagan sacred site: this once again connects the same piece of land with both pagan and Christian associations. In a very different way, this might also be the case in H191. There it is told how Þorljót, the daughter of Steinrøðr, moved to Kristnes, the ‘Christ-Peninsula’, in order to marry one Þorvarðr. With regard to this move it might be worth recalling (though it is not necessarily significant) that the Book of Settlements describes both Þorljót’s father Steinrøðr the Mighty and her grandfather Þórir Burster-of-Giants as great fighters against evil supernatural beings.



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Seeing the close intermingling of Christian and pagan toponymic elements, and how both are used in structurally significant parallel ways, it just might be possible that their respective ‘sacralities’ are used not so much in a confrontational but rather in an additive fashion. Perhaps pagan and Christian motifs are so remarkably interwoven in this material because they are both conveying the same fundamental meaning: the land is sacred, or at least it is a place in which sacrality becomes manifest, and in comparison to this manifestation of sacrality it just might be secondary whether the specific sacrality of a particular place is a pagan one, a Christian one, or both.27 From here, it is time to draw to a close, and in doing so to return to the question that was posed at the beginning of this essay: what might we be able to learn from viewing the Icelandic landscape, and more specifically, its toponymy, which represents a core strategy for inscribing significance into this landscape, as one of the central media through which the religious-supernatural cosmos of medieval Iceland is expressed? I think it is clear that  – however this may be interpreted in detail  – what we can see in this material is a remarkable interweaving of pagan and Christian motifs: of gods, Christ, and giants; temples and churches; crosses and altars; saints and places haunted by trolls. Thus, the toponymy of the Book of Settlements reflects the whole supernatural cosmos of medieval Iceland, and, importantly, it does so by spanning both its two religions in parallel and densely interwoven ways. It is virtually impossible to reconstruct the exact chronology of the toponymic material: in most cases, the placenames recorded in the Book of Settlements may, strictly speaking, have been coined at any point before the composition of the text. In this respect, the situation is not much different from the situation we face when dealing with the Eddic sources for Norse mythology, however much richer Eddic literature may be in narrative detail. In the Eddas, almost as much as in Icelandic toponymy, in many instances the only truly fixed chronological point is the date of composition of our texts, or even only the date of the writing of the extant manuscripts. In both cases, considerable parts of the material may be comparatively young, but in both cases also, much of the material may well be very old.28 Thus, from a source critical perspective, there is little reason to favour the picture painted by Eddic literature over the picture conveyed by the toponymy recorded in the Book of Settlements; and at the same time, the contrast between the two is striking. Eddic literature as a medium of the transmission of myth and as a way of engaging with aspects of the

27 Cf. Wellendorf 2010 on the depiction of the earliest settlers of the Settlement Period in Icelandic literature, where he suggests that it might have been viewed as more important that these early settlers were pious rather than whether they were pious Christians or pious pagans. 28 Given recent claims to the contrary, this has to be emphasized not only for the pagan, but also for the Christian part of the Icelandic toponymy of the Book of Settlements, as central parts of this toponymy are associated with prominent Christians from the first generation of settlers and as there is no plausible reason to question this association, even though it cannot be strictly speaking proven: cf. Egeler 2015a, 84  f. pace Sveinbjörn Rafnsson 2001, 615.

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Fig. 1: Krossá (‘Cross River’) flowing through Þórsmǫrk (‘Thor’s Forest’): does the Christian sacrality of the river name split and break the pagan sacrality of the valley name? Or is the folding-together of Christian and pagan toponyms in this valley indicative of a less confrontative relationship between Christian and pagan strategies of sacralizing the landscape? Photo: © M. Egeler, 2011.

supernatural presents us with a picture which is strikingly pagan; its nearly ‘pure’ paganism is especially noteworthy given that this literature was written down during the Christian Middle Ages and that already the Viking Age had been a semi-Christian period, which in itself could have suggested that we would find considerably more Christianity in Norse pagan myth than we do. In the picture that the Eddas draw of the religious cosmos of the Viking Age, Christianity is blinded out with noteworthy thoroughness.29 In strong contrast to this blinding-out of Christianity in Eddic mythology, the Icelandic landscape and toponymy, if viewed as media of an engagement with the supernatural, convey a much more multi-layered, more complex, and more nuanced picture. Here, pagan and Christian concepts appear remarkably intermingled, both appearing as presences in the landscape that are nearly on an equal footing and thus suggestive of closely comparable roles in the lives of those who lived in, travelled through, and worked this landscape on a daily basis. This coexistence of paganism and Christianity in the Icelandic landscape does not mean that Icelandic Christianity was not ‘proper’ Christianity and that Icelandic Christians were not ‘proper’ Christians; nor does it mean that pagan Icelanders were not ‘properly’ pagan. Yet it pro-

29 Though, it should perhaps be noted, the seeming absence of Christian elements from Eddic mythology is not always an ‘honest’ one; for instances of hidden elements of medieval Christianity and learned culture in the Eddas cf. Dronke 1997, 93–104; Maier 2003, 108; Egeler 2013.



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vides us with a glimpse of the richly varied supernatural cosmos that pervaded the scenery of their daily lives, a cosmos much more multifaceted than it becomes clear from the strongly systematized presentations of the mythological (Eddic) literature, a literature that, deriving from the same time as the toponymic record of the Book of Settlements, ultimately has no greater authority. Thus, landscape and toponymy, and the way religious, mythological, and broadly speaking supernatural motifs are medialized through them, can serve as an important corrective to understanding the religious cosmos of medieval Iceland.

Appendix: Helkunduheiðr, Njarðvík, and other problem cases Whether or not a placename should be considered in a treatment of sacred toponyms is not always clear-cut. For instance, the above discussion has primarily focused on passages where a toponym is used with a geographical force, designating a particular place; toponyms that are merely used to differentiate persons, and thus functionally appear as nicknames, have not been excerpted exhaustively, especially not where the same place recurs repeatedly as the determinative of one and the same person (cf. n. 8). Nor have toponyms been considered that refer to places that have a supernatural significance but where this significance is not expressed in the toponym itself. This last category is exemplified by H63: “Then Einarr ran as he could, and when he came past the Drangar Rock Towers, he saw a troll sitting up there and letting his feet swing, so that they touched the surf, and he banged them together, so that it made the sea foam” (þa rann Einarr sem hann matti en þa er hann kom hia Drongvm sa hann trollkall sitia þar a vppi ok lata roa fœtr sva at þeir tokv brimit ok skelldi þeim saman sva at sio drif varð af). Here, the Drangar are construed as the place of a supernatural encounter, marking the site of an intrusion of the supernatural in the physical landscape, but the placename Drangar itself, which simply means ‘Rock Towers’, has no intrinsic mythological or supernatural significance. Thus, this example illustrates a point made already by Per Vikstrand about sacred placenames and holy places (2001, 31, 34): not all holy places also have names that directly designate their holiness, meaning that only a selection of the components of a sacred landscape can be identified through its placenames. This holds true for the reconstruction of not just specifically the ‘sacred’, but also about the ‘supernatural’ landscape in a broader sense. Furthermore, another problem are toponyms whose semantic interpretation is disputable. In chs. H240 and H246, a toponym Njarðvík is mentioned. As a placename, Njarðvík finds a direct counterpart in the Norwegian Narvik, which Bandle has interpreted as indicating a direct transferral of a Norwegian toponym to Iceland (Bandle 1996, 1093; Bandle 1977, 50, 63; cf. the island Njarðey mentioned as a place in Norway in ch. H86). This and similar Njarð- toponyms have in the past been, and

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sometimes still are, connected with the name of the god Njǫrðr (e.  g., Böldl 2013, 237; Sandnes/Stemshaug 1997, 338  f. [s.  v. ‘Nærøy(a)’]; Bandle 1977, 50, 63). Thorsten Andersson, however, points out to me that the first part of this toponym cannot be derived from the god Njǫrðr, as in this case the divine name would have been expected to appear as a genitive (Njarðar-; cf. Vikstrand 2001, 94; Þórhallur Vilmundarson 1992, 54; Særheim 2012, 183, 193). Rather, the element Njarð- in such toponyms should best be seen as an adjective, related to English narrow (cf. Wahlberg 2003, 232 [s.  v. ‘Närdingen’, ‘Närtuna’]; Vikstrand 2001, 94–96; and the general rejection of a theophoric interpretation by Vikstrand 2016, 179). Therefore, the placename Njarðvík has not been taken into consideration in the above discussion. Likewise, I have refrained from including the toponym Helkunduheiðr in the discussion, which is mentioned in H226. Magnus Olsen (1933) has interpreted the element Helkundu- as referring to a female being from Hel (*helkunda, cf. Old English helcund, ‘stemming from hell’). Yet given that a being called *helkunda is mentioned nowhere else in our extant material, such an approach may perhaps seem somewhat speculative, even though it cannot be precluded that this interpretation is correct. Cf. Særheim 2012, 195; Schmidt 2009, 59; Bandle 1977, 57 (who accepts the interpretation as probable). It should, however, be noted that Helkunduheiðr is well-attested as functioning as a boundary (Olsen 1933, 12–17; also the attestation in H226), which constitutes a direct parallel to the other ‘troll-places’ of the Book of Settlements (Trǫllaháls, Trǫllaskógr, Gýgjarsporsá), all of which function as boundaries as well. A further type of problem is that of transmission. Problems of transmission affect particularly the placename Hvítbjǫrg mentioned in H33, as this form of the name may be a copying mistake for a form with mythological significance: instead of Hvítbjǫrg, the S-recension gives the toponym Hnitbjǫrg (S45). Bandle (1977, 53) considers the possibility that the latter is a cultic or mythological name, pointing to the Hnitbjǫrg of Skáldskaparmál g57, where Suttungr hides the mead of poetry. Since the form Hnit­ bjǫrg is not actually attested in H, however, it has not been taken into consideration for the purpose of the present essay. Finally, also toponyms referring to burial sites have not been considered in the above discussion, i.  e. placenames formed with -haugr or -leiði (H22, H60, H63, H64, H178, H182, H195, H273, H283, H303, H332). While a point could be made for including them in a treatment of the supernatural landscape, within the restricted framework of the present article there is no space for doing so. Acknowledgements: I owe thanks to Thorsten Andersson, Sigmund Oehrl, and the editors of this volume for detailed criticisms of earlier versions of this article, which have improved the text substantially, as well as to Courtney Burrell for numerous corrections to my English style and syntax. Any remaining mistakes of language, fact, or interpretation are, of course, solely my own responsibility. All translations are my own. This research was supported by a Marie Skłodowska-Curie Intra-European Fellowship within the 7th European Community Framework Programme.



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Stefanie Gropper

Es sannliga es sagt: Die Íslendingabók des Ari Þorgilsson inn fróði Abstract: Ari Þorgilsson’s Íslendingabók is one of the oldest vernacular texts from Iceland. It has been convincingly demonstrated that Ari modelled his text according to foreign historiographies. He nevertheless is astonishingly independent in his account and he treats his Latin models with a great deal of creativity. Ari established a specific Icelandic mode of chronology and he refers to selected witnesses for his information. This article intends to show that it is the aim of Ari’s Íslendingabók to describe the Icelandic society’s direct and unhampered way from its unstructured chaotic beginnings into the middle of Latin-Christian civilisation. Die um 1033 entstandene Íslendingabók ist eines der ältesten in isländischer Sprache entstandenen Textzeugnisse. Sie ist auch eines der wenigen Zeugnisse in volkssprachiger Prosa aus dem isländischen Mittelalter, deren Verfasser bekannt ist. Neben Ari sind als Autoren von Prosawerken sonst vor allem sein Zeitgenosse Sæmundr Sigfússon, von dem jedoch kein einziges Werk erhalten ist, und der im 13. Jahrhundert wirkende Snorri Sturluson bekannt. Im Vergleich zu diesen beiden – vor allem im Vergleich zu Snorri – hat Ari jedoch relativ wenig Aufmerksamkeit erregt.1 Unter seinen Zeitgenossen war Ari als Gelehrter geschätzt, auf den sich spätere Autoren als Autorität beziehen und für die dessen Angaben zur Besiedlung und Christianisierung als Grundlage dienen. Der Erste Grammatische Traktat nennt Ari als einen der ersten, die in isländischer Sprache schrieben.2 Im Prolog der Heimskringla ist Ari und seinen Verdiensten als erster isländischer Historiograph ein langer Abschnitt gewidmet, in dem Aris Klugheit und gute Erinnerungsgabe hervorgehoben werden.3 Obwohl sich

1 Vgl. dazu Jakob Benediktsson 1968, Formáli, §§ 1 sowie Grønlie 2006, x-xiv, die auch die Forschungsliteratur aufarbeitet. 2 „Sva þav hin spaklegv fræðí er ari þorgils son hefir a bøkr sett af skynsamlegv viti“ (‚Wie auch die kluge Gelehrsamkeit, die Ari Þorgilsson mit seinem verständigen Verstand aufgeschrieben hat‘); Hreinn Benediktsson 1972, 208. Alle Übersetzungen, sofern nicht anders vermerkt, stammen von der Autorin. 3 „Ari prestr inn fróði Þorgilsson, Gellissonar, ritaði fyrstr mann hér á landi at norrœnu máli frœði, bæði forna ok nýja. […] ok þykkir mér hans sǫgn ǫll merkiligust. Var hann forvitri ok svá gamall, at hann var fœddr næsta vetr eptir fall Haralds konungs Sigurðarsonar. […] Því var eigi undarligt, at Ari væri sannfróðr at fornum tíðendum bæði hér ok útan lands, at hann hafði numit at gǫmlum mǫnnum ok vitrum, en var sjálfr námgjarn ok minnigr.“ [„Der Priester Ari der Gelehrte, der Sohn des Þorgils, der der Sohn Gellirs war, schrieb als erster hier im Land in norröner Sprache gelehrte Dinge, sowohl alte als auch neue. […] und mir scheinen alle seine Berichte überaus bedeutsam. Er war sehr klug und

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 Stefanie Gropper

durchaus Parallelen zur kontinentaleuropäischen Geschichtsschreibung finden lassen, wurde bisher kein direktes Vorbild für die Íslendingabók nachgewiesen.4 Aus der Íslendingabók ist jedoch ersichtlich, dass Ari die Konventionen der europäischen Historiographie kannte und sie an die isländischen Verhältnisse anpasste. Da für Island die auf dem Kontinent übliche Chronologie der Königsherrschaften nicht griff, entwickelte er ein eigenes System der Chronologie von Gesetzessprechern, die er für die Zeit nach der Christianisierung um die Abfolge der Bischöfe ergänzte. Ari nennt nur wenige absolute Jahreszahlen und befestigt daran ein kohärentes System der indirekten Chronologie, die heute noch die Grundlage der isländischen Geschichtsschreibung bildet.5 Während somit Aris historiographische Leistung nicht bezweifelt wird, so fand die Íslendingabók als literarisches Werk bislang wenig Beachtung. Es wird zwar stets hervorgehoben, dass es Ari unbestrittenes Verdienst war, als erster ein Werk über Island in der Volkssprache zu schreiben, aber seine literarische Leistung gilt noch als gering im Vergleich zu späteren isländischen Werken. So weist Siân Grønlie zwar darauf hin, dass Ari bereits Stilelemente verwendet, die später für die Sagaliteratur als charakteristisch gelten, aber dennoch bescheinigt sie der Íslendingabók insgesamt doch eher „some clumsiness of style“.6 Auch Jakob Benediktsson beurteilt Aris stilistische Fähigkeiten eher zurückhaltend.7 Es entspricht der in der Literaturgeschichte gängigen Blüte-Verfalls-Theorie, dass frühe Werke als einfach gelten und dass sich anspruchsvollere Texte erst nach einiger Zeit entwickeln. Aber es gibt auch Gegenbeispiele: Bereits die ältesten bekannten Skaldengedichte enthalten die auch für die Blütezeit der Skaldik charakteristischen Elemente. Es ist das Ziel dieses Artikels, die narrativen Besonderheiten der Íslendingabók herauszuarbeiten und zu zeigen, wie Ari sich als reflektiert schaffender und durchaus selbstbewusster Autor zeigt und wie er die Geschichte Islands von der Besiedelung bis in seine eigene Zeit als kohärente und in sich konsistente Erfolgsgeschichte (be-)schreibt und sich selbst als Teil dieser Erfolgsgeschichte präsentiert. Die Íslendingabók ist in zwei Abschriften des 17. Jahrhunderts erhalten, die beide auf dieselbe Vorlage zurückgehen und die sich beide um eine genaue Wiedergabe der

so alt, dass er ein Jahr nach dem Tod von König Harald Sigurðsson geboren wurde. […] Deshalb ist es nicht zu verwundern, dass Ari gute Kenntnisse besaß über Ereignisse aus früher Zeit, sowohl inländische wie auch ausländische, denn er hatte sie von alten und weisen Männern gelernt und war selbst wissbegierig und hatte ein gutes Gedächtnis“]; Bjarni Aðalbjarnarson 1962, 5–7. 4 Vgl. Grønlie 2006, xix. 5 Vgl. Jakob Benediktsson 1968, XLI. 6 Grønlie 2006, xxix. 7 Vgl. Jakob Benediktsson 1968, XXVI: „Íslendingabók er fáort rit, og Ari hefur sýnilega gert sér far um að rita gagnort. Þó eru setningar stundum nokkuð langar og flóknar (…); má sumt af því rekja til latneskrar setningaskipunar, sumt er vafalítið að kenna þjálfunarleysi í framsetningu og skorti á stílkröfum til ritaðs máls.“



Es sannliga es sagt: Die Íslendingabók des Ari Þorgilsson inn fróði 

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Vorlage bemühen.8 Diese nicht erhaltene Vorlage entstand vermutlich im 12. Jahrhundert und gilt als zuverlässige Abschrift der ursprünglichen Handschrift.9 Trotz der zeitlichen Distanz der erhaltenen Handschriften darf daher Jakob Benediktssons Edition durchaus als zuverlässige Grundlage nicht nur für den Inhalt der Íslendingabók, sondern auch für eine Analyse ihrer narrativen Mittel gelten. Ari ist einer der wenigen Prosaautoren des skandinavischen Mittelalters, der sich als „ich“ in seinem Text zu Wort meldet.10 Im ersten Satz seines Werkes nennt er zuerst den Titel, dann sich selbst als „ich“ und für wen er das Buch schrieb: Íslendingabók gørða ek fyrst byskupum órum, Þorláki ok Katli, ok sýndak bæði þeim ok Sæmundi presti.11 Die Íslendingabók schrieb ich zunächst für unsere Bischöfe Þorlákr und Ketill, und ich zeigte sie sowohl ihnen als auch dem Priester Sæmundr.

Wie Sverrir Tómasson gezeigt hat, enthält Aris Prolog damit einige für mittelalterliche Prologe typische Elemente, verzichtet allerdings auch auf einige der sonst üblichen Angaben, wie genauere Aussagen zu seiner Person, den Anlass für sein Werk sowie die direkte Anrede an die beiden Empfänger.12 Es fällt auf, dass Ari sich selbst an die Spitze der genannten Personen setzt und dass er sein Werk nicht explizit als Auftragswerk bezeichnet. Erst im folgenden Satz wird deutlich, dass Ari auf die Wünsche seiner ersten Leser nach Ergänzungen einging. Dennoch bleibt aber auch hier Ari der Akteur, der letztendlich über den Inhalt des Textes entscheidet: En með því at þeim líkaði svá at hafa eða þar viðr auka, þá skrifaða ek þessa of et sama far, fyr útan ættartǫlu ok konunga ævi, ok jókk því es mér varð síðan kunnara ok nú es gerr sagt á þessi en á þeirri. (3) Aber weil es ihnen gefiel, es so oder hier und dort Zusätze zu haben, da schrieb ich dieses noch einmal in der gleichen Weise, ohne Genealogien und Königsbiographien, und ich ergänzte, was mir später besser bekannt geworden war und was jetzt deutlicher gesagt wird als vorher.

Ari hat Anregungen aufgenommen, bleibt aber der selbständige Urheber seines Werkes. Mit dem folgenden Satz, dass man ihn korrigieren möge, falls etwas nicht korrekt berichtet wurde, erfüllt dann Ari nur noch eine für mittelalterliche Autoren

8 Für eine detaillierte Diskussion der beiden Handschriften und deren Geschichte vgl. Jakob Benediktsson 1968, LIV–XLVII. 9 Jakob Benediktsson 1968, XLVII. 10 Vgl. dazu auch Sverrir Tómasson 2012, 245. 11 Jakob Benediktsson 1968, 3. Im Folgenden beziehen sich alle Zitate aus der Íslendingabók auf diese Ausgabe. Die Seitenangaben werden im Fließtext direkt nach dem Wortlaut angegeben. 12 Sverrir Tómasson 2012, 243.

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übliche Pflicht. Aber auch hier weicht er von den Konventionen der Prologe ab, indem er auf einen wirklichen Demutstopos verzichtet. Ein starkes literarisches Selbstbewusstsein mit einem expliziten Autoren-Ich kennen wir in der norrönen Literatur sonst nur von den Skalden, nicht aber aus der narrativen Literatur. Auch wenn dieser erste Satz des Prologs konventionelle Elemente mittelalterlicher Prologe enthält, so fällt doch die Parallele der Formulierung zu Skaldengedichten auf: Der Skalde nennt sich und den Empfänger des Werks, der durch das Gedicht beschenkt und geehrt wird.13 Skalden erhielten ihre gesellschaftlich herausgehobene Stellung jedoch nicht nur als Künstler, sondern auch als politische Ratgeber und Diplomaten an norwegischen Königshöfen.14 Es ist erstaunlich, dass sich Ari als erster isländischer Autor eines volkssprachigen Prosawerkes mit den Skalden verglich und damit nicht nur eine so deutliche persönliche Marke setzte, wie es bei späteren Autoren nicht mehr üblich war,15 sondern dass er sich damit auch als politisch wichtige Person präsentierte. Nicht nur im Prolog, sondern die gesamte Íslendingabók hindurch zeigt sich Ari als selbstbewusster Autor, der von sich selbst immer wieder in der ersten Person – sei es Singular oder Plural – schreibt, der Angaben zu seiner eigenen Person macht, der selbst Teil des Geschehens ist, der Auskunft über seine Gewährsleute ablegt und der Wichtiges von Unwichtigem in der isländischen Geschichte scheidet.16 Auch wenn Ari im Prolog des Werkes seinen Empfängern Korrekturen zugesteht, kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich Ari nicht nur der Bedeutung seiner Aufgabe bewusst ist, sondern dass er sich auch sicher ist, die Aufgabe bewältigen zu können. Warum schrieb Ari dieses Werk? Falls es ein Auftragswerk war, warum wurde dann damit nicht sein bereits bekannter Zeitgenosse Sæmundr betraut, der im Prolog als Priester und Berater erwähnt wird, der im Ausland studiert hatte17 und der einer von Aris Gewährsleuten18 war? Ob Ari Sæmundr als Autor kannte oder ob er seine Information mündlich übermittelt erhielt, lässt seine Formulierung offen: „at sǫgu

13 Beispiele in Kreutzer 1977, 276–282. 14 Zum Beruf des Skalden vgl. Guðrún Nordal 2001, 130–131. 15 In erster Person Singular „ek“ berichtet sonst nur noch der anonyme Erzähler der Hungrvaka (Vgl. Sverrir Tómasson 2012, 245). Auch der Verfasser der Heimskringla spricht in der 1. PS Singular, jedoch ohne seinen Namen zu nennen. 16 z.  B.: „at ætlun ok tǫlu þeira Teits fóstra míns, þess manns es ek kunna spakastan”, (‚nach Ansicht und Aussage meines Ziehvaters Teitr, des Mannes, den ich als sehr klug kannte.‘ 4); „Ek kom ok til Halls sjau vetra gamall, …, ok vask þar fjórtán vetr.“ (‚Ich kam auch als Siebenjähriger zu Hallr, …, und ich war dort 14 Jahre lang.‘ 20). Sehr häufig verwendet Ari die Floskel „sagði oss“, wenn er auf Gewährsleute verweist, wie z.  B. „Svá sagði Þorkell oss Gellissonr” (‚So berichtete uns Þorkell Gellisson‘ 6). 17 Dies wird auch von Ari erwähnt: „Á þeim dǫgum kom Sæmundr Sigfússonr sunnan af Frakklandi hingat til lands ok lét síðan vígjask til prests.” (‚In dieser Zeit kam Sæmundr Sigfússon von Süden aus Frankreich hierher zurück und ließ sich dann zum Priester weihen.‘ 20  f.). 18 Ari führt Sæmundr als Gewährsmann für die Datierung des Todes von Ólafr Tryggvason an (17  f.).



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Sæmundar prests“ (‚nach der Erzählung von Priester Sæmundr‘, 17  f.).19 Ari muss Sæmundr jedoch geschätzt haben, da er ihn ja ausdrücklich als einen der Berater für sein Werk nennt. Neben Sæmundr nennt Ari im Prolog auch zwei Bischöfe, denen er die erste Fassung seines Werkes zu lesen gab. Die Formulierung erweckt jedoch nicht den Eindruck, als habe Ari im Auftrag der Bischöfe geschrieben: „Íslendingabók gørða ek fyrst biskupum órum“ (‚Die Íslendingabók machte ich zuerst für unsere Bischöfe.‘ 3). Vielmehr scheint Ari die Bischöfe wie auch Sæmundr ausschließlich als Berater herangezogen zu haben. Inwieweit er auf deren Änderungsvorschläge für die endgültige Fassung der Íslendingabók einging, ist in der Forschung höchst umstritten. Während einige Forscher die Ansicht vertreten, dass die erste Version der Íslendingabók wesentlich umfangreicher gewesen sei und vor allem zusätzliche Genealogien und Angaben zu norwegischen Königen enthalten habe,20 mahnen andere zur Vorsicht21 oder beurteilen die ältere Fassung sogar als einen für mittelalterliche Prologe typischen literarischen Topos.22 Ari erweckt somit den Eindruck, dass die Íslendingabók in einem kirchlichen Umfeld entstanden ist. Das lange Kapitel über die Christianisierung lässt vermuten, dass sein Werk auch für kirchliche Zwecke gedacht war und eine frühe Kirchengeschichte Islands darstellen soll.23 Aber es fällt doch auf, dass Ari die Christianisierung in die politische Geschichte Islands einbettet, sie vor allem politisch begründet und dass er auch nach der Christianisierung weiterhin neben den Amtszeiten der Bischöfe auch die der Gesetzessprecher zur Datierung von Ereignissen benutzt. In der Forschung wurden daher immer wieder unterschiedliche Ansichten über die Zielsetzung der Íslendingabók geäußert. Es wurde vermutet, dass Ari die Einführung des Christenrechts unterstützen wollte,24 dass wegen eines Konflikts zwischen zwei mächtigen Häuptlingen die Bischöfe die Íslendingabók als Warnung vor weiteren Auseinandersetzungen in Auftrag gaben,25 bzw. dass die Íslendingabók ein Exemplum für das richtige Verhalten in der Gesellschaft ist.26 Alle diese Erklärungen sind plausibel, und keine schließt eine der anderen aus. Keine dieser Erklärungen berücksichtigt jedoch, dass Ari selbst der rote Faden durch die Geschichte Islands ist, dass er unverhohlen Personen und Ereignisse selbst bewertet und dass er auch selbst Teil der erzählten Geschichte ist.

19 Jakob Benediktsson (1968, XXIII) nimmt als sicher an, dass Ari das geschriebene Werk Sæmundrs kannte. 20 So z.  B. Hagnell 1938, 102–109; Turville-Petre 1953, 93–99; Ellehøj 1965, 44–53. 21 Jakob Benediktsson 1968, XVII; Grønlie 2006, xii. 22 Sverrir Tómasson 1975, 268. 23 So z.  B. Mundal 2011. Vgl. auch Hermann 2007, die in der Íslendingabók eine typologische Darstellung isländischer Geschichte sieht. 24 Halldór Hermansson 1930, 37–40. 25 Ellehøj 1965, 80–84. 26 Jakob Benediktsson 1968, XIX.

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Siân Grønlie hat gezeigt, dass Ari enge persönliche und auch familiäre Beziehungen zu zahlreichen wichtigen Charakteren seines Werkes besaß und dass die Íslendingabók daher auch als Familiengeschichte gelesen werden kann.27 Die wichtigste Verbindung besteht zur Familie der Haukdælir, aus der die ersten beiden Bischöfe Islands – Ísleifr und Gizurr – hervorgingen. Teitr, der Sohn Bischof Gizurs, wird gleich im ersten Kapitel als wichtiger Gewährsmann eingeführt: […] at ætlun ok tǫlu þeira Teits fóstra míns, þess manns es ek kunna spakastan, sonar Ísleifs byskups, ok Þorkels fǫðurbróður míns Gellissonar, es langt munði fram, ok Þóríðar Snorradóttur goða, es bæði vas margspǫk ok ólúgfrjóð, […] (4) […] entsprechend der Meinung und Berechnung derer: meines Ziehvaters Teitr, des Mannes, den ich als den klügsten kannte, des Sohnes von Bischof Ísleifr, und meines Onkels Þorkell Gellisson, der sich weit zurückerinnerte, und der Tochter des Goden Snorri, Þóríðr, die sehr klug und zuverlässig in ihren Berichten war, […]

Ari stellt hier seine wichtigsten Gewährsleute für die Geschichte Islands vor, etabliert ihre Vertrauenswürdigkeit und spannt darüber hinaus ein gesellschaftliches Netz bedeutender Personen, in dem er selbst einen zentralen Platz einnimmt. Somit listet er nicht nur die für ihn wichtigsten Quellen auf, sondern er baut aus ihnen das Fundament für die Geschichte Islands – und zwar sowohl für die durch diese Personen abgesicherte historische Tradition als auch die Geschichte, die Ari erzählt bzw. die er aus seinen Quellen (re-)konstruiert. Darüber hinaus hat Ari zu allen drei Personen enge persönliche Beziehungen, von denen er zwei explizit benennt: Teitr ist sein Ziehvater und Þorkell Gellisson ist sein Onkel. Aber auch Þóríðr Snorradóttir ist eine Verwandte Aris.28 Da alle drei hinsichtlich der Datierung der Besiedlung Islands übereinstimmen, kann der Leser dieser Angabe trauen und gleichzeitig daraus auf die Zuverlässigkeit der Quellen schließen. Aber letztendlich gründet das Urteil ihrer Zuverlässigkeit ausschließlich auf Ari selbst: Teitr ist sein Ziehvater, den er als den klügsten kannte und Þorkell ist sein Onkel. Die gute Erinnerungsfähigkeit seines Onkels wie auch die Zuverlässigkeit Þóríðrs werden schlicht festgestellt, ohne weitere Belege außer Aris eigener Aussage. Ari hat hier zwar ein Triumvirat seiner wichtigsten Zeugen etabliert, aber letztendlich ist Ari selbst mit seinem eigenen Urteilsvermögen der Gewährsmann für die Richtigkeit seines Berichtes. Somit ist auch der Kommentar „es sannliga es sagt“ (‚wie glaubwürdig berichtet wird‘, 5) zu Ingólfr als erstem Landnehmer, trotz der unpersönlichen Satzkonstruktion letztlich Aris Urteil. Diese drei zentralen Gewährsleute datieren die Besiedlung Islands „á dǫgum Haralds ens hárfagra” (“in der Zeit von Haraldr en hárfagri”, 4], die Ari in einen größeren historischen Kontext einfügt:

27 Grønlie 2006, xiv-xxvi. 28 Jakob Benediktsson 1968, XX.



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[…] es Ívarr Ragnassonr loðbrókar lét drepa Eadmund enn helga Englakonung; en þat vas sjau tugum ens níunda hundraðs eptir burð Krists, at því es ritit es í sǫgu hans. […] als Ívarr, der Sohn Ragnar loðbróks, den englischen König Eadmund den Heiligen töten ließ; das war 870 nach der Geburt Christi, wie in seiner Saga geschrieben ist. (4)

Auch wenn umstritten ist, auf welche schriftliche Quelle sich Ari hier genau bezieht,29 so etabliert er sich hier selbst als quellenkritischer Historiker, der aufgrund seiner Belesenheit die Geschichte Islands nicht nur mit der norwegischen, sondern auch der englischen Geschichte und der christlichen Weltgeschichte verknüpfen kann. Gleich im ersten Satz verdeutlicht Ari daher den Anspruch Islands auf einen Platz in der Weltgeschichte und dass der Beginn der isländischen Geschichte klar zu datieren ist, d.  h. dass es analog zur Schöpfung der Welt einen Nullpunkt der isländischen Geschichte gibt. Ari schreibt in seiner Íslendingabók gewissermaßen die Schöpfungsgeschichte Islands. Gleichzeitig weist sich Ari selbst aber auch als belesener und gelehrter Mann aus, der sich sein eigenes Urteil über seine Quellen und Gewährsleute bildet und der die erhaltene Information souverän selektiert und bewertet. Ari lässt gleich zu Beginn seines Berichts keine Zweifel daran, dass er der richtige Mann war, um die Geschichte Islands richtig zu schildern und dass er selbst Teil dieser Geschichte ist. Die isländische Geschichte wird geschaffen – von bedeutenden und klugen Männern als Kette von Ereignissen, und in der Íslendingabók von Ari als Bericht über diese Ereignisse. Ari demonstriert seinen Lesern, dass Geschichte gemacht wird – von klugen Männern, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und Macht auszuüben. Dies gilt für die Ereignisgeschichte Islands genauso wie für die geschriebene Geschichte Islands. Ari legt großen Wert auf die Schriftlichkeit seines Berichts. Mit „sagði“ (‚sagte‘) und „rita“ (‚schreiben‘) bzw. „skrifa“ (‚schreiben‘) unterscheidet er mündliche und schriftliche Quellen. Wenn er von sich und seinem Werk spricht, verwendet er „skrifa“.30 Er entwirft von sich das Bild einer schriftlichen auctoritas, das ja auch Wirkung gezeigt hat, wie sein ihm später verliehener Beiname inn fróði und die ehrfürchtige Erwähnung in späteren Quellen bezeugen. Ari fühlt sich als Autor in einer starken Position und demonstriert dieses Gefühl der Überlegenheit wie auch seine Macht über den Text. Mit diesem Selbstbewusstsein als Autor, der seinen Namen nennt, weist sich Ari als Teilhaber an der neuen lateinischen und christlichen Welt, der europäischen Gegenwart und Gelehrsamkeit aus. Aber wie der Prolog zeigt, kennt Ari nicht nur die Regeln der gelehrten lateinischen Autoren, sondern er kennt auch die Konventionen der angesehenen volkssprachigen Autoren bzw. Skalden. Es ist die Besonderheit

29 Vgl. dazu die Zusammenfassung der Forschungsmeinungen bei Jakob Benediktsson 1968, XXII– XXIII. 30 Z.  B. „þá skrifaði ek“ (‚so schrieb ich‘; 3); „At hans sǫgu es skrifuð ævi allra lǫgsǫgumanna á bók þessi“ (‚Nach seinem Bericht wurden die Zeiten aller Gesetzessprecher in diesem Buch geschrieben.‘ 22).

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dieses Textes, dass Ari nicht einfach die neuen Vorbilder der lateinischen Literatur nachahmt, sondern dass er Elemente der volksprachigen Überlieferung beibehält und diese mit ausgewählten Elementen der neuen Tradition verbindet. Als mittelalterlicher Autor kannte Ari die Regeln zur Konstruktion von Autorschaft, setzte sie bei seinem Publikum voraus und verwendete sie, um seine kommunikativen Ziele zu erreichen.31 Obwohl Ari sich zu Beginn seines Textes als zuverlässiger und wahrhaftiger Berichterstatter etabliert, vermittelt er doch seine ganz persönliche Sicht der Ereignisse und damit auch ein ganz bestimmtes Bild von der frühen isländischen Geschichte. Diese erreicht Ari durch die Selektion der Information, die Gewichtung der berichteten Ereignisse und der erwähnten Personen sowie durch die sprachliche Gestaltung seines Textes. Die Auswahl der von Ari vermittelten Informationen hängt unmittelbar mit seinem eigenen Werdegang, d.  h. seiner Ausbildung in Haukadalr, und den ihm dadurch nahestehenden Personen zusammen.32 Ari berichtet ausschließlich über erfolgreiche Ereignisse. Die Besiedlung geht scheinbar ohne Probleme und ohne Konflikte unter den Siedlern vor sich. Laut Aris Bericht erfolgt die Besiedelung Islands direkt von Norwegen aus. Zwischenstationen der Siedler auf den britischen Inseln oder in Irland werden nicht erwähnt. Die irischen papar weichen freiwillig vor den Landnehmern, „af því at þeir vildi eigi vesa hér við heiðna menn“ (‚weil sie hier nicht zusammen mit heidnischen Leuten sein wollten‘; 5). Ari erwähnt Konflikte nur dann, wenn sie für die Allgemeinheit von Belang sind und zu Entscheidungen führen, die zur Stabilisierung der Ordnung führen. Sogar der größte Konflikt – zwischen Christen und Nichtchristen – wird friedlich beigelegt und führt zur Christianisierung des gesamten Landes (Kap. 7). In diesen Konflikten treffen kluge Männer die richtigen Entscheidungen, die zur Vermeidung ähnlicher Konflikte in der Zukunft führen.33 Unrecht wird nicht nur bestraft, sondern es hat legislative Konsequenzen. Jede dieser für ganz Island wichtigen Entscheidungen verdeutlicht, wie die Landnehmer aus negativen Erfahrungen lernen und so Schritt für Schritt eine staatliche Ordnung etablieren, die den Zusammenhalt und den Fortbestand der Gemeinschaft ermöglicht. In diesen Abschnitten beruft sich Ari auf seine Quellen und Gewährsleute, wenn neue Strukturen oder Gesetze etabliert werden.34 Andere

31 vgl. Jannidis 2004, 22. 32 Vgl. auch Grønlie 2006, xvii. 33 Der Konflikt zwischen König Haraldr hárfagri und ausreisewilligen Norwegern wird beigelegt, indem man sich auf eine Ausreisegebühr einigte (5); das für alle als Gerichtsort geltende Alþingi wird auf einem Ort gegründet, an dem sich zuvor ein Mann des Mordes schuldig gemacht hatte (8  f.); die Auseinandersetzung zwischen Þórðr gellir und Tungu-Oddr führt zur Einrichtung von Viertelsþingbezirken (12). 34 Die Einführung der Ausreisesteuer (6), die Adaption norwegischer Gesetze (7), wo das Alþingi stattfinden solle (9), die Einrichtung des Viertelsþingbezirken (12), die Besiedlung Grönlands (14), Christianisierung (17).



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Informationen, wie die Datierung von Ereignissen, stützt Ari auf die Aussagen nicht namentlich genannter Gewährsleute, die jedoch durch das Adjektiv „spakr“ (‚klug‘) aufgewertet werden.35 Am deutlichsten wird Aris selektive und erfolgsorientierte, die Einheit der Bevölkerung konsolidierende Berichterstattung am Beispiel der Christianisierung. Aus der Außenperspektive ist die Christianisierung Islands die Folge des zunehmenden Drucks, den der norwegische König Óláfr Tryggvason auf die Bevölkerung ausübte: Nachdem der König zunächst Missionare geschickt hatte, die in gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Bevölkerung gerieten und aus dem Land vertrieben wurden, nahm der König einige vornehme Isländer, die sich in Norwegen aufhielten, als Geiseln und drohte diese verstümmeln und töten zu lassen, falls sich die Isländer nicht zu Christentum bekehren lassen sollten. Doch aus Aris Perspektive entscheiden sich die Isländer aus Gründen des inneren Friedens dazu, den neuen Glauben anzunehmen. In diesem umfangreichsten Kapitel der gesamten Íslendingabók wird auch Aris rhetorische Kunst deutlich.  Der Abschnitt beginnt mit einem Paukenschlag: „Óláfr rex Tryggavason, Ólafssonar, Haraldssonar en hárfagra, kom kristini í Norveg ok á Ísland.“ (‚König Ólaf Sohn Tryggvis, des Sohnes Ólafs, des Sohnes Haralds Haarschöns, brachte das Christentum nach Norwegen und Island‘; 14). Gleich in diesem ersten Satz bietet Ari sowohl die höchste politische als auch die höchste intellektuelle Autorität auf. Er nennt den norwegischen König und führt dessen Vorfahren bis auf Harald Schönhaar zurück, der im ersten Kapitel den Anfang der Besiedlung Islands markierte. Indem er Óláfr aber als „rex“ tituliert, betont Ari sowohl seine Gelehrsamkeit als auch den Beginn der neuen Zeit, die mit dem Christentum und damit auch der lateinischen Sprache verbunden ist. Ari präsentiert sich hier als der mit der notwendigen Autorität und dem notwendigen Wissen ausgestattete Berichterstatter, um diesem wichtigen Kapitel der isländischen Geschichte gerecht zu werden. Er gibt sodann einen Überblick über die Ereignisse, die der entscheidenden Versammlung auf dem Alþingi vorausgingen. Der von König Ólaf gesandte Missionar Þangbrandr verkündete den christlichen Glauben und taufte die ersten Isländer, von denen Ari diejenigen namentlich nennt, die aus den bereits bis dahin die isländische Geschichte bestimmenden Familien stammen und die auch alle eine Beziehung zu Haukadalr aufweisen: Hallr á Síðu, Hjalti Skeggjason, Gizurr en hvíti. Dennoch bleibt Þangbrands Mission weitgehend erfolglos. Ohne zu werten, berichtet Ari vom Konflikt zwischen dem Missionar und den Isländern: „En þá es hann hafði hér verit einn vetra eða tvá, þá fór hann á braut ok hafði vegit hér tvá menn eða þrjá, þá es hann hafði nítt.“

35 Z.  B. die Dauer der Besiedlung: „svá hafa ok spakir menn sagt“ (‚so haben auch kluge Männer gesagt‘; 9); die Datierung von König Haralds Tod: „at tǫlu spakra manna“ (‚nach dem Bericht kluger Männer‘; 9); die Korrektur des Kalenders: „at ráði Þorkels mána ok annarra spakra manna“ (‚auf Rat von Þorkell máni und anderen klugen Männern‘; 11).

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(‚Nachdem er hier ein oder zwei Jahre lang gewesen war, reiste er ab und hatte hier zwei oder drei Männer getötet, die ihn geschmäht hatten.‘ 14). Doch diese zunächst neutrale Berichterstattung wird persönlich gefärbt, wenn Ari die isländischen Geiseln des norwegischen Köngis als „ossa landa“ (‚unsere Landsleute‘) bezeichnet. Ari verlässt seine distanzierte, aus der Ferne beobachtende und die Ereignisse souverän überblickende Position und Berichterstattung und zoomt gewissermaßen in die Mitte des Geschehens als dem Alþing. Wie in einer Isländersaga wechselt er hier in eine szenische Darstellung und baut die feindselige Szenerie zwischen Heiden und Christen sehr sorgfältig auf. Die Spannung steigt, bis es fast zu einer bewaffneten Auseinandersetzung kommt. Aber Ari führt nur die Vertreter der Christen namentlich auf, zu denen die bislang schon in der Íslendingabók maßgeblichen Entscheidungsträger zählen. Dieser prominenten Gruppe mächtiger Individuen stehen die Heiden als namenloses Kollektiv gegenüber. Der Streit verlagert sich auf Betreiben zweier Christen – Gizurr und Hjalti – zum lǫgberg, dem Gesetzesfelsen, d.  h. er wird von der physischen auf die intellektuelle Ebene verlagert. Hallr wird von den Christen aufgefordert, „at hann skyldi lǫg þeira upp segja, þau es kristninni skyldi fylgja.“ (‚dass er diejenigen Gesetze aufsagen solle, die dem Christentum folgen sollten.‘, 16). Doch Hallr tritt diese Aufgabe an den Gesetzessprecher Þorgeirr ab, den einzig namentlich genannten Heiden. Nachdem ­Þorgeirr eine Nacht lang nachgedacht hat, beruft er wieder eine Versammlung am lǫgberg ein. Obwohl seine Rede indirekt referiert wird, kommt Þorgeirrs Bemühen um eine sorgfältige und überlegte Wortwahl deutlich zum Ausdruck. Die Rede wird in einem langen, hypotaktischen Satz zusammengefasst und ist mit allitererierenden Wortpaaren geschmückt. Die eigentliche Entscheidung wird dann in direkter Rede wiedergegeben – es ist die einzige Passage der Íslendingabók, in der Ari direkte Rede verwendet. Darüber hinaus erhält dieser kurze Abschnitt durch Parallelismus, Assonanz und Alliteration zusätzliche Bedeutung: En nú þykkir mér ráð,“ kvað hann, „at vér látim ok eigi þá ráða, er es mest vilja í gegn gangask, ok miðlum svá mál á miðli þeira, at hvárirtveggju hafi nakkvat síns máls, ok hǫfum allir ein lǫg ok einn sið. Þat mon vera satt, es vér slítum í sundr lǫgin, at vér monum slíta ok friðinn. (17) (Hervorhebung der Verf.) Aber nun scheint es mir ratsam,“ sagte er, „dass wir nicht diejenigen entscheiden lassen, die am meisten dagegen sind, und dass wir so vermitteln, dass jede der beiden Seiten etwas zugestanden bekommt, und lasst uns alle ein Gesetz und einen Glauben haben. Es ist wohl wahr, dass wenn wir das Gesetz zerstören, wir auch den Frieden zerstören.

Ari enthält sich jeglicher Bewertung dieser Rede, verleiht ihr aber sowohl durch die Länge als auch die stilistischen Hervorhebungen besonderes Gewicht. Für die Geschichte der Christianisierung führt er Teitr als Gewährsmann an, diesmal jedoch ohne – wie zu Beginn des Kapitels – den Hinweis, dass Teitr seine Informationen von einem Augenzeugen erhalten habe. Teitr und Ari sind nun selbst Teil des berichteten Geschehens.



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Auch wenn dieses längste und gewichtigste Kapitel der Íslendingabók die Christianisierung des Landes behandelt, so stehen doch die politischen Aspekte eindeutig im Vordergrund. Es geht sowohl darum, den Frieden unter den Landsleuten aufrecht zu erhalten, als auch den Frieden mit den Nachbarländern. Diejenigen Männer, die sich für den Glaubenswechsel einsetzten, waren auch diejenigen, die schon bis dahin die Geschicke Islands gelenkt und die Gesetzgebung bestimmt hatten. Obwohl Ari das folgende Kapitel mit einer Aufzählung von ausländischen Bischöfen auf Island beginnt und das sich daran anschließende Kapitel zum größten Teil Ísleifr, dem ersten isländischen Bischof widmet, so erscheint die Christianisierung dennoch im Wesentlichen als Konsolidierung der politisch Mächtigen. Die isländischen Bischöfe entstammen den Familien, die seit der Besiedelung verantwortlich für die Organisation des Landes wie auch für dessen funktionierende Infrastruktur gewesen waren. In den letzten Kapiteln der Íslendingabók bleibt die Folge der Gesetzessprecher als chronologische Leitlinie weiterhin wichtig; sie steht gleichberechtigt neben der Folge der Bischöfe. Dennoch beginnt mit dem Christentum eine neue Zeit – die Zeit der Gelehrsamkeit und damit auch der Einbindung in die Weltgeschichte und in die internationale Politik. Ari benutzt bereits neben mündlichen auch schriftliche Quellen, wobei ihm die schriftlichen Quellen allerdings nur für Ereignisse außerhalb Islands zur Verfügung stehen. Erst mit der Christianisierung beginnt auch für Island das Zeitalter der schriftlichen Aufzeichnung. Doch auch diese stehen zunächst im Dienst der Politik: im Kapitel über Bischof Gizurr Ísleifsson, den Ari als überaus beliebt lobt, „vas nýmæli þat gǫrt, at lǫg ór skyldi skrifa á bók at Hafliða Mássonar” ,wurde die Neuerung eingeführt, dass unsere Gesetze von Hafliði Másson aufgeschrieben werden sollten‘, 23). Auch die Schrift steht somit im Dienst der inneren Einigkeit und des friedlichen Zusammenlebens, die der Gesetzessprecher Þorgeirr angemahnt hatte. Aris Íslendingabók erweist sich als ein historisches Metanarrativ über die isländische Gesellschaft, die mit der Besiedlung einen klar nennbaren Anfang hat und auf das Ziel des Fortschritts und der Zivilisation ausgerichtet ist.36 Wie andere Erzählungen vom Anfang erzählt er vor allem im Hinblick auf die Gegenwart, die er als Konsequenz der richtigen konzeptionellen Entscheidungen der machthabenden Familien darstellt. Er schreibt die Geschichte Islands als Erfolgsgeschichte, von der er selbst als der erste volkssprachige Historiograph ein Teil ist. Er zeichnet eine konsequente und zielstrebige Entwicklung der isländischen Gesellschaft nach, von der Besiedlung über die Organisation der Gesetze und der Infrastruktur bis hin zur Christianisierung, die Islands Eintritt in die zivilisierte und schriftliche Welt bedeutet. Es gibt weder Rückschläge noch Widerstand, sondern Konflikte dienen der Weiterentwicklung: Sie führen entweder zur Einführung neuer Gesetze, neuer Strukturen oder zu einem klugen Kompromiss. Immer handelt es sich dabei um den Ratschlag jeweils

36 Vgl. dazu Friedrich/Hammer/Witthöft 2014, 12.

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eines mächtigen Mannes, der sich für das Gemeinwohl verantwortlich fühlte, und alle diese Männer – ob weltlich oder später auch kirchlich – stammen aus dem Umfeld Haukadals, dem Ort, an dem auch Ari seine Ausbildung erhielt. Aris Text spiegelt diesen verantwortungsvollen und selbstbewussten Umgang mit der Macht: So wie sich die isländischen Politiker an Verhältnissen und Strukturen im Ausland orientieren und dort Bewährtes übernehmen und einheimische Verhältnisse anpassen, so orientiert sich Ari an ausländischen, d.  h. englischen und lateinischen, Vorbildern und passt deren literarische Verfahren an die isländischen Bedürfnisse an. Er legt damit den Grundstock für isländische Geschichte und Geschichten, d.  h. er legt das Fundament sowohl für die histoire als auch für den discourse. So kann er sich selbstbewusst als erzählendes „Ich“ in seinen Text einbringen und ganz stolz am Ende des Textes seinen Namen nennen „en ek heitik Ari“ (‚und ich heiße Ari‘; 28).

Literatur Bjarni Aðalbjarnason 1962: Bjarni Aðalbjarnason (útg.), Heimskringla 1 (Íslenzk fornrit 26). Reykjavík 1962. Ellehøj 1965: Svend Ellehøj, Studier over den ældste norrøne historieskrivning (Bibliotheca Arnamagnæana XXVI). København 1965. Friedrich/Hammer/Witthöft 2014: Udo Friedrich, Andreas Hammer, Christiane Witthöft, „Anfang und Ende“. In: Friedrich/Hammer/Witthöft (Hg.), Anfang und Ende. Formen narrativer Zeitmodellierung in der Vormoderne (Literatur – Theorie – Geschichte 3). Berlin 2014, 11–27. Grønlie 2006: Siân Grønlie (transl.), Íslendingabók. Kristnisaga. The Book of The Icelanders. The Book of The Conversion (Viking Society for Northern Research – Text Series 18). London 2006. Guðrún Nordal 2012: Guðrún Nordal, Tools of Literacy. The Role of Skaldic Verse in Icelandic Textual Culture of the Twelfth and Thirteenth Centuries. Toronto et al. 2012. Hagnell 1938: Eva Hagnell, Are Frode och hans författarskap. Lund 1938. Halldór Hermannsson 1930: Halldór Hermannsson (transl.), The Book of the Icelanders (Íslendingabók) by Ari Ϸorgilsson. Edited and translated with an introductory essay and notes by Halldór Hermannsson (Islandica XX). Ithaca 1930. Hermann 2007: Pernille Hermann, “Íslendingabók and History”. In: Pernille Hermann et al. (ed.), Reflections on Old Norse Myths (Studies in Viking and Medieval Scandinavia 1). Turnhout 2007, 17–32. Hreinn Benediktsson 1972: Hreinn Benediktsson (Hg.), The First Grammatical Treatise. Introduction, text, notes, translation, vocabulary, facsimiles (University of Iceland Publications in Linguistics 1). Reykjavík 1972. Jakob Benediktsson 1968: Jakob Benediktsson (Hg.), Íslendingabók, Landnámabók (Íslenzk fornrit 1). Reykjavík 1968. Jannidis 2004: Fotis Jannidis, Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie (Narratologia 3). Berlin/New York 2004. Kreutzer 1977: Gert Kreutzer, Die Dichtungslehre der Skalden: poetologische Terminologie und Autoren­kommentare als Grundlagen einer Gattungspoetik. 2. überarbeitete Auflage (Hochschulschriften Literaturwissenschaft 1). Meisenheim am Glan 1977.



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Daniela Hahn

Talismane als ‚handlungsmächtige Dinge‘ in den Isländersagas Abstract: This article examines from a narratological perspective the few talismans known from the Sagas of Icelanders in connection with other powerful objects in order to shed new light on the underlying concepts concerning them. The idea of powerful items with an agency of their own is widespread in the Icelandic sagas. I argue that the origin of the talismans’ inherent power can only be examined within this larger category of meaningful objects. These usually auspicious items need not necessarily refer to a numinous entity, but may also carry an energy in themselves which is connected to the gæfa (‚luck‘) of another person. Thus, newly examining the concept behind talismans and other auspicious objects could help to create a clearer image of the conceptualization of things in Old Norse texts. Die zahlreichen wikingerzeitlichen Amulettfunde Skandinaviens1 legen die Annahme nahe, dass der Glaube an die Heilswirkung von Gegenständen weit verbreitet gewesen sein muss.2 Ob einem Objekt eine besondere Funktion zugeschrieben wird oder es als profaner Gegenstand betrachtet wird, hängt mit der Einstellung des Trägers zusammen und ist daher schwer zu bestimmen,3 doch spezielle Formen, bildliche Darstellungen und Inschriften verweisen häufig auf Göttergestalten. Solche Objekte könnten damit „als materieller Ausdruck einer personalen Beziehung zwischen dem Besitzer des Amuletts und dem bezeichneten Gott“4 verstanden werden.5 In literarischen Quellen sind Amulette dagegen überraschend selten, neben zwei Runeninschriften listet beispielsweise Baetke in seiner Quellensammlung nur drei Beispiele, die alle aus Isländersagas stammen.6 Seine Liste könnte zwar ergänzt werden, doch gibt es auch darüber hinaus nur wenige Dinge in den Texten, die von der Forschung als ‚Amulette‘ oder ‚Talismane‘ diskutiert wurden. Es handelt sich vornehmlich um zwei

1 In seiner 2010 publizierten Dissertation legt Jensen einen Katalog von ca. 1350 wikingerzeitlichen Amuletten aus Skandinavien und Westeuropa vor (Jensen 2010, 1–4). Eine Besprechung neuerer Funde und eine Übersicht aus archäologischer Perspektive bietet auch Gardeła 2014, 45–65. 2 Vgl. Thrane et al. 1973, 270–272, vgl. auch Böldl 2005, 180. 3 Vgl. Sefrin 2001, 163–164. 4 Böldl 2005, 180. 5 Die Begriffe ,Amulett‘ und ,Talisman‘ werden hier, der Definition Sefrins (2001) folgend, synonym verwendet. 6 Baetke 1937, 128–129: Es sind der Talisman der Vatnsdœla saga, die Erbstücke der Víga-Glúms saga und ein Ring in der Laxdœla saga; diese werden im Folgenden alle besprochen.

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kleine Gegenstände, die jeweils ein Götterbildnis tragen und die als Freyrs hlutr7 bzw. Þórrs líkneski8 bezeichnet werden sowie um die Erbstücke der Víga-Glúms saga, die mit Óðinn in Verbindung gebracht wurden. Die Diskussion um solche Talismane war bisher eng mit der übergeordneten Frage verwoben, ob die Sagas heidnische Vorstellungen ihrer Handlungszeit bewahren könnten oder ob davon auszugehen sei, dass es sich bei den vermeintlichen Spuren paganer Religion in Wirklichkeit um christliche Umformungen und Rückprojektionen aus der Schreibezeit handle.9 Schiebt man diese ‚Glaubensfrage‘ zunächst beiseite und betrachtet die Talismane der Isländersagas als besondere Gegenstände innerhalb eines Textes, fällt auf, dass sie als wirkungsmächtige Dinge nicht alleine stehen: Viele Objekte haben eine vergleichbare Macht oder Funktion. Diese meist glückbringenden Gegenstände müssen nicht notwendigerweise auf einen Gott verweisen, sondern können ebenso eine Kraft in sich tragen, die mit irdischen Schenkern in Verbindung steht. Zieht man solche Objekte bei der Untersuchung von Talismanen heran, ergibt sich ein größeres Korpus besonderer Gegenstände, für die neuere narratologische Ansätze fruchtbar gemacht werden können. Im Rahmen dieses Beitrages soll gezeigt werden, dass der Glaube an wirkmächtige Gegenstände tief in der Vorstellungswelt der Isländersagas verankert ist, und erst innerhalb dieser größeren Gruppe nach dem Ursprung der dem Objekt innewohnenden Kräfte gefragt werden sollte. Die Talismane der Isländersagas werden hier daher zunächst als ‚handlungsmächtige Dinge‘10 in einer Erzählung verstanden, die in ihrer Eigenwilligkeit ähnlich wie Figuren konzeptualisiert sind. Nach einer Analyse der drei gängigen Beispiele für Talismane in den Isländersagas sollen verwandte Beispiele zeigen, dass Geschenke oder Erbstücke in ganz ähnlicher Weise Glück oder Unheil in sich tragen können und ebenfalls eine eigene Wirkmacht besitzen.

7 Vtn 10, 30. Der Begriff hlutr hat viele Bedeutungen, die nicht unbedingt ein Amulett bzw. einen Talisman bezeichnen müssen, und kann auch einen profanen Gegenstand, ein Los oder einen Anteil bezeichnen, vgl. Fritzner 1891, 17–20. Die Verwendung in der Vatnsdœla saga wird dort mit „et Slags Orakel eller Amulet“ (S. 18) übersetzt. 8 Hal 6, 162. Vgl. Fritzner 1891, 526: „líkneski, n. 1) Skikkelse, Figur, […] 2) Billede“. 9 Zu Talismanen äußert beispielsweise Baetke 1951 [1973, 339], man dürfe diese Berichte nicht „ohne weiteres als Quellen für nordisch-heidnischen Volksglauben“ werten. Meulengracht Sørensen 1992, 720, argumentiert dagegen, man dürfe aus Baetkes Annahmen nicht folgern, dass man „durchgehend Erfindungen oder Verfälschungen“ begegne. Im Gegenteil sei anzunehmen, dass die Verfasser interessiert gewesen seien, ein „möglichst wahrheitsgetreues Bild des Heidentums zu vermitteln“. 10 Auf die Diskussion einer begrifflichen Abgrenzung von ‚Sachen‘, ‚Objekten‘, ‚Dingen‘, ‚Artefakten‘, usw. wird hier verzichtet (vgl. Tsouparopoulou/Meier 2015, 47). Gemeint sind im Rahmen einer literaturwissenschaftlichen Analyse alle nicht-menschlichen und nicht-tierischen Gegenstände einer Erzählung.



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Talismane als ‚handlungsmächtige Dinge‘ Die Talismane der Isländersagas sollen hier als ‚Dinge‘ verstanden werden, die in der Narration als ‚besonders‘ markiert werden. Solche Dinge ziehen neben den etablierten Grundpfeilern der Erzähltextanalyse (wie Figuren, Raum und Zeit), in den letzten Jahren verstärkt die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich.11 Das vorrangige Ziel dieser neuen Bestrebungen ist es, die Figurenanalyse als traditionellen „hermeneutische[n] Angelpunkt“12 in Frage zu stellen und daneben eine Analysekategorie der Dinge zu etablieren. Diesen wird dabei, wie menschlichen „Aktanten“,13 eine eigene Handlungsmächtigkeit zugeschrieben.14 In seiner einflussreichen Studie von 2006 argumentiert Böhme, Dinge müssten ebenso wie Menschen als Handelnde verstanden werden – als „Mitspieler“ im narrativen Gefüge.15 Doch lässt sich nicht jedes Ding in einem Erzähltext als „Aktant“ verstehen. Viele Gegenstände haben eine rein (aus-)schmückende Funktion und tragen nur indirekt zur Gestaltung einer Figur oder Szenerie bei.16 Interessant sind jene Gegenstände, die eine eigene Geschichte erhalten, denen durch den Erzähler und durch die Figuren im Handlungsfortgang Bedeutungen und Funktionen ein- und zugeschrieben werden.17 Die so entstehende ‚Biographie‘ des Dinges umfasst dessen Herstellung, Material, Herkunft und seine Geschichte innerhalb der Erzählung.18 Dass besondere Gegenstände wie Menschen konzeptualisiert werden, lässt sich am deutlichsten an Dingen ablesen, die Namen tragen, etwa Schwerter wie Grásiða und Skǫfnungr, denen eine eigene Wirkmacht zugeschrieben wird.19

11 Vgl. insbesondere Böhme 2006, Kohl 2003, Mühlherr et al. (Hg.) 2016 sowie Knipp 2012 und Veddeler 2012. Einen Abriss der Forschungsgeschichte bieten Mühlherr/Sahm 2012, 236. 12 Mühlherr 2009, 461. 13 Ein ähnliches Konzept findet sich bei Bruno Latour, der den Begriff des ‚Aktanten‘ oder ‚Akteurs‘ verwendet, für „jedes Ding, das eine gegebene Situation verändert, indem es einen Unterschied macht“ (Latour 2014, 123). Auf mittelalterliche Erzähltexte wird dieses Konzept beispielsweise von Mühlherr/Sahm 2012 übertragen. 14 Auf eine Verwendung des auch in deutschsprachiger Forschung gebräuchlichen Begriffs der agency (vgl. bspw. Mühlherr 2014) wird hier verzichtet, da dieser gegenüber der Verwendung deutscher Begriffe wie ‚Handlungsmächtigkeit‘ oder ‚Wirkmacht‘ keinen klaren Vorteil zu bieten scheint. 15 Böhme 2006, 78. 16 Vgl. Schanze 2013, 539, der hierfür den treffenden Vergleich des Theaters wählt: Während es in der Natur eines Requisits liegt, ein für die Handlung notwendiges Ding zu sein, trifft dies nicht auf alle dinglichen Elemente eines Bühnenbildes zu. Ebenso gibt es in narrativen Texten Dinge, die keine spezielle Bedeutung tragen. 17 Vgl. Mühlherr/Sahm 2012, 238. Siehe auch Schanze 2013, 539, in Anlehnung an Mühlherr 2009. 18 Ähnliche Gedanken werden in der Archäologie unter dem Schlagwort der ‚Objektbiographie‘ verfolgt. Diese Methodik geht auf Kopytoff 1986 zurück und geht davon aus, dass der Mensch Dinge grundsätzlich wie Menschen konzeptualisiert. Vgl. zusammenfassend Tsouparopoulou/Meier 2015, 50–51. 19 Zur Namensgebung von Schwertern vgl. Rogan 1990, 49–50. Auch Grünzweig 2009, 409–420 und insb. 413–114, zeigt, dass es sich bei Schwertern in der altnordischen Literatur grundsätzlich nicht um

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Eine Übertragung des Konzeptes der Biographie auf literarische Gegenstände schärft den Blick auf die Veränderlichkeit des Dings. Neben der Möglichkeit der ständigen Neusemantisierung eines Objektes innerhalb seiner Lebenszeit stellt Mühlherr für besondere Dinge in mittelalterlichen Texten fest, ihnen wohne eine „eigene Bestimmtheit“ inne, die nicht unbedingt auf allen Erzählebenen gleichermaßen bekannt sein müsse.20 Interessante Bruchstellen entstehen immer dann, wenn das Wissen um den dinglichen Eigensinn zwischen dem Erzähler, den Figuren und dem Rezipienten ungleich verteilt ist und dieses Missverhältnis sichtbar wird.21 Die folgenden Beispiele werden zeigen, dass vielen besonderen Gegenständen der Isländersagas, wie Talismanen, sowohl eine Wandelbarkeit innerhalb ihrer Lebenszeit als auch ein Eigenwille innewohnen, mit dem die menschlichen Aktanten der Sagas zu ringen haben. Die den Gegenständen inhärente Logik trägt dabei zur kausalen wie kompositorischen Motivierung des Geschehens bei und eröffnet neue Verständnisperspektiven. Talismane sollen hier also als eine Untergruppe handlungsmächtiger Gegenstände verstanden werden, für die sich als konkrete Dinge fragen lässt, woher sie ihre Handlungsmacht beziehen. In ihrem Fall liegt die Begründung nahe, eine numinose Macht wirke durch den Talisman.

Die Talismane der Isländersagas Die beiden gängigen Beispiele für Talismane in Isländersagas handeln jeweils von einem kleinen Gegenstand, der ein Götterbildnis trägt. Einer davon begegnet in der Hallfreðar saga vandræðaskálds, als der Titelheld am Hof König Óláfrs zu Gast ist. Auf seine Nachfrage, wo Hallfreðr sich gerade aufhalte, bekommt der König zur Antwort: Hann mun enn hafa vanða sinn, at blóta á laun, ok hefir hann líkneski Þórs í pungi sínum af tǫnn gǫrt; […].22 Um zu behaupten, Hallfreðr halte noch am Heidentum fest, verbreitet man also die Gerüchte, er trage eine Þórrs-Figur23 bei sich und opfere den Göttern. Aussehen unbelebte Gegenstände handelt. Vielmehr wohne den Texten die Vorstellung inne, dass Schwerter einen eigenen Charakter besäßen, der mit dem ihres Besitzers korrespondiere. 20 Mühlherr 2009, 469. Vgl. auch Schanze 2013, 541. 21 Ein ähnliches Vorhaben verfolgt Sahm 2009 in ihrem Beitrag zum Schatz im Beowulf. Wie Mühlherr zeigt sie, dass dem Hort als Ding eine eigenmächtige Logik innewohnt, die dem Helden nicht vollumfänglich bekannt ist, und die zur Katastrophe beiträgt. Dem Hort widmen sich Mühlherr/Sahm 2012 erneut: Für das Nibelungenlied stellen sie fest, dass dieser sich als Ding der Anderwelt behauptet, das Figuren und Publikum mit einer ‚hermeneutischen Grenze‘ konfrontiert (237). 22 Hal 6, 162: „‚Er wird wohl immer noch seiner Gewohnheit anhängen, heimlich zu opfern, und er hat eine Þórrs-Figur in seinem Beutel, aus Walrosszahn gefertigt.‘“ Sämtliche Übersetzungen stammen von der Verfasserin. 23 Zur Verbindung dieser Textstelle mit archäologischen Funden von Þórrs-Figurinen siehe Perkins 2001, insb. 61–68.



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und Gebrauch des Talismans müssen ebenso wenig näher beschrieben werden wie das Opfern. Der Talisman scheint zum Requisitenrepertoire zu gehören, mit denen heidnische Figuren in den Isländersagas ausgestattet werden können. Dies weist darauf hin, dass es sich zwar um ein seltenes Textbeispiel handelt, aber nicht um einen Gegenstand, der Erklärungsbedarf mit sich brächte. Der Talisman tritt nur als ausschmückender Gegenstand auf und hat damit keine eigene Biographie oder Handlungsmacht. Auf diesen Talisman wird danach nicht weiter eingegangen, Eine bedeutendere Rolle kommt in der Vatnsdœla saga dem wohl bekanntesten Talisman der Gattung zu. Nach dem Erfolg bei der Schlacht am Hafrsfjǫrðr entlohnt König Haraldr hárfagri seine Gefolgsmänner und beschenkt sie reich. Unter diesen erhält Ingimundr neben Schiffen und Ausrüstung auch einen Talisman: [O]k til marks at þú hefir verit í Hafrsfirði, skaltu eignask at gjǫf hlut þann, er átt hefir [Ásbjǫrn] kjǫtvi, sem hann hafði mestar mætur á, nú er þat meir til sannenda þessa fundar en þat sé mikit fé, en þó sœmð í at þiggja af oss […]. (Vtn 9, 26–27). ([U]nd zum Zeichen, dass du im Hafrsfjǫrðr gewesen bist, sollst du als Geschenk diesen Talisman erhalten, den Ásbjǫrn kjǫtvi besessen hat, auf den er größten Wert gelegt hat. Nun dient er mehr zum Beweis für diese Schlacht, denn als großes Vermögen, und dennoch ist es ehrenvoll, ihn von uns zu empfangen.)

Wenig später findet ein Fest statt, auf dem eine zauberkundige Finnin allen Anwesenden deren Schicksal prophezeit. Sie weissagt Ingimundr, er werde nach Island segeln und dort ein angesehener Mann werden. Ingimundr will nichts davon hören, trotzdem fährt die Finnin fort: Þetta mun fram koma, sem ek segi, ok þat til marks, at hlutr er horfinn ór pússi þínum, sá er Haraldr konungr gaf þér í Hafrsfirði, ok er hann nú kominn í holt þat, er þú munt byggja, ok er á hlutnum markaðr Freyr af silfri; ok þá er þú reisir bœ þinn, mun saga mín sannask. (Vtn 10, 29–30). (Es wird geschehen, wie ich sage, und dies zum Beweis, dass der Talisman aus deinem Beutel verschwunden ist. Jener, den dir König Haraldr im Hafrsfjǫrðr gegeben hat, und dieser ist nun in jenen Wald gekommen, wo du siedeln wirst, und auf dem Talisman ist ein Zeichen Freyrs aus Silber; und wenn du dein Gehöft errichtest, werden sich meine Worte bewahrheiten.)

Tatsächlich ist der Talisman am folgenden Morgen verschwunden. Als Ingimundr wieder auf König Haraldr trifft, sprechen sie über die Prophezeiung. Der König hält es für möglich, dass hier Freyr wirke: [V]ili Freyr þar láta sinn hlut niðr koma, er hann vill sitt sœmðarsæti setja.24 Ingimundr schickt daraufhin nach drei Finnen, die den Talisman für ihn suchen sollen. Drei Tage und Nächte schließen diese sich in einer Hütte ein und berichten danach von ihren Schwierigkeiten: [O]k þar í holtinu ǫðru var hlutrinn, ok er vér ætluðum at taka hann, þá skauzk hann í annat holtit, ok svá sem vér 24 Vtn 12, 33; „Freyr wird seinen Talisman dorthin gelangen lassen, wo er seinen Ehrensitz errichten will.“

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sóttum eptir, hljóp hann æ undan, […].25 Als Ingimundr in Island angekommen ist und im Vatnsdalr siedelt, findet er den Talisman, als die Löcher für seine Hochsitzsäulen ausgehoben werden.26 Er entschließt sich nun, sich fortan nicht mehr gegen sein Schicksal wehren zu wollen.27 Wie Hallfreðrs angebliches Thorsfigürchen zeigt auch Ingimundrs Talisman ein Götterbild, nämlich das von Freyr, ist aber aus Silber gefertigt. Als der König Ingimundr den Talisman überreicht, betont er dessen Vorgeschichte und verweist auf sich als Schenker  – als Funktion des Talismans gibt der König an, er solle ein Beweisstück sein; das Gewicht liegt eindeutig auf seiner Symbolfunktion und nicht auf seinem materiellen Wert. Der König beschreibt das Aussehen des Talismans nicht und erwähnt auch Freyr nicht. Auch die Seherin nimmt in ihrer Beschreibung des Talismans Bezug auf dessen Biographie (sá er Haraldr konungr gaf þér í Hafrsfirði), im weiteren Verlauf funktioniert der Talisman als materieller Beweis für die Richtigkeit der Prophezeiung und als Kennzeichnung des Ortes, an dem Ingimundr siedeln soll. Die Besonderheit des Talismans erklärt sich in der Vatnsdœla saga also nicht nur über seine Verbindung zu dem auf ihm abgebildeten Gott Freyr, sondern auch über die Biographie des Gegenstandes: Er wurde zuvor von einem anderen Mann hoch geschätzt, soll als Erinnerung dienen und steht in enger Verbindung zu seinem Schenker, dem König. Neben die persönliche Verbindung zwischen dem Träger und dem bezeichneten Gott muss daher die Beziehung zwischen dem Träger, dem Vorbesitzer und dem Schenker des Amuletts gestellt werden. Hier findet eine Neusemantisierung statt, indem der Talisman bei seiner Einführung noch als Symbol der Freundschaft zwischen König und Ingimundr sowie als Erinnerungsstück fungiert, später aber die Beziehung zum Gott Freyr betont. Das Verschwinden des Glücksbringers weist zudem auf dessen eigene Bestimmtheit hin, die innerhalb der erzählten Welt nicht von allen Figuren auf die gleiche Weise interpretiert wird. Eine eigene Handlungsmächtigkeit wird dem Talisman durch die Seherin zugestanden (hlutr er horfinn ór pússi þínum), da nicht auf das aktive Eingreifen der Seherin oder des Gottes verwiesen wird. Zwar wird in ihrer Figurenrede zum ersten Mal das Bildnis Freyrs erwähnt, der Zusammenhang bleibt aber unbestimmt.28 25 Vtn 12, 35; „Und dort im anderen Wald war der Talisman, und als wir ihn nehmen wollten, da entzog er sich in den anderen Wald, und wenn wir ihn ergreifen wollten, sprang er immer davon […].“ 26 Diese Episode wurde zuerst von Lidén mit Guldgubber-Funden in Verbindung gebracht, vgl. Lidén 1969, insb. 18. Dabei handelt es sich um winzige Folien aus dünnem Goldblech, die figürliche Darstellungen tragen und der Völkerwanderungs- und Merowingerzeit angehören. Sie wurden teilweise in den Aushublöchern von Gebäude- oder Hochsitzpfosten gefunden. Zusammenfassend zur daran anschließenden Forschungsdiskussion vgl. Schmidt 2015, 83–85. 27 Zur Verbindung Ingimundrs und seiner Landnahme zu Freyr siehe Meulengracht Sørensen 1992, 722–728. 28 Meulengracht Sørensen 1992 nimmt dagegen an, die Szene „muß so verstanden werden, daß es der Wille des Gottes ist, den sie Ingimundr offenbart“ (723). Dass Freyr hier erstmals erwähnt wird, scheint bemerkenswert, aber im Text wird eine direkte Verbindung nicht explizit. Die Seherinnen-Epi-



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Ebenso ist die Suche der Finnen zu deuten, die völlig ohne Gottesbezug erklären, der Talisman sei immer wieder an eine neue Stelle gesprungen und habe sich ihnen auf diese Weise entzogen. Der König dagegen sieht Freyr als Aktanten und den Talisman als sein Objekt (vili Freyr þar láta sinn hlut niðr koma). Diesen Aspekt scheint der König ursprünglich nicht bedacht zu haben, da er in seiner eigenen Beschreibung des Gegenstandes den Gott nicht erwähnt (diese Information enthüllt erst die Seherin). Anfangs ist damit die volle eigene Bestimmtheit des Talismans auch dem König nicht bekannt, der ihn als Erinnerungsstück und Königsgeschenk gedacht hatte. Damit erweist sich der Talisman der Vatnsdœla saga als ‚Mitspieler‘ der Erzählung. Ihm ist eine eigene Kraft eingeschrieben, die im Text sehr prominent, aber nicht allen Figuren zugänglich ist. Der Ursprung des Eigensinns lässt sich nicht eindeutig auflösen; er entzieht sich dem vollen Verständnis der Figuren, sodass sie verschiedene, konkurrierende Interpretationen vorbringen und numinose Mächte als Ursprung vermuten. Erst als Ingimundr die Macht des Talismans trotz seiner Skepsis als gegeben akzeptiert, kann er sein Glück im Vatnsdalr finden. Neben diesen beiden gängigen Beispielen für Talismane wurden auch drei Gegenstände der Víga-Glúms saga als solche angesprochen; schon Baetke listet sie in seiner Quellensammlung zur Religion der Germanen unter dem Schlagwort ‚Amulette‘.29 Es handelt sich um Geschenke, die der Protagonist in Norwegen von seinem Großvater Vigfúss erhält. Bevor der junge Glúmr zu seiner Reise aufbricht, findet sich ein Hinweis auf den Zweck dieser Unternehmung: [A]t ek hljóta gæfu af gǫfgum frændum mínum30 – er zieht also bewusst los, um sich gæfa (‚Glück‘) von seinen Verwandten zu holen. Glúmrs Großvater ist ein norwegischer Herse, und als der junge Glúmr zu ihm kommt, erkennt er seinen Großvater: [H]ann sá mann mikinn ok vegligan í ǫndvegi í skautfeldi blám, ok lék sér at spjóti gullreknu.31 Glúmr beweist sich in Norwegen und bekommt zum Abschied wertvolle Geschenke von seinem Großvater: [E]n einkagripi vil ek þér gefa, feld ok spjót ok sverð, er vér hǫfum mikinn trúnað á haft frændr; ok meðan þú átt gripina, vænti ek, at þú týnir eigi virðingu, en þá em ek hræddr um, ef þú lógar þeim. (Vig 6, 19). (Doch möchte ich dir besondere Kostbarkeiten schenken, einen pelzgefütterten Mantel, einen Speer und ein Schwert, auf die wir in der Familie großen Glauben gerichtet haben. Und während du diese Kostbarkeiten besitzt, erwarte ich, dass du nicht an Ansehen verlieren wirst, doch fürchte ich um dich, wenn du sie weggibst.)

sode verwendet ausschließlich die Begriffe forlǫg und ørlǫg, und ist damit dem dominanten Schicksalsdiskurs der Saga zuzurechnen. 29 Baetke 1937; als Talisman bezeichnet sie auch Baetke 1951 [1973, 344]; hier spricht er allerdings nur noch von einem internationalen Märchenmotiv. 30 Víg 5, 16; „dass ich gæfa von meinen vornehmen Verwandten erhalte.“ 31 Víg 6, 16; „Er sah einen großen und ansehnlichen Mann im Hochsitz, der einen schwarzen Kapuzenumhang trug und mit einem goldbeschlagenen Speer spielte.“

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North versammelt in seinem Aufsatz zur Víga-Glúms saga diverse Hinweise,32 die seiner Ansicht nach Glúmr und seinen Großvater mit Óðinn in Verbindung bringen, während Glúmrs Gegner unter dem Schutz des Gottes Freyr stehen33 – er interpretiert diese Episode damit als den Versuch, eine „besonders odinische Art gæfa zu erhalten, mit der er [Glúmr] den Kampf mit den Anhängern des Freyr aufnehmen kann,“34 und nennt diese Gegenstände anschließend „odinische Talismane“.35 Für einen Speer und einen Umhang ist dies nachvollziehbar, im Vergleich mit den Talismanen der Hallfreðar saga und der Vatnsdœla saga erscheint der Hinweis aber doch zu subtil, um neben Freyr und Þórr einen dritten Gott zu erkennen, dem in Isländersagas Talismane gewidmet sind – der Großvater als Schenker steht hier deutlich im Vordergrund. Als Glúmr nach Island zurückkehrt, stellt er fest, dass ein großer Teil seines Erbes nun nicht mehr zu seinem Land gehört, und er will dies an seinem Kontrahenten Sigmundr rächen. Hier werden die Gegenstände zum zweiten Mal erwähnt, als Glúmr mit dem Speer seines Großvaters Sigmundr den Kopf spaltet und sich auf Island zum ersten Mal als würdiger Spross seiner Familie zeigt: Einer der Gegenstände hat seine Macht bewiesen. Kurz darauf sieht Glúmr in einem Traum eine übernatürlich große Frau zu seinem Hof kommen. Er deutet dies als Nachricht des Todes seines Großvaters und die Frau als dessen hamingja:36 Ok var hann um aðra menn fram um flesta hluti at virðingu, ok hans hamingja mun leita sér þangat staðfestu, sem ek em.37 Glúmr ist nun viele Jahre ein angesehener Mann im Bezirk, doch muss er nach einem großen Kampf auf die Unterstützung zweier mächtiger Männer bauen. Nach erfolgreichem Abschluss der Rechtssache schenkt er ihnen aus Dankbarkeit den

32 North 2000 bezieht sich hier auf Holtsmark 1933. Ähnliche Argumentationen finden sich auch bei Turville-Petre 1964, 69–70 sowie Jón Hnefill Aðalsteinsson 1998, 111–115. Als Überblick dieses Forschungsansatzes siehe auch Schmidt 2015, 92–96. 33 Zu Freyr in der Víga-Glúms saga siehe auch Meulengracht Sørensen 1992, 732. Entschieden anderer Meinung ist Baetke 1951 [1973, 344]: „Mantel, Speer, Schwert; sie sollen auf Odin hinweisen. Dafür spricht jedoch nichts. Talismane, an die das Glück des Helden geknüpft ist, sind ein bekanntes, wahrscheinlich aus dem Orient stammendes internationales Sagen- und Märchenmotiv. Geschenke dieser Art kommen auch in anderen Sagas vor […].“ 34 North 2000, 349. 35 North 2000, 352. 36 Der Begriff hamingja bezeichnet das ‚Glück‘ oder die ‚Glückskraft‘ ebenso wie das personifizierte Glück, den ‚Schutzgeist‘ einer Person, vgl. Beck 1999, 478–480. Erwähnenswert ist, dass die einzige vergleichbare weibliche Personifikation persönlichen Glücks in den Isländersagas dem oben erwähnten Hallfreðr folgt: Vor seinem Tod sieht der Held seinen hier als fylgjukona bezeichneten Schutzgeist, und erklärt ihr, sie müssten sich nun trennen. Daraufhin geht sie auf dessen Sohn Hallfreðr über, der auch das Schwert und den Beinamen seines Vaters erhält und ein angesehener Mann wird (gæfumaðr), vgl. Hal 6, 155–167. Wenn auch nicht mit dem Talisman verbunden, spricht diese Episode für eine Glücksvorstellung in der Hallfreðar saga vandræðaskálds, die der Víga-Glúms saga ähnelt. Zum Zusammenhang von hamingja-, fylgja- und anderen Glückskonzepten siehe Sommer 2007, 279–282. 37 Víg 9, 31; „Und er übertraf andere Männer in den meisten Dingen an Ansehen und seine hamingja wird sich nun hier niederlassen, wo ich bin.“



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Mantel und den goldbeschlagenen Speer. Die Bedeutsamkeit dieser Handlung ist seinen Feinden sogleich bewusst: Einarr svarar: ‚Glúmr hefir nú lógat þeim hlutum, feldi ok spjóti, er Vigfúss, móðurfaðir hans, gaf honum ok bað hann eiga, ef hann vildi halda virðingu sinni, en kvað þaðan frá þverra mundu. Nú mun ek taka við málinu ok fylgja.‘ (Víg 25, 87) (Einar antwortet: ‚Glúmr hat jetzt die Dinge weggegeben, Mantel und Speer, die sein Großvater Vigfúss ihm gab und die er ihn zu behalten empfahl, wenn er sein Ansehen behalten wolle, das sonst schwinden würde, wie er sagte. Nun werde ich mich der Klage annehmen und sie verfolgen.‘)

Es kommt, wie von Einar angenommen: Glúmr unterliegt in dieser Rechtssache und verliert seinen Hof. Geschlagen, altersschwach und halb erblindet stirbt er am Ende der Saga. Der Ausspruch Einars zeigt ebenso, wie die zu Glúmr übergehende hamingja des Großvaters, dass es dessen gæfa war, die an den Gegenständen hing.38 Die eigene Bestimmtheit dieser Dinge ist zwar den Feinden Glúmrs ebenso bewusst wie dem Erzähler, dem Protagonisten selbst aber offenbar nicht: Anders lässt sich kaum erklären, wieso Glúmr diese Gegenstände trotz der unmissverständlichen Warnung seines Großvaters einfach weiterverschenkt.

Königsgeschenke als ‚handlungsmächtige Dinge‘ Eine ähnliche Gruppe von handlungsmächtigen Dingen in den Isländersagas stellen Königsgeschenke dar, die mit den Talismanen einige interessante Merkmale teilen. Glückbringende Königsgeschenke tauchen in dieser Gattung häufiger auf, was für eine den Texten inhärente Vorstellung spricht, nach der etwas vom Glück des Königs auf den von ihm verschenkten Gegenstand übergeht.39 Während manche für den Handlungsfortgang zentral bleiben, verschwinden andere nach kurzer Zeit wieder aus der Erzählung, oder bleiben nur als Statussymbole präsent. Letztere Funktion hat das Schwert Konungsnautr, das der norwegische König Kjartan in der Laxdœla saga zum Abschied schenkt, ebenfalls. Und doch scheint es mit dem Schwert mehr auf sich zu haben, als den Träger als Gefolgsmann des Königs auszuweisen. Bei der Übergabe 38 North weist außerdem darauf hin, dass es in der ersten Szene des Geschenks drei Gegenstände sind, die Glúmr von seinem Großvater erhält. Das dritte Geschenk, ein Schwert, taucht danach nicht wieder auf. Dies vermutet North als Auslassung des Kompilators der Mǫðruvallabók, ursprünglich sei dieser dritte Gegenstand für den dritten Helfer gedacht gewesen. Vgl. North 2000, 357–358. 39 Dieses Königsglück kann ebenso direkt auf einen anderen Menschen übergehen. Am deutlichsten wird diese Hoffnung im Hreiðars þáttr heimska durch Þórðr verbalisiert, der hofft, die gæfa des Königs könne auf seinen glücklosen Bruder abfärben: Þótti mér ok glíkligt, at hann mundi gæfu af yðr hljóta, ef hann kœmi á yðvarn fund. (Hreið, 250; „Es schien mir auch wahrscheinlich, dass er gæfa von Euch erhalten würde, wenn er an Euren Hof käme.“).

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des Schwertes spricht der König: [L]áttu þér vápn þetta fylgjusamt vera, því at ek vænti þess, at þú verðir eigi vápnbitinn maðr, ef þú berr þetta sverð.40 Das Schwert Konungsnautr soll Kjartan also stets bei sich tragen, um unverwundbar zu sein. Zurück auf Island befolgt er diesen Rat zunächst, nach einem Besuch der Familie von Bolli und Guðrún ist das Schwert aber verschwunden. Man findet es zwar wieder, die Scheide des Schwertes taucht aber nicht wieder auf. Als Kjartan das Schwert zurückbekommt, legt er es in eine Truhe, und es heißt: Kjartan hafði jafnan minni mætur á sverðinu síðan en áðr.41 Nachdem er es fortlegt, wird das Schwert Konungsnautr nur noch negiert erwähnt: Als Bolli und Kjartan zu ihrem tödlichen Endkampf aufeinander treffen, hat Kjartan ein schlechtes Schwert bei sich, ok hafði eigi konungsnaut.42 Somit bewahrheitet sich auch der Ausspruch des Königs, mit dem dieses Schwert erworben wurde: Da Kjartan es nicht trägt, ist er verwundbar und verliert in dieser Episode sein Leben. Katona (2014, 31) geht in seiner Interpretation einen Schritt weiter: „The sword possesses a hidden power and the good luck and success of the king will prevent unfortunate happenings. Thus, it is regarded as a token of magical protection in addition to the more obvious symbolic prestige and sign status.“ Obwohl Kjartan Konungsnautr zunächst kaum je aus der Hand legt, ist es ihm nach der Wiedererlangung nicht mehr so kostbar wie zuvor.43 Es scheint m.  E., als hätte der Diebstahl es besudelt, sodass es sich für Kjartan verändert hat.44 Die narrative Funktion des Schwertes wandelt sich an dieser Stelle vom segensreichen Symbol der Freundschaft (zum norwegischen Herrscher) zum Symbol der Feindschaft mit dem einstigen Ziehbruder. Dieses Beispiel zeigt, dass nicht nur das Schenken eine positive Kraft verleihen kann, sondern dass ein Diebstahl das Wesen eines Objektes negativ beeinflussen kann. Das Schwert schützt seinen Träger zunächst in ganz ähnlicher Weise wie die Geschenke der Víga-Glúms saga. Ebenso wie Glúmr wird der Beschenkte in der Laxdœla saga verwundbar, als er das Geschenk verliert. Kjartans Aufgabe des Schwertes deutet an, dass er sich im Gegensatz zu Glúmr der Wirkmacht und der Veränderung seines Glücksbringers bewusst ist. Die Laxdœla saga kennt ein weiteres Königsgeschenk, das seine Bedeutung im Lauf seiner Biographie verändert.45 Hǫskuldr erwirbt während seiner Auslandsfahrten einen Goldring und ein Schwert von König Hákon, die zunächst als Statussymbole fungieren. Als er sie am Ende seines Lebens weitergibt, tritt die Vorstellung, innerfamiliäres Glück könne zusammen mit einem Gegenstand weitergegeben werden, in 40 Lax 43, 132; „Lass diese Waffe stets bei dir sein, denn ich nehme an, dass du ein unverwundbarer Mann sein wirst, wenn du dieses Schwert trägst.“ 41 Lax 46, 142; „Kjartan hatte danach weniger Wertschätzung für das Schwert als zuvor.“ 42 Lax 49, 153; „und hatte Konungsnautr nicht [bei sich].“ 43 Vgl. Heller 1960, 130. 44 Vgl. auch Grünzweig 2009, 409–420, der hierzu anmerkt, dass Schwert und Scheide als eine zusammengehörende Einheit verstanden wurden, wodurch das Schwert Konungsnautr durch den Verlust der Scheide erheblich an Wert eingebüßt habe. 45 Auch diese Stelle listet Baetke 1937, 129, unter ,Amulette‘.



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den Vordergrund. Er gibt die Geschenke an seinen Lieblingssohn Óláfr weiter: Síðan lét Hǫskuldr taka gullhring Hákonarnaut – hann vá mǫrk – ok sverðit konungsnaut, er til kom hálf mǫrk gulls, ok gaf Óláfi, syni sínum, ok þar með giptu sína ok þeirra frænda.46 Hǫskuldr nennt die vererbten Gegenstände auch lange nach ihrem Erwerb Hákonarnautr und Konungsnautr und will mit ihnen seine gipta (‚Glück‘) und die seiner Verwandten weitergeben. Diese Gegenstände zeichnen seinen Sohn Óláfr im weiteren Verlauf der Saga als den von Hǫskuldr erwählten Erben aus, was durch den Neid und die negative Reaktion seiner Brüder deutlich wird. Neben der Biographie des Dinges spielt die an ihnen hängende gipta oder gæfa der Familie eine Rolle,47 es ist das Glück des Schenkers oder der Familie, das an den Gegenständen hängt und mit ihnen weitergegeben werden kann.48 Für solche glückbringenden Geschenke in den Isländersagas wurde die in vielen Kulturen verbreitete Vorstellung herangezogen, geschenkte Gegenstände behielten etwas von ihrem ursprünglichen Besitzer in sich.49 Solche Überlegungen schließen an die von Marcel Mauss etablierte Gabentheorie an,50 die eine Vorstellung vom „Geist der gegebenen Sache“ (Mauss 2013, 31–32) voraussetzt. Mauss verwendet für die Seele oder Macht der Dinge den Maori-Ausdruck hau, der meint, ein Stück des Gebers wohne fortan dem geschenkten Ding inne.51 Allerdings lässt sich der Begriff hau nicht ohne weiteres von den Maori auf die Isländersagas übertragen;52 zumal der Begriff die Vorstellung enthält, das hau eines Gegenstandes bewirke, dass der Gegenstand zu seinem ursprünglichen Besitzer zurückkehren möchte. Dies ist in den Isländersagas keineswegs der Fall, wie Miller (2014, 104) betont:

46 Lax 26, 72; „Danach ließ Hǫskuldr seinen Goldring Hákonarnautr nehmen – er wog eine Mark – und das Schwert Konungsnautr, das sich auf eine halbe Mark Goldes belief, und gab sie Óláfr, seinem Sohn, und damit sein Glück und das seiner Verwandten.“ Vgl. auch Katona 2014, 28. 47 Sommer 2007, 279 zeigt, dass die Begriffe gipta und gæfa synonym sind, und beide auf eine Art von Glück verweisen, die der Besitzer von sich geben kann, um anderen damit zu helfen. 48 Auch Katona 2014, 24, geht davon aus, dass es das Glück ist, das „as a type of social magic“ mit den Gegenständen weitergegeben wird: „Contrary to our perception of luck, the pagan mode of thought about it differed as being not unpredictable and fickle but an inherent quality residing in a man’s personality and/or lineage […] luck is a skill which can be acquired and included in a person or in an object“. 49 Vgl. bspw. Fichtner 1979, Miller 1986, Miller 2014 sowie Barreiro 2015. 50 Maussʼ Essai sur le don (1923/1924) erschien in deutscher Übersetzung zuerst 1968 unter dem Titel Die Gabe. Die Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, und wird im Folgenden aus seiner aktuellen Auflage, Mauss 2013, zitiert. 51 Vgl. Mauss 2013, 33–34. 52 Eine ähnliche, manaistische Vorstellung sieht allerdings bereits Gehl 1939, 64–65 in der altnordischen Literatur: „Gæfa/gipta ist ein ganz bestimmtes angeborenes megin (‚Mana‘) einer Person, das Sichtbar- und Wirksamwerden der sie erfüllenden geheimnisvollen Kräfte. Dieser manaistischen Vorstellung entspricht es, daß man dieses Glück übertragen, in eine andere Person hineinlegen kann, eine Vorstellung, die bei allen diesen Wörtern begegnet.“

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A ‚naut‘-gift is not going to come back home, despite all the anthropological writing on the Maori hau […]. The spirit imbuing other objects, a gift of more moveable property for instance, is willing to settle for some kind of equivalent return.

Und doch argumentiert Miller (2014, 108), den geschenkten Gegenständen hafte etwas an, das auch dann erhalten bleibe, wenn der Gegenstand weiterverschenkt wird, und das durch ihre Benennung greifbar wird. Doch ist auch dies nicht ohne Einschränkungen richtig, da die Benennung des Geschenks in den Isländersagas veränderlich sein kann und nicht wie das hau vom ursprünglichen Besitzer abhängen muss. Dies zeigt beispielsweise der scharlachrote Mantel der Gunnlaugs saga ormstungu, den Gunnlaugr zunächst vom englischen König Aðalráðr als Dichterlohn erhält. Als er ihn an seine Geliebte Helga weiterschenkt, heißt es noch: Ok þá gaf Gunnlaugr Helgu skikkjuna Aðalráðsnaut, ok var þat gersimi sem mest.53 Als am Ende der Saga aber von Helgas besonderer Beziehung zu diesem Mantel berichtet wird, wird derselbe Gegenstand nach seinem neuen Schenker benannt: Þat var helzt gaman Helgu, at hon rekði skikkjuna Gunnlaugsnaut ok horfði þar á lǫngum.54 In dieser Passage ist es nicht mehr König Aðalráðr, dessen Geist für Helga in diesem Ding greifbar wird, sondern Gunnlaugrs  – also der Geist desjenigen Mannes, von dem sie das Geschenk empfangen hat. Obwohl das von Mauss etablierte Vokabular somit im Detail nur eingeschränkt auf die Isländersagas übertragbar ist, lässt sich mit seiner Hilfe die besonders starke symbolische Bedeutung dieser Gegenstände deutlich machen, die aber – im Unterschied zu Maussʼ am neuseeländischen Material entwickelter Theorie – nicht an den Ursprungsbesitzer gebunden, sondern im Lauf der Narration veränderlich ist.

Die Eigenwilligkeit des Talismans Die Vorstellung von handlungsmächtigen Gegenständen ist in den Isländersagas als etabliertes Erzählmotiv verbreitet. Für Talismane in Form von Götterbildnissen als Requisit heidnischer Figuren besteht augenscheinlich kein Erklärungsbedarf, sodass davon auszugehen ist, dass man zur Zeit der Abfassung der Isländersagas eine Vorstellung von Aussehen und Gebrauch eines solchen hlutr hatte, auch wenn sich nicht bestimmen lässt, woher sich dieses speiste. Ingimundrs Talisman hat, wie die glückbringenden Königsgeschenke anderer Sagas, eine Symbolfunktion und fungiert als Marker seiner Beziehung zum König und dem Gott Freyr, später ist er der gegenständliche Beweis einer Prophezeiung, was auch in beiden Szenen verbalisiert wird; sowohl König als auch Seherin verwenden den Ausdruck til marks für die Funktion 53 Gun 11, 90: „Und da schenkte Gunnlaugr Helga den Mantel Aðalráðsnautr, das war eine überaus große Kostbarkeit.“ 54 Gun 13, 106–107: „Es war Helgas größte Freude, den Mantel Gunnlaugsnautr auszubreiten, und ihn lange anzusehen.“



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des Talismans. Wie veränderlich die Symbolfunktion innerhalb der Narration ist, zeigen die Beispiele des Mantels (Aðalráðsnautr – Gunnlaugsnautr) ebenso wie das Königsschwert der Laxdœla saga, das zunächst Kjartans Status und Glück markiert, später aber zum Symbol der verlorenen Freundschaft und des Unglücks wird. Die Biographie der geschenkten Dinge erscheint enorm bedeutungsvoll, und zeigt die Möglichkeit einer ständigen Neusemantisierung. Es sind die Figuren, durch deren Hände die Objekte wandern, die sie mit Bedeutung aufladen und durch deren Zuschreibungen die Dinge zu bedeutungstragenden Elementen in der Narration werden. Die Nennung dieser Gegenstände in den zitierten Episoden ruft ihre Biographie beim Rezipienten wach und lässt sie daher als positive oder negative Markierungen fungieren. Sie werden in den Isländersagas flexibel verwendet und passen hervorragend zu deren Erzählweise: Nach der Etablierung des Gegenstandes können durch simple Nennungen eines Gegenstandes vielschichtige Assoziationen aufgerufen werden, ohne den meist deskriptiven Erzählstil der Isländersagas verlassen zu müssen. Als es im zentralen Kampf der Laxdœla saga heißt, Kjartan hafði eigi konungsnaut, ist bereits durch diese kurze Nennung des Gegenstandes die Kausalkette präsent, die zum Tod des Helden führt: Seine Auslandsfahrt, sein Status am Königshof, das Zerwürfnis mit seinem Ziehbruder, der Diebstahl des Schwertes durch Guðrúns Bruder und die Prophezeiung des Königs. Sogar die innere Einstellung des Helden wird sichtbar: Er hat sich seinem Schicksal bereits ergeben, als er das Königsschwert wegsperrte und den Glücksbringer aufgab. Die dem Gegenstand innewohnende Kraft kann verschieden begründet sein. Zum einen kann, wie bei Ingimundrs Talisman, die Verbindung zu einer numinosen Macht für den Eigensinn und die Kraft des Dings verantwortlich sein. Der Talisman der Vatnsdœla saga wird zunächst völlig ohne Bezug zu Freyr verschenkt, und erst im späteren Verlauf hält es der König für möglich, dass Freyr einen Einfluss auf den Gegenstand haben könnte. Die Finnen dagegen begreifen den Talisman als selbstbestimmtes Ding, ohne Kenntnis eines göttlichen Eingreifens. Handelt es sich dagegen um ein Geschenk oder Erbstück, ist die Kraft eng mit dem Konzept gæfa verbunden, dem Glück, das Menschen oder Gegenständen innewohnt. Dieses kann von Mensch zu Mensch übertragen werden, was sowohl durch die geschenkten Gegenstände wie auch durch die zu Glúmr wandernde hamingja des Großvaters sichtbar wird. Möchte man Mauss heranziehen, ist der „Geist der gegebenen Sache,“55 der sich im Gegenstand einschließen lässt, in den Isländersagas die gæfa des Schenkers, nicht seine Seele. Innerhalb der Geschichte wird nicht klar unterschieden, ob es göttlicher Wille oder menschliche gæfa ist, die dem Gegenstand einen Eigenwillen verleiht. An den Figuren Ingimundrs, Kjartans und Glúmrs zeigen sich diese verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten. Während Glúmr trotz der expliziten Warnung seines Großvaters leichtfertig mit seinen Glücksbringern umgeht (ihm der Eigensinn der Dinge also 55 Mauss 2013, 31–32.

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verschlossen bleibt), ist Kjartan sich der Macht seines Schwertes bewusst und erkennt sogar dessen Veränderung nach dem Diebstahl. Ingimundr hingegen muss sich dem Willen des Talismans fügen, obwohl ihm verschlossen bleibt, wer oder was genau für diese Macht verantwortlich ist. Fasst man das Konzept des Talismans also weiter und betrachtet glückbringende Gegenstände unabhängig von ihrem Aussehen und ihrer Größe, lassen sich durch ‚close reading‘ einige Hinweise auf die Funktion solcher Stücke innerhalb der Texte ermitteln und es kann ein schärferes Bild der Konzeptualisierung von Dingen in altnordischen Texten gewonnen werden. Ungeklärt bleibt hier, ob diese neue Lektüren nun für oder gegen pagane Vorstellungen in den Isländersagas sprechen – diese ‚Glau­ bensfrage‘ sollte zukünftig unter Berücksichtigung anderer wirkmächtiger Ge­gen­ stände gestellt werden.

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Andreas Hammer

Der Ring der Nibelungen: Der Ring als Ding und Akteur in den skandinavischen und deutschen Versionen des ‚Nibelungenstoffes‘ Abstract: The Nordic version of the Nibelung tale, especially the eddic lays and Vǫlsunga saga, connect the story of the treasure with a cursed ring. In the Vǫlsunga saga, that ring is further connected to the swindle on Brynhild. The middle high German Nibelungenlied also knows a ring which plays a key role in exposing the swindle of Brünhild, though it is not a part of the treasure of the Nibelungs. The present paper attempts to illustrate the complex entwinement which the ring underlies in the various versions, thereby analysing its hybrid role between object and subject as well as object and actor. While the ring, under a certain perspective, could be ascribed its own agency in the Nordic version, it remains in the Nibelungenlied a symbolic character whose ambiguity by nature leaves room for misinterpretation which can lead to catastrophe. Das Nibelungenlied und der gesamte Erzählkreis um das Schicksal der ‚Nibelungen‘ haben in der Frühen Neuzeit und der Moderne zunächst wenig Beachtung gefunden. Die Rezeption bricht ab dem 16. Jh. weitgehend ab, erst in der Spätaufklärung wird der Stoff wiederentdeckt und erlangt vor allem in der Romantik wieder enorme Bedeutung, die in der Rückbesinnung auf heimische Dichtung und Mythologie das Nibelungenlied als ‚Nationalgeschichte‘ begreift (vgl. Härd 1996). Wie kaum ein Zweiter hat Richard Wagner diese Rezeption des Erzählstoffes um die Nibelungen geprägt. Seine fulminante Ring-Tetralogie ist „ein Musikdrama vom Anfang und Ende der Welt mit mythischen Dimensionen“ (Mertens 2011, 50), das den gesamten Stoff von der Geschichte des sagenhaften Hortes über die Verstrickungen der Götter, Siegfrieds Betrug an Brünhilde und ihrer beider Tod bis hin zur Götterdämmerung und der erneuten, endgültigen Versenkung des Ringes im Rhein umfasst. Doch schon der Titel der ‚Opernserie‘ macht deutlich, dass das zentrale, übergreifende Motiv ein Ding ist: Der Ring durchzieht die gesamte Handlung, ist Objekt des Begehrens, Instrument der Machtausübung (vgl. Niehaus 2012, 72) und Symbol des Untergangs. Wagner ist mit dieser Lesart weit über den von ihm vorgefundenen Stoff hinausgegangen und verschafft der Handlung eine viel stärkere innere Kohärenz, vor allem aber auch eine politische und ökonomische Komponente, die erst im Lichte des Entstehungskontextes in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts richtig betrachtet werden kann. Die Frage, weshalb Wagner dem Ring als Symbol der Macht einen derart hohen Stellenwert einräumt, dass er als verbindendes Element aller vier Opern erscheint und deren inneren Zusammenhang garantiert, hängt nicht zuletzt mit dem Stellenwert

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zusammen, der dem Motiv des Rings im mittelalterlichen Stoffkomplex zukommt. Zwar hat Wagners Ring als fluchbeladener Garant der Weltherrschaft kein direktes Pendant in den mittelalterlichen Erzählungen, die er für seine Musikdramen heranzog, doch ist das Motiv auch nicht völlig aus der Luft gegriffen, und es zeigen sich einige strukturelle Parallelen, besonders zur altnordischen Vǫlsunga saga, die Wagner diesbezüglich am meisten Material bot. Es soll im Folgenden jedoch nicht um eine Stoffuntersuchung von Wagners Vorlagen für den Ring-Zyklus gehen, sondern darum, welche Funktion dem Motiv des Rings in den einzelnen skandinavischen und mhd. Varianten dieses Stoffes zukommt. Dabei stehen nicht nur die strukturellen Eigenheiten im Mittelpunkt, sondern insbesondere auch die systematische Einordnung: Denn in einigen der skandinavischen Erzählungen scheint es, als ob der Ring beinahe ein Eigenleben führte und quasi als Akteur unter den Handlungsträgern auftritt. Im mhd. Nibelungenlied dagegen fungiert der Ring als Zeichenträger, dessen Deutung oder vielmehr Fehldeutung geradewegs zu Siegfrieds Tod führt. Zwei Punkte sind für die nachfolgende Betrachtung jedoch vorweg zu bemerken: Erstens soll in keiner Weise versucht werden, stoffgeschichtliche Abhängigkeitsverhältnisse zu rekonstruieren oder auch nur anzudeuten, und zweitens kann man  – daraus folgend  – eigentlich nicht von dem Ring sprechen, sondern nur von einem gleichgelagerten Motiv und dessen Einbindung in den Handlungsverlauf.

Der Ring als Ding: Zum Status von Dingen im kulturellen und narrativen Kontext Erzählungen werden bestimmt durch ihre Handlungsträger. Diese eröffnen eine Opposition von Subjekt und Objekt, wobei die Perspektive auf dem Subjekt als dem Akteur liegt, der (eben als handelnde Figur) ein Objekt abgibt oder empfängt. Akteure treiben die Handlung voran, oder, narratologisch formuliert, setzen Differenzen, welche überhaupt erst notwendig sind, damit aus einem Text eine Erzählung wird, denn erst das narrative Ereignis erzeugt eine Geschichte (zur Übersicht über die narratologischen Grundbegriffe vgl. Bleumer 2015, bes. 219–223). Als Akteure werden zunächst stets Personen angesehen, denn nur sie sind zur Handlung fähig (in fiktionalen Texten wie z.  B. Fabeln können etwa auch Tiere diese Funktion und damit die gleiche Rolle wie menschliche Figuren übernehmen). Während die (an G. Genette angelehnte) narratologische Terminologie sämtliche Handlungsträger als Aktanten fasst, ist für die folgenden Überlegungen die Differenzierung in menschliche, mit Bewusstsein ausgestattete Akteure einerseits und Aktanten als nicht-menschliche agierende Entitäten andererseits wichtig (vgl. Latour 2005). Ein Objekt kann, so sollte man meinen, unter Umständen Aktant, nicht aber Akteur sein, denn ein Objekt unterscheidet sich ja gerade dadurch von einem Subjekt, als es kein Bewusstsein hat, keine Entscheidungen treffen kann, kurzum: keine Handlungsmacht besitzt.



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Jüngere Untersuchungen zum ethnologischen und literarischen Status von Dingen widersprechen allerdings vermehrt einer solch strikten Dichotomie. Es gilt, den semantischen Gehalt von natürlichen Objekten und Artefakten1 zu erkennen und zu beschreiben; als Zeichenträger fungieren solche Dinge als Kommunikationsmedien, können jedoch auch über den Status des Mediums hinauswachsen. Sie sind dann „als ‚Akteure‘ zu begreifen, die menschliches Handeln in vielfältiger Hinsicht beeinflussen und dadurch soziale Zusammenhänge mitgestalten“ (Knipp 2012, 46). Es ist nicht möglich, an dieser Stelle tiefergehend auf die breite Diskussion zu dieser Thematik einzugehen,2 daher seien nur einige grundlegende Beobachtungen hierzu notiert: Wo immer Objekte oder Artefakte einen sozialen Stellenwert besitzen, sind sie integraler Bestandteil einer Gesellschaft und Teil kultureller Handlungen. Als solche können sie für ihre soziale Umwelt die Rolle eines Zeichenträgers einnehmen, werden mit bestimmten Bedeutungen aufgeladen. Insbesondere die Literatur ebnet dabei die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt immer wieder ein, spielt mit derartigen Grenzziehungen, stellt sie in Frage, setzt sie aus. Dabei geht es weniger um das Konzept der Dingbeseelung, bei denen Dinge (oder allgemeiner: nicht-menschliche Objekte) menschliche Eigenschaften erhalten oder übernehmen, durch die sie dann zu Aktanten werden. Es geht vielmehr um jenen Zwischenbereich, in dem die Grenze zwischen Subjekt und Objekt zwar noch erkennbar ist, sich aber aufzulösen beginnt, indem bestimmte Zuschreibungen, Handlungskompetenzen etc. nicht auf Menschen (oder Figuren mit menschlichen Eigenschaften), sondern auf Dinge übertragen werden. Dinge (der Begriff wird hier im übergreifenden Sinne für alle Gegenstände, Artefakte und Objekte verwendet) können einerseits natürlich weithin bloß vorhanden sein: Ein Schwert z.  B. ist zunächst lediglich eine Waffe in der Hand des Kriegers. Doch gerade dieses Beispiel zeigt, mit welch ausufernder Semiotik derartige Artefakte belegt sein können: Zahllose Erzählungen inszenieren das Schwert des Helden als Zeichenträger, der weit über den Status als bloßes Symbol hinausgeht

1 Zu differenzieren wäre mit Kohl 2003 einerseits zwischen Gegenstand und Objekt; letzterem kommt ein größeres Bedeutungsfeld zu: „Aufgrund ihrer Konkretheit und Beständigkeit eignen sich Objekte sogar besonders gut dazu, Erinnerungen, Ideen und Gefühle zu verkörpern, Bedeutungen über Raum und Zeit hinweg zu transportieren und ihnen auf diese Weise Dauer zu verleihen (Kohl 2003, 120  f.). Andererseits ist zwischen natürlichen Objekten (also von der Natur geformten Gegenständen, etwa einem Stein, einer Muschel etc., die mit einer bestimmten Bedeutung aufgeladen werden) und Artefakten, die vom Mensch geformt und bearbeitet sind, zu unterscheiden; beide eignen sich als Zeichenträger, wobei es vor allem die Mobilität dieser Dinge ist, denen eine entscheidende Bedeutung zukommt, denn gerade ihre Handhabbarkeit ermöglicht es, sie als Zeichenträger wie auch als Kommunikationsträger einzusetzen (vgl. Kohl 2003, 117–130; Knipp 2012, 53, Selmayr 2017, 36–41). 2 Zu weiterführender Literatur vgl. Niehaus 2012, Knipp 2012 und Vedder 2012, mit zahlreichen Literaturhinweisen. Die theoretische Basis der meisten Überlegungen geht auf die von Bruno Latour mitentwickelte Akteur-Netzwerk-Theorie zurück vgl. Latour 2001 und 2005; vgl. auch Barthes 1988, 187–198. Für die mediävistische Diskussion vgl. jüngst die Studie von Selmayr 2017, hier besonders 26–35; zahlreiche Literaturhinweise auch in der Einleitung von Mühlherr 2016, 1–5.

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(vgl. Mühlherr 2014; Selmayr 2015). Einige Schwerter haben Namen, sie haben sogar eine Geschichte, und manche von ihnen, wie das Schwer Tyrfing der Hervarar saga, entfalten ein Handlungspotential, das das der Protagonisten sogar noch übersteigt. Das mag ein besonders auffälliges Beispiel sein, doch zeigt es, wie Dinge vor allem im narrativen Kontext zu ‚telling objects‘ werden, die mit den Menschen bzw. den Handlungsträgern, mit denen sie in Kontakt stehen, verbunden sind (vgl. Knipp 2012, 55) – bis hin zu der Frage, ob der Mensch das Objekt benutzt oder nicht vielmehr das Objekt den Menschen. Solcherart können Objekte und Artefakte wie der ‚Ring der Nibelungen‘ zu Agenten werden, „die Kultur- und Erkenntnisprozesse konstituieren“ (Vedder 2012, 14). Das Ding, insbesondere wenn es beweglich ist, von einer Hand zur anderen wandert, wird zum Handlungsträger, indem es selbst Differenzen setzt (und damit auch die Handlungsmacht der anderen Akteure wenn nicht in Frage stellt, so doch entscheidend beeinflusst). Vor diesem hier nur in aller Kürze skizzierten Hintergrund erweisen sich gerade auch Ringe als Artefakte, die auf der literarischen Ebene nicht nur symbolische Bedeutung besitzen (wie etwa der Ehering als Zeichen von Liebe und Treue; vgl. Graf 2003/04, 691  f.; Fürbeth 2016, 424  f.), sondern in vielfacher Hinsicht als Zeichenträger fungieren und als solche sogar eigenständige Handlungsmacht zugesprochen bekommen können.3 Ringe sind bewegliche Artefakte, sie können weitergegeben und genommen werden; sie sind ‚wandernde Dinge‘ (Niehaus 2009), als Zeichen der Herrschaft und Machtinsignien wohnt ihnen eine institutionelle Dimension inne, die sie zu Zeichenträgern macht (vgl. Niehaus 2012, 72). Gerade in der mittelalterlichen Literatur können Ringe vielfältige Funktionen und Semantiken besetzen, wobei auffallend ist, dass sehr häufig Bindungen und Verpflichtungen damit verbunden werden: Ein Ring kann Herrschaftszeichen sein und dadurch Gefolgschaft an sich binden, die dem Träger zugehörig und verpflichtet ist – eine ähnliche, aber weiterreichende Funktion wie der Ehering, der die Treueverpflichtung zwischen zwei bestimmten Personen symbolisiert. In diesem Sinne kann der Ring auch als Erkennungszeichen dienen und die Zugehörigkeit zu seinem Besitzer anzeigen; hier kann ein Ring bisweilen sogar als Identitätsmarker dienen, ja mehr noch: Als „Signifikant der Eigenschaften seines Trägers“ (Fürbeth 2016, 425) steht der Ring dann pars pro toto für seinen Träger selbst – und entfaltet auf diese Weise entsprechende Wirkmächtigkeit. Als Gabe sind Ringe (besonders solche aus Gold) schon aufgrund ihres Materialwertes ausgesprochen wertvolle Geschenke, der Besitz vieler Ringe dient auch als Metapher für großen Reichtum (vgl. Zimmermann 2003, 5  f., mit Beispielen). Doch gerade als Gabe installiert der Ring wiederum eine Beziehung zwischen Schenker und Beschenktem; Entlohnung impliziert „Bindung in Bezug auf zukünftige Dienste“ (ebd., 5), eine Gabe verpflichtet zur Gegengabe. Gleiches gilt für ‚Bußringe‘, die als Wergeldzahlungen

3 Musterbeispiel eines solchen Ringes mit eigener Handlungsmacht wäre J.R.R. Tolkiens Lord of the Rings, vgl. Niehaus 2012.



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insbesondere im anord. Erzählkontext an die Hinterbliebenen von Totschlagopfern zu zahlen waren (vgl. ebd., 7): Die Gabe ist ein Schuldeingeständnis, die Annahme verpflichtet zur Beendigung der Blutrache. Es zeigt sich also, wie stark Ringe als Zeichenträger zwischenmenschlicher Beziehungen und Interaktionen fungieren können, ja regelrecht Interaktionsmuster festlegen. Die Literatur verbindet damit verschiedene Fragestellungen, die je neu ausgehandelt werden: Handelt der Träger im Ring? Handelt der Ring für den Träger? Oder kann der Ring irgendwann sogar autonom, abgekoppelt vom Träger, handeln? Einen besonderen Stellenwert nehmen dabei magische Ringe ein, die besonders häufig in der Erzählliteratur zu finden sind. Sie können einerseits dem Schutz ihres Trägers dienen, indem sie vor Verwundung, Feuer, Krankheit o.  ä. schützen oder indem sie unsichtbar machen (so wie der Ring der Lunete in Hartmanns Iwein), sie können aber auch Reichtum bewirken (z.  B. der Ring Draupnir in der Vorgeschiche der nordischen Nibelungensage) oder den rechten Weg weisen (z.  B. Otnits Ring im mhd. Heldenepos) – kurz: Sie erhalten den Zustand ihres Trägers oder verändern ihn in positiver Hinsicht. Bei Wagners „Ring der Nibelungen“ handelt es sich hingegen um das Negativbeispiel eines solchen Ringes: Alberichs Fluch setzt eine Ereigniskette in Gang, die den Ring durch mehrere Hände wandern lässt, da seine Träger immer wieder ums Leben kommen und den Ring einbüßen. Eben dieser Zusammenhang von Gabe und Verpflichtung einerseits, von Verfluchung und Handlungsmacht bzw. Entmächtigung andererseits sowie der Status des Ringes als Ding und Handlungsträger wird in den einzelnen Erzählungen der mittelalterlichen Stofftradition um die Nibelungen unterschiedlich verhandelt: Die LiederEdda weiß von der Vorgeschichte und dem Fluch des Ringes, verbindet ihn aber nicht unmittelbar mit dem Tod Sigurds. Im Nibelungenlied wiederum ist ein Ring das entscheidende Artefakt im Streit der beiden Königinnen, der zu Siegfrieds Ermordung führt, nur ist die Herkunft dieses Ringes nicht mit dem Nibelungenhort verbunden. Eine solche Verbindung wird dagegen im zweiten Teil der Snorra Edda, den Skáldskaparmál (Sprache der Dichtkunst) gezogen, und die altnordische Vǫlsunga saga macht diese Zusammenhänge noch expliziter. Es gilt daher, die Rolle des Rings in seinem je spezifischen Erzählkontext zu untersuchen.

Der Ring Andvaranautr in der Lieder-Edda Die sog. Lieder- Edda stellt eine Sammlung einzelner Lieder dar, die im Codex Regius überliefert sind. Die Handschrift ist entstanden in der zweiten Hälfte des 13.  Jahrhunderts, die darin enthaltenen Lieder werden z.  T. erheblich älter eingeschätzt. Das betrifft insbesondere jene Lieder mit mythologischem Inhalt, doch auch einige der als ‚Heldenlieder‘ klassifizierten Texte dürften auf eine wesentlich frühere Entstehung zurückgehen. Die in der Handschrift präsentierten Lieder bilden eine Überlieferungs-

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gemeinschaft, zwischen denen (wenn überhaupt) meist nur eine lose innere Kohärenz besteht. Am ehesten ist ein inhaltlicher Zusammenhang in den Liedern von Sigurds Jugend zu erkennen: Reginsmál, Fáfnismál und Sigrdrífumál (jeweils „Reginns, Fafnirs und Sigrdrífas Reden“), wobei für die Rolle des Rings im Folgenden nur die ersten beiden Lieder interessieren, da bei der Erweckung der Walküre Sigrdrífa weder Andvaranautr (‚Andvaris Gabe‘) noch der Drachenhort Erwähnung finden. Reginsmál und Fáfnismál sind nicht nur durch ihre unmittelbar nacheinander geschaltete Stellung innerhalb des Codex Regius miteinander verbunden, sondern auch durch eine überleitende Prosapassage, welche (ähnlich wie dann auch in Sigrdrífumál) die Erzählhandlung weitertreibt und eine strenge Trennung der einzelnen Lieder aufhebt. Die Texte können daher sowohl inhaltlich als auch überlieferungsgeschichtlich als Einheit betrachtet werden, wenngleich es kaum wahrscheinlich ist, dass es sich hierbei um die ursprüngliche Erscheinungsform handelt (vgl. Haimerl 1993, 81  f.). In Reginsmál erfahren wir von der mythischen Herkunft des Hortes, die Sigurds Erzieher Reginn in den Mund gelegt wird: Er erzählt, wie die drei Götter Odin, Loki und Hönir seinen in Ottergestalt umherwandelnden Bruder Otr getötet hätten und daher für seinen Vater Hreiðmarr Wergeld entrichten mussten; als Buße sollte der Otterbalg mit Gold gefüllt und mit Gold bedeckt werden. Loki, der auch den Otter getötet hatte, wird ausgeschickt, um das Gold zu beschaffen, und er erpresst es von dem Zwerg Andvari, der als Hecht verwandelt durch den Fluss schwimmt und in dieser Gestalt von Loki gefangen wird. Der Zwerg gibt seinen Goldschatz heraus, will jedoch einen Ring zurückbehalten, den ihm Loki ebenfalls wegnimmt. Daraufhin (also erst, nachdem er auch den Ring verloren hat) legt Andvari einen Fluch über das Gold: Þat skal gull, / er Gustr átti / bræðrom tveim / at bana verða, / ok ǫðlimgom / átta at rógi; / mun míns fíar / mangi nióta. (Rm., Str. 5)4 Es soll das Gold, das Gustr besaß, zwei Brüdern zum Töter werden, und acht Fürsten soll es Gegenstand des Streits werden; von meinem Besitz wird keiner Nutzen haben.

Die Asen übergeben das Gold wie gefordert an Hreiðmarr, dem bei genauer Überprüfung auffällt, dass noch ein Barthaar des Otterbalgs nicht mit Gold bedeckt ist. Darauf zieht Odin den Ring, der hier erstmals (Rm. 5 Pr.) Andvaranautr genannt wird, vom Finger und legt ihn als letzten Teil der Buße zu dem übrigen Gold; erst jetzt eröffnet er Hreiðmarr auch den darauf liegenden Fluch – vorher nämlich hätte dieser das Gold abgelehnt und die Götter nicht aus ihrer Bußverpflichtung entlassen (vgl. Rm. 7). So aber ist das Verhängnis in Gang gesetzt: Hreiðmarr beansprucht den Hort allein für sich (Rm. 9) und enthält den Brüdern des getöteten Otr, Reginn und Fafnir, die Verwandtenbuße vor. Daraufhin tötet Fafnir seinen Vater, bringt den Hort an sich und

4 Text und Übersetzung der Lieder-Edda richtet sich nach von See et al. 2005.



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verwandelt sich in einen Drachen, um ihn vor allen anderen zu verbergen, auch und gerade vor seinem Bruder Reginn. Dies leitet bereits über zu den Fáfnismál, denn Reginn stachelt den jungen Sigurd auf, für ihn die Vaterrache zu übernehmen und Fafnir zu töten; er schmiedet ihm ein Schwert, gibt ihm weitere Anweisungen (ebenso auch Odin selbst), so dass Sigurd den Drachen tatsächlich erschlagen kann. Doch im Sterben setzt der todwunde Fafnir Sigurd den Fluch, der auf dem Schatz liegt, auseinander: eiptyrði ein / telr þú þér í vívetna, / en ek þér satt eitt segik: / it gialla gull / ok it glóðrauða fé / þér verða þeir baugar at bana! (Fm. 9) Nur feindliche Worte erkennst Du in allem, aber ich sage dir nur Wahres: das klingende Gold und der glutrote Schatz, dir werden diese Ringe zum Töter.

Fafnir kündigt Sigurd damit das gleiche Schicksal an, das auch ihn und seinen Vater bereits ereilt hat; der entscheidende zweite Teil der Strophe, die Verse 4–6 (it gialla gull usw.) weisen dabei eine ähnliche Formulierung wie Andvaris Fluch in der o.  a. Str. 5 von Reginsmál auf. In Str. 20 rät Fafnir Sigurd noch einmal, den Schatz nicht an sich zu nehmen und verwendet dann die exakt gleichen Worte wie zuvor in Str. 9, 4–6.5 Auch Sigurds Reaktion weist Parallelen mit der Hreiðmarrs aus Reginsmál auf: Es ist nicht klar, ob Fafnirs Worte als Drohung oder Warnung gedacht sind, Sigurd antwortet in Fm. 10 jedenfalls mit der sentenzartigen Aussage, man könne seinen Besitz nur genießen, solange man lebe, auch in der Formulierung ganz ähnlich, wie Hreiðmarrs Antwort auf Lokis Warnung in Rm. 9 (vgl. von See et al. 2006, 425; Haimerl 1993, 89  f., der weitere derartige Parallelen zwischen Rm. und Fm. herausarbeitet). Fafnir verflucht Sigurd daraufhin noch einmal als Todgeweihten (Fm. 11), ohne dies allerdings explizit mit dem verfluchten Gold in Verbindung zu bringen. Unbeeindruckt davon bemächtigt sich Sigurd des Schatzes, nachdem er, motiviert durch die Belehrung der Meisen, Reginn getötet hat, und macht sich anschließend auf, die Walküre Sigrdrifa zu wecken. Die weiteren Lieder des Codex Regius, die in Zusammenhang mit Sigurds Tod stehen, erwähnen Fafnirs Hort nur implizit. Nirgendwo ist das Gold direkte Motivation für Sigurds Ermordung, vielmehr ist es Brynhilds Zorn über dessen Untreue und sein doppeltes Spiel, das sie dazu bringt, die Gjukungen-Brüder gegen Sigurd aufzuhetzen: Sigurds Gestalttausch mit Gunnar und der dadurch möglich gewordene Betrug sind verantwortlich für Sigurds Tod. Der Goldschatz wird dabei nur als eines der heroischen Erkennungszeichen Sigurds erwähnt: Im „Kurzen Sigurdlied“ (Sigurðarkviða in skamma) stellt Brynhild klar, sie habe sich dem versprochen, der mit Gold auf Granis Rücken saß (Str. 39). Grani ist Sigurds Pferd; dies könnte eine Anspielung auf Drachentötung und Hortgewinnung sein – eine heroische Tat, zu der

5 Die wörtliche Wiederholung dürfte dem Schreiber der Hs., der in Str. 20 nur noch die Anfangsbuchstaben setzte, bewusst gewesen sein (vgl. Haimerl 1993, 91).

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Gunnar ebensowenig fähig gewesen ist wie der Eroberung Brynhilds (die nicht näher beschrieben, aber in diesem Kontext wohl vorausgesetzt werden darf). Der Schatz ist hier aber gerade nicht mit dem Fluch verbunden, sondern vielmehr Zeichen der heroischen Stärke Sigurds. Deutlicher wird ein Zusammenhang im ersten Gudrunlied, wo Brynhild zumindest indirekt dem Drachengold (eldr ormbeðs, „das Feuer des Schlangenlagers:“ I Gðr. 26) eine Mitschuld an den unglücklichen Verwicklungen gibt. In dem wohl relativ spät entstandenen Lied Helreið Brynhildar („Brynhilds Helfahrt“) schließlich legt Brynhild ihr Zusammentreffen mit Sigurd dar und erklärt, Odin selbst habe festgelegt, dass es nur demjenigen erlaubt sei, den Feuerring um sie zu durchbrechen, der Fafnirs Gold brächte (vgl. zu den einzelnen Stellen von See 2006, 423  f.). Stets bleibt es bei Andeutungen, die höchstens mittelbar einen Zusammenhang zwischen dem Hort und Sigurds Tod zeichnen. In den beiden Liedern vom Untergang der Giúkungen bzw. Niflungen (Atlakviða „Atlilied“ und Atlamál „Grönländisches Atlilied“) lockt Atli zwar Gunnar und Hǫgni an seinen Hof, um sich ihre Schätze anzueignen, „doch deutet nichts darauf hin, daß dieser Hort mit dem Hort von Fafnir identisch sei“ (ebd., 423). Da die einzelnen Lieder der Edda weitgehend unverbunden nebeneinander stehen, ist es schwierig, übergreifende Zusammenhänge zwischen ihnen zu rekonstruieren; dies gelingt nur dort, wo der Stoff aus anderen Erzählungen bekannt ist bzw. als bekannt vorausgesetzt werden darf. Am ehesten besteht wie gesehen zwischen Reginsmál und Fáfnismál ein direkter innerer Zusammenhang, der sich auch in sprachlichen Parallelen ausdrückt. Hier wird dargelegt, woher der Hort kommt und wie er den Weg zu Sigurd findet. Dabei sind drei Punkte entscheidend: Die eigentliche Herkunft des Goldes wird erstens in einen mythischen Rahmen verlegt – es stammt von einem Zwerg, es wird von Göttern übergeben, und auch die Empfänger besitzen teilweise jedenfalls übernatürliche Fähigkeiten wie die des Gestaltwandels. Der Hort stammt damit ex illo tempore, aus einer mythischen Zeit des Anfangs (selbst für die Verhältnisse der Heldenlieder), was nicht zuletzt zeigt, welch übergreifende Bedeutung er für die nachfolgenden Erzählungen besitzt. Zweitens ist die Ursache seiner Herkunft eine Untat, und er ist mit immer weiteren Untaten verbunden: Der Hort ist Blutgeld, die Buße für die Tötung Otrs; die Initialtat stammt, wie das bei mythischen Anfängen häufig der Fall ist, von den Göttern (vgl. grundlegend Eliade 1984), nur handelt es sich hier eben nicht etwa um eine kulturbringende Tat oder gar einen Schöpfungsakt, sondern um einen Totschlag. Und mit Untaten ist auch das Weiterwandern des Goldes verbunden, denn Fafnir ermordet seinen Vater und wird von Sigurd getötet. Der Hort ist ein Ding des Unheils, und hier kommt der Ring ins Spiel und mit ihm der dritte wichtige Punkt: der auf ihm lastende Fluch (s.  o., Rm. 5). Der Ring konzentriert somit verschiedene Eigenschaften auf sich: Er steht einerseits zeichenhaft für den gesamten Schatz, wobei anord. baugar (‚Ringe‘) auch eine Kenning für ‚Schatz‘ darstellt (Zimmermann 2003, 5; von See 2006, 421  f.). Es ist bezeichnend, dass der Name Andvaranautr erst genannt wird, wenn Odin den Ring vom Finger zieht und auf den restlichen Hort legt (Rm. 5 Pr). Das bezieht sich



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zunächst nur auf den Ring, der jedoch den Hort erst komplett macht, so dass ‚Andvaris Gabe‘ auch für den gesamten Schatz gelten kann. Zudem manifestieren sich an dem Ring alle negativen Eigenschaften, die der ganze Schatz hervorruft: Die Weitergabe von Hort und Ring ist von Anfang an begleitet von Mord und Habgier. Auslöser ist die Tötung Otrs, Loki gibt sich danach nicht mit Andvaris Gold zufrieden, sondern fordert auch noch den Ring, und erst als ihm damit alles genommen worden ist, verflucht Andvari Ring und Gold. Ebenso Hreiðmarr, der auch das letzte Barthaar des Otterbalgs bedeckt sehen möchte und daher Odin nötigt, auch den Ring herauszugeben, den dieser  – so ließe sich jedenfalls daraus schließen  – ansonsten für sich selbst behalten hätte; der Ring wandert also sogleich von Loki, der nur der Überbringer ist, zu Odin (Haimerl 1993, 84). In beiden Fällen zeigt die verzögerte Herausgabe des Rings, wie die Goldgier aufs Äußerste ausgereizt wird und im weiteren Verlauf zum Mord führt: Hreiðmarr will wie Fafnir das Gold nicht herausgeben, beide werden darum getötet (von See 2006, 249). ‚Andvaris Gabe‘ ist das handlungsauslösende Element, und der Schatz bewirkt eine Untat nach der anderen, nachdem er ja bereits durch einen Totschlag in Umlauf gebracht worden ist. Die Vorgeschichte des Hortes begründet nicht nur Sigurds Drachenkampf, seine initiale heroische Jugendtat, sondern sorgt darüber hinaus dafür, dass der Hort in die Menschenwelt gelangt – mit allem Unheil, das daran hängt. Der Hort mit dem Ring als integrativer Bestandteil und der darauf liegende Fluch bilden den Ursprung aller weiteren unheilvollen Ereignisse – explizit bis zur Tötung Fafnirs, implizit aber weit darüber hinaus, über den Tod Sigurds bis zum Untergang der Giúkungen / Niflungen (von See 2006, 250). Die Dinge – Ring und Gold – sind zwar nicht selbst Akteure, doch bestimmen sie maßgeblich deren Handlungsweise und lenken die immer wiederkehrenden Interaktionsmuster. Ein äußeres Anzeichen dafür ist der von Andvari auferlegte Fluch. Jeder Besitzer des Hortes wird auf den Fluch aufmerksam gemacht: Loki als Repräsentant der Götter (durch den Fluch in Rm. 5), Hreiðmarr durch Loki (Rm. 6 und 8; letztere Strophe könnte bereits eine Andeutung der Geschehnisse im Grönländischen Atlilied sein),6 Sigurd schließlich durch Fafnir (Fm. 9 und 20). Betrachtet man die Szenen genauer, so ist zu fragen, ob wirklich allein Habsucht und die Gier nach Gold die Handlungen der einzelnen Figuren bestimmen, ob also gewissermaßen intrinsische Motive handlungsauslösend sind, oder ob nicht eigentlich der Fluch hier wirksam wird, der wiederum eng mit dem Ring verbunden ist. Es geht, mit anderen Worten, also darum, ob die Figuren mehr oder weniger selbstbestimmt handeln, oder ob vielmehr der Fluch handlungsbestimmend ist, was wiederum über ein Ding (den Ring) substituiert wird, das unter Umständen sogar eine

6 Da die Geschehnisse aus der Perspektive Reginns erzählt werden, hat dieser Lokis Warnung vor dem Fluch ebenfalls vernommen; auch wenn es nicht ausdrücklich erwähnt wird, so ist doch anzunehmen, dass als zweiter Bruder auch Fafnir anwesend ist, zumindest jedoch um die Folgen des Fluchs weiß (vgl. Haimerl 1993, 84).

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eigene Handlungsmacht entfalten kann. Um dies zu erörtern, bietet sich ein Blick auf Vǫlsunga saga und Snorra Edda an, da diese die Folgen des Fluchs viel weiter ausführen, nämlich über Sigurds Tod hinaus.

Die Handlungsmacht des Rings: Vǫlsunga saga und Snorra Edda Die Vǫlsunga saga ist eine prosifizierte Kompilation verschiedener Heldenlieder um die Sigurd-Figur bzw. seinem Geschlecht, den Völsungen. Sie schlägt einen weiten Handlungsbogen von Sigurds Vorfahren über Geburt und Tod des Helden bis zum Schicksal der Nachkommen Sigurds und Gudruns. Der Kompilator schöpft vornehmlich aus der Lieder-Edda, deren Einzeltexte er zu einer umfassenden, zusammenhängenden Prosa-Erzählung verbindet; an manchen Stellen werden sogar einzelne Strophen wie als Zitate eingeflochten. Die Vorgeschichte des Hortes ist in etwas geraffter Form im Wesentlichen die gleiche wie in Reginsmál,7 mit einem kleinen Unterschied: Andvaris Fluch gilt ausdrücklich dem Ring, erst danach zusätzlich noch dem übrigen Gold. Darüber hinaus ist er viel unspezifischer und damit weitreichender: Der Ring soll jedem, der ihn besitzt, den Tod bringen, ebenso das Gold. Die beiden Dinge werden damit zwar weiter als zusammengehörig betrachtet, aber nicht mehr als direkte Einheit wie in den Reginsmál.8 Dort wirkt der Fluch wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Das Gold soll zwei Brüdern den Tod bringen sowie acht Fürsten Streit. In der Vǫlsunga saga dagegen ist schlicht jeder vom Tod bedroht, der Ring oder Hort besitzt. Das ist vorerst noch nicht entscheidend; zunächst zeigt sich wie in der Lieder-Edda der Zusammenhang von initialer Untat, Habgier und Mord, auch in der weiteren Handlung um Sigurds Drachenkampf, die ganz parallel zu Fáfnismál gestaltet ist. Wie dort warnt der sterbende Fafnir zweimal mit ganz ähnlichen Worten Sigurd vor dem Gold, doch der schlägt die Warnung in den Wind. Ab den weiteren Ereignissen der Brautwerbung um Brynhild und Sigurds Tod differiert die Vǫlsunga saga von den Liedern der Edda z.  T. erheblich, da sie einen kohärenten Handlungszusammenhang herstellt und zudem Lücken füllt, die sich in den eddischen Texten durch die Nebeneinanderstellung der Einzellieder ergeben. Dabei spielt der verfluchte Ring eine zentrale Rolle. Auf Anraten der Meisen, deren Sprache er durch den Verzehr des Drachenherzens versteht, holt Sigurd Fafnirs Gold

7 Parallelen und Differenzen beider Texte, auch zu Skáldskaparmál und Nornagests þáttr, sind tabellarisch aufgeführt bei von See 2006, 233  ff. 8 Anders McGillivray 2015, 369, der Andvaranautr auch in der Vǫlsunga saga lediglich als Symbol für den gesamten Hort betrachtet, was mir, gerade im Hinblick auf die explizite Nennung des Rings, noch dazu an erster Stelle vor dem Schatz, zwar nicht falsch, aber doch zu kurz gegriffen erscheint.



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und reitet damit weiter zu Brynhild, die er aus ihrem Zauberschlaf weckt. Diese hat ihn bereits erwartet; sie nennt seinen Namen und weiß um seine Heldentat („Sigurd wird hergekommen sein, Sigmunds Sohn, der den Helm Fafnirs hat und seinen Töter in der Hand“ Vǫlsunga saga 50).9 Implizit erscheinen Drachentod und Erringung des Hortes damit als Voraussetzung für die Erweckung Brynhilds. Nachdem sie ihn mit vielen Weisheiten unterrichtet hat, versprechen sich Brynhild und Sigurd einander und schwören gegenseitige Treueeide, keinen anderen Partner zu wählen. Anschließend aber erzählt die Vǫlsunga saga eine doppelte Brautwerbungsgeschichte, was offensichtlich ihrem kompilatorischen Charakter geschuldet ist. Sigurd gelangt nämlich zu Brynhilds Pflegevater Heimir und begegnet dort erneut Brynhild. In einem vertrauten Gespräch bekräftigen die beiden ein weiteres Mal ihre Treueeide (obwohl Brynhild bereits Sigurds Heirat mit Gudrun prophezeit), und nun gibt Sigurd ihr auch einen Goldring – unklar bleibt an dieser Stelle noch, ob es sich dabei um Andvaranautr handelt. Das wird erst bei der nächsten Begegnung zwischen den beiden deutlich, nachdem Sigurd, der durch einen magischen Trank Brynhild vergessen hat, Gudrun geheiratet und später mit Gunnar die Gestalt getauscht hat, um erneut durch das Feuer in Brynhilds Saal zu reiten, da Gunnar diese Freiersprobe bekanntlich nicht durchführen kann. Nach dem – freilich keuschen – Beilager in der Brautnacht wird der Ring ausgetauscht: „Da nahm er den Ring Andvaranaut von ihr und gab ihr einen anderen Ring aus dem Erbe Fafnirs“ (Vǫlsunga saga 68).10 Genau das aber wird Sigurd später zum Verhängnis. Im Streit der Königinnen präsentiert Gudrun den Ring Andvaranautr, den sie ausdrücklich bei seinem Namen nennt, um damit zum einen die Betrugsgeschichte zwischen Sigurd, Gunnar und Brynhild aufzudecken, zum anderen aber ihr Wissen darum bekanntzugeben und auf diese Weise sowohl ihre eigene Position über Brynhilds zu stellen, als auch die Sigurds über Gunnar. Mit dem Ring erkennt nun auch Brynhild die Zusammenhänge. Der Rest ist bekannt: Brynhild stachelt Gunnar zur Ermordung Sigurds an, der jedoch (im Gegensatz zu den Edda-Liedern) in Sigurds Tod auch den Vorteil erkennt, dann selbst über den Drachenhort zu verfügen – ein weiteres Mal ist Goldgier eine, wenn auch nicht vorderste Handlungsmotivation. Und Goldgier ist es auch, die König Atli zur verräterischen Einladung an Gunnar und Hǫgni veranlasst, wodurch der Fluch des Hortes ein letztes Mal seine Wirksamkeit entfaltet, denn kaum jemand entkommt dem Inferno der brennenden Halle; der Schatz aber ist nun dem Zugriff entzogen und im Rhein versenkt.11

9 Vǫlsunga saga 48: „man her kominn Sigurdr Sigmundarson, er hefir hialm Fafnis ok hans bana i hende“. 10 Vǫlsunga saga 68: „Hann tok þa af henne hringinn Andvaranauth, er hann gaf henne, en feck henni nu annan hring af Fafnnis arfe“. 11 Die Formulierung „lieber mag denn der Rhein des Goldes walten, als daß die Hunnen es an ihren Händen tragen“ (Vǫlsunga saga 95  f. Vǫlsunga saga 100: „Skal Rin nu rada gullinu, fyrr enn Hynir bere

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Auf diese Weise stellt die Vǫlsunga saga die Geschehnisse um Sigurds Tod und den Untergang der Gjukungen in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Vorgeschichte des Drachenhortes und dem darauf liegenden Fluch, da die gesamte Handlung als aufeinander aufbauende Ereigniskette erscheint. Für sich betrachtet ist jede einzelne Mordtat je individuell auf die Gier nach dem Gold zurückzuführen. Im gesamten Erzählzusammenhang, den die Vǫlsunga saga eröffnet, tritt jedoch Andvaris Fluch in den Vordergrund, der sämtliche Besitzer von Hort und Ring trifft. Der Fluch entfaltet eine eigene Handlungsmacht, welche in der Tiefenstruktur wirksam wird, während Habgier nach dem Hort nur die oberflächliche Antriebskraft ist, welche dem Fluch zur Wirksamkeit verhilft. Das zeigt sich besonders bei den Verwicklungen um Sigurd und Brynhild: Die Motivation, in den Besitz des Goldes zu kommen, ist bei der Begründung für Sigurds Ermordung nachgeschoben und eher zweitrangig. Zuvorderst geht es um Brynhilds (und Gunnars) Ehre, diese aber wird erst in Frage gestellt durch den zweiten Bestandteil des Hortes: den Ring, den Gudrun Brynhild zeigt. Der Ring, eigentlich Symbol der Treue, wird so zum Zeichen der Untreue; der Fluch ergreift jeden, der ihn besitzt. Es macht gar keinen Sinn, darüber zu spekulieren, weshalb Sigurd, als er in Gunnars Gestalt ein zweites Mal bei Brynhild ist, ihr den Ring Andvaranautr nimmt, und wie dieser dann in die Hände Gudruns gelangt. Denn es geht hier nicht um kausale Beweggründe, sondern um die Finalität der Ereignisse, die von den verfluchten Dingen ausgeht. Damit aber sind Sigurd, Brynhild wie auch alle anderen Beteiligten ihrer Handlungsfreiheit mehr oder weniger entmächtigt. Nicht sie bestimmen über ihr Schicksal, sondern vielmehr der Ring und das Gold, in denen der Fluch wirksam ist. Ein Fluch ist, ähnlich wie ein Zauber- oder Segensspruch, eine magische Sprechhandlung, die den Zeichenbegriff zugunsten des gesprochenen Wortes aufhebt; er offenbart ein zeichenrealistisches Sprachverständnis, in dem res und signum, Zeichen und Bezeichnetes, zusammenfallen. Der hinter solch einem Sprechakt Stehende kann also durch seine Worte (d.  h. durch bloße Zeichen) Handlung bewirken (vgl. Schulz 2003, 13–29; Hammer 2012, 41  f.). Wenn aber die eigentlichen Aktanten (Sigurd, Brynhild, Gunnar, aber ebenso auch Fafnir, Hreiðmarr oder Atli) durch den Fluch in ihrer Handlungsmacht eingeschränkt sind, wer übernimmt dann für sie das Handeln? Der Zwerg Andvari hat den Fluch ausgesprochen und damit einen Prozess in Gang gesetzt, der in vorgezeichneten Bahnen (final, nicht kausal geordnet) verläuft. Andvari selbst allerdings verschwindet als Handlungsträger bereits ganz zu Anfang, nur über seinen Fluch bleibt er anwesend; indem Loki und Fafnir vor dem Gold warnen, halten sie ihn weiter präsent. Da Andvari aber nicht selbst da ist, rücken an seine Stelle die Artefakte, die mit dem Fluch beladen sind. Indem durch den Ring und auch das Gold Unheil geschieht, ‚handeln‘ die Dinge somit stellvertretend für Andvari (nicht

þat a haundum ser.”) impliziert noch einmal goldene Fingerringe wie den Andvaranautr, ohne dass an dieser Stelle die Sprache noch einmal explizit auf diesen Ring kommt.



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umsonst ist der Ring mit seinem Namen verbunden), vermittelt durch die magische Sprechhandlung des Fluches. Wenn auch diese Dinge keine handelnden Subjekte wie die eigentlichen Aktanten der Erzählung sind, so geht ihr Status doch weit über den eines passiven Objekts hinaus (vgl. nochmals Vedder 2012, 15). Diese verhängnisvolle ‚Eigenmacht‘ der Dinge (vgl. Vedder 2012, 8 unter Rekurs auf Barthes 1988; hierzu ist der Begriff der agency entwickelt worden, vgl. Mühlherr 2016, 6) wirkt sich insbesondere in der fatalen Beziehung zwischen Sigurd und Brynhild aus. Auch hier gibt es oberflächlich einige nachvollziehbare Begründungsmuster: Die von Gunnar und Sigurd durchgeführte Täuschung durch den Gestalttausch, die Brynhild als Verrat auffassen muss, und zwar im doppelten Sinne, denn allein Sigurd besteht die Freiersprobe und hat sie bereits einmal bestanden und sich mit Brynhild verlobt. Dadurch wird er ihr gegenüber ebenso eidbrüchig wie die Brüder Gunnar und Hǫgni an ihm. Zudem fällt auf, dass gerade Sigurd in seiner Entscheidungsfreiheit weitgehend eingeschränkt ist, denn er bringt die Ereignisse unbeabsichtigt ins Rollen, da er zu dem Zeitpunkt des Gestalttausches gar nicht mehr um seine frühere Verbindung mit Brynhild weiß. Es ist der Vergessenstrunk Griemhilds, der dafür sorgt – mithin ein magisches Elixier, das sich jeglicher Erklärung oder Motivation entzieht und durch das Sigurd unwissentlich zum Verräter wider Willen wird. Es wäre zu kurz gedacht, nun Griemhild als treibende Kraft dahinter zu sehen, denn ihr Handeln greift wiederum dem unabwendbaren Fluch nur voraus. Dessen Wirkpotential wird durch die mehr als nur zeichenhafte Ringgabe und -nahme markiert. Sigurd gibt Andvaranautr an Brynhild weiter, die dadurch ebenfalls in den Wirkungsbereich des Fluchs kommt. Indem Sigurd nach dem Täuschungsmanöver den Ring wieder an sich nimmt, ‚aktiviert‘ er gleichsam den Fluch: Das Verhängnis ist geschehen und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, Brynhild muss lediglich noch die Zusammenhänge aufdecken. Es ist kein Wunder, dass auch dies über das zentrale Artefakt, den Ring, geschieht.12 Nun wäre es aber ebenso einfach wie verfehlt, die gesamte Handlung nur auf die Auswirkungen des Fluchs zu beziehen, der die Aktanten beherrscht, ihre Motivation und Entscheidungskompetenz übernimmt, um sich selbst zu erfüllen und damit gleichzeitig die Protagonisten aus ihrer Verantwortung zu nehmen. Denn trotz der finalen Begründungslogik präsentiert die Erzählung ja durchaus immer wieder Motivationsstrukturen, die die Handlungsweise der Protagonisten nachvollziehbar machen. Dabei treten immer die gleichen Muster auf: Habgier, Verrat, Mord – basale negative Eigenschaften und Verhaltensweisen der Menschheit. Das verfluchte Gold

12 Brynhild erhält als Ersatz einen anderen Ring aus Fafnirs Hort, bleibt also mit dem Fluch quasi weiterhin in Kontakt. Im Gegensatz zur wesentlich undurchsichtigeren Rolle Kriemhilds im Nibelungenlied (dazu s.  u.) ist die Gudruns hier deutlich positiver besetzt. Weder sprechen die nordischen Texte ihr einen Anteil an der Ermordung Sigurds zu, noch ist sie, bei aller Trauer um den Tod ihres Mannes, auf Rache an ihren Brüdern aus, im Gegenteil warnt sie diese vor Atli und rächt sie an ihm. Das mag nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass auch Gudrun keine eigenständige Handlungsmacht zukommt, sondern auch sie lediglich als eine Erfüllungsgehilfin des Fluchs anzusehen ist.

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löst Habgier aus und bringt den Tod, wobei Ursache und Wirkung kaum zu trennen sind: Ist der Fluch verantwortlich für die Habgier oder ist die Habgier der Fluch? Näher betrachtet allerdings ist all dies auf die bereits in Reginsmál festgestellte mythische Herkunft zurückzuführen. Schon der Fluch wird hervorgerufen durch die Taten der Götter, die ihrerseits bereits einen initialen Zusammenhang von Habgier und Gewalt aufzeigen (vgl. McGillivray 2015, 370 u. 379). Dort freilich ist die Reihenfolge umgekehrt: Auf die Tötung Otrs folgt die Suche nach dem Gold als Bußleistung. Die Götter setzen einen absoluten Anfang; durch sie kommt die unheilvolle Verbindung von Gold und Totschlag in die Welt; die darauf basierenden Ereignisse sind jedoch nicht mehr kausal, sondern final begründet: Denn es steht ja schon von Beginn an fest, welches Schicksal den nächsten Hortbesitzer ereilt, und es sind die Götter, die diesen Beginn setzen und dem Geschehenszusammenhang dadurch eine mythische Koinzidenz (im Sinne von Cassirer 1977, 82) verleihen, gewissermaßen eine unhintergehbare Schicksalhaftigkeit. So betrachtet wäre der Fluch dann die Versprachlichung einer von den Göttern in Gang gesetzten Ereigniskette, die grundlegende negative Verhaltensmuster der Menschen offenlegt und begründet.13 Ein kurzer Blick auf Skáldskaparmál bestätigt diese Beobachtungen. Snorri Sturluson präsentiert damit eine Art Lehrbuch für Skaldendichtung, in dem u.  a. zahlreiche Metaphern bzw. Kenningar erläutert werden, unter Heranziehung mythologischer, aber auch heldenepischer Stoffe (zu den Quellen vgl. Faulkes 1993). Zur Erläuterung des Begriffs ‚Otterbuße‘ als Kenning für Gold wird die Erzählung von der Vorgeschichte des Hortes bis zum Schicksal von Gudruns Kindern in geraffter Prosa wiedergegeben. Gerade im Zusammenhang mit dem Ring Andvaranautr werden die Beweggründe der einzelnen Figuren hier deutlicher: Andvari will den Ring behalten, da er damit seinen Reichtum wieder vermehren kann, Odin nimmt den Ring an sich, weil er ihn schön findet. Der Zwerg verflucht einzig den Ring, nicht das übrige Gold, und Loki begrüßt die Prophezeiung, der Ring solle jedem den Tod bringen, da nicht er, sondern Hreiðmarr ihn in Besitz nehmen wird. Der Ring wird damit deutlich vom übrigen Schatz abgehoben; erst nachträglich, nachdem die ‚Otterbuße‘ beglichen ist, fügt Loki zum Fluch über den Ring auch noch das Gold hinzu: Beide sollen ihrem Besitzer den Tod bringen.

13 Die Finalität der Ereignisse ist auch daran abzulesen, dass Brynhild sich von Anfang an nicht nur demjenigen verspricht, der den Feuerwall durchreitet und sie erweckt; zusätzlich muss es eben jener sein, der den Drachenhort besitzt (vgl. Vs. 72). Damit läuft von vornherein alles auf Sigurd hinaus, den Brynhild bei ihrer ersten Begegnung ja auch sofort erkennt und mit Namen nennt. Mit Fafnirs Gold ist allerdings der darauf liegende Fluch schon inbegriffen und damit auch das weitere Verhängnis: Die Verbindung von Brynhild und Sigurd kann von vornherein nur tödlich enden. Insofern ist es nur konsequent, wenn Brynhild Sigurd den Verrat an ihr bereits bei ihrer zweiten Begegnung prophezeit – auch wenn gerade diese zweite, für den Handlungsverlauf eigentlich unnötige Werbung Sigurds wohl der Kompilation geschuldet ist und Brynhilds Prophezeiung insofern das Vorwissen des Kompilators (und seines Publikums) bestätigt.



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Wie verhängnisvoll nun gerade der Ring wirkt, wird an der Brynhild-Figur deutlich: Die erste Begegnung zwischen Sigurd und ihr wird in nur wenigen Worten abgehandelt, von einem Treueschwur ist keine Rede. Narrativ im Vordergrund steht die Täuschung durch den Gestalttausch; erst jetzt übergibt Sigurd (in Gunnars Gestalt) ihr den Ring Andvaranautr und nimmt einen anderen Ring von ihr. Im Vordergrund steht somit kein etwaiger Treuebruch Sigurds, sondern der Verrat an Brynhild durch die falsche Brautwerbung. Mit dem Ring Andvaranautr scheint sie gleichsam zum Werkzeug des Fluches zu werden: Indem nun Gudrun den Ring an ihrem Finger identifiziert, kann sie zeigen, dass Brynhild diesen nur von Sigurd erhalten haben kann, worauf Brynhild den Mord an Sigurd herbeiführt und darauf selbst stirbt. Vom Hort ist nirgendwo die Rede, erst nach Sigurds Tod heißt es, Gunnar und Hǫgni hätten sowohl das Gold Fafnirs als auch explizit Andvaranautr an sich genommen und später im Rhein versenkt, bevor sie durch Atli sterben. Im Zusammenhang mit dem Königinnenstreit zwischen Gudrun und Brynhild dient der Ring vordergründig als Beweisstück, der Fluch wird aber in erster Linie auf den Ring appliziert; durch die geraffte Erzählweise wird der Fluch selbst im weiteren Verlauf nicht mehr präsent gehalten (etwa durch Fafnirs Warnungen gegenüber Sigurd wie in Fáfnismál), er ist gegenwärtig nur noch über den Ring selbst und wirkt nur mittelbar über Brynhild, zu der der Ring wandert und die Sigurds und ihren eigenen Tod bewirkt.

Der Ring als (falsches) Zeichen im Nibelungenlied Betrachtet man vor diesem Hintergrund nun das mhd. Nibelungenlied, so zeigen sich fundamentale Unterschiede, die klarmachen, dass der Dichter sich zwar der gleichen Stofftradition bedient haben mag, Motive und Figuren jedoch völlig anders arrangiert.14 Auch hier taucht im Königinnenstreit zwischen Kriemhild und Brünhild ein Ring als (vermeintliches) Beweisstück auf, doch schon die Ausgangslage ist völlig anders: Die Vorgeschichte des Hortes, von Hagen bei Siegfrieds Ankunft in Worms nur knapp berichtet, hat nichts mit dem Drachenkampf zu tun, der nur in einer einzigen Strophe Erwähnung findet, um Siegfrieds Unverwundbarkeit zu erklären. Siegfried gelangt an den Schatz, als er ihn zwischen zwei Zwergen aufteilen soll, ihn aber dabei an sich nimmt. Von einem Fluch ist keine Rede, ebenso wenig von einem Ring als spezifischem Bestandteil. Stattdessen sind diverse, z.  T. magische Gegenstände, u.  a. sein Tarnmantel, aber auch das Schwert Balmunc, mit dem Hort verbunden (zu den Gegenständen vgl. Mühlherr 2009).

14 Es kann an dieser Stelle nicht der Platz für einen detaillierten Vergleich zwischen Vǫlsunga saga und Nibelungenlied sein; vgl. dazu genauer Teichert 2008, 129  ff. (mit weiterer Literatur) und Bryan 2012. Mir geht es hier lediglich um Funktion und Motiv des Rings, welche im mhd. Text fundamental anders gelagert ist.

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Ebenso wenig gibt es ein früheres Treffen zwischen Brünhild und Siegfried, auch wenn der Text eine Bekanntschaft der beiden zumindest suggeriert (vgl. Müller 1998, 85  ff.). Der Betrug bei der Werbung um Brünhild, deren Wettkämpfe Siegfried im Tarnmantel für Gunther gewinnt, ist vielmehr als eine Viereckskonstellation innerhalb des Schemas der gefährlichen Brautwerbung zu konstatieren (Strohschneider 1997). Die Verbindung Siegfrieds mit Kriemhild macht Brünhild misstrauisch, muss sie ihn nach Gunthers erfolgreicher Werbung doch für dessen Vasallen halten, der die über seinem Rang stehende Schwester des Königs heiraten darf: „umbe dîne swester ist mir von herzen leit./ die sihe ich nâhen sitzen dem eigenholden dîn“(NL 620, 2  f.: „Deine Schwester tut mir von Herzen leid. An der Seite Deines Eigenmannes sehe ich sie sitzen“). So ist ein erneuter Betrug an Brünhild in der Brautnacht nötig: Da sie nicht mit Gunther schlafen will, fesselt sie ihren Mann kurzerhand mit ihrem Gürtel und hängt ihn an einen Nagel. Daher muss Siegfried sie erneut, unter der Tarnkappe im dunklen Schlafzimmer verborgen, bezwingen: „dô wart si Guntheres wîp“ (NL 677,4: „Da wurde sie Gunthers Frau“). Bei dieser Gelegenheit nimmt Siegfried, immer noch unsichtbar, Brünhild den Gürtel sowie einen Ring ab: „er zôch ir ab ir hende ein guldîn vingerlîn,/ daz si des nie wart innen, diu edele künegîn“ (NL 679, 3  f.: „Er zog ihr einen Goldring von der Hand, ohne daß die hochgeborene Königin es merkte); beides gibt er später seiner Frau Kriemhild (NL 684; zur Stelle ausführlich Müller 1998, 273  f.). Der danach folgende Königinnenstreit ist in der Literatur so intensiv besprochen und analysiert worden, dass ich mich auf einige Stichworte beschränken kann (vgl. genauer Müller 1998, 276–283). Der Streit in seinen verschiedenen Eskalationsstufen beruht von Beginn an auf einer Doppelbödigkeit der Zeichen, die jeweils im Kontext der einzelnen Figuren für sich genommen stimmig sind: Aus Brünhilds Sicht ist Gunther ein größerer Held als Siegfried, der darum nur dessen eigenholt sein kann, für Kriemhild ist dagegen Siegfried mindestens gleichrangig. Durch die Erzählerperspektive weiß der Rezipient, dass es Siegfried war, der Brünhild zweimal bezwungen hat, und auch, dass Siegfried beim zweiten Mal, in der Brautnacht, Brünhild zwar körperlich besiegt, sie jedoch nicht entjungfert hat. Anders als auf Isenstein, wo es mit Hagen und Dankwart immerhin zwei Mitwisser gibt, ist es in Gunthers Schlafkammer so dunkel, dass selbst der anwesende König nichts sieht und damit selbst nur ein Ohrenzeuge des Geschehens ist. Es gibt mithin keinen Zeugen und keinen Beweis für das Geschehen, wenn nicht Siegfried Ring und Gürtel mitgenommen hätte, die damit wie eine Trophäe wirken, welche dennoch verborgen bleiben muss (Müller 1998, 272  f.). Über die Motive, weshalb Siegfried überhaupt die beiden Gegenstände mitnimmt, kann nicht spekuliert werden, das Nibelungenlied gibt lediglich seinen „hôhen muot“ (NL 680,2)15 an, die Gründe bleiben zwielichtig (zur heroischen Hand-

15 Zu Bedeutung dieses schwierigen Terminus und den Konnotationen mit übermuot vgl. Müller (1998), 242  f. und 273. Heinzle übersetzt in seiner Ausgabe hôhen muot in diesem Kontext mit „im Hochgefühl des Sieges“, doch liegen noch erheblich mehr Konnotationen in dieser Wendung.



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lungslogik dieser Szene vgl. Sahm 2012, 134  f.). Im Königinnenstreit bricht der durch die fortwährende Betrugshandlung stets virulente Widerspruch zwischen Worten und Zeichen konflikthaft auf. Beide ‚Beweisstücke‘ werden von Kriemhild vorgezeigt, d.  h. sichtbar gemacht, sind nun aber aus ihrem unmittelbaren Kontext herausgelöst und werden damit uneindeutig. Der „Verbindlichkeit öffentlich wahrnehmbarer Rede“ (Müller 1998, 278) muss durch visuelle Mittel Geltung verschafft werden, doch was Kriemhild behauptet, entspricht gerade nicht den in der Erzählung geschilderten Tatsachen: Brünhild habe sich „verkebset“ (NL 840, 1, d.  h., sie habe sich als Beischläferin hergegeben), sie habe also mit Siegfried zuerst geschlafen  – und als vermeintliche Beweise werden Ring und Gürtel gezeigt. Beide fungieren „als Memorialzeichen im Sinne der Bezeugung eines Rechtsanspruches: Der Ring als Zeichen der Bindung, der Gürtel als Zeichen der Lösung, beide zusammen als Zeichen der unehelichen Preisgabe Brünhilds an Siegfried“ (Wenzel 1992, 332). Dass dies nicht stimmt, können aber außer Siegfried nur die Rezipienten wissen. Ring und Gürtel „suggerieren erst eigentlich den Sachverhalt, den sie bezeugen sollen“ (ebd., 334). Als Zeichen widerlegen sie Brünhilds Worte und bestätigen Kriemhild – obwohl die Zeichen falsch sind und obwohl auch Kriemhilds Aussage falsch ist.16 Gerade darin liegt die Dramatik des Geschehens: Zwar werden Brünhild nun die Zusammenhänge um ihre Brautwerbung klar, entehrt ist sie jedoch nicht etwa durch Siegfrieds Untreue wie in den skandinavischen Versionen, denn eine vorherige Begegnung zwischen den beiden gibt es ja gar nicht. Entehrt wird sie durch den arbiträren Zeichencharakter von Ring und Gürtel, die, sobald sie öffentlich präsentiert werden, als Trophäe erscheinen, was zwar objektiv falsch ist, aber durch den Kontext, in dem sie gezeigt werden, Verbindlichkeit erhält (vgl. Müller 1998, 272). Es gibt keinen Fluch, der dafür verantwortlich ist, und dennoch entgleitet auch hier den Akteuren die Handlungsmacht. In diesem Sinne erzählen Ring und Gürtel durchaus eine Geschichte, aber eben eine, die Kriemhilds Aussagen unterstützt und nicht das, was Brünhild für wahr hält (Sahm 2012, 135). Doch das, was eigentlich ‚wahr‘ ist, kann zu diesem Zeitpunkt schon kaum mehr festgestellt werden. Denn schon längst haben sich die Zeichen bzw. ihre Deutung verselbständigt, klaffen Zeichen und Realität durch den ständig aufrecht zu erhaltenden Betrug immer weiter auseinander. Der Ring hat weder eine Vorgeschichte oder einen Namen, noch übernimmt er zusammen mit dem Gürtel die Handlungsmacht; beide bleiben zeichenhaft, aber als Zeichen entfalten sie eine eigene Deutungshoheit, die zusehends unkontrollierbar wird. Die

16 In der Þiðrékssaga ist genau das nicht der Fall, denn hier besitzen Ring und Gürtel als Zeichen eben jene Eindeutigkeit, die ihnen im Nibelungenlied nicht zukommt: Sigurd und Gunnar tauschen bewusst die Kleider und Gunnar entfernt sich aus dem Schlafgemach, damit Sigurd Brünhild an seiner Statt entjungfern kann (vgl. Wenzel 1992, 333  f.)

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eigentlichen Akteure verlieren die Kontrolle über die Wirkmächtigkeit der Zeichen, doch sie werden nicht von den Dingen selbst entmächtigt, sondern von der Arbitrarität ihrer Bedeutungen.

Fazit: Der Ring und Wagner Es zeigt sich, in welch unterschiedlichen narrativen Funktionen die Ringe in den jeweiligen Fassungen und Stofftraditionen um die Nibelungen erscheinen. In den altnordischen Fassungen wird dem Ring dabei eine wesentlich höhere Handlungsmacht zugeschrieben als im mhd. Nibelungenlied, nicht zuletzt besitzt der Ring als Bestandteil des Hortes dort einen eigenen Namen und eine Geschichte. Mit dem Fluch ist der Ring mehr als nur ein Signifikant für den gesamten Schatz. Andvaris Gabe bezeichnet einerseits den Hort, andererseits die damit verbundenen Verhaltensweisen, das Begehren des Goldes und die Morde, die das Gold in immer neue Hände wandern lassen. Ring und Gold sind zwar nicht selbst Handlungsträger, doch durch den Fluch handelt Andvari gewissermaßen mittelbar in ihnen, so dass die Dinge somit die Interaktionsmuster vorgeben, die dafür sorgen, dass der Fluch sich erfüllt. Noch viel deutlicher wird eine solche Konstellation in der Vǫlsunga saga und der Snorra Edda, denn hier erhält der Ring eine regelrechte Eigenmacht. Es wird eine verhängnisvolle Ereigniskette von der Herkunft des Hortes bis zu Sigurds Tod und darüber hinaus in Gang gesetzt, die zwar finalen, nicht kausalen Motivierungen folgt, andererseits aber zu komplex ist, um sie einzig auf Andvaris Fluch zu reduzieren. Vielmehr offenbart sich darin genau jene Grauzone zwischen unbelebten Objekten/ Artefakten und Handlungsträgern: Denn während die narrativen Figuren weitgehend entmächtigt erscheinen, ihnen die Kontrolle und Bestimmung über die Handlung verloren geht, schieben sich immer mehr die Dinge, insbesondere der Ring Andvaranautr in den Vordergrund: Sie agieren nicht selbst, und doch bestimmen sie die Handlung; sie nehmen den Figuren das Handlungspotential, ohne selbst explizit zu handeln; Ursache und Wirkung sind kaum mehr zu unterscheiden. Auf diese Weise erhält der Ring eine regelrechte Eigenmacht und bestimmt die Handlungsweisen der übrigen Aktanten. Wer eigentlich Handlungsträger ist, wird dabei zunehmend unklar. Ganz anders ist die Rolle des Rings im Nibelungenlied: Es gibt keinen Fluch, keine Vorgeschichte, da der Ring nicht mit dem Hort in Verbindung steht. Von Anfang an ist der Zeichencharakter des Rings hervorgehoben, immer aber handelt es sich um ein falsches, ein trügerisches Zeichen, denn Zeichen und Bedeutung gehen nicht ineinander auf. Dilemmatisch ist dabei, dass schon dann, wenn die beiden Artefakte überhaupt gezeigt werden, zwangsläufig nur eine einzige (aber eben falsche) Deutung der Zeichen möglich ist. Das führt dazu, dass ab diesem Zeitpunkt die Handlung vollkommen abhängig von diesen Zeichen ist und von den Aktanten praktisch nicht mehr kontrolliert werden kann. Siegfrieds Tod und der damit verbundene Untergang der



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Burgunden resultieren somit aus einer komplexen Gemengelage arbiträrer, widersprüchlicher Zeichen, deren Lesbarkeit immer stärker eingetrübt wird; am Ende dieser Kette steht die zwangsläufige Fehldeutung des Zeichencharakters von Ring und Gürtel. Die tragende Rolle des Rings in Wagners Opernreihe muss auf dieser Basis noch einmal anders beurteilt werden. Michael Niehaus beschreibt ihn als ‚Ding der Macht‘ und zeichnet seinen Weg durch die verschiedenen Hände der jeweiligen Figuren nach.  Zentral ist v.  a. der Fluch: „Der Fluch bestimmt das Ding zum Wandern und begleitet das wandernde Ding“ (Niehaus 2012, 76), deutlich gemacht auch durch das musikalische Motiv, das immer wieder anklingt. Alberichs Fluch hat allerdings andere Hintergründe, die in ihren grundlegenden Verhaltensweisen  – Gier und Macht – freilich wieder ähnlich gelagert sind wie in den nordischen Fassungen. Bei der Übergabe von Siegfried an Brünnhilde wird der Ring zugleich zum Wahrzeichen der Liebe, aber dies ist lediglich eine zusätzliche Konnotation. Innerhalb der Gesamthandlung hat der Ring „seinen Stellenwert strukturell gesehen allein dadurch, dass ihn die Nibelungen nicht mehr und die Rheintöchter noch nicht haben“ (ebd., 79). Der Ring ist v.  a. im Diskurs präsent, in der eigentlichen Handlung dagegen zumeist abwesend, weshalb Niehaus ihn (in Anlehnung an einen Ausdruck, den Alfred Hitchcock für die Filmgeschichte geprägt hat) einen ‚MacGuffin‘ nennt: Er ist ein Ding, das die Handlung anstößt und in Gang hält, in dieser selbst jedoch gar nicht entscheidend auftaucht: Der Ring ist das Zeichen der Macht, aber nicht die Macht selbst (vgl. ebd., 80). Nur im Zusammenhang mit Siegfried und Brünnhilde verlässt er diese Stellung, wird zum konkreten Zeichen (der Liebe, des Verrats), und auch das hebt Wagner von den mittelalterlichen Varianten ab: Dass der Ring in den unterschiedlichen Kontexten auch unterschiedliche Eigenschaften entfalten kann, dass der Fluch, der in der Vǫlsunga saga die gesamte Handlung (und damit auch den Verrat um Brynhild und Sigurd) bestimmt, sich hier nicht auswirkt. Zwar trifft auch Wagners Siegfried der Fluch, doch der Liebe entsagt er im Gegensatz zu Alberich nicht. Anders als im Nibelungenlied aber lässt die Zeichenqualität von Wagners Ring an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Und anders als in den nordischen Varianten entfaltet der Ring hier kein eigenes Handlungspotential, stattdessen legt er die Macht oder vielmehr Ohnmacht der Handelnden nur offen. Im Vergleich zu den mittelalterlichen Lesarten ist das allerdings schon beinahe eine konventionelle Option.

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Rolf Heller

Laxdœla saga – eine Königssaga? Abstract: During their stays in Norway, the author of the Laxdoela saga not only brings together some of the saga’s main characters with the respective Norwegian rulers of that time but also awards them an invitation to stay within the king’s immediate surroundings. The king then only reluctantly grants the visitor’s request to return to Iceland; he would rather have his guest stay. Eventually the visitor is allowed to leave with gifts and tokens of the king’s respect. Thus, the author clearly intends to set those Icelanders apart from others yet it remains unclear why they merit such high regard. Ármann Jakobsson maintains that the author of the Laxdoela saga views the Icelandic guests as equals to the Norwegian kings, therefore taking ‘royal’ demeanour and ‘royal’ treatment as given. An analysis of the saga’s text confirms indeed that the author has the Norwegian kings holding some of the saga’s characters in remarkably high esteem. However, analysing the text also proves that at all times the king is considered to be of higher rank than the guest of honour. Any interpretation of king and guest having equal status is precluded by the author’s choice of words. Die Laxdœla saga (im Folgenden Laxdœla) ist bekannt dafür, dass einige der bedeutendsten Personen des Werkes – Olaf Pfau, Kjartan und Bolli der Jüngere – mit auffallender Kleidung und kostbaren goldverzierten Waffen ausgestattet sind. Textvergleiche haben erkennen lassen, dass sich der Sagaverfasser dabei an Beschreibungen in Königssagas angelehnt und sie sich zunutze gemacht hat.1 Dass es sich bei den ‚Vorbildern‘ um Könige oder Leute königlichen Geblüts handelt, lässt kaum einen Zweifel, dass der Verfasser der Laxdœla auf die Weise diese Personen von der Masse abheben, gleichsam ‚erhöhen‘ wollte. Er billigt aber seinen Personen auch direkt eine Ausnahmestellung zu, indem er sie bei einem Auslandsaufenthalt auf den jeweiligen Herrscher, meist den norwegischen König, treffen lässt. Der isländische Gast wird achtungsvoll empfangen, selbst wenn er bis dahin nicht bekannt war. Der Einladung des Herrschers folgend hält er sich in dessen unmittelbarer Umgebung auf, wird meist sogar in seine Gefolgschaft aufgenommen, wird also hirðmaðr ‚Gefolgsmann‘. Zu festlichem Anlass erhält er neuangefertigte feine Kleidung als Geschenk. Den nach geraumer Zeit geäußerten Wunsch des Gastes, nach Island zurückkehren oder in andere Länder weiterreisen zu dürfen, erfüllt der Herrscher erst nach einigem Widerstreben; er würde ihn lieber in seiner Umgebung behalten. Schließlich verabschiedet er den Isländer mit kostbaren Geschenken, nicht ohne noch einmal hervorzuheben,

1 Heller 1960, 25  ff.; 1961, 11  ff.; 2003, 268  ff.

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wie hoch er seinen scheidenden Gast einschätzt. Es liegt auf der Hand, dass alle derartigen Szenenfolgen darauf zielen, die Bedeutung der im Mittelpunkt stehenden Isländer darzulegen. Und so wird denn auch nach der Rückkehr auf die Insel betont, dass ihr Ansehen durch den Auslandsaufenthalt gewachsen ist. Auffällig ist, dass in den Berichten die Frage, auf Grund welcher körperlicher oder geistiger Vorzüge oder welcher Verdienste die Isländer so hohe Wertschätzung erfahren, weitgehend unbeantwortet bleibt. Dieser Frage ist Ármann Jakobsson in der Studie „Konungasagan Laxdæla“ (1998) nachgegangen. Er vertritt darin die Auffassung, dass der Verfasser der Laxdœla diese Isländer, Angehörige der sog. Leute vom Laxárdalr, als den norwegischen Königen gleichgestellt betrachtet habe („jafningjar, jafnokar konunga“), sodass sich ‚königliche‘ Eigenschaften und entsprechendes Auftreten bei ihnen von selbst verstehen. Für derartige Überlegungen kann die kurze und wenig erfolgreiche Herrschaft Thorsteins des Roten über die Hälfte Schottlands keine Rolle gespielt haben, und Olafs Anerkennung durch seinen Großvater, den Irenkönig Myrkjartan, hinterlässt kaum Spuren in seinem weiteren Lebensverlauf und ist somit ebenfalls wenig als Stütze geeignet. Es erscheint danach angebracht, den Sagatext noch einmal nach Hinweisen auf die Vorstellungen des Verfassers zu durchleuchten. Bolli der Jüngere ist die letzte bedeutende Sagaperson, für die Ármann Jakobsson die Bezeichnung „jafnoki konunga“ (etwa ‚den Königen Gleichgestellter‘) gebraucht. Zur Begründung verweist er auf das großartige Auftreten Bollis in Norwegen, seine Weigerung, Gefolgsmann des Königs zu werden, sowie des Königs lobende Worte und die Geschenke beim Abschied. Ármann Jakobsson (1998, 375) sagt: Síðar (d.  h. nach Kjartans Norwegenaufenthalt) heldur Ϸorleikur Bollason á fund Ólafs helga og verður hirðmaður konungs en bróður hans, Bolla, þykir það ‚mikil nauð ok ófrelsi‘. Stórlæti hans er slíkt að hann gerist ekki hirðmaður, enda heldur hann sjálfur hirð. Konungur lætur sér það vel líka: ‘þér eruð um flest einráðir Íslendingar; en þó mun ek því orði á lúka, at mér þykkir þú, Bolli, hafa komit merkiligastr maðr af Íslandi um mína daga’. Später [nach Kjartans Norwegenaufenthalt] sucht Ϸorleikur Bollason König Olaf den Heiligen auf und wird sein Gefolgsmann, aber seinem Bruder Bolli erscheint dies als ‚eine große Mühe und Quälerei‘. Er ist so stolz, dass er nicht Gefolgsmann wird, sondern selbst eine Gefolgschaft unterhält. Der König lässt sich das gefallen: ‚Ihr Isländer seid ja in den meisten Dingen eigensinnig. Aber das will ich zum Schluss noch sagen, dass du, Bolli, in meinen Augen der bedeutendste Mann bist, der in meinen Tagen von Island gekommen ist.‘

Diese Darstellung stimmt in wesentlichen Punkten nicht mit dem Sagainhalt überein. Sie erweckt den Eindruck, dass die Entscheidung der Brüder  – Gefolgsmann oder nicht – bei gleicher Gelegenheit gefallen ist. Tatsächlich ist Ϸorleikr bei einer ersten Norwegenfahrt, die er auf eigenen Wunsch nicht mit großen Mitteln angetreten hatte, Gefolgsmann König Olafs geworden und hat sich Ansehen erworben. Als er nach wenigen Jahren nach Island zurückkehrt, heißt es: „Ϸorleiki hafði gott orðit til fjár ok virðingar, því at hann hafði gǫrzk handgenginn inum tignasta manni, Óláfi konungi.“ (Laxdœla Kap.  70; Übers. 654: ‚Thorleik hatte es erreicht, sich eine Menge Gut und



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hohes Ansehen zu verschaffen, denn er war Gefolgsmann des vornehmsten aller Männer, des Königs Olaf, geworden.‘). Die Stellung als hirðmaðr des Königs wird eindeutig positiv beurteilt. Ein Jahr später erklärt Bolli seine Absicht, ins Ausland fahren zu wollen („at hann ætlaði útan“). Anders als sein älterer Bruder lässt sich Bolli für die Fahrt großzügig ausstatten, wie sein Schwiegervater angeboten hatte: Bolli játar því, at hafa fét mikit –  ‚vil ek’, segir hann, ,engis manns miskunnarmaðr vera, hvárki hér né útanlendis‘. (Laxdœla, Kap. 72, 211) Bolli erkärte, daß er viel an Gut mitnehmen wolle; »ich will,« sagt er, »auf niemandes Gnade angewiesen sein, weder hier noch im Ausland.« (658)

Auf eigenem Schiff treffen die Brüder nach schwieriger Überfahrt im Herbst in Trondheim ein. Sie erfahren, dass sich der König im Osten des Landes, in Vík, aufhält und dort auch den Winter zu verbringen gedenkt. Þorleikr will sofort wieder aufbrechen und, an der Küste entlang segelnd, den König aufsuchen. Bolli ist anderer Meinung: Lítit er mér um þat, at rekask milli kaupstaða á haustdegi; þykki mér þat mikil nauð ok ófrelsi. (Laxdœla, Kap. 73, 212) Ich habe nur geringe Lust, jetzt zur Herbstzeit von einem Handelsplatz zum anderen weiterzufahren. Das ist in meinen Augen ein sehr mühsames und qualvolles Unterfangen. (658)

Er will den Winter in der Stadt verbringen und gegebenenfalls im Frühjahr zum König fahren, sollte der nicht nach Trondheim kommen. Þorleikr beugt sich dem Willen des Bruders. Zweifellos sind die Worte „mikil nauð ok ófrelsi“ auf die zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Fahrt südwärts am Land entlang gemünzt, wobei das unberechenbare Herbstwetter zu berücksichtigen ist.2 Demgegenüber lässt sich „það“ in der Bemerkung von Ármann Jakobsson „en bróður hans, Bolla, þykir það ‚mikil nauð ok ófrelsi‘“, nur auf die Stellung als hirðmaðr beziehen. In dem Winter, den Ϸorleikr und Bolli in Trondheim verbringen, macht letzterer schnell auf sich aufmerksam. Durch seine Freigebigkeit schart er eine Anzahl von Leuten um sich, die durch bessere Kleidung und Bewaffnung von den übrigen Stadtbewohnern abstechen.3 Es ist kaum gerechtfertigt, diese Schar um Bolli als hirð

2 Die Übersetzer der Laxdœla sind sich einig in dieser Auffassung. Z.  B. Magnus Magnusson und Hermann Pálsson 1969, 225: „I’m not very keen on spending the autumn drifting from one market-town to another; it sounds too tedious and craven for my liking“; Beck 1997, 181: „Wenig halte ich davon, zur Herbstzeit zwischen Handelsplätzen hin und her zu treiben. Unbehaglich und allzu anstrengend erscheint mir das zu sein“; Wetzig 2011, 751: „Mir liegt wenig daran, im Herbst von einem Handelsplatz zum nächsten zu streunen. Ich finde, das bringt zu viele Unannehmlichkeiten und Einschränkungen mit sich.“ 3 Zu beachten bleibt: Das alles ist ihm nur möglich durch die Mittel, die ihm sein Schwiegervater zur Verfügung gestellt hat.

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anzusehen, wie Ármann Jakobsson das tut. Der Verfasser verwendet auch diesen Ausdruck, gewissermaßen einen Terminus technicus, nicht, sondern er sagt lediglich: „ Bolli helt sveit um vetrinn í Ϸrándheimi“ (‚Bolli hielt sich während des Winters eine begleitende Schar in Thrandheim‘), und bezeichnet diese Männer als „sveitungar“ (‚Gefährten oder Leute‘). Als die Brüder im Frühjahr den König im Osten aufsuchen, werden sie freundlich aufgenommen. Bolli beeindruckt den König sehr: Er konungr vel til Ϸorleiks sem fyrr, en þó mat hann Bolla miklu meira, því at konungi þótti hann mikit afbragð annarra manna. (Laxdœla Kap. 73, 213) Der [König] war freundlich zu Thorleik so wie früher schon, doch schätzte er Bolli viel höher, denn er war in seinen Augen ein ganz hervorragender Mann. (659)

Der Verfasser gibt nicht den geringsten Hinweis, worin sich Bolli so grundlegend von anderen unterscheidet, dass ihm mit „afbragð annarra manna“ eine der höchsten sprachlichen Auszeichnungen in den Sagas zuteil werden kann. Die hohe Wertschätzung durch den König gibt Bolli die nicht selbstverständliche Möglichkeit, die Einladung zu längerem Verbleib in Norwegen abzulehnen und sich in Freundschaft vom König zu trennen. Dieser Punkt spielt in der Argumentation von Ármann Jakobsson eine entscheidende Rolle. Er sieht im Verhalten des Königs den Beweis, dass er Bolli als gleichrangig betrachtet und behandelt hat. Sein Schlusswort über diesen Sagaabschnitt lautet deshalb (1998, 375): „[…] ef Bolli er, eins og Laxdælir allir, talinn jafnoki konunga er það vel við hæfi“ (‚[…] wenn Bolli, wie alle Bewohner vom Laxárdalr, als Königen gleichgestellt angesehen wird, dann ist das durchaus angemessen.‘). Dieser Auffassung widerspricht die Saga selbst, in der der Begriff jafnoki übrigens nicht auftaucht. Als Bolli dem König gegen Ende des Frühlings seine Reisepläne mitteilt, bedauert dieser den Entschluss. Er sähe es lieber, wenn Bolli noch bliebe, und sucht ihn dazu zu überreden: »Þœtti mér hinn veg bezt, er þú dvelðisk með mér um hríð; mun ek veita þér þvílíka nafnbót, sem ek veitta Ϸorleiki, bróður þínum«. (Laxdœla, Kap. 73, 213) »Mir erschiene es als das beste, wenn du dich noch eine Zeitlang bei mir aufhieltest. Ich werde dir die gleiche Stellung geben, die ich deinem Bruder Thorleik gab«. (659  f.)

Verbindlich, aber ablehnend antwortet Bolli: »Allfúss væra ek, herra, at bindask yðr á hendr, en fara vil ek fyrst þangat, sem ek hefi áðr ætlat […], en þenna kost vil ek gjarna taka, ef mér verðr aptrkvámu auðit«. (Ladœla, Kap. 73, 213  f.) »Ich wäre durchaus bereit, Herr, in Euren Dienst zu treten, doch möchte ich erst die Fahrt unternehmen, die ich vorgesehen hatte […]. Ich nehme aber Euer Angebot gern an, wenn mir die Rückkehr vergönnt ist«. (660)



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Der König sieht in dem Angebot an Bolli, als Gefolgsmann in seiner Umgebung zu bleiben, eine Auszeichnung.4 Er unterscheidet zwischen dem geschätzten Isländer, dessen Ansehen durch Zugehörigkeit zur königlichen Gefolgschaft erhöht werden kann, und seiner eigenen Person, die ein solches Angebot aussprechen kann. Und auch Bolli sieht die Sache nicht anders. Das beweisen die Anrede „herra“ (‚Herr‘) und die Wendung „bindask einhverjum á hendr“ (‚in jemandes Dienst treten‘). Letzte Zweifel werden durch die Bemerkung ausgeräumt: „Ok er Bolli hafði fengit orlof af konungi, þá býsk hann til ferðar“ (Kap.  73, 214; Übers. 660: ‚Als Bolli nun Urlaub vom König erhalten hatte, bereitete er seine Abreise vor.‘). Angesichts der Wortwahl in dieser Sagaszene kann man nicht von Gleichstellung oder Gleichrangigkeit sprechen. Auch hohe Wertschätzung ändert nichts am Rangunterschied zwischen Bolli und dem König. Der Laxdœla-Verfasser hat dafür klare Worte gefunden. Auch während des folgenden Aufenthalts in Dänemark spricht trotz mancher Ehrungen nichts dafür, dass man in Bolli einen Mann königlichen Geblüts gesehen hätte. Schließlich erreicht er Miklagarðr und tritt in die kaiserliche Leibgarde ein, wobei der Sagaverfasser festhält: […] hǫfu vér ekki heyrt frásagnir, at neinn Norðmaðr hafi fyrr gengit á mála með Garðskonungi en Bolli Bollason. (Laxdœla, Kap. 73, 214)5 Uns ist nichts darüber zu Ohren gekommen, daß irgendein Nordmann vor Bolli Bollissohn in den Dienst des Herrschers von Miklagard getreten sei. (660)

Er unterstellt sich damit dem Herrscher von Miklagarðr. Bei den Unternehmungen der Garde zeichnet er sich durch sein Vorgehen aus und erwirbt sich hohe Achtung. Mehr ist dem Text nicht zu entnehmen. Wie eingangs bereits angesprochen, gehört Bolli zu den Personen, die Aufmerksamkeit erregen durch besondere Kleidung und kostbare goldverzierte Waffen. Er trägt sie bei seiner Rückkehr aus dem Ausland. Der Laxdœla-Verfasser hat bei Schaffung der Szene literarisches Lehngut verwertet, aus einer (wohl auf Snorri Sturluson zurückgehenden) Erzählung über das Zusammentreffen des jungen Olafs, des späteren Heiligen, mit seinem Stiefvater Sigurðr sýr Hálfdanarson (in der Óláfs saga helga der Heimskringla, Kap. 34) und von den Angaben über die Ausrüstung des dänischen Königsbruders Benedikt in seinem letzten Kampf (in der Knýtlinga saga, Kap.  56).6 Im Hinblick auf sein prächtiges Auftreten wird Bolli als „mikill skartsmaðr“ bezeich-

4 In dem vom König verwendeten Begriff nafnbót kann man noch etwas von der ursprünglichen Bedeutung ‚Verbesserung einer Stellung, Erhöhung des Ranges‘ spüren. Aber auch die geläufige Übersetzung ‚Stellung, Rang‘ verändert den Gehalt der Aussage nicht, denn Ϸorleikr hatte ja an Ansehen gewonnen dadurch, dass er hirðmaðr des Königs geworden war. 5 Die Angabe dient allein der Hervorhebung Bollis, historisch gesehen ist sie fragwürdig. 6 Siehe Heller 1961, 13 und 2003, 268  ff.

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net, als ‚Mensch, der großen Wert auf sein Äußeres und Äußerlichkeiten legt‘. Auch dabei kann die Erzählung über Sigurðr sýr einen Anstoß gegeben haben. Nachdem da die Tüchtigkeit Sigurðrs hervorgehoben worden ist – „hann var sýslumaðr mikill ok búnaðarmaðr um fé sitt ok bú ok réð sjálfr búnaði“7 (‚er war ein sehr arbeitsamer Mann, kümmerte sich um sein Vieh und seinen Besitz und leitete seine Wirtschaft selbst‘) – schließt sich die Bemerkung an: „engi var hann skartsmaðr“ (‚er war kein prachtliebender Mann‘), was keine Abwertung bedeutet. Eher könnte in Bollis Charakterisierung ein kritischer Blick auf zu viel äußere Pracht verborgen sein. Der Laxdœla-Verfasser hat noch einen dementsprechenden Beinamen für Bolli parat „inn prúði“ (‚der Prächtige‘). Es ist nicht auszuschließen, dass er dabei auch einen Bericht der Óláfs saga helga im Sinn hatte, in dem der Skalde Sigvatr Ϸórðarson eine Gruppe von Gefolgsleuten des Königs bei einem heiklen Auftrag nach Gautland begleitet. Über den Ritt zum Sitz des dortigen Jarls Rǫgnvaldr berichtet Sigvatr in einer Strophe (in Prosawortfolge): „Prúðar ekkjur munu líta allsnúðula út, hvar ríðum í gǫgnum bœ Rǫgnvalds“8 (‚Prächtige Frauen werden rasch hinausschauen, wo wir durch den Wohnsitz Rǫgnvaldrs reiten.‘). Es ist nicht nur das Adjektiv „prúðr“, das an Bolli denken lässt, es sind auch die beobachtenden Frauen. In der Laxdœla heißt es beim Ritt Bollis durch das Land: „hvar sem þeir tóku gistingar, þá gáðu konur engis annars en horfa á Bolla ok skart hans“ (Laxdœla Kap. 77; Übers. 670: ‚Wo auch immer sie Herberge nahmen, hatten die Frauen nichts Besseres zu tun, als Bolli zu bewundern und seine prächtige Ausstattung anzustaunen‘), eine für eine Isländersaga ungewöhn­ liche Bemerkung. Der Verfasser hat sich Mühe gegeben, Bolli den Jüngeren als einen Isländer erscheinen zu lassen, dem auf der Insel wie bei den Großen des Auslands Aufmerksamkeit und hohe Achtung entgegengebracht wurde. Dabei hat er Anregungen für seine Darstellung vor allem in Königssagas gefunden. Es war aber nicht sein Ziel, Bolli auf gleiche Stufe mit Königen zu stellen. Dieses Ergebnis soll nun an dem reichhaltigen Erzählstoff geprüft werden, in dessen Mittelpunkt Kjartan, der Sohn Olaf Pfaus, steht. Der Verfasser sah in Kjartan sicherlich den Bedeutendsten der Laxdœlir. Das lag in erster Linie an Kjartans Aufenthalt in Norwegen und seinem Zusammentreffen mit König Óláfr Tryggvason. Es ist davon auszugehen, dass die Begegnung mit dem König einen historischen Hintergrund hat. Es könnte das wichtigste Ereignis in dem verhältnismäßig kurzen Leben Kjartans gewesen sein. Der Verfasser konnte sich in seiner Darstellung auf Berichte in Königssagas stützen. Er hat sich wohl hauptsächlich an Odds Óláfs saga Tryggvasonar angelehnt (in einer mit der Hs. AM 310 4to im Wesentlichen übereinstimmenden Form).9 Interessant sind jedoch die Abweichungen von

7 Heimskringla II, Kap. 33, 41. 8 Heimskringla II, Kap. 71, Strophe 58. 9 Heller 1961, 31  ff.



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diesem Bericht und die zahlreichen Erweiterungen. Sie dienen v.  a. der Hervorhebung Kjartans. Der Verfasser macht ihn zum Ersten unter den in Nidaros versammelten Isländern, zu ihrem Sprecher; bei Oddr tritt er weniger aus der Schar seiner Landsleute heraus. Zu prüfen ist, wie weit der Verfasser Kjartan ‚erhoben‘ hat und ob es berechtigt ist, von ihm als „jafningi“ König Óláfrs zu sprechen. Zum ersten Mal trifft Kjartan auf den (ihm noch unbekannten) König, als er sich im Fluss Nið auf einen Schwimmwettkampf mit dem Besten der Stadtbewohner einlässt. Ármann Jakobsson (1998, 373) sagt dazu: „Konung hittir hann á eftirminnilegan hátt í sundkeppni þar sem þeir kaffæra hvor annan og má heita jafntefli milli þeirra.“ (‚Den König trifft er in denkwürdiger Weise im Schwimmwettkampf, dort wo sie sich gegenseitig unter Wasser drücken, und man kann von einem Unentschieden zwischen ihnen sprechen.‘) Es ist schwer zu verstehen, wie man aus den Worten der Saga ein „jafntefli“ herauslesen kann. Kjartan ist ein guter Schwimmer, was der König später bestätigt, ihm gegenüber aber der klar Unterlegene. Bereits beim zweiten Untertauchen, durch den König eingeleitet, spürt Kjartan die Grenzen seines Könnens: „eru niðri ekki skemr en Kjartani þótti hóf at.“ (‚Sie waren so lange unter Wasser, daß es Kjartan vollauf genug schien.‘). Und beim dritten Untertauchen, offensichtlich wieder vom König eingeleitet, kommt Kjartan in größte Bedrängnis: Eru þeir þá miklu lengst niðri; þykkisk Kjartan nú eigi skilja, hversu sjá leikr mun fara, ok þykkisk Kjartan aldri komit hafa í jafnrakkan stað fyrr. (Laxdœla, Kap. 40, 117) [Sie] waren da am längsten unter Wasser. Kjartan konnte sich kaum vorstellen, wie das Spiel enden sollte, und glaubte, noch nie in einer solchen alles fordernden Lage gewesen zu sein. (573  f.)

Der Zorn über die ungewohnte Niederlage ist dann auch der Grund für Kjartans brüske Ablehnung, den Fremden nach dem Namen zu fragen. In Odds Werk fand der Laxdœla-Verfasser eindeutige Aussagen vor. Zwar bleibt da der zweite Tauchgang ohne Kommentar, bei dem folgenden aber wird Kjartans schwierige Lage genau beschrieben: Síðan fara þeir niðr þriðja sinni ok eru þá niðri miklu lengst, ok þykkir Kjartani þá mál upp, ok er þá engi kostr, ok kennir þá aflsmunar. Þeir eru lengi niðri um þat fram er honum þótti hófligt. (Óláfs saga Tryggvasonar nach Oddr Snorrason, Kap. 42)10

10 Das Zitat ist der Hs. AM 310 4to entnommen. In der Hs. Holm perg. 18 4to (Kap. 35), die einen kürzeren Text bietet, ist nur von zwei Tauchgängen die Rede, und es heißt an der entsprechenden Stelle lapidar: „Var Kjartan niðr fœrðr ok var lengi niðri, ok var auðsætt at hann mundi skorta við þenna mann.“ (‚Kjartan wurde niedergedrückt und war lange Zeit unten, und es war unverkennbar, dass er dem anderen Mann gegenüber unterlegen war‘).

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Danach tauchen sie zum dritten Mal unter und sie bleiben unter Wasser am längsten, und Kjartan scheint es an der Zeit hoch zu kommen, aber es besteht keine Möglichkeit, und es zeigt sich da der Kräfteunterschied. Sie bleiben lange unten, mehr als es ihm passend schien.

Der Text schließt den Gedanken an Gleichwertigkeit aus. Der Verfasser hat sich inhaltlich eng an sein Vorbild angelehnt und Kjartans Bedrängnis bei zwei Tauchgängen in unmissverständliche Worte gekleidet.11 Auch nach dem Wettkampf zeigt sich der König als der Überlegene. Er erkennt Kjartans Tüchtigkeit an, bezeichnet aber sein Verhalten als überheblich („lætr þú allstórliga“). Der Verfasser geht damit über Oddrs Bericht hinaus und zeigt den Unterschied zwischen dem König und Kjartan noch deutlicher. Trotz allem macht der König seinen guten Mantel Kjartan zum Geschenk, als dieser „skikkjulauss“ (‚ohne Mantel‘) davongehen will. Was an dieser Stelle nur vermutet werden kann, wird später ausdrücklich festgestellt: Kjartan ist von gleicher Körpergröße wie der König. Er erhält im folgenden Frühjahr vom König neu angefertigte Kleidung aus Scharlachtuch. Sǫmðu honum þau, því at þat sǫgðu menn, at þeir hafi jafnmiklir menn verit, þá er þeir gengu undir mál, Óláfr konungr ok Kjartan. (Laxdœla, Kap. 41, 124  f.) Sie passten ihm gut, denn nach Aussage der Leute sollen sich König Olaf und Kjartan bei einer Messung als gleich groß erwiesen haben. (580)

Diesem Umstand der gleichen Körpergröße misst Ármann Jakobsson besondere Bedeutung bei. Er sieht darin ein Zeichen, dass Kjartan nach dem Willen des Sagaverfassers als dem König gleichwertig betrachtet werden soll (1998, 379): „er sagt, að Kjartan sé jafnhár Ólafi konungi. Það hefur ótvíræða merkingu í ljósi áherslu konungasagna á hæð konunga.“ (‚es wird erzählt, Kjartan habe die gleiche Körpergröße wie König Olaf. Dies hat eine unbestreitbare Bedeutung im Lichte der Betonung der Körpergröße von Königen in Königssagas.‘). In seiner umfangreichen Untersuchung aus dem Jahr 1997 vertritt Ármann Jakobsson die Auffassung, dass körperliche Größe in den Königssagas ein wesentliches Element im Erscheinungsbild eines Königs ausmacht, und da fällt auch schon ein

11 Eine vergleichbare Beurteilung des Ausgangs des Schwimmwettkampfes wie bei Ármann Jakobsson findet sich auch bei anderen Sagaforschern. So spricht Wolf (1994, 743) von Kjartans Arroganz, „die auf seine Verärgerung über das Patt im Wettkampf zurückgeht, […]“, und Bjarni Guðnason (1999, 16) äußert die Ansicht, „Kjartan kunde mäte sig med kungen […] vad gäller kroppskrafterna vilket deras simningstävling in ån Nid visade.“ Demgegenüber hat z.  B. Schach (1982, 195) schon viel früher erklärt: „But the king, who has already demonstrated his physical superiority to Kjartan, now demonstrates his intellectual and psychological superiority as well.“ Zu diesem Ergebnis kommt auch Meulengracht Sørensen (1995, 199) bezüglich des Wettkampfes in Trondheim: „Her er kongen der overlegne“; damit korrigiert er eigene frühere Aussagen, in denen er Kjartan als „the king’s equal“ bzw. „kongens ligemand“ bezeichnet hatte.



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Seitenblick auf Kjartan (1997, 301): „Kjartan er jafnvel sagður jafnhár konungir (sic) sjálfum sem eru skýr skilaboð“ (‚Kjartan wird sogar als dem König selbst gleich groß beschrieben, was eine klare Ansage ist‘) – hinsichtlich des ‚Königlichen‘ in Kjartan. Nun werden zwar einige Könige als besonders groß, die Mehrzahl ihrer Gefolgsleute überragend, geschildert. Es gibt aber bezeichnende Ausnahmen. Da ist einmal Óláfr Haraldsson, der spätere Heilige. Bereits in Ágrip (Kap.  25, 26) heißt es von ihm „riðvaxinn meðalmaðr, ekki hár“ (‚von gedrungener Gestalt und durchschnittlicher Größe, nicht hochgewachsen‘), und Snorri beschreibt ihn in der Óláfs saga helga übereinstimmend (Kap. 3, 4): „Óláfr […] var ekki hár, meðalmaðr ok allþrekligr“ (‚Óláfr war nicht groß gewachsen, er war von durchschnittlicher Körpergröße und starkem Körperbau‘). Ähnliches wäre auch von König Sverrir zu sagen. Zwei der bedeutendsten norwegischen Könige passen danach nicht in das Bild des hochgewachsenen Herrschers. Das stärkt nicht Ármann Jakobssons These. Aber auch vom Text der Laxdœla wird sie nur bedingt gestützt. König Óláfr und Kjartan werden „jafnmiklir“ (‚gleich groß‘) genannt. Damit ist eigentlich nichts gesagt über die absolute Größe der beiden, und die tatsächliche Körpergröße Óláfs wird in der Laxdœla an keiner Stelle angegeben. Man könnte glauben, die Frage sei indirekt dadurch beantwortet, dass Kjartan bei seiner Einführung im Kap.  28 als „mikill maðr ok sterkr“ (‚großer und starker Mann‘) bezeichnet wird. Diese Angabe bietet jedoch kaum eine Hilfe. Nicht weniger als dreizehnmal hat der Sagaverfasser die Worte „mikill (maðr) ok sterkr“ für ebenso viele Sagapersonen verwendet und dazu noch zehnmal „mikill“ in Verbindung mit anderen Adjektiven für weitere acht Personen. Die so Bezeichneten stammen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten (selbst einen Unfreien einschließend), und sie treten nicht nur als für die Handlung wichtige Personen auf, sondern auch als Nebenfiguren. Meist fällt es nicht leicht, einen Bezug zwischen der Beschreibung und der Rolle in der Saga herzustellen. „mikill ok sterkr“ muss deshalb als formelhafter Ausdruck angesehen werden, der großzügig als positives Element in Personeneinführungen eingesetzt worden ist, der aber nur bedingt eine Aussage über die wahre Körpergröße (und Stärke) einer Person zulässt. Sicher ist, dass die Kleidungsgeschenke die Achtung des Königs vor Kjartan ausdrücken sollen. In ihnen darüber hinaus einen Hinweis sehen zu können, dass der Laxdœla-Verfasser Kjartan als gleichrangig neben den König gestellt wissen wollte, ist jedoch unsicher. Die wichtigsten Argumente für eine Gleichstellung Kjartans mit dem König findet Ármann Jakobsson in den Vorgängen in Norwegen, in die Ingibjörg, die Königsschwester, direkt und indirekt eingebunden ist. Er erklärt (1998, 374): „Tekin eru af öll tvímæli um göfgi Kjartans þegar konungur vill gifta honum systur sína, Ingibjörgu, til að halda honum í landi“ (‚Alle Zweifel an Kjartans hohem Ansehen sind beseitigt, als der König seine Schwester, Ingibjörg, mit ihm verheiraten will, um ihn im Land zu halten.‘), und wenig später: „Ϸegar konungur býður Kjartani hönd systurinnar viðurkennir hann Kjartan sem jafningja.“ (‚Wenn der König Kjartan die Hand seiner Schwester anbietet, erkennt er Kjartan als ebenbürtig an.‘). Ármann Jakobsson stützt

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sich dabei auf die Worte des Königs, als ihm Kjartan nach Aufhebung des Fahrverbots den Entschluss mitteilt, nach Island zurückzukehren: „Vilda ek, at þú fýstisk eigi út til Íslands, þó at þú eigir þar gǫfga frændr, því at kost muntu eiga at taka þann ráðakost í Nóregi, er engi mun slíkr á Íslandi.“ (Laxdœla, Kap. 43, 130; Übers. 585: ‚»Ich wünschte, daß es dich nicht so nach Island zöge, obgleich du dort vornehme Verwandte hast, steht dir doch hier in Norwegen die Möglichkeit offen, dir ein Leben aufzubauen, wie es dir Island nicht bieten kann«‘.). Ármann Jakobsson ist davon überzeugt, dass der König mit den letzten Sätzen auf Ingibjörg angespielt hat und Kjartan damit die Möglichkeit einer Verbindung mit seiner Schwester eröffnet hat. Entscheidend ist, welche Bedeutung für „ráðakostr“ anzusetzen ist. Für Ármann Jakobsson ist klar, dass es mit ‚Heirat‘, ‚Partie‘ wiederzugeben ist, und darauf basiert seine ganze Argumentation.12 Es ist jedoch keineswegs sicher, dass diese Bedeutung hier gemeint ist. Zu denken ist auch an die Bedeutung ‚Lebensverhältnisse‘, ‚Stellung‘. Sie beherrscht die Übersetzungen der Laxdœla in den vergangenen Jahrzehnten.13 Erschwert wird die Entscheidung dadurch, dass sich der Laxdœla-Verfasser beider Bedeutungen bedient hat, wie ein Überblick zeigt: Als Ketill flatnef nach Schottland kommt, wird er freundlich aufgenommen „af tignum mǫnnum“ (‚von angesehenen Männern‘), und diese „buðu honum þann ráðakost þar, sem hann vildi hafa. Ketill staðfestisk þar […]“ (Laxdœla, Kap. 4, 6  f.; Übers. 483: ‚Sie boten ihm an, sich da so einzurichten, wie es ihm zusagte. Ketill ließ sich dort nieder […]‘.). Von Heirat ist hier nicht die Rede. Dasselbe gilt für das Angebot König Haralds an Olaf Pfau: Ϸat væri mér næst skapi, at þú staðfestisk með mér ok tœkir hér allan (!) ráðakost, slíkan sem þú vill sjálfr. (Laxdœla, Kap. 22, 60) »Ich sähe es am liebsten, daß du für ständig bei mir bliebest und dir hier eine Stellung aussuchtest, wie du sie dir wünschst.«(526).

Anders ist es, als Bolli seinen Entschluss kundtut, um Gudrun zu werben: „Ekki mun ek mér ór sveit á brott biðja konu, meðan svá nálægir eru góðir ráðakostir“ (Laxdœla, Kap. 43, 128; Übers. 584: ‚»Ich will mich nicht um eine Frau außerhalb unseres Bezir-

12 Bjarni Guðnason (1999, 16) folgt dieser Auffassung: „Sagan antyder att Kjartan kunnat ta henne till äkta maka. Därav kan vi sluta oss till att de ansetts jämställda.“ Auch Meulengracht Sørensen (1995, 261) übersetzt „ráðakostr“ mit ‚giftermål‘ und fügt hinzu: „Det er sin søster, Ingibjǫrg, kongen tilbyder Kjartan til ægte.“ 13 Magnus Magnusson und Hermann Pálsson 1969, 156: ‚position‘; Heller 1982, 585: ‚Möglichkeit, dir ein Leben aufzubauen‘; Beck 1997, 113: ‚Lebensverhältnisse‘; Wetzig 2011, 677: ‚Position‘. Arent 1964, 113 übersetzt ‚station in life‘, erklärt jedoch in einer Anmerkung (S. 207): „The king is using the Icelandic word ráðakostr with both its connotations ‘station in life’ and ‘marriage’. Ähnlich Frölich 2000, 223.



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kes bemühen, solange eine gute Heirat in unmittelbarer Nähe ist.«‘).14 Und auch an zwei weiteren Stellen (Kap. 58 und 70) haben wir es mit der Bedeutung ‚Heirat‘, ‚Partie‘ zu tun. Die Belege helfen somit nicht bei der Klärung, welches Angebot der König mit „ráðakostr“ macht. In diesem Zusammenhang sind auch andere Textaussagen zu berücksichtigen. Der König und seine Schwester treten nicht zusammen auf, und er äußert – wenn man das problematische Wort „ráðakostr“ einmal beiseitelässt – nie etwas zum Verhältnis von Kjartan und Ingibjörg. Bolli ist es, der Kjartan gegenüber vor seiner Rückkehr nach Island darauf anspielt: »Vér þykkjumsk hitt skilja, at konungr vill fyrir engan mun þik lausan láta, en hǫfum þat fyrir satt, at þú munir fátt þat, er á Íslandi er til skemmtanar, þá er þú sitr á tali við Ingibjǫrgu konungssystur«. (Laxdœla, Kap. 41, 126) »Aber ich habe ganz den Eindruck, daß der König dich unter keinen Umständen fortlassen will. Und ich halte es auch für sicher, daß dir das wenig durch den Kopf geht, was es auf Island an angenehmer Unterhaltung gibt, wenn du mit der Königsschwester Ingibjörg zusammensitzt und plauderst«. (582)

Er ist es, der Ingibjörg ins Spiel bringt, das heißt in die Saga, und der Verfasser erklärt erst danach: „ Hon var þá með hirð Óláfs konungs“ (Laxdœla, Kap. 41, 126; Übers. 582: ‚Sie hielt sich zu der Zeit im Gefolge König Olafs auf.‘). Bolli überrascht Kjartan mit einer Vermutung, die der zwar zurückweist, aber keine klare Antwort gibt. So kann Bolli später Guðrun gegenüber seine Gedanken wiederholen: Bolli segir, hvert orðtak manna var á um vináttu þeira Kjartans ok Ingibjargar konungssystur, ok kvað þat nær sinni ætlan, at konungr myndi heldr gipta honum Ingibjǫrgu en láta hann lausan, ef því væri at skipta. (Laxdœla, Kap. 42, 127) Bolli erzählte, was man über die Freundschaft zwischen Kjartan und der Königsschwester Ingi­ björg munkelte, und sagte, er nehme an, daß der König ihm eher Ingibjörg zur Frau geben als ihn ziehen lassen würde, wenn er vor die Wahl gestellt wäre. (583)

Dass Kjartan vom König mit anderen bedeutenden jungen Leuten als Geisel in Norwegen zurückgehalten wird, um dessen Bekehrungsbemühungen an den Isländern Druck zu verleihen, lässt Bolli unerwähnt und macht damit die Entfremdung zwischen sich und Kjartan deutlich. Tatsächlich hatte sich zwischen Kjartan und der Königsschwester eine freundschaftliche Beziehung ergeben. Das lassen Worte und Verhalten Ingibjörgs in der

14 Ungewöhnlich ist der in der Laxdœla nur hier auftretende Plural „ráðakostir“, da Bolli allein an Gudrun denkt. Sollte an die durch eine gute Partie zu erreichenden guten Lebensverhältnisse gedacht sein?

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Abschiedsszene erkennen. Wesentlich aber ist, dass Kjartan sie nach der Rückkehr­ erlaubnis des Königs erst aufsucht, als das Schiff bereits seeklar ist. Der Sagaverfasser hat für Kjartan keine Zukunft im norwegischen Königsumfeld angedacht. Er schuf aber mit dem kostbaren Tuch („motr“) als Ingibjörgs Abschiedsgeschenk neben dem vom König überreichten Schwert wichtige Requisiten für die weiteren Ereignisse auf Island.15 Der Beantwortung der Frage, wie der Sagaverfasser das Verhältnis Kjartans zum König beurteilt hat, dient schließlich auch der Blick auf den speziellen Wortschatz, den er eingesetzt hat. Nach der Taufe Kjartans und Bollis sind beide Gäste des Königs beim Julfest. Danach wird berichtet: Ϸat er sǫgn flestra manna, at Kjartan hafi þann dag gǫrzk handgenginn Óláfi konungi, er hann var fœrðr ór hvítaváðum, ok þeir Bolli báðir. (Laxdœla, Kap. 40, 123) Die meisten Leute stimmen darin überein, daß Kjartan an dem Tage König Olafs Mann geworden sei, an dem er die weißen Taufgewänder ablegte, und mit ihm auch Bolli.‘ (579)

Damit ist Kjartan als „hirðmaðr“ des Königs zu betrachten. Daran ändert auch die Beobachtung nichts: „Samskipti þeirra eru ekki eins og konungs og hirðmanns“16 (‚Ihr Verhältnis ist nicht wie zwischen König und Gefolgsmann.‘). Selbst wenn man glaubt, in der Haltung des Königs gegenüber Kjartan Ansätze einer Freundschaft erkennen zu können, bleibt klar, dass für den Sagaverfasser ein Rangunterschied besteht. Die entsprechenden Textstellen seien hier der Sagahandlung folgend angeführt. Im Frühjahr plant Kjartan, mit Kalf eine Handelsfahrt nach England zu unternehmen, will aber erst mit dem König darüber sprechen. Nach der Begrüßung bringt er sein Anliegen vor: „Kvað þó þat sitt ørendi til konungs, at biðja sér orlofs um sína ferð“ (Laxdœla, Kap. 41, 124; Übers. 580: ‚[Kjartan] fügte aber hinzu, er sei zunächst zum König gekommen, um von ihm die Erlaubnis für diese Fahrt zu erbitten.‘). Es ist die Haltung des Gefolgsmannes gegenüber dem König. Der konfrontiert Kjartan jedoch mit einem anderen Plan: Er soll nach Island fahren und seine Landsleute zum christlichen Glauben bekehren. Wenn ihm das Unternehmen zu schwierig erscheint,

15 Möglicherweise hat der Verfasser bei Ausformung der Szene an den oben genannten Bericht über den Ritt nach Gautland zu Jarl Rögnvaldr in der Zeit König Óláfrs, des späteren Heiligen, gedacht. Der Gesandtschaft des Königs hatte sich der Isländer Hjalti Skeggjason angeschlossen. Er trifft am Hof des Jarls auf Ingibjörg, die Ehefrau Rögnvaldrs, und es heißt da (Heimskringla II, Kap. 69, 89): „Ingibjǫrg, kona jarls, gekk at Hjalta ok hvarf til hans. Hon kenndi hann, því at hon var þá með Óláfi Tryggvasyni, bróður sínum, er Hjalti var þar.“ (‚Ingibjörg, die Frau des Jarls, ging auf Hjalti zu und begrüßte ihn herzlich. Sie kannte ihn, weil sie damals bei ihrem Bruder, Óláfr Tryggvason war, als sich Hjalti dort aufhielt.‘). Hier besteht wörtliche Übereinstimmung mit den Szenen der Laxdœla um Ingibjörg und Kjartan bei zeitgleichem Aufenthalt von Hjalti bei König Óláfr Tryggvason. 16 Ármann Jakobsson 1998, 374.



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dann – so der König – „vil ek fyrir engan mun láta hendr af þér, því at ek virði, at þér sé betr hent at þjóna tignum mǫnnum heldr en gerask hér at kaupmanni.“ (Laxdœla, Kap. 41, 124; Übers. 580:»so will ich dich auf keinen Fall fortlassen, denn ich meine, es steht dir besser an, im Dienst von Vornehmen zu stehen als dich in einen Kaufmann zu verwandeln.«). Kjartan entscheidet sich, beim König zu bleiben. Er begründet es damit, dass er nicht mit seinen Verwandten aneinandergeraten will und diese sich wohl weniger hartnäckig dem Willen des Königs widersetzen, „at ek sjá í yðru valdi í góðum kostum.“ (Laxdœla, Kap. 41, 124; Übers. 580:»[…] wenn ich in angesehener Stellung in deinem Dienst stehe.«). Der König schickt daraufhin seinen Gefolgschaftspriester nach Island. Obgleich sich einige Isländer taufen lassen, schlägt dessen Bekehrungsversuch insgesamt fehl, und er verlässt die Insel fluchtartig. Im folgenden Sommer lässt der über den Verlauf der Dinge erzürnte König zwei bereits getaufte Isländer mit dem gleichen Auftrag nach Island segeln, hält aber vier ihrer Landsleute aus bedeutenden Familien als Geiseln in Norwegen zurück – „[…] en hann tók fjóra menn at gíslum eptir“ (Laxdœla, Kap. 41, 126; Übers. 582: ‚Vier Männer aber behielt er als Geiseln in Norwegen.‘) –, unter ihnen Kjartan. Auch wenn der König später die Entscheidung zu relativieren sucht – „Vér virðum svá, Kjartan, at þú hafir hér setit meir í vingan en gíslingu“ (Laxdœla, Kap. 43, 130; Übers. 585: ‚»denn wir meinen, daß du, Kjartan, hier mehr als Freund denn als Geisel gewesen bist«‘), ändert das nichts daran, dass Kjartan keine Möglichkeit hatte, sich der Anordnung des Königs zu widersetzen. Nach Aufhebung des Fahrverbotes für die Geiseln tut Kjartan augenblicks seine Absicht kund, nach Island zurückzukehren, und hält auch daran fest, als der König ihm ein Bleiben in Norwegen schmackhaft zu machen sucht: Várr herra launi yðr þann sóma, er þér hafið til mín gǫrt, síðan er ek kom á yðvart vald. En þess vænti ek, at þér munið eigi síðr gefa mér orlof en þeim ǫðrum, er þér hafið hér haldit um hríð. (Laxdœla, Kap. 43, 130) »Der Herr lohne Euch die Ehre, die Ihr mir erwiesen habt, seit ich unter Eurer Macht stand. Aber ich hege die Erwartung, daß Ihr mir ebenso Urlaub gebt wie den übrigen, die Ihr hier eine Zeitlang festgehalten habt.«(585  f.).

Der König entspricht dem Wunsch und „segir sér torfengan slíkan mann ótiginn, sem Kjartan var“ (Laxdœla, Kap. 43, 130; Übers. 586: ‚setzte hinzu, daß er unter den Männern ohne Titel und Rang schwerlich einen finden werde, der Kjartan gleichkomme.‘). Auch später fällt eine Bemerkung auf. Kjartan findet erst ein Jahr nach der Heimkehr auf seiner Hochzeit zu alter Heiterkeit zurück: Kjartan var ok svá kátr at boðinu, at hann skemmti þar hverjum manni í tali sínu ok sagði frá ferðum sínum; þótti mǫnnum þar mikils um þat vert, hversu mikil efni þar váru til seld, því at hann hafði lengi þjónat inum ágætasta hǫfðingja, Óláfi konungi Tryggvasyni. (Laxdœla, Kap. 45, 138  f.)

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Kjartan zeigte sich während des Gastmahls so heiter, daß er jedermann durch sein Gespräch unterhielt und von seinen Fahrten erzählte. Die Leute waren sehr beeindruckt davon, welch interessante und bedeutsame Dinge da zur Sprache kamen, hatte Kjartan doch längere Zeit jenem vortrefflichen Herrscher, König Olaf Tryggvissohn, gedient.‘ (593)

Alle zitierten Textstellen lassen keinen Zweifel daran, dass der Laxdœla-Verfasser Kjartan zwar als einen vom König hochgeschätzten Isländer gesehen, keinesfalls aber als einen dem König Gleichrangigen gezeichnet hat.17

Fazit Die Prüfung des Sagatextes hat bestätigt, dass der Sagaverfasser einige der Leute aus dem Laxárdalr besonders hervorgehoben, in ihrem Ansehen über ihre Umgebung gestellt hat. Er hat dafür vor allem die Sagapartien benutzt, in denen er den Isländer mit dem jeweiligen norwegischen Herrscher zusammentreffen lässt. Bei der Ausgestaltung der Szenen hat er sich, wie auch sonst in der Saga, zahlreicher Motive bedient, die er aus Königssagas entlehnt hat. Er hat damit auch einen gewissen Glanz auf seine Personen lenken wollen. Das bedeutet jedoch nicht, dass er diese Isländer den norwegischen Königen (oder anderen Herrschern) hat gleichstellen wollen. Seine Wortwahl beweist, dass ihm trotz aller ‚Erhöhung‘ der Laxdœlir der Rangunterschied zwischen ihnen und dem König stets bewusst war. Die Schlussfolgerung von Ármann Jakobsson (1998, 380): „Í Laxdælasögu eru Laxdælir jafningjar erlendra konunga“ (‚In der Laxdœla saga sind die Bewohner vom Laxárdalr ausländischen Königen gleichgestellt‘) ist nach allem nicht gerechtfertigt. Und so ist auch der These „Laxdælasaga er hlekkur í konungasagnaritun Íslendinga“18 (‚Die Laxdœla saga ist ein Glied in der Königssagaschreibung der Isländer‘) nicht zuzustimmen.

17 Nicht überraschend kehren die Begriffe handgenginn (‚im Dienstverhältnis zu einem König stehend‘) und orlof (‚Erlaubnis‘) – wie oben besprochen – in der Erzählung von Ϸorleikr und Bolli wieder. Hinzu kommt die Wendung bindask einhverjum á hendr (‚in jemandes Dienst treten‘), die dem Begriff handgenginn nahesteht. 18 Ármann Jakobsson 1998, 380.



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Literatur Quellen Ágrip = Ágrip af Nóregskonunga sǫgum (Íslenzk Fornrit 29), Bjarni Einarsson (útg.). Reykjavík 1985. Knýtlinga saga. In: Danakonunga sǫgur (Íslenzk Fornrit 35), Bjarni Guðnason (útg.). Reykjavík 1982. Laxdœla saga (Íslenzk Fornrit 5), Einar Ól. Sveinsson (útg.). Reykjavík 1934. Óláfs saga helga. In: Heimskringla II (Íslenzk Fornrit 27), Bjarni Aðalbjarnarson (útg.). Reykjavík 1945. Óláfs saga Tryggvasonar eptir Odd munk Snorrason (Íslenzk Fornrit 25), Ólafur Halldórsson (útg.). Reykjavík 2006.

Übersetzungen Arent 1964: A. Margaret Arent (transl.), The Laxdoela Saga. Seattle 1964. Beck 1997: Heinrich Beck (übers.), Laxdoela Saga. Die Saga von den Leuten aus dem Laxardal (Saga. Bibliothek der altnordischen Literatur). München 1997. Heller 1982: Rolf Heller, Die Saga von den Leuten aus dem Laxartal. In: Isländersagas 1, übertragen und hg. von Rolf Heller. Leipzig und Wiesbaden 1982, 465–672. Magnus Magnusson and Hermann Pálsson 1969: Magnus Magnusson, Hermann Pálsson (transl.), Laxdæla Saga. Harmondsworth 1969. Wetzig 2011: Karl-Ludwig Wetzig (übers.), Die Saga von den Leuten aus dem Laxárdal. In: Klaus Böldl, Andreas Vollmer und Julia Zernack (Hg.), Isländersagas 2. Frankfurt am Main 2011, 567–765.

Sekundärliteratur Ármann Jakobsson 1997: Ármann Jakobsson, Í leit að konungi. Konungsmynd íslenskra ­konungasagna. Reykjavík 1997. Ármann Jakobsson 1998: Ármann Jakobsson, „Konungasagan Laxdæla“. In: Skírnir 172, 1998, 357–383. Bjarni Guðnason 1999: Bjarni Guðnason, „Guðrún Osvífursdóttir och Laxdæla Saga“. In: Scripta Islandica. Isländska sällskapets årsbok 50, 1999, 9–30. Frölich 2000: Dorothee Frölich, Ehre und Liebe. Schichten des Erzählens in der Laxdœla saga (Europäische Hochschulschriften 1, Deutsche Sprache und Literatur Bd. 1774). Frankfurt am Main 2000. Heller 1960: Rolf Heller, Literarisches Schaffen in der Laxdœla saga. Die Entstehung der Berichte über Olaf Pfaus Herkunft und Jugend (Saga, Heft 3). Halle (Saale) 1960. Heller 1961: Rolf Heller, Laxdœla saga und Königssagas (Saga, Heft 5). Halle (Saale) 1961. Heller 2003: Rolf Heller, „Literarisches Lehngut – Einsichten und Fragen: Laxdœla saga Kapitel 77“. In: Wilhelm Heizmann, Astrid van Nahl (Hg.), Runica – Germanica – Mediaevalia (Ergänzungsbände zum RGA 37). Berlin/New York 2003, 265–272. Meulengracht Sørensen 1995: Preben Meulengracht Sørensen, Fortælling og ære. Studier i islændingesagaerne. Oslo 1995. Schach 1982: Paul Schach, „The Theme of the Reluctant Christian in the Icelandic Sagas“. In: Journal of English and Germanic Philology 81, 1982, 186–203. Wolf 1994: Alois Wolf, „Aspekte des Beitrags der Laxdœla saga zur literarischen Erschließung der Sagazeit“. In: Heiko Uecker (Hg.), Studien zum Altgermanischen. Festschrift für Heinrich Beck (Ergänzungsbände zum RGA 11). Berlin/New York 1994, 722–750.

Ernst Hellgardt

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen Abstract: Charles the Great disposed in front of his palace at Aachen an equestrian statue of Theoderich the Great, which he had removed from its original location at Ravenna in the year of his coronation as emperor 801. Written testimony about the statue is recorded in a Latin poem by Walahfrid Strabo dating from the year 829 A.D. and in narrations by Agnellus, priest oft the church of Ravenna, given in his Liber Pontificale in the year 839. Both sources seemingly depend on oral tales about the statue, its location and its deportation. The here presented essay intends to discuss this information especially with regard to their value as documents for the statue’s appearence as a real objekt.

1 Die Versus  … de imagine Tetrici, die Walahfrid Strabo im Frühjahr 829 zu Aachen dichtete, sind eines der merkwürdigsten lateinischen Gedichte des frühen Mittelalters. Sie stellen Reflexionen Walahfrids im Anblick des Reiterstandbildes Theoderichs des Großen dar, das Karl der Große im Jahre 801 von seinem ursprünglichen Aufstellungsort in Ravenna nach Aachen geholt hatte, um es im Bereich seiner Residenz aufstellen zu lassen. Über das Aussehen und über die Verbringung des Monuments nach Aachen berichtet der Presbyter Agnellus von Ravenna (*800/805, † nach 846) in seinem Ravennatischen ‚Liber Pontificalis’, einer Art Bischofsgeschichte von Ravenna. Ein unmittelbares, quellenmäßiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden Texten besteht nicht. Dazu gleich näher. Für die germanische Altertumskunde war das Standbild allein als solches schon immer faszinierend, besonders aber seine Überführung von Ravenna nach Aachen und seine neue Aufstellung in Karls Aachener Residenz. Sollte sich nicht die Aneignung des Theoderich-Standbildes und dessen Neuaufstellung durch Karl an einem so prominenten Ort als symbolischer Akt politischer Manifestation einer TranslatioIdee des neuen Kaisers interpretieren lassen? Der gerade zum Kaiser erhobene germanisch-, nämlich fränkisch-stämmige Karl hätte so sein imperiales und gentiles Selbstverständnis – insbesondere auch gegenüber Konstantinopel – auf signifikante Weise dokumentieren und legitimieren wollen, nämlich im Sinne einer bewussten Anknüpfung an die seinerzeitige Übernahme des weströmischen Reichsteils durch den germanisch-stämmigen Goten Theoderich, der als Statthalter des römischen

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Westreiches im kaiserlichen Auftrag Kaiser Zenos legitimiert war  – wenn auch in nicht ganz unproblematischer Weise. Es ließe sich doch die Politik Theoderichs recht wohl mit derjenigen Karls vergleichen: in ihren gleichgerichteten Intentionen auf die Schaffung eines großen Westreiches als Erneuerung des weströmischen Reiches, und dies in Spannung mit Ostrom und mit Unterstützung oder zumindest Duldung des Papstes. Mittel solcher Politik waren bei Theoderich und ebenso bei Karl der möglichst umfassende Zusammenschluss germanischer Gentes durch Bündnisse und notfalls durch militärische Expansion auf deren Territorien. Solche Herrschaftsverbünde sollten in beiden Fällen die Basis des neu zu formenden Reiches bilden.1 Vor dem Hintergrund einer solchen möglichen Reichsideologie wäre also Walahfrid Strabos Gedicht zu untersuchen. Aber auch die zeitnahen geschichtlichen Umstände zur Entstehungszeit von Walahfrids Gedicht sind zu bedenken. Es wurde 829 unmittelbar vor dem Ausbruch umwälzender Erschütterungen gedichtet, in deren Folge während der kommenden Jahrzehnte die Einheit des von Karl dem Großen geschaffenen fränkischen Reiches zerbrach.  Walahfrid war eben nach Aachen gekommen und auf nicht bestimmte Weise in den Hofdienst übernommen worden.2 Von der sich anbahnenden, aber noch nicht zum Ausbruch gekommenen Krise muss er gewusst haben. Aber der gerade erst ca. zwanzigjährige Newcomer wird sich kaum mit einer dezidierten Parteinahme herausgewagt haben, die auch niemand von ihm erwartet haben wird. Dennoch kann gefragt werden, wie weit die heraufkommende Krise Reflexe in Walahfrids Gedicht hinterlassen hat, inwieweit es also den Charakter eines politischen Gedichts trägt.3 Solche Fragen sind aber nicht Thema dieser Studie, die auch nicht das ganze Gedicht behandeln will.4 Mir kommt es vor allem auf die

1  Hierzu Löwe 1956, bes. 42–72; zu Theoderich Ensslin 21959, bes. 80–106; siehe auch Wolfram 1979, 381–409; unter dem Konzept von „Geblütsheiligkeit“, die Karl den Großen mit Theoderich verbunden hätte, ferner Hauck 1950. 2 Wie Irmgard Fees (zuletzt 2012) gezeigt hat, lässt sich die früher weit verbreitete und bei Fees (17–19) reich belegte Meinung nicht verifizieren, Walahfrid sei von Ludwig dem Frommen und seiner zweiten Gemahlin Judith zur Erziehung von deren Sohn Karl an den Hof berufen worden und mit dieser Aufgabe bis 838 betraut gewesen. Der bei Walahfrids Ankunft in Aachen erst sechsjährige Junge sollte als Nachkomme aus der zweiten Ehe des Kaisers zur Ursache von Reichsteilungsstreitigkeiten einerseits zwischen Ludwig und der Reichsgeistlichkeit, andrerseits zwischen dieser Partei und derjenigen der älteren Söhne Ludwigs und ihrer Anhänger werden, Streitigkeiten, die zum Zerbrechen der Einheit des karolingischen Reiches führten. Besondere Verdienste muss sich Walahfrid in seiner zehnjährigen Aachener Zeit aber doch erworben haben. Schließlich wurde ihm ausgerechnet zur Zeit der Volljährigkeit seines angeblichen Zöglings bei seiner Entlassung aus dem Hofdienst die Abtei Reichenau vom Kaiser übertragen. Zu Walahfrids Leben siehe Langosch/Vollmann 1999. 3 Explizite Äußerungen dieser Art erkenne ich in dem Gedicht nur in Vers 170, der eine Mahnung an Ludwig den Deutschen enthält, sich mit dem, was ihm an Besitz (gaza) zugefallen ist, um der Eintracht (concordia) willen zufrieden zu geben. Vielleicht ist auch der thermarum vulgus (Vers 34) auf die Gegner des Kaisers und seiner Anhänger zu deuten; dazu unten S. 153. 4 Für diese Fragen kann beispielsweise auf die Arbeiten von Bock 1844 und 1871 und von Däntl 1931 verwiesen werden.

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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Verse an, in denen Walahfrid unmittelbar im Anblick des Standbildes Reflexionen anschließt, die für den Leser Vorstellungen von dessen realem Aussehen zulassen, anders als die Verse 116–146; zu diesen s.  u.

2 Agnellus hat seine Bemerkungen zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen im Jahre 839 geschrieben. Vollständig lag sein Liber Pontificalis erst nach 846 vor.5 Gesehen hat Agnellus das Standbild nicht mit eigenen Augen.6 Er berichtet offenbar nach mündlichen Gewährsleuten. Die Verse Walahfrids, der das Standbild selbst gesehen hat, sind durch die Überschrift des Textes in der einzigen (St. Galler) Handschrift auf das Jahr 829 datiert: Versus in Aquisgrani palatio editi anno Hludowici imperatoris XVI [=829] de imagine Tetrici.7 Rein chronologisch ist nicht auszuschließen, dass Agnellus die Verse Walahfrids kannte, als er über das Standbild schrieb. Dass umgekehrt Walahfrid, der 849 starb, etwa nach dem Bekanntwerden des Agnellus sein Gedicht in späterer Bearbeitung unmittelbar auf Agnellus abgestimmt habe, lässt sich zwar nicht ausschließen, es ist aber doch sehr unwahrscheinlich. Wo die beiden Texte übereinstimmen, kann dies entweder durch den Bezug auf ein und denselben Gegenstand, das Reiterstandbild, erklärt werden, oder durch Sprachquellen – mündliche oder schriftliche –, die beiden zugänglich waren. Ich möchte am ehesten mündlich umlaufende Erzählungen über das Standbild annehmen. Wo Agnellus und Walahfrids Darstellungen sich nicht decken, kann das immer noch auf eine unterschiedliche Wahrnehmung desselben Standbildes zurück zu führen sein. Aber es kann zu den unterschiedlichen, weit auseinander liegenden Zeiten, auf die über seine Aufstellung in Ravenna bzw. in Aachen Bezug genommen wird, tatsächlich auch unterschiedliche Merkmale gehabt haben, je nachdem, was Agnellus über das Denkmal erzählt worden war bzw. was Walahfrid tatsächlich sehen und wissen konnte. Wo derartiges zu berühren ist, wird auch meine Darstellung nicht über Vermutungen hinaus kommen können. Wo sie sich anbieten, sollen sie nicht unterdrückt werden. Die einschlägigen Passagen aus Agnellus werden unten vollständig zitiert. Aus dem Gedicht Walahfrids zitiere ich nur die unmittelbar auf das Standbild als Realie

5 Agnellus, ‚Liber’ 1996, 23. 6 Hierzu Schmidt 1873, 5. 7 CESG 869, 143. Bock (1844, 3, Anm. 3) verweist auf die Erwähnung einer vatikanischen Handschrift bei Greith 1838, 132; Schmidt 1873, 6 wiederholt das. Diese vatikanische Handschrift ist bisher jedoch nicht aufgetaucht. Zur Datierung des Gedichtes s. auch Schmidt 1873, 6.

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bezüglichen Verse 28–88.8 Sie allein beziehen sich konkret auf den Anblick des Denkmals in Aachen. Zu ihnen ausführlich später. Für das ganze Gedicht gebe ich vorweg eine knappe Inhaltsanalyse.9

3 Voran steht in den Versen 1–27 in der Art der vergilischen Ekloge die Schilderung eines frühlingshaften locus amoenus. Die idyllische Szenerie ermutigt Strabus dazu, seinem Dichtergenius Scintilla Fragen zu stellen und um Belehrung zu bitten. Scintilla lässt sich nur zögernd darauf ein und gibt zu bedenken, wie unerfreulich in Wirklichkeit die Umgebung ist, in der man sich befindet (Schmutz und Pfützen auf den Wegen, Geschrei von Bettlern und dem höfischen Mob von Verleumdern). Der nun folgende innere Dialog der Verse 28–88 reflektiert darauf, was Strabus und Scintilla im konkreten Augenschein vor sich sehen: die imago des Tetricus,10 das Reiterstandbild, das Karl der Große nach dem Bericht des Agnellus von Ravenna nach Aachen hat bringen lassen. Auf das Zwiegespräch des bukolisch ansetzenden Textes folgt nun der Panegyrikos auf den Hofstaat Ludwigs des Frommen selbst gemäß den Regeln des Quintilian, wonach einem düsteren Eingang im panegyrischen Gedicht der lobpreisende Teil folgen soll.11 In nächsten Abschnitt (Vers 147–257) schweigt Strabus, und es spricht nur noch Scintilla, wechselnd zwischen Erzählpräteritum und Präsens, sei es redend zum zuhörenden Strabus, sei es in Anreden an die gepriesenen Personen oder mit Bezug auf das Wir Scintilla/Strabus. Es handelt sich nun um einen prozessionsartigen Auftritt des Aachener Hofstaates. In diesen Passus ist die Schilderung einer sehr merkwürdigen schaustellerischen Szene integriert (Vers 116–146), die Scintilla als fiktive Zuschauerin imaginiert; diese Szene wird unten unter 7 (S. 165) besonders zu behandeln sein. Zunächst aber wird Kaiser Ludwig als neuer Moses gepriesen (Vers 93–157). Scintillas Lobpreis gilt dann im fiktiven Erblicken der Hofprozession den

8 Benutzt wird die Ausgabe von Dümmler 1884. Außerdem wurden zur Textkritik hinzugezogen Traube 1890 und Önnerfors 1971, hier 72–85; ferner Text und deutsche Übersetzung von Däntl 1931, 3–23 sowie Text und englische Übersetzung von Herren 1991; deutsche Übersetzung auch von Homeyer 1983. Eine schwedische Übersetzung aller auf Tetricus bezüglichen Verse mit Kommentar und Forschungsreferat bei Brate 1915. 9 Ausführlich Herren 1992, 27–32. 10 Man hat Walahfrid unterstellt, dass er mit dieser Form des Theoderich-Namens an taeter ‚hässlich, garstig, ekelhaft‘ wortspielerisch den Namen Theoderich umforme; das hat Smolak (2001, 90) überzeugend zurückgewiesen. Er macht darauf aufmerksam, dass der Name in der Form Tetricus im 6. und 7. Jahrhundert hochstehenden Persönlichkeiten und sogar dem letzten der illegitimen Söhne Karls des Großen gegeben wurde. Vgl. auch Schmidt 1873, 47, Anm.* 11 Smolak 2001, 94. Zur poetologischen Struktur von Walahfrids Gedicht s. auch Vélez Latorre 1998.

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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anderen Herrscherpersönlichkeiten: dem Mitkaiser Lothar (Vers 158–164), den beiden anderen Söhnen Kaiser Ludwigs, König Ludwig dem Deutschen (Vers 165–170) und dem abwesenden König Pippin von Aquitanien (Vers 171–175), der Preis gilt ferner der Kaiserin Judith und ihrem Sohn Karl (Vers 174–208). Lobeserhebungen bedeutender Persönlichkeiten des Hofstaates folgen: solche auf Erzkaplan Hildwin (Vers 209–220), auf Einhard, den geistig „Großen“, wie er mit kontrastierendem Hintersinn auf seine Kleinwüchsigkeit genannt wird (Vers 221–226), und auf Magister Grimald (Vers 227– 232). Mit einem Unfähigkeitstopos erklärt Scintilla sich als außer Stande, die Größe all dieser Persönlichkeiten angemessen zu schildern (Vers 233–238). Fiktiver Höhepunkt der Szenerie: Scintilla findet sich, aus dem Beobachterstand heraustretend, schließlich sogar selbst in das Geschehen einbezogen (Vers 239–257). Man fragt den Dichter, woher er sei, und in welcher Sendung er komme (Vers 243). Er nennt den Lobpreis des Kaiserhofes als seine Aufgabe und setzt zu einem großen Segenswunsch für Kaiser Ludwig an (Vers 246–257). Der Schluss des Gedichtes (Vers 258–262) wendet sich zurück an den Tetricus des düsteren Anfangs. „Fahr dahin, törichter Tetricus!“ (Vers 258). Die hässlichen Flecken seines Gedichtes lastet Walahfrid der Figur des Tetricus an, der wieder präsent ist in seinem Standbild und zugleich in den Tetricus-Versen des Gedichtes (Vers 28–88). Der Dichter bittet seine Muse nun um Reinigung seiner Verse von den Flecken jenes Teils. Man kann das konkret als versteckte Forderung zur Beseitigung des Standbildes verstehen, über das dann kein Gedicht sich noch Gedanken zu machen bräuchte. Den Beschluss des Ganzen bilden – im Unterschied zu den vorangehenden Hexametern des Gedichtes – drei elegische Distichen mit einer Art Autor-Signatur. Walahfrid nennt sich in dritter Person als Reichenauer Mönch mit seinem Profess-Namen Strabo. Als Strabus aber, nämlich als schielend missgestaltetes Geschöpf Gottes, wenn solche Rede denn erlaubt ist, als Schieler also, bittet er um Nachsicht für die hässlichen Seiten seines Gedichtes.

4 Die Tetricus-Verse Walahfrieds Zurück zu den Tetricus-Versen 28–88. In ihnen wird das face-to-face gesehene Standbild nicht eigentlich beschrieben. Vielmehr wird sein Eindruck auf die beiden Betrachter Strabus und Scintilla, den Dichter Walahfrid und seinen Dichtergenius, reflektiert. Die Gedanken, die der Anblick auslöste, werden entfaltet. Wenn von Tetri­ cus die Rede ist, wechselt der Bezug auf den historischen Theoderich mit dem auf sein Standbild. Ich setze den Wortlaut der Verse hierher (zur Textgestaltung s.  u. Anm. 8). Im Anhang findet sich eine Version des Textes mit Umstellungen des Wortlauts in den ordo verborum naturalis und mit einer interlinearen Übersetzung.

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Strabus Primum nosse velim, iuxta quam saepe viamus, cur sit imago suis sic effigiata figuris. Scintilla Tetricus, Italicis quondam regnator in oris, multis ex opibus tantum sibi servat avarus; at secum infelix piceo spatiatur Averno, cui nihil in mundo nisi vix fama arida restat. quamqmquam thermarum vulgus vada praeparat olli, hoc sine nec causa, nam omni maledicitur ore, blasphemumque dei ipsius sententia mundi ignibus aeternis magnaeque addicit abysso. quam statuam vivo artifices si forte dederunt, credito blanditos insano hac arte leoni; aut etiam, quod credo magis, miser ipse iubebat haec simulacra dari, quod saepe superbia dictat. infelix nam nullus erit, ni desierit ipse scire quod est, audens sese quod credere non est. curribus atque in equis noris si stare superbos, non quod sedit equo, tecum miraberis umquam. Strabus Cernimus aerias simul adventare columbas, terque – die exorta, media et vergente – venire: talia non vanis addam spectacula rebus.

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Scintilla Nonne vides humiles saevos quasi amare tyrannos? non ex corde tamen, sed enim pro tempore huius pace. petunt pastum, non nidificando quiescunt. Strabus Cur dextra de parte nolam gestare videtur nudus? ob hoc solum, puto, ut atra pelle fruatur.

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Scintilla Etsi non caneret, nequaquam pelle careret, quam semel induerat, sed erit quod dicere possis: flagitiosorum certe preconia summis laudibus accelebrant omnis virtutis egentes; verius ut dicam: dat nudo opprobria nudus.

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Strabus Si quid in his aliud, nobis edicito, nosti!

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Scintilla Fulget avaritia exornatis aurea membris, spicula fert, quae saepe latus pulsare pigrescens sufficiant solitisque accendant corda rapinis. aurea quod regnat stipata satellite nigro, non aliud portendit enim, quam quod mala quantum luxuries quodsdam sensu distendit avaro, tantum pauperies alios devastat adurens. quam subterlabuntur aquae, quia, teste poeta, semper avarus eget. quod desunt frena notabis; quodque super lapides plumbumque et inane metallum currit equo, signat se pectore belua duro, corde pigro sensuque cavo regnare superbiam. O pestis sine fine nocens! non sufficit omnem pervolitasse orbem bellis et caede potentum, quin etiam faciem praeclara palatia contra cristicolasque greges videas posuisse nefandam. ante pedes ternos parentibus undique nervis ille tuus sonipes vacuum super aera nando tollet, et albentes monstrabitur inter olores, quam pia corde tuis macules, vis pessima, telis. iam tamen ipsa pedem vanis conatibus unum optima nequiquam contra consulta levasti. nam quotiens procerum tibimet coniungere quemquam es conata, tibi totiens aut obvia mortis ex insperato venere repagula nigrae aut cautela patrum, quos arx sanctissima semper substituit, pestem monitis compescuit atram, deficiat quorum sceptrum de semine numquam donec in ignivoma veniet rex nube coruscans.

Walahfrids Gedicht wäre ohne die von Agnellus erhaltenen Nachrichten kaum verständlich. Deshalb seien auch diese hier eingerückt.

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A … In aspectu ipsorum piramis tetragonis lapidibus et bisalis, in altitudinem quasi cubiti sex; desuper autem equus ex aere, auro fulvo perfusus, ascensorque eius Theodoricus rex scutum sinistro gerebat humero, dextro vero brachio erecto lanceam tenens. Ex naribus vero equi patulis et ore volucres exibant in alvoque eius nidos haedificabant. Quis enim talem videre potuit, qualis ille? Qui non credit sumat Franciae iter, eum aspiciat. Alii aiunt, quod supradictus equus pro amore Zenonis imperatoris factus fuisset.[…]12 Pro isto [= pro Zenoni] equus ille praestantissimus ex aere factus, auro ornatus est, sed Theodoricus suo nomine decoravit. Et haec pene annis XXXVIII,13 cum Karolus rex Francorum omnia subiugasset regna et Romanorum percepisset a Leone III. papa imperium, postquam ad corpus beati Petri sacramentum praebuit, revertens Franciam, Ravenna ingressus, videns pulcherrimam imaginem, quam numquam similem, ut ipse testatus est, vidit, Franciam deportare fecit atque in suo eam firmare palatio qui Aquisgranis vocatur. (Nauerth 1996, 358/360) …14 Vor beider Angesicht war ein Sockel, der aus viereckigen zweischichtigen Steinen bestand und sechs Ellen hoch war, darauf befand sich das Pferd aus Erz, das mit blinkendem Gold überzogen war. Sein Reiter, der König Theoderich, hielt mit dem linken Arm den Schild, in der erhobenen Rechten die Lanze. Aus den geöffneten Nüstern und dem Maul des Pferdes flogen Vögel heraus und bauten ihre Nester in15 seinem Bauch. Kann sich jemand ein solches Denkmal vorstellen? Wer mir nicht glauben will, gehe ins Frankenland, dort wird er es erblicken! Andere behaupten, dass das erwähnte Pferd aus Liebe zu Kaiser Zeno geschaffen worden sei. […] Für ihn [=für Zeno] wurde jenes außerordentliche Pferd aus Erz gegossen und mit Gold überzogen. Theoderich aber schmückte es mit seinem Namen. Es sind jetzt ungefähr achtunddreißig Jahre her, seit der Frankenkönig Karl alle Reiche unterworfen und das römische Imperium empfangen hat. Als er beim Leichnam (sc. beim Grab) des seligen Petrus den Treueid geleistet hatte,

12 Hier ist ein kleiner Exkurs über Kaiser Zeno und seine Regierungszeit (474–491) eingeschoben, der mit dem Reiterstandbild nichts zu tun hat. 13 Agnellus schreibt dies also im Jahre 839, d.  h. zehn Jahre später als Walahfrid sein auf das Jahr 829 datiertes Gedicht; vgl. Nauerth 1996, 23 (mit Literaturhinweisen) und ebd. 14. 14 Textverlust durch Beschädigung der Handschrift. 15 Nauerth 1996, 359 übersetzt „unter“.

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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kehrte er wieder ins Frankenreich zurück. Dabei kam er nach Ravenna und sah das herrliche Bild, von dem er selbst bezeugt, dass er niemals etwas Vergleichbares gesehen hat. Er sah es, ließ es ins Frankenreich transportieren und in seinem Palast in Aachen aufstellen. (Nauerth 1996, 359/361) Ergänzend sind dem noch Stellen hinzuzufügen, die den angegebenen Zitaten unmittelbar voranstehen. Hier erzählt Agnellus über weitere zeitgenössische Bildnisse Theoderichs, sei es dass er von ihnen wusste, sei es dass er sie selbst gesehen hat. Sie waren sämtlich als Mosaike gestaltet und sind insofern zu unterscheiden von dem Reiterstandbild in Ravenna. Sie können aber eine Vorstellung davon vermitteln, welche Darstellungen aus der Zeit des Theoderich zur Zeit des Agnellus bekannt oder noch vorhanden waren, und wie Theoderich auf ihnen dargestellt war. Erhalten ist keines dieser Bildwerke. Bei den Mosaiken ist es z.  T. unsicher, welche von ihnen Agnellus selbst gesehen hat.16 Auch das Standbild selbst hat Agnellus ja wahrscheinlich nicht mehr mit eigenen Augen sehen können. Es befand sich zumindest zur Zeit seines Berichtes seit „ungefähr 38 Jahren“ (paene annis XXXVIII, oben A Z. 10) nicht mehr an seinem ursprünglichen Ort. Agnellus wird nur vom Hörensagen über das Standbild berichtet haben, wohl aus Lokaltraditionen, wie sie in Ravenna und anderswo mündlich umliefen. Agnellus gedenkt der Plünderung Etruriens durch die Langobarden und schließt daran seine Schilderung an:

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B Post vero depraedata a Langobardis Tuscia, obsiderunt Ticinum, quae civitas Papia dicitur, ubi et Theodoricus palatium struxit, et imaginem sedentem super equum in tribunalis cameris tessellis ornati bene conspexi.17 Hic autem similis fuit in isto palatio, quod ipse haedificavit, [Mosaik 1] in tribunale triclinii quod vocatur Ad mare, [Mosaik 2]18 supra portam et in fronte regiae quae dicitur Ad Calchi istius civitatis, ubi prima porta palatii fuit, in loco qui vocatur Sicrestum, ubi ecclesia Salvatoris esse videtur. In pinnaculum ipsius loci fuit Theodorici effigies, mire tessellis ornata, dextera manum lanceam tenens, sinistra clipeum, lorica indutus. Contra clipeum Roma tessellis ornata astabat cum asta et galea; unde vero telum tenensque fuit, Ravenna tessellis figurata,

16 S. die folgenden Anmerkungen. 17 Dieses Mosaik hat Agnellus also selbst gesehen. 18 Ob Agnellus diese Mosaiken selbst gesehen hat, ist unsicher; er beschreibt sie im Vergangenheitstempus. Vielleicht bezieht er sich auf sekundäre mündliche oder schriftliche Nachrichten; vgl. Nauerth 1996, 356, Anm. 414, dort auch zu den Ortsangaben.

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pedem dextrum super mare, sinistrum super terram ad regem properans.19 (Nauerth 1996, 356/358) Außerdem wurde auch Etrurien von den Langobarden geplündert. Sie besetzten die Stadt Ticinum, die auch Pavia heißt, wo sich auch Theoderich einen Palast hatte bauen lassen. Sein schmuckvolles Mosaikbild, auf dem er hoch zu Pferde dargestellt ist, habe ich in der Apsis gesehen. Es war nämlich dem Bilde im hiesigen20 Palast, den er selbst errichtet hatte, ähnlich, dies [Mosaik 1] befand sich in der Apsis des Tricliniums ‚Ad Mare’, (und ein zweites) [Mosaik 2] über der Tür an der Stirnseite des königlichen Palastes dieser Stadt, der ‚Ad Calchi’ genannt wird, wo das Hauptportal des Palastes war, an der Stelle, die ‚Sicrestum’ heißt und wo heute anscheinend die Salvatorkirche steht. Dort im Giebel befand sich das Bild des Theoderich in herrlichem Mosaikschmuck: In der rechten Hand hielt er eine Lanze, in der linken einen Schild, er war mit einem Panzer bekleidet. Am Schild stand die in Mosaik ausgeführte personifizierte Roma mit Lanze und Helm. An der Seite, an der Theoderich das Geschoss21 hielt, war die personifizierte Stadt Ravenna in Mosaik abgebildet, die den rechten Fuß auf das Meer, den linken auf das Erdreich gesetzt hatte und auf den König zueilte. (Nauerth 1996, 357/359)

Außer Agnellus berichten noch einige Bemerkungen späterer Chronistik, die Her­ mann Grimm22 in die Forschung eingeführt hat, über das Reiterstandbild von Ravenna. Nur zwei dieser Bemerkungen seien hier angeführt, weil sie lange Zeit für erhebliche Verwirrungen in der Auffassung des Aachener Reiterstandbildes verantwortlich waren. Grimm schreibt hierzu: „Wir besitzen in den Aufzeichnungen einer Ravennater Chronik (Mur[atori] Ib) eine lose Zusammenstellung von Nachrichten, welche offenbar verschiedenen Quellen entnommen und zum Teil ältesten Ursprungs sind.“23 Grimm zitiert im Besonderen die folgenden Stellen:

19 Auch bei diesem Mosaik ist es unsicher, ob Agnellus es selbst gesehen hat. Zudem ist hier nicht gesagt, ob Theoderich hier im Giebeldreieck des Gebäudes zu Pferde dargestellt war; vgl. Nauerth 1996, 357, Anm. 415. 20 D.h. im Ravennatischen Palast. 21 telum hier für die eben zuvor genannte lancea Theoderichs. 22 H. Grimm 1869, 60–72. 23 H. Grimm 1869, 60–61.

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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C1 Circa annos Domini DXIX. Per haec tempora, quibus Theodoricus Rex Gothorum regnabat in Italia, ipse fecit construi egregia Opera maxime in Ravenna, scilicet Ecclesiam Gothicam, Turrim Palatii, Eccl. Sti Martini in Coelo aureo, Ecclesiam Stae Mariae Rotundae extra Muros, quae uno lapide tegitur, et equum cum equite aereo-auratum, quem postea Carolus Magnus Ravennam abstulit ut versus Franciam deportaret, sed in itinere Caroli postea Papiae remansit. (anonyme Ravennater Chronik, Mitte 14.  Jh. Muratori Scriptores rerum Italicarum I Pars II, 576; hier zitiert nach Grimm (1869, 60–61) und Schmidt (1873 30–31). Um das Jahr des Herrn 510: In den Zeiten, in denen Theodoricus als König der Goten in Italien herrschte, ließ er herausragende Werke besonders in Ravenna errichten, nämlich eine gotische [d.  h. arianische] Kirche, einen Palast-Turm, die Kirche St. Martins in Coelo aureo, die Rundkirche der heiligen Maria, die mit einem einzigen Stein gedeckt ist, und ein Ross mit Reiter aus vergoldetem Erz, das später Karl der Große von Ravenna wegnahm, um es nach Franken fort zu tragen. Aber auf Karls Weg blieb es später in Pavia zurück. C2 Circa Annos Domini DCCCX. Carolus imperator et rex Franciae venit Ravennam. Hic equum aureum qui erat in Ravenna abstulit ut in Franciam poneret, qui tamen Papiae visitur. (Johannes de Mussis, Chronik von Piacenza, laut Schmidt geschrieben um 1400; Muratori, wie o., 577; Grimm [1869, 61], Schmidt [1873, 31]). Um das Jahr des Herrn 810: Karl, Kaiser und König Frankens, kam nach Ravenna. Von hier nahm er das goldene Ross, das in Ravenna war, fort, um es nach Franken zu bringen. Dennoch ist es in Pavia zu sehen.

Diesen beiden Stellen ist noch eine weitere aus einer Mailänder Chronik des Benzo von Alessandria vom Jahre 1320 anzufügen, weil der Chronist anscheinend unmittelbar aus Agnellus zitierte und aus ihm eine Information über den Aufstellungsort der Statue am pons Austri (d. i. pons Augusti) zu Ravenna tradiert, die in eine Lücke der heute verfügbaren Überlieferung des ‚Liber Pontificalis’ zu fallen scheint24:

24 Hoffmann 1962, 322.

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D Legi etiam in cronicis Ecclesie Ravennatis, quod hoc simulachrum [das Reiterstandbild] fabricari fecit Rex Italie Theodericus apud Ravennam, et in ponte austri Ravenne locari: et sic in pontificali libro ejusdem Ecclesie legitur. (B. Bugatti, Memorie storico-critiche intorno le reliquie ed il culto di S. Celso Martire. Milano 1782, 133; hier zitiert nach Grimm [1869], Schmidt [1873, 28]; vgl. Hoffmann [196225, 322] mit den Hinweisen in Anm. 26) Auch habe ich in den Chroniken der Kirche von Ravenna gelesen, dass Theoderich, der König von Italien dieses Abbild in Ravenna machen und auf dem Pons Austri aufstellen ließ. Und so liest man es im ‚Liber Pontificalis’ jener Kirche.

Es gibt noch eine ganze Reihe ähnlicher Nachrichten aus dem späteren Mittelalter. Bei all ihnen handelt es sich letztlich um lokalpatriotische Fabeleien, besonders aus Pavia.26 Für das Aussehen der Statue im Einzelnen bringen sie keinen erwähnenswerten Wissenszuwachs über Agnellus hinaus. Sie behaupten, das Standbild sei zwar von Karl dem Großen aus Ravenna mitgenommen worden, aber nie nach Aachen gelangt, sondern in Pavia zurück geblieben, und Pavia könne den Ruhm, das Standbild zu besitzen, für sich verbuchen.27 Auch nach Mailand sei es zeitweise entführt worden. Dabei unterlaufen Verwechslungen mit dem sagenhaft berühmten, spät­ antiken Reiter­ stand­ bild, das Regisol genannt wurde und einst in Pavia stand. Wilhelm Schmidt hat all diese Notizen kritisch beleuchtet mit dem Ergebnis, dass sie

25 Hoffmann 1962, 322. 26 Bei H. Grimm (1869) haben diese unverbürgten Darstellungen zu der Meinung geführt, das Standbild sei tatsächlich nie nach Aachen gekommen. Das sieht er auch darin begründet, dass die Schilderungen bei Agnellus und die Bemerkungen Walahfrids nur unzureichend übereinstimmen und dass es im neunten Jahrhundert keine andere Nachricht von dem Standbild gebe außer dem Gedicht Walahfrids. Dehio (1873, 182) hat diese Auffassung neu zu begründen versucht. Demnach wäre das Aachener Standbild irgendein römisch-rheinisches Denkmal, das Walahfrid irrtümlich auf Theoderich bezogen habe. Dehio stützte sich dabei auf Müllenhoffs Zeugnisse und Excurse zur deutschen Heldensage XXI (zuerst in ZfdA 12 [1865], wieder abgedruckt in W. Grimm 1957, 605–621). Dort seien zahlreiche Zeugnisse dafür angeführt, dass man im deutschen Mittelalter antike Statuen, namentlich Reiterstatuen mit Vorliebe dem Dietrich von Bern zuschrieb. Schmidt (1873, 49) hat das widerlegt, und Däntl (1931, 33) wies darauf hin, dass solch (angebliche) Belege nicht über das Ende des 10. Jahrhunderts zurück reichen und vor den Italienzügen der Ottonen kaum denkbar seien. Tatsächlich dürften die Belege, von denen sogar nur wenige, nämlich allein XXI, 4 und 5 überhaupt in Anspruch genommen werden können, nicht einmal einschlägig im Sinne von Dehios These sein; vgl. jetzt Lienert 2008, 322. 27 Agnellus ist um 837/838 selbst in Pavia gewesen und hat seinem Bischof bei der Taufe Rotruds, der Tochter Kaiser Lothars, assistiert, Nauerth 1996, 356, Anm. 413 und 586 mit Anm. 728. Bei diesem Anlass kann er seine oben unter B gesammelten Beobachtungen gemacht haben und hätte dann doch wohl von der inzwischen angeblich in Pavia vorhandenen Statue erzählt, wenn sie denn wirklich inzwischen dort war. Vgl. Hoffmann, 1962, 322.

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keinen Zweifel an dem Bericht des Agnellus rechtfertigen, Karl der Große habe das ursprüngliche Standbild von Ravenna nach Aachen bringen lassen.28 Nicht zuletzt ist hier natürlich von Belang, dass Walahfrid der Meinung war, das Standbild stelle Theoderich dar.29 Wenn dem so war, kann es nicht in Pavia verblieben sein. Falls gewisse Bemerkungen Walahfrids darauf deuten, Walahfrid habe Überlieferungen gekannt, nach denen das Standbild ursprünglich Kaiser Zeno und nicht Theoderich dargestellt habe, so berechtigt auch dies natürlich nicht zu der Annahme, es sei nie nach Aachen gekommen.

5 Merkmalsynopse Im Folgenden gebe ich eine Merkmalsynopse, aus der ersichtlich werden soll, worin Agnellus und Walahfrid übereinstimmen und worin nicht. Ein Kommentar hierzu folgt. Dabei soll es im Besonderen – vor allem für Walahfrids Gedicht – soweit irgend möglich nur darum gehen, was aus dem Text für das Aussehen des Standbilds als Realie erschließbar ist. in Ravenna

in Pavia

in Aachen

Aufstellungsort

Aufstellungsort

Aufstellungsort

Skulptur … in aspectu ipsorum (A Z. 1) Skulptur in ponte austri (D Z. 2–3) Mosaik1 Hic autem similis fuit isto palatio, quod ipse haedificavit, in tribunale triclinii quod vocatur Ad mare (B Z. 3–5; vgl. Mosaik unter Pavia)

imago, iuxta quam saepe viamus (Vers 28–29) posuisse faciem nefandam (Vers 75) contra praeclara palatia christicolasque greges (Vers 74–75)

Mosaik Ticinum, quae civitas Papia dicitur, ubi et Theodoricus palatium struxit … Quam aquae subterlabunin tribunalis cameris tes- tur (Vers 67) sellis ornati bene conspexi (B Z. 1–3; vgl. Mosaik 1)

28 Schmidt 1873, 24–41. 29 Dehio (1873, 182) meinte, dass Walahfrid mit der Zuschreibung des Standbildes an Theoderich einem Irrtum verfallen sei. Er verweist auf Müllenhoff (1865), wo etliche Beispiele aufgeführt sind, dass die Deutschen im Mittelalter antike Reiterstatuen gern Dietrich von Bern zuschrieben, so also auch Walahfrid die Aachener Statue; vgl. Anm. 26.

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Mosaik 2 supra portam et in fronte regiae quae dicitur Ad Calchi istius civitatis, ubi prima porta palatii fuit, in loco qui vocatur Sicrestum, ubi ecclesia Salvatoris esse videtur. In pinnaculum ipsius loci fuit Theodorici effigies, mire tessellis ornata (B Z. 5–8) Sockel

Sockel

currit equo super lapides plumbumque et inane metallum (Vers 69)

piramis tetragonis lapidibus et bisalis, in altitudinem quasi cubiti sex (A Z. 1–2) Gestaltung von Pferd und Reiter

Sockel

Gestaltung von Pferd und Reiter

Gestaltung von Pferd und Reiter

Skulptur equus ex aere, auro fulvo perfusus (A Z. 2)

Fulget aurea avaritia ­exornatis membris. (Vers 60)

Skulptur equus ille ex aere factus, auro ornatus (A Z. 8–9)

aurea regnat stipata satellite nigro (Vers 63)

Skulptur equum cum equite aereoauratum (C1 Z. 5) Skulptur equum aureum qui erat in Ravenna (C2 Z. 2) Skulptur vgl. auch unter „Vögel beim Standbild“ (A Z. 4–5)

parentibus undique nervis (Vers 76) ante … ille tuus sonipes tollet pedes ternos … levasti pedem unum (Vers 76–81) vgl. auch unter „Vögel beim Standbild“ (A Z. 4–5)

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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Pferd und Reiter

Pferd und Reiter

Pferd und Reiter

Skulptur equus ex aere, auro fulvo perfusus (A Z. 2)

Mosaik Theodoricus … imaginem sedentem super equum (B Z. 2–3)

Si noris superbos stare in curribus atque equis non tecum miraberis umquam, quod sedit in equo. (Vers 44–45)

Skulptur equum cum equite aereoauratum (C1 Z. 5)

Skulptur equum cum equite aereoauratum (C1 Z. 5)

currit equo (Vers 69–71)

ist Theoderich ist der Reiter?

ist Theoderich ist der Reiter?

ist Theoderich ist der Reiter?

Skulptur Theodoricus rex (A Z. 3, vgl. Z. 10; C1 Z. 1; D Z. 2)

Tetricus avarus, quondam Mosaik Theodorici effigies (B Z. 8; regnator in Italicis oris (Vers 30) vgl. D Z. 1–2) Si forte artifices vivo quam statuam dederunt, credito hac arte blanditos insano leoni. (Vers 38–39) Aut etiam, quod credo magis, miser ipse iubebat dari haec simulacra, quod saepe superbia dictat (Vers 40–41)

ist Kaiser Zeno der Reiter? Skulptur Alii aiunt, quod supradictus equus pro amore Zenonis imperatoris factus fuisset … Pro isto equus ille praestantissimus ex aere factus, auro ornatus est, sed Theodoricus suo nomine decoravit. (A Z. 6–9)

ist Kaiser Zeno der Reiter?

ist Kaiser Zeno der Reiter? Si forte artifices vivo quam statuam dederunt, credito hac arte blanditos insano leoni. (Vers 38–39) Aut etiam, quod credo magis, miser ipse iubebat dari haec simulacra, quod saepe superbia dictat (Vers 40–41)

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Begleitfigur

Begleitfigur

Begleitfigur Cur nudus dextra de parte nolam gestare videtur? Puto ob hoc solum, ut fruatur atra pelle. (Vers 52–53)

Mosaik 2 Contra clipeum [sc. Theodorici] Roma tessellis ornata astabat cum asta et galea; unde vero telum tenensque fuit, Ravenna tessellis figurata, pedem dextrum super mare, sinistrum super terram ad regem properans. B Z. 9–11)

aurea regnat stipata satellite nigro (Vers 63)

Waffen und Ausstattung Waffen und Ausstattung Waffen und Ausstattung Skulptur scutum sinistro gerebat humero, dextro vero brachio erecto lanceam tenens (A Z. 3–4) Mosaik 2 dextera manum lanceam tenens, sinistra clipeum, lorica indutus … unde vero telum tenensque fuit. Contra clipeum Roma tessellis ornata astabat cum asta et galea (B Z. 8–10)

Mosaik Ticinum, quae civitas Papia dicitur, ubi et Theodoricus palatium struxit … in tribunalis cameris tessellis ornati bene … Hic autem similis fuit in isto palatio, quod ipse haedificavit (B Z. 3–4)

Fert spicula (Vers 61) desunt frena (Vers 68) macules pia corda tuis telis (Vers 79)

Vögel beim Standbild

Vögel beim Standbild

Skulptur Ex naribus vero equi patulis et ore volucres exibant in alvoque eius nidos haedificabant (A Z. 4–5)

Cernimus aerias columbas simul adventare, terque venire die: exorta, media et vergente. (Vers 46–47) petunt pastum, non quiescunt nidificando. (Vers 51)

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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6 Kommentar Aufstellungsorte Ravenna Wo die Statue in Ravenna stand, ist unsicher.30 Die Stelle, in ponte austri, auf die zuerst Schmidt verwies und dann wieder Hartmut Hoffmann31 (vgl. D Z. 2–3), liegt im Bereich der alten Römerstadt und nicht im Bereich des von Theoderich neu erbauten Palastes.32 Wenn die Statue einstmals hier stand, könnte sie ein Brückenstandbild gewesen sein. Dieser Standort würde vielleicht auch eher für eine Statue Kaiser Zenos sprechen als für eine solche Theoderichs. Interessant ist der Standort auch im Zusammenhang der Bemerkung bei Walahfrid, dass unter der Statue Wasser geflossen sei: Quam aquae subterlabuntur (Vers  67). Für diese Positionierung könnten in Aachen authentisches Wissen oder mündliche Berichte über den ursprünglichen Aufstellungsort in Ravenna ausschlaggebend gewesen sein (vgl. auch unten S. 153). Die Fundorte, die Agnellus für die Mosaiken in Ravenna und Pavia angibt,33 geben für den Aufstellungsort der Statue in Ravenna natürlich nichts her. Immerhin sind es sowohl dort als auch in Pavia Stellen im Bereich der Theoderich-Paläste beider Städte, und das Mosaik in Pavia bezeichnet Agnellus ausdrücklich als ähnlich dem Mosaik im Palast zu Ravenna: similis fuit in isto palatio, quod ipse haedificavit (B Z. 3–4). Auch bezeugen die Stellen bei Agnellus, dass als Anbringungsareal für Reiterdarstellungen Theoderichs in Mosaik sowohl Innen- als Außenorte beim Palast typisch sind. Für das Reiterstandbild aber muss man einen Ort im Freien annehmen, der von Vögeln besucht werden konnte (dazu unten, S. 163–164).

Aachen Von dem Standbild in Aachen hat sich keine Spur erhalten. Wohl spätestens im Jahre 881, als die Normannen Aachen verwüsteten, ist es verschwunden.34 Katalogisat

30 Im Rückgriff auf Standorte analoger Reiterstandbilder in Konstantinopel und Spalato (Split) erörtert Bock (1844, 17–46) Möglichkeiten, die Statue in Ravenna zu lokalisieren. Zum Ravennater Standort siehe Deichmann, 1969, 77  f.; er nimmt einen Standort „vor der Fassade des von Theoderich dem Großen erbauten Palastteils“ an. Allgemein zum Aufstellungsort siehe auch Schmidt 1873, 43–47. 31 Schmidt 1873, 44 und 28, Hoffman 1962, 322 mit Anm. 28. 32 Vgl. Pons Augusti bei Jaeggi (2013) im Stadtplan auf der vorderen Innenseite des Einbands ihrer Monographie. 33 Vgl. hierzu die o. Anm. 27 verzeichneten Anmerkungen Nauerths. 34 At illi [= Nordmanni] … plurima loca in regione regis nostri vastaverunt, hoc est … et Aquense palatium, ubi in capella regis equis suis stabulum fecerunt. „Aber [die Normannen] verwüsteten sehr viele

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Nr. 567 des Katalogs der Aachener Karls-Ausstellung vom Jahr 1965 gibt Standort und Stellung der Statue in Aachen präzis an: „Im inneren Pfalzhof … ist mit dem Gesicht zur Königshalle gewendet die Statue des Theoderich lokalisiert.“35 So ist sie in der Plandarstellung mit der Nummer 21 eingezeichnet (s. die Abb. im Anhang). Bei dieser Aufstellung hätte die Statue zwischen der Königshalle und der Pfalzkirche gestanden (Nr. 4 und Nr. 7 auf dem Plan). Sie hätte die Kirche und das zu ihr gehörige Metatorium (ein Oratorium für den Kaiser und die Geistlichkeit [Nr. 11 auf dem Plan]) im Rücken weit hinter sich gehabt, dicht hinter sich aber die durch den Pfalzbezirk führende Hauptstraße (sog. via principalis auf dem Plan Nr. 2–3 und Fortsetzung) und rechts ziemlich nahe neben sich die Gebäude, in denen man die Wohngemächer des Kaisers und seiner Familie vermutet (Nr. 16 auf dem Plan). Es erscheint allerdings als fraglich, wie verbindlich diese Festlegung ist. Leo Hugot, der in dem großen Begleitwerk zur Aachener Karls-Ausstellung im dritten Band den wohl eher maßgeblichen Beitrag über Karls Pfalz geschrieben hat,36 erwähnt oder verortet dort das Theoderich-Standbild gar nicht. Wie passen Walahfrids Bemerkungen und die moderne Rekonstruktion der Aachener Pfalz zusammen? Walahfrid gibt zu dem Standort der Statue mit der beiläufigen Bemerkung imago, iuxta quam saepe viamus (Vers  28) einen Fingerzeig, dass dies ein Ort war, an dem man oft vorbeikam (so, wenn man die via principalis beschritt?). Schwierigkeiten macht allerdings seine Bemerkung, das Standbild sei mit dem Gesicht auf die palatias (= Königshalle der Rekonstruktion?) und die christicolas greges (=Pfalzkirche und Metatorium?) hin ausgerichtet gewesen: posuisse faciem nefandam contra praeclara palatia christicolasque greges (Vers 74–75). An einem Platz zwischen den palatias (Nr.  4 auf dem Plan) und den christicolas greges (Nr.  7 und Umgebung) hätte das Gesicht des Reiters aber nicht zugleich auf beides, die pala-

Orte im Reich unseres Königs, nämlich […] die Pfalz zu Aachen, wo sie die Kapelle des Königs zum Stall für ihre Pferde machten.“ Annales Fuldenses zum Jahr 881, 114 Z. 22–28 / 115, 23–27. – Item eodem anno [881] mense Novembrio duo reges Nortmannorum, Godefridus et Sigifridus cum inestimabile multitudine peditum et equitum consederunt in loco, … iuxta Mosam … post haec Aquis palatium … in favillam redigunt. „Ebenso setzten sich in demselben Jahre [881] im November zwei Normannenkönige Godefrid und Sigifrid mit einer unübersehbaren Menge zu Fuß und zu Pferd an der Maas fest … Hiernach legten sie die Pfalz Aachen … in Asche.“ Reginonis chronica, Ebda. 260, Z. 19–27 / 261, Z. 22–30. Es ist aber unwahrscheinlich, dass die damals sicher noch heidnischen Normannen das Standbild zerstört hätten, wenn sie in ihm den mythischen, zu Odin hypostasierten Theoderich erkannt hätten. Das Standbild müsste ihnen als eine Art Kultbild gegolten haben. 35 Aachen 1965, 395–400; das unsignierte Katalogisat Nr.  367 dürfte von Leo Hugot stammen; s. besonders die Planzeichnung der gesamten Pfalz 396 und die Modell-Abb. 119 dort; vgl. auch Hugots Detail-Abb. des Standortes der Statue bei Siemes 1966, 113. Eine entsprechende Planzeichnung der Pfalz schon bei Sage 1973, 3 und im Internet de.wikipedia.org: Aachener Königspfalz. 36 Leo Hugot 1965, 534–57, Abb. der gesamten Pfalz zwischen 542 und 543. Vgl. auch Kaemmerer (1967), wo die Statue ebenfalls nicht erwähnt ist.

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tias (die Königshalle) und die christicolas greges, (die Pfalzkirche und das Metatorium) schauen können.37 Das wäre nur bei einer Gegenüberstellung der Statue vor beiden Gebäudekomplexen denkbar. Ein solcher Platz wäre im Rekonstruktionsplan der Pfalz auf dem äußeren Pfalzhof rechts oder links neben der via principalis (quam saepe viamus, Vers 28) durchaus vorstellbar, d.  h. rechts oder links von Nr. 2 auf dem Plan. Man befände sich hier an einem Ort, wo Straßenschmutz und eine Menge lärmender, pöbelhafter Leute eher anzunehmen wären als auf dem repräsentativen inneren Pfalzhof, an dem auch die Wohnungen des Kaisers und seiner Familie lagen, einem Bereich, der im übrigen von dem äußeren Hof durch ein langes Quergebäude mit zentralem Torbau (Nr. 3 auf dem Plan) abgeriegelt war; dort soll die Palastwache untergebracht worden sein.38 Eine weitere Stelle bei Walahfrid besagt, wie schon bemerkt, dass unter dem Standbild Wasser geflossen sei: Quam aquae subterlabuntur (Vers  67). Aachen ist bekanntlich reich an Quellen, insbesondere auch an thermischen. Sollte die Erinnerung daran, dass die Statue ursprünglich eine Brückenstatue war, auch in Aachen für die Aufstellung auf einer Brücke oder in unmittelbarer Nähe eines Gewässers maßgeblich gewesen sein? Solche Überlegungen führten dazu, dass man sich die Statue als Brunnenstatue dachte.39 Aber gesichert ist das durch Walahfrids Text nicht wirklich. Zum Stichwort „Wasser“ gehört natürlich auch die Erwähnung des thermarum vulgus (Vers  34), welcher dem Reiter eine „Furt“40 bereitet, ihn durch das Wasser seines Standorts räumlich „passieren“ lässt, aber auch moralisch in Ignoranz gegenüber seinen Lastern und im Gegensatz zu der einhelligen sententia mundi (Vers 36), die Theoderich als arianischen Gotteslästerer verflucht.41 Gemeint sein wird mit diesem vulgus der gewöhnliche Hofpöbel schmarotzender, intriganter Verleumder, Bettler und Bittsteller (egentes), die den Hof indiskret und lärmend bevölkern: Hinc detractorum, sonat illinc clamor egentium (Vers 22). Leute, die bar jeder Tugend sind. Gewissenlose Lobhudler werden später noch einmal als solche erwähnt, die auch Theode-

37 Hoffmann (1962) stützt die Auffassung Hugots mit dem Hinweis auf die Verse 116 und 128–129, in denen gesagt sei, dass der Reiter zwischen der Kirche (magnum Salomonis opus) und „der anderen Seite“ (ast alia de parte) zu sehen sei. Ich kann dem nicht zustimmen, weil ich weder die Identifizierung dieses Reiters mit dem der Theoderich-Statue für vertretbar halte noch die mit jenen simulacra, die nach Vers 110 auf einer Säule angebracht worden sind. Beide sind weder untereinander, noch mit dem Reiterstandbild des Theoderich gleich, vgl. unten Anm. 45. 38 Querbau: Nr. 1 auf dem Plan. 39 So schon Bock 1844, 130  f. mit Bezug auf Theoderichs Schlacht gegen Odoaker am Fluss Sontius (Isonzio); vgl. dazu H. Grimm 1869, 20  f.; zuletzt unter neuem Gesichtspunkt Hoffmann 1962, 326. 40 vadum in der Bedeutung ‚Schutz‘ nach Terenz bei Däntl 1931, 7, Anm. 2; ähnlich auch Homeyer 1983, 110; die Bedeutung ‚Furt‘ ist aber ganz geläufig und hier durchaus passend, vgl. die Übersetzung ford bei Herren 1992, 132; Brate 1915, 80, übersetzt flöden ‚Fluten‘. 41 Bock (1871, 12 mit Anm. 3) vermutete in dem thermarum vulgus eine Dämonenschar, welche in den Thermen hauste und den Geist Theoderichs bei sich aufgenommen habe; vgl. auch Schmidt 1873, 17.

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rich zu den ihrigen zählen: flagitiosorum certe preconia summis / laudibus accelebrant omnis virtutis egentes (Vers 56–57). Auf die schmarotzerische Gesinnung dieses Pöbels und zugleich auf habsuchtsbesessenen Theoderich würde dann der Thermen-Luxus des vulgus thermarum anspielen. Man kann sich hier an Einhards Vita Karls erinnern, die Walahfrid selbst ja (später?) herausgegeben hat, und an die dort erwähnten Massenbäder in den Aachener Thermen, die Karl der Große liebte,42 einen Brauch, der zur Zeit von Walahfrids Gedicht vielleicht immer noch gepflegt wurde – dann wohl eher zu Walahfrids Missbilligung. Die große Massen-Therme der Aachener Pfalz wird von den Archäologen allerdings weit entfernt von einem Tetricus-Standbild lokalisiert, wenn dieses auf dem äußeren oder inneren Hof anzunehmen wäre.43 Wesentlich weiter hätte sich Walahfrid mit der Erwähnung des thermarum vulgus im Sinne einer politischen Parteinahme heraus gewagt, wenn man darin eine Anspielung auf die Partei der opponierenden Söhne des Kaisers und ihre Anhängerschaft sehen dürfte, der es um die Behauptung ihrer habsüchtigen politisch-territorialen und Machtansprüche ging. Diese Leute hätten dann in Tetricus eine Autorität für ihre Gesinnungen erblickt und ihn deshalb „passieren“ lassen.44 Ihre Bezeichnung als thermarum vulgus wäre allerdings sehr despektierlich, denn bei den so benannten hätte es sich größtenteils um Magnaten des Reiches gehandelt. Ist Walahfrid eine so diffamierende Charakterisierung zuzutrauen? Sockel Nach Agnellus stand die Statue in Ravenna auf einem sechs Ellen hohen Sockel, der wohl als Pyramidenstumpf vorzustellen ist (piramis A Z. 1). Der Sockel bestand aus viereckigen, „zweischichtigen“ (tetragonis lapidibus et bisalis A Z.1) Steinen. Ich stelle ihn mir ihn vor als gestaltet aus zwei großen, abgeschrägten und aufeinander geschichteten Steinblöcken. Aus der Höhe des Sockels hat man auf Überlebensgröße der Statue geschlossen. Weitere Einzelheiten fehlen. Walahfrid ist detailreicher, wenn er denn mit dem hier Folgenden einen Sockel meint.45 Bei ihm rennt der Reiter zu

42 Delectabatur etiam vaporibus aquarum naturaliter calentium  … Ob hoc etiam Aquisgrani regiam extruxit … Et non solum filios ad balneum, verum optimates et amicos, aliquando etiam satellitum et custodum corporis turbam invitavit, ita ut nonnumquam centum vel eo amplius homines una lavarentur. „Sehr angenehm waren ihm auch die Dämpfe warmer Quellen … Darum erbaute er sich auch zu Aachen ein Schloss … Und er lud nicht bloß seine Söhne, sonderen auch die Vornehmen und seine Freunde, nicht selten auch sein Gefolge und seine Leibwächter zum Bade, so dass bisweilen hundert und mehr Menschen mit ihm badeten.“ Einhard, 194, Z. 5–11 /1995, Z. 5–12. 43 Nr. 19 auf der Planskizze des Katalogisats 567 im Aachen-Katalog. 44 So Däntl 1931, 26. 45 Hoffmann (1962, 232) versteht Vers 110 in Walahfrids Gedicht als Hinweis darauf, dass die Statue auf einer Säule gestanden habe: Aurea cui ludunt summis simulacra columnis „es spotten deiner (gemeint ist Ludwig der Fromme) goldene Statuen auf höchsten Säulen“. Da hier aber eine Mehrzahl von simulacra genannt ist, kann das nicht das Reiterstandbild Theoderichs meinen; vgl. o. Anm. 37.

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Pferde über Steine, Blei und hohles Metall: quodque super lapides plumbumque et inane metallum / currit equo (Vers 69–70). Sollten unter dem Blei und dem Metall Materialien zu verstehen sein, mit denen die Sockelsteine verklammert waren?46 Das weiche Blei Walahfrids wäre aber kaum geeignet zur Stabilisierung eines Sockels. Und wie ist „hohles“ Metall in solcher Funktion zu denken?47 Offenkundig geht es Walahfrid hier weniger um eine kohärent-konsistente Vorstellung von der Beschaffenheit des Angedeuteten. Nur dass es sich irgendwie um die Unterlage des Standbildes handelt, ist anzunehmen. Aber worauf es Walahfrid bei deren Betrachtung ankommt, das ist offenbar die lückenlose Allegorisierbarkeit48 dessen, was er vor Augen hat: signat se pectore belua duro, / corde pigro sensuque cavo regnare superbiam (Vers 69–70). Was bedeutet es, dass der Reiter auf dem Pferd über Stein, Blei und hohles Metall rennt? Der Reiter auf dem Pferd (currit equo) bedeutet, dass die Hoffart mit einem unvernünftigen Tier herrscht (belua regnare), das Rennen über Steine (super lapides) steht für die Hoffart (superbia) des Reiters, die Härte der Steine (lapides) für seine Hartherzigkeit (pectore duro), das (geschmolzen trägflüssige?) Blei (plumbum) für seine Herzensträgheit (corde pigro), das hohle Metall (inanis metallum) für seine Gefühlsleere (sensu cavo) – sensu cavo, seine Unvernunft kann zugleich durch das unvernünftige Tier bezeichnet sein, auf dem er reitet. Gestaltung von Pferd und Reiter Alle Beschreibungen des Ravennatischen Standbildes heben die Vergoldung des ehernen Pferdes hervor. Nur einmal wird auch der Reiter ausdrücklich als vergoldet bezeichnet: equum cum equite aereo-auratum (C1 Z. 5), doch wird Agnellus wohl auch in den anderen Beschreibungen, die er liefert, Reiter und Pferd als vergoldet gemeint haben. Die Vergoldung des Standbildes war es, die gewaltigen Eindruck machte und als sinnlicher Effekt immer bestaunt wurde. In dieser Weise wird das Standbild sicherlich auch in Aachen bewundert worden sein. Aber bei Walahfrid wird merkwürdigerweise nur an zwei Stellen ausdrücklich Bezug auf die Vergoldung genommen, zuerst bei Vers  60: fulget avaritia exornatis aurea membris, und noch bei Vers  63: aurea quod regnat stipata satellite nigro. An beiden Stellen ist imago zu aurea elliptisch fortgelassen, also: „Es funkelt die goldene (Statue) vor Habsucht“ und: „Dass die goldene (Statue) eng an der Seite des schwarzen Gefolgsmannes herrscht, bedeutet …“. Indem die Rede hier, wie öfters, nicht auf Tetricus persönlich, sondern auf seine imago bezogen ist, ohne dass der Name des Dargestellten genannt wird, ist zwar die Vergoldung der Statue als etwas sinnlich

46 Schmidt 1873, 41–43 und Bock 1871, 29; s. auch von Schlosser 1891, 170. 47 Hoffmann (1962, 326) denkt an hohle Brunnenröhren. 48 Vélez Latorre (1998) befasst sich nicht mit dieser Art moralisierender Allegorie. Bei ihm geht es um die alttestamentlich-politischen Allegorien der Personen des Aachener Hofstaats in Walahfrids Gedicht.

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Wahrgenommenes hervorgehoben. Doch für Walahfrid bewirkt die sinnliche Qualität des Goldglanzes nicht sinnlich-ästhetisches Wohlgefallen. Vielmehr scheint er sich dagegen geradezu zu sträuben und nimmt stattdessen seine Zuflucht zu moralischer Deutung. Dabei bleibt die Vergoldung des Pferdes außer Betracht. Es kommt nur auf die Vergoldung der imago des Reiters an, denn sie ermöglicht die moralische Deutung des in der imago Dargestellten Theoderich. Scintilla sieht als Merkmal an dem Standbild, dass das Pferd einen Fuß erhoben hat: pedem … unum … levasti (Vers 80–81). Man hat gemeint, dass dies der rechte Vorderfuß gewesen sein müsse, wie man es bei römischen Reiterstandbildern in ruhiger Schrittbewegung zu sehen gewöhnt ist. Doch Scintilla deutet die Haltung des Pferdes als Ansatz zu einem wilden Sprung, wohl angeregt dadurch, dass sie an den Beinen des Pferdes allenthalben Adern (oder Sehnen) hervortreten sieht: parentibus undique nervis (Vers 76). Scintilla imaginiert einen Sprung, mit dem das Tier sich anschickt, im nächsten Augenblick drei Füße zu heben, um springend bis hoch in einen Luftbereich zu gelangen, wo man es dann unter weißen Schwänen schwimmen/fliegen sieht: ante pedes ternos parentibus undique nervis / ille tuus sonipes vacuum super aera nando … inter olores (Vers 76–78). In diesem Fall wäre freilich zu erwarten, dass das Pferd sich bei erhobenen Vorderfüßen mit den beiden Hinterbeinen abstößt, während der Text nur von einem erhobenen Fuß spricht. Schon das zeigt, dass Scintilla hier vom Augenschein des Denkmals unrealistisch zu einer Imagination übergeht. Und so hat man sich, ohne dass der Text dafür einen Anhalt bietet, zurecht gelegt, dass die Darstellung der Statue das Pferd auch mit eingeknickten Hinterbeinen gezeigt haben müsse, wie es bei der Gestaltung von Pferden der Fall ist, die zum Sprung ansetzen, und wie man es aus entsprechenden Kleinskulpturen und Münzdarstellungen kennt.49 All das ist aber nicht mehr etwas, was an dem Standbild sichtbar gewesen sein kann. Auch hier kommt es Walahfrid wieder allein auf die Deutung an, die sich durch imaginatives Fortspinnen des Gesehenen entwickeln lässt. Der maßlos übermütige Sprung wird nur erwartet, weil dem Reiter angelastet wird, er beabsichtige von allegorischer Höhe aus mit seinen Geschossen fromme Herzen (albentes olores / pia corda Vers 78  / 79) in himmlischen Gefilden zu verunreinigen: pia corda tuis macules, vis pessima, telis (Vers  79). Gleichsam nachträglich kommt hier allenfalls hinzu, dass man sich den imaginären Reiter auch als reales Standbild bewaffnet mit Geschossen (telis) vorstellen kann, die er springend bei sich geführt hätte. Diese tela wären wohl als Lanzen vorstellen,50 wobei freilich der Plural merkwürdig ist. Doch dem Krieger standen mehrere Lanzen zur Verfügung. Für eine geworfene wurde ihm eine neue als Ersatz gereicht.51

49 von Schlosser 1891, 167  f. 50 telum steht auch B Z. 10 für die Lanze Theoderichs, s.  o. Anm. 21. 51 Vgl. unten Anm. 61.

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Wen stellt das Standbild dar: Theoderich oder Kaiser Zeno?52 Die Bemerkungen des Agnellus sind in dieser Frage ambivalent. Sie bezeugen, dass über die Zuschreibung des Standbildes unterschiedliche Meinungen im (mündlichen?) Umlauf waren (alii aiunt … A Z.9). Die unterschiedlichen Zuschreibungen versucht Agnellus, der die Statue ja nicht selbst gesehen hat, in Einklang zu bringen, indem er es für möglich hält, das Standbild habe eigentlich Kaiser Zeno53 darstellen sollen, sed Theodoricus suo nomine decoravit, was wohl heißen soll, Theoderich habe das Standbild zur eigenen Ehre vereinnahmt, etwa indem er die Anbringung seines Namens darauf veranlasst und die des Zeno habe tilgen lassen.54 Was Walahfrid angeht, so scheint er zunächst eindeutig Theoderich in dem Standbild zu sehen. Auf die erste Frage des Strabus antwortet Scintilla: Tetricus avarus, quondam regnator in Italicis oris (Vers 30–31). Aber bei näherem Zusehen gibt es doch auch bei Walahfrid Ambivalenzen in dieser Frage. Scintilla macht sich Gedanken, wie es dazu kam, dass dem Theoderich das Standbild gewidmet wurde: Si forte artifices vivo quam statuam dederunt, credito hac arte blanditos insano leoni (Vers 38–39). Bitte, Strabus könne gern annehmen (credito), dass die Künstler dem lebenden Theoderich (vivo) das Standbild dargebracht haben, dies dann aber vermutlich (forte) nur aus Schmeichelei und Furcht vor seinem tyrannischen Wüten, nicht ihm als Lebenden zu Ehren. Warum dem Lebenden? War die Statue ursprünglich von wem auch immer einem nicht mehr Lebenden zugedacht, also etwa dem Kaiser Zeno († 491)? Oder war es nicht vielmehr so, dass die Künstler nur um Theoderich zu schmeicheln und aus Furcht vor seinem Wüten keinesfalls aber von sich aus tätig geworden wären? Sondern eher Theoderich selbst (ipse) und zwar aus Hochmut (superbia) hätte befohlen, wie es Art der hochmütigen ist (quod saepe superbia dictat), dass ihm, dem Lebenden, die Statue zugeeignet wurde (iubebat dari haec simulacra), die in Wirklichkeit dem nicht mehr lebenden Zeno gewidmet worden war? Und genau das scheint Scintilla

52 Hierzu Schmidt 1873, 47. 53 Hierzu Schmidt 1873, 47. 54 Ich gehe hier nicht auf Spekulationen ein, das Ravennater Standbild könnte mit jenem zu identifizieren sein, das Kaiser Zeno nach Jordanes’ Gotengeschichte dem Theoderich stiftete und vor seinem Palast in Konstantinopel aufstellen ließ. Zeno hatte den Theoderich auch als Waffensohn angenommen und zum consul ordinarius erhoben. Zur Frage der Identifikation des Standbildes in Konstantinopel mit dem in Ravenna bzw. Aachen s. Schmidt 1873, 47–50 und wieder Deichmann 1969, 77. Jordanis Getica LVII, 132: Theodorico vero gentis suae regem audiens ordinato imperator Zeno grate suscepit …, dignoque suscipiens honore inter proceres sui palatii conlocavit, et post aliquod tempus ad amplianum honorem eius in arma sibi eum filium adoptavit de suisque stipendiis triumphum in urbe donavit, factusque consul ordinarius, quod summum bonum primumque in mundo decus edicitur; nec tantum hoc, sed etiam et equestem statuam ad famam tanti viri ante regiam palatii conlocavit. Vgl. Paulus Diaconus, Hist. Rom. Liber XV, XIII, 212,15–213,2: dum ad Zenonem Augustum perlatum esset, gratanter accepit eumque ad se rursus evocatum Constantinopolis magno simul honore et divitiis extulit in tantum, ut etiam consularibus eum fascibus sublimaret, quae dignitas post imperiale fastigium prima est, aereamque illi equestrem statuam ante suum palatium collocaret.

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dann doch eher zu glauben: Aut etiam, quod credo magis, miser ipse iubebat dari haec simulacra, quod saepe superbia dictat (Vers 40–41). Damit scheint mir hier ziemlich deutlich zu sein, dass noch in Aachen dieselben unterschiedlichen Meinungen wie bei Agnellus umliefen und auch ähnliche Harmonisierungsversuche solcher Meinungen darüber, wen das Standbild ursprünglich darstelle, die darauf hinausliefen, dass es erst sekundär dem Theoderich gewidmet worden sei. Von hier aus wird übrigens auch der dann folgende Satz in der auf Theoderich gemeinten Anwendung erst recht verständlich: Nam nullus infelix erit, nisi ipse desinet scire, quod est, sese audens credere, quod non est. (Vers 40–43). Theoderich war infelix, weil er nicht davon abließ, zu erkennen, was er wirklich (ipse) war (nämlich nicht Zeno), und sich nicht traute, zu akzeptieren, was er nicht war (nämlich nicht der im Standbild des Zeno Dargestellte). Die hier erschlossene Übereinstimmung zwischen Agnellus und Walahfrid kann, wie eingangs festgehalten, aus chronologischen Gründen nicht darauf zurückzuführen sein, dass Walahfrid den Agnellus kannte. Und erst recht nicht ist das Umgekehrte anzunehmen. Wie hätte aus den undeutlichen Bemerkungen Walahfrids die klare Ambivalenz in der Darstellung des Agnellus geflossen sein können? Dass beide letztlich irgendwie doch zusammenstimmen, wird auf entsprechende, mündlich umlaufende Überlieferungen zurück zu führen sein. Dafür spricht auch die unbestimmte Formulierungsweise beider Autoren, mit der die eine wie die andere Auffassung vorgetragen und der Kompromiss zwischen beiden versucht wird. Für Walahfrid aber ist es schlussendlich auch ohne Bedeutung, welcher Meinung zuzuneigen sei. In allen annehmbaren und angedeuteten Fällen könnte die Statue für Walahfrid die verderblichen Gesinnungen Theoderichs repräsentieren. Anzuschließen ist hier noch die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen der Theoderich-Strophe des Runensteins von Rök55 in Östergötland (Schweden) und dem Aachener Standbild gibt, auf das sich Walahfrids Gedicht bezieht. Auf dem Stein befindet sich eine in Runen geritzte Strophe in Stabreimversen, die ich hier in Übersetzung zitiere: Es herrschte Theoderich, der Fürst der Seekrieger Jetzt sitzt er gerüstet den Schild auf der Schulter,

der kühngemute, über den Strand des Hreidmeeres. auf seinem gotischen Ross, der Held der Märinge.

Wer ist der hier genannte Theoderich? In der skandinavischen Forschung wird seit Henrik Schück (1905 und 1908) ein Bezug der Theoderich-Strophe des Steins auf

55 Zu dem Runenstein s. Gustavson (2003); hieran orientiere ich mich auch im Folgenden. Dort 68 auch die Übersetzung der Theoderich-Strophe des Steins.

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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die Aachener Statue vertreten,56 was natürlich nicht heißt, unmittelbar auch auf Walahfrids Gedicht. Aber dann wäre der Theoderich der Rök-Strophe mit dem der Aachener Statue zu identifizieren, also mit Theoderich dem Großen. In neuerer Zeit wurde diese Auffassung unter Gesichtspunkten der Heldensagenforschung und eines sagenhaften, germanisch-mythologischen oder genealogischen Geschichtsdenkens wieder lebhaft diskutiert.57 Nun gehen die Forschungsmeinungen, wer mit dem Theoderich der Rökstein-Strophe gemeint sei, allerdings weit auseinander, bis hin zu der Annahme, dass Theoderich hier kein Name sei, sondern das Appellativ eines ungenannt bleibenden „Volksherrschers“. Aber selbst das ließe noch den Bezug auf Theoderich den Großen zu, den inzwischen mythisierten Dietrich von Bern als ‚wilden Reiter‘ der Sage. Das ist in etwa die Position Höflers, der allerdings keinen direkten Bezug der Rökstein-Strophe auf das Aachener Standbild annimmt, und Haucks. Für die Datierung der Runeninschrift findet sich nach runologisch-paläographischen Kriterien die Angabe ca. 830–840, nach Kriterien der Inhalts-Interpretation des ganzen runischen Textensembles auf dem Stein käme man auf ca. 796. Am ehesten konsensfähig ist wohl der Ansatz erste Hälfte des neunten Jahrhunderts. Wenn ein Bezug auf die Aachener Statue bestünde, ergäbe sich für die Setzung des Steins als terminus post quem das Jahr 801, in dem das Standbild nach Aachen gekommen war. Die Theoderich-Strophe, die auf dem Stein als Zitat angesehen wird, müsste dann vor 801 datiert werden. Nimmt man eine Bezugnahme der Strophe auf das Standbild an, dann hätte sie den Charakter einer Wiederaktualisierung ihres Inhalts, an der nun auch das Aachener Standbild teilhätte. Und Walahfrid? Hier fällt nun das „jetzt“ der Strophe auf: Jetzt sitzt er gerüstet den Schild auf der Schulter …

auf seinem gotischen Ross,

Der Rökstein hat keine bildliche Darstellung eines Reiters, ein Verweis auf eine solche kommt also nicht in Frage. Aber sollte der „jetzt“-Verweis auf mündliche Erzählungen von dem „neuerdings“ aus Ravenna nach Aachen verbrachten Standbild zurückzuführen sein, die sich bis nach Schweden verbreitet hätten, und auf die man mit dem „jetzt“ Bezug nehmen konnte? Sollte die Gleichzeitigkeit des Runensteins und der Nachrichten über das Aachener Standbild – Walahfrids Gedicht eingeschlossen – dafür sprechen? Immerhin ergab sich bereits mehrfach die Wahrscheinlichkeit, dass über das spektakuläre Standbild mündliche Gerüchte im Umlauf waren, die unter Umständen auch mythisch-sagenhafter Art gewesen sein können. Auch von daher wäre dann die leidenschaftliche Polemik Walahfrids gegen das Standbild zu verstehen.

56 Brate 1915, 72  f.; ich danke Michael Lundgreen für seine Hilfe beim sprachlichen Verstehen dieses Artikels. 57 Hauck 1950, 193; Höfler 1952; ausführliche Referate dieser Diskussion bei Zimmermann 1972, 149– 159, und Gustavson 2003.

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Begleitfigur Bei Agnellus werden zu dem Reiterstandbild keine Begleitfiguren erwähnt. Nur einmal, in den Mosaiken, gibt es mit Roma und Ravenna als Stadtallegorien Begleitpersonal zur Theoderich-Darstellung. (B Z. 9–11, Mosaik 2). Dass Walahfrid nur von einer Figur in der Umgebung des Standbilds spricht und nicht von einer Vielzahl, wie in der Forschung öfters angenommen wurde, scheint mir eindeutig.58 Es wird zwar an zwei Stellen eine männliche Begleitfigur (nudus Vers 53, satellite nigro Vers 63) bei der Statue erwähnt.59 Dass es aber ein und dieselbe Figur ist, darf man annehmen, denn beide Male wird sie als schwarzhäutig bezeichnet (Vers 53: atra pelle, Vers 63: nigro). Laut der ersten Stelle (Vers 52–58) sieht man sie eine Glocke schwingen (nolam gestare videtur Vers 52), und es heißt dort auch, dass sie, wie es Herolde tun, die Ruhmestaten ihres Herrn mit höchsten Lobsprüchen ausruft (accelebrant praeconia flagitiosorum summis laudibus Vers 56–57). Die Lobsprüche, an die hier zu denken ist, müssen im Urteil Scintillas freilich ironisch gemeint sein, denn was sie preisen, sind in Wirklichkeit nur die Schandtaten (flagitiosa) des Tetricus. Gleich danach, an der zweiten Stelle, wird die Figur als satelles niger bezeichnet, als ein schwarzer Herold, eng an der Seite der goldenen Statue (aurea regnat stipata satellite nigro Vers 63–66). Dass die Figur eine Glocke schwingt und dass sie nun als satelles bezeichnet wird, ergibt zusammengenommen wieder, dass man in ihr einen

58 Ich verstehe auch figuris (Vers  29) innerhalb der Wendung suis figuris sic sit effigiata nicht im Sinne einer Vielzahl von Skulpturen, sondern als technischen Terminus für übertragene Bedeutungen. Damit fallen viele Probleme weg, die mit der Annahme von mehreren Skulpturen verbunden wären. 59 Aufgrund einer falschen Interpunktion wurde nudus auf den Reiter selbst, also auf Tetricus bezogen; damit entfiele hier – freilich irrtümlich – eine Begleitfigur (so auch noch Brate 1915, 88). Bei Bock (1844) hat das zu einer unhaltbaren Erklärung der nola geführt, eines Glöckchens, das nun der (fast) nackte Tetricus getragen haben soll und zwar als mit einem Glöckchen ausgestattete Fibel seines schwarzen Pelzes (atra pelle Vers 53); später (1871, 18  f.) referiert Bock diese Auffassung noch einmal, verwirft sie aber zugunsten einer anderen, die er auch nicht für sicher hält: nun sollte das Glöckchen als magischer Talisman an der rechten Seite von Tetricus’ Pferd gehangen haben. Anders H. Grimm 1869, 20: Er nahm eine Begleitfigur des Reiters an, der mit der rechten Hand eine Leier spiele. Die Leier aber und die rechte Hand erschließt er nur mithilfe unhaltbarer Konjekturen am Text. Erst von Schlosser (1891, 171) klärte das Problem durch die Herstellung einer einleuchtenden Interpunktion. In dem Leierspieler meinte Grimm dann den Awaren Xerxer zu erkennen, den nach Fredegar der Frankenkönig Theoderich besiegt hatte, und der dann zu seinem unverbrüchlich treuen Begleiter geworden sei. (Fredegar II,57, 56–59). Aber abgesehen davon, dass dies dem Walahfrid eine Verwechslung des gotischen Theoderich mit dem fränkischen zumutet, kommt Grimm zu seiner Deutung auch hier nur mithilfe einer Konjektur des bei Vers 31 des Gedichts überlieferten avarus „habsüchtig“ zu Avarem „den Awaren“ (vgl. den Variantenapparat bei Dümmler 1884). Bock (1871, 14–18) hat all dies umständlich widerlegt, ebenso auch in Kürze Schmidt 1873, 17  f. Letztendlich laufen all diese Deutungen  – außer denjenigen Bocks und Brates – auf das Ergebnis hinaus, dass es bei dem Standbild in Aachen nur eine Begleitfigur des Tetricus gegeben habe, und diese ist als ein und dieselbe zweimal genannt (in Vers 52–53 und in Vers 63).

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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Herold zu erkennen hat, der durch sein Glockenläuten auf den Reiter aufmerksam macht und seine „Ruhmestaten“ ausruft. Warum aber wird die Figur als schwarz vorgestellt? Strabus vermutet, dass sie stolz auf die Schwärze ihrer pellis ist, und deswegen mit Glockenläuten auf sich aufmerksam machen möchte. Scintilla widerspricht. Schwarz ist die Figur nun einmal, und darauf bräuchte sie nicht eigens aufmerksam zu machen. Die Schwärze der Figur nimmt Scintilla vielmehr zum Anlass für eine moralische Deutung. Die schwarze Hautfarbe passt zur moralischen Erbärmlichkeit des Dargestellten, weil er als Herold mit höchsten Lobsprüchen Taten preist, die in Wirklichkeit Schandtaten sind. Auch die Nacktheit des satelles bezeugt wie seine Schwärze seine moralische Verwerflichkeit. Nicht als unbekleidet, sondern als moralisch nackt erscheint in allegorischer Entsprechung dazu auch der goldene Reiter selbst, der bar aller Tugend ist (omnis virtutis egens Vers 57). Sein Hauptlaster, die avaritia, wird ja klar bezeichnet: Fulget aurea avaritia exornatis membris (Vers 60). In Wirklichkeit schmäht also der physisch Nackte mit seinen Lobhudeleien (summis laudibus Vers 56–57) passend den moralisch Nackten (dat nudo opprobria nudus, Vers 58), dessen Hauptlaster, die avaritia, durch seine Vergoldung angezeigt ist (Fulget aurea avaritia exornatis membris Vers 60). Wenn man sich ein konkretes Bild dessen machen möchte, was hier sichtbar war, so neige ich der Auffassung zu, dass die Begleitfigur, sollte es sie schon in Ravenna gegeben haben, als schwarzer Sklave zu verstehen ist, dem Heroldsaufgaben zugewiesen waren. Es ist aber auch denkbar, dass es diese schwarze und nackte Begleitfigur in Wirklichkeit gar nicht gegeben hat, und dass sie nur der literarisch-polemischen Phantasie Walahfrids entsprungen ist. Smolak hat sehr erwägenswerte Bemerkungen in die Diskussion gebracht, denen zufolge der nackte und schwarze Herold versteckt auf Ermoldus Nigellus (den „Schwärzlichen“) anspielt.60 Ermoldus, der nigellus, von Ludwig dem Frommen ins Exil verbannt, hatte mit einem umfangreichen elegischen Preisgedicht auf den Kaiser vergeblich versucht, seine Befreiung aus dem Exil zu erwirken. Sollte er hier als Lobhudler Ludwigs des Frommen von Walahfrid als polemische Fiktion an die Seite des Tetricus versetzt worden sein, während Walahfrid sich als „bescheidener“ Panegyriker dem Aachener Hof empfiehlt? Waffen und Ausstattung Zum Standbild in Ravenna erzählt Agnellus: Der Reiter führte auf der linken Schulter einen Langschild (scutum) und hielt mit erhobenem rechtem Arm lanceam, eine Lanze: scutum sinistro gerebat humero, dextro vero brachio erecto lanceam tenens (A Z. 3–4). Das Mosaik in Pavia sei dem in Theoderichs Ravennatischen Palast, also

60 Smolak 2001, 105–108; vgl. u. S. 166 und Anm. 69.

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dem Mosaik 1 ähnlich, bei dem zur Bewaffnung nichts gesagt wird (B Z. 3–4). Die Beschreibung von Mosaik 2 stimmt zu der des Standbildes (A Z. 3–4), nur dass statt des scutum (Langschild) ein clipeum, ein Rundschild, erwähnt ist; auch kommt hier noch eine Rüstung (lorica) hinzu, und außer lancea begegnet noch einmal die allgemeinere Bezeichnung telum (Wurfgeschoss): dextera manum lanceam tenens, sinistra clipeum lorica indutus … unde vero telum tenensque fuit … (B Z. 8–10). Als Waffen der Roma-Personifikation, die gewiss nicht als Reiter zu denken ist, nennt Agnellus noch die asta (=hasta, ein Wurfgeschoss) und die galea (den Helm). Ein Schwert wird in keiner der Beschreibungen erwähnt. Theoderich war also auf all diesen Darstellungen mit der Lanze bewaffnet. Nur die stehende (astabat B Z. 10), nicht reitende Roma-Personifikation hat ein nicht näher definiertes Wurfgeschoss (hasta) und einen Helm (galea). Bei dem Ravennatischen Standbild wird außer der Lanze nur der Langschild (scutum) erwähnt. Mosaik 2 hat stattdessen den Rundschild (clipeum); es ist die einzige Darstellung, zu der eine Rüstung (lorica) erwähnt wird. Eines Schwertes wird, wie gesagt, nirgendwo gedacht. Die typisch gotische Waffe war die Lanze oder auch der Speer.61 Da Theoderich die lancea mit dem erhobenen rechten Arm in der Hand hielt, ist eher anzunehmen, dass sie aufgerichtet und nicht aggressiv zum Angriff ausgestreckt war. Auf Reiterstandbildern römischer Herrscher trägt der Dargestellte, soweit mir bekannt ist,62 nie ein Wurfgeschoss. Er wird stattdessen mit Schild und Schwert dargestellt, in würdiger, ruhiger Haltung und mit herrscherlichem Gestus der erhobenen rechten Hand. Wenn ich die Haltung der Lanze bei dem Standbild Theoderichs richtig verstehe, ist auch seine Haltung bei Agnellus als eine ruhige beschrieben. Aber die für den Goten typische Lanze kennzeichnet ihn im Unterschied zum römischen als gotischen Krieger, dem Typ nach vergleichbar der Darstellung auf dem Reiterstein von Hornhausen, obwohl der Reiter hier eher in Bewegung „unterwegs“ und nicht stehend dargestellt ist.63 Bei Walahfrid wird als Ausstattung des Reiters außer unbestimmt bleibenden Geschossen (telis Vers 79), die wohl als Lanzen zu verstehen sind, nichts von alledem erwähnt. Dafür ziehen die bei Agnellus nicht genannten Sporen des Reiters (spicula Vers 61) die Aufmerksamkeit der Betrachtung auf sich. Sie, deren ursprüngliches Vorhandensein bei dem Standbild recht wohl konkret denkbar wäre, zeigen hier, wo sie fehlen, in der Betrachtung Scintillas für den Reiter das Drängen seiner räuberischen

61 Zur Kampfstrategie der Goten siehe Wolfram 1979, 374–380. Es ist zuzugestehen, dass die WaffenNennungen im Zusammenhang mit den Theoderich-Darstellungen sowohl bei Agnellus als auch bei Walahfrid terminologisch unscharf sind. Eine genauere Überprüfung anhand der Waffenkunde zur germanischen (fränkischen und gotischen) Bewaffnung wäre nötig; vgl. den Artikel „Bewaffnung“ im RGA 2 (1976), § 10–27, 423–482. 62 Durchgesehen wurde Bergemann 1990. 63 Siehe den Artikel „Hornhausen“ von H. Ament, im RGA 15 (2000), 130. Eine Abbildung dieses Reliefs (1. Hälfte 7. Jahrhundert) z.  B. in: Ludwig Wolff, 193.

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Gewohnheiten (sollitis rapinis Vers 62) an. Und das Fehlen von Zaumzeug (desunt frena Vers 68), das vielleicht ursprünglich vorhanden, aber später verloren gegangen war, gilt bei Walahfrid als typisch für Theoderichs zügellos-unersättliche Habgier (semper avarus eget Vers 69), zugleich mit dem bei dem Standbild stetig fließenden Wasser als Zeichen unersättlicher Avaritia (aquae subterlabuntur, quia … semper avarus eget Vers 67–68). Die tela des imaginär in den Lüften stürmenden Reiters, mit denen die reinen Herzen der Rechtgläubigen verwundet werden sollen (macules pia corda tuis telis Vers  79), bleiben als moralisch gefährliche Geschosse recht unverbindlich für eine Vorstellung von dem Standbild selbst. An Pfeile, wie sie zu Fuß kämpfende Bogenschützen oder Jäger haben, ist für den kriegerischen Reiter des Standbildes kaum zu denken. Theoderich erscheint ja nicht als bogenbewaffneter Fußkämpfer. Auch eine Jagdszene, wo Pfeile für den Reiter passend wären, kommt ja nicht in Frage. Deswegen führt hier auch der Hinweis auf den jagenden Theoderich von S. Zeno in Verona als Darstellung von Dietrichs Höllenritt nach der Sage von dem Aachener Standbild weg. Vögel beim Standbild Was schon eingangs aus chronologischen Gründen ausgeschlossen wurde, dass nämlich diese Nachrichten in einem unmittelbaren Quellenverhältnis zueinander stünden, ist nun noch einmal an ihrer Motivik bei Agnellus und bei Walahfrid im Einzelnen darzulegen. Zugleich wird dabei gefragt, warum die Geschichte von den Vögeln bei dem Standbild von Agnellus, und warum sie von Walahfrid erzählt wird. Agnellus, der die Geschichte später erzählt als Walahfrid, tradiert schlicht und ohne Hintersinn eine kuriose Fabelei, die sich um das spektakuläre Standbild entwickelt hat: ex naribus vero equi patulis et ore volucres exibant in alvoque eius nidos haedificabant (A Z. 4–5). Von einer Nahrungssuche der Vögel wie bei Walahfrid ist hier keine Rede. Mit eigenen Augen haben Agnellus und seine Leser/Hörer, besonders die in Ravenna, das abtransportierte Standbild ja nicht sehen können. Und gegen das, was da erzählt wird, so unwahrscheinlich es klingen mag,64 kann ja kein Augenschein geltend gemacht werden, und weil es so unterhaltsam ist, wird man es zum Ruhme des Standbildes gern weiter erzählen. Der ältere Text zum Thema bei Walahfrid bemerkt mit Strabos Rede, dass dreimal täglich Tauben das Standbild aufsuchen, und Strabus meint, dass dies nicht ohne Bedeutung sein könne: Non addam talia spectacula vanis rebus (Vers 48). Eine Vermutung über die Deutung äußert er nicht. Nun bestreitet Scintilla im Folgenden überraschend für den vergleichenden Leser beider Texte eine Deutung, die mit der Frage des Strabus gar nicht behauptet worden war, von der Scintilla aber ahnt, dass

64  Bedenkt man realistisch die Temperaturen, die sich bei Ravennatisch-mediterranem Klima im hohlen Metallkörper des Standbildes zur Nistzeit von Vögeln entwickeln müssen, so ist die Geschichte ja in der Tat absurd.

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Strabus sie im Sinne hat: „Solltest du etwas von Vogelnestern im Bauch des Pferdes gehört haben, so vergiss es: non nidificando quiescunt, nicht um zu nisten, lassen sich die Tauben nieder, sondern ganz normal nur um Nahrung aufzunehmen: petunt pastum. Die Fabelei von den zu Ravenna im Bauch des Pferdes nistenden Vögeln hat hier in Aachen, wie du siehst, keine Bedeutung.“ Walahfrid, der früher schreibt als Agnellus, muss also eine Geschichte, von der wir erst später bei Agnellus erfahren, bereits früher von anderswoher gekannt haben. „Aber dreimal täglich kommen doch die Tauben, das muss doch etwas zu bedeuten haben?“ Hier bedient Scintilla den bedeutungssüchtigen Strabus schließlich doch noch: „Versteh unter den Tauben die Armen, die humiles (Vers  49), die hier täglich dreimal versorgt werden, morgens, mittags und abends. Aber denk bloß nicht, weil das hier am Standbild des Tetricus stattfindet, dass diese humiles deswegen rasende Tyrannen wie den Tetricus wahrhaft und von Herzen lieben; sie kommen keineswegs, wie wenn sie den Tetricus des Standbildes aufrichtig lieben. Sie kommen nur, weil eben hier zu dieser Zeit Frieden ist, und suchen hier nichts weiter als Nahrung.“65 Walahfrid hat sich also die Geschichte von den Vögeln, die im Bauch des Pferdes nisten, eine Geschichte, die mit ihren unrealistischen Zügen typische Merkmale mündlichen Fabulierens zeigt und nichts weiter sein will als unterhaltend, in eine allegorisch-rational deutbare Geschichte umgewandelt. Was er sieht, ist nicht das fabulöse Herbeiflattern nistplatzsuchender Vögel, er sieht die humiles zur Armenspeisung herbeiströmen, und sogleich deutet er sie sich zu Tauben zurecht. So lässt sich das Gerücht von den Vögeln beim Standbild allegorisch deuten, nämlich wenn man sich die Vögel nicht etwa als irgendwelche Vögel denkt, wie bei Agnellus, sondern speziell als Tauben. Die Taube wird ja allegorisch traditionell als humilis gedeutet.66 Die Tauben, über die Strabus die Scintilla befragt, sind bereits in seiner Fragestellung allegorisch gemeint und auf die herbeiströmenden Armen bezogen. Scintilla soll das verstehen und ihre Antwort auf Strabos Frage entsprechend einrichten. Das geschieht denn auch. Scintilla belehrt den Strabus dahingehend, dass diese allegorischen Tauben, die humiles nämlich, keineswegs aus Verehrung für Tetricus hierher kommen, sondern bloß um ihr Essen entgegenzunehmen. Ich setze also eine tägliche Armenspeisung als realen Hintergrund des zwischen Strabo und Scintilla verhandelten Themas voraus. Man kann natürlich auch viel anspruchsloser an eine täglich dreimalige Taubenfütterung beim Standbild denken. Für das allegorische Denken ist aber der Unterschied zwischen diesen Varianten gar nicht groß. Im einen Fall erkennt man in den realen Tauben allegorisch die humiles (die Armen, die in der Pfalz versorgt werden), im anderen Fall werden die Bedürftigen, die sich real zur Speisung einfinden, allegorisch als Tauben verstanden.

65 Haarscharf auf dieses Verständnis zu und doch knapp daran vorbei führt Smolaks Erläuterung der Stelle, Smolak 2001, 93. 66 Dazu Smolak 2001, 93.

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7 Walahfrids Verse 116–146 Nun ist zwischen dem Eklogen-Teil des Gedichtes, in dem sich Strabus und Scintilla über das Standbild besprechen, und dem panegyrischen Teil innerhalb des Preises auf Kaiser Ludwig eine sehr merkwürdige Passage eingeschaltet (Vers 116–146). Hier handelt es sich um eine turbulente, schaustellerische Szene im Rahmen des prozessionsartigen Auftritts der Großen des Hofes,67 eine fiktive Szene, die Scintilla – wie auch den Aufzug der Großen des Hofes selbst  – als fiktive Zuschauerin imaginiert. Auf die hier eingefügte Szene ist jetzt näher einzugehen, weil sie Motive aus den Tetricus-Versen aufgreift, die anscheinend auf Merkmale des Standbildes referieren, aber nicht mehr aus dessen Betrachtung selbst entwickelt sind. Diese Dinge sind hier näher zu besprechen, und es ist zu untersuchen, ob auch sie Rückschlüsse auf deren reale Beschaffenheit nahelegen. Nach dem Lobpreis Kaiser Ludwigs als Antityp des Moses erschaut Scintilla durch die Fenster der Kirche einen paradiesischen Tierpark, in dem zahme und wilde Tiere friedlich beieinander leben (Vers 116–126). Man kann sich erinnert fühlen an den locus amoenus der Eingangsverse des Gedichtes. Diesen wonnevollen Ort, wenn man ihn sich – was gar nicht möglich ist – als realen Ort vorstellen wollte, müsste man ihn sich aber gewiss an anderer Stelle lokalisiert denken als an der hier durch die Fenster der Pfalzkirche fiktiv gesehenen, und auch frei von all den Unbilden, von denen der locus amoenus vom Eingang des Gedichtes bei näherem Zusehen doch beeinträchtigt war. Nun schweift Scintillas Blick in eine andere Richtung (alia de parte Vers 128) und erschaut dort einen umherreitenden, vergoldeten Reiter (auratus eques Vers 129). Zu Fuß scharen sich um ihn eine Menge von Begleitfiguren (comitante pedestri agmine Vers 129–130). Ein vergoldeter Reiter? Das erinnert natürlich an das vergoldete Reiterstandbild der Tetricus-Verse. Aber dieser Reiter ist kein statisches Standbild, er ist vielmehr in lebhafter Bewegung vorgestellt (discurrit Vers 129). Seine Begleiter, nicht ein Einzelner, sondern eine Vielzahl, werden als Musikanten erschaut und gehört; sie spielen ein Glockenspiel (tintinnum quidam … Vers 130), und andere Musikinstrumente (… quidam organa pulsant Vers 130), besonders aber das Prestige-Objekt einer „griechischen“ Orgel, die der Kaiser aber mit wenig Wertschätzung betrachtet: en quis praecipue iactabat Graecia sese, / organa rex magnus non inter maxima ponit (Vers 136–137).68 Es erklingt in dieser phantastischen Szene eine so sinnenbetörende Musik, dass eine Frau beim Anhören ihrer Klänge sogar das Leben verliert (Vers 132–133). Am Ende wird unter den Musikanten einer erwähnt, der sein Instrument mir einem Plek-

67 Smolak (2001, 98  f.) denkt an eine Art höfischer Festveranstaltung als Einleitung zu der feierlichen Prozession des Kaisers mit seiner Gefolgschaft von Magnaten. 68 Hinweise zur „griechischen“ Orgel bei Schmidt 1844, 50–54 und bei dems. 1871, 39–42; vor allem aber ausführlich von Bezold 1924, 404–412 (mit instrumentenkundlicher Literatur); vgl. auch Smolak 2001, 99; Brate 1915, 96  f. Das Motiv wäre eine eigene Abhandlung wert.

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trum spielt und wütend jene „griechische“ Orgel zerstört, die ihn um seinen verdienten Spielmannslohn gebracht hat. Zornig wirft er seine Kleider ab. Aber er erhält nicht einmal genügend bezahlt, um seine schwarzen Glieder (nigros … artus Vers 144–14569) bedecken zu können. Klar, bei dem tintinnum kann man sich wieder an die nola der Begleitfigur des Reiterstandbildes erinnern, aber die schwang nur eine Glocke, kein ganzes Glockenspiel. Schwarz und entblößt ist auch der des Weiteren hier erwähnte Spielmann wie die den Reiter des Standbildes begleitende Heroldsfigur. Sein Musikinstrument ist aber nicht als idiofone Glocke (nola) gedacht, sondern eines, das mit einem Plektrum geschlagen wird, also ein Saiteninstrument. Und wie ist sein zerstörerisches Wüten dem lobpreisenden Verhalten des satelles vergleichbar? Es gibt hier in der Tat auffällige Elemente, die auch in den Tetricus-Versen begegnen. In ihnen aber sind es statische Realien, die als realistisch wahrnehmbar und für Kenner der Örtlichkeit nachvollziehbar benannt sind; sie präsentieren sich als konsistente, aus dem Anblick der fest stehenden Statue abgeleitete Wahrnehmungen und Reflexionen, auch wo sie gelegentlich ins Fiktive hinüberspielen. Hier hingegen herrscht turbulent bewegte Phantastik. Alles, was Scintilla und Strabus bei Betrachtung der Statue gesehen haben, alles was sie intensiv reflektierend und deutend beschäftigt hat, steigert und verwirrt sich hier ins Visionäre, wie sich ein Traumgesicht zusammensetzt aus „Tagesresten“, und es verlieren sich dabei weitgehend trotz mancher Reminiszenzen an das Gesehene alle realistisch nachvollziehbaren Konturen. Ich meine deshalb, dass diesem Abschnitt von Walahfrids Versen nichts Konkretes über das Aussehen oder die situative Umgebung des Standbildes selbst zu entnehmen ist. Die Verse wären durch eine Interpretation zu analysieren, die nach einem ganz anderen methodischen Verfahren zu leisten wäre, als es hier für Vers 28–88 angestrebt wurde.

Das Traumgedicht Walahfrids Erwähnt sei hier noch ein anderes Gedicht Walahfrids. Es folgen unmittelbar auf die Versus … de imagine Tetrici im St. Galler Kodex 869 zwei der Kaiserin Judith gewidmete Stücke.70 Im zweiten von ihnen, einem Traumgedicht,71 liest der Dichter im Traum ein Buch, das von einer rätselhaften Person erzählt, welche, statt namentlich benannt zu sein, immer nur „Reitersmann“ (Equitatus) heißt und doch eindeutig als

69 Wieder eine Anspielung auf Ermoldus Nigellus und seinen unbelohnt gebliebenen Panegyrikos auf den Kaiser? Vgl. o. S. 161 zu Smolak. 70 CESG 869, 163–164 Ad Iudith Imperatricem und 164–167 Ad eandem de quodam somnio; Poet. II, Walahfrid Nr. XXIIIa, und Nr. XXIV. 71 Eine schöne Nachdichtung bei von Winterfeld (1913, 169–171); Walahfrid liebte wohl den Texttypus Traumgedicht; ein weiteres Stück dieser Art De quodam somnio ad Erluinum, Dümmler 1884, 353.

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Kaiser Ludwig zu verstehen ist (pro nomine Ludovici semper illic ‚Equitatus’ scriptus erat Vers 25–26). Siemes (1966, 162–168) interpretiert den im Traum so rätselhaft benannten Kaiser Ludwig, den Hoffnungsträger für die bedrohte Reichseinheit, wohl zutreffend als eine Art positiver Kontrafaktur im Blick auf den unheilvollen Theoderich des Tetricus-Standbildes. Dem Traum des Dichters lässt sich als gleichgeartet die phantastische Schilderung jener turbulenten Szene in den Versus … de imagine Tetrici an die Seite stellen.72

8 Fazit Das Gedicht Walahfrids auf das Tetricus-Standbild, darauf kann nun zusammenfassend hingewiesen werden, enthält neben Stellen, die eine Vorstellung vom realen Aussehen der Statue ermöglichen, immer wieder mehr oder weniger eindeutig Stellen, an denen eine ins Irreale, Imaginäre und Phantastische abhebende Szenerie begegnet. So schon am Eingang des Gedichtes bei der eklogenhaften Schilderung des frühlingshaften locus amoenus, der sich dann doch als schmutziger Ort entpuppt. Dann bei der Deutung der Vögel, welche das Standbild aufsuchen, im Sinne einer Armenspeisung, wenn ich dies richtig interpretiert habe. Noch einmal vielleicht bei der Erfindung des schwarzen satelles als Begleitfigur des Reiters, wenn diese als Erfindung im Sinne einer Polemik gegen Ermoldus Nigellus zutreffen sollte. Und schließlich, abgesehen von der eben behandelten schaustellerisch-turbulenten Szene mit dem goldenen Reiter (Vers 128–144), auch bei der Szene des Paradiesgartens, der durch die Fenster der Palastkirche fiktiv erschaut wird (Vers 116–126). Danksagung: Für Kritik und anregende Gespräche danke ich Stephan Cramer und Markus Kitzberger.

72 Siemes 1966, 162–168. Zu dem Traumgedicht s. auch von Bezold 1924, 425–426.

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Abb. 1: Grundriss der Aachener Pfalz Karls des Großen im frühen 9. Jh. Nach Aachen [Katalog], 1965, S. 396.

Anhang Ordo verborum naturalis und Übersetzung Ich setzte hierher den Wortlaut der oben behandelten Verse mit Umstellung ihrer Wortfolge aus dem ordo artificialis Walahfrids, in einem Fall sogar ihrer Satzfolge, in den ordo naturalis. Dabei bin ich mir des Barbarischen dieses Verfahrens selbstverständlich bewusst und bitte diejenigen, die sich das allenfalls abhandeln lassen, um ihre gütige Nachsicht. Es geht mir nur darum, mein Verständnis der teilweise recht schwierigen Verse auf diese Weise unmissverständlich zu dokumentieren. Zu diesem Zweck auch meine interlineare Übersetzung.

Strabus Zuerst möchte ich wissen, warum das Bild, neben dem wir oft gehen, mit seinen Sinnbildern73 so dargestellt ist. 28–29 Primum velim nosse, cur imago, iuxta quam saepe viamus, suis figuris sic sit effigiata.

73 Zu dieser Übersetzung s. Anm. 58.

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Scintilla Tetricus, der Habgierige, einst Herrscher in Italien, behielt für sich gar wenig von vielen Reichtümern. 30–31 Tetricus avarus, quondam regnator in Italicis oris, sibi tantum servat ex multis opibus; Stattdessen wandelt er im pechenen Avernus, er, dem in der Welt nichts zurückbleibt außer allenfalls vertrockneter Ruhm. 32–33 at infelix secum spatiatur piceo Averno74, cui nihil restat in mundo nisi vix fama arida.75 Denn einstimmig wird er verflucht, und den Gotteslästerer spricht die Meinung der Welt den ewigen Flammen zu und dem großen Abgrund. 35–37 Nam omni ore maledicitur, blasphemumque dei sententia mundi addicit ignibus aeternibus magnaeque abysso, Und das nicht grundlos, obwohl ihm der Thermenpöbel eine Furt76 bereitet. 35+34 nec hoc sine causa, quamquam thermarum vulgus olli vada praeparet. Für den Fall, dass vielleicht die Künstler dem Lebenden (von sich aus) diese Statue darbrachten, so halte sie mit diesem Kunstwerk für Schmeichler des rasenden Löwen. 38–39 Si forte artifices vivo quam statuam dederunt, credito hac arte blanditos insano leoni. Oder wiederum, was ich eher glaube, dieser Elende befahl selbst, dass (ihm) diese Abbilder dargebracht wurden, wie es oft der Hochmut befiehlt; 40–41 Aut etiam, quod credo magis, miser ipse iubebat dari haec simulacra, quod saepe superbia dictat. denn niemand wird unglücklich sein, außer er hört auf zu wissen, was er ist, und hat den Mut, zu glauben, was er nicht ist. 42–42 Nam nullus infelix erit, nisi ipse desinet scire, quod est, sese audens credere, quod non est. (Und:) Wenn du weißt, dass die Hoffärtigen sich auf Rennwagen und Pferden befinden, wirst du dich ganz und gar nicht wundern, dass er zu Pferde sitzt. 44–45 Si noris superbos stare in curribus atque equis non tecum miraberis umquam, quod sedit in equo.

74 Lesart und Spekulationen dazu Schmidt 1873, 17. 75 Smolak (2001, 92) hält in dieser ungewöhnlichen Metapher eine lautliche Anspielung auf den Ketzer Arius für möglich. 76 Zu dieser Übersetzung s. Anm. 40.

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Strabus Wir sehen die luftigen Tauben scharenweise herankommen, dreimal täglich: morgens, mittags und abends. Ich mag solche Schauspiele nicht Dingen ohne Sinn zuteilen. 46–48 Cernimus aerias columbas simul adventare, terque venire die: exorta, media et vergente. Non addam talia spectacula vanis rebus.

Scintilla Weißt du nicht, dass knechtische Leute so tun, als ob sie grausame Tyrannen lieben? – Nicht von Herzen freilich; vielmehr wegen des Friedens dieser Zeit. Sie suchen Nahrung, für das Nisten aber finden sie keine Ruhe. 49–51 Nonne vides, humiles quasi amare saevos tyrannos? Non ex corde tamen, sed enim pro pace temporis huius. petunt pastum, non quiescunt nidificando.

Strabus Warum sieht man den Nackten auf der rechten Seite eine Glocke schwingen? Ich glaube, nur um Bewunderung für seine schwarze Haut auf sich zu ziehen. 52–53 Cur dextra de parte nolam gestare videtur? Puto ob hoc solum, ut fruatur atra pelle.

Scintilla (Nein), auch wenn er nicht läutete, würde er ja keineswegs die Haut entbehren, die er nun einmal angezogen hat. 54–55 Etsi non caneret, careret nequaquam pelle, quam semel induerat. Vielmehr es wird sich so verhalten, dass du sagen kannst: Leute, die selbst ohne alle Ehrbarkeit sind, rufen natürlich (auch ihrerseits) den Ruhm von Schurken mit höchsten Lobsprüchen aus. 55–58 Sed erit, quod dicere possis: Egentes omnis virtutis certe accelebrant praeconia flagitiosorum summis laudibus. Um es noch wahrer zu sagen: Dieser (physisch) Nackte schmäht (in Wirklichkeit) jenen (moralisch) Nackten, (indem er ihn preist). 58 Ut dicam verius: dat nudus nudo opprobria.

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Strabus Wenn du noch anderes hierüber weißt, sage es uns! 59 Si nosti quid aliud in his, edicito nobis!

Scintilla Es funkelt die goldene (Statue) durch Habsucht mit den geschmückten Gliedern. 60 Fulget aurea avaritia exornatis membris.77 Sie trägt Sporen, die dazu taugen, die träge Weiche häufig zu stoßen, und welche die Herzen zu unaufhörlichen Räubereien entflammen sollen. 61–62 Fert spicula, quae sufficiant saepe pulsare pigrescens78 latus solitisque rapinis accendant corda. Dass die goldene (Statue) eng an der Seite des schwarzen Gefolgsmannes herrscht, bedeutet doch nichts anderes, als dass die böse Genusssucht, ganz wie sie jemanden mit gierigem Sinn zerreißt, so auch die brennende Armut andere zugrunde richtet. 63–66 Quod aurea regnat stipata satellite nigro, non enim aliud portendit, quam, quod mala luxuries, quantum quosdam sensu avaro distendit, tantum pauperies adurens alios devastat. Unter ihr (unter der Statue) fließen Gewässer, weil, wie der Dichter bezeugt, der Habgierige immer darbt. 67–69 Quam aquae subterlabuntur, quia – teste poeta – semper avarus eget. Dass Zügel fehlen, merkst du ja. 68 Quod desunt frena, notabis. Und dass sie zu Pferde rennt über Steine und Blei und hohles Metall, bedeutet, dass die Hoffart durch ein unvernünftiges Tier herrscht, mit harter Brust, trägem Herzen und hohlem Geist. 69–71 Quodque currit equo super lapides plumbumque et inane metallum, signat superbiam se belua regnare, pectore duro, corde pigro sensuque cavo. O endlos verderbliche Pest! Nicht genügt es, die ganze Welt zu durchrasen mit Kriegen und Mord an den Mächtigen, 72–73 O pestis nocens sine fine! Non sufficit, omnem orbem pervolitasse bellis et caede potentum,

77 Hierzu Schmidt 1873, 16 gegen H. Grimm. 78 Um des Metrums willen gekürzt, eigentlich: pigrescentes

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 Ernst Hellgardt

nein, du siehst auch noch, dass sie das frevelhafte Gesicht gegen die glanzvollen Paläste gerichtet hat und gegen die Christus verehrenden Herden. 74–75 quin etiam videas, posuisse faciem nefandam contra praeclara palatia christicolasque greges. Eher wird jener, dein Huftöner, die Beine, auf denen alle Adern (Sehnen) zu sehen sind, dreimal erheben, im Flug durch die Lüfte schwimmend übers Leere, 76–78 Ante ille tuus sonipes tollet pedes ternos  – parentibus undique nervis  – aera nando super vacuum, und eher wird er (dort) unter weißen Schwänen erscheinen, 78 et inter albentes olores monstrabitur, als dass du fromme Herzen verunreinigen wirst mit deinen Geschossen, allerübelste Macht, 79 quam macules pia corda tuis telis, vis pessima, obwohl du jetzt schon vergeblich einen Fuß erhoben hast mit sinnlosem Versuch gegen die besten Ratschlüsse selbst. 80–81 iam tamen nequiquam levasti unum pedem conatibus vanis contra ipsa optima consulta. Denn wie oft du auch versucht hast, dich mit irgendeinem der Vornehmen zu verbinden, 82–83 Nam quotiens es conata, tibimet coniungere quemquam procerum, ebenso oft kamen dir unverhofft, seien es entgegenstehende Riegel des schwarzen Todes, 83–84 totiens venere tibi ex insperato aut obvia repagula nigrae mortis, sei es die Vorsicht der Väter bezähmte die grässliche Pest mit Ermahnungen, der Väter, welche die hochheilige Festung stets an ihren Platz setzte, 84–86 aut cautela patrum pestem atram compescuit monitis, quos arx sanctissima semper substituit. von deren Samen (Nachkommen) möge das Zepter niemals weichen, bis der König kommt, schimmernd in feuerspeiender Wolke. 87–88 de semine quorum sceptrum numquam deficiat, donec rex veniet coruscans in ignivoma nube.

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Karoline Kjesrud

Marian devotion in 14th century Norway Abstract: In the 14th century the Church was expanding and people requested more detailed knowledge about the Divine. The origin of Mary, the mother of God, was one particular theme that was developed. In this article I gather art historical, textual and historical sources from Hardanger in the western part of Norway with the purpose of investigating how this new interest in outlining the life of Mary led to practical and spiritual consequences for the people and the Church. The hypothesis for the article is that the church founded in Odda in the beginning of the 14th century functioned as a centre for Marian devotion and may be a strategical and spiritual result of the pilgrims’ activity in Røldal. The unique Mariological altar frontal from Odda church and Norwegian fragments of Maríu saga connect the Marian devotion at Odda church to the surrounding landscape and the pilgrim’s route to Røldal.

During the 13th century the Virgin Mary became gradually closer to the people and a popular subject for personal devotion and interaction with the Divine. This development subsequently led to an increased need for explaining the origin of the Virgin Mary and the dimensions of her divinity, a change that correlated with the church’s expansion in 14th -century Norway. In this article, I will evaluate art historical, textual and historical sources from Hardanger in the western part of Norway with the purpose of investigating how the life of the Virgin Mary had practical and spiritual consequences for the people and the Church. The hypothesis for the article is that the church founded in Odda in the beginning of the 14th century functioned as a centre for Marian devotion and, furthermore, that this establishment has strategic explanations in the pilgrims’ site in Røldal. To put forward this argument I will explore the historical surroundings of the church and remnants of the church interior. In particular, my focus will be a unique Mariological altar frontal and its corresponding textual source in Maríu saga (‘the saga of Mary’). By taking Odda as a point of departure, I will try to illustrate how Marian cult and devotion was integrated in various parts and levels in society, from the individual’s path to spiritual enlightenment to societal and ecclesiastical strategies.

Background In the innermost part of Sørfjorden in Hardanger we find the small community of Odda (Fig. 1). A wooden church is situated in the inner fjord with mountains towering in the background. The church was built in 1870, whereas the prior stone church was

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Fig. 1: A historical photograph of the church of Odda, situated in the innermost part of Sørfjorden, Hardanger. Photo: Knut Knudsen, Norsk Folkemuseum.

raised at the same spot in 1309 (Dietrichson 1888, 78  f.). In the Middle Ages Odda was part of the diocese of Bergen, although it was situated close to the border of the diocese of Stavanger. The interior from the medieval church is now exhibited in the Bergen Museum. Amongst the objects is a preserved altar frontal (Fig. 2), measuring 94 cm in height and 165.5 cm in width, which is tentatively dated to c. 1325–50 (Hohler/Morgan/Wichstrøm 2004, 119). The altar frontal from Odda is one of very few Norwegian altar frontals that are purely Mariological; in fact, the selection of motifs is quite unique for altar decoration. So why did it come to be that this altar frontal should decorate the church of Odda? The central motif of the altar frontal is a depiction of the enthroned Mary, with a red dress and blue coat, as well as a veil and crown. Christ as a child sits on her lap. The richly ornamented buildings encircling her represent the Holy Jerusalem. The motifs in the side panels are related to Mary’s life, and may be read in a chronological order starting with the panel down to the left. Having been childless for 25 years, Anna and Joachim had patiently longed and prayed for a child. Yet they had been met with accusations and disrespect even in the Temple when Joachim carried forward his offering, because they did not have any heirs of their own (motif down to the left). In their prayers, Anna and Joachim made a vow to God: if He would let them have a child, they would offer the child to His service. Soon afterwards, their wish came true, and an angel told Joachim and Anna



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Fig. 2: The altar frontal from Odda church. c. 1325–1350. Photo: Svein Skare, Universitetsmuseet Bergen ©.

that Anna would become pregnant. Nine months later she gave birth to Mary (motif down to the right). Two midwives are standing beside her, lifting up the child (feast: September 8). When Mary was at the age of three, the time had come for her to enter the Temple in divine service just as her parents had promised. Anna and Joachim brought their single daughter to the Holy Temple in Jerusalem. The little family stood at the foot of the stairs for some moments, preparing their solemnly offer, when Mary walked up the fifteen steps all by herself – an achievement that later was considered to be the first great sign of her sublimity (motif upper left) (feast: November 21; however, no sources indicate that this feast was celebrated in Norway during the Middle Ages). Finally, in the upper right corner a motif of Mary’s suitors is presented. Because Mary had sworn to live alone in purity and hence not marry, the high priest asked God for assistance when he tried to find a husband for her. And God let him know that the one who carried a flowering branch should be Mary’s husband. All of the depicted motifs correlate with scenes from Maríu saga. The art historian Nigel Morgan has found only few European examples of altar decoration that display scenes from Mary’s childhood. There are some Italian altarpieces from before c. 1350, a couple of German and lastly one Icelandic embroidered altar frontal from Reykjahlíð dated to the late 14th century. These motifs are more frequently displayed in frescoes, stained glass and manuscript illuminations (Morgan 2004, 44). Morgan has therefore suggested that the iconographical model for the Odda frontal is an illuminated version of Maríu saga (Morgan 2004, 44). However, there are no indications that illuminated manuscripts of this saga existed, even though there

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are some quite beautiful manuscripts left, both large foliants and smaller quarto-formats, a few of them with decorated initials. A more probable explanation is thus that the saga itself and the content transmitted in it served as an inspirational source for the painted works. In this case, the saga must have been known to the artist – or at least to the commissioner of the altar frontal. Maríu saga is based on various European sources, but it was still written in the vernacular tongue. There are 19 Old Norse manuscripts and fragments of Maríu saga, most of them from Iceland. Two fragments derive from Norway, NRA 78 and NRA 79; both of them have been located to the western part of Norway. Many medieval books in Norway were cut up in pieces and reused for another purpose after the Reformation. The majority were used in the production of new accounting books. It is likely that this reuse took place within the same county as the manuscript originally belonged to. NRA 78 is a fragment of a quarto-format manuscript (or a small foliant), dated to c. 1250–1300, and later attributed to a younger hand: Nordfjord 1627 (and Nordfjord 1629). The other fragment NRA 79 consists of two pieces of a folio-sized manuscript, dated to c. 1350.1 A note also follows this manuscript with the information: “Søndhordland 1611, Nordhordland 1627”. This note may tell us that the medieval book was cut up by the county administration and further distributed to the districts. Could these manuscript fragments indicate a relation to the altar frontal in the church of Odda? Odda was part of Hardanger in the Middle Ages, and Hardanger was an independent region, not part of Hordaland as it is today. However, large parts of the farmland in Hardanger were subject to Halsnøy monastery (an Augustinian monastery) in Sunn­ hordland in medieval times. We do not know if this was especially the case with the church of Odda, but it is known that the two regions of Hordaland and Hardanger interacted with each other often concerning different tasks. Halsnøy was the most important monastery in the region, and due to their Augustinian order, they aimed to serve as apostles of their own time and they preferred to act as ‘kanniker’ rather than monks; subsequently, they valued teaching and preaching. The medieval library of Halsnøy monastery is only subject for imagination. Åslaug Ommundsen (2013) has suggested on a general basis several Latin books that may have circulated there. However, a lack of inventory lists has not allowed us to determine the range of Old Norse texts and books. Nonetheless, I believe it is a fair possibility that Halsnøy monastery was the medieval owner of the book that now remains as the NRA 79 fragment. Furthermore, the monastery of Halsnøy had its own townhouse in Bergen and may have had an influence on the flourishing craftsmen’s milieus there, which could have made the altar frontal later placed in the church of Odda in Hardanger.

1 The NRA 79 fragment contains the sections from the preparations for Mary’s marriage, the annunciation and the associated theological explanations (in Ungers edition of the saga II, 357–360).



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The church in Odda and its local surroundings The church built in Odda in 1309 was truly a result of the general expansion of the Church in the 14th century, a time when more and more people gathered in the church. The Mariological altar frontal may be an example of specific interest in Mary and Marian devotion in this church. In Bergens Kalvskinn (a register of the properties of Bjørgvin Diocese) it is described that part of the church’s income was directly set aside for costs related to the Marian altar in the church (BK 80 a-b). The Marian focus in this church thus appears to have been highly valued. Can any explanations for this be found in the surrounding area? The altar frontal was installed in the church for the first time, and was placed there by the commissioner, with the cooperation of his or her craftsman. Margrethe Stang (2009, 183  ff.) is of the opinion that most of the Norwegian altar frontals were lay donations, which points to the fact that every frontal was made with a specific purpose. This makes it relevant to research historical and geographical influences. Furthermore, Stang emphasises a document dated from the 20th of April 1340 that records how several wealthy persons from the Sørfjord district took up a collection in order to pay for a priest for Ullensvang church (DN XIII no. 90). She notices that seven of the eleven donors were women, and concludes that there was a large amount of female patronage in the area, which makes Stang consider the Odda frontal as being part of a community with spiritually and economically active women (Stang 2009, 94–95). Another indication can be that Rike Ragna (‘the Wealthy Ragna’) commissioned a church in the beginning of the 14th century to be built in Eidfjord, in the mouth of Sørfjorden north of Odda. A grave slab inside the church is proof of her involvement in the building of the church. Furthermore, a letter from Bishop Arne in Bergen instructs the priests in Odda, Kinsarvik and Ulfvik to give up the ‘suspicious women’ they kept with them (DN III, no. 85). We have no reason to assume that these women were involved in ecclesiastical decisions; nonetheless, the letter indicates that the ecclesiastical surroundings alongside Sørfjorden were associated with women in different ways. We do not know who the commissioner of the altar frontal in Odda was, but it is not unlikely that this strong womanly culture in Hardanger influenced the choice of this specific altar frontal. Perhaps there were other reasons that could explain the Marian interest in Odda? Øystein Ekroll (1997, 258) has pointed out that the church building in Odda and the integration of two stone sculptures in the outer wall indicate a costly project. The location of the church also indicates that it had a special meaning in the area, connecting people together in the innermost part of the fjord. One important route from Western to Eastern Norway in the Middle Ages led from Odda, over the mountains towards Røldal and further east (Fig. 3). Røldal, 40 kilometres away from Odda, was a popular pilgrims’ destination. The stave church in Røldal has been difficult to date, suggestions have been made from the early 13th century to around c. 1300 (Anker 2005, 158 with references), on the basis

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Fig. 3: Map showing the route from Odda (Hildal in the upper left corner) to Røldal (lower right corner)(Amtskartene 1867). The medieval road is marked out with a single stroke and runs almost parallel with the “mail-road” from the 18th/19th century, signified with a double stroke.2

2 Thanks to Prof. Frode Iversen (KHM, UiO) for preparing the map.



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of the medieval interior in the church, among which is the large triumph crucifix dating from around c. 1250. This crucifix, placed in the opening between the nave and the choir, was considered to possess healing powers. On one specific day of the year, around Jonsok, June 23rd, the crucifix was apparently sweating in a miraculous manner. This led a high number of pilgrims to the church at this time of the year. Diseased people were healed and left their different aids as a votive in the church. People left donations and money, and hoped to receive peace and good health in return. Partly due to this healing crucifix, the economy in the church of Røldal was quite healthy in the Middle Ages. The pilgrimages to Røldal continued until 1835, i.  e. even 300 years after the Reformation, and came first to an end when a provost discovered the activities there and found it unworthy (Bendixen 1904–13, 559). Pilgrims from the west, around Bergen, and from the north travelled through Odda on their way to Røldal (today new pilgrimages are arranged and organised from Seljord in Telemark and Suldal in Rogaland, but the route from Odda is not used for the same purpose any longer). Taking the pilgrim’s activity in Røldal into account, it is interesting to see that a crucifix displaying the tortured Christ also belonged to the church of Odda. However, this one was younger, and is dated to the same time as the altar frontal, c. 1325–50, which has led Margrethe Stang (2009, 93) to speculate if the crucifix and the altar frontal were acquired simultaneously. The healing crucifix in Røldal seems to have been an inspiration for the crucifix in Odda. The choice of church interior in Odda thus represents a connection to the pilgrim’s church in Røldal. Perhaps the building and decoration of the church in Odda inspired the renewal of church decoration in Røldal? Whereas the church in Odda was enriched with the beautiful Marian altar frontal in the late 14th century, the church of Røldal was supplemented with an altar frontal with depictions of the Passion of Christ, dated to c. 1325–1350 (Hohler/Wichstrøm 2004, 121). Stang (2009, 44) has noticed that the paintings of the crucifixion scene on the altar frontal may have been inspired by the idea of the sweating crucifix in the church, due to the depiction of Christ’s blood from all over his body. The altar frontal from Røldal most likely decorated a side altar, rather than a main altar, due to its size (Hohler/Wichstrøm 2004, 120), and obviously it is secondary to the crucifix. This enrichment corresponds with the tendencies in the 14th century where the nature of the Divine was explained in more detail. This origin of the miraculous Christ was even more exploited in Odda, where his mother Mary was the main figure. Odda must have been the starting point for many of the pilgrims setting out to Røldal.

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Fig. 4: Medieval road along Seljestadjuvet. Several sections of the medieval road are still apparent and used as a hiking path in today’s landscape. The route runs through several spots with a terrific view over the mountains, waters and nature. The height of the mountain is around 1070 meters at its highest point, and there are certainly physical challenges on this road. We must assume that this route was only available in the summer months. Photo: K. Kjesrud.

Fig. 5: Stairs on the old road from Odda to Røldal. Photo: K. Kjesrud.



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Mary’s presentation to the temple in the liturgy If we consider the church in Odda to be intended as the first stop on a pilgrimage route in Western Norway, the theme in the decoration of this church may have been introduced as an alternative to or preparation for the Passion theme seen in Røldal. Here Mary was the central figure, and not only that, but the topics depicted on the altar frontal in this church may have encouraged people and pilgrims during their internal reflections and sparked inner growth; a focus that could be useful and comforting on the challenging journey to Røldal. The motif displaying Mary’s presentation to the Temple is of particular interest. It is not known to be visually depicted elsewhere in Norway in the Middle Ages. The episode inspires a reflection about the symbolic features of the fifteen steps to the Temple, just as it is described in the saga. The relation to the prophetical text in Ezekiel 40, where the temple stairs are explained as a symbolic construction, is evident, and thus exemplifies a characteristic pattern for outlining Marian symbolism in the Middle Ages. Mary was the second Eve, and her roles and position in life were a result of prophesies given in the Old Testament. But not only that, a common feature in all types of narratives is that places, loci, and spatial elements function as rhetorical devices for structuring the story. Furthermore, they are rhetorical devices for memorising (Kjeldsen 2011, 78). But what was the reason for memorising the fifteen steps to the temple and their theological descriptions? Mary’s presentation to the Temple is mentioned in a couple of sentences in several European sources. The only one which also includes references to the fifteen Graduale songs, and thus marks out a symbolical relation between the stairs to the Temple and the fifteen Graduale Psalms is found in De nativitate Mariae, ‘The Book of Mary’s nativity’, dating from the 10th century. This is also pointed out by Heizmann (1993, 192). This text does not name the different psalms, nor outlines the deeper theological exegesis (Giversen 2002 (transl.) 6, 1–2). Other European sources describe the scene more briefly, often only with one or two sentences. The widely theological explications of the Old Norse text seem to be unique. Several scholars have discussed Mary’s presentation to the Temple in Maríu saga through the last decades. Ole Widding and Hans Bekker-Nielsen have tried to prove the European background for this passage, but end up admitting that the passage is be “a problem”, because they did not find any clear parallels in Latin sources (1961, 81). However, they “dare not hail the chapters as an instance of original creative work by the author of the saga” (1961, 81). Wilhelm Heizmann has discussed the passage thoroughly in his postdoctoral thesis. He emphasises the use of number symbolism in the text, and thus connects it to other theological writings from the continent, although without specifying one specific model text (Heizmann 1993, 192–207). Not dependent on which inspirational sources the passage is based upon, the episode is outstanding in the saga as a liturgical instruction and theological exploitation.

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Each step is related to a psalm, which should be sung as a symbol for something more complex. The psalms presented in the text are the Psalms of Ascents, Canticuum graduum (Vulgata 119–133; The Book of Psalms 120–134), known as ‘hopeful’ pilgrims’ songs. The passage in Maríu saga does not fully render each psalm, only the titles and the core messages of each of them are explained – serving to help in the memorisation of subject matter.3 The stairs to the Temple and the way they are described in Maríu saga invite the reader to a medieval exegetical reading, lectio, founded on gradual knowledge.4 The first part of the liturgical description, where the name of the psalm is mentioned, may be read at the historia/littera niveau; secondly, we are presented the allegorical interpretation, the main content of each psalm.5 Thereafter follows sophisticated theological explanations, which could be related to the third and the fourth step in the medieval reading lectio. The symbolic features of the psalms described in the first section also represent historical and typological events from the Old Testament, which represents a platform for a tropological (moral) and anagogical (pointing at the heavenly reconciliation) exploration of the songs sung. In the exegetical description of the fifteenth step it explicitly says: No-one will enter the heavenly Paradise and enjoy the everlasting joy the Temple symbolises without standing at the step of charity.6

3 In her impressive and often cited work on medieval memory, Mary Carruthers distinguishes between two different memorizing techniques: memoria rerum, the memorization of “thing”, the subject matter, or the main words in a quotation, the chief theses of an argument, and memoria verborum, the memorization of words, which means word-by-word phrases (Carruthers [1990] 2008, 91). 4 The reading practice Lectio is fully described for example by Mary Carruthers 2008 [1990], 206. 5 The first step is assigned Ad dominum dum tribularer (psalm 119), a psalm symbolizing forsaking of the world (“heíms hafnan”), explained that it is better to search for heavenly joy than earthly pleasure. The second step is assigned Levavi oculus meos (psalm 120) symbolizing divine protection (‘guðlict skiol’). The third is assigned Letatus sum (psalm 121) symbolizing heavenly joy (“himneskr fagnaðr”). The fourth step is assigned Ad te levavi (psalm 122) symbolizing divine confidence (“guðlict traust”). The fifth is Nisi quia dominus (psalm 123) in symbol of gratitude (“þacklæti”). The sixth step is for Qui confidunt in domino (psalm 124), symbolizing moderation in the pursuit of good things (“iafnlyndi til goðra luta”). At the seventh step one should sing In convertendo dominus (psalm 125) symbolizing consolation (“huggan”). The eighth step is assigned Nisi dominus edificaverit (psalm 126) the symbol of joy of the rebuilding of Jerusalem (“fagnaðr af uppreist ok endrbæting Jorsalaborgar”). The ninth step is assigned Beati omnes (psalm 127), symbolizing fear of God (“ræzla drottinns”), the tenth Sæpe expugnaverunt (psalm 128), in symbol of patience (“þolínmæði”) and the eleventh is assigned De profundis (psalm 129) symbolizing meekness (“miuklæti sannrar iðranar”). The twelfth step is Deus non est (psalm 130) symbolizing humility (“litillæti”) and the thirteenth Memento domine David (psalm 131) in memory of the rebuilding of the Temple (“minning þess er drottinn hafði þaa latið uppreisa musteri”). At the fourteenth step one should sing Ecce quam bonum (psalm 132) symbolizing unanimity (“samþycki”), and finally, the fifteenth step is assigned Ecce nunc benedicite (psalm 133) symbolizing the Abiding charity (“eilifva ast”). 6 Additionally, Ole Widding and Hans Bekker-Nielsen remarked that: “[t]he exposition ends with a fine piece of numerical subtlety: that charity (the 15 step), the greatest of the theological virtues,



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The textual interpretation of the motif in Maríu saga may very well stimulate lectio and meditatio and possible ways of interpreting the different parts. Each step up the temple stairs serves as a guide for prayer and worship. The episode is both practical and pedagogical in its style, and makes an impression of having been a practical liturgical instruction, possibly also related to the routines of the Mass. The singing of liturgical songs during Mass ensured the participants awareness of their inner journey towards a higher place. This was especially underlined in the graduale section of the Mass. In this section it was physically demonstrated by singing liturgical songs on actual stairs separating the choir from the nave. Thus the stairs work as instructions for meditation; a gradual change where it was possible to obtain new inner revelation at each step. Sigurd Hareide has showed how this section during Mass is interpreted as an invitation to ascend from lower to higher deeds in Old Norse ritual descriptions, Messuskýringar. The functional naming of the song, the song of Stairs, was thereby a metaphor of improving oneself, when the mass was moving to its first climax (Hareide 2014, 38).7 If we transfer the reading in Maríu saga to the parallel motif displayed at the altar frontal from Odda, and assume that this served as a practical tool for the priest in serving his liturgy, the most natural placement in the church would be at the main altar. From here, the priest might actively have integrated the altar front in his service to the congregation. The quite large size of the frontal has led Hohler and Wichstrøm to suggest that it must have decorated the main altar in the church (2004, 118). Margrethe Stang on the other hand argues that the subject matter – motifs representing the Childhood of the Virgin  – would be more suitable for a placement at the side altar (Stang 2009, 93). In my opinion, the choice of motifs reflects a general tendency of digging deeper into Mary’s life and origin in the early 14th century. This tendency may reflect an expansive Church in which the humanly aspects of the divinity were exploited to make the Church’s message relevant for a broader public. To me it thus seems likely that the Marian altar frontal in the medieval church of Odda decorated the main frontal. In this position it would serve as an important object for the people who attended the church. The principles of composition used can eventually tell us something more about the intended function of the images as they were chosen to affect the perceivers.

includes all other virtues of the Decalogue and the gospels thus representing the number 15 (10+4+1). Charity is also said to be derived from the 7 gifts of the Holy Ghost, and to lead Man to the 8 beatitudes, so that once more we arrive at the number 15 (7+8)” (1961, 87–88). 7 In the seventh chapter of The Rule of St. Benedikt the seven steps (gradus) of humility are explained with a tropological interpretation of the canticuum graduum and the graduale section in Mass. The gradual topic is a clear picture of how the inner journey towards a divine reconciliation is a gradual one, which also may have been embedded in the liturgical practice in the church, in such a manner that the singer was standing at a lower step in the church, symbolizing that divine ascension is still in its beginnings (Schumacher 2002, 105–106, with references to Rupert av Deutz, De divinis officiis I, 34).

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Actors depicted in frontal positions interact with the perceiver in another manner than depictions of actors in profile positions. The central motif, Mary with her son, Christ, on her lap in frontal depiction, catches immediately the attention of the observer: this is definitely something to dwell on. On the other hand, depictions of people in profile bring the perceiver more closely to the action (Schapiro 1996, 69–95). The motif of Mary’s presentation to the Temple could have been used by the priest to exemplify the exegesis – the strategies of understanding Biblical stories. Every psalm is sung as a symbol of something bigger. The Temple itself was a symbol of absolute wisdom and the earthly representation of Paradise. Walking the stairs to the Temple would possibly lead one to the highest level of spirituality. The stairs outside the Holy Temple in Jerusalem are still called the Stairs of Ascents. Even if it has been destroyed several times and not yet rebuilt after the third destruction, the temple is still standing. Visions and prophecies give promises to Jews about a third temple, when the arrival of Messiah is near. The sorrow related to the destruction and rebuilding of the Temple is remembered in rituals and prayers, such as the Song of Ascents. Climbing up the stairs to the Temple in Jerusalem makes a physical embodiment of the inner journey towards heavenly reconciliation possible. Transferring the most important elements of the Songs of Ascents and the stairs of Ascents in Jerusalem to the church and the service in the church of Odda presumably also in focusing on this gradual climb towards the divine powers. Ecclesiastical paintings and liturgical texts may very well have functioned in Mass, but they could also work as tools for individual meditatio. The stairs to the temple will thus achieve a role of being a physical representation of the journey each person has to undertake in order to attain the ultimate and everlasting joy of God. This could very well be suitable for a pilgrim to keep in mind when wandering the pilgrim routes in the Norwegian mountains. The patience of Anna and Joachim was rewarded with an exalted child, who served as a role model for inner growth and strength for believers. Mary was lifted up to the Heavens and united with the Divine and serves there as a Queen of Heaven together with her Son. By following the example of Mary, people may have been able to experience an inner growth themselves. The explicit choice of motifs for decorating the altar frontal in Odda church may have been a result of the influence of the pilgrims’ route on which many of the church’s visitors were about to set out on. The distance from Odda to Jerusalem must have been overwhelming for medieval people. But the physical gradual and meditative walk encouraged through the text may have had resonance for pilgrims that set out to Røldal, where people were cured of diseases by touching the sweat from a healing crucifix. The route from Odda to Røldal is characterised by high mountains with steep hills. Parts of the route are still sectioned in ‘stairs’, now prepared by stones, which have replaced logs that had the same purpose earlier. When the congregation and the people who visited the church of Odda looked at the beautiful Marian altar frontal and heard the priest telling about Mary climbing up



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the fifteen steps to the Temple, they might have carried this inspiration inside when setting out on the pilgrimage to Røldal; soon to meet steep hills and suitable surroundings for meditation and reflection.

Conclusions The purpose of this article has been to obtain a deeper understanding of Marian devotion in medieval society by taking the church of Odda in Hardanger as a starting point, from which a beautiful and unique Marian altar frontal derives. The scenes presented at the frontal are recognized as scenes from Maríu saga, a narrative about Mary preserved in numerous manuscripts from the Middle Ages, among others two fragments from Western Norway. I have suggested that the Marian focus in the church of Odda may have been related to the pilgrim’s route to Røldal. A natural starting point for several pilgrims on their way to the healing crucifix in Røldal must have been from Sørfjorden and Odda, in the innermost part of Sørfjorden. The healing crucifix in Røldal with a Christ’s cult may have inspired the community in the neighbouring bishopric to establish a cult of their own – ensuring money, activity and people passing by. With a healing crucifix in Røldal, it would be natural to implement another point of focus in Odda. The mother of God seems to be a fair choice. The spiritual reasons for implementing the altar frontal would furthermore have been to outline the history of the Divine, and making the mother of Christ and her genealogy the important message to be expressed. By exploring the two manifestations of Mary’s presentation to the Temple together, in text and image, and taking into consideration the contextual surroundings of the altar frontal, I find it appealing that the motif had a specific purpose in this church. The narrative text made a natural argument for the placement of the altar frontal within the church ― at the main altar ― which furthermore suggested that the priest and the clergy consulted the paintings in their liturgical instructions to the congregation, especially in the graduale-section of the Mass. People participating in the Mass could memorise the motif with the help of the spatial element, the fifteen steps to the Temple, for further meditative use and dwelling along the pilgrim’s route to Røldal. The Temple stairs function thus as a memorising device both in the text and in the image, as instructions for meditation, and as a structure for further theological elaboration. By following the virtues and exempla from Mary’s climb in the temple stairs one would reach the higher levels of spiritual experience. The symbolic features of the stairs to the Temple are highly emphasised with the purpose of encouraging the recipients to self-reflection and prayers. The motif would thus be an encouragement of how to fill every step in the following walk from Odda to Røldal with spiritual content. One has to climb in order to reach the highest level of spirituality.

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Irene Kupferschmied

Epiphanien des Teufels in den altnordischen Marienmirakeln der B-Sammlung Abstract: The devil is often described as a prototypical and more or less omnipresent adversary to Maria. The B-Collection of the Maria Miracles shows various conceptions of the devil. However, he is only an acting protagonist in a certain number of texts, in a few being little more than the cause of misbehaviour. The devil’s role in the B-Collection should therefore not be overestimated, though the descriptions of his work are suitable to leave an impression. In several manuscripts, the miracles Theophilus and Romaldus bookend the collection, both of which hold the motive of the devil’s pact. The devil achieves a great deal of attention therewith. For this arrangement of the miracles within the collection, which could be an independent development, a certain tradition seems to have existed in the north. Teufel und Dämonen erscheinen in der altnordischen Literatur unter verschiedenen Bezeichnungen und in unterschiedlichen Gestalten. Nicht selten sind es die Namen der heidnischen Götter, bestimmte ihrer Wesenszüge oder auch äußere Merkmale, die auf den Teufel der christlichen Religion und die mit ihm in Verbindung stehenden Dämonen übertragen werden.1 Die altnordischen Marienmirakel hingegen verhalten sich in ihrer Präsentation des Teufels bzw. der Teufel – nicht selten treten die Vertreter der Hölle gleich scharenweise auf – konservativer und nehmen kaum Anleihen in der heidnischen Religion in Anspruch, um den Teufel zu beschreiben. Sie basieren überwiegend auf lateinischen Ausgangstexten, die häufig relativ genau übersetzt, in einigen Fällen auch freier bearbeitet wurden. Es sind diese Texte, die hier genauer in den Blick genommen werden sollen, um zu untersuchen, welche Handlungsspielräume und Erscheinungsformen des Teufels dem Publikum in Island und Norwegen darin vorgeführt wurden. Mag die Übertragung dämonischer Züge auf heidnische Gottheiten und deren „teuflisches“ Wirken in der Sagaliteratur noch so bemerkenswert sein, es bleibt nicht zu vergessen, dass das Bild von Dämonen und Teufel(n) in der Bevölkerung auch, und sicherlich nicht zuletzt, durch Texte wie die Marienmirakel geprägt wurde. Viele der Marienmirakel

1 Dieses Phänomen begegnet nicht nur im explizit skandinavischen Kontext, siehe z.  B. Frenschkowski/Drascek 2010, Sp. 392  f.; Gerwing 1997, Sp. 578; Simek 1997, Sp. 590  f. Als ein besonders markantes Beispiel sei hier auf die Ólafs saga Tryggvasonar des Mönchs Oddr hingewiesen, in der der Teufel sowohl in Gestalt von Óðinn als auch von Þórr begegnet, vgl. Saga Óláfs Tryggvasonar, 131–134 und 173–174.

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dienten als Predigtexempel und als didaktische Lektüre für Klosterangehörige und wurden Laien wie Geistlichen zu diversen Gelegenheiten zu Gehör gebracht. Anlass, den Teufel als Protagonisten im Handlungsgeschehen auftreten zu lassen, bietet sich in den Marienmirakeln immer wieder. Vielen gilt der Teufel als Gegenspieler Mariens schlechthin, und bisweilen wird das Aufblühen der Marienverehrung sogar in direktem Zusammenhang mit der im Laufe des Mittelalters ebenso anwachsenden Angst vor dem Höllenfürsten gesehen.2 Der Kampf zwischen Maria ‒ manchmal vertreten durch Engel oder gemeinsam mit diesen ‒ und Teufel(n) um die Seelen der sündigen Menschen ist in vielen Mirakeln Thema.3 Oft entscheidet diesen Konflikt ein Schiedsspruch der übergeordneten göttlichen Macht, manchmal auch Mariens selbst. Die nicht zuletzt darauf fußende sog. „Prozessform“, also der „Widerstreit zweier unvereinbarer Rechtsansprüche“, wurde daher von Ursula Ebel (1965, 31) als strukturelles Muster postuliert, das in der einen oder anderen Form allen (Marien-)Mirakeln zugrunde liege. Im Weiteren geht Ebel davon aus, dass der Kampf des Guten gegen das Böse im Prinzip den meisten Mirakeln immanent ist, jedoch auch abstrakt stattfinden kann, also ohne dass beide Parteien in personam aufeinandertreffen müssen (Ebel 1965, 27–33; vgl. auch Gallais 1974, 131). Der Widerstreit von guter und böser Macht in seiner abstrakten Form soll allerdings im Folgenden weniger Betrachtung finden, vielmehr wird sich der Blick auf die konkreten Erscheinungsformen des Teufels in den Marienmirakeln richten. Wegen des hier gesetzten Rahmens beschränkt sich die Analyse auf die übersichtliche und gut zugängliche B-Sammlung.4 Unter der Bezeichnung B-Sammlung lassen sich mehrere Handschriften und Fragmente gruppieren,5 die mit kleineren oder größeren Ergänzungen, Auslassungen und Umstellungen die gleichen Mirakel überliefern. Die B-Sammlung stellt also nicht eine in Umfang und Anordnung der Mirakel exakt definierte Gruppe von Texten dar, sondern eher einen Sammlungstyp, zu dem sich mehrere der überlieferten norrönen Zeugnisse rechnen lassen. Da die B-Sammlung nicht nur einzelne Mirakel, sondern ganze Mirakelgruppen enthält, die auch innerhalb der lateinischen Tradition als älteste Bestandteile von Marienmirakelsammlungen aufgefasst werden,6 lässt auch

2 Maslowski 1978, 47: „Der aufblühende Mariencultus, der mit der Schutzbedürftigkeit der Christen­ men­schen gegen teuflische Anfechtungen zusammenhing, war jedenfalls vom Glauben an einen mächtigen Teufel nicht zu trennen. Je größer der Einfluß des Teufels wurde, desto mehr gewann Maria an Heiligkeit.“ Vgl. Mauthner 1963, 204  f. 3 Siehe zum Motiv des Kampfes zwischen Teufel und Engeln/Heiligen Uther 2010, Sp. 416–419. 4 Insgesamt liegen, je nach Zählweise, über 200 bis an die 300 Mirakelerzählungen vor, von denen die meisten wiederum in mehreren Versionen existieren, vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 2. 5 Die Bezeichnung „B-Sammlung“ geht auf Ole Widding (1996, 5–13) zurück. Zu den Vertretern der B-Sammlung vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 1, 208–213. 6 Die ältesten Gruppierungen von Marienmirakeln identifiziert Mussafia (1889, 55–61). Siehe z.  B. auch Kupferschmied 2017, Bd. 1, 142–148; Widding 1996, 6–10 oder Southern 1958, 176–188.



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sie sich als alte, vermutlich ursprünglichste der bestehenden norrönen Sammlungen betrachten. Drei Handschriften, die zur B-Sammlung gezählt werden, überliefern vollständige Mirakelsammlungen: AM 234 fol, auf ca. 1340 datiert (vgl. ONPReg, 436), bietet die umfangreichste mit 56 Mirakeln.7 Geht man die Mirakel von AM 234 fol systematisch nach dem Auftreten oder wenigstens der expliziten Nennung von Teufel(n) und Dämonen durch, wird man in 14 davon fündig.8 AM 232 fol von ca. 1350 (vgl. ONPReg, 436) stellt mit 51 (53) Mirakeln den zweitgrößten Vertreter dar.9 Alle 14 genannten Mirakel sind auch in dieser Handschrift zu finden. Zehn von diesen enthält auch AM 633 4to,10 die eine kürzere Sammlung von 30 Texten überliefert. Bei dieser Handschrift handelt es sich um eine Papierhandschrift aus dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts, deren Vorlage auf ca. 1300 datiert wird (vgl. MS, XIII).

Widerstreit zwischen Maria/Engeln und Teufel(n) und Gestaltwechsel des Teufels Das erwähnte Motiv des Kampfes um die Seelen des sündigen Menschen zwischen Maria/Engeln und Teufeln kommt in insgesamt fünf der Texte in seiner konkret ausgestalteten Form vor. Als geradezu prototypisch kann die Ausführung des Widerstreits im Mirakel vom Ertrunkenen Sakristan (8) gelten.11 Die Hauptfigur, der Sakristan eines Klosters, ist des Nachts auf dem Rückweg von seiner Geliebten, kentert mit seinem Boot und ertrinkt. Der Sakristan hat noch das Ave Maria auf den Lippen, doch seine Seele wird von einer Schar Teufel ergriffen, die ihn in die Hölle ziehen wollen, „önd hans greip mikill fjölði diöfla, ok vóru giarnir at draga hana til helvítis kvala“ (MS, 76). Der anschließende Streit von Engeln und Teufeln wird bei aller Knappheit, die die Mirakel der B-Sammlung im Großen und Ganzen kennzeichnet, recht plastisch

7 AM 234 fol überliefert noch ein weiteres Marienmirakel. Dieses steht unmittelbar vor der Maríu saga, also dem Marienleben, auf das die Mirakelsammlung folgt, vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 2, 114. 8 Es handelt sich um folgende: Theophilus (1), Ertrunkener Sakristan (8), Mönch von Köln (13), Giraldus der Jakobspilger (14), Stephanus erleidet Schiffbruch (17), Habgieriger Bauer (21), Murieldis (26), Teufel in Tiergestalt (30), Schwangere Äbtissin (34), Marienbild entehrt (43), Teufel in Gestalt einer Frau (45), Türkischer Kopf (48), Heremannus contractus (49) und Romaldus (51). Titel und Nummerierung der Mirakel folgen der Konkordanz bei Kupferschmied 2017, Bd. 2. 9 Zwei Mirakel sind durch den Fehler eines Schreibers doppelt aufgenommen. C. R. Unger gibt in seiner Edition Mariu saga (im Folgenden mit „MS“ abgekürzt) den Text dieser Handschrift wieder. 10 Mirakel 13, 14, 26 und 48 besitzt AM 633 4to nicht. 11 Vgl. MS, 75–78. Dieses Mirakel kommt in der lateinischen Tradition in zahlreichen Varianten vor. Auch in der altnordischen Überlieferung finden sich verschiedene Versionen (in der B-Sammlung aber nur diese), vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 1, 91–94.

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vor Augen geführt: Engel kommen und wollen überprüfen, ob sie der Seele helfen können. „[H]elldr drembiliga“, also „hochmütig“, „überheblich“, reagieren die Teufel: „Hvert erindi áttu þér hingat, því at þér meguð ekki yðvart mark á þessi önd finna, ok eigum vér valld á henni fyrir ill verk, þau er hann gerði“ (MS, 76). Die Teufel führen also an, dass sie rechtmäßig handeln, da sich keine guten Taten finden ließen und die Seele deshalb ihnen gehöre. Die Engel sehen sich offensichtlich außer Stande, weiter zu intervenieren. Als Maria sich einschaltet, ändert sich die Situation. Auch Maria gegenüber behaupten die Teufel zunächst, dass der Mann gestorben sei, während er schlechte Taten verübte („Því at vér fundum hana luka lífinu í vándum verkum.“ MS, 76). Maria weist sie jedoch zurecht und beschuldigt sie der Lüge („Flærðvitni beri þér […]“, MS, 77). Im Folgenden führt sie aus, dass der Sakristan gestorben sei, während er das Ave Maria sprach, seine nächtlichen Besuche im Nachhinein stets bereut und sie um Erbarmen gebeten habe. Maria schlägt vor, den Mund des Mönchs zu öffnen, und dort findet man ‒ typisches Motiv in Marienmirakeln ‒ die ersten Worte des Ave Maria auf seiner Zunge. Dies dient als Beweis für den Mariendienst des Mönchs sowie dafür, dass er zum Zeitpunkt seines Todes keineswegs in „vándum verkum“, „schlechten Taten“, befangen war. Bereits die Art, wie die Muttergottes sich an die Teufel wendet, nämlich „með röksemð“ (MS, 76), also in etwa „mit Argumenten“, „begründet“, macht deutlich, dass sie den Dämonen das Recht auf die Seele nicht prinzipiell streitig macht, sondern nur, weil sie gute Gründe dafür besitzt. Explizit erklärt sie ihr Vorgehen, nachdem man die Worte auf der Zunge des Toten gefunden hat, noch einmal. Sie habe den Mann nicht mit Gewalt von ihnen, den Teufeln, nehmen wollen, sondern mit Rechtmäßigkeit („At eigi segi þér þat, at ek vilia þenna mann með ofríki frá yðr taka helldr en fyrir rétt­ endi […]“, MS, 77). Teufel und Muttergottes stehen sich so zwar als widerstreitende Parteien gegenüber, der Anspruch der Teufel auf die Seelen sündiger Menschen wird aber von Maria und damit auch von der göttlichen Macht nicht in Frage gestellt. Die Teufel tun geradezu ihre Pflicht, bewegen sich in ihrem eigenen Aufgabenbereich, wenn sie Sünder in die Hölle bringen.12 Zu erwähnen ist, dass das sündige Verhalten des Sakristans am Anfang des Mirakels auf die Versuchung durch den Teufel zurückgeführt wird („af diöfulligri teygingu“, MS, 76). Der Teufel erscheint damit einerseits als Versucher, als derjenige, vor dem sich die Menschen in Acht nehmen müssen, um nicht vom rechten Weg abgebracht zu werden, andererseits als derjenige, der die in Sünde Gefallenen auch bestraft.

12 Siehe hierzu etwa Spreitzer 1995, 25–29, 37, 81 oder Schmidt 1926, 78  f., 119. Wie Schmidt zeigt, sind die Anlagen zu dieser Auffassung schon z.  B. bei Gregor dem Großen (Moralia in Iob, lib. II, cap. 10,17) zu finden, vgl. „Sciendum uero est quia satanae voluntas semper iniqua est sed numquam potestas iniusta, quia a semetipso uoluntatem habet sed a Domino potestatem.“ – „Aber es ist zu wissen, dass der Wille des Satans immer unangemessen ist, aber seine Macht niemals ungerecht, denn von sich selbst hat er den Willen, aber vom Herrn die Macht.“



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Rechtmäßig muss jedoch auch das Vorgehen der Teufel sein, so legt es dieses Mirakel nahe, und diese verhalten sich eben nicht nur „drembiliga“, „hochmütig“, sondern neigen offenbar dazu, vorschnell zu urteilen und absichtlich Seelen zu fordern, die ihnen nicht zustehen. Der Mariendienst des Verstorbenen wiegt, nicht nur in diesem Mirakel, jedenfalls schwerer als dessen Sünden. Das Einschreiten Mariens bildet in diesem Mirakel jedoch noch nicht den Abschluss. Die endgültige Entscheidung trifft Jesus, vor den die beiden Parteien auf den Vorschlag der Muttergottes treten. Dieser beschließt, dass die Seele des Mönchs in den Leib zurückkehren darf. Die übrigen Mirakel, die das Motiv der Auseinandersetzung zwischen Maria und Teufeln enthalten, variieren es in der einen oder anderen Weise. In Mirakel 13, Mönch von Köln (vgl. MS, 82–85), bittet zunächst Petrus (schließlich stammt der Mönch aus dem St. Peters-Kloster) bei Engeln, Aposteln und vielen weiteren um Fürsprache für den verstorbenen Mönch, der einen wenig angemessenen Lebenswandel pflegte. Der Allmächtige will sich jedoch nicht gnädig zeigen. Erst die Muttergottes kann ihren Sohn umstimmen. Bevor die Seele in den Körper zurückkehren kann, muss Petrus die Teufel einholen, die mit ihr bereits auf dem Weg zur Hölle sind. Was dann geschieht, wird bei den Rezipienten nicht nur Erleichterung, sondern Erheiterung ausgelöst haben: Petrus schlägt den Teufel, der die Seele führt, mit seinem Schlüssel („ok laust Petr með lykli, er hann hafði í hendi sér, fiándann, ok varð hann lausa at láta sálna“, MS, 84); der überrumpelte Teufel muss die Seele loslassen. Im Gegensatz zu Mirakel 8 kann hier nicht von einem auf Recht aufgebauten Schiedsspruch die Rede sein. Die Seele des Mönchs kommt frei, da Jesus seiner Mutter jede Bitte erfüllt. Warum Maria sich für den Mönch einsetzt, ist in diesem Mirakel im Grunde nicht ersichtlich. Es fehlt jeglicher Hinweis auf speziellen Mariendienst des Geistlichen. Dies mag darin begründet sein, dass das Mirakel ursprünglich ein PetrusWunder war und erst sekundär auf Maria übertragen wurde.13 Die Schwäche, die man dem Text in diesem Punkt evtl. attestieren wird, macht er zu einem gewissen Grad durch seine überlegte Dramaturgie wett ‒ drei Versuche mit immer höheren Instanzen der Fürsprache sind notwendig, um eine Umstimmung des Gottessohnes herbeizuführen. Diese Gestaltung bewirkt, dass die Muttergottes als über alle anderen Heiligen erhaben, als die mächtigste Fürsprecherin überhaupt vor Augen geführt wird. Sie kann erreichen, was keinem anderen Heiligen gelingt. Auf dieses Faktum wird gegen Ende des Mirakels noch einmal explizit hingewiesen: Denjenigen, die dieses Wunder bezweifeln, sollen bedenken, „at þeim mun meira þiggr dróttning himins ok iarðar af syni sínum, almátkum guði, konungi konunga en aðrir helgir menn, sem hon er öllum þeim helgari ok œðri […]“ (MS, 85).14 Das Auf-

13 In vergleichbaren lateinischen Fassungen unterbleibt ein Verweis auf eine Marienverehrung des von der Gottesmutter Geretteten ebenso, vgl. Dexter 1927, 21  f. und Pez, 316–319. 14 „dass die Königin des Himmels und der Erde umso mehr von ihrem Sohn erhält, dem allmächtigen Gott, dem König der Könige, als andere Heilige, da sie heiliger und erhabener als sie alle ist […].“

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treten der Teufel dient hier also vor allem dazu, diese Eigenschaft Mariens besonders deutlich hervortreten zu lassen. Besonders furchteinflößend wirkt der Erzfeind in diesem Text jedenfalls nicht (mehr), doch ginge man zu weit, würde man behaupten, er habe seinen Schrecken verloren. Dass der mit dem Schlüssel schlagende Petrus jedoch auch für das mittelalterliche Publikum etwas kurios gewirkt haben wird, legt die (heute etwas naiv klingende) Abschlussbemerkung nahe, die der Text noch bereithält: Man solle bedenken, dass „geistige Dinge nur erzählt werden könnten, wenn sie denen leiblich offenbart worden seien, deren Seelen in den Körper zurückkehren sollten“ („andliga luti má eigi segia, nema líkamliga sé þeim vitrat, er aptr skulu sálurnar hverfa til líkama“, MS, 85). Um vollends jeden Zweifel auszuschließen, erfolgt schließlich der Verweis auf Gottes Allmacht, für den zu tun nichts unmöglich ist: „guði er ekki um megn at gera“ (MS, 85).15 Wieder ein etwas anderes Bild vom Teufel zeichnet Mirakel 14, Giraldus der Jakobspilger (vgl. MS, 85–87). Wie im Mirakel vom ertrunkenen Sakristan wird das sündhafte Verhalten von Giraldus – er verbringt die Nacht vor seiner Pilgerfahrt mit seiner Geliebten – auf das Wirken des Teufels zurückgeführt. Um Giraldus vollends in seine Gewalt zu bringen, nimmt der Widersacher die Gestalt eines Menschen an und behauptet, der heilige Jakobus zu sein.16 Die Fähigkeit des Teufels zum Gestaltwechsel kommt hier zum ersten Mal in der Sammlung vor, und sie wirkt auch gleich besonders perfide, da der Erzfeind als Heiliger auftritt. Diese Täuschung ist für den Sünder Giraldus nicht zu durchschauen.17 Er tut, was der Erzfeind verlangt, schneidet sich den Körperteil ab, mit dem er gesündigt hat, und nimmt sich anschließend das Leben. Der Streit um die Seele wird zwischen den Teufeln und dem heiligen Jakobus ausgetragen, der seinen Pilger beschützen möchte.

15 Beide Bemerkungen besitzen Parallelen in den lateinischen Texten, vgl. „quia incorporalia corporeis nisi per corporalia narrari non possunt. Veruntamen Domino nihil est impossibile“ (Pez, 318  f; vgl. Dexter 1927, 22), „weil das Nicht-Leibliche den Leiblichen nur durch das Leibliche erzählt werden kann. Doch für den Herrn ist nichts unmöglich.“ 16 „Þá brá óvinrinn á sik mannz likneskiu ok gékk at Giralldo ok sýndiz biartr ok blíðligr í yfirbragði, ok sagðiz vera Jacobus postoli“, MS, 85. – „Da nahm der Feind die Gestalt eines Mannes an und ging zu Giraldus und erschien hell und mild von Aussehen und sagte, er sei der Apostel Jacobus.“ Vergleichbare lateinische Versionen berichten, der Erzfeind habe sich in einen „Lichtengel“ verwandelt, „transfigurat se in Angelum lucis“ (Pez, 319; vgl. Dexter 1927, 23) und sei Giraldus dann in der Gestalt des heiligen Jacobus erschienen. Diese im Grunde doppelte Verwandlung spart der norröne Text aus, einen Reflex des „Lichtengels“ bewahrt aber wohl der Ausdruck „biartr ok blíðligr í yfirbragði“, „hell und mild von Aussehen“. 17 Das Auftreten des Teufels in unterschiedlichen Gestalten kommt nicht nur innerhalb der Mirakelliteratur häufig vor. Sein Erscheinen als Lichtengel oder Heiliger ist öfters anzutreffen, hin und wieder nimmt er sogar die Gestalt der Jungfrau Maria an. Menschen von untadeligem, „heiligem“ Lebenswandel können derartige Täuschungen meist durchschauen und den Teufel vertreiben. Vgl. hierzu z.  B. Wagner 1995, 10b und Schmidt 1926, 73 unter Verweis auf Dialogus miraculorum III,14, V,47 und VII, 26.



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Maria fungiert in diesem Mirakel als letzte Instanz, die von den beiden Parteien um einen Schiedsspruch gebeten wird. Sie entscheidet, dass Giraldus weiterleben darf, um seine Sünden zu bereuen. Auch hier fehlt die direkte Verbindung von Giraldus zu Maria; das Mirakel war in seiner ursprünglichen Form ein Jakobus-Wunder, Maria wurde erst sekundär miteinbezogen. Sie erweist sich aber nicht nur als wichtige Fürsprecherin wie in Mirakel 13, sondern als mächtige Beschützerin und gnädige Richterin, die, so kann man interpretieren, den Betrug des Teufels an Giraldus als allzu dreistes Verhalten wertet, mit dem er seine Befugnisse überschreitet. Der Teufel erscheint hier regelrecht als Feind der Menschen, óvinr alls mannkyns, der sie nicht nur zu Fehlverhalten anstachelt, sondern sie mit Betrug und Täuschung in seine Gewalt zu bringen versucht. Zwei weitere Mirakel enthalten ebenfalls noch den Streit zwischen Maria/Engeln und Teufeln. Habgieriger Bauer (Mirakel 21) bietet wenig Neues, weswegen es hier nicht besprochen wird (vgl. MS, 104  f.). In Mirakel 45, Teufel in Gestalt einer Frau (vgl. MS, 134–136), nimmt der Erzfeind, wie im Titel ausgedrückt, das Aussehen einer Frau an und führt so einen in der Wüste lebenden Einsiedler in Versuchung, denn: „Þat öfundaði enn forni fiándi, er siá maðr lifði sva vel líf sitt“ (MS, 135). Stärker als in den bisher besprochenen Mirakeln kommt hier zum Ausdruck, dass der Teufel nicht nur aus einer Laune heraus als Täuscher und Betrüger agiert. Er begegnet hier als der forni fiandi, der alte Feind, der nicht ertragen kann, dass jemand ein gottgefälliges Leben führt. Der Topos vom Neid des Teufels, der hier zur Sprache kommt, lässt sich in mehrfacher Weise erklären. So wird der Sturz Lucifers u.  a. darauf zurückgeführt, dass er sich weigerte, den Menschen als Ebenbild Gottes zu verehren. Er hasst die Menschen, da er sie für den Verlust seiner Stellung verantwortlich macht, ebenso neidet er ihnen ihre Gottesnähe, ihre prinzipielle Erlösbarkeit und Versöhnbarkeit mit Gott, welche ihm selbst kaum zuteilwerden kann (siehe hierzu z.  B. Schmidt 1926, 42–47, 78; Spreitzer 1995, 30–36; Bodendorfer 2000, Sp. 1361  f.; Mahal 2010, 503). Im Mirakel hat der Teufel Erfolg mit seiner List. Der Eremit bricht sein Keuschheitsgelübde, erkennt jedoch sofort danach, dass er von einem Succubus getäuscht wurde – anstelle der Frau sieht er nun den Teufel. Anders als in den übrigen Mirakeln wollen die Dämonen den Überlisteten gleich, quasi mit Leib und Seele, ergreifen, werden aber von Maria daran gehindert. Sie erklärt, die Teufel hätten ihn mit List und Betrug zu der Sünde verleitet, und verweist zusätzlich darauf, dass der Eremit die Frau aus Barmherzigkeit eingelassen habe. Einmal mehr klingt Kritik Mariens am allzu hinterhältigen Verhalten des Widersachers an. Eines echten Schiedsspruches bedarf es nicht, die Teufel verlassen auf Gebot Mariens den Ort. In Mirakel 30, Teufel in Tiergestalt, begegnet der Kampf zwischen Maria und Teufel um die Seele eines Verstorbenen nicht, es kommt aber in anderer Weise zur direkten Konfrontation beider Parteien (vgl. MS, 115–117). Maria muss einen ihr treu ergebenen Mönch, der mit Freunden zu lange gefeiert und getrunken hat – auch dies wiederum ausgelöst durch das Wirken des Teufels –, mehrfach gegen den Teufel verteidigen. Die Gefahr für den Mönch ist hier direkt physischer Natur: Er sieht sich auf dem Weg in

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die Kirche, in der er schlafen will, wie es seiner Aufgabe entspricht, vom Widersacher in Gestalt eines Stieres, eines Hundes und schließlich eines Löwen bedroht. Jedes Mal erscheint Maria und schützt ihn, schließlich bringt sie selbst ihren Diener zu Bett, nicht ohne ihn zu ermahnen, am nächsten Morgen seinen Beichtvater aufzusuchen. Die Tiererscheinungen wirken aus nüchterner, moderner Perspektive wie die Sinnestäuschungen eines nicht mehr vollständig Nüchternen. Der Abschluss, oder viel eher die zweite Hälfte des Mirakels – die Szene, in der Maria den Mönch zu Bett geleitet, ist äußerst ausführlich gestaltet –, lässt sich geradezu als Wunschvorstellung eines eifrigen Marienverehrers interpretieren. Aus mittelalterlicher Sicht aber (und lange bis in die Neuzeit) lag das Auftreten des Teufels in diversen Wesensformen nicht nur im Bereich des Möglichen, sondern des Erwartbaren.18 Die hier vorkommenden Tiere stellen jedenfalls übliche Erscheinungsformen des Widersachers dar.19

Magie und Teufelspakt Drei Mirakel, die den Teufel einbeziehen, überschreiten die bislang vorgefundenen Strukturen und besitzen etwas anderen Charakter als die bisher besprochenen Texte. Das Geschehen ist nicht nur wundersam, sondern erhält durch Magie und Teufelsbeschwörungen zumindest an bestimmten Passagen ein stellenweise düsteres, unheimliches Gepräge. In „Tyrkland“ spielt Mirakel 48, das den Titel Türkischer Kopf trägt (vgl. MS, 140–143). Der König des genannten Landes besitzt eine Tochter, die er seinem besten Gefolgsmann nicht zur Frau geben will. Als sie stirbt, vergeht sich der Mann an deren Leichnam. Wenig später findet man in dem Grab „den Kopf eines lebenden Menschen“ („höfuð lifanda mannz“, MS, 141). Alle sterben, die den Kopf betrachten. Der König macht sich diese „Fähigkeit“ des Kopfes zu Nutze und eignet sich, „studdr diöfuls fulltingi“ (MS, 141), also mit dem Beistand des Teufels, die Länder seiner Feinde an. Deutlicher wird die unheimliche Macht des Kopfes an anderer Stelle auf den Teufel bezogen, wenn es heißt, dass der Teufel die Siege „gaf í höfði þessu“ (MS, 141), die Siege also quasi in den Kopf „hineinlegte“ und durch ihn verlieh. Besiegt wird der König mit seinem „Teufelsheer“ („diöfuls her“ MS, 142) von der (christlichen) Bevölkerung Konstantinopels, die ein Marienbildnis auf die Stadtmauer trägt, um durch die Muttergottes und ihren Sohn von dem „eitrfulla ásiánu deyðanda diöfuls“ (MS, 142), vom „giftvollen Angesicht des tötenden Teufels“, befreit zu werden. – An dieser

18 Siehe zur Allgegenwärtigkeit des Teufels z.  B. Dinzelbacher 1988; Bernt 1997, Sp. 586. 19 Vgl. z.  B. Ott 1997, Sp. 584; Restle 1997, Sp. 585; Bernt 1997, Sp. 586; Riegler 1936/37, Sp. 834  f. Siehe zum Vergleich die Erscheinungsformen des Teufels bei Caesarius von Heisterbach zusammengefasst von Wagner 1995, 11a, ausführlicher bei Schmidt 1926, 50–63. Vgl. für die Ikonographie Gerlach 1970, Sp. 334–336 (Hund); Bloch 1971, Sp. 115  f. (Löwe).



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letzten Stelle wird der Kopf also mit dem des Teufels gleichgesetzt. Die Anleihen bei antiken Mythen (dem Kopf der Medusa) sind kaum zu übersehen, deutlich wird aber die Umdeutung der Vorstellung vom todbringenden Kopf eines Ungeheuers im Sinne der interpretatio christiana: Er muss vom Teufel selbst stammen oder wenigstens von ihm seine unheilvolle Wirkung beziehen. Mirakel 1, Theophilus (vgl. MS, 65–69), behandelt einen Stoff, der schon früh bekannt und lange überliefert und bearbeitet wurde (vgl. etwa Weber 1966, 7–24; Günter 1910, 87). Das darin vorkommende Teufelsbündner-Motiv war natürlich besonders gut dazu geeignet, die Muttergottes als mächtige Beschützerin in aussichtslosen Situationen vor Augen zu führen, auch nach „dieser ärgsten Verfehlung“, die der „Dienstvertrag mit dem Teufel“ (Weber 1966, 22) darstellt. Die altnordische Variante der B-Sammlung versammelt die wesentlichen Elemente, die man für diese Erzählung kennt: Der Priester Theophilus lehnt es ab, Bischof zu werden, bereut dies aber, nachdem er seine Stellung verloren hat. Er bittet einen zauberkundigen Juden um Hilfe. Dieser vermittelt den Pakt mit dem Teufel, der mit einem Brief besiegelt wird, in dem Theophilus Gott und Maria (und allen Heiligen) abschwört. Theophilus kommt wieder zu Ehren, beginnt aber um sein Seelenheil zu fürchten. Mit Hilfe Mariens wird der Pakt rückgängig gemacht. Das Verhalten Theophilusʼ wird sehr klar auf die Ränke des Teufels zurückgeführt. Man sieht den Erzfeind geradezu auf der Lauer liegen, um den Geistlichen zur Fall zu bringen: „En er enn forni fiándi, sá er fyrir slœgðar sakir kallaz enn skœðazti höggormr fullr af eitri illzkunnar hafði lengi öfundat milldiverk þessa mannz ok sat um þat með sinni slœgð, ef hann mætti nökkut skeyti skaðsamligt senda sinnar illzku til andar Theophilo ok fyrirfara hans gœzku“ (MS, 66).20 Ein besonderes Epitheton wird hier verwendet und zugleich erklärt: Aufgrund seines betrügerischen Wesens werde der Teufel auch „skœðazti höggormr fullr af eitri illzkunnar“ („die schädlichste Schlange voller Gift der Schlechtigkeit“) genannt. Einmal mehr wird der Neid des Teufels als Ursache für sein Agieren ausgemacht. Unmittelbar im Anschluss wird der Einfluss des Teufels auf Theophilus noch einmal deutlich hervorgehoben: Als das Ansehen und das Vermögen des Geistlichen praktisch verschwunden sind, beginnt Theophilus, sich selbst zu bemitleiden, „durch die Anstachelung und die Versuchung des Teufels“ („þá tók hann af fiándans áeggian ok freistni at harma siálfan sik“, MS, 66). In einiger Ausführlichkeit wird geschildert, was Theophilus auf der Lichtung im Wald, zu der ihn der Jude nachts führt, zu Gesicht bekommt: Ein Häuptling sitzt auf einem hohen Stuhl, mit einer Krone auf dem Kopf und in königlichem Gewand. Um

20 „Aber als der alte Feind, der wegen seiner List die gefährlichste Schlange voller Gift der Bosheit genannt wird, lange die barmherzigen Werke dieses Mannes beneidet hatte und mit seiner List darauf lauerte, ob er irgendeine schädliche Botschaft seiner Bosheit zu Theophilus schicken und dessen Lauterkeit verderben könne […].“

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ihn herum sieht Theophilus ein Heer unzähliger unreiner Geister, die allerdings das Aussehen von königlichen Rittern haben und von denen einige Kerzen halten („sá Theophilus þar sitia höfðingia þess fólks á háfum stóli í konungs skrúði, ok hafði kórónu á höfði. Þar stóð alla vega hiá stólinum ótalligr herr illgiarnra anda, ok svá búnir sem konungs riddarar, en sumir hélldu kertum“, MS, 66  f.). So deutlich wie in der gesamten Sammlung sonst nie tritt der Teufel hier als Herrscher in Erscheinung, dem auch die Insignien der Macht zu eigen sind, ebenso wie er über ein Gefolge verfügt, das ihm dient. Die Interaktion zwischen Teufel und Theophilus findet vermittelt durch den Juden statt, bis Theophilus den Brief geschrieben hat, in dem er Gott und Maria verleugnet. Nachdem er das Schriftstück versiegelt hat, übergibt er es dem Teufel und küsst diesen auf sein Knie. So anschaulich der Teufel und der Teufelspakt auch beschrieben werden, danach tritt der Widersacher nicht mehr direkt auf. Maria erscheint in diesem Text erst, nachdem Theophilus sie um Beistand gebeten hat. Zu einer direkten Konfrontation Mariens mit dem Teufel kommt es nicht. Im Austausch miteinander müssen beide Seiten dennoch gestanden haben, denn Maria bringt Theophilus das fatale Schriftstück schließlich zurück. Selbst bei diesem ultimativen Vergehen kann die Muttergottes Versöhnung mit Gott bewirken, sofern der Sünder  – und dies tut Theophilus – Reue zeigt. Bei aller Ernsthaftigkeit zeigt der Text gegen Ende doch beinahe humoristische Züge. Die Gottesmutter erscheint ganz menschlich verärgert und tadelt Theophilus, bevor sie ihn ihrer Hilfe versichert. Geradezu dreist wirkt Theophilus, der Maria, nachdem sie ihm abermals erscheint, um seine Versöhnung mit Gott kundzutun, auch noch um die Aushändigung des Schriftstückes bittet, gerade so, als sei das Wort Mariens nicht genug und als wolle er auf Nummer sicher gehen, dass er nach seinem Tod nicht doch noch dem mit dem Dokument ausgestatteten Teufel gegenüberstehen werde. Mirakel 51, Romaldus (vgl. MS, 146–152), handelt von magischen Handlungen zur Teufelsbeschwörung und der Anbetung eines heidnischen Götzen: Der äußerst siegreiche Herzog Romaldus hat offenbar einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, dessen Zustandekommen jedoch, anders als in Theophilus, nicht thematisiert wird. Romaldus beschwört den Teufel, um Schlachtenheil zu erwirken, und begibt sich dazu nachts in den Wald. Dort breitet er die blutige Haut eines Ochsen aus, ritzt mit der Schwertspitze neun „Felder“ („reita“) um die Haut und „weiht“ („magnar“) sie mit „teuflischem Zauber“ („diöfuligum gölldrum“, MS, 148). Das Ritual erinnert entfernt an den Bannkreis, der z.  B. in mehreren Mirakeln bei Caesarius von Heisterbach erwähnt wird: Der Teufel kann den Kreis, der mit einem scharfen Gegenstand gezogen wird, nicht betreten und dem darin Verharrenden nicht schaden (vgl. Schmidt 1926, 113; Dialogus miraculorum V,2, V,3, V,4). Die Beschreibung des Rituals wird nicht direkt vom Erzähler des Mirakels wiedergegeben – mit ihr setzt der Text auch nicht ein –, sondern vom Priester Barbatus, also vermittelt durch einen Diener der Kirche. Dieser wird vom inzwischen nicht mehr siegreichen Romaldus um Hilfe gebeten.



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Diese Brechung nimmt dem magischen Ritual etwas von seinem Schrecken, „zähmt“ es gleichsam. Zudem kann Barbatus, indem er zeigt, dass er von dem Fehlverhalten des Herzogs weiß, ohne der Beschwörung jemals beigewohnt zu haben, seine Überlegenheit und die seines Gottes beweisen. Dass der Teufel den Herzog anscheinend im Stich lässt oder sich, alternativ gedeutet, als zu schwach erweist, vermittelt zudem die Botschaft, dass auf ihn kein Verlass ist. Im weiteren Verlauf wird Romaldus von Barbatus davon überzeugt, sich wieder Gott zuzuwenden. Mit einem Schriftstück „besiegelt“ Romaldus nicht den Teufelspakt wie Theophilus, sondern seinen vorerst wieder gewonnenen christlichen Glauben und damit seine Abkehr vom Teufel. Was mit dem Schriftstück geschieht, nachdem es Maria und anderen Heiligen gezeigt worden ist, kommt nicht zur Sprache, dient aber zumindest in diesem Augenblick als Nachweis der Reue und Buße Romaldusʼ. Weder Buße noch Schriftstück haben einen langfristigen Effekt: Romaldus kann seine Feinde zwar besiegen, wendet sich aber dennoch erneut vom christlichen Glauben ab. In Abwesenheit von Romaldus führt Barbatus, der inzwischen Bischof ist, dessen Frau in ein Haus, wo eine goldene Schlange („höggormr“, „dreki“, MS, 150  f.) auf einem schönen gestalteten Sitz liegt. Barbatus nimmt die Schlange an sich und lässt einen Kelch daraus fertigen. Diesen zeigt er Romaldus und erklärt, woraus der Kelch hergestellt wurde. Romaldus erschrickt, bekennt seine Sünden und wird Mönch. Warum Romaldus sich wieder vom christlichen Glauben abwendet und einen Götzen anbetet, erfährt man nicht. Eindrücklich ist die Schilderung der goldenen Schlange dennoch.  Dass in der Erzählung über Romaldus eigentlich heidnische Bräuche und die Bekehrung eines Heiden zugrunde liegen, deutet sich im Ritual mit der Ochsenhaut an, wird aber im Motiv des Götzen offenbar. Sowohl heidnische Praktiken als auch Götzendienst werden nach der interpretatio christiana mit dem Teufel in Verbindung gebracht und in diesem Mirakel in diesem Sinn umgedeutet.21 Erzähltechnisch bewirkt der (erneute) Abfall Romaldusʼ vom Glauben sowohl eine Verzögerung als auch eine Steigerung: Barbatus wird in der Zwischenzeit auf Anraten der Muttergottes zum Bischof geweiht; er erhält größeren Einfluss und wohl auch größere Einsicht in das Tun des Herzogs. Der Text erzählt also ebenso wie vom wankelmütigen Herzog von einem mit höchster göttlicher Gnade ausgezeichneten Priester – er ist derjenige, dem in diesem Text die eigentlichen Marienwunder zuteilwerden. Anzusprechen ist noch der im ersten Eindruck eigenartige und fast unnötig grausam erscheinende Fluch, mit dem Barbatus einen Gefolgsmann des Herzogs belegt. Dieser will Romaldus davon überzeugen, seine Frau habe dem Priester den Götzen gezeigt und ihn damit verraten. Barbatus entgegnet, der Teufel gebe ihm ein,

21 Die Erzählung besitzt einen historischen Hintergrund: Der heilige Barbatus war von 663 bis 682 Bischof von Benevent und bekehrte vermutlich tatsächlich den langobardischen Herzogs Romualdus, vgl. Paulus Diaconus und die übrigen Geschichtsschreiber der Langobarden, 248–250. Wie sich der Transformationsprozess hin zum Mirakelstoff genau vollzog, kann hier nicht untersucht werden.

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die Frau des Herzogs zu verleumden: „öfundarfullr ok illgiarn andi mælir fyrir munn þér, at þú skylir hrinda hertoga várum í glatan með þér ok þola eigi, at hann snúiz til guðs. Ok fyrir þat skaltu nú vera selldr í hendr diöflinum, ok kveli hann holld þitt, at öndin sé hólpin, ok nökkurr maðr or þinni ætt skal þvílíkum dauða deyia iafnan“ (MS, 152).22 Die Verwünschung, die Barbatus ausspricht, erstreckt sich also nicht nur auf den Gefolgsmann Romaldusʼ: Nicht nur er soll in der Hölle Strafe erleiden, sondern ebenso jeweils eine Person aus den folgenden Generationen seiner Familie. Vielleicht, so könnte man wegen dieser massiven Reaktion Barbatusʼ annehmen, ist der Glaubensabfall Romaldusʼ ebenfalls auf die Einflüsterungen des Mannes zurückzuführen. Nur um wenig gemildert werden die drastischen Worte dadurch, dass die Peinigung durch den Teufel hier dazu dient, um die Seele des Mannes doch noch zu retten; der „Fluch“ wird dem Diener letztlich zum Seelenheil gereichen. Das Mirakel schließt damit, dass Romaldusʼ erneute Umkehr nochmals schriftlich besiegelt wird, diesmal allerdings in wesentlich wertvollerem Material, nämlich in dem aus dem Götzen gefertigten goldenen Kelch. Auch wenn das Motiv der schriftlich festgehaltenen Zuwendung zu Gott bei seinem ersten Vorkommen wenig ausgeformt erscheint, erhält es auf diese Weise eine Wiederaufnahme und eine Steigerung.

Resümee: Der Teufel, eine omnipräsente Figur in den Marienmirakeln? Der Teufel begegnet in den Mirakeln der B-Sammlung in allen wesentlichen bekannten Formen und Funktionen: Im Streit mit Maria um die Seele eines Menschen, als Versucher, der auf der Lauer liegt, um Menschen ins Verderben zu reißen und vor dem es sich zu hüten gilt, genauso aber auch als rechtmäßiger Peiniger der Sünder. Er kann dabei verschiedene Gestalten annehmen und allein oder mit einer Vielzahl Helfer handeln. Der Streit von Maria und/oder Engeln mit dem Teufel wird in mehreren Mirakeln der B-Sammlung in jeweils etwas unterschiedlicher Weise ausgeführt. Die von Ebel proklamierte „Prozessform“ ist damit in ihrer expliziten Weise in einer gewissen Varianz vorhanden. Dies zeugt nicht zuletzt von ihrer guten Eignung, ein Mirakel zu beschließen und den Gläubigen vor Augen zu führen, mit welcher Autorität Maria für deren Belange einzutreten vermag. Am facettenreichsten sind die Vorstellungen und Funktionen des Teufels, die in Romaldus (Mirakel 51) aufscheinen: Er wird durch magische/heidnische Praktiken

22 „Der neidische und boshafte Teufel legt dir diese Worte in den Mund, dass du unseren Herzog mit dir ins Verderben reißen und nicht ertragen willst, dass er sich Gott zuwendet. Und dafür sollst du nun dem Teufel ausgeliefert werden, und er möge dein Fleisch quälen, so dass deine Seele gerettet werde, und aus deinem Geschlecht soll fortan immer irgendein Mann einen solchen Tod sterben.“



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beschworen und im Götzenbild angebetet; er verleiht dem Herzog Sieg und Reichtum; er ist der böse Feind, der dem Gefolgsmann Worte eingibt und ihn dadurch zu Fall bringt. Gleichzeitig ist er auch die Instanz, die rechtmäßig und von Gott geduldet Qualen auferlegt, um die Seele in beinahe paradoxer Weise von den Sünden zu reinigen, zu denen er vorher selbst verführt hat.23 Anders ausgedrückt vermag der Teufel sowohl, einen Menschen ins Verderben zu reißen, als auch, ihn durch die Qualen, denen er ihn aussetzt, wieder zu befreien, sofern dessen böse Taten nicht als zu schwerwiegend bewertet werden. In vielen der vierzehn Mirakel der B-Sammlung, in denen der Teufel erwähnt wird, wird das Wirken des Teufels als Auslöser für das sündige Verhalten der Protagonisten genannt.24 Damit scheint nicht nur das Konzept vom Teufel als Versucher auf, vor dessen Fallstricken man sich überall zu hüten hat, sondern auch die Möglichkeit, die Verantwortlichkeit für Fehlverhalten auf eine Instanz außerhalb der eigenen Persönlichkeit zu projizieren. Statt eine psychologische Motivierung schlechter Taten und Gedanken in Betracht zu ziehen, wird der Teufel als Verursacher bemüht (vgl. Bernt 1997, Sp. 586). Hier einen Automatismus zu vermuten, ginge allerdings zu weit; der Konnex zwischen Wirken des Teufels und Fehlverhalten des Protagonisten wird durchaus nicht in allen Mirakeln, in denen dies potentiell möglich wäre, hergestellt.25 Dort, wo es geschieht, sind vor allem Angehörige des geistlichen Standes, Priester, Mönche, Nonnen oder Eremiten, involviert. Dies lässt sich evtl. als größere Bereitwilligkeit deuten, das Fehlverhalten von Geistlichen auf Täuschungen und Verführungen durch den Teufel zurückzuführen und damit gleichsam zu entschuldigen. Dieses Erklärungsmuster bedeutet dennoch nicht die Entbindung des Protagonisten von jedweder Verantwortung. Zudem sind gewisse Differenzierungen in der Bewertung der Vergehen erkennbar, selbst wenn der Teufel als Anstifter benannt wird: Die schwangere Äbtissin (Mirakel 34) etwa ist sicherlich Angst und Gewissensqualen ausgesetzt, bekommt es aber weder mit Teufeln noch Dämonen zu tun und wird auch sonst nicht bestraft. Das ebenso auf teuflische Anstiftung zurückgeführte Fehlverhalten des Heremannus in Heremannus contractus (Mirakel 49)  – er verführt als Lehrmeister zahlreiche Nonnen – wird offenbar als wesentlich gravierender empfunden. Entspre-

23 Spreitzer (1995, 81) sieht den Teufel als „Agenten dieser Instanzen [= Gottes und der Tugendhelden, I.K.]“, „der als Sprachrohr christlicher Moral herhält und seinen infamen und blutigen Geschäften als göttlich sanktionierter Straf- und Scharfrichter nachgeht“. Sie bezeichnet ihn schließlich sogar als „ambige Personifikation des Bösen und Guten zugleich“. 24 In Theophilus (1), Ertrunkener Sakristan (8), Giraldus der Jakobspilger (14), Teufel in Tiergestalt (30), Schwangere Äbtissin (34) und Heremannus contractus (49) wird das sündige Verhalten der Protagonisten auf den Teufel zurückgeführt. In Stephanus erleidet Schiffbruch (17) wird der Teufel ebenfalls als Auslöser von Versuchungen bezeichnet, Stephanus fällt aber nicht in Sünde. 25 Möglichkeit dazu bestände z.  B. noch in Ebbo der Dieb (12), Zwei Brüder in Rom (20), Drei Ritter (23) oder auch Totem Kleriker wächst Lilie aus dem Mund (50).

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chend streng wird er bestraft. Die strafende Instanz ist dabei wohl nicht der Teufel, es sei denn, man möchte den Bären, der Heremannus schwer verletzt, als weitere von dessen Epiphanien betrachten.26 Diese Deutung wird im Text aber nicht ausgesprochen. Der Bär handelt offensichtlich im Auftrag der göttlichen Macht, ist ihr also dienstbar. Maria selbst tritt zusätzlich als Strafende auf: Nach Aussage einiger Leute erscheinen drei Frauen, von denen eine (Maria) den anderen die Anweisung gibt, Heremannus mit Stöcken zu schlagen. Später erscheint sie erneut, im Text nun als Mutter der Barmherzigkeit („móðir miskunnar“, MS, 144) bezeichnet, und heilt ihn. Spuren der Verletzung sind jedoch an seinem Körper für immer zu sehen (daher auch der Beiname „contractus“). Wie anfangs angesprochen, handelt es sich bei den altnordischen Marienmirakeln im überwiegenden Fall um aus dem Lateinischen übersetzte Texte. Es ist davon auszugehen, dass auch die Mirakel der B-Sammlung größtenteils auf lateinische Vorlagen zurückzuführen sind.27 Ebenso ist davon auszugehen, dass es sich um relativ genaue Übersetzungen handelt, der Übersetzer also keine großen inhaltlichen Veränderungen gegenüber der Quelle vorgenommen hat.28 Das Auftreten des Teufels in den einzelnen Mirakeln der B-Sammlung wird daher vermutlich im Wesentlichen mit dem in den Ausgangstexten übereinstimmen und keine norröne Neugestaltung darstellen. Auf der Ebene der Sammlung allerdings könnte eine eigenständige Art der Zusammenstellung vorliegen. Es gibt keine lateinische Sammlung, die auch nur einem der Vertreter der B-Sammlung genau entspricht. Wo genau die B-Sammlung ihre Wurzeln hat und wie sie in der ursprünglichen (lateinischen?) Fassung ausgesehen hat, bleibt unklar (wenn man überhaupt von einer „Urfassung“ ausgehen möchte). Widding (1996, 11  f.) ist einerseits darin zuzustimmen, dass bestimmte Mirakel weniger gut in die Sammlung zu passen scheinen. Hierzu zählt er u.  a. Türkischer Kopf (Mirakel 48), Heremannus contractus (Mirakel 49) und Romaldus (Mirakel 51). Andererseits entstanden auch lateinische Sammlungen aus kleineren „Keimzellen“ und unterlagen ständiger Veränderung und/oder Erweiterung.29 Wann genau die weniger konform wirkenden Mirakel der Sammlung einverleibt wurden, lässt sich daher kaum eruieren.

26 Den Teufel als Bären erwähnt z.  B. auch Ott 1997, Sp. 584, in ikonographischer Hinsicht WehrhahnStauch 1968, Sp. 242  f. 27 Ausnahmen bilden lediglich die letzten drei Mirakel in AM 234 fol, die isländischen Ursprungs sind. 28 Vgl. zu ausgewählten Mirakeln der B-Sammlung im Verhältnis zu lateinischen Paralleltexten Kupferschmied 2017, Bd. 1, 208–277; siehe auch Widding 1996, 5–13. 29 Die Beziehungen zwischen den einzelnen Handschriften, die Marienmirakelsammlungen enthalten, sind nicht nur im norrönen Bereich, sondern auch in der lateinischen Tradition sehr unübersichtlich. Auch bei den lateinischen Handschriften stimmt praktisch keine mit einer anderen überein, so dass von einem fortwährenden Veränderungsprozess ausgegangen werden muss. Grundlegend für die Erfassung v.  a. der lateinischen Sammlungen sind die Studien von Adolph Mussafia 1886, 1888, 1889, 1891, 1898.



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Theophilus (Mirakel 1), ein Text, der u.  a. wegen seiner Länge ebenfalls ein wenig aus dem Rahmen der B-Sammlung fällt, eröffnet wohl nicht zufällig die Sammlung in zwei der drei vollständigen Vertreter, AM 232 fol und AM 234 fol, ebenso auch im ältesten Fragment.30 Für dessen Anfangsstellung bescheinigt Widding (1996, 6) eine gewisse Tradition. Romaldus (Mirakel 51) hingegen bildet den Abschluss in AM 232 fol und zwei weiteren Fragmenten.31 – In AM 234 fol folgen nach 51 noch fünf Mirakel, die sicher als spätere Ergänzungen aufzufassen sind (vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 1, 212  f.). – Wann auch immer Romaldus in die Sammlung aufgenommen wurde, in den bestehenden Zeugnissen der B-Sammlung zeichnet sich für die Endstellung dieses Textes also eine gewisse Tradition ab.32 Dies ist durchaus bemerkenswert, da dieses Mirakel in lateinischen Handschriften nach bisherigen Erkenntnissen so gut wie keine Rolle spielt (ebenso wenig wie auch Türkischer Kopf, Mirakel 48). Die Sammlung mit Theophilus und Romaldus, und damit mit Teufelspakt und -beschwörung zu beginnen resp. zu beenden, lässt sich also durchaus als Eigenheit der B-Sammlung auffassen und bildet möglicherweise eine norröne Entwicklung. Durch die exponierte Stellung dieser beiden recht speziellen Mirakel wird dem Teufel in der Sammlung natürlich Aufmerksamkeit zuteil. Es lässt sich dennoch nicht konstatieren, dass die Marienmirakel nicht auch ohne ihn auskämen oder generell nur über das stete Aufeinandertreffen von guten und bösen Kräften funktionierten. An sich darf die Rolle, die der Teufel in der B-Sammlung spielt, nicht überbewertet werden: Wenn von 56 (in AM 234 fol) bzw. 50 Mirakeln (in AM 232 fol) 14 den Widersacher erwähnen, stellt dies keinen besonders hohen Anteil an der Gesamtzahl der Erzählungen dar.33 Wenn der Teufel darüber hinaus in einigen der Mirakel eben lediglich als Verursacher sündigen Verhaltens genannt wird (Schwangere Äbtissin, Mirakel 34, Heremannus contractus, Mirakel 49), als Auslöser einer Art Besessenheit in Murieldis (Mirakel 26) oder als strafende Instanz, die einen Juden, der ein Marien­ bild beschmutzt (Marienbild entehrt, Mirakel 43), mit sich in die Hölle reißt, zeugt dies zwar generell vom bestehenden Bewusstsein, dass der Erzfeind für derlei Dinge

30 Es handelt sich um NRA 78, vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 1, 223–227. 31 Es handelt sich um AM 240 XI fol und AM 656 I 4to, vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 1, 214–223. 32 Handschrift AM 633 4to setzt diesen Text unmittelbar vor Theophilus und stellt damit die beiden thematisch durch das Teufelsbündner-/Teufelspakt-Motiv verwandten Texte zusammen. Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass die Vorlage von AM 633 4to auf eine Sammlung zurückgeht, die der von AM 232 fol ähnlich gewesen ist, also deren Reihenfolge aufgewiesen hat (vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 1, 211  f.). 33 In Handschrift AM 633 4to kommt der Teufel in einem Drittel der Mirakel vor (in 10 von 30). Seine Präsenz ist damit etwas auffälliger. Zugleich fehlen aber auch einige Mirakel, in denen er in relativ markanter Weise vor Augen tritt: Mönch von Köln und Giraldus der Jakobspilger, in denen der Streit Mariens mit dem Teufel vorkommt, oder auch die relativ spezielle Erzählung vom Türkischen Kopf sind ausgelassen, darüber hinaus noch Marienbild entehrt.

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verantwortlich gemacht werden kann. Diese Erwähnungen bleiben jedoch mehr oder weniger toposartig. Sie rufen das Bild vom Teufel auf, lassen es aber nicht besonders eindrücklich werden. Die Mirakel, in denen er als handelnde Figur auftritt, sind hingegen durchaus dazu angetan, Eindruck zu hinterlassen, und es ist nicht unangemessen, anzunehmen, dass diese Erzählungen den Rezipienten besonders gut im Gedächtnis blieben. Der Schrecken, den er auslöst und die Macht, die Maria im Widerstreit mit ihm demonstrieren kann, wird stärker gewirkt haben als manch andere Begebenheit aus den Mirakelerzählungen. Der Teufel ist in der B-Sammlung damit als wichtige Figur „anwesend“, allgegenwärtig ist er jedoch nicht.

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Die Fiktion der Eindeutigkeit – Planung und Zufall in der Óláfs saga helga Wenn einer tut, was er will, indem er kann, was er will, so ergibt das keine Geschichte, die wir als passierte Geschichte erzählen würden. (Lübbe 1978, 237)

Abstract: Twelfth-century Europe witnessed a fundamental shift in human understanding of the world: the natural conditions of historical development became intelligible through human inquiry. At about the same time, the intensified reception of Aristotelian writings incited heated theological debate about the contingent state of God’s creation. The Europe-wide emergence of literature at that time is hardly a coincidence. Neither is it far-fetched to assume that the experience of social and political disruption in thirteenth-century Iceland aroused the feeling that things could easily be otherwise. It is against this background that the present paper introduces a case study about Óláfs saga helga. It argues for a concept of historical development in Heimskringla which builds upon random occurences in close relation to human planning. The argument aims at increasing our insight into narratological traits of Old Icelandic historiography and at deepening our understanding of intellectual attitudes in thirteenth-century Iceland.

Eine literarische Gesellschaft – Vorbemerkung „Daß jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die Dauer nicht allein das Schreiben, sondern auch das Denken. Einst war der Geist Gott, dann wurde er zum Menschen, und jetzt wird er gar noch Pöbel“  – Zarathustras Kommentar zum „Lesen und Schrei­ben“ wurde als Abgesang auf das Verhältnis von Dichter, Erzähler und Publikum gewertet, als Irritation narratologischer Ordnungskategorien. In ihm wird indes zugleich eine fundamentale Eigenart von Erzählung greifbar: ihre Macht über den menschlichen Geist, ihr suggestiver Charakter, der unwiderruflich das mensch­ liche Glauben und Denken formt. Anders gesagt: Literatur, im Sinne verschriftlichter Erzählung, ist Kommunikationsakt, „a catalyst for critical thinking, for exercising our brain, for imagining alternative models of human existence, and for reflecting on the fundamental discrepancies in our lives“ (Classen 2016, 5). Doch gehört es zu den „Spielregeln der Schriftkultur, daß die Absender ihre wirklichen Empfänger nicht

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vorhersehen können. […] Die Schrift lanciert eine Verführung in die Ferne“ – eine literarische Gesellschaft würde gründen im „Traum von der schicksalhaften Solidarität derer, die dazu auserwählt sind, lesen zu können“ (Sloterdijk 2014, 8  ff.). Konstituiert Erzählung Gesellschaft, dann etabliert sich die Kontrolle von Textkultur als Moment politischer Machtausübung und fördert eine elitäre „Sekten- oder Club-Phantasie“ (ibid., 10). Und wie immer in exklusiven Kreisen geht es  – im Sinne eines intellektuellen Stolzes und stolzen Intellekts  – auch darum, sich gegenüber anderen Mitgliedern auszuzeichnen: „As a given text introduced ever-more-subtle innovations to its version of the story, the fewer and more select would be the number of those who could recognise these shifts and understand their import“ (Lincoln 2014, 4). Der Geist, der einst im Gottesglauben verankert war, so könnten wir Zarathustra von hier aus auch verstehen, wurde im Akt des Dichtens und des Rezipierens des Erdichteten menschlich – aber man wird ihn keinesfalls jedem Zeitgenossen zugestehen wollen. Diese Überlegung gewinnt für den vorliegenden Beitrag an Relevanz, bedenkt man, dass das mittelalterliche Island keine Hierarchie kannte, die den Strukturen des Kontinents unmittelbar vergleichbar gewesen wäre. Von einer egalitären Gesellschaft wird man nicht sprechen dürfen. Wohl aber deuten die Zahl erhaltener Manuskripte und das Spektrum an Texten an, dass in dieser kleinen Bevölkerung literarische Produktion in besonderem Maße gesellschaftlich verankert und politisch bedeutsam war (vgl. Heizmann 2012). Wird das 12. Jahrhundert als intellektuelle Umbruchszeit anerkannt – „the twelfth century desacrilizes nature, proclaiming both the intelligibility of the natural world and the efficacy of human inquiry“ (Gross 2005, 90)  –,1 dann kann man den nordeuropäischen Raum angesichts dokumentierter Kontakte mit dem Kontinent nicht ausklammern. Rudolf Simek betonte vielmehr „the very high standard of Icelandic natural science by the end of the twelfth century and the first half of the thirteenth century, which knew nearly all the continental scholars of any stature“ (Krebs/Simek 1991, 304). Unlängst bemerkte auch Gunnar Harðarson, die isländische Gelehrtenkultur sei bereits im 12. Jahrhundert geprägt gewesen durch „a class of intellectuals whose education could find expression equally in religious and secular matters, in liturgy as well as in the court of law, in the saint’s hagiography as well as the king’s saga“ (Gunnar Harðarson 2016, 39). Altisländische Annalen verzeichnen ab jener Zeit nicht zufällig einen intensivierten Austausch mit kontinentalen Zentren, in denen die Idee der Universität Gestalt annahm (vgl. Johnsen 1951) (vgl. Johnsen 1951; Bagge 1984). Das Schlagwort ‚Kulturkontakt‘ hat unter den Bedingungen des frühen 21. Jahrhunderts Konjunktur. Nicht zuletzt das gepflegte Desinteresse an einem grundlegenden Austausch zwischen Altnordistik und Altgermanistik (vgl. van Nahl 2013b) scheint aber befördert zu haben, dass die nordeuropäische schriftliterarische Überlieferung befremdlich oft zu einem Sondergut stilisiert wird. Das betrifft auch den

1 Für einen ersten Überblick zur vielschichtigen Debatte vgl. Flasch 2013, 210–418.



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Einfluss kontinentaler philosophisch-theologischer Diskurse. Nach Anthony Faulkes’ Absage an die Kenntnis aristotelischer Konzepte in Island – „no likelihood that Aristotle was available in Iceland in the thirteenth century“ (Faulkes 1993, 64) – schwand überhaupt das Interesse an solchem Diskurs im altisländischen Schrifttum. Dies ungeachtet des Einwandes, gerade das 12. Jahrhundert sei in Island „the age of the lost works“ (Ármann Jakobsson 2012, 7) gewesen. Es stellt sich jedenfalls die Frage, weshalb mittelalterliche skandinavische Gelehrte (oder Skandinavier generell, einschließlich Isländer) weniger an existenziellen Fragen interessiert gewesen sein sollten als ihre kontinentalen Zeitgenossen. Intellektuelle Anreize – darunter der Kontakt zur islamischen Wissenschaft2 – waren vorhanden. Gelehrte wie Adelard von Bath († 1152) oder William von Conches († nach 1154)  – „extensively used by the Icelandic compilators, but never mentioned anywhere“ (Krebs/Simek 1991, 305) – bezeugen, dass Weltordnung ab dem 12. Jahrhundert zunehmend verstanden wurde als „a complicated and semiautonomous chain of secondary causes that depended distantly, but only distantly, on the First Cause, God“ (Daston/Park 1998, 110). Vor allem denke man an den Streit um die neu übertragenen Schriften des Aristoteles in Paris um 1210 (zu einer Zeit, als Paris Ausbildungszentrum der skandinavischen geistlichen Elite war), Auslöser von „one of the most dramatic reversals in European intellectual history“ (Bartlett 2008, 30). 1215 wurde das Pariser Aristoteles-Verbot im Auftrag von Innozenz III. (dem Initiator des 4. Laterankonzils, an dem u.  a. der neue Erzbischof von Nidaros und Berater des norwegischen Königs, Guttorm, teilnahm) nochmals bekräftigt; 1277 wurde schließlich Aristoteles’ Argumentation gegen die Möglichkeit der Existenz einer anderen Welt als der bestehenden verdammt, schränke sie doch Gottes Allmacht ein (vgl. Schulthess 2010, 73  ff.) – die intensivierte Aristoteles-Rezeption der Hochscholastik ließ den Aristotelismus zum „ernsten theologischen Problem“ (Knapp 2011, 109) werden. Es ist dieses Milieu sowohl des „philosophischen Rationalismus“ und des „szientifischen Autonomiebestrebens“ (Hödl 2003, 949) als auch der „schöpfungstheologische[n] Neuorientierung“ (Schulthess 2010, 78), in das skandinavische Gelehrte ab dem frühen 13. Jahrhundert hineinstoßen. Und wenn wir in Annalen von anschließenden Treffen dieser Gelehrten mit anderen hochrangigen Skandinaviern lesen – stefnt hófþingivm af Íslandi á fvnd Gvthorms erki byskups (Islandske Annaler 1888, 185), ‚Oberhäupter aus Island zu einem Treffen des Erzbischofs Guttorm einberufen‘ –, dann wäre es fast verwegen anzunehmen, die revolutionären Streitfragen des Kontinents hätten den Norden unberührt gelassen. Sollten sie nicht vielmehr auch dort zu jenen „ever-moresubtle innovations“ zählen, durch deren Kenntnis eine Auszeichnung gegenüber Zeitgenossen möglich war? Die folgenden Überlegungen gehen skizzenhaft einer Spur nach.

2 Christian Etheridge hielt jüngst fest: „Islamic scientific knowledge translated from Arabic came to Iceland at a surprisingly early date […] – at the end of the eleventh century“ (2015, 70).

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Prekärer Sinn – Theoretische Überlegungen Jesse Byock notierte vor 30 Jahren, der archäologische Befund würde eine Erschütterung der isländischen Gesellschaft im 13. Jahrhundert, im Sturlungenzeitalter, nicht stützen (vgl. Byock 1986). Belegt andererseits die altisländische Literatur dieser Zeit ein Interesse an Krisen und deren (scheiternder) Bewältigung, so wird der historiographische Maßstab in Frage gestellt. Es deutet sich darin indes jenes Potenzial der Bewusstseinsbildung durch Literatur an. Die narratologische Formulierung dieser Leistungsfähigkeit lässt sich in der westlichen Welt zu Aristoteles zurückverfolgen: Eine gute Erzählung sei das Resultat kausallogischer Verknüpfungen; sie bedürfe aber auch des selbstbewussten Dichters, der Ereignisse erzählerisch so zu handhaben verstünde, dass das Publikum zu eigenen Schlüssen stimuliert würde. So nutzt Aristoteles um 335 v. Chr. in seiner Poetik den fatalen Sturz der Königsstatue auf den Königsmörder als Beispiel für ein zufälliges Zusammentreffen zweier Ereignisse, das indes durch die Erzählstruktur – nach dem Mord wird unmittelbar der Unfall geschildert – zum Nachdenken über Zusammenhänge anregen müsse – denn, so Aristoteles, „solche Dinge scheinen sich ja nicht blindlings zu ereignen“. Rund 400 Jahre später greift Plutarch die Episode wieder auf, deutet sie aber als Gottes unmittelbaren Eingriff in den Lauf der Geschichte radikal anders. Boethius sollte dann noch einmal rund vier Jahrhunderte später mit dem Terminus contingens (übernommen von Marius Victorinus) einen ambigen Begriff für unterschiedliche Konzepte von Notwendigkeit, Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit etablieren, dem für das Mittelalter „ein großes Konfliktpotential inhärent“ (Schulthess 2010, 67) war.3 Kontingenz, so ein Vorwurf, sei heute „zu einem geistes-, literatur- und kulturwissenschaftlichen Modeterminus avanciert“ (Dillmann 2011, 2). Dem wurde scharf widersprochen: „Die theoretische Auseinandersetzung mit dem Kontingenzbegriff ist nicht modisch, sondern notwendig“ (Hoffmann 2012, 49). Umso mehr, wenn Kontingenz „zum bedrohlichen Anderen einer ‚heroischen‘ Politik“ wird, in der „Vertrauen und Legitimität aus der Fiktion der Eindeutigkeit und Alternativenlosigkeit resultieren“ (Toens/Willems 2012, 12). Geht es um kausal motiviertes Handeln, dann steht jene Dimension menschlicher Handlungsorientierung zur Debatte, in der es darum geht, Handlungsabsichten so zu hegen, dass sie nachfolgend nicht ad absurdum geführt werden (vgl. Rüsen 1983, 50  f.). Kontingenz ist dann zu verstehen als Handlungsraum offener Möglichkeiten, das „Reich des Zufalls“ (von Arnauld 2003, 171), wobei erst diese Offenheit autonomes menschliches Handeln begründbar macht. Damit wird keiner starren Konfrontation von Kontingenz als Handlungshemmnis und Handeln als Kontingenzbewältigung das Wort geredet, wohl aber vorausgesetzt, dass die Erfahrung von Kontingenz „vom menschlichen Geist beantwortet werden muß“ (Rüsen 2001, 149) – „Sinn bleibt prekär“ (ibid., 41).

3 Zur komplexen bis diffusen Ideen- und Begriffsgeschichte vgl. vor allem Vogt 2011.



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Die Einsicht, dass man sich „menschliches Leben ohne eine solche Erfahrung beunruhigender oder gar zerstörender zeitlicher Veränderungen, die quer zu den Hoffnungen, Erwartungen und Absichten geschehen, nicht denken“ (ibid., 150) kann, ist in der Altnordistik, auch narratologisch, meines Wissens nie näher diskutiert worden (vgl. van Nahl 2017). Der Gemeinplatz einer ‚Entdeckung‘ von Kontingenz erst in der Renaissance, der bisweilen die mediävistische Debatte zu ersticken drohte, wird mittlerweile aber verstärkt in Frage gestellt (vgl. Reichlin 2010). Im Gegenteil postulierte Richard Utz unlängst für das späte Mittelalter gar eine „central mood of contingency“ (2007, 126). Konsequent hat die Altgermanistik herausgearbeitet, dass bereits für mittelalterliche Literatur ein „breites Spektrum an Kontingenzdarstellungen und verhandelten Kontingenzkonzeptionen“ (Reichlin 2010, 46) charakteristisch ist – sei es nun Kontingenz des Erzählens oder im Erzählen –, und aus anglistischer Sicht wurde der Zufall jüngst gar zum „cornerstone in a theory of the world-modelling functions of narration“ (Wolf 2008, 205) erklärt. Aus altnordistischer Perspektive beträfe dies aber auch die Frage nach dem Verhältnis von im Sturlungenzeitalter literarisch stilisierten Krisen und deren tatsächlicher Existenz. Vielleicht war Literatur in dieser kleinen Gesellschaft gar nicht allein eine Reaktion auf Unruhen: Die Ambiguisierung4 narrativer Ordnungen mag vielmehr deren Anstoß gewesen sein (vgl. van Nahl 2017), erlaubte doch eine zunehmend selbstbewusste Literatur (vgl. van Nahl 2015), Ordnungsmuster in Frage zu stellen und Alternativwelten (vgl. Utz 2007) durchzuspielen. Der Fragenkomplex steht in seiner Bearbeitung am Anfang. Die folgenden Beobachtungen sollen einen Beitrag leisten, den theoretischen Rahmen langsam zu füllen.

Emundr von Skara – Eine Fallstudie Vor der Prämisse, dass historische Erinnerungen und narrative Sinnbildungsleistungen erst durch die „Erfahrung eines Zeitbruchs“ und „Kontinuitätseinbruchs in Lebensordnungen“ aktiviert werden (Rüsen 2001, 79), erscheinen die altisländischen Königssagas mit ihrem Fokus auf geschichtlichen und politischen Entwicklungen des mittelalterlichen Skandinaviens als besonders interessantes Corpus (vgl. van Nahl 2016). Interessant deshalb, weil in der Forschung wiederholt für Subtexte in diesen Erzählungen argumentiert worden ist, über die subtile Spielregeln5 solcher Entwick-

4 Konzepte von Ambiguität in mittelalterlicher Literatur wurden jüngst in einem Greifswalder Tagungsband bedacht (vgl. Auge/Witthöft 2016). Mit Blick auf altisländische Literatur sprach zuletzt Birgit Sawyer von Snorri Sturlusons „art of ambiguity“ (Sawyer 2015, 146). 5 Ich fasse den Begriff hier mit Müller 1998, S. 48: „‚Spielregeln‘ meinen kein für alle Male festgelegtes Inventar, sondern einen Rahmen der Ermöglichung, der Bestimmtes zuläßt und Bestimmtes ausschließt, eben Regeln für ein Geschehen, das ein weites, gleichwohl begrenztes Repertoire von Optionen offenläßt. Insgesamt schließen sie sich zu einem (fiktiven) anthropologischen Kontext

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lung erörtert worden seien. Diese Debatte hat wichtige Aspekte altnordischer Historiographie herausgearbeitet: Ein „Rationalismus und Realismus“ wurde betont, ein „Prinzip der Wahrscheinlichkeit“ und „Prinzip des Realen und Empirischen“, das kennzeichnend sei für das Bestreben, „so viel wie möglich aus den natürlichen Bedingungen menschlichen Verhaltens zu erklären“ (Bandle 1992, 38 und 46). Schon siebzig Jahre früher gab Gustav Cederschiöld die Richtung vor mit der Bemerkung, gerade in der Heimskringla, der umfangreichsten mittelalterlichen Sammlung an Königssagas, zeige sich die Tendenz, „att sätta händelserna i naturligt orsakssammanhang“, ‚die Geschehnisse in einen natürlichen Ursachenzusammenhang zu setzen‘ (Cederschiöld 1922, 9). Auch Sverre Bagge notierte „aspects of events which men cannot control and which modern historians explain by chance or structural conditions“ (Bagge 1991, 219). Vésteinn Ólason resümierte unlängst: „Kongene er individer som har forskjellige egenskaper, og disse egenskapene, i samspill med omstendighetene, gjør at deres skjebner blir forskjellige“, ‚die Könige sind Individuen, die verschiedene Eigenschaften haben, und diese Attribute, im Zusammenspiel mit den äußeren Umständen, bedingen, dass ihre Schicksale sich unterscheiden‘ (Vésteinn Ólason 2008, 36). Diese sich über einen Zeitraum von fast einem Jahrhundert erstreckenden Forschungsansichten werden geeint durch ihre Voraussetzung von Rahmenbedingungen menschlichen Handelns. Macht man sich bewusst, dass damit theoretisch nach dem Verhältnis von Handeln und Erleiden in ihrer Relation zu zeitlichem Wandel gefragt ist, dann lässt sich die Relevanz solcher Bedingungen für unsere Bewertung altnordischer Historiographie schwerlich überschätzen. Befremdlicherweise ist die Diskussion aber über den diffusen Gemeinplatz der ‚externen Bedingungen‘ nie hinausgekommen; allenfalls wurde auf ein ambiges Konzept von Glück (hamingja) rekurriert (vgl. Beck 1999). Dabei ist augenfällig, dass die geschilderten Handlungsabsichten der Protagonisten und das nachfolgende Geschehen oft auseinanderklaffen, dass viele vermeintlich wohldurchdachte Unternehmungen scheitern oder Pläne ins Gegenteil umschlagen, und dass damit der Sinn menschlicher Planung (zumindest temporär) überhaupt in Zweifel gezogen wird. Eine Episode aus der Óláfs saga helga mag die umrissene These für weitere Diskussion fruchtbar machen; behandelt werden kann hier allein die HeimskringlaFassung,6 zu der Jón Torfason einmal nüchtern bemerkte: „Ólafs saga Snorra Sturlu­ sonar er margþætt og hana má túlka á ýmsa vegu“, ‚Snorri Sturlusons Óláfs saga ist komplex und kann in verschiedener Weise gedeutet werden‘ (Jón Torfason 1992, 170). Zu den zentralen Themen, die in dieser umfangreichsten Königssaga verhandelt werden, gehört die latente Auseinandersetzung zwischen Norwegen und Schweden,

zusammen. Er bildet kein geschlossenes Ganzes. […] In dem, was als geltend unterstellt ist, muß mitgelesen werden, was implizit oder explizit ausgeschlossen oder als ungültig gelöscht wird.“ 6 Zitate nach Bjarni Aðalbjarnasons Ausgabe.



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zum Konflikt zweier Könige stilisiert. Nicht allein durch ihre Namensgleichheit  – Gegenspieler des norwegischen Königs Óláfr Haraldsson ist der Schwedenkönig Óláfr Eiríksson –, sondern auch durch die Porträtierung beider Regenten als rechtschaffene und rechtskundige Christen begegnen sich die Kontrahenten auf Augenhöhe; es geht um die Verhandlung weltlicher Macht und, noch pragmatischer, um einen geregelten Marktverkehr zwischen den Ländern (kaupfriðr milli landa, Kap.  67). An Intensität gewinnt die angespannten Situation durch die wiederholten (und letztlich erfolgreichen) Versuche Óláfr Haraldssons, eine der Töchter seines Erzfeindes zu heiraten. Einen Einschnitt stellt angesichts dieses Konflikts der schließlich ausgehandelte Friede dar. Kapitel 94 fokussiert Emundr von Skara, der als Vermittler fungieren soll. Emundr ist manna vitrastr og orðsnjallastr, der weiseste und wortgewandteste der Männer, erfüllt also die formalen Kriterien eines Beraters, doch man nannte ihn auch einen undirhyggjumaðr og meðallagi trúr, einen hinterhältigen, nur bedingt zuverlässigen Mann – eine ambivalente Persönlichkeit, deren Funktion in den Verhandlungen als uneindeutig markiert ist. Emundr willigt ein, dem Schwedenkönig die Zweifel der Götländer, schwankend zwischen dem schwedischen und norwegischen Herrscher, vorzutragen. In Uppsala tritt er vor den König und beginnt, Geschichten zu erzählen. Zunächst die Geschichte vom Pelzjäger Atti, der sich nach einer erfolgreichen Jagd durch ein Eichhörnchen derart aus der Ruhe bringen lässt, dass er alle Pelze verliert. Dann die Geschichte vom kriegerischen Gauti, der mit fünf Kriegsschiffen fünf dänische Handelsschiffe angegriffen habe: Ohne Verluste hätten sie vier Schiffe gekapert, aber das fünfte sei auf offene See entkommen, wo die Verfolgung aufgegeben werden musste; ein Sturm habe schließlich zu Gautis verlustreichem Schiffbruch geführt. Schließlich entwickelt Emundr, unter Verweis auf eine vertrackte Gesetzeslage, eine dritte Erzählung, in der er von zwei sich streitenden Männern spricht, deren Vergleich ungerecht zugunsten des Mächtigeren ausgefallen sei. Der gesetzeskundige Schwedenkönig spricht spontan Recht zugunsten des Geschädigten. Am folgenden Tag jedoch ruft er seine Berater zusammen, und rasch wird deutlich, dass Emundrs Erzählungen auf den Streit zwischen Norwegen und Schweden zielten. Die Weisen7 raten dem König, sofort zu seinem Volk zu sprechen – die Zeit, so betonen sie, sei noch zu kurz gewesen (stund hefir skǫmm verið), als dass das Volk seinen wachsenden Unmut hätte organisieren können. Beim Zusammentreffen ist die Lage indes bereits aussichtslos (þá sá hann í hvert óefni komið var, ‚da sah er, wie schwierig die Situation geworden war‘). Man einigt sich, einen von Óláfr Eiríkssons Söhnen zum neuen König zu ernennen, jedoch nicht ohne dass Emundr Zweifel ob der Nachhaltigkeit dieser Wahl sät. Das Kapitel schließt mit der kurzen Erzählung, es habe noch einen Grenzbesitz gegeben, dessen Zugehörigkeit ungewiss gewesen sei. Die Könige beschließen,

7 Es wäre einer eigenen Untersuchung wert, die herausgestellte Behinderung der engsten Berater – der erste ist blind, der zweite stammelt, der dritte ist taub – in einen kulturgeschichtlichen Kontext einzuordnen.

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das Würfelglück entscheiden zu lassen. Und nachdem sie anfangs gleichziehen, zerbricht schließlich ein Würfel Óláfr Haraldssons, sodass er die höhere Augenzahl erzielt. Die Könige scheiden in Frieden. Die Episode ist im größeren Erzählrahmen zu lesen, der hier nur ansatzweise skizziert werden konnte. Bemerkenswert ist aber zweierlei: erstens die explizite Ermahnung der Königsberater, in den Erzählungen Emundrs nach einer subtilen Botschaft zu suchen: þér munuð þat hugsat hafa, ef þat kom til annars en hann mælti, ‚du wirst dich gefragt haben, ob das [d.  i. Emundrs Erzählungen] nicht doch auf etwas anderes zielte als das, was er [d.  i. Emundr] sagte‘  – es ist nicht überstrapaziert, diese Aufforderung auf die Leserschaft der Saga überhaupt auszuweiten. Zweitens ist auffällig, welch großes Gewicht auf die Darstellung pragmatischen Handelns gelegt wird. Emundr zählt zwar zu den mächtigsten und klügsten Männern, gleichwohl wartet er die Beurteilung der Lage durch die Götländer selbst ab (þá áttu Gautar þing sín í milli, ‚da hielten die Götländer eine eigene Versammlungen ab‘). Bevor er den König erreicht, berät er sich mehrfach mit anderen klugen Männern (hann átti þar tal við ina vitrustu menn um þetta vandamæli, ‚er besprach dieses Problem mit den weisesten Männer‘). Der rechtskundige Schwedenkönig wiederum ruft, nachdem er eine Nacht darüber geschlafen hat, seine Weisen zusammen, um die Botschaft richtig zu deuten (er hann var klæddr, lét hann kalla til sín spekinga sína, ‚als er angekleidet war, ließ er seine Weisen zu sich rufen‘); ausdrücklich wird dabei erneut seine Gesetzestreue betont: konungi líkaði illa, ef dómum var hallat frá réttu, ‚dem König missfiel es, wenn Urteile sich vom Recht entfernten‘. Schließlich handelt er nach dem Rat seiner engsten Vertrauten: konungr segir, at hann vill þetta ráð þekkjask, ‚der König sagt, er wolle diesem Rat folgen‘. Zum Zeitpunkt der folgenden Zusammenkunft blickt das Volk auf mehrtägige Beratung zurück (bœndr áttu þing dag og nótt, ‚die Bauer hielten Tag und Nacht Versammlungen ab‘), und auch Emundr wird wieder um Rat gefragt: spyrr þá Freyviðr Emund: hverja ætlan hafið þér um þat, ‚da fragt Freyviðr [d.  i. einer der Königsberater] Emundr: welche Meinung hast du dazu‘. Evident wird in dieser konzentrierten Abfolge von Besprechungen der Wille, den zunehmend die Ordnung gefährdenden Streit zwischen den Konfliktparteien zu schlichten und einen tragfähigen Konsens zu erzielen. Sämtliche Protagonisten vertrauen nicht auf irgendeine schicksalshafte Fügung zur Klärung des weiteren Geschehens, sondern werden pragmatisch aktiv: Sie bestimmen Vermittler, sie beraten sich und sie nehmen sich Zeit für Entschlüsse – sie sind sich der Gefahr eines allzu spontanen Handelns bewusst. Diese Einsicht wird auch illustriert durch die ad hoc-Rechtssprechung des Schwedenkönigs, die anschließend auf ihn zurückfällt und damit andeutet, dass der souveräne Rückgriff auf bestehendes Regelwerk allein kein erfolgreiches Verhandeln garantiert. Diesem pragmatischen Streben nach Spielregeln zwecks Schaffung von Eindeutigkeit stehen Hürden entgegen. Hürden, die nicht in per se mangelnder Eignung zum Regieren begründet sind, sondern menschliches Handeln als sinnvolles Handeln überhaupt in Frage stellen, indem sie dessen kontingente Bedingungen hervorheben und damit Erfahrungswissen, Beratung und Planung eine Grenze setzen. Dieser



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Umstand wird in den Ausführungen Emundrs reflektiert, also in den Erzählungen innerhalb der Erzählung, die recht zu deuten von den Weisen als Aufgabe gestellt ist. Natürlich lassen sich, wie die Berater es tun, die Episoden um Atti und Gauti so verstehen, dass Gier zu einem unabsehbar großen Verlust führen kann. Tatsächlich aber erfasst diese moralische Deutung nur einen Teil des Aussagegehalts. Signifikant ist nämlich, welch großes Gewicht Emundr auf die Räume des Scheiterns legt.8 Der legendäre Pelzjäger Atti (hann kǫllum vér mestan veiðimann, ‚ihn nennen wir den größten Jäger‘) ist zwar erfahren im Gebirge (á fjalli), das Eichhörnchen aber trifft er auf dem Rückweg im Wald: þar sem þrøngstr var skógrinn, dort, wo der Wald am dichtesten war, versagt Attis Expertise, entsteht vielmehr ein Raum, dessen drückende Enge und Undurchschaubarkeit die Grenzen menschlichen Vermögens versinnbildlichen. Intensiviert wird diese Erfahrung des Kontrollverlustes noch durch den Umstand, dass es zugleich Nacht wird (myrkva tók) und das Wetter in dichten Schneesturm umschlägt (veðr var drífanda). Terrain und Wetter bringen auch Gauti zu Fall: Zwar ist er im Küstengewässer siegreich agil (þeir Gauti unnu skjótt fjǫgur kaupskipin ok létu enga menn, ‚Gauti und seine Leute besiegten rasch vier Schiffe und verloren dabei keinen einzigen Mann‘), doch auf offener See ist er plötzlich stärker werdendem Wind ausgesetzt (þá tók veðrið að vaxa, ‚da nahm der Wind zu‘) – als dieser Wind zum Sturm ausartet (þá gerði storm veðurs), ist Gauti verloren. Wie der Wald, so erscheint das Meer hier als Raum des Unberechenbaren – im Wald endet der menschliche Blick am nächsten Baum, auf dem Meer verliert er sich in unbestimmter Ferne –, in dem die vorausgehend betonte Kompetenz der Protagonisten in einem kontingenten Zustand aufgehoben wird. Bemerkenswert ist auch das Fehlurteil der Königsberater: Die Bemerkung, noch sei Zeit zum Handeln, erweist sich als eklatante Fehleinschätzung; tatsächlich hat sich zwischenzeitlich (also während der König über der Angelegenheit ruht und dann im Laufe der Beratung) der Unmut der Schweden derart verschärft, dass an ein Festhalten am ursprünglichen Plan nicht mehr zu denken ist  – die explizite Aufforderung des Königs, die drei ausgezeichneten Weisen möchten sich der Durchführung ihres Plans selbst annehmen (vil ek […] at þér brœðr farið þessa ferð, því at ek trúi yðr bezt af mínum mǫnnum, ‚ich will, dass ihr Brüder diese Fahrt macht, denn von meinen Leuten vertraue ich euch am meisten‘), hat nicht den gewünschten Erfolg. Und obwohl die Weisen für ihre verständige Rede gerühmt werden (þótti vel mælt, ‚das schien [allen] gut gesprochen‘), so kommen Emundr doch genau in dem Moment Zweifel, in dem zwei dieser Weisen (der eine blind, der andere taub) zu den Verhandlungsführern bestimmt werden: en er þat fann Emundr, þá grunaði hann, hvárt þetta ráð myndi framgengt verða, ‚aber als Emundr das bemerkte, da zweifelte er, ob dieser Entschluss Erfolg haben würde‘. Der geregelte Zugriff auf die Situation, das planende Abwägen von Optionen mit dem Ziel, klare Verhältnisse zu schaffen, hat sich nicht

8 Zu ‚Räumen der Kontingenz‘ vgl. Schnyder 2010.

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bewährt, seine Geltung ist vom faktischen Geschehen gleichsam überholt worden – und damit ist auch der künftige Erfolg solcher Planung, hier expliziert durch Emundr, in Zweifel gezogen. Und schließlich ist da noch der Epilog um diesen Grenzbesitz, wiederum eine räumliche Symbolisierung der Unbestimmtheit.9 Eine abwägende Entscheidung ist nicht möglich und so entschließen sich die Könige zu würfeln. Dass der titelgebende Held die Oberhand behält, mag vorhersehbar sein. Faktisch aber impliziert Würfeln per se ein Moment der Ungewissheit, wird die Entscheidung aus der Sphäre menschlicher Einflussnahme herausgenommen (zum Motiv vgl. auch van Nahl 2016).

Die Produktivität des Zweifels – Ausblick Einleitend wurde das Milieu skizziert, in dem Konzepte von Kontingenz erstarken konnten: Krisen, auch imaginäre, lassen zweifeln, und Zweifel ist produktiv, zumal wenn er, wie in der Scholastik, professionalisiert wird. Eindeutigkeit mag auf den ersten Blick Vertrauen und Legitimität stiften, doch dem weltgeschichtlichen Betrachter muss diese Alternativlosigkeit als unbefriedigendes Konstrukt erscheinen. Kontingenz wäre in gesellschafts- und bewusstseinsformender Erzählung somit als Potenzialität zu verstehen, die als Movens von Geschichte einerseits Hoffnung auf das Verwirklichen menschlicher Wünsche macht  – im Sinne einer „Chancenoffenheit“ (von Arnauld 2003, 157  ff.)  –, andererseits eine Erklärung für das Scheitern von menschlicher Ordnung, von Spielregeln liefern kann (vgl. van Nahl 2017). Dabei bietet dieses Changieren dem Dichter auf Diskursebene aber die Möglichkeit, sich selbst als fähig für die Etablierung und Aufrechterhaltung von Ordnung zu präsentieren; pointiert gesagt: Wer Kontingenz narrativ zu instrumentalisieren versteht, der ist angesichts der narrativen Dimension von Gesellschaft auch im wirklichen Leben zu solcher Leistung fähig. Gestehen wir Snorri Sturluson eine Urheberschaft an der Heimskringla zu (zur Autorendebatte vgl. van Nahl 2015), so fügt sich sein persönlicher Werdegang bemerkenswert stimmig zu diesem zweischneidigen Konzept. Es wird jedenfalls kein Zufall sein, dass Snorri nach unserem Wissen seine literarische Tätigkeit erst im Alter von etwa 40  Jahren begann, nachdem er also einige Jahre in Norwegen und Schweden verbracht und dort über Männer wie Guttorm sehr wahrscheinlich Kunde von kontinentalem Diskurs erhalten hatte (vgl. van Nahl 2013a, 53  ff.). Just zu dieser Zeit, um 1220, erhielt er vom norwegischen König Hákon Hákonarson auch den Auftrag,

9 Dass es sich dabei in der Saga ausgerechnet um die Insel Hísing handelt  – „den avskurna eller kluvna (ön)“, ‚die abgeschnittene oder gespaltene Insel‘ (Wahlberg 2016, 129) – fügt sich stimmig zu dieser Deutung.



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dessen Herrschaftsansprüche in Island durchzusetzen; faktisch tat Snorri dann vor Ort bekanntermaßen zunächst einmal nichts dergleichen, wohl auch, weil ihm die politische Lage in Island zu undurchsichtig für solche Aktivitäten schien. In diesem Licht betrachtet, wird man jener Beherrschung des Unvorhersehbaren wiederum eine Grenze setzen müssen, jenseits welcher Kontingenz herrscht: Durch die Spielregeln der Schriftkultur, die schicksalshafte Verführung in die Ferne, das heißt einen letztlich offenen Empfängerkreis und die Kraft ihrer Suggestion, kann Literatur ein produktives Potenzial entfalten – Eindeutigkeit also zersetzen –, das über sie selbst unkontrolliert und unvorhersehbar hinauswirkt. Snorris wiederholte Notiz in der Heimskringla, er wolle keine unbezeugten Geschichten verbindlich machen, ist insofern zwar bemerkenswert. Bemerkenswert ist aber auch, dass der norwegische König kurz nach vermutlicher Fertigstellung der Heimskringla um 1230 erstmals an Snorris Loyalität zu zweifeln begann: 1233/34 instruierte er hochrangige Isländer, Snorris ursprünglichen Auftrag zu übernehmen (vgl. Strauch 2013, 279  f.). Hatte auch er in dieser Historiographie jenes umwälzende Moment erkannt, jenen Abgesang auf Eindeutigkeit (und damit Ordnung) zugunsten alternativer, ‚zufälliger‘ Entwicklungen von Geschichte? Birgit Saywer (2015, 146) merkte in ihrem letzten Buch richtig an, „hidden meanings“ in der Heimskringla „cannot have escaped the audience who had time and ability to scrutinize the whole written work“. Sollte König Hákon  – berühmt für sein Bemühen, an kontinentaler Bildung und Literatur zu partizipieren – nicht prominenter Vertreter jenes ‚Clubs der Ausgezeichneten‘ gewesen sein? In jedem Fall erreichten zum Schluss auch Snorris Spielregeln ihre Grenzen: Auf dem eigenen Gehöft vom eigenen Schwiegersohn (wohl im Auftrag des Königs) getötet, ist er schließlich in seinem subtilen bis subversiven Spiel ge- und erschlagen worden.

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Anita Sauckel

Brennu-Njáll als scheiternder Trickster oder: Warum ein Seidengewand keinen Vergleich bricht Abstract: Although Njáls saga has been examined from different perspectives repeatedly, its protagonist Njáll has usually been read as a Christian martyr and victim of vicious antagonists. In this paper, I attempt to present a different reading based on the concept of the “Figure of the Third”. Particularly interesting for my examination is the so-called trickster, a specific type of third figure. Here, I would like to interpret the protagonist of the saga as an Old Icelandic trickster figure. Furthermore, I add a new interpretation concerning the chapters dealing with the failed settlement between Flosi and Njáll’s family. „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.“1 Dieses Zitat des Münchner Komikers Karl Valentin scheint auf den ersten Blick auch auf die Erforschung der berühmtesten aller Isländersagas, die Njáls saga, zuzutreffen. Die Untersuchungen zur Njáls saga konzentrierten sich meist auf die Einflüsse kontinentaler Literatur und christlicher Theologie. Handlung und einzelne Protagonisten sind im Lichte der Christianisierung Islands interpretiert worden.2 Insbesondere Njáll Þorgeirsson wurde nicht selten als Märtyrer gelesen, der trotz seiner Bestrebungen, Konflikte friedlich zu lösen, am Ende den üblen Machenschaften seiner Feinde zum Opfer fällt.3 Eher selten wurde dieser gängigen Deutung der Saga als Erzählung von Islands Bekehrung und einem damit verbundenen Wertewandel innerhalb der geschilderten Gesellschaft widersprochen. Dennoch haben in jüngerer Zeit einige Forscher alternative Interpretationen vorgeschlagen: So unterzieht Theodore Andersson sowohl die Figur Njáll Þorgeirsson als auch die Saga einer kritischen Lesung; er erkennt in dem Protagonisten nicht den aufopferungsvollen christlichen Märtyrer, sondern eine berechnend agierende Persönlichkeit, die am Ende zu hoch gepokert hat. Andersson zufolge weise die Saga zudem eine Reihe invertierter Erzählmuster auf, die dem Text ironische, bisweilen sogar satirische Konnotation verleihen würden.4 Jüngst beschrieb William Ian Miller den Mordbrand an Njálls Familie nicht als schrecklichen Rachemord an unschuldigen Opfern, sondern als Teil von Njálls

1 Karl Valentin, autorisierte Homepage, http://www.karl-valentin.de/zitate/zitate.htm (10.08.2016). 2 Vgl. jüngst Hamer 2014 und besonders Lönnroth 1976. 3 Vgl. Einar Ól. Sveinsson 1971, 162. 4 Vgl. Andersson 2006, 183–203, besonders 186–192.

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eigenem Racheplan, der die darauffolgenden Wunder im Zusammenhang mit der Bergung seiner Leiche bereits mit einkalkuliert hätte.5 Daniel Sävborg argumentiert, dass Njáll sich nicht aus Nächstenliebe den Flammen geopfert habe, sondern weil er der gängigen Norm, seine Söhne nach dem Mordbrand (brenna) zu rächen, nicht mehr habe nachkommen können.6 Diesen Lesarten, die bisweilen zu einem angeregten Disput unter ihren jeweiligen Vertretern geführt haben,7 möchte ich im Folgenden noch eine weitere hinzufügen.

Die Figur des Dritten und Trickster Der Protagonist der Njáls saga sticht durch seine Andersartigkeit, seine Nonkonformität in Bezug auf die geschilderte altisländische Gesellschaft heraus und stellt eine Herausforderung für deren Gleichgewicht dar. Wie kann eine solche Figur gedeutet werden? Innerhalb der letzten zehn Jahre hat ein kulturtheoretisches Phänomen das Interesse der Forschung geweckt, das dazu imstande ist, solche Spannungen in der Literatur zu beschreiben, nämlich die sogenannte „Figur des Dritten“. Bereits Georg Simmel entwickelte eine soziologische Figur des Dritten in seinen Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung.8 Simmel erachtet jegliche Form der Zweierbeziehung als vorsozial: Zwei Partner in einer Liebesbeziehung können sich lieben, streiten, zusammenarbeiten oder interagieren. Aber erst durch das Hinzutreten eines Dritten, im Fall des Liebespaars ein gemeinsames Kind, entsteht eine Familie. Bestehende Beziehungen und Verhältnisse werden durch Hinzutreten des Dritten neu verhandelt, Gesellschaft tritt erst dadurch als Gesellschaft hervor. Dieses Phänomen lässt sich auf soziale Entitäten übertragen, wie z.  B. Markt, Recht und Staat.9 In der Soziologie steht der Dritte für diejenige Figur, die innerhalb sozialer Interaktion oder Intersubjektivität neue Funktionen für die Kommunikation übernimmt, z.  B. der Vermittler, der Bote oder der Übersetzer. Ein Vertreter dieses Figurenkabinetts im personalen Sinne ist der sogenannte Trickster: Der aus dem Englischen stammende Terminus Trickster existiert seit dem 18. Jahrhundert und bezeichnet eine Person, die Andere betrügt oder täuscht.10 Das

5 Vgl. Miller 2014, 232  f. 6 Vgl. Sävborg 2014, 255. Das Argument, Njáll sei alles andere als ein aufopferungsvolles, friedliches Mitglied der Gesellschaft findet sich auch in Tirosh 2014, 208–226. 7 Vgl. hierzu Sävborg 2011, 181–209; Lönnroth 2012, 367–374; Sävborg 2014, 251–257. 8 Vgl. Simmel 1908. Die moderne Soziologie hat Simmels Theorie vom Dritten weiterentwickelt. Vgl. Fischer 2010, 193; Hessinger 2010, 65–67. 9 Vgl. Simmel 1908, 93  ff.; Koschorke 2010, 16. 10 OED Online, s.  v. trickster http://www.oed.com/view/Entry/205876?redirectedFrom=trickster& (20.08.2016); s. v. trick http://www.oed.com/view/Entry/205845?result=4&rskey=isYBby& (20.08.2016); vgl. Doty/Hynes 1997, 14.



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Substantiv „Trick“ ist vom französischen Verb tricher abgeleitet, das ‚beim Spiel betrügen‘ bedeutet.11 Daniel Garrison Brintons Monographie Myths of the New World aus dem Jahr 1868, die den Versuch unternimmt, die Mythologie nordamerikanischer Indianerstämme zu sammeln und zu analysieren, verwendet bereits die Bezeichnung Trickster.12 Die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit erreichte allerdings erst der Schweizer Ethnologe Paul Radin mit The trickster. A study in American Indian Mythology. Seine Studie enthielt den Tricksterzyklus der Winnebago-Indianer, den der Winnebago Sam Blowsnake niedergeschrieben und Radin anschließend zur Verfügung gestellt hatte. Bei diesem Mythenzyklus handelt es sich um eine der weltweit bekanntesten Sammlungen von Trickstermythen und somit um eine der Grundlagen zur Erforschung des Phänomens Trickster überhaupt.13 Ursprünglich von Seiten der Religionswissenschaft und Anthropologie erforscht, eignet sich der Trickster nicht nur zur Beschreibung mythologischer Wesen, sondern bietet als Modell vielversprechende Ansätze zur Interpretation der Isländersagas, weil der Trickster durch seinen ambivalenten Charakter die in den Texten beschriebene Spannung reflektiert: Ich werde im Folgenden die Figur Njáll Þorgeirsson als Trickster identifizieren und eine Skizze seines tricksterhaften Handelns erstellen. Eine Neuformulierung des Trickstermodells zur Interpretation der Isländersagas ist bereits an anderer Stelle in ausführlicher Form erfolgt;14 ich werde mich im Folgenden auf die für meine Untersuchung maßgeblichen Ansätze aus der Medienwissenschaft konzentrieren und auf die Aufzählung allseits bekannter Trickster-Charakteristika aus der religionswissenschaftlichen und anthropologischen Forschung verzichten.

Das Modell Trickster Der Trickster hat nach der Jahrtausendwende verstärkt das Interesse der modernen Kultur- und Literaturwissenschaften geweckt. Insbesondere Medientheorie15 und Filmwissenschaft beleuchten die narrative Struktur von Trickstergeschichten, analysieren die Bedeutung des Tricksters innerhalb einzelner Narrationen, oder greifen signifikante Charakteristika dieser Figuren heraus und interpretieren sie innerhalb der filmischen Handlungsebene. Darüber hinaus untersuchen Filmwissenschaftler die psychologische Wirkung von Trickstermerkmalen auf den Rezipienten, begreifen die Interaktion zwischen Zuschauer und Leinwand (Screen), erst als „Trickster“: Unter

11 Kluge 2002, s. v. Trick. 12 Vgl. Doty/Hynes 1997, 14. 13 Vgl. Radin 1956; Radin/Kerenyi/Jung 1954; Schüttpelz 2005, 64. 14 Vgl. Sauckel 2016. 15 Vgl. z.  B. Schüttpelz 2010; Schüttpelz 2005. Für die Filmwissenschaft vgl. z.  B. Bassil-Morozow 2011; Müller 2009; Waddell 2010.

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diesem Tricksterkonstrukt ist zu verstehen, dass jeder Zuschauer eigene persönliche Erinnerungen und Erfahrungen in die auf der Leinwand erzählte Geschichte einfließen lässt. Der Prozess des Zuschauens stellt somit eine Verhandlung des Inneren mit dem Äußeren dar. Durch permanentes Hin- und Herüberschreiten dieser Grenzen werden Sinn und Bedeutung erzeugt.16 Für meine Untersuchung von besonderer Relevanz ist der Ansatz des Medientheoretikers Erhard Schüttpelz: In seiner Monographie Die Moderne im Spiegel des Primitiven. Weltliteratur und Ethnologie (1870–1960)17 analysiert Schüttpelz Wak’djunk’aga, den Trickster der Winnebago-Kultur, im Spiegel des persönlichen Schicksals des Winnebago Sam Blowsnake von 1900–1915. Schüttpelz beleuchtet in seinen Ausführungen kein vermeintliches Einzelschicksal, sondern bezieht den Niedergang der Winnebago-Kultur infolge der Kolonisation durch die Europäer mit ein und weitet seine Interpretation auf die Ereignisse der Entstehungszeit des Winnebago-Trickster­ zyklus – oder richtiger – auf den Zeitraum seiner Niederschrift aus. So habe Schüttpelz’ Protagonist Sam Blowsnake nach eigener Aussage während seines Gefängnisaufenthalts eine Segnung durch den Trickstergott der Winnebago-Kultur erfahren.18 Durch diese Auszeichnung werde Sam Blowsnake selbst zur liminalen Figur, die sich auf ihrer Reise zwischen den Welten auf die Suche nach der eigenen (kulturellen) Identität begebe. Bei diesen Welten handele es sich Schüttpelz zufolge um Sam Blowsnakes vertraute Welt des eigenen kulturellen Hintergrunds einerseits und um die neue Welt der Europäer andererseits.19 Schließlich liest Schüttpelz den Ethnologen Paul Radin, der durch Sam Blow­ snake Zugang zu den Trickstermythen erhalten hatte, als Trickster in einer von Auflösung begriffenen Zeit.20 Als Mythensammler habe Radin im Zusammenhang mit dem Untergang der Winnebago-Religion eine durchaus ambivalente Rolle gespielt: Ohne Radins wissenschaftliche Neugier wären die Mythen der Winnebago heute sehr wahrscheinlich verloren. Jedoch trug sein Interesse auch zur raschen Zerstörung der Winnebago-Religion und somit zur Zerstörung einer ganzen Kultur bei.21 Schüttpelz’ innovativer Ansatz, die Lesart Trickster nicht nur auf die Figuren­ ebene der Mythen zu beschränken, sondern auf die Zeit ihrer Niederschrift auszudehnen und ‚historische‘ Protagonisten samt ihrer Schicksale miteinzubeziehen, kann auch für die Interpretation altisländischer Texte fruchtbar gemacht werden. Geringe

16 Vgl. z.  B. Waddell 2010, XIII: „In analyzing the selection of narratives in Wild/lives, trickster emerges as an energy permeating every facet of the text, from music, set design, dialogue, casting and editing to the intricate relationship of viewer and viewed. To my way of thinking it’s trickster who cements the bond between a film or television program and its audience.“ 17 Vgl. Schüttpelz 2005, 63–104. 18 Vgl. Schüttpelz 2005, 65–89. 19 Vgl. Schüttpelz 2005, 66. 20 Vgl. Schüttpelz 2005, 94–100. 21 Vgl. Schüttpelz 2005, 98–100.



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Einschränkungen ergeben sich auf der Ebene der Schreiberzeit, da die Isländersagas anonym überliefert worden sind; allerdings ist das Milieu, in dem diese Texte entstanden sind, vergleichsweise gut erforscht.22 In Bezug auf die altnordische Literatur sind der Gott Loki und einige Sagafiguren als Trickster bewertet worden; umfassende Ausdeutung hat allerdings nur Loki von religionswissenschaftlicher Seite erfahren: Der trickreiche Gott ist in Bezug auf das Geschlecht der Asen von unreiner (riesischer) Abstammung. Als Gestaltwandler überwindet Loki sowohl Geschlechtergrenzen als auch die Grenze zwischen den Spezies. Er beschafft den Göttern durch seinen Listenreichtum wertvolle Attribute wie Þórrs Hammer Mjöllnir oder Óðinns Speer Gungnir. Loki ist aber auch für die Ermordung Baldrs verantwortlich und kämpft in dem als ragnarǫk bezeichneten Weltende aufseiten der Riesen.23 Von den als Trickster angesprochenen Protagonisten einiger Isländersagas sind bisher nur die Figuren der Bandamanna saga eingehender analysiert worden.24

Brennu-Njáll als Trickster Zu den wesentlichen Eigenschaften des Tricksters gehört es, wie beispielsweise Loki, von unreiner beziehungsweise zweifelhafter Herkunft zu sein.25 Dieses Kriterium erfüllt auch Njáll: Er stammt väterlicherseits von einem gewissen Þorgeirr gollnir Þórólfsson ab, der keine weitere Erwähnung findet. Seine Mutter Ásgerðr entstammt dem Geschlecht des norwegischen Hersen Áskell ómálgi und wird als Landnahmefrau beschrieben.26 Die Landnámabók (‚Buch der Landnahmen‘) führt Þorgeirr gollnir allerdings als Ásgerðrs Sohn aus der Ehe mit einem gewissen Ófeigr aus dem norwegischen Raumsdœlafylki, der von den Männern Haraldr hárfagris getötet wurde.27 Njálls Abstammung väterlicherseits muss demnach im Dunkeln bleiben. Mit seinen Fähigkeiten, in die Zukunft zu sehen bzw. sich lange zurückerinnern zu können, wird die Grenze zwischen menschlicher und übernatürlicher Sphäre überschritten. Njáll besitzt darüber hinaus praktisches Wissen, über das andere Sagafiguren nicht verfügen: So berichten in Kapitel 44 einige Landstreicherinnen, die an Hlíðarendi vorbeikommen, dass Njálls Hausleute Mist auf die Erdhügel um das Gehöft ausbrächten. Erstaunt erkundigt sich Hallgerðr, welchen Nutzen ein solches

22 Vgl. jüngst Sverrir Jakobsson 2016. 23 Vgl. etwa Hultgård 2001, 583–595. 24 Zur Forschungsgeschichte des Tricksters in der mittelalterlichen altnordischen Literatur vgl. Sauckel 2016. Zum Trickster in der Bandamanna saga vgl. Lindow 1989. 25 Bezüglich einzelner Charakteristika vgl. Sauckel 2016, 59  f. 26 Vgl. Njáls saga, Kap. 20, 55  f. 27 Vgl. Landnámabók, S 341/H 299, 343.

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Vorgehen habe. Die Gefragten geben Njálls Auskunft weiter: ‚Þat sagði hann‘, kváðu þær, ‚at þar yrði taða betri en annars staðar. („Das sagte er“, erzählten sie, „dass dort das Gras besser wachse als an anderen Stellen.“)28 Möglicherweise ist dieses Wissen der Grund dafür, dass Njáll selbst in Zeiten von Hungersnöten über genügend Vorräte verfügt, so dass er den Haushalt seines Freundes Gunnarr Hámundarson mit Lebensmitteln ausstatten kann.29 Eine weitere Grenzüberschreitung ist in Njálls Äußerem auszumachen: Bereits in Kapitel 20, in dem der Protagonist in die Handlung eingeführt wird, bemerkt die Saga: en sá hlutr var á ráði hans at honum óx eigi skegg („und diese Besonderheit hatte er an sich, dass ihm kein Bart wuchs.“)30 Sein mangelnder Bartwuchs wird stets mit Weiblichkeit assoziiert und sogar bei der Eskalation des Konflikts, der zum Mordbrand führt, thematisiert. Dabei spielt auch die eben erwähnte Episode um die wachstumsfördernde Wirkung von Dung keine geringe Rolle: Hallgerðr zufolge hätte Njáll den Dung lieber auf sein Gesicht streichen sollen, um seinen Bartwuchs anzuregen, weshalb sie beschließt, Njáll den ‚Bartlosen‘ (karl inn skegglausi) und seine Söhne ‚Dungbärtlinge‘ (taðskegglingar) zu nennen. Ausgerechnet der Gode Flosi greift Hallgerðrs boshaften Spitznamen für Njáll auf dem Althing wieder auf, als er nach der Ermordung seines Schwagers den bereits ausgehandelten Vergleich ausschlägt.31 Es ist allerdings nicht nur Njálls Aussehen, das mit Weiblichkeit assoziiert wird; auch sein Verhalten weist weibliche Züge auf: So agiert Njáll im Gegensatz zu vielen anderen freien Männern und Goden der Isländersagas oftmals von zuhause aus. Nur in außergewöhnlichen Fällen verlässt er seinen Hof, um beispielsweise an einer Thingversammlung teilzunehmen oder um einen Vergleich auszuhandeln. Der Rezipient erfährt nichts darüber, dass Njáll sich persönlich um seinen Besitz oder seine Felder kümmert. Anders als sein Freund Gunnarr Hámundarson oder Hǫskuldr Hvítanessgoði, beide respektable Männer, sucht Njáll niemals seine Felder auf, um Saatgut auszubringen. Ebenso ungewöhnlich muss die Tatsache erscheinen, dass Njáll bereits als erwachsener und vor allem verheirateter Mann in die Saga eingeführt wird. Er scheint niemals Auslandsfahrten unternommen zu haben, an Wikingerzügen teilzunehmen, am Hof eines fremdländischen Herrschers seine Gefolgschaft anzubieten oder Handel zu treiben. Das Agieren innerhalb des eigenen Hauses (innan stokks) steht eigentlich Frauen zu, während Männer außerhalb des eigenen Anwesens politische Entscheidungen treffen, Blutrache verüben, sich auf Handelsreisen und Kriegsfahrten begeben. Die Njála schildert in keiner einzigen Szene ihren Protagonisten in einer kriege­ ri­ schen Auseinandersetzung. Njáll führt keine Waffen, lediglich eine Szene in

28 Vgl. Njáls saga, Kap. 44, 112  f. Insofern nicht anders gekennzeichnet, sind alle Übersetzungen von der Autorin. 29 Vgl. Njáls saga, c. 47, 122. 30 Njáls saga, Kap. 20, 57. 31 Vgl. Njáls saga, Kap. 44, 113 sowie Kap. 123, 314.



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Kapitel 118 beschreibt, wie er mit einer kleinen Axt in der Hand aufs Pferd steigt. In diesem Fall handelt es sich bei der Axt jedoch nicht um eine Waffe. Sie dient vielmehr als ‚Accessoire‘ seiner Verkleidung, während er sich auf den Weg zu Ásgrímr ElliðaGrímsson macht, um für seine Söhne rechtlichen Beistand zu erwirken.32 Anstatt eigene Höfe zu errichten leben die Njálssöhne auch als verheiratete Männer weiterhin auf dem elterlichen Hof Bergþórshváll und integrieren ihre Ehefrauen in den dortigen Haushalt. Von dieser ungewöhnlichen Lebensweise profitiert in erster Linie ihr Vater Njáll; er setzt die eigenen Söhne als Mittel zum Zweck ein, nutzt sie gewissermaßen als seine Exekutivgewalt, indem er sie z.  B. zum Totschlag an Sigmundr Lambason ermutigt: Hann [Njáll] mælti: „Hvert skal fara Skarphéðinn?‘ „Leita sauða þinna,“ segir hann. Njáll mælti: „Ekki mundu þér þá vera vápnaðir, ef þér ætlaðið þat, ok mun annat vera ørendit.“ „Laxa skulu vér veiða, faðir, ef vér rǫtum eigi sauðina, segir hann.“ „Vel væri þat, þó at svá væri, at þá veiði bæri eigi undan,“ segir Njáll.‘33 Er [Njáll] sprach: „Wo willst du hin, Skarpheðinn?“ „Deine Schafe suchen“, sagt er. Njáll entgegnete: „Dafür müsst ihr nicht bewaffnet sein, wenn ihr das tun wolltet, und ein anderes Vorhaben wird es sein.“ „Lachse werden wir fangen“, Vater, „wenn wir der Schafe nicht habhaft werden“, sagt er. „Gut wäre es, wenn es so wäre, dass euch der Fang dann nicht durch die Lappen ginge“, sagt Njáll.

Auf diese Weise gleicht Njáll seinen eigenen Mangel an Kampfkraft aus, die er auch als (vermeintlich) friedliebendes Mitglied der Sagagesellschaft benötigt, um sein Recht durchzusetzen. Als seine Söhne in Kapitel 92 losziehen, um Þráinn Sigfússon zu erschlagen, ahnt Njáll die schwerwiegenden Konsequenzen zwar voraus, unternimmt aber nichts, um sie aufzuhalten: Njáll kallaði á Skarpheðinn: „Hvert skal fara, frændi?“ „Í sauðaleit,“ sagði hann. „Svá var ok eitt sinn fyrr,“ segir Njáll, „ok veidduð þér þá menn.“ Skarpheðinn hló at ok mælti: „Heyrið þér, hvat karlinn segir! Eigi er hann grómlauss.“ […] Njáll gekk heim, en þeir fóru upp í Rauðaskríður ok biðu þar.34 Njáll rief Skarpheðinn zu: „Wo soll es hingehen, mein Sohn? Auf Schafsuche, sagte er. „So war es schon einmal zuvor“, sagt Njáll, „und damals habt ihr Jagd auf Menschen gemacht.“ Skarpheðinn lachte und sprach: „Hört ihr, was der alte Mann sagt? Er hegt einen Verdacht.“ […] Njáll ging heim und sie zogen hinauf nach Rauðaskríða und warteten dort.

William Ian Miller hat das Verbleiben der verheirateten Söhne auf dem elterlichen Hof damit erklärt, dass es sich bei Njáll Þorgeirsson um einen homo novus, einen Auf-

32 Vgl. Njáls saga, Kap. 118, 296; Sauckel 2014, 80  f. 33 Njáls saga, Kap. 44, 115. 34 Vgl. Njáls saga, Kap. 92, 231  f.

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steiger handle, dem Vermögen und Ansehen fehlten, um seine Söhne mit eigenen Anwesen auszustatten.35 Dagegen spricht meiner Meinung nach die Tatsache, dass er in Kapitel 20 mütterlicherseits als reicher Abkömmling eines norwegischen Hersen und Gesetzeskenner in die Handlung eingeführt wird.36 Njáll Þorgeirsson ist in erster Linie als herausragender Protagonist, friedliebender und weiser Ratgeber gelesen worden, der ein Opfer übler Machenschaften wird, die den Mordbrand zur Folge haben. Bei genauer Betrachtung des Handlungsverlaufs wird jedoch deutlich, dass dies nur teilweise zutrifft und der Protagonist durch sein Handeln permanent als Grenzüberschreiter, als liminale Figur, dargestellt wird. So provoziert Njáll durch juristische Winkelzüge geradezu sein dramatisches Ende: Bereits in Kapitel 22 führt die Njáls saga den Listenreichtum und die Durchtriebenheit ihres Protagonisten beispielhaft vor Augen: Es handelt sich um die burlesk ausgestaltete Verkleidungsepisode des Gunnarr von Hlíðarendi, der das Vermögen seiner geschiedenen Verwandten Unnr Marðardóttir von Hrútr Herjólfsson zurückfordern will. Da Gunnarr nur bei einer korrekt ausgesprochenen Vorladung eine Chance auf Unnrs Mitgift hat, schmiedet Njáll einen perfiden Plan, an dessen Ablauf sich sein Freund unbedingt zu halten hat, und an dessen Ende eine korrekt vorgebrachte Thing­ vorladung steht. Die zum Plan gehörende Maskerade als fahrender Händler dient einzig und allein dazu, sich dem Rechtskenner Hrútr nähern zu können. Schließlich funktioniert Njálls durchtriebener Plan, durch den er respektable Oberschichtangehörige auf eulenspiegelhafte Weise narrt.37 Als weiser Ratgeber und Friedensstifter nimmt Njáll nach der Erschlagung Þráinn Sigfússons dessen Sohn Hǫskuldr als Ziehsohn bei sich auf. Durch diesen Schachzug gelingt es ihm zunächst, Rachetaten von seiner Familie fernzuhalten. Für seinen neuen Ziehsohn, dem er voraussagt, dass aus ihm ein guter Mensch werde,38 versucht Njáll eine standesgemäße Heirat zu arrangieren. Da die Auserwählte jedoch ausschließlich mit einem Goden vermählt werden will, sieht sich Njáll genötigt, ein Godentum für Hǫskuldr zu beschaffen. Dieses Vorhaben kann allerdings kaum durchgesetzt werden, weil alle isländischen Godentümer zu dieser Zeit vergeben sind. Njáll weiß allerdings einen Ausweg: Auf geschickte Art und Weise hebelt er das isländische Staatssystem aus. Auf sein Betreiben wird das sogenannte ‚fünfte Gericht‘ (fimmtardómr) eingerichtet und neue Godentümer geschaffen, wovon eines an Hǫskuldr geht.39 Die Aufnahme Hǫskuldrs in Njálls Familie führt schließlich zu seinem Tod durch die Njálssöhne. Ohne Umschweife gibt der Protagonist zu erkennen, dass ihn der Tod

35 Vgl. Miller 2014, 34. 36 Njáls saga, Kap. 20, 57: Hann [Njáll] var vel auðigr at fé […] Hann var lǫgmaðr svá mikill, at engi fannsk hans jafningi. (‘Er [Njáll] war wohlhabend […] Er war ein so großer Rechtskenner, dass es keinen gab, der ihm ebenbürtig war.’) Vgl. Landnámabók, S 341/H 299, 343. 37 Vgl. Njáls saga, Kap. 22–23, 59–65. 38 Vgl. Njáls saga, Kap. 94, 237. 39 Vgl. Njáls saga, Kap. 97, 241–247; Andersson 2006, 197.



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seines Ziehsohns härter trifft als ein möglicher Tod seiner eigenen Söhne. Auch wenn die Njálssöhne Opfer einer Intrige des hinterlistigen und bösartigen Mǫrðr Valgarðsson werden, wird ihnen die Bevorzugung Hǫskuldrs durch ihren Vater kaum gefallen haben, zumal er der Sohn ihres Feindes Þráinn Sigfússon ist, den sie am Ende einer langwierigen Fehde erschlagen.40

Flosi, Skarpheðinn und das Seidengewand Der Tod seines abgöttisch geliebten Ziehsohns ist es schließlich, der den fragilen Frieden zwischen der Familie Njálls und ihrer Feinde endgültig zusammenbrechen lässt. Nach einem gescheiterten Versuch, für die Ermordung Hǫskuldrs durch die leiblichen Njálssöhne einen Vergleich zu erwirken, lässt sich eine gewaltsame Vergeltung nicht mehr verhindern. Die Forschung hat diverse Erklärungsansätze für das Scheitern des Vergleichs auf dem Althing geliefert; eine allgemein anerkannte Interpretation ist bisher allerdings nicht gelungen. So ist beispielsweise die Zugabe eines prächtigen Seidengewandes, der silkislœður, und die damit in Zusammenhang stehende Schmähung Flosis durch Skarpheðinn als Ursache für den gescheiterten Vergleich erachtet worden. Dieser These wurde zu Recht mehrfach widersprochen,41 da es sich bei dem Gewand um ein Kleidungsstück handelt, das zur erzählten Zeit von beiden Geschlechtern getragen werden konnte. Einar Ól. Sveinsson bewertet die Zugabe kostbaren Handelsguts zu Bußgeldzahlungen als gewöhnlich und von geschlechtsspezifischer Konnotation befreit.42 Allerdings hält er es durchaus für möglich, dass die Figur Flosi das Schleppgewand als effeminiert und damit als entehrend empfindet. Gleichzeitig deutet Einar Ól. Sveinsson ein wichtiges Detail an, das der Rezipient aufgrund der dramatischen Schilderung der Geschehnisse auf dem Althing möglicherweise bereits vergessen hat: die Hetzrede Hildigunnr Starkaðardóttirs.43 Sie ist der wahre Grund für das Scheitern des Vergleichs, den Flosi ohnehin nie gewillt war zu akzeptieren, weil er gemäß der vorherrschenden Normen durch die Aufhetzung seiner Nichte zur Blutrache verpflichtet ist.44 Käme Flosi der Forderung nach Blutrache nicht nach, würde er unweigerlich zu einem Feigling (níðingr)!

40 Vgl. Andersson 2006, 197–199. 41 Vgl. zuletzt Miller 2014, 218. 42 Vgl. Njáls saga, 312  f., Fußnote 4. Zur geschlechtsspezifischen Einordnung der slœður vgl. u.  a. Falk 1919, 137; vgl. ferner Sauckel 2014, 110–112. 43 Vgl. Njáls saga, 313, FN 4: Flosa fannst tvíbent merking klæðanna, svo sem storkað sé karlmennsku hans; samtímis kemur honum í hug frýja Hildigunnar. (‘Flosi erkannte die Zweideutigkeit des Gewandes, die seine Männlichkeit zu verhöhnen droht; gleichzeitig fällt ihm Hildigunnrs Aufhetzung wieder ein.’); vgl. Einar Ól. Sveinsson 1971, 153. 44 Vgl. Meulengracht Sørensen 1983.

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Ebenso wenig wie das Seidenkleid ist die Schmähung Flosis durch Skarpheðinn Njálsson die Ursache für das Scheitern des Vergleichs. Flosi selbst ist in dieser zentralen Szene als eigentlicher Friedensbrecher zu bezeichnen, da er Njáll auf Skarp­ heðinns harmlose Nachfrage lautstark und in Anwesenheit der vornehmsten Männer Islands beleidigt: Flosi mælti: „Hvárt er þat, at engi yðvarr veit, hverr þenna búning hefir átt, eða þorið þér eigi at segja mér?“ Skarpheðinn mælti: „Hvat ætlar þú, hverr til hafi gefit?“ Flosi mælti: „Ef þú vill þat vita, þá mun ek segja þér, hvat ek ætla: þat er min ætlan, at til hafi gefit faðir þinn, karl inn skegglausi – því at margir vitu eigi, er hann sjá, hvárt hann er, karlmaðr eða kona.“45 Flosi sagte: „Wie kann es sein, dass niemand von euch weiß, wem dieses Gewand gehörte, oder traut ihr euch nicht, es mir zu verraten?“ Skarpheðinn sprach: „Was glaubst du, wer es dazu gegeben hat?“ Flosi antwortete: „Wenn du das wissen willst, dann werde ich dir sagen, was ich glaube: das ist meine Annahme, das es dein Vater, der bartlose Kerl, dazu gegeben hat, – weil viele nicht wissen, die ihn sehen, ob er ein Mann oder eine Frau ist.“

Njálls Sohn reagiert mit seinem häufig zitierten Wutausbruch lediglich auf Flosis infame Beleidigung seines Vaters: Skarpheðinn mælti: „Illa er slíkt gǫrt at sneiða honum afgǫmlum, er engi hefir áðr til orðit dugandi maðr. Meguð þér þat vita, at hann er karlmaðr, því at hann hefir sonu getit við konu sinni.“ […] Síðan tók Skarpheðinn til sín slœðurnar, en kastaði brókum blám til Flosa ok kvað hann þeira meir þurfa. Flosi mælti: „Hví mun ek þeira meir þurfa?“ Skarpheðinn mælti: „Því þá – ef þú ert bruðr Svínfellsáss, sem sagt er, hverja níundu nótt ok geri hann þik at konu.“ Skarpheðinn sprach: „Boshaft ist es, über einen so alten Mann zu spotten, wozu sich zuvor kein rechtschaffener Mann hat hinreißen lassen. Das sollt ihr wissen, dass er ein Mann ist, weil er seiner Frau Söhne gemacht hat.“ […] Dann nahm Skarpheðinn das Seidengewand und warf Flosi eine blauschwarze Hose zu und sagte, dass er diese dringender brauchen werde. Flosi sprach: „Warum werde ich sie dringender brauchen?“ Skarpheðinn antwortete: „Weil du jede neunte Nacht die Braut des Trolls vom Svínafell bist, wie man sich erzählt, und er dich [dann] zur Frau macht.“46

Skarpheðinns unberechenbares Temperament ist sowohl Teil des Figurenwissens als auch dem Sagarezipienten hinlänglich bekannt: Es fällt auf, dass die schicksalsträchtige Episode auf dem Althing, die in den Kapiteln 119–123 abgehandelt wird, ausgerechnet mit der vierfachen (!) Schmähung potenzieller Unterstützer durch Skarp­ heðinn beginnt. Das Aufsuchen dieser Männer wird stets gleich geschildert: Der Begleiter und Unterstützer der Njálssöhne, Ásgrímr Elliða-Grímsson, betritt als Erster die jeweilige

45 Njáls saga, Kap. 123, 313  f. 46 Njáls saga, Kap. 123, 314.



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Thingbude und trägt das Bittgesuch vor. Anschließend antwortet der Gefragte, ob er Unterstützung leisten wolle. Gizurr hvíti, der als erster aufgesucht wird, muss nicht lange gebeten werden und sichert ihnen Beistand zu. Der Gesetzessprecher Skapti Þóroddsson weist die Bittsteller dagegen ab und erkundigt sich nach dem Mann im Gefolge Ásgrímrs, der wie ein Troll aussehe.47 Skarpheðinn reagiert auf diese Provokation prompt mit einer Schmähung und wirft Skapti Feigheit vor, indem er dessen unglückliches Verhalten nach einem Totschlag schildert. Auch Snorri goði, der dritte Adressat, verweigert unmittelbare Hilfe, verspricht aber immerhin, sich nicht auf die Seite der Feinde zu schlagen. Wie zuvor Skapti kommentiert auch Snorri die Gestalt Skarpheðinns negativ, der abermals scharf kontert und Snorri daran erinnert, dass er seinen Vater zu rächen habe. Hafr inn auðgi, bereits der vierte Mann, der um Beistand ersucht wird, reagiert ebenso wie seine beiden Vorgänger – er weist die Hilfesuchenden ab und erkundigt sich nach ihrem unheimlich aussehenden Begleiter. Abermals enthüllt Skarpheðinn als Antwort ein kompromittierendes Detail aus Hafrs Leben, das den Vorwurf der Unmännlichkeit beziehungsweise Feigheit zum Inhalt hat. In der Thingbude der Mǫðruvellingar trifft die Gruppe schließlich auf Guðmunðr inn ríki Eyjólfsson, der sich ebenfalls zu Skarpheðinns Erscheinung äußert, jedoch nicht in abfälliger Weise. Zwar bescheinigt er seinem Gegenüber, dass ihm das Glück nicht hold sein werde, bezeichnet ihn aber als svá skjótligr til karlmennsku, at heldr vilda ek hans fylgi hafa en tíu annarra48 („[einen] solchen mannhaften Kerl, dass ich seine Gefolgschaft lieber hätte als die von zehn anderen Männern.“) Unterstützung sagt er den Njálssöhnen vorerst nicht zu, sondern erbittet sich Bedenkzeit. Als letzten möglichen Unterstützer sucht die Gruppe den Häuptlingssohn und Krieger Þorkell hákr auf. Seine Begleiter mahnen Skarpheðinn auf dem Weg zu Þorkells Thingbude zur Zurückhaltung. Der Njálssohn kommt dieser Aufforderung solange nach bis Þorkell nicht nur arrogant das Anliegen der Gruppe abweist, sondern sich auf abfällige Art und Weise über ihn erkundigt: Þorkell mælti: ‚Hverr er sá inn mikli ok inn feiknligi, ok ganga fjórir menn fyrri, fǫlleitr ok skarpleitr, ógæfusamligr ok illmannligr?“49 (Þorkell sagte: „Wer ist der große und unheilvoll aussehende Mann, dem vier Männer vorangehen, der bleich ist und scharfe Gesichtszüge hat, der unheilvoll und wie ein Bösewicht aussieht?“) Es folgt ein verbaler Schlagabtausch, in dem beide Männer ihre kriegerischen Fähigkeiten herausstreichen und sich gegenseitig mit dem Tod bedrohen. Skarpheðinn behält gegen seinen hochmütigen Gegner die Oberhand. Schließlich kehrt die Gruppe zu ihren eigenen Buden zurück. Die vorgebrachten Schmähungen, die stets kompromittierende Details aus dem Leben des jeweiligen Gegenübers enthüllen, führen dazu, dass der Sohn Njálls dem

47 Vgl. Njáls saga, Kap. 119, 298. 48 Njáls saga, Kap. 119, 302. 49 Njáls saga, Kap. 120, 304.

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Rezipienten als notorischer Unruhestifter im Gedächtnis bleibt. Inhaltliche Details der Vorwürfe spielen zunächst eine untergeordnete Rolle; als entscheidend für den weiteren Handlungsverlauf erweisen sich vielmehr die vierfache Wiederholung seiner Verbalattacken und die Tatsache, dass sämtliche Beleidigungen Unmännlichkeitsbezichtigungen darstellen. Skarpheðinns verhängnisvolle Auseinandersetzung mit Flosi läuft nach demselben Schema von Provokation und Reaktion ab, das bereits während des Bittgangs der Njálssöhne Anwendung findet: Eine Provokation seines Gegenübers vergilt Skarpheðinn mit dem Vorwurf der Unmännlichkeit. Folglich muss er dem Handlungsschema entsprechend, das in den Kapiteln 119 und 120 in ausführlicher Form präsentiert worden ist, als optimaler Sündenbock für das Scheitern des Vergleichs erscheinen. Dass Flosi möglicherweise nie gewillt war, einen Vergleich zu akzeptieren, sondern gemäß der Aufhetzung seiner Nichte Hildigunnr zu handeln beabsichtigt, tritt in dieser Szene in den Hintergrund.

Njáll als scheiternder Trickster Njáll behält über weite Teile der Handlung hinweg die Kontrolle, sei es über seine Söhne, deren kriegerischen Handlungen er sich kaum entgegenstellt, oder über seine juristischen Winkelzüge, die er geschickt einsetzt, um für sich und seine Freunde Wohlstand, Macht und Ansehen zu sichern. In der soeben analysierten Episode scheint die Tricksterfigur Njáll jedoch keinen Einfluss auf die Geschehnisse auf dem Thing und die darauffolgenden, schicksalsträchtigen Ereignisse mehr zu haben. Inwiefern kann die Lesart Trickster der Episode um die Eskalation des Vergleichs und den Kapiteln bis zum Mordbrand gerecht werden? Zu den wesentlichen Merkmalen des Tricksters gehört es, dass seine Handlungen eine gewisse Eigendynamik entwickeln; dabei verliert er nicht selten die Kontrolle über seine Taten und wird zum Opfer der eigenen Streiche.50 Diese Erfahrung muss auch Njáll machen: Sein Plan, auf dem Thing durch das Gewinnen möglichst vieler Unterstützer sein eigenes Leben und das seiner Familie zu retten, scheitert. Selbst Njálls tränenreiche Ansprache über den Verlust Hǫskuldrs sowie die Bereitschaft der Thinggemeinschaft, einen Großteil der festgesetzten Mannesbuße im Kollektiv zu begleichen, können die Eskalation des Konflikts nicht verhindern.51 Nach dem Bruch des Vergleichs ahnt Njáll die für seine Familie tödlichen Konsequenzen voraus. Der gescheiterte Trickster versucht folglich, einen letzten Plan in die Tat umzusetzen:

50 Vgl. Sauckel 2016; Hynes 1997. 51 Vgl. Njáls saga, Kap. 122–123, 309–313.



Brennu-Njáll als scheiternder Trickster oder 

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Seinen gewaltsamen Tod wirkungsvoll zu inszenieren und als Christ auf den damit verbundenen Status als Märtyrer zu hoffen.52 Die von Theodore Andersson und William Ian Miller vorgebrachte Interpretation der Figur Njáll als durchaus berechnend agierende Persönlichkeit, deren Feuertod Teil ihres eigenen Racheplans sei, lässt sich mithilfe der von mir vorgeschlagenen Lesart ‚Trickster‘ bestätigen und vertiefen. Das neu formulierte Trickster-Konzept erlaubt eine minutiöse Analyse des Protagonisten, anhand derer spezifische körperliche Merkmale, Charaktereigenschaften und Gedankengänge seines tricksterhaften Wesens nachvollziehbar werden. Insbesondere die in Kapitel 123 geschilderte Szene, die die Eskalation des Konflikts mit Flosi zum Inhalt hat, erfährt eine Neuinterpretation. Bisher wurden vornehmlich das von Njáll stammende Seidengewand und Skarp­ heðinns impulsives Wesen als Hauptursachen für ein Scheitern des ausgehandelten Vergleichs angesehen. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass an dieser Stelle vielmehr der ­Protagonist selbst scheitert: Die tränenreiche Ansprache des alten Mannes und seine Zugabe des kostbaren Kleidungsstücks wiegen gegen die Hetzrede Hildigunnrs nicht schwer genug, um den Frieden zu wahren; es scheint dagegen die in den Isländersagas thematisierte Konvention der männlichen Ehre zu sein, die den Handlungsverlauf bestimmt. In weiteren Untersuchungen soll das von mir präsentierte Trickster-Konzept auf die Erzählmuster der Brennu-Njáls saga und die damit in der Erzählung präsentierten sozialen Normen zur Anwendung kommen.

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52 Vgl. Miller 2014, S. 232  f.

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 Anita Sauckel

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Daniel Sävborg

Ynglingakungarna i medeltida svensk historieskrivning. En studie i stegvis korruption och transformation Abstract: “The Yngling Kings in Medieval Swedish Historiography. A Study in Corruption and Transformation.” The article examines the treatment of the kings of the Yngling dynasty in medieval Swedish historiography. The focus of the study is how the original text from Historia Norwegiæ is transformed through textual corruption (misreadings) and reinterpretation of personal names and factual information. The article attempts to explain how the – in the end fundamental – changes of names and information has taken place. The case also proves to be a fruitful analogy which helps us to better understand some of the much discussed corrupt texts of the U version of Snorra Edda in relation to the standard RTW version. I jämförelse med den norröna historieskrivningen är den medeltida svenska historieskrivningen ett föga känt och ett föga utforskat fenomen. Några stora litterära konstverk som kan jämföras med norröna kungasagor eller Saxos Gesta Danorum innehåller nu inte heller den svenska historieskrivningen. Ändå bjuder även den på åtskilligt av intresse, inte minst för norrönforskare. Även i den svenska historieskrivningen spelar kungarna av ynglingaätten efter en tid en viktig roll för skildringen av Sveriges fornhistoria. Hur denna tradition återges och förvaltas av medeltidens svenska historiker är föremål för ett forskningsprojekt jag nu bedriver. En intressant aspekt är de förändringar och omtolkningar som sker i behandlingen av materialet under de århundraden jag har studerat. Under tidens lopp förändras element i skildringen av dessa kungar, förändringar som får betydelse för bilden av den svenska historien. Denna successiva framväxt av en standardbild av svensk fornhistoria är värd att studera, inte minst då det är en idag föga känd del av det nordiska medeltidsstudiet. Jag skall här presentera något av detta och fokusera på just frågor kring vad som förändras av det ursprungliga materialet, hur och varför förändringarna äger rum och vilka konsekvenser de får, på frågor kring vad som är korruption respektive medveten omtolkning och vad som är växelverkan mellan dessa två förändringsmekanismer. Förhoppningsvis kan de exempel jag analyserar illustrera mer generella fenomen och kunna användas till att belysa även andra fall inom forskningen. *

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 Daniel Sävborg

I oktober 2011 höll jag ett föredrag vid en konferens i München anordnad av Wilhelm Heizmann. Mitt ämne var U-versionen av Snorra Edda och dess relation till RTW-versionen, som ofta setts som standardversionen.1 I mitt föredrag diskuterade jag inledningsvis några av de argument som andragits för att U-versionen inte skulle kunna återgå på RTW-versionen utan representera en tradition  – muntlig eller skriftlig  – oberoende av denna; de två versionerna skulle enligt det diskuterade synsättet alltså inte gå tillbaka på en gemensam arketyp. Här har vissa forskare anfört sakliga motsättningar mellan versionerna och menat att de är av sådant slag att de bör vittna om sinsemellan oberoende traditioner. Ett exempel jag nämnde i mitt föredrag är episoden om Tors fiske. I RTW sägs att Tor kastade sin hammare på Midgårdsormen och ”folk säger att den slog av honom huvudet” (”segja men, at hann lysti af honum hǫfuðit”; s. 45), men i U syftar samma ord på jätten: Tor kastar sin hammare på honom och slår av hans huvud (”ok laust af honum hǫfuðit”; s. 74). Från det traditionella perspektivet (hos Finnur Jónsson och andra) är U:s avvikande uppgift på denna punkt bara ett misstag till följd av en radikal förkortning där nästan hälften av texten skurits bort, varvid syftningen råkat bli en annan. Men för en forskare som Heimir Pálsson, som svarar för den senaste editionen av U-versionen, är detta ett exempel som i stället kan antyda en alternativ muntlig version av myten i U (2010, 5). Heimir Pálsson (2012, lv f. och cxvii) argumenterar också för att de sakliga skillnaderna mellan RTW- och U-versionerna i berättelser som Balders död och stölden av Iduns äpplen indikerar alternativa muntliga versioner. I mitt Münchenföredrag ägnade jag mig i första hand åt att undersöka de stilistiska och narratologiska skillnaderna mellan Snorra-Edda-versionerna, men det finns skäl ta upp tråden med de sakliga diskrepanserna igen. Heimir Pálsson fäster i sin argumentation nämligen påfallande stor vikt vid dem. Det är sådana skillnader, närmare bestämt den stora omfattningen av dem, som får honom att dra sin centrala slutsats: From what has been said above it seems clear that it is not always the same source that underlies the myths as they are told in the Codex Regius version and the Uppsala Edda version. There are simply too many differences between the two versions […] for it to be possible for the two versions to have come about by the shortening of one or the lengthening of the other. A much more natural explanation is that the two versions were based on different oral narratives that varied in quality and were told by different storytellers [---]. Some of what appears in DG 11 4to cannot be derived from the same archetype as the Codex Regius version is derived from. This applies particularly to the very different texts of verses in Skáldskaparmál and extremely different tellings of stories in Gylfaginning and Skáldskaparmál” (Heimir Pálsson 2012, CXVI [mina kursiveringar]).

Till Hemir Pálssons återkommande belägg hör skillnader vad gäller egennamn. I berättelsen om skaldemjödet motsvaras RTW:s namnformer Fjalarr, Galarr och Rati i U av Falas, Galas och Roði, och Heimir Pálsson kommenterar som en självklarhet: ”None

1 En omarbetad version av föredraget publicerades i Sävborg 2013, 247–266.



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of them are likely to be misreadings” (2010, 23). Vid ett annat tillfälle listar han en mängd mytologiska namn som har olika lydelse i R och U, t.ex. Biflindi-Riflindi, JálkrSalkr, Byrgir-Byggvir, Hvergelmir-Hergelmir, och drar slutsatsen att dessa varianter icke stöder tanken att de två versionerna skulle återgå på en gemensam förlaga, utan att de tvärtom indikerar ”different original sources” (Heimir Pálsson 2010, 35). En delvis likartad syn möter hos Heimir Pálssons projektkollega Maja Bäckvall. Ämnet för hennes doktorsavhandling om Snorra Edda från 2013 är U-versionens återgivning av eddastrofer. Ett av hennes exempel är behandlingen av Vafþrúðnismál 45. Strofen introduceras i RTW av en prosapassage som börjar: ”En þar sem heitir Hoddmímis holt leynask menn tveir í Surtaloga” (s. 54), vilket i U motsvaras av ”En í holdi Mímis leynast meyjar í svartaloga” (s. 84). Redan här finns sakliga diskrepanser (Hoddmímis holt-hold Mímis; menn-meyjar; í Surtaloga-í svartaloga) och fler blir det i den härpå citerade strofen (Vm 45). I RTW lyder första helmingen: ”Líf ok Leifþrasir, / en þau leynask munu / í holti Hoddmímis”; i U lyder raderna i stället: ”Líf ok Lífþræsir / er þar leynast meyjar / í Mímis holdi”. Här motsvaras RTW:s holt (”í holti”) av U:s hold (”í […] holdi”), RTW:s ”en þar” av U:s ”en þau” och RTW:s ”munu” av U:s ”meyjar”. Det är onekligen många sakliga diskrepanser i en kort text, men de utseendemässiga likheter som finns mellan de skiljaktiga orden (holt-hold, þau-þar, menn-meyjar etc.) har ändå lett tidigare forskare att anta felläsningar i U. Bäckvall (2013, 172) avvisar denna tanke: ”hela strofen tycks komma ur en annan tradition än de övriga textvittnenas”, skriver hon. Slutsatsen baseras närmast på de påtagligt stora skillnaderna  – det är en av de strofer där ”det inte [är] fråga om en enstaka variant som ändrar innebörden av strofen utan […] strofer där strukturen är väsentligt annorlunda, eller där flera mer eller mindre betydelsetunga varianter tillsammans ger en annan bild” (Bäckvall 2013, 189). Härtill andrar Bäckvall också sin uppfattning att samtliga varianter i detta fall ”hör till såväl avsändar- och mottagarvittnet” – d.  v.  s. att Bäckvall anser att U-skrivaren medvetet bör ha skrivit de aktuella raderna som de står och att de medeltida läsarna bör ha ansett sig kunna utläsa något begripligt ur dem2 – som skäl till slutsatsen att ”DG11:s [=U:s] strof citeras från en annan tradering än vad som är fallet i de övriga textvittnena” (Bäckvall 2013, 173). Möjligheten att det snarare skulle handla om felläsningar än felskrivningar hos en skrivare aktualiseras anmärkningsvärt nog inte av Bäckvall, inte heller möjligheten att eventuella misstag (felläsning, felskrivning, feltolkning) ägt rum på ett tidigare stadium av den skriftliga traderingen än vid U-skrivarens framställning av det specifika manuskriptet DG 11 4to. Heimir Pálssons och Maja Bäckvalls arbeten skiljer sig åt på flera punkter. Heimir Pálsson ägnar stort utrymme åt varianter av egennamn, medan Bäckvall i stort sett helt undviker egennamn i sin undersökning. Heimir Pálsson ägnar sig primärt åt prosan, medan Bäckvall undersöker strofcitaten. Heimir Pálsson diskuterar möjliga

2 För definition av begreppen avsändarvittne och mottagarvittne, se Bäckvall 2013, 41.

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felläsningar, medan Bäckvall diskuterar möjliga felskrivningar. Ändå uttrycker de i ett viktigt hänseende en gemensam syn på U och dess relation till RTW-versionen: de sakliga diskrepanser som finns, både vad gäller namnformer och innehållsliga element i berättelsen, skall inte förklaras som följd av felläsningar eller missförstånd i relation till en gemensam arketyp, utan som en följd av att U nyttjat källor eller traditioner oberoende av RTW-versionen eller dess yttersta skriftliga ursprung. Slutsatsen dras på grundval av diskrepansernas stora antal och deras ofta stora omfattning. Det är naturligtvis svårt att bevisa något i fall som dessa. Däremot bör det vara möjligt att sätta in detta slags textvariation i en större kontext av variation i texttradering i Norden under den aktuella tiden. Genom analogier i form av fall där vi bättre känner de skiljaktiga versionernas relation till en ursprungsversion bör frågan åtminstone kunna belysas. De avgörande frågorna är alltså om många och kraftiga förändringar av namnformer är osannolika i rent skriftlig tradering av texter med gemensamt skriftligt ursprung och om sakliga förändringar av centralt slag av skeenden och information är osannolik i sådan rent skriftlig tradering. Om vi tvärtom kan belägga dessa slags förändring som normala i tiden försvagas Heimir Pálssons och Maja Bäckvalls argumentation kring U-versionen av Snorra Edda. Här kan den medeltida svenska historieskrivningen ha en roll att spela som jämförelseobjekt. Kungarna av ynglingaätten, såsom de skildras i de olika handskrifterna av Historia Norwegiæ och i den medeltida svenska historieskrivningen, utgör ett fall som på flera punkter ter sig jämförbart med fallet Snorra Edda. I båda fallen rör det sig om material som förmedlar norrön fornkunskap. Verken – Historia Norwegiæ och Snorra Edda – är från ungefär samma tid, och de aktuella handskrifterna är också de i huvudsak samtida. I båda fallen rör det sig om snarast mytologiska namn och skeenden som ofta avviker påtagligt från det ”vanliga” och normala. Något bevis i de enskilda fallen kan denna jämförelse inte sägas ge, däremot kan den som en analogi förhoppningsvis kasta ljus över de problem som nämndes.

Den svenska historieskrivningen under medeltiden Den svenska historieskrivningen kommer igång på 1200-talet i form av kungalängder och kungakrönikor. Två, delvis skiljaktiga, traditioner finns, och de fästs i skrift ungefär samtidigt. Vi har dels en västgötsk tradition i form av en kortfattad kungakrönika, först nedtecknad ca 1230 (äldsta handskrift Cod. Holm. B 59 av Äldre Västgötalagen; krönikan nedtecknad i början av 1300-talet), dels en östsvensk tradition, nedtecknad ca 1255 (äldsta handskrift Cod. Ups. C 70 från ca 1260).3 De två traditionerna är

3 Se Bolin 1931, 161–171; Lovén 2012, 65; Sävborg 2015, 202–204.



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dock lika på en central punkt: de börjar med Sveriges förste kristne kung, Olof skötkonung. Någon inhemsk historia äldre än så nedtecknades inte i Sverige före 1300-talet. På 1300-talet förändrades situationen. Från tiden kring 1340 stammar två kortfattade kungakrönikor, sinsemellan tydligt skriftligt relaterade, vilka båda för Sveriges historia betydligt längre bakåt i tiden. Verken är på latin och brukar betecknas som Catalogus Regum Sueciæ ad Annum Christi 1333 och Registrum Upsalense. För tiden från och med Olof skötkonung bygger de på Västgötalagens kungakrönika, men båda innehåller också en översikt över Sveriges kungar under hednatiden.4 I båda verken är det kungarna av ynglingaätten vi möter här.5 Den som är bekant med ynglingaätten genom Snorri Sturlusons Ynglinga saga noterar åtskilliga avvikelser från denna, t.ex. att Yngvi anges som far till Njord eller att tillnamnet Vendelkråka tilldelas Egil i stället för Ottar. Men de svenska krönikornas förlaga är inte Snorri utan den norska Historia Norwegiæ. Historia Norwegiæ är ett lärt verk på latin om Norges geografi och historia, författat under senare delen av 1100-talet eller början av 1200-talet.6 Eftersom den norska kungaätten stammade från den svenska inleds Historia Norwegiæs historiska avdelning, liksom Snorris Ynglinga saga, med de svenska kungarna av ynglingaätten och deras stamfäder Ingui, Neorth och Froy, vilka namn motsvarar de norröna Yngvi, Njǫrðr och Freyr. Texten om ynglingakungarna i Catalogus och Registrum Upsalense står huvudhandskriften av Historia Norwegiæ så nära att de inom forskningen ses som fragment av Historia Norwegiæ snarare än som separata verk.7 Huvudhandskriften av Historia Norwegiæ är den s.  k. Dalhousie-handskriften.8 Denna handskrift är från Skottland och nedtecknad ca 1500, men återgår sannolikt på en förlaga från ca 1425 från de då norska Orkneyöarna (Ekrem/Mortensen 2006, 38, 39, 43). Dalhousiehandskriften har förvisso flera klara fel, om vi med fel avser avvikelser från originalversionen. Man kan t.ex. nämna ”Emkr” och ”Broutonnud”, där Historia Norwegiæs ursprungliga text på goda grunder kan antas ha haft ”Erikr” och ”Broutonund”9, motsvarande de norröna formerna Eiríkr och Braut-Ǫnundr. Ändå är det knappast någon tvekan om att Dalhousiehandskriften på det hela taget ger en relativt god text, en text som bör ha legat nära originalversionen, vilken oftast med

4 I Registrum Upsalense står avsnittet om de kristna kungarna tidigare i handskriften än det här aktuella avsnittet om hednakungarna. Catalogus följer däremot en kronologisk ordning fullt ut. 5 I båda verken finns också en brygga mellan den siste svenske ynglingakungen Olof trätälja och den förste kristne kungen Olof skötkonung i form av fyra kungar hämtade från Saxo och norrön sagalitteratur. Denna brygga kommer inte att behandlas här. För detta avsnitt, se Bolin 1931, 194–195. 6 Ekrem/Mortensen 2006, 43, daterar Historia Norwegiæ till 1160–1175. Andra forskare förordar en datering till 1200-talet (se exempel i Holtsmark 1961, 586). 7 Så t.ex. i Ekrem&Mortensens utgåva, där ynglingaavsnitten i Catalogus och Registrum Upsalense betecknas som handskrift B och C av Historia Norwegiæ; Ekrem/Mortensen 2006, 31–32. 8 Se Michael Chesnutts beskrivning i Ekrem/Mortensen 2006, 28. 9 Så återges namnen även i Ekrem/Mortensens emenderade text (Ekrem/Mortensen 2006, 76; 78).

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relativ säkerhet kan fastställas; de olika norröna versionerna av listan med ynglingakungar (i Snorris Ynglingasaga, Aris Íslendingabók m.fl.) utgör här en viktig jämförelsepunkt. Lika vänligt kan man inte uttala sig om ynglingapartiet i Catalogus och Registrum Upsalense. I båda verken finns åtskilligt som avviker markant från vad vi möter i såväl de emenderade standardutgåvorna av Historia Norwegiæ som i Dalhousiehandskriften och de norröna verk som nämner ynglingakungarna. Namnformer och ibland även de händelser som skildras är ofta annorlunda. Det kan inte råda någon tvekan om att vi här har att göra med en stor mängd regelrätta fel, där den text vi har oavsiktligt avviker från originalversionen. För den senare svenska historieskrivningen ligger dessa verks återgivning av ynglingakungarna till grund för den hedniska delen av den svenska kungalängden. Så förblir det fram till 1600-talet, då Snorris Ynglingasaga blir känd och successivt tar över som huvudkälla. Verk efter verk bygger vidare på föregångarna, men ytterst är det Catalogus och Registrum Upsalense och deras version av Historia Norwegiæs ynglingaavsnitt som är källan. Inga andra versioner om ynglingakungarna än dessa föreligger för de svenska historieskrivarna före 1600-talet: man saknade i Sverige all tillgång till och kunskap om de norröna källor som nämnde ynglingakungarna; därmed kunde ingen korrigering utifrån dessa källor göras – alla de svenska historieskrivarna t.  o.  m. början av 1600-talet bygger för ynglingakungarnas del enbart på de äldre svenska verken, och då ytterst på Catalogus och Registrum Upsalense. Detta faktum är centralt när det gäller denna analogis möjlighet att belysa fallet Snorra Edda: i det svenska materialet torde vi kunna utesluta möjligheten av andra, oberoende, traditioner eller källor som förklaring till de avvikelser från Historia Norwegiæ som vi möter, alltså den förklaring som andragits i fallet Snorra Edda i polemik mot tanken på felläsningar och korrupta texter. I det följande skall jag undersöka de korrupta formerna och vad som händer med dem över tid. Dessutom skall jag analysera korruptionens, förändringarnas och omtolkningarnas karaktär. Jag skall följa dem i den svenska historieskrivningen från 1330-talet till 1540-talet. För att denna artikel skall få ett hanterligt omfång skall jag fokusera på ett urval fall: dels ett antal personnamn, dels berättelsen om kung Sveigðir och hans öde.

De svenska historieverken Här följer först en presentation av de svenska historieverk jag undersöker. Catalogus Regum Sueciæ ad Annum Christi 1333 utgörs av en kungakrönika från äldsta tider fram till 1333, kung Magnus Erikssons tid, då krönikan av allt att döma är skriven. Dess inledande del utgörs som nämnts av en version av Historia Norwegiæs avsnitt om de svenska ynglingakungarna. Krönikan avslutas med upplysningen att Magnus Eriksson blivit kung över de båda kungarikena Sverige och Norge, och kröni-



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kans inledning med ynglingakungarna, som var stamfäder för både det svenska och norska kungahuset, liksom användandet av norskt material, bör sannolikt sättas i förbindelse med denna uppgift (Bolin 1931, 199; Ekrem/Mortensen 2006, 40). Handskriften är dock betydligt yngre än Magnus Erikssons tid. Catalogus är bevarad i Cod. Holm. B 17, en handskrift huvudsakligen innehållande Magnus Erikssons landslag samt några ytterligare lagar. Den aktuella delen av handskriften dateras till första hälften av 1400-talet (Ekrem/Mortensen 2006, 31). Den andra svenska ynglingalistan från Historia Norwegiæ ingår i Registrum Upsalense, bevarad i handskrift A 8 på Riksarkivet i Stockholm, huvudsakligen nedskriven 1344. I handskriften samlas åtskilligt material kopplat till Uppsala domkyrka. Utdraget ur Historia Norwegiæ omfattade ursprungligen endast de nio första ynglingakungarna, t.  o.  m. Domar (senare lade en annan hand till även de övriga hednakungarna). Ynglingaavsnitten i Catalogus och Registrum Upsalense kan inte vara direkt beroende av varandra utan bygger på en gemensam förlaga (Bolin 1931, 193; Ekrem/Mortensen 2006, 32; 40). Texten i Catalogus och Registrum Upsalense ligger dock nära varandra, och redan deras gemensamma förlaga har omfattat många av de markanta avvikelserna från Historia Norwegiæs ursprungliga text. Prosaiska krönikan utgör det första större svenska historieverket. Krönikan är skriven i början av 1450-talet, sannolikt på uppdrag av kung Karl Knutsson (Westin 1968, 504–505; Löw 1908, 3). Huvudhandskrift är D 26 på Kungliga biblioteket i Stockholm, från tiden mycket kort efter författandet.10 Krönikan startar i biblisk tid och utnämner Noaks sonson Magog till svenskarnas stamfar (s. 219–220). Som den förste svenske kungen (”konungh j götalandom”) nämns en ”Erik”(s. 221), som genom mellanledet Rodericus Toletanus återgår på Jordanes’ gotiske kung Berig (Löw 1908, 11–12), och härpå uppräknas flera ytterligare gotiska kungar från samma källor. Denna lista avslutas med Philimer, som sägs vara far till Jnge (s. 224–226), identisk med ynglingaättens stamfar (”Ingo” i Catalogus och Registrum Upsalense, ”Ingui” i Historia Norwegiæ). Därefter följer ynglingakungarna från Catalogus/Registrum Upsalense med vissa inskott från en helt annan källa, den danska Annales Esromenses, en källa som dock inte känner ynglingakungarna; namnen Urbar, Östen och Attila skjuts in på olika ställen i krönikan (s. 227–228).11 När det gäller själva ynglingalistan följer Prosaiska krönikan dock Catalogus/Registrum Upsalense relativt nära. Bara i ett fall påverkar nya källor informationen om ynglingakungarna: kung Hakon, som övertagits med detta namn från Catalogus/Registrum Upsalense och motsvarar Historia Norwegiæs Auchim/Auchun och Ynglinga sagas Aun, ges tillnamnet ”ringe” (s. 229) och identifieras med Saxo Grammaticus Ringo, som besegrade Harald hildetand. Redan efter några få år tillkom en interpolerad version av Prosaiska krönikan, där kungar från den norska Þiðreks saga sköts in mellan eller sammanslogs med de sista

10 G. E. Klemming daterar handskriften till ”medlet af 1400-talet” (Klemming 1868–1881, 293). 11 För beroendet av Annales Esromenses, se Löw 1908, 14–15.

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kungarna från gotiska källor (s. 224–226). Det finns även en interpolation från det s.  k. Saxokompendiet gällande Bråvallaslaget (Löw 1908, 26). Bearbetningen påverkar dock inte egentligen informationen om ynglingakungarna. Den äldsta handskriften med denna version är Codex Verelianus, skriven 1457 (Klemming 1868–1881, 292). Det är Prosaiska krönikan i denna interpolerade version som blir huvudkällan till det följande århundradets svenska historieskrivning. Lilla rimkrönikan tillkom kort efter den interpolerade versionen av Prosaiska krönikan och bygger på denna. Den äldsta handskriften är även i detta fall Codex Verelianus från 1457, som ligger till grund för standardutgåvan. Krönikan låter varje kung framsäga en monolog om sig själv. Lilla rimkrönikan saknar de två första ynglingakungarna, men alla de övriga finns med. Cronica Regni Gothorum har betydligt större omfattning än några tidigare svenska historieverk, och nu är språket återigen latin. Verket författades av Uppsalakaniken Ericus Olai åren kring år 1470. Även här inleds den svenska historien med forntidens gotiska kungar, vilka växlar med vissa kungar från Saxo, och krönikan avslutas med Karl Knutsson. För ynglingakungarna och deras tid bygger Ericus Olai främst på Prosaiska krönikan, och själva kungaräckan överensstämmer helt med detta verk, men han har uppenbart även konsulterat flera av de äldre verken (Nygren 1957, 603; Löw 1908, 31). Från 1520-talet stammar en ny version av Lilla rimkrönikan (Löw 1908, 29). Den ena av de två första ynglingakungarna som saknades i den äldre versionen är återinförd; i övrigt är räckan av ynglingakungar densamma som i den äldre versionen, men texten är ofta både omarbetad och utvidgad. Huvudhandskrift är nr 51 i Benzelius samling i Linköpings bibliotek, daterad till 1520-talet (Klemming 1867–1868, 269–270). Sveriges protestantiske reformator Olavus Petri skrev En swensk cröneka vid slutet av 1530-talet (Löw 1908, 41). Han har en betydligt mer kritisk inställning till historia än föregångarna och anser egentligen att enbart den yngsta svenska historien, från vilken samtida dokument finns, kan fastställas (s. 8). Ändå återger han även den tidigare historien som skildrats av föregångarna. Han börjar i forntiden med den Erik han funnit hos Ericus Olai (ytterst Jordanes’ Berig) och slutar med Kristian II. För ynglingakungarna och deras tid följer han Ericus Olai och de äldre svenska krönikorna, men diskuterar även några påstådda kungar från Saxo som eventuellt samtida med dem (s. 26–27). Huvudhandskrift är en avskrift från 1540-talet med författarens egna ändringar (Klemming 1860, 338 samt inledningen [opaginerad]). Verket förblev otryckt ända fram till 1800-talet. Sveriges siste katolske ärkebiskop Johannes Magnus anses ha fullbordat sin Gothorum Sueonumque Historia 1540 (Löw 1908, 50). Verket trycktes postumt 1554. I Johannes Magnus version omfattar den svenska historien 4000 år. Han utser Noaks sonson Magog till nr 1 av de svenska kungarna och slutar med Gustav Vasa på plats nr 143. På 54:e plats möter ynglingaättens stamfar Ingo, och härifrån följer Johannes Magnus Ericus Olais kungaräcka men skjuter också bland dem in hela 25 kungar som han i huvudsak tycks ha hittat på själv (Löw 1908, 83). Efter publiceringen år 1554



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kom Johannes Magnus historia att ligga till grund för den svenska historieskrivningen under mer än hundra år.

Kunganamnen Vi börjar med att följa ett antal av kunganamnen genom de olika fornsvenska versionerna av ynglingaättens historia. Som utgångspunkt anges nedan den norröna formen, som kan ses som ett slags extern standard. I själva jämförelserna är det dock de i Historia Norwegiæ och de svenska historieverken belagda formerna som är relevanta. Njǫrðr: Historia Norwegiæ anger honom som den andre kungen av ynglingaätten, son till ättens stamfar Ingui. Dalhousiehandskriften använder formen Neorth om honom (s.  74), vilket anses vara den ursprungliga formen i verket. I Catalogus heter han Neork (s. 270) och i Registrum Upsalense Neroch (s. 265).12 Prosaiska krönikan kallar honom Neorch (s. 226). I Lilla rimkrönikan saknas han, både i den äldre och den yngre versionen. Ericus Olai har formen Neark (s. 41), samma form har Olavus Petri (s. 22), och Johannes Magnus kallar honom Nearchus (s. 237). Freyr: I Historia Norwgiæ, liksom i den norröna traditionen, är han Neorths son och möter i Dalhousiehandskriften under namnformen Froy (s. 74), vilket anses vara verkets ursprungliga form. Catalogus (s. 270) kallar honom Stroy och Registrum Upsalense (s. 265) Froy (första omnämnandet) och Froyr (andra omnämnandet). Prosaiska krönikan kallar honom Froee vid första omnämnandet och Froe vid det andra (s. 226–227). Lilla rimkrönikan kallar honom Frode (s. 217), vilket i den yngre versionen stavas Phrodhe (s. 257). Ericus Olai skriver Froto (s. 42), Olavus Petri Frodhe (s. 22) och Johannes Magnus Frotho, med alternativformen Froë parentetiskt (s. 238). Fjǫlnir: Historia Norwegiæ har av allt att döma kallat denna kung Fiolni, vilken form också möter i Dalhousiehandskriften (s. 74). Läsningen i Catalogus är mindre säker. I G.E. Klemmings utgåva står ”fiolm [fiolnj?]” (s. 270), medan Storm i sin utgåva läser ”Fiolnj” (Storm s. 225). Ekrem&Mortensens utgåva av Historia Norwegiæ anger inga

12 Vid återgivningen av Catalogus, Registrum Upsalense och Prosaiska krönikan följer jag G.E. Klemmings utgåvor i Småstycken på forn svenska (1868–1881). Till skillnad från denna utgåva inleder jag dock egennamn med versal och återger utgåvans a med hake med æ.

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avvikelser från Dalhousiehandskriften i den kritiska apparaten i detta fall, vilket indikerar att de också läst ”Fiolni” i Catalogus-manuskriptet (s. 270). Jag har inte haft möjlighet att själv kontrollera handskriften. Det är alltså oklart om Catalogus har Fiolm eller Fiolni, men den enda utgivare som anger Fiolm anger också Fiolnj som en möjlig läsning, varför detta (eller Fiolni, då j här snarast är en grafisk variant av i) framstår som huvudalternativet. Registrum Upsalense kallar honom ”Siolm” (s. 265). I Prosaiska krönikan heter han Solen (s. 228), vilket återkommer i Lilla rimkrönikan (s. 218); i dess yngre version kallas han Solon (s. 259). Ericus Olai anger två alternativa former, Fyolm och Solen (s. 42), Olavus Petri skriver Syolm (s. 23) och Johannes Magnus har åter två alternativa former, Fliolmus och Siolmus (s. 242). Braut-Ǫnundr: Dalhousiehandskriften har formen ”Broutonnud”, vilket utgåvorna av Historia Norwegiæ på goda grunder emenderar till ”Broutunund” (s. 78), vilket kan antas vara Historia Norwegiæs ursprungliga form. I Catalogus kallas han ”Bræntomund” (s. 272) och i Registrum Upsalense ”Brentomundir” (s. 266). Prosaiska krönikan kallar honom Bräntemundher (s. 230), Lilla rimkrönikan Bretimunder (s. 222) och dess yngre version Brämwnd (s. 268). Hos Ericus Olai kallas han Brentemunder (s. 45), hos Olavus Petri Brentemunder (s. 33) och hos Johannes Magnus Bratemundus (s. 543). För överskådlighetens skull kan denna förenklade översikt göras för de fyra namnen ovan: Norrön form Historia Norwegiæ (Dalhousie) Catalogus Registrum Upsalense Prosaiska krönikan Lilla rimkrönikan Ericus Olai Lilla rimkrönikans yngre red. Olaus Petri Johannes Magnus

Njǫrðr Neorth Neork Neroch Neorch – Neark – Neark Nearchus

Freyr Froy Stroy Froy Froe(e) Frode Froto Phrodhe Frodhe Frotho/Froë

Fjǫlnir Fiolni Fiolni Siolm Solen Solen Fyolm/Solen Solon Syolm Fliolmus/Siolmus

Braut-Ǫnundr Broutonnud Bræntomund – Bräntemundher Bretimunder Brentemunder Brämwnd Brentemunder Bratemundus

I de flesta fall bjuder namnvariationen på mindre dramatik, och formerna förändras inte alltför mycket. Några ytterligare fall kan dock nämnas kort. Den kung som i norrön form heter Dyggvi kallas i Catalogus för det näraliggande Digguir (s. 270)13, och varianter av detta möter i flertalet av de svenska historieverken, men Olavus Petri

13 Dalhousiehandskriften har Dyggur, vilket av Historia Norwegiæs utgivare Ekrem/Mortensen på basis av en kombination av den norröna formen och Catalogus emenderas till Dyggui (Ekrem/Mortensen 2006, 74).



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har i stället Digner (s. 25) och Johannes Magnus Dignerus (s. 249). Den kung vars norröna form lyder Jǫrundr kallas ännu i Dalhousiehandskriften av Historia Norwegiæ Iorundr (s. 76) och i Catalogus Jorundir (s. 271). I Prosaiska krönikan står dock Järunder (s. 229), och de följande svenska verken har varianter av detta; Johannes Magnus har dock Germundus (s. 259). Det norröna Yngvarr lyder ännu i Dalhousiehandskriften Ynguar (s. 78) och i Catalogus Ingwar (s. 271), men i Prosaiska krönikan får han heta Jngemar (s. 230), och alla de senare svenska historieverken följer efter (med lätt ortografisk variation). Det norröna Sveigðir lyder i Dalhousiehandskriften Swegthir (s. 74), men redan i Catalogus och Registrum Upsalense kallas han Suerchir respektive Swærkir (s. 270 resp. 265), och alla de följande svenska verken följer dem med olika varianter av namnet Sverker. Ett mer egendomligt fall är det norröna Aun, som i Dalhousiehandskriften av Historia Norwegiæ lyder Auchim, vilket av utgivarna emenderas till Auchun (s. 76); i Catalogus kallas han dock Haquon (s. 271), och alla senare svenska historieverk följer detta med olika varianter av namnet Håkon.

Kung Sveigðir Berättelsen om kung Sveigðir återfinns i alla de verk och versioner som diskuteras här. Närmast återger jag texten i de olika versionerna som den står. Kommentar och analys följer senare. Historia Norwegiæ (Dalhousiehandskriften) (s. 74): Cuius filius Swegthir nanum in petram persequitur nec redisse dicitur, quod pro certo fabulosum creditor. [Hans son Swegthir, sägs det, förföljde en dvärg in i en sten och återvände aldrig, men det anses vara en saga].14 Catalogus (s. 270): Cuius filius suerchir manum in petram proiciens non retraxisse dicitur, quod pro certo fabulosum creditur. [Hans son Suerchir, sägs det, slog in sin hand i en sten och kunde inte dra ut den, men det anses vara en saga.]

14 Det kan för fullständighetens skull nämnas att denna version av historien ligger relativt nära den som Snorri ger i Ynglinga saga (s. 27): ”[…] Um kveldit eptir sólarfall, þá er Sveigðir gekk frá drykkju til svefnsbúrs, sá hann til steinsins, at dvergr sat undir steininum. Sveigðir ok hans menn váru mjǫk drukknir ok runnu til steinsins. Dvergrinn stóð í durum ok kallaði á Sveigði, bað hann þar inn ganga, ef hann vildi Óðin hitta. Sveigðir hljóp í steininn, en steininn lauksk þegar aptr, ok kom Sveigðir aldri út.”

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Registrum Upsalense (Klemming s. 265 och Ekrem/Mortensen s. 74): Cuius filius swærkir manum in petram proiciens non retraxisse dicitur de quo arguitur fortis. quod pro certo fabulosum creditor. [Hans son Swærkir, sägs det, slog in sin hand i en sten och kunde inte dra ut den, vilket visar hur stark han var, men det anses vara en saga.] Prosaiska krönikan (s. 228): Solen hafde en son ok het swerker han wart konung epter sin fadher ok sigx han war swa starker at han sloo sina hand j ena häl at hon fastnade. Lilla rimkrönikan (s. 218): Swärker solensson Jak ärffde götaland effter min fader ok war tha then starkasta madher til min alboga i en helan sten slo jak min hand vtan men. Ericus Olai (s. 42): Post hunc dicunt regnasse Suercherum aut Suerkar filium eius, qui manum proiciens in petram dicitur non retraxisse, quod omnino creditur fabulosum. [Man säger att efter honom härskade hans son Suercherus eller Suerkar, som, sägs det, slog in sin hand i en sten och inte kunde dra ut den, men det anses allmänt vara en saga] Lilla rimkrönikan, yngre versionen (s. 259  f.): Swerke solonson xiii k Jag kaller then ware en wsall man szom inghen mandom göre kan Så dana stycke giordes thå når iag fiik göteland före staå Jnghen man fandz tha aå marck som iagh i håndom war så stark Jag slogh myn hand i hallasteen hon wek ssig wndhen, iag kende ey meen Sedhen doo iag aff allers meen Oc lagdess i iord oppundher en steen. Olavus Petri (s. 23–24): Thå Syolm war dödh, bleff Swerker hans son konung epter honom, och han war en mechta stark man, ther aff gick en sådana fabele vth om honom, at han kunde slå sin näffua vthi en hårdan steen vp til almboghan. Thet haffuer så warit wore förfädhers pläghsidh, at the beteeknade stora krafft och macht med sådana fabeler. Ther



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före seya the om sombliga kiempar, at the haffua rykt vp med rööter, stoor trää och slaget sina fiender med, The haffua stora stenar, som andre icke lyffta kunde, kastat theres fiender med, och annat sådana ther stoor krafft behöffdes til, som nogh är merkiandes aff them Danska Crönekone, ther full är med sådana fabeler, och ther moste han haffua acht vppå som henne rätt förstå wil. Man seer clarliga at woro förfädher i hedendomen, haffua mera lust hafft, til fabeler och förtäkt ordh, än til clara och enfaldiga sanningene. Johannes Magnus (s. 243–244): [Merparten av Johannes Magnus avsnitt om Sverker handlar om hans krig, något som han tycks ha hittat på själv. Vid slutet följer dock episoden om handen och stenen:] Cum enim Daniæ regnum in varias atque, discordes præfecturas, distractum, Gothicis armis subiicere statuisset, iamque ad id copias paratas, & proxime transmittendas haberet, ecce subito equi casu brachium dextrum subiectis saxis ita collisit, vt breui post tempore, cum casus ille ex solicitudine suscepti belli maiora sumeret incrementa, vitam præmatura morte commutaret, dolentibus cunctis subditis, qui sibi a tam optimo Principe omnia prospera & felicia pollicebantur. Creditur apud ciuitatem Scarensem non procul a collibus Kindiæ vna cum patre tumulatus. [min kursivering] [Då han hade beslutat att underkasta det danska riket, som var uppsplittrat i åtskilliga inbördes fientliga provinser, de götiska vapnen, och då han redan hade trupperna redo att inom kort sändas dit, då snavade hans häst plötsligt och han slog armen mot de stenar som låg därunder på ett sådant vis att han efter kort tid, då denna händelse på grund av det påbörjade krigets strapatser fick allt större följder, bytte sitt liv mot en för tidig död. Alla hans undersåtar, som i denna förträffliga furste hade sett ett löfte om rikedom och lycka, sörjde detta. Han tros vara begraven i Skara, inte långt från Kinnekulle, tillsammans med sin far.]15

Korruption och transformation Vilka mer generella kommentarer kan göras efter dessa exempel? Finns det några generella slutsatser som kan dras? Ett påfallande faktum när det gäller Historia Norwegiæ är att handskriftens ålder uppenbart inte är avgörande för textens kvalitet, dess tidsmässiga närhet till ursprungsversionen. Dalhousiehandskriften är den ojämförligt yngsta av de tre handskrifter vi har för ynglingadelen av verket, men den är lika ojämförligt den bästa. Registrum Upsalense, som är mer än 150 år äldre, står verkets tillkomsttid betydligt

15 Ett tack till Mikael Males för denna översättning.

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närmare, men har en starkt korrupt text där flera namn, som i Dalhousiehandskriften torde återge ursprungsversionen, har förvandlats till oigenkännlighet (t.ex. Siolm, att jämföra med Dalhousiehandskriftens säkerligen korrekta Fiolni), och där en hel episod, Sveigðirepisoden, till följd av felläsningar och omtolkningar transformerats till en fullkomligt annorlunda historia. De flesta av korruptionerna bör, att döma av Catalogus’ vittnesmål, ha funnits redan i Registrum Upsalenses förlaga. Förvisso tillkommer även senare åtskilliga fel, men särskilt en individuell skrivare bör alltså ha åstadkommit en påfallande stor mängd felaktiga namnformer och sakliga fel. Dalhousiehandskriftens och dess förlagors skrivare har haft samma märkliga forntidsnamn och händelser att återge, men gör det betydligt mer korrekt, och de fel som möter är både få och obetydliga. Fallet är en tydlig illustration att det är individuella skrivares skicklighet, inte handskriftens tidsmässiga närhet till ursprungsversionen, som är avgörande för kvaliteten hos en version. Genomgången har överlag visat på förekomsten av mycket stora förändringar, särskilt av namnformer. Det säkerligen ursprungliga Fiolni förvandlas med tiden till bl.a. Solen och Solon, former med minimal likhet med den ursprungliga formen. Froy ger upphov till både Stroy och Frodhe, två former som är sinsemellan fullständigt olika. Men det viktiga här är att minnas: hur olika Stroy och Frodhe än är så har de ett gemensamt skriftligt ursprung. De grundskilda Stroy och Frodhe går tillbaka på samma skrivna text, som haft formen Froy. Detsamma gäller Fiolni och Solon; ”Solon”, så helt olikt Fiolni, kommer inte från en annan, oberoende, tradition, vare sig muntlig eller skriftlig, utan är verkligen avledd från samma ursprungliga form i en och samma skrivna text. Enskilda skrivares rena felläsningar som resulterar i mycket stora förändringar i relation till ursprungsversionen är alltså ett faktum. Det mest extrema exemplet på detta är kanske Sveigðirhistorien. I Historia Norwegiæ (Dalhousiehandskriften) berättas historien hur kungen förföljde en dvärg in i en sten och aldrig återvände. Det är säkerligen den ursprungliga texten, och den överensstämmer med Ynglinga saga och Ynglingatal, vilka också har historien om dvärgen och bergtagningen. Men i Catalogus och Registrum Upsalense sägs i stället att kungen slog sin hand i en sten och inte kunde dra ut den. Det sakliga innehållet är ett helt annat, ändå kan förändringen enkelt förklaras: det ursprungliga ordet ”nanum” [dvärg] i Historia Norwegiæ motsvaras i de svenska texterna av ”manum” [hand]. Felläsningen av ett ord, ja av en enskild bokstav (n som m), av en enskild skrivare vid ett enskilt tillfälle har alltså fått stora konsekvenser för det sakliga innehållet och gett upphov till en helt ny historia, som senare återkommer i de följande svenska verken. När vi i de enstaka fallen jämför en läsning med dess direkta eller näraliggande förlaga kan förvrängningen oftast relativt enkelt förklaras. Det kan handla om 1) en ren felläsning av en enstaka bokstav eller om 2) ett försök att göra ett märkligt eller obegripligt ord eller namn till ett begripligt eller normalt eller om att göra ett svårbegripligt skeende begripligt. Exempel på 1 är den felläsning av de i medeltida texter mycket lika bokstäverna f och s, vilket lett till utvecklingen Froy→Stroy och Fiolm→Siolm, och de likaledes



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utseendemässigt lika -ni och -m, vilket lett till Fiolni→Fiolm.16 Även c och t ser lika ut i de medeltida handskrifterna, vilket kan förklara hur Neorth (Historia Norwegiæ/Dalhousiehandskriften) blivit Neorch (så Prosaiska krönikan; i Registrum Upsalense står Neroch och i Catalogus Neork). Hit hör givetvis också felläsningen nanum→manum, två ord som ser lika ut men har helt olika betydelse. Exempel på 2 torde vara förändringen Svegthir→Sverchir, Järmunder→Germund, Auchun→Haquon, Froe→Frode. Hit hör möjligen också utbytena av orden persequitur och redisse mot proiciens och retraxisse sedan nanum förvandlats till manum; att ’förfölja en hand in i en sten och inte kunna återvända’ bör ha framstått som en egendomlig formulering, varför den gjordes rimligare genom att orden för ’förfölja’ och ’återvända’ ersattes av de utseendemässigt i viss mån likartade orden för ’slå in’ och ’dra tillbaka’. Gränsen mellan 1 och 2 är dock flytande. Bokstäverna c och t ser som nämnts lika ut i de medeltida handskrifterna – vi minns utvecklingen Neorth→Neorch  – och det är fullt möjligt att Svegthir av en svensk skrivare helt enkelt kan ha fellästs som Sverchir, om än den psykologiska förutsättningen självfallet är den större bekantskapen med det i medeltidens Sverige välkända namnet Sverker än med det okända namnet Svegthir. På samma sätt kan förändringarna av persequitur och redisse till proiciens och retraxisse också vara omedvetna automatiska korrigeringar av en skrivare som trott sig läsa de senare orden, vilket var den möjliga läsningen för att få mening i orden om handen, och orden skulle i så fall snarast kunna ses som felläsningar även de. Som nämndes nyss kan en enstaka skrivare åstadkomma både många och stora fel. Men de verkligt stora förändringarna är ändå en konsekvens av stegvis korruption. Vid nästan varje ny avskrift och vid nästan varje ny användning tillkommer nya felläsningar, anpassningar och omtolkningar, vilket leder till att namnformer och historier successivt avlägsnar sig allt längre från det skriftliga ursprunget. Det är t.ex. först när Catalogus’ Jorundir – nära Dalhousiehandskriftens sannolikt ursprungliga Iorundr – blivit till Järunder (Prosaiska krönikan) som vägen är öppen för Johannes Magnus’ Germundus. Det är först när Froy (så ännu Registrum Upsalense) blivit Froe (Prosaiska krönikan) som det genom onomastisk anpassning kan bli Frode (Lilla rimkrönikan m.fl.). Det är först sedan f i Fiolni blivit till s och lett till formen Siolm (Registrum Upsalense) som vi kan få namnen Solen (Prosaiska krönikan) och Solon (Lilla rimkrönikans yngre version). Det är först när Historia Norwegiæs Broutonund (Broutonnud i Dalhousiehandskriften), motsvarande det norröna Braut-Ǫnundr, blivit Bræntomund (Catalogus) som det kan bli Brämwnd (Lilla rimkrönikans yngre version). Jag nämnde ovan den totala olikheten mellan Fiolni och Solon, där det senare likväl stammar från de förra i en rent skriftlig tradering, men vi kan alltså följa framväxten av den helt

16 Kanske skall formen Solen på likartat sätt förklaras som en felläsning m-in, d.  v.  s. Siolm→*Siolin, vilket tolkats som ’Solen’, även om denna precisa förklaring onekligen är en gissning.

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annorlunda formen steg för steg; detsamma gäller utvecklingen från Broutunund till Brämwnd m.fl. I flera fall har en och samma namnform fellästs på olika, men lika felaktiga, sätt av olika skrivare, något som i några fall lett till utveckling av former som är vitt skilda sinsemellan men som ändå återgår på samma skriftliga ursprung. Jag nämnde redan tidigare hur formerna Stroy och Frodhe har ett gemensamt skriftligt ursprung i Froy, och man kan lägga till de likaledes starkt olikartade Solen och Fliolmus, vilka har ett gemensamt skriftligt ursprung i Fiolni. Men varje enskild förändring är inte stor, och vi kan följa framväxten av de häpnadsväckande olika formerna steg för steg, förvisso alltmer olika det gemensamma skriftliga ursprunget men ännu mer olika varandra. Intressant att notera i fallet Fiolni är att Ericus Olai anger två alternativa namn för honom, Fyolm och Solen, och detsamma gäller Johannes Magnus, som för samma kung dock anger alternativnamnen Fliolmus och Siolmus. Av särskilt intresse när det gäller fenomenet med stegvis förändring är fallet med historien om kung Sveigðir. Här har vi ett exempel på en historia som förändras i grunden. Ytterst är skälet felläsningen nanum→manum, men när man följer historien hos de svenska historieskrivarna från 1300-talet till 1500-talet möter man markanta förändringar även på andra punkter, och även här kan förändringarna i regel följas steg för steg. Ingrid Ekrem och Lars Boje Mortensen har i sin behandling av de tre HistoriaNorwegiæ-handskrifterna diskuterat förändringen av Sveigðir-historien. De hävdar att en transformering har skett i två steg. Deras utgångspunkt är Dalhousiehandskriftens text (som de betecknar som A), som de på goda grunder anser vara den ursprungliga: ”Cuius filius Swegthir nanum in petram persequitur nec redisse dicitur”. Det första steget i transformeringen är misstaget hos en skrivare där nanum [dvärg] blivit manum [hand]. Det andra steget är att persequitur [förföljde] omtolkats till proiciens [slog in] och redisse [återvända] till retraxisse [dra ut] för att få någon mening i den nya texten. Förändringarna till följd av båda dessa steg återfinns i såväl Catalogus och Registrum Upsalense (betecknade som B och C av Ekrem&Mortensen). C-texten, alltså Registrum Upsalense, söker dessutom få ut en poäng ur den nya historien genom att tillägga: ”de quo arguitur fortis” [vilket visar hur stark han var].17 Ekrem och Mortensen ger en god beskrivning av hur förändringen ägt rum och vilka steg det handlar om. Från en historia om en kungs märkliga försvinnande på grund av ett övernaturligt väsen får vi en historia om hur en kung visar sin styrka. Vi ser att hela förändringen inte kommer på en gång eller har samma förklaring. Ursprunget till förändringen ligger i en felläsning av en bokstav i ett ord, men denna felläsning ger upphov till nya förändringar till följd av nya felläsningar eller försök till korrigeringar i begripliggörande syfte, och sist gör en skrivare aktivt ett tillägg där den nya historien ges en förklarande poäng. Förändringarna leder till en helt ny historia med helt ny poäng, men det är värt att notera att

17 Ekrem/Mortensen 2006, 36.



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hela förändringen äger rum inom den skriftliga traderingen av ett och samma textverk. Det är också värt att minnas att tillkomsten av den nya historien grundas på ett rent läsfel av en enda bokstav. Men vi kan gå vidare och följa även de senare svenska historieverkens behandling av samma historia. I Prosaiska krönikan berättas: ”sigx han war swa starker at han sloo sina hand j ena häl at hon fastnade”. Krönikan följer den text vi har i Registrum Upsalense nära, men här finns ännu en liten men signifikant förändring: upplysningen om kungens styrka, som var ett tillägg i Registrum Upsalenses version, kommer nu som inledning, inte som avslutning. Därmed blir kungens styrka inte längre bara en förklarande avslutning på historien om hur Sverker slog handen i stenen, utan nu är den extraordinära styrkan huvudsaken i historien om Sverker, och den följande upplysningen om handen i stenen tjänar som ren illustration av denna. Denna förändring får betydelse för flera av de följande versionerna av historien. I Lilla rimkrönikan står på samma sätt uppgiften om kungens styrka som inledning och huvudinformation om Sverker (”Jak ärffde götaland effter min fader / ok war tha then starkasta madher”) och handslåendet är också här en illustration av denna. Att just styrkan är huvudsaken markeras ytterligare genom tilläggsuppgiften att han slog handen i stenen ända ner till armbågen (”til min alboga i en helan sten / slo jak min hand […]”). Att det är kungens styrka som är det centrala i episoden framgår även av en liten men högst signifikant förändring: kungen slår nu sin hand i stenen utan men (”til min alboga i en helan sten / slo jak min hand vtan men”). Detta är inte bara ett tillägg; det är en grundläggande förändring av historien, som när den först möter i de svenska versionerna av Historia Norwegiæ fokuserar just på att kungen höggradigt fick men av handslåendet – han kunde inte dra ut handen ur stenen igen. I Lilla rimkrönikan har dock elementet med oförmågan att dra ut handen ur stenen försvunnit. Genom att kungen nu sägs slå handen i stenen utan men ända till armbågen har historien åter fått en ny poäng, och det gamla huvudelementet från den svenska versionen av Historia Norwegiæ (såsom vi möter episoden i Catalogus), att handen fastnade i stenen, är borta. I stället är styrkan nu det centrala, ett element som inte ens fanns i de ursprungliga svenska versionerna. Och jämför vi med ursprungsversionen i Historia Norwegiæ är förändringen naturligtvis än större: inte nog med att dvärgen försvunnit och handen och styrkan tillkommit; hela momentet med att kungen på något vis fastnade i en sten – som var det enda inslag som i viss mån fanns kvar från ursprunget i den nya svenska versionen av historien – är nu borta. Lilla rimkrönikans version av historien är den som Olavus Petri tar upp, och han ökar fokuseringen på kungens styrka ytterligare, låt vara att Olavus också tar upp Historia Norwegiæs bedömning – kvar i både Catalogus och Registrum Upsalense; bedömningen försvann i Prosaiska krönikan  – att den centrala händelsen är en ren saga. Precis som i Prosaiska krönikan och Lilla rimkrönikan är också här kungens styrka själv utgångspunkten, det som nämns först och sedan illustreras med ett exempel (”han war en mechta stark man, ther aff gick en sådana fabele vth om honom, at han kunde slå sin näffua vthi en hårdan steen”). Från Lilla rimkrönikan tar Olavus

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Petri över preciseringen att kungen slog handen i stenen ner till armbågen (”vp til almboghan”) och liksom i detta verk saknas uppgiften att han inte kunde dra tillbaka handen. Men framför allt noterar man att större delen av det avsnitt Olavus Petri viger åt kung Sverker består i en längre utläggning med utgångspunkt just i kungens styrka, ett element som därmed blir än mer framhävt. Olavus tror som sagt inte på historiens verklighetsförankring, men hans argumentation på denna punkt visar tydligt att han ser historien som just en berättelse om extrem styrka: ”Thet haffuer så warit wore förfädhers pläghsidh, at the beteeknade stora krafft och macht med sådana fabeler. Ther före seya the om sombliga kiempar, at the haffua rykt vp med rööter, stoor trää och slaget sina fiender med, The haffua stora stenar, som andre icke lyffta kunde, kastat theres fiender med, och annat sådana ther stoor krafft behöffdes til […].” Lilla rimkrönikans bild kan sägas föras vidare även av den yngre versionen av detta verk. Uppgiften att kungen inte fick men av slaget i stenen (här: ”iag kende ey meen”) återkommer, och den i Lilla rimkrönikan strukna oförmågan att dra ut handen igen saknas också här. Betoningen på kungens styrka ökas ytterligare, liksom hos Olavus Petri, men i detta verk genom att presentationen inleds med en utläggning om hur osäll den man är som inte kan visa sin manlighet, vilket däremot skedde när Sverker blev kung – så följer orden om hans styrka och härpå historien om slaget i stenen som en illustration av denna. Berättelsen om Sverker har i de svenska verken utvecklats från en historia om en kung som utan angivna skäl slog sin hand i en sten och inte kunde dra ut den igen till en historia om en kung som helt kännetecknas av sin oerhörda styrka, vilken illustreras av hans förmåga att slå en hand djupt i en sten utan att ta skada, och där utläggningar gjordes om just hans sällsamma styrka. Förändringarna mellan varje verk är små och gäller detaljer, men sammantagna blir förändringarna signifikanta och förändrar själva inriktningen på historien. Ericus Olai är den enda av den svenska historikerna som inte deltar i förändringsarbetet; han återger tämligen troget Catalogus ord om Sverker. Men historien tar också en annan väg. Hos Johannes Magnus finns visserligen handen och stenen med, men de är tämligen oviktiga detaljer, och själva elementet med Sverkers styrka saknas helt. Johannes skriver inledningsvis om Sverkers krig, och först vid slutet kommer en berättelse som baseras på historien om handen och stenen. Men hos Johannes Magnus finns ingen anmärkningsvärd styrka hos Sverker, inte heller något slag med handen i en sten. I stället får vi en trivial historia om hur Sverker under kriget ramlar av sin häst och skadar armen i fallet mot den underliggande klippan; i kombination med de faror han utsatt sig för under kriget leder detta till hans död. Fallet med historien om kung Sveigðir är betecknande i denna undersökning av stegvis korruption och transformation. Den historia som berättades i Historia Norwegiæ är mindre än en mening lång och handlar om en kung som förföljde en dvärg in i en sten och aldrig återvände – det handlar alltså om en människa som bergtas av ett övernaturligt väsen. Denna historia har i 1400- och 1500-talets Sverige utvecklats dels till en berättelse om en kung med oerhörd styrka, illustrerad av förmågan att



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slå handen i en sten ända till armbågen utan att ta skada och utvecklad i diverse kommentarer om mänsklig styrka, dels till en berättelse om ett trivialt fall från en häst, där en kung skadade armen och dog på grund av denna och andra krigsskador. Vägen från en berättelse om ett övernaturligt väsen som bergtar en människa till dels en historia om oerhörd styrka, dels en historia om ett fall från en häst går att följa steg för steg, icke desto mindre är det en historia som transformerats fundamentalt. De yngsta berättelserna om denna kung har inte någonting gemensamt med den ursprungliga historien. Men det är viktigt att komma ihåg att ingen av förändringarna bottnar i inflytande från andra, oberoende traditioner om samma skeende. Historierna i de yngsta versionerna är oigenkännliga i relation till den ursprungliga. Ändå går de tillbaka på detta ursprung, på en och samma skrivna text, utan påverkan från alternativa oberoende källor. Den fundamentala innehållsliga förändringen i relation till ursprungsversionen går tillbaka på en felläsning, där nanum oriktigt lästes som manum. Det handlar om en felläsning av en enda bokstav vid ett enskilt tillfälle.

Tillbaka till Snorra Edda Låt oss återknyta till frågan om Snorra Edda och U:s påstådda oberoende källor för avvikande namn och information. Det centrala i Heimir Pálssons argumentation var att markant många och stora skillnader (”simply too many differences”; 2012, CXVI) i U i relation till RTW vad gäller såväl skildring av skeenden som återgivning av namn gjorde felläsningar i U omöjliga eller osannolika. I de svenska versionerna av Historia Norwegiæ och deras relation till Dalhousiehandskriften har vi emellertid ett exempel på ett mycket stort antal skillnader i en relativt kort text, vad gäller såväl namnformer som saklig information. Vi kan kort påminna om namnvarianter som Froy-Stroy och Fiolni-Siolm och om diskrepansen mellan historien om kungen som blev bergtagen av en dvärg och historien om kungen som visade sin styrka genom att slå in sin hand i en sten. Både avvikelsernas mängd och deras omfattning i de enskilda fallen i Catalogus och Registrum Upsalense i relationen till Dalhousiehandskriften framstår som väl så påfallande som i fallet med U och dess relation till RTW. Och i fallet med de svenska historieverken vet vi att det handlar om verk med samma skriftliga ursprung, och vi vet att förändringarna inte bottnar i tillgång till alternativa oberoende källor eller traditioner – det handlar om något så banalt som felläsningar av enskilda skrivare. Vi har ovan kunnat se hur felläsningar kan förklaras och vi har kunnat följa hur de genom nya avskrifter och nya felläsningar alltmer avlägsnat sig från ursprungsformen. Ändå är det också ett faktum att stora förändringar inte med nödvändighet kräver många mellanled. Vi har skäl att tro att det mellan så olika former som Fiolni-Siolm och Froy-Stroy inte ligger något mellanled alls – det handlar om en enstaka skrivares felläsning i vartdera fallet. Den mest radikala sakliga förändringen av historien om kung Sveigðir krävde bara en

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felläsning av en bokstav vid ett enskilt tillfälle – när nanum lästes som manum. De svenska historieverken vi har undersökt ger alltså gott om belägg för förekomsten av sådana rent textuella förändringar  – omfattande felläsningar och omtolkningar av enskilda skrivare – som Heimir Pálsson håller för omöjliga eller osannolika. Det centrala i Maja Bäckvalls argumentation i det refererade exemplet var också omfattningen av avvikande text i ett enskilt fall som motiverade avfärdandet av tanken på skrivarfel och ledde till antagandet av en ”annan tradition” än de övriga Snorra-Edda-textvittnenas version; det var enligt henne inte bara ”en enstaka variant” som förändrade innebörden utan det handlade om att ”flera mer eller mindre betydelsetunga varianter tillsammans ger en annan bild” (Bäckvall 2013, 189). Bäckvall kan tyckas ha en god poäng här – det handlar om påtagligt många sakliga avvikelser i en och samma strof och dess korta introduktion. Ändå tycks det mig som om just detta är något vi möter också i de fall som undersökts här. Framför allt gäller det Sveigðirhistorien. I grunden handlar det om en trivial felläsning av nanum som manum, vilket förändrar historien i grund. Men detta är trots allt inte den enda förändringen: i Catalogus/Registrum Upsalense har också persequitur [förföljde] ändrats till proiciens [slog in] och redisse [återvända] till retraxisse [dra tillbaka], ord som visserligen har vissa utseendemässiga likheter med de ursprungliga, men dessa likheter är trots allt relativt små och omfattar främst begynnelsebokstaven i båda fallen, och de nya orden har en annan betydelse. Man kan jämföra med de betydelseskiljande varianterna i Bäckvalls exempel (holt-hold, þau-þar, menn-meyjar, munu-meyjar), vilka knappast är mer olika till utseendet än persequitur och proiciens. Redan i Registrum Upsalense görs dessutom ut- och omtolkande tillägg till historien, vilket i följande återgivningar förändrar historien i grunden. Ändå handlar det i detta fall om just skriftlig variation. Det handlar inte om en ”annan tradition”, utan dessa olikartade versioner har samma skriftliga ursprung, och olikheterna är också här följden av enkla misstag och omtolkningar av enskilda skrivare. Textuell korruption och innehållslig transformation till följd av denna är inte något okänt fenomen inom vare sig norrönfilologi eller medeltidsfilologi i stort, men de nämnda forskarna förefaller helt obekanta med hur text faktiskt traderas och transformeras i just medeltida nordiska verk och handskrifter.

Fornsvensk historieskrivning i nordisk medeltidsforskning Den fornsvenska historieskrivningen är ett försummat område inom den nordiska medeltidsfilologin. Men även för den vars fokus ligger på den norröna litteraturen finns paralleller att upptäcka och analysera. När det gäller konstruerandet av en inhemsk fornhistoria erbjuder den svenska historieskrivningens successiva utveckling av en alltmer omfattande forntid en intressant jämförelsepunkt, både som kont-



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rast och som parallell till norska och danska förhållanden. Denna undersökning har fokuserat på de förändringar och omtolkningar av detaljer som äger rum, förändringar som samlade får stora konsekvenser. På denna punkt torde den fornsvenska historieskrivningen erbjuda en intressant parallell för alla som sysslar med texttradering och litterär omarbetning i norrön litteratur. Förhoppningsvis kan denna undersökning inspirera till fortsatta jämförelser.

Källor Catalogus Regum Sueciæ ad Annum Christi 1333: Småstycken på forn svenska 1, G. E. Klemming (utg.). Stockholm 1868–1881. Ericus Olai: Chronica regni Gothorum, Ella Heuman och Jan Öberg (utg.). Stockholm 1993. Historia Norwegiæ (Dalhousiehandskriften): Historia Norwegie, Ingrid Ekrem, Lars Boje Mortensen (utg.). Köpenhamn [e-book 2006]. Johannes Magnus: Historia Ioannis Magni etc., Olaus Magnus (utg.). Rom 1554. Lilla rimkrönikan: Svenska medeltidens rim-krönikor 1, G.E. Klemming (utg.). Stockholm 1865. Lilla rimkrönikans yngre version: Svenska medeltidens rim-krönikor 1, G.E. Klemming (utg.). Stockholm 1865. Olavus Petri: Olai Petri svenska krönika, G.E. Klemming (utg.). Stockholm 1860. Prosaiska krönikan: Småstycken på forn svenska 1, G.E. Klemming (utg.). Stockholm 1868–1881. Registrum Upsalense: Småstycken på forn svenska 1, G.E. Klemming (utg.). Stockholm 1868–1881. Snorra Edda (RTW-versionen): Snorri Sturluson, Edda: Prologue and Gylfaginning, Anthony Faulkes (ed.), 2 ed. London 2005. Snorra Edda (U-versionen): Snorri Sturluson, The Uppsala Edda: DG 11 4to, Heimir Pálsson (ed.), Anthony Faulkes (trans.). London 2012. Ynglinga saga: Snorri Sturluson, Heimkringla 1 (Íslenzk fornrit 26), Bjarni Aðalbjarnarson (útg.). Reykjavík 2002.

Litteratur Bolin 1931: Sture Bolin, Om Nordens äldsta historieforskning: Studier över dess metodik och källvärde (Lunds Universitets årsskrift 1 / N.F. 27,3). Lund 1931. Bäckvall 2013: Maja Bäckvall, Skriva fel och läsa rätt? Eddiska dikter i Uppsalaeddan ur ett avsändar- och mottagarperspektiv (Nordiska texter och undersökningar 31). Uppsala 2013. Ekrem/Mortensen 2006: Ingrid Ekrem, Lars Boje Mortensen (utg.), [Inledning och kommentarer till] Historia Norwegie. Köpenhamn [e-book 2006]. Heimir Pálsson 2010: Heimir Pálsson, Tertium vero datur – A study on the text of DG 11 4to. http://uu.diva-portal.org/smash/get/diva2:322558/FULLTEXT02.pdf [hämtad 2016–08–28]. Heimir Pálsson 2012: Heimir Pálsson, [Inledning till] Snorri Sturluson, The Uppsala Edda: DG 11 4to, ed. Heimir Pálsson, trans. Anthony Faulkes. London 2012. Holtsmark 1961: Anne Holtsmark, ”Historia Norvegiæ”. In: Kulturhistoriskt lexikon för nordisk medeltid 6, 1961, 585–587. Klemming 1860; Gustaf Edvard Klemming, [Inledning och kommentar till] Olai Petri svenska krönika. Gustaf Edvard Klemming (utg.). Stockholm 1860.

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 Daniel Sävborg

Klemming 1867–1868: Gustaf Edvard Klemming, [Handskriftbeskrivning i] Svenska medeltidens rim-krönikor 3, utg. Gustaf Edvard Klemming. Stockholm 1867–1868. Klemming 1868–1881: Gustaf Edvard Klemming, [Kommentarer till] Småstycken på forn svenska 1. Gustaf Edvard Klemming (utg.). Stockholm 1868–1881. Lovén 2012: Christian Lovén, Historieskrivning vid Uppsala domkyrka under högmedeltiden: ­Handskriften UUB C 92 och dess källor (Samlingar 1 / 96). Uppsala 2012. Löw 1908: Gustav Löw, Sveriges forntid i svensk historieskrivning 1. Uppsala 1908. Nygren 1957: Ernst Nygren, ”Cronica regni Gothorum”. In: Kulturhistoriskt lexikon för nordisk medeltid 2, 1957, 603–604. Sävborg 2013: Daniel Sävborg, ”Snorra Edda and the Uppsala Edda”. In: Heinrich Beck, Wilhelm Heizmann, Jan Alexander van Nahl (Hg.), Snorri Sturluson – Historiker, Dichter, Politiker ­(Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 85). Berlin 2013, 247–266. Westin 1968: Gunnar T. Westin, ”Prosaiska krönikan”. In: Kulturhistoriskt lexikon för nordisk medeltid 13, 1968, 504–505.

Andreas Schmidt

Der Nekromant und der Ring: Spuren christlicher Gelehrsamkeit in der Færeyinga saga? Abstract: Færeyinga saga has often been read as a conversion-discourse and Christian ideologies have been supposed to shape its content. Fitting to those readings, Christian legendary texts, in specific Maríu saga, have been identified among the sources the saga draws upon. A scene in which Sigmundr, one of the saga’s protagonists, receives a ring from the statue of the heathen figure Þorgerðr Hǫrðabrúðr has been declared to be a direct adaption of a miracle of the Holy Virgin, in which a clerk is betrothed to her statue. The present article reviews this assessment and provides an alternative reading by concentrating on the motif of the ring and its narrative functionalisation. The ring’s paradox ascriptions in the course of the narrative, being given to Sigmundr as a heathen sign of luck, but suddenly becoming his bane after the conversion to Christianity, can be reconciled by defining the ring as a numinous item with its own inherent logic, theoretically drawing on recent narratological approaches. This logic inherent to the ring can be traced back to its origins in a narrative layer which may be dubbed ‘mythic’ in its nature. This layer of narration is, however, shut to Sigmundr, who ignores any sign of the ring’s numinous powers, as opposed to this adversary Þrándr. Þrándr can participate in the logic of the mythic text layer, which can be seen in his association with pagan deities and his magical powers. This narrative construction sharpens and widens the dichotomy between the two protagonists and displays an ideology in Færeyinga saga that cannot be reduced its drawing on Christian legendary sources. Die Færeyinga saga, ein Text, der nur als Interpolation und nicht selbstständig überliefert ist, wird meist auf den Beginn des 13. Jahrhunderts datiert.1 Inhaltlich behandelt der rekonstruierte Gesamttext als einziger des altnordischen Korpus Machtstreitigkeiten auf den Färöern des 10.–11.  Jahrhunderts. Wegen ihrer frühen Datierung und ihres Status als alleinige Geschichtsquelle der färöischen Wikingerzeit wurde die Saga bisher recht ausführlich auf ihre Quellen hin untersucht.2 Verschiedentlich

1 Ausgehend vom Verhältnis zu den umgebenden Texten, in welche die Saga interpoliert wurde, wird gemeinhin ein verlorenes Originalmanuskript angenommen, obwohl die einzige ‚vollständige‘ Version der Saga in der Flateyjarbók enthalten ist. Vgl. Ólafur Halldórsson 1987, ccxxxii–ccxxxix als Überblick zur Datierungsfrage. 2 Dabei wurden hauptsächlich mündliche Quellen aus ihrem Handlungsraum, den Färöern, ange-

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 Andreas Schmidt

wurden Versuche unternommen, sie insgesamt als eine Schrift zu lesen, in der sich die Frage kolonialer Unterwerfung mit einem Diskurs über die Bekehrung zum Christentum verbindet (vgl. Glauser 1994, 115). Zugleich suchte man eine mittelalterlichchristliche Moralethik in ihrer Darstellung. Die Saga ist geprägt vom Dualismus der beiden Hauptfiguren Sigmundr Brestisson und Þrándr í Gǫtu, wobei ersterer als vornehmlich moralisch ‚guter‘ und christlicher Held und letzterer als Repräsentant eines überkommen heidnischen Weltbildes kategorisiert wurde. Für eine solche Interpretation muss als ungewöhnlich gelten, dass der christliche Sigmundr dennoch ein scheiternder Held ist, während gerade der skrupellose und heidnische Þrándr scheinbar proto-nationale Souveränität garantiert. Vor diesem Hintergrund haben Óláfur Halldórsson (1987, clxxxvi-clxxxviii sowie cxci-cxciii), Peter Foote (1984 und 1988, 193) und Bo Almqvist (2005) in zwei der auf den ersten Blick ‚heidnischsten‘ aller Szenen in der Færeyinga saga intertextuelle Verbindungen zur christlichen Legendenliteratur festmachen wollen: Zum einen in der Beschreibung des Tempels und der Statue der Þorgerðr Hǫlgabrúðr (nach der Version der Saga Hǫrðabrúðr),3 zum anderen in der Beschreibung des nekromantischen Rituals des Þrándr í Gǫtu.4 Dort seien Elemente kontinentaler Gelehrsamkeit in Form von Motivübernahmen aus der Marienliteratur (auf Island der Maríu saga) im Text zu bemerken. Dass eine mögliche Verwendung von Texten der kontinentalen Gelehrsamkeit als Quellen aber keineswegs eine bloße Übernahme von deren Verständnismustern bedeutet, soll der vorliegende Artikel zeigen. So zeugt die hohe literarische Qualität der Einbindung von Motiven aus verschiedensten Quellen in der Færeyinga saga etwa keineswegs von „sagaskrivningens barnaålder“ (Almqvist 1992, 44), sondern von einem literarisch überaus anspruchsvollen Entstehungsmilieu.5 Dieser Befund ergibt sich insbesondere aus der narratologischen Betrachtung der Funktionalisierung verwendeter Motive im Text. Im Folgenden soll dies in einer Beispielanalyse anhand der oben genannten beiden Szenen demonstriert werden. Dabei wird das Gewicht meiner Analyse auf der ersten Szene und dem damit zusammenhängenden Ringmotiv liegen, während die Ritualszene zum Abschluss vergleichend miteinbezogen werden soll. In ihrer Betrachtung erweist sich, dass beide Elemente zwar einerseits gut im Text verwoben sind  – was zunächst zur Annahme einer christlichen Ideologie der Saga anregen könnte – dass beiden andererseits aber Bedeutungsmehrwerte eingeschrieben sind, die dieser einfachen Annahme entgegenstehen. Sie verleihen dem Text unterhalb seiner Oberfläche eine Tiefenschicht, die eine weit offenere Ethik der Saga

setzt sowie frühe isländische Historiographie (vgl. als ausführlichen Überblick Ólafur Halldórsson 1987, cliii–ccxii). Wiederholt auf das Gepräge der Saga durch eine ‚mündliche Erzählkunst‘ kommen vor allem Ólafur und daneben auch Peter Foote in ihren Forschungen zu sprechen. 3 Fær Kap. 23. 4 Fær Kap. 40. 5 Zur möglichen Diskrepanz zwischen dem Alter der Færeyinga saga und ihrer literarischen Gestalt und Qualität vgl. auch Mundal 2005.



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deutlich macht, als eine Basierung auf Motiven christlicher Legendentexte naheliegend erscheinen ließe.

Eine Statuenverlobung? Die Maríu saga und das Ringmotiv in der Færeyinga saga Sigmundr Brestisson wurde häufig als christlicher Held der Færeyinga saga angesprochen (vgl. Glauser 1994, 115). Er wird im Laufe der Handlung Hofangehöriger des Missionskönigs Óláfr Tryggvason und christianisiert sein Heimatland, die Färöer, in dessen Auftrag. Doch König Óláfr wundert sich eines Tages während eines Festmahls, auf dem Sigmundr anwesend ist, über dessen goldenen Armring: [K]onungr m(ælti) lat sea hringinn. Sigmundr tok hringinn af hendi ser ok feck konungi. konungr mælti. Vilt þu gefa mer hring þenna. S(igmundr) svar(ar). þat hefi ek ætlat at loga eigi hring þessum.6 Obgleich der König ihm einen Ersatz anbietet, und ihm letztendlich sogar seinen Tod wegen des Rings prophezeit (was sich schließlich auch erfüllt),7 lehnt Sigmundr standhaft ab, ihn seinem Herrn auszuhändigen. Denn Sigmundr ist auch mit einer Szene explizit heidnischen Gepräges verbunden: Er hat den Ring von seinem früheren Herrn, dem heidnischen Jarl Hákon erhalten. Dieser hatte Sigmundr zu einem Tempel seiner Privatpatronin Þorgerðr Hǫrðabrúðr geführt, vor eine Statue von ihr,8 und dort Folgendes getan: [J](arl) kastade ser nidr firir fætr henni ok la læingi ok sidan stendr hann upp ok segir S(igmundi) at þeir skulu færa henni fornn nokkura ok koma silfri þui astolinn firir hana en þat skulum vit at marki hafua segir Hakon huort hon uill þiggia at ek villde at hon leti lausan hring þann er hon hefir ahendi ser attu S(igmundr) af þeim hring heílir at taka en nu tekr j(arl) til hringsins ok þikir S(igmundi) hon beygia at hnefan. ok nadi j(arl) æigi hringnum j(arl) kastar ser nídr j annan tíma firir hana ok þat finnr S(igmundr) at j(arl) tarazst ok stendr upp eftir þat ok tekr til hringsíns ok | er þa lauss ok færr j(arl) S(igmundi) hringinn ok mællti sua at þessum hring skyllde S(igmundr) æigi loga ok þui het hann.9

6 Fær Kap. 33, 79: Der König sprach: ‚Lass mich den Ring sehen!‘ Sigmundr nahm den Ring vom Arm und gab ihn dem König. Der König sprach: ‚Willst du mir diesen Ring geben?‘ Sigmundr antwortet: ‚Ich hatte beschlossen, Herr, diesen Ring nicht fort zu geben.‘ (Sämtliche Übersetzungen im Text sind meine eigenen). 7 Siehe Fær Kap. 38. Vgl. näher auch unten. 8 Um welche Art mythisches Wesen es sich hierbei genau handelt ist strittig. Als Überblick des Forschungsstandes vgl. Schmidt 2015, 127–30, bes. Fußnote 455. 9 Fær Kap. 23, 50: Der Jarl warf sich ihr zu Füßen nieder und lag lange und dann steht er auf und sagt zu Sigmundr, dass sie ihr ein Opfer darbringen sollten und das Silber auf den Stuhl vor ihr legen – ‚das aber wollen wir als Zeichen halten‘, sagt Hákon, ‚ob sie es annehmen will, dass ich wollte, sie ließe den Ring los, den sie am Arm trägt. Du, Sigmundr, hast von diesem Ring Heil zu erwarten.‘ Nun aber greift der Jarl nach dem Ring, und es scheint Sigmundr, als dass sie die Hand zur Faust balle.

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 Andreas Schmidt

Die Szene der Ringübergabe hat Peter Foote als „a parody of tales associated with images of the Blessed Virgin and other saints“ bezeichnet (1988, 193). Bo Almqvist (2005) hat diese Assoziation stark erweitert und führt die Szene trotz ihres explizit heidnischen Inhalts auf eine spezifische Vorbildszene in den sog. Maríu jarteinar, den altisländischen Marienmirakeln, zurück. In dieser verlobt sich ein Geistlicher mit einem Marienstandbild, dessen Schönheit ihn auf der Stelle verzückt, indem er der Statue einen Ring aufsteckt, den er von seiner irdischen Geliebten erhalten hat: Hann gengr inn i kirkiuna fyrir likneski iungfru Marie, ok sem hann ser vpp aa skriptina, vndrazt hann hennar fegrd ok heilsar aa hana fallandi aa kne. Eptir þat sagdi hann: „Sannliga ert þu fogr, ok ollum konvm ok iungfrvn ert þu fegri, ok eigi sidr þeiri, sem mer gaf þetta gull til fullkominnar elsku, ok sakir þess nita ek henni, en ek iata, at hedan af skal ek þik elska ok þer þiona, þo med þeim skildaga, ef þu villt virdazt mik at elska.“ Fyrr sagdr klekr dro gullit aa fingr likneskiunni, þann sem hun retti adr vpp. Enn sidan gullit kom þar aa, vard vndarligr hlutr, skriptin beygdi þegar fingrinn at gullinu, sem vor frv samþykti med þui þat, er klerkrinn hafdi talat.10

Obwohl Almqvist die „uppenbara olikheter“ zwischen dem Bericht der Maríu saga und dem der Færeyinga saga durchaus bewusst sind (2005, 24–5), möchte er daran festhalten, dass das Marienmirakel „den direkta förebilden“ (22) für die Færeyinga saga-Szene ausmacht, weil es „vissa detaljlikheter“ gäbe, nämlich die kirchliche Umgebung, die Prosternation und ein innigliches Gebet (23). Dabei ist anzumerken (wie bereits Almqvist), dass das Motiv der ‚Verlobten Statue‘ ein der Weltliteratur verbreitetes Motiv ist,11 und eine Variante des Motivs die Verlobung eines Jünglings mit einer dämonischen Statue der römischen Liebesgöttin Venus vorsieht.12 Bei näherer

Und der Jarl erreichte den Ring nicht. Der Jarl wirft sich ein zweites Mal vor sie nieder, und Sigmundr bemerkt, dass der Jarl weint, und danach steht er auf und greift nach dem Ring und der ist da lose und der Jarl gibt Sigmundr den Ring und sagte, dass Sigmundr diesen Ring nicht hergeben sollte, und er versprach es. 10 Mar, 1034: Er geht in die Kirche vor einem Standbild der Jungfrau Maria, und als er zum Bildnis hinauf sieht, verwundert ihn ihre Schönheit und er grüßt sie, indem er auf die Knie fällt. Danach sagte er: ‚Wahrlich bist du schön, und schöner als alle Frauen und Jungfrauen, und nicht zuletzt jene, die mir diesen Goldring als Zeichen ihrer vollkommenen Liebe geschenkt hat, und deshalb weise ich sie zurück, aber gelobe, dass ich dich von jetzt an lieben und dir dienen werde, jedoch unter der Bedingung, dass du dich erweisen möchtest, mich zu lieben.‘ Der zuvor genannte Geistliche zog dem Standbild den Goldring auf den Finger, den sie zuvor nach oben gerichtet hatte. Aber als das Gold darauf kam, geschah ein wunderbares Ereignis: Das Bildnis beugte sogleich den Finger nach dem Gold, als sei Unsere Frau einverstanden mit dem, was der Geistliche gesagt hatte. 11 Vgl. zur Übersicht Nyrop 1933. Eine sehr umfangreiche, in den Details aber wenig überzeugende Studie über Vergleichsmaterial, dessen gemeinsamer Nenner die (meist zerstörerische und böse) Macht eines steinernen Wesens ist, stellt Kurt Wais auf, vgl. Wais 1952; zum hier diskutierten Material 255–60. 12 Für eine Übersicht des Materials und Motivstudie vgl. Baum 1919. Die älteste greifbare Version des Motivs findet sich in Williams von Malmesbury De Gestis Regum Anglorum (2. Buch § 205). Dort steckt ein verheirateter Mann einer Venusstatue seinen Ehering an,



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Betrachtung erscheinen allerdings auch Almqvists „detaljlikheter“ mehr allgemein denn konkret – so ist im Mirakelbericht von einem ‚inniglichen‘ Gebet etwa wenig zu spüren, ein Kniefall vor einer angebeteten Gottheit keine Seltenheit und das kirchliche Ambiente der Þorgerðr-Szene allgemein auf die ‚unauthentische‘ Darstellung heidnischer Religion in der Sagaliteratur zurückzuführen.13 Zudem unterscheidet die Szenen die gewichtige Tatsache, dass Sigmundr sich weder mit dem Bildnis in Hákons Tempel verlobt, noch der Þorgerðr einen Fingerring ansteckt. Im Gegenteil erhält er von ihr durch einen Mittler einen Armring, überdies erst beim zweiten Versuch Hákons. Eine ‚Verlobung‘ wird insofern, wenn überhaupt, als symbolische Handlung durch Hákon an Sigmundr vollzogen. Dies macht Almqvists Postulat einer direkten Verbindung zwischen beiden Szenen sehr unwahrscheinlich.  Scheint also ein Vergleich des Gesamtnarrativs der unterschiedlichen Redaktionen des Motivs der ‚Verlobten Statue‘ mit der Færeyinga saga eher lohnenswert? In der Maríu saga wird der verlobte Kleriker seinem Schwur vor dem Marienbild bald untreu und verheiratet sich mit einer irdischen Frau. In der ersten Nacht an der Seite seiner Ehefrau erscheint ihm daraufhin wenigstens zweimal14 die Gottesmutter, die sich zunächst zwischen ihn und seine Gattin setzt und ihm den Ring an ihrem Finger entgegenhält, während sie ihn wegen seiner Treulosigkeit anklagt. Beim zweiten Mal stellt sie ihm aufgrund seiner Untreue Höllenqualen in Aussicht und wendet sich von ihm ab.15 Die Venusredaktion des Wandermotivs hingegen erzählt

da er ihn beim Ballspiel nicht gebrauchen kann. Er kann den Ring nicht mehr entfernen und wird von einer Erscheinung der Venus vom Beischlaf mit seiner Frau abgehalten, da er sich durch die Ringübergabe mit ihr verlobt habe. Ein zauberkundiger Priester schickt den Mann schließlich mit einem Schriftstück auf eine dämonische Zusammenkunft. Dort überreicht der Mann dem Anführer der Dämonen die Schriftrolle, woraufhin dieser den Ring von Venus zurückholen lässt. Eine andere Version bietet die deutsche Kaiserchronik (VV 13067–367): Dort verlobt sich ein in Liebe zum Bildnis der Venus entflammter junger Mann spontan und freiwillig mit der Statue, was zu einer Besessenheit durch den Teufel führt, sodass der Jüngling keine Nahrung mehr zu sich nehmen und nicht mehr schlafen kann. Obwohl selbst dem Christentum bisher abgeneigt, wendet sich der junge Mann an einen Priester, der den Teufel für ihn zur Herausgabe des Rings zwingt und die Venusstatue vernichten lässt. Der junge Heide bekehrt sich daraufhin. 13 Wie Preben Meulengracht Sørensen formuliert ist ein „zusammenhängendes unverfälschtes Bild vorchristlicher Religionsausübung […] nicht überliefert“ (1992, 721) – die heidnische „Sagareligion“ der literarischen Zeugnisse ist, schon aufgrund der zeitlichen Differenz zwischen tatsächlichem Kult und Schriftfixierung der Texte, vielfach gebrochen und Walter Baetke (1951) zufolge auch stark mit christlichen Elementen durchsetzt, was sich häufig gerade in der Darstellung heidnischer Tempel nach dem Bilde mittelalterlicher Kirchen äußert (vgl. als Überblick etwa Böldl 2005, 218–26). Hierzu passt auch die anachronistische Darstellung von Hákons Tempel in der Færeyinga saga mit seinen Glasfenstern (vgl. Foote 1988, 193). 14 Der Schlussteil des Mirakelberichts ist verloren – nach der zweiten Erscheinung bricht der altnordische Text ab – und muss daher im Abgleich mit kontinentalem Material ergänzt werden: Der Kleriker entsagt schließlich der Welt und zieht sich ins Kloster zurück, wo er Mariens Vergebung erfährt. 15 Siehe Mar, 1035.

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von der Verlobung eines jungen Mannes mit einer Venusstatue, der er symbolisch durch das Anstecken eines Rings die Ehe verspricht. Diese Dämonin verfolgt ihn anschließend, indem sie ihn von einer irdischen Braut bzw. von Essen und Schlaf abhält. Der Fluch kann schließlich durch die Mithilfe eines magisch begabten Priesters, der mit dem Teufel in Kontakt treten kann, gebrochen werden. Beiden Versionen liegt eine stark christliche Botschaft zugrunde: Die Marienredaktion kritisiert die Treulosigkeit des Klerikers gegenüber der Gottesmutter und seine Weltbezogenheit, und der Jüngling der Venusredaktion ist wahlweise ein leichtfertiger Ehemann oder ein sich der Konversion verweigernder Heide. Die Situation in der Færeyinga saga unterscheidet sich von beiden Redaktionen diametral. Im Gegensatz zu den verschiedenen Redaktionen des Wandermotivs wird Sigmundr in keiner Weise von einer dämonischen oder göttlichen Erscheinung zur Treue ermahnt oder gar geplagt und verfolgt, auch sind ihm die Freuden einer irdischen Braut nicht versagt. Er heiratet ungehindert seine Jugendliebe Þuríðr, die zum Zeitpunkt der Hochzeit bereits eine Tochter geboren hat und ihm später noch mehrere Söhne schenkt.16 Stattdessen erhält er den Ring der Þorgerðr von Jarl Hákon als Glücksbringer (attu af þeim hring heílir at taka), ehe er vom Jarlshof zur Rückkehr in sein Heimatland, die Färöer, aufbricht, aus dem er als Kind durch seinen Widersacher Þrándr in die Sklaverei exiliert wurde. Eine enge Verbindung des Ringmotivs mit der Maríu saga-Szene scheint im Ganzen schon wenig glaubhaft angesichts der Tatsache, dass es sich bei Þorgerðr um eine zweifelsohne zutiefst mit dem Element des Heidentums aufgeladene Figur handelt (vgl. Almqvist 2005, 24–5). Im Gegenteil ist eine Anregung des Færeyinga saga-Narrativs eher durch die Venusredaktion denkbar, wie die Rolle dieses Rings im Laufe der Narration zunächst nahelegen könnte, die im folgenden Abschnitt nachvollzogen werden soll.

Der Ring als Zeichen des Dämonischen: Christliche Perspektive einer heidnischen Szene Sigmundr wird vor seiner Rückkehr in sein Heimatland von Hákon in den Tempel der Þorgerðr geführt und erhält von dieser den Ring als Glückszeichen (til heilla). Auf den Färöern steigt er einstweilig zum Machthaber auf, zunächst durch die Hilfe einer vom Jarl bereitgestellten Mannschaft und anschließend gestützt auf Hákons Autorität. Dabei lebt er aber im ständigen, schwelenden Konflikt mit Þrándr, der sich ihm nur scheinbar unterwirft. Der laut Hákon Glück bringende Ring spielt dabei allerdings zu keinem Zeitpunkt eine Rolle in der Erzählung, seine nächste Erwähnung findet er in der eingangs geschilderten Szene nach der Konversion Sigmundrs und der Färöer

16 Vgl. Fær Kap. 26 und 35.



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zum Christentum. König Óláfr Tryggvason verlangt von Sigmundr die Herausgabe des Rings und prophezeit ihm den Tod, als dieser sich wegen des Bezugs des Rings zu seinem früheren Herrn weigert: [K]onungr m(ælti) þa lát þer hann þickia sva godan sem þu vill. bæði hringinn ok þann er þer gaf. en giptu faatt verðr þer nv. þviat þessi hringr verðr þinn bani. þetta veit ek iafngiỏrla ok þat huersu þu hefir hann fengit e(ðr) huaðan hann er at komiɴ. gengr mer meiʀ þat til at ek uilldi fiʀa vini mina vandræðum. en mik lysti i hring þenna. Var konungr þa ravðr sem dreyri i andliti. en tal þetta fell niðr. Ok alldri siþan varð konungr iafn blið[r] við Sigmund sem aðr.17

Tatsächlich bringt der Ring Sigmundr den Tod, nachdem es zu offenen Auseinandersetzungen zwischen ihm und Þrándr kommt: Schwimmend entkommt er einem Angriff auf seinen Hof und liegt danach erschöpft am Strand einer Insel, wo ihn der dort ansässige Bauer auffindet und aus Goldgier wegen seines Rings ermordet: S(igmundr) hefir suo mikít fe a ser at þui er mer litzst sagde hann at ver hefim alldri sligs æigande vordít ok er gull hringr hans hardla dígr litz mer þat ʀad at vær drepim hann ok myrdím hann sidan mun þessa alldri vist verda.18

Die letzte Erwähnung findet der Ring im Zuge der Aufklärung des Mordes an Sigmundr. Sein alter Rivale Þrándr will aus Gründen machtpolitischer Absicherung seinen Ziehsohn Leifr mit Sigmundrs Tochter Þóra verheiraten, die der Werbung zustimmt, falls Þrándr und Leifr den Tod ihres Vaters aufklären können. Þrándr sucht Sigmundrs Mörder auf und vollführt in dessen Haus ein nekromantisches Zauberritual, das Sigmundr und seine Begleiter nacheinander und in ihrer Todesart entsprechender Weise das Haus betreten lässt (Sigmundrs ertrunkene Begleiter durchnässt, Sigmundr selbst enthauptet). Überführt wird der Mörder, indem Sigmundrs Ring schließlich in einem Lumpenbündel aus einer Kiste im Haus aufgefunden wird.19 Zeit seines Lebens scheint der Ring, trotz der Übergabe til heilla durch Hákon, keinerlei Bedeutung für Sigmundr zu haben, der allerdings zunächst ein erfolgreiches Leben führt. Erkennbar im Text bedeutsam wird der Ring erst wieder im Zuge von Sigmundrs Tod, von König Óláfr umgewertet vom Glücks- zum Todesbringer, worin man doch eine dämonische Kraft des Rings und eine christliche Botschaft des

17 Fær, 79–80: Der König sprach da: ‚Lass ihn dir so gut scheinen, wie du willst, sowohl den Ring als auch den, der ihn dir gab! Doch wenig Glück wirst du nun haben. Denn dieser Ring wird dein Tod. Das weiß ich ebenso wohl als das, wie du ihn erhalten hast oder woher er gekommen ist. Es geht mir eher darum, dass ich meine Freunde vor Unheil bewahren wollte, als dass es mich nach diesem Ring gelüstete.‘ Der König war da blutrot von Angesicht. Aber diese Rede verstummte. Und niemals danach war der König ebenso milde gegen Sigmundr wie zuvor. 18 Fær, 86: ‚Sigmundr hat so viel Reichtum bei sich, wie es mir scheint‘, sagte er, ‚dass wir solchen noch nie erlangt haben, und sein Goldring ist sehr schwer. Es scheint mir ratsam, dass wir ihn töten und ermorden. Später wird das nie bekannt werden.‘ 19 Siehe Fær Kap. 40.

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Textes ausmachen könnte. Óláfr argumentiert damit, dass er Sigmundr vor Unheil bewahren will und nimmt explizit Bezug auf die Herkunft des Rings. Hákons Heidentum erwähnt König Óláfr nicht eigens, dennoch ist es der entscheidende Unterschied zwischen beiden Herrschern. Eine göttliche Eingebung scheint Óláfr zu seiner Prophezeiung zu veranlassen, denn woher sein plötzliches Wissen stammen soll, wird nicht erklärt. Der Konvertit Sigmundr trägt über den Ring noch eine Verbindung zum Heidentum an sich, und davor scheint ihn Óláfr warnen zu wollen; für den Neuchristen ist eine solche Verbindung gefährlich.  Diese Perspektive könnte die christliche Ideologie der Venusredaktion der Statuenverlobung wiederspiegeln: Sigmundr wird schließlich von den unheilvollen Mächten der heidnischen Dämonin heimgesucht. Will man die Ringübergabe als Zeichen einer Statuenverlobung verstehen, kann auch die Kombination dieses Motivs mit dem eines zauberkundigen ‚Helfers‘ in Kontakt zu sinisteren übermenschlichen Mächten als weiteres Indiz für eine Inspiration der Færeyinga saga durch das Wandermotiv gewertet werden (da Sigmundrs Tod durch den zauberkundigen Þrándr aufgeklärt wird). Dabei ist zu bedenken, dass es sich hierbei keineswegs um eine direkte literarische Entlehnung, sondern viel eher um eine sehr lose Inspiration handeln könnte, die sehr eigenwillig umgesetzt wird. Denn der Effekt der heimsuchenden Statuenverlobung wäre mehr als nur „kraftig retarderad“ (Almqvist 2005, 24): Sigmundr besitzt den Ring Jahre lang problemlos als sich behauptender Herrscher der Färöer, und zudem bringt der Ring auch Sigmundrs Mörder den Tod, eine sicherlich positiv einzuschätzende Tatsache angesichts des Mordes am Missionar der Färöer. Es bleibt festzuhalten, dass sich in Óláfrs Rede die Perspektive der Saga auf den Ring ändert: In der Færeyinga saga scheinen sich zwei unterschiedliche Diskursperspektiven am Motiv des Rings zu kristallisieren. Die ‚heidnische‘ Perspektive spricht Jarl Hákon aus, der den Ring von seiner Schutzgöttin als Glückszeichen für Sigmundr gewinnt, und die ‚christliche‘ Perspektive wird erst durch die Aussage König Óláfrs in die Erzählung eingeführt. Der plötzliche Perspektivenwechsel, gefolgt von baldigen Tod Sigmundrs, unterstreicht diese Doppelung: Der Knackpunkt scheint Sigmundrs Glaubenswechsel zu sein, denn der zuvor nur von Hákon als Glücksbringer eingeführte Ring, den Sigmundr jahrelang besessen hat, wird vor Óláfr unvermittelt zum Todessymbol. Hinsichtlich der Gesamtinterpretation des Motivs ergibt sich somit eine Uneindeutigkeit, die sich auch in seiner Erforschung konstatieren lässt: Während Bo Almqvist eine Parodie des Madonnamirakels durch einen humorvollen Sagaautor hinter der Szene in Þorgerðrs Tempel ausmacht (2005, 25), wurde Óláfrs Warnung an Sigmundr, ihm den Ring auszuhändigen, häufig wortwörtlich genommen. Als „Symbol für tiefsten heidnischen Irrglauben“ (Glauser 1989, 217) wurde diese Weigerung für den Tod des ansonsten gut-christlichen Sagahelden Sigmundr verantwortlich gemacht – eine christliche Moralbotschaft der Saga werde hier also explizit. Dennoch hat Gro Steinsland (2005) auch eine heidnische Ideologie in der Saga dingfest zu machen versucht. Ihr zufolge werde Sigmundr schrittweise einer Initiation unter den Götterfürsten Óðinn unterzogen, wobei die Verbindung zu Þorgerðr – der hieros



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gamos20 – für sein, als Fürst zu erwartendes, tragisches Schicksal verantwortlich sei. Steinslands These wirkt m.  E. insgesamt ebenso wenig überzeugend (vgl. Schmidt ­ lmqvists Versuch, die Tempelszene in direkten Zusammenhang mit 2015, 124–7) wie A der Madonnamirakel-Redaktion der Statuenverlobung zu setzen. Dennoch wird an diesen stark gegenläufigen Inter­pre­ta­tion­en die Vielschichtigkeit der Motivverwendung in der Færeyinag saga deutlich. Allen Interpretationen zufolge ist das Ringmotiv essentieller Teil der Darstellung der Sigmundr-Figur, doch entzieht es sich einer eindeutigen Interpretation. Wie kann der christliche Missionar Sigmundr eng mit einer heidnischen Figur verbunden sein, seinem König fatalerweise nicht gehorchen und dennoch einen guten Teil der Erzählung die Herrschaft auf den Färöern – wenn auch mehr schlecht als recht – behaupten? Wenn Þorgerðr eine dämonische, unchristliche Macht darstellt, wie kann sich Sigmundrs Verbindung mit ihr erst so spät rächen? Und wie kann sein skrupelloser und unmoralischer Konkurrent Þrándr über ihn triumphieren? Wohnt der Færeyinga saga somit eine unchristliche Botschaft inne, obwohl Sigmundrs Tod gleichzeitig mit seiner Verweigerung des Befehls seines christlichen Königs und somit einem „heidnischen Makel“ (Glauser 1989, 221) motiviert zu sein scheint und der Ausgangsszene vermeintlich eine Inspirationsquelle zugrunde liegt, die eine stark christliche Moralbotschaft ausdrückt? Wie kann der Ring zugleich als Glückszeichen eingeführt werden, lange Zeit keinen expliziten Effekt besitzen, sich plötzlich aber doch zum Todesbringer entwickeln?

Der narrative Mehrwert des Rings – Multiple Erzählebenen in der Færeyinga saga Die Resistenz dieses Erzählelements gegen eine klare Interpretation illustriert die essentielle Komplexität der Færeyinga saga, die ‚Uneindeutigkeit‘ geradezu zu ihrem Erzählprinzip erhebt. Dem Ringmotiv ist insgesamt ein narrativer Mehrwert eingeschrieben, der allerdings in der Erzählung nicht klar aufgelöst wird. Lässt sich dieser Mehrwert in seiner Sinnhaftigkeit aber möglicherweise auf einer anderen Ebene der Erzählung erhellen? Einer neueren Richtung der historischen Narratologie zufolge muss Gegenständen bei der Erzähltextanalyse ein größeres eigenes Recht eingeräumt werden. Hier sind insbesondere die Forschungen von Anna Mühlherr und Heike Sahm von Interesse: Innen zufolge könnten Dinge in Erzählungen mit einem Eigensinn ausgestattet sein, mit „inhärenten Logiken“, die zwar den Plot entscheidend bestimmen könnten, gleichzeitig aber durchaus „sperrig“ blieben und deren Funktionslogik weder von den

20 Für Steinslands Ausgangsthese des hieros gamos siehe Steinsland 1991.

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Figuren, noch vom Rezipienten (oder dem Erzähler) vollständig durchschaut werden müsse (Mühlherr/Sahm 2012, 235–7).21 Beispielhaft zeigen Mühlherr und Sahm im hier genannten Aufsatz die Möglichkeiten dieses Ansatzes anhand einer Analyse von Siegfrieds Schwert Balmunc im Nibelungenlied auf; Anna Mühlherr darüber hinaus auch für Hort und Tarnkappe im gleichen Text (2009). Die von beiden Forscherinnen festgehaltenen, dingeigenen Logiken könnten sich geradezu als „Störfaktoren“ ihrer Benutzung durch die Figuren erweisen; die Dinge würden „ein Anderes gegenüber Akteuren“ (Mühlherr 2009, 492). Sie konfrontierten Figuren wie Rezipienten insofern mit einer „hermeneutischen Grenze“ (Mühlherr/Sahm 2012, 237), die sich auch darin äußern könne, dass die Dinge von den Figuren mitunter ungleich und vor allem nicht ding-gerecht semantisiert würden. So setzen die Protagonisten des Nibelungenliedes etwa den Hort für verschiedene Zwecke ein: Kriemhild verteilt ihn zur Gefolgschaftsbindung, Hagen versenkt ihn zur Eliminierung der sich daraus ergebenden Gefahr für den Burgundenhof. Sie schreiben ihm im Zuge dessen auch unterschiedliche Bedeutungen zu. So symbolisiert der unermessliche Schatz für Kriemhild gleichermaßen ihren Geliebten wie das ihr angetane Unrecht, während er für den Burgundenhof hauptsächlich einen Machtfaktor darstellt. Dabei ist das Grundverhängnis dieses Handlungsteils des Epos darin auszumachen, dass der Schatz überhaupt vom Land der Nibelungen in die Menschenwelt transportiert und geteilt wird. Der eigenen Bestimmung des Hortes nach hätte beides nicht geschehen dürfen: Siegfried erwirbt den Hort im Zuge eines Streits aufgrund von dessen Unteilbarkeit im Nibelungenland. Weil aber geschieht, was nicht hätte geschehen sollen, drängt der Schatz selbst als Ding in seiner Logik dem Untergang unaufhaltsam entgegen (vgl. insgesamt Mühlherr 2009). Eine auf die dingeigenen Logiken ausgerichtete Analyse verspreche Mühlherr zufolge insofern Einsichten in zusätzliche narrative „Sinnschichten“ (2009, 462 und 489). Dieser Ansatz ist gewinnbringend auch im hier gegebenen Fall anwendbar: Im Umgang der Figuren mit dem Hort im Nibelungenlied zeigt sich die gleiche Mehrfachcodierung und widerstreitende Eigengesetzlichkeit des Gegenstands wie im oben geschilderten Falle von Sigmundrs Ring.22 Der Ring als Gegenstand besitzt seine eigene narrative Wirkmacht, die aus mehr besteht als den durch die Figuren an ihn herangetragenen Interpretationen. Die Figuren semantisieren den Ring unterschiedlich (als Glücksbringer und Zeichen des Heidnischen), erfassen damit aber die ihm eigene Funktionslogik als narratives Element nicht vollständig. Interessant scheint in diesem Zusammenhang die Assoziation handlungsmächtiger und eigensinniger Dinge mit mythischen Anderwelten, wie etwa gerade beim Hort

21 Dieser Ansatz geht zurück auf Hartmut Böhme (2006), der Dinge als „Mitspieler“ in narrativen Gefügen bewusst zu machen versucht. 22 Für die Übertragung dieses narratologischen Ansatzes auf altnordische Texte siehe auch den Aufsatz von Daniela Hahn im vorliegenden Band, der ich für diese Anregung zu tiefstem Dank verpflichtet bin.



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der Nibelungen (vgl. Mühlherr 2009) – die aus sich selbst handlungsrelevanten und mit einer eigenen Logik ausgestatteten Dinge zeichnet oftmals eine Affinität zum „faszinierend Numinose[n]“ (Mühlherr/Sahm 2012, 237) aus. Diese Beobachtung gewinnt an Bedeutung, wenn man sie mit einer jüngeren Schule religionshistorischer Sagaforschung korreliert, welche die narrative Funktionalisierung religiöser Elemente ins Zentrum ihres Erkenntnisinteresses stellt.23 Hauptsächlich geht es dieser Forschungsrichtung um Einsichten in vorchristliche Glaubensvorstellungen. Doch auch wenn man von der Historisierung der religiösen Narrationselemente absieht, die in diesem Rahmen nicht angestrebt ist, bleibt der Befund übrig, dass sie eine weitere narrative Ebene in den Text einziehen, eine „mythische“ Erzählebene in den Tiefenstrukturen des Textes. Diese liegt eben „wie ein magnetisches Feld unter dem [Oberflächen-] Text“ (Meulengracht Sørensen 1992, 735) der Erzählung, und verleiht ihm insofern eine zusätzliche Sinndimension – jene, auf die auch Mühlherrs und Sahms eigensinnige Dinge Bezug nehmen können. Beide Ansätze lassen sich in Kombination auch für eine Analyse der obigen Elemente der Færeyinga saga nutzbar machen. Der mehrdeutige Sinnbezug von Sigmundrs Ring (als heidnischer Glücksbringer und aus christlicher Perspektive Todesursache) eröffnet den Blick des Rezipienten auf die Eigengesetzlichkeit dieses Gegenstands. Dabei wird zwar nur die christliche Interpretation im Text explizit gemacht (in der Rede König Óláfrs). Dennoch ist auffällig, dass Sigmundr seinen Ring erhält, noch bevor er (zeitweilig) zum Herrn der Färöer aufsteigt. Insofern mag sich Hákons Prophezeiung, Sigmundr habe mit dem Ring heilir zu erwarten, also durchaus bewahrheiten. Zusätzlich trägt der Ring auch zur Aufklärung des Mordes an ihm bei, obwohl er ihm selbst den Tod gebracht hat. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Hákon Sigmundr den Ring in einer aufwändig ausgestalteten Szene verschafft, die handlungslogisch, angesichts des auf der Textoberfläche fehlenden heilir-Effekts, geradezu überschüssig wirkt.24 Sigmundr benötigt für seine Rückeroberung der Herrschaftsmacht auf den Färöer lediglich Hákons militärische Unterstützung und seine Autorität. Dennoch scheint das Ringgeschenk wenigstens aus der Perspektive des Jarls essentiell notwendig zu sein. Dass der Jarl die Statue mehrfach anfleht und beim zweiten Mal sogar weint, um den Ring zu erhalten, steigert diesen Eindruck zusätzlich. Zumindest auf der Figurenebene, durch die Augen Hákons, besitzt der Ring zu diesem Zeitpunkt einen offenbar unabdingbaren, positiven Effekt. Auch im Zusam-

23 Als Überblick siehe Schmidt 2015. Wichtige Arbeiten aus diesem Bereich der Forschung bilden der Aufsatz von Preben Meulengracht Sørensen (1992), die zweibändige Monographie von Margaret Clunies Ross (1994–98) und die Monographie von Klaus Böldl (2005). 24 Hákon fragt Sigmundr vor der Abreise unvermittelt, woran er glaube, und rät ihm, auf Þorgerðr zu vertrauen. Sigmundr fügt sich und folgt Hákon auf eine abgelegene Waldrichtung, wo ein prächtiger Tempel steht, der ausführlich (außen wie innen) beschrieben wird. Der Jarl führt seinen Schützling hinein, wo er die oben zitierten Handlungen vollzieht, siehe Fær Kap. 23.

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menhang mit Sigmundrs Tod ist durchaus bedenkenswert, dass die Figur der Þorgerðr in ihren beiden Auftritten innerhalb des Genres der Isländersagas ebenfalls mit einem Ringmotiv assoziiert ist. In der Njáls saga stiehlt der Unruhestifter Víga-Hrappr ihrer Statue, der ihrer Schwester und einer von Þórr je einen Goldring, ehe er den Tempel von Jarl Hákon verbrennt. Der erzürnte Jarl verfolgt ihn und ist in der Lage, prophetisch sein Versteck zu entdecken, nachdem er allein in Verbindung zu übersinnlichen Mächten getreten zu sein scheint.25 In der Harðar saga tritt Þorgerðr wenigstens implizit ebenfalls als strafende numinose Instanz auf, nachdem ein Ring (diesmal der ihres Bruders Sóti) entwendet wurde: Grímkell, der sie aufgesucht hat, stirbt urplötzlich, nachdem Þorgerðr seinem Sohn Hörðr, der den Ring gestohlen hat, eine ungünstige Zukunft ankündigt und Grímkell daraufhin ihren Tempel verbrennt.26 Im Kontext dieser Szenen scheint immerhin in die Færeyinga saga induzierbar, dass sich in Sigmundrs Tod ein rachsüchtiger Wille der Þorgerðr äußert, nachdem Sigmundr sie und die Verbindung zu ihr durch seine Konversion ‚betrogen‘ und ihr den Ring insofern ‚entwendet‘ hat.27 Auch in dieser Hinsicht lässt sich der Saga also möglicherweise die heidnische Perspektive auf den Ring unterstellen, die Jarl Hákons ursprüngliche Gewinnung des Rings als Glückszeichen seiner Patronin in den Text einführt. Eine solche entspräche den oben genannten mythischen Tiefenstrukturen, die die religionsgeschichtliche Sagaforschung in anderen Sagas angesetzt hat. Gleichzeitig äußert sich die christliche Perspektive, die König Óláfr ausspricht. Der Umschlagpunkt ist Sigmundrs Bekehrung; der zuvor offenbar positive Gegenstand der Þorgerðr wird ab diesem Moment umgewertet zum bedrohlichen heidnischen Überbleibsel. Nach Sigmundrs Tod macht der Ring aber eine weitere Bedeutungsveränderung durch, denn

25 Njál Kap. 88, 214–6. Dabei wird nicht explizit gemacht, was genau vorgeht. Der Jarl entfernt sich von seinem Gefolge, kniet nieder und bedeckt das Gesicht. Ein Gebet zu den geschändeten Göttern scheint annehmbar. Dabei wird nicht spezifiziert, dass Hákon zu Þorgerðr betet, oder woher sein Wissen um Hrapprs Versteck stammt, zudem werden drei Götter (Þorgerðr, ihre Schwester Irpa und Þórr) geschändet und könnten potenziell um Hilfe ersucht werden. Dennoch lässt sich die Vermutung in den Text lesen, dass (auch) die rachsüchtige Schutzgöttin Hákons sich hier gegen den frevlerischen Hrappr wendet. Speziell Þorgerðr und Irpa treten in der Jómsvíkinga saga und dem Þorleifs þáttr jarlsskálds als Hákons dämonische Unterstützerinnen gegen Feinde auf. Bemerkenswert scheint auch, dass Þorgerðr von den drei Götterstatuen im Tempel am stärksten herausgehoben wird, auch wenn sie nicht alleine in Verbindung mit einem Ring steht und durch Hrappr entehrt wird. 26 Harð Kap. 19, 51–2. 27 Weiter bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass John McKinnell (2002) Überlegungen zu einer Verbindung zwischen Þorgerðr und der Vanengöttin Freyja angestellt hat, die sich in beider Doppelfunktion als Schutzmächte und Spenderinnen von Reichtum und Todesbotinnen äußert. Meulengracht Sørensen (1992) diskutiert eine Doppelfunktion des Gottes Freyr in den Isländersagas, der als wohlwollender Helfer (etwa in der Vatnsdœla saga) oder strafender Rachegott (in der Víga-Glúms saga) auftreten kann. Diese Sagas dienen ihm als Ausgangspunkte für sein Konzept mythischer Substrukturen in den Isländersagas. Da Þorgerðr ebenso wie Freyr in möglichen mythischen Sagatiefenstrukturen offenbar gleichzeitig als glückbringende und strafende numinose Instanz auftreten kann, lässt sich McKinnells Überlegung zu ihrer vanischen Natur unter Umständen weiter stützen.



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der in Óláfrs Augen offenbar gefährliche heidnische Ring sorgt dann für die Aufklärung des Mordes – was in dieser Perspektive sicher positiv zu bewerten wäre. In dieser mehrfachen und widerstreitenden Sinnbesetzung zeigt sich eine Eigen­ge­setz­lichkeit des Ringmotivs im Mühlherr’schen Sinne, die sich nicht auf Óláfrs Todesprophezeiung und die dahinterstehende literarhistorische Anregung des Motivs durch die von einer Strafe gefolgten Statuenverlobung mit einer Heiligen (aus der Maríu saga) oder Dämonin (in der Venusredaktion) reduzieren lässt. Der Ring hat seine eigene Bestimmung und strahlt einen Widerstand gegen die von Óláfr in den Text eingebrachte Interpretation samt ihrer christlichen Moralbotschaft aus. Auch unterbleibt etwa eine Moralisierung von Sigmundrs Weigerung, den Ring herauszugeben, seitens des Erzählers. So ließe sich der Ring auch aus Hákons (vom Oberflächentext allerdings weitgehend verschwiegener) Perspektive deuten: Þorgerðr garantiert für Sigmundrs Aufstieg und nach seiner Abwendung von ihr auch für seinen Fall. Die Funktion dieses Dings als Erzählelement steht letztendlich aber konträr zu beiden von den Figuren an es herangetragenen Interpretationen. Es lässt sich interpretativ verschieden benutzen, zeigt aber dennoch einen nicht ganz aufgehenden Mehrwert. Der Grund dafür ist seine scheinbare Verbindung mit mythischen Mächten. Der Ring bezieht seine Logik, ob als Glücksbringer oder Todeszeichen, von den numinosen Mächten, mit dem ihn die Figuren in ihrem Verständnis aufladen. Somit lässt sich das Ringmotiv lose in Parallele zum oben beschriebenen Motiv des Hortes aus der Anderwelt im Nibelungenlied setzen (vgl. Mühlherr 2009). Auch dieser besitzt seine Handlungsmacht hauptsächlich deshalb, weil er aus einer anderen Welt stammt und weiter an deren Logiken geknüpft bleibt, wobei sich den Figuren diese Bedeutungsebene verschließt. Dabei wird die dingeigene Funktionslogik in beiden Texten aber nur implizit tradiert, nicht in den Vordergrund gespielt. So scheint die Marginalisierung des Rings innerhalb der Erzählung der Færeyinga saga Sigmundrs eigene Ansicht des Rings zu spiegeln: Er glaubt a matt min ok megin,28 und misst dem Ring weder Bedeutung bei, als er ihn von Hákon erhält, noch als er von Óláfr vor den Auswirkungen seines Festhaltens an ihm gewarnt wird. Für ihn symbolisiert der Ring vielmehr die persönliche Freundschaft zum heidnischen norwegischen Herrscher, die tiefer geht als seine Verbindung zu König Óláfr (immerhin war es auch Hákon, durch dessen Hilfe sich Sigmundr zum färöischen Herrscher aufschwingen konnte). Dadurch verdeutlicht der Ring auch die inneren Spannungen der Sigmundr-Figur und seine widerstreitenden Loyalitätsbindungen (vgl. Bick 2005, 7–8). Auf den Ring bezogen bedeutet dies, dass Sigmundr keine Einsicht in die Funktionsweise dieses Dings besitzt; er hat kein Wissen um die tiefere Sinnschicht von dessen Bedeutung oder den Grund für dessen Eigenlogik, diese Sinndimension des Gegenstands entzieht sich ihm.

28 Fær, 49: [A]n meine Kraft und Stärke.

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Damit unterscheidet er sich fundamental von seinem Kontrahenten Þrándr. Während dieser dezidiert nicht als heidnischer Widerständler gezeichnet ist, sondern seine Religiosität als bewusstes Mittel im Machtkampf mit Sigmundr einzusetzen weiß (vgl. North 2005, 60 und 66–70), weist er Bezüge auf eine quasi-mythische Narrationsebene auf. So lässt sich Þrándr einerseits mit dem Wettergott Þórr assoziieren, etwa wenn das eigenwillige färöische Wetter sich stets nach seinen Bedürfnissen fügt oder Þórr als Gott des Landes Þrándrs mythische Präfiguration zu sein scheint (vgl. North 2005, 67–8). Auch übernimmt Þrándr in der Erzählung die Verteidigerfunktion Þórrs im mythischen Weltentwurf: Wie Þórr das Land der Götter vor bedrohlichen Mächten von außerhalb beschützt, so wehrt Þrándr jegliche äußere Einflussnahme auf den Färöern ab. Dabei wird auf einen Bezug Þrándrs zu Þórr im Text nicht explizit hingewiesen, doch nennt Þrándr die heidnischen Götter hinir fornir vínir mínar,29 und gerade während seines Widerstandes gegen den Missionskönig Óláfr Tryggvason leistet ihm das Wetter, das dem paganen Glauben nach Þórr kontrolliert, gute Dienste. Andererseits agiert Þrándr auch nach dem Bilde des Göttervaters Óðinn: Er ist ebenso kriegstreiberisch, listig und trügerisch wie dieser Gott; in einer Szene der Saga tritt er zudem in einer Maskerade auf, die an die Óðinn-Auftritte in den Vorzeitsagas erinnert (vgl. North 2005, 70 und Ólafur Halldórsson 1990). Daneben agiert Þrándr ebenso wie der mythische Göttervater als Gründungsfigur und oberster Herr desjenigen Herrschaftsraums, für den er auch die Rolle Þórrs übernimmt. Ausgestattet mit diesen Bezügen entsteht um die Figur Þrándrs auf den Färöern eine eigengesetzliche Erzählwelt, frei von äußeren Einflüssen und abgeschnitten vom norwegischen Reich, die Þrándr vollständig dominiert und die seinen Gesetzen gehorcht. Welche das sind, wird in der Szene offenbar, in der Þrándr seinen ehemaligen Gegenspieler nach seinem Tod in einem nekromantischen Ritual beschwört, um seinen Tod aufzuklären. Þrándr zeigt sich in diesem Moment als übermenschlich, zauberisch, begabt.30 Er partizipiert in dieser Szene offenbar an einer Erzählwelt, die sich den Regularien der ordinären Figurenwelt entzieht, und erhält aus dieser seine Macht. Dabei scheint auch diese Szene doppelt perspektiviert, ebenso wie Sigmundrs Ring: Þrándr zeigt sich zwar einerseits als aus christlicher Perspektive verdammenswerter Nekromant, lässt sich aber gleichzeitig nicht auf einen sinisteren Antagonisten reduzieren, sondern ist lange Zeit der siegreiche Protagonist der Saga (vgl. hierzu ausführlich

29 Fær Kap. 31, 76: „[M]eine alten Freunde“. Das Adjektiv forn besitzt dabei nicht nur die Bedeutung „alt, aus alter Zeit“, sondern kann auch für „heidnisch“ stehen. 30 Auch in dieser Szene haben Peter Foote (1984, 214) und Ólafur Halldórsson (1987, cxcii) eine Inspiration durch eine in den Maríu jarteinar überlieferte Ritualbeschreibung angesetzt, bei der der Teufel selbst beschworen wird (siehe Mar, 147–8, 730 und 737 für drei verschiedene Redaktionen derselben Erzählung; die älteste Version, auf die sich Ólafur und Foote explizit beziehen, ist jedoch in Ungers Ausgabe nicht enthalten). Auch diese Inspiration erscheint überaus generell, zumal Þrándr kaum den Teufel beschwört und sein Ritual auch Parallelen zu anderen Magie- und Totenvorstellungen in der altnordischen Literatur aufweist, vgl. hierzu ausführlich Foote 1984.



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Schmidt 2016). Auch beschwört er weder den Teufel, noch schadet er seinem Gegenspieler, sondern klärt im Gegenteil dessen Tod auf (auch wenn dies hintergründig vor allem der eigenen Machtsicherung dient). Ohne Wertung seiner Tat gesprochen stellt Þrándr hier unter Beweis, dass in seiner Figur der Zugriff auf eine extraordinäre Textdimension stattfindet. Er kann an den Logiken dieser numinos-mythischen Erzählebene partizipieren und sie sich zu Nutze machen. Diese extraordinäre Erzählwelt lässt sich weitergehend mit dem Urgrund der nicht-verstandenen Eigengesetzlichkeit von Sigmundrs Ring als Gabe der Þorgerðr Hǫrðabrúðr kurzschließen. Dabei unterscheiden sich Þrándr und sein Gegenspieler diametral: Für Sigmundr haben heidnische wie christliche numinose Mächte keine offenbare Bedeutung, für Þrándr allerdings sehr wohl. Þrándr nutzt diese Einsichten in die Bedeutung übermenschlicher Mächte zur Erschaffung seiner eigenen Welt auf den Färöern. In dieser besitzt er, auch dank seines Bezugs zu der extraordinären Erzählebene, die sich Sigmundr verschließt, eine semiotische Deutungshoheit, mit der Sigmundr nicht in Konkurrenz treten kann. Die an Sigmundrs Ring kristallisierte, in den Text der Færeyinga saga eingezogene mythische Textdimension erschafft insofern eine narrative Anderwelt, die sich „faszinierend [n]uminos[]“ (Mühlherr/Sahm 2012, 237) gestaltet, deshalb aber gleichzeitig auch uneindeutig verbleibt. Woher genau Þrándrs Zauberkraft oder aber die implizite Wirkmacht von Sigmundrs Ring letztendlich stammen, wird im Text nicht aufgelöst.31 Rezipienten wie Figuren stoßen hier insofern an eine Grenze der für sie verfügbaren Möglichkeiten von Bedeutungszuschreibung, ohne die der Text zwar ebenso funktionieren könnte, die aber im Gesamtzusammenhang dennoch als bedeutend erscheint, weil sie ihm eine zusätzliche Sinnschicht verleiht. Die darüber erschließbaren „Zusammenhänge und Sinnbildungsmöglichkeiten […] jenseits [der] rein funktionalen Einbindung“ (Mühlherr 2009, 469) von Þrándrs Zaubermacht und Sigmundrs Ring verleihen der Erzählung eine weitere, grundsätzlichere Verankerung (vgl. Mühlherr 2009, 491) und transponieren den Konflikt zwischen Sigmundr und Þrándr in eine mythische Dimension an den Grenzen des menschlich Erfassbaren. Schon der politische Diskurs der Færeyinga saga ist offen: Sie diskutiert nicht allein die Unterwerfung einer norwegischen Kolonie unter die Krone oder die Dichotomie von Christentum und Heidentum, sondern spielt weitgehend wertungsfrei Charakteristika verschiedener Herrschertypen durch (vgl. auch Schmidt 2016). Auch die Interpretationsmöglichkeiten im Hinblick auf die mythische Erzählebene bleiben weitgehend offen. Sigmundrs Ring ist heidnisches Glückzeichen ebenso viel wie christliches Todessymbol, doch welche Macht sich tatsächlich in ihm manifestiert, bleibt unbeantwortet – ob nun eine heidnische Gottheit, die zunächst hilft und dann

31 So bleibt letztendlich sogar offen, ob Þrándr tatsächlich mit übernatürlichen Mächten im Bunde steht oder ob es sich dabei nur um eine Täuschung von Figuren wie Rezipienten handelt (vgl. Almqvist 1992, 52–3). Zur häufigen Täuschung seiner Umgebung wie dem Rezipienten durch Þrándr siehe näher Schmidt 2016.

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straft, oder eine dämonische Kraft. Oder äußert sich hier doch lediglich eine profane Verkettung ungünstiger Umstände ohne übermenschliches Zutun? Die unterbliebene Auflösung des Mehrwerts dieses dinglichen Narrationselements fordert den Rezipienten zu eigenen, weitergehenden Sinnbildungsmaßnahmen auf, die sehr grundsätzliche Überlegungen zulassen: Inwiefern ist Sigmundrs Leben von jenseitigen Mächten geleitet, welche sind diese, und ist menschliche Einsicht in solche Gegenstände angesichts ihrer Offenheit im Text überhaupt möglich? Somit wird nicht nur politische, sondern auch religiöse Spekulation und Diskussion des Rezipienten in sehr grundsätzlicher Art durch die Færeyinga saga angeregt und befördert.

Fazit Für die Færeyinga saga lässt sich somit eine weitere, mit übernatürlichen Elementen verknüpfte Erzählebene festhalten, die sich als mythisch konzipiert verstehen ließe. Ihr entstammt die mehrdeutige Eigensinnigkeit von Sigmundrs Ring ebenso wie Þrándrs paranormale magische Fähigkeiten. Dabei liegt sie, Meulengracht Sørensens Argumentation folgend, „wie ein magnetisches Feld unter dem Text“ (1992, 735). Damit ist weder gesagt, dass die mythische Erzähldimension Überbleibsel mündlicher Vorstufen der Færeyinga saga mit noch heidnischem Weltbild ist, noch dass die mythische Textdimension der Saga in besonders vordringlicher Weise eingeschrieben ist. Die Dualität von Sigmundr und Þrándr ergibt sich auch auf der profanen Ebene des politischen Konflikts, Sigmundrs Ring symbolisiert seine konflingierenden Loyalitäten und Þrándrs Zaubermacht scheint in einem mittelalterlichen Verständnishorizont nicht zwangsläufig per se problematisch. Dennoch lässt sich für beide Elemente der Narration ein einer vereinfachenden Lesung entgegenstehender Mehrwert festhalten, der die Bezugnahme auf eine weitere Erzählebene zulässt. Auch in dieser sind Sigmundr und Þrándr gegensätzlich konzipiert, ihr Dualismus auf der primären Figurenebene wird zusätzlich verschärft. Der Unterschied zwischen beiden Figuren ist die Tatsache, dass Sigmundr diese tiefere Dimension nicht erkennt, während in Þrándrs Fall durch die Narration bewusst Bezug auf sie genommen wird. Dadurch wird dem Geschehen ein weiteres Sinnangebot eingeschrieben, welches für ein Textverständnis zwar nicht unabkömmlich ist, den Konflikt zwischen beiden Figuren aber um eine zusätzliche Dimension erweitert. Die Narration selbst wird dadurch beeinflusst und ermöglicht (indem es Sigmundrs Ring ist, der letztlich seinen Tod verursacht), zudem kann der Rezipient dadurch sogar zu weitergehender, religiöser Spekulation aufgerufen werden. Darin zeigt sich, dass es sich bei den – möglichen – Motiventlehnungen aus der Maríu saga lediglich um Inspirationsquellen der Færeyinga saga handelt, und keineswegs um Ausgangsmaterial, das statisch und samt seiner christlichen Ideologie übernommen wird. Stattdessen weiß die Saga ihre Quellen sehr distinguiert einzusetzen.



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Hier wird weder lediglich humorvoll mit aus christlicher Gelehrsamkeit bekannten Elementen gespielt, noch eine christliche, das Heidentum verdammende Perspektive in den Sagatext übernommen. Im Gegenteil werden bekannte Motive in ganz eigener Art und Weise adaptiert, die hohe literarische Qualität ausdrückt.32 Die Mehrfachcodierung übernatürlicher Motive im Text eröffnet den Blick auf multiple Sinnebenen der Erzählung, die dem Rezipienten mehr bieten als eine christliche Ideologie oder einen einfachen politischen Konflikt. Dass dieser ihr Zentralanliegen ist, verliert die Saga allerdings nie aus dem Blick, da sie ihr Spiel der Narrationsebenen geschickt zur Unterstreichung der Modalitäten des Machtkampfs und der Figuren einzusetzen weiß. Dass dabei heidnische und christliche Logiken offen konkurrieren, und dass gerade die Figur den Sieg davonträgt, die der mythischen und durchaus unchristlichen Textdimension offen gegenübersteht, widerspricht der Verortung einer einfachen Christentum-Heidentums-Dichotomie in der Færeyinga saga. Ihre Position in Bezug auf die Unterschiede dieser Glaubenssysteme ist differenzierter zu bewerten, und eine Reduktion des textlichen Gehalts auf die Inspiration durch christliche Gelehrsamkeit greift zu kurz. Dennoch kann gerade der klassische Blick auf die Ausgangsquellen und ihre Zusammenhänge das Verständnis der Saga erhellen, insofern nach der genauen Art und Weise ihrer Umsetzung gefragt wird.

Literatur Quellen Fær: Færeyinga saga (Stofnun Árna Magnússonar á Íslandi 30), Ólafur Halldorsson (útg.). Reykjavík 1987. Harð: Harðar saga Grímkelssonar eða Hólmverja saga. In: Harðar saga, Barðar saga, þorskfirðinga saga, Floamanna saga ­(Íslenzk Fornrit 13), Bjarni Vilhjálmsson og Torhallur Vilmundarson (útg.). Reykjavík 1991, 1–97.

32 Ein weiteres Beispiel wäre etwa das Motiv des Meisterdiebs in Fær Kap. 2/3. Zu dessen Funktionalisierung vgl. ausführlich Schmidt 2016. Für die oben geäußerte literarhistorische Einschätzung bin ich Daniela Hahn dankbar. Damit befindet sich die Færeyinga saga auf pari mit den Isländersagas, in denen, wie Heizmann (1999) aufzeigt, fremde Texte häufig adaptiert, aber sehr stark ‚islandisiert‘ werden. Das Modell der ‚literarischen Camouflage‘, das Heizmann dabei von Detering übernimmt (60), entspricht in seiner Spannung zwischen Oberflächen- und Subtext der hier konstatierten Multiplizität der Narrationsebenen. Dabei lässt sich in der Art der Camouflage in der Færeyinga saga dennoch eine von den Isländersagas unterschiedliche Tendenz beobachten, denn obwohl der fremde Text (die Marienlegende) stark einheimischen Erzählmustern angepasst wird bzw. nur als Inspiration dient und die Saga ihre Intertextualität somit verbirgt, scheint die Spannung zwischen den Textebenen durchaus dazu da, dem „Leserkreis indirekt […] vermittel[t]“ (Heizmann 1999, 60) zu werden. Darin zeigt sich eine gewisse Einzigartigkeit der Færeyinga saga.

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Mar: Mariu saga. Legender om Jomfru Maria og hendes jartegn. Efter gamle haandskrifter, C. R. Unger (utg.). Christiania 1871. Njál: Brennu-Njáls saga (Íslenzk Fornrit 12), Einar Ol. Sveinsson (útg.). Reykjavík 1954. De Gestis Regum Anglorum: William of Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, 2 vols, R.A.B. Mynors et al. (ed. and trans.). Oxford 1998. Kaiserchronik: Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen (MGH Dt. Chron. I,1), Edward Schroder (Hg.). Hannover 1895.

Sekundärliteratur Almqvist 1992: Bo Almqvist (utg./overs.), Färinga sagan. Hedemora 1992. Almqvist 2005: Bo Almqvist, Bruden i templet. En episod i Färingasagan och ett madonnamirakel. In: Andras Mortensen (útg.), Fólkaleikur. Heiðursrit til Jóan Paula Joensen. Tórshavn 2005, 19–27. Baetke 1951: Walter Baetke, Christliches Lehngut in der Sagareligion. In: Walter Baetke, Christliches Lehngut in der Sagareligion, Das Svolder-Problem. Zwei Beiträge zur Sagakritik (Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologischhistorische Klasse 98, Heft 6). Berlin 1951, 5–55. Baum 1919: Paul Franklin Baum, The Young Man Betrothed to a Statue. In: Publications of the Modern Language Association of America 34 (New Series 27,4), 1919, 523–579. Bick 2005: Julia Bick, Zwischen Heidentum und Christentum – Þrándr í Gǫtu in der Færeyinga saga. In: skandinavistik 35, 2005, 1–18. Böhme 2006: Hartmut Böhme, Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne (Rowohlts Enzyklopädie 55677). Reinbek bei Hamburg 2006. Böldl 2005: Klaus Böldl, Eigi einhamr. Beiträge zum Weltbild der Eyrbyggja und anderer Isländer­ sagas (Ergänzungsbände zum RGA 48). Berlin/New York 2005. Einfügen zwischen Böldl 2005 und Foote 1984 (Eintrag von unten, hier mit kleiner Korrektur, nach der 7 bitte eine Leerstelle einfügen): Clunies Ross 1994–98: Margaret Clunies Ross, Prolonged Echoes. Old Norse Myths in medieval Northern society. 2 Bde (The Viking Collection. Studies in Northern Civilisation 7; 10). Odense 1994–1998. Foote 1984: Peter Foote, Færeyinga saga, chapter 40. In: Michael Barnes et al. (eds.), Aurvandilstá. Norse Studies (The Viking Collection. Studies in Northern Civilisation 2). Odense 1984, 209–221. Foote 1988: Peter Foote, Observations on Orkneyinga saga. In: Barbara E. Crawford (ed.), St Magnus Cathedral and Orkney’s Twelfth Century Renaissance. Aberdeen 1988, 192–207. Glauser 1989: Jürg Glauser, Narratologie und Sagaliteratur. Stand und Perspektiven der Forschung. In: Julia Zernack et al. (Hg.), Auf-Brüche. Uppbrott och uppbrytningar i skandinavistisk metod­ diskussion (Artes et Litterae Septentrionales 4/norrøna Sonderband 2). Leverkusen 1989, 181–234. Glauser 1994: Jürg Glauser, Færeyinga saga. In: Heinrich Beck et al. (Hg.), Reallexikon der Germa­ nischen Altertumskunde 8. Zweite, völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage. Berlin/ New York 1994, 111–117. Heizmann 1999: Wilhelm Heizmann, Die verleugnete Intertextualität. Adaption und Camouflage fremder Texte in der Sagaliteratur. In: Stig Toftgaard Andersen (Hg.), Die Aktualität der Saga. Festschrift für Hans Schottmann (Ergänzungsbände zum RGA 21). Berlin/New York 1999, 53–61. McKinnell 2002: John McKinnell, Þorgerðr Hölgabrúðr and Hyndluljóð. In: Rudolf Simek, Wilhelm Heizmann (eds.), Mythological Women. Studies in Memory of Lotte Motz (1922–1997) (Studia Medievalia Septentrionalia 7). Wien 2002, 265–290.



Der Nekromant und der Ring 

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Monika Schulz

Dei Huk uptrecken. Der häusliche Kesselhaken als materia magica Abstract: The household kettle hook (also boiler hook or trammel hook) is the central materia magica in the banishment of witches and plague as well as in magical healing practices, such as are documented in the records from witch trials. The study shows that these are not arbitrary remarks, but rather accurate recourses conveyed through the use of the kettle hook as a legal symbol or rather a lar familiaris going back to antiquity. Das Folgende versucht, einigen enigmatischen Beschwörungen und magischen Handlungsanweisungen der Frühen Neuzeit auf die Spur zu kommen, in denen der häusliche Kesselhaken die Hauptrolle spielt. Ich halte es dabei mit Lévi-Strauss (1994), der immer wieder die Scharfsinnigkeit und Logik eines ‚wilden Denkens‘ betonte. Die Magie stellt (zumindest solange sie nicht von mannigfachen Korrumpierungserscheinungen entwertet ist) ein rationales System von Welterklärung und Kontingenzbewältigung bereit. Dabei beutet sie ausgesprochen eklektisch vorhandene Wissenssysteme für ihre Zwecke aus. Dennoch bleibt die Magie sozusagen immer dieselbe über Zeiten und Räume hinweg, was möglicherweise mit den ‚Gesetzen des Geistes‘1 zusammenhängt. Ihre ubiquitäre Ausprägung veranlasste Mauss/Hubert zu der bekannten Einschätzung, „dass die Magie bei aller Variabilität ihrer Beziehungen zu den anderen Klassen sozialer Phänomene in den verschiedenen Zivilisationen doch überall dieselben wesentlichen Elemente enthält und im Ganzen gesehen überall identisch ist“2. Freilich irritiert den modernen Betrachter, dass sie auf eine handlungsbetonte Körper-Kommunikation setzt (siehe v.  a. die Ausführungen zum Huk weiter unten). Archaischem Denken eignet unzweifelhaft eine „unmittelbar sinnliche, primäre Gewissheit des Handelns“3, und Frankfort sprach einst treffend davon, dass das mythische Denken außerstande ist, „die Sphäre des Konkreten zu verlassen“4. Die folgende Suche nach dem verlorenen Sinn anscheinend närrischer Handlungsanweisungen oder vermeintlich absurder Beschwörungen geht davon aus, dass der/dem modernen Rezipienten/in das Signifikat für den frei flottierenden Signifikanten (in diesem Fall der Kesselhaken) abhanden gekommen ist. Als relevante

1 Vgl. hierzu Lévi-Strauss/Eribon 1996, 143–207. 2 Mauss/Hubert 1989, 48. 3 Czerwinski 1989, 13. 4 Frankfort/Frankfort 1954, 21.

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Referenzräume erweisen sich dabei Recht/Rechtspraxis/Heilkunde, wobei Spuren relevanter Diskurse bis in die Antike zurückverfolgt werden können.

1 Der Kesselhaken als Rechtssymbol und lar familiaris In der Hs 41125 der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums, einem Kunstund Zauberbuch des 17. Jh.s, findet sich in Kapitel 11, 9: Von Hexen vnndt Bezauberungen, folgender Eintrag: Ein ander wißenschaft, das keine Hexe auß dem hauße gehen kan. So gehe hin still schweigens, undt henge den Keßell haken über den feur 3. haken höher auf, alß er zue uohr gehenget hat, darnach so nimb ein Kreutzseßling, unndt stich den vnter die Schwellen deß Haußes da die Hexe wieder umb auß gehen muß, vnndt fürs dritte, so lege Ihr gleichfals, doch still schweigens der Hexen, das sie es nicht gewar werde, Hinten auff den Rogk, recht vnter den Wammeß 3. heuflein salz, vnndt laß die liegen Vnndt wan dieses geschehen, ists der Hexe vnmüglich auß dem Hauße zue gehen, Wans ihr auch den halß kosten solte. Eß sey dan dass der Keßell hake wieder her vnter, der Kreutz Sechßling vnter der Schwellen weg genommen, vnndt das saltz der hexen vom Leibe abgeschlagen werde wie Ichß selbst probiert habe.5

Leider fehlen die ersten Seiten der Handschrift, mithin auch so etwas wie eine Titelseite oder ähnliches. Doch liegt die Intention der Handlungsanweisung offen: Es geht darum, eine Hexe an das Haus zu binden, so dass sie gefangen werden kann, wie es der Nachsatz (Wans ihr auch den halß kosten solte) nahe legt. Wer die Magie und ihre Gesetze kennt, verortet zunächst übliche Requisiten: Die Schwelle ist nicht nur innerhalb der Magie eine bedeutsame Grenzscheide,6 das Salz (weiß und ‚rein‘) gilt als dämonenabwehrend, und das still schweigens soll sicherstellen, dass auch nicht der kleinste Laut als störender Zwischenträger die magische Handlung beeinflusst bzw.

5 Nürnberg, Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums, Hs 41125, S.  224  f. Ich danke sehr herzlich Dr. Christiane Lauterbach und Josefine Eckardt von der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums, die mir sehr freundlich und überaus rasch diesen Handschriften-Ausschnitt (S. 224  f.) zukommen ließen. Für ausgesprochen kompetente Hilfe, insbesondere bei der Beschaffung grauer und schwer zugänglicher Literatur, danke ich ebenso Dr. Renate Achenbach, Universitätsbibliothek Regensburg. Für fleißige bibliographische Recherche und mannigfache Hilfestellung danke ich meinen MitarbeiterInnen Katja Biersack, Isabell Hesse, Tobias Klich sowie Alexander Kastenmayer. 6 Vgl. z.  B. die traditio per ostium, von der Grimm wie folgt berichtet: „eines hauses besitz wurde angetreten, indem der erwerbende in die thür eingieng, seinen rechten fuß auf die thürschwelle setzte, oder mit der rechten hand thürpfosten, oder thürring oder thürangel fasste […]“; die Bedeutung der Schwelle war weitreichend: „für wie heilig die thürschwelle geachtet wurde, lehrt der verbreitete gebrauch, den leichnam eines missethäters nicht über sie zu schleifen, sondern durch ein unter ihr gegrabenes loch zu ziehen“; Grimm 1899, 240 und 243.



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in unerwünschte Bahnen lenkt, und schließlich ist die Drei als potente Zahl in unterschiedlichsten Kontexten gut bekannt. Dass einmal von Kreutzseßling, das zweite Mal von Kreutz Sechßling die Rede ist, ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass der auch ansonsten flüchtige Schreiber bei der ersten Nennung zwei Buchstaben vergaß.7 Der Sechsling ist eine Silbermünze mit einem Kreuz.8 Das Silber gilt als dämonenabwehrend9 wie auch das Kreuzzeichen10, das in christlicher Deutung Christi Sieg über Tod und Teufel symbolisiert. Silber und Kreuz unter der Schwelle wirken apotropäisch, gelten magischem Denken also geeignet, die Hexe am Austritt zu hindern. Was aber soll der Kesselhaken hier? Jakob Grimm beschrieb die profane Funktion des Kesselhakens wie folgt: „vorrichtung über dem herde, die den kessel hängend trägt, eine eisenstange mit haken oder zähnen in verschiedener höhe, an denen er auf und nieder geschürzt wird“11. Der Kesselhaken gehörte zum Heergewäte.12 Er ist Teil des Herdes, dem „heilige[n] Symbol der ignis communio“13. Was die Anweisung für das Hexenbannen betrifft, greift, wie zu zeigen ist, die Bedeutung des Kesselhakens als Rechtssymbol beim sog. ‚Liegenschaftsübereignungsgeschäft‘. Goldmann (1912) belegte einst überzeugend, dass der Kesselhaken identisch ist mit dem sog. ‚andelang‘, der die entscheidende Rolle bei der symbolischen Investitur, bei der Inbesitznahme etwa von Ländereien etc., spielt. Grimm sah den ‚andelang‘ „als symbol der donation und tradition. Die […] formeln stellen es mit der festuca zusammen: per hanc chartulam donationis (traditionis) sive per festucam atque per andelangum“14. Zum Nachweis, dass der „andelang ein fränkisches Rechtssymbol ist“15, brachte Goldmann zahlreiche Rechtsurkunden aus der Zeit vom 9. bis 16. Jh. bei.

7 Wenn man dagegen eine bewusste Variation annimmt (dem steht freilich die Struktur der Handlungsanweisung, Setzungen zu veranschlagen, die dann wieder gelöscht werden, im Wege), so könnte der Kreutzseßling möglicherweise das Kreuzkraut, lat. ‚Senecio vulgaris‘, meinen, das ein sog. ‚Berufkraut‘ ist; vgl. hierzu den Eintrag in Zedler 1732, 19  f. Die Beruf- oder Beschreikräuter werden eingesetzt, wenn ein Mensch ‚beschrien‘, also verhext ist, um den Zauber unwirksam zu machen; vgl. Marzell 1963, 60  f. 8 Zum ‚Sechsling‘ als Münze in der Frühen Neuzeit vgl. Jesse 1927, insbes. 138–163.; Abb. von Silbermünzen mit einem Kreuz ebd. in den Münztafeln ab S. 291. Zum Tragen von solchen Kreuz-Münzen als Amulett vgl. Ficker 1896, 473. 9 „Wie allen Metallen ist auch dem Silber die Kraft eigen, Dämonen und Krankheiten abzuwehren“; als besonders wirksam galt ‚Erbsilber‘, d.  h. durch mehrere Generationen vererbtes Silber, so wurden alte Silberringe getragen um sich „vor Verhexung zu schützen“; Olbrich 1987, Sp. 1 bzw. Sp. 3. 10 Ein typischer volkskundlicher Beleg: „An die Stallthüre werden drey Kreuze gezeichnet, dass die Hexe nicht ein= und auskann“; Schönwerth 1857, 314 (5. Buch, § 1 Stall). 11 Grimm/Grimm 1865, Sp. 825. 12 Vgl. Grimm 1899, 105 (570). 13 von Geramb 1987, Sp. 1764. 14 Grimm 1899 (I), S. 271 (196). 15 Goldmann 1912, S. 66.

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Der Kesselhaken (bzw. der andelang: per andelangum tradere) wurde als das „hauptsächlichste Symbol des Herd- und Hausbesitzes bei Investituren und Übergaben dem neuen Besitzer überreicht“16; der Kesselhaken ist der „rechtliche Hausmittelpunkt“17. Das HRG weist unter dem Lemma ‚andelang‘ auf traditio und vermerkt: traditio (mlat.) ist in den Urkunden zunächst allgemein die Bezeichnung für eine Übergabe (einer Sache oder einer Person) […]. Bei beweglichen Sachen meint t. in der Regel die reale Übergabe derselben. Bei Grundstücken wird die rechtsförmliche Handlung zuerst auf dem Grundstück selbst vorgenommen. Dabei wird ein mit dem Grundstück im Zusammenhang stehender Gegenstand wie eine Grasscholle, ein Stück Torf, ein Zweig […] oder ein Herrschaftssymbol wie Kesselhaken […] als äußeres Zeichen der Einigung zwischen Veräußerer und Erwerber übergeben. Dem folgte dann die reale Investitur als förmliche Einweisung des Erwerbers in den Besitz des Grundstücks mit gemeinsamen Umgehen der Grundstücksgrenzen.18

Die rechtliche Bedeutung des Kesselhakens, auch Helhaken, Hel oder Hal19 genannt (vgl. ahd. hahan, hahen, haen ‚hängen‘20), der vor allem in Niedersachsen Mittelpunkt des Wohnhauses21, ja dessen „Heiligtum“22 war, ist unzweifelhaft. Er steht als pars pro toto für Haus und Hof23 und vermittelt über rechtssymbolische Handlungen den „abstrakte[n] Übergang der Berechtigung an der Sache“24. Das zeigt sinnfällig der rechtsrelevante Akt einer Besitzergreifung aus dem 17. Jh. Die Abtei Siegburg in der Nähe von Bonn ließ am 23. und 24. September 1669 Höff und Heuser durch einen mit der Inbesitznahme beauftragten Notar in Anwesenheit zweier Siegburger Vertreter und zweier namentlich genannter Zeugen, Schöffen des zugehörigen Dingstuhls, „feierlich mit Beschlag belegen“25, und zwar mit ahnzundt: und aussleschung dess fewrs, auf: und abschurtzung dess Heelhags, fort abnehmung dess darahn hangenden duppenss animo et corpore realiter et actualiter die unyrdt: und coniungirte possession und besitz ergriffen und eingenohmmen […].26

Objekt dieser rechtsförmlichen Einweisung ist also die Herdstelle: Das Feuer wird entfacht und gelöscht, der Kesselhaken auf- und abgehängt (d.  h. der Hausstand in

16 von Geramb 2000: Victor von Geramb, Art. Kesselhaken. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. IV. Berlin/Leipzig 2000, Sp. 1269–1279, hier Sp. 1272. 17 Ebd. Darauf scheint auch die rechtsrelevante Formel „vom kesselhaken bis zum thorweg“ wie sie Grimm beibringt, zu weisen; Grimm 1899 (I), S. 53 (37). 18 Werkmüller 1998, Sp. 296  f. 19 Vgl. den Eintrag Häl im Schweizerischen Idiotikon: Staub/Tobler/Schoch 1885, Sp. 1133. 20 Vgl. Schützeichel 1989, 135. 21 Vgl. von Amira 2011, 124. 22 Schwebel 1887, 70. 23 Lück 2012, Sp. 956. 24 Ebd. 25 Leider steht mir nur folgende Sekundärquelle zur Verfügung: Wiedemann 1894, 142  f. 26 Ebd., 142.



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Betrieb genommen), der am Kesselhaken befindliche Topf der Vorbesitzer entfernt. Dieser Beleg ist nicht singulär, es existieren zahlreiche Nachweise für eine Übereignung einer Liegenschaft mit dem Kesselhaken als Investitursymbol.27 Geht es andersherum um eine (unfreiwillige) Auflassung eines Hauses, etwa wenn eingeforderte Abgaben an den Grundherrn nicht geleistet wurden, wird der Kesselhaken durch einen Richter entfernt (die folgende Anweisung stammt aus dem Jahr 1571): Wer ein hälen ob dem für und brotkorb hat, der soll dem twingherrn haber und hüener geben und wer das nit täte, dem mag der richter die hälen ab dem für nehmen.28

Der Kesselhaken als Herrschaftssymbol markiert also Besitzverhältnisse bzw. Zugehörigkeiten. Von hier aus erklären sich kultische Handlungen wie der Umwandlungsbrauch der sog. ‚Helleite‘, die als initiatorischer Ritus ihren Ursprung womöglich in der Zeremonie der Amphidromien hat, einer altgriechischen Lustrationsfeier, die nach der Geburt eines Kindes abgehalten wurde.29 In dieser Zeremonie wird durch einen Umlauf um den Herd „die Bindung des Kindes an den Herd und seinen geweihten Bannkreis vollzogen […] damit ist es in den häuslichen Kultverband aufgenommen“30. Die Herdumwandlung ist die „häufigste und meistverbreitete Form der noch heute [das meint hier das erste Drittel des 20. Jh.s] erhaltenen H. kulte. Die Sitte […] ist zweifellos sehr alt, da sie sich bereits in den altindischen Quellen nachweisen lässt und in der Antike früh und reichlich bezeugt ist“31. Die Aufnahmezeremonie ist in ihrem Grundgedanken der genannten Helleite als Aufnahmeritus identisch, die in zahlreichen ethnographischen Belegen dokumentiert ist. So wird der neue Hausherr „ums Hel geleitet“32, der Bräutigam trägt die Braut ins Haus und umwandelt mit ihr drei Mal den Kesselhaken33 oder eine neue Magd wird bei Dienstantritt um dat hal geführt34. Andersherum wird die detestatio sanctorum, wenn die Braut das väterliche Haus verlässt, rechtssymbolisch dadurch markiert, dass die Braut „die Herdkette mit der Hand leicht zurückstößt“35. Die Bindung an das Haus als eigentliche Handlungsintention wird in der folgenden Anweisung des 16. Jh.s ganz explizit genannt:

27 Vgl. z.  B. die Einträge bei Goldmann 1912, v.  a. 29–33. 28 Staub/Tobler/Schoch 1885, Sp. 1134. 29 Stengel 1894, Sp. 1902. 30 Knuchel 1919, 4; Knuchel bezieht sich hierbei u.  a. auf Scholien zu Plato. 31 von Geramb 2000, Sp. 1768. 32 von Geramb 2000, Sp. 1276. 33 Vgl. z.  B. Kauffman 1910, 148; Weiser 1926, 3. 34 Vgl. Kuhn 1973, 61. 35 Knuchel 1919, 22.

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Welcher sein Katz oder Hund daheym behalten wil / daß sie nicht außlaufft, der treyb sie drey mal umb die haal / vnnd reib jren arß an die maur deß schornsteins / so bleiben sie immer daheym.36

Dass übrigens haal 200  Jahre später nicht mehr verstanden wurde, zeigt folgende ‚emendatio‘ im Planeten=Buch von 1757. Denn hier heißt es dann: […] der treibe sie dreymal um den Saal […]37, danach wird jedoch genauso die Prozedur mit dem Schornstein genannt und damit die Angelegenheit wiederum am häuslichen Herd lokalisiert. Damit kehre ich zurück an den Anfang. Man versteht jetzt, dass die magische Handlungsanweisung des Hexenbanns passgenau den Kesselhaken für ihre Zwecke instrumentalisiert: Der Kesselhaken als rechtsrelevantes Symbol des Herd- und Hausbesitzes, als rechtlicher Hausmittelpunkt, wird hier gemäß der Handlungsvorgabe eben nicht abgeschürzt, das heißt abgenommen (wie bei der zitierten Hausauflassung), er wird im Gegenteil aufgeschürzt, also höher gehängt und damit das Feuer der offenen Herdstelle aktiviert. Andersherum bedeutete in mittelalterlicher Rechtspraxis das „Kaltlegen des Herdes und Ausschütten des Herdfeuers auf offener Straße die Vertreibung von Haus und Hof“38. Das Aufschürzen des Kesselhakens ist innerhalb solcher Setzungen also das adäquate Zwangsmittel, die Hexe an den häuslichen Herd und seinen Bannkreis zu binden. Die Translozierbarkeit des Kesselhakens, der als „leicht ab- und aufzuhängender Gegenstand […] im Gegensatz zum H[erd] und zum Haus körperlich sowie für jedermann sichtbar an den Erwerber übergeben werden“39 konnte, macht(e) ihn zu einem vielseitig einsetzbaren (magischen) Objekt. Das zeigt im Folgenden ein vordergründig kurioser Bericht aus der Chronik des wendischen Bauern Johann Parum Schultze (1677–1740) aus Süthen im heutigen Hannoverschen Wendland, der 40  Jahre lang Dorfschulze war und um 1720 mit der Niederschrift seiner 310 Seiten umfassenden Chronik begann, die das bäuerliche Leben in mannigfacher Perspektive festhält.40 Im Kapitel „Pest ist in alten Zeiten nicht in Sühten gewesen“41 beschreibt er, wie ein Mann die Pest mit einem Kesselhaken-Umlauf von seinem Dorf ferngehalten haben soll, und zwar folgendermaßen: Hans Niebuhr (hanns Niebuhr) – vermutlich meint das Johann Parum selbst, sein Vater ist der Erbschulze Jürgen Niebuhr42  – nahm

36 Der alten Weiber Philosophey, 106. Für zielführende und unkomplizierte Recherchehilfe danke ich sehr herzlich Frau Dr. Elke Krotz, Universität Wien. 37 Das Große Planeten=Buch, 328 (35). 38 von Geramb 2000, Sp. 1766. Grimm berichtet vom Einschlagen des Ofens, wenn ein Sträfling aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden sollte, oder von der Löschung des Feuers „gegen den säumigen und widerspenstigen“ noch im 17. Jh.; Grimm 1899 (II), 329 (729). 39 Lück 2012, Sp. 956. 40 Eine Abschrift (das Original ist nicht erhalten) hat Karl Kowalewski unter den Titel WendlandChronik […] ediert; hier Vorwort von Kulke 1991, 18. 41 Kowalewski 1991, 32–34. 42 Vgl. Kulke in Kowalewski 1991, S. 18.



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des Nachts auf seinem Wagen einen Gast mit, der in das nächste Dorf wollte, sich dann aber als Pest (ich bin der Pest) zu erkennen gibt. Niebuhr bittet um sein Leben, daraufhin gibt der Pest ihm ein Lehr: Niebuhr solt ihn vor Dorf stehen lassen mit dem Wagen und sich nackend ausziehen und überall kein Kleid an seinen Leibe haben und soll seinen Kesselhaaken nehmen, forne aus seine Hauss ausgehen, mit der Sonnen umb sein Hoff Erumb lauffen. […] Den solte Er unter die Thür-Schwelle vergraben […]. Niebuhr jedoch setzt die Pest eine gute Ecke von dem Dorfe aus, er läuft nicht nur um seinen eigenen Hof, sondern mit dem Kesselhaken nackend aus das Dorf und rund umb, um dann das Eysen unter die Brücke43 zu stecken. Die Pest bedauert: hatte ich das gewust, solt ich dir das nicht kundt gethan haben, dasz du ein solches in deinen Sinn hast fürgenommen und hast mir das ganze Dorff zugemachet. Der Chronist bestätigt das: Ist auch kein Kranckheit von Pestilenz im Dorf gespüret worden, sonsten in allen umliegenden Gegenden hat die Säuche heftig grassiret. Zugrunde liegt die Vorstellung einer Umwandlung bzw. Umfahrung. In der Rechtspraxis bezeichnet dies die rechtsförmliche Besitzergreifung etwa im Rahmen einer traditio (s.  o.), wie sie bereits die Lex Baioariorum beschreibt. Hier heißt es hinsichtlich der förmlichen Einweisung des Erwerbers in den Besitz eines Grundstücks: Per IIII angulos campi aut designatis terminis per hec verba tollat de ipsa terra vel aratrum circumducat […]44. In die magische Praxis übersetzt bedeutet eine Umwandlung/Umfahrung das Anlegen eines Bannkreises, der nach innen geschützt ist und nach außen zum Beispiel durch einen Kreide- oder Mehlkreis (weiß gilt als dämonenabwehrend) markiert ist. Dieser Bannkreis wird im Falle des Hans Niebuhr mit dem Kesselhaken gezogen, auch noch sonnenläufig und nackt.45 Der intendierte Ausschluss der Pest aus dem Dorf ist hier also gleich mehrfach markiert: Umlauf bzw. Bannkreis, die ihrerseits bereits eine Besitzergreifung symbolisieren, werden durch das Investitur- und Herrschaftssymbol des Kesselhakens auf dessen Besitzer hin, den Dorfschulzen des bedrohten Dorfes, spezifiziert. Diesem gehört nun das Dorf, nicht der Pest, die er überlistete: Durch die Umrundung des ganzen Dorfes (nicht nur seines eigenen Hofes) mit dem besitzanzeigenden Kesselhaken ist dieses als Ganzes geschützt; der Haken wird an strategisch bedeutsamer Stelle vergraben, unter der Brücke nämlich, dem Zugang zum Dorf, so dass die Pest nicht hinein kann (hast mir das ganze Dorff zugemachet). Dabei spielt auch das Material des Kesselhakens eine Rolle: Eisen und Erz gelten im magischen Kontext als dämonenabwehrend,46 man denke hier etwa auch an Kessel-47

43 Nimmt man einen biographischen Bezug an, so ist von Interesse, dass Johann Parum tatsächlich den Hof gegenüber dem Dorfeingang bewohnte; vgl. Kulke in Kowalewski 1991, 18. 44 Lex Baioariorum, 132 (XVII). 45 Die Nacktheit soll gewährleisten, dass keine störende Materie zwischen den Ausführenden und den magischen Akt tritt, die letzteren unerwünscht beeinflussen könnte. 46 Vgl. etwa Weinhold 1896, 39. 47 Der Sachsenspiegel (102, Kap. 25) nennt drei Möglichkeiten des Unschuldserweises bezüglich der Gottesurteile: De er recht mit rove oder mit duve verloren hebben, of men se duve oder roves anderweide

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bzw. Eisenprobe48 in den sog. ‚Gottesurteilen‘ (Ordalen); andersherum ist schon in der Lex Salica die Vorstellung belegt, dass Hexen in einem Kessel ‚brauen‘, und zwar unter folgendem Eintrag: Si quis alterum herburgium clamaverit, hoc est strioportium, aut qui aeneum portare dicitur, ubi striae concinunt […].49 Die genannte Pest-Bannung ist kein Einzelfall. In einer volksmedizinischen Sammlung, in der Erfahrungsmedizin und magische Handlungsanweisungen bzw. Beschwörungen als ‚Zaubermedizin‘ unmittelbar nebeneinander stehen,50 operieren drei Mädchen gegen die Pest, indem sie mit einem ‚Lenkhaken‘ dreimal um das Dorf reiten (hier ist die ‚hexische‘ Adaption nicht zu übersehen) und diesen dann in der Erde vergraben.51 Ein Lenkhaken ist der „Gelenkhaken zur Verkürzung der Kesselkette“52. Dieser Pest-Umritt mit dem besitzanzeigenden Herdgerät repräsentiert eine besondere Spielart indogermanischer Pflügebräuche; diese waren, soweit sie die Abwehrpflügung oder die „Umfurchung des Dorfes mit dem Frühlingspfluge“53 betrafen, bereits 743 (Synode von Lestines)54 als pagane Umtriebe verboten worden.55 Ich komme zu einer weiteren Bedeutungsebene des Kesselhakens. Eine volksmedizinische Sammlung aus Island notiert folgende Anweisung: Wenn man eine Blase an der Lippe bekommt, braucht man nur in die Küche gehen, dreimal den Kesselhaken zu küssen und dazwischen zu sprechen: ‚Guten Tag, Kesselhaken mein, / Ist der Hausherr daheim? / Ich will küssen die Spitze dein, / Wenn du heilst die Lippe mein‘.56

Die Auffassung des Kesselhakens als Rechtssymbol hilft hier nicht weiter, genauso wenig wie in den folgenden Beispielen einer magischen Heilpraktik:

sculdeget, se ne mogen mit erme ede nicht unsculdich werden; se hebben drier kore: dat [hete] iseren to dragene, oder in enen wallenden ketel to gripene bit to deme elembogen, oder deme kempen sek to werende. Ähnlich nennt die Lex Salica (88 bzw. 82) die Kesselprobe als Mittel, seine Unschuld zu beweisen (und zwar unter De eo qui ad mallum venire contempserit, Kap. 59), allerdings konnte man auch ‚die Hand von der Kesselprobe lösen‘ (De manu de aeneo redimenda, Kap. 55). 48 Ein Beispiel aus dem Königsgesetz von 803: Wenn jemand einen Verwandtenmord leugnet, kann er sich durch das Gehen über 9 glühende Pflugscharen vom Todesurteil lösen: Et si negaverit se illum occidisse, ad IX vomeres ignitos iudicio dei examinandus accedat (Kap. 5); Eckhart 1934, 102. 49 Eckhart 1934, 66 (Kap. 67). 50 So z.  B. unter der Rubrik Gegen Krämpfe: „Gegen Magenkrampf nimm Mutterkraut, Krauseminze, Gülte, Bärenwurzel, Bärenkraut, jedes für 6 Pfennig, giesse ein Quart Kornbranntwein darüber und lass es 24 Stunden ziehen. Das hilft“; gleich darüber steht: „Will man sich von Krämpfen befreien, so ziehe man sich das Hemde vom Leibe und gebe es der Leiche eines Erhängten mit ins Grab“; Haase 1897, 290. 51 Ebd., 292. 52 Beltz 1895, 27. 53 Meyer 1904, 135. 54 Vgl. dazu etwa Weizsäcker 2016. 55 Vgl. Meyer 1904, 135. 56 Lehmann-Filhés 1897, 287.



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Bekommt Jemand von dem Hauspersonal das sog. böse Ding an den Finger, dann verordnet die Hausfrau dreimal um die Heerdstatt zu gehen und dabei jedes Mal zu sagen: ‚Hohlhang vertreib mir doch mein Nägelzwang‘.57 Feuerhaken ich klage dir. Die Refkau und Hardspann die plagen mir […] Im Namen Gottes 3 mal.58 Ketelhaken, ik klag di, / De Heerbran die plagen mi […] Zuletzt spricht man den Namen Gottes neunmal und kreuzt mit einem Kesselhaken vor dem schlimmen Auge.59

Den genannten Beschwernissen eignet in volksmedizinisch-magischer Perspektive eine dämonistische Ätiologie. Blasen bzw. Blattern60 galten im Sinne der Projektilthese61 meist als ‚aufgeschossen‘, d.  h. durch einen (dämonischen) Verursacher via Projektil auf die Haut aufgebracht; im Cambridger Augensegen62 aus dem 12. Jh. ist explizit von scuzblatrun die Rede. Das ‚böse Ding‘ ist das sog. ‚Panaritium‘, der ‚Fingerwurm‘63. Die Vorstellung von wurmartigen Dämonen ist alt und sehr verbreitet64 und betrifft Beschwörungen unterschiedlicher Krankheiten; so werden z.  B. Schmerzen in den Augen als von Augenwürmern verursacht gedacht, es ist von Zahnwürmern, von Fingerwürmern oder überhaupt von wurmme in dem libe65 die Rede. Hardspann meint ‚Herzgespann‘ oder ‚Herzgespärr‘: Diese Krankheitsbezeichnungen bezeichnen „jede[n] stärkere[n] Anfall von schmerzhafter Hemmung der freien Bewegung des Zwerchfells, der plötzlich (wie ein dämonistisch veranlasster sperrender Balken) über den sonst freien Atmungsweg sich einstellt“66. Bei Refkau liegt möglicherweise eine Bildung mit Reff vor, ein „vermutlich aus der heidnischen Opfer-Anatomie stammendes Wort für den inneren Teil, namentlich für die Schlingen des Gedärms“67; Reff

57 Diese Anweisung befindet sich im Corpus der deutschen Segen und Beschwörungsformeln (CSB), eine Sammlung mit über 28000 Texten, die sich heute im Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, TU Dresden, befindet. Eingeordnet ist die Sammlung unter Panaritium (Nr. 2). Ich danke sehr herzlich Frau Dorothea Döhler, Bibliothek des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde, die mir ausgesprochen freundlich und zuvorkommend, verbunden mit einem enormen Leseaufwand, Scans relevanter Texte übermittelte. 58 Bibliothek des Instituts für Sächsische Geschichte, CSB Herzgespann 378. Als Fundstelle wird angegeben: „Altes Besprechungsheft von Hans Olischer, Rostock, am 3.1.1937 übersandt“. 59 Bibliothek des Instituts für Sächsische Geschichte, CSB Augen 445. 60 Blatter(n) = Blase; vgl. Höfler 1970, 48. 61 Vgl. hierzu grundlegend Honko 1959. 62 Cambridge, University Library, Ms. Peterhouse 130, 219v, Homiliarium des 12. Jh.s; Text bei Wilhelm 1914, 52  f. 63 Der Fingerwurm bezeichnet ein „neben der Nagelwurzel sich bildendes Geschwär oder Geschwür“; Höfler 1970, 824  f. 64 Vgl. Honko 1959, v.  a. 34. 65 Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Hs 1631 (Fragment, sog. ‚Elsässisches Arzneibuch‘), 6 Blätter. 66 Höfler 1970, 662. 67 Ebd., 500.

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konnte auch die „tragenden Knochen (wie Brustkorb) als knöchernes Sparrenwerk, Skelett“68 meinen (was zu ‚Herzgespann‘ passen würde). Das enigmatische Heerbran erscheint als herbrodt in mehreren althochdeutschen Beschwörungen gegen Augenkrankheiten.69 Die Bezeichnung weist auf eine heute fremde Welt altertümlicher Krankheitserklärungen rund um das Auge; sie vereinigt nämlich gleichermaßen alte Vorstellungen von fressenden Würmern in den Augen wie auch archaische Konzepte hinsichtlich der Projektilthese. Wie aber nun weiter? Dämonistische Ätiologie, das drohende Kreuzen vor dem Auge (das dem innewohnend gedachten Krankheitsdämon gilt), vor allem aber die Nennung des ‚Hausherrn‘70 scheinen auf den Kesselhaken als lar familiaris zu deuten. Denn der Herd bzw. der Kesselhaken waren einst auch „Örtlichkeit der Götterverehrung und der Opfergabe“71 im Rahmen einer vorchristlichen antiken religio domestica, die so unterschiedliche Elemente wie Feuer- und Herdverehrung, verschiedene Gottheiten, Ahnenkult etc. vereinte.72 Innerhalb der griechischen und römischen Mythologie bezeichnet der „Name Lar familiaris den Gott als den Beschützer der familia im weitesten Sinne, d.  h. […] des ganzen Hausstandes mit Einschluss des unfreien Gesindes“73. Sein Sitz ist am Herd,74 er wird begrüßt, ihm wird geopfert und man betet zu ihm und betrachtet „ihn wie einen mit den Schicksalen der Familie eng verbundenen Hausgeist“75. Der Kesselhaken als Teil des Herdes ist auch noch Anfang des 20. Jh.s mancherorts der kultische ‚Herr des Hauses‘(!), das meint den Ahnengeist, der zugleich auch Herdgottheit ist.76 Die Geister der Verstorbenen halten sich gedachterweise also am Herd auf,77 dieser ist Sitz der Geister78 (was möglicherweise auf den Herd als ursprünglichen Begräbnisplatz eines Familienmitgliedes79 innerhalb einer archäologisch häufig zu beobachtenden „Verbindung von Wohnsitz/Residenz und Grab“80

68 Ebd. 69 Vgl. dazu Schulz 2000. 70 Hierzu bemerkte Goldmann: Der „‚Hausherr‘ des isländischen Zauberspruchs ist der Schutzgeist des Hauses, der Ahnengeist, der im Kesselhaken wohnend gedacht wird. Der Kesselhaken muss am besten wissen, ob die Ahnengottheit zugegen ist, denn er ist der Sitz der Ahnengottheit“; Goldmann 1912, 46  f. 71 Lück 2012, Sp. 955. 72 Wachsmuth 1980, 53. 73 Drexler 1897, Sp. 1876. Samter (1965, 372) unterscheidet zwischen ‚Lar‘ und ‚Lares‘: „Der Plural Lares wird kollektiv für die Gesamtheiten der Herdgottheiten gebraucht, der Singular aber wird wohl metonymisch für Herd und Haus verwendet“. 74 Vgl. Drexler 1897, Sp. 1877. 75 Vgl. Ebd., Sp. 1878. 76 Vgl. Goldmann 1912, 46. 77 Rademacher 1893, 58. 78 Lauffer 1901, 119. 79 Rademacher 1893, 57. 80 Graen 2011, 73.



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zielt). Den Ahnengeistern wurde auch zugeschrieben, die Heilkunst ausüben zu können.81 In einer interpretatio christiana werden aus dem am Herd ansässigen Haus- bzw. Ahnengeist82 nicht nur die ‚Armen Seelen‘ (denen z.  B. an Allerseelen ein Speiseopfer in das Herdfeuer geworfen wird)83, sondern Hexen: Der Hexenritt führt bekanntlich durch den Schornstein, wobei neben dem Besen auch der Feuerhaken oder die Ofengabel als Transportmittel dienen.84 Die antike Gepflogenheit, dem Herd bzw. dem Feuer zu opfern, wird dann im berüchtigten Hexenhammer (Malleus Maleficarum) von 1486 so umgedeutet, dass die Hexen ein neugeborenes Kind an der Herdstelle über dem Feuer dem Teufel opfern: Wenn nämlich ein Kind geboren ist, trägt es die Hebamme, falls die Wöchnerin nicht schon selber eine Hexe ist, als wollte sie eine Verrichtung zur Erwärmung des Kindes vollbringen, aus der Kammer heraus [und] hebt es in die Höhe, dem Fürsten der Dämonen, d.  h. Luzifer, und allen Dämonen [entgegen]. Sie [die Hexen] opfern es, und zwar an einer Kochstelle über dem Feuer.85

Es folgt ein Fallbeispiel: Ein Kindsvater bemerkt „Gotteslästerung und teuflische[] Anbetung“ und sieht „wie ihm schien, daß das Kind mittels eines Kesselhakens, nicht durch menschliche Hilfe, sondern durch die Dämonen gestützt, schwebte“86. Die Folgen sind fatal: Mutter und Tochter (letztere hatte bei der Entbindung geholfen) „wurden gleichzeitig eingeäschert und [damit wurde] die [Un]tat der göttesläster­ lichen Opferung, die gewöhnlich durch Hebammen begangen wird, aufgedeckt“87.

2 Dei Huk uptrecken Auch im Folgenden geht es um Hexenprozesse. Dabei kommt das Rostocker Ordelbuch des Niedergerichts in den Blick, insbesondere die Akten aus dem Jahr 1584:88 In

81 Vgl. Negelein 1902, 66. 82 Ahd. hûsing meint den ‚Hausgott‘ (wohl im Sinne von ‚penates‘); ahd. ingoumo meint ‚Schutzgott‘ (wohl im Sinne von ‚lares‘); vgl. Schützeichel 1989, 149 bzw. 150. 83 Vgl. von Geramb 1987, Sp. 1762. Die ‚Armen Seelen‘ wurden im (Fege)-Feuer gedacht, das zum Beispiel am Ätna lokalisiert wurde, wie ein Pilgerbericht aus dem 17. Jh. zeigt: […] was ihme auff seiner Pilgerfart im Ruckweeg von Jerusalem begegnet seye / wie er nehmlich naͤ chst um den Berg Aethna, worauff der Rauchfang von der Hoͤ llen und Fegfeur seyn soll / und man die arme Seelen mit grossen Geschrey herauß heulen / und lamentiren hoͤ re […]; Ludwig 1696, 551. 84 Lauffer 1901, 119. 85 Hexenhammer, 475 (Kap. II/1,13). 86 Ebd., 475. 87 Ebd., 476. 88 Für die überaus freundliche und sehr rasche Bereitstellung entsprechender Bilddateien des Ordelbuchs danke ich Dr.  Kasten Schröder, Ramona Fauk und Bodo Keipke vom Archiv der Hansestadt Rostock.

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diesem Jahr wurden allein in den beiden Monaten August und September 17 Hexen und ein Zauberer in Rostock verbrannt.89 In der Bekendtnus der Anneke Metlinges vom 19. August 1584 heißt es unter anderem: (6) Bekandt, wen sie den Kindern den halß gezogen, da hette sie gesagt, die halß in den haken in den namen des vatters, vnd des sohns vnd des heiligen geistes, Amen.90

In der Aussage der Elsebe Schulten vom 10. September desselben Jahren heißt es: (3) Bekandt, das ihr die alte Pralsche […] gesagt, wen sie den Kindern den Halß in den haken toge, so solte sie sprechen […].91

Am 11. September sagt Anneke Swartten aus: (18) Bekandt, Wan sie den leuten den halß in den haken getagen so hette sie gesagt. Ich ziehe dich den halß in den haken das dich die düfel nicht nake in namen des vatters sons und des heiligen geistes Amen.92

Der Schluss der Prozessakte von Anneke Swartten verzeichnet lapidar: Ist dieß wib mit dem feur vom leben zum tode gerichtet worden93. Der genannte haken wird genauer spezifiziert in der Aussage einer Angeklagten in einem Wittenburger Hexenprozess vom März/April 1689. Hier heißt es dann: Den huck hätte sie folgender massen gestillt: Sie nehme einen Keßelhaken, so ufn feur herde hengende, in die handt, ließ den Ahten darüber gehen undt Japete darüber undt sagte: Jode, Joduth Ick kan den Kehtelhaken nicht upschluken. Im Nahmen usw.94

Diese Aussagen gehören in die Kategorie ‚Segnen‘ oder ‚Böten‘. In erster Linie wurde jedoch in den Hexenprozessen versucht, den überwiegend weiblichen Angeklagten das standardisierte Kumulativdelikt ‚Hexerei‘ nachzuweisen (Teufelspakt, Hexenflug, Teilnahme am Hexensabbat, Schadenzauber, Verwandlung in ein Tier), um sie so besser verurteilen zu können. Typisch hierfür sind ‚Geständnisse‘ aus dem Ordelbuch wie die von Elsebe Schulten, dass ihr ein Mann zaubern gelehrt95 oder dass ihr

89 Vgl. Beese 1993, 21. 90 Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts 1539–1586, AHR 1.1.3.1. 231, 314v. 91 Ebd., 330v. 92 Ebd., 341v. 93 Ebd., 342r. 94 Die Prozessakte befindet sich heute im Landeshauptarchiv Schwerin; Frau Brigitte Steinberger vom Archiv Stadt Wittenburg übermittelte mir sehr engagiert die Fundstelle wie folgt: „191–226, Vol. III. Fasc. 1, Inquisitionalia I 1555–1726“. Das Landeshauptarchiv Schwerin nannte mir folgenden Hinweis (LHAS, 2.12–4/3–43 Stadt Wittenburg), sah sich dann aber aus Zeit- und Personalkosten außerstande, ein entsprechendes Digitalisat anzufertigen. Ich war deshalb auf folgende Sekundärquelle angewiesen: Sello 1875, 160  f. 95 Ordelbuch des Niedergerichts 1539–1586, AHR 1.1.3.1. 231 330v. (Punkt 4).



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die Mutter do sie von 12. Jharrn gewesen segenen und böden gelehrt96 habe; in einem Prozess vom 28. März sagt Margretha Gudowen aus, dass sie in der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg gewesen sei und dort mit dem Teufel getanzt habe97 usw. Doch auch die volksmedizinischen Einsprengsel, jene meist harmlosen Versuche, gegen Krankheiten aller Art mit Wort und Tat vorzugehen, wurden als Verstoß gegen das 2. Gebot geahndet, indem sie [die Frauen] ihr Segnen, Böten und andere Phantasien mit dem Namen des heiligen, hochgelobten und unzerteilten Dreieinigkeit geschlossen und damit sehr gemißbrauchet98. Hexenprozesse allgemein sind in ihren Rahmenbedingungen gut erforscht, nicht jedoch die in den Protokollen inserierten volksmedizinischen Rezepte bzw. Verfahren. Wie also ist die Vergesellschaftung von Kesselhaken und Huk in den Rostocker Prozessakten und im Wittenburger Fall zu verstehen? Der Huck (auch Houg, Hugk, Huge, Hauch etc.) meint „uvula, Hauchblatt, Zäpf­ lein“99 des Gaumens; die Bezeichnungen Auf, Auff, Uve sind ebenso aus lat. ‚uvula‘ umgebildet.100 Konrad von Megenberg nennt das Gaumenzäpfchen plat: Daz aichelein oder daz weinperl ist ain klaines flaischel hinten in dem mund und ist sinbel als ain aichel oder ain weinper. dar umb haizet ez ze latein uvula, daz spricht weinper; aber die laien haizent ez daz plat und ist kain ander dinch.101

Bereits bei Plinius ist die Vorstellung belegt, dass das Gaumenzäpfchen ‚herunterfällt‘ (das meint das stark angeschwollene und damit ‚verlängerte‘ Zäpfchen etwa bei einer Angina tonsillaris) und wieder ‚aufgezogen‘ werden kann, wenn eine andere Person den Scheitel des Kranken mit den Zähnen in die Höhe zieht: si iaceat uva, verticem morsu alterius suspendi.102 Bei Marcellus wird das ‚Aufheben‘ des Zäpfchens durch eine aufwärts (!) kriechende und ‚webende‘ (= Festbinden des Zäpfchens?) Spinne imaginiert: Araneam, quae sursum uersus subit et texit, prendes et nomen eius dices, cui medendum erit, et adicies: ‚Sic cito subeat uua eius, quem nomino, quomodo aranea haec sursum repit et texit‘.103

Der Begriff des gefallenen Zäpfchens kam über die arabischen Medizinschulen: Uva jacens = Casus uvae Rhazes104 in den abendländischen Kulturraum. Unter dem Titel

96 Ebd., 330v. (Punkt 5). 97 Ebd., 148v. (Punkt 2). 98 Schneider (1996, 44) bezieht sich dabei auf einen Prozess gegen Anna Rukit 1604. 99 Vgl. Höfler 1970, 221. 100 Vgl. Ebd., S. 19. 101 Pfeiffer 1962: Franz Pfeiffer (Hg.): Das Buch der Natur von Konrad von Megenberg. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. Hildesheim 1962, S. 16  f (Kap. 14). 102 Plinius, 48. 103 Marcellus, 244 (Buch I, Kap. XIIII 68). 104 Vgl. Hovorka/Kronfeld 1909, 78.

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Dei Huk uptrecken (plattdeutsch uptrecken bedeutet ‚emporziehen‘),105 wenn nämlich de Huk is dalschaten106 (d.  h. sich hinunter bewegt hat),107 nennt noch die große volkskundliche/volksmedizinische Sammlung von Bartsch vom Ende des 19. Jh.s das ‚Zapflheben‘108 (so genannt im Alpenraum), eine Heilpraktik, die Plinius’ Rezept doch sehr nahekommt: „Wenn Einem das Zäpfchen angeschwollen ist, werden drei Haare aus der Mitte der Kopfplatte um die Hand gewunden und stark daran gezogen“109. 1742 hatte Theodor Zwinger Kritik an dieser Methode geübt: Viele lassen sich in diesem Zufall bey einem locken Haar auf dem Scheitel in die Hoͤ he ziehen, dadurch gedenken sie bißweilen das niedsichhangende Zaͤ pflein wiederum in die Hoͤ he zu bringen; der Glaube muß aber groß sey wann es helffen soll.110

Daneben wurde Kräutermedizin111 eingesetzt, es gibt ein eigens ausgewiesenes Zapffenkraut112 und ausgeklügelte Verfahren mit Agatstein und Sauerteig, um das Zäpfchen wieder in die Höhe zu bringen wie Albertus Magnus berichtet: 96. Den gefallenen Zapfen wieder in die Höhe zu bringen. Man streut auf den Wirbel des Kopfs einen gepulverten weißen Agatstein, nimmt nachher mit Sauerteig das Pulver wieder auf und bindet alles zusammen in einem leinenen Lappen auf den Wirbel, so wird der Zapfen in Kurzem wieder in die Höhe gebracht. Oder man siedet ein Ei hart, schneidet es mitten von einander, streut auf den Dotter und das Weiße der einen Haͤ lfte gepulverten Agatstein und bindet es so warm auf den Wirbel, worauf gleiche Wirkung erfolgt.113

Jedoch wurden auch radikalere Behandlungen vorgeschlagen: So aber nichts helffen wil / so soll man sie [die Zaͤ pflin] mit einem Zaͤ nglein herfuͤ r ziehen / vnd hoͤ flichen abschneiden.114 Die antike Heilanweisung und ihre späteren Nachahmer setzen voraus,

105 Vgl. Lindow 1984, 228. 106 Vgl. Goldschmidt 1854, 116. 107 Vgl. plattdeutsch daal, dool als ‚hinunter, herunter, herab, abwärts‘; scheten als ‚sich schnell bewegen‘; Lindow 1984, 43 bzw. 174. 108 Vgl. hierzu die informativen Ausführungen von Grabner 1997, 259–266 (Kap. 5: Das ‚Zapflheben‘). 109 Bartsch 1978, 123; Bartsch fügt hinzu: „Viel gebrauchtes Mittel“ und nennt als Quelle den „Domänenpächter Behm in Nienhagen“. 110 Theodori Zvingeri Sicherer […], 767  f. 111 Z.B: Zu Pulver gestossener Alaun kann in einem Theeloͤ ffel an das geschossene Zaͤ pflein, etlich mal des Tags angebracht werden; Mellin 1786, 6. 112 Zapffenkraut oder Hauckenblat / hat den Nahmen / dieweil es zu den Halß=Zaͤ pfflein dienlich ist / heißt auch Keelkraut / Hockenblat […]; Lonicerus 1703, 380. 113 Das Buch der Geheimnisse. Eine Sammlung von zweihundert und sechszig, besonders magnetischer und sympathetischer Mittel wider Krankheiten, körperliche Mängel und Uebel […]; 4.  Teil: Albertus Magnus bewährte und approbirte sympathetische und natürliche egyptische Geheimnisse für Menschen und Vieh, Reading 1852, 29. 114 Kurtzes Hand=Buͤ chlein […], 28.



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dass eine Verbindung zwischen dem Gaumen und dem Schädeldach besteht115 – doch nicht nur das: Die volksmedizinische Perspektive kennt sogar eine direkte Verbindung von Gaumenzäpfchen und Magen wie es Peter Rosegger beschreibt: Hat nämlich […] jeder Mensch in der Kehle ein Fleischzapfchen; wenn du in den Spiegel schaust, kannst es sogar an dir selber sehen. Nun, dieses Zapfchen fällt dem Menschen manchmal hinab in den Magen und dann ist er heiser und kann kein lautes Wort sprechen. Oben mitten auf dem Scheitel hat der Mensch ein bestimmtes Haar, und wenn man daran zieht, so kann man wie durch eine Schnur das hinabgefallene Zapfchen wieder herziehen in die Kehle. Aber die wenigsten finden unter den tausend Haaren das rechte auf dem Scheitel, diese Geschicklichkeit muß angeboren sein.116

Plinius’ Rezept wird hier durch die genannte ‚Schnur‘ konkretisiert. Ob dabei die alte Fadenvorstellung eine Rolle spielt, kann nur vermutet werden: Dass nämlich in volksmedizinischer Vorstellung zum Beispiel auch Herz und Lunge an einem Faden hängen (sog. ‚Herzbändel‘), ja dass überhaupt Leben und Schicksal eines Menschen buchstäblich ‚an einem Faden hängend‘ gedacht wurden (vgl. den von den Parzen gesponnenen ‚Lebensfaden‘ oder den ‚Schicksalsfaden‘, den die Nornen spinnen).117 Dass in Roseggers Beschreibung auch der Magen eine Rolle spielt, erscheint grotesk; anatomisch richtig ist aber immerhin, dass der Pharynx Anteil am Atem- wie auch am Verdauungstrakt hat, der Ausgang aus dem Pharynx führt nach unten, ventral in den Kehlkopf und von dort in die Trachea, dorsal in den Ösophagus.118 Auch der medizinische Laie kennt den Zusammenhang, dass bei einer mechanischen Reizung des Zäpfchens ein Würgereflex entsteht; bereits Galen sprach von zwei Magenausgängen, wobei der Weg beim Erbrechen eben nach oben führt.119 Auch dass ein geschwollenes und deshalb ‚herunterhängendes‘ Zäpfchen Schluckbeschwerden, Atem- und Stimmprobleme (Heiserkeit) bewirkt, ist ohne weiteres einsichtig und wird in Des Beneventus Grapheus Hierosolymitanus Arznei= und Wundarzneikunst, einer Pergament-Handschrift aus dem 15. Jh., lapidar folgendermaßen beschrieben: Ufula hayst der auff oder das plat das den menschen macht hort Redent vn haiyser an der Stym.120

115 Eine solche Verbindung existiert de facto über den Vagusnerv. Dieser versorgt u.  a. sowohl den weichen Gaumen, zu dem die Uvula gehört, als auch die harte Hirnhaut (Dura mater) der hinteren Schädelgrube. Das äußere Blatt der Dura mater ist gleichzeitig die Knochenhaut der Schädelknochen. Bei mechanischer oder auch thermischer Reizung im Bereich der hinteren Schädelknochen wäre eine Vagusstimulation mit Impulsleitung zum weichen Gaumen zumindest denkbar“; für diese medizinischen Details danke ich sehr herzlich Dr. Renate-Maria Clauss, Regensburg. 116 Rosegger 1885, 115. 117 Vgl. zum Fadenkonzept Höfler 1970, 116. 118 Vgl. Liem 2003, 440. Für den medizinischen Hinweis danke ich herzlich Frau Barbara Angerer. 119 Galen, 368 (10,6  f.). 120 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 170, fol. 6a. Für die rasche Bereitstellung des Mikrofilms danke ich sehr herzlich Sophie Schrader, Bayerische Staatsbibliothek.

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All das führt zurück zu den Rostocker Hexenprotokollen. Das dort genannte ‚Hals ziehen‘ (plattdeutsch tehn, teihn [tagen] = ‚ziehen‘, ‚einen Ortswechsel vornehmen‘)121 meint genauer das ‚Aufziehen‘ der Uvula. Anders als bei Marcellus dient als materia magica nicht eine aufwärts kriechende Spinne, sondern eben der Kesselhaken, der aufgrund seiner Translozierbarkeit geradezu ideal die Aufwärtsbewegung eines Objekts imaginieren kann. Die Gleichsetzung von Zäpfchen und Kesselhaken erhält zusätzlich Nahrung dadurch, dass (engl.) hock, houk, huk, hook etc. allgemein so etwas wie ‚Haken‘ bedeutet.122 Den halß in den haken tagen heißt nichts anderes, als dass der Kesselhaken das ‚gefallene‘ Zäpfchen (den ‚Haken‘ im Hals) über eine analogische Setzung (vgl. Marcellus’ Spinnenrezept) nach oben befördern soll: Denn zur ‚Idee‘ (im platonischen Sinne) des Kesselhakens gehört es, dass er (über die Hakenleiste) beliebig höhenverstellbar ist. Die Magen-Vorstellung im Kopf, erhellt sich dann auch das Zetergeschrei (Joduth), den (Kessel)-Haken (= Zäpfchen) nicht upschlucken, d.  h. ‚heraufwürgen‘ zu können: Jodute ist ein „vom frühen bis zum späten MA gebräuchliche[r] Hilferuf“123, ein „Zetergeschrey“124. Das genannte Japen (= ‚heftig atmen, nach Luft schnappen‘)125 imitiert die Atemnot im Falle eines geschwollenen bzw. ‚heruntergefallenen‘ Zäpfchens126; Notruf und Japen markieren die akute Bedrohung, die mit Hilfe des Kesselhakens beseitigt werden soll.

Fazit Es konnte gezeigt werden, dass scheinbar absurde Beschwörungen und Handlungsanweisungen (hier der Frühen Neuzeit) durchaus sinntragend sein können. Im Zentrum stand der häusliche Kesselhaken, der, als materia magica genutzt, dem Anschein nach frei flottierend Eingang fand in Hexen- und Pestbannungen sowie in magische Heilpraktiken z.  B. in Hexenprozessakten. Als bei der Spurensuche relevant erwie-

121 Vgl. Lindow 1984, 212. 122 Vgl. Kurath/Leues 1967, 828, bzw. Klein 1966, 741. 123 Schmidt-Wiegand 2012, Sp. 1371; der Schrei rief bei „Feuersbrunst und Wasserschaden, Verfolgung eines Unrechtstäters, bei Mord und Totschlag, Vergewaltigung (Notzucht), Diebstahl und Raub die Nachbarn mit den sog. Schreimannen (Gerüfte) zu gegenseitiger Hilfeleistung“ zusammen. 124 Adelung 1811, 1693  f. 125 Vgl. Lindow 1984, 97. 126 Die Bedeutung eines ‚Aufheben‘ des Zäpfchens dürfte besonders in epidemischen Perioden der sogenannten ‚Bräune‘, der Diphtherie also, groß gewesen sein. Nicht selten nämlich stellte sich in deren Gefolge „eine Dysfunktion des Vagusnervs mit einer Lähmung des weichen Gaumens ein. Das Gaumensegel konnte nicht mehr gehoben werden, das Zäpfchen lag auf der Zunge (es war ‚heruntergefallen‘). Die dadurch bedingte Blockade der Mundatmung und des Schluckvorgangs begünstigte einen finalen Verlauf der Diphtherie“; für diesen weiterführenden medizinischen Einblick danke ich wiederum Frau Dr. Renate-Maria Clauss.



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sen sich obsolet gewordene und daher vergessene Referenzräume: Der Kesselhaken war über viele Jahrhunderte Rechtssymbol bei Liegenschaftsübereignungsgeschäften und hatte von der Antike bis in die Neuzeit die Stellung eines lar familiaris; eine dritte magische Inanspruchnahme des Kesselhakens betrifft die Kategorie der Ähnlichkeit bzw. der analogischen Setzung, die beim Uptrecken des Huk auf die Höhenverstellbarkeit des Herdgeräts enggeführt ist. In allen Fällen erwiesen sich die untersuchten Anweisungen und Praktiken als in sich logisch und sinnhaft, sobald das abhanden gekommene Signifikat gefunden war. Der Fall liegt in gewisser Hinsicht ähnlich wie bei den bereits aus dem ersten Jahrtausend v. Chr. bekannten sog. ‚Abrakadabra‘Beschwörungen, die erst im 20.  Jh. als verballhornte Formeln erkannt wurden, die sich zum Teil bis ins Elamische bzw. Subaräisch-Hurrische verfolgen lassen,127 also ursprünglich Sinn transportierten, und nicht, wie man lange meinte, lediglich bedeutungslose Zauberformeln waren.

Literatur Quellen Adelung 1811: Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, Bd. IV. Wien 1811. [Alte Weiber Philosophey] Der alten Weiber Philosophey. In: Astronomia Teutsch. Himmels Lauff/ Wirckung vnnd Natuͤ rliche Außfluentz der Planeten vnnd Gestirn/Auß Grundt der Astronomey/ nach jeder Zeit/Jar/Tag vnnd Stunden Constellation […], Getruckt zu Frankckfort/Bey Christ. Egen. Erben 1583. [Artzney-Buch]: Theodori Zvingeri Sicherer & geschwinder Artzt oder neues Artzney-Buch, worinnen alle &. jede Kranckheiten des Menschlichen Leibs, nach Ordnung des Alphab. […] beschrieben […]. Basel 1742, Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek, Med. 5030. [Arznei= und Wundarzneikunst]: Des Beneventus Grapheus Hierosolymitanus Arznei= und Wundarzneikunst, München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 170. [Buch der Geheimnisse]: Das Buch der Geheimnisse. Eine Sammlung von zweihundert und sechszig, besonders magnetischer und sympathetischer Mittel wider Krankheiten, körperliche Mängel und Uebel […]; 4. Teil: Albertus Magnus bewährte und approbirte sympathetische und natür­ liche egyptische Geheimnisse für Menschen und Vieh, Reading 1852. [Buch der Natur]: Pfeiffer 1962: Franz Pfeiffer (Hg.): Das Buch der Natur von Konrad von Megenberg. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. Hildesheim 1962. [CSB]: Corpus der deutschen Segen und Beschwörungsformeln. Institut für Sächsische Geschichte und Volksunde, Dresden. Elsässisches Arzneibuch, Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Hs 1631, 6 Blätter. [Galen]: Florian Gärtner (Hg.), Galen. Über das Erkennen erkrankter Körperteile. Bd. II. Berlin 2015. Grimm 1899: Jacob Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer, Bd. I., Bd. II. Leipzig 1899. Grimm/Grimm 1865: Jacob Grimm/Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. XXI. Leipzig 1865.

127 Farber/Kümmel/Römer 1987, S. 271.

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 Monika Schulz

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Rudolf Simek

Ekphrasis bei Snorri Abstract: Snorri’s mythography is usually credited with quite a range of source mate­ rial, like Eddic poetry, Skaldic poetry, classical and indigenous learning and even lokal oral tradition, but little heed has been paid to the iconographical sources avail­ iable to him at the turn of the 12th century, despite the fact that decorative wall hang­ ings and wooden panels were availiable in Icelandic churches as well as the halls of the elite. Additionally, there must have been a large large corpus of illustrated manu­ scripts accessible in Iceland and Norway in his days, mainly in Latin, which are now for the greatest part lost, which provided information as well as models of descrip­ tion. References to these iconographical sources are looming all over Snorri’s Edda, and the present paper shall try and exemplify this in a few case studies. Die Interpretation von frühmittelalterlichen Bilddarstellungen stellt uns heute vor nicht unbeträchtliche Probleme, vor allem dann, wenn es um die religionsgeschicht­ liche Einordnung von mythologisch relevanten Szenen geht. Dies gilt sowohl für Bildinhalte der klassisch-antiken Mythologie, welche von Anfang an  – trotz gele­ gentlicher christlicher Bilderstürme wie dem byzantinischen Bilderstreit des 8./9. Jahr­ hunderts – in die christliche Bildwelt übernommen wurden, als auch diejenigen von anderen Kulturen außerhalb der mediterranen Welt, die im Lauf der Geschichte eben­ falls integriert wurden. Die Erfolgsgeschichte des Christentums im ersten Jahrtausend darf wohl getrost auch mit der Fähigkeit und Bereitschaft zur Akkulturation und Akkomodation erklärt werden, die es ermöglichte, Symbole, Stoffe und Motive aus vorchristlichen und anderen nichtchristlichen Religionen in das Christentum zu über­ nehmen, neu zu interpretieren und damit in die eigene Gedankenwelt zu integrieren. Beispiele für diese Umdeutung antiker Mythologie ins Christliche reichen bis in die älteste Schicht des Frühchristentums zurück: Die Übernahme des Fabeltieres Phönix als Symbol des Auferstandenen findet sich bereits in den römischen Katakom­ ben, Odysseus als Kämpfer gegen das Meerungeheuer Scylla oder sich den Sirenen versagend steht für den tugendhaften Christen, der gestärkt durch seinen Glauben den Verlockungen der sündigen Welt widersteht. Dass dabei schon früh Überlagerun­ gen zu konstatieren sind, die nicht nur eine Neuinterpretation des stofflich erkannten Bildinhalts darstellten, sondern eine völlige neue Füllung alter Darstellungsformen mit neuen Inhalten umfasste, braucht nicht zu überraschen. Nur ein Beispiel dafür wäre die Neudeutung des mit der Scylla kämpfenden Odysseus mit dem Erzengel Michael im Kampf mit dem (teuflischen) Drachen. Der Delphinreiter Aríon, dem Mit­ telalter durch Hyginus vermittelt, konnte ebenfalls im kirchlichen Raum, wie etwa im Westwerk von Corvey, dargestellt werden – ohne dass wir heute wissen, wofür er hier tatsächlich stand (und ob man ihn nicht sogar mit Odysseus verwechselt hat). Dass es

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 Rudolf Simek

dabei nicht nur um einzelne Motive ging, zeigt das Poseidon-Fries im istrischen Poreč (Parenzo), wo die gesamte Cella des Poseidon-Tempels samt Mosaiken als Apsis einer frühchristlichen Basilika übernommen wurde  – gemäß der christlichen Deutung stand ja Poseidon ganz einfach für das Element Wasser. Die Fähigkeit und Bereitschaft der frühen Christen, auch vorchristliche Formen und Bilder zu übernehmen und neu zu interpretieren – statt sie etwa prinzipiell abzu­ lehnen oder sogar zu dämonisieren –, setzt sich im gesamten europäischen Christi­ anisierungsprozess fort. Selbst die Übernahme vorchristlicher Kultstätten und Fest­ zeiten ist im Rahmen der Missionstätigkeit belegt, ja sogar ausdrücklich empfohlen, wie der berühmte Brief Papst Gregors des Großen an Abt Mellitus in Britannien aus der Zeit um 600 belegt, den Beda venerabilis zitiert.1 Schon aus der Not der Stunde und einem gesunden Pragmatismus gehorchend wird diese Form der Akkulturation in der Missionszeit nahegelegen haben. Aber auch darüber hinaus wurde offensicht­ lich systematisch der Versuch unternommen, an Glaubenswelten und Gewohnheiten der zu missionierenden Bevölkerung anzuknüpfen. Eine eindrückliche Illustration dieses Vorgangs finden wir im Sarkopharg des Hl. Cuthbert (um 698) in Durham, der an den vier Ecken die Namen der Evangelisten trug, aber davon Lukas in lateinischer Kapitalis, Matthäus, Markus und Johannes in Runen.2 Aber weit über den Versuch hinaus, „es jedem Recht zu machen“, dienten die Anknüpfungen an Bilder und Symbole einer polytheistischen Welt dem Zweck, die christliche Bilderwelt den Neophyten verständlich zu machen, in dem man bestimmte christliche Mytheme mit entsprechenden paganen gleichsetzte, um den Sinninhalt greifbarer und verständlicher zu machen. Dass dabei in der Praxis zweifellos Syn­ kretismen entstanden, ist naheliegend, mag aber dem größeren Ganzen, nämlich die christliche Glaubenswelt verständlicher und somit überzeugender zu machen, keinen großen Abbruch getan haben. Schon vor etlichen Jahrzehnten hat Gschwantler über­ zeugend nachweisen können, dass der Mythos von Thors Fischfang als Christi Über­ windung des Teufels neu interpretiert werden könnte: So wie Thor mit dem Stierschä­ del des Riesen Hrungnir die Midgardschlange geködert hatte, so ködert Christus mit dem Monster Behemot den Teufel (vgl. Job 41,1) und kann diesen in seinem Descensus ad inferos endgültig besiegen. Während aber Thors Fischfang entsprechend dem christlichen Weltbild einen ungewissen Ausgang hatte, wurde der Teufel durch Chris­ tus in Tod und Auferstehung wahrhaft und endgültig besiegt.3 Ebenso konnte auch das Verschlingen Odins durch den Fenriswolf neu mit Inhal­ ten geladen werden: Auf dem sog. Thorvald-Kreuz von Kirk Andreas auf der Isle of Man ist ein Wolf dargestellt, der eine Person (in mythologischem Kontext wohl Odin) verschlingt. Auf dem Kreuz von Gosforth im ebenfalls skandinavischen Northum­

1 Vgl. Simek 2015, 88  f. 2 Vgl. Page 1989; Wilson 1984, 49  f. 3 Gschwantler 1968.



Ekphrasis bei Snorri 

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bria des 10. Jahrhunderts ist der Wolf nun mit einer Kiefernsperre dargestellt, wie es die Mythographie des Hochmittelalters für Fenrir berichtet, welchem die Götter zum Zwecke der Fesselung ein Schwert in den Rachen stellten. In diesen christlichen Dar­ stellungen ist ausgesagt: Während der Fenriswolf für die Heiden noch eine wesent­ liche eschatologische Bedrohung war, der Sonne und Odin verschlang, hat Christus den Wolf (= Teufel) besiegt, indem er ihn mit dem Kreuz als Gaumensperre unschäd­ lich machte.4 Aber jenseits aller missionarischen Bestrebungen dienten Bildinhalte wohl auch lange nach der Phase der Christianisierung als Quelle vorchristlicher Bildinhalte: Bilder verlangen nach sinnstiftender Deutung, und so wie heute viele Besucher christlicher Gotteshäuser bei der Interpretation der reichen spätmittelalterlichen Bildwelten in Fresken und Bauplastik trotz der uns zur Verfügung stehenden Lite­ ratur nur 500 Jahre nach der Entstehung der Bilddenkmäler überfordert sind – und falsche oder wenigstens oberflächliche Auslegungen sich selbst in gedruckten Kir­ chenführern nur zu häufig finden – so war die Interpretation vorchristlicher, in der Regel wikingerzeitlicher Darstellungen auch für die hochmittelalterlichen Mythogra­ phen keineswegs einfach. Auch dem bedeutendsten Mythographen des skandinavischen Mittelalters, Snorri Sturluson, standen trotz seiner umfassenden Kenntnis der älteren Dichtung ebenfalls nur begrenzte Quellen zur Verfügung. Obwohl er vermutlich über 3000 Skaldenstrophen und andere Gedichte aus dem Westskandinavien des 9.–13.  Jahr­ hunderts zur Verfügung hatte,5 und obwohl er für die Interpretationsmuster der alten Mythologie auf die Schemata klassischer antiker Autoren von Vergil bis Ovid zurück­ greifen konnte, ist es uns heute auf Grund der Überlieferungslücken noch lange nicht klar, woher Snorri viele seiner Mythengeschichten und ihre Interpretation bezog. Im Falle des Fehlens von erhaltenen schriftlichen Quellen wird in der Regel rasch eine mündliche Quelle postuliert, ohne dass wir über derartige mündliche Prosaerzählun­ gen das Geringste wissen. Über die ihm zur Verfügung stehenden Bildquellen wird kaum jemals gesprochen. Dabei spielen Bildquellen für die Überlieferung von mythologischen Szenen eine wichtige und auch wohlbekannte Rolle: Beschreibungen solcher bildlicher Szenen sind angeblich die Grundlage einiger skaldischer Bildgedichte, und die Sagaaussa­ gen über die Entstehung des mythologischen Gedichts Húsdrápa des Skalden Uggr Uggason (fl. 980)6 wirkt insofern überzeugend, als die zwölf bei Snorri erhaltenen Strophen und Halbstrophen einen durchaus in kurze, zweifellos bildlich knapp dar­ stellbare Einzelszenen gegliederten Aufbau erkennen lassen. Außer diesem, eine dekorative Schnitzarbeit in der Halle des Olaf Pfau im Island des späten 10.  Jahr­

4 Gschwantler 1990. 5 Simek 2013. 6 Laxdoela saga Kap. 29; Snorri: Skáldskaparmál Kap. 8.

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 Rudolf Simek

hunderts beschreibenden Bildgedicht, sind aber auch die wiederholt genannten Schildgedichte zu erwähnen. Einen anderen Weg als die knappe, nur einstrophige Beschreibung einzelner mythologischer Szenen wählte der norwegische Skalde Þjóðólfr ór Hvíni in seiner Haustlǫng. Hier werden, wenigstens in den erhaltenen 20 Dróttkvætt-Strophen des ursprünglich längeren Gedichts, im Wesentlichen nur zwei mythologische Szenen dichterisch ausgestaltet, die angeblich auf einem Schild dar­ gestellt waren, den der Dichter von einem gewissen Þorleifr bekommen haben will. Die beiden Szenen sind zum einen Lokis Abenteuer mit dem Riesen Þjazi und dem Raub der Göttin Iðunn, zum anderen Thors Kampf mit dem Riesen Hrungnir. Da die Handlung beider Mythen im Gedicht relativ breit ausgeführt ist  – was auf einem Schild kaum der Fall gewesen sein kann – ist anzunehmen, dass der Dichter die auf dem Schild sicher nur in je zwei bis maximal drei Bildchiffren skizzierten Szenen mit eigenem mythologischem Wissen und dichterischer Freiheit aufgefüllt hat. Das berühmteste Beispiel eines Schildgedichts, ebenfalls aus der früheren Wikin­ gerzeit, ist die Ragnarsdrápa des Skalden Bragi Boddason (fl. 930? 900?), in deren erhaltenen 20 Dróttkvætt-Strophen(-resten) ebenfalls zwei mythologische Szenen, nämlich Thors Fischzug und der Mythus von Gefjon und ihren Söhnen, neben zweien aus der Heldensage behandelt werden, hier der Kampf der Guðrunssöhne Hamðir und Sörli in Ermanarichs Halle sowie die Ursache für den Hjaðningavíg. All diese Strophen des Bildgedichts sind bei Snorri in seiner Edda überliefert und zitiert, aber natürlich ist Snorris Ausgestaltung und interpretierende Nacherzählung der Strophen damit eine Quelle dritter Hand. Ein wikingerzeitlicher Künstler hat also – wir nehmen an, nach seinem Wissens­ stand, also mündlicher Überlieferung  – knappe Bildabbreviaturen der Szenen auf einen Schild gebannt, dessen Darstellung von einem Dichter in mehr oder weniger knappe Strophen gefasst werden. Diese wiederum werden mehr als 300 Jahre später von Snorri interpretiert und in Prosa aufgelöst: Dieser Prosatext mit einigen Resten der Skaldenstrophen ist nun unsere Hauptquelle für die ursprüngliche Erzählung. Dass derartige bildliche Darstellungen – ebenso wie ihre sekundäre dichterische Umsetzung  – keineswegs selten waren, bestätigt die Erwähnung einiger weiterer Schildgedichte, die allerdings bis auf Einzelstrophen heute verloren sind (oder auch schon im Mittelalter waren?): Dazu zählen zwei Schildgedichte Egill Skallagrímsons,7 von denen nur je eine Strophe erhalten ist, und von einem des Skalden HofgarðaRefr mit nur zwei bewahrten Strophen.8 Von dem erstgenannten Schild der Egils saga wird (wohl von Snorris selbst) ausdrücklich gesagt, dass er eine große Kostbarkeit (in mesta gersemi) war; „auf ihm waren Geschichten aus der Vorzeit dargestellt und überall zwischen den Abbildungen war er mit Goldspangen dekoriert und mit Edel­

7 Egils saga Skallagrímssonar Kap. 78 und 79. 8 Snorri, Skáldskaparmál Kap. 48.



Ekphrasis bei Snorri 

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steinen besetzt.“9 (hann var skrifaðr fornsǫgum, en allt milli skriptanna váru lagðar yfir spengr af gulli, ok settr steinum10). Wenn Snorri die Schildgedichte ebenso wie die Schilde selbst sowohl in seiner Edda als auch in der Egils saga wiederholt erwähnt, ist es wohl naiv anzunehmen, dass er die Bilder selbst als Quelle seiner eigenen literarischen Werke verschmäht habe, und in der Tat finden sich durchaus Hinweise auf bildliche Quellen bei Snorri, die sich als Ekphrasis11 in seinen Werken niedergeschlagen haben. Der Begriff Ekphra­ sis soll hier im Folgenden nicht so sehr in seiner engeren Bedeutung als detaillierte Beschreibung von Kunstwerken der bildenden Kunst, sondern in einer weiteren als Literarisierung von Bildzeugnissen bzw. sogar darüber hinaus als bewusste literari­ sche Visualisierungsstrategie verstanden werden. Zwei sehr auffällige Belege für Ekphrasis finden sich in Snorris Behandlung der physischen Form der Erde und ihrer drei Kontinente, und zwar sowohl im ersten Satz der Heimskringla als auch im entsprechenden Teil des Prologs der Snorra Edda im zweiten Abschnitt. Hier beschreibt er die Einteilung der bewohnbaren Ökumene der Nordhalbkugel in die drei Kontinente: Die Welt wurde in drei Teile eingeteilt; von Süden nach Westen und dann beim Mittelmeer hinein, dieser Teil wurde Afrika genannt. Der südliche Teil dieses Kontinents ist heiß und von der Sonne verbrannt. Der zweite Teil, von Westen nach Norden und hinein zum Meer, wird Europa oder Enea genannt; der nördliche Teil ist aber dort so kalt, daß kein Gras wächst und niemand dort wohnt. Die ganze Osthälfte von Norden bis nach Süden, das wird Asien genannt. (meine Über­ setzung)

Zwar ist hier klar, dass Snorri bei der Beschreibung dem gängigen Handbuchtext des Mittelalters folgt, nämlich Isidors von Sevilla Etymologiae XIV, aber im Detail doch von ihm abweicht, sodass es sich um keine reine Übersetzung handelt, denn die Beschreibung verläuft nicht von Süden nach Westen und Norden nach Osten, sondern gerade umgekehrt: Divisus est autem trifarie: e quibus una pars Asia, altera Europa, tertia Africa nuncupatur. [2]  Quas tres partes orbis veteres non aequaliter diviserunt. Nam Asia a meridie per orientem usque ad septentrionem pervenit; Europa vero a septentrione usque ad occidentem; atque inde Africa ab occidente usque ad meridiem. Vnde evidenter orbem dimidium duae tenent, Europa et Africa, alium vero dimidium sola Asia.12

9 Übersetzung von Reinhard Hennig 2011, 228. 10 Egils saga Kap. 78, 271  f. 11 Das Phänomen der Ekphrasis in der altnordischen Literatur hat bislang nur wenig Aufmerksam­ keit erfahren; bemerkenswerte Ausnahmen sind Poole 1997, Heslop 2009 und Kjesrud, die sich aber mit anderen Genres beschäftigen als die vorliegende Studie. 12 Isidor: Etymologiae XIV, II, 1; Simek 1990, 145  ff.

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 Rudolf Simek

Abb. 1: Kleine T-O-Karte aus Isidor: Etymologiae. Wien: ÖNB, Cod. 67, fol 117r. Nach Simek: Erde und Kosmos 1992, 62. Sie ist auch dreigeteilt: davon wird ein Teil Asien, der zweite Europa, der dritte Afrika genannt. Diese drei Teile haben die Alten nicht gleich eingeteilt. Denn Asien reicht vom Süden über den Osten bis in den Norden, Europa aber vom Norden bis zum Westen, und dann Afrika vom Westen bis zum Süden. Daher enthält eine Hälfte der Welt offenbar zwei, nämlich Europa und Afrika, die andere Hälfte allein Asien.

Es erscheint daher wahrscheinlicher, dass Snorri zwar die Stelle bei Isidor kannte, aber hier nicht dem Text folgte, sondern die ihm näherliegende Richtung über den Westen wählt. Beide Texte, der altnordische wie der lateinische, sind ja nichts anderes als schematische Beschreibungen der lateinischen T-O-Karten, von denen praktisch alle Isidor-Handschriften Exemplare aufweisen (Abb. 1). Auch die entsprechende Stelle der Heimskringla, nämlich gleich der namenge­ bende Eingangssatz, weist auf eine bildliche Quelle, aber eine andere: Während die schematischen T-O-Karten der Isidor-Handschriften (ebenso wie die wenigen erhalte­ nen isländischen mappae mundi) auf Grund der ganz minimalistischen Darstellung einen glatten Rand der drei Kontinente ohne Inseln und Buchten zeigen, weisen eine Reihe von mittelalterlichen mappae mundi, besonders solche insularer Herkunft, die Ränder der Erde ebenso wie die Küsten des Mittelmeers als ausgesprochen buchten­ reich aus (Abb. 2), sodass sich die Beschreibung hier auf eine solche Weltkarte bezie­ hen dürfte: Der von der Menschheit bewohnte Erdkreis ist sehr eingebuchtet. Große Meere gehen vom Ozean aus in die Erde hinein. Es ist bekannt, daß ein Meer von der Straße von Gibraltar bis ganz zum Hl. Land reicht. Von dem Meer geht eine lange Bucht nach Nordosten, welche Schwarzes Meer genannt wird. So teilt man die drei Kontinente ein: im Osten heißt es Asien, aber im Westen nennen es manche Europa und manche Enea.13

Während diese bildlichen Vorbilder literarischer Beschreibungen relativ unproble­ matisch sind, weil sie im Vergleich mit den lateinischen Texten keinen wesentlichen Erkenntniszuwachs bringen, sondern offenbar nur die Form der schriftlichen Darstel­ lung beeinflussen, ist bei den Fällen von Ekphrasis mythologischer Bildquellen sehr

13 Meine Übersetzung von Ynglinga saga, Kap. 1.



Ekphrasis bei Snorri 

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Abb. 2: T-O-Karte, sogen. Cottoniana: London, BM, Ms Cotton Tib. B.V. fol. 58r. Nach Brincken 1992, Tafel 19.

wohl zu fragen, ob Snorri aus Bildquellen Informationen bezogen hat, welche seine Interpretation anderer Quellen wesentlich beeinflusst hat. Ein solcher Fall dürfte mir bei der Beschreibung von Sleipnir vorliegen. Bekanntlich beschreibt Snorri dieses Produkt des Riesenhengsts Svadilfari mit Loki in Gestalt einer Stute wie folgt: En Loki hafði þá ferð haft til Svaðilfœra at nokkvoru síðar bar hann fyl. Þat var grátt ok hafði átta fœtr, ok er sá hestr beztr með goðum ok mǫnnum.14

14 Snorri: Gylfaginning Kap 42, 35.

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 Rudolf Simek

Abb. 3 und 4: Der achtbeinige Sleipnir auf den gotländischen Bildsteinen Ardre VIII und Alskog Tjängvide I, Ausschnitte. Nach: Nylén/Lamm 1988, 71 und 69.

Aber Loki hatte damals solch ein Zusammentreffen mit Swadilfari, daß er etwas später ein Fohlen gebar. Das war grau und hatte acht Beine. Dieses Pferd ist das beste bei Göttern wie bei Menschen.15

Die Achtbeinigkeit Sleipnirs erwähnt er auch noch einmal an anderer Stelle.16 Ein Pferd mit acht Beinen ist aber von gotländischen Bildsteinen her bekannt, nämlich die von Alskog Tjängvide I und Ardre VIII sowie Lärbro Tängelgårda I (ohne Reiter), die alle in das 8. Jahrhundert datiert werden, und die man als Bestätigung des hohen Alters von Snorris Behauptung eines achtbeinigen Sleipnir herangezogen hat (Abb. 3 und 4). Nun dient aber die mehrfache Darstellung von Körperteilen im gesamten Mittelal­ ter in erster Linie der Betonung bestimmter Eigenschaften. So wird das indische (oder äthiopische) Volk der Maritimi als so scharfäugig beschrieben, als hätte diese Men­ schen vier Augen (Plinius VI, 194); in der mittelalterlichen Ikonographie werden die Menschen dann aber durchweg mit vier Augen dargestellt (z.  B. bei Hartmann Schedel in der Chronica universalis von 1492, Abb.  5). Ähnlich findet sich schon im Früh­ mittelalter die Darstellung von Bienen auf den illustrierten Exultetrollen der Oster­ nachtsliturgie nicht mit zwei, sondern mit bis zu vier Flügelpaaren pro Insekt, um die Geschwindigkeit des Flügelschlages optisch wiedergeben zu können (Abb. 6).17 Da die steinernen Zeugnisse mythologischer Szenen nur die am besten erhalte­ nen, aber keineswegs die einzigen Zeugnisse mythologischer Szenen im Mittelalter waren, stellt sich die Frage, wie sehr es derartige bildliche Darstellungen waren, die

15 Nach der Übersetzung von Krause 2008, 53. 16 Snorri: Gylfaginning Kap 14. 17 Vgl. die Abbildung zahlreicher Bienen auf der Exultetrolle Barb. Lat. 592, Fragm. 4b, entstanden zwischen 1075 und 1090 in Montecassino, in: Biblioteca Apostolica Vaticana 1992, 166.



Ekphrasis bei Snorri 

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Abb. 5: Die vieräugigen Maritimi bei Hartmann Schedel: Liber Chronicarum. Nürnberg 1493, fol. 12r.

Abb. 6: Multiple Flügelpaare bei der ­Darstellung fliegender Bienen in einer Exultetrolle des späteren 11. Jahrhunderts. Vatikan, BAV, Barb. Lat. 592, Fragm. 4b. Nach: Bibliotheca Apostolica Vaticana 1993, 166.

Snorri zu der Aussage gebracht haben, dass Sleipnir acht Beine habe; naheliegen­ der wäre ja schon auf Grund der anatomischen Probleme die Aussage gewesen, dass Sleipnir als bestes aller Pferde so schnell gewesen sei, als habe es acht Beine. Die Frage stellt sich umso mehr, als Sleipnir in der Skaldik kaum vorkommt, geschweige denn, dass sich hier ein Hinweis auf die Achtbeinigkeit fände. Der einzige Verweis auf diese Eigenschaft findet sich in den Heiðreks gátur, einer in der Hervarar saga ok Heiðreks eingebetteten Rätselsammlung im Versmaß Ljóðaháttr und Fornyrðislag, welche aber in erster Linie Fragen der natürlichen Welt, nur ausnahmsweise der Mythologie behandeln. Wie alt das hier zitierte Rätsel ist, das auf Odin auf seinem Pferd Sleipnir als Antwort zielt, läßt sich unmöglich sagen:

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 Rudolf Simek

Hverir eru þeir tveir Er tíu hafa fœtr, augu þrjú ok einn hala?18 „Wer sind die zwei, die zehn Füße haben, drei Augen und einen Schwanz?“

Das völlige Fehlen des Konzepts vom achtbeinigen Sleipnir in der Skaldik macht es also sehr wahrscheinlich, dass erst Snorri selbst nach Vorlage von Bilddenkmälern – und ich denke keineswegs nur an gotländische Bildsteine19, da zu bedenken ist, wie viele andere Bildzeugnisse auf Holz längst vergangen sind – die Achtbeinigkeit Sleip­ nirs verbalisiert hat, von wo sie auch in das Rätsel geraten ist. In der wikingerzeitli­ chen Ikonographie dienten die acht Beine aber wohl ursprünglich nur dazu, den Ein­ druck der Geschwindigkeit zu vermitteln, um die Definition von Sleipnir als bestem aller Pferde auch optisch zu untermauern. Einen weiteren Hinweis auf Ekphrasis gibt Snorri selbst beim Mythos von Hrung­ nir: Hrungnir átti hjarta þat, er frægt er, af hǫrðum steini ok tindótt með þrimr hornum, svá sem síðan er gert ristubragð þar, er Hrungnishjarta heitir. Aber das machte ihn nicht standhaft, als Thor kam. Hrungnir hatte das Herz, das berühmt war, aus hartem Stein und mit drei Ecken versehen, so wie seitdem geritzte Figuren gemacht werden, die Hrungnirs Herzen heißen.20

Während der bei Snorri breit erzählte Mythos in Þjóðólfs Haustlǫng nur wenige Stro­ phen einnimmt, ist anderswo von Hrungnirs Herz gar keine Rede, aber Snorri selbst verweist auf seine Quelle, denn die (in Stein) geritzten Symbole mit drei Ecken (oder aus drei Hörnern gebildet) finden sich im mittelalterlichen Skandinavien außeror­ dentlich häufig und werden heute meist (aber fälschlich) als Valknútr (‚Knoten der Gefallenen‘) bezeichnet, ein Ausdruck, der jedoch erst neuzeitlich belegt ist (Abb. 7 u. 8). Zwar ist eine religiöse Bedeutung des besser als ‚Dreieckssymbol‘ zu bezeich­ nenden Symbols unumstritten, die genaue Bedeutung aber bis heute enigmatisch.21

18 Tolkien 1960, 44. 19 Dass es wohl etliche weitere Bildzeugnisse, auch Bildsteine, gegeben hat, die Sleipnir zeigten, wird durch die Verwendung von Schablonen bei der Darstellung wahrscheinlich gemacht, wie sie Kitzler Åhfeldt nachweisen konnte 2009, mit Sleipnir 501. 20 Snorri, Skáldskaparmál Kap. 17, S. 21 (meine Hervorhebung). 21 Vgl. zum Gesamtkomplex Hellers 2012.



Ekphrasis bei Snorri 

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Abb. 7 und 8: Das Dreieckssymbol auf dem gotländischen Bildstein von Lärbro St Hamars I und dem Runenstein von Snoldelev (Sj 35). Nach: Hellers 2012, 229 und 243.

Snorri dürfte das ihm aus Ritzungen ausdrücklich bekannte Symbol erst selbst mit dem Mythos von Hrungnir in Verbindung gebracht haben. Anlass dafür mag das Auf­ treten des Symbols in einer von ihm als Hrungnir-Mythos interpretierten Kampfszene gegeben haben, aber wohl nur in seiner Interpretation, denn „[a]uf Riesen, geschweige denn auf Hrungnir, deutet beim ‚Nordischen Dreiecksymbol‘ nichts hin.“22 Einen weiteren, wenn auch von Snorri nicht so explizit markierten Hinweis auf Ekphrasis bietet Snorri bei seiner Wiedergabe der Drachentötung in der Jung-SigurdSage. Jüngste neuerliche Untersuchungen zur Ikonographie dieser Drachentötung haben gezeigt,23 dass Sigurd ikonographisch besonders durch zwei Szenen als Dra­ chentöter identifizierbar ist: Zum einen durch die Darstellung als Daumenlutscher, da er nach dem Genuss des Drachenbluts dadurch die Sprache der Vögel versteht, was für die Erklärung des Handlungsverlaufs wichtig ist, zum anderen die Wiedergabe der Tötung des Fafnir durch Sigurd mittels eines Stichs von unten (Abb. 9), also in die ungeschützte Unterseite des Drachenleibs; diese ist wiederum für das Bad Sigurds im Drachenblut von Bedeutung. Interessanterweise findet sich aber gerade dieses erzäh­ lerische Element nirgendwo in der eddischen Dichtung zu diesem Thema, sondern ausschließlich bei Snorri (Skáldskaparmál 40), dann in der erst um 1250 entstande­ nen Vǫlsunga saga (Kap. 18) sowie in der Prosaeinleitung des Codex Regius zu Fáfnismál, also erst um 1270. Die Edda-Lieder selbst enthalten keinerlei Hinweis auf diese spezifische Tötungsart und das mittelhochdeutsche Nibelungenlied spricht ja von der Tötung selbst nur sehr indirekt und mittels des Verweises auf das Bad im Drachen­ blut.

22 Hellers 2012, 172, der fast 100 Belege für das Symbol in der Wikingerzeit von den Bildsteinen bis hin zu Münzen nachweisen kann. 23 Vgl. Sigmund Oehrl 2013 und 2015.

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Abb. 9: Säulenbasis von Nes, Telemark (um 1150). Nach: Oehrl 2013, 364.

Abb. 10: Die Reiterin auf dem Bildstein Nr. 4 des Hunnestad-Monuments. Kulturen, Lund.

Ebenfalls auf ein steinernes Bildzeugnis könnte Snorris phantasievoll ausschmü­ ckende Erzählung von Balders Bestattung zurückgehen, zumindest in einem der Details. Schon Otto Höfler (1952) hatte vor langer Zeit vermutet, dass Snorris Erwäh­ nung eines Zwergs Litr, den Thor angeblich bei Seite tritt und der daraufhin durch die Luft fliegt, auf die Darstellung von kleinen Voltigeuren, die sich über den Schiffen der bronzezeitlichen Felszeichnungen finden, zurückgehen könnte, und bei der Verbrei­ tung von Kultszenen über Schiffen auf südskandinavischen Felszeichnungen ist dies keineswegs unwahrscheinlich. Aber auch ein weiteres Detail der Schilderung mag gut auf ein wikingerzeitliches Bildzeugnis zurückgehen, nämlich die Beschreibung der Riesin Hyrrokkin. Diese kommt laut Gylfaginning 49 auf einem Wolf geritten, wobei sie Schlangen als Zügel verwendet24: „Da kam sie auf einem Wolf geritten und hatte Gift­ schlangen als Zügel“ (En er hon kom ok reið vargi ok hafði hǫggorm at taumum […]25) und dies mag auf eine verlorene Strophe der Húsdrápa und somit auf ein Detail der

24 Die Meinung von Oehrl, Sigmund (2010, 418–452, Fußnote 102): „Daß es sich bei der Gestalt auf dem Raubtier tatsächlich um Hyrrokkin handelt, bezeugen die signifikanten Schlangenzügel und darf als opinio communis betrachtet werden“ kann als leicht übertrieben bezeichnet werden: tatsäch­ lich spricht kaum etwas auf dem wikingerzeitlichen Hunnestadmonument für eine Verwandtschaft mit der von Snorri erst aus verschiedensten Quellen zusammengebastelten Geschichte von Balders Bestattung. 25 Snorri, Gylfaginning Kap. 49, S. 46.



Ekphrasis bei Snorri 

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Schnitzerei in Ólaf Pás Halle zurückgehen. Allerdings ist neben dieser nur poten­tiel­ len, und jedenfalls vergangenen Quelle auch eine ebenfalls aus der Wikingerzeit erhal­ ten, nämlich auf dem einzigen erhaltenen der Bildsteine des Hunnestad-Monuments (Abb.  10; DR 284, jetzt im Museum Kulturen in Lund, Schonen). Hier ist ein große Gestalt – wobei keineswegs klar ist, dass dies ein Riese oder eine Riesin sein muss – auf einem Raubtier (nach der Mähne eher ein Löwe, nach den Ohren eher ein Wolf) reitend dargestellt, welches mit Schlangen gezügelt ist. So wie Snorri den Namen des Zwergs Litr dem Zwergenkatalog der Vǫluspá 10–12 entnommen hat, so fand er auch den Namen Hyrrokkin26 in einer Strophe des Skalden Thorbjörn dísarskald (wohl der Rest eines Gedichts über Thor) unter acht Riesinnen, welche Thor erschlagen hätte. Dies gab ihm zusätzlich die Information vor, dass Thor die Riesin (beinahe) erschla­ gen hätte, die bildhafte Beschreibung mit dem Wolf als Reittier und den Schlangen als Zügeln konnte er aber einem Bilddokument wie dem des Hunnestad-Bildsteins entnehmen. Übrigens mag eine nur gering abweichende Abbildung Snorris Interpre­ tation als Wolf insinuiert haben, denn auf dem Stein von Hunnestad ist dies keines­ wegs so deutlich: Mähne, Haltung und Form des Tier sprechen hier eher für einen männlichen Löwen.27 Die Aggressionen, die Snorri Thor gegenüber der Riesin (und auch dem Zwerg Litr) unterstellt, stammen demnach aus seiner eigenen kreativen Interpretation seiner bildlichen Quellen samt dem Hinweis in der Strophe des Thor­ björn dísarskald und kaum aus irgendeiner Fassung des Baldermythos selbst.28 Der stichhaltigste Hinweis auf Snorris Verwendung bildlicher Quellen, in diesem Fall sogar von lateinischen Handschriften, ist jedoch seine Erwähnung von den Katzen der Freyja in der Gylfaginning Kap. 24: „Wenn sie reist, fährt sie mit einem Katzenge­ spann und sitzt in einem Wagen“ (En er hon ferr, þá ekr hon kǫttum tvein ok sitr í reið)29 und Kap. 49 über Balders Begräbnis: „Heimdall ritt auf dem Pferd namens Gulltop, und Freyja fuhr mit ihrem Katzengespann“ (En Heimdallr reið hesti þeim er Gulltoppr heitri, en Freyja kǫttum sínum)30. Nun ist das eher absurd anmutende Konzept eines Katzengespanns nirgendwo sonst in der gesamten nordischen Literatur belegt, und wenn Holtsmark vermutete, dass gerade dieses Element seine Grundlage in den oben erwähnten Schnitzereien in der Halle des Olaf Pfau hätte, dann ist dies eben­ falls völlig aus der Luft gegriffen.31 Allerdings war schon Holtsmark vor einem halben Jahrhundert auf der richtigen Fährte von Snorris so alleinstehendem und unpassen­ dem Bild: nämlich die antiken Skulpturen von Kybele in ihrem von Löwen gezogenen Wagen. Man muss aber nicht gleich an eine Bekanntschaft Snorris mit griechischen

26 Der Name ist handschriftlich auch als Hyrrockin, Hyrokkin u.  ä. überliefert. 27 Diese Frage wird eingehend diskutiert bei Sigmund Oehrl 2015, 469, 485, 491. 28 Ähnlich auch Liberman 2004, 33  f. 29 Snorri, Gylfaginning Kap. 24, 25. 30 Snorri, Gylfaginning Kap. 49, 47. 31 Holtsmark 1970, 96: „På bileta i Olaf Pås hall køyrer Frøya til Balders bålferd i ei vogn som er dregen av to kattar.“

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Abb. 11: Kybele in ihrem Löwenwagen aus der Martianus Capella Handschrift München, Staatsbibliothek, Cod. Mon. Lat. 14271, 11v. Nach: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0004/ bsb00046659/images/index.html?id=00046659&groesser=&fip=qrsyztsxdsydensdaseayaewqqrse ayaenw&no=6&seite=26

Skulpturen denken, wenn man den Einfluss der antiken Göttin auf das mittelalterli­ che Island erklären will, denn Handschriften des 12.  Jahrhunderts aus Frankreich, die sich mit mythographischen Themen befassen, zeigen durchaus auch Abbildungen der Kybele neben denen anderer Götter, auch mit einem von Löwen gezogenen Wagen (Abb 11); übrigens hat die Art der Darstellung von offenbar weiblichen Löwen dazu geführt, dass man in der Neuzeit die Zugtiere häufig als Panther bezeichnete. In den skizzenartigen Darstellungen antiker Götter, wie sie sich etwa in einer Münchener Handschrift des Hyginuskommentars des Remigius von Auxerre finden, ist die nahe­ liegendste Deutung jedenfalls die von katzenartigen Tieren, was Snorri zu der von ihm übernommenen Annahme eines Katzenwagens animiert haben muss. Diese wenigen Beispiele für Bildquellen als Grundlage der Mythographie bei Snorri mögen als Ansatz dafür dienen, neben Skaldengedichten und den von Snorri weniger häufig genutzten Edda-Liedern zuerst einmal auf Bilddenkmäler zurück­ zugreifen, bevor man vage mündliche Überlieferungen postuliert, die wohl in Ein­



Ekphrasis bei Snorri 

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zelfällen anekdotisch existiert haben mögen. Sie besaßen aber zweifellos nicht den Quellenwert einer ikonographischen Überlieferung, die auch in Form auf Holz darge­ stellter Szenen eine wesentlich höhere Lebensdauer aufweisen – wie etwa sowohl die Kirchentür von Valþjófsstaðir32 in Nordostisland als auch die hölzernen TympanoiBretter mit einer Weltgerichtsszene von Flatatunga (bzw. später Bjarnarstaðahlíð) in Skagafjörður33 belegen –, selbst wenn wir heute davon nur wenig bewahrt haben.

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32 Vgl. dazu Harris 1970. 33 Vgl. dazu Heslop 2009, 384; Abb. bei Guðbjörg Kristjánsdóttir 2000 und ebenso bei Selma Jóns­ dóttir 1959, bes. Abb. 39.

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 Rudolf Simek

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Jiří Starý

Versöhnung im Jenseits Überlegungen zur altnordischen Ideologie in Heldensage und Mythos […] bis dass der Tod euch scheidet. Katholisches Ehegelöbnis

Abstract: This article tries to interpret the occurrences of the dispute settlement in the other world. It consists of four case studies concerning the everyday fighting of the einherjar, king Hákon the Good’s arrival in Walhall, the description of the settlement of Hǫgni and Heðinn in late Icelandic Skíðaríma and the settlement of Baldr, Hǫðr and Váli after the destruction of the world respectively. According to the author’s opinion, it is possible to observe profound similarities between these cases of settlement in myth and heroic lore and the historical (or “pseudo-historical”) descriptions of dispute settlement in the sagas of Icelanders. On the other hand, the importance of the cases of settlement in the other world cannot be reduced to a ‘projection’ of the ‘terrestrial’ ways of conflict resolution. Their very presence in the mythic-heroic world proves that the process of dispute settlement was more than just a political solution for the Old Norsemen. Especially the myth of Baldr shows that the right functioning of the settlement process was felt to be basic condition for the consistence of the society. Nach der opinio communis gelten die Wikinger nicht als besonders friedliche und versöhnungsbereite Menschen. Auch in der Forschung hielt sich lange das Bild des unversöhnlichen Rächers als Stereotyp des Nordgermanen in der Wikingerzeit. Unter diesem Aspekt wurden die eddischen Lieder interpretiert und die Sagas gelesen. „Die Blutspur des Fehdewesens“, wie es Hermann Kamp formuliert, hatte „lange Zeit das Islandbild dominiert.“1 Es ist vor allem der Verdienst von Klaus von See und Theodore Andersson, dass sie die altnordische Spruchdichtung bzw. die Familiensagas von der Einseitigkeit dieses Deutungsmusters befreit haben. Diesem Ansatz folgend erzählen beide Gattungen nicht mehr von der rücksichtlosen Abwehr der eigenen Ehre, sondern sie sprechen auch von der Nachgiebigkeit, der Bemühung um Frieden und dem Willen zur Versöhnung (sætt). „What gives consistency to the ethical temper of these sagas,“ ist laut Theodore Andersson, „precisely a sense of proportion and

1 Kamp 1994, 392. Vgl. Byock 1984.

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moderation.“2 Und die Gnomen des eddischen Sittengedichtes Hávamál kommentiert er mit den Worten: It seems to me rather that Hávamál propounds the values of the middle way and social accomodation and it seems to me further that this is very close to the spirit which moves the authors of the sagas […] The outlook of this literature is not animated by selfishness or by a hectic pursuit of honour but by search for moderation.3

Ähnlich bemerkt Klaus von See zu Hávamál, dass sie „vom rechten Verhalten gegenüber dem Freund, dem Gast, dem Fremden sehr viel sprechen und nur wenig oder gar nicht von Ehre, Rachepflicht und Kriegerruhm.“4 Zudem könnte man zahlreiche weitere Beispiele anführen, die zeigen, dass die Sympathie für den friedlichen Abschluss der Fehden und Konflikte nicht nur in den zwei genannten Gattungen zu finden ist, sondern dass sie die gesamte altnordische Literatur in dem Maße durchdringt, das uns erlaubt, von ihrer versöhnungsfrohen Natur zu sprechen.5 Die literarische Anwendung des Versöhnungsmotivs ist jedoch nicht als Beweis dafür zu sehen, dass Konflikt, Fehde und Blutrache in der altnordischen Gesellschaft negativ bewertet wurden. Nichts wäre der Wahrheit ferner. Darüber hinaus kann die wiederholte Hervorhebung der Versöhnung kein Indiz dafür sein, dass es keine Konflikte gab, denn letztendlich ist die Versöhnung durch die Existenz des Konflikts bedingt. Die gewalttätige Rache wird in den Familiensagas und Sittengedichten ebenso oft gepriesen wie die Fähigkeit, die blutige Fehde friedlich beizulegen. Es mag sein – wie Andersson zu beweisen versucht  –, dass die Begriffe ófriðarmaðr (‚Unfriedenstifter‘) und ójafnaðarmaðr (‚der, der sich mit anderen nicht vertragen kann‘) in den isländischen Familiensagas meist mit negativen Assoziationen verbunden sind. Dies weist aber nicht so sehr auf eine Verurteilung der auf Konflikt ausgelegten Haltung an sich hin – die durchaus positiv bewertete Personen handeln ebenso aggressiv und rachsüchtig  –, sondern nur auf die Verurteilung der Unfähigkeit sich ehrenhaft zu versöhnen (sætta), also die Fehde bis zu ihrem Ende auszutragen. Denn „Wie […] die Rache erweist sich auch […] die Einigung […] als integraler Bestandteil der Fehde.“6

2 Andersson 1970, 588. 3 Andersson 1970, 592. 4 Von See 1972, 50. 5 Dabei ist das Augenmerk auch auf die komplizierten Handlungen zu legen, die die Versöhnung begleiteten (für ihre Beschreibung siehe Miller 1990, 271–299 und Byock 1982, 101–111). Die Frage, inwiefern es sich um echte ‚Rechtsrituale‘ oder bloße ‚Rechtsmechanismen‘ gehandelt hat, kann hier dahingestellt bleiben (siehe Doová/Polách 2008, 28). 6 Kamp 1994, 402 mit Hinweis auf Miller 1990.



Versöhnung im Jenseits 

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Versöhnung und Jenseits In den archaischen Kulturen laufen Mythos, Heldensage und Leben meistens parallel. Es ist wenig ergiebig, darüber zu spekulieren, was als Erstes war: Ob ,Mythos‘ die Realität widerspiegelt – wie Materialisten glauben –, oder – wie Idealisten meinen – der Mythos eine Grundlage ist, wodurch die Realität erst zu einer wahrnehmbaren Wirklichkeit wird. Hier muss nicht erwähnt werden, dass sich der Mythos bzw. die Heldensage mit der gesellschaftlichen Realität selten ganz übereinstimmen. Ohne ‚Freudianer‘ zu sein, sollte man sich doch vor Augen führen, dass in Mythos und Heldensage nicht nur Fragmente der erlebten Welt enthalten sind, sondern dass in ihnen auch viele unausgesprochene Wünsche, Ängste, Ideale, Vorurteile und viele andere geheime Gefühle und Sehnsüchte der menschlichen Seele Ausdruck finden. Die Nachweisbarkeit eines Phänomens, z.  B. der kriegerischen Frauen, in Mythos oder Heldensage ist an sich noch kein Beleg dafür, dass sie in der alltäglichen Realität existiert haben. Sie ist vielmehr ein Hinweis darauf, dass sie in der mentalen Welt der alten Nordleute eine Rolle gespielt haben. Ein ‚Forscherglück‘ ist es doch, wenn wir ein aus dem Mythos oder der Heldensage bekanntes Phänomen als Teil der realen Welt der alten Skandinavier belegen können. Die Tatsache, dass ein solches Phänomen auch in den geistigen Ebenen der menschlichen Kultur thematisiert wird, beweist, dass man diesem mehr Bedeutung zuteil werden ließ, als den anderen Aspekten der Realität. Im weiteren Verlauf werden wir uns nur einigen Beispielen der Versöhnung widmen, die im altnordischem Mythos und der Heldensage beschrieben werden, insbesondere den Fällen, bei denen sich legendäre oder mythische Persönlichkeiten im Jenseits versöhnen und in der einen oder anderen Form Frieden schließen.

‚Und sitzen beisammen versöhnt.‘ Die einherjar Wir beginnen mit den prominenten Bewohnern des altnordischen Jenseits, mit den einherjar. Der Plural bedeutet‚ ‚diejenigen, die alleine kämpfen‘ und seine ursprüngliche Bedeutung ist unbekannt.7 Der Begriff bezeichnet die gewählten Krieger des höchsten Gottes Óðinns, des Herrschers der Poesie, berauschenden Trankes, der Magie und nicht zuletzt des Krieges. Nach den Quellen der altnordischen Mythologie,

7 de Vries 1977, 96. Die selten bezeugte Singularform einheri dient der Bezeichnung der Götter. Finnur Jónsson (1966, 102) löst die Sache so, dass er dem Singular des Wortes eine andere Bedeutung gibt als dem Plural (‚die, die zu einem Heer gehören‘) aber diese Lösung wirkt nicht besonders überzeugend. „Dass einheri an dieser Stelle etwas anderes meint als sonst, ist eine unbegründete Annahme, die alle Tatsachen gegen sich hat“ (Neckel 1913, 125). Es scheint wahrscheinlicher, dass die Belege auf die halb-göttliche Natur der einherjar hinweisen.

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vor allem der Lieder Edda und der Snorra Edda, werden vor allem die vornehmen oder die sich mit Mut und Tapferkeit besonders auszeichnenden Krieger nach dem Tode von den Walküren mit in Óðinns Saal Walhall (valhǫll ‚Halle der Gefallenen‘) geführt und dort mit Essen und Trank bedient. So soll es bis zu den ragnarǫk, dem Schicksalstag der Götter, weiter gehen. Die über die Zeit auf die Anzahl von 43.200 angewachsenen einherjar brechen anschließend unter ihrem Anführer Óðinn in die letzte Schlacht auf und nehmen an dem Krieg zwischen den Göttern und den vernichtenden kosmischen Mächten teil. In dem hoffnungslosen Kampf zerstören letztere die Welt, die in sich zusammenbricht. Für uns ist die Vorstellung im zweifachen Sinne interessant: Erstens zeigt sie, in welchem Ausmaß die Idee der Welt und die Idee des Konflikts für die alten Skandinavier zusammenhingen. Die Existenz des bestehenden Kosmos beruht im permanenten Konflikt zwischen Göttern und den Riesen. Gerade die daraus entstehende Unsicherheit wird als Grund dafür angeführt, warum der Kriegsgott Óðinn immerwährend neue in den Schlachten gefallene Opfer braucht. Die Eiríksmál, ein Preisgedicht auf den um 954 gefallenen norwegischen König Eiríkr Blutaxt, lassen den in Walhall anwesenden Held Sigmundr fragen, warum Óðinn so tapfere Männer wie Eiríkr sterben lässt. Die kurze, aber klare Antwort weist auf den Wolf Fenrir, eines der Weltuntergangsungeheuer, hin: Óvíst’s at vita,  sér ulfr enn hǫsvi   greypr at sjǫt goða.8 Nichts weiß man gewiss  und der Wolf, der graue   sieht die Sitze der Götter an.

Der Hinweis auf die konfliktvolle Natur und Vergänglichkeit insbesondere der gött­ lichen Welt stellt die dunkle Seite der einherjar dar. Aber die Vorstellung des im Jenseits kämpfenden Heeres hat auch einen positiven Sinn: Sie bietet die glanzvollste Alternative der jenseitigen Existenz. Die um den Kriegsgott Óðinn gesammelten Krieger stellen eine vorbildliche Gefolgschaft dar, eine exemplarische Männergruppe, die die höchsten Qualitäten verkörpert, die der Skandinavier der Wikingerzeit erreichen konnte. Und es ist auch kein Zufall, dass in ihrem jenseitigen Leben Konflikt und Versöhnung eine wichtige Rolle spielen. Die Vafþrúðnismál, eines der mythologischen Gedichte der Lieder Edda, berichten von der Tagesführung der einherjar: ‚Segðu þat it ellipta:  hvar ýtar túnom í   hǫggvaz hverian dag? hvat einheriar vinna  Heriafǫðrs at,   unz riúfaz regin.‘

8 Eirm 7,3–5, Finnur Jónsson 1912, 175 (vom Verf. modifizierte Übersetzung von Felix Genzmer).



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‚Allir einheriar  Óðins túnom í   hǫggvaz hverian dag; val þeir kiósa,  oc ríða vígi frá,   sitia meirr um sáttir saman.‘9 ‚Sag das als Elftes,  wo die Männer im Hof   sich jeden Tag schlagen; was die Einherjer  bei Heervater [= Óðinn] tun,   bis die Ratenden [= Götter] untergehn.‘ ‚Alle Einherjer  schlagen sich in Óðinns   Hof jeden Tag; sie wählen die Gefallenen aus,  und reiten vom Kampf,   sie sitzen versöhnt zusammen.‘

Hier sehen wir eine seltsame Dialektik des permanenten Kampfes und ebenso des permanenten Versöhnens. Die auserwählten Krieger sitzen „weiter versöhnt“ (meirr sáttir), obwohl sie sich jeden Tag gegenseitig töten, denn der Ausdruck ‚die Gefallenen wählen‘ (kjósa val) kann kaum etwas anderes bedeuten als ‚zu töten‘. Das bezeugt die Paraphrase der Stelle von Snorri Sturluson, dem großen isländischen Mythographen des 13. Jahrhunderts, der den Ausdruck als falla hverr anann, „sich gegenseitig erschlagen“ wiedergibt:10 Hvern dag, þá er [einherjar] hafa klæzk, þá hervæða sik ok ganga út í garðinn ok berjask ok fellir hverr annan; þat er leikr þeira; ok er líðr at dǫgurðar-máli, þá ríða þeir heim til Valhallar ok setjask til drykkju. Täglich nach dem Anziehen legen sie gleich auch Heergewänder an, gehen in den Hof hinaus, kämpfen und erschlagen einander. Das ist ihr Spiel. Wenn die Frühstückszeit herankommt, reiten sie heim nach Walhall und setzen sich zum Trunk.

Es ist interessant und auffällig, dass in diesem ausführlichen Bericht die explizite Erwähnung der Versöhnung fehlt. Doch ist es kaum vorstellbar, dass Snorri ein so wichtiges Detail verschweigen wollte. Viel vielwahrscheinlicher scheint es, dass für ihn die Versöhnung in dem Bild des Trinkgelages (setjask til drykkju) enthalten ist.11 Dass das gemeinsame Sitzen und das gemeinsame Trinken als Zeichen der Versöhnung dient, werden wir noch beobachten können.

9 Vm 40–41, Neckel 1983, 52 (die fehlende zweite Hälfte der Strophe 40 nach pap.hss. zitiert. Übersetzung von Arnulf Krause 2011, 70.). 10 Snorri, Gylf Kap. xl 41; Übersetzung von Gustav Neckel/Felix Niedner). An eine Dissonanz der beiden Quellen, wie sie Lorenz konstruiert (Lorenz 1984, 484), kann ich hier nicht glauben. Vgl. Machan 2008, 95. 11 Siehe dazu Starý 2018.

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Aber auch in anderer Hinsicht ist die Paraphrase interessant. Snorri bezeichnet das gegenseitige Töten der einherjar als ein leikr (‚Spiel‘ oder ‚Kurzweil‘), obwohl, es in vollem Ernst gekämpft wird. Es mag sein, dass das Bild der sich im Jenseits schlagenden einherjar den an den altnordischen Höfen üblichen Waffenspielen und -übungen entspricht, worauf das Wort leikr wahrscheinlich hinweist. Bei solchen Spielen wurden die Menschen jedoch gewöhnlich nicht getötet. Im Jenseits stehen die Dinge anders und der Grund ist nicht schwer zu erkennen. Der erwähnte Ausdruck kjósa val bedeutet wortwörtlich ‚die Gefallenen wählen‘, seine übliche Bedeutung ist aber ‚ins Jenseits abholen‘ und deshalb wird er gewöhnlich in Zusammenhang mit den todbringenden Wesen benutzt.12 Die einherjar befinden sich aber schon hinter der Grenze, die das Jenseits vom Diesseits trennt und eine Abholung ins Jenseits droht hier nicht. Der Übergang von dieser Welt in eine andere entzieht dem Konflikt dessen tragischen Abschluss.

‚Mir macht Sorge sein Sinn.‘ König Hakon im Jenseits Hakon der Gute, ein Sohn Harald Schönhaars, des Reichseinigers von Norwegen, regierte das Land von 935 bis 961. Sein Weg zur Macht war alles andere als geradlinig. Nach den altnordischen Quellen war Hakon Haralds jüngster Sohn, er wurde als Kind nach England zu König Athelstan geschickt, während sein Bruder Erik Blutaxt als Thronfolger bestimmt war. Aufgrund seines Regierungsstils wurde Erik jedoch bald äußerst unpopulär und der junge Hakon wusste die Situation zu nutzen. Im Jahre 934 erschien er in Norwegen und ließ sich zum König wählen. Erik verließ Norwegen und ging nach England, wo er einige Jahre später fiel (aus diesem Anlass entstanden die bereits erwähnten Eiríksmál). Seine Söhne, angetrieben durch ihre Mutter Gunnhild, ‚Königenmutter‘ genannt, griffen Norwegen ununterbrochen an und trafen regelmäßig auf Hakon in blutigen Kämpfen. 961 fiel Hakon bei einem erneuten Kampf bei Fitjar auf der Insel Storð und die Macht über Norwegen ging an Eriks Sohn Harald Graumantel. Zum Anlass von Hakons Tod wurde von seinem Freund und Hofskalde Eyvindr Finnsson ein Preislied gedichtet. Es heißt Hákonarmál und wurde paradoxerweise nach dem Muster der Eiríksmál komponiert, also nach dem Vorbild des Gedichtes, das zu Ehren Hakons Bruders und Erzfeindes entstanden war. Ebenso wie im Fall der Eiríksmál beschreibt das Gedicht den Eintritt des toten Königs in Walhall. Der gefallene Hakon zeigt aber keine große Freude an der Tatsache, dass er in die erlesene Kriegerschaar des höchsten Gottes aufgenommen werden soll. Noch auf dem Schlachtfeld offenbart er den Walküren seine Meinung, dass er nicht des Todes sondern eines

12 Vor allem mit den oben erwähnten Walküren. Der Name valkyrja (pl. valkyrjur) ist direkt von kjósa val abgeleitet (siehe Neckel 1936, 94 (s.  v. kjósa) und 185 (s.  v. valr); Neckel 1913, 95).



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glanzvollen Sieges würdig sei.13 Als er später vor Walhall von den Göttern Bragi und Hermóðr empfangen wird, weigerte er sich, die Waffen vor dem Eintritt abzulegen und gibt Begründung an:14 Ræsir þat mælti,  vas frá rómu kominn,   stóð allr í dreyra drifinn: illúðigr mjǫk  þykkjumk Óðinn vesa,   séumk vér hans of hugi. Gerðar órar,  kvað enn góði konungr,   viljum vér sjálfir hafa; hjalm ok brynju  skal hirða vel,   gótt’s til gǫrs at taka. Der König sprach  ‒ er kam aus der Schlacht   und stand vom Speertau bespritzt ‒ „Gar ungnädig  scheint mir Óðinn zu sein;   mir macht Sorge sein Sinn.“ […] „Meine Waffen,“  sprach der wackre Fürst,   „will ich behalten hier: Helm und Brünne  soll man hüten gut   und nicht vergessen den Ger.“

Wir können nur vermuten, was der Grund für ein so seltsames Benehmen angesichts der versammelten Götter war. Mindestens zwei Ursachen bieten sich an: Erstens können wir auf die Erbitterung Hakons verweisen, dass ihm von Óðinn der Sieg nicht zuteil wurde. Hat er vielleicht die Niederlage als Zeichen der göttlichen Ungunst (illúð) empfunden? Es gibt aber auch eine andere Möglichkeit: Mehrere altnordische historiographische Schriften behaupten, dass Hakon während seines Aufenthaltes bei dem englischen König Athelstan das Christentum angenommen hatte und versuchte, nach seiner Etablierung in Norwegen den christlichen Glauben und christliche Bräuche einzuführen. Allerdings berichten die Quellen, dass Hakons Mission keinen Erfolg hatte und dass der König selbst (zumindest äußerlich) zum Heidentum zurückkehrte.15 Lässt sich seine Furcht vor dem Eintritt in das heidnische Paradies möglicherweise mit seinem christlichen Intermezzo begründen?

13 Eyv, Hák 12, Finnur Jónsson 1912, 58  f. 14 Eyv, Hák 15, 17, Finnur Jónsson 1912, 59; Übersetzung Felix Genzmer). 15 Inwiefern Hakons Bekehrung zum Christentum und Rückkehr zum Heidentum rein äußerlich waren, ist schwer zu beurteilen, weil die Quellen unterschiedliche Auskunft geben. Eine extreme Position vertritt die Historia de antiquitate regum Norwagiensium, die gar nicht erwähnt, dass Hákon je Christ geworden ist (und deshalb selbstverständlich auch nicht seine Bekehrung zurück zum Heidentum). Auf dem anderen Extrem steht die Historia Norwegiæ, die Hakon als echten Neubekehrten

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Wie immer es sei, die willkommen heißenden Götter verlieren nicht die Fassung und laden Hakon ein:16 Einherja grið  skallt þú allra hafa,   þigg þú at ǫ´sum ǫl; jarla bági,  þú átt inni hér   átta brœðr – kvað Bragi. ‚Der einherjar Frieden (grið)  sollst du allen haben;   trink bei den Asen Äl [=Bier]! Fäller der Fürsten,  hier findest du   acht Brüder,‘ sprach Bragi.

Die Asen [= Götter] bieten Hakon Versöhnung an, die hier in Form eines angebotenen Tranks dargestellt wird, ähnlich wie im bereits genannten Fall der kämpfenden einherjar. Als wichtiger Zusatz wird hier noch grið, der ‚Geleits-‘ oder ‚Friedensschwur‘ der einherjar erwähnt.17 Und als letzter Schritt erfolgt noch die Versicherung, dass Hakon nichts fürchten müsse, weil sich unter den einherjar acht seiner bereits gestorbenen Brüder befänden. Letzteres muss auf uns zugegebenermaßen ein wenig beunruhigend wirken, Hakons Brüder waren seine Machtkonkurrenten und insbesondere der erwähnte Erik Blutaxt, der auf Hakons Betreiben hin sein Königsreich verlor, aus Norwegen fliehen musste und folglich in England fiel, hatte keinen Grund, Hakon zu lieben und zu schonen. Trotzdem erhielt die Rede Bragis offenbar die gewünschte Wirkung, denn das Gedicht endet mit der glorreichen Aufnahme Hakons in die in Walhall versammelte göttliche Gemeinschaft:18

und danach als echten Apostat schildert (die Angriffe der Eiríkssöhne werden hier als Gottes Strafe dafür aufgefasst). Die übrigen Quellen nehmen nuancierte Mittelpositionen an, so z.  B. Ágrips af ­Nóregs konungasǫgum, das angibt, Hakon habe am Ende seines Lebens seine Sünde (d.  h. Annahme der heidnischen Bräuche) bereut und habe seine heidnische Bestattung als eine Art Selbstdemütigung und Busse dafür verstanden. Snorris Heimskringla ersetzt dagegen den religiösen Diskurs mit dem politischen: hier wird Hákons politische Meisterschaft in Verkehr mit beiden Religionen betont und die daraus resultierende Beliebtheit gepriesen. Eine offene Frage dabei bleibt, ob man schon zur Zeit Hákons mit dem modernen Gegensatz der „inneren Überzeugung“ und des „äusserlichen Behaltens des Kultus“ operieren darf. Für eine Übersicht der Quellen und ihre sorgfältige Analyse siehe Kreutzer 1999. 16 Eyv, Hák 16, Finnur Jónsson 1912, 59; Übersetzung von Felix Genzmer. 17 Es handelte sich um Eid, bei dem der Schwörende versprach, auf die Anwendung der Gewalt gegen den Empfänger des Eides für eine bestimmte Frist (z.  B. für die Dauer der Friedensverhandlung, des gemeinsames Treffens, einer Versammlung usw.) zu verzichten. 18 Eyv, Hák 18, Finnur Jónsson 1912, 59 (Übersetzung Felix Genzmer). Dasselbe gilt im noch höheren Maße für die obenerwähnten Eiríksmál. Erik Blutaxt tritt dort Walhall begleitet von fünf Königen. Die Forscher sind nicht in der Frage einig, wer genau diese fünf Könige waren, es besteht aber Möglich-



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Þá þat kyndisk,  hvé sá konung hafði   vel of þyrmt véum, es Hǫ´kon bǫ´ðu  heilan koma   rǫ´ð ǫll ok regin. Da ward es kund,  wie der König wohl   gehegt die Heiligtümer, als Hakon alle  Heil nun boten,   die Rater und Richtenden [= die Götter].

Weder religiöse noch politische Konflikte stören die jenseitige Versöhnung. Und dies bestätigt, was wir im Falle der einherjar beobachten konnten: Die Konflikte existieren im Jenseits ebenso wie im alltäglichen Leben. Aber ihr Charakter ist anders: Der Gang durch den Tod beruhigt die bestehenden Feindseligkeiten und gegenseitige Beleidigungen. Jenseits und Tod einigen, was das Leben und die Welt geschieden haben. Bei dem Blick vom anderen Ufer sind die weltlichen Konflikte der Welt plötzlich nicht mehr relevant.19

‚Der Götter uralte Butter‘. Die Parodie der Skíðaríma Die isländische Skíðaríma wird selten als Quelle von Mythos und Heldensage zitiert. Der Grund liegt darin, dass es sich um späte Dichtung handelt,20 deren parodistische Züge eher eine lächerliche Diffamierung des Mythos und der Heldensage erkennen lassen. Der unerwartete Held der Geschichte ist ein armer Bettler namens Skíði, der eines Nachts träumt, dass ihm der höchste Gott Óðinn schriftlich gebeten hat, nach

keit, dass es sich um von Erik getötete Könige handelt, vier von denen könnten sogar seine Brüder sein (siehe dazu Neckel 1913, 121). 19 Man soll dabei nicht eine wichtige Ausnahme verschweigen, nämlich die Passage aus der zweiten Helgakviða Hundingsbana, wo sich der tote Helgi seinem Gegner Hundingr nach dem Ankunft in Walhall bitter rächt (Übersetzung Arnulf Krause 2011, 245). Er bietet: „Du musst, Hunding, / jedem Mann / das Fußbad bereiten / und Feuer anzünden; / Hunde festbinden, / Pferde bewachen / Schweinen Futter geben, / eh du schlafen gehst.“ (Þú scalt, Hundingr, / hveriom manni / fótlaug geta / oc funa kynda, / hunda binda, / hesta gæta, / gefa svínom soð, / áðr sofa gangir - HH ii.39, Neckel 1983, 158). Die Stelle ist schwierig zu erklären. Der neue Eddakommentar ist der Meinung, dass „wahrscheinlich die Strophe aus dem Kontext eines Streitgesprächs vor einem Kampf [stammt]“, was eine relativ breite Umstellung des Textes voraussetzt (von See et al. 2004, 768). Gustav Neckel bemerkt, dass die Stelle auf eine ursprünglichere Jenseitsvorstellung hinweisen kann, nach der „[…] der Besiegte im Jenseits dem Sieger dienen muss“ (Neckel 1913, 120). Das wäre eine ganz logische Hypothese, wofür aber mehr altnordische Belege nötig wären. 20 Von Forschern wird das Gedicht meistens in das 14. oder 15. Jahrhundert datiert, also lange nach der Abkehr des Heidentums.

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Walhall zu kommen um dort die Helden Heðinn und Hǫgni zum Friedensschluss zu bewegen. Die beiden haben sich wegen der jungen Heldin, Hild der Schlanken, zerstritten, und ihre permanenten gewaltigen Zusammenstöße bedrohen andere Bewohner des Göttersitzes. Skíði eilt nach Walhall, wo er alle großen Helden der Vorzeit beim Sitzen und Trinken antrifft. Er wird von Óðinn ehrenvoll willkommen geheißen und vortrefflich mit Bier und einem Platz an Óðinns Thron bedient. Schließlich erhält er auch das Angebot, sich nach seinem Geschmack von den versammelten Heldinnen und Göttinnen eine zur Frau zu wählen. Skíði zögert nicht und wählt keine andere als Hild die Schlanke, die Streitursache. Er geht direkt zu ihrem Vater Hǫgni, der sich mit Hinweis auf Skíðis Herrlichkeit sofort mit der Brautwerbung einverstanden erklärt. Skíði fährt fort und bittet Hǫgni und Heðinn, dass sie mit ihrer Feindschaft aufhören und auch diese Bitte wird nach kurzem Zögern erfüllt. Schließlich wird auch Hild nach ihrer Meinung befragt: Sie behauptet, sie sei zwar in Heðinn verliebt, aber wenn alle anderen einverstanden sind, nehme sie das Heiratsangebot an. Nichts steht also der prächtigen Heirat im Wege, deren Ablauf nur durch Skíðis permanentes Bekreuzigen und Anrufen des christlichen Gottes gestört wird. Die Verbitterung der Götter und alten Helden wird damit aber in dem Maße provoziert, dass sie Skíði angreifen, und die großartige Hochzeitsfeier endet in einem ebenso großen Gemetzel, an dessen Ende Skíði aus Walhall hinausgeworfen wird und wieder daheim auf Island erwacht. Der Humor der Skíðaríma basiert hauptsächlich auf der Parodie von zwei literari­ schen Subgenres: Draumþættir und Íslendingaþættir. Die Draumþættir (‚Traumgeschichten‘), eine interessante Quelle des altnordischen Traumglaubens, beschreiben gewöhnlich Träume, in denen numinose Gestalten (göttliche Wesen, Tote usw.) erscheinen und eine Prophezeiungen für die Träumenden vorhersagen. Die Prophezeiungen gehen immer in Erfüllung und die Wahrheit der Traumerscheinung wird oft dadurch verstärkt, dass die Gaben, die der Träumende in der Traumwelt erhält, in der realen Welt nach dem Erwachen weiterbestehen, sowohl die materiellen (wie Waffen), als auch immateriellen (wie z.  B. dichterische Begabung). Auch im Fall von Skíðaríma finden wir solche Anzeichen. Es handelt sich aber um eher skurrile Gegenstände, wie etwa den Zahn des sagenhaften Drachen Fáfnir, mit dem Skíði während seines Walhall-Aufenthaltes zusammenstößt, sowie ‚dreimal-alte‘ (þrífornt) Butter, die Skíði von den Göttern als Geschenk bekommt. Die Butter erweist sich darüber hinaus als kein glücklicher Traumgewinn, sie wird den Hunden zum Fressen zur Probe gegeben, die danach „breit umher sterben“ und damit bezeugen, dass man weder den Träumen noch den heidnischen Göttern Glauben schenken sollte. Die Íslendingaþættir (‚Isländergeschichten‘), das zweite Ziel der Parodie der Skíðaríma, bestehen hauptsächlich aus einem Bericht über den Besuch eines Isländers am Hofe eines skandinavischen Herrschers oder Königs. Der Isländer wird anfangs von den Hofleuten verachtet, im Verlauf der Handlung erweist er sich aber in schwierigen Bewährungsproben als tapferer Mann, so dass er am Ende in die königliche Gefolgschaft aufgenommen respektive reich beschenkt wird. Dieses Schema wird



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in Skíðaríma völlig auf den Kopf gestellt. Der arme Bettler ist nicht in der Position eines Neuankömmlings an irgendeinem skandinavischen Hofe, sondern wird direkt nach Walhall eingeladen und dort von dem höchsten Gott mit aller Pracht willkommen geheißen. Er erweist sich aber als eher hilfloses Individuum, das sich durch nichts als Frechheit auszeichnet und seine Unfähigkeit, die christlichen Gewohnheiten abzulegen, verschafft ihm die Feindschaft der Götter und Helden, woraufhin er aus Walhall ausgewiesen wird. Für uns ist besonders die dritte Intention der Parodie wichtig: Es ist die berühmte Geschichte vom Hjaðningavíg (‚Kampf der Heðinn-Krieger‘), fester Bestandteil der altnordischen Heldensage. Ihr Hauptheld ist der Seekönig (Wikingeranführer) Heðinn, der sich in Hild, Tochter des Kleinkönigs Hǫgni, leidenschaftlich verliebt und sie während der Abwesenheit ihres Vaters entführt. Das Paar wird vom Vater verfolgt und zum Schluss auf einer Insel eingeholt. Heðinn schickt Hild mit einer Buße und mit der Bitte um Versöhnung zu ihrem Vater. Aber Hǫgni verweigert beides und trifft sich mit Heðinn in blutiger Schlacht, in der Heðinn, Hǫgni und alle ihre Männer fallen. Hild, des Geliebten und des Vaters zugleich beraubt, geht in der Nacht auf das Schlachtfeld und erweckt alle Gefallenen zum Leben. Der unversöhnliche Vater und der Geliebte treffen sich aber am nächsten Tag in einem weiteren unerbittlichen Kampf, infolge dessen das Schlachtfeld am Abend wieder mit den Leichen aller Beteiligten übersät ist. Und so soll sich der Kampf der Hjaðningar bis zu den ragnarǫk, dem endgültigen Untergang der Welt und der Menschheit, Tag für Tag wiederholen. Die blutige Sage variiert in verschiedenen skandinavischen Aufzeichnungen stark.21 Keine Aufzeichnung wagt aber, die Geschichte mit so grobem Witz zu erzählen, wie die Skíðaríma. Das zeigt schon der Charakter der Hauptheldin Hild, die in den Quellen von einem in den tragischen Konflikt verstrickten liebenden Mädchen bis zu einer starken Persönlichkeit variiert, die in die Handlung tatkräftig eingreift, oder zumindest einzugreifen versucht. Nie wird sie als so passiv und hörig dargestellt wie in der Skíðaríma, in der sie auf das Heiratsangebot des unbekannten Bettlers antwortet: Heðni hefig heitið því,  hans eg skyldi bíða, en ef hann faðir minn fæz þar í  forsmáig ekki hann Skíða.22 Eigentlich hab’ ich gelobt, auf Heðinn, den Helden, zu warten; will’s der Vater nicht leiden, begnüg’ ich mich gern mit Skíði.

21 Für eine Übersicht siehe Rowe 2002. Die Geschichte wurde auch zum Thema des mittelhochdeutschen Heldenepos Kudrun, der die ganze Handlung in ein ritterliches Milieu versetzt. 22 Skí 122, Finnur Jónsson 1905–12,28. Die Übersetzung Rudolf Meissners benutze ich hier und im Folgenden, obwohl sie in Hexametern verfasst ist und metrisch nicht dem Original entspricht.

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Uns interessiert an der ganzen Geschichte besonders das Motiv des Konflikts und der Versöhnung von Hǫgni und Heðinn, Schwiegervater und Schwiegersohn. Für unseren Standpunkt ist wichtig, dass die alten Nordleute deren Verhältnis als die hartnäckigste, ja extremste Form der Fehde sahen, die in der Konfliktphase stehengeblieben ist und bei der kaum einer Chance auf Versöhnung bleibt. Einen Beweis dafür liefert der sogenannte Háttalykill inn forni, ein Gedicht des Orkadenjarl Rǫgnvaldr und des isländischen Dichter Hallr Þórarinsson. Das Gedicht formuliert die Frage „[Wer sind diejenigen,] welche sich kaum je versöhnen?“ und bietet die Antwort: „Hjaðningar immer kämpfen, die werden sich nie versöhnen.“23 In Skíðaríma finden sich beide Helden in Walhall (wo sie eigentlich als Lebende nichts zu suchen haben), sie stehen aber im permanenten Konflikt und „werfen sich Steine vor Wut an die Köpfe“.24 Schon die Tatsache, dass ihre Feindschaft in Walhall andauert, wirkt als Hohn an der Idee der jenseitigen Versöhnung, wie wir sie gesehen haben. Die Pointe des Witzes ist aber selbstverständlich die Tatsache, dass sie Hild, die Ursache der Feindschaft, ganz bedenkenlos dem armen Bettler übergeben und sich auf seine Zusprache hin auch versöhnen: Skíði veik að Hǫgna hér  ok hóf svó ræðu sína: ‚Hvað skal ek leggja í lófann á þér  þú leyfir mér mey svó fína.‘ Hǫgni segir, að hilmir má  Hildi sjálfur gipta ‚Hvergi kýs eg hærra á,  því hér er við dreng að skipta.‘ ‚Alt í heimi ynnig til,  að þið, Hǫgni, sættuz.‘ ‚Þeygi gengur þetta í vil,  þó þið Hildur ættuz.‘ ‚Mágur þinn eg verða vil,‘  veik svó Skíði að Hǫgna, ’verið kátir ok víkið til  víst við kónginn rǫgna. Hǫgni segir, að mágr hans má  mikið um þetta ráða – ‚séuð þið kvittir og sættiz þá,  signi guð ykkur báða.‘25 Skíði sprach zu Hǫgni gewandt: „Was kostet die Sache, dass du erlaubst, bei dem schönen Kind mein Heil zu versuchen?“ Hǫgni erwidert: „Wie Óðinn es wünscht, so geb’ ich die Tochter;

23 Hverir síðarla sætask? […] Hjaðningar æ berjask, þeir síðarla sættask (Hl 23a,3,6–7, Finnur Jónsson 1912, 498). Vgl. Judy Quinn (2006, 813) bezüglich Sǫrlaþáttr als zweite Referenz zu Hjaðningavíg: “Indeed far from the utopian vision of an endless cycle of sportive combat followed by bacchanalian feasting that is described in Grímnismál and Gylfaginning, Sǫrla þáttr fashions a picture of everlasting battle as ghastly and mawkish spectacle – without, it seems, either time on the sidelines or refreshment.” Und Versöhnung, darf man ergänzen. 24 Skí 88,4, Finnur Jónsson 1905–12, 24. 25 Skí 115–119, Finnur Jónsson 1905–12, 27–28. Ich musste hier Meissners Übersetzung leicht modifizieren, weil seine Versfolge vom Original abweicht.



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will nicht höher hinaus, du scheinst mir ein tüchtiger Bursche.“ [Skíði:] „Aber vor allem möchte ich, dass du dich mit Heðinn versöhnest.“ [Hǫgni:] „Das wirst kaum geschehen, auch wenn ich Hilde zur Frau dir gebe.“ [Skíði:] „Nein, dein Schwiegersohn bleib’ ich, das ist nun bestimmt und beschlossen. Aber so seid doch gemütlich, versöhnt euch, Óðinn zuliebe.“ [Hǫgni:] „Schwiegersohn! Ja, wie du meinst: an mir soll’s wahrlich nicht fehlen.“ [Skíði:] „Macht drum friedlich ein Ende, und Gott mag segnen euch beide.“

Die Nichtigkeit des Versöhnungsmotivs, die im Gegensatz zu der Dauerhaftigkeit des Konflikts steht, das leichtsinnige „lass sie denn fahren …“ pointiert die Parodie. Wenn aber eine Sache parodiert wird, muss es sie auch geben. Und die meisterhaft parodierte Versöhnung, die die an sich tragische Geschichte der Hjaðningar abschließt, zeigt den Ernst, den die endgültige Versöhnung der lebenslangen Feindschaft haben musste.26 Dass der unbekannte Verfasser der Skíðaríma die Idee der Versöhnung im Jenseits kannte und im Stande war, sie wohl zu nutzen, beweisen auch andere Stellen, wie beispielsweise die, in denen der Gott Þórr Skíði die in Walhall versammelten Helden der Vorzeit zeigt. Unter ihnen ist auch ein Bruderpaar der Heldensage zu sehen: Reginn und Fáfnir. Es handelt sich um zwei Söhne von Hreiðmarr, die nach seinem Tod in Streit wegen des Erbes geraten. Fáfnir verwandelt sich in einen Drachen und hütet das Gold, wobei Reginn den jungen Held Sigurðr dazu bewegt, Fáfnir zu töten und das Gold zu rauben. Soweit die Heldensage, die jetzt Skíðaríma mit einem grotesken Nachklang schmückt (Skí 82): Die Brüder sind nun versöhnt in Walhall und Reginn sitzt gemütlich zusammen mit seinem Bruder, der, wie wir später erfahren, immer noch in Drachengestalt ist. Mit dem Bild von zwei Brüdern, von denen einer den anderen getötet hat, jetzt aber mit ihm versöhnt sitzt, verlassen wir die humorvolle Skíðaríma und gehen zu einem ernsteren Beispiel über.

26 Die Unversöhnlichkeit, die sich in der Vorstellung des Kampfes der Hjaðningar zeigt, erweckte in der christlichen Zeit mehr Reaktionen und die Idee des Heldenkampfes, der bis zu den ragnarǫk, heidnischer Vorstellung des Weltuntergangs andauern sollte, war offensichtlich als ein Vorstoß gegen die christliche Ethik und Eschatologie empfunden. Das zweite Beispiel findet sich im erwähnten Sǫrla þáttr, wo aber der Konflikt in ernsterer Weise gelöst wird. Der Streit wird hier durch einen Eingriff des norwegischen Missionskönigs Óláfr Tryggvason beendet (Sǫrla ix, Finnur Jónsson 1944, 108–110; vgl. Quinn 2006, 813–815). Auch die mittelhochdeutsche Version in Kudrun gibt der Geschichte ein neues friedliches Ende.

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‚Alle setzen sich zusammen.‘ Baldr und Hǫðr Es handelt sich um das wahrscheinlich bekannteste Beispiel einer Versöhnung nach dem Tode, deren Protagonisten der bereits erwähnte Gott Baldr und sein Bruder Hǫðr sind: Von dem Bösewicht Loki angestiftet, schießt der blinde Gott Hǫðr mit einem Mistelzweig auf Baldr, tötet ihn und wird dann selbst in einem Racheakt von Óðinns Sohn Váli getötet. In Hel (altnordische Unterwelt) überleben Baldr und Hǫðr die ragnarǫk und regieren dann mit anderen Göttersöhnen die neue Welt, die nach dem Untergang der alten entsteht. Dabei kommt es auch zu einer Versöhnung zwischen dem Mörder und seinem Opfer: Upp skýtr jǫrðunni þá ór sænum ok er þá grœn ok fǫgr, vaxa þá akrar ósánir. Víðarr ok Váli lifa, svá at eigi hefir særinn ok Surta-logi grandat þeim […] ok þar koma þá sønir Þórs, Móði ok Magni […] Því næst koma þar Baldr ok Hǫðr frá Heljar; setjask þá allir samt ok talask við […].27 Die Erde steigt aus dem Meere empor und ist grün und schön; auf den Feldern wächst es ohne Aussaat. [Óðinns Söhne] Víðarr und Váli sind am Leben, da weder die See noch Surts Lohe ihnen etwas angehabt hat […] Dahin kommen auch Þórrs Söhne, Móði und Magni […]. Dann kommen dorthin auch Baldr und Hǫðr aus der Hel. Alle setzen sich zusammen und unterhalten sich […].

Die Versöhnung nimmt hier wieder eine ähnliche Form an. Die überlebenden Götter, darunter auch Hǫðr, der Mörder, und Baldr, sein Opfer, setjask allir samt, („setzen sich alle zusammen“). Zwar nicht til drykkju, „zum Trinken“ (wie die einherjar), sondern zur Unterhaltung, es ist aber kaum zu bezweifeln, dass es zu einer Versöhnung kommt und sogar einer doppelten: Der Gott Váli, der noch vor den ragnarǫk Baldr gerächt und Hǫðr erschlagen hat, ist nämlich auch anwesend.28 Dass Baldr und Hǫðr, Mörder und Opfer, die neue Welt gemeinsam regieren, betont auch die Vǫluspá, die vollkommenste Beschreibung der altnordischen Kosmogonie und vielleicht das berühmteste altnordische Gedicht überhaupt:29 Muno ósánir  acrar vaxa, bǫls mun allz batna,  Baldr mun koma: búa þeir Hǫðr ok Baldr  Hroptz sigtóptir, vel, valtívar   ‒ vitoð ér enn, eða hvat?

27 Snorri, Gylf lii, Finnur Jónsson 1900, 66; Übersetzung Gustav Neckel/Felix Niedner. 28 Freilich ist beachtenswert, dass in Bezug auf die Konstellation Baldr  – Hǫðr  – Váli der Begriff ‘Versöhnung‘ in den Quellen nie explizit erwähnt wird. Mit Recht bemerkt aber Neckel (1920, 64), dass sich die Versöhnung unter dem vel in der unten zitierten Vǫluspá-strophe verstecken kann. Er weist auf die Bindung zwischen dem Adverb vel und dem Adjektiv ásáttr in den juristischenWendungen wie verða vel ásáttir (Grágás) oder nú er vel, ef þeir verða ásáttir (Gulaþingslǫg). 29 Vsp 62–63, Neckel 1983, 14; Übersetzung Arnulf Krause 2011, 25  f.



Versöhnung im Jenseits 

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Þá kná Hœnir  hlautvið kiósa, oc byrir byggia  brœðra tveggia vindheim víðan   ‒ vitoð ér enn, eða hvat? Die Äcker werden  unbesät wachsen, aller Schaden wird sich bessern,  Balder wird kommen; Höd und Balder wohnen  auf Hropts [=Óðinns] Kampfstätte [=Walhall], Heiligtum der Walgötter.   - Wisst ihr nun noch etwas? Da kann Hönir [ein Gott]  den Loszweig wählen, und die Söhne beider  Brüder bewohnen das weite Windheim [= Himmel]   - Wisst ihr nun noch etwas?

Baldr und Hǫðr kommen in die neue Welt direkt aus Hel (frá Heljar). Deshalb darf dieses Beispiel in unserem Rahmen nicht fehlen, obwohl es sich hier nicht um die Versöhnung nach dem Tod, sondern nach dem allgemeinen Untergang handelt. Wir beobachten hier – jetzt im kosmologischen Kontext – wieder dasselbe Schema: Der Gang durch Tod und Totenreich verwischt die Feindseligkeit und vergangenes Übel.30 Nur der bescheidene Tod Einzelner wird hier durch Weltuntergang ersetzt. Die Figur Baldrs und besonders die Szene seines Rückkehrs, des darauffolgenden Wohlstands und besonders der friedlichen Versöhnung wurden von vielen Forschern als „unnordisch“ empfunden und es wurde große Mühe darauf gelegt, sie durch Parallelen in anderen Religionen zu erklären und zu deuten. Baldrs Wurzel wurden in indischen, vorderasiatischen, antiken und  – selbstverständlich  – christlichen Vorstellungen gesucht, weitere Analogien dann in ossetischen, finnischen und zoroastrischen Überlieferung.31 Die meisten Forscher des zwanzigsten Jahrhunderts folgten grundsätzlich die Worten, mit denen Gustav Neckel die Forschung des 19. Jahrhunderts verurteilt hat: „[Die älteren Erklärungen des Mythos] drehten sich um den Satz, dass der Mythos etwas ‚bedeuten‘ müsse, nicht um den, der für uns heute im Mittelpunkt steht, dass er entstanden sein müsse“.32 Trotz dem, dass Neckel diese Vorgehensweise lobend als „historisch“ bezeichnete und in positiven Gegensatz zu der älteren „unhistorischen“ Forschung stellte, wirkt sie heute überhaupt nicht so überzeugend wie im Jahre 1920, in dem Neckel seine Worte

30 Diese Tatsache widderspricht m.  E. der Hypothese von John Stanley Martin, dass nämlich der Mythos von Baldrs Rückkehr vom ragnarǫk-Mythos unabhängig ist und mit ihm erst sekundär verschmolzen wurde (Martin 1972,138, 140). 31 Für die antiken Analogien siehe Bugge 1889, für die christlichen wieder Bugge 1889, weiter auch Ólsen 1894, 79, Meyer 1889, 18, Turville-Petre 1964, 119 und zuletzt auch Pesch 2015, für die finnischen Fromm 1963 und Turville-Petre, 1964, 118, für die indischen Wikander 1947, 27–39 und Dumézil 1973, 63–4, für die ossetischen Dumézil 1959, für die vorderasiatischen Neckel 1920 und Turville-Petre 1964, 117–118 und für die zoroastrischen Rydberg 1889, 6–182 und Ström 1967, 194. Die Liste ist keinenfalls erschöpfend. 32 Neckel 1920, 259.

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formulierte. Die Frage, woher der Einfluss gekommen ist, und ob man überhaupt mit einem Einfluss rechnen sollte, wurde bis heute nicht mit Sicherheit beantwortet. Die Antworten bleiben an der Ebene von Hypothesen und bleiben letzendlich unbeweisbar. Mit Recht fragt Kurt Schier in seinem nüchternen und kritischen Aufsatz zum Thema: „Beruhen [die postulierten Übereinstimmungen] nur auf typologischen Entsprechungen, oder müsste man mit Wanderung eines solchen Mythos rechnen?“33 Und man muss, glaube ich, sein Endurteil eindeutig bejahen, mit dem er die Suche nach den Ähnlichkeiten zwischen dem altnordischen Baldr und altorientalischen sterbenden Gottheitenden resummiert: „Zunächst sehe ich nur bestimmte typologische Übereinstimmungen, oder anders: Die verschiedenen […] Mythen und Kulte, deren gegenseitiges Verhältnis ja keineswegs klar ist, sollen zunächst nur als Vorstellungsmodelle dienen. Es soll daran auch gezeigt werden, dass zum Verständnis religiöser Zeugnisse die einfachen, plausiblen, scheinbar selbstverständlichen Erklärungen nicht immer die besten sind.“34 Und der Satz, glaube ich, gilt nicht nur im Fall der orientalischen sondern auch im Fall aller anderen vermutlichen Parallelen des Baldr-Mythos. Zudem kommt auch ein anderer wichtiger Einwand gegen diese Interpretationsmethode, konkret gegen die Ansicht, dass die beste Deutung eines Mythos durch seine Entstehungsgeschichte zu gewinnen ist. Ist es aber wirklich so? Besteht die Bedeutung eines Mythos nicht eher in seiner Rolle im semantischen Universum der Kultur, in seiner Beziehung zu anderen Mythen und nicht zuletzt in seinem Zusammenhang mit der Welt des Alltags –kurz in seinem Leben im Ganzen der Mythologie und Gesellschaft – als in seiner Prähistorie? Falls man diese Frage mit ja beantwortet – und anders ist sie meiner Meinung nach kaum zu beantworten – muss man mit dem Baldr-Mythos ganz anders umgehen, ähnlich wie es John Lindow in Murder and Vengeance Among the Gods oder Frederik Stjernfelt in Baldr og verdensdramaet taten. Und das gilt auch für den Schluss des Mythos, der die doppelte Versöhnung zwischen Baldr, Hǫðr und Váli schildert. Die neue Welt weist überraschende Züge auf, zu denen man in den altnordischen Weltschilderungen nur wenige Parallelen findet und die fast idyllisch anmuten: Sér hon upp koma  ǫðro sinni iorð ór ægi,  iðiagrœna; falla forsar,  flýgr ǫrn yfir, sá er á fialli  fisca veiðir.35 Sie [= die Seherin] sieht ein zweites Mal  aufsteigen die Erde aus dem Meer,  die neu ergrünte; Wasserfälle stürzen,  darüber fliegt der Adler, der auf dem Felsen  Fische jagt.

33 Schier 1995, 127. 34 Schier 1995, 148. 35 Vsp 59, Neckel 1983, 14; Übersetzung Arnulf Krause 2011, 25.



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Aber muss der Ursprung dieser seltsamen Weltbeschreibung wieder in fremden Einflüssen gesucht werden? Preben Meulengracht Sørensen hat darauf hingewiesen, dass die überzeugendste Parallele zu den Schlussbildern der Vǫluspá in den Bildern der Tryggðamál zu finden ist, des rechtlichen Spruches, der bei Beilegung von Fehde rezitiert wurde (Es handelte sich um temporär gehobene Form von grið, die für Ewigkeit dauern sollte):36 En sá ykkar   er gengr á gǫrvar sáttir   eða vegr á veittar tryggðir, þá skal hann   svá víða vargr,   rækr ok rekinn,   sem menn víðast  varga reka,   kristnir menn  kirkiur sœkia,   heiðnir menn  hof blóta,   eldr upp brennr,  iǫrð grœr,     mǫgr móður kallar     ok móðir mǫg fœðir,     aldir elda kynda,   skip skríðr,  skildir blíkia,   sól skínn,  snæ leggr,   Finnr skríðr,  fura vex,   valr flýgr  várlangan dag,   stendr honum byrr beinn  undir báða vængi,   himinn hverfr,  heimr er byggðr,   vindr þýtr,  vǫtn til sævar falla,     karlar korni sá. Doch wer von euch     angreift den Urfehdeschwur     oder zertrümmert das Treugelöbnis, der sei     so weit wölfisch,     friedlos und flüchtig,   soweit Menschen  Wölfe jagen,   Christenmenschen  Kirchen besuchen,   Heiden opfern  im Heiligtum,   Feuer flammt  die Erde grünt,     Knabe Mutter ruft,     Mutter Knaben nährt,     Leute Lohe fachen;   Schiff schwimmt,  Schilde blinken,   Sonne scheint,  Schnee fällt,

36 Tryggð iv.A-B1, Vogt 1936, 171 (Übersetzung Felix Genzmer). Neu und umfassend zu den ­Tryggðamál siehe Riisoy 2016, 149–150.

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  Finne Schi läuft,  Föhre wächst,   Falke fliegt  frühlingslangen Tag,   steht ihm Brise frisch  unter beiden Flügeln,   Himmel sich wölbt,  Heim bewohnt ist,   Wind braust,  Wasser zur See fallen,     Knechte Korn säen.

Preben Meulengracht Sørensen weist auf die parallelen Bilder der grünenden Erde (jǫrð grœr, jǫrð iðjagrœna), des fallenden Wassers (falla forsar, vǫtn til sævar falla) und des fliegenden Raubvogels (flýgr ǫrn, valr flýgr) und sagt dazu: Wir können nicht sagen, welche von den zwei Stellen die ältere ist und ob die eine als Vorlage für die andere diente. Der einzige Schluss, den wir mit Wahrscheinlichkeit ziehen können, ist der, dass den beiden Stellen eine gemeinsame Vorstellung über Welt und Raum zugrunde liegt und dass diese Vorstellung im Bilde des fliegenden Raubvogels ihren Ausdruck fand.37

Meiner Meinung nach kann man einen Schritt weitergehen: Die Strophen der Vǫluspá beschreiben die neue Welt, zu der die Versöhnung gehört und die nach dem Untergang der alten Welt entsteht, die auf dem unüberwindbaren Konflikt zwischen den Göttern und ihren Gegnern beruhte. Der Text der Tryggðamál beschreibt die positive Welt, aus welcher der, der die Versöhnung gebrochen hat, herausgejagt werden soll. Beiden Fällen gemeinsam ist die Anschauung, dass die Überwindung des Konflikts Grund für das Positive der Welt ist. In den Bildern der Vǫluspá und der Tryggðamál haben wir eher mit einer alten Poetik der Versöhnung als mit einem fremden Einfluss zu tun. Es ist ein Bild der wohl geordneten Welt, in der die Versöhnung nicht fehlen darf. Der Mythos von Baldr und Hǫðr samt ihrem Ende zeigt die Bedeutung, die der Versöhnungsgedanke für den altnordischen Menschen hatte.

„Sie verglichen sich nun in ehrlicher Versöhnung“ Die Beispiele der Versöhnung im Jenseits, die wir betrachtet haben, sind nicht zahlreich, dennoch decken sie ein relativ breites Spektrum der Ausdrucksformen der archaischen Gesellschaft ab: Kosmologie (Baldr und Hǫðr bzw. Hǫðr und Váli), Eschatologie (einherjar), politisch aktualisierter Mythos (Eiríksmál, Hákonarmál) sowie ironische Polemik gegen die heidnische Heldensage seitens des Christentums (Skíðaríma). Trotz der Mannigfaltigkeit des Standpunkts lassen sich die versöhnungsbegleitenden Akten in vier Hauptformen kategorisieren:

37 „Vi kan intet sige om, hvilket af de to udtryk, der er ældst, eller om det ene har ligget til grund for det andet. Det som vi med sandsynlighed kan sluttet, er, at der har ligget en fælles forestilling om verden og rummet til grund for de to halvstrofer, og at denne forestilling har haft et af sine udtryk i billedet af den flyvenden rovfugl“ (Sørensen 2000, 345).



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I) gemeinsames Sitzen (einherjar, Skíðaríma, Baldr – Hǫðr - Váli) II) Begrüßung und gemeinsames Sprechen (Hákonarmál, Baldr – Hǫðr - Váli) III) Angebot des Tranks und gemeinsames Trinken (einherjar, Eiríksmál, Hákonarmál) IV) Sicherheitsspruch (Hákonarmál)

Diese vier Hauptformen umspannen in einer straffen Reduktion weite Teile der menschlichen und der gesellschaftlichen Lebenserfahrung. Das gemeinsame Sitzen führt in den Bereich der körperlichen Gestik ein, zeigt Entspannung und Beruhigung der Racheaffekte. Das Angebot des Trankes und gemeinsames Trinken verweisen einerseits auf körperliche Nahrung, beinhalten aber schon einen Teil der menschlichen Kultur.38 Den Übergang ins Soziale deutet dann grið (‚Geleitschwur‘), eine feste soziale und rechtliche Institution, die zwar ihre physische Seite hat, bei der aber der verbale Anteil überwiegt. Fortsetzen lässt sich diese Aufstellung durch Begrüßen und gemeinsames Reden, was den sozialen, kulturellen und geistigen Bereich umfaßt. Dennoch wäre es ein Fehler, wenn wir die vier geschilderten Akte, die die Versöhnung begleiten, nur auf mythische und sagenhafte Überlieferung begrenzen wollten und man könnte eine Unmenge von Beispielen zitieren, wo dieselben Handlungen die realistisch beschriebenen Versöhnungsszenen in Sagas begleiten. Das bezeugt z.  B. das vielleicht berühmteste Beispiel der Versöhnung in der Sagaliteratur, wie eine Szene der Njáls saga, die das Treffen der erbitterten Feinde Kári Sǫlmundarson und Flosi Þórðarson beschreibt: Þeir urðu heldr síðbúnir, ok siglðu þó í haf ok hǫfðu langa útivist; en um síðir tóku þeir Ingólfshǫfða ok brutu þar skipit allt í spánn; þar varð mannbjǫrg. Þá gerði á hríð veðrs. Spyrja þeir nú Kára, hvat nú skal til ráða taka, enn hann sagði þat ráð at fara til Svínafells ok reyna þegnskap Flosa. Gengu þeir nú heim til Svínafells í hríðinni. Flosi var í stofu; hann kendi Kára, er hann kom í stofuna, ok spratt upp í móti honum ok mintiz til hans ok setti hann í hásæti hjá sér. Flosi bauð Kára at vera þar um vetrinn. Kári þá þatt. Sættuz þeir þá heilum sáttum.39

38 Wir wissen, dass das Trinken in den archaischen Gesellschaften bestimmten Regeln und Normen folgte, die die Hierarchie und die gegenseitigen Verhältnisse der Trinkenden berücksichtigten und mit deren Hilfe feine Nuancen der gesellschaftlichen Ordnung zum Ausdruck gebracht werden konnten (siehe Znojemská 2017). Bemerkenswert ist, dass auch die Tryggðamál, der große Friedensspruch der altnordischen Rechtsliteratur das gemeinsame Essen und Trinken ausdrücklich erwähnt. „Ihr sollt sein /versöhnt und gesellt/bei Met und Mahl […] Teilen sollt ihr / Messer und Mahl “ (skuluð vera menn / sáttir ok samværir / at ǫldri ok at áti […] it skuluð deila / kníf ok kjǫtstykki […] - Tryggð ii.1–2, Vogt 1936, 168; Übersetzung von Felix Genzmer). Die Meinung Vilhelm Grønbechs, dass „Ein Vergleich galt nicht, bevor er nicht durch Tischgenossenschaft bestätigt worden war,“ ist zwar übertrieben, aber die angeführten Formen können doch dem Verlauf der Versöhnung der Praxis entsprechen (Grønbech 1954, 92). „Die endgültige Erledigung von Zwistigkeiten geschah bei den Germanen durch gemeinschaftliches Essen und Trinken“ (Gschwantler 2010, 242). 39 Nj clix Finnur Jónsson 1908, 421; Übersetzung Andreas Heusler.

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Sie wurden ziemlich spät fertig und segelten dennoch in See und hatten eine lange Überfahrt. Endlich erreichten sie das Ingólfshǫfði, und dort zerschellte ihnen das Schiff in Tausend Stücke; die Menschen konnten sich bergen. Da brach ein Unwetter herein. Sie fragten nun den Kári, was man jetzt anfangen solle, aber er sagte, das Richtige sei, nach Svínafell zu gehen und die Ehrenhaftigkeit Flosis zu erproben. Sie gingen denn ohne Verzug zum Hofe Svínafell. Flosi war in der Stube; er erkannte Kári, als er in die Stube kam, und sprang auf vor ihm, küsste ihn und setzte ihn auf den Hochsitz neben sich. Flosi lud Kári ein, den Winter bei ihm zu bleiben. Kári nahm dies an. Sie verglichen sich nun in ehrlicher Versöhnung.

Die Njáls saga gehört zu den Familiensagas, in denen das christlich-kontinentale Lehngut am häufigsten untersucht wurde, und das mit gutem Grund. Wenn dabei aber leichtfertig und fast automatisch auch die angeführte Versöhnungsszene als Beleg dafür angeführt wird, wäre hier eine stärkere Differenzierung angebracht. Andersson sagt zu Recht in seinem bereits erwähnten Beitrag: Signs of moderation in the sagas are regularly attributed to Christian influence. But the concept of moderation is older than Christianity and has hardly been a notable feature of the Christian teaching.40

Auch Hermann Kamp betont, dass zwar „das Christentum […] eine Gruppe von Leuten entstehen [ließ], die die Sorge um Frieden als ihre Angelegenheit betrachteten“ aber es hat „die Isländer die Friedensstiftung nicht erst gelehrt“.41 Eine interessante Frage wäre dann, inwiefern das neue Christentum an den bestehenden Versöhnungs­ gedanken anknüpfen wollte und konnte. Und die Antwort scheint eher negativ zu sein. In den durch Ernst Walter verarbeiteten latein-altnordischen Übersetzungswerken findet sich keine altnordische Übersetzung eines christlich-dogmatischen Terminus, die mit dem Stamm sætt-, sátt- gebildet wäre.42 Dem Bereich dominieren die Bildungen fyrirgefa, fyrirgefning, lausn, aflausn, líkn und ähnliche, die wieder in der Richtung Vergeben/Begnädigung gehen und nicht auf Versöhnung im eigentlichen Sinne zielen.43 Die Idee der Versöhnung ist in der abendländischen Kultur von heute meist, nicht zu Unrecht, mit dem Christentum verbunden. Niemand bezweifelt, dass Versöhnung und Vergebung zu den Grundwerten der christlichen Ethik geworden sind, und es wird auch kaum angezweifelt, dass das Christentum die Versöhnung in den weltlichen Konflikten stark unterstützte. Das gilt nicht minder für das skandinavische Christentum, man bedenke nur den Schluss der Þorgils saga ok Hafliða, wo die anrüh-

40 Andersson 1970, 592. 41 Kamp 1994, 403. 42 Siehe Walter 1969 und Walter 1976. 43 Kahle 1890, 405  f.



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rende Rede des zukünftigen Bischofs Ketill Þorsteinsson an Hafliði Másson zu einer friedlichen Lösung des Konflikts führt.44 Das muss jedoch nicht zwangsläufig bedeuten, dass Versöhnung in den vorchristlichen Kulturen Europas gar keine Rolle spielte. Im Gegenteil: Es ist offensichtlich, dass gerade in den Kulturen, in denen die Rache ein wichtiges Mittel zur Aufrechthaltung der sozialen Stabilität war (sogenannte feuding societies), die Versöhnung als Regulator der potenziell destruktiven Rachekräfte eine viel größere Bedeutung haben musste als in den Gesellschaften, welche die Rache aus dem Bereich des Rechts gestrichen hatten. Die Versöhnung ist an gewisser Stelle der Staatsentwicklung unumgänglich, sie ist eine Idee, deren Geltung nicht nur auf eine Gesellschaft und eine Religion begrenzt werden darf und dementsprechend auch in der Literatur nicht fehlt. Das vielleicht bekannteste Zeugnis stellt die große Versöhnungsszene der Ilias dar, der man eine große Anzahl an Beispielen aus der griechischen, römischen, irischen, albanischen und südslavischen Literatur zur Seite stellen kann.45 Und die zitierte Szene der Njáls saga darf man mit gutem Gewissen ihnen zurechnen.

Fazit: Menschen und Götter Mehrere Forscher haben darauf hingewiesen, dass der Mythos von Baldr und Hǫðr mit seiner Struktur von Konflikt  – Klimax (Tötung)  – Rache  – Versöhnung sehr an die isländischen Familiensagas erinnert, die meist dem gleichen Ablauf folgen, was wiederum dem gewöhnlichen Verlauf der Fehde entspricht. John Lindow sagt: If I am right, the Íslendingasǫgur and the mythology […] shared a basic narrative curve […] Something like this structure could easily be applied to the whole of Scandinavian mythology if it is systemized, especially if the Baldr story is placed at its center […] With respect to feuding, then, we might regard the mythology as one form of theory (law would be another) and the Íslendingasǫgur (and contemporary sagas) as praxis […].46

44 Stu i.25, Kålund 1906–1911, 42–43. Es ist trotzdem bemerkenswert, dass in der eigentlichen dæmisaga des Bischofs eher von Vergebung (gefa upp) als von „Versöhnung“ gesprochen wird. Derselbe Problem betrifft viele oft angeführte Beispiele, die beweisen sollen, dass die Idee der Versöhnung im Altnordischen mit dem Christentum verbunden wurde, z.  B. die Stelle in der Árna saga biskups, wo der isländische Bischof Árni Þorláksson mit dem heiligen Ambrosius verglichen wird, weil er für seinen toten Feind betet (ok veitti Árni byskup honum þá fagrliga bœn móti mǫrgum meingerðum, eigi ólíkt þeim Ambrosio er fyrir þeim mǫnnum bað eptir dauðann er hans mótstǫðumenn vóru í lífinu - ÁBp cxlv, Grímssdóttir 1998, 204). Hier handelt es sich wieder nicht um Versöhnung, sondern um Vergebung. 45 Il xix.56–275, Murray 1993, 340–357. 46 Lindow 1997, 179, 177, 178.

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Ähnlich bemerkt Neckel in Bezug auf den Baldr-Mythos, dass die altnordische Götterwelt „eine mythisch verkleidete Menschenwelt ist“.47 Das ist einerseits gewiss richtig, andrerseits ist gerade der mythische Charakter dieser Welt wichtig, der ihn von dem Alltäglichen deutlich sondert. Und es wäre m.  E. zu eng, den Baldr-Mythos auf die Ebene von „part of social charter, and therefore myth in Malinowskian sense“ zu reduzieren, wie es Lindow zu tun scheint.48 Den alten Skandinaviern und schon den alten Germanen musste die Dynamik von Konflikt und Versöhnung aus dem alltäglichen Leben wohl bekannt gewesen sein. Bereits Tacitus spricht von einem permanenten Wechsel von Streit, Wunden und Mord (conviciis […] caede et vulneribus) einerseits und Versöhnung (reconciliatio) andrerseits, als einem typischen Merkmal des gewöhnlichen germanischen Trinkgelages.49 Die Präsenz von Versöhnung in Heldensage und Mythos zeigt aber, dass ihre Gültigkeit für die alten Nordleute das Alltägliche hoch überstieg. Durch Mythos und Heldensage und damit verbundenen Jenseitsvorstellungen wurden Versöhnung und Beilegung des Konflikts sogar in Fällen angestrebt, in welchen sie in der realen Welt nicht stattfinden konnten. Das zeigt vor allem der Baldr-Mythos, wo die Versöhnung auf die göttliche Ebene gehoben und in Zusammenhang mit den ragnarǫk gebracht wird. Die Tötung und die Versöhnung laufen hier parallel zum Weltuntergang und der Entstehung der neuen Welt: Der Konflikt wird hier mit dem allgemeinen Vernichtung verbunden, die Überwindung des Konflikts entspricht hier der Wiederherstellung der kosmischen Ordnung.50 Der Mythos sieht die Fehde und ihren friedlichen Abschluss aus einer höheren Perspektive und gibt ihnen deshalb auch eine tiefere Bedeutung.51

47 Neckel 1920, 64. 48 Lindow 1997, 177. 49 Tac. Germ. xxii., Koestermann 1949, 14. 50 „Murderer and victim [Baldr und Hǫðr] can together inherit and inhabit their father’s patrimony. Only the end of the former world order can make possible this ‚solution‘ […] Ragnarǫk purges all […] flaws“ (Lindow 1997, 166, 171). Lindow sieht den Hauptsinn des Baldr-Mythos in der Vergegenständlichung eines „flaw“ im realen Rachesystem, nämlich dass er nicht im Stande war, den Totschlag innerhalb der Familie zu regulieren. Aber von wie vielen Totschlägen innerhalb der Familie berichten die Familiensagas? Soll der Mythos, den mehrere Forscher als „die grundlegende mythische Struktur der nordischen Mythologie“ bezeichnet haben (Stjernfelt 1990, 62, vgl. de Vries 1955, 46), durch die wenigen Beispiele des Totschlags innerhalb der Familie (die noch dazu meistens der Heldensage angehören) erklärt werden? 51 Der Autor wurde während der Arbeit an dieser Studie von dem Programm Progres Q07 der KarlsUniversität Prag unterstützt (Subprogram Centrum pro studium středověku). Mein persönlicher Dank geht an Eva Pfab, die mein Deutsch dem deutschen Leser zugänglich machte.

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Axboe, Fig. 2: The Gudum figurine, front and back. Height 9.0 cm. Photo A. Mikkelsen, Nationalmuseet.

Axboe, Fig. 3: The head seen from different angles. Height 4.50 cm. Photo M. Petersen, Museum Vestsjælland.

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Axboe, Fig. 6: The mounts from Søholt Skov, Lolland. Left mount height 6,2 cm. Photo R. Fortuna/K. Ursem/L. Larsen.

Axboe, Fig. 7: Details from the Ålleberg collar. After Pesch 2015a, 429 und Taf. 15.

Behr, Abb. 1: Vorder- und Rückseite des Goldbrakteaten aus Orsett, Essex (IK 659), Durchmesser 24,1 mm. © The Trustees of The British Museum.

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Behr, Abb. 3: Goldbrakteat aus King’s Field, Kent (IK 456), Durchmesser 27,8 mm. © The Trustees of The British Museum.

Düwel, Abb. 1: Goldbrakteat IK 128 Nebenstedt I-B, Durchmesser 2,85 cm. Foto: Landesmuseum Hannover.

Düwel, Abb. 3: Goldbrakteat von IK 128 Nebenstedt I-B. Aus: Grundlagen der germanischdeutschen Sprachkunde & Vor- & Früh-Geschichte. [Handschrift] 1935, 217.

Düwel, Abb. 6: Revers des Goldsolidus von Schweindorf, Durchmesser 2,2 cm. Photo: Ostfriesisches Landesmuseum.

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Gardeła, Fig. 1: Artistic reconstruction of the Gerdrup grave (Zealand, Denmark). Illustration by Mirosław Kuźma. © Leszek Gardeła and Mirosław Kuźma.

Gardeła, Fig. 2: Artistic reconstruction of grave A505 from Trekroner-Grydehøj (Zealand, Denmark). Illustration by Mirosław Kuźma. © Leszek Gardeła and Mirosław Kuźma.

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Gardeła, Fig. 3: Artistic reconstruction of grave BB from Bogøvej (Langeland, Denmark). Illustration by Mirosław Kuźma. © Leszek Gardeła and Mirosław Kuźma.

Gardeła, Fig. 4: 1. Armed female figure from East Midlands, England. After Portable Antiquities Scheme (www.finds.org.uk). 2. Armed female figure from Galgebakken/Vrejlev, Denmark. After Varberg 2011, 82. 3. Armed female figure from Wickham Market, England. After Portable Antiquities Scheme (www.finds.org.uk). 4. Representations of female figures on the Oseberg tapestry. After Pesch 2005, 125. 5. Three-dimensional female figure from Hårby, Denmark. Photo by Arnold Mikkelsen.

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Gardeła, Fig. 5: 1–2. Armed female and rider from Tissø, Denmark. After Petersen 2005, 77. 3. Armed female and rider from Stentinget, Denmark. After Petersen 2005, 77. 4. Armed female and rider from Truso (Janów Pomorski), Poland. After Jagodziński 2010, 106. 5. Armed female and rider from Bylaugh (Norfolk, England). Photo by Tim Pestell. Used by kind permission of Norwich Castle Museum and Art Gallery.

Gardeła, Fig. 6: Selection of iron staffs from the collections of Statens Historiska Museum, Stockholm, Sweden. 1. Staff from grave Bj 834 at Birka (Adelsö sn., Uppland, Sweden). 2. Staff from grave Bj 760 at Birka (Adelsö sn. Uppland, Sweden). 3. Staff from grave Bj. 845 at Birka (Adelsö sn., Uppland, Sweden). 4. Staff from Gnesta (Södermanland, Sweden). 5. Staff from Aska mound 1 (Hagebyhöga sn. Östergötland, Sweden). 1a-5a. Details of the staffs’ handles. All photographs by Leszek Gardeła.

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Kjesrud, Fig. 2: The altar frontal from Odda church. c. 1325–1350. Photo: Svein Skare, Universitetsmuseet Bergen ©

Kjesrud, Fig. 3: Map showing the route from Odda (Hildal in the upper left corner) to Røldal (lower right corner)(Amtskartene 1867). The medieval road is marked out with a single stroke and runs almost parallel with the “mail-road” from the 18th/19th century, signified with a double stroke.

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Kjesrud, Fig. 4: Medieval road along Seljestadjuvet. Several sections of the medieval road are still apparent and used as a hiking path in today’s landscape. The route runs through several spots with a terrific view over the mountains, waters and nature. The height of the mountain is around 1070 meters at its highest point, and there are certainly physical challenges on this road. We must assume that this route was only available in the summer months. Photo: K. Kjesrud.

Kjesrud, Fig. 5: Stairs on the old road from Odda to Røldal. Photo: K. Kjesrud.

Tafelteil 

Marold, Abb. 3: Vergoldete Vorderseite der Fibel von Skabersjö, Anfang 8. Jahrhundert. Breite 14,3 cm. Foto © Dänisches Nationalmuseum.

Marold, Abb. 4: Fibel von Skabersjö, Detail mit Runeninschrift am Rande auf der Rückseite. Foto © Dänisches Nationalmuseum, Fotograf: Roberto Fortuna.

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 Tafelteil

Nedoma, Päffgen, Düwel, Abb. 1: Fragment eines römischen Weihesteins mit der Darstellung von Diana und Apoll, geborgen 1902 bei der von Ludwig Lindenschmit durchgeführten archäologischen Begleitung des Bauvorhabens in der Bauerngasse 13 in Mainz. Foto: GDKE Landesmuseum Mainz (Ursula Rudischer).

Nedoma, Päffgen, Düwel, Abb. 6: Der 1902 in der Bauerngasse 13 in Mainz gefundene runde Glaskameo mit Runeninschrift. Maße L. 2,6 cm, H. 2,8 cm. Foto: GDKE Landesmuseum Mainz (Ursula Rudischer).

Nedoma, Päffgen, Düwel, Abb. 7: Der 1902 in der Bauerngasse 13 in Mainz gefundene ovale Glaskameo mit dunkler Grundplatte und weißer Darstellung eines Meerwesens. Maße: L. 5,3 cm, H. 3 cm. Foto: GDKE Landesmuseum Mainz (Ursula Rudischer).

Tafelteil 

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Oehrl, Abb. 17: Handschrift des Osterhymnus Carmen paschale des Sedelius Coelius, Antwerpen, M 17.4, fol. 15v und 16r (2. Drittel des 9. Jh.). Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Museum Plantin-Moretus, Antwerp.

Pesch, Abb. 1: Die 1,8 cm hohe Silberfigur aus Lejre, genannt „Odin“. Foto: Ole Malling, ROMO, Zeichnungen: Rune Knude/Zoomorgraphic (mit freundlicher Genehmigung von T. Christensen).

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 Tafelteil

Pesch, Abb. 3: Wotan-Denkmal vor dem Landesmuseum in Hannover, von Friedrich Wilhelm Engelhard 1888. Vgl. Abb. 2. Foto: A. Pesch.

Pesch, Abb. 15: Zwei Schachfiguren aus Walroßelfenbein aus Lewis, Schottland, Höhe 9,7 bzw. 7,7 cm. Die beiden Bischöfe (Läufer) tragen einen langen, vorne offenen Mantel und darunter das durch einen Punktsaum bzw. parallele Randlinien erkennbare, schürzenartige Pallium bzw. Epitrachelion. Gekennzeichnet sind sie auch durch den Bischofsstab, die Mitra und ein Buch. Die Biegung an den Seiten des Palliums der linken Figur kann andeuten, dass hier ebenfalls eine sitzende Gestalt dargestellt ist. Auf den Seiten des Thrones der rechten Figur sind jeweils Salomoknoten zu sehen. Rein ikonographisch liegen mit diesen Spielsteinen Parallelen zur Lejrefigur vor. © The Trustees of the British Museum.

Tafelteil 

Simek, Abb. 2: T-O-Karte, sogen. Cottoniana: London, BM, Ms Cotton Tib. B.V. fol. 58r. Nach Brincken 1992, Tafel 19.

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 Tafelteil

Simek, Abb. 6: Multiple Flügelpaare bei der Darstellung fliegender Bienen in einer Exultetrolle des späteren 11. Jahrhunderts. Vatikan, BAV, Barb. Lat. 592, Fragm. 4b. Nach: Bibliotheca Apostolica Vaticana 1993, 166.

Simek, Abb. 11: Kybele in ihrem Löwenwagen aus der Martianus Capella Handschrift München, Staatsbibliothek, Cod. Mon. Lat. 14271, 11v. Nach: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0004/ bsb00046659/images/index.html?id=00046659&groesser=&fip=qrsyztsxdsydensdaseayaewqqrse ayaenw&no=6&seite=26

Tafelteil 

Vennemann, Abb. 1: Entfernungen (in Kilometern) der Fundorte der Matronae Vacallinehae zu Wachendorf. Karte: Jörg Nowotny/ZBSA (Entwurf Th. Vennemann).

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Versöhnung im Jenseits 

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 Jiří Starý

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 Jiří Starý

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Matthias Teichert

Svanhvít in den Wolfstälern Die Chronotopologie des eddischen Wielandliedes und das ‹rewriting› des Schwanjungfrau-Mythos in der Erzählprosa des Codex Regius Abstract: The present paper presents a new reading of the swan-girl tale in the eddic Vǫlundarkviða, stressing the palimpsest-like character of the layering of (older) verses with the (younger) prose texts preceding them in the Codex Regius which partially rewrite the narrative of the verse material and partially, as a prequel, stretch its plot nexus upstream. Then, the narration strategy of this rewriting will be outlined. The darkening of scenery, setting, and plot, especially using a readjustment of animal and colour symbolism as well as a reordering of the figure-tableau including a successive dæmonization of both types of figures involved – hunters/brothers and swan-virgins - which reaches into abjection, will thereby be documented. Zu den eigentümlichsten Texten aus dem Spätwerk August Strindbergs zählt das 1902 erschienene Märchenspiel Svanehvit, zu dem u.  a. Jean Sibelius eine prägnante Bühnenmusik komponiert hat und das inhaltlich gewisse Ähnlichkeiten mit dessen einziger Oper Jungfrun i tornet aufweist. Die Titelfigur mit dem poetischen Namen ist bei Strindberg eine 15jährige Prinzessin, die sich nach einigen von der genretypischen bösen Stiefmutter zu verantwortenden Irrungen und Wirrungen mit ihrem geliebten Prinzen verloben kann und damit den Idealtypus der eher passiven Märchenprinzessin verkörpert, die auf standesgemäße und zugleich durch wechselseitige Liebe legitimierte Verehelichung programmiert ist. Strindbergs von Maeterlinck inspiriertes Märchendrama,1 unter dessen beschaulich und kindgerecht anmutender Oberfläche freilich ein ganzes Arsenal von Subtexten eingeschrieben ist  – darunter Reminiszenzen an Wagners Lohengrin2 und Tristan3  –, hat außer dem Namen der Protagonistin und einigen ubiquitären Standardmotiven zwar weder mit Inhalten der altnordischen Überlieferung noch mit dem weltweit verbreiteten Schwanjungfrauen-Narrativ sonderlich viel gemein, eignet sich aber schon eben aufgrund des besagten sprechenden Namens samt seiner tier- und farbsymbolischen Implikationen als Kontrastfolie eines metamorphen Vorstellungs-

1 Paul 1979, 74–75. 2 Paul 1979, 75. 3 Müller 1986, 713.

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 Matthias Teichert

verbunds, dessen ältester erhaltener europäischer Beleg das eddische Wielandlied, die Vǫlundarkviða, ist: Die phantastische Idee einer temporär schwangestaltigen und somit auch flugfähigen jungen Frau, die unter äußerem Zwang eine problematische erotische und sexuelle Beziehung mit einem Mann eingeht, sich dieser Mesalliance jedoch nach einer gewissen Zeit durch Flucht entzieht. Die abstrahierbare Standardnarration der Schwanmädchenfabel lässt sich mit dem Frankfurter Edda-Kommentar wie folgt zusammenfassen: Der Schwanenmädchen-Abschnitt der Vkv. (1–5) gehört zu einem außerordentlich weitverbreiteten Erzähltypus, nämlich der Vermählung eines Menschen mit einem übernatürlichen Wesen (Fee, Melusine, Seejungfrau, Meermann, Vogelwesen, Schwanenjungfrau), das nach einer gewissen Zeit verschwindet. In vielen Fällen erscheint dieses übernatürliche Wesen zunächst in Tiergestalt (meist als Vogel), nimmt aber Menschengestalt an, nachdem es sein (Feder-)Kleid abgelegt hat. Der menschliche Partner erlangt Gewalt über das fremde Wesen, indem er dessen Kleid entwendet und versteckt. Das – meist weibliche – übernatürliche Wesen bleibt als Ehefrau bei ihm und bringt in vielen Fällen Kinder zur Welt. Eines Tages aber findet es das entwendete Kleid und fliegt davon. Der Mann begibt sich auf die Suche nach der verschwundenen Gattin und findet sie nach vielen Mühen wieder, wobei die übernatürliche Gattin den Mann in manchen Fällen an einem Ring wiedererkennt, den sie ihm einst gegeben hat […]. Die SchwanenmädchenEpisode der Vkv. Ist das älteste Beispiel einer solchen Geschichte in Westeuropa, unterscheidet sich aber in mehrfacher Hinsicht von der typischen Erzählung dieser Art.4

In einem Teil der Überlieferungssubstanz folgt noch die (ergebnislose) Suche des verlassenen Ehemannes nach seiner entflohenen Gattin, so auch in der Vǫlundarkviða. In diesem eddischen Gedicht, das im Codex Regius am Ende des Götterliederteils steht, aufgrund seiner Nähe zur heroischen Epik in den meisten modernen Editionen und Übersetzungen aber dem Heldenliederteil zugeschlagen wird, vermählen sich drei Jäger mit drei Schwanenmädchen5 – Egill mit Ölrún, Slagfiðr mit Svanhvít und Völundr mit Alvit –, aber nur Egill und Slagfiðr ziehen nach der Flucht der drei Mädchen aus, um nach ihren Gemahlinnen zu suchen, während Völundr, ein Meisterschmied, in den heimatlichen Wolfstälern zurückbleibt und goldenes Geschmeide herstellt, darunter einen Ring für seine entflohene Ehefrau, offenbar in der Hoffnung, sie werde früher oder später von sich aus zu ihm zurückkehren. Der Schwedenkönig Niðuðr, der von Völundrs kunsthandwerklicher Begabung erfährt, lässt den Schmied entführen und kerkert ihn, nachdem er ihm auf Anraten der Königin die Sehnen hat durchschneiden lassen, auf einer einsamen Insel ein, wo Völundr Kostbarkeiten für den König herstellen soll. Als Völundr eines Tages den für seine Alvit bestimmten Ring an der Hand der Königstochter erblickt, rächt er diesen Frevel und das ihm zuge-

4 Von See et al. 2000, 99–100. 5 Die Termini ‚Schwanjungfrauen‘ und ‚Schwanenmädchen‘ werden im Folgenden synonym verwendet. In der Sekundärliteratur zeichnet sich eine gewisse Bevorzugung von ‚Schwanjungfrauen‘ ab; sowohl die Enzyklopädie des Märchens als auch das Reallexikon der Germanischen Altertumskunde führen Artikel unter entsprechenden Lemmata (siehe Bäcker 2007 und Böldl 2004).



Svanhvít in den Wolfstälern 

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fügte Unrecht auf grausame Weise, indem er zunächst die beiden Söhne des Königs tötet, die Königstochter vergewaltigt und sich schließlich auf mysteriöse Art in die Luft erhebt, um höhnisch lachend davonzufliegen, den König und dessen Tochter in ihrem Leid zurücklassend. Die Besonderheit und der außerordentliche Status der Vǫlundarkviða innerhalb der Schwanjungfrauenüberlieferung ergeben sich neben dem Alter des eddischen Gedichts vor allem aus der singulären Kombination der Schwanenmädchen-Motivik mit dem Stoff um den Meisterschmied Wieland/Völundr und der Konzentration dieses Plots auf die drei Kernelemente a. Entführung und Gefangennahme, b. Rache und c. Flucht. Dass es sich bei diesen beiden Teilerzählungen der Vǫlundarkviða um ursprünglich selbständige Narrative und bei ihrer Synthese um eine ­individuelle Schöpfung des Lieddichters, also um ein literarisches Konstrukt jenseits der Volksüberlieferung handelt, belegt der Umstand, dass beide Stoffe  – die Schwanenmädchenfabel und die Erzählung von Wieland dem Schmied  – außerhalb der Vǫlundarkviða mehrfach unabhängig voneinander belegt sind, der Wielandstoff etwa im Velents þáttr der Þiðreks saga. Der Gedankengang, auf dem die Verquickung beider Stoffe in der Literarisierung der Vǫlundarkviða beruht, erschließt sich dem aufmerksamen Rezipienten recht unmittelbar und ist in der Forschung u.  a. von Robert Nedoma rekonstruiert worden: Die Schwanjungfrauen bzw. Vǫlund werden mehr oder weniger gewaltsam von den Brüdern bzw. Níðuð in der Umgebung eines Sees (oder des Meeres) festgehalten […] Die Objektrolle der zuerst Gefangenen verwandelt sich jedoch durch abschließendes Entfliehen, bei der der jeweilige Se­xual­partner (Vǫlund bzw. Bǫðvild) – schwer getroffen – zurückgelassen wird, in eine aktive Rolle.6

Schwanenmädchenerzählung und Rachefabel also stehen in einem auffälligen Spiegelverhältnis zueinander, insofern sich zentrale Motiv- und Figurenkonstellation aus der einleitenden Schwanjungfrauenfabel in invertierter Form in der Rachegeschichte wieder finden, mit dem Ring als verbindendem symbolisch aufgeladenen Objekt und Völundr als spiegelnder Klammergestalt, die vom Täter zunächst zum Opfer (und als Folge davon wieder zum Täter) wird und in potenzierter Form das Schicksal erleidet, das er und seine Brüder zuvor den Schwanjungfrauen zugefügt haben. Aus der hier skizzierten Lektüreperspektive ergeben sich zum einen Hinweise auf die der Vǫlundarkviða zugrunde liegende Vorstellung von der Flucht der Flucht Wielands, zum anderen Indizien für die Deutung von solchen Aspekten der Schwanenmädchenfabel, die sich aus deren knapper und zum Teil rätselhaften Darstellung heraus nicht unmittelbar ergeben; die umfangreichere Wielanderzählung lässt sich also als Folie lesen, vor der solche Aspekte lesbar gemacht können, die in den Versen arkan und fragmentarisch bleiben. Die beiden Teile – Schwanenmädchenfabel einer-

6 Nedoma 1986, 131  f.

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 Matthias Teichert

seits und die Sage um Wielands Rache andererseits – leuchten sich also wechselseitig aus und können zur Ergänzung der im jeweils anderen Teil verbleibenden Leerstellen herangezogen werden. Zunächst sehr kurz zu Wielands Flucht. Akzeptiert man die These von der Dialogizität und Parallelität bzw. Inversität der beiden Sagenteile, so ist es m.  E. unwahrscheinlich, dass in Vǫlundarkviða die ‚rationalistische’ Idee eines mechanischen Flugapparats zu veranschlagen ist, wie sie sich im Velents þáttr findet: Denn die drei Schwanenmädchen fliehen nicht unter Benutzung einer aeronautischen Apparatur, sondern mit Hilfe ihrer einst geraubten Schwanengewänder, also ihrer Verfügungsgewalt temporär entzogenen und wiedererlangten phantastischen Artefakte bzw. eines vorübergehend gewaltsam dysfunktionalisierten und nunmehr reaktivierten Merkmals körperlicher Exorbitanz (Tiermenschentum). Die Verwendung einer Flugmaschine durch Völundr würde demzufolge dem ansonsten stringent komponierten Spiegelungsprinzip zuwiderlaufen. Vor allem jedoch gibt die Ausgestaltung der Rachefabel Hinweise oder zumindest Deutungsangebote im Hinblick auf die Bewertung der Schwanenjungfrauerzählung, die den Vǫlundarkviða-Text eröffnet. Die lediglich fünf Strophen, die auf die Schwanenjungfrauenfabel entfallen (Str. 1–5), scheinen bereits der mittelalterlichen Rezeption als kommentierungsbedürftig und auserzählungsfähig aufgefallen zu sein, denn im Codex Regius ist dem Gedicht eine recht umfängliche Erzählung vorgeschaltet, die nicht nur eine vorstellbare Vorgeschichte bietet und Unklarheiten aus dem Strophenmaterial glättet, sondern auch Erklärungen und Schlussfolgerungen bietet, die über den Inhalt der Strophen hinausgehen und ihm teilweise sogar explizit widersprechen. Dieser relativ lange und vor allem handlungsintensive Prosatext wird in der Forschung zumeist unter der Bezeichnung ‚Einleitungsprosa‘ verhandelt, was m.  E. der Intention und Funktion des Textes aber aus den genannten Gründen nicht gerecht wird, denn er leitet nicht nur in die Strophen der Vǫlundarkviða ein und führt den Rezipienten zu ihnen hin, sondern interpretiert die Strophen, konterkariert sie teilweise und weitet den Plot der verknappten Schwanjungfrauenerzählung aus. Dabei kommt es zu Akzentverschiebungen in Handlung, Figurenzeichnung und Setting. Der den Strophen vorgeschaltete Prosatext ist somit kaum als die Gedichtstrophen flankierende und ihnen subordinierte Einleitung im Sinne einer den Rezipienten unterstützenden Lektürehilfe zu verstehen, sondern als Neuschreibung und Weitererzählung des Schwanjungfrau-Themas der Strophen, sozusagen als eine Art ‚novelization in nuce‘, die strukturell durchaus der Vǫlsunga saga als „novelization“ der Lieder des Nibelungenzyklus vergleichbar ist; wie diese setzt sie auf einen gewissen Handlungsreichtum und verwertet dabei auch sekundäres Erzählgut sowie vermutlich eigene Erfindungen und strebt zugleich eine gewisse Stringenz und nachvollziehbare Motivationskette an. Der Prosaist ist mit Sicherheit nicht mit dem Dichter der Strophen identisch.  Auch der Schreiber des Codex Regius, sofern er wiederum als mit dem Prosaisten nicht-identisch angenommen wird (s.  u.), scheint den handlungsreichen Prosatext nicht als bloße Einleitung zu den Liedstrophen begriffen zu haben, denn



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er versieht beide Texte mit einer jeweils eigenen, paläographisch und in Schriftgröße ‚gleichrangingen‘ Überschrift – „Frá Vǫlundi“ für die Prosa, „Frá Vǫlundi ok Níðaði“ für das Strophenmaterial –, subordiniert also die Prosa keineswegs dem strophischen ‚Haupttext‘ als Paratext, sondern signiert beide Texte als auf einer hierarchischen Ebene stehend und somit als einander sozusagen ebenbürtig. Der Prosaist erst erklärt die drei Jäger zu Brüdern und versieht sie mit einer genealogischen Anknüpfung – in den Strophen ist von beidem nicht die Rede –, und er löst u.  a. das Problem, dass in den Strophen insgesamt fünf Namen für die drei Mädchen genannt werden – Ölrún, Svanhvít, Alvit, Hlaðguðr und Hervör – auf recht elegante Art, indem er die sprechenden märchenhaften Personennamen Svanhvít und Alvit zunächst als Epitheta von Hlaðguðr und Hervör einführt.7 Neu sind in der sog. Einleitungsprosa der mitgeteilte Status der drei Brüder als Söhne des ‚Finnenkönigs‘ sowie das Hydronym Úlfsjár (‚Wolfssee‘), bei dem es sich offensichtlich um eine Analogiebildung zu den Úlfdalir (‚Wolfstäler‘, Str. 5) handelt. Die vielleicht auffallendste Ergänzung des Prosastücks ist allerdings die Angabe, dass es sich bei den drei (Schwan-)Mädchen um Walküren handeln soll. Diese Rubri­ zie­rung ist, abgesehen vom weiblichen Geschlecht und der Flugfähigkeit, sicherlich der Str. 1 zu entnehmenden Information geschuldet, dass die drei Mädchen „Fäden spinnen“, also eine Tätigkeit ausüben, die in Darraðarljóð, einem in der Njáls saga überlieferten Gedicht in eddischem Versmaß, für die Walküren belegt ist. Ob in Vǫlundarkviða allerdings tatsächlich ein mythisch-eschatologisches Spinnen von Schicksalsfäden gemeint ist, wie Helge Holmström in seiner Dissertation zum Schwanjungfraumotiv8 und Richard Constantijn Boer in seinem Edda-Kommentar von 1922 meinen,9 oder es sich lediglich um profanes Kunsthandwerk handelt, sei dahingestellt. Die Identifikation der drei fliegenden Mädchen mit Walküren durch den Prosaisten mag zudem durch die tragisch endende Liebesbeziehung der Drei mit den Brüdern begünstigt worden sein, denn auch Verbindungen von männlichen Helden mit Walküren enden meist unglücklich oder sogar tödlich, wie Helgi Hundingsbani und der völsungische Drachentöter Sigurd schmerzhaft erfahren müssen. Nicht zuletzt die Apostrophierung der drei Mädchen als Walküren hat einige Forscher zu der Frage veranlasst, ob und inwiefern die drei Mädchen überhaupt als Schwanenmädchen anzusprechen sind und die Vǫlundarkviða der Schwanenjungfrauenüberlieferung zuzurechnen ist. Eine ablehnende Haltung nimmt diesbezüglich Matthias Egeler ein, demzufolge „die Ähnlichkeit zur folkloristisch definierten Schwanenmädchengeschichte [….] äußerst beschränkt“10 sei und der dafür drei

7 Vergleichbar wäre hier die Identifikation der eddischen Gestalten Sigrdrífa und Brynhildr in der Vǫlsunga saga. 8 Vgl. Holmström 1919. 9 Vgl. Boer 1922, 115. 10 Egeler 2011, 71.

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durchaus valide Argumente vorweisen kann: Erstens baden die Schwanenmädchen in Vǫlundarkviða nicht, sondern spinnen; zweitens komme die Beziehung nicht durch Zwang und Raub der Schwanengewänder zustande sondern auf freiwilliger Basis, wodurch auch die Wiedererlangung der Schwanengewänder entfalle; drittens widerspreche die Kinderlosigkeit der drei Ehen der Standarddefinition der folkloristischen Schwanenmädchenfabel. So begründet die einzelnen Einwände Egelers gegen eine Zugehörigkeit der Vǫlundarkviða zur Schwanenmädchentradition für sich betrachtet sein mögen, erschienen sie mir in der Summe eine Nuance zu hyperkritisch. Insbesondere übersieht bzw. unterschätzt er, wie mir scheint, den Umstand, dass in der Vǫlundarkviða eben keine folkloristische, also volkstümliche Quelle vorliegt, sondern eine poetisch überformte und stilisierte (wenngleich anonyme) Kunstdichtung, deren Literarizität schon durch die eben genannte singuläre und präzise arrangierte Kombination mit der Sage um Wielands Rache ausgewiesen ist. Zudem verbleibt auch nach Maßgabe der vermerkten Abweichungen immer noch ein Figurenmuster und Handlungsnexus, der ungeachtet der im Literarisierungsprozess vorgenommenen Subtraktionen, Entstellungen und Umschreibungen m.  E. strukturell einigermaßen klar unter dem Schwanjungfrauen-Narrativ zu verbuchen ist. Die Vǫlundarkviða repräsentiert damit einen von zwei Überlieferungszweigen, die die Schwanenmädchenthematik im Medium der Schriftlichkeit tradieren bzw. aus den vorliegenden Schriftquellen rekonstruiert werden können: Am Anfang, also sozusagen als verlorener hypothetischer Archetypus, steht das, was in der Forschung als folkloristische Version der Schwanjungfrauenerzählung verhandelt wird, oder, exakter formuliert, die Vorstufe der uns durch schriftliche Aufzeichnung erhaltenen Fassungen, wie sie im Erzähltypus AT 40011 vorliegen. Sie hat, mit der für mündliche Volkserzählungen typischen Varianzbreite, über Jahrhunderte mündlich existiert und wurde mit der Verschriftung und Verschriftlichung von Volkssagen, Märchen usw. kodifiziert. Aus der relativen Homogenität der uns vorliegenden Fassungen ist zu ersehen, dass die besagte Varianzbreite vergleichsweise gering und damit die Schwanjungfrauenerzählung einigermaßen robust und konstant war. Die Tradierung dieser folkloristischen Zweiges der Schwanmädchenfabel erfolgt kontinuierlich an der bereits im Mittelalter verschriftlichten ‚Hochliteratur‘ vorbei, jedenfalls gelangt sie nicht aufs Pergament und scheint ausweislich beider Eddas und der einschlägigen Sagas auch kein integraler Bestandteil der ‚hohen Mythologie‘ gewesen zu sein – im Unterschied etwa zu anderen Formen des Tiermenschentums wie der Werwolfsthematik oder Schlangenverwandlung12 –, sondern ist der niederen Mythologie und dort dem unterem Segment zuzuordnen.

11 Vgl. hierzu Bäcker 2007, Sp. 311. 12 Vgl. etwa die Werwolfepisoden um Sinfjötli und Sigmundr in Vǫlsunga saga und Helgakviða Hundingssbana I (hierzu Teichert 2008) oder Odins Metamorphose in eine Schlange in dem – im Lichte seiner indogermanischen Parallelen (vgl. Doht 1974) mutmaßlich sehr alten  – Dichtermetmythos (Skáldskaparmál Kap. 1).



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Als einziger schriftliterarischer Text des nordischen Mittelalters greift die Vǫlundarkviða die Schwanjungfrauenerzählung auf, synthetisiert sie mit der Rachesage um Wieland den Schmied und schreibt sie im Zuge des Literarisierungsvorgangs bis zu einem Grad um, der bei einer rein synchronen Vergleichsanalyse mit den folkloristischen Versionen des Stoffes in der Tat auf den ersten Blick den Anschein erwecken mag, hier liege ein gänzlich anderer Stoff vor. Die Schwanenjungfrauenepisode ist somit als eine Art Hyperliterarisierung eines volkstümlichen Vorstellungskomplexes lesbar, dessen folkloristische Wurzeln hier und dort noch palimpsestartig durchschimmern, etwa in der Dreierstruktur mit Achtergewicht, der insgesamt jedoch signifikante Umdeutungen und Neudeutungen aufweist, die sich aus dem Bestreben ergeben, die prologartige Schwanenmädchenepisode mit der Kernsage um Wieland den Schmied zu kompatibilisieren und ihr zugleich eine neue, über das in den Strophen Mitgeteilte hinausgehende Sinnebene abzugewinnen. So weit, so gut. Der hier skizzierte Versuch einer partiellen Neulektüre der Schwanenjungfrauenepisode der Vǫlundarkviða lässt sich nun hinsichtlich des Verhältnisses der Gedichtstrophen zu dem von mir als ‚novelization in nuce‘ bezeichneten vorangestellten Prosatext noch einen Schritt weiterführen, was ich im Folgenden mit Blick auf die Raumzeitkonzeption sowie die Tier- und Farbsymbolik umreißen will. Zunächst ein Blick auf die jeweils erzählte Storyline (Abb. 1). Die Strophen beginnen mit dem Heranfliegen der drei Schwanjungfrauen aus dem Myrkviðr (Str. 1), Vermählung, Flucht der Schwanjungfrauen und Suche (Str. 2–5), das Zurückbleiben Völundrs in den Wolfstälern (Str. 6) und die Gefangennahme Vǫlundrs durch Níðuðr (Str. 7  ff.), gefolgt von Verstümmelung, Einkerkerung, Vǫlundrs Rache und Flucht. Der Prosatext setzt mit der Vorstellung Königs Níðuðrs und seiner drei Kinder ein. Es folgt nach einem impliziten Perspektiven- und Szenenwechsel die Einführung der drei Brüder, gegenüber den Strophen ergänzt um die Abstammung vom Finnenkönig sowie die Tätigkeitsbeschreibungen der Brüder als Eis- oder Schneeschuhläufer und Jäger, von der nur der zweitgenannte Bereich, das Jägertum, ein Äquivalent in den Strophen hat. Sodann folgen das Spinnen, die Verbindung der Schwanjungfrauen mit den Brüdern und die Flucht nach sieben (Prosa) bzw. neun (Strophen) Jahren samt Auszug der beiden Brüder Völundrs, dessen Zurückbleiben in den Wolfstälern und seine Gefangennahme durch die Schergen des Schwedenkönigs Níðuðr. Es besteht also eine Überlappung von Strophen und Prosa, die vom Heranfliegen der drei Schwanjungfrauen aus dem Myrkviðr bis zur Gefangennahme Vǫlundrs reicht; die Prosa erzählt diesen gemeinsamen Nukleus aus und verlängert geringfügig seine Vorgeschichte, die Strophen prolongieren seine Nachgeschichte signifikant. Zu der m.  E. irrigen Bezeichnung der Prosa als ‚Einleitungsprosa‘ dürfte der Umstand beigetragen haben, dass sich am Ende die Floskel „svá sem hér er um kveðit“13 („so wie hier gesagt wird“) findet, die einen gleitenden Übergang von einem Erzähl-

13 Zitiert nach von See et al. 2000, 118.

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medium in das andere suggeriert und die Prosa als rezeptionsfördernden Prolog zu den Strophen zu markieren scheint. Stutzig sollte neben den bereits genannten Argumenten jedoch die abrupte und bis zu einem gewissen Grad unmotivierte Nennung Níðuðrs und seiner Kinder in den beiden ersten Sätzen des Textes machen, dies umso mehr, als die Erwähnung der Söhne und die sogar namentliche Nennung der Tochter zum blinden Motiv resp. zur Überinformation wird, denn in der Prosa tauchen alle drei nicht mehr auf und in den Strophen werden erst die Tochter und anschließend die Söhne noch einmal als ‚neue Figuren‘ eingeführt. Sowohl die ersten beiden Sätze mit der Nennung des Königs und seiner Kinder als auch der letzte Satz mit dem Bericht von der Gefangennahme Vǫlundrs stehen innerhalb der Prosa recht unverbunden. Auch das Ende des vorletzten Satzes mit einem intertextuellen Verweis auf ‚alte Mären‘ – hier „í fornom sǫgum“14 („in alten Geschichten“) – als klassische Marker des Anfangs und Endes eines Erzählvorgangs legen den Verdacht nahe, dass die ersten beiden Sätze sowie der letzte Satz der Prosa spätere Hinzufügungen sind und insgesamt die handschriftlich im Codex Regius fixierte Gestalt der Vǫlundarkviða möglicherweise  – das Eis der Spekulation ist freilich äußerst brüchig  – das Resultat einer Dreifachschreibung ist: Am ältesten wären in einer solchen Lesart die Lied­ strophen, am zweitältesten die Prosa als deren re-writing und „novelization in nuce“ der Schwanjungfrauen-Erzählung abzüglich der inkriminierten Sätze zu Beginn und am Schluss, die, so könnte eine kühne These lauten, erst vom Schreiber des Codex Regius bzw. dessen schriftlicher Vorlage hinzugefügt worden sind, um die inhaltliche Kluft zwischen den beiden Texten zu verkürzen und den eigentlich eigenständigen Prosatext nachträglich in das innereddische Subgenre „Prosaeinleitung“ zu zwingen. Bezüglich der gemeinsamen Erzählsubstanz von Strophen und Prosa ist in der Prosafassung eine narrative Strategie erkennbar, die als fortgeführte Abdunklung bezeichnet werden könnte und entsprechende Tendenzen weiterspinnt, die schemenhaft bereits in den Gedichtstrophen gegenüber dem folkloristischen Überlieferungszweig zu veranschlagen sind, soweit letzterer für das Mittelalter durch Rückprojektion aus den neuzeitlich aufgezeichneten Quellen extrapoliert werden kann. Eine entscheidende Größe ist hierbei die ausdrücklich festgestellte Zugehörigkeit des Meisterschmiedes Vǫlundr zum mythischen Geschlecht der Alben, die wohl der Grund war, weshalb der Redaktor des Codex Regius das Lied der mythologischen Abteilung, also dem Götterliederteil, und nicht den Heldenliedern zugeschlagen hat. Die albentypischen dämonischen Züge Vǫlundrs treten in der Dichtung mehrfach hervor, am deutlichsten sicherlich in der schaurigen Rache an den Königssöhnen, denen er die Köpfe abschlägt, um ihre Schädel zu Trinkgefäße zu verarbeiten, und in der Vergewaltigung der Prinzessin sowie in seinem diabolischen Lachen bei der Flucht und der triumphalen Genüsslichkeit, mit der davonfliegend dem konsternierten König seine Verbrechen offenbart.

14 Zitiert nach von See et al. 2000, 118.



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Die Prosa schreibt diese Dämonisierungstendenz der Vǫlundr-Figur unter veränderten Vorzeichen fort, indem sie ihn, wie erwähnt, mitsamt seinen Brüdern zum Sohn eines/des „Finnenkönigs“ erklärt. Das Ethnonym Finnar bezieht sich dabei im Altwestnordischen primär auf die finnougrischen Samen, die in der norrönen Literatur stereotyp als zauberkundig und meist auch als listig, heimtückisch und – aus der Kombination dieser Eigenschaften folgend – als äußerst gefährlich und bedrohlich gelten und somit eine spezifisch altnordische Form eines pejorisierenden Exotismus repräsentieren.15 Chronotopologisch16 werden die Finnen in der Sagaliteratur überwiegend als atavistisches ‚Barbarenvolk‘ an der Peripherie der bewohnten Welt in rauen, schroffen Winterlandschaften verortet, und dieser Topos scheint neben der offensichtlichen Zauberkundigkeit Vǫlundrs der zweite Anknüpfungspunkt für die sekundäre ‚Fennisierung‘ Vǫlundrs durch den Prosaisten gewesen zu sein, denn schon in den Strophen wird die Unheimlichkeit Vǫlundrs topographisch abgebildet, indem ihm und seinen Brüdern als Lebensraum die Wolfstäler (Úlfdalir) zugewiesen werden, also ein über die Wolfssymbolik als entlegen und gefahrvoll gezeichneter sowie mit Gewalt und Tod assoziierter Wohnort. Diese dämonisierende, mit Raubtiermetaphorik kodierte Raumsemiotik dehnt der Prosaist auf die Schwanjungfrauen aus, die er nach ihrer Ankunft aus dem Süden am Úlfsjár (‚Wolfssee‘) verweilen lässt, sodass den Wolfstälern ein der Schwanennatur der drei Mädchen adäquates aquatisches Analogon an die Seite gestellt wird (auch auf rhetorischer Ebene, denn der Úlfsjár wird unmittelbar im Anschluss an die Úlfdalir eingeführt, also diskursiv aus diesen abgeleitet). Auch dieses Paradigma der Verdunklung schafft der Prosaist nicht ex nihilo, sondern entwickelt es aus einer durch die Strophen vorgegebenen chronotopologischen Keimzelle; die erste Strophe lässt die Schwanjungfrauen aus dem Süden durch den Myrkviðr in den nördlich davon gelegenen Handlungsraum der Erzählung kommen, der in realgeographischer Betrachtung offenbar in Schweden oder dessen näherem Umkreis vorzustellen ist. Die hier appellativisch gebrauchte Bezeichnung Myrkviðr (‚Dunkelwald‘) ist die altnordische Bezeichnung für den dichten Waldgürtel, der einst Mitteleuropa durchzog, in der mythologischen und heroischen Dichtung verselbständigt sich der Begriff zuweilen und nimmt über die konkrete geographische Bedeutungsnuance auch die eines finsteren, schwer zu durchdringenden phantastischen Urwalds an, dessen Durchquerung als Kategorie des Liminal-Transgressiven inszeniert wird (in Atlakviða müssen etwa die Gjúkungen auf ihrem verhängnisvollen Zug zu den Hunnen ebenfalls den Myrkviðr durchziehen)17. Nebenbei bemerkt, deutet die Hinzufügung des Wolfssees darauf hin, dass bereits der Prosaist sich die Schwan-

15 Einschlägig sind hier etwa Snorris Heimskringla, insbesondere die Haralds saga hárfágra, sowie die Örvar-Odds saga. 16 Zu den Begrifflichkeiten Chronotopos und Chronotopologie vgl. Bachtin 2008. 17 Zum Begriff myrkviðr, seine realgeographischen Grundlagen und seine literarische Überlieferung vgl. Eggers 2002, 460–461.

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jungfrauen als badende oder schwimmende Wesen vorgestellt zu haben scheint, denn nur unter dieser Prämisse ergibt die Neuerfindung des Sees handlungspragmatisch Sinn. Die Schwanjungfrauen sind Fremde, und das in mehrfacher Hinsicht. Das erste Element der Alienation ist ihre geographische und/oder ethnische Herkunft, die bereits in den Strophen erwähnt wird und dem Prosaisten so bedeutsam erschien, dass er die dort mitgeteilten Informationen noch einmal wiederholt. Eines der Mädchen wird mit Valland (‚Frankreich‘, ‚Wallonien‘) assoziiert, zwei sind Hlǫðvers (‚Ludwig‘) Töchter, was auf einen südgermanischen Hintergrund verweist. Die Schwanjungfrauen sind, in Anlehnung an eine Theorie der postkolonialen Theoretikerin Sarah Ahmed,18 bodies /not/ at home – und zwar in einem aus (post)moderner Sicht geradezu karnevalesk umgestülpten Sinn: Aus einer Kulturlandschaft jenseits des großen dunklen Waldes kommend und über ihre Schwanennatur eminent mit whiteness geradezu hypermarkiert, erleben sie in den rauen, anscheinend weitgehend menschenleeren und farbsemantisch über die Wolfsmetaphorik als ‚grau‘ bis ‚dunkel‘ sowie stark maskulin chiffrierten Wolfstälern eine Migrations-, Fremdheitsund out-of-placeness-Erfahrung, die denen von Ahmed und anderen Vertreterinnen des post colonialism und Linda H. Ruggs Begriff des „hyperwhite“19 auf fast bizarre Weise spiegelbildlich entgegengesetzt ist. Hierzu passen einerseits die Personennamen Svanhvít (‚Schwanenweiß‘) und Alvit (‚fremdes Wesen‘), aber auch die Verortung in Schweden oder an dessen Peripherie, denn Schweden gilt in altwestnordischer Perzeption kontinuierlich als düstere und bedrohliche terra horribilis (Svecia-sinsitraTopos) und könnte mit einem Neologismus des kolumbianischen Philosophen und Ästhetikers Ricardo Javier Arcos-Palma als „Phobotopie“ in der Definition „l’espace configuré et construit à partir de la peur“20 bezeichnet werden, ein in der europäischen Literaturwissenschaft bislang nahezu unbeachtet gebliebener, m.  E. aber treffender Begriff, den ich hiermit sozusagen in die Debatte werfe. Die Schwanjungfrauen kampieren am und  – so ist vorauszusetzen  – baden im Wolfssee, dessen tiersymbolische Zeichenhaftigkeit als Chronotopos des Gefähr­ lichen, Bedrohlichen betont wurde. Bekanntlich erscheint der Wolf, ähnlich wie im Märchen, auch in der eddischen Dichtung fast inflationär als Inkarnation von Gefahr, Tod, Gewalt und prä-zivilisatorischer Wildheit von Landschaften und Personen; die eben erwähnte Atlakviða kennt sogar das Adjektiv „ylfskr“21 („wölfisch“) als Umschreibung für das psychopathologische Set-up des goldgierigen, fremdländischen Despo-

18 Vgl. Ahmed 2010. 19 Vgl. Rugg 2014. – „Hyperwhiteness is a general stereotype of a brand of white culture that results from the uptight, conservative white people […]. Because some white people are so obsessed with controlling themselves, they are ultimately repressed. Sexually, emotionally, socially repressed. This intense degree of repression leads to pyschopathic tendencies like violence.“ (THECOENSRULE 2005). 20 Arcos-Palma 2010. 21 Zitiert nach: von See et al. 2012, 220.



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ten Atli, der seine Schwager in verräterischer Absicht zu sich einlädt. Zumindest auf den ersten Blick etabliert der Prosaist damit eine Dichotomie aus Wolfs- und Schwansymbolik, wobei letztere im Inventar der traditionellen europäischen Tiersymbolik und -metaphorik mit positiv bewerteten ästhetischen und ethischen Konzepten wie Schönheit, Anmut, Eleganz und Treue (Monogamie), aber auch mit Melancholie bis zum Morbiden, Fragilität und zuweilen Eitelkeit verbunden ist. Ganz so klar ist die binäre Opposition von Schwan (Schwanenmädchen) und Wölfen als eponyme Gattung der theriophoren Ortsbezeichnungen Úlfdalir und Úlfsjár allerdings nicht. Nur am Rande sei vermerkt, dass der Wolf in der vormodernen Kultur und Erzähltradition ambivalenter semantisiert ist, als es etwa seine Rolle im europäischen Volksmärchen vermuten lassen könnte. Die Wölfin in der Remusund-Romulus-Mythe ist hier ebenso zu nennen wie die signifikante Produktivität des Elements Úlfr-/Wolf zur Bildung von (männlichen) Personennamen im Germanischen und die in ihrer literarischen Rezeption nicht selten durchaus positiv besetzte Werwolfsvorstellung. Vor allem aber erfordert der scheinbar so liebreizende und Schönheit verkörpernde Schwan eine differenziertere Betrachtung. Über die schon erwähnten sinistren und morbiden Aspekte hinaus kann der Schwan auch mit Tod assoziiert sein, wie dies etwa in der finnischen Mythologie und deren Totenreich Tuonela der Fall ist (vgl. auch den sprichwörtlich gewordenen Schwanengesang). Die doppelte Kodierung bzw. ‚schwarze‘ (Sekundär-)Kodierung des Schwan-Motivs ist sehr augenfällig in der Urfassung von Schwanensee und der dortigen Dichotomie zwischen der (im buchstäblichen) zauberhaften Odette und ihres schwarzen Gegenbildes Odile, die als dämonische femme fatale für allerlei Turbulenzen sorgt. Noch radikaler hat bekanntlich Baudelaire den Schwanenmythos als Bilderkammer des Schönen und Erhabenen in seinem Gedicht Le Cygne dekonstruiert. All diese düsteren Aspekte mögen den Prosaisten zusätzlich motiviert haben, die Schwanenjungfrauen mit den Walküren, also (in der wikingerzeitlichen Vorstellung) Totendämoninnen, zu asso­ ziieren, eine Idee, die umso näher liegt, als auch die Strophen die drei Frauen mit Krieg verbinden. Der von mir attestierten fortgeführten Abdunklungstendenz der Prosa entgegen scheint auf den ersten Blick neben der Schwanenmotivik die damit eng verbundene Topik des ‚Weißen‘ zu stehen, die für Svanhvít, eines der drei Mädchen, sogar eponym ist. Der Widerspruch ist jedoch nur ein scheinbarer, denn noch mehr als in anderen Zeichensystemen steht diese Farbe in der altnordischen Kultur nicht nur oder nicht primär für Reinheit, Unschuld Helligkeit etc., sondern ist, ähnlich wie Schnee und andere ‚winterliche‘ Zeichen und Narrative, sehr häufig mit Registern wie Bedrohlichkeit, Gefahr sowie des Peripheren und Marginalen assoziiert,22 ein Umstand, der sich kulturanthropologisch wahrscheinlich nicht zuletzt aus der unmittelbar real erfahrbaren Gefährlichkeit von Kälte, Eis, Schnee und Schneestürmen zumal in ent-

22 Vgl. Teichert 2016.

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legeneren Regionen des vormodernen Nordeuropas erklären lässt. Die succubusartige Verführerin Snæfríðr aus der Haralds saga gehört in diesen Kontext ebenso wie das tiefwinterlich-verschneite Setting des Beginns der Vǫlsunga saga, deren erster Protagonist Sigi einen Jagdgenossen ermordet und die Leiche in einer Schneewehe verscharrt. Jenseits der scheinbar positiven Zuschreibungen von ‚Weißheit‘ wird auch hier eine deutliche Sekundärsemantik und -semiotik erkennbar, die, häufig im Verbund mit einer phantasmatischen Perzeption des Hibernalen, Nuancen wie Unbekanntheit, Wildheit, Unheimlichkeit und Isolation umfasst. Bezüglich der Vǫlundarkviða-Strophen schließlich ist bemerkenswert, dass nicht nur die Schwanjungfrauen, sondern auch Vǫlundr selbst mit der Nicht-Farbe Weiß assoziiert wird, und zwar mit Bezug auf seinen Hals (Str. 2), so dass ein regelrecht als schwanenartig zu bezeichnender Zug im Porträt Vǫlundrs entsteht. In einem früheren Aufsatz habe ich nachzuweisen versucht, dass in der nordischen Heldenepik die Zuschreibungen des Heroischen und des Monströs-Ungeheuerlich-Abjekten durchlässig sind und sich zuweilen Spiegeleffekte ergeben, die eine Art von Reziprozität oder sogar Identität zwischen Ungeheuerkämpfer und Ungeheuer konstituieren, beide ‚Rollen‘ sich also nicht in binärer Opposition gegenüberstehen, sondern sich Dialogizitäts- und Verschränkungsmuster abzeichnen, häufig derart, dass ein monströses Attribut vom Ungeheuer auf den heroischen Ungeheuerkämpfer transferiert und dieser selbst als ‚ungeheuerlich‘ markiert wird.23 Eben dies scheint bis zu einem gewissen Grad auch im vorliegenden Fall insinuiert zu sein, die Grenze zwischen der Schwanen- und der Vǫlundr zugewiesenen Wolfssymbolik erweist sich jedenfalls als brüchig. Die Unheimlichkeit und Dämonie des Weißen und Hibernalen dürfte schließlich den Prosaisten veranlasst haben, die drei Brüdern im Zuge seines re-writings nicht nur als Jäger, sondern auch als Schneeschuh- oder Skiläufer zu zeichnen und somit ihre Möglichkeiten, sich in Schnee und Eis zu bewegen und ‚Beute­objekten‘ nachzusetzen, markant zu erhöhen. Unter diesen Vorzeichen findet die Begegnung der drei Jäger mit den Schwanjungfrauen an der Úlfsjár statt, und zwar, wie der Prosaist betont, in der Morgendämmerung, zu einer Zeit des Übergangs von Nacht zum Tag also, die im besonderen Maße mit Jagd verbunden ist (nicht nur bei menschlichen Jägern, sondern auch bei vielen Raubtieren). Tatsächlich fallen der Jagdtopologie der Begegnung und der ‚Beute‘-Charakter der Mädchen auf (abgelegte Schwanenhemden, das ‚Heimbringen‘), und dies ist der letzte auffallende Unterschied zwischen Strophen und Prosa: Während in den Gedichtversen suggeriert wird, die Verbindung der drei Mädchen mit den drei Jägern gehe von der weiblichen Seite aus und die Schwanenmädchen seien die ‚Wählenden‘ (Str. 2), erscheinen die Verlobungen und Vermählungen in der Prosa eindeutig als durch die Männer dominiert und möglicherweise von ihnen auch gewaltsam durchgesetzt. Die Prosa erwähnt im Gegensatz zu den Strophen außerdem, dass die Brüder sich Wohnstätten errichten

23 Vgl. Teichert 2014.



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(„gerðo sér þar hús“24 („bauten sich da ein Haus“), also eine permanente oder zumindest längerfristige Verweildauer in den Wolfstälern beabsichtigen; diese Information legt zugleich nahe, dass die drei Jäger (und Brüder) im Verständnishorizont des Prosaisten selbst Neuankömmlingen, also Fremde in den Wolfstälern sind, während in den Strophen zwar nicht explizit, aber doch subkutan der Eindruck vermittelt wird, die Region sei das angestammte Habitat der drei Jäger und diese hätten zumindest schon eine längere Zeit dort gelebt und seien möglicherwiese sogar dort geboren und/ oder aufgewachsen. Summa summarum ist für die Prosaerzählung als Rezeptionsstufe der Liedstrophen eine Um- und Neuschreibungsstrategie erkennbar, deren zentrale Komponenten sich herauskristallisieren: Zum einen die epische Ausgestaltung des in den Strophen nur trümmerhaft ‚anerzählten‘ Schwanjungfrauen-Plots und damit der Vorgeschichte der Erzählung um Vǫlundr und König Níðuðr (Funktion ‚Prequel‘, also eine Verlängerung des Erzählnexus in Richtung upstream), zum zweiten eine bis zur Abjektivierung reichende Verdüsterung von Szenerie, Setting und Plot insbesondere mittels einer Nachjustierung der Tier- und Farbsymbolik, und zum dritten eine Neuordnung des Figurentableaus mitsamt einer sukzessiven Dämonisierung der im Gegensatz zu den Strophen nunmehr explizit dominant bis grausam gezeichneten Brüder, denen allerdings keine umso ‚strahlenderen‘ Schwanjungfrauen im Rahmen einer simplen Gut-Böse-Dichotomie gegenüberstehen, im Gegenteil. Ein beachtenswerter Umstand ist, dass das albische Wesen Vǫlundrs in der Prosa eliminiert, die mythisch-dämonische Natur der drei Mädchen hingegen mit der Betonung ihres Tiermenschentums noch verstärkt wird, während sich die Dämonie und Unheimlichkeit Vǫlundrs und seiner Brüder nunmehr aus ihrer physischen Aggressivität speist. Die Schwanjungfrauenfabel der Gedichtstrophen erscheint letztlich im Medium ihres ‚re-tellings‘ in opaker Spiegelung, oder – um den biblisch inspirierten Titel eines Ingmar-BergmanFilms in seiner englischsprachigen Fassung zu zitieren: Through a glass, darkly.

24 Zitiert nach: von See et al. 2000, 118.

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Prosa („Frá Vǫlundi“)

Strophen („Frá Vǫlundi ok Níðaði“)

Vorstellung Níðuðrs und seiner Kinder Heranfliegen der drei Schwanjungfrauen aus dem Myrkviðr

Heranfliegen der drei Schwanjungfrauen aus dem Myrkviðr (Str. 1)

Einführung der drei Brüder als Söhne des Finnenkönigs und Jäger Erwähnung des Wolfssees und Errichtung von Hütten Verlobung / Vermählung

Verlobung / Vermählung

Flucht der Schwanjungfrauen und Suche

Flucht der Schwanjungfrauen und Suche (Str. 2–5),

Zurückbleiben Vǫlundrs in den Wolfstälern

Zurückbleiben Vǫlundrs in den Wolfstälern (Str. 6)

Gefangennahme Vǫlundrs durch Níðuðr

Gefangennahme Vǫlundrs durch Níðuðr (Str. 7), Verstümmelung, Einkerkerung Vǫlundrs Rache und Flucht

Abb. 1: Vǫlundarkviða – Die Storylines von Prosa und Strophen im Vergleich

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Svanhvít in den Wolfstälern 

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Altertumskunde und Archäologie

Morten Axboe

Gudum Man Abstract: Gudum north of Slagelse (Zealand) is one of five place names in Denmark that derive from the compound Gudhem, meaning ‘home of the gods’. The name indicates that the site might contain traces of a pre-Christian sanctuary, resembling the rich Iron Age settlement at Gudme on Funen. The topographical and archaeological sources from Gudum were analysed at the conference ‘The Gudme/Gudhem Phenomenon’ in Schleswig in 2010. The available archaeological evidence at that time gave no indications that Gudum on Zealand comprised a ‘home of the gods’. A few years later, the fields surrounding Gudum Church were subjected to comprehensive detector surveys, uncovering several hundred bronze, silver and gilded artefacts from the Late Iron and Viking Age. These finds reflect activities at a rich settlement and production site and thereby shed new light on the character of the site. Among the finds is an anthropomorphic figure, 9 cm high, found as two fragments c. 25 m apart. It is shown en face with a round head and a parted hairstyle, large eyes, chubby cheeks and an open mouth with protruding tongue. It wears a neck ring and what appears to be clothing, with marked sleeves and trousers. The hands are placed on the abdomen. There are no traces of legs. Comparable pieces allow for dating the figure to the Migration Period. There are no traces of soldering or other fastening techniques. It is proposed that the figure may have adorned a baldric, though other uses can be considered as well. An interpretation as Odin/Woden is worth consideration. During the last three decades, metal detector enthusiasts have been changing our knowledge of Danish prehistory profoundly, working in close cooperation with the local archaeological museums and the National Museum. This symbiosis has grown from a general interest in the past, fostered among other ways by the Danish folk high schools founded in the 19th century, and later by popular television programmes. This cooperation has been further enhanced by positive use of the danefæ (treasure trove) regulations, first formulated in the 13th century, which since the 18th century have promised full compensation to the finder of ‘gold, silver, or other rarities’. The majority of the objects found from the Bronze Age and the Pre-Roman Iron Age come from graves spoiled by ploughing, with some hoards as an extra bonus. They sometimes add spectacular aspects to the general picture of the general find picture (Kaul 2010; Henriksen 2014), but it is only when we turn to the late Iron Age that we can see the profound impact of the work of the metal detectorists. Their finds of thousands of metal objects have provided new dimensions and new depth to our knowledge of settlement structure and social diversity in the Late Iron Age/Early Medieval period.

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 Morten Axboe

‘Central places’ in southern Scandinavia Much of the focus has been on so-called ‘central places’, sites with finds that are outstanding both in numbers and in quality, leading to hypotheses that they indicate aristocratic sites with political, religious and economic functions. Many of these sites have been subject to minor or major excavations, and a highly varied picture is emerging. A ‘first generation’ of these putative magnates’ residences includes Gudme in southeast Funen, Sorte Muld on Bornholm, Uppåkra in Scania and Helgö in Central Sweden (Jørgensen 2009). Among them Gudme stands out as a classic site, famous for the numerous and rich finds of gold recorded since the 16th century. Sorte Muld and Uppåkra have thick cultural layers reaching back into the Early Iron Age, and like Helgö, all these sites have indications of craft activities (Axboe 2012). The heyday of these sites was the 2nd to 6th centuries AD, although they continued to be active to a greater or lesser degree through the Viking Age. Since then, a ‘second generation’ of magnates’ residences has emerged with sites like Tissø, Lejre and Toftegård on Zealand, Stavnsager in northern Jutland, Järrestad in Scania, Borg in Östergötland, Lunda in Sörmland, and Slöinge in Halland (Jørgensen 2009; Jørgensen 2014).1 Although these sites have much in common – rich finds, large halls and presumed cult-houses – there are also many variations, and it seems possible that functions that we associate with a ‘central place’ may have been distributed over different points in the landscape (Axboe 2017).

Gudme/Gudum Gudme holds a special position in the discussions of ‘central places’. Firstly, it was one of the first sites to be scanned when metal detecting started in the 1980s, because it had long been known that there had been many gold finds in the area. Besides, the detector finds were followed up by several excavations, with the result that Gudme, with around 3,000m² of excavations (over a settlement area of c. 100 hectares), is now probably the best known ‘central place’ in present-day Denmark, with workshops and

1 The literature on detector sites and central places is very large. Besides the references already given, see Gudme/Gudhem 2011; Wealth and Complexity 2014. On metal-detector finds, see e.  g. Feveile 2015b; Martens/Ravn 2016. Literature on specific sites, all with further refs.: Borg: Lundqvist et al. 1996; Lindeblad/Nielsen 1997. Gudme: Østergaard Sørensen 1994; Jørgensen 2010; L. Jørgensen 2011. Helgö: Arrhenius/O’Meadhra 2011; Lamm 2011; Lamm 2012. Järrestad: Söderberg 2003; Söderberg 2005; Jørgensen 2009, 346. Lejre: Christensen 2015. Lunda: Andersson et al. 2004; Andersson/ Skyllberg 2008. Slöinge: Lundqvist et al. 1996; Lundqvist 2003. Sorte Muld: Adamsen et al. 2009. Stavnsager: Wealth and Complexity 2014. Tissø: Jørgensen 2010. Toftegård: Jørgensen 2009, 345  f.; Tornbjerg 2011. Uppåkra: Larsson/Lenntorp 2004; Hårdh/Larsson 2013; Hårdh 2017.



Gudum Man 

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a manorial complex (L. Jørgensen 2011). To this we can add the harbour and trading area at Lundeborg (Thomsen et al. 1993), Denmark’s largest Iron Age cemetery at Møllegårdsmarken, and – last, but not least – the onomastic indications of a special sacred role for the Gudme area. The name Gudme can be interpreted as ‘home of the gods’ and Gudme itself is surrounded by Gudbjerg, Galdbjerg and Albjerg, which have been interpreted as ‘The hill of the god(s)’, ‘The hill of sacrifice’ and ‘The hill of the shrine’ respectively. All these interpretations are subject to discussion;2 nevertheless, they have contributed to the fascination of Gudme. However, Gudme is not the only ‘Home of the gods’ in Scandinavia. Eleven places in Denmark, Southern Norway and Central Sweden have a variant of this name (Fig. 1). They were analysed at an interdisciplinary workshop in Schleswig in 2010 (Gudme/Gudhem 2011), where Mogens Bo Henriksen focused on comparing the parish of Gudum near Slagelse on Zealand (first mentioned c. 1170 as ‘Guthem’) to Gudme (Henriksen 2011). The topography, climate and agricultural history of the two areas are very similar and thus cannot be the reason for the limited number of finds from Gudum, as well as for their less than extraordinary character. Therefore, at the time of writing, Henriksen found no indication that Gudum on Zealand was of any religious or political importance during the Iron Age, although he concedes that negative archaeological evidence cannot be conclusive. The present village of Gudum is located at the centre of the parish, while the small Romanesque church lies c. 1 km to the south, close to the small river Gudum Å, which forms the SW parish boundary and is adjacent to a former mill farm. This might indicate that the church was built next to a magnate’s farm, but at present there is no other evidence for this, apart perhaps from the field name ‘Borrevænge’ (‘The Stronghold Field’) west of the mill farm and church (Henriksen 2011, 120; B. Jørgensen 2011, 28  ff.). Minor excavations south of the river prompted by ploughing and construction work had revealed traces of a former settlement, and Medieval and Renaissance metal detector finds confirmed this, including a possible dispersed hoard of base-metal civil war coinages (‘borgerkrigsmønter’, 1241 to c. 1340. See Claudi-Hansen 2016; ClaudiHansen/Axboe in press). When the detectorists moved to the fields around the church north of the river, their finds increased not only in number, but also in quality (Claudi-Hansen 2016; Claudi-Hansen/Axboe in press). As at other detector sites, there were few finds from the Pre-Roman and Roman Iron Age. At the time of writing, the finds from the Migration and Vendel Period are also scarce and rather mediocre in quality  – with one exception, which will be discussed below. The Viking Age finds include indicators of trade and craft activities such as weights, silver ingots, hack silver and melted silver drops, as well as two Viking Age moulds for ornamental rivet heads and pen-

2 On the place-names in the Gudme area, see Kousgård Sørensen 1985; Hauck 1985, 170  ff.; Brink 2011; B. Jørgensen 2011, 31  ff.

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      Gudum    Gudum   Gudim      Gudhem   Gudhem                 Gudhem    Gudum  Gudum    

Gudme

   Gudum  

Gudhjem

Fig. 1: The eleven Gudhem sites (adapted from Gudme/Gudhem 2011, 3).

dants respectively. There are numerous finds of silver artefacts in the form of gilded pendants, large silver beads and chain terminals with animal heads, often of a high quality. Most notable is an imported silver-gilt Carolingian trefoil mount with acanthus ornamentation, which is only the third specimen of the type known from present-day Denmark (Claudi-Hansen/Axboe in press). Another rare find is a Byzantine silver miliaresion issued by Basil II between 976 and 989 (Horsnæs 2015). Carolingian and Anglo-Saxon coins have been found as well, some of them pierced for use as pendants, including a coin of Aethelred that has been extraordinarily reworked into a scutiform pendant (Claudi-Hansen 2016; Claudi-Hansen/Axboe in press).3

3 Thanks to Kirsten Christiansen and Lone Claudi-Hansen, Museum Vestsjælland, for sharing information on the site and the detector finds. The site is registered as 040303–21 Gudum Nord in the Danish register of sites and monuments (=SMR) ‘Fund og Fortidsminder’.



Gudum Man 

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Fig. 2: The Gudum figurine, front and back. Height 9.0 cm. Photo A. Mikkelsen, Nationalmuseet.

The figurine from Gudum One of the most spectacular finds from Gudum is the anthropoid bronze figurine or mount (Fig. 2–4).4 It is preserved as two adjoining fragments, head and torso. They were found in 2013 north of the river on separate occasions and by different finders, but thanks to meticulous GPS measuring we can tell that they lay some 25 m apart, and most likely had only recently been broken up and separated by ploughing. The total height of the figure is 9.0 cm and its largest width is 4.34 cm. The face is 3.5 cm in height and 3.6 cm across. It is modelled in high relief; the back is hollow and highly convex. The edges are the original cast, the only fracture being across the neck. The torso is hollow like the head, although less bulging than the face. Most of

4 Thanks to the detectorists Andrew Smith and Peter Henriksen, who found head and torso respectively, as well as to Tina Køster, Simon Tinko and Kenny Thygesen, who have also taken part in the detector surveys at the site, and who have kindly shared the information on their finds. The head has no. C 40223 in the inventory of the National Museum, the torso C 41526.

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Fig. 3: The head seen from different angles. Height 4.50 cm. Photo M. Petersen, Museum Vestsjælland.

the torso has original cast edges, but there is recent damage at both shoulders, which are missing, and one arm has been broken off in recent times. There are no legs, and it is doubtful whether there ever were any. At any rate, the lower end of the torso seems to be the original cast edge, not a fracture; but of course we may hope that separately cast legs may be found some day. The face is shown frontally with the hair parted in the middle and cut horizontally over the ears. The eyes are large and slightly slanting with a hollow centre. There is no indication that they have been inlaid with enamel or other materials. The nose is pronounced and the cheeks marked. The ears are irregularly oval, almost pretzel-­ shaped, and it is strange that the ear to the left (as seen by the viewer) is turned horizontally, while the one to the right – though somewhat oblique – has a more anatomically normal position. The mouth is open with the tongue protruding as if the person was shouting out or breathing forcefully, an impression which is enhanced by the chubby cheeks. Around the neck lies a heavy ring. On the torso we note the moulded arms with forearms and hands placed horizontally across the waist. The palms are pressed against the abdomen and the thumbs are turned upwards. Apart from the thumbs, all fingers are equal in length. At each wrist there is an arm ring or a very pronounced cuff. An item of clothing seems to be indicated by the curved contours on the chest, and possibly also by the vertical double rim below the hands, which may indicate trouser legs. On the other hand,



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Fig. 4: The torso seen from different angles. Height 4.83 cm. Photo M. Petersen, Museum Vestsjælland.

there is no trace of a belt or a waistband, and in view of the unmistakably female golden lady from Smørenge on Bornholm (Watt 2015a, fig. 5), one must also consider the possibility that it marks its female sex. However, as the Gudum figure shows no other female characteristics like breasts or long hair, and the part of the waist where a belt or waistband would be is covered by arms and hands, I tend to prefer the male trousers interpretation. Other possibilities are a parted coat or bands hanging from a belt (pers. comm. Ulla Mannering). If we focus on the clothing with the strangely marked sleeves with strongly curved contours, we find some convincing parallels on B-bracteates, most clearly on IK 143 Ravlunda and IK 167 Sletner, less so on IK 105 Lellinge Kohave and IK 166 Skrydstrup (Fig. 5); and at least two of these depict beyond doubt a person wearing trousers. I have consulted Ulla Mannering, who is an expert on archaeological textiles, about the

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Fig. 5: Bracteates with sleeves: IK 143 Ravlunda (diam. 2,85 cm), IK 167 Sletner, and (less pronounced) IK 105 Lellinge Kohave and IK 166 Skrydstrup. After IK.

garment with the curved contours. According to her, we seem to have a representation of set-in sleeves. There are, however, no parallels in the preserved Iron Age garments to the curved sleeve contour, and it would actually have required special effort to make it in a real garment. Thus what we see is either a special costume or a special emphasis indicating, ‘here we have a person with sleeves’. When the head was found, one spontaneous reaction to the large eyes, the open mouth with the tongue and the torus around the neck was that we were looking at a hanged person “with red protruding eye-balls and black protruding tongue”, in the



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words of Evelyn Waugh (‘The Loved One’, 1948). But the finding of the torso makes this less convincing, as the position of the arms seems inconsistent with a hanged person. Nor are there any twisted strands to be seen on the ‘rope’, so a neck ring seems a more likely interpretation. The open mouth with the tongue must have a definite iconographic meaning, and again comparing with gold bracteates, one suggestion might be the powerful magic ‘breath’ that is depicted on many of them, partly by lines from the mouth, partly by the chubby cheeks or lips pursed for blowing (Hauck, in IK vol. 1,1 75–77, 100  f.; Hauck 1978, 383  f.). The Gudum face may be an attempt to show blowing or breathing in a three-dimensional relief. Other possible examples of this are the faces on the buckles from Lütjensee in Schleswig-Holstein (Pesch 2015b), Tjurkö in Blekinge (Salin 1904, fig. 498) and other similar faces (Pesch 2015a, fig. 26–27; Pesch 2017).

Parallels to the figurine Looking for parallels to the Gudum figure, we may start with the mounts from Søholt Skov on Lolland (Fig. 6; Mackeprang 1935, 244  ff.). They were found in 1823 in a grave, allegedly fixed to a staff, which, however, crumbled to dust when found. The cylindrical mount must have been placed at the tip of the staff, and the loop has pointed tips for fastening to the wood. The face mask has similar tips on its back, and the standing figure has rivet holes in its base and the remains of an iron rivet behind the head. Both Søholt heads have the same parted hairstyle as the Gudum figure. The fulllength figure also shares the round face with pronounced eyes, nose and ears, while the mouth seems to be covered by a moustache. The man is dressed in a tunic and wears not just a neck ring, but apparently a three-ringed collar, comparable to the one on the wooden sculpture from Rude Eskildstrup (Mackeprang 1935, 248  f; Oldtidens Ansigt No. 52) and the Swedish golden collars (Pesch 2015a), thus dating the mount to the Migration period. The gold collar from Ålleberg offers some parallels to the Gudum figure (Fig. 7). Three male ‘adorant’ figures and what were originally 40 face masks all have the parted hairstyle, marked eyes and nose and open mouth of the Gudum face. The Ålleberg faces appear to be have been made using the same casting model (Pesch 2015a, 430; on the manufacture of the miniatures, comp. Pesch 2015, 167–170 and Tóth 2016). On the ‘adorants’, the double granulation lines across the neck may indicate a collar or neck ring or may simply be doubled contours, and the clothing with sleeves and trousers with crotch contours seems comparable to that of the Gudum figure, too, although the positions of arms and hands are different. The gesture of the Gudum figure is carefully rendered with vertical upper arms, horizontal forearms, hands placed with the palms resting on the abdomen and the splayed

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Fig. 6: The mounts from Søholt Skov, Lolland. Left mount height 6,2 cm. Photo R. Fortuna/K. Ursem/L. Larsen.

thumbs pointing upwards. Enlarged hands with a pronounced thumb, often sticking out from the hand, are numerous on the gold bracteates, in Style I ornament and gold foil figures, and they have been interpreted as a symbol of divine power inspired by Roman representations of the victorious emperor (IK vol. 1,1, 79  f; Hauck 1987, 173  ff.; Wamers 2003). The gold foil figures show a variety of hand gestures (Watt 2015a, b), but very few of them resemble the Gudum gesture. The gesture closest to that of the Gudum figure seems to be Watt’s gesture 31d with slightly bent arms and slanting forearms, hands placed on the abdomen and thumbs turned up, a gesture which in Early Medieval Christian iconography was used to express adoration or submission (Watt 2015b, 166  ff.). This gesture is also found on some bronze and gold figurines, including some of the Smørenge figurines (Watt 2015a, fig. 4–5) and the Lunda figurines (Andersson et al. 2004), and later in the Viking pendant from Revninge (Feveile 2015a). However, the definitely horizontal forearms – not slanting as in gesture 31d – of the Gudum figure have few parallels, the closest being figurines from Rytterbakken on Bornholm and Lindet on Lolland (Oldtidens Ansigt No. 51). Over the years, quite a few figurines and face masks have been found, most of them of bronze and a few of silver or gold (Mackeprang 1935; Thrane 1975; Oldtidens Ansigt Nos 49, 51, 60; Andersson et al. 2004; Helmbrecht 2011). They are difficult to date, as most of them are single finds, often made with metal detectors like the Gudum specimen, and even finds from excavations can only be given a rather broad dating. Faces with a rounded and often parted hairstyle as on the Golden Horns, the Søholt



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Fig. 7: Details from the Ålleberg collar. After Pesch 2015a, 429 und Taf. 15.

mounts and the Ålleberg collar are assumed to indicate a Migration Period date, and this is corroborated by luxury belt buckles combining this hairstyle with Style I ornamentation such as Finnestorp, Lütjensee (Pesch 2015b) or Lærkefryd (NM C 37126). For the Gudum figure, this fits well with the ‘bracteate sleeves’ and the neck ring. Migration Period settlement has been established in the Gudum area – in 2002 a long house from c. AD 400–600 was excavated 900 meters east of Gudum Church. The house was approximately 20 meters long, and has been dated on the basis of a small ceramic vessel placed in one of the postholes. On the same occasion, part of a stone-built prehistoric road was found just 300 meters south of the house. Apart from the figurine, the Migration Period is at present only represented in the metal detector finds by a fragment of a golden neck ring and some rather mediocre brooch fragments. Most of the finds from Gudum are later, and the high-quality jewellery in particular is mostly from the Viking period. But as the figurines from Lunda and the beaker and glass bowl from Uppåkra demonstrate, objects with a special function or importance may attain a considerable age before they are deposited (Andersson et al. 2004; Helmbrecht 2011, 159, 245  f; Larsson/Lenntorp 2004, 43).

Function What was the function of the Gudum figure? It is obvious that the figurines, masks and other human representations were designed for a variety of purposes and placed or mounted accordingly. Some were evidently designed as mounts to be fixed to some other object, like the mounts from Søholt Skov, allegedly fixed to a staff (Mackeprang 1935, 244  ff.). A head with torso found at Lundeborg (Thomsen et al. 1993, 93) has a hollow back and a large rivet hole in the abdomen and might also have been mounted

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Fig. 8: The Frøyhov baldric mount, height 7.6 cm. After Rygh 1885, No. 332.

as the top of a staff, and the same may apply to the Rytterbakken fragment with its ferrule-like torso. Some face masks have holes for rivets like those from Gudme (Oldtidens Ansigt No. 49) and Slipshavn Skov (NM C 30949). The silver mask from the area of the ‘royal hall’ at Gudme (Østergaard Sørensen 1994, fig. 15) is a special case  – it has no rivets and shows no conspicuous traces of soldering, but there is a recess in the hollow obverse, as if it were meant to hang from the head of a nail. Other heads have a short or long rivet from their base, such as a head from Gudme (Oldtidens Ansigt No. 49), a bust with a long iron rivet from Stenhøjgård at Gudme (NM C 33849) and possibly the head from Korsør Lystskov, which still has its casting gate (Helmbrecht 2011, Fig. 73a). Many figurines are solid, while others like the Bregnebjerg man (Mackeprang 1935, 237  f., Fig. 9–11) have a hollow back, perhaps to avoid casting problems. A figurine from Gudme (C 36543) has a groove in the back with extra depressions at both ends, perhaps for fastening. Another special example is the figurine from Gislev (Mackeprang 1935, 238 Fig. 13; Oldtidens Ansigt No 51), with a large hollow area in the front. Was some important material mounted there? Unlike the Gudum figurine, most figures seem to be naked, while a few wear a belt: Bregne­ bjerg, Lunda figurines A and C (Andersson 2004), the Smørenge woman, a figurine found near Odense (NM C 31113) and possibly the figurine from Køng (Mackeprang 1935, 236  f.); a neck ring: Kymbo (Zachrisson 2003), Slipshavn Skov (Oldtidens Ansigt



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Fig. 9: Reconstructions of the Frøyhov and Illerup baldrics. After Carnap-Bornheim/Ilkjær 1996.

No. 60) and Bregnebjerg; or a gold collar: Rude Eskildstrup and Søholt Skov. Most are standing, and the golden man from Slipshavn seems to have been riveted to a base, while some, like Højby (Oldtidens Ansigt No. 51) and some of the Smørenge figurines may be interpreted as sitting like the Rude Eskildstrup sculpture and a bronze figurine from Mossberga Borg on Öland (Stenberger 1933, 244  ff.). The latter seems to have held something in his hands, as do the figurines from Højby and Slipshavn Skov. Thus the figurines are not a uniform group, and they will have had different functions and possibly also different interpretations. Conservation of the Gudum figurine has revealed no traces of soldering, and it remains uncertain whether – and in that case how – it may have been mounted or fastened to something else. An irregular ridge across the neck on the reverse is no trace of soldering, but was cast together with the rest of the figurine. It is an intriguing thought that the figurine might have been conceived in the round, so that we might hope to find a rounded back part. However it is perhaps more likely that it had a back plate with rivets or holes for fastening to a staff or a shield for example. Other possibilities may be considered, however, one being that the figure was mounted on a baldric (a belt used to carry a sword, worn over the shoulder and across the body) like the figurine found in a cremation with weapons at Frøyhov in Norway,

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dated to Period C1a (Fig. 8–9. Rygh 1885, No. 332; v. Carnap/Ilkjær 1996, 317  f.). The figure is 7.6 cm in height and 3.6 cm across, and like the Gudum figurine is modelled in high relief with a hollow back. In this case there are remains of iron fittings for fastening on a leather baldric. No leather was preserved, but in the Illerup bog sacrifice mounts for numerous baldrics have been found. One of the most elaborate was embellished with an 11.94 cm tall and 5.56 cm wide anthropomorphic bronze mount together with rectangular and horseman-shaped mounts (Fig. 9). The width of the baldric would have been at least 4.7 cm. The Illerup baldric is dated to Period C1b, and the same date applies to the magnificent baldric mount found in the Kirkebakkegård grave in northern Zealand (Thrane 1967; Danefæ 1980 No. 58). It is 11 cm in height, and its silver-gilt circular disc with a human face measures 7 cm across. The Gudum figurine is obviously younger than these baldric mounts, but its dimensions (9.0  × 4.3 cm) fit well within their range. However, with the relatively high relief of the face and a weight of 85–90g it would have needed proper fastening, and as no traces of this have been preserved, the question must remain open.

Who is he? In a recent paper Alexandra Pesch tentatively has identified the Gudum figure and other faces with pronounced mouth and/or cheeks as Odin/Woden, linking them with the gold bracteates, where the dominating character for other good reasons can be identified as the lord of the gods (Pesch 2017). In addition to the indications of divine breath/blowing, the special dress of the Gudum figure provides an iconographic link with the bracteates. Also the neck ring signals an august status. However, as we know too little to tell if the latter attributes can be considered to be specific to Odin/Woden or whether they just signify high status, I prefer to leave Pesch’s interpretation as a possibility worth consideration.

Gudum –a ‘Home of the gods’? Apart from the figurine and the fragment of a golden neck ring, only the Viking finds from Gudum are of some quality, while the Migration and Vendel Period items found – so far – are few in number and poor in quality. As it is now, Gudum may have been a ‘Home of the gods’, but it seems to have been one of their more humble dwellings.



Gudum Man 

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Gudum Man 

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 Morten Axboe

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List of Illustrations Fig. 1: The eleven Gudhem sites (adapted from Gudme/Gudhem 2011, 3). Fig. 2: The Gudum figurine, front and back. Height 9.0 cm. Photo A. Mikkelsen, Nationalmuseet. Fig. 3: The head seen from different angles. Height 4.50 cm. Photo M. Petersen, Museum Vestsjælland. Fig. 4: The torso seen from different angles. Height 4.83 cm. Photo M. Petersen, Museum Vestsjælland. Fig. 5: Bracteates with sleeves: IK 143 Ravlunda (diam. 2,85 cm), IK 167 Sletner, and (less pronounced) IK 105 Lellinge Kohave and IK 166 Skrydstrup. After IK. Fig. 6: The mounts from Søholt Skov, Lolland. Left mount height 6,2 cm. Photo R. Fortuna/ K. Ursem/L. Larsen. Fig. 7: Details from the Ålleberg collar. After Pesch 2015a, 429 und Taf. 15; left photo B. Armbruster. Fig. 8: The Frøyhov baldric mount, height 7.6 cm. After Rygh 1885, No. 332. Fig. 9: Reconstructions of the Frøyhov and Illerup baldrics. After Carnap-Bornheim/Ilkjær 1996.

Charlotte Behr

Orsett-D – ein neuer Brakteatenfund aus Essex Abstract: In 2015, a gold bracteate from the 6th century was discovered in Orsett, Essex by metaldetector. Orsett is situated on a gravel terrace above the northern bank of the Thames valley near the estuary. A noticeably large number of early AngloSaxon settlement finds are known from Orsett itself and its neighbourhood. Whilst most of them have only been researched very partially, the settlement of Mucking and its two adjacent cemeteries have been excavated thoroughly and meanwhile also published in great detail. The settlement area can be interpreted as a central place in the 5th to 7th centuries with regional and supraregional trading links. The find of a bracteate probably signifies that in this core area of the later kingdom of Essex the local elite in the 6th century was in contact with other elite groups in the wider North Sea area exchanging religious ideas as they were expressed through the iconography of the bracteates. Mit über 1000 völkerwanderungszeitlichen Goldbrakteaten, die bisher entdeckt wur­­den und zu deren intensiven Erforschung Wilhelm Heizmann über Jahrzehnte wesentlich beigetragen hat, sind bestimmte Muster ihrer Verbreitung, Ikonographien, Inschriften, Herstellung und Fundkontexte seit langem untersucht und bekannt. Auch wenn jeder archäologische Fund neu und anders ist und so, wie er vorliegt, das Ergebnis vieler individueller Entscheidungen in der Vergangenheit zeigt, so weisen doch immer wieder ähnliche Funde und Fundumstände darauf hin, dass diese auf vergleichbare Verhaltensmuster und Vorstellungen zurückgeführt werden können. Dabei entspricht heute jeder Neufund mehr oder weniger den Erwartungen und kann dazu dienen, erforschte Muster zu bestätigen, möglicherweise zu verfeinern und zu ergänzen, oder aber er wirft neue Fragen auf und erfordert neue, revidierte Erklärungsmodelle für seine Interpretation. Der Brakteatenneufund des Jahres 2015 aus dem ostenglischen Orsett (Abb.  1 und 2), der im fortlaufenden Ikonographischen Katalog der Goldbrakteaten die Nummer  659 trägt, entspricht in Ikonographie, technischen Details und Fundort bekannten Schemata.1 Sein Fundort erweitert jedoch das bekannte Verbreitungsgebiet von Brakteatenfunden im frühen angelsächsischen England, denn es ist erst der zweite Goldbrakteat aus der Grafschaft Essex nach dem 1976 entdeckten Einzelfund aus Jaywick Sands, dessen Typ ungeklärt ist (IK 285).2 Möglicherweise stammt auch das

1 Im folgenden als IK abgekürzt. 2 Die Ikonographie der Brakteaten war in einem hohen Maß standardisiert, so dass bereits 1869 der schwedische Archäologe Oscar Montelius die heute noch gültige Klassifikation von Brakteaten’typen’

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 Charlotte Behr

Abb. 1: Vorder- und Rückseite des Goldbrakteaten aus Orsett, Essex (IK 659), Dm  24,1 mm. © The Trustees of The British Museum.

2005 gefundenen D-Brakteatenmodel (IK 609) aus Essex, dessen Fundort als Metalldetektorfund jedoch geheimgehalten wird und das nur als ‘Essex/Hertfordshireshire border’ bekannt ist.3 Doch trägt der Fund aus Orsett darüber hinaus auch ein weiteres Indiz für die Annahme bei, dass in diesem Gebiet Mitglieder einer frühen lokalen Elite tätig waren. Mit seinen Fundumständen fügt er zudem neue Details zur Interpretation der Verwendung von Brakteaten im angelsächsischen England bei. Der Anhänger wurde am 27.  Mai 2015 mit einem Metalldetektor in einem Feld ohne weitere Beifunde entdeckt.4 Er ist fast vollständig erhalten, nur einige Teile des gebördelten Golddrahtes, mit dem die Goldscheibe ursprünglich umgeben war und der nun zum Teil lose ist, fehlen. Der Golddraht hat deutliche Abnutzungsspuren, wie auch die Öse, die aus sechs Wulsten bestand. Sie war auf beiden Seiten auf der Scheibe aufgelötet und verdeckte dabei den oberen Teil des Tierkopfes. Golddraht und Öse gleichen in Machart und Fixierung den kentischen Goldbrakteaten. Der Anhänger ist an zwei Stellen stark verbogen, so dass die Darstellung teilweise verborgen ist. Die Verformungen wirken so, als sei der Anhänger bereits vor der Niederlegung gefaltet worden und nicht erst, als er bereits in der Erde war, etwa durch die Einwirkung von einem Pflug. Das Goldblech wurde nach seiner Entdeckung nicht wieder aufgebogen, um den Modelabdruck vollständig sichtbar zu machen, da die Knicke als Teil der ‘Biographie’ des Objektes interpretiert werden und deswegen erhalten bleiben sollen. Jedoch ist auf der Rückseite ein deutlicher Abdruck, der für die Rekonstruktionszeichnung hilfreich war.5

definierte und sie mit A bis F bezeichnete. Das Motiv der A-Brakteaten ist ein anthropomorphes Haupt im Profil, B-Brakteaten sind gekennzeichnet von einer oder mehrerer anthropomorphen Figuren, C-Brakteaten zeigen ein anthropomorphes Haupt über einem Vierbeiner und F-Brakteaten nur einen Vierbeiner. Zu diesen Darstellungen können begleitende Tiere, abstrakte Zeichen und Inschriften hinzugefügt sein. D-Brakteaten sind charakterisiert von einem oder mehreren in sich oder ineinander verschlungener Tiere. (Munksgaard 1978, 338). Es gibt nur sehr wenige Brakteaten, die keinem dieser Typen zugeordnet werden können. 3 Behr 2010, 48–49. 4 Portable Antiquities Scheme ESS-4FF212: https://finds.org.uk/database/artefacts/record/id/730248 Treasure 2015T471. 5 Der Brakteat wurde, nachdem er als Schatzfund registriert und evaluiert worden ist, mittlerweile an den Finder zurückgegeben und nicht von einer der öffentlichen archäologischen Sammlungen erworben. Es ist also fraglich, ob er für weitere archäologische Forschungen in der Zukunft zur Verfügung stehen wird. Ein Photo des nun aufgebogenen Anhängers findet sich in Essex Detector Society (find of



Orsett-D – ein neuer Brakteatenfund aus Essex 

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Abb. 2: Rekonstruktionszeichnung des Orsett-Brakteaten von Jane Sandoe.

Der Durchmesser ist 24,1 mm und das Gewicht, noch im ungereinigten Zustand, 2,35 g. Der Goldgehalt beträgt an der Oberfläche 88–89%, außerdem 10–11% Silber mit einem geringen Anteil Kupfer und entspricht damit den durchschnittlichen Goldund Silberanteilen der D-Brakteatenfunde aus Kent.6 Auch ikonographisch ist Orsett-D ein enger Verwandter mehrerer Funde aus Kent und kann in Analogie zu ihnen ins frühe 6.  Jahrhundert datiert werden. Das Motiv zeigt ein in seine Gliedmaßen verschlungenes Brakteatentier, wie es typisch für D-Brakteaten aus der Formularfamile D10 ist, die in Kent, aber auch Nordfrankreich, Jütland und Schonen gefunden wurden.7 Der Kopf, dessen scherenförmiger Schnabel losgelöst ist, ist nach links gewandt. Im Schnabel befindet sich ein Detail, das, vergleichbar mit sehr ähnlichen Bildelementen auf den formularverwandten kentischen Brakteaten IK 495 aus Sarre und eventuell auch IK 456 aus King’s Field (Abb. 3), hier ist die Darstellung um 180° gedreht, wohl ein menschliches Bein mit Fuß darstellt. Dieses Detail ist auch auf dem jütländischen Brakteaten aus Snorup (IK 521) dargestellt. Auf diesem Brakteaten sind auch die kleinen Zacken, die den Kopf rahmen, abgebildet, die sich auf Orsett-D und den kentischen Anhängern aus Sarre, IK 495 und

the month, May) http://www.essexdetectorsociety.org/page15.htm. Morten Axboe, Kopenhagen, sei auch an dieser Stelle für seinen Hinweis gedankt. 6 La Niece 2015; s. zum Vergleich Chadwick Hawkes/Pollard 1981, 351–362 und Behr 2010, passim. Goldbrakteaten aus anderen Gegenden Englands haben tendenziell geringere Goldanteile. 7 Pesch 2007, 286–290.

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 Charlotte Behr

Abb. 3: Goldbrakteat aus King’s Field, Kent (IK 456), Dm 27,8 mm. © The Trustees of The British Museum.

494 und Bifrons, IK 411, wie auch auf IK 440 aus Hérouvillette, Normandie, wiederfinden. Ein Teil des hinteren Beins ist nur sehr schlecht zu erkennen und mit Hilfe des Abdruck auf der Rückseite und in Analogie zu anderen Darstellungen der Verwandten aus der Formularfamilie auf der Zeichnung mit einem Fuß rekonstruiert. Die engen ikonographischen und technischen Parallelen mit den kentischen Funden lassen vermuten, dass Orsett-D aus demselben Werkstattkontext stammt.8 Der Fundort in Essex entspricht insofern den meisten anderen englischen Brakteatenfundorten, als sie entweder nahe der Ostküste oder in der Nähe eines Flusses, der an der Ostküste ins Meer mündet, gefunden wurden. Der D-Brakteat wurde etwa 5 km vom nördlichen Themseufer entfernt entdeckt. Orsett gehört zur Verwaltungseinheit Thurrock, die direkt östlich an Greater London anschliesst. Der Ort Orsett liegt auf einer Kiesterrasse oberhalb des Themsetales, worauf wohl auch der Ortsname, der seit dem 10. Jahrhundert belegt ist, hinweist: aengl.‘ora’ bedeutet in etwa Böschung, Uferwall und aengl. ‘sea∂’ Grube, Wasserloch und könnte auf die umliegende Marsch anspielen.9 Schon in römischer, möglicherweise vorrömischer Zeit führte ein wichtiger Nord-Süd verlaufender Verbindungsweg an Orsett vorbei nach Chelmsford, der von Higham in Kent kommend vermutlich an einer Stelle bei East Tilbury die Themse überquerte, wo sie sich verengt.10 Aus dem Feld, in dem der Brakteat entdeckt wurde, sind bisher ausser einer silbernen verzierten Riemenzunge aus dem 9. Jahrhundert keine weiteren angelsächsischen Funde bekannt geworden.11 Doch gibt es in Orsett bereits andere Fundstellen mit angelsächsischen Siedlungsspuren, die in mehreren archäologischen Ausgrabungen untersucht worden sind.12 Bei Orsett Cock, benannt nach dem lokalen Pub, knapp 2 km östlich des Brakteatenfundorts wurden bei Grabungen 1976 ausser eisenzeitlichen und römischen Siedlungsfunden auch fünf Grubenhäuser, eine kleine

8 Pesch 2007, 36. 9 Reaney 1935, 165. 10 Thornhill 1976, 123; Hirst/Clark 2009, 442–444. 11 Portable Antiquities Scheme ESS-71CA07 https://finds.org.uk/database/artefacts/record/id/607060 12 Carter 1998, 1–10.



Orsett-D – ein neuer Brakteatenfund aus Essex 

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Grube und eine Rinne ausgegraben, in denen Keramik gefunden wurde, die ins 5. und 6. Jahrhundert datiert werden kann und enge Parallelen mit Keramikfunden aus dem nahegelegenen Mucking aufweisen.13 1983 wurden im östlich direkt daran anschliessendem Areal, das nach Barrington’s Farm benannt ist, noch drei weitere Grubenhäuser, zwei Pfostenlöcher und ein Graben gefunden, wiederum mit angelsächsischer Keramik, außerdem einigen wenigen Eisenfunden, darunter einer Klinge mit Tülle, Schlacke, einem Fragment einer Webgewichts, sowie einer Spindel.14 Obwohl die Befunde sehr fragmentarisch sind, schloss Tyler, dass sie Teil einer beachtlichen Siedlung gewesen waren.15 Wenige Hundert Meter südlich dieser Siedlungsspuren wurden 1975 bei Ausgrabungen einer neolithischen Anlage auch zwei angelsächsische Ringgraben-Gräber untersucht, die ins 7. oder 8.  Jahrhundert datiert werden können.16 In einem der Gräber wurde eine Tasche oder ein Bündel mit einer außergewöhnlichen Ansammlung von verschiedenen Metallgegenständen und einer Schieferperle gefunden, die am ehesten als ungewöhnliche Amulettsammlung interpretiert werden kann.17 Die Entdeckungen von Orsett sind keine vereinzelten angelsächsischen Funde, sondern gehören zu einer Häufung von Fundstellen in Thurrock, die auf relativ dichte Besiedlung in den ersten nachrömischen Jahrhunderten, die generell von wenigen und oft schwer datierbaren archäologischen Funden charakterisiert sind, hinweisen.18 Aus einem Umkreis von etwa 5 km sind angelsächsische Funde aus North Stifford, Chadwell St Mary, West Tilbury, Linford and Mucking bekannt. Zu dem Fundplatz Ardale School in North Stifford, knapp 5  km westlich von Orsett gelegen, gehören neben einem Pfostengebäude und fünf Grubenhäusern eine Brand- und neun Erdbestattungen. Mit Hilfe der Grabbeigaben und Scherben, die für die frühmittelalterliche Keramik typische Magerung mit Gras aufweisen, lassen sich die Siedlungsspuren ins 6. und 7. Jahrhundert datieren.19 Keramikscherben datieren auch das Pfostengebäude im nahe gelegenen Stifford Clays in diese Zeitperiode.20 Gut 2 km südlich von Orsett wurden in Chadwell St Mary mehrere Fragmente verzierter Urnen, ein Grubenhaus sowie einige Gruben und Pfostenlöcher gefunden.21 Aus der benachbarten Fundstelle Gun Hill in West Tilbury stammt ein Grubenhaus, das mit

13 Carter 1998, 70–73, 102–06; Baker 2006, 113. 14 Milton 1987. 15 Tyler 1996, 108. 16 Hedges/Buckley 1985, 5. 17 Webster 1985. 18 Baker 2006, 131. 19 Wilkinson 1988, 42–57; Hamerow 1993, 95; Mirrington 2013, 239 betonte die besonders starke und frühe Konzentration dieser Keramikware in den Siedlungen im Raum Thurrock. 20 Wilkinson 1988, 23–24; Hamerow 1993, 95. 21 Hirst/Clark 2009, 448.

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Hilfe von Scherben ins 6. Jahrhundert oder etwas später datiert werden kann. Weitere Grubenhäuser zeichnen sich durch Bewuchsspuren ab.22 Tilbury wurde bereits von Beda in seiner Historia Ecclesiastica erwähnt, denn hier errichtet Bischof Cedd, während er die Ostsachsen unter König Sigeberht um die Mitte des 7. Jahrhunderts missionierte, ein Kloster ‘quae Tilaburg cognominatur… in ripa Tamensis’ (HE III 22). Die genaue Lage des Klosters, ob in East oder West Tilbury, konnte bisher nicht nachgewiesen werden.23 Auch wenn Beda nur die Klostergründung ohne weitere Details erwähnt, so ist doch anzunehmen, dass sie, in Analogie mit anderen Klostergründungen während der Missionsperiode, auf königlichem Land stattfand.24 Eventuell gehörte das Land in Tilbury bereits im frühen 6. Jahrhundert, lange bevor ostsächsische Könige überliefert sind, Angehörigen der Oberschicht.25 Die bei weitem bedeutendste der angelsächsischen Siedlungen um Orsett ist Mucking. Sie lag knapp 2 km östlich von Orsett Cock auch auf einer Kiesterrasse über dem Flußbett der Themse. Vom Meer kommend ist es die erste, etwa 30 Meter hohe Erhebung am nördlichen Ufer der Themsemündung und damit von herausragender strategischer Bedeutung.26 Bei den Ausgrabungen, die 13  Jahre, von 1965 bis 1978, dauerten, wurde das Areal intensiv archäologisch untersucht, bevor es durch den fortschreitenden Kiesabbau zerstört wurde.27 Während dieser Grabungen wurden zahlreiche Hinweise auf Siedlungsphasen seit dem Neolithikum entdeckt.28 Reiche Funde der provinzialrömischen Siedlung mit vier zeitgleichen Friedhöfen konnten ins 1. und 2. Jahrhundert datiert werden, ab der Mitte des 3. Jahrhunderts werden die Funde jedoch sehr spärlich.  Kontinuität mit der angelsächsischen Siedlung konnte nicht festgestellt werden.29 Die frühesten Indizien für angelsächsische Besiedlung haben Hirst und Clark mit Hilfe einiger sehr früher Gräber und Lucy auf Grund sehr spät datierter römischer Keramik, die in einigen frühen angelsächsischen Grubenhäusern zum Vorschein kam, ins zweite Viertel des 5. Jahrhunderts datiert.30 Diese Siedlungsphase war wahrscheinlich zeitgleich mit der direkt westlich, jenseits eines Weges gelegenen Siedlung in Linford, von der fünf Grubenhäuser, ein Pfostengebäude und die Gräben einer Einfriedung bekannt sind.31 Es sind damit die frühesten angelsächsischen Siedlungen,

22 Hamerow 1993, 95. 23 Mirrington 2013, 355. 24 Higham/Ryan 2013, 158–159. 25 Der älteste namentlich bekannte Ahn des ostsächsischen Königshauses war Sledd, der vermutlich im späten 6. Jahrhundert lebte. (Yorke 1990, 46). 26 Hamerow 1993, 2–4; Hirst/Clark 2009, 444. 27 Hamerow 1993, 1. 28 Evans/Appleby et al 2016. 29 Lucy/Evans et al 2016. 30 Hirst/Clark 2009, 683–4; Lucy 2016. 31 Barton 1962.



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die bisher untersucht werden konnten. Die jüngsten angelsächsischen Funde aus Mucking stammten aus dem späten 7.  Jahrhundert, die Siedlung wurde wohl Ende des 7. oder Anfang des 8. Jahrhunderts aufgegeben und das Areal anschliessend landwirtschaftlich genutzt.32 Aus diesen drei Jahrhunderten konnten mindestens 23 Pfostengebäude, 203 Grubenhäuser und 27 Gruben identifiziert werden. Außerdem konnten zwei Friedhöfe untersucht werden, wobei Friedhof 1 mit 51 bis 63 Erdbestattungen nur unvollständig ergraben werden konnte, dagegen wurde Friedhof 2 mit 468 Brand- und 336 Erdbestattungen vollständig erfasst. Die Grabfunde der beiden Friedhöfe mit einigen reich ausgestatteten Gräbern, jedoch ohne Goldfunde, zeigen eine sozial deutlich gegliederte Gesellschaft. Dieser Befund spiegelte sich in den Siedlungsfunden jedoch nicht wider.33 Während die Entwicklung der Siedlung und die Beziehung zwischen der Siedlung und den Friedhöfen noch kontrovers diskutiert werden, so kann man doch ein gutes Bild von den wirtschaftlichen Aktivitäten der Bewohner gewinnen.34 Abgesehen von Hinweisen auf landwirtschaftliche Tätigkeiten, fanden sich zahlreiche archäologische Belege für verschiedene Handwerke. Dazu gehören Werkzeuge für Holzverarbeitung, für die Bearbeitung von Knochen, wie auch für Schmiedearbeiten, wobei der Fund einer Fibelgussform zeigt, dass nicht nur Eisen verarbeitet wurde, sondern auch Buntmetalle. Lederverarbeitung und Textilarbeiten spielten ebenfalls eine wichtige Rolle.35 Zahlreiche Grabbeigaben und Siedlungsfunde, wie etwa römische Glas -und Bronzegefäße, Keramik aus Nordfrankreich, Elfenbein oder Almadine bezeugen, dass die Bewohner von Mucking Zugang zu regionalen und überregionalen Austausch- und Handelsnetzen hatten. Dabei zeigen sich besonders bei der Keramik der frühen Phase im 5. und 6. Jahrhundert enge Verbindungen nach Kent, in den ElbeWeser-Raum, nach Nordfrankreich und der Provinz Drenthe in den Niederlanden.36 Powlesland erwog bereits 1997, dass die Siedlung Mucking wegen ihrer ­relativen Größe und großen Zahl importierter Gegenstände die Funktion eines ­Zentralortes ausgedehnter landwirtschaftlicher Grundbesitztümer innegehabt habe.37 Die landwirtschaftliche Produktion lieferte wohl genug Überschuss um die Importe zu ermöglichen. Während die archäologischen Funde, die strategische und verkehrsgünstige Lage und die dichte Besiedlung es wahrscheinlich machen, dass Mitglieder einer lokalen Elite in Orsett, Mucking und Umgebung tätig waren, so ist es doch nicht möglich, das Ausmaß der Einflusszone und die Organisation dieses möglichen Zentral­ortes näher zu bestimmen.

32 Hirst/Clark 2009, 445. 33 Hirst/Clark 2009, 761. 34 Hirst/Clark 2009, 764–766. 35 Hirst/Clark 2009, 764–766. 36 Hamerow 1993, 314. 37 Powlesland 1997, 134.

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Die Umstände, unter denen Mucking und Umgebung im frühen 5.  Jahrhundert wieder besiedelt wurden und die Herkunft der neuen Bewohner und ihrer Anführer werden kontrovers diskutiert. Die archäologischen Funde zeichnen sich durch spätrömische, kontinental-germanische und neue, weder im provinzialrömischen noch in germanischen Kontexten beobachtete Merkmale aus. So ist etwa das zeitliche und räumliche Nebeneinander von Brandbestattungen, wie sie in kontinental-germanischen Gebieten und Erdbestattungen, die typisch waren für die spätrömischen Friedhöfe, ungewöhnlich. Auch die Grabbeigaben, um nur einerseits die Gürtelbeschläge zu nennen, die als Zeichen römischer militärischer oder ziviler Autorität verstanden werden und andererseits die Fibeln, die germanische Formen haben, demonstrieren anschaulich die Komplexität der Bevölkerungsentwicklung. Die archäologischen Beobachtungen sind mit unterschiedlichen Szenarien erklärt worden. Vertreter der spätrömischen Provinzialverwaltung oder einzelner civitates könnten Söldner aus dem Weser-Elbe-Raum angeworben haben, nachdem die römische Armee abgezogen worden war und keinen Schutz gegen Feinde und Piraten mehr bot, und diese am Themseufer angesiedelt haben. Es könnten jedoch auch neue Männer aus der Provinz das Machtvakuum nach dem Ende der römischen Herrschaft als Chance genutzt haben, Gefolgsleute anzuwerben, Land zu besetzen und Herrschaft auszuüben. Alternativ könnte es auch möglich gewesen sein, dass Angreifer oder Einwanderer aus dem germanischen Raum die Möglichkeit sahen, Land zu nehmen, sich unter ihrem Anführer zu etablieren und römische Objekte und Sitten anzunehmen, etwa um ihre Legitimation zum Ausdruck zu bringen.38 Der Zusammenbruch der provinzialrömischen Verwaltung mit dem Verfall der dazu nötigen Infrastruktur macht es wahrscheinlich, dass die politische Organisation im 5. und 6. Jahrhundert auf lokale und personenbezogene Strukturen konzentriert war.39 Der Brakteat aus dem frühen 6. Jahrhundert ist ein in Thurrock sehr seltener Goldfund und gehörte am ehesten wohl zu einem Mitglied dieser neuen nachrömischen Elite, das mit diesem Anhänger und seiner spezifischen Ikonographie Zugehörigkeit zu der religiösen Gedankenwelt der Brakteaten zum Ausdruck brachte. Ikonographie und technische Details bestätigen die schon lange beobachteten engen Verbindungen der materiellen Kultur dieser süd-östlichen Region Essex mit derjenigen Kents.40 Doch im Gegensatz zu den Brakteatenfunden aus Kent, die stets in reich ausgestatteten Frauengräbern als Teil der Halskette oder des Brustschmucks entdeckt worden waren, ist Orsett-D ein Einzelfund.41 Aussagen über Fundumstände eines Metalldetektorfundes sind immer bis zu einem gewissen Grad mit Unsicherheit behaftet, doch deutet das Fehlen jeglicher Funde in der direkten Umgebung der Fundstelle, die auf einen

38 Zusammenfassend Hirst/Clark 2009, 766–770; Lucy 2016. 39 Scull 1992, 14; Nicolay 2014, 350. 40 Hamerow 1993, 61–63, 95–96. 41 Chadwick Hawkes/Pollard 1981, 331–337.



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aufgepflügten Friedhof hinweisen könnten, daraufhin, dass es sich um eine ri­tuelle Zerstörung und Niederlegung des Anhängers gehandelt haben könnte, vergleichbar etwa den Funden aus Undley in Suffolk (IK 374), Binham in Norfolk (IK 630,2) oder Bridlington Area in Humberside (IK 607), die auch verbogen oder gefaltet als Einzeloder Hortfunde entdeckt worden waren.42 Das jedoch würde bedeuten, dass dem Anhänger, der vermutlich aus einem kentischen Werkstattkontext stammte, in Essex eine unterschiedliche rituelle Funktion und Bedeutung gegeben wurde. Abgesehen von ihrer schmückenden Rolle hatten Ikonographie und Material der goldenen Anhänger vermutlich noch weitere Konnotationen. Dazu gehörten ihre Rolle als Amulette, ihre Sichtbarmachung religiöser Ideen und Mythen, ihre stilistischen Verbindungen nach Skandinavien oder auch ihre formellen Beziehungen zu römischen Vorbildern. Orsett-D ist kein Zeugnis für skandinavische Einwanderer, sondern ein Indiz dafür, dass die herrschende Gruppe im Raum Orsett/Mucking nicht nur Teil eines regionalen und überregionalen Handelsnetzwerkes war, sondern auch teilhatte an der Gedankenwelt der Brakteaten, wie sie im Medium ihrer Bilder mit Angehörigen anderer Eliten im Nordseeraum ausgetauscht wurden.43 Die Assoziation von Brakteaten mit Zentralorten und der Anwesenheit von Mitgliedern der gesellschaftlichen und politischen Elite ist in Skandinavien, Norddeutschland und der niederländischen Küste seit langem beobachtet worden.44 Auch im angelsächsischen England lassen sich Verbindungen zwischen Brakteatenfunden und Orten, die mit lokalen Eliten, später auch Königen in Verbindung standen, diskutieren. Zu den Beispielen aus dem östlichen Kent in Eastry und Lyminge, aus Suffolk in Lakenheath und Rendlesham und aus Norfolk in Binham kann man wohl nun auch Orsett/Mucking im süd-östlichen Essex zählen.45

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42 Behr 2010, 78. 43 Behr 2000; Kruse 2007, 328–329. 44 Pesch 2011. 45 Behr/Pestell 2014, 67–71; Scull/Minter/Plouviez 2016.

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Leszek Gardeła, Bonn

Amazons of the North? Armed Females in Viking Archaeology and Medieval Literature Abstract: In today’s scholarship, Viking Age women are no longer seen as passive members of the household, and their diverse roles as craftsworkers, travellers or rulers are widely acknowledged. Moreover, in a number of recently published studies it has been suggested that some women may have engaged in military activities on a more regular basis and that the descriptions of female warriors in extant Latin and Old Norse textual sources could indeed contain a grain of truth. This paper contributes to current debates on the notion of warrior women in the Viking world by critically examining and interweaving three different strands of source material – female graves with weapons, iconographical representations of women bearing arms, and textual descriptions of human and supernatural females taking part in military activities. Recent years have witnessed a remarkable growth of academic and popular interest in the notion of armed females in the Viking world. According to some scholars, the possibility that warrior women existed in real life, beyond the pages of medieval manuscripts, is suggested by a range of new discoveries and reinterpretations of archaeological finds from Scandinavia, Iceland, and England. In popular culture the idea that women may have actively engaged in military activities is also implied in the blockbuster TV series Vikings which features several such characters, for example the beautiful and courageous Lagertha and a young girl named Ϸórunn who desperately wants to follow in her footsteps. The present paper provides a summary of recent academic views on warrior women in the Viking world and offers a critical assessment of three different categories of material which can be used in the ongoing discussions: funerary evidence, iconography and textual sources. The study builds upon a number of my earlier articles in which I have discussed the problem of Scandinavian female graves with weapons1 and the portrayals of armed females in Viking Age metalwork and iconography.2 In this work, some of my previous ideas with regard to archaeological materials will be expanded, and much more attention will be devoted to textual sources.

1 Gardeła 2013. 2 Gardeła 2017a; Gardeła 2017b; Gardeła 2017c.

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 Leszek Gardeła

Warrior women in the Viking world: A brief history of research Although for a fairly long time the roles of Viking Age women were marginalised in Scandinavian and international scholarship,3 significant changes in that regard began to occur in the early 1980s as a result of new theoretical trends in the humanities.4 Inspirations for these revisionist approaches to the Middle Ages were usually drawn from the broad remit of feminist and gender studies as well as from micro-historical approaches to the past. In effect of these developments, from the 1990s onwards Norse women have no longer been seen in Viking studies as playing passive and marginal roles on the pages of history, but rather as very active and important actors in the social arena. Academic works released over the last thirty years have explored different facets of lives of Viking Age women and there have been many discussions on their diverse roles as rulers,5 travellers, traders,6 craftsworkers (especially in relation to the production of textiles),7 poets,8 healers9 or ritual specialists.10 Although in some publications one could occasionally encounter passages about women who actively engaged in military activities or wielded weapons, this notion has only recently received increased scholarly attention from philologists, archaeologists, cultural historians, and historians of religion.11 Below is an overview of some of the major works from this rapidly developing strand of research. Judith Jesch is among the first scholars12 who have discussed the notion of warrior women in medieval texts and her seminal work Women in the Viking Age contains a

3 See a new collection of papers on women in the Viking Age (with occasional references to warrior women) edited by Nancy Coleman and Nanna Løkka 2014 with useful overviews of the current state of research and extensive bibliographies. 4 Dommasnes 1978; Dommasnes 1982; Andersen/Dommasnes/Stefánsson/Øye 1985. See Løkka 2014 for a good and critical discussion of past studies. 5 Kalinke 1986; Ármann Jakobsson 2001. 6 Stalsberg 1991. 7 Damsholt 1984; Ewing 2006; Norrman 2008; Gardeła 2009a. 8 Straubhaar 2002; Straubhaar 2011. 9 Hallgerðúr Gísladóttir 1985. 10 Academic literature on female ritual specialists is vast. For most recent overviews, with extensive references to earlier works, see Price 2002; Dillmann 2006; Tolley 2009; Gardeła 2012; Gardeła 2016a. 11 See, for example, Clover 1986; Kalinke 1986; Jesch 1991; Jochens 1996; Ármann Jakobsson 2001; Præstgaard Andersen 2002; Price 2002; Price 2013a; Price 2013b; Price 2015; Ney 2004; McLeod 2011; Jóhanna Katrín Friðriksdóttir 2012; Jóhanna Katrín Friðriksdóttir 2013; Gardeła 2013; Gardeła 2016a; Gardeła 2016b; Gardeła 2017a; Gardeła 2017b; Gardeła 2017c; Gardeła 2017d. 12 But see the earlier work of Præstgaard Andersen 1982 that discussed the motif of warrior women in various Latin and Old Norse textual sources. This book, however, should be regarded as a popular rather than academic publication.



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whole chapter devoted to relevant passages from Latin and Old Norse sources that feature such characters.13 Jesch’s analysis begins with the famous quote from Saxo Grammaticus’ Gesta Danorum regarding warrior women in Denmark who preferred ‘conflicts instead of kisses, tasted blood not lips’ and ‘sought the clash of arms rather than the arm’s embrace’.14 She argues that while writing about warrior women Saxo, as a learned man, may have been inspired by classical accounts and portrayals of Amazons.15 Indeed, the motif of armed females is not solely restricted to Viking and medieval Scandinavia and descriptions or iconographic representations of women engaging in warlike activities are known from a broad range of cultural milieus worldwide16 – an intellectual such as Saxo could have been aware of some of them. The classical accounts of Amazons may have inspired some of the later saga writers as well, but it is nevertheless possible that the motif of armed females in Old Norse literature developed independently. Leaving these source-critical issues aside, it is important to add here that Jesch’s work, although mainly written from a philological perspective, contains some interesting remarks about archaeological finds of Viking Age female graves that contained weapons (e.  g. the Gerdrup grave). Such an interdisciplinary approach was a novelty in the early 1990s when Jesch’s study was published. Another significant contribution to the topic of armed females is the work of Jenny Jochens entitled Old Norse Images of Women.17 Her discussion is considerably longer, more detailed and slightly more nuanced than that offered by Jesch, but the focus mainly concentrates on portrayals of warrior women in Old Norse sources  – these include various mythological texts (mainly Eddic poetry), legendary sagas (fornaldarsǫgur), chivalric sagas (riddarasǫgur), sagas of Icelanders (Íslendingasǫgur), and kings’ sagas (konungasǫgur). Jochens sees images of warrior women from written accounts as being distributed in ‘the three realms of the divine, the heroic, and the human’.18 Particular attention in her study is focused on the most memorable characters such as Sigrdrífa/ Brynhildr, the shield-maidens Sigrún and Sváva, Hervǫr and her grandmother, Ϸornbjǫrg, and the so-called meykonnungar or maiden kings. Interestingly, Jochens’ monograph does acknowledge some archaeological examples of female weapon graves from the Early Iron Age and mentions one Viking Age grave from Norway which contained a female buried with a horse and military equipment (probably from Nordre Kjølen, although this is not clearly specified in her text). However, apart from providing some references, she does not examine this material in any detail.19

13 Jesch 1991, 176–202. 14 Jesch 1991, 176. 15 Jesch 1991, 178. 16 On the motif of warrior women in different cultures around the world, see the important studies of Davis-Kimball 2002 and Mayor 2014. 17 Jochens 1996. 18 Jochens 1996, 88. 19 Jochens 1996, 108. See also Dieck 1975.

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Not much was said about warrior women immediately after the publication of the abovementioned monographs and further discussions of this intriguing motif gradually started to appear in the first years of the 21st century.20 In her article from 2002 entitled On Valkyries, Shield-maidens and Other Armed Women – in Old Norse Sources and Saxo Grammaticus Lise Præstgaard Andersen21 provided an overview of some of the major textual sources that feature armed female characters. It may be inferred from the tone of the article that Præstgaard Andersen seems to be rather skeptical about the existence of shield-maidens or other warrior women beyond the literary and fantastic sphere22 and she notes that such figures only appear in what she calls ‘non-realistic sources’.23 Her work, however, is strictly focused on textual materials and does not take into consideration any archaeological finds nor comparative evidence from non-Scandinavian cultural milieus. Four years after Præstgaard Andersen’s contribution, also Lydia Klos24 took up the topic of armed women in the Viking world. Her article can be regarded as the first truly interdisciplinary approach to this problem. In addition to offering a good overview of written sources (e.  g. laws, Eddic poetry, Old Norse sagas and mythological accounts but also Latin texts) it provides some important remarks on various archaeological finds from the Viking Age, including funerary evidence and iconography. Although Klos does not go into too much detail in her discussion of material finds, she rightly notes the numerous source-critical problems that the search for archaeological traces of warrior women can evoke. Among other things, she highlights the difficulties in correctly assessing the biological sex of the deceased and the fact that many graves with weapons have often been somewhat automatically ascribed to men without conducting thorough osteological analyses. By providing a handlist of a number of female graves with weapons, with anthropologically sexed skeletons, she demonstrates that in the Viking Age military equipment was not buried only with men and poses questions about the possible meanings of such practices.25 She rightly notes, however, that weapons in funerary contexts did not necessarily have to have connotations with war and that spears, for example, could have been effectively used for hunting, while axes may have been employed as tools.26 Klos’s study has certainly set the stage for further investigations of the motif of armed women in the Viking world, and it has clearly shown the necessity to approach it in a critical and interdisciplinary way.

20 See, for example, Ármann Jakobsson 2001. 21 Præstgaard Andersen 2002. 22 Præstgaard Andersen 2002, 292–293. 23 Præstgaard Andersen 2002, 292. 24 Klos 2006. But see also Klos 2007. 25 Klos 2006, 31–32. 26 Klos 2006, 32.



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Around the time when literary scholars like Lise Præstgaard Andersen and Lydia Klos released their works on armed women in the Viking Age, the same themes started to be explored more thoroughly by archaeologists, especially by Peter Vang Petersen27 and Neil Price.28 In a range of articles Petersen focuses his attention on small miniature objects depicting a scene with a standing figure and rider which he considers as representations of armed valkyries.29 To support this interpretation he refers to Old Norse sources, in particular the famous poem Darradarljóð included in Brennu-Njáls saga.30 Possible iconographic and literary portrayals of valkyries are also an important theme in Price’s in-depth analysis of the religious underpinnings of Viking Age warfare which he presented in 2002 in his groundbreaking monograph The Viking Way. Religion and War in Late Iron Age Scandinavia.31 It is worth highlighting that his study clearly demonstrates that some graves of alleged female ritual specialists from Viking Age Scandinavia contain objects that usually tend to be associated with men. The crossing of gender boundaries formed an important aspect of magic practices in the Viking Age and in this case we may see some interesting confluences between Old Norse texts and archaeological materials. In 2011 Michaela Helmbrecht published her impressive dissertation entitled Wirkmächtige Kommunikationsmedien. Menschenbilder der Vendel- und Wikingerzeit und ihre Kontexte where she discussed the complete corpus of miniatures from Viking Age contexts depicting armed female figures. Her important study, conducted with admirable source-critical attention, has led to some revisions of previous misconceptions regarding these finds and I will return to some aspects of her work further below. Significant advancements in research on warrior women in Viking Age Scandinavia started to take form after the discovery of a remarkable silver figurine at Hårby, Denmark in 2012. The object is a very realistic three-dimensional representation of a (probably) female character with long hair and a knotted ponytail, holding a sword and a round shield32. Since the moment of its discovery, the Hårby figurine has been regarded a depiction of a valkyrie but, as we shall see further below, alternative interpretations are certainly possible. In this context, it is noteworthy that increased metal detecting in England and in various parts of Scandinavia (especially Denmark) have recently brought to light several new miniatures representing female characters wielding weapons. I have discussed some of them in several publications33 and in the following sections of this article I will provide some new remarks on these intriguing objects.

27 Petersen 1992; Petersen 2005. 28 Price 2002. 29 Petersen 1992, 41–46; Petersen 2005, 76–78. 30 Poole 1991. 31 Price 2002, 331–347, 349, 384–385. 32 See, for example, Price 2013a, 116; Price 2013b, 165; Price 2015, 5–7. 33 Gardeła 2013, 301–304; Gardeła 2014; Gardeła 2017a; Gardeła 2017b.

396 

 Leszek Gardeła

As we may observe, although some initial steps have certainly been made, serious and systematic research on armed females in the Viking Age has only recently started to take form and scholars working on this topic are beginning to acknowledge the necessity to employ a very broad range of interdisciplinary methods in their analyses. The present paper will also adopt such a methodology, and it shall combine mortuary archaeology and iconographic analyses with literary and religious studies. After this brief overview of the current Stand der Forschung we may proceed to discuss archaeological materials more thoroughly. We will begin with some observations on female graves with weapons that have been found in various localities across Scandinavia, Iceland and England.

Female weapon graves in the Viking world In my earlier paper entitled ‘Warrior-women’ in Viking Age Scandinavia. A Preliminary Archaeological Study (2013) I surveyed the evidence for female graves with weapons in Viking Age Scandinavia. The basis for that study was a broad range of archaeological publications and cemetery reports from Denmark, Sweden and Norway as well as archival studies which I conducted in various museums. Because recent years have led to some ‘new’ archival discoveries and reinterpretations of earlier finds, it is now possible to add several more examples to the previously assembled corpus of graves of this type. The table below includes a list of all female weapon graves that I have been able to track down so far (Table 1), with the exclusion of several problematic examples from Gotland where arrowheads accompanied the deceased.34 Due to limitations of space, the graves are listed without providing extensive details regarding their external and internal composition (i.  e. the table does not list all grave goods and only focuses on those objects which can be regarded as weapons). The references are also limited to the necessary minimum. The asterisk (*) marks examples where the sexing of the skeleton is ambiguous or where it is unclear if the military equipment actually belongs to the grave. A full analysis of all these graves will be provided in my forthcoming monograph entitled Amazons of the North.

34 Pers. comm. Dr Matthias Toplak (August 2016). Most female weapon graves from Gotland are cremations and some of them contain two individuals (probably a female and a male) which makes it difficult to determine with which of the two deceased the weapons should be linked. Some of these graves are richly furnished with objects, including jewellery and various utensils. The weapons that these graves include are usually arrowheads (occurring singly or in pairs). Four graves of this kind have been identified at Ire, Hellvi sn (graves 196, 173A, 374 and 498). For further details see Thunmark-Nylén 2000. See also Carlsson 1999, 147.



Amazons of the North? 

 397

Tab. 1: List of female weapon graves from the Viking world. No.

Location

Grave number

Grave type

Weapon

References

FEMALE WEAPON GRAVES FROM DENMARK 1.

Bogøvej, Langeland Denmark (*)

BB

Inhumation (chamber grave)

Axe (Eastern European type, with parallels in Poland)

Grøn/Hedeager Krag/Bennike 1994, 34–35

2.

Gerdrup, Zealand, Denmark



Inhumation (double grave)

Spear

Christensen 1981

3.

TrekronerGrydehøj, Zealand, Denmark

A505

Inhumation

Spear or staff made of copperalloy with an iron tip

Ulriksen 2011

Spear

Kristján Eldjárn/ Adolf Friðriksson 2000, 94–98, 560–561

FEMALE WEAPON GRAVES FROM ICELAND 4.

Hafurbjarnarstaðir, Miðnesshrepur, Gullbringusýsla, Iceland (*)

4

Inhumation

FEMALE WEAPON GRAVES FROM NORWAY 5.

Hopperstad, Sogn og Fjordane, Norway



Cremation

Axe

Sørheim 2011

6.

Kaupang, Vestfold, Norway

Ka. 3

Cremation

Axe (Jan Pe­ter­ sen’s type H)

Stylegar 2007, 105

7.

Kaupang, Vestfold, Norway

Ka. 10

Cremation

Axe (Jan Pe­ter­ sen’s type K)

8.

Kaupang, Vestfold, Norway

Ka. 16

Cremation

Axe (Jan Pe­ter­ sen’s type H)

9.

Løve, Vestfold, Norway

?

Inhumation

Axe

Gardeła 2013, 286–287

10.

Mårem, Telemark, Norway

2

Inhumation

Axe (Jan Pe­ter­ sen’s type H)

Engh 2009; Gardeła 2013, 287–288

398 

 Leszek Gardeła

Tab. 1: (continued) No.

Location

Grave number

Grave type

Weapon

References

11.

Nordre Kjølen, Hedmark, Norway

C22541

Inhumation

Sword (Jan Pe­ter­sen’s type M), axe (Jan Petersen’s type G), arrowheads, spearhead (Jan Petersen’s type K), shield boss

Mørck 1900; Guldberg 1901; Hernæs 1984; Holck 1984

12.

Oseberg, Vestfold, Norway



Inhumation (double grave of two females)

Two axes

Christensen/ Ingstad/Myhre 1992

13.

Terum, Aurland, Norway



Cremation

Arrowheads

Dommasnes 1978, 110

14.

Vangen, Aurland, Norway



Cremation

Arrowhead

Dommasnes 1978, 111

Cremation (two individuals buried in two different graves, but originally probably burnt on one pyre)

Axe (the weapon was found embedded vertically in the ground)

Price 2002, 142–149

FEMALE WEAPON GRAVES FROM ÖLAND 15.

Klinta, Öland

59:2 and 59:3

FEMALE WEAPON GRAVES FROM SWEDEN 16.

Birka, Uppland, Sweden

Bj 581

Inhumation

Axe, sword, spear, shield

Kjellström 2012; HedenstiernaJonson 2014, 192–193

17.

Lake Dalstorp, Västergötland, Sweden

A24

Cremation

Five twisted and bent spears struck in the cremation layer

Artelius 2005

18.

Nennesmo, Finnveden, Sweden

4

Cremation

Two arrowheads

Svanberg 2003, 197

19.

Nennesmo, Finnveden, Sweden

22

Cremation

At least three arrowheads

Svanberg 2003, 199



Amazons of the North? 

 399

In addition to the examples listed above, it is worth mentioning an intriguing inhumation grave discovered at Santon Downham in Norfolk, England in 1867 which contained a pair of oval brooches and a sword.35 Although some scholars tend to refer to this grave in their discussions of possible material evidence for the existence of Viking Age warrior women, I would advise more caution in attempts at its interpretation. To my knowledge, no plans or detailed descriptions of this find have ever been made (or at least none survive), and it is possible that instead of being a single grave of a female, it was actually a double burial of a man and a woman. Alternatively, it is also possible that the sword from this grave served not as a weapon but rather as a weaving batten.36 Given the early date of its discovery and lack of reliable documentation, I think that the Santon Downham grave should be excluded from future debates on warrior women and it should not be used as an argument in attempts to confirm their existence in Viking Age England. The same problems pertain to an alleged female weapon grave from Leeming Lane near Bedale, Yorkshire which was also discovered in the 19th century and equally poorly recorded.37 In this context, however, it is worth mentioning a more recently excavated grave of a female with a child from Heath Wood near Ingleby, Derbyshire which contained a sword and a shield boss. Although the find is well documented, it also poses a number of interpretational problems, and it is uncertain with which of the two individuals the weapons should be associated.38 Due to the fact that this was a double grave, the meanings of weapons in this specific context could differ from those attributed to weapons in single female graves. In summary, we may observe a range of interesting confluences among the female graves with weapons that have been found across Scandinavia. With the exception of the recently reinterpreted grave Bj 581 from Birka, Sweden and grave C22541 from Nordre Kjølen, Norway, there appear to be no other single graves of females with swords.39 The dominant types of military equipment buried with women include axes or projectile weapons, such as spears or arrows. Due to their light weight, spears and arrows could be effectively used in combat by women with a more ‘tender frame’, but it is also possible that these items were endowed with a range of symbolic overtones and served as ritual requisites both in life and in mortuary contexts. In Norse beliefs, spears were closely associated with the god Óðinn and valkyries, and perhaps some of them were used as special kinds of magic staffs (this argument is substantiated in

35 McLeod 2011, 342, 344 with further references. 36 Jesch 1991, 21. On the problems of distinguishing swords from weaving battens in female AngloSaxon graves, see the important work of Harrington 2007. 37 McLeod 2011, 344. 38 McLeod 2011, 344–345; Raffield 2016, 316. 39 It must be noted, however, that swords do appear in a number of Viking Age double graves including male and female individuals. In such instances the weapons are conventionally, though not necessarily correctly, associated with men. Graves of this type will not be discussed in the present article.

400 

 Leszek Gardeła

the case of the spears from Gerdrup and Trekroner-Grydehøj) (Figs. 1–2).40 With regard to axes in female graves, I have argued in my earlier article41 that they could have served not only as weapons per se but also as tools employed in everyday activities. It is noteworthy that a number of these axes belong to types with relatively narrow blades (Petersen’s types H and K) and while such objects could potentially be used in battle, they are actually ideal for chopping wood or preparing food (e.  g. cutting joints of meat). In this light, it is plausible to argue that narrow-bladed axes in female graves could perhaps refer to non-military activities which the women were engaged in during their lives (e.  g. everyday chores at the household, but perhaps also craftwork etc.), but it is not unlikely that they also signalled some other meanings. In this context is noteworthy to highlight the fact that the grave BB from Bogøvej contained a very remarkable axe (Fig. 3).42 It belongs to a type uncommon in Scandinavia and characteristic for the southern Baltic, especially for the areas of today’s Masovia in Poland.43 Axes of this type could be effectively used in combat and seem to have been designed specifically for that purpose. A particularly striking aspect of grave BB from Bogøvej is that it was the only weapon grave at the site and also that it was located in an isolated place in the southern part of the cemetery. Does this mean that the person buried with this object was someone special? Did this individual engage in military activities or perhaps employ the axe for magic practices – for example as a tool for divination, as implied in a remarkable passage from Ljósvetninga saga, where a cross-dressing seeress uses an axe in a prophetic ritual (see below for further discussion)? Or does the presence of a foreign object signal that the deceased was a foreigner from faraway lands, perhaps from southern Baltic? The alleged otherness of this person could also explain conducting the funeral in an isolated place, away from other people at the Bogøvej cemetery. Some of these questions could possibly be answered through aDNA and stable isotope analyses, but until then they must remain open for discussion. While debating all of these issues it is important to emphasise that although it is a fact that women were occasionally buried with weapons in Scandinavia and elsewhere in the Viking world, it remains difficult to assess if these objects were actually employed for military purposes. And even if this was the case, there is (as yet) no possibility to prove that they were actually used by these women during their lives. The fact that ‘the dead do not bury themselves’ is a common problem in all studies of funerary materials (and in particular of weapon burials) – we can rarely know if the

40 On this idea, see Gardeła 2013, 299–300; Gardeła 2016a with further references. 41 Gardeła 2013, 298–299. 42 The biological sex of this individual is not entirely certain. While the original publication states that the deceased was a female, another anthropological analysis suggests the deceased to be a young male (Pers. comm. Otto Uldum, Langelands Museum 29.08.2016). It seems that yet another independent assessment of the skeletal material should be conducted to clarify the sex of the buried individual. 43 For parallels to the axe from Bogøvej see, for example, Nadolski 1954, 257.



Amazons of the North? 

 401

items placed in graves represent personal possessions of the deceased or whether they belonged to the mourners who participated in the funeral. Likewise, it is uncertain if the contents of graves manifest status and profession of the departed (as is assumed in many traditional archaeological studies in which graves are regarded as ‘mirrors of life’) or whether they are ‘material metaphors’ expressing memories and various symbolic concepts associated with life, death, and beliefs.44 Given these methodological and interpretative problems, it is often argued in archaeological studies today that graves actually provide more information about the people responsible for the funeral rather than about those who are buried. We must always bear this in mind while discussing female graves with weapons and avoid immediate and simplistic readings which lead to labelling them all as belonging to ‘warrior women’. In my view, the only convincing evidence that a woman buried with weapons was actually a warrior could be provided through osteological and palaeopathological analyses.45 If a woman buried with weapons had injuries inflicted in combat (e.  g. cuts from a sword or axe, wounds from spearheads or arrowheads etc.) or other evidence of engaging in military-related activities (for example rowing boats/ships or horse riding), then all this could provide very strong arguments supporting her active role as a warrior. So far, none of the Viking Age female weapon graves listed above have shown such traces, but it is noteworthy that most of them have not been analysed by osteologists with such specific questions in mind (i.  e. analyses conducted so far have mainly focused on determining the sex and age of the deceased). Therefore, at the present stage of research, the identification of these women as warriors must still remain a matter of critical debate and careful interpretation.

Miniature weapons in female graves A topic which, as of yet, has not received increased attention, is the presence of miniature weapons in female graves. Studies conducted so far have demonstrated that amulets in the form of miniature shields, when found in funerary contexts, tend to be associated with women rather than men.46 The same can be said about graves with other categories of miniature weapons or representations of anthropomorphic figures bearing arms – all these objects usually accompany women. What all this means is still unclear, but there are certainly numerous possibilities for interpretation. This

44 For valuable debates on similar methodological problems, see Williams 2006; Sayer/Williams 2009. 45 See convincing examples of graves of women with battle scars, albeit from totally different cultural milieus, in Mayor 2014. 46 Jensen 2010; Gardeła 2014, 98–100 with further references.

402 

 Leszek Gardeła

theme will not be pursued in the present paper, but I hope to examine it in further detail in the near future.47 Having now explored various types of female weapon graves in Viking Age Scandinavia, and provided some brief remarks on miniature weapons in funerary contexts, we can take a closer look at the notion of armed women in metalwork and iconography.

Armed females in Viking Age metalwork and iconography Iconographic representations of armed females can be found among two different categories of archaeological materials from the Viking Age – in metalwork and on the famous tapestry discovered in the Oseberg grave in Vestfold, Norway. The small metal objects, probably serving the role of amulets and depicting females with weapons, can be divided into two typological groups: single figures and standing figures accompanied by a horse and rider.

Single female figures with weapons Single figures depicting probable females with weapons have been found at a number of archaeological sites in the Viking world. Four examples are known from Denmark and three from England. Their full list is provided below with references to major works that discuss these artefacts in further detail (Table 2). Ascribing sex to various figural motifs from the Viking Age is often a difficult task that raises considerable source-critical and theoretical problems.48 Nevertheless, judging by the specific features of the miniatures’ costume (especially the trailing dress) and distinctive hairstyles, the armed figures are indeed very likely to represent females. They all carry shields, sometimes with decorative patterns. On the shield held by the figure from Tissø we may notice a swirling design, while a shield with a convex boss and concentric lines is carried by the figure from Galgebakken (Fig. 4). The details of the shields carried by the figures from Sankt Thøgers Church and Hedeby are unfortunately difficult to read due to heavy corrosion. The figure from Wickham Market is exceptional among the finds from this group because it holds the shield in an unusual way, beneath the arm and with the boss directed towards the body – in this way the reverse of the shield is shown, revealing some details of its construction

47 Gardeła 2017d, 175–177. 48 On these issues see, for example, Back Danielsson 2007.



Amazons of the North? 

 403

Tab. 2: List of two-dimensional single female figures with weapons. No.

Location

Material

Weapons

References

1.

Cawthorpe, England

Copper alloy

Shield, sheathed sword and spear

Leahy, Paterson 2001, 192; Hall 2007, 107; Helmbrecht 2011, 128; Gardeła 2012, 147–148.

2.

Galgebakken/ Vrejlev, Jutland, Denmark

Gilded silver

Shield and sword

Pedersen 2009, 296; Helmbrecht 2011, 127–128; Varberg 2011, 82; Williams, 2013, 79

3.

Hedeby, Germany

Copper alloy

Shield

Helmbrecht 2011, 127–128

4.

Rutland, England

Copper alloy

Shield

Portable Antiquities Scheme

5.

Sankt Thøgers Church, Jutland, Denmark

Copper alloy

Shield

Helmbrecht 2011, 127–128

6.

Tissø, Zealand, Denmark

Silver

Shield and some elongated object – perhaps a horn or staff

Jørgensen 2005, 138; Helmbrecht 2011, 127–128

7.

Wickham Market, England

Silver

Shield

Helmbrecht 2011, 128; Pedersen 2014, 248; Williams 2013, 79. See also the Portable Antiquities Scheme database

(i.  e. the handgrip by which shield would have normally been held and additional decoration in the form of swirling patterns). The figure from Cawthorpe is certainly the ‘best equipped’ of all finds discussed here since it has a spear, a sheathed sword, and a round shield. In addition to these two-dimensional figures, it is also worth recalling the aforementioned find from Hårby in Denmark in the form of a three-dimensional representation of a female carrying a sword and a shield.49 (Fig. 4) It is often regarded as portraying a valkyrie, but this is only one of many possible interpretations. As will be demonstrated below, in Old Norse written accounts valkyries are not the only female beings that are described as carrying weapons. The figure from Hårby might as well represent another supernatural being (a giantess perhaps?) or maybe even a real-life human character. In cases such as this one, where no other distinctive attributes are

49 Henriksen/Petersen 2013, 3–10; Gardeła 2013, 304; Price 2013b, 165; Price 2015, 5–7.

404 

 Leszek Gardeła

shown (for example those that could identify the figure as a god(dess) or a particular human character from Old Norse texts), we must always remain open to various interpretations and avoid impressionistic and sensationalist claims. Attempts at unravelling the meanings of armed miniatures are significantly hampered because these finds all come from settlements or as a result of amateur metal detecting. Usually very little or nothing is known about their immediate context and association with structures, buildings or other objects from a particular site. Finding them in graves could potentially reveal more about the individuals who used them, but this has not been the case so far.

Standing figure and rider with weapons Another group of Viking Age objects, which appear to represent armed females, are items frequently described as ‘valkyrie brooches’ (in German known as Walkürenfibeln, in Danish Valkyriefibulær).50 Despite this common label, it is now clear that these finds were probably not used as brooches and rather served as appliques or pendants. This is suggested by the fact that their reverse side is never equipped with a needle and catch-plate, as is common in the case of brooches, but instead has two parallel and closed loops through which a string or thread could be drawn.51 (Fig. 5) These curious items depict what has been interpreted as a ‘welcoming scene’52 with a figure clad in a trailing dress who holds a shield and faces a horse rider. Below is a list of all examples that are known to me at the moment of writing this article (August 2016). However, bearing in mind the increased metal detecting activity in Denmark and England, it is possible that more objects of this type will be discovered in the coming years. The miniatures representing a standing figure and horse rider have a very rich iconographical programme which is remarkably consistent given the fairly broad geographical distribution of these finds (the British Isles, Denmark and Poland). In most instances, the standing figure is shown on the right, and the horse and rider are on the left. The standing figure always holds a shield (with varying decorative motifs) and often appears to have a helmet. It seems to be wearing a trailing dress and sometimes holds what looks like a horn or beaker.53 The rider has long hair tied into a knot, wears baggy trousers and wields a sword. A spear is placed under the rider’s right leg,

50 Petersen 2005, 76–78; Helmbrecht 2011, 68. 51 Helmbrecht 2011, 68. 52 On the welcoming motif on other categories of Viking Age finds and in Old Norse sources, see Ney 2009. 53 Helmbrecht 2011, 70; Graham-Campbell 2013, 163.



Amazons of the North? 

 405

Tab. 3: List of miniatures with a standing figure and rider. No.

Location

Material

Weapons and attributes Standing figure

Rider

References

1.

Bylaugh, Norfolk, England

Copper alloy

Shield, helmet or hat

Spear, shield

Margeson 1997, 12; Price 2002, 337; Helmbrecht 2011, 70–71.

2.

Ellingstedt, Jutland, Denmark

Copper alloy

Shield

Corroded

Majchczack 2016, 96–97

3.

Hald Hovedgaard, Jutland, Denmark

Copper alloy

Shield

Spear, sword, shield(?)

Gardeła 2016b, 105

4.

Hedeby, Germany

Copper alloy

Shield

Corroded

5.

Hedeby, Germany

Copper alloy

Shield

Corroded

6.

Hedeby, Germany

Copper alloy

Shield

Corroded

Vierck 2002, 20, 28; Price 2002, 337; Maixner 2010, 109; Helmbrecht 2011, 68–69

7.

Odense, Funen, Germany

Copper alloy

Shield, helmet(?)

Spear, sword, shield

Gardeła 2016b, 105

8.

Peterborough, Cambridgeshire, England

Copper alloy

Shield

Spear, sword

Pestell 2013, 243; Carroll, Harrison, Williams 2014, 76.

9.

Ribe, Jutland, Denmark

Copper alloy

Shield

Spear, sword

Petersen 1992; Helmbrecht 2011, 69

10.

Sønder Tranders, Jutland, Denmark

Copper alloy

Shield, horn

Spear, sword, shield(?)

Unpublished

11.

Stentinget, Vendsyssel, Denmark

Copper alloy

Shield, helmet(?)

Spear, sword

Nilsson 1992, 7; Petersen 2005, 77

12.

Tissø, Zealand, Denmark

Silver

Shield, helmet(?)

Spear, sword, shield,

13.

Tissø, Zealand, Denmark

Copper alloy

Shield, helmet(?)

Spear, sword, shield(?)

14.

Tissø, Zealand, Denmark

Copper alloy

Broken off and missing

Spear, sword, shield(?)

Jørgensen 2005, 137–138; Petersen 2005, 76–78; Pedersen 2009, 296; Pedersen 2014, 247–248; Helmbrecht 2011, 69; Graham-Campbell 2013, 163; Price 2013a, 116; Williams 2013, 79

406 

 Leszek Gardeła

Tab. 3: (continued) No.

Location

Material

Weapons and attributes Standing figure

Rider

References

15.

Truso, Janów Pomorski, Poland

Silver

Shield, sheathed sword(?), helmet or hat

Broken off and missing

Trupinda 2004, 97; Jagodziński 2010, 106; Helmbrecht 2011, 71; Gardeła 2014, 78–81

16.

Vestervig, Jutland, Denmark

Copper alloy

Shield, horn

Spear, sword

Gardeła 2016b, 105

17.

Winterton, Lincolnshire, England

Copper alloy

Shield

Spear, sword(?), shield(?)

Pestell 2013, 243

and in some instances a shield is also shown on the back of the horse. Beneath the horse’s belly is a puzzling square-shaped motif with nine fields.54 In the commonly accepted interpretations of Viking Age iconography, knotted ponytails (as well as trailing dresses) are usually considered as indicators of females. Trousers, on the other hand, were typically worn by men. The problem with these miniatures is that they display contradictory gender characteristics of the figures they depict – the rider has female hairstyle and wears trousers, and the standing figure has a shield and wears a trailing dress (on that problem cf. also Pesch, in this volume). If the rider is indeed a female, the depiction of trousers could be explained in very practical terms – sitting on a horse in a dress would not be very comfortable if one were to engage in combat.55 The scene depicted on the miniatures is difficult to decipher, and a number of interpretations can be offered. Previous scholars have usually regarded it as representing a valkyrie welcoming a fallen warrior to Valhǫll (Eng. Valhalla).56 It appears that the tendency to regard the miniatures as depicting valkyries is predominantly

54 I have discussed the meaning of this motif in my earlier studies – see Gardeła 2014, 78–81; Gardeła 2017a; Gardeła 2017b; Gardeła 2017d, 173–174. 55 For a discussion on women wearing trousers among nomadic cultures, see Mayor 2014. We may also recall women displaying masculine characteristics who are mentioned in the sagas as riding on horseback and wearing trousers – see below for further details. For a detailed discussion on clothing in the sagas, see Sauckel 2013. 56 See, for example, Capelle 1968, 89; Zeitzen 1997; Margeson 1997, 17; Price 2002, 337; Elsner 2004, 78; Graham-Campbell 2013, 163; Carroll, Harrison, Williams 2014, 76. On Valhǫll see, for example, Ellis 1943, 66.



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based on interpretations of similar scenes on some of the Gotlandic picture stones, especially Tjängvide I and Stenkyrka Lillbjärs, where a standing female figure is facing a horse rider.57 Although there are good reasons to assume that the scenes on the picture stones might depict a valkyrie welcoming a fallen equestrian warrior to Valhǫll, such a reading does not seem to be substantiated in connection with the metal figures. The reason is that on the Gotlandic stones the rider appears to be male, but in the case of the metal miniatures there are strong indications (based on the distinctive hairstyle) that the rider could instead be female.58 If we accept that the rider shown on the miniatures is female, the valkyrie interpretation becomes problematic because women are not described in Old Norse sources as going to Valhǫll after death – this otherworldly domain was strictly reserved for men. Alternatively, the scene could be regarded as representing an armed woman entering a different otherworld. Although little is known about women’s afterlife, it seems that some of them may have joined Freyja in a special place called Fólkvangr (Grím­ nismál 14 and Gylfaginning 23).59 Despite the vagueness of extant textual sources, it is clear that this was a place where half of the slain went after death (with the other half joining Óðinn in Valhǫll). Admittedly, we do not know if among Freyja’s slain warriors were women, but her warlike characteristics and engagement in military activities make such a hypothesis plausible. Perhaps, in the light of the considerations above, we could speculate that the scenes depicted on the miniatures from Denmark, England and Poland show Freyja and a deceased warrior woman entering Fólkvangr. If this was really so, it still remains unclear which of the two female characters is the goddess: would it be the standing figure (sometimes holding an object resembling a horn or beaker) or perhaps the woman mounted on the horse? The answers to these questions must, for now, remain open and may perhaps be provided in future studies. Yet another possibility of interpreting the curious scene on the metal miniatures is that it depicts a part of the famous story of Sigurðr fáfnisbani and the moment when the hero rides on his horse to obtain the hand of the valkyrie Brynhildr/Sigrdrífa.60 The story is preserved in different variants and in a range of textual accounts such as, for example, the Eddic poem Sigrdrífumál and Vǫlsunga saga. The texts mention that Sigurðr rode over a fire or shield wall, behind which Sigrdrífa lay sleeping. Sigurðr had with him a sword named Gram and Sigrdrífa/Brynhildr was clad in armour and wore a helmet on her head. If we were to interpret the miniatures in the context of this

57 Price 2002, 336–337. 58 Although this may not necessarily apply to the finds of miniatures from Hedeby. In this case Helmbrecht 2011, 68 sees the riders as male due to the lack of distinctive female hairstyle (e.  g. a knotted ponytail or a bun). 59 On Fólkvangr, see Ellis 1943, 66; Lindow 2001, 118; Orchard 2002, 114; Simek 2006, 87. The name Fólkvangr is often translated to mean ‘field of the host’, ‘people’s field’ or ‘army field’. 60 I wish to express my warmest thanks to Professor Jörn Staecker who first suggested this idea during our discussion at the Viking World conference in Nottingham in 2016.

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story, the standing figure with a shield and (in some cases) helmet could be Sigrdrífa and the rider with a sword could be Sigurðr. In conclusion, the miniature figures representing a rider and standing figure can be read and interpreted in a number of ways – as depictions of two armed females (human and/or supernatural), as a potential reference to the goddess Freyja and her otherworldly domain Fólkvangr, or as portraying a scene from the famous story of Sigurðr and Sigrdrífa/Brynhildr. Because their designs and iconographic details are remarkably consistent, it is possible to suggest that originally only one strictly defined idea stood behind their creation. But it is also likely that in the course of time and in different parts of the Viking world they acquired various meanings which depended on individual preferences of their users.

Armed females on the Oseberg tapestry Apart from the small metal figurines examined above, allegedly female characters holding weapons and occasionally clad in animal skins are also represented on the well-known tapestry from Oseberg. Neil Price has argued that one of its fragments may portray a woman wearing the ‘skin of a boar with clearly depicted head and bristles running down the back of its neck all the way to the ground’.61 Interestingly, the figure is also raising a shield with a clearly visible shield boss. According to Price, another iconographic depiction of a possible warrior woman, which is holding a horn and appears to be wearing a helmet, can be seen on stone III from Lilbjärs in Stenkyrka parish, Gotland.62 Whether these are representations of human warrior women or some mythological characters is difficult to know for certain and must remain a matter of interpretation.

Armed females in textual sources We have now examined archaeological examples for the occurrence of weapons in connection with females. However, as noted above, the motif of armed females in the Viking world is also extant in a number of textual sources written in Latin and Old Norse. Although past scholars have generally regarded these accounts as products of the vivid imagination of medieval writers, it is nevertheless worth discussing them again and with an archaeological background in mind. Because the corpus of written sources that mention women with weapons is vast and diverse, only the most

61 Price 2002, 173, 337, 374. 62 Price 2002, 336.



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representative examples have been chosen for analysis. Other sources that have been omitted here will be analysed more extensively in my forthcoming publications.

‘Conflicts instead of kisses’. Warrior women in Saxo Grammaticus’ Gesta Danorum Speaking of armed females in textual sources, it feels appropriate to begin the discussion by citing one of the most detailed accounts that describe such characters. It was recorded by Saxo Grammaticus in his Gesta Danorum written in the early 13th century: Fuere quondam apud Danos foeminę, quę formam suam in uirilem habitum conuertentes omnia pene temporum momenta ad excolendam militiam conferebant, ne uirtutis neruos luxurię contagione hebetari paterentur. Siquidem delicatum uiuendi genus perosę corpus animumque patientia ac labore durare solebant totamque foemineę leuitatis mollitiem abdicantes muliebre ingenium uirili uti sęuitia cogebant. Sed et tanta cura rei militaris notitiam captabant, ut foeminas exuisse quiuis putaret. Pręcipue uero, quibus aut ingenii uigor aut decora corporum proceritas erat, id uitę genus incedere consueuerant. Hę ergo perinde ac natiuę conditionis immemores rigoremque blanditiis anteferentes bella pro basiis intentabant sanguinemque, non oscula delibantes armorum potius quam amorum officia frequentabant manusque, quas in telas aptare debuerant, telorum obsequiis exhibebant, ut iam non lecto, sed leto studentes spiculis appeterent, quos mulcere specie potuissent.63 There were once women in Denmark who dressed themselves to look like men and spent almost every minute cultivating soldiers’ skills; they did not want the sinews of their valour to lose tautness and be infected by self-indulgence. Loathing a dainty style of living, they would harden body and mind with toil and endurance, rejecting the fickle pliancy of girls and compelling their womanish spirits to act with a virile ruthlessness. They courted military celebrity so earnestly that you would have guessed they had unsexed themselves. Those especially who had forceful personalities or were tall and elegant embarked on this way of life. As if they were forgetful of their true selves they put roughness before allure, aimed at conflicts instead of kisses, tasted blood not lips, sought the clash of arms rather than the arm’s embrace, fitted to weapons hands which should have been weaving, desired not the couch but the kill, and those they could have appeased with looks they attacked with lances.64

Several warrior women are mentioned in Saxo’s work by name. Among them are, for example, Stikla and Rusila65 but unfortunately not much is known about these characters. It is briefly said about Stikla, however, that she preferred ‘the sphere of war to that of marriage’.66 In Saxo’s book VIII Stikla and Rusila oppose Olaf, who was the king of Trondheim, but both women are defeated.

63 Saxo Grammaticus. Gesta Danorum. Book VII. Text after Friis-Jensen/Zeeberg 2005, 464. 64 Saxo Grammaticus. Gesta Danorum. Book VII. Translation after Ellis Davidson/Fisher 1996, 212. 65 Ellis Davidson/Fisher 1996, 150, 227; On Stikla and Rusila, see also Jesch 1991, 177. 66 Ellis Davidson/Fisher 1996, 150.

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Warrior women also feature prominently in Saxo’s detailed description of the famous battle that took place at Brávellir (or Bråvalla), between the armies of the Danish King Harald Wartooth and the Swedish King Ring. The battle involved hundreds of warriors and is recorded as being exceptionally violent with the clashing of blades that could be heard miles away. There is also mention of the hurling of spears filling the entire air with a din and the stream of blood from men’s wounds that drew a mist across the sky.67 In his account, Saxo mentions two women taking part in the battle, Hetha and Visna, and says that their ‘female bodies Nature had endowed with manly courage’.68 Hetha fought on the right flank of Harald’s army, and Visna was the standard bearer.69 About Visna Saxo writes in the following way: Wisnam uero, imbutam rigore foeminam reique militaris apprime peritam, Sclaua stipauerat manus. Cuius pręcipui Barri ac Gnizli satellites agnoscuntur. Cęteri uero ex eadem cohorte corpus clypeolis tecti pręlongis ensibus aeriique coloris parmulis utebantur. Quas belli tempore aut in tergum repellentes aut impedimentorum gerulis dantes abiectis pectorum munimentis expositisque ad discrimen omne corporibus districtis Martem mucronibus intenderunt. E quibus Tolcar atque Ymi pręcipui claruere. Post quos Toki Iumensi prouincia ortus cum Otrico, cui agnomen Iuuenis erat, illustris agnoscitur.70 Visna was a woman hard through and through and highly expert warrior. Her chief followers among the band of Slavs who thronged about her are known to have been Barri and Gnizli. The remainder of the company bore small shields in front of their bodies. They used very long swords and these sky-coloured shields which in time of war they threw behind them or gave to their bearers, so that, having cast away all protection from their breasts and exposed their persons to every danger, they would plunge into the fight with blades drawn. Among them the most shining lights were Tolkar and Ymi. After these, Toki, born in the province of Jomsborg, is known to fame together with Othrik, called the Young.71

With regard to Hetha, the chronicler offers the following commentary: At Hetha promptissimis stipata comitibus armatam bello centuriam afferebat. Cuius primi fuere Grimar ac Grenzli. Post hos Ger Liuicus, Hama quoque et Hunger, Humbli Biarique regum fortissimi memorantur. Hi persępe duellis foeliciter gestis insignes late uictorias edidere. Itaque memoratę uirgines non modo comiter, sed etiam pugnaciter cultę terrestres in aciem copias ductauere.72 Now Hetha, encircled by ready comrades, brought to the war a century of armed men, whose captains were Grimar and Grenzli; next, Ger of Livonia, Hama and Hunger, Humbli and Biari are

67 Ellis Davidson/Fisher 1996, 242. 68 Ellis Davidson/Fisher 1996, 238. On Hetha and Visna, see also Jesch 1991, 177. 69 Ellis Davidson/Fisher 1996, 241. 70 Saxo Grammaticus. Gesta Danorum. Book VIII. Text after Friis-Jensen/Zeeberg 2005, 511–512. 71 Saxo Grammaticus. Gesta Danorum. Book VIII. Translation after Ellis Davidson/Fisher 1996, 238. 72 Saxo Grammaticus. Gesta Danorum. Book VIII. Text after Friis-Jensen/Zeeberg 2005, 512.



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remembered as the most courageous of the princes; these would very often wage duels successfully and far and wide win outstanding victories. So the two women I have mentioned [i.  e. Visna and Hetha – LG], graceful in battle-gear, led their land forces to combat.73

In his account Saxo adds that also another woman named Vebiorg was instilled with the same warlike spirit as Visna and Hetha.74 She fought bravely in battle until she was finally defeated by a certain Thorkil from Telemark who shot an arrow and transfixed her.75 After some fierce fighting King Harald gets killed at Brávellir and soon a splendid funeral is prepared for him. As Saxo writes, the victorious Ring was entreated by the Danes to appoint Hetha to rule their land, but she was soon forced to withdraw her jurisdiction from all areas except Jutland which was made a tributary state under Swedish power.76 Yet another female warrior described by Saxo Grammaticus in his Gesta Danorum is Lathgertha. In this case, Saxo offers more details with regard to her physical appearance and says that she was: (…) perita bellandi foemina, quę uirilem in uirgine animum gerens immisso humeris capillitio prima inter promptissimos dimicabat. Cuius incomparabilem operam admirantibus cunctis  – quippe cęsaries tergo inuolare conspecta foeminam esse prodebat (…)77 (…) a skilled female fighter, who bore a man’s temper in a girl’s body; with locks flowing loose over her shoulders she would do battle in the forefront of the most valiant warriors. Everyone marvelled at her matchless feats, for the hair flying down her back made it clear that she was a woman.78

Having admitted that his victory in battle was due to Lathgertha,79 Regner Lothbrog (in other sources known as Ragnarr loðbrók) is desperate to win her affection. After overcoming a series of obstacles (involving defeating a bear and a hound which guarded her house), he finally manages to achieve his goal. Together, they have two daughters and a son named Fridlef. After some time, however, Regner divorces Lathgertha and falls in love with another woman. Nevertheless, when Regner finds himself in desperate need of support in battle, Lathgertha sails speedily with a fleet of hundred-and-twenty ships to help her former husband. The description of her somewhat supernatural behaviour on the battlefield is worth quoting here:

73 Saxo Grammaticus. Gesta Danorum. Book VIII. Translation after Ellis Davidson/Fisher 1996, 239. 74 Ellis Davidson/Fisher 1996, 238; On Vebiorg, see also Jesch 1991, 177. 75 Ellis Davidson/Fisher 1996, 242. 76 Ellis Davidson/Fisher 1996, 244. 77 Saxo Grammaticus. Gesta Danorum. Book IX. Text after Friis-Jensen/Zeeberg 2005, 586. 78 Saxo Grammaticus. Gesta Danorum. Book IX. Translation after Ellis Davidson/Fisher 1996, 280. 79 Ellis Davidson/Fisher 1996, 280.

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Lathgertha quoque teneris membris incomparabilem sortita spiritum trepidantis militię studium specioso fortitudinis exemplo correxit. Militari namque discursu inopinatorum terga circumuolans socialem metum in hostilia castra conuertit. Ad ultimum laxata Haraldi acie atque ipso per summam suorum stragem fugato, quum domum ex acie reuertisset, spiculo, quod toga occultauerat, noctu mariti iugulum attentauit totiusque potentię eius ac nominis summam inuasit. Insolentissimus namque foeminę spiritus absque uiro regnum gerere quam fortunę eius communicare iocundius duxit.80 Lathgertha too, with a measure of vitality at odds with her tender frame, roused the mettle of the faltering soldiery by a splendid exhibition of bravery. She flew round the rear of the unprepared enemy in a circling manoeuvre and carried the panic which had been felt by the allies into the camp of their adversaries. Finally, when Harald’s [Harald Klak who ruled over Jutland – LG] line had been broken, his troops massacred in abundance and their leader put to flight, she returned home from battle. That night she stuck a dart, which she had concealed beneath her gown, into her husband’s throat, thereby seizing for herself his whole title and sovereignty. This woman, of the haughtiest temperament, found it pleasanter to govern her realm alone than share the fortunes of a husband.81

Lathgertha’s behaviour on the battlefield, when she flies around the enemy army, has been compared to the movement of a valkyrie or some ‘supernatural protectress’82. Interestingly, a similar account can be found in Hrómundar saga (ch.  6) where a woman named Lara/Kara supports Helgi the Bold in battle and flies above the battlefield in the shape of a swan. Some possible connections between Lathgertha and the giantess or deity Ϸórgerðr Hǫlgabrúðr have also been debated by scholars.83 Alvild is another woman who displays warlike characteristics and wears male clothing.84 At some point in her life, instead of remaining a highly virtuous maiden, she decides to lead the life of a ‘savage pirate’.85 Soon, many other like-minded girls also want to follow in her footsteps and become her companions. Alvild is described as a beautiful woman and because of her striking appearance a band of leaderless pirates decides to choose her as their leader. It is said that she ‘performed feats beyond a woman’s courage’.86 In one of the sea battles Alvild’s helmet is struck off by her opponent named Alf. However, when Alf sees her remarkable beauty, he immediately realises that they should be ‘fighting not with weapons but kisses’.87 Soon the two marry and Alvild returns to wearing feminine clothing.

80 Saxo Grammaticus. Gesta Danorum. Book IX. Text after Friis-Jensen/Zeeberg 2005, 291–292. 81 Saxo Grammaticus. Gesta Danorum. Book IX. Translation after Ellis Davidson/Fisher 1996, 282– 283. 82 Jesch 1991, 180; Ellis Davidson 1996, 154. 83 Ellis Davidson 1996, 151–152. On Ϸórgerðr Hǫlgabrúðr see, for example, Price 2002, 347. 84 On Alvild see, for example, Jesch 1991, 177; Price 2002, 332. 85 Ellis Davidson/Fisher 1996, 211. 86 Ellis Davidson/Fisher 1996, 211. 87 Ellis Davidson/Fisher 1996, 212.



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Finally, there is also Gurith, the daughter of the aforementioned Alvild.88 She is described as an intelligent and proud woman who knows how to take matters into her hands. On one occasion she dresses in male attire and decides to accompany her son Harald in combat. Eventually, she saves him from death by carrying him away from the battlefield on her shoulders. However, during this process, the son receives a shameful wound as he is shot with an arrow in his buttock.89 The warrior women from Saxo’s descriptions share a range of common characteristics. They are often good-looking, tall and elegant. Lathgertha seems to have been endowed with particular beauty, with the locks of long hair flowing loose over her shoulders. Interestingly, despite her warlike nature, Saxo remarks that she had a rather ‘tender frame’. When the chronicler speaks of these women, he acknowledges them as being ‘expert warriors’ and not just female characters who only occasionally reach for weapons. In combat they seem to work well individually (Lathgertha flies behind enemy lines), but also in groups and as commanders of armies (Hetha leads an army of a thousand men) sometimes fighting in their forefront. Based on Saxo’s descriptions it is difficult to ascertain whether these women existed in real life. It is possible, as other scholars have observed, that in the process of composing the stories his portrayals of warrior women were highly influenced by classical accounts and myths about Amazons.90 We must remember, however, that Saxo makes it clear that women engaging in military activities were regarded as a curiosity and that they differed considerably from other characters in the Scandinavian world which he describes in his work. When taken collectively, they form only a very small fraction of the many warriors that are mentioned in his Gesta Danorum. It is worth reminding in this context that the Viking Age female graves with weapons examined above also occur very sporadically  – generally, they constitute less than 1% of all graves known from the Viking world. This, of course, should not be seen as confirming the reality behind Saxo’s descriptions, but is an interesting confluence nonetheless. In this context, it is noteworthy that the majority of miniature depictions of armed females come from Denmark. However, finds of female graves with weapons in this area are considerably fewer than in Norway and Sweden.

Armed females in Norse mythology A number of women who wield weapons are portrayed in Old Norse mythological accounts. I have already mentioned the warlike features of the goddess Freyja, but female characters associated with weapons do not belong only to the race of the

88 On Gurith see, for example, Jesch 1991, 177–178. 89 Ellis Davidson/Fisher 1996, 225. 90 As suggested earlier by Jesch 1991, 178.

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gods and may be found also among the giants or other supernatural beings. A good example is the giantess Skaði91, daughter of the giant Ϸjazi. When her father is killed by the god Ϸórr she travels to Ásgarðr fully armed in search for revenge. As a form of compensation, and instead of engaging in combat, the Æsir gods offer her to choose one of them as a husband and she ultimately marries the god Njǫrðr. Skaði definitely has masculine characteristics and she travels about on skis and uses a bow. It is noteworthy, however, that although she is described as having a mail-coat and a helmet, she never takes part in regular battles. Based on her characteristics, some scholars have regarded her as the goddess of ‘hunting and skiing’ and as a Norse counterpart of the Greek goddess Artemis.92 Of all the supernatural female beings that appear in Old Norse accounts, it is the valkyries who display their warlike characteristics most clearly.93 Valkyries are often regarded as having a demonic nature and the name valkyrja (Old Norse plural valkyrjur) literally means ‘chooser of the slain’. Their roles are manifold, and they not only select the slain but on occasion they can also decide the outcome of battles. Valkyries are very closely connected with the god Óðinn and his otherworldly domain Valhǫll, where they serve alcohol to fallen warriors. A full analysis of the associations of valkyries with battle and war94 is beyond the scope of this paper but we may, nevertheless, make a number of brief remarks, which are of particular relevance to our considerations of warrior women: – The valkyries are sometimes referred to as skjaldmeyjar (shield-maidens), valmeyjar (battle-maidens) or hjálmvitr (helmet-creatures).95 – In his work Price has listed as many as 51 individually named valkyries.96 Their personal names often allude to aspects of battle or various types of military equipment. It is interesting to note that many of them have names referring to spears: Geirahǫd (Spear-Battle), Geiravǫr (Spear-Goddess), Geirdríful (Spear-Flinger), Geir-Róta (Spear-Disorder), Geirskǫgul (Spear-Shaker, Spear-Battle), Geirvífa (Spear-Wife), Geirǫlul (Spear-Waver, Spear-Alu), Geir[r]ǫnul (Spear-Charger). These names imply a strong connection with the god Óðinn97 who also had a special spear called Gungnir. There are also two valkyrie names which refer to shields: Randgníðr (Shield-Scraper), Randgríðr (Shield-Truce, Shield-Destroyer,

91 On Skaði see, for example, Jesch 1991, 138–139; Lindow 2001, 268–270; Orchard 2002, 324–325; Simek 2006, 286–287. 92 Simek 2006, 286. 93 Academic literature on valkyries is very broad. For general overviews and most recent discussions see, for example, Ström 1954; Orchard 2002, 376; Price 2002, 331–346; Simek 2006, 349–350; Egeler 2011. 94 In his book Price 2002, 331 actually considers the valkyries as ‘warrior women’. 95 Price 2002, 332. 96 Price 2002, 337–341. 97 Price 2002, 341.



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Shield-Violence). Only one name, Hjǫrþrimul (Sword-Noise), relates to a sword and one to a helmet: Hjalmþrimul (Helmet-Clatter). Other valkyrie-names are associated with the concepts battle or war and the different sounds and chaos that accompany warlike activities. – They are sometimes represented as riding on horseback.98 – They are depicted as having the ability to fly and acquire the shape of swans (or perhaps wear a swan costume).99 – In the poem Darraðarljóð valkyries are portrayed as weaving battle on a macabre loom, thereby ensuring its outcome. The loom is constructed from different kinds of weapons, and the fabric is warped with men’s intestines, with human heads serving as loom-weights.100 It is interesting to note that spears appear in most of the weapon-related names of the valkyries. On this basis, it could perhaps be assumed that spears were their preferred weapon, yet in Old Norse sources they are not represented as wielding them very often. Valkyrie names are also employed in some kennings for weapons, especially swords. Price mentions two valkyrie names which appear in kennings for axes as well as several in the kennings for armour, and he notes that they are very popular in the kennings for shields.101 Early textual sources concerning valkyries (especially skaldic poetry) portray them as fearsome demons of battle with a rather grim nature, perhaps even personified attributes of the god Óðinn. As Price observes, their romantic perception as ‘shield-maidens’ is a later addition.102 A final brief remark should be made here that apart from the valkyries also a range of other supernatural female beings known from Old Norse beliefs had associations with combat. Among them are, for example, some of the dísir and fylgjur, but also the enigmatic being (giantess or deity?) known as Ϸorgerðr Hǫlgabrúðr.103

Armed females in Old Norse sagas and tales Although several Íslendingasǫgur (Sagas of Icelanders) contain passages about some women using weapons, these armed female characters are never portrayed in the context of regular battles as was the case with several warrior women from Gesta Danorum. It would, therefore, be a misconception to regard women from these Old

98 Price 2002, 331. 99 Price 2002, 335. 100 For a detailed discussion on this poem, see Poole 1991, 116–156; Price 2002, 332–334, 384–385. 101 For more details see Price 2002, 343. 102 Price 2002, 345. 103 Price 2002, 346–349.

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Norse sources as warriors. As we shall see below, the motivations that led them to reach for weapons were completely different. One of the best-known female characters from Old Norse literature, which is occasionally portrayed as using weapons, is that of a haughty and very manipulative woman named Freydís, who was among the early settlers in Vínland. Her deeds are described in detail in Grœnlendinga saga where at one point she takes an axe and uses it to murder five other women.104 In Eiríks saga rauða (ch. 11), when Native Americans pose a threat to the pregnant Freydís, she retrieves a sword from one of the fallen men, faces the attackers, bares her breasts and slaps them with the sword’s blade.105 In this way, she manages to frighten the enemies, and as a result they eventually flee. Gísla saga Súrssonar (ch. 37)106 mentions a woman named Ϸórdís, who is overcome with grief after the death of her brother and decides to take revenge on the man who killed him. While they sit together at one table, she tries to thrust the sword out at him. The sword gets caught against the table, and the blade goes lower than she intended, so she is only able to inflict a thigh wound. Another example of a female character wielding a weapon and attacking a man is recounted in Laxdœla saga.107 A woman named Auðr is divorced by her husband, Ϸórðr, who accuses her of wearing breeches like a man. In reality, the reason for the divorce is the fact that Ϸórðr fell in love with another woman. One night Auðr decides to punish her husband for his unfaithfulness and rides to his home where she finds him in bed. She then attacks him with a sword (or perhaps a long battle-knife known as sax) and wounds him badly. Another interesting case when a woman gets hold of a sword, but does not use it to wound anyone, is also recorded in a different chapter of Laxdœla saga. Ϸuriðr, who is married to a Norwegian man named Geirmundr, plays a trick on her husband who decided to desert her. First, she bores a hole in his ship to slow it down and then, while the man is sleeping, she takes away his sword which she substitutes for her one-year-old baby that she places by his side.108 Interestingly, a curse is later laid on the stolen sword. Apart from the examples above, one of the most curious textual accounts in which a woman uses a weapon comes from Ljósvetninga saga (ch.  20). In order to find out about his future, Guðmundr, one of the protagonists of the saga, decides to visit a sorceress. When he arrives at her home, he finds the woman sitting outside and being dressed like a man – she has breeches, a helmet on her head and an axe in her hand.109 To determine what the future holds, she wades into the shallows and strikes her axe into the water. She does so twice in a row, trying to determine whether

104 Jesch 1991, 184. 105 On this episode, see Price 2002, 332. 106 See text in Björn K. Ϸórólfsson/Guðni Jónsson 1943, 116 and translation by Regal 2001, 556. 107 On this episode see Jesch 1991, 194, 199. See text in Einar Ól. Sveinsson 1934, 98; see translation in Kunz 2001, 335 108 Jesch 1991, 199–200. 109 See text in Björn Sigfússon 1940, 59–61 and translation by Andersson/Miller 1997, 230–231.



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there will be vengeance taken against Guðmundr and whether his sons will escape reprisal. While striking the water for the second time, it gives a loud crash and turns all bloody – a clear indication that bad things will happen. This account is unique and, to my knowledge, has no parallels in other Old Norse sources, but it may perhaps provide hints that might help reveal the meaning of axes buried in female graves – perhaps some of these weapons served as tools for divination? Certainly much more research is necessary in that regard, but such an interpretation of axes in connection with women appears to be an interesting possibility. While none of the women from Íslendingasǫgur can be regarded as actual warriors, a number of such characters are portrayed in another genre of the sagas known as fornaldarsǫgur (Legendary Sagas). As vivid and rich in detail as they may appear, these texts pose a lot of interpretational problems, and the events they depict are generally regarded more as fantasy rather than reliable reflections of bygone events. While some motifs recorded in fornaldarsǫgur find rather striking archaeological parallels (for example the motif or re-opening graves and the descriptions of their contents), these sources must be approached with even more source-criticism than the Íslendingasǫgur. One of the most remarkable warrior women from this genre of Old Norse literature is Hervǫr – a high-spirited maiden who chooses to abandon her feminine identity and lead a life of adventure. She is described in Hervarar saga ok Heiðreks as being as strong as a man and skilled in using various kinds of weapons such as a bow, a shield and a sword. Already in the early days of her youth, she is said to have run away to the woods to kill men for her gain.110 Interestingly, at some point in the story, she changes her name to Hervarðr and becomes a captain of a band of warriors. All this parallels the descriptions of warlike women from Saxo’s account, and while there may perhaps be some grain of truth in the portrayals of such characters, it is also quite possible that they were repeated throughout the centuries in various literary genres because of their remarkable allure and the capacity to attract the attention of readers. Apart from a range of well-known and much-debated examples of warrior women from fornaldarsǫgur, such those from Hervarar saga ok Heiðreks, Hrólfs saga Gautrekssonar or Vǫlsungasaga111, several interesting mentions about armed female characters are also provided in the Old Norse account known as Sögubrot af nokkrum fornkonungum112 (or simply Sögubrot). This text recounts a great battle which took place at Brávellir, between King Harald Wartooth and King Hring.113 In King Harald’s army were numerous skalds and champions, but also several women, such as Visina114 and

110 Tolkien 1960, 10. 111 See, for example, Mayburd 2014 with further references. 112 For a recent English translation of Sögubrot, see Waggoner 2009. 113 The same battle was also described by Saxo Grammaticus. In Gesta Danorum, however, Hring is known as Ring. 114 In the work of Ellis Davidson/Fisher 1996, 131, the name of this woman is rendered as Visma.

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Heid. Interestingly, according to Sögubrot af nokkrum fornkonungum (ch. 8), each of them came to battle with a great host. Visina bore King Harald’s standard, and it is said that a large group of Wends followed her.115 The shield-maiden Heid fought on one of the flanks and had a hundred champions with her, including several berserks.116 Another warrior woman in the king’s army was Vebjorg who came from Gotland with many champions as her followers. Not much is said about these women, but Sögubrot af nokkrum fornkonungum describes how they behaved in combat, striking mighty blows. Vebjorg, for example, is said to have been very skilled in fighting in a helmet and mail and with her sword she chopped one man’s jawbone apart and sliced off his chin. Visina was less fortunate because she had her left hand cut off in battle.117 In the so-called Ϸáttr af Ragnars sonum (Tale of Ragnar’s sons) we also read about Aslaug, Ragnar’s wife, who travelled to plunder and burn with fifteen hundred wellequipped warriors. She herself commanded them and also wore armour.118 As we can see in the examples discussed above, instances of women wielding weapons and actually killing other people are relatively rare in the saga literature and it is more often the case that women act as inciters who manipulate men (e.  g. their husbands) to perform such violent deeds. Descriptions of such sneaky behaviour, when women goad men to kill their enemies, can be found, for example, in Brennu-Njáls saga119 and Laxdœla saga.120 In addition to the different Old Norse passages quoted above, it is worth mentioning that also one Eastern European source known as Primary Chronicle mentions a female who displays warlike characteristics – Princess Olga. According to the Primary Chronicle, although she did not engage in direct combat, she collected tributes, commanded military campaigns and her decisions and ideas often brought spectacular victory to her warriors.121 Hilda Ellis Davidson122 and Neil Price123 also mention a battle that took place in 971 between the Rus and the Byzantines in which the former were heavily beaten. John Skylitzes, the Byzantine author who recorded the story, makes a remark that among the fallen were also ‘a number of dead women, dressed like men’.124

115 It is mentioned in the story that the Wends were easy to recognise because they had long swords and bucklers and did not have long shields like other men. See Waggoner 2009, 53. 116 The presence of berserkers in Heid’s army certainly strengthens her possible association with the war-god Óðinn. 117 According to Saxo Grammaticus, the woman (known in his account as Visna) had her right hand cut off. See Ellis Davidson/Fisher 1996, 242. 118 See Waggoner 2009, 68. 119 Jesch 1991, 186. 120 Jesch 1991, 198. 121 Jesch 1991, 111–113. 122 Ellis Davidson 1972. 123 Price 2002, 332, 369. 124 Price 2002, 332. See Wortley 2010 for a full text of this account.



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Women and supernatural weapons We have now explored how different kinds of warrior women, both human and supernatural, are presented in Latin and Old Norse textual sources and we have discussed their behaviour in the face of combat and the different weapons they use. The texts examined above clearly demonstrate that practically all weapon types known in Viking Age Scandinavia, such as swords, battle-knives (sax), axes, bows and arrows, could be used by female characters. Some women could also wear very expensive military equipment such as helmets and body armour. In addition to what has been said above, however, it is vital to observe that a certain group of women may have used a slightly different type of object as a weapon – namely a magic staff which is often associated with the practitioners of Viking Age magic known as seiðr. In his important monograph published in 2002, Neil Price discussed the applications of magic staffs in Old Norse literature and convincingly argued for the existence of their examples among archaeological finds. In later years I have expanded some of Price’s views on these objects in a series of works, including a recent monograph.125 It is not possible to elaborate on this topic here, but it must be mentioned that some iron examples of these staffs found in funerary contexts in Denmark, Sweden and Norway could have been effectively used as weapons both in a physical and symbolic/ritual sense. Almost all of them have a sharp point at one end. Moreover, some of their basket handles, which comprised of tightly packed rods arranged around a central shaft, could potentially serve as a kind of mace (Fig. 6). Although it is clear that the iron staffs could not have been used in regular battles (they were generally too fragile and thin to withstand continuous striking or parrying enemy blows), it is not unlikely that on some occasions their users employed them for self-defense or for some other military-related activity. It must also be noted that several Old Norse textual sources actually do mention using staffs to hit other people, often with a magical intent in mind.126 That some staffs could have been conceptualised as supernatural weapons is also suggested by the way they were treated in funerary contexts – just like some swords or spears, they were bent, twisted or even crushed with large stones, perhaps with the intention to symbolically ‘kill them’ or neutralise their powers.127 Undoubtedly, the practice of seiðr and its female practitioners had strong associations with the idea of war (or ‘ritual war’ as Neil Price calls it).128 Supernatural aggression could take the form of battle spells or curses – all of which can be regarded as ‘immaterial weapons’ yet ones that can bring very real, psychological damage.

125 Gardeła 2008; Gardeła 2009b; Gardeła 2012; Gardeła 2016a. 126 Gardeła 2016a. 127 See Gardeła 2016a for further discussion. On the motif of breaking or bending objects in funerary contexts see Grinsell 1961. 128 On this idea, see especially Price 2002, 329–388.

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These spells could steal wits, cause panic, restlessness129, sickness or ultimately even death.130 Therefore, in future studies of warrior women, it seems appropriate to consider discussing them along female practitioners of magic, especially those dealing with seiðr.

Concluding remarks and future research This study has attempted to amalgamate and critically evaluate information on warrior women drawn from three different categories of material – Viking Age funerary evidence, iconography and textual sources. As we have seen, archaeological excavations confirm that some women were indeed buried with weapons. In several single female graves discovered in Scandinavia (Denmark, Sweden and Norway) women were accompanied by spears, axes, shield bosses and arrows. Only two graves (Birka Bj 581 and Nordre Kjølen C22541) discovered so far have provided evidence for the burial of women with full sets of weapons, including swords. However, labelling these graves as belonging to warrior women is very problematic, and there are considerable difficulties in regarding past burials as ‘mirrors of life’ directly reflecting the identities and professions of the deceased. Weapons in graves may have signalled many different meanings and could have played various roles. It seems that only very particular osteological traces (for example in the form of injuries inflicted in battle) on the bones of females buried with weapons could confirm their engagement in warlike activities. So far, none of the graves have yielded such evidence and therefore the women buried with weapons cannot, in my view, be firmly identified as warriors. Particularly interesting in the context of our considerations on whether warrior women existed in real life are the finds of small metal objects in the form of pendants or clothing appliques. In this study, I have argued that their previous interpretations as representing valkyries may be put to question, and that instead, they might perhaps depict Freyja and another armed female or maybe some warrior women known from mythical and heroic traditions. So far all such items come from settlement contexts or have been discovered as stray finds and as a result of metal detecting. Perhaps finding them in a grave could reveal more about their user(s) and their intricate meanings. We still have to wait for such discoveries, however. In later sections of the present paper, I have devoted a lot of attention to the different types of armed women, both human and supernatural, who appear in various Latin and Old Norse textual sources. Particularly rich in descriptions of warrior women is Gesta Danorum by Saxo Grammaticus. He elaborates on several such char-

129 Price 2002, 330–331. 130 Price 2002, 352.



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acters and often mentions that they were endowed with exceptional beauty and had excellent fighting skills. They are shown as prominent warriors, leading armies and often fighting in their fore. However, as other scholars have previously observed, the descriptions of these women in Saxo’s account may have been influenced by classical stories about Amazons. Therefore, we cannot know for sure if what he described had any basis in Viking Age reality. We have also seen that women with weapons feature prominently in Old Norse mythology. In the sections above I have discussed the masculine nature of the giantess Skaði and the warlike characteristics of valkyries and other supernatural beings. These figures, although belonging to the world of myth and medieval fantasy, could have been quite ‘real’ for the people of the Viking Age. In this sense, I agree with Neil Price that the idea of females with weapons certainly existed in the Viking minds. As regards warrior women in Old Norse sagas and tales, the situation is rather different. With the exception of legendary stories included in the broad corpus of fornaldarsǫgur, the women of Íslendingasǫgur are very rarely portrayed as wielding weapons and they are never shown as taking active part in battles. Apart from a unique passage from Ljósventinga saga (where an axe is used in a prophetic ritual), in Íslendingasǫgur females reach for weapons only in very exceptional circumstances, for example when they are driven by the desire for revenge or when they have to defend themselves against enemies – there are no warrior women, similar to those from Saxo’s descriptions, in these accounts. Although in this study I have examined a wide range of examples in which women behave in a manly way, wear male clothing or use weapons in battle or self-defense, it is interesting to note that on some occasions also men would clad themselves in female garments and behave in a feminine manner. Such cases are known, for example, from Helgakviða Hundingsbana131 and Laxdœla saga.132 It is not possible to elaborate on them here, but they certainly require further study both from a philological and archaeological perspective. In the Viking Age the phenomenon of transgressing gender boundaries certainly related to both women and men. This fascinating topic is still understudied, and there is a huge potential in revealing further subtleties of the Viking Age if we choose to collaborate and combine evidence from different fields of study (archaeology, philology, history of religions and natural sciences). To recapitulate, after examining the three different types of sources, I still remain rather sceptical about the existence of real warrior women in the Viking Age. The Latin and Old Norse texts that mention such characters may have been influenced by classical accounts or introduced weapon bearing females to add an interesting and exotic flavour to their plots. We should also bear in mind that those texts were written down long after the events which they claim to describe – they are not based

131 Jesch 1991, 179. 132 Jesch 1991, 197.

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on firsthand and eyewitness accounts. Archaeological examples of female graves with weapons – even if their numbers continue to grow as a result of reevaluations of earlier findings  – are also very difficult to interpret. On the one hand, weapons in graves can signal many intricate meanings, not necessarily with military connotations. On the other hand, it is important to remember that many of the so-called female weapon graves were excavated a long time ago and in a manner which is often highly problematic. Moreover, the way in which some of them are documented and published tends to be rudimentary by today’s standards. Another problem is a lack of thorough anthropological analyses of human remains from weapon graves (both those of men and women). In the older days of archaeology, biological sex was often determined on the basis of objects that accompanied the deceased – weapons were regarded as denoting men, while jewellery and domestic tools were seen as indicators of females. It is not unlikely that future osteological analyses will demonstrate that some ‘male’ graves with weapons are actually those of women, or that the ‘female’ graves with weapons, after all, contain men. All these methodological issues must be made explicitly clear in our publications today. Otherwise – as recent years have already shown  – they can lead to creating very misleading visions of the past and have an irreversible influence upon how the Viking Age is understood in the world of academia and among the non-professional public. Despite my scepticism, the problem of warrior women in the Viking Age is still far from being solved. One way to move forward in our ongoing debates is to continue gathering and (re)examining old and new findings in an interdisciplinary way. Future studies may still bring surprises. Acknowledgements: This paper is one of several works written during the Snorri Sturluson Fellowship at the Árni Magnússon Institute for Icelandic Studies in July-September 2016. I wish to express my gratitude to the staff of the Institute, and especially to Professor Úlfar Bragason, for the opportunity to conduct my research in Iceland. Special thanks to Dr Matthias Toplak and Marianne Moen for advice on female weapon graves from Gotland and Norway and to Dr Anita Sauckel and Yoav Tirosh for valuable discussions on Old Norse textual sources. I also extend my warmest thanks to Professor Judith Jesch, Professor Neil Price and Professor Jörn Staecker with whom I have discussed the themes presented in this article on a number of occasions.

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Sigmund Oehrl

Wieland – Herodes. Der Bethlehemitische Kindermord und die Frontseite des Franks Casket Abstract: On the front panel of the Anglo-Saxon ivory box „Franks Casket“ the cruel revenge of Wayland the smith and the Nativity of Jesus are depicted side by side. This juxtaposition was interpreted as a contrast between the cruelty of paganism and the Christian faith. More and more researchers try to point out, however, that Wayland has to be understood as a positive, Christian symbol. In the present paper I argue, that the depiction of Waylandʼs child murder together with the Nativity of Christ was inspired by the iconography of the Massacre of the Innocents. Thus, Wayland could be interpreted as an Anglo-Saxon pagan counterpart of King Herod the Great. In einer Vorlesung über „Bilddenkmäler zur germanischen Mythologie und Heldensage“, die Wilhelm Heizmann im Wintersemester 2001/2002 am Skandinavischen Seminar in Göttingen hielt, hörte ich zum ersten Mal von dem Bilder- und Runenkästchen von Auzon (Franks Casket). Die Begeisterung, mit der er mich in die faszinierende Welt der germanischen Ikonographie einführte, war mitreißend und weckte in mir ein leidenschaftliches Interesse, das bis heute anhält. In Dankbarkeit für diese und viele weitere Wegweisungen möchte ich in der vorliegenden Festschrift neue Gedanken zum Wielandbild auf dem Franks Casket vorstellen und freue mich darauf, diese mit dem Jubilar diskutieren zu dürfen.

Franks Casket Das Kästchen wurde im frühen 8. Jh. in Nordengland (Northumbria) in einem klösterlichen Umfeld als Schmuck-, Buch- oder Reliquienbehälter aus Walroßelfenbein gefertigt und im Jahr 1857 von Sir Augustus Wollaston Franks in Auzon, Département Haute-Loire, Frankreich (Auvergne), erworben und später dem British Museum in London überlassen.1 Neben der Sage von Wieland dem Schmied und der daneben

1 Die ersten relevanten Veröffentlichungen stammen von Napier (1901), Viëtor (1901), Stephens (1866– 1901, vol. I–II, 470–476, 921–923; III, 200–204; IV, 40–44) und Goldschmidt (1914/1918, Bd. 2, Nr. 186 und 187); zu den einschlägigen und umfassenderen Studien zur Deutung der Bilder zählen insbesondere Becker 1973 und Schwab 2008; der Stand der Forschung wurde zuletzt von Webster (2012)

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 Sigmund Oehrl

platzierten Anbetung Jesu auf der Vorderseite (Abb.  1), um die es im vorliegenden Beitrag gehen soll, sind auf den Platten des Kästchens runenbeschriftete Bilder von den römischen Gründungsvätern Romulus und Remus (linke Seite) und der Eroberung Jerusalems durch Titus (Rückseite) zu sehen. Romulus und Remus werden im Wald von der Wölfin gesäugt, von den Seiten nähern sich die Hirten. Die Titus-Seite zeigt den jüdischen Tempel, die Abführung der Bewohner Jerusalems und weitere, unklare Figurengruppen. Auf dem Deckel der Schatulle, die nach ihrem Entdecker Franks Casket genannt wird, ist ein Bogenschütze dargestellt, der ein Gebäude und eine darin thronende Gestalt gegen eine feindliche Übermacht zu verteidigen scheint. Ein Runentitulus Ægili kennzeichnet den Schützen wahrscheinlich als Wielands Bruder.2 Eine derartige Kampfepisode ist in den literarischen Quellen der Wielandsage nicht überliefert. Die Darstellung könnte jedoch mit der Inschrift auf der Runenschnalle von Pforzen (Kreis Ostallgäu, Bayern) aus dem späten 6.  Jh. zu verbinden sein, die einen heldenhaften Kampf des mythischen Paares Aigil und Ailrūn (an. Egill und Ǫlrún) aufruft.3 Die thronende Gestalt innerhalb des Gebäudes auf dem Deckel von Franks Casket wäre somit als Egills Walküren-Frau Ǫlrún/Ailrūn anzusprechen. Die rätselhaften Bilddarstellungen und die sich darauf beziehende Runeninschrift auf der im Bargello (Florenz) aufbewahrten rechten Seite des Kästchens konnten trotz zahlreicher Versuche bisher nicht befriedigend gedeutet werden. Man hat unter ihnen Motive aus den germanischen Jenseitsvorstellungen,4 eine anglische Gottheit,5 die aus der Vǫlundarkviða bekannten Walküren-Schwestern und Frauen Wielands und seiner Brüder,6 Nebukadnezar7 sowie eine Erzählung aus den kymrischen Mabinogion8 zu erkennen geglaubt; ferner bspw. eine Darstellung der SigurdSage9, der mythischen Herrscher Hengist und Horsa10 und des Gottes Baldr11. Ob ein Bildprogramm zu Grunde liegt, das alle Platten der Kassette inhaltlich miteinander verknüpft, bleibt trotz einiger sehr gelehrter und anregender Versuche12 ungewiss.

in einem ansprechenden Überblick dargelegt. Aus der Fülle an Literatur seien an dieser Stelle noch Hauck/Krause 1973 und Nedoma 1988 (5–17) genannt, die ebenfalls einen guten Überblick bieten. 2 Naumann 1996. Man hat die Inschrift auch als Hinweis auf eine Darstellung des griechischen Helden Achilleus (s. insb. Vandersall 1975) oder den alamannisch-byzantinischen General Agilo (Siller 2011, 297  ff.) gelesen. Zum Bogenschützen auf dem Deckel s. auch Cocco 2009. 3 Marold 1996; Marold 2004, 224  f.; Nedoma 1999; Nedoma 2003; Beck 2010, 209  f. 4 Becker 1973, 48–54. 5 Krause 1965. 6 Hauck/Krause 1973, 517–518; Hauck 1977, 12  ff. 7 Peeters 1996, 20–22. 8 Eichner 1991, 615–618; Schwab 2008, bes. 17–21. 9 Clark 1930; DʼArdenne 1966. 10 Bouman 1965; DʼArdenne 1966. 11 Schneider 1959. 12 Zuletzt etwa Schwab 2008 mit dem erstaunlichen Versuch, das Schicksal der Schatullenbesitzerin und ihre Pilgerfahrt in das Heilige Land als Hintergrund der Bilder zu bestimmen. Siehe ferner bspw.



Wieland – Herodes. Der Bethlehemitische Kindermord 

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Eine ganz bewusste Gegenüberstellung dürfte jedoch sicher im Fall der Wieland- und Epiphanie-Darstellung, die nebeneinander auf der Vorderseite des Kästchens platziert wurden, vorliegen.

Die Frontseite: Wielands Rache und die Anbetung Jesu Die Frontseite des Kästchens (Abb. 1) wird von einer Runeninschrift im angelsächsischen Futhorc gerahmt. Es handelt sich um stabende Langzeilen, die das Schicksal des gestrandeten Wales vor Augen führen, der den Rohstoff (hronæsban ‚Wal­knochen‘) für die Herstellung der Schatulle lieferte.13 Die von der Inschrift eingerahmte rechteckige Fläche wird durch ein senkrechtes Flechtband in zwei Hälften geteilt. In der rechten Bildhälfte ist die Anbetung Jesu dargestellt. Die drei Weisen, die sich von links nähern und ihre Geschenke darbringen, sind durch einen Runentitulus (mægi, vgl. Matthäus 2,1: magi) gekennzeichnet. Zwischen dem vorderen, knienden Magier und Maria mit dem Jesuskind am äußeren Rand des Bildes prangt, in Form einer Rosette, der Stern von Bethlehem. Darunter ist ein langhalsiger Vogel platziert, der die drei Magier vor den Thron der Gottesmutter zu führen scheint – ein Unikum in der christlichen Ikonographie. In der linken Hälfte der Frontseite ist am äußeren Rand, der Gottesmutter sozusagen gegenüber, ein bärtiger Mann dargestellt, der durch eine Zange in der linken Hand sowie einen Amboss und zwei Hämmer als Schmied gekennzeichnet ist. Ein halbkreisförmiges Objekt vor dem Gesicht des Schmiedes ist als Feuerstelle bzw. Essestein anzusprechen. Zu Füßen des Mannes liegt eine kopflose nackte Menschengestalt bäuchlings auf dem Boden, das abgetrennte Haupt hält der Schmied in seiner Zange. In seiner rechten, U-förmig gestalteten Hand hält er einen becherförmigen Gegenstand, nach dem eine Frau zu greifen scheint. Dass es sich um eine Darstellung der Wielandsage handelt, ist unzweifelhaft.14 Die Sage von Wieland dem Schmied ist insbesondere im Eddalied Vǫlundarkviða (wahrscheinlich 10. Jh.) und in der Þiðreks saga (Mitte 13. Jh.) überliefert.15 Im Kern handelt sie vom Meisterschmied Wieland (an. Vǫlundr, anorw. Velent), der von einem

Hauck 1968 und Webster 1999. Überlegungen zu einem vermeintlichen zahlenmagischen bzw. komputistischen Hintergrund wurden von Becker 2003 und Müller-Braband 2005 angestellt. 13 Siehe bspw. Becker 1973, 17–27. 14 Ich verweise hier nur auf Souers 1943, Nedoma 1988, 10–20, und Oehrl 2012, 280–284. 15 Ausführlich zu den schriftlichen Quellen der Wielandsage: Nedoma 1988; 1990; 2000; 2005; Nedoma/Pesch/Insley 2006 sowie von See et al. 2000, 82–117. Þiðreks saga: Bertelsen 1905–1911. Vǫlundarkviða: Neckel/Kuhn 1983, 116–123  – Im Frankfurter Edda-Kommentar wird die Entstehung der Vǫlundarkviða im 12./13. Jahrhundert angesetzt (von See et al. 2000, S. 116–117). Ich schließe mich hingegen Nedoma an, der das Alter ausführlich untersucht, unter metrischen, philologisch-archäologischen, lexikalischen Gesichtspunkten, und zu dem Schluss kommt: „Alle Anzeichen sprechen dafür, dass sie zu den ältesten Eddaliedern zählt“ (Nedoma 1988, S. 116)­.

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 Sigmund Oehrl

König (an. Níðuðr, anorw. Niðungr) verschleppt, gelähmt und als Zwangsarbeiter am Königshof festgehalten wird, wo er Schmuckgegenstände für die königliche Familie herstellen muss. Der Schmied nimmt Rache, indem er die beiden Königssöhne tötet, sie in die Schmiede lockt und enthauptet. Aus den Körperteilen der toten Prinzen fertigt er Schmuckgegenstände für den König und seine Familie, aus den Schädeln Trinkgefäße. Der zweite Racheakt besteht in der Schwängerung der Königstochter (an. Bǫðvildr). Laut Vǫlundarkviða setzt der Schmied einen Biertrunk ein, mit dem er das Mädchen betäubt und gefügig macht. Am Ende verkündet der davonfliegende Wieland dem König seine Rachetaten. In der Þiðreks saga fliegt Wieland mit Hilfe eines vogelartigen Flugapparats, im Eddalied bleiben die Hintergründe seines Flugvermögens unklar. Die Saga fügt Wielands Bruder, den Meisterschützen Egill, als Fluchthelfer ein und ergänzt einen versöhnlichen Abschluss. Wesentliche Unterschiede betreffen auch die Vorgeschichte. Während Wieland in der Þiðreks saga mit eigenständigen Erzählungen eingeführt wird und bereits längere Zeit am Hofe des Königs tätig ist und Abenteuer erlebt, bis er schließlich in Ungnade fällt, leitet der Dichter der Vǫlundarkviða die Geschichte mit einer Schwanenmädchen-Episode ein. Demnach sind Wieland und seine Brüder mit walkürenhaften Damen liiert, die mit Vogelhemden ausgestattet sind. Die Schwanenmädchen verlassen die Männer jedoch und Wielands Brüder machen sich auf die Suche nach ihnen. Wieland bleibt allein und wird schließlich vom König verschleppt. Die Wielandsage ist bereits früh bei den Angelsachsen überliefert. Zu nennen ist das altenglische Gedicht Deor (9. oder 8.  Jh.), dessen erste zwei Strophen das Leid von Welund in der Gefangenschaft bei König Niðad und die Sorgen der Königstochter Beadohilde angesichts ihrer ungewollten Schwangerschaft elegisch vorführen. Sichere ikonographische Zeugnisse16 der Wielandsage sind auf den gotländischen Bildsteinen Ardre VIII17 und Alskog kyrka18 sowie den Steinkreuzfragmenten von Leeds19 in Western Yorkshire zu sehen. Ardre VIII zeigt Wieland in Vogelgestalt neben der Königstochter sowie die enthaupteten Prinzen neben der Schmiede, Alskog kyrka den Schmied kniend bei der Arbeit, neben einem kopflosen Leichnam und einer Gruppe von Frauen und Wasservögeln. Das Steinkreuz von Leeds präsentiert Wieland im „Vogelkostüm“, umgeben von Schmiedewerkzeugen, die Königstochter, die den Biertrunk in der Hand hält, an Haar und Schleppe packend. Zu nennen ist ferner ein vergoldeter Bronzebeschlag (vielleicht der Nasalschutz eines Prunkhelms)20 in Form

16 Ausführlich zu den hier genannten (und weiteren, weniger sicheren) Bilddenkmälern der Wielandsage, mit Abbildungen und Literaturhinweisen: Oehrl 2012a. S. auch Nedoma 1988. 17 Lamm/Nylén 2003, Nr. 16; Lindqvist 1941/1942, Bd. I Fig. 139–140; Bd. II S. 22–24, Fig. 311. 18 Lamm/Nylén 2003, Nr. 2; Lindqvist 1941/1942, Bd. I Fig. 135  f.; Bd. II S. 13–15, Fig. 303  f. Zur Wieland-Deutung: Oehrl 2009, 544–550; Oehrl 2012a, 303–304; Oehrl 2012b, 103  f.; Oehrl 2015, 230–232. 19 Coatsworth 2008, 198  ff. 20 Gustafsson 2015.



Wieland – Herodes. Der Bethlehemitische Kindermord 

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eines bärtigen Mannes mit Flügeln aus dem südschwedischen Zentralort Uppåkra.21 Der Goldsolidus von Schweindorf in Ostfriesland dürfte ebenfalls eine Wielanddarstellung zeigen, wie die Runeninschrift (wela(n)du = ‚Wēland‘ [mit anglo-friesischer u-Endung]) nahelegt.22 Die dem Schmied auf Franks Casket gegenüber stehende Frau ist augenscheinlich als die Königstochter anzusprechen, die den betäubenden Trunk aus der Hand ihres Peinigers empfängt. Auf dem Boden liegt einer der enthaupteten Königssöhne, der Menschenkopf in der Zange verweist auf die Fertigung der Trinkschalen. Der Becher, den Wieland der Prinzessin überreicht, kehrt im Übrigen auf der Rückseite des Kästchens wieder, auf der die Eroberung Jerusalems durch Titus zu sehen ist. Im Feld unten links23 ist eine thronende männliche Figur platziert, die das Gefäß in ihrer u-förmig gestalteten Hand hält. Unterhalb des Throns sitzt ein weiterer, kleinerer Mann mit ausgestrecktem Bein auf dem Boden, der ebenfalls einen derartigen Becher in der Hand hält. In der anderen Hand trägt er eine Art Stab. Lang hat vorgeschlagen, dass es sich um eine weitere Darstellung Wielands handelt, der unter dem Thron zu sehen sei und dem König die aus den Schädeln der Prinzen gefertigten Trinkgefäße überreiche.24 Die eigenartige Sitzhaltung könne auf die Lähmung des Schmiedes verweisen, der Stab sei eine Krücke.25 Hauck sieht in dem überreichten Gegenstand übrigens keinen Becher, sondern vielmehr einen in Seitenaufsicht wiedergegebenen Fingerring, dessen Schenkel nach oben in eine breite Schulter und Fassung übergehen.26 Diese Lesung ist wenig plausibel. Auf der Titus-Seite handele es sich, so Hauck, um den Ring Salomons, den der thronende Titus an sich nehme, auf der Wieland-Seite aber um jenen Ring, den die Prinzessin in die Schmiede bringe, um ihn von Wieland ausbessern zu lassen.27 Die Zuordnung der übrigen zwei Figuren, der zweiten Frauenfigur und des Mannes mit den Vögeln rechts im Bild, ist umstritten.28 Rechts neben der Königstochter befindet sich eine weitere, identisch gekleidete Frau, die einen Korb oder eine Hängetasche in der Hand hält. Sie ist als Dienstmagd der Königstochter angesprochen worden, die laut Þiðreks saga ihre Herrin zur Schmiede begleitet.29 Da aus der Hängetasche der Frauenfigur ein flaschenähnlicher Gegenstand herauszuschauen scheint, hat man

21 Helmbrecht 2012; Helmbrecht 2013; Stiegemann/Kroker/Walter 2013, Bd.  II, 331, Kat.-Nr.  280, Abb. 280. 22 Berghaus/Schneider 1967; Düwel/Tempel 1968, 381  f.; Düwel 2004; zur Bilddeutung bes. Beck 1980; Beck 1981. 23 Farbige Detailaufnahme etwa bei Yorke 2013, Fig. 4b. 24 Lang 1999; vgl. Yorke 2015, 171, Abb. 4b. 25 vgl. Yorke 2013, 8. 26 Hauck/Krause 1973, 515, Taf. 44a, 45; Hauck 1976, 365; Hauck 1977, 11. 27 vgl. Schwab 2008, 153. 28 Nedoma 1988, 11–18 mit allen wichtigen Deutungen, Argumenten und Literaturhinweisen. 29 Nedoma 1988, 11 Anm. 15.

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auch die Prinzessin mit dem Biertrunk,30 eine „Biermagd“31 oder eine übernatürliche Rachehelferin,32 die den Betäubungstrank herbeibringt, zu erkennen geglaubt. Keine der genannten Interpretationen ist restlos überzeugend. Auch die kleine männliche Gestalt rechts neben der Frau mit der Tasche, die zwei von vier dargestellten Vögeln an den Hälsen packt und hochhebt, ist nicht zweifelsfrei zuzuordnen. Man könnte darin Wielands Bruder Egill erkennen, der – wie in der Þiðreks saga überliefert – Federn für den Flugapparat beschafft.33 Ferner wurde vorgeschlagen, es handele sich um einen der Königssöhne, der Vögel fängt.34 Wahrscheinlicher ist eine Verbindung der Vogelfangszene von Franks Casket mit dem Raub der Schwanenhemden in der Vorgeschichte der Vǫlundarkviða.35 Sie ist jedoch auch mit der Herstellung des Schwertes Mimung verknüpft worden.36 Wieland fertigt es laut Þiðreks saga aus Eisen, das er zuvor von Vögeln fressen und ausscheiden ließ. Ganz abwegig erscheint es mir, dass der Vogelfänger den König auf der Suche nach dem vogelgestaltigen Wieland repräsentiert.37

Kontrastierende oder komplementäre Gegenüberstellung? Auch wenn die zweite Frauenfigur und die Vogelfangszene noch auf ihre schlüssige Erklärung warten, bleibt die Deutung des Schmiedes als Wieland völlig unstrittig. Doch warum wurde die germanische Wieland-Sage, die grausame Rache des Schmiedes, mit der Anbetung Jesu durch die drei Magier verbunden und gemeinsam mit ihr prominent auf der Vorderseite des Kästchens dargestellt? Die Forschung ist sich weitgehend darüber einig, dass dieses räumliche Nebeneinander zweier grundverschiedener Themen eine Bedeutung haben muss und der Schnitzer beide Motive und Erzählungen zueinander in Bezug gesetzt hat. Eine augenfällige Verknüpfung besteht in dem Auftreten von Vögeln in beiden Bildhälften. Links werden langhalsige Vögel gefangen, rechts führt ein identisches Tier die drei Magier nach Bethlehem. Auffallend ist ferner, dass auf beiden Seiten die Überreichung eines Gegenstandes eine Rolle spielt – links der fatale Betäubungstrank, den die ahnungslose Prinzessin entgegennimmt und rechts die ehrfurchtsvollen Gaben der drei Weisen für den menschgewordenen Gott und Erlöser. Der vorderste Magier, der eine Art Pokal darreicht, kniet vor der Gottesmutter nieder und auch die Beine Wielands, der zudem das Haupt

30 Schwab 2008, 153  f. 31 Wolf 1969, 242. 32 Hauck 1973, 517; Hauck 1977, 11; Becker 1973, 87. 33 Nedoma 1988, 11 Anm. 15; Schwab 2008, 133  f. 34 Nedoma 1988, 15 Anm. 18. 35 Becker 1973, 90. 36 So bereits Weber 1941, 108. 37 Becker 1973, 90.



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leicht zu senken scheint, sind leicht eingeknickt, so als überreiche auch er seinen Becher mit einer (zynischen) Geste der Ehrerbietung. Mehrfach ist die Auffassung geäußert worden, es handele sich um eine kontrastive Gegenüberstellung, einen Vergleich zwischen der Grausamkeit der Sage, d.  h. der (aus christlicher Sicht) n e g a t i v e n Figur Wielands, und dem p o s i t i v e n Bild der Epiphanie. Diese Sichtweise ist unmittelbar einleuchtend: Wieland, der (Kinder-) Mörder aus paganer Vorzeit ist rachsüchtig, böse und grausam, der Gott der Christen hingegen ist gnädig – er ist die Liebe (1. Johannes 4,8) und das Leben (Johannes 14,6; 11,25). Der Tötung der Königskinder steht die Verehrung des göttlichen Kindes durch die Magier gegenüber, der Schändung der Prinzessin die jungfräuliche Geburt Jesu. Das vorchristliche Prinzip der Rache wird mit der Liebe und Gnade Gottes, die sich in Jesus Christus manifestiert, kontrastiert. Diese kontrastive Gegenüberstellung verweist auf die Überwindung des Heroischen durch den neuen Glauben. Eine derartige Interpretation der Frontseite von Franks Casket hat bereits Schneider38 formuliert und wurde insbesondere von Haug39 überzeugend dargelegt,40 ähnlich scheinen etwa Nedoma41 und Schwab42 das Doppelbild zu verstehen. Inzwischen hat sich jedoch eine neue Ansicht durchgesetzt, nach der Wieland der Schmied auf Franks Casket als p o s i t i v e , christliche Figur zu verstehen und der Anbetung der Magier und dem Jesuskind nicht kontrastiv, sondern komplementär zugeordnet ist. Grundlage dafür ist insbesondere das altenglische Gedicht Deor43. Wieland erscheint hier als Opfer, nicht als Täter, von seinen Gräueltaten ist keine Rede. Ellis Davidson44 ist der Auffassung, dass das Wielandbild auf Franks Casket auf die Geburt von Wielands Heldensohn (ae. Widia, anorw. Viðga, mhd. Witege) anspielt, der aus der Verbindung mit der Königstochter hervorgeht. Auf dem Kästchen von Auzon seien die Heldengeburt und die Geburt Jesu nebeneinandergestellt, Wielands Sohn könne folglich als Präfiguration Christi aufgefasst werden. Auch Bailey45 erwägt einen Bezug zwischen der Zeugung des Wielandsohnes und der jungfräulichen Zeugung Jesu. Bradley46 bezieht nicht nur das Gedicht Deor ein, in dem Welunds Gefangenschaft als vorbildhaftes Beispiel für das Erdulden von Leid aufgerufen wird, sondern auch Alfreds des Großen (†899) Übertragung von Boethiusʼ De Consolatione Philosophia in das Altenglische sowie Bedas (†735) Kommentar zum Buch der Könige. In letzterem

38 Schneider 1959, 7. 39 Haug 1994, 325  f. 40 s. auch Fletcher 1997, 270. 41 Nedoma 1988, 26  f. 42 Schwab 2008, 114  f. 43 Malone 1966. 44 Ellis Davidson 1969, 219. 45 Bailey 1980. 46 Bradley 1990.

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heißt es, auch die Schmiede seien aus Jerusalem in die babylonische Gefangenschaft geführt worden. Daraus entwickelt Beda eine allegorische Bedeutung des Schmiedes; dieser sei als weiser Meister und Hüter der christlichen Lehre zu betrachten. Bei Alfred wird der Schmied Welund (an Stelle des Römers Fabricius, der in der Vorlage auftritt) namentlich genannt und als Exempel dafür angeführt, dass kein Mensch seiner von Gott verliehenen Kunstfertigkeit und Kraft beraubt werden kann – selbst seine Lähmung habe die Flucht des weisen Welund aus der Gefangenschaft nicht zu verhindern vermocht. Webster weist darauf hin, dass Wielands Flucht und Flug durch die Lüfte als Symbol christlicher Erlösung aufgefasst worden sein könnte, die Wieland-Szene auf dem angelsächsischen Bilderkästchen sei „[…] a redemptive analogue to the Christian scene […]“.47 Ferner wurde darauf aufmerksam gemacht, dass Christus in der altenglischen und altnordischen Literatur vereinzelt als Schmied bzw. Sohn eines Schmiedes (nicht eines Zimmermanns) bezeichnet wird.48 Die oben genannten Textquellen verweisen, so Bradley, auf ein positives Wielandbild bei den christlichen Angelsachsen, das den Blick auf die Kunstfertigkeit und Weisheit Wielands richte, nicht auf seine Rachetaten. Auch die Darstellung des Schmiedes auf Franks Casket sei nicht negativ zu bewerten, sondern als Symbol der Weisheit und der Hoffnung anzusehen. Diesen Standpunkt hat zuletzt Millet49 aufgegriffen und ausführlich begründet. Wieland sei als Weiser angesehen worden, „[…] der mit seinen Juwelen das Laster bekämpft und Gott dient […]“50. Die pagane Wielandsage sei – wie Sigurd der Drachentöter und Gunnar in der Schlangengrube auf Runensteinen, Stabkirchenportalen und Taufbecken – im christlichen Sinne ausgelegt worden. Zahlreiche Forscher haben sich dieser Sichtweise, der positiven Deutung des Wielandbildes angeschlossen.51 Auch Lang und Yorke schreiben Wieland eine positive Bedeutung zu.52 Er sei als verehrungswürdiger Rächer betrachtet worden, seine Gewalttaten als legitime Mittel zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit. Sowohl Titus (auf der Rückseite der Schatulle) als auch Welund seien zwar keine Christen gewesen, jedoch Werkzeuge Gottes für die Bestrafung der Unrechtschaffenden – der Juden bzw. des Königs Niðad. Der Böse in der Wielandgeschichte sei nicht Welund, sondern Niðad, der den Schmied entführt, lähmt und zur Arbeit zwingt. Abel resümiert in seiner ausführlichen Studie: „The scenes on the front panel are more plausibly interpreted as complementary than adversarial […]. The images of the revenge of Weland and the Adoration of the Magi, on this reading, represent two aspects of reciprocity, vendetta and gift giving, and two models of lordship, the good lordship of the Lord Christ contrasted with the bad

47 Webster 1999, 232. 48 Bradley 1991; Oehrl 2012a, Anm. 7; Yorke 2013, 9. 49 Millet 2009; Millet 2015. 50 Millet 2009, 329. 51 zuletzt bspw. Kopár 2012, 9; Pesch 2015, 89. 52 Lang 1999; Yorke 2013; Yorke 2015.



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lordship of King Niðad.“53 Blutrache und der Austausch von Geschenken seien zwei übliche soziale Strategien im angelsächsischen England des 8. Jh. und im Bild Wielands bzw. der Anbetung Jesu vergegenwärtigt worden. Da die Strategie „gift giving“ die Gewaltspirale überwinde und langfristig zum Erfolg führe, könne die Gegenüberstellung auf der Frontseite von Franks Casket als eine Art speculum principum gelesen werden.54 Ich halte die vorgebrachten positiven Deutungen des Wielandbildes von Franks Casket für problematisch. Sie setzen voraus, dass Kindermord und Vergewaltigung in der angelsächsischen christlich-gelehrten Gesellschaftselite, in der Herstellung und Nutzung des Kästchens zu verorten sind, als legitime Mittel akzeptiert bzw. als wenig anstoßerregend angesehen wurden. Freilich galten Mord und Kindermord auch bei den frühmittelalterlichen Angelsachsen als Verbrechen und wurden hart bestraft. Die Gesetzgebung von König Aethelberht aus der Frühphase der Angelsachsenmission ist von der Wertschätzung menschlichen Lebens geprägt, was eine Innovation darstellt und kirchlichen Einfluss erkennen lässt.55 So verzichtet sie etwa auf die Todesstrafe als Sühne für Totschlag. Zu erwähnen ist auch die Synode von Birr (im heutigen County Offaly, Irland), die im Jahr 697 die Tötung von Frauen und Kindern im Kriegsfall untersagt.56 „Zum verstärkten Schutz des Lebens infolge der Christianisierung gehörte weiterhin der Kampf der Kirche gegen Abtreibung und Kindestötung.“57 Auch Vergewaltigung galt in der Entstehungszeit des Franks Casket nicht als Kavaliersdelikt. Im Gegenteil sehen die Gesetze der Angelsachsen, was auf kirchliches Einwirken zurückzuführen ist, strenge Strafbestimmungen vor und zeichnen im Übrigen ein „[…] höchst differenziertes Bild der Frau“58. Eine klar erkennbare Absicht dieser Gesetzgebung war es, Frauen vor Übergriffen zu schützen – auch dies eine Neuerung auf Grundlage des christlichen Menschenbildes. „Gegenüber den paganen Sozialformen ist eine Verbesserung der Stellung der Frau […] und der Schutz der Kinder zu beobachten […]“59. Der Schöpfer des Franks Casket und sein Publikum waren hochgebildete Christen, das Kästchen dürfte in einem Kloster entstanden sein. Es wurde von Menschen geschaffen und verwendet, die zu jener christlichen Elite gehörten, welche die oben beschriebenen sozialen, ethischen und juristischen Entwicklungen durchsetzten. Ist es denkbar, dass diese Zeitgenossen über Mord und Vergewaltigung hinwegsahen, die Verbrechen Wielands ausblendeten oder sogar verherrlichten? Ganz zu schweigen davon, dass der Kindermörder und Mädchenschänder Vǫlundr in der Lieder-Edda als

53 Abels 2009, 567. 54 Abels 2009, 580. 55 von Padberg 1995, 318. 56 von Padberg 1995, 319. 57 von Padberg 1995, 319. 58 von Padberg 1995, 327  ff. 59 von Padberg 1995, 365, vgl. 340.

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Alb (álfa lióði ‚Landsmann der Alben‘)60 bezeichnet wird und somit von christlichen Betrachtern im Umfeld dämonischer Wesen verortet werden musste. Der Dichter von Deor und Alfred der Große blenden die Gräueltaten Welunds tatsächlich aus und erwähnen sie mit keiner Silbe. Als Grundlage für eine Deutung des Wielandbildes von Franks Casket erscheint mir dies allerdings nicht ausreichend, denn auf dem Bilderkästchen von Auzon werden die Rachetaten n i c h t ausgeblendet, sondern in den Mittelpunkt gerückt. Das ist ein wichtiger Unterschied. Nicht die Weisheit und Schmiedekunst bzw. die Lähmung, Gefangenschaft und Flugfähigkeit Wielands (oder sein Heldensohn) werden vom northumbrischen Künstler ins Bild gesetzt, sondern die Schändung und der Kindermord. Das gilt auch für das Wielandbild von Leeds, das die Vergewaltigung unverblümt darstellt. Es ist kaum vorstellbar, dass Wieland mit der Prinzessin in seinen Händen, die noch den Betäubungstrank in der Hand hält, als christliches Motiv gleichberechtigt neben die Heiligen und Evangelisten auf das Steinkreuz gekommen ist.61 Dagegen spricht auch die Positionierung des Wielandbildes im untersten Bereich des Kreuzschaftes, der auf vergleichbaren Denkmälern Dämonen vorbehalten ist.62 Offenbar hat der Meister von Leeds eine Überwindung des alten Racheideals und grausamen Heldentums, das Wieland auf abschreckende Weise verkörpert, zum Ausdruck bringen wollen. Auch auf dem Kästchen von Auzon, das die heimtückische Annäherung an das Mädchen und die brutale Tötung der Jungen konkret abbildet, ist eine positive Bedeutung Wielands abwegig. Millet meint, die Gräueltaten seien für eine ikonographische Identifizierung Wielands schlicht notwendig gewesen, ohne dass ihnen besondere Bedeutung beizumessen wäre.63 Das halte ich für wenig überzeugend. Der Meister des Franks Casket wäre durchaus in der Lage gewesen, Wieland auch ohne Kinderleichen, abgetrennte Köpfe und Hinweise auf die Misshandlung der Königstochter darzustellen  – wenn er ihn denn als positive Figur hätte präsentieren w o l l e n . Schmiedemerkmale wie Zange und Amboss und dazu ein Hinweis auf die Flugfähigkeit Wielands, wie sie die Steinmetze von Leeds und Ardre VIII durch eine Vogelhülle bzw. Vogelgestalt wiedergeben, wären für die Identifikation wohl ausreichend gewesen. Auch Wielands Rolle als Leidender  – wie in Deors Klage  – hätte, bspw. durch die Darstellung einer Fußfessel oder einer Verstümmelung, verdeutlicht werden können. Dem Künstler waren die drastischen Gewalttaten Wielands offenbar wichtig, sie sind das zentrale Thema der dargestellten Szene.

60 Vkv. Str. 10, Neckel/Kuhn 1983, 118. 61 Bailey 1980, 106  f.; Bradley 1990, 43  f.; Millet 2009, 321  f. 62 Oehrl 2012a, 290. 63 Millet 2009, 329; Millet 2015, 307 Anm. 34.



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Der Kindermord zu Bethlehem Es gibt, so meine ich, ein weiteres wichtiges Argument, dass eine n e g a t i v e Bedeutung Wielands auf Franks Casket wahrscheinlich macht. Der gebildete angelsäch­ sische Schöpfer der Schatulle kommt nicht zufällig auf den Gedanken, den Kindermörder Wieland und die Anbetung Jesu auf der Frontseite gemeinsam abzubilden und durch mehr oder weniger deutliche Motivkorrespondenzen miteinander zu verknüpfen und zu kontrastieren. Ausschlaggebend ist meines Erachtens die Tatsache, dass in der Kindheit Jesu ein berüchtigter Kindermord eine herausragende Rolle spielt. Das Matthäusevangelium ist der einzige Text des Neuen Testaments, der den „Kindermord zu Bethlehem“ erwähnt: Die drei Weisen, die dem Stern folgen, gehen zu König Herodes und fragen ihn nach dem Geburtsort des neuen Königs der Juden. Herodes schickt die Magier nach Bethlehem und trägt ihnen auf, ihm den Aufenthaltsort des Kindes mitzuteilen, was diese jedoch, auf Geheiß Gottes, nicht tun. „Da Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, ward er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Kinder zu Bethlehem töten und an seinen ganzen Grenzen, die da zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er mit Fleiß von den Weisen erlernt hatte. Da ist erfüllt, was gesagt ist von dem Propheten Jeremia, der da spricht: ‚Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört, viel Klagens, Weinens und Heulens; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen‘ [1. Mose 35,19]“ (Matthäus 2,16–18). Der Kindermord zu Bethlehem wird in der christlichen Ikonografie seit der Spätantike häufig neben der Anbetung durch die Magier abgebildet und dieser bewusst gegenübergestellt.64 Derartige bildliche Darstellungen haben, so lautet meine These, auf die Konzeption der Frontseite von Franks Casket, die Wahl des Wieland-Motivs und seine Platzierung neben der Anbetung Jesu eingewirkt. Eine der frühsten bekannten Bilddarstellungen des Bethlehemitischen Kindermordes65 findet sich unter den Mosaiken am Triumphbogen von Santa Maria Maggiore in Rom (Abb. 2) aus dem 5. Jh.66 Die Anbetung Jesu ist unmittelbar darüber platziert (Abb. 3). Doch wird die eigentliche Tötung der Kinder hier nicht abgebildet. Die Mosaiken zeigen den thronenden König Herodes, umgeben von seiner Leibgarde, der die Hand zum Tötungsbefehl hebt. Ein Soldat steht vor dem Thron und wendet sich einer Gruppe von Frauen zu, die ihre Babys auf den Armen tragen. Die ersten bildli-

64 Siehe bereits Oehrl 2012a, 284. Diese Einsicht verdanke ich einer Anregung von Klaus Gereon Beuckers, dem ich zu herzlichem Dank verpflichtet bin. 65 Allgemein zur Ikonografie des Bethlehemitischen Kindermordes: Millet 1916, 158–163; Smith 1918; DACL 1926 s.  v. Innocents (Massacre des), Sp. 609–616; Künstle 1928, 372–373; Réau 1957 s.  v. Le Massacre des Innocents et la Fuite en Égypte, 267–272; BSS 1966 s.  v. Innocenti, Sp. 819–832; KötzscheBreitenbach 1968/1969; LCI 1970 s.  v. Kindermord, Bethlehemitischer, Sp. 509–513; Schiller 1981, 124–126; Beuckers 1999. 66 Kehrer 1908, 56, Abb. 43; Wilpert 1916, Bd. III, Taf. 69; Karpp 1966, Taf. 25; Schiller 1981, 220, 222, Abb. 52, 256, 301.

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chen Darstellungen, welche die Tötung konkret abbilden, sind auf römischen Sarkophagen des 4. und 5. Jh. zu sehen, zu nennen sind der Sarkophag von San Sebastiano in Rom (Abb. 4)67, der Sarkophag aus der Krypta Saint-Maximin (Abb. 5)68 der Kirche Sainte-Marie-Madeleine in der Gemeinde Saint-Maximin-la-Sainte-Baume (Dep. Var) und ein verschollener, in Form zweier Zeichnungen erhaltener Sarkophag von St. Martin in Saint-Remy (Abb. 6–7)69. Das schlecht erhaltene Relief von San Sebastiano lässt Herodes mit einer Art Langzepter erkennen, der mit einer Geste seiner ausgestreckten Hand den Befehl zur Tötung erteilt. Vor ihm steht ein Soldat, der ein Baby anscheinend an den Beinen hält und durch die Luft schleudert, ein toter Babykörper liegt vor seinen und Herodesʼ Füßen. Neben dem Soldaten ist eine der wehklagenden Mütter platziert. Die beiden letztgenannten Denkmäler bilden am linken Rand der rechteckigen Bildfläche den thronenden Herodes ab, der nach rechts blickt und die Hand zum Tötungsbefehl ausstreckt. Rechts neben dem Thron, vor dem König, befinden sich seine Soldaten, die den Befehl ausführen. Ein nacktes Kind wird an den Beinen gepackt und durch die Luft geschleudert. Im Fall von Saint-Maximin trägt ein zweiter Soldat ein weiteres nacktes Kind herbei, der Sarkophag von Saint-Remy zeigt einen Kinderleichnam vor Herodesʼ Thron auf dem Boden liegen. Von rechts nähern sich zwei klagende Mütter, im Fall von Saint-Maximin handelt es sich um eine einzelne Frauenfigur. Auf den Sarkophagen von Saint-Maximin und Saint-Remy ist die rechteckige Relieffläche durch ein von Engeln flankiertes Mittelfeld in zwei Hälften geteilt, der Kindermord befindet sich auf der linken Hälfte. Auf der gegenüberliegenden rechten Hälfte ist die Anbetung Jesu durch die drei Magier zu sehen. Maria befindet sich am äußeren Rand der Szene und blickt nach links. Die Platzierung der sitzenden Gottesmutter entspricht der Position von König Herodes im linken Bildfeld, beide sitzen sich sozusagen gegenüber. Weitere weströmische Darstellungen, welche die Tötung der Kinder von Bethlehem als Zerschmettern70 wiedergeben, sind auf Elfenbeinarbeiten des 5. Jh. zu sehen, wo sie ebenfalls mit dem Bild der Geburt Jesu in engem Zusammenhang stehen. Der linke Flügel eines fünfteiligen Elfenbein-Diptychons aus Ravenna oder Oberitalien im Mailänder Domschatz (Abb. 8–9)71 zeigt auf dem rechteckigen Feld an der oberen Schmalseite das Jesuskind im Stall, flankiert von Maria und Josef. Das Bild wird links und rechts von Evangelisten-Symbolen gerahmt. Auf der entsprechenden unteren Schmalseite des Elfenbeinflügels, ebenfalls von Evangelisten-Symbolen gerahmt, ist der Kindermord von Bethlehem platziert. Links thront Herodes, die Hand zum

67 Kötzsche-Breitenbach 1968/1969, 104–107, Abb. 4, Taf. 16a. 68 Garrucci 1879, 59  f., Taf. 334:3; Wilpert 1929, 178, Taf. 39:2; Kötzsche-Breitenbach 1968/1969, 106, Taf. 17a; Ulbert 2003, Nr. 499, 236  f. mit Bibliografie, Taf. 119:3, 120:4–5. 69 Kötzsche-Breitenbach 1968/1969, 106 mit Literaturhinweisen in Anm. 11, Taf. 17b-c. 70 Wohl in Anlehnung an einen verbreiteten Kriegstopos, der bereits im Alten Testament oder bspw. in der Ilias begegnet (Kötzsche-Breitenbach 1968/1969, 112–114). 71 Kötzsche-Breitenbach 1968/1969, 106  f., Taf. 18c; Volbach 1976, Nr. 119; Schiller 1981, 209, Abb. 53.



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Tötungsbefehl erhoben, ein Soldat schleudert ein nacktes Kind durch die Luft, ein zweites liegt ihm zu Füßen. Rechts erscheinen zwei klagende Mütter, die von Soldaten abgedrängt werden. Eine weitere Elfenbeintafel stammt aus Rom oder Oberitalien und wird in Berlin aufbewahrt (Staatl. Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, Inv.-Nr. 2719).72 Es handelt sich um den rechten Seitenstreifen eines zusammengefügten Ensembles, vermutlich eines fünfteiligen Diptychons, das einen umfangreichen Bilderzyklus dargestellt haben muss. Auf dem schmalen, hochrechteckigen Stück sind zuoberst der Kindermord von Bethlehem (Abb. 10), darunter die Taufe Jesu und das Weinwunder von Kanaa zu sehen. Das quadratische Bildfeld zeigt am rechten Rand Herodes auf dem Thron, die Hand hebend, vor ihm einen Soldaten, der ein nacktes Kleinkind am Bein packt, um es auf den Boden zu schleudern, auf dem bereits eine nackte Kinderleiche bäuchlings vor seinen und Herodesʼ Füßen liegt. Hinter dem Schergen des Königs befinden sich zwei klagende Mütter. Der auf den römischen Sarkophagen und Elfenbeinarbeiten vorkommende Typus wird von Elfenbeinschnitzern der Karolingerzeit kopiert. Ein Elfenbein-Buchdeckel aus der Zeit um 800, welcher der Hofschule Karls des Großen zugeordnet und heute in Oxford aufbewahrt wird (Bodleian Library, Cod. Douce 176),73 zeigt als zen­tra­les Bild Christus Victor nach Psalm 90 (91),13. Um das Mittelfeld herum reihen sich 12 kleinere Bildfelder, darunter der Kindermord von Bethlehem – mit dem thronenden Herodes, der die Hand zum Tötungsbefehl ausstreckt, einem Schergen, der vor dem Thron steht und ein nacktes Kind durch die Luft schleudert, einem bäuchlings auf dem Boden liegenden nackten Kind und einer wehklagenden Mutter (Abb. 11). Just über diesem Bildfeld ist die Anbetung Jesu durch die drei Weisen zu sehen. Das Bild ist ähnlich aufgebaut wie der Kindermord darunter: Direkt oberhalb des thronenden Herodes ist die ebenfalls thronende Maria platziert, beide blicken nach links, beiden sind drei Personen zugewandt, in beiden Bildfeldern wirken die Figuren dicht gedrängt. Aus dem 9.  Jh. stammt ein Elfenbein-Buchdeckel der Metzer Schule in der Nationalbibliothek in Paris (Bibl. Nat. Cod. lat. 9393).74 Er ist in drei rechteckige Bildfelder eingeteilt, oben ist Mariae Verkündigung, in der Mitte die Anbetung Jesu und unten der Bethlehemitische Kindermord dargestellt (Abb. 12): Herodes sitzt auf seinem Thron, mit erhobener Hand den Befehl zur Tötung der Kinder erteilend, vor ihm stehen zwei Schergen, die jeweils ein nacktes Kind an den Beinen durch die Luft schleudern, dahinter eine Gruppe von Müttern. Auch in späteren Jahrhunderten wird

72 Kötzsche-Breitenbach 1968/1969, 106  f, Taf. 18a; Volbach 1976, Nr. 112; Schiller 1981, 222, Abb. 302; Stiegemann/Wemhoff 1999, Bd. 2, 693  f. X4; Stiegemann/Kroker/Walter 2013, Bd. II, 58  f. Nr. 43 mit weiteren Literaturhinweisen. 73 Kötzsche-Breitenbach 1968/1969, 108, Taf. 18b; Volbach 1976, Nr. 221; Schiller 1981, 227, Abb. 427; Stiegemann/Wemhoff 1999, Bd. 2, 696–698 X.7 mit Bibliografie. 74 Schiller 1981, 222, Abb. 303; Goldschmidt 1914/1918, Bd. 1, Taf. 72; Kehrer 1908, Abb. 104.

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der römische Typus kopiert, etwa auf einem Elfenbein-Buchdeckel aus dem Victoria & Albert Museum in London, der in das 11. Jh. datiert wird.75 Aus dem 9. Jh. stammt auch das Augsburger Purpurevangeliar (Staatsbibl. München Clm 23631, fol. 24v).76 Ein in dieses sekundär eigeheftetes Blatt (das als antikes Original oder karolingische bzw. ottonische Kopie angesehen wurde) zeigt, ungeordnet in ein kreuzförmiges Feld eingefügt, den thronenden Herodes mit typischem Befehlsgestus, zwei Schergen, die nackte blutende Kinder an den Beinen halten und durch die Luft schleudern, flankiert von klagenden Müttern. Eines der Kinder scheint auf einem säulenartigen Altar zerschmettert zu werden, ein Soldat bedrängt eine der Frauen und zerrt an ihren Haaren. Diese speziellen Abweichungen von der üblichen Bildkonvention könnten auf vorchristliche, hellenistisch-römische Bildvorlagen zurückgehen.77 Ein zweiter Kindermord-Typus, der zuerst im Nahen Osten auftritt, gibt die Tötung nicht durch Schleudern und Zerschmettern, sondern durch Waffen wieder. Der im Jahr 586 in Syrien entstandene Rabbula-Codex (Florenz, Bibl. Laur. Plut. I 56 fol. 4v)78 zeigt in einer Randminiatur Herodes auf seinem Thron mit dem Befehlsgestus (Abb. 13) und auf der gegenüberliegenden Seite einen Soldaten, der ein Kind am Fußknöchel hochhebt und mit dem Schwert ausholt, während die Mutter den Vollstrecker aufzuhalten versucht (Abb. 14). Just über dem Kindermord ist die Geburt Jesu zu sehen. Ein Tonmedaillon aus der Abtei San Columban in Bobbio, im Norden Italiens, stammt aus dem Heiligen Land und datiert in das 6. oder frühe 7. Jh.79 Das Stück zeigt rechts Elisabeth mit dem Johanneskind und links einen Soldaten, der anscheinend ein Kind mit dem Schwert erschlägt. Es gibt weitere altchristliche bzw. byzantinische Darstellungen des Bethlehemitischen Kindermords, die (nach apokrypher Vorlage) Elisabeths Flucht und Versteck im Berg einbeziehen; in einem Pariser Homiliencodex des Gregor von Nazianz (Cod. gr. 510, fol. 137) aus der Zeit um 880 und unter den Wandmalereien der Kirche von Deir Abu Hinnis in Ägypten aus dem 6. oder 7. Jh. „thront“ Elisabeth mit dem Johannesknaben auf dem Schoß im Berg, ähnlich wie die Mutter Gottes mit Jesus im Stall von Bethlehem, und ist Herodes gegenüber platziert.80 Auch hier werden die Kinder an den Beinen oder Haaren in die Luft gehoben und mit Schwertern erschlagen, Herodes sitzt auf seinem Thron und ordnet das Blutbad an. Der östliche Typus wird ebenfalls in der Karolingerzeit übernommen und bleibt bis in das 10. und 11. Jh. üblich.81 Zu nennen sind die Initialen im um die Mitte des

75 Goldschmidt 1914/1918, Bd. 2, Nr. 65, Taf. 22. 76 Kötzsche-Breitenbach 1968/1969, 108  f., Taf. 19a. 77 Weitzmann 1960, 61  f. 78 Cecchelli/Furlani/Salmi 1959, 54–56; Kötzsche-Breitenbach 1968/1969, 110, Taf. 19b; Maguire 1981, 29, Fig. 4; Schiller 1981, 222, Abb. 299. 79 Grabar 1958, 44, Taf. 56; Kötzsche-Breitenbach 1968/1969, 111, Taf. 19c; Maguire 1981, 30, Fig. 5. 80 Fabricius 1956, 69–71, Taf. XVIII:1–2; Underwood 1975, 230, Fig. 57- 58; Maguire 1981, 30, Fig. 6. 81 Zu den (späteren) byzantinischen Darstellungen: Millet 1916, 158  ff. und passim; Underwood 1975, 229  ff., Fig. 57–61; Maguire 1981, 25  ff., Fig. 6–11.



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9.  Jh. entstandenen Drogo-Sakramentar,82 das sich heute in der Nationalbibliothek in Paris befindet (Cod. lat. 9428, fol. 31a, 32b, 34b, 38a). Sie zeigen ein Massaker mit mindestens zehn nackten Kinderleichen, drei trauernden Müttern und zwei Vollstreckern, die mit Schwertern auf ihre Opfer einschlagen (Abb. 15). Auf den folgenden Blättern ist die thronende Gottesmutter mit dem Jesuskind zu sehen, ferner die Ankunft der Magier bei Herodes und ihre Anbetung Jesu in Bethlehem (Abb. 16). In das 2. Drittel des 9. Jh. datiert eine Handschrift des Osterhymnus Carmen paschale des spätantiken Dichters Sedelius Coelius, die auf zwei nebeneinander liegenden Seiten die Anbetung Jesu und den Kindermord abbildet (Abb. 17).83 Rechts neben Herodes, der am linken Rand der Seite steht und den Arm ausstreckt, kniet eine Mutter vor einer nackten Kinderleiche; es folgt ein Soldat, der ein nacktes Kindlein mit seiner Lanze aufspießt, daneben eine weitere Mutter, die ein Kind auf dem Arm und ein zweites am Handgelenk festhält, und schließlich ein zweiter Kriegsknecht, der ein Kind am Knöchel packt und mit dem Schwert zuschlägt. Es wurde vermutet, dass es sich bei dieser illuminierten Handschrift, die heute in Antwerpen aufbewahrt wird (Museum Plantin-Moretus Prentenkabinet, M 17.4, fol. 15v und 16r), um eine karolingische Kopie einer älteren Vorlage aus England handelt. Drei einander sehr ähnliche Kindermord-Darstellungen finden sich im Trierer Codex Egberti (Stadtbibl. Trier Cod. 24, fol. 15v) (Abb. 18)84 aus der Zeit um 980, im Reichenauer Evangeliar Ottos III. (Bayerische Staatsbibl. München Clm 4453, fol. 30v) (Abb.  19)85 aus der Zeit um 1000 und im Echternacher Perikopenbuch (Staatsbibl. Bremen Hs. b. 21, fol. 13) (Abb. 20)86, das zwischen 1039 und 1043 vollendet wurde. Sie zeigen links König Herodes mit dem Langzepter bzw. Richterstab, der die Beine übereinander legt (was in der mittelalterlichen Ikonografie einen richterlichen Gestus darstellt)87 und mit ausgestreckter Hand den Tötungsbefehl erteilt. Im Evangeliar Ottos III. thront der König in seinem Palast, die beiden anderen Handschriften zeigen ihn anscheinend stehend. Zwei Knechte greifen jeweils nach einem nackten Kind und heben ihre Schwerter, im Codex Egberti und der Echternacher Handschrift stößt ein dritter seine Lanze in den Körper eines Kindes, ein Berg aus nackten, teils enthaupteten Kinderleichen türmt sich auf, rechts erscheinen die wehklagenden Mütter. Dass die ottonischen Darstellungen auf antike Vorbilder zurückgehen, ist nicht zu übersehen.88

82 Koehler 1960, Taf. III,82; Schiller 1981, 222, Abb. 300. 83 Beer et al. 2014, 48–49 Nr. 13, mit Hinweisen auf ältere Literatur. 84 Schiller 1981, 222, Abb. 304; Franz 2005, 103  f. 85 Mütherich/Dachs 2001, 52, Taf. 22. 86 Franz 2005, 104. 87 Franz 2005, 104. 88 Mütherich/Dachs 2001, 52; Franz 2005, 71  f.

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Wieland – Herodes Wie der obige Überblick zeigt, waren bildliche Darstellungen des Bethlehemitischen Kindermordes bereits in der Spätantike verbreitet, wurden im frühen Mittelalter nach antiken Vorlagen gestaltet – auch in Form von Elfenbeinschnitzereien – und können durchaus dem angelsächsischen Gelehrten, der im frühen 8.  Jh. das Franks Casket schuf, als Anregung gedient haben. Tatsächlich ist eine Reihe formaler und inhaltlicher Parallelen zwischen den antiken und frühmittelalterlichen Bildern des Kindermordes zu Bethlehem und der Wielandszene von Auzon zu konstatieren: Der Kindermord von Bethlehem wird häufig in unmittelbarer Nachbarschaft zur Anbetung Jesu dargestellt.89 In einigen Fällen weist die Anordnung der Bilder darauf hin, dass beide Motive zueinander in Bezug gesetzt wurden, etwa auf dem ElfenbeinDiptychon aus dem Mailänder Domschatz und dem karolingischen Elfenbein-Buchdeckel in Oxford. Auf den römischen Sarkophagen von Saint-Maximin und Saint-Remy erscheint Maria als „Pendant zu Herodes“90. Die Bildteilung und die Positionierung von Maria und Herodes auf den Sarkophagen entsprechen dem Aufbau der Frontseite von Franks Casket. Auch hier befindet sich die Anbetung in der rechten Bildhälfte, mit der Gottesmutter am äußeren Rand; Wieland am äußeren Rand der linken Bildhälfte entspricht Herodes, die Tötung der Königssöhne dem Massenmord an den Kindern Bethlehems. Ein vergleichbares Gegenüber von Maria und Herodes ist im Übrigen auf dem karolingischen Elfenbein-Buchdeckel des Lorscher Evangeliars (Vatikan, Bibl. Apostolica Cod. Pal. lat. 50) (Abb.  21)91 und einer vergoldeten Zierplatte aus Oberitalien (Staatl. Museen zu Berlin  – Preußischer Kulturbesitz, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, Inv.-Nr. 1007)92, beide aus der Zeit um 800, zu sehen. Die Bilder des Bethlehemitischen Kindermordes zeigen auf dem Boden liegende, stets nackte, teils enthauptete Kinderleichen, zu Füßen des Königs Herodes und der klagenden Mütter. In der Schmiede auf Franks Casket liegt die nackte Leiche des Königssohns auf dem Boden, vor den Füßen Wielands, Beadohildes und ihrer Begleiterin. Die zwei Frauen in der Schmiede, die vor Wieland und der nackten Kinderleiche stehen, entsprechen den klagenden Frauen in der Ikonografie des Bethlehemitischen Kindermordes. Ein antikes bzw. frühmittelalterliches Vorbild könnte den angelsäch­ sischen Schnitzer dazu angeregt haben, eine zweite Frauenfigur hinzuzufügen.93

89 Dazu auch Millet 1916, 137  f., 141, 164 mit weiterem Abbildungsmaterial. 90 Ulbert 2003, 237. 91 Goldschmidt 1914/1918, Bd. 1, Nr. 13, Taf. VII; Schiller 1981, 220, Abb. 260. 92 Kehrer 1908, 100  f, Abb. 99; Baum 1937, 75, Pl. X:21; Beer et al. 2015, 44–45 Nr. 11. 93 Im Übrigen findet das enigmatische vegetabile Gebilde mit den drei Zipfeln, das in Wielands Schmiede zweifach neben den Köpfen der Frauen schwebt, seine einzige Entsprechung auf der Rückseite des Kästchens: Es krönt den jüdischen Tempel – den berühmten Herodianischen Tempel, den König Herodes der Große im Jahr 21 v. Chr. erbauen ließ.



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Der rätselhafte Vogelfänger der Wielandszene entspricht anscheinend den Schergen des Herodes, die das Massaker ausführen: So wie die Soldaten des Herodes die Kinder an den Beinen packen, festhalten oder schleudern, greift der Vogelfänger von Franks Casket die Tiere an ihren Hälsen und hebt sie in die Luft. Die strangulierten Vögel entsprechen den unschuldigen Kindern von Bethlehem. Dieser Vergleich ist keineswegs abwegig und mag sich dem christlich-gelehrten Schöpfer des Kästchens durchaus aufgedrängt haben, denn in der christlichen Ikonografie des frühen Mittelalters gelten Tauben als Repräsentanten der reinen Seelen, insbesondere von Kinderseelen.94 Daher sind auf einer Reihe spätantiker und merowingerzeitlicher Kindergrabsteine Darstellungen von Tauben zu sehen, die bisweilen mit ähnlich langen Hälsen ausgestattet sind wie die Tiere auf Franks Casket.95 Dass es sich bei letzteren um Tauben und nicht etwa um Wasservögel handelt, wird von Schwab erwogen.96 Vor dem hier erläuterten Hintergrund halte ich es für denkbar, dass einige weitere Merkmale der Figur Wielands auf dem angelsächsischen Elfenbeinkästchen mit den antiken und frühmittelalterlichen Darstellungen des Herodes korrespondieren: Die leicht angewinkelten Beine Wielands suggerieren eine Sitzhaltung, obgleich kein Stuhl oder Hocker zur Darstellung gekommen ist. Die eigenartige Beinhaltung wurde als bildlicher Hinweis auf Wielands Lähmung angesehen.97 Möglicherweise geht sie jedoch auf die Sitzhaltung von König Herodes zurück, dessen Beine etwa im Fall von Santa Maria Maggiore leicht angewinkelt sind, während sein Thron kaum zu erkennen ist (Abb. 2). Sollte der Schöpfer des Franks Casket die Sitzhaltung der Herodes-Darstellungen kopiert haben, ohne den Thron abzubilden? Genau das haben Buchmaler des 10./11. Jh. getan,98 wie der Codex Egberti und das Echternacher Perikopenbuch zeigen (vgl. Abb. 18 und 20 mit Abb. 19). Auch die ausgestreckte Hand des Herodes, mit der er den Massenmord anordnet, könnte im Wielandbild nachwirken – als ausgestreckte Hand, die den Becher mit dem Betäubungstrank überreicht. Auf den ersten Blick scheinen Wieland der Schmied und Herodes der Große nicht viel gemeinsam zu haben. Die beiden Kindermorde sind jedoch in ihrer Abscheulichkeit gut vergleichbar: Wieland enthauptet die Kinder, zerstückelt die Toten und macht aus ihren Leichenteilen Schmuckgenstände und Gefäße; die Kinder von Bethlehem werden, in der bildlichen Überlieferung, enthauptet, mit Schwertern erschlagen, auf dem Boden zerschmettert, ertränkt oder mit Sägen zerteilt. Ein Vergleich bot sich an – grausamere und prominentere Kindermörder dürfte es weder in der christlichen, noch in der angelsächsisch-paganen Überlieferung gegeben haben. Ist Wieland in

94 LCI 1972 s.  v. Taube, Sp. 242. 95 Uelsberg/Heine 2006, 98  f.; Ristow 2007, 270  f., Taf. 75a-b. 96 Schwab 2008, 115  ff. Bouman sieht in den Vögeln die Folgegeister der getöteten Königssöhne (Bouman 1950, 172; Bouman 1965, 243). 97 Whitbread 1957, 15  ff.; Nedoma 2005, 182; Oehrl 2012a, 281. 98 Franz 2005, 104.

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diesem Sinne ein „germanischer Herodes“? Sowohl Wieland als auch Herodes versuchen durch Kindermord dynastische Entwicklungen zu ihren eigenen Gunsten zu beeinflussen – Wieland beraubt König Niðad seiner männlichen Nachkommen und schwängert die Königstochter, um seinen Sohn, den Helden Widia, als zukünftigen König zu positionieren. König Herodes lässt die Kinder Bethlehems töten, um zu verhindern, dass der neugeborene König der Juden ihm den Thron streitig macht. Ich fasse das vorläufige Ergebnis meiner Überlegungen zusammen: Das Wielandbild von Franks Casket könnte in Anlehnung an den Bethlehemitischen Kindermord gestaltet und neben der Anbetung Jesu platziert worden sein. Herodes, der in christlichen Bildwerken der Antike und des Frühmittelalters neben Maria mit dem Jesuskind auftritt, wird durch den einheimischen Kindermörder Wieland ersetzt. Der Künstler hatte vermutlich eine spätantike Vorlage, auf der neben der Anbetung Jesu der Kindermord von Bethlehem abgebildet war. Die Parallelen zwischen dem biblischen Kindermord bzw. seinen ikonografischen Zeugnissen und der Rache Wielands haben ihn dazu veranlasst, eine Wieland-Darstellung zu schaffen, den Bethlehemitischen Kindermord in ein indigenes, vorchristliches Motiv umzuwandeln. Dass südliche Vorbilder entscheidend auf die Gestaltung des Runenkästchens einwirken ist bereits lebhaft diskutiert worden und gilt als unzweifelhaft.99 Die kontrastierende Gegenüberstellung von Kindermord und Anbetung ist bereits im Matthäusevangelium angelegt. Der Autor des Matthäusevangeliums betont in besonderer Weise die königliche Abstammung Jesu und seine Rolle als König der Juden. Diesem stellt der Autor den Gewaltherrscher Herodes kontrastierend gegenüber,100 wofür er den Kindermord benötig, der weder in den übrigen Evangelien, noch in historischen Quellen wie den Werken des Flavius Josephus erwähnt wird. „Matthäus bedient sich […] des Mittels der literarischen Kontrastierung, um den regierenden Herrscher, König Herodes, von der davidischen Herrschergestalt bewusst abzuheben.“101 Jesus wird im Evangelium des Matthäus „[…] als der wahre, barmherzig heilende […], gewaltlos friedliche Davidide (21,1–9) dem gewalttätigen Despoten Herodes (2,1  ff.) gegenübergestellt.“102 Diese Gegenüberstellung wirkt unverkennbar in der spätantiken Ikonografie nach,103 besonders deutlich im Bildarrangement der Sarkophage von Saint-Maximin und Saint-Remy und schließlich, so meine These, auf der Frontseite von Franks Casket. Es scheint sich um eine jener gelehrten Anspielungen und Verrätselungen104 zu handeln, die das Runen- und Bilderkästchen auszeichnen. Wieland verweist als einheimische Entsprechung auf den biblischen Kindermör-

99 Zuletzt bspw. Webster 2012, 30–31. 100 Zuletzt zu dieser Frage: Albrecht 2015 mit den einschlägigen Literaturhinweisen. 101 Albrecht 2015, 150. 102 Pokorný/Heckel 2007, 440. 103 Schiller 1981, 125. 104 Webster 2012, 50.



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der Herodes, vielleicht als eine Art pagane „Präfiguration“. Eine positive Bedeutung des Wielandbildes auf Franks Casket, die inzwischen als opinio communis gilt, halte ich vor diesem Hintergrund für ausgeschlossen.

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Abb. 1: Die Frontseite des Franks Casket (8. Jh.). Foto: Nachlass Karl Hauck, ZBSA Schleswig.

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Abb. 2: Mosaiken am Triumphbogen von Santa Maria Maggiore in Rom (432–440). Nach: Schiller 1981, Abb. 301.

Abb. 3: Mosaiken am Triumphbogen von Santa Maria Maggiore in Rom (432–440). Nach: Schiller 1981, Abb. 256.



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Abb. 4: Sarkophag von San Sebastiano in Rom (vor 350); Umzeichnung der bossierten rechten Seite des unteren Frieses. Nach: Kötzsche-Breitenbach 1968/1969, Abb. 4.

Abb. 5: Sarkophag von Sainte-Marie-Madeleine (Krypta Saint-Maximin) in Saint-Maximin-la-SainteBaume, Dep. Var (letztel Viertel des 4. Jh.); Fries auf dem Deckel. Nach: Garrucci 1879, Taf. 334:3.

Abb. 6: Sarkophag von St. Martin in Saint-Remy (um 400); Nachzeichnung, Città del Vaticano, Bibl. Vat. lat. 9136, fol. 217. Nach: Wilpert 1932, Abb. 183.

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Abb. 7: Sarkophag von St. Martin in Saint-Remy (um 400); Fries auf dem Deckel, Umzeichnung. Nach: DACL 1926, Abb. 5857.

Abb. 8: Flügel eines fünfteiligen Elfenbein-Diptychons aus Ravenna oder Oberitalien, Mailänder Domschatz (5. Jh.); obere Schmalseite. Nach: Schiller 1981, Abb. 53.

Abb. 9: Flügel eines fünfteiligen Elfenbein-Diptychons aus Ravenna oder Oberitalien, Mailänder Domschatz (5. Jh.); untere Schmalseite. Nach: Schiller 1981, Abb. 53.



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Abb. 10: Seitenstreifen eines fünfteiligen Elfenbein-Diptychons aus Rom oder Oberitalien, Staatl. Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, Inv.-Nr. 2719 (Anfang 5. Jh.); oberes Bildfeld. Nach: Stiegemann/Kroker/Walter 2013, 43.

Abb. 11: Elfenbein-Buchdeckel aus Aachen, Oxford, Bodleian Library, Cod. Douce 176 (um 800); Bildfelder vom rechten Rand. Nach: Schiller 1981, Abb. 427.

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Abb. 12: Elfenbein-Buchdeckel der Metzer Schule, Paris, Bibl. Nat. Cod. lat. 9393 (9. Jh.); mittleres und unteres Bildfeld. Nach: Goldschmidt 1914/1918, Bd. 1, Taf. 72.

Abb. 13 (links): Rabula-Codex, Florenz, Bibl. Laur. Plut. I 56 fol. 4v (586); Miniatur am linken Rand. Nach: Cecchelli/Furlani/Salmi 1959. Abb. 14 (rechts): Rabula-Codex, Florenz, Bibl. Laur. Plut. I 56 fol. 4v (586); Miniaturen am rechten Rand. Nach: Cecchelli/Furlani/ Salmi 1959.



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Abb. 15: Drogo-Sakramentar, Paris, Nat. Bibl. Cod. lat. 9428, fol. 31a (Mitte 9. Jh.); Initiale. Nach: Koehler 1960, Taf. III,82a.

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Abb. 16: Drogo-Sakramentar, Paris, Nat. Bibl. Cod. lat. 9428, fol. 34b (Mitte 9. Jh.); Initiale. Nach: Koehler 1960, Taf. III,82c.

Abb. 17: Handschrift des Osterhymnus Carmen paschale des Sedelius Coelius, Antwerpen, M 17.4, fol. 15v und 16r (2. Drittel des 9. Jh.). Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Museum PlantinMoretus, Antwerp.

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Abb. 18: Codex Egberti, Trier, Stadtbibl. Cod. 24, fol. 15v (um 980). Nach: Franz 2005, 103.

Abb. 19: Evangeliar Ottos III., München, Bayerische Staatsbibl. Clm 4453, fol. 30v (um 1000). Nach: Mütherich/Dachs 2001, Taf. 22.



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Abb. 20: Echternacher Perikopenbuch, Bremen, Staatsbibl. Hs. b. 21, fol. 13 (1039–1043). Nach: Franz 2005, 104.

Abb. 21: Elfenbein-Buchdeckel des Lorscher Evangeliars, Vatikan, Bibl. Apostolica Cod. Pal. lat. 50; Relief an der unteren Schmalseite (um 800). Nach: Goldschmidt 1914/1918, Bd. 1, Taf. VII.

Alexandra Pesch

Götterthrone und ein gefährlicher Stuhl: Bemerkungen zum „Odin aus Lejre“ Abstract: A tiny figure sitting on a decorated seat was found during archeological excavations in the ancient royal residence of Lejre in Zealand (Fig. 1). It has received an unusual amount of attention from the media and in academic publications as well. This figurine is known as “Odin from Lejre”. However, today many believe that the amulet represents a woman, on account of the unrecognizable clothing details, and call the find the “Lejre Lady”. Whether man or woman, numerous different interpretations are circulating. In this article, the fundamentals of these arguments will be presented, including the question of the background or context of the figure, may it be heathen or Christian, secular or religious. In addition, the parallels and iconographical comparative pieces to this figure will be listed. In so doing, various approaches to interpreting the figure and its seat will be discussed.

Was manche Forscher spontan als pagane Odinabbildung verstehen, deuten andere als Haupt des Erlösers; was den einen sofort als christliches Heilsbild erscheint, gilt anderen ganz eindeutig als heidnisches Götteramulett. Archäologische Funde mit Bilddarstellungen geben oftmals Anlass zur Diskussion! Der unmittelbare Eindruck zu einem fremden Motiv ist abhängig von vielen persönlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen. Wenn es um die semantische Lesung und inhaltliche Deutung alter Bildkunst geht, sind auch allgemein anerkannte Interpretationen nicht automatisch für alle Zeiten festgemauert, sie können immer wieder erheblich verändert werden: Das gemeinsame Vorankommen der Forschung wie auch neue gesellschaftliche Kontexte, Vorstellungen und Möglichkeiten führen nicht selten zu neuen Sichtweisen und neuen Interpretationen. So wurde um die Jahrtausendwende im Zuge einer auch in den Wissenschaften mehr und mehr etablierten Genderdiskussion einiges überdacht, war vorher noch als selbstverständlich galt: Dazu gehört auch die Frage, ob es sich bei einigen figürlichen Darstellungen des ersten Jahrtausends nach Christus und der Wikingerzeit um Männer- oder um Frauengestalten handelt. Deren Beantwortung ist jedoch nicht nur für die Gendertheorie oder andere moderne Strömungen von Inter­esse und dient auch nicht nur der Zufriedenheit einiger weniger Altertumswissenschaftler, sondern sie ist als Voraussetzung für die korrekte Deutung der Bildchiffren unbedingt notwendig für das Verständnis der vergangenen Epochen und der Lebensrealitäten, Ideen und Wertvorstellungen ihrer Menschen und Kulturen. Doch so seltsam es klingen mag, in einigen Fällen ist eine Entscheidung schwer zu treffen. So galt etwa eine der figürlichen Darstellungen auf dem langen Horn von Gallehus unter den Gelehrten praktisch jahrhundertelang als Abbildung eines bärti-

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gen Priesters. Nun hat Wilhelm Heizmann überzeugend erläutert, warum diese Chiffre mit dem Archetyp der „Frau mit Horn“ in Verbindung zu bringen ist (Heizmann 2015), welcher wiederum auf das alte Adventus-Motiv römischer Herkunft zurückgeht (vgl. Vierck 1981; 2002, 24–29). Die besondere Schwierigkeit bestand in diesem Falle darin, dass sich das Original des Hornes nicht erhalten hat und nur einige, zudem voneinander abweichende Abbildungen des 17. und 18. Jahrhunderts einen Eindruck des ehemaligen Bilderreichtums vermitteln. Diese jedoch sind einerseits geprägt durch die Kenntnisse und Erwartungen der Gelehrten dieser Zeit, anderseits durch teilweise mehrfaches Kopieren einiger der Abbildungen von älteren Vorlagen. Es mag überraschen, dass auch bei gut erhaltenen Originalfunden eine Entscheidung über das Geschlecht der abgebildeten Personen schwerfallen kann. Nicht immer sind aufschlussreiche Details wie körperliche Merkmale oder spezifische Kleidungselemente eindeutig zu identifizieren. Dies gilt in besonderem Maße, wenn die Objekte aus kulturellen bzw. religiösen Mischzonen stammen. Ein Beispiel dafür ist eine kleine Figur aus dem fünischen Revninge (siehe Abb. 9.5), welche kürzlich diesbezüglich große Verwirrung ausgelöst hat (dazu Feveile 2015). Doch das Paradebeispiel schlechthin ist der sogenannte „Odin aus Lejre“.

Die Figur aus Lejre Im Jahre 2009 wurde im Rahmen archäologischer Ausgrabungen durch das Roskilde Museum im alten dänischen Königsort Lejre1 auf Seeland eine winzige Silberfigur entdeckt, die auf einem Stuhl bzw. Thron sitzt (Abb. 1). Dank einer bildlichen Verzierung im Jellingstil auf der Rückseite des Stuhls lässt sich die Statuette in das frühe 10. Jahrhundert datieren. Praktisch seit dem Moment ihrer Auffindung wurde die nur 1,8 cm hohe und 9 g schwere Figur identifiziert mit dem höchsten germanischen Gott Odin, der sitzend dargestellt sei auf seinem Thron und Aussichtsstuhl.2 Als „Odin von Lejre“ erlangte die Figur dann über die Medien überraschend schnell große Bekanntschaft und zog die Aufmerksamkeit vieler Forscher auf sich. Schon bald wurde sie von findigen Meistern des alten Handwerks kopiert und als Anhänger auf Wikingermärkten und in Museen verkauft. In den Zeitungen, dem Fernsehen, vor allem aber auch in archäologischen Blogs und Online-Publikationen des Internets ist die Figur so eifrig diskutiert worden wie kaum ein anderer Fund vor ihr. Hierfür war nicht nur die sich

1 Allgemein zu Lejre Andersen 1960; Christensen 2001; 2010a; 2015. Neben allen anderen Funden und Befunden von dort und den Textbelegen zur Bedeutung des Ortes ist die nun dort ergrabene Halle mit 60 m Länge vergleichsweise riesig, sie weist Lejre einmal mehr als königlichen Ort aus. 2 Zum Fund erstmals Christensen 2009: Sorgfältig führt der Ausgräber bereits hier die wichtigsten Vergleichsstücke an und stellt die Figur in ihren historischen Kontext.  – Allgemein zu Odin siehe Hultgård 2007 mit weiterer Literatur.



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Abb. 1: Die 1,8 cm hohe Silberfigur aus Lejre, genannt „Odin“. Foto: Ole Malling, ROMO, ­Zeichnungen: Rune Knude/Zoomorgraphic (mit freundlicher Genehmigung von T. Christensen).

ausbreitende Freude über ein herausragendes, wenn auch winziges wikingerzeitliches Artefakt verantwortlich, sondern die Tatsache, dass alsbald ein hitziger Disput entbrannte über die Frage, ob es sich wirklich um eine Männerdarstellung handeln könne oder nicht vielmehr um die Abbildung einer Frau.3 Die Argumente, mit denen die Deutung als Odin und damit als Männerdarstellung vorgebracht worden sind, stützen sich primär auf den Stuhl. Auf dessen Armlehnen sind zwei Vogelfiguren erkennbar, die sich mit ihren Schnäbeln der sitzenden Gestalt zuwenden. Sie wurden mit Huginn und Muninn identifiziert, jenem Rabenpaar, das Odin von den Geschehnissen der Welt berichtet, während er auf seinem Thon sitzt. Als Attribute führten die Vögel also zur Ansprache des Stuhls als Thron Odins. Dabei stützten noch zwei weitere Tierköpfe auf der Rückenlehne, welche dann als Odins

3 Als einer der ersten vertrat dies Martin Rundqvist in einem öffentlichen Internet-Blog (http://scienceblogs.com/aardvarchaeology/2009/11/13/odin-from-lejre-no-its-freya/). Aufgrund der Gleichzeitigkeit mehrerer solcher Diskussionsforen bzw. Austauschplattformen und oft auch deren Geschlossenheit (für Nichtmitglieder nicht einsehbar) ist es bei vielen Ideen kaum mehr nachzuvollziehen, wer sie zum ersten Mal aufgebracht hat bzw. wer sie von wem übernommen haben mag. Allgemein zur Diskussion siehe Christensen 2009; 2010b; 2010c; 2010d; 2013; 2015, 194–203; Anderson 2010; Óluva Ellingsgaard 2010; Mannering 2010; 2013; Niles/Andersen 2010; Arwill-Nordbladh 2014.

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Wölfe Geri und Freki angesehen wurden, die Deutung.4 Odins Thron wird in der altnordischen Snorra Edda um 1220 erwähnt. Es ist der Platz, von dem aus der Gott die Welt überblickt, sein Aussichtssitz Hliðskjálf.5 Wenn der Fund diesen Sitz darstellt, so folgerten die Ausgräber, dann müsse die darauf sitzende Gestalt logischerweise Odin sein, der Götterkönig persönlich.  Ganz ähnlich zeigen verbreitet Darstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts Odin bzw. Wotan mit seinen Tieren (Abb. 2; 3). Deren Rolle als mögliche, vielleicht unbewusste Voraussetzung der Identifizierung ist schwer zu bewerten; vergleichbare zeitgenössische Darstellungen jedenfalls gibt es nicht. Es wurde auch beobachtet, dass eines der Augen der Gestalt anders gestaltet zu sein schien als das andere bzw. bewusst beschädigt worden war, was zunächst als weiteres Indiz für eine Odindarstellung gerechnet wurde (Arwill-Nordbladh 2013, S. 90  f.; Hedeager 2015, S. 146), bis es sich als Zufall der Erhaltungsbedingungen herausgestellt hat.6 Die Kleidung der sitzenden Gestalt erschien anderen Forschern, die sich sofort in die Diskussion einschalteten, als untypisch für eine Männerdarstellung.7 Ein bodenlanges Gewand, unter dem in diesem Fall nicht einmal die Füße zu sehen sind, war in der Völkerwanderungs- und Merowingerzeit kennzeichnend für Frauendarstellungen (dazu genauer unten). Diesem Umstand Rechnung tragend kam man in den Diskussionsforen auf die Idee, dass auf Odins Thron auch dessen Gemahlin Frigg gesessen habe; Überlieferungen berichten, dass dies ihr als einziger weiterer Gottheit regelmäßig erlaubt war: Óðinn oc Frigg sáto i Hliðskiálfo oc sá um heima alla, (‚Odin und Frigg saßen in/auf Hliðskjálf und sahen in alle Welt.‘).8 Allerdings saß auch manch anderer Gott, manch andere Göttin zumindest zeitweilig auf diesem Aussichtsplatz Odins. Dazu gehört Freyja, jene große vanische Göttin, die hier ins Spiel gebracht wurde, weil die Silberfigur ein mehrreifiges Schmuckstück auf der Brust zu tragen scheint, das mit Freyjas glänzendem Halsschmuck Brisingamen in Beziehung zu setzen ist.9 4 Christensen 2009, 11; 2015, 195  f.; Osborn 2015. Allgemein zu den Tieren Odins vgl. Hultgård 2007, 774  f.; de Vries 1956/57, II, 27–106. 5 Gylfaginning (9, 17, 37) wird Hliðskjálf allerdings teilweise als Ort, teilweise als Hochsitz in einem Ort verstanden, vgl. Lorenz 1984, 174  ff., 274  f. Siehe allgemein de Vries 1956/57, Bd. II, 85  f. – Mit den Zaubergestellen der Völven bringt Kiil 1960 Odins Sitz in Verbindung. 6 Wie es scheint, gibt es keine sichere Darstellung des einäugigen Odins vor dem hohen Mittelalter: Bilder von einäugigen anthropomorphen Gestalten fehlen in der Völkerwanderungs- und Vendelzeit, und die als einschlägig geltenden Zeugnisse, darunter die Goldbrakteaten, zeigen den Gott mit zwei Augen. Die vendel- und wikingerzeitlichen Figürchen mit Hörnerhelm, bei denen teilweise eines der Augen sekundär zerstört worden zu sein scheint (Helmbrecht 2011, 140–146, 167  ff.), werden nicht nur als Odindarstellungen interpretiert, sondern auch als Krieger, Tänzer usw. 7 Zur Kleidung der Wikingerzeit siehe Falk 1919; Wamers 1998, der auch bemerkt, dass die Kleidung insgesamt sehr einheitlich gewesen sei in ganz Nordeuropa, ebd. 58. 8 Allgemein zu Frigg siehe de Vries 1956/57, Bd. II, 302–307. 9 Vgl. Óluva Ellingsgaard 2010, 2 (nach Else Roesdahl). – Allgemein zu Freyja siehe de Vries 1956/57, Bd. II, 307–313; Polomé 1995; Heizmann 2001; zum Schmuck Brísingamen auch Arrhenius 1962; 2009; Axboe 1986; Heizmann 2009.



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Abb. 2: „Odhin“ auf einem verzierten Holzthron mit Tierkopfenden, begleitet von seinen Raben und Wölfen: Im späteren 19. und im frühen 20. Jahrhundert war dies eine typische Darstellungsweise für den germanischen Gott Odin bzw. Wodan. Das Schema wurde häufig auf nationalromantischen Gemälden, Stichen und für Skulpturen verwendet und auch durch Illustrationen in Büchern verbreitet, vgl. Abb. 3. Nach: Dahn/Dahn 1888, Frontispiz.

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Abb. 3: Wotan-Denkmal vor dem Landesmuseum in Hannover, von Friedrich Wilhelm Engelhard 1888. Vgl. Abb. 2. Foto: A. Pesch.

Für ein solches Detail lassen sich auch verschiedene andere Abbildungen als Parallelen heranziehen, die gewöhnlich als Frauendarstellungen gelesen werden (vgl. etwa Abb. 6.3; 8; 9.3; 9.6). Die Vogelfiguren auf den Lehnen des Lejrethrons wurden in diesem Zusammenhang als Falken gedeutet, weil Freyja der Überlieferung nach ein Falkengewand besitzt, mit dem sie fliegen kann.10 Außerdem hat auch Freyja mit einem Hochsitz zu tun, denn der Name ihres Saalbaus als Herrschaftssitz bedeutet Sessrumnir (‚Sitzräume‘).11 Die vermutete Frauengewandung schreckte diejenigen, die für eine Odindarstellung plädierten, nicht lange. Denn sie merkten an, dass der höchste Gott nach einigen Überlieferungen seinen seið-Zauber in Frauenkleidern praktizierte und auch 10 Valshamr, so in Skáldskaparmál 3 und Thrymskviða 3–5; in der Gylfaginning 24 wird es nur als fjarhamr, ‚Federgewand‘ bezeichnet. 11 Gylfaginning 24; andere Übersetzung bei Lorenz 1984, 347 “die, die viele Sitzplätze umfaßt”.



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bei anderen Gelegenheiten so gekleidet aufgetreten sei.12 Die Verkleidungsidee wiederum führte dann weiter zu der neuen These, nach der es sich bei der Figur um den Gott Thor handeln könne, der bekanntlich, von Loki und den anderen Göttern listig als Freyja verkleidet, seinen gestohlenen Hammer von den Riesen zurückholte; seine Beschreibung in der Edda passt gut zu der kleinen Statuette aus Lejre.13 Auch Loki selbst, der ja auf den völkerwanderungszeitlichen Goldbrakteaten mit einem Rock abgebildet wird (vgl. Hauck 2011, 95  ff.), wurde ins Rennen geschickt. Doch darf man eine Gestalt in Frauengewandung wirklich als Männerfigur ansprechen? Wo sind die Grenzen ikonographischer Deutungen, wo zerfließt alles in Beliebigkeit? Martin Rundqvist bemerkte dazu berechtigterweise in seinem Blog: „In my opinion we should let the female attire trump the ownership of the high seat, and interpret the figure as a goddess. Or we will end up in a situation where all human figures are men, dressed either in male or female attire.”14 Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die Diskussion jedoch mit dem Vorschlag, es könne sich um eine Abbildung der Göttin Skaði handeln: Sie falle als skifahrende und bergsteigende, von ihrem Gatten Njörðr getrennt und unabhängig lebende Göttin der Berge aus dem typischen Rollenmuster einer Frau heraus, sei ein regelrechtes Mannweib, dem eine solche Darstellung mit verwirrenden Geschlechtsmerkmalen Rechnung trage.15 Obwohl die gewissermaßen offizielle Deutung als „Odin“ weiter existiert, hat sich heute bei vielen die Ansicht durchgesetzt, der „Odin aus Lejre“ stelle eine Frau dar. In den jüngeren Blogs wird sie immer häufiger als „Lejre Lady“ bezeichnet und zumeist mit Freyja identifiziert. Doch haben sich auch Stimmen erhoben, welche die Figur als Darstellung einer Völva, also einer Seherin und weisen Frau mit magischen Fähigkeiten gemäß altnordischer Textquellen, verstehen wollten.16 Um die Verwirrung komplett zu machen, wurde auf der Grundlage der Völva-Deutung schließlich darauf 12 Im Rahmen einer Verführungsgeschichte der Königstochter Rinda durch Othinus überliefert dies auch Saxo Grammaticus, Gesta Danorum III, 4. Vgl. allgemein Price 2002, 91–100. 13 Thrymskviða 19, Originaltext nach Guðni Jónssons Ausgabe: Bundu þeir Þór þá | brúðar líni | ok inu mikla | meni Brísinga, | létu und hánum | hrynja lukla | ok kvenváðir | um kné falla, | en á brjósti | breiða steina, | ok hagliga | um höfuð typpðu. Übersetzung nach Krause 2011, 139: „Da banden sie Thor | das Linnen der Braut um | und den großen | Halsschmuck der Brisinge, | sie ließen bei ihm unten | Schlüssel klirrn, | und Frauenkleider | über die Knie fallen, | und auf der Brust | breite Steine, | und sie richteten | geschickt den Kopfschmuck!“ Vgl. auch Wamers 1998, 58 („Thor als Transvestit?“). 14 Geposted am 15. November 2009. 15 Übrigens wurde in den Blogs auch noch auf die mögliche Bedeutung von friesischen Göttinnen hingewiesen und auf den Einfluss keltischer Gottheiten und deren Raben, doch blieb ein größeres Echo aus. 16 Diplomatisch drückt es Price 2013, 174 aus: „Denne lille sølvfigur repræsenterer formentlig Odin, flankeret af sine kæledyr, ravnene Hugin og Munin. Odins kvindelige magi kann forklare, at han tilsyneladende er iklædt kvinnedrakt. Alternativt kan figuren forestille en vølve eller en trollkvinde.“ – Allgemein zu den Völven siehe de Vries 1956/57, 318–327; Price 2002, 112–122, 126  f.; Hultgård 2005, 116  ff.; Sundqvist 2005, 66–71. Heute werden sie teilweise auch in der Funktion von Kultfunktionären verstanden, siehe Sundqvist 2003, 433. Mehr zu den Völven unten.

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hingewiesen, dass laut der poetischen Edda Odin vom zwielichtigen Gott Loki angeklagt wurde, dass er „wie die Völven vermummt von Haus zu Haus gehen“ würde, was Loki als schändlich bezeichnet.17 Daher spreche gerade die Völven-Darstellung doch wieder für Odin. Die ikonographische Situation lässt sich also nicht unmittelbar und zur Zufriedenheit aller klären. So wurde die Not zur Tugend erkoren und ein ganz anderer, theoretischer Forschungsansatz vorgebracht, der die Lejrefigur als Aufforderung zur Neubewertung unserer modernen Ansichten über Frauen und Männer nutzbar machen wollte. Die Statuette wurde diskutiert als Beispiel für die Beeinflussung archäologischer Ansprachen durch herrschende geschlechtspolitische Umstände (Mannering 2012, 28  f.). Es wurde eine aus anderen Zusammenhängen geborene Forderung nach einer „Geschlechterarchäologie“ bzw. „Geschlechterrollen-Archäologie“ wiedererhoben (Óluva Ellingsgaard 2010) und überlegt, dass die Wikingerzeit offenbar ganz andere Konzepte von sozialen Verhältnissen und Geschlechtern gehabt haben könnte als wir sie heute mit unseren ‚Hetero-Normativen‘ und ‚Körper-Normativen‘ Ordnungen kennen (Arwill-Nordbladh 2014, 94; vgl. allgemein auch Solli 2002). In der skandinavischen Forschung wurde Odin schon als „queer“ bezeichnet (Solli 1998; 1999) und gesehen als eine Figur, welche die Grenzen zwischen den Geschlechtern verwischt – eine wikingerzeitliche Drag Queen. „He was a hybrid, liminal and gendercrossing character as illustrated on a newly found figurine from Lejre on Zealand“ (Hedeager 2015, 145  ff.). „Var Odin en kvinde?“ (War Odin eine Frau?) fragte sogar der Titel eines einschlägigen Beitrags zur Lejre-Figur (Óluva Ellingsgaard 2010). Allgemein gehe es in der Diskussion um die Lejrefigur um nicht weniger als darum, wie wir Geschlecht in der gesamten Vorgeschichte verstünden (Mannering 2012, 29). Denn, und wenigstens dies darf wohl mit Recht behauptet werden, unsere Deutungen sind immer abhängig von Erfahrung und Perspektiven (vgl. Mannering 2010, 28). Eine noch andere Art der Flucht nach vorne stellte schließlich ein Ansatz dar, welcher die konkrete Form der Figur ganz außer Acht ließ und sich statt dessen auf ihre abstrakte Dinglichkeit bezog, etwa ihre Kleinheit und ihr Material, und dann die Wirkungen dieser Punkte auf die damaligen Menschen und deren Absichten bezog, wobei denn aber auch die magischen Ebenen allgemein mitbedacht werden sollten (Back Danielsson 2010). Kurz, im Zuge der weiter ausgreifenden und immer mehr Fachleute wie Laien involvierenden Debatte wurde eine steigende Zahl von Bewertungen der sitzenden Gestalt erwogen. Alle Identifizierungen wurden zumindest oberflächlich begründet mit Hilfe der altnordischen Textüberlieferungen von der poetischen Edda und der Snorra Edda, jeweils die Bilddetails in der einen oder anderen Weise auslegend. Doch 17 Die Stelle der Lokasenna Str. 24 (… ok draptu á vétt sem völur | vitka líki | fórtu verþjóð yfir | ok hugða ek þat args aðal, nach Krause 2011, 125: „und du triebst Hexerei wie die Seherinnen; in Zauberers Gestalt zogst du durch das Menschenvolk, und das halt ich für eines Unmännlichen Art.“) ist allerdings in der Übersetzung umstritten, kurz dazu Price 2002, 117.



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je mehr Textbelege wie auch theoretische Modelle herangezogen und je mehr Möglichkeiten vorgeschlagen wurden, desto verwirrender und beliebiger wurde das Projekt. Ohne sichere Attribute, Namenbeischriften oder sonstige Zeichen stößt unsere Fähigkeit zur Deutung klar an ihre Grenzen. Die Interpretationen bleiben „trial and error“, wie dies einst Egon Wamers (1993, 597) in ähnlichem Zusammenhang bemerkte, oder sie entwickeln sich lediglich zu einem phantasievollen Bilderraten. Ohne die Bemühungen der Diskutanten diskreditieren zu wollen, so erscheinen einige der Deutungen doch allzusehr aus der Luft gegriffen, ja geradezu willkürlich bzw. im klassisch ikonographischen Sinne impressionistisch: Sie entstehen spontan und lassen eine nachvollziehbare Methodik der Bilddeutung vermissen. Derartig luftige Deutungen verbleiben, wie es Heizmann in Anlehnung an den Terminus „Volksetymologie“ treffend ausgedrückt hat, auf einem Niveau der „Volksikonologie“ (Heizmann 2015, 83).18 Impressionistische Deutungen sind jedoch nicht belastbar und helfen niemandem wirklich weiter, auch wenn die komplexesten Schlussfolgerungen aus ihnen gezogen werden; das zumindest wurde ebenfalls anhand dieser vermutlich noch nicht abgeschlossenen Diskussion deutlich. Zur sicheren Lesung und Deutung alter Bilddarstellungen bedarf es eines methodischen Vorgehens, welches die Ansprache von Bildchiffren auf den Kontexten ihrer Zeit nachvollziehbar und überzeugend begründet und gleichzeitig andere Deutungen möglichst ausschließt. Dass unser Wissen über die Mythen, die Bildersprache und offenbar sogar selbst der Kleidung der Wikingerzeit zweifellos lückenhaft ist, eröffnet dabei Raum für Spekulationen. Doch umso wichtiger ist es, einen Fund zunächst immer im Bezugsrahmen zeitgleicher anderer Fundstücke derselben Großregion zu betrachten und die entstandene Gruppe dann in sich zu lesen und zu deuten, und erst im zweiten Schritt alle weiteren Hinweise ikonographischer oder textlicher Art auch aus anderen Zeithorizonten zur genaueren Interpretation und Bewertung einzubeziehen. Voraussetzung dafür ist eine genaue Beschreibung des Fundes mit der Auflistung seiner spezifischen Darstellungsmerkmale. Dabei ist es ratsam, die Kennzeichen der Gestalt und diejenigen des Stuhls zunächst separat zu betrachten. Denn selbst wenn man eine Ansprache der Gestalt sicher akzeptieren könnte oder auch die des Stuhls, beispielsweise als Odins Thron, wäre damit das jeweils andere Bildelement nicht automatisch mitbestimmt: Nebeneinanderstehende Bildobjekte müssen sich nicht gegenseitig charakterisieren, sie können unterschiedliche Inhalte vermitteln.19

18 Vgl. auch Robert 1919, 370, „Rätselraten“, „Man tappt aufs Geratewohl, statt methodisch vorzugehen, und die Sache wird um keines Haares Breite gefördert“; siehe auch de Vries 1956/57, Bd. II, 42, der ikonographische Spekulationen als „ein eitles Rätselraten“ bezeichnet; vgl. Pesch 2012a, 679 („Bilderraten“); 2015, 346. 19 So charakterisiert das achtbeinige Pferd, wenn es auch sicher als Sleipnir angesprochen werden darf, nicht automatisch auch den Reiter als seinen Besitzer Odin (vgl. Heizmann 2015, 95  f.), ein in die Hand einer Zentralgestalt beißender Wolf auf Brakteaten wie IK 190 Trollhättan nicht gleichzeitig unbedingt auch die gebissene Person.

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Merkmale der Gestalt Es fällt gleich auf, dass die Beschreibung und die daraus abzuleitenden Ansprachen der Lejrefigur gewisse Schwierigkeiten bereiten. Haltung oder Gestik der sitzenden Gestalt sind minimalistisch ausgeführt, der ganze Körper ist bis auf die obere Gesichtshälfte unter Kleidung verborgen, von den Armen ist keine Spur zu sehen. Es fehlen Attribute, die wir heute eindeutig einer bestimmten Person, einer Funktion oder auch einer Gottheit zuordnen können, seien es gehaltene Objekte wie ein Szepter, ein Stab, ein Thorshammer, ein Horn oder auch umgürtete Waffen. Hilfreiche Merkmale wie Bart oder Helm, Busen oder Haarknoten, alles in der Ikonographie gut belegt und zumindest für die Unterscheidung von männlichen und weiblichen Darstellungen nützlich, sind nicht ersichtlich. Uneindeutig erscheinen auch die übergroßen, runden Augen, wie auch die Darstellungen der Kopfbedeckung und vor allem der unteren Gesichtspartie: Hier laufen zwei parallele Wulste oder Reifen quer um die Mund- und Kinnpartie und verdeckten dabei auch den gesamten Hals.20 So hat die Figur zwar trotz ihrer Winzigkeit eine ganze Reihe aufzulistender Kennzeichen, doch darunter keine, die wir heute als eindeutig geschlechtsdifferenzierende oder gar sicher charakterisierende Merkmale lesen können. Die Lejrefigur trägt ein bodenlanges Gewand, über dem ein vorne offener Mantel (ponchoartiges Cape) an den Seiten herabhängt bis auf die Sitzhöhe. Darunter ist der Oberkörper der Figur von vier übereinanderliegenden, geperlten Linien bedeckt bzw. strukturiert, die zumeist als Darstellung eines großen, mehrzeiligen Brustschmucks gedeutet werden, obwohl reale Vorlagen dazu fehlen. Fraglich ist die Bedeutung der um den Hals bzw. Unterkiefer laufenden Doppelchiffre, sie könnte ein Halstuch, eine Binde oder auch einen Halsschmuck darstellen; die obere Linie mag vielleicht auch einen Mund bedecken  – oder beinhalten.21 Unsicher ist auch die Lesung der kegelförmig-rundlichen Hinterkopfgestaltung, die entweder eine mützenartige Kopfbedeckung, einen Helm oder eine Frisur darstellen könnte. Für sie wie auch für die Doppelchiffre um den Hals finden sich keine guten Parallelen.

Zeitnahe Parallelen Vergleichbare Funde desselben Horizontes sind grundlegend wichtig, um einerseits die üblichen oder generellen Züge einer Bilddarstellung zu erkennen, anderseits Alleinstellungsmerkmale als Grundlagen der Deutung zu identifizieren. Die beste Gesamtparallele zu der Figur von Lejre ist ein im August 2016 bekannt gewordener 20 Christensen dachte hierbei an einen Bart, 2010b, 4. 21 Auf die Tatsache, dass Verschleierung in der Bildersprache auch Unsichtbarkeit bedeuten kann, macht Vierck (2002, 56  f.) aufmerksam.



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Abb. 4: 0,9 cm hoher „Thronstuhl“ aus Nybølle, Lolland, Dänemark. Foto: © Museum Lolland-Falster, mit freundlicher Genehmigung.

Detektorfund aus Nybølle im Kirchspiel Horslunde auf Lolland (Abb.  4).22 Die nur 0,9 cm hohe Miniatur zeigt einen Kastenstuhl mit darauf sitzender Gestalt. Auf der Rückenlehne sind zwei plastische Tierfiguren erkennbar, jedoch so schwer lesbar, dass nicht einmal die Entscheidung leicht fällt, ob es sich um Vögel oder Vierbeiner handelt. Die Gestalt trägt ein nahezu bodenlanges Gewand. Wer sich allerdings von ihr Klärung erhofft über das Geschlecht und die Identifizierung der Lejrefigur, wird enttäuscht: Denn Oberkörper und Kopfbereich der winzigen Figur sind zu einer unkenntlichen, amorphen Masse verdickt, deren Lesung und Bedeutung rätselhaft sind (zu weiteren Miniaturstühlen siehe unten). Eine 1,95  cm hohe Figur aus Trønninge (Abb.  6.1; allgemein dazu Mackeprang 1935, 242  f.; Duczko 1989) wurde im Kirchspiel Kundby, also nur ca. 30 km entfernt von Lejre, gefunden. Sie wurde bereits im Zusammenhang des Lejrefundes als sehr gutes Vergleichsstück zu der Figur an sich angeführt (Christensen 2009, 12  f.; 2010b, 6  ff., 32).23 Das Dänische Nationalmuseum besitzt nur noch Fotos, das Stück selbst ist verschollen, wird aber in Analogie zu einem Fund aus Gnezdowo (s.  u.) in das 10. Jahrhundert datiert (Duczko 1989, 13; anders noch Mackeprang 1935, 245, in Analogie zu Goldblechfigürchen und Goldbrakteaten). Die winzige Figur war aus Goldblech zusammengebogen und mit Filigran besetzt. Vor allem durch ihre Kegelform wird auch sie als sitzend verstanden. Offenbar als Bekleidungschiffren zu deuten sind mit Filigran verzierte Flächen: ein vorne offener, über die Schultern nach hinten fallender Mantel und ein rechteckiges, vorne schürzenartig nach unten hängendes Element. Dieses wurde „am ehesten als ein Bischofsornat“ gesehen (Mackeprang 1935, 243)24, so dass die Figur in der Folge als Schachfigur angesprochen werden konnte (Duczko 1989, 14 [nach Ulla Lund Hansen]): Denn die Läufer waren im Mittelalter in England und Skandinavien generell als Bischöfe gestaltet und wurden oft sitzend dargestellt (Holländer/Holländer 2005, 55  f.; siehe auch Robinson 2004, 19–23). Die halbkreis22 Siehe etwa: http://www.mynewsdesk.com/dk/nationalmuseet/pressreleases/sjaelden-stol-amuletfundet-paa-lolland-1505555, http://ekstrabladet.dk/nyheder/samfund/torben-fandt-sjaelden-vikingeamulet-maaske-er-det-odins-trone/6222411.  – Die Interpretationen dieses Fundes orientierten sich sämtlich an denen der Lejre-Figur, doch insgesamt weckte dieser Fund weitaus weniger Aufsehen. 23 Offenbar im Blog zuerst in die Diskussion eingebracht von Else Roesdahl, 19. November 2009; vgl. Roesdahl 1980, 18. 24 Später interpretiert er es allerdings als ein Federkleid, Mackeprang 1935, 245.

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Abb. 5: Dreiviertelvorder- und Rückansicht (5.1) einer silbernen, 1,52 cm hohen Miniatur in Form eines Stuhls bzw. Throns aus Haithabu, Schleswig, mit Tierfiguren auf den Armlehnen (Vierbeiner) und der Rückenlehne (Vögel). Zeichnung: Archäologisches Landesmuseum Schleswig. Im Kasten: Weitere Thronamulette aus Skandinavien. Nach Drescher/Hauck 1982, S. 252. Ohne Maßstab.

förmige, nach oben geöffnete Chiffre im Brustbereich könnte entweder als weiteres Detail der Kleidung, z.  B. als breite Zierborte, oder als großer Hals- bzw. Brustschmuck gedeutet werden. Letzterer Fall würde die These unterstützen, dass es sich hier um eine Frauendarstellung handeln könnte (vgl. Mackeprang 1935, 245; Roesdahl 1980, 18; Duczko 1989; Bau 1981, 15). Auch der kleine Haarknoten, wenngleich auch untypisch im Vergleich mit den Knoten anderer, zumeist älterer Darstellungen, wird oft als Indiz für eine Frauendarstellung angesehen (vgl. unten). Mit der kaiserlichen Hoftracht von Byzanz brachte Duczko das halbkreisförmige Element mit der rechteckigen Form darunter in Verbindung, er dachte in Analogie zur Darstellung einer byzantinischen Kaiserin an eine vereinfachte Abbildung (Duczko 1989, 14). Dieses Gestal-



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Abb. 6: Figürchen aus Trønninge (6.1) und Gnezdowo (6.2) mit unklarer Funktion. Sie stammen ­vermutlich aus dem 10. Jh. und zeigen vergleichbare Kleidungschiffren wie die Lejrefigur. Nach: Hauck 1992, S. 573 und Duczko 2004, Taf. 48  f. Der Anhänger aus Aska (6.3) gilt gemeinhin als Frauen­darstellung und wird in die Zeit um 800 datiert. Nach: Arrhenius 1969, S. 48. Ohne Maßstab.

tungselement kann wie die übrigen genannten in ihren reinen Formen hervorragend mit denjenigen der Figur aus Lejre verglichen werden. Dies gilt auch für die großen, runden Augen und die dreieckige Nase beider Statuetten. Allerdings hat die Figur aus Trønninge einen Mund, gebildet aus einem Perldraht in liegender 8-form, und nach hinten laufende und in einer Art Knoten endende Perldrahtlinien auf dem Kopf könnten eine Frisur andeuten, beides der Lejrefigur fehlende Merkmale. Festzuhalten bleibt, dass die Figur von Trønninge uneindeutig ist, was ihr Geschlecht angeht, unterschiedliche Theorien stehen nebeneinander (kurz dazu Christensen 2010b, 7  f.). Folglich hilft das Stück leider auch nicht weiter bei der Entscheidung, ob es sich bei der Lejrefigur um eine Frau oder einen Mann handelt. Ein figurales, 2,3 cm hohes Silberobjektaus Gnezdowo (Abb. 6.2) lässt sich durch die Details seiner dargestellten Kleidung ebenfalls der Lejrefigur an die Seite stellen. Es stammt aus dem großen Hortfund von 1867 aus Gnezdowo, Obl. Smolensk, Russland, der in das 10. Jahrhundert datiert wird (Duczko 2004, 180). Ob die Figur selbst älter ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, doch wird die Datierung des Hortes nicht nur auf die Figur übertragen, sondern auch auf die vergleichbare Figur aus Trønninge (Abb.  6.1). Das Stück selbst ist halbplastisch geformt und von der Rückseite flach, könnte also auf einer Unterlage aufgenietet gewesen sein. Zu erkennen ist eine verkürzte menschliche Gestalt, die durch einen breiten Brustschmuck und durch einen halblangen, vorne offenen Mantel gekennzeichnet ist. Unter dem Kopf ist eine breite, halbkreisförmige Chiffre zu sehen. Die Funktion des Objektes ist unbekannt, eine Nutzung als Spielstein wird allerdings auch hier in Erwägung gezogen (Duczko 1989, 14; 2004, 183). Was die Darstellung betrifft, so sind viele Fragen offen: Ist eine stehende oder eine sitzende Gestalt abgebildet? Was stellen die beiden rundlichen Elemente rechts und links des Kopfes dar, sind es Teile der Frisur, einer Kopfbedeckung oder eines Kopfschmucks? Ist es ein Mann oder eine Frau? Hier bestehen ganz

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2 Abb. 7: Sitzende Figuren der Völkerwanderungszeit (?). Auf dem 1,9 cm im Durchmesser großen Goldbrakteaten IK 206 Várpalota-B (7.1) aus Veszprém, Ungarn, 5./6. Jahrhundert, trägt die auf einem Klotzstuhl sitzende Gestalt einen Halsschmuck und ist von zwei Tieren begleitet. Nach: Hauck et al. 1985–89. Auch die 42 cm hohe Holzfigur (7.2) aus dem dänischen Moor in Rude Eskildstrup, Seeland, ist durch einen breiten, mehrzeiligen Halsschmuck gekennzeichnet. Nach: Capelle 1980, 46.

ähnliche Probleme wie bei dem Fund aus Trønninge, eindeutige Merkmale fehlen auch hier.25 Als drittes Vergleichsobjekt wurde die in einem Ring abgebildete, 3,9 cm hohe Silberfigur aus Aska, Kirchspiel Hagebyhöga, Östergötland, angeführt (Abb. 6.3) (Christensen 2009, 12; 2010d, 23; 2014, 71; Mannering 2010, 27  f.; 2013, 5  f.; Arwill-Nordbladh 2014, 88  f.). Sie stammt aus einem Frauengrab der Zeit um 950, ist jedoch älter: Das Objekt an ihrem Hals kann als Rückenknopffibel interpretiert werden, ein herausragendes Schmuckstück, dessen Typ in der Zeit vom Ende des 6. Jahrhunderts bis in die frühe Wikingerzeit des 9.  Jahrhunderts gefertigt wurde. Aufgrund der relativen Riesengröße dieser Fibel ist die Figur in die Zeit um 800 zu datieren (Glørstad/Røstad 2015, 199; vgl. Arrhenius 1962, 84  ff.). Obwohl sie einen Helm, möglicherweise mit Nasalschutz, zu tragen scheint (im Kopfbereich weist die Figur starke Abriebschäden auf), wird sie aufgrund der Kleidung und des Schmucks allgemein als Frauendarstellung verstanden. Als weiteres Argument dafür wurde auch die mehrzeilige Reihe geperlter Elemente unter dem Hals vorgebracht, deren halbkreisförmige Chiffren als Perlenschmuck interpretiert worden sind (Axboe 1986). Mit den beiden soeben 25 Duczko 2004, 183, entscheidet sich für eine Männergestalt mit Kopfschmuck aus zwei großen Halbkugeln und deutet sie als wahrscheinlichen Spielstein.



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genannten, jüngeren Objekten aus Trønninge und Gnezdowo (Abb. 6.1; 6.2) verbinden mehrere Punkte die Figur: Auch hier ist ein mantelartiges, vorne offenes Kleidungsstück erkennbar und es fehlt die Darstellung von Beinen mit Füßen. Daher wurde auch die Aska-Figur als Darstellung einer sitzenden Gestalt verstanden (Arrhenius 1962, 79; Drescher/Hauck 1982, 253). Doch anders als die beiden Vergleichstücke ist hier die Deutung als Frauenfigur allgemein anerkannt. Neuerdings gilt sie sogar als schwanger (Glørstad/Røstad 2015, 199). Sie wird darüber hinaus aufgrund der Schmuckelemente mit der Göttin Freyja assoziiert. Der geperlte Brustschmuck wurde als deren namentlich bekanntes Kleinod Brísingamen diskutiert (vgl. Arrhenius 1969, 48; Drescher/Hauck 1982, 253; Axboe 1986, 116  f.; Christensen 2009, 12; Mannering 2010, 27  f.; Glørstad/Røstad 2015, 199  ff.). Aus einem anderen zeitlichen Horizont stammt die in Material und Größe völlig andersartige, doch ebenfalls sitzende Gestalt mit optisch ähnlichem Halsschmuck (Abb. 7.2) aus dem Moor bei Rude Eskildstrup, Kirchspiel Munke Bjergby, Seeland (allgemein dazu Mackeprang 1935, 248  f.; Nyman/Thrane 2003; Pesch 2015, 317  ff). Ihre Datierung wurde bisher über den abgebildeten Halsschmuck vorgenommen, der mit den schwedischen Goldhalskragen des 5. Jh.s in Beziehung gesetzt wurde. Obwohl auch diese 42 cm hohe Holzfigur schon mehrfach mit dem Lejrefund in Verbindung gebracht worden ist (Christensen 2009, 12  ff.; 2014, 70  f.), kann sie nach Meinung anderer als Unikat nur eingeschränkt für den Vergleich verwendet werden (so Mannering 2010, 28). Auch bei dieser Figur fehlen wieder konkrete bzw. sichere geschlechtsspezifische Merkmale. Doch im Vergleich mit dem Lejrefund (Abb. 1) und der Figur aus Aska (Abb. 6.3, mit vergleichbarer Armhaltung), die beide frappierend ähnlichen „Perlenschmuck“ tragen, wäre nun sogar zu überlegen, ob eine Datierung der Figur aus Rude Eskildstrup nicht auch in die frühe Wikingerzeit möglich wäre.26 Damit wäre sie eine wirkliche Entsprechung zu der sitzenden Gestalt aus Lejre. Wenn es keine mehr oder weniger zeitgleichen Parallelen gibt, die in ihrer Gesamtheit vergleichbar sind mit der Lejrefigur und diese sicher zu benennen helfen, muss die Suche bei einzelnen Details weitergehen. Für die Kleidungs- und Schmuckelemente der Gestalt lassen sich jeweils weitere Analogien nennen. Zunächst finden sich im Norden zahlreiche Bildbelege von bodenlangen Gewändern. Hier sind vor allem die in diesem Zusammenhang bereits genannten Statuetten, Anhänger und Fibeln der Vendelzeit (spätes 6. und 7. Jh.) zu nennen, welche als Frauenfiguren zu identifizieren sind (vgl. Bau 1981, 15  f.). Goldblechfigürchen verwenden als erste Gattung regelmäßig diese charakteristische Art der Kleidungsdarstellung (Abb.  8). Gerade bei den Paarversionen dieser in Skandinavien „gubber“ genannten Goldfolien wird der Unterschied zur normalen Männerkleidung mit deutlich kürzeren Gewändern 26 Das beträfe dann ebenfalls die Stockbeschläge aus Søholt: einer von ihnen ist geformt als anthropomorphe Figur mit geperltem, dreilagigem Halsschmuck; allgemein dazu Mackeprang 1935, 244  ff.; Pesch 2015, 320  f. Der übliche Vergleich dieser Figuren bzw. deren Halsschmucks mit den drei Goldhalskragen des 5./6. Jh.s wäre damit allerdings ad acta zu legen.

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Abb. 8: Goldblechfigürchen mit Frauendarstellungen, 6.–8. Jh. Ohne Maßstab. Nach: Helmbrecht 2011, 120, 122; die Paarversion rechts nach: Lamm 2004, S. 79.

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Abb. 9: Skandinavische Frauenfigürchen. Die Stücke des 7. bis 9. Jahrhunderts aus Klinta (9.1), Sibble (9.2) und Tuna (9.3) haben lange Schleppgewänder, einen kurzen Mantel bzw. Umhang und einen Haarknoten. Nach: Hembrecht 2011, S. 121  f. Die Frauenfigur aus Hårby (9.4), 9. Jh. (?), ist mit Rundschild und Schwert bewaffnet. Nach: Henriksen/Petersen 2013, S. 4. Umstritten, was ihr Geschlecht angeht, ist die Figur aus Revninge (9.5), die in die Zeit um 800 datiert wird. Nach: Feveile 2015, S. 5. Das Motiv des Haaregreifens zeigt der Model aus Stavnsager (9.6) aus dem 9./10. Jahrhundert. Nach: Hembrecht 2011, S. 156. Ohne Maßstab.



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besonders deutlich. Dieser Bildtypus bleibt bis in die Wikingerzeit hinein bestehen. Auch auf den gotländischen Bildsteinen treten solche typischen Frauendarstellungen auf. Viele von ihnen sind stehend abgebildet, oft im Rahmen der alten Adventus-Ikonographie bzw. dem „Walküren-Willkomm“ (Vierck 2002, 24), wie dies bei der eingangs erwähnten Frau mit Horn auf dem Horn von Gallehus der Fall ist (Heizmann 2015). Dabei kommen durchaus auch sitzende Frauen vor, etwa auf den Bildsteinen von Sanda und Änge oder Alskog kirka (vgl. Drescher/Hauck 1982, 258  ff.). In diesem Horizont ist das lange, beinahe bodenlange Gewand typisch für Frauendarstellungen. Bei vielen dieser Darstellungen gehört ein vorne unter dem Hals zusammengesteckter und nach hinten fallender, vorne offener Mantel zur Kleidung, wie ihn ähnlich auch die Lejrefigur trägt. Auf dem Hintergrund solcher Darstellungen lässt sich die Lejrefigur klar als weibliche Gestalt ansprechen. Doch so eindeutig, wie die Verfechter der Frauenthese es sehen, ist die Sache nicht. Denn ebenfalls typisch für Frauendarstellungen sind Langhaarfrisuren. Dazu gehört vor allem ein Haarknoten am Hinterkopf, von dem ein Zopf bzw. der Haarstrang nach unten fällt. Außerdem sind in der überwiegenden Menge der Darstellungen die Füße der Gestalten zu sehen, das Gewand ist also etwas kürzer als das der Lejrefigur. Zweifellos ist die Ähnlichkeit zwischen der völkerwanderungs- und vendelzeitlichen Frauenkleidung (Abb. 8; 9) und derjenigen der Lejrefigur groß; aber dürfen die älteren Abbildungen überhaupt verwendet werden, um als Deutungshilfen für eine Figur des 10. Jh.s zu dienen? Die eher zeitgleichen Parallelen, zu denen die beiden Figuren aus Trønninge und Gnezdovo (Abb. 6.1; 6.2) gehören, sind leider umstritten, was ihr Geschlecht angeht. Eines der wenigen gut erkennbaren Elemente der Kleidung ist die auf den Beinen bzw. dem bodenlangen Gewand der Silberfigur erkennbare Struktur aus zwei parallel nach unten hängenden Streifen, die unten durch einen Querstreifen verbunden sind. Diese lange Rechteckform wird durch Nielloeinlagen, die eine Punktreihe umschließen, zusätzlich hervorgehoben. Es ist nicht klar ersichtlich, ob es sich hier um die Abbildung einer Borte bzw. eines Besatzes zum Gewand handelt oder um einen ganz separaten Kleidungsbestandteil. Doch grundsätzlich finden sich für solche Formen Vergleiche bei anderen Darstellungen, etwa auf der Figur aus Trønninge (Abb. 6.1). Vermutlich etwas ältere Figuren sind ebenfalls zu nennen, beispielsweise der Model aus Stavnsager (Abb. 9.6) und vielleicht auch eine Figur aus Tissø, beide als Frauenfiguren erkennbar und dem 9./10. Jh. zugerechnet. Vergleichbare Rechteckmuster mit Punktlinien finden sich gelegentlich auch bei den Goldblechfigürchen (siehe Abb. 8). Doch gerade für dieses Detail gibt es sehr gute Vergleiche in einem völlig anderen Horizont. Denn als Teil der toga picta gehörte der herabhängende Streifen, das Pallium, zur festlichen Amtstracht der spätantiken Konsuln und anderer römischer Würdenträger (Volbach 1976, 29), auch – in juwelenbesetzter Form – zum kaiserlichen Ornat, so dass er sich auf zahllosen Bilddarstellungen bis ins hohe Mittelalter hinein finden lässt – und zwar sowohl bei Männer- wie bei Frauenkleidung (Abb. 10.1; 10.2). In den christlichen Kirchen entwickelte sich daraus die Priesterkleidung: Das Pallium

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Abb. 10: Beispiele der römischen bzw. spätantiken Würdekleidung. Diptychon aus Konstantinopel (10.1) von 517, Konsul Anastasiu mit vorne am Gewand herunterhängendem Streifen als Teil der toga picta auf einem mit Löwenfiguren verzierten Sitz. Nach: Volbach 1976, Nr. 18 (hier Ausschnitt). Zug der 22 Jungfrauen (Ausschnitt) auf einem Mosaik der Nordwand des Mittelschiffs von Sant’Apollinare Nuovo, Ravenna, Ende 5./Anfang 6. Jh. (10.2): Die Frauen tragen goldbestickte Tuniken und weiße Schleier. Der breite Brustschmuck und der verzierte, herabhängende Streifen der Gewänder sind typische Bestandteile der damaligen Repräsentationstracht. Nach: Dresken-Weiland 2015, S. 204. Liturgisches Phlenlonion (Mantel) und herabhängendes Epitrachelion gehören zur modernen orthodoxen Priestergewandung (10.3). Skizze: Paula Haefs/ZBSA, Schleswig.



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der lateinischen Kirche, eine Auszeichnung von Bischöfen als Metropoliten, sowie Epitrachelion und Omophorion der Ostkirche werden über bodenlangen Gewändern getragen. Gerade die seit der Spätantike und bis heute noch in der russisch orthodoxen Kirche gebräuchliche priesterliche Amtstracht (Abb. 10.3) erinnert mit dem vorne offenen, mantelartigen Überhang, dem Phelonion, stark an die Kleidung der Lejrefigur. Sie darf wenigstens mit demselben Recht zum Vergleich herangezogen werden wie die Kleidung der skandinavischen Figürchen aus der Völkerwanderungs- und Vendelzeit, da die Ostkirche in Skandinavien aufgrund der langjährigen Kontakte der Wikinger nach Russland und Griechenland gerade im 10.  Jahrhundert großen Einfluss hatte. Überhaupt war die Wikingerzeit keine kulturell einheitliche Epoche. Ihre Bildersprache ist lokal unterschiedlich ausgebildet und stark geprägt durch Einflüsse aus der christlichen Welt der angelsächsischen Klöster, des kontinentalen Südens und auch des byzantinischen Ostens. Solche synthetischen Mischungen von fremden und einheimischen Elementen waren für die germanische Ikonographie von Anfang an typisch (Pesch 2012, 687), und so ist es oftmals schwierig, einzelne Einflüsse zu identifizieren, sie auseinanderzuhalten und als bedeutungstragende Elemente von Bilddarstellungen korrekt zu verstehen. Doch was ist mit dem vierzeiligen Element, das den gesamten Oberkörper der Lejrefigur unter ihrem Mantel bedeckt und gemeinhin als Perlenschmuck gedeutet wird? Man könnte es mit den Pectoralen in Verbindung bringen, welche auf spätantiken und mittelalterlichen Abbildungen als Ornat bzw. Element feierlicher Frauenkleidung zu sehen sind (Abb. 10.2). Ob die u-förmigen, nach oben geöffneten Chiffren, erkennbar im Brustbereich vieler der genannten Stücke (Abb. 6; 8; 9.6), einen ähnlichen Schmuck meinen wie die geperlten Reihen, darf diskutiert werden. Allerdings tauchen solche Chiffren auch wieder bei Figuren auf, deren Geschlechtszugehörigkeit nicht sicher ist: Dazu gehört eine kleine Statuette aus der Zeit um 800 aus Revninge (Abb.  9.5) (Feveile 2015). Außerdem gibt es auch bei Männerfiguren ganz ähnliche Elemente, etwa beim eben bereits erwähnten Stockbeschlag aus Søholt. Im Licht der bisher vorgelegten Vergleichsstücke aus unterschiedlichen Zeiten und kulturellen Umgebungen lässt sich nicht entscheiden, ob es sich bei der sitzenden Figur aus Lejre um eine Männer- oder Frauendarstellung handelt. Im Vergleich zu vendelzeitlichen Figürchen fiele die Entscheidung zugunsten einer Frauengewandung aus, im Vergleich zu einigen wikingerzeitlichen Darstellungen käme aber auch eine Männertracht in Frage. Doch wie auch immer, es erscheint unwahrscheinlich, dass die Lejrefigur spontan als männlich angesprochen worden wäre, wenn sie nicht auf dem vermeintlichen Raben- und Wolfs-Thron Odins säße. Daher soll dieser Stuhl nun einer genaueren Analyse unterzogen werden.

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Der Thron und das Sitzen Der in der Grundform rechteckige Thron der Lejrefigur (Abb.  1) wurde an anderer Stelle bereits analysiert und beschrieben (Christensen 2009, 9; 2010b, 3  f.). Seine Eckpunkte sind jeweils rundlich verdickt und scheinen gedrechselte Beine bzw. Seiten darzustellen. Die Rückseite des Kastenstuhls macht den Eindruck einer einzigen Platte, die im oberen Bereich durchbrochen ist und als Schnitzerei-Darstellung mit zwei nach außen gebogenen Tierköpfen auf langen Hälsen, die in der Lehnenmitte durch eine Koppel verbunden sind, gedeutet werden kann. Diese detailreiche Darstellung ermöglicht auch die Datierung des Fundes, da es sich um typische Elemente des Jelling-Stils aus dem 10. Jh. handelt; der beste Vergleichsfund für diese Details findet sich gerade auf dem namengebenden Becher aus Jelling selbst, übrigens bei der Darstellung eines Thrones (Abb. 12; vgl. Christensen 2010b, 8). Dies ist interessant, gilt doch der Becher als ein Erzeugnis früher christlicher Werkstätten Dänemarks (vgl. Schultz 1952; Capelle 1984; Krogh/Leth-Larsen 2007). Der nächste Verwandte des Miniaturstuhls der Lejrefigur ist ein 1,52  cm hoher ‚Thron‘ aus einem Körpergrab in Haithabu (Abb. 5.1) (Christensen 2009, 10; 2010b, 4  f.; allgemein dazu Drescher/Hauck 1982; Vierck 2002, 42–55; Callmer 2008, 199  f.). Der kleine Anhänger ist in der Grundform rechteckig wie der Lejrestuhl und bildet somit ebenfalls einen Kastenstuhl ab, und zwar ein Original mit gedrechselten Elementen. Das silberne Stück besitzt auf seiner Rückenlehne zwei mit den Köpfen nach innen blickende Vogelfiguren. Seine Armlehnen werden durch zwei nach vorne blickende Vierbeiner gebildet. Der Thron wurde bisher zusammengestellt mit einer ganzen Gruppe von Miniaturstühlen bzw. -thronen, insgesamt 14 bekannten Exemplaren. (Abb. 5) (Arrhenius 1961 [nach Holmqvist]; Drescher/Hauck 1982; Hauck 1984; Zeitzen 1997, 21  f., 59  f.; Vierck 2002, 42–59). Viele von ihnen sind als Anhänger nutzbar. Fast alle stammen aus Gräbern, sämtlich Frauengräber (Arrhenius 1961, 150). Ihnen anzureihen wäre wohl die Darstellung des Thrones auf dem Jellingbecher (Abb. 12). Alle diese Stühle sind leer. Leere Throne werden nach antiken Vorbildern mit einer breiten und kulturenübergreifenden Tradition gedeutet als Einladung an Gottheiten, sich dort niederzulassen, damit die Menschen von der positiven Wirkung ihrer Gegenwart profitieren können (Drescher/Hauck 1982, 299; Vierck 2002, 54). Die germanischen Throne wurden daher, auch wenn sie teilweise in den Gräbern vergesellschaftet gewesen sind mit christlichen Kreuzen, im Rahmen der Asenreligion als „Götter­ throne“ gedeutet.27 Spekulationen darüber, wer auf ihnen Platz nehmen könnte, gab es immer wieder, es wurden männliche wie weibliche Gottheiten mit ihnen in Verbindung gebracht. Karl Hauck indes mahnte noch zur Behutsamkeit und wollte die

27 Arrhenius 1961, 157; Drescher/Hauck 1982, 257–300; Zeitzen 1997, 21  f.; vgl. auch Callmer 2008, 199  f., mit der Deutung des Haithabuamuletts als Fruchtbarkeitssymbol, evtl. der Sitz von Freyr oder Freyja.



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2 Abb. 11: Stühle mit dem Symbol des „Salomoknotens“ (siehe auch Abb. 14b). Klotzstuhlamulett (Miniatur) aus Fölhagen (11.1), H 1,1 cm, nach Drescher/Hauck 1982, 256; Bischöfliche oder königliche Holzbank (11.2) aus der Domkirche in Ribe, 13. Jahrhundert, ohne Maßstab. Nach: Vierck 2002, 48. Rückansicht einer Schachfigur aus Lewis, Schottland, Königin auf beschnitztem Thron (11.3). Skizze: Paula Haefs, ZBSA, Schleswig.

Einladung ausdrücklich nicht auf eine einzige Gottheit beschränkt sehen (Drescher/ Hauck 1982, 299). Der ebenfalls ähnlich gestaltete Stuhl der Figur aus Nybølle (Abb. 4) wurde schon genannt. Bei ihm zwei Tierfiguren in Verlängerung der Lehnenseiten kaum zu erkennen. Was aber die Gestaltung der Miniaturstühle aus Lejre und Haithabu angeht, so tragen beide je zwei plastische Vogelfiguren. Wie gesagt, im Falle der Lejrefigur waren sie es, die zur Deutung des Stuhles als Odinthron und weiter zur darauf sitzenden Gestalt als Odin führten. Zwar wurden die Vögel von Lejre als sehr naturalistisch beschrieben („highly naturalistic“, Andersson 2010, 7), doch ist aufgrund der üblichen, auch hier gut erkennbaren Stilisierungen der germanischen Kunst ihre genaue Artzuweisung kaum möglich.  Das schließt natürlich Raben nicht aus. Die beiden nach außen blickenden Tierköpfe der Rückenlehne wurden dann als Wolfsköpfe gedeutet, weil neben den Raben auch zwei Wölfe, Geri und Freki, Odin dienten. Doch diese Deutung ist noch unsicherer (Andersson 2010, 8). Beiden Tierköpfen fehlt jeder Untiercharakter, insbesondere auch die spitzen, in Bilddarstellungen für Wölfe typischen Zähne. Vielmehr sind sie mit den üblichen Tierköpfen im Jellingstil zu ver-

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Abb. 12: Silberbecher aus dem Nordhügel der Königsanlage von Jelling, Dänemark, Höhe 4,3 cm. Erkennbar ist die Darstellung eines Throns, der von zwei Tierfiguren mit langgezogenen Körpern (Jellingstil) flankiert wird. Nach: Christensen 2010b, S. 8.

binden, welche mit ihren schlangenartigen Körpern heute generell eher als schützende und herrschaftsbekundende, drachenartige Wesen verstanden werden.28 Der Vergleich zu den beiden Vierbeinern der Armlehnen vom Haithabu-Thronamulett (Abb. 5.1) kann die Wolfsdeutung ebenfalls nicht stützen, werden diese doch zu Recht als Löwen verstanden (Drescher/Hauck 1982, 272; Vierck 2002, 45), Wächtertiere und Machtsymbole, die häufig, geradezu typischerweise, an Stühlen dargestellt sind (vgl. Vierck 2002, 51–54). Auch gelten die Vögel des Haithabuthrons, etwas unförmiger ausgeführt als diejenigen von Lejre, nicht als Raben, sondern sie wurden als Schwäne gedeutet (Vierck 2002, 46  f.; Vang Petersen 2005, 66): Sie haben einen etwas längeren, gebogenen Hals (bei einem der Vögel allerdings abgebrochen, beim anderen schwer erkennbar), wofür es in der Ikonographie gute Parallelen gibt.29 Die Deutung der Tierfiguren von Lejre und damit auch die Deutung des Stuhls als Odinthron ist also alles andere als eindeutig. Ein interessanter Aspekt besteht darin, dass die Stuhlamulette offenbar reale Stuhlvarianten ihrer Zeit abbilden (so bereits Arrhenius 1961, 156; Drescher/Hauck 1982, 238; Vierck 2002, 54  f.). Ein Drittel dieser Funde stammt von Plätzen, die als „Zentralorte königlicher Macht“ bezeichnet wurden (Vierck 2002, 54). Es ist also durchaus

28 Allgemein dazu siehe Pesch 2015, 403–427; 2017. 29 Etwa das Krummsiel von Elstrup, siehe die Abbildung bei Müller-Wille 1974, 151.



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denkbar, dass die Könige von Lejre selbst einen Holzthron besaßen, der dem Stuhl der Lejrefigur ähnelte bzw. diesem als reales Vorbild diente. Dies hatte bereits Tom Christensen vorsichtig erwogen (Christenen 2009, 8) und überlegt, ob die Figur nicht auch den Herrscher von Lejre abbilden könnte. Karl Hauck hatte die Abbildung eines Throns mit Tierfiguren von Löwen und Schwänen, wie sie das Amulett aus Haithabu (Abb. 5.1) und ein Kummet aus Søllested zeigen, mit den Herrschern von Odense in Verbindung gebracht (Drescher/Hauck 1982, 293  f.). Ähnlich ließe sich der Thron mit den drachenartigen Tieren, die auf der Lehne des Lejrefundes abgebildet sind sowie auf der Throndarstellung des Jellingbechers (Abb. 12), mit derjenigen Dynastie in Verbindung bringen, welche mit Harald Blauzahn das Christentum in Dänemark eingeführt hat und die jütländischen Bereiche des Landes mit den Regionen um den alten Königssitz Lejre und die nahegelegene, hochmittelalterliche Residenz Roskilde verbindet. Es wäre demnach denkbar, dass sowohl der Stuhl der Lejrefigur wie auch die Darstellung auf dem Silberbecher aus Jelling den Thron der dänischen Könige des 10. Jh.s abbilden. Eine solche Deutung schließt nicht aus, dass auf eben diesem Thron eine Gottheit dargestellt wird, auf welche sich die damaligen Herrscher zu ihrer Legitimation beriefen. Auf diesem breiten Hintergrund der gemeinsamen Throntradition des Abendlandes, in der oft Tierfiguren bzw. -köpfe an den Holzstühlen eine Rolle spielen, ist wenigstens ein Minimalergebnis mit Sicherheit festzustellen: Die Lejrefigur stellt eine herausragende, sehr hochrangige oder überirdische Persönlichkeit dar. Einer Ansprache der Gestalt als Odin steht das nicht entgegen, doch ist dies bei weitem nicht die einzige Möglichkeit. Als Hayo Vierck seinen Beitrag zum Amulett aus Haithabu (Abb. 5.1) schrieb und dieser viele Jahre später veröffentlicht wurde (Vierck 2002), waren noch alle bekannten Götterthronamulette unbesessen; Figuren darauf gab es nicht. Bei dieser Beschäftigung mit den Miniaturthronen schlug Vierck vor, dass die winzigen Stühle insbesondere Völven einladen sollten, sich auf ihnen niederzulassen (Vierck 2002, 56–59).30 Völven sind, wie oben bereits angedeutet, zukunftskundige Frauen der altnordischen Tradition, die in den Textquellen oft auch als heilkundig und magiebegabt, vor allem aber als zwielichtig, rätselhaft und sogar gefährlich beschrieben werden. Entweder zogen sie umher und wurden bei Bedarf eingeladen, oder sie wurden auf ihren eigenen Höfen aufgesucht. Völven übten ihr Handwerk im Sitzen aus. Es konnte für sie, wie in der Eiríks saga rauða (Kap. 4) beschrieben, der Hochsitz des Hauses gesäubert und präpariert werden, sie ließen sich aber auch auf einem hohen, speziell errichteten „Zaubergestell“ (seiðhjallr) nieder (Sundqvist 2012). Einen Schlüsselbeleg für das Aussehen der Völven bietet die Eiríks saga rauða. Hier wird über Þorbjǫrg lítilvǫlva, 30 Vgl. auch Price 2002, 167, der die „chair pentants“ als Teil der symbolischen Ausstattung von Völven interpretiert. – Nach Vierck hätten sich die nordischen Vorstellungen der Völven als weise, magiebegabte Frauen im Mittelalter vermischt mit solchen über den Erzmagier Salomo der christlichen Traditionen; vgl. dazu auch Callmer 2008, 200

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(‚Thorbjörg Kleinvölva‘), berichtet, die in einen blauen, bis zum Saum mit kostbaren Steinen verzierten Umhang gekleidet war. Sie trug am Hals eine Perlenkette und auf dem Kopf eine Kappe aus Lamm- und Katzenfell. Generell ist die Kleidung der Völven den Texten zufolge auffällig, sogar von Vermummung ist die Rede (Lokasenna Str. 24, siehe Krause 2011, 125; vgl. Price 2002, 171–174). Die äußerlichen Merkmale von Völven passen hervorragend mit derjenigen der sitzenden Gestalt von Lejre überein: Mantel und Kappe, die verschleierte (?) Mundpartie und das Sitzen lassen sich sofort damit in Beziehung bringen. So könnte die Vierck‘sche Idee mit dem Lejrefund seine klare Bestätigung erhalten haben. Doch Sicherheit ist hier nicht zu erlangen, denn etwas Entscheidendes fehlt der Lejrefigur: Das allen Texten zufolge wichtigste Kennzeichen der Völven war ein in der Hand getragener Stab aus Metall bzw. mit Metallbeschlägen. Für die Bedeutung dieses charakteristischen Attributes spricht auch die wahrscheinliche Etymologie von „Völva“ als ‚Stabträgerin‘. Bei den mittelalterlichen Menschen war die Verbindung von Völven und Stäben der Laxdœla saga (Kap. 76) zufolge ein so evident, dass ein Grab unter dem Kirchenboden durch den darin gefundenen Stab (seiðstafr) sofort als Völvenbestattung verstanden worden ist. Tatsächlich wurden in jüngerer Zeit einige auffällige, zumeist reiche Frauenbestattungen durch die darin enthaltenen Eisenstäbe konkret als Völvengräber interpretiert (Price 2002, 127–161, 175–203; Gardeła 2008; 2009). Doch gerade ein Stab fehlt der Gestalt aus Lejre, kein derartiges Attribut ist oder war vorhanden. Daher bleibt Viercks bestechende These bis auf weiteres unbeweisbar. Darstellungen von sitzenden Gestalten gibt es in archäologischen und kunstgeschichtlichen Zusammenhängen häufig. Wer sitzt, während andere stehen, ist in den Bildersprachen seit der Antike die bedeutendste Person aller Anwesenden. Das Sitzen gebührt insbesondere Göttern und Königen, es ist dabei gleichermaßen für Frauen wie für Männer belegt (siehe generell etwa Kuhlmann 1977; Kyrieleis 1979; Jung 1982; Metzger 1985; Hardt 2000; Steuer 2007). Aus der römischen Epoche sind zahlreiche Beispiele bekannt. Dazu zählen auch verschiedene Gottheiten, deren Throne nicht nur oft reich verziert sind, sondern auch mit Tierfiguren geschmückt sein können,31 und in ihrer Nachfolge stehen die Throne im späteren byzantinischen, romanischen und eben auch germanischen Bereich (L’Orange 1949; Schramm 1954, 316–323; Vierck 2002, 50). Offenbar gehen die mit den Tierfiguren verbundenen Vorstellungen zumindest teilweise auf alttestamentarische Traditionen mit Salomo als „Urbild des gerechten, weisen und mit magischen Fähigkeiten begnadeten“ Königs zurück, wenn etwa die byzantinischen Kaiser beim Besteigen ihres „Salomothrones“ gewissermaßen mit der Figur des Erzmagiers Salomo verschmolzen und Stimmen von theriomorphen Hilfsgeistern hören sollten (so Vierck 2002, 53  f.; vgl. Drescher/Hauck 1982, 244  ff., 271  f.). Auf die Ähnlichkeit einiger Bischofsthrone des 11./12.  Jh.s, die ebenfalls als

31 Z.B. Jupiter, Minerva, Saturnus und Terra Mater, siehe etwa die Abbildungen bei Simon 1990, 113, 181, 196 und 198  f., 207, oder Fortuna, siehe Scheid 2009, 43.



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Abb. 13: Hochmittelalterliche, hölzerne Bischofsbank aus Island (aus dem Besitz von Þórunn Jónsdóttir von Grund, der Tochter von Bishof Jón Arason). Auf den Lehnen des reich beschnitzten Stuhls sind nach innen gerichtete Vogelfiguren erkennbar, die hinteren Lehnenpfosten enden in Tierköpfen. Nach Vierck 2002, S. 52.

Throne Salomos gestaltet sind, sowie anderer hoch- und spätmittelalterlicher Sitzgelegenheiten wurde bereits hingewiesen (Vierck 2002, 55  f.); einige von ihnen tragen sogar ein Symbol aus zwei überkreuz ineinander geflochtenen Ovalen, das als „Salomosknoten“ bekannt ist (Abb. 11; vgl. Abb. 15) und in der frühmittelalterlich-christlichen Kunst bis in die Neuzeit hinein vielfach Verwendung fand (Zischka 1977, 41–48). Auch für die Darstellung Christi in der Bildformel Majestas Domini, welche übrigens bereits in Verbindung mit der Lejrefigur genannt wurde (Christensen 2009, 18  ff; 2015, 201  ff.), ist das Sitzen die typische Würdehaltung. Belege für das Sitzen als Würdehaltung gibt es auch in der völkerwanderungszeitlichen Germania. Erwähnt sei die plastische, auf einem Klotzstuhl (?) sitzende, weibliche Figur mit Horn in der großen Schale des gotischen Schatzhortes aus dem rumänischen Pietroassa32 des 4./5. Jh.s, welche von einem Bildfries mit Tierdarstellungen auf dem Schalenboden umgeben ist. Ähnliche Klotzstühle scheinen auch Abbildungen auf einem Brakteaten (IK 206 Várpalota, Abb. 7.1) und den bereits genannten Bildsteinen zu meinen. Wie auf letzteren ist das Sitzen in einer herrscherlichen Halle etwa auch auf einem Mähnenstuhl aus Søllested erkennbar (Schmidt-Lornsen 1986, 298  f.; 1994, 176  f.; Oehrl 2010, 15 [im Hliðskjálf-Zusammenhang]), und auch noch auf dem Teppich von Bayeux aus dem 11. Jh. finden sich mehrere vergleichbare Abbildungen für die Thronsitze von Königen (allgemein dazu Wamers [Hg.] 2009, siehe etwa die Abbildungen ebd. S. 52, 73, 112). Höchst interessante Parallelen bieten mehrere Sets von Schachfiguren aus Walrosselfenbein, die auf der Insel Lewis (Hebriden, Schottland) gefunden wurden (Stratford 1997; Robinson 2004; Caldwell/Hall/Wilkinson 2009). Die jeweils knapp 10  cm großen Spielsteine stammen aus der zweiten Hälfte des 12.  Jh.s, doch diese im Stil hochmittelalterlich-romanischen Figuren tradieren offenbar einige ältere Bildkonventionen germanischer Herkunft (darunter beispielsweise das Horn als Attribut 32 Pietroasele, Kreis Bužau, Walachia, Rumanien; dazu Odobeso 1989–1900, 32–41 mit weiteren Vergleichen; Harhoui/Pieper/Nedoma 2003, 149.

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Abb. 14: Fünf der Schachfiguren aus dem großen Fund von der Hebrideninsel Lewis, Schottland, 12. Jh., ohne Maßstab. Die Königinnen und Könige (siehe hier 14.1 und 14.2) sitzen auf Thronen, deren rück- und seitwärtige Lehnen oft reich verziert sind, auch mit Tierköpfen (14.2). Sie tragen bodenlange Gewänder. Dies gilt auch für die Bischöfe (= Läufer) (hier 14.3, 14.4 und 14.5), die darüber hinaus durch ihre Bischofsstäbe und hier durch das vorne herabhängende Pallium unter dem Obergewand gekennzeichnet sind. Ohne Maßstab. Skizzen: Paula Haefs, ZBSA, Schleswig.

der Königin) sowie auch andere möglicherweise archaische Merkmale (wie den Biss in den Schild der Läufer, Erinnerung an die Berserker). Das Sitzen gebührt bei ihnen generell den Königen und Königinnen auf ihren oftmals überaus kunstvoll verzierten Thronen (Abb. 14.1; 14.2), aber auch einigen Bischöfen: Sieben von 16 sind auf ebensolchen Stühlen dargestellt (Abb.  14.3). Als Vergleichsmaterialien für die Lejrefigur sind die Throne dieser Spielsteine zunächst aufgrund der geschnitzten Dekorationen von Interesse, denn sie zeigen, wie reale Stühle, auf den Rückseiten nicht nur ornamentale Verzierungen, sondern auch Tierköpfe und Tierkörper, die mit Koppeln zusammengefügt und so den wikingerzeitlichen Darstellungen noch eng verwandt sind (Abb. 14.2; vgl. 11.3). Zwar wurde die kleine Figur aus Lejre mehrfach ebenfalls als möglicher Spielstein angesprochen, doch ist sie dafür eigentlich zu klein, zu wenig griffig. Vor allem aber sind die Lewis-Schachfiguren aufgrund ihrer Kleidung mit der Lejrefigur vergleichbar. Alle ihre Gewänder sind bodenlang – eine Mode, die seit dem 10. Jh. mehr und mehr belegt ist. In dieser Zeit scheint sich ein genereller Wandel der Kleidung durchzusetzen. Vorne offene Mäntel, die an den Seiten und hinten herunterhängen, finden sich sowohl bei den Königinnen wie auch den Bischöfen. Gerade Bischöfe zeigen bemerkenswerte Parallelen zur Lejrefigur: Sie tragen unter ihren mantelartigen Überwürfen das vorne herabhängende Pallium, welches oftmals durch eine gepunktete Randborte gekennzeichnet ist und so mit dem Kleidungselement der Lejrefigur praktisch identisch ist (Abb.  14.3; 14.4; 15). In diesen Figuren findet die Figur ihre engsten ikonographischen Gesamtparallelen, ja, eine Ansprache des „Odins von Lejre“ als mittelalterlicher Bischof wäre im Vergleich mit diesen Figuren denkbar. Die Belege, die Vierck für die Vergleiche der Miniaturthrone mit realen mittelalterlichen Bischofsstühlen gesammelt hat, unterstützen dies noch, zumal auf diesen auch Vogel- und andere Tierfiguren zu sehen sind (Abb. 11.2; 13). Doch fehlen



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Abb. 15: Zwei Schachfiguren aus Walroßelfenbein aus Lewis, Schottland, Höhe 9,7 bzw. 7,7 cm. Die beiden Bischöfe (Läufer) tragen einen langen, vorne offenen Mantel und darunter das durch einen Punktsaum bzw. parallele Randlinien erkennbare, schürzenartige Pallium bzw. Epitrachelion. Gekennzeichnet sind sie auch durch den Bischofsstab, die Mitra und ein Buch. Die Biegung an den Seiten des Palliums der linken Figur kann andeuten, dass hier ebenfalls eine sitzende Gestalt dargestellt ist. Auf den Seiten des Thrones der rechten Figur sind jeweils Salomoknoten zu sehen. Rein ikonographisch liegen mit diesen Spielsteinen Parallelen zur Lejrefigur vor. © The Trustees of the British Museum.

der Lejrefigur die entsprechenden Attribute, vor allem der Bischofsstab, oder auch andere Kennzeichen, etwa die bei den Schachfiguren üblichen Gesten und Attribute der Königinnen (Krone, Hand an der Wange), Könige (Krone, Schwert auf den Knien) und eben Bischöfe (Mitra, teilweise auch Redegeste und Buch).

Ikonographische Verwirrungen Leider bleibt wenig übrig als Basis für eine unzweifelhafte Deutung der Lejrefigur. Weder die Details der Kleidung, des Kopfes, noch eindeutige Geschlechtsmerkmale oder Attribute lassen sicher erkennen, wer sich auf dem Sitz niedergelassen hat. Auch der Thron selbst liefert in seiner Form und mit den Tierfiguren keine sicheren Hinweise. Von einer communis opinio sind wir weit entfernt. Warum fällt es schwer, schon so eine grundsätzliche Sache wie das Geschlecht zu erkennen? Aus unserer heutigen Perspektive zeigt die Figur Elemente, die sowohl der Frauen- wie auch der Männerkleidung angehören, wir können nicht unmittelbar erkennen, was hier abgebildet ist. Auch das kulturelle bzw. religiöse Umfeld ist nicht eindeutig, denn es könnte sowohl eine heidnische wie auch eine christliche Darstel-

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lung sein. Die Vergleiche, mit denen wir heute versuchen, zur Klärung beizutragen, weisen in verschiedene Richtungen: Die ikonographisch und zeitlich nächsten Parallelen aus dem 10. Jh. (Abb. 4–6) sind in der Frage nach dem Geschlecht und damit auch der Identität der Figuren leider genauso rätselhaft wie die Lejrefigur selbst; im Kontext der vendelzeitlichen Bilder (Abb.  8; 9) kann die Miniatur durch das lange Gewand und den Halsschmuck als Frauendarstellung gelesen werden, im Kontext der spätantiken und hochmittelalterlichen Welt als Männerfigur (Abb. 10; 14). Erschwerend kommt hinzu, dass es in der Wikingerzeit tatsächlich Vorstellungen gegeben zu haben scheint, welche die heute vorausgesetzten Grenzen zwischen den Geschlechtern übertreten: Die zahlreichen Darstellungen bewaffneter Frauen, zumeist als Walküren angesprochen, sind Beispiele dafür (Abb. 9.4; vgl. die Zusammenstellung bei Helmbrecht 2011, 127  f.; Henriksen/Petersen 2013). Es bleibt damit unsicher, ob ein Mann oder eine Frau dargestellt ist, eine königliche Gestalt oder eine Gottheit, eine Völva oder ein Bischof. Wie kaum an einem anderen Beispiel zeigt es sich, dass unser Wissen über die Wikingerzeit noch lange nicht ausreicht, um sicher eine bestimmte Lesung und Deutung einer Bilddarstellung wie der winzigen Lejrefigur vorzunehmen. Bei aller Leidenschaft der Diskussion ersetzen Impressionismus und Wunschdenken kein fundiertes Wissen, und Schnellschüsse oder gar die Etablierung einer „Volksikonologie“ im Heizmann´schen Sinne schaden den Bemühungen letztlich nur. Wenn, wie in diesem Fall, eine Entscheidung schwerfällt, dann sollten wir das zunächst akzeptieren. Dies bedeutet freilich nicht, das Nachdenken über solche Stücke komplett einzustellen. Immerhin können wir sicher sein, dass die Chiffren grundsätzlich lesbar gewesen sind. Denn alle Bilder dieser Zeiten folgten einer übergeordneten Bildersprache und sollten von den Zeitgenossen erkannt und semantisch gelesen bzw. in ihrer immanenten Aussage verstanden werden. Nur so erzielten sie die gewünschte Wirkung. Aufgrund dieser Überindividualität von Bilddarstellungen allgemein lässt sich aber auch vermuten, dass es gewiss weitere direkt vergleichbare Darstellungen gegeben haben wird, die hoffentlich demnächst als neue Funde gute, zeitgleiche Parallelen mit ihren Charakteristika bieten und helfen, auch die Lejrefigur besser ansprechen und verstehen zu können. Doch gestehen wir es uns ein: Manche Rätsel sind eben (noch) nicht zu lösen. Bis auf weiteres gemahnt der Fund auch generell zur Vorsicht bezüglich rascher Bilddeutungen. Dies gilt auch dann, wenn wir spontan erkennen können, was genau eine Darstellung zeigt, denn auch scheinbar eindeutige Ergebnisse sind immer wieder zu hinterfragen und im Licht neuer Funde, Erkenntnisse und Erwartungen neu zu bewerten. Allzu unbekümmertes Probesitzen auf gefährlichen Stühlen sollte man jedenfalls besser vermeiden.



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Theo Vennemann

Die niederrheinischen Matronen: Vacallinehae, Austriahenae, Aufaniae Dieser Artikel ist Wilhelm Heizmann gewidmet, mit Dank für viele Jahre kollegialer Verbundenheit.

Abstract: Several proposals exist for the derivation of the name of the Matronae Vacallinehae. These cannot all be correct, but they could all be wrong. Preference is given in the literature to the derivation from a tribal name Vacalli. Such a tribe, however, never existed; it has been reconstructed from the name of the Vacallinehae for the sole purpose of explaining the latter – a typical vicious circle. In short, the name is unexplained. The present article addresses the problem within the framework of Max Ihm’s theory, according to which most matronal by-names are derived from settlement names. This theory is first applied retrospectively to the Matronae Austriahenae, discovered in 1958 and thus unknown to Ihm. Their by-name is reconstructed as deriving from a settlement name +Austriacum, which is identified with Oestrich, a settlement 12,5  km west of the place where the altars of the Matronae Austriahenae were found. Encouraged by this result, the theory is then applied to the Vacallinehae: They permit the extraction of a toponymical basis +Vacallinum, which by the sound changes of German would by now be reduced to +Wacheln or even further. Searching within the small hexagon formed by the six main finding sites of the Vacallinehae leads to the village of Wachendorf which, formally and geographically, corresponds perfectly to the requirements of the theory. A speculation about the matronal significance of +Vacallinum / Wachendorf and a hypothesis concerning the toponym from which the name of the Matronae Aufaniae is derived conclude the study.

Einleitung: Die niederrheinischen Matronenbeinamen Das Forschungsgebiet der niederrheinischen Matronennamen verbindet Wilhelm Heizmanns Forschungsbereich mit dem meinigen, die Skandinavistik mit der Germanistik, zumindest in historischer Perspektive: Im 19. und 20. Jahrhundert gab es viele Forscher, die die mit Beinamen versehenen Matronen auf den Weihaltären des 2. und 3.  Jahrhunderts (über 800 vollständig oder bruchstückhaft erhaltene Denkmäler mit ca. 80 verschiedenen Matronennamen) im Raum Köln-Bonn-Aachen, der südlichen Germania inferior, für germanische Göttinnen hielten. Sie setzten sie mit

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den nordischen dīsir und den deutschen idisi gleich.1 Manche hielten diese Namen sämtlich oder zum Teil nicht zuletzt deshalb für germanisch, weil die Namen in den stets lateinischen Weihinschriften im Widmungsdativ zwar meistens die lateinische Endung -is oder -(i)abus aufweisen, z.  B. sechsmal (Matronis) Vatviabus, einige Male aber auch die unzweifelhaft germanische Endung -i-ms, z.  B. ebenfalls sechsmal (Matronis) Vatvims: “Die Endung -ims in Aflims, Vatvims und Saithamims2 ist eindeutig germanisch und weist stark darauf hin, dass die betr. Namenstämme ebenfalls germanisch sind” (Neumann 1987, 108).3 Das war natürlich ein Fehlschluss. Zwar kann man aus der Verwendung einiger der Matronennamen mit einem germanischen DativPlural-Suffix schließen, dass unter den Auftraggebern Germanischsprachige waren, die die verehrten Gottheiten zumindest in ihren Beinamen in ihrer Muttersprache apostrophiert sehen wollten.4 Aber die Namen der Gottheiten selbst brauchen deswegen natürlich keineswegs ebenfalls germanisch zu sein, sowenig wie etwas Jehova ein germanischer Name ist, bloß weil der Genitiv Jehovas eine germanische Endung aufweist. Tatsächlich gab es neben diesen germanophilen Deutungsbestrebungen auch schon früh die Erkenntnis, dass es sich gar nicht um verschiedene Göttinnengruppen mit unterschiedlichen, im Beinamen zum Ausdruck kommenden Eigenschaften handelte, sondern immer um dieselben drei Matronen, die nur durch Beinamen zu ihren jeweiligen Verehrergruppen in eine Beziehung gebracht wurden. Z.  B. sind – ich komme weiter unten darauf zurück – die Albiahenae, Iulineihiae und Nersihenae dieselbe Gruppe von Göttinnen, nur eben beziehentlich verehrt in Elvenich, Jülich und Neersen. Dies ist nicht anders als etwa bei Notre Dame de Paris, Notre Dame de Reims und Unserer lieben Frau von Altötting: Es ist dreimal dieselbe von Christen als Himmelskönigin verehrte Mutter des Jesus von Nazareth, nur eben durch ihren Beinamen zum jeweiligen Ort ihrer Verehrung in Beziehung gesetzt.5

1 So etwa Gutenbrunner 1936, 121. 2 Seither ist das von mir entdeckte Gabims hinzugekommen (Vennemann 1993b, 395, Anm. 53). 3 Vgl. entsprechend schon Gutenbrunner 1936, 120. Neumann musste allerdings einschränkend hinzufügen: “Freilich macht gerade Vatvims einer Deutung beträchtliche Schwierigkeiten.” 4 Das Erscheinen solcher Spuren germanischer Ausdrucksformen ist auch leicht zu verstehen, da in dem einstmals keltischen niederrheinischen Gebiet des Römischen Reiches, dem “Matronengebiet”, im Jahr 38 v.  u.Z. von Agrippa, einem Feldherrn des Kaisers Augustus, zum Schutz der Reichsgrenze der – bis dahin rechtsrheinische – germanische Stamm der Ubier angesiedelt wurde. Näheres dazu in Gutenbrunner 1936, 116, Vennemann 1993b, 367–371. 5 Die Verehrergruppe kann als Volksstamm bezeichnet sein, wobei dann allerdings statt Matronae die Variante Matres/Matrae verwendet wird; z.  B. in [M]atribus meis [Ger]manis Suebis und Matrib[us] Ital[i]s Germanis Gal[lis] Brit[tis] (Gutenbrunner 1936, 215). Der Normalfall ist aber, sofern überhaupt die Verehrergruppe identifiziert ist, der Siedlungsname, wie schon exemplifiziert. Gelegentlich wird auch die Einwohnerschaft einer Siedlung angesprochen, so in schöner Doppelung bei den Matronae von Oestrich, die als Austriahenae auf die Siedlung, als Austriates auf die Bewohner der Siedlung bezogen sind, worauf ich unten zurückkomme.



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Nun sind zwar auch im dritten Jahrhundert der Erforschung der matronalen Beinamen immer noch nicht alle gedeutet; die Latte liegt hoch, so dass sich die Deutungserfolge ihr nur asymptotisch nähern können, nicht zuletzt weil auch damit gerechnet werden muss, dass zahlreiche Siedlungsnamen in den vergangenen 1800  Jahren verloren, ersetzt oder bis zur Unkenntlichkeit verändert worden sind. Aber das Forschungsinteresse lässt nicht nach. Und so ist auch der hier dem geschätzten Kollegen überreichte Aufsatz nichts anderes als das Dokument eines Versuchs, einige der problematischen Matronenbeinamen mit ihrer Verehrergruppe zu verbinden, wie diese sich durch einen plausiblen Siedlungsnamen definieren lässt, vor allem beim ungedeuteten der Matronae Vacallinehae. Man könnte sich fragen, warum denn der Fortschritt auf diesem Gebiet so langsam vonstatten geht, warum z.  B. der hier fokussierte Name der Matronae Vacallinehae nicht längst gedeutet ist, wie es meiner Ansicht nach in dieser Studie geschieht. Die Antwort dürfte nicht in geringerem Eifer oder mangelndem Spürsinn der Älteren zu suchen sein, sondern in ihren eingeschränkteren Forschungsmitteln: Uns heutigen steht das mächtige Werkzeug des Internets zur Verfügung, das uns per Mausklick ausführlichere, neuere und intensiver geprüfte Information zur Verfügung stellt als jedes gedruckte Lexikon, und das uns umgekehrt viele schöne Ideen in Windeseile als unhaltbar zu erkennen lehrt. Manchen – vor allem älteren oder am Alten hängenden – Gelehrten ist dieses Forschungsinstrument unheimlich; seine Verwendung gilt ihnen als “unwissenschaftlich”. Ich sehe es genau umgekehrt: Wer sich dieses Instruments nicht bedient, koppelt sich systematisch vom wissenschaftlichen Fortschritt ab und wird notwendigerweise hinter den Forschungsstand zurückfallen. Selbstverständlich wird ein verantwortungsbewusster Wissenschaftler nach Kräften auch die Standardwerke des bearbeiteten Gebiets beiziehen, schon aus Respekt vor den Leistungen der Älteren. Ich hoffe, dass genau dieser Respekt in meinem bibliographischen Anhang und seiner Verwendung deutlich wird.

Das Fehlen einer plausiblen Herleitung für Vacallinehae6 Der Beiname der Matronae Vacallinehae, die mit an dreihundert mehr oder minder vollständig erhaltenen Altären zusammen mit den Aufaniae und den Austriahenae 6 Die Form des Namens ist unstrittig. Zwar kommen auch Schreibungen mit o in der ersten Silbe und mit einfachem l vor, und einmaliges Vacallineihis könnte nach dem Ubischen Lautgesetz (s. Vennemann 1993b) auf Vacallineihiae als Grundform deuten. Aber regelmäßiges Vacallinehis (Dativ Plural) und mehrfaches Vacallinehabus machen Vacallinehae (mit Doppel-l und ohne -i-Suffix) als Nominativ Plural unzweifelhaft. Die Belege vom Hauptfundort Pesch findet man bei Alföldy (1968), eine Liste aller Varianten dort auf Seite 67.

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zu den häufigst belegten Gruppen ubischer Matronen gehören, ist ungedeutet. Im Internet wird teils kein Deutungsversuch unternommen,7 teils steht zu lesen, dass der Beiname von einem Stammesnamen abgeleitet sei. Zum Beispiel schreibt Sophie Lange auf ihrer Internetseite:8 „Den Beinamen dieser Matronen leitet man von einem Stamm namens Vacalli ab,9 so dass die Vacallinehae die Beschützerinnen eben dieses Stammes wären.” Etwas vorsichtiger steht auf der Internetseite „Tempelbezirk Pesch“: „Diese Matronen waren möglicherweise die Schutzpatroninnen einer Vacalli genannten Gruppe oder Sippe der Umgebung.“10 Beides ist aus der Luft gegriffen.11 Ein Stamm oder eine Sippe dieses Namens ist nicht bezeugt. Die niederrheinischen Matronen sind auch in der Regel nicht nach Stämmen oder Sippen, sondern nach lokalen Siedlungen bzw.  – in zwei Fällen  – zusätzlich nach den Bewohnern dieser Siedlungen benannt; so kommt bei den Matronae Austriahenae, vom Siedlungsnamen +Austria­cum12 (heute Oestrich) abgeleitet (s.  u. Abschnitt  3), einmal die Variante Matronae Austriatium vor (M. Iulius Vasuleni f(ilius) Leubo Matronis Austriatium v.  s.  l.  m.), die offenbar auf die Bewohner von +Austriacum, die Austriates, Bezug nimmt.13 Nur in wenigen klaren, aus dem ubischen Raum hinausweisenden Fällen bezieht sich der Beiname auf Stämme14, also auch in diesen Fällen auf die verehrende Bevölkerungsgruppe.

7 So auf der Internetseite „Matronen“, wo ansonsten freimütig assoziiert wird, z.  B. Ambiomarcis (‚Umgeben von Pferden‘ oder ‚Beidseitig der Grenze‘), Austriahenae (‚Mütter des Sonnenaufgangs‘ oder ‚Östliche Mütter‘). Unter 25 Nennungen bleiben dort nur drei ohne einen solchen deutenden Zusatz, darunter die Vacallinehae. 8 „Der Matronentempel in Nöthen-Pesch: Matronen im Heidentempel Nöthen-Pesch und im VacalliGebiet.“ 9 So auch Horn 1987, 276. 10 Auch Horn 1974a, 78, sprach noch modalisierend von einer „Personengruppe, vielleicht einer Sippe, deren Mitglieder in verschiedenen Siedlungen lebten und die den Namen ‘Vacalli’ geführt haben könnten“. 11 S. Anhang. 12 Wie in früheren Veröffentlichungen kennzeichne ich rekonstruierte Formen mit dem hochgestellten Kreuz (+), systemwidrige oder falsche Formen mit dem Asteriskus (*). In Zitaten respektiere ich den Zeichengebrauch der Autoren. 13 Desgleichen kommt zum Namen der Matronae Gesahenae (+Ges-ac-in-ae), vom Siedlungsnamen + Gesacum abgeleitet, einmal die Variante Matronae Gesationum vor (Matronis Gesationum Iul(ia) Ver(i) f(ilia) Attia v. s. l. m.), die offenbar auf die Bewohner von +Gesacum, die Gesationes, Bezug nimmt. Bei den Etrahenae deutet eine curia Etratium auf die +Etrates, die Einwohner der aus dem Namen der Etrahenae erschließbaren Siedlung +Etracum (vgl. Horn 1987, 276). 14 Die Matronennamen mit Stammesnamen als Beinamen weisen über das ländliche Gebiet im KölnBonn-Aachener Dreieck hinaus, z.  B. die Matres [Ger]manae Suebae aus Köln mit der vergleichbaren Weihung Matrib[us] Ital[i]s Germanis Gal[lis] Brit[tis] aus Winchester, die natürlich auch durch die Bezeichnung Matres statt Matronae nicht für das Ubierland ortstypisch sind. Vgl. Ihm 1887, 15: „Ein Theil der Beinamen bietet der Erklärung keine Schwierigkeit, ich meine die, welche von bekannten Vö l k e r n und P r o v i n z e n hergenommen sind, und zwar sind dieselben meist den Matres beigelegt.“



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Diese Einsicht in die je verschiedene Zubenennung ein und derselben Gottheitengruppe nach den sie verehrenden Bevölkerungsgruppen15 verdanken wir Ihms bahnbrechender Arbeit, in der sie in wenigen Worten folgendermaßen formuliert ist (1887, 21  f.): Dass in all diesen mannigfachen Beinamen Namen bestimmter Oertlichkeiten zu suchen sind, kann wohl keinem Zweifel unterliegen. Die Beinamen, denen wir bis jetzt begegnet sind, sprechen auf das bestimmteste dafür, und nichts ist verkehrter, als in ihnen Bezeichnungen, die auf die Natur und das Wesen dieser Gottheiten Bezug haben, finden zu wollen.

Solche Versuche sind freilich immer wieder unternommen worden, in der Regel aus dem Germanischen und mit einer merklich germanophilen Tendenz, z.  B. bei de Vries (1935), Gutenbrunner (1936) und Neumann (1987). Doch schrieb schon Ihm (1887, 21): „Kern [1872] hat die meisten derselben aus dem Germanischen zu erklären versucht, wie ich glaube mit wenig Glück.“ Und allgemeiner Kauffmann (1892, 37, 38): „Die Frage, ob uns nach Abzug dieser Inschriften, welche ein entschiedenes Übergewicht der Fremden im Ubierlande beweisen, ein Rest germanischer Dedikationen verbleibt, möchte ich nicht bejahen. […] Wie wir gesehen haben, beziehen sich die Weihungen an die Mütter auf die Ortsheimat der [weihenden] Person.“ Mit Bezug auf die Vacallinehae schreibt denn auch Alföldy (1986, 68): Hinsichtlich der Etymologie des Namens scheint die Möglichkeit die wahrscheinlichste zu sein, dass man den Namen durch einen Gemeindenamen deuten kann, wie etwa den der Matronae Austriahenae/Austriatium und Gesahenae/Gesationum: man könnte einen Gemeindenamen *Vacalli voraussetzen, auf den auch die Kurzform des Namens in einer Inschrift mit der Widmung [Matronis] Vacallis Leudinis (Nr. 147) einen Hinweis geben könnte.

Alföldy verstand 1968 den morphologischen Aufbau der Matronennamen noch nicht16, und so konnte er nicht wissen, dass *Vacalli kein Baustein von Vacallinehae (Vacall-in-eh-ae) ist.17

15 Die immer im Wesentlichen gleichen bildlichen Darstellungen beweisen, dass die Beinamen bei den Matronen keine funktional unterscheidende Bedeutung haben, sowenig wie bei der Gottesmutter der christlichen Religion, wo sich Notre Dame de Paris funktional in nichts von Notre Dame de Reims unterscheidet und beide in nichts von Unserer Lieben Frau von Altötting. Siehe auch Ihm in dem oben folgenden Zitat. 16 Sie gelang erst ein Vierteljahrhundert später, s. Vennemann 1993b. 17 Die unter den zahlreichen Vacallinehae-Weihungen singuläre und zudem defekte Form Vacalliṣ (Lehner [1918] schrieb Vacallin(ehis), vgl. Alföldy 1968, 54) ist aber ohnehin sicherlich nicht maßgeblich für die Analyse des Namens.

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Max Ihms Theorie: Matronennamen aus Siedlungsnamen Bisher sind bei weitem nicht alle der ca. 80 niederrheinischen Matronennamen toponymisch gedeutet worden. Es ist auch nicht zu erwarten, dass dies in sehr vielen Fällen gelingen wird. Den Grund nannte schon Ihm (1887, 22): Dass wir die meisten dieser Oertlichkeiten heute nicht mehr sicher nachweisen können, ist nicht zu verwundern, wenn man bedenkt, wie viele Namen im Laufe der Jahrhunderte untergegangen sind, wie viele in der gewaltsamsten Weise geändert, wie viele durch neue ersetzt worden sind.

Doch ist eine Zusammenstellung (basierend auf Vennemann 1993a, 280  f.) insofern versprechend, als in allen Fällen der Fundort vom Bezugsort nicht weiter als 13 Kilometer entfernt liegt. Übersicht 1 zeigt den Spielraum der Entfernungen: Matronae Bezugsort Fundort Albiahenae Elvenich Ober-Elvenich Vesuniahenae18 Vettweis19 Vettweis Lanehiae20 Lechenich Lechenich Alapierhuiae21 Pier Inden-Lamersdorf

Entfernung 0 km 0 km 0 km 3 km

18 Vgl. Vennemann 1993a, 281. 19 Vettweis nördlich von Zülpich, a. 989 VVisse, erst a. 1383 Vettwiß, mundartlich bis in die Neuzeit Wies. Vgl. Vennemann 1995, 283, Anm. 40. 20 Vgl. Vennemann 1993a, 281, Anm. 46; 1995, 293, Anm. 71. Vielleicht aber auch einfach eine Verschreibung durch Auslassung: Lanehiae für +Lehanehiae = Lehan-eh-i-ae < +Lecan-ic-i-ae. Dies ist ein mit dem Suffix -i- von einem Siedlungsnamen +Lecan-ic-um abgeleiteter Matronenname. Aus diesem +Lecanicum, in ubischer Aussprache mit Zweiter Lautverschiebung +Lechanech(-um), erhält man lautgesetzlich das heutige Lechenich.  Zur Verwirrung des Ausführers dieser Inschrift könnte der Name des erstgenannten der beiden Auftraggeber beigetragen haben, den Gutenbrunner (1936, 218) folgendermaßen wiedergibt: L(ucius) Ialehenius Secundus. In der vergrößerbaren Abbildung des Matro­nensteins auf der Internetseite „Lechenich“ zeigt sich ein breites Spatium zwischen einem nicht klar erkennbaren Schriftzug und dem, was meines Erachtens als separater Bestandteil des mehrgliedrigen Namens anzusehen ist: Lehenius, d.  i. Lehen-i-us. Dieser Namenbestandteil weist den Dedikanten Lucius eindeutig als Bürger von +Lehan-ic-um aus, den ersten namentlich bezeugten Lechener bzw. Lechenicher. Ob auch der zweite Dedikant, C. Challinius Patern[us] (vgl. Gutenbrunner 1936, 218), in seinem Namen einen Bezug zu +Lecan-ic-um, +Lechan-eh-um, aufweist, etwa mit einer spielerischen Metathese Challinius ← +Lachinius, sei dahingestellt. 21 Aufgefasst als Kompositum, Ala+Pierhuiae; vgl. Vennemann 1993a, 281, Anm.  44; 1994a, 409, Anm. 21 [2003, 112]; 1995, 282, Anm. 34.



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Matronae Bezugsort Fundort Entfernung Fachineihiae22 Fey23 Zingsheim24 5 km Iulineihiae Jülich Müntz 6 km Nersihenae25 Neersen Mönchengladbach26 6 km Hamavehae27 Hambach Altdorf bei Jülich 7 km Lubiciae Lövenich Köln28 7,5 km Alaferchuiae29 Verken Fronhoven30 8 km Gesahenae Giesendorf31 Bettenhoven32 8 km

22 Der Name ist in den folgenden Formen bezeugt: Fac⊣inei⊣is, Fa⊣inei⊣is, Fac⊣ine⊣i[s], Fa⊣inehis, Fa⊣ineis, Fa⊣in[ei?]hab[us], Fah[---- (vgl. Gutenbrunner 1936, 213, und zuletzt Biller 2010, 187–193 – die Belege sind durch die Auffindung des Matronenheiligtums bei Zingsheim 1963 vermehrt worden, vgl Sage 1964, 301  f.). Zweimaliges ei statt e deutet gemäß dem Ubischen Lautgesetz (Vennemann 1993b) auf stammhaftes -i-. (Zu ⊣, dem sog. ‚halben H‘, vgl. Vennemann 1994b.) 23 Die Feybach (kurz Fey, älter Feye), auch Veybach geschrieben. Vom Fundort Zingsheim zur Feybach sind es ca. 5 km, vom zweiten Fundort Euskirchen aus 0 km – die Feybach fließt durch Euskirchen. Eine genaue Bezugssiedlung ist nicht bestimmbar; vermutet wurde sie von Horn (1974, 88): „Vermutlich leitet sich der germanische [Wieso ‚germanische‘? (T.V.)] Beiname von einem uns nicht bekannten Ortsnamen her.“ Die Siedlung müsste auf Lateinisch +Facinicum (+Facin-ic-um, die Matronen +Facin-ic-i-ae) geheißen haben. Aber mehrere Dörfer ganz in der Nähe tragen mit fey- gebildete Namen: Urfey und Eiserfey (älter -fay), beide ca. 3 bis 4 km von Zingsheim entfernt, liegen an Quellbächen der Feybach; auf halbem Weg zwischen Zingsheim und Euskirchen liegt Burgfey, jetzt östlicher Stadtteil von Mechernich; Katzvey und Satzvey liegen ca. 10 bzw. 13 km von Zingsheim und ca. 6 bzw. 9 von Euskirchen entfernt an der Veybach; 4 km von Euskirchen entfernt liegt an der Veybach die Burg Feynau. Aus Fey, -fay, Feye und Feyn- lässt sich wohl als älteste Form des Bachnamens +Fayen erschließen. Diese – mit Palatalisierung des -ch- (< +-k-) vor dem palatalen Vokal – aus +Facin-, etwa lateinisch +Facinum, herzuleiten scheint mir plausibel, da auch suffixales -h- vor festem -i- gelegentlich verschwindet (so ja in Fahineiabus < +Fahineihiabus in der vorstehenden Anmerkung); jedenfalls ist Mürkens’ (1958) Etymologie der einzige plausible Vorschlag. 24 Und Euskirchen, s. die vorstehende Anmerkung. 25 Die formale Analyse (vgl. dazu den folgenden Abschnitt) von Nersihenae als Ners-ih-en-ae < + Ners-ic-in-ae lässt als Bezugssiedlung +Nersicum, d.  i. +Ners-ic-um, erschließen, abgeleitet von einem Gewässernamen +Ners-, der allgemein mit dem der Niers identifiziert wird. Mit der römerzeitlich im Ubierland üblichen toponymischen Suffixvariation lässt sich neben +Nersicum die Namenform +Nersinum, d.  i. +Ners-in-um, erschließen, die unmittelbar auf das heutige Neersen führt, was sich Ihm (1887, 22) bereits als „auffallende Verwandtschaft“ verriet. 26 So, wenn die Vermutung stimmt, dass dies der Fundort des einzigen Nersihenae-Altars ist (vgl. Gutenbrunner 1936, 223). 27 Vgl. Vennemann 1993a, 282, Anm. 46. 28 Aachener Straße vor dem Hahnentor. 29 Aufgefasst als Kompositum, Ala+Ferchuiae; vgl. Vennemann 1993a, 281, Anm.  42; 1994a, 409, Anm. 21 [2003, 112]; 1995, 282, Anm. 33. 30 Der Domerberg bei Fronhoven ist der Hauptfundort. 31 Gesahenae (< +Ges-ac-in-ae) ist von +Gesacum (+Ges-ac-um) abgeleitet. s.  o. Anm. 13. Mit der üblichen Suffixvariation bestand daneben +Gesanum (+Ges-an-um). Nur 8 km ostsüdöstlich vom Fundort Bettenhoven liegt Giesendorf mit „zwei ausgedehnte[n] römische[n] Trümmerstreuungen“ nahe einer Römerstraße (vgl. die Internetseite „Giesendorf“.) Giesen- ist die Fortsetzung von +Gesan-. 32 Und Rödingen, in engster Nachbarschaft.

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Bezugsort Fundort Entfernung Matronae Tummaestiae Thum Sinzenich 10 km Ulauhinehae33 Euenheim34 Geich 11 km Austriahenae Oestrich Morken-Harff 12,5 km Chuchenehae Kuchenheim Zülpich35 13 km + Ethrahenae Ederen? (s.  u.) Rödingen, Bettenhoven (s.  u.) Übersicht 1: Entfernungen zwischen Bezugsorten und Fundorten bei einigen der niederrheinischen Matronengruppen.36

Die 13-Kilometer-Daumenregel soll nicht ausschließen, dass Einzelfunde auch weiter entfernt auftreten: Ein Dedikant, z.  B. ein Soldat, kann in der Ferne seinen heimat­ lichen Matronen ein Gelübde eingelöst haben; ein Altarstein kann in nachheidnischer Zeit als Baumaterial weiter verschleppt worden sein. Z.  B. finden sich die überaus zahlreich bezeugten und durch ihren Militärbezug auffälligen Matronae (auch Matres) Aufaniae an den Schwerpunkten Nettersheim und Bonn, dazu aber auch in Köln (2),

33 Als Kompositum aufgefasst: Ula+Uhinehae, wo Uhinehae = Uhin-eh-ae = +Uhin-ic-ae, von einem Siedlungsnamen +Uhin-um, vielleicht +Uh-in-um. 34 In Urkunden des 11. und 12. Jahrhunderts Uenheim und Uwenheim (vgl. die Internetseiten „Euenheim“ und „Euenheim online“), wo offenbar U für langes u bzw. durch das ursprünglich (in +Uhin-, vgl. die vorstehende Anmerkung) folgende i umgelautetes, frühneuhochdeutsch diphthongiertes langes ü steht. Die ältesten Schreibungen mit U statt Ou schließen die traditionellen Herleitungen von althochdeutsch ouwa ‚Aue‘ oder ouwi- ‚Schaf-‘‚ aus. Die alternative Zerlegung des Matronennamens in Ul+Auhin-eh-ae würde zwar möglicherweise eine Herleitung von ouwi- ‚Schaf-‘ (kaum hingegen von lateinisch ovis ‚Schaf‘, was auch vorgeschlagen wurde) erlauben, aber dann keine Verbindung mit Euenheim. Doch würde es verwundern, ein althochdeutsches (oder lateinisches) Wort in einem Siedlungsnamen Galliens zu finden. 35 Und Merzenich bei Zülpich, ebenfalls in 13 km Abstand von Kuchenheim. Die Analyse des Namens der Matronae Chuchenehae (Chuchenehae = Chuchen-eh-ae < +Kuken-ic-ae) führt auf einen latinisierten und germanisierten Ortsnamen +Cucen-um, von der ubischen Bevölkerung [kχuχχen-um] gesprochen. Die anlautende Affrikata ist bei der Frankonisierung der Region (die Franken kannten keine velare Affrikata) rückgängig gemacht worden, so dass der Ortsname spätestens ab dem 5. Jahrhundert als [kuχχen-um], später [kuχən-] ausgesprochen wurde. Dieser wurde lediglich mittels -heim eingedeutscht. Es ist mir unverständlich, dass diese einfache Beziehung der Matronae Chuchenehae (auch Chuhenehae, Cuchenehae, vgl. Gutenbrunner 1936, 217  f.) zu Kuchenheim jemals in Frage gestellt wurde. Dieser Matronenbeiname bietet von allen toponymisch deutbaren die formal transparenteste Beziehung zu einem fortbestehenden Ortsnamen in räumlicher Nähe. Zwar liegt Geich, das auf der Internetseite „Karmantan“ von Dr. Josef Bierekoven favorisiert wird, näher an Zülpich und Merzenich (2 bzw. 4 km), aber ich sehe keinen gangbaren sprachgeschichtlichen Pfad, der von Chuchen- (-ic- ist ja Matronennamensuffix) oder auch von falsch angesetztem toponymischem Chuchenic- auf Geich führt, und Dr. Bierekoven bleibt uns leider jeglichen Versuch schuldig. 36 Nicht anders verhält es sich bei den Matres Südfrankreichs: Die gallische (dativische) Dedikation in griechischer Schrift Ματρεβο Ναμαυσικαβο ‘den nemausischen Müttern, Müttern von Nemausos (d.  i. Nîmes)’ wurde im Bezugsort Nîmes gefunden, entsprechend Ματρεβο Γλανεικαβο ‘den glanischen Müttern, Müttern von Glanum’ im Bezugsort, dem antiken Glanum (cf. Schmidt 1989, 139).



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Zülpich (2), „zwischen Kommern und Zülpich“, in Bürgel, in Mainz, in Winseling bei Nimwegen, in Lyon, in Carmona/Andalusien (s. Gutenbrunner 1936, 205–210). So halte ich es für möglich, dass die Matronae Etrahenae bzw. Etttrahenae (für +Ethrahenae37, s. Gutenbrunner 1936, 191) zu Ederen gehören, obwohl dies ca. 16  Kilometer von den Fundorten Rödingen und Bettenhoven entfernt liegt. Ederen war römerzeitlich besiedelt und ist a. 1139 als Ethdern bezeugt (s. die Internetseite „Ederen“); mit der üblichen toponymischen Suffixvariation dürfte es ein altes +Ethran-um / +Ethr-ac-um gewesen sein, letzteres nach Ausweis des Matronennamens, + Ethrahenae < +Ethr-ac-in-ae, mit +th für +[θ]. Mit den Etrahenae zusammen genannt werden die Gesahenae38 (Etrahenis et Cesahenis Bassiana Materna et Bass(i)ana Paterna ex imp[erio] ips[arum] l[ibens] m[erito], Matronis Etttrahenis et Gesahenis M. Iul. Amandus, vgl. Gutenbrunner 1936, 212  f.). Die Fundorte Rödingen und Bettenhoven liegen zwischen Ederen und Giesendorf, im Abstand von 16 bzw. 8 Kilometern. Horn (1987, 276) schreibt dazu: „Eine Inschrift aus Titz-Bettenhofen legt nahe anzunehmen, dass die Dedikantin dort mit den Ettrahenae und den Gesahenae die Matronen mütterlicherseits (maternae) und väterlicherseits (paternae) ehren wollte.“ Der Abstand von Ederen nach Giesendorf beträgt 22 Kilometer – ein plausibler Abstand für die Geburtsorte eines Elternpaars.

Die Matronae Austriahenae bzw. Austriatium Das drittletzte Beispiel in Übersicht 1, die Matronae Austriahenae, halte ich für besonders instruktiv. Während es über die Anbindung z.  B. der Iulineihiae an Jülich und der Chuchenehae an Kuchenheim wenig Dissens gab, lag, als ich mich dem Problem zuwandte, für die Austriahenae kein Vorschlag vor. Doch lieferte die 13-KilometerDaumenregel sofort ein Ergebnis, wenn auch mit 12,5  Kilometern gewissermaßen ein knappes: Die Zerlegung Austri-ah-en-ae, d.  i. +Austri-ac-in-ae, gebietet es, innerhalb eines Kreises mit einem 13-Kilometer-Radius um die  – leider inzwischen dem Braunkohleabbau zum Opfer gefallene  – Fundstelle Morken-Harff nach einer Siedlung +Austriacum (+Austri-ac-um) zu suchen. Diese Siedlung müsste heute wegen des althochdeutschen Lautwandels au > ō vor Dental Östrich (mit langem ö) oder, wahrscheinlicher, mit Verlust des halbvokalisierten i in dem komplexen Silbenkopf tri der unbetonten Zweitsilbe und deshalb ohne Umlaut, Ostrich (mit langem o) heißen.39

37 S.  o. Anm. 13. 38 S.  o. Übersicht 1. 39 +Au.’stria.cum > +’Au.striac (germanische Initialakzentuierung) > +’Au.strac (Kopfvereinfachung) > + ’Au.strach (Zweite Lautverschiebung) > +’Ō.strach (althochdeutsche Monophthongierung) > +’Ō.strǝch (mittelhochdeutsche Vokalreduktion) > +’Ō.strich (reguläre Entwicklung des Reduktionsvokals vor Velar).

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Tatsächlich liegt 12,5  Kilometer westlich von Morken-Harff die Siedlung Oestrich, heute Stadtteil von Erkelenz. Zu Oestrich liest man auf der Internetseite „Oestrich (Erkelenz)“, dass die älteste Schreibung (a. 966) ein h- aufwies, hostrich, worauf dort eine Etymologie mittels lateinischem hostis ‚Fremdling, Feind‘ und keltisch-romanischem, germanisiertem -rich ‚mächtig‘ aufgebaut wird. Wie aber spätere Namenbezeugungen und die heutige Namenform beweisen, ist dieses h- nur eine unorganische, romanisierende Schreibung. Auch für das nahe Erkelenz findet sich die Schreibung herclinze40, desgleichen gibt es für das Oestrich von Oestrich-Winkel im Rheingau-Taunus-Kreis in Hessen alte Schreibungen mit unorganischem H- (Hostrich, Hosterecho und Hosteriche). Der Vergleich mit den unzähligen rheinischen Ortsnamen auf -ich legt eine Zerlegung nicht in Oest-rich, sondern in Oestr-ich nahe. Dankenswerterweise betonen die Autoren der Internetseite „Oestrich (Erkelenz)“ die Länge des o, angezeigt durch das „Dehnungs-e“, was die Richtigkeit der Herleitung dieses o aus monophthongiertem au unterstreicht. Dass Oestrich auch aus historischen Gründen als das +Austriacum der Matronae Austriahenae in Betracht kommt, geht aus der folgenden Darstellung der Internetseite „Oestrich (Erkelenz)“ hervor: In weniger Entfernung vom Ort wurden nördlich bis südöstlich vorgeschichtliche und römerzeitliche Bodenfunde gemacht. In einer von Kaiser Otto dem Großen bestätigten Tauschurkunde vom 17. Januar 966 zwischen dem Marienstift zu Aachen und dem lothringischen Grafen Immo wird er dann zusammen mit Erkelenz (herclinze) und weiteren Ortschaften als der im Mühlgau in der Grafschaft des Eremfred gelegene Ort hostrich genannt. Das Marienstift war nunmehr in Oestrich wie auch in Erkelenz Eigentümer allen Grund und Bodens, den es als Mann- und Zinsgüter nach dem in fränkischer Zeit entstandenen Lehnsrecht vergab. Die Landesherrschaft übten jedoch die Grafen aus. Ein Zinsverzeichnis des Stifts aus dem 12. Jahrhundert gibt für Oestrich 31 Zinsgüter, 5 Mühlen und 4 Herrenhöfe an. In Erkelenz waren es demselben Verzeichnis zufolge 32 Zinsgüter, 1 Brauerei und 5 Herrenhöfe, so dass beide Orte zu dieser Zeit ebenbürtig erscheinen. Dies lässt auch den Schluss zu, dass Oestrich letztendlich älter sein könnte als Erkelenz. Auch legt das Wegenetz auf alten Landkarten die Vermutung nahe, dass der Kölner Heerweg ursprünglich durch Oestrich führte.

Die 13-Kilometer-Regel hat somit für die Austriahenae zu einem plausiblen Bezugsort geführt. Es besteht also immerhin die Möglichkeit, dass sich auch für die Matronae Vacallinehae durch Berücksichtigung ihres Beinamens und der Fundorte eine Herleitung findet.

40 Vgl. die Internetseite „Oestrich (Erkelenz)“.



Die niederrheinischen Matronen: Vacallinehae, Austriahenae, Aufaniae  

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Strukturanalyse für Vacallinehae Analysieren wir also zunächst den Beinamen, Vacallinehae. Die Endung des Widmungsdativs, -is bzw. -abus, die in den zahlreichen Beispielen beide vorkommen (s. Vacallinehis in Gutenbrunner 1936, 230–232, einmal Vacallinehabus 231), lässt sich abtrennen, Vacallineh-. Das Suffix -eh-, ubisiertes lateinisches -ic- (vgl. Vennemann 1993b)41, leitet den Matronennamen aus demjenigen Namen ab, auf den sich der Matronenname bezieht, nämlich in der Regel aus einem Siedlungsnamen in latinisierter Form; der Beiname lässt sich also weiter zerlegen in Vacallin-eh-ae, lateinisch + Vacallin-ic-ae. Der Bezugsort dürfte also +Vacallin, in lateinischem Kontext +Vacallinum, geheißen haben. Hier fungiert -in- als toponymisches Suffix, +Vacall-in-um. Der Aufbau des Beinamens folgt also dem konstanten morphologischen Schema: Ortsname – Matronennamensuffix – Flexionssuffix

bzw., wenn der Ortsname selbst deriviert ist: Namenbasis – Ortsnamensuffix – Matronennamensuffix – Flexionssuffix

Als Ortsnamensuffixe erscheinen -in- und -ic- sowie -an-, -ac- und -iac-, als Matronennamensuffixe -in-, -ic- und -i-. Dabei gilt die Regel: Jedes der Suffixe kann in einem Beinamen nur einmal verwendet werden: -in-in- und -ic-ic- kommen nicht vor, auch -(i)ac-ic- nicht (also nie zweimal ein Suffix mit velarem Konsonanten), wohl aber -in-ic- und -ic-in-. Vor dem Derivationssuffix -i-, nicht aber vor dem i des Flexionssuffixes -is, erscheint +-ic- in der Regel nicht wie sonst als -eh-, sondern – gemäß dem Ubischen Lautgesetz42 – als -eih-. Das i des jeweils letzten i+Konsonant-Suffixes erscheint zu e reduziert. Z.  B. erscheint -in-, wenn vorletztes Derivationssuffix, als -in- (z.  B. in Anesam-in-eh-ae), aber wenn letztes Derivationssuffix, als -en- (Ners-ih-en-ae). Entsprechend -ih- vs. -eh- (Ners-ih-en-ae vs. Anesam-in-eh-ae), wobei -eh- vor dem Derivationssuffix -i- nach dem Ubischen Lautgesetz die Gestalt -eih- annimmt, z.  B. +Iulinic-i-ae > +Iulin-eh-i-ae > Iulin-eih-i-ae. Die folgende Liste illustriert diese Kombinatorik der Suffixe mit bezeugten Matronennamen, hier im Nominativ: -in-ic- Anesam-in-eh-ae Aseric-in-eh-ae Atufraf-in-eh-ae Mahl-in-eh-ae Ulauh-in-eh-ae +

-ic-in- Ners-ih-en-ae

+

41 Das Suffix -ic- findet sich in nicht-ubisierter Form im Namen der Matronae Lubiciae (Lub-ic-i-ae). 42 Vgl. Vennemann 1993, 386; 2009, 218.

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 Theo Vennemann

-ac-in- Ren-ah-en-ae

+

+ -iac-in- Alb-iah-en-ae Almav-iah-en-ae Austr-iah-en-ae

-an-ic- Rum-an-eh-ae

+

-an-i- Auf-an-i-ae

+

+ -ic-i-

Cantrust-eih-i-ae Fachin-eih-i-ae Iulin-eih-i-ae Rath-eih-i-ae Textum-eih-i-ae Vallabn-eih-i-ae Vallamen-eih-i-ae

Der Beiname Vacallinehae gehört offenbar zur ersten dieser Gruppen: Vacall-in-eh-ae, aus +Vacall-in-ic-ae. Wie würde der Siedlungsname +Vacallin heute lauten? Die Zweite Lautverschiebung (Fall -k- > -hh- zwischen Vokalen) und die mittelalterlichen Vokalreduktionen würden auf +Wacheln führen, dies vielleicht zusätzlich durch Vereinfachung der in unbetonten Silben unbequemen Gruppe -ln zu +Wachel oder +Wachen.43

Identifikation von +Wacheln (< +Vacallin) Die verbleibende Aufgabe besteht darin, unter Berücksichtigung der 13-KilometerDaumenregel eine Siedlung mit zum Rekonstrukt +Vacallin bzw. +Wacheln passendem Namen aufzuspüren. Gefunden wurden die Vacallinehae in großer Zahl im Matronenheiligtum auf dem Addig bei Pesch (zu Nettersheim)44, dazu in kleinen Gruppen oder vereinzelt in Weyer, Satzvey, Lessenich, Antweiler, Iversheim und Endenich (westlich 43 Auffälligerweise erscheint der Name Vacallinehae trotz vielfacher Bezeugung (vgl. Gutenbrunner 1936, 230–232) nicht ein einziges Mal mit den Anzeichen einer Verschiebung des wurzelhaften +/k/, während z.  B. der Beiname der Matronen von Kuchenheim als Cuchenehae, Chuchenehae und Chuhenehae bezeugt ist. Es könnte sich um Dialektunterschiede handeln bei fortschreitendem Verschiebungswandel (change in progress). Gutenbrunner ordnet die Chuchenehae alphabetisch unter H- ein, was mir angesichts seiner sieben Beispiele mit stabiler initialer H-Schreibung, die aber gerade bei den Chuchenehae überhaupt nicht vorkommt, verfehlt erscheint. – Diese Zusammenhänge verdienen eine umfassende Behandlung, auch unter Berücksichtigung der H-Schreibungen mit dem “halben H” (wozu Vennemann 1994b). 44 Die Anhöhe namens Addig selbst liegt auf dem Territorium des Dorfes Nöthen, das zur Gemeinde Bad Münstereifel gehört.



Die niederrheinischen Matronen: Vacallinehae, Austriahenae, Aufaniae  

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Abb. 1: Entfernungen (in Kilometern) der Fundorte der Matronae Vacallinehae zu Wachendorf. Karte: Jörg Nowotny/ZBSA (Entwurf Th. Vennemann).

von Bonn, heute Ortsteil von Bonn). Suchen wir im Sechseck Petsch-Weyer-SatzveyLessenich-Antweiler-Iversheim (Bonn-Endenich liegt mit 27 Kilometern – ostnordöstlich – deutlich abseits), so werden wir sofort fündig (vgl. Abb. 1): In diesem Sechseck liegt Wachendorf (zu Mechernich), neun Kilometer nordnordöstlich von Pesch, neun Kilometer nordöstlich von Weyer, vier Kilometer ostsüdöstlich von Satzvey, zwei Kilometer ostsüdöstlich von Lessenich, einen Kilometer südlich von Antweiler und zwei Kilometer west-nordwestlich von Iversheim. Wachendorf liegt am Wachenbach45. Der Namenkern Wachen- entspricht ganz offensichtlich der gesuchten neuzeitlichen Fortsetzung +Wacheln- von +Vacallin, während -dorf (bzw. +þorp- oder eine Zwischenstufe des germanischen Wortes in seiner Entwicklung zu neuhochdeutsch -dorf) im Zuge der Eindeutschung der toponymischen Landschaft nach der fränkischen Eroberung des Rheinlands als neuer grammatikalischer Kopf hinzugefügt wurde. Die Matronae Vacallinehae sind also ursprünglich die Matronen derjenigen Siedlung, deren Namen das heutige Wachendorf fortsetzt, kurz die Wachendorfer Matronen.

45 Vacalina, Vachlenbach (vgl. dazu den Anhang).

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Schon Ihm (1887, 23  f.) war auf Wachendorf als mögliche namengebende Siedlung gestoßen, verwarf aber diesen Gedanken aus falschem Grund: Die Vacal(l)inehae (Vacallineae … in Endenich, … in Antweiler gef[unden]) will man auf das bei Antweiler gelegene Dorf Wachendorf (so, nicht Wachlendorf zu schreiben) beziehen. Lautlich viel näher liegt die Beziehung auf die Waal, deren alte Namen Vacalus, Vacalis, Vachalis, Vahalis sind. Der Ort, von dem die Vacallinehae ihren Namen haben, könnte geheißen haben Wachalinheim, Wachalinga, Ortsnamen des 8. und 9. Jahrhunderts.46

Es stimmt nicht, dass die Waal den Vacallinehae lautlich näher liege als Wachendorf. Wachen- ist eine lautgeschichtlich regelmäßige Fortsetzung von Vacallin-; Vacalus, Vacalis usw. hingegen unterscheiden sich von fast regelmäßigem Vacallin(ehae) systematisch durch das einfache l. Vor allem aber fließt die Waal viel zu weit, nämlich ca. 75 Kilometer, entfernt, als dass die Matronen irgendeiner Siedlung an ihr in der Fundregion der Vacallinehae zwischen Pesch und Antweiler hätten verehrt werden können. – Hier zeigt sich deutlich die Signifikanz und der Wert meiner Verschärfung der Ihmschen Theorie: Während Ihm sich mit irgendeiner Siedlung ähnlich lautenden Namens zufrieden gibt, verlange ich über die lautliche Stimmigkeit hinaus räumliche Nähe zur Fundregion. Die so verschärfte Theorie entscheidet eindeutig gegen Ihms Bezugssiedlung irgendwo an der Waal und für das von ihm verworfene Wachendorf.

Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Vacallinehae Warum unter den ca. achzig namentlich bekannten ubischen Matronengruppen gerade die Matronen von Wachendorf (als +Vacallin) mit eigenem Tempelheiligtum (dem Pescher „Heidentempel“) und überaus zahlreichen Votivaltären geehrt wurden, ist unbekannt und dürfte es auch immer bleiben, da der Kult seit dem Sieg des Christentums erloschen ist und es über den Matronenkult keine zeitgenössischen schriftlichen Berichte und auch keine zuverlässigen mündlichen Traditionen gibt. Über die gesellschaftlichen Hintergründe der Verehrung gerade der Wachendorfer Matronen lässt sich deshalb nur spekulieren. Der Ort +Vacallinum könnte in der Antike durchaus überregionale Bedeutung besessen haben. Die römische Wasserleitung und eine Römerstraße führten in der Nähe vorbei. Eine Rolle könnte gespielt haben, dass drei Kilometer südöstlich von Wachendorf in Richtung Iversheim ein großes Kalkabbaugebiet beginnt, die Sötenicher Kalkmulde47, die sich in südwestlicher Richtung mehr als 20 Kilometer weit über Sötenich bis Sistich erstreckt und an deren südöstlichem Rand der Pescher „Heidentempel“ und innerhalb dessen mit Iversheim und Weyer zwei weitere Vacallinehae46 Ihm fährt fort: „Kern [1872, 305  ff.] erklärt sie als die Wakelensche Lieve Vrouwen.“ 47 Vgl. die Internetseiten „Sötenich“ und „Die Sötenicher Kalkmulde“.



Die niederrheinischen Matronen: Vacallinehae, Austriahenae, Aufaniae  

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Fundorte liegen48, ferner dass zwischen Wachendorf und Iversheim auf jetzt Iversheimer Grund mehrere römische Kalkbrennereien teils festgestellt, teils ausgegraben wurden.49 Horn schreibt dazu: In den Kalkregionen der nördlichen Eifel  – vor allem in den Sötenicher und Blankenheimer Mulden  – wurden große Mengen an Branntkalk vornehmlich aus dem anstehenden Dolomit produziert. Eine Kalkfabrik mit einer Batterie von sechs Brennöfen und einem angeschlossenen Arbeitslager konnte vor einigen Jahren in Bad Münstereifel-Iversheim ausgegraben werden. Sie wurde von einem Arbeitskommando der legio XXX Ulpia victrix aus Vetera-Xanten betrieben; unweit davon ist auch die Bonner legio I Minervia als Kalkproduzent belegt. In der Iversheimer Gegend unterhielten auch Zivilisten gewerbliche Kalköfen wie vermutlich in der Nähe von Euskirchen-Kreuzweingarten, Blankenheim oder Ripsdorf/EU. Kalk aus Iversheim wurde in römischer Zeit über die Erft bis an den Niederrhein verschifft; ebenso wie Sand und Flußkies wurde er zur Mörtelherstellung benötigt (Horn 1987, 159  f.).

Ein dem Militär angehörender „Magister calcariorum“ zwar hat seinen Dankaltar der Göttin Minerva geweiht.50 Aber nichts spricht gegen die Annahme, dass die einfacheren Dienstgrade des Wachpersonals und die einheimischen Arbeiter dieser Industrie sowie ihre Angehörigen die Matronen ihres Bezugsortes als Schutzgottheiten erwählt haben, was die große Zahl der Vacallinehae-Weihungen erklären würde.

Zum Namen der Matronae Aufaniae Schön wäre es, wenn sich auch für den Namen der dritten der großen Matronengruppen, der Aufaniae, eine zwingende Deutung finden ließe. Für ihn gibt es vor allem die Vorschläge des 20. Jahrhunderts, die überwiegend unterschiedliches appellativisches Material aus den indogermanischen Sprachen assoziativ zusammenbringen.51 Auch toponymische Vorschläge gibt es, die das -fan- in Aufaniae mit dem toponymischen Element +fan- ‚Sumpf, Moor‘ in Venusberg (in Bonn, im Ortsdialekt Fennesberg ausgesprochen) und Hohes Venn (Hochmoor in der Eifel, auch hier Venn wie Fenn gespro48 Vgl. die Karte auf der Internetseite „GeoMontanus: Die Sötenicher Kalkmulde“. 49 Vgl. die Internetseite „Die Römische Kalkbrennerei in Iversheim“, wo von „der Massenproduktion von Kalk in den Iversheimer Kalkmanufakturen“ die Rede ist. Vgl. ferner: „Die Kalkbrennerei Iversheim gehört zu den bedeutendsten archäologischen Fundstätten für die Wirtschaftsgeschichte der Römerzeit nördlich der Alpen“ (Internetseite „Römische Kalkbrennerei“). 50 Vgl. die Abbildungen auf den Internetseiten „Die Römische Kalkbrennerei in Iversheim“ und „Iversheim Altarstein des Titus Aurelius Exoratus“. 51 Vgl. Gutenbrunner 1936, 159–161, Neumann 1987, 114  f., Lange 1994, 66  f., auch Internetseite „Sophie Lange: Der Matronentempel Nettersheim“. Horn (1974, 92) schreibt: „Der Beiname dieser einmal sogar ‚domesticae‘ genannten Muttergottheiten ist unerklärt, vielleicht liegt auch ihm ein einheimischer – germanischer – Familien-, Sippen- oder Stammesname zugrunde.“ Gemäß der Ihmschen Theorie liegt ihm wahrscheinlich ein nicht-germanischer Siedlungsname zugrunde.

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chen) verbinden.52 Man kann sogar unterstützend hinzufügen, dass es sich bei Bonn mit seinem Venusberg und bei der Görresburg in Nettersheim nahe dem Hohen Venn um die beiden Hauptfundorte der Matronae Aufaniae handelt. Gleichwohl dürfte diese Herleitung falsch sein: Die Form +fan- des indogermanischen Sumpfwortes + pen-/+pon- ist nur germanisch, und es gibt keinen Grund für die Annahme, dass es in jenem Teil des gallischen Römerreichs, in das die Ubier erst kurz vor der Zeit der Matronenverehrung eingesiedelt worden waren53, germanische Örtlichkeitsbezeichnungen gab. Die Ihmsche Theorie macht es wahrscheinlicher, dass ein Siedlungsname +Aufan, vielleicht +Auf-an (gallo-römisch +Aufanum, +Aufan-um oder +Auf-an-um), zugrunde liegt, der sich aus Aufaniae, als Aufan-i-ae oder Auf-an-i-ae, rekonstruieren lässt, derart dass sich im 13-Kilometer-Umkreis des herausragenden Fundorts auf der Görresburg54 eine Siedlung dieses Namens befunden hat.55 Es könnte sich um den Namen des vicus, der römischen Kleinstadt, handeln, unterhalb der Görresburg mit ihrem Matronenheiligtum auf dem Nettersheimer Steinrütsch gelegen, die 2009 umfassend untersucht und recht eigentlich entdeckt wurde,56 und insofern um den abgegangenen römischen Namen Nettersheims. Auf der Internetseite „Nettersheim“ heißt es: „Etwa einen Kilometer südlich des Ortes Nettersheim wird seit 2009 der römische Vicus archäologisch untersucht. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um den im Itinerarium Antonini erwähnten und in der Tabula Peutingeriana verzeichneten Vicus Marcomagus.“ Ähnlich Hepa et al. (2010, 91): „Anders als bisher angenommen war der römische vicus von Nettersheim von überregionaler Bedeutung. Er gehörte mit seiner Größe von mindestens 3 ha dicht bebauter Fläche zu den größeren Siedlungszentren der Nordeifel und dürfte mit dem im Itinerarium Antonini und auf der Tabula Peutingeriana genannten Ort Marcomagus (Marmagen) zu identifizieren sein.“57 Bis zur Entdeckung der römischen Kleinstadt auf dem Steinrütsch sah man aber gewöhnlich im vier Kilometer westsüdwestlich Nettersheims gelegenen Marmagen die Namenfortsetzung von Marcomagus. Es handelt sich meines Erachtens bei Marmagen/Marcomagus und Nettersheim/+Aufanum entweder um zwei verschiedene und dann auch verschieden benannte Siedlungen oder aber bei Marcomagus um eine übergeordnete und sowohl Marmagen als auch die jetzt aufgefundene römische Kleinstadt umfassende Bezeichnung für einen größeren Sied-

52 Vgl. Neumann 1987, 114, Lange 1994, 67. 53 S.  o. Anm. 4. 54 Vgl. Biller (2010, 34–46) zu den auf der Görresburg gefundenen Aufaniae-Inschriften. 55 Ein toponymisches Element Auf- kommt im Siedlungsnamen Aufinum, heute Ofeno, in den Abruzzen (falls = Auf-in-um) und im Flussnamen Aufidus, heute Ofanto, in Süditalien (falls = Auf-id-us) vor. 56 Vgl. Hepa et al. 2010, Ortisi und Ristow 2012 sowie die Internetseiten „Kölner Stadtanzeiger: Römerkastell in Nettersheim“ und „Marcomagus“. 57 Davon unterscheiden sich Ortisi/Ristow (2012, 105), die Nettersheim selbst mit Marcomagus identifizieren.



Die niederrheinischen Matronen: Vacallinehae, Austriahenae, Aufaniae  

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lungskomplex, die sich schließlich am Dorf Marmagen festmachte. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass auf der Peutingerschen Straßenkarte nur Marcomagus eingetragen ist, vgl. Rathmann 2016, 41 sowie die Internetseite „Peutingeriana (Ausschnitt)“.58 Möglich wäre es immerhin, dass der Name auf den Trümmern eines öffentlichen Gebäudes erscheint, wenn die Ausgrabungen auf dem Steinrütsch vorangehen. Eine auf der Görresburg selbst gefundene Bauinschrift scheint leider nicht geeignet, diesen Namen zu identifizieren. Schon Horn (1974b, 90  f.) schrieb: „Eine stark verwitterte Bauinschrift nennt wahrscheinlich als Stifter des Heiligtums die Bewohner des benachbarten, namentlich nicht bekannten Vicus.“ Die Inschrift besteht aus vier Zeilen, von denen die erste und die zweite ziemlich gut, die dritte leidlich und ausgerechnet die vierte, die den Namen der stiftenden Vicani enthielt, fast gar nicht erhalten ist.59 Biller (2010, 35) gibt sie folgendermaßen wieder: Matronis / Aufaniabus / vicani / Ṃ[arco]ṃạ[g]enṣ[e]ṣ

Er liest also in der vierten nur zwei Buchstaben, en, zuverlässig. Die fünf unterpunkteten Buchstaben sind beschädigt und lediglich konjiziert, die sechs Buchstaben in eckigen Klammern sind geraten. Lehner las anfangs in der vierten Zeile ein I, später nicht mehr, am Ende der vierten Zeile ECC oder ECO (mit Fragezeichen).60 Biller erwägt auch, einen Ortsnamen „wie Aufaniacum bzw. Aufaniagus zu rekonstruieren, was eine Ergänzung der letzten Zeile zu Aufaniacenses bzw. Aufaniagenses zur Folge hätte.“ Erst „ein Blick in die überlieferten antiken Straßenverzeichnisse, wie die Tabula Peutingeriana oder das Itinerarium Antonini“ hat letztlich die Rekonstruktion Marcomagenses veranlasst (37). Biller erkennt natürlich sofort das Problem seiner Deutung: „Allerdings wird in der bisherigen Forschung das antike Marcomagus mit dem heutigen Ort Marmagen, etwa 5  km westlich von Nettersheim, gleichgesetzt“ (37). Er wendet sich dem Problem einige Seiten später noch einmal zu (48–53). Ausgehend von der in seiner Rekonstruktion vicani Marcomagenses erkennbaren Wunschvorstellung, Nettersheim sei das antike Marcomagus, schreibt er: Die Tatsache allein, dass der heutige Name Marmagen die lateinische Ortsbezeichnung tradiert, reicht nicht aus, um in Marmagen das antike Marcomagus zu sehen. Eine Verlegung des Siedlungsplatzes unter Beibehaltung des Namens wird im frühen Mittelalter nichts Ungewöhnliches gewesen sein (Biller 2010, 50  f.).

Dies verwundert, denn soweit ich weiß, ist Nettersheim nie ‚verlegt‘ worden: Den Vicus bei der Görresburg gab es offenbar zur Zeit der Matronenweihungen, und es 58 Das ebendort zu sehende Ausaua (mit ‚langem s‘), das wie eine Verschreibung für Aufana anmutet, ist indes mit zwei Tagereisen zu weit von Nettersheim und Marmagen entfernt, um in Betracht zu kommen; es wird, wohl korrekt, mit Oos gleichgesetzt. 59 S. die Abbildung bei Biller (2010, Tafel 3.1). 60 Referiert bei Biller (2010, 36).

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gibt ihn heute noch, jetzt natürlich als germanisierte und christianisierte Gemeinde. Das Rätsel könnte sich lösen, wenn man Billers Ausführungen über die römerzeitlichen Fernstraßen im Matronengebiet berücksichtigt, und zwar folgende wichtige Feststellung: Vergleicht man die Straßenführungen mit der auf der Tabula Peutingeriana verzeichneten römischen Fernstraße, so zeigt sich, dass diese nur mit der ersten Trasse [von Köln über Zülpich nach Trier] gleichgesetzt werden kann. Wie Biller vermutet, führte sie über Tolbiacum/Zülpich und Marcomagus nach Augusta Treverorum/Trier. Interessanterweise haben die archäologischen Beobachtungen der letzten Jahre aber gezeigt, dass sich die Strecke  – wie oben dargelegt – zwischen Keldenich und Dahlem in zwei Stränge aufteilte, wovon der westliche durch das heutige Marmagen, der östliche ‚über‘ die ‚Görresburg‘ führte. Beide Stränge kreuzten die sog. Königsstraße nach Wesseling, wobei sich die Nettersheimer Route zudem mit der Bonner Strecke verband (Biller 2010, 50).

Marmagen/Marcomagus und Nettersheim/+Aufanum lagen also etwa gleichauf, aber auf verschiedenen der beiden Zweige der sich aufteilenden und danach sich wiedervereinigenden Fernstraße. Nun braucht man nur noch zu bemerken, dass die Tabula Peutingeriana nur den Marmagenschen Zweig der geteilten Fernstraße notiert, um zu erklären, dass nur Marcomagus, nicht aber +Aufanum auf der Karte erscheint, selbst wenn möglicherweise letzteres zu seiner besten Zeit bedeutender war. Aber solche Überlegungen müssen wohl im Reich der Spekulation bleiben, bis neue Funde Klarheit bringen, am besten die Auffindung der Curia des Vicus auf dem Steinrütsch mit der Weihinschrift +Curia Aufaniatium (wie Curia Etratium bei den Etrahenae der +Etrates).61 Obwohl Biller meines Erachtens in der Frage des Namens des zum Heiligtum der Matronae Aufaniae auf der Görresburg gehörenden Vicus nicht das letzte Wort gesprochen hat, so darf ich doch erfreut feststellen, dass sein Versuch sich zumindest an einer Stelle an Ihms Theorie der Matronenbeinamen orientiert, nämlich dort, wo er tentativ mit einem Ortsnamen „wie Aufaniacum bzw. Aufaniagus“ operiert.

Schluss: Noch einmal zum Namen der Vacallinehae und der Austriahenae Die Ihmsche Theorie, die besagt, dass die niederrheinischen Matronenbeinamen im Regelfall von Siedlungsnamen des Ubierlandes abgeleitet seien, und die ich dahingehend verschärft habe, dass die Bezugssiedlungen im Regelfall nicht weiter als 13 Kilo61 Mit der üblichen Suffixvariation könnte neben dem aus Aufaniae rekonstruierten Siedlungsnamen + Aufanum (falls = +Auf-an-um) auch die Variante +Aufacum (= +Auf-ac-um) bestanden haben. Dann könnten die Vicani sich auch schlichter +Aufates genannt haben, ihre Curia +Curia Aufatium.



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meter von den Fundorten entfernt liegen, hat sich bei den – Ihm noch unbekannten, da erst 1958 aufgefundenen – Matronae Austriahenae ein weiteres Mal bestätigt: Nur 12,5  Kilometer westlich des Fundorts der Matronae Austriahenae, die (als Austr-iac-in-ae) auf eine antike Siedlung namens +Austriacum zu beziehen sind, liegt Oestrich, dessen Name dieses rekonstruierte +Austriacum lautgeschichtlich fortsetzen kann. Dieses Ergebnis wurde hier als Empfehlung gesehen, auch für den Namen der Matronae Vacallinehae im Rahmen dieser Theorie eine Herleitung zu suchen. Die zu dieser Theorie der niederrheinischen Matronennamen gehörende Methode gebietet, zunächst im Matronenbeinamen den römerzeitlichen Namen des Bezugsorts zu identifizieren; das ergibt für Vacallinehae als Vacall-in-eh-ae eine Ortsnamenbasis +Vacall-in, also vermutlich einen lateinischen Namen +Vacall-in-um, der im Lauf der deutschen Sprachgeschichte zu heutigem +Wacheln oder noch weiter reduziert worden sein müsste. Die Methode gebietet alsdann, unter Berücksichtigung der 13-Kilometer-Daumenregel im Umkreis des Fundorts bzw. der Fundorte nach einer Siedlung mit passendem Namen zu suchen. Da hat sich freilich die Theorie aufs Glänzendste bewährt: In dem durch die sechs hauptsächlichen Fundorte aufgespannten Sechseck liegt Wachendorf, wobei diese Fundorte zwischen einem Kilometer und neun Kilometern von Wachendorf entfernt liegen. Dieses Ergebnis lässt meines Erachtens keinen Zweifel zu, dass mit Wachendorf der Bezugsort der Matronae Vacallinehae gefunden ist. Für den Beinamen der Matronae Aufaniae, der nach der von mir entwickelten Morphologie der Matronennamen (als Aufan-i-ae, vielleicht Auf-an-i-ae) und der Ihmschen toponymischen Anbindungstheorie als Ableitung von einem Siedlungsnamen +Aufan(um) zu rekonstruieren ist, hat sich mittels der Methode noch keine toponymische Anknüpfung herstellen lassen. Immerhin erlaubt die Theorie eine nicht-triviale Vorhersage: Da der römische Name Bonns bekannt ist und die Bonner Aufanienverehrung ohnehin ein Ableger der Nettersheimer Aufanienverehrung sein dürfte, sollte die Bezugssiedlung im 13-Kilometer-Umkreis der Nettersheimer Görresburg gelegen haben. Tatsächlich wurde vor wenigen Jahren unterhalb der Görresburg auf dem Nettersheimer Steinrütsch eine römische Kleinstadt – wohlgemerkt nicht ein Dorf, sondern eine Siedlung mit städtischem Charakter – entdeckt, die hoffentlich bei zukünftigen Ausgrabungen ihren Namen preisgeben wird. Nicht berührt ist durch die obige Untersuchung die Bedeutung der Namen der Bezugsorte. Wie Austr- im +Austriacum der Austriahenae, Vacall- im +Vacallinum der Vacallinehae und Auf- im +Aufanum der Aufaniae zu deuten sind, ist allerdings auch keine Frage der Matronennamenkunde, sondern der Siedlungsnamenkunde. Aber eins lässt sich auch über die Namenkerne der eingebetteten Toponyme mit ziemlicher Sicherheit feststellen: Was immer sie sein mögen, germanisch sind sie nicht. Die Derivationsuffixe -iac-, -in- und -an- sind für die gallisch-römische Ortsnamenwelt charakteristisch, und Ortsnamensuffixe gehören in aller Regel derselben Sprachschicht an wie die Namenkerne, oder sonst einer jüngeren, nämlich im Fall von Kopferneue­

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rung.62 Mithin darf man schließen, dass Austr-, Vacall- und Auf- der gallisch-römischen oder einer älteren Sprachschicht angehören, nicht der germanischen als der jüngsten. Dagegen spricht auch nicht, dass neben den vielhundertfach vorkommenden lateinischen Flexionssuffixen (gewöhnlich -is, seltener -abus) auch zehnmal bei mit -i- abgeleiteten Matronennamen das germanische Flexionssuffix -ms vorkommt, wie oben einleitend beschrieben. Dies beweist vielmehr nur, dass die gallo-römischen Matronen auch unter den germanischen Neubürgern, den Ubiern, ihre Verehrer und Verehrerinnen hatten. Anhang. Sophie Lange könnte wissen, dass die Ansetzung einer Vacalli genannten Gruppe oder Sippe „aus der Luft gegriffen“ ist, wie ich oben schrieb. In ihrem Buch (1994, 126–128) nennt sie zwar ebenfalls unter der Überschrift „Die Vacallinehae und der Stamm der Vacalli“ an erster Stelle die Herleitung von einem (auch dort nicht näher identifizierten) Stamm der Vacalli. Aber sie offeriert zugleich, zum Teil mit Quellenangaben, fünf weitere Deutungen: 2. Übersetzung als ‚die Hengste fruchtbar Machenden‘ mit der Schlussfolgerung, „dass die Pescher Matronen [d.  h. die Matronae Vacallinehae] Pferdegöttinnen gewesen seien, wofür es allerdings keine Beweise gibt“; 3. Ableitung von einem (nicht näher bestimmten) Ort Vacalla, dieser Ortsname auf vaca ‚Kuh‘ basierend; 4. Ableitung vom Namen des Flusses Waal (Vacalus), des Hauptmündungsflusses des Rheins; 5. Ableitung vom Namen des bei Wachendorf vorfindlichen Wachenbachs, „alte Namen: Vacalina, Vachlenbach), der für den ersten Teil des Namens verantwortlich zeichnen kann“; 6. Ableitung von einer Wurzel Kall ‚Vertiefung, Hohlraum, Wölbung, Durchlass [usw.]‘, umgestellt Lac (lateinisch) ‚Muttermilch‘, zugleich Wacca [sic] (lateinisch) ‚Kuh‘, „von der Sprache her  … also lebenspendende Göttinnen, die mit der Mutterkuh assoziiert werden“. Wie sich oben gezeigt hat, kommt die Autorin mit Nr. 5 dem von mir in diesem Artikel unterbreiteten Vorschlag nahe. Aber auch in der weiteren Ausführung zu Angebot Nr. 6 findet sich eine Stelle, die sich in meiner Darstellung als interessant erwiesen hat: In einem Brief der Schöpferin dieses Angebots, Gudrun Nositschka aus Wachendorf, an die Autorin heiße es am Ende: „Auch wenn das Zentrum der Verehrung [der ‚Heidentempel‘ von Pesch] einige Kilometer entfernt gelegen hat, haben die Orte Wachendorf und Kalkar die Ehre, heute noch ihren Namen zu tragen.“ Schon bei Lehner 1919, 124, und noch früher findet sich die Feststellung eines Zusammenhangs zwischen den Vacallinehae und Wachendorf, leider ebenfalls „in der falschen Richtung“: „Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass wenig südlich von Antweiler das Dorf Wachendorf liegt, in dessen Namen Freudenberg eine Reminiszenz des Matronennamens erkennen wollte (vgl. Ihm 1887, 21), was ich angesichts des angedeuteten Verbreitungsbezirkes nicht

62 Vgl. den Abschnitt „2.1. Types of name modification“ in Vennemann 1999. Den Fall der Kopferneuerung sehen wir im Namen Wachendorfs mit seinem auf irgendeiner Stufe der sprachlichen Entwicklung von +Vacallin hinzugefügten germanischen Kopf -dorf (s. oben Abschnitt 5).



Die niederrheinischen Matronen: Vacallinehae, Austriahenae, Aufaniae  

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für unmöglich halten möchte.“ Wachendorf enthält nicht den Namen der Vacallinehae, sondern umgekehrt. – Dass Sophie Lange nur ihre Deutung Nr. 1, die Herleitung von einem Stamm der Vacalli, ernsthaft berücksicht, zeigt sich nicht nur auf ihrer Internetseite „Der Matronentempel in Nöthen-Pesch: Matronen im Heidentempel Nöthen-Pesch und im Vacalli-Gebiet“, sondern auch bereits in ihrem Buch (Lange 1994), etwa wenn sie auf Seite 132 schreibt: „Den zweiten Stein [von Lessenich] hat Lucius Cavonius Victor den Stammesgöttinnen der Vacalli gesetzt“; und auf Seite 133 vom Stifter des Bonn-Endenicher Steins, einem Soldaten der Legio I Minervia: „Es scheint sich um einen Vacalli [sic] zu handeln, den sein Legionsdienst nach Bonn verschlagen hatte, und der dort seine heimischen Schutzgöttinnen verehrte und ihnen einen Altar widmete.“

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518 

 Theo Vennemann

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Die niederrheinischen Matronen: Vacallinehae, Austriahenae, Aufaniae  

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Runologie

Klaus Düwel

Merkwürdiges zu Goldbrakteaten und anderen Inschriftenträgern Abstract: By means of two bracteates, it will be shown how a rune can be lost or come to be in the research history. Two further rune objects could experience a similar fate in the future. In jahrzehntelanger Arbeit mit Goldbrakteaten sind mir Merkwürdigkeiten aufgefallen, die ich hier zusammenstelle, um zugleich den Mitstreitern zu danken, von denen zwei noch dazu um das Erscheinungsdatum herum runde Geburtstage feiern konnten. Ihnen sei der folgende kleine Beitrag gewidmet, allen voran Wilhelm Heizmann, dem diese Festschrift zugeeignet ist, und dazu Morten Axboe und Alexandra Pesch.1 Wohl kann es vorkommen, dass bei einer Inschrift im Verlauf der Forschungsgeschichte2 eine Rune in der Umschrift (Transliteration) verloren geht und, wenn endlich wieder einmal jemand das Original untersucht, auch wiederentdeckt wird, selbst wenn zwischen beiden Ereignissen Jahrzehnte vergehen können. Doch ist mir der umgekehrte Fall – in den Arbeiten zu einer Inschrift erscheint an einem bestimmten Punkt plötzlich eine zusätzliche Rune – bisher noch nicht in der Literatur begegnet. Der erste mir jetzt bekannt gewordene Fall dieser Art soll hier vorgestellt werden. Beide Male handelt es sich um Goldbrakteaten der Völkerwanderungszeit, die – in großer Zahl überliefert3 – sich durchaus natürlich einstmals in Folge der Serienproduktion4, heutzutage durch neue Funde, vereinzelt auch solche, die der Fälschung5 verdächtig sind, vermehren, gelegentlich aber auch auf unnatürliche Weise, nämlich durch Diebstahl, verloren gehen können.6

1 In weiterem Umkreis gehören dazu auch Charlotte Behr, Lutz von Padberg, Gunter Müller und Sean Nowak. 2 Zur Geschichte der Brakteatenforschung Behr 2011. 3 Axboe 2011, 893: über tausend Exemplare (1050 Brakteaten von 646 Modeln: Mitteilung Morten Axboe vom 11.9.2016). 4 Es gibt bis zu 14 modelgleiche Brakteaten, die an einem oder an unterschiedlichen Orten gefunden wurden. 5 Es handelt sich dabei oft um Exemplare aus dem Kunsthandel, die in Serien angeboten werden (z.  B. IK 594 mit mindestens fünf Exemplaren; IK 600 mit mindestens sechs Exemplaren), oder ungewöhnliche Einzelstücke. Vgl. zu dieser Problematik Pesch 2017. 6 Hier wäre als Beispiel anzuführen die Verlustanzeige von Statens Historiska Museet Stockholm für den Goldbrakteaten IK 377,1 Vadstena-C. Diese habe ich besessen als Einlage in dem Handexemplar von Wolfgang Krauses Runeninschriften im älteren Futhark (1937); beide sind abhanden gekommen. Vgl. zum Diebstahl von Goldbrakteaten Lamm 1987 und von Padberg 1981–1982.

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 Klaus Düwel

Goldbrakteat von Nebenstedt I In großen Zügen sei zuerst die Geschichte der Wiederentdeckung einer Rune in Erinnerung gerufen: Die 15. Rune auf dem Goldbrakteaten von Nebenstedt I 7 (Abb. 1). Im Jahre 1859 als Hortfund zu Tage gekommen, sind die Nebenstedter (früher Dannenberger) Goldbrakteaten, eine Cimelie des Landesmuseums in Hannover. Bereits 1861 hat Carl Ludwig Grotefend8 die Funde publiziert und eine Abbildung beigegeben, auf der um die Zentralfigur herum 15 Runen zu sehen sind, wie sie im Inventarbuch (Bd. II, 1167) des Museums unter der Nummer  7544 beschrieben werden: „Desgl. (Nordischer Goldbrakteat) mit einer männlichen Figur, sehr fantastisch von 15 Runen umgeben. Metallwert 9 Mk.“ Die 15. Rune war l nach rº nR dicht über der Haartracht der dargestellten Figur. So blieb es auch in der Literatur von Grotefend 1861 bis zu Stephens Handbook (1884), wenngleich zu der Zeit noch keine einigermaßen gesicherte Deutung vorgelegt werden konnte. Im Jahre 1889 präsentierte Rudolf Henning die erste Zusammenstellung der seinerzeit bekannten runischen Überlieferung unter dem Titel Die deutschen Runendenkmäler. Er behandelte die „Dannenberger Bracteaten“ (S. 127–130) und deutete 14 von ihm gelesene Runen mit der Rune ö als Schluss einer Zweiwort-Inschrift: „Glearg der Schwache (Hinfällige)“. Die beigegebene Zeichnung (Taf. IV, Fig. 16; hier Abb. 2), gestochen von Carl Leonhard Becker, „zeigt die linksläufige l-Rune über der Haartracht stark nach links geneigt mit einer auf die Haartracht zulaufenden leichten Krümmung im Hauptstab. Dieses und die Tatsache, dass der Zeichner Becker nicht über alle aufrecht stehenden Haare […] Punkte setzte, ließ die l-Rune auf den ersten Blick als oberen Abschluss der Haartracht erscheinen“ (Düwel 1977, 92)9. Es ist nicht bekannt, ob Henning die Nebenstedter Brakteaten im Original gesehen hat.10 Im Vorwort seiner Ausgabe sagt er dazu: An eine zusammenfassende Edition konnte „erst gedacht werden, als im Herbst 1880 bei der Ausstellung prähistorischer Funde Deutschlands sich eine Gelegenheit bot, fast alle Stücke eine Zeit lang in Berlin zu vereinigen. Ich suchte damals die Überlieferung nach Möglichkeit sicher zu stellen und habe auch später, bei wiederholten Nachprüfungen Alles aufgeboten, um das Erreichbare herauszubringen. Eine mechanische Wiedergabe

7 S. Düwel 1977. 8 Dieser Titel fehlt bei Schnall 1973, 56. 9 Das lässt sich augenfällig an einer Nachzeichnung illustrieren, die ich einem handschriftlich verfassten Büchlein eines anonymen Laien entnehme. Es trägt den Titel: Grundlagen der germanisch-deutschen Sprachkunde & Vor- & Früh-Geschichte, [sine loco] 1935. Es besteht aus drei Teilen. Im „II. Teil: Die Bilddenkmäler“ ist einmal die obere Kopfpartie mit den in eine Reihe gebrachten Runen · bis G gezeichnet, darunter der Hennings Taf. IV, Fig. 16 nachgezeichnete ganze Brakteat. Beide Male (s. Abb.  3) sieht die l-Rune wie der Abschluss der Haartracht aus. 10 Eine Anfrage im Landesmuseum Hannover ergab, dass keine Unterlagen zu Personen existieren, die Objekte untersucht haben.



Merkwürdiges zu Goldbrakteaten und anderen Inschriftenträgern  

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Abb. 1: Goldbrakteat IK 128 Nebenstedt I-B, Durchmesser: 2,85 cm. Photo: Landesmuseum Hannover.

Abb. 2: Goldbrakteat IK 128 Nebenstedt I-B. Zeichnung aus: Henning 1889, Taf. IV, Fig. 16.

der überaus feinen Strichzüge erwies sich als unausführbar, doch gelang es mir, in Herrn Karl Leonhard Becker einen tüchtigen Künstler zu gewinnen, der unter meiner Leitung die Zeichnungen nach den Originalen anfertigte, welche er seinen späteren, mit grosser Feinheit ausgeführten Lithographien zu Grunde legte. Als Massstab für die Reproduction habe ich dasjenige genommen, was auf den schärfsten Staniolabzügen hervortrat, obwohl das Auge manchmal noch darüber hinaus einen auf dem Metall zurückgebliebenen Schimmer entdeckte, was im Text jedesmal bemerkt ist“ (Henning 1989, III). Wie dem auch sei, Sophus Bugge, der die Inschrift untersuchte und als nordisch deutete, hat bereits 1893 konstatiert: „Efter R [ö] er der ifølge Hennings Tegning [!]

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 Klaus Düwel

Abb. 3: Goldbrakteat von IK 128 Nebenstedt I-B. Aus: Grund­ lagen der germanisch-deutschen Sprachkunde & Vor- & FrühGeschichte. [Handschrift] 1935, 217.

ikke flere Runer“11 – keine Runen mehr, so behaupten zwei seinerzeit als Autoritäten in der Runenkunde angesehene Gelehrte. Da offenbar niemand mehr danach das Original untersucht oder die Abbildung bei Henning, die 15 Runen erkennen lässt, genau betrachtet hat, ging die 15. Rune für fast ein Jahrhundert der Runenforschung verloren. Zuletzt zeigt noch das Standardwerk Krause/Jankuhn (1966 Nr. 133) diesen Verlust. Karl Hauck initiierte mit seinem fulminanten Buch Goldbrakteaten aus Sievern (1970) eine neue Ära der Erforschung von Goldbrakteaten, sammelte einige Mitarbeiter, um den Plan einer neuen Edition zu verwirklichen. Mit der Lesung und Deutung der Inschriften, insbesondere der Runeninschriften, betraut, untersuchte ich fast alle Runenbrakteaten im Original, die Nebenstedter in Hannover mehrfach, ausführlich am 1. Oktober 1975. Bei dieser Autopsie habe ich die schließende 15. l-Rune problemlos identifiziert und damit gleichsam wiederentdeckt. Entsprechend ist sie in einer Zeichnung12 und in der m)-Position von IK 128 einge­ gangen: 1     5

„I: ˿glïa ugiRu

    1      5

II: ˿ïurn! Rl

[…] II,6: eindeutig lesbare, nach links geneigte l-Rune (von Bugge und KJ weder berücksichtigt noch erwähnt)“ mit folgender Deutung: „alleinstehendes, schließendes l könnte Abkürzung von laukaR sein (…), aber auch als Begriffsrune laukaR (mit KJ

11 Sophus Bugge, Norges Indskrifter med de ældre Runer I, 127, Kristiania 1891–1903 (in sechs Lieferungen, deren zweite 1893 erschien). 12 Die Zeichnung in IK 1:2,165 zeigt den Brakteaten mit, die korrigierte Fassung in IK 3:2,131 dagegen ohne Öse. Diese ist beim Original vorhanden.



Merkwürdiges zu Goldbrakteaten und anderen Inschriftenträgern  

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S. 4) interpretiert werden (vgl. Düwel in Hoops [RGA] 2, S. 150  ff.). Zu laukaR vgl. hier Nr. 8: Übers.: ‚Ich der Glanzäugige weihe (die) Runen. Lauch, Gedeihen!‘“. Entsprechend ist auch die Abbildung zu IK 128 gezeichnet (siehe IK 1 Tafeln, 165, korrigierte Zeichnung in IK 3 Tafeln, 131 ohne Öse13). Mit deutlich erkennbarem l wie bereits bei Henning (1889, Taf. IV, Fig. 16). Die Zeichnung in IK 128 bilden die meisten – mit oder ohne Nachweis – der folgend angeführten Verfasser ab.14 In eigenen nachfolgenden Arbeiten habe ich dann diesen Befund weiterzutragen versucht: 2011, 518 (Nachdruck von 1988, 106); 2008, 47, 49 (erweiterte Auflage von 2001); 2002 (RGA 21, 32); Düwel/ Nowak 2011, 435, 437. Während Grønvik (1981, 195) die l-Rune und die laukaR-Deutung noch nicht kannte, finden sich beide bei Flowers (1986, 192). In den Abhandlungen zum 4. Internationalen Runensymposium in Göttingen 1995 stehen mehrere Arbeiten zu Goldbrakteaten, die – bei unterschiedlicher Auffassung im Einzelnen – alle die in IK 128 vorgelegte Wiederentdeckung der l-Rune akzeptieren: Morten Axboe (1998, 25; 2011, 293), Elmar Seebold (1998, 287)15, Karl Hauck (1998, 307), Ute Schwab (1998, 415, 420). Es folgen Nowak (2003, 233, 298), Looijenga (2003, 211  f.), McKinnell/Simek (2004, 78=E 27), Kaliff/Sundqvist (2004, 95), Beck (2006, 66; noch nicht in Beck 2001, 5), Sundqvist (2007, 198), Imer (2007, 268)16. Es gibt allerdings auch den wohl einmaligen Fall, dass trotz Wiedergabe der Zeichnung von IK 128 (ohne Nachweis) der Forschungsstand vor 1977 wiedergegeben wird, und zwar von Marez (2007, 148  f.) unter „Dannenberg/Nebenstedt 2 [!]“17. Wilhelm Heizmann (2011, 551 mit Anm. 99) hat bei der Behandlung der Formel­ wörter in den Inschriften der Goldbrakteaten auf die Wiederentdeckung mit dem Artikel von 1977 hingewiesen und die Erwähnung in der Dissertation von Sean Nowak (2003, 233, vgl. 569) ebenfalls genannt.18 Dies ist die Geschichte einer in der 13 Morten Axboe meint (e-Brief vom 28.8.2016), die Öse und der Perlrand seien aus Platzgründen fortgelassen worden, vielleicht auch wegen der Einsparung von Zeichnerkosten (so Alexandra Pesch in einem e-Brief vom 27.9.2016). Dasselbe gilt auch für die danebenstehende Zeichnung von IK 182,1 Szatmár-C. 14 Einen informativen Beitrag hat Voelkel 1978/1979 verfasst: Dort findet sich eine Zeichnung (44: obere Reihe rechts), die sehr roh ausgefallen ist und die vorletzte Rune nur mit einem Zweig zeigt, die l-Rune gar nicht erkennen lässt, da der Stab als Abschluss der Haartracht erscheint. Axel Kahrs, Lüchow, verdanke ich eine Kopie, die auch das Titelblatt zeigt, das ebenfalls eine Zeichnung des Brakteaten schmückt. Diese ist leider sehr ungenau, vor allem die Runen rechts hinter der dargestellten Figur sind fehlerhaft mit einer Zusatzrune, am Ende wird statt der l-Rune die Eibenrune (¨) geboten. 15 Mit einer eigenwilligen Deutung: „als scharfäugiger weihe ich die Runen (dem L.)“ – eine Runenweihe für eine Person, abgekürzt L. – eine Deutung, die keine Nachfolge gefunden hat. 16 Eine Übersetzung erfolgt, allerdings ohne die Bedeutung von l anzugeben. In der Druckversion (Imer 2014, 187) verkürzt sie die Übersetzung weiter zu: ‚Den glansøjede …‘. 17 Vgl. zu diesem Titel kritisch Bauer 2007, 565 (Nr. 3734). 18 Die Datenbank zum Runenprojekt Kiel (zuletzt bearbeitet 2012) bietet einen Steckbrief zu Nebenstedt I, in dem die Inschrift folgendermaßen wiedergegeben wird: glïaugiR(u)|ïu(2?)R(0–1?)|. Diese Transliteration kann man ohne Anleitung nicht verstehen, aber so viel ist zu sehen: das schließende

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 Klaus Düwel

Forschungsgeschichte verloren gegangenen Rune und ihrer Wiederentdeckung nach fast einem Jahrhundert.

Goldbrakteat von Gurfiles(?) Die zweite ist eine gegenläufige Geschichte von einer in der Forschungsgeschichte zugewachsenen Rune. Für die Edition des Brakteatencorpus (IK 1–3) habe ich am 21.7.1977 den Goldbrakteaten IK 264 Gurfiles(?)-C in Stockholm (SHM) untersucht. Mein Ergebnis ist in der m)-Position in IK 2 Text, 84) festgehalten: „In den Segmenten 1/2 linksläufig eine Runeninschrift auf eigener Grundlinie mit den Spitzen an den inneren Zirkelschlag stoßend l a þ a. R.1: mit tief angesetztem Seitenzweig; R.3: in Dreiecksform; R.4: der untere Seitenzweig ist nur bei besonderem Lichteinfall zu sehen. laþa entspricht in gotländ.-ostgerm. (gotisch) Lautung urn. laþu, vgl. 42 Darum (I)-B.“ Es bedeutet (s. Heizmann 2011, 547  f.) „Einladung“, „Zitation göttlicher Mächte“ (Krause) bzw. „Zitation tiergestaltiger Hilfsgeister“ (Hauck), abweichend „Einladung zum Fest“ (Seebold). Die im Katalog gebotene Lesung hat schon Krause (1937, Nr. 26, S. mit Abb. 34 nach Stephens 1884, Br. 73, S. 192 [hier Abb. 4]), wiederholt in KJ 119, S. 253 mit Taf. 55, hier allerdings mit laþºa, worin er Jansson in G121 folgt: „Av r.4 återstå huvudstaven och en från toppen utgående nedåtriktad bistav. Nedanför denna toppbistav är ytan skadad; i denna skada torde en undre bistav ha förlorats. Runen torde ha varit a; den kan ha varit l men ej u. Efter r.4 finnas inga säkra spår av någon runa.” Krause – der zu dem Zeitpunkt der Vorbereitung der 2. Auflage seiner Runenedition das Original nicht mehr sehen konnte – argumentiert: „Von R.4 ist außer dem Stab deutlich ein von dessen Spitze nach links unten verlaufender Zweig erkennbar. Unterhalb davon ist die Oberfläche etwas beschädigt, scheint aber noch einen zweiten parallellaufenden Zweig zu enthalten. Da der Zweig von Rune 1 l ein Stück unterhalb der Stabspitze ansetzt, der gut erhaltene Zweig von R.4 aber ziemlich genau von der Stabspitze ausgeht, so haben wir mit hoher Wahrscheinlichkeit hier eine a-Rune anzunehmen“ (KJ, 253). Die diesen beiden Ausgaben beigegebenen Tafeln (KJ Taf. 55 und G121 Pl. 86) lassen zumindest den Ansatz des unteren a-Zweiges am Stab erkennen, auf Pl. 86 noch besser als auf Taf. 55. Während Jansson (1962, 238) betont: „Efter r.4 finnas inga säkra spår av någon runa”, heißt es weiter: „Efter 4 a har v. Friesen [in einer Notiz vom Jahre 1934] tyckt sig se en huvudstav, som nära basen har en snett åt vänster (i läsriktningen) gående kort bistav.” Niemand sonst hat dergleichen gesehen. Und dennoch erscheint auf wundersame Weise in der Zeichnung von IK 264 Gurfiles(?)-C in IK 2 Tafeln, 55 (hier Abb. 5) neben dem schließenden a von ˿laþa ein

l kommt nicht vor, obwohl die entsprechende Publikation in der Literatur erscheint: Düwel 1977b. In Position 8 „Deutungen zu einer Inschrift mit Literaturangaben“ findet man dann auch die l-Restituierung.



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Abb. 4: Goldbrakteat IK 264 Gurfiles(?)-C, Durchmesser 2,7 cm. Zeichnung aus: Stephens 1884, 192 (dort Brakteat No. 73).

Abb. 5: Goldbrakteat IK 264 Gurfiles(?)-C, Durchmesser 2,7 cm. Zeichnung aus: IK 2 Tafeln, 55.

weiteres a mit einem längeren oberen und einem kürzeren unteren Zweig. Vergleicht man die beigegebene (S. 56) 3:1-Photographie, dann stellt man fest, einzelne Runen (besonders R.3 þ in Dreiecksform) sind nicht exakt in der Zeichnung wiedergegeben und man hat Mühe nachzuvollziehen, wie der Zeichner aus der undeutlichen Oberfläche direkt oberhalb des vorderen Tierkopfes eine a-Rune hat ermitteln können, zumal die Katalogbeschreibung zu IK 264 (sub V 14 x) festhält: „Der Vierbeiner hat einen ovalen Kopf dessen Abgrenzung nicht mehr vollständig auszumachen ist.“ Intensiv hat sich Lena Peterson (1998, 566  f.) mit dem Brakteaten von Gurfiles befasst. Sie verweist eingangs auf pl. 22 (recte 23) im selben Band, eben die Zeichnung aus IK 2 Tafeln, 55 mit der überschüssigen a-Rune am Ende der Inschrift. Einmal

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irritiert sie Janssons Feststellung, R.4 zeige einen Stab und einen von dessen Spitze abgehenden nach unten weisenden Zweig, die darunter liegende Partie sei beschädigt und dadurch der untere Zweig verloren gegangen. Die Rune könne ein a, aber auch ein l gewesen sein. Mit Recht macht Peterson geltend, die erste l-Rune der Inschrift habe die Sonderform ƒ (mit tief angesetztem Zweig), während R.4 die Normalform l aufweise. Dass Peterson am Ende die vierte Rune als u lesen möchte – eine Alternative, die Nielsen (2000, 50) ausdrücklich erwähnt – und damit eine Parallele zu den übrigen laþu-Belegen herstellen will, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. “Another puzzling thing is what follows after the fourth rune [folgt eine Beschreibung nach der Zeichnung pl. 23] […]. In addition, after the fourth rune is another sign that resembles rune 4 rather much. I take it that it is not regarded a rune, since nobody mentions it. On the other hand, this might correspond to what von Friesen had seen.” Ich schließe mich dieser Auffassung an. Peterson verweist anmerkungsweise (Anm. 13) auf Mitteilungen Morten Axboes zu seiner Zeichnung des Brakteaten von 1978. “Noteworthy here is that the lower ‘branch‘ of rune no. 4 appears to continue down to the horse‘s head, while the ‘fifth sign’ has been perceived as a detail possibly belonging to this head.” Dazu zitiert sie aus Briefen Axboes von 1995: “Jeg [har] opfattet partiet over dyrets hoved lidt anderledes end tegningen i brakteatværket, men brakteaten er så bulet og slidt og min læsning så usikker at jeg ikke har villet insistere på den. ” Lena Peterson sagt nicht, ob sie das Original beigezogen hat; ihre Formulierungen legen es jedenfalls nicht nahe. Immerhin hat sie bisher als erste und auch einzige das in der Zeichnung von IK 264 Gurfiles(?)-C überschießende letzte a problematisiert und als Nicht-Rune deklariert – auch dem stimme ich zu. In der breiten Diskussion nach Vorlage der von Karl Hauck initiierten und entscheidend vorangebrachten Edition der Goldbrakteaten der Völkerwanderungszeit hat wohl kaum noch jemand die Originale untersucht. Vielmehr werden fast durchgehend die Zeichnungen aus diesem Corpus mit und ohne Nachweis zu Grunde gelegt, gelegentlich mit fatalen Folgen. Denn obwohl in der Regel genau und zuverlässig den Originalen folgend, wurden doch einige Zeichnungen korrigiert bzw. nach alternativer Lesung neu gezeichnet (z.  B. IK 128 in IK 1 Tafeln, 165, und neu in IK 3 Tafeln, 131; IK 182,1 in IK 1 Tafeln, 237, neu in IK 3 Tafeln, 131; IK 76 in IK 1 Tafeln, 95, neu in IK 3 Tafeln, 129). Bei anderen wiederum – und IK 264 Gurfiles(?)-C bietet dafür ein warnendes Beispiel – trifft die Zeichnung nicht den Autopsiebefund, jedenfalls nicht meinen. Snædal (2002, 33  f.) erwähnt den Brakteaten von Gurfiles (ohne Abbildung), kennt aber IK nicht. Sie diskutiert zwar Petersons (1998) Auffassung, geht aber nicht auf das dort angesprochene fünfte Zeichen ein. In der Dissertation von Sean Nowak (2003, 239  f.; ‚Steckbrief‘ 591) findet sich die Zeichnung aus dem Brakteatencorpus, dazu die „Übertragung in die Siglen der Zeichenklassen“ !lºaþºaºa samt der Kataloglesung (IK 2 Text, 84) laþa mit der Bemerkung: „Die Inschrift von IK 264, !lºaþ2ºaºa, kann wegen der vielen Unsicherheiten nur unter größten Vorbehalten als laþu-Beleg gewertet werden.“



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Alexandra Pesch (2007, 143) führt die Katalogzeichnung zur großen Formularfamilie C1 an und notiert bei den Runen: IK 264 laþa (wie in IK 2 Text, 84). Auch Robert Nedoma (2010, 10) kommt bei der Musterung der ostgermanischen Runeninschriften in einer Editio minor kurz auf den Brakteaten von IK 264 Gurfiles(?)C zu sprechen: „Brakteat von Gurfiles(?)-C (…), ca. 500–530 (…): […] ˿lºaþºaºa.-19 Keine tragfähige Lesung möglich [unter Hinweis auf Peterson und Nowak], zudem wäre auch Rune Nr. 5 zu berücksichtigen (oo ‚brakteatisch‘ verschrieben für Ü u?)20. Eine Deutung als ostgermanische Entsprechung (laþa) von urn. laþu f. ō-Stamm ‘Ladung‘ ist jedenfalls fraglich.“ Schließlich ist Wilhelm Heizmann (2011, 546  f.) zu nennen. Seine Belegsammlung zum Formelwort laþu enthält auch „IK 264 Gurfiles(?)-C ([Formularfamilie] C1): llf [linksläufig] laþaa ([Segment] 1/2).“ Es folgt die Katalogzeichnung. In der zugehörigen Anmerkung 79 liest man: „Düwel, IK 2,Text: nur [!] laþa.“ Es folgen Überlegungen zur gotischen Sprachform und zur u-Lesung mit der einschlägigen Literatur. Eine Erläuterung oder Problematisierung der von den fünf sicheren laþu-Belegen abweichenden Form laþaa erfolgt nicht. Da die Behandlung der Formelwörter auf Goldbrakteaten durch Wilhelm Heizmann grundlegend ist, steht zu befürchten, dass die darin vorkommende hybride Form laþaa zukünftig öfter zu finden sein dürfte. Hier könnte ich innehalten und ein Schlusswort anfügen. Aber ich habe in zwei weiteren Fällen eine Konstellation bemerkt, die den betroffenen Inschriften womöglich ein gleiches Geschick wie das der beiden Goldbrakteaten widerfahren lassen könnte, nämlich den Verlust oder den Zuwachs einer Rune.

Goldsolidus von Schweindorf Bei der Erarbeitung der von Wolf-Dieter Tempel Mitte der 1960er-Jahre entdeckten friesischen Kamminschriften21 habe ich zugleich einen Überblick über alle friesischen Runeninschriften zu geben versucht. Dazu habe ich auch die Runeninschrift auf dem Revers des Goldsolidus von Schweindorf (Ende 6. Jh.) beigezogen. Die linksläufigen Runen nach der anglofriesischen Reihe stehen im Abschnitt unter einer Begrenzungslinie zu einer darüber eingetragenen Bilddarstellung. Wegen der Einfügung in die Rundung des Objektes sind die Runen ungleich in der Höhe, kleiner am Anfang und am Ende, in voller Höhe in der Mitte: ˿weladu (s. die vorzügliche Abb. Taf. 16b zum Artikel Schweindorf in RGA 27, 2004, 477–479, hier Abb. 6). Kurz vor unserer Publikation hatten Berghaus/Schneider 1967 erstmals den Solidus und seine Inschrift behan-

19 Voraus geht eine linksläufige Wiedergabe der Runeninschrift, bei der alle a-Runen tiefsitzende Zweigpaare tragen und sich zusätzlich ein i zwischen dem ersten a und þ eingeschlichen hat. 20 Diese Möglichkeit möchte ich ausschließen. 21 Düwel/Tempel 1968 (1970), s. bes. 381  f.; wieder abgedruckt in Düwel 2015, 17–55, s. bes. 48  ff.

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Abb. 6: Revers des Goldsolidus von Schweindorf, Durchmesser 2,2 cm. Photo: Ostfriesisches Landesmuseum.

delt. Schneider (ebd. 41) sah in R.1 „entweder eine misslungene Form der Rune ê oder der formähnlichen W.“ Sein Hinweis (ebd.) ist wichtig: „Der über das Dreieck hinausreichende obere Teil des Hauptstabes ist so winzig [der untere ist nicht mehr zu erkennen], daß man eher an die W als an die Rune ê denken könnte.“22 Schon in unserer Veröffentlichung (1968 [1970]), 381) habe ich betont: „R.6 (Schneider, S.  43) gehört nicht zu den am Rand entlanglaufenden Zeichen [Capitalis-Imitationen], sondern muß trotz der Verstümmelung der unteren Stabenden als Rune angesehen werden, da zwei ‘Punktringel‘ (Berghaus, S. 18) die Inschrift einrahmen und das Zeichen [R.6 u] noch genau unter der Linie steht, die bildliche Darstellung und Runeninschrift voneinander trennt.“ Schneider (S. 43), auf den ich hier verweise, hat sehr genau R.6 beschrieben: „Der senkrechte Hauptstab hat eine Länge von 1,5 mm. Er berührt nicht die Basislinie des Bildrahmens. Der linke Beistab ist 1,3 mm lang. Er bildet mit dem Hauptstab einen spitzen Winkel. Der Berührungspunkt beider liegt ca. 0,5 mm unterhalb der linken Ecke des Bildrahmens. Wegen Randnähe ist die Rune kleiner geraten als die übrigen. Hauptstab und Beistab sind verkürzt. Bei diesem Zeichen handelt es sich entweder um die Rune u (ae. ūr) mit einmal abgeknicktem Beistab bzw. um die gleiche Rune der Formgestalt U, hier nur jeweils linksgewandt, mit Verkümmerung der unteren Stabteile. Die Wahrscheinlichkeit, daß erstere beabsichtigt war, ist jedoch etwas größer; denn das auslaufende Ende des linken Beistabes zeigt in der vierfach vergrößerten Wiedergabe (s. Tafel II Abb. 3c) einen Anflug von Abknickung nach rechts unten. Der Lautwert des Zeichens ist [u].“ Im Ergebnis lief meine Deutung auf weladu hinaus mit Ergänzung des Nasals vor homorganem Obstruenten nach runischer Schreibregel, transkribiert wēlandu (korrekt  -ǝ̣). Diese Form kann  – wie seinerzeit vorgeschlagen  – ein Appellativum darstellen, etwa „Meisterschmied“, so auch Nedoma (1988, 37; im selben Jahr bieten Berger/Stoess 1988, 135 neben Schneider auch diese Deutung), oder den Namen des Sagenhelden Wieland, der möglicherweise oberhalb der Inschrift selbst dargestellt ist 22 Dass Schneider seine Deutung dann auf þe ladu baut, kann hier beiseite bleiben.



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(Beck 1980 und 1981). Wie dem auch sei, die Lesung weladu samt den angesprochenen Deutungsrichtungen schien sich durchgesetzt zu haben (s. Düwel 2004, 477  ff.). Umso erstaunter war ich, als mir der Katalog einer deutsch-niederländischen Gemeinschaftsausstellung im Jahre 2013 bekannt wurde.23 Da handelt Tineke Looijenga über die goldenen Runensolidi von Harlingen und Schweindorf (7.  Jh.). Zu diesen heißt es: „Der Solidus von Harlingen trägt die Aufschriften ‚HADA‘, bei dem aus Schweindorf lautet sie ‚WELAD‘.“ Weiter liest man: „Alle drei Aufschriften [einschließlich des skanomodu-Solidus] sind als Namen zu interpretieren: HADA verweist auf das germanische Wort für ‚Streit‘, WELAD kann man als Wela(n)d lesen, den Namen des mythischen Schmieds Wieland.“24 Die Autorin wies mich in einem e-Brief (26.6.2013) auf die Neulesung hin: „Zufällig habe ich im Sommer 2012 in Emden endlich mal den Solidus von Schweindorf angesehen  – im Rahmen der Ausstellung ,Land der Entdeckungen‘  – und erstaunlicherweise fand ich, dass es nur WELAD gibt; kein –U.“ Irritiert schrieb ich zurück (1.7.2013): „Allerdings verstehe ich nicht, daß Sie das kleinere u am Ende nicht gesehen haben. Es ist klar und deutlich auf allen Photos zu erkennen und wurde seit Berghaus/Schneider (1967) von allen gelesen und in der Deutung berücksichtigt.“ Unmittelbar darauf kam die Antwort: „Ich bin wirklich der Meinung, dass es in Runen nur WELAD und das, was Sie als die Rune U lesen zur pseudorömischen Inschrift an der linken Seite der Figur gehört, also nicht zum Runentext. Ich habe meinen Befund John Hines, Gaby Waxenberger25 und Hans Frede Nielsen vorgelegt, und die waren

23 „Land der Entdeckungen/Land van ontdekkingen. Die Archäologie des friesischen Küstenraumes/De archeologie van het Frise kustgebied“. Ostfriesische Landschaft (Hg.), Jan F. Kegler et al. (Red.), Emden 2013, 431. 24 In der Buchausgabe ihrer Dissertation hatte Looijenga (2003, 308) noch weladu und die genauere Datierung 575–625 angegeben, die Blackburn (1991, 142) vorschlägt: „[…] that the ‘weladu‘ and ‘hada‘ solidi are likely to be late sixth- or early seventh-century […].“ 25 Ich habe Gaby Waxenberger gebeten, mir ihre Argumentation gegen das Vorhandensein von u bekannt zu machen. Sie hat mir dankenswerterweise nach erneuter Überprüfung ihre Lesung mitgeteilt (e-Brief vom 25.8.2016, Anhang 1): Rune 6 wird als linksläufiges, unsicheres u gekennzeichnet. Dazu der Kommentar: „Diese Rune ist deutlich kleiner und – soweit man das sehen kann – unterscheidet sie sich in der Art der Ritzung von den anderen. Die beiden Stäbe kommen oben nicht zusammen, sondern bleiben offen. Die unteren Enden sehen so aus als ob sie Serifen hätten; allerdings kann dieser Eindruck durchaus täuschen, weil gerade der untere Teil des solidus hier sehr abgegriffen ist, so dass man eigentlich nicht sicher sein kann. Weiterhin kann man festhalten, dass – im Gegensatz zu ë˿ [w] – die Rune u˿ nicht ganz mit der im Bildteil vorgegebenen senkrechten Linie abschließt, allerdings ist die Linie auch nicht vollkommen senkrecht. Im Gegensatz dazu ist der Hauptstab von ë˿ [w] mit der Linie darüber ziemlich kongruent.“ Im Brief selbst heißt es lapidar: „[…] –u ist unsicher, aber Ihre Lesung weladu scheint mir die beste Möglichkeit von allen zu sein.“ Darüber hinaus hat mir Frau Waxenberger freundlicherweise auch den Eintrag Schweindorf zugänglich gemacht in der Corpus-Edition der friesischen Runeninschriften, die im Rahmen des Akademieprojektes ‚Runische Schriftlichkeit in den germanischen Sprachen‘ erarbeitet wird. Da heißt es vorläufig zu „R6 {u, k}: This character is dubious […] one could read to admittedly slanting .” Es wird allerdings (noch)

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einverstanden.“ In ihrer Antwort auf meinen entschiedenen Widerspruch im e-Brief vom 8.7.2013 gibt sie auch die zustimmenden Sätze von John Hines (1) und Hans Frede Nielsen (2) wieder, die ich hier mit beider Zustimmung anführe: (1) „What you say looks very convincing indeed, Tineke… not least because the alleged u-rune doesn’t line up at the top as neatly as all the other runes do. Why on earth has none of us noticed this before!” Und (2) „I agree that the purported final U of the Schweindorf solidus does not look as if it were part of the WELAD runic legend, apparently belonging instead to the line of characters to the left. On the other hand, one can hardly blame past researchers (…) for wishing to associate the Schweindorf runes with other ‘Frisian’ legends ending in U.” Looijengas Argumentation lernt man hier erstmals kennen: „Wenn ich die beiden Solidi (Harlingen und Schweindorf) vergleiche, dann bin ich doch überzeugt davon, dass dieses Schweindorfer u (v) nicht zur Runeninschrift gehört, sondern zur Imitationsinschrift. Auf beiden Solidi finden sich in den Reihen der Capitalis-Imitationen i, v und s und ein o-artiges Zeichen. Wenn Ihre Argumentation zutreffen sollte, kann man auf Harlingen HADAS lesen, denn hier befindet sich das S-Zeichen unmittelbar nach den Runen HADA. Wohl keiner wird damit einverstanden sein. Der Größe und des Duktus wegen gehört das Schweindorfer v sicherlich zur Imitationsreihe.“ Diese Argumentation überzeugt nicht: Das Capitalis-S auf Harlingen hat mit den Runen nichts gemein. Das zeltförmige Zeichen auf Schweindorf hat in den sich fast durchweg wiederholenden Capitalis-Imitationen auf Schweindorf kein Pendant; stände also – ob als A oder V (U) gelesen – völlig isoliert da. Dagegen ordnet es sich pro­blem­los in den Runenkontext ein und bildet einen wichtigen sprachlichen Bestandteil zur Form des Namens Wieland. Die unterschiedlichen Verhältnisse zwischen beiden Inschriften sind aus der Gegenüberstellung von Berghaus‘ (S. 23  f.) Beschreibung recht gut zu ersehen:

nicht ausdrücklich auf Looijengas Artikel verwiesen und entsprechend diskutiert. Es besteht vielleicht noch Hoffnung, dass das fast 50 Jahre alte u auf Schweindorf überleben wird.



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Es sei gestattet, meinen Widerspruch vom 8.7.2013 zu zitieren, zumal er auch einen in den Kontext dieses Beitrages passenden Satz enthält: „Das u der Runenzeile gehört nicht zu den Capitalis-Imitationen am linken Rand. Die bestehen auf beiden Seiten vor allem aus I und O (rechts auch liegendes S), nirgendwo befindet sich ein zeltartiges Zeichen, eben das Runen-u darunter. Ferner ist die Runenzeile gegen die Imi­ta­tio­ nen von Buchstaben mit O abgegrenzt, und schließlich ist der Duktus der CapitalisImitationen breiter gegenüber den klaren unverzierten (ohne Serifen) Runenstäben. Die Runen beginnen rechts unter der Grenzlinie und enden dort links mit u. Es ist völlig unmöglich (…), etwas anderes im Abschnitt zu lesen. Ich kann nur hoffen, daß Schweindorf nicht zu den Stücken wie Nebenstedt I gehören wird, bei denen im Laufe der Forschungsgeschichte eine Rune verloren geht und später mühsam wiederentdeckt werden muss.“ Nedoma (2014, 53  f. Anm.  34) hat ebenfalls widersprochen: „Da sich die aus Raummangel im Abschnitt des Solidus kleiner ausgeführte u-Rune ˿U[mit leichtem Knick]  – es handelt sich um kein ï einer Kapitalis-Imitation!  – jedoch mit ihrem rechten Teil und der Spitze noch unterhalb der Horizontallinie befindet, die den Stehplatz der darüber abgebildeten (Herrscher-)Gestalt markiert und zugleich als Zeilenobergrenze der Runeninschrift dient, wird man weiterhin von der etablierten (und sprachlich begründeten) Lesung wela2du auszugehen haben.“ Looijenga (2013, 431) behauptet nun: „WELAD kann man als Wela(n)d lesen, den Namen des mythischen Schmieds Wieland.“ Das geht gewiss nicht so ohne weiteres, denn der Name Wieland kann runenschriftlich um 600 in vor-altfriesischer Form (Nom. Sg. masc. a-Stamm) wohl nur weladu lauten (vgl. zuletzt Nedoma 2014, 350– 352), eine endungslose Form wäre sprachlich problematisch. Dennoch kommt bereits 2016 der Beitrag von Versloot und nimmt die u-lose Form der Schweindorfer Runeninschrift auf. Im Abschnitt „4. The masculine nom. acc. sg. of the a-stems“ schließt er sich durchweg Nedoma (2014) an. Nur: „Nedoma also mentions wela[n]du personal name (Schweindorf), but here I follow Looijenga (2013) in the reading without -u: wela[n]d, which I find convincing to judge from the photograph of the inscription in her article. This latter reading can also be found in Krause (1971: 67). Considering the Icelandic form Völundur, gen. sg. Völundar, I am inclined to interprete it as a u-stem (similarly Looijenga 2003: 308; for further discussion see

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§  5 below [ohne Bezug auf weladu]) (Versloot 2016, 22).” Eine Lesung von Runen umgeben von Kapitalis-Imitationen allein auf einem einzigen Photo zu gründen, ist leichtfertig. Man braucht nur einmal die Phototafeln bei Looijenga (2013, 431) und bei Düwel (2004, Taf. 16b) anzusehen, um zu erkennen, dass für ein begründetes Urteil unbedingt das Original untersucht werden muss. Die Berufung auf Looijenga (2003, 308) ist insofern missverständlich, als dort die Lesung Wēla(n)du vertreten wird. Interessant ist der Hinweis auf die Stelle bei Krause (1971, 67), wo er den Vokalismus der Wurzelsilben behandelt und den Unterschied zwischen wīlagaR (KJ 29 Lindholmen) und wēla-daude (KJ 97 Björketorp) anführt. Dazu heißt es wörtlich: „Bei dem Wurzelvokal dieser Wörter handelt es sich um das sogenannte ē2(vgl. §  38); dazu der Name ags. Wélund, ahd. Wialand, vielleicht afr. run. wēla(n)d auf dem Solidus von Schweindorf (vgl. Verf., Runen = Slg. Göschen Bd. 1244/1244a, 1970, § 73).“ Folgt man dem Hinweis auf das Göschenbändchen, dann liest man dort: „Die Inschrift auf dem Solidus von Schweindorf (Ostfriesland) ist nicht sicher zu deuten: welad oder þelad, möglicherweise noch mit einem Endvokal -u. Vielleicht liegt der Name des berühmten Schmiedes Wēland(u)  vor, hier als Künstlername verwendet.“ Und das heißt: Wolfgang Krause hat diese beiden Werke kurz vor seinem Tode (14.8.1970) abgeschlossen. Bereits Jahrzehnte zuvor war er vollständig erblindet und konnte neue Inschriften wie die erst 1963/64 entdeckte26 und 1967 publizierte Inschrift von Schweindorf nur durch Beschreibungen meist von Nachzeichnungen oder Photographien durch seine Gattin Agnes Krause kennenlernen und beurteilen. Aus seiner Angabe der endungslosen Form welad darf daher nicht die Berechtigung gezogen werden, Krause als Zeugen für diese endungslose Form zu benennen. Leider vernachlässigt Versloot die Forschungsgeschichte mit Berghaus/ Schneider (1967) und Düwel/Tempel (1968 [1970]), in der bereits die wichtigsten Probleme erörtert worden sind. Das eigentliche Problem sehe ich aber darin, dass Versloot zur Erklärung der amputierten Folge welad auf die neuisländische Namenform Völundur und die Annahme eines u-Stammes (der bei Looijenga 2003, 308 noch auf -u ausging) ausweichen muss. Angesichts des Gegensatzes einer „deutsch-angelsächsischen Namenform *Wēlandmit der skandinavischen-französischen Variante *Waland-/*Walund-“ (Nedoma 1988, 68, auch 59, 70 mit gründlicher Diskussion der Etymologie), ist es wenig wahrschein26 Zuerst wird, meines Wissens, der Goldsolidus von Schweindorf in einem Brief Herbert Jankuhns an Wolfgang Krause vom 9. April 1964 erwähnt: „Unter dem Kaiserbild steht eine Inschrift von vier mit Sicherheit lesbaren Runen und einer, die wahrscheinlich als th gelesen werden kann. Die Inschrift ist mit linksläufigen Zeichen angebracht und lautet von links nach rechts: d a l e th. Am linken Rand der Inschrift ist noch ein kleiner Haken angebracht, von dem man aber nicht sagen kann, ob er eine wirklich beabsichtigte Rune andeuten soll.“ Beide Male ist mit Kuli in das getippte th ein nach links weisendes Dreieck eingetragen. Rechts neben dem Adressfeld hat Agnes Krause geschrieben: „Die Inschrift:“, darunter die Zeichnung der Runen WElAD, also ohne das schließende -u. Hier liegt die Keimzelle für Krauses welad, das nach der Veröffentlichung von Berghaus/Schneider (1967) und in Kenntnis von Düwel/Tempel 1968 (1970) mit dem -u am Ende versehen wird.



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lich, dass gerade die Schweindorfer Überlieferung von den deutsch-angelsächsischen Namenformen der unmittelbaren Umgebung abweicht und sich der skandinavischfranzösischen Bildung anschließen sollte. Und es gibt auch keinen Anlass, die alleingültige Lesung der Runenfolge auf Schweindorf als weladu aus dem Kontext der übrigen u-Formen in der runenfriesischen Überlieferung als Reflex der Endungen -az (Nom.) und -an (Akk.) für den Singular der a-Stämme (Nedoma 2014) zu entfernen. Ich nehme den hier besprochenen Fall zum Anlass, um eine mir auffällig erscheinende Tendenz in neueren runologischen Beiträgen herauszuheben: ältere etablierte Lesungen und Deutungen, wenn irgend möglich, zu kritisieren – manchmal ist das auch nur ein kritteln  – mit dem Ergebnis, dass sinnvolle Inschriften zu sinnlosen werden.27 Ich habe dagegen einmal bei der Diskussion von Brakteateninschriften als methodischen Grundsatz ausgesprochen: „Die Zeichen 1. so zu lesen, daß sie der etablierten Normalform am nächsten kommen, und sie 2. aber dennoch so zu deuten, daß eine semantisch lesbare und verständliche, in bekannte Kontexte eingebettete Lösung bevorzugt wird“ (Düwel/Nowak 2011, 380  f.).

Scheibenfibel von Schwangau Abschließend möchte ich dazu auch die gegenläufige Geschichte erzählen – Narrativ28 heißt das wohl heutzutage. Die Runen auf der Rückseite der Fibel von Schwangau wurden zuerst von Meli (1988, 162) nach einer Zeichnung von Christlein (1978, 113, Abb. 88) rechtsläufig als leºoºb gelesen und von Looijenga (2003, 257) korrekt als aebi, ebenfalls rechtsläufig, erkannt.29 Waldispühl (2011, 36) sieht „zwischen der eund der b-Rune […] eine weitere a-Rune deutlich schwächer eingeritzt als die anderen vier Zeichen.“ Als Notation schlägt sie ae{a}bi vor (ebd.), so auch ausführlicher dargeboten von Graf/Waldispühl (2013, 48–50). Ihr Befund (ebd. 49) lautet: „Es sind somit nicht vier [wie bisher gelesen aebi], sondern fünf Graphe erkennbar, wobei sich das È 27 Zuweilen regt sich bei mir ein Verdacht: da neuerdings das Zitieren eines Beitrages gezählt werden soll, kann vielleicht der eine oder andere Autor der Versuchung nicht widerstehen, eine wilde These in die Welt zu setzen, um auf Grund des vehementen Widerspruchs anderer eine möglichst hohe Anzahl von Zitatnennungen zu erreichen. 28 In einer Glosse „Ein Wort im Maisfeld. Die Mode, die Sprache und der Sinn“ (Spiegel 32, 2016, 116) meint Joachim Kronsbein: „Manche Modewörter blühen nur einen Sommer lang, andere allerdings bleiben in der Sprache kleben und sind uns so vertraut, dass gar nicht mehr auffällt, wie überflüssig sie sind. Das Narrativ etwa. Das deutsche Wort Erzählung – in dem Sinne, einen unübersichtlichen Sachverhalt durch einen wohl gebauten Text leichter verständlich zu machen – mag dagegen bieder und ungebildet klingen, ist aber in den meisten Fällen durchaus ohne Bedeutungsverlust zu verwenden.“ Vgl. auch die Glosse in chrismon 1/2017, 8. 29 Diese Lesung konnte ich im Zuge einer Autopsie in der Archäologische Staatssammlung (München) am 18.3.2002 bestätigen. Weder Looijenga noch ich haben die im Folgenden behandelte, unter der Inschrift befindliche Rune erkannt.

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in der Mitte eintragungstechnisch deutlich von den anderen Graphen unterscheidet. Es ist oberflächlicher geritzt, in der Zeichenhöhe vermindert und nach rechts geneigt. Deshalb ist es hier in der Notation und Transliteration in geschwungenen Klammern wiedergegeben.“ Es werden zwei Abbildungen beigefügt, die eine (Abb.  2a, hier Abb. 7) ein Photo der Archäologischen Staatssammlung und die zweite (Abb. 2b, hier Abb.  8), dasselbe Photo in einer „Bildbearbeitung“ durch M[ichelle] W[aldispühl], die in ihrer Dissertation (2013) noch einmal ausführlich (148–153) und im Katalog dazu (305) die Runeninschrift von Schwangau präsentiert. Im Katalog führt sie unter „Lesung bisher aebi (Lo)“ an und lässt folgen: „Meine Lesung ÈE{È}bI ae{a}bi“. Dazu vermerkt sie: „Zwei verschiedene Eintragungsschichten: {È} (S3) gehört in eine andere Schicht als die restlichen Zeichen, ältere Eintragung? Vorzeichnung? […].“30 Für die sprachliche Deutung der Inschrift, die bisher nicht zufriedenstellend erreicht wurde, ist das Zeichen ohnehin bedeutungslos, wie die Autoren betonen (Waldispühl 2011, 36; Graf/Waldispühl 2013, 50). Much ado about nothing möchte man sagen. Jedoch sind zwei Aspekte problematisch und kommen einer späteren missbräuchlichen Verwendung entgegen: 1. die Schweifklammer ist unglücklich gewählt; sie sollte für Tilgungen innerhalb ein und desselben epigraphischen Textes reserviert bleiben.31 Sie lässt in der hier verwendeten Weise keine zeitliche Differenz erkennen, die nur in der Beschreibung markiert werden kann. Dahin gehört auch der Hinweis auf eine Vorritzung, die in der Transliteration nichts zu suchen hat. Ginge einmal aus Flüchtigkeit, Unachtsamkeit oder Unkenntnis die Schweifklammer verloren, böte die Schwangauer Inschrift eine Rune mehr als wirklich vorhanden ist. 2. die den Publikationen Graf/Waldispühl 2013 (dort Abb. 2b) und Waldispühl 2013 (dort Abb. 103) beigegebenen Photos zeigen aufgrund einer Bildbearbeitung bzw. einer Rotauszeichnung der­ „[i]n­tendierte[n] Striche und Zeichencodierung“ alle Runen einschließlich des unter den Runen ermittelten Zeichens, so dass alle Ritzungen auf einer (Zeit- und Raum-) Ebene erscheinen und dem Benutzer, der nicht die zugehörigen Texte beizieht, suggeriert, die Inschrift bestehe aus fünf Zeichen, eines mehr als wirklich zur Inschrift gehörig. Damit würde also der Möglichkeit Vorschub geleistet, dass der Inschrift im Verlauf weiterer Nutzung eine zusätzliche Rune zuwächst. Und die Moral von der Geschichte: Auch Autopsie bewahrt vor Irrtum nicht, oder um es allgemein mit einem Bibelwort zu sagen: „Seid nüchtern und wachet; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge“ (1. Petr. 58). 30 Graf/Waldispühl (2013, 50) erwägen, dass dieses a „in einem Prozess angebracht wurde, der der eigentlichen Ritzung vorausgegangen war, um den Anbringungsort der Inschrift grob zu markieren […]“, also als „Platzmarkierung“. In der Abb 2b, hier Abb. 8, ist zudem die Weißauszeichnung des älteren a deutlich schwächer gehalten. 31 Schmidt 2011, 24; Schumacher 1988, 15. Die Funktion der Schweifklammer wird bei Waldispühl (2013, 87) dagegen anders angegeben, nämlich „{F} Runengraph mit epigraphischer Abweichung“, das aber trifft für {a} nicht zu.



Merkwürdiges zu Goldbrakteaten und anderen Inschriftenträgern  

Abb. 7: Scheibenfibel von Schwangau, Detail (Rückseite). Photo: Archäologisches Staatssammlung München, Bildbearbeitung: Michelle Waldispühl, aus Graf/Waldispühl 2013, Abb. 2a (bzw. Waldispühl 2013, Abb. 102).

Abb. 8: Scheibenfibel von Schwangau, Detail (Rückseite). Photo: Archäologische Staatssammlung München, mit nachbearbeitetem Ritzungsbefund. Bildbearbeitung: Michelle Waldispühl, aus Graf/Waldispühl 2013, Abb. 2b.

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 Klaus Düwel

Danksagung Louis Falkenstein danke ich für bibliographische Recherchen und die Herrichtung des Manuskriptes. In der Vorbereitung dieses Beitrages habe ich einige Runologen gebeten, mir vergleichbare Fälle zu nennen. Magnus Källström hat mich auf einige Runeninschriften auf Steinen aufmerksam gemacht, bei denen ähnliche Beobachtungen zu machen sind wie bei den hier in den Mittelpunkt gerückten Goldbrakteaten. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Da sie jedoch im einzelnen von den hier verhandelten Erscheinungen abweichen, werde ich sie in einem anderen Zusammenhang behandeln. Ferner danke ich Morten Axboe für einige Hinweise.

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Bernd Päffgen, Klaus Düwel, Robert Nedoma

Der Runen-Glaskameo aus Mainz Abstract: Not only gems and cameos carved from stone, but also their glass substitutes have been known and treasured since the Antique. During the Merovingian Empire, the art of lithotomy was unknown. It wasn’t until the reign of Charles the Great (768–814) that this type of artistry bloomed again, only to decline again in the 10th century. Two of the most rare early medieval glass cameos were already found in 1902 during excavations in Mainz. They have been dated to the 8th century. The one exemplar is bichrome and shows the representation of a shipwreck. The smaller cameo is made of monochrome glass and portrays a bust of a man with runic inscriptions. The ‘glass-bracteat’ from Mainz exhibits five runes EiGlP followed by a paratextual symbol that possibly marks the end of the inscription. Due to the late dating, the inscription cannot be considered part of a continuous South Germanic runic epigraphic tradition which would have thrived until the 8th century. In its present form, the inscription is certainly uninterpretable; though, if we assume that rune no. 5 P p is misspelled Anglo-Frisian Æ a3 (= “o”), the lower branch being clapped down, we get a regular male anthroponym *EiGlÆ eigla3 = OHG (Franc.) Eiglo that has an exact equivalent in WFranc. Aiglo. The named person was seemingly the owner of the pseudo-cameo, the manufacturer or, less possibly, the donor. However, it remains unclear why the purchaser (or the manufacturer?) had the idea to add (Anglo-Frisian) runes.

Bernd Päffgen Teil I: Der gläserne Pseudo-Kameo mit Runeninschrift aus Mainz Fundkontext Der in der runenkundlichen Literatur immer wieder genannte, aber noch nicht ausführlicher separat behandelte Mainzer Altfund kam in der Innenstadt in der Bauerngasse bereits 1902 zutage1. Anschließend wurde er von Ludwig Lindenschmit dem

1 Klaus Düwel (Göttingen), dem ich für weiterführende Hinweise danke, schlug die gemeinsame Behandlung im Rahmen dieser Festschrift vor. Ellen Riemer, Mittelrheinisches Landesmuseum Mainz, verdanke ich den Zugang zu wertvollen Informationen hinsichtlich der Inventarisierung der Funde und ihres Verbleibs sowie die Beschaffung der Abbildungsvorlagen 1–2 und 6–7.

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Jüngeren (1850–1922) im Jahresbericht 1902/03 der Zugänge der Sammlung des Vereins zur Erforschung der rheinischen Geschichte und Altertümer publiziert (Lindenschmit 1903, Taf. 9, Abb. 10). Der Verein war 1841 bzw. 1844 von seinem Vater, Ludwig Lindenschmit dem Älteren (1809–1883), mitbegründet worden und führte auch Ausgrabungen in Mainz und Umgebung durch Frey (2015, 238). Die Sammlung des Altertumsvereins sollte archäologische Funde aus Mainz und seinem Umland zeigen, während das Römisch-Germanische Zentralmuseum in der Lindenschmit’schen Konzeption einen überregionalen Sammlungsanspruch besaß (Frey 2015). Die Sammlung des Mainzer Altertumsvereins (so umbenannt seit 1906) wurde im Kurfürstlichen Schloss untergebracht und ging 1910 im Städtischen Altertumsmuseum, seit 1967 Mittelrheinisches Landesmuseum, seit 1986 Landesmuseum auf, wo das uns interessierende Fundstück bis heute verwahrt wird. Lindenschmit sorgte für die archäologische Begleitung der 1902 erfolgten Anlage eines hofseitigen Kellers auf dem Grundstück von J. Harth in der Bauerngasse in Erwartung römischer Bebauung, da in der Umgebung zuvor ein römischer Mosaikfußboden beobachtet worden war. Römische Spolien kamen in der Kellerbaugrube bis oder unter einer Tiefe von 1,50 m unter Geländeoberkante jedoch nur in einer Schuttschicht zum Vorschein, die Lindenschmit über einen vergesellschaftetes Fundmaterial, u.  a. einen Dolchgriff, das Fragment eines Leuchterfußes, eine Gewandschelle und Steinzeug hoch- bis spätmittelalterlich datierte. Der Ausgräber erklärte den Befund als Planierschicht nach Abbruch eines mittelalterlichen Stadthauses (Lindenschmit 1903, 417). Mitgefundene römische Steinfragmente, u.  a. ein 65x55x88 cm großes römisches Weihesteinfragment mit der Darstellung von Diana und Apoll (Abb. 1) waren als Spolien dort verbaut2. Straßenseitig erkannte Lindenschmit etwa 60  cm unter der mittelalterlichen Schuttschicht eine wiederum fundführende Schicht „schwarzer Erde“. Aus dieser Schicht in einer Position von etwa zwei Metern unter Geländeniveau stammt der Pseudo-Kameo mit Runeninschrift (Inv.-Nr.  5996; Abb.  2,1, 6 u. 9). Hinzu kommt ein mitgefundener zweiter Glaskameo mit der Darstellung eines geflügelten und mit Fischschwanz versehenen Mischwesens (ketos) und rückseitigen Resten der ursprünglichen Fassung als Fibel (Inv.-Nr. 5995; Abb. 2,2, 7 u. 8).3 Weiter kam in besagter schwarzer Schicht eine 3,4 cm hohe kreuzförmige Bronzefibel mit Eckrundeln und mitgegossenem Bandgeflecht zutage, deren Nadel fehlte (Inv.-Nr. 5997; Abb. 2,3). An einem vierpaßförmigen Beschlagstück aus Bronze von 3,6  cm Durchmesser haftete Leder an; Lindenschmit dachte hier an einen Riemenverteiler (Inv.-Nr. 5998; Abb. 2,4; heute verschollen). Auch ein einzeiliger Beinkamm langrechteckiger Form wurde aus der Schicht geborgen (Inv.-Nr.  5999; Abb.  2,5; verschollen). Lindenschmit klassifi-

2 Körber 1903, 182; Frenz 1992, 96  f. Nr. 63. 3 Lindenschmit 1903, 417: „… diente ehemals als Einsatz in eine Brosche. Auf der Rückseite sind noch Reste der Bronzefassung zu sehen.“



Der Runen-Glaskameo aus Mainz 

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Abb. 1: Fragment eines römischen Weihesteins mit der Darstellung von Diana und Apoll, geborgen 1902 bei der von Ludwig Lindenschmit durchgeführten archäologischen Begleitung des Bauvorhabens in der Bauerngasse 13 in Mainz. Foto: GDKE Landesmuseum Mainz (Ursula Rudischer).

Abb. 2: Durch Ludwig Lindenschmit 1902 geborgene frühmittelalterliche Fundstücke aus der „schwarzen Schicht“ in der Bauerngasse 13 in Mainz, Zeichnungen aus dem Zugangsinventar des Museums. Abbildungsvorlage: GDKE Landesmuseum Mainz.

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zierte die Kameen und die kreuzförmige Fibel aus seiner Materialkenntnis als „wahrscheinlich der karolingischen Zeit angehörige Zierrate“ (Lindenschmit 1903, 417). Für den Kamm verwies er auf „spätfränkische Zeit“ (Lindenschmit 1903, 418). Unterhalb der schwarzen Schicht stellte Lindenschmit ein mächtigeres, bis drei Meter unter Geländeniveau reichendes römerzeitliche Schichtpaket fest, das er nicht weiter differenzierte. Er betonte, dass es auffallend wenig Keramik beinhaltete. Verschiedene Stempel auf südgallischer und ostgallischer Terra sigillata wurden festgestellt und sichergestellt: Lindenschmit las MACCONO, MARTIALIS, OF BASSI, PLLINVS und MEDDICVS.4 Weitere chronologische Anhaltspunkte ermöglichen die aufgefundenen Ziegelfragmente mit Stempeln der I., III. und XXII. Legion. Die Legio XXII primigenia war von 43 bis 69 n. Chr. in Mainz stationiert, um nach einer Zwischenphase in Vetera 92 n. Chr. wieder nach Mainz zurück beordert zu werden, wo die Legion bis in die Spätantike nachweisbar ist.5 Die Legio I Adiutrix pia fidelis war in der Zwischenphase bis 86 n. Chr. in Mainz stationiert und wurde dann in Pannonien eingesetzt.6 Nachträglich wurde beim Bau eines Verbindungsgangs des Kellerneubaus das Teilstück einer römischen Kanalführung aus Ziegeln mit Stempel der XXII. Legion beobachtet. Dabei fanden sich ein Terra sigillata Bruchstück mit Töpferstempel MAXIMINVS (? Maximianus ?) und ein Bronzezierrat.7 Die Funde der baubegleitenden Untersuchung kamen – wie schon oben erwähnt – in die Sammlung des Vereins zur Erforschung der rheinischen Geschichte und Altertümer. Lindenschmit konnte den Grundstückseigentümer J. Harth zur Schenkung seines Fundanteils bewegen. Die Örtlichkeit der Ausgrabung lässt sich in der Bauerngasse 13 genauer lokalisieren.8

Die „schwarze Schicht“ als dark earth? Die Angaben bei Lindenschmit lassen sich annähernd und in sicher sehr idealisierter Form rekonstruierend zu einem Profil der Schichten in Zeichnungsform zusammenstellen, das hier als Versuch dargestellt wird (Abb. 3). Möglicherweise handelte es sich hier um die auch andernorts festgestellte spätantik-frühmittelalterliche dark earthBildung. Dies legt der Vergleich mit dem Idealprofil der dark earth (Abb. 4) zumindest nahe (Heimdahl 2005). Aus Mainz ist eine solche Dark-Earth-Schicht bislang jedoch

4 Bei Jung 2009, Anhang 3 sind die Funde von der Bauerngasse nicht erfasst. 5 Ritterling 1925a; Baatz 1962. 6 Ritterling 1925b, Ein im November 1902 inventarisierter Ziegel (later) vom Typ Mainz 6 ist erhalten: CIL XIII, 12098,2; Dolatta 2014, 140 Nr. III.70 Taf. 52. 7 Lindenschmit 1903, 420 Taf. 7,21; bei Jung 2009, Anhang 3 nicht erfasst. 8 Schulze-Dörrlamm 2013, 92 ist diese Identifizierung zu verdanken.



Abb. 3: Nach den Angaben von Ludwig Lindenschmit umgezeichnete Profilskizze der 1902 beobachteten stratigraphischen Verhältnisse in der Bauerngasse 13 in Mainz. Entwurf: Bernd Päffgen; Umsetzung: Ursula Scharafin-Hölzl (LMU München).

Der Runen-Glaskameo aus Mainz 

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Abb. 4: Idealprofil der dark earth Bildung nach Heimdahl 2005.

nicht bekannt. Trotzdem ergeben sich durchaus Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen Schicht. So ist in Regensburg, das wie Mainz ein römisches Legionslager war, im Bereich der früheren Fläche des Lagers eine dark earth des 6./7. Jh.s dokumentiert, ebenso im Bereich des Legionslagers in Wien (Gaisbauer 2006, 183). Die Nähe der Bauerngasse zum Rhein kann auch auf eine dark earth hinweisen, so begünstigen nachweislich alluviale Ablagerungen eine Bildung der schwarzen Schicht (Heimdahl 2005; Nicosia 2013, 158). Ebenfalls ist das Vorkommen der Schicht klassisch nach dem in der heutigen Forschung anerkanntem Modell Heimdahls gut der Dokumentation

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zu vergleichen (Heimdahl 2005). Auch die Mächtigkeit von versuchsweise rekonstruiert etwa 20 cm entspricht der Stärke, die nach dem derzeitigen Kenntnisstand der Forschung üblich ist. Als Normwerte werden in der Literatur Mächtigkeiten der dark earth Bildung von 0,2 m-0,7 m genannt (Heimdahl 2005, Devos et al. 2009, 270). Da uns natürlich keine mikromorphologischen Bodenanalysen aus einer Grabung bzw. Baubeobachtung des Jahres 1902 zur Verfügung stehen, liegt alternativ die Möglichkeit nahe, dass es sich eine Brandschicht gehandelt haben könnte. Aber es wird in der Dokumentation von Lindenschmit explizit zwischen der mutmaßlich karolingischen „schwarzen Schicht“ und einem neuzeitlichen Brandhorizont unterschieden, so dass trotz fehlender naturwissenschaftlicher Analysen die Möglichkeit einer dark earth zu diskutieren ist.9 Wenn dem so wäre, hätte der erfahrene Ausgräber Lindenschmit die „schwarze Schicht“ erstaunlich gut und früh dokumentiert.

Siedlungstopographische Verortung des Fundorts Zum Verständnis der Funde aus der Bauerngasse ist die siedlungstopographische Bewertung relevant. Für die römerzeitliche Topographie ist festzuhalten, dass es sich um einen Siedlungsbereich zwischen Legionslager und Rhein handelte.10 Von Bedeutung waren neben dem Legionslager die Funktion als Provinzhauptstadt Obergermaniens11 sowie mehrere militärisch und zivil genutzte Hafenanlagen am Rheinufer.12 Durch die bald nach der Mitte des 3. Jh.s erfolgte Ummauerung lag der Bereich der Bauerngasse rheinseitig intra muros.13 Hinzuweisen ist auf die in etwa 150 m Entfernung von der Bauerngasse 1981/1982 bei der Erweiterung des Hilton Hotels in der Löhrstraße entdeckten Kriegshafen mit Funden von fünf römischen Booten aus dem 4. Jh. Art um Umfang der merowingerzeitlichen Nutzung des spätantiken Stadtareals sind im Detail unklar; gewisse Kontinuitätsstränge sind jedoch unzweifelhaft.14 In der ausgehenden Merowingerzeit wurde – zum Rhein hin – der spätantiken Stadtmauer eine hölzerne Konstruktion vorgesetzt (Abb. 5).15 Im Karolingerreich war Mainz eine wichtige Metropole für kirchliche und weltliche Administration, Münzprägung und den Handel. Die Lage am Rhein und die Anbindung an das römische Straßennetz, aber auch relativ gute Verkehrsverbindungen in das rechtsrheinische Gebiet machten

9 Für die Diskussion der Problematik und Literaturhinweise danke ich Nepomuk Amberger BA (München). 10 Überblicksweise zur römerzeitlichen Topographie: Witteyer 1999; Oldenstein 2001. 11 Ziethen 1999; Haensch 2003. 12 Höckmann 2003. 13 Witteyer 1999, 1051; Heising 2008. 14 Zur Frage der merowingerzeitlichen Stadt und der Funktion als Bischofssitz: Boppert 2001; Nopper 2002; Knöchlein 2004. 15 Schulze-Dörrlamm 2013.



Der Runen-Glaskameo aus Mainz 

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Abb. 5: Die Mainzer Siedlungstopographie im frühen Mittelalter. Nach Mechtild Schulze-Dörrlamm 2013 und ergänzt. Graphische Umsetzung: Kay Lippmann, Köln.

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Mainz zu einem Austauschort.16 Verhandelt wurden vor allem Wein, Getreide, friesische Tuche und mediterrane Fernhandelsgüter (u.  a. Gewürze, Stoffe). Der uns interessierende Fundort in der Bauerngasse befand sich intra muros auf halbem Weg zwischen dem Areal der mutmaßlichen Königspfalz und der Römerbrücke, die den Rhein überquerte.17 Wegen der Wikingereinfälle wurde zum Jahreswechsel 881/882 die spät­ antike Stadtmauer instandgesetzt und ein neuer Außengraben gezogen.18 Eine Blüte nach den Wikingerüberfällen setzte unter Erzbischof Hatto I. (891–913) ein. Zu dieser Zeit wurde der Bereich des Rheinufers in die Stadtbefestigung einbezogen, indem diese 25–30 m nach Osten erweitert wurde.19 Mechtild Schulze-Dörrlamm hat im Fundensemble von der Bauerngasse die Hinterlassenschaft einer vornehmen stadtsässigen Familie erkannt.20 Alternativ möchte ich vorschlagen, hier die Überreste der Ware eines intra muros ansässigen Händlers zu erkennen, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen in die „schwarze Schicht“ gelangte. Hinsichtlich dieser Deutung ist auch zu berücksichtigen, dass – etwa 150 m entfernt – in der Baugrube für das Hilton-Hotel in der Löhrstraße leider ohne Erfassung der Befundzusammenhänge unter den zahlreichen aus dem Abraum geborgenen, metallenen Trachtbestandteilen und Gebrauchsgeräten karolingisch-ottonischer Zeit einige Rohgüsse und Halbfabrikate Werkstätten von Metallhandwerkern in Rheinnähe anzeigen, die über dem verlandeten Hafen nach der Stadterweiterung bestanden21.

Beschreibung und Einordnung Der Mainzer Glaskameo mit Inschrift (Abb. 2,1 und 6) ist von annähernd runder Form und weist eine Höhe von 2,8 cm auf, während die Breite mit 2,6 cm etwas geringer ausfällt. Das Fundstück ist einfarbig und besteht aus grünlich-weißer Glasmasse. Lindenschmit beschrieb es bei der Auffindung abweichend als weiß, was am ehesten durch eine Irisbildung zu erklären ist, die bei einer späteren Restaurierung abgenommen wurde. Zu sehen ist eine stilisierte Männerbüste im Profil nach links. Erkennbar sind Hals bzw. Brustansatz und der Kopf mit stachelig-igelartig wiedergegebenem Haupt-

16 Schulze-Dörrlamm 2014. 17 Schulze-Dörrlamm 2013, 90 Abb. 63. 18 Annales Fuldenses ad annum 882: MGH Script. rer. Germ. 7, 1891, 98 (ed. W. Kurze). Vgl. Staab 1999, 88. Diese spätantik-karolingische Stadtmauer von 4 Kilometer Länge besaß dann wohl wieder eine gute Verteidigungsmöglichkeit, wie aus der zwei Monate vergeblich durchgeführten Belagerung König Ottos I. gegen die dort verschanzten aufständischen Herzöge Konrad den Rote und Liudolf von Schwaben im Jahr 953 geschlossen wird. 19 Wamers 1994. 20 Schulze-Dörrlamm 2013, 92. 21 Wamers 1994; ders. 1998/99.



Der Runen-Glaskameo aus Mainz 

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Abb. 6: Der 1902 in der Bauerngasse 13 in Mainz gefundene runde Glaskameo mit Runeninschrift. Maße: L. 2,6cm, H. 2,8cm. Foto: GDKE Landesmuseum Mainz (Ursula Rudischer).

haar und dieses nach oben abschließender Konturlinie. Alternativ kann hier auch an die Wiedergabe eines Diadems gedacht werden.22 Die am Kopf umlaufende Schrift ist mitgegossen. Den äußeren Abschluss bildet ein Perlkranz mit 29 einzelnen erhaben ausgeformten Buckeln. Wie schon Lindenschmit vermutete, dürfte hier die „barbarische Nachbildung einer römischen Kaisermünze“ vorliegen (Lindenschmit 1903, 219).23 Der Begriff „Glasbrakteat“, der für das Mainzer Fundstück als „Unicum“ im Kreis der Runeninschriften in der runenkundlichen Literatur Verwendung gefunden hat, erscheint aus antiquarisch-archäologischer Sicht ebenso verwirrend wie nicht weiterführend.24 Es handelt sich um einen Glaskameo in bewusster Antikenrezeption.25 Da echte Kameen aus seltenen Lagensteinen als Unikate geschnitten wurden, bildete sich die Methode der Kopie in Glas heraus.26 Ein Kameo oder eine andere Vorlage, z.  B. ein Münzbild, konnte mit dem erhabenen Relief in einem Model abgedrückt werden.27 In unserem Fall muss eine spezielle Vorlage mit der Inschrift als Patrize eigens gefertigt und dann abgeformt worden sein. Der Mainzer Glaskameo ist daher nicht als Einzelanfertigung zu charakterisieren. Die so in kleiner, aber doch gewisser Anzahl gefertigten Glaskameen des 8. Jh.s mit Runeninschrift hatten eine andere Funktion und Zeitstellung als die nordischen Goldbrakteaten des 5. und 6. Jh.s und waren dazu bestimmt, in Fibeln eingesetzt zu werden. Dies legen andere Glaskameen

22 Bei Snijder 1933, 120 Abb. 1 ist das Stück auf dem Kopf stehend abgebildet. 23 Ament 2013, Abb. 4. 24 Noch weiter von der Sache führt der von Haevernick 1979, 162  f. benutzte Terminus „Glasmünze“. Die beste Charakterisierung der sog. fränkischen Glaskameen findet sich bei Krug 1998, 107–109. 25 Esch 2005 zur Thematik im weiteren Sinne. 26 Vgl. Babelon 1897; Zazoff 1983; Avisseau-Broustet 1997; Zwierlein-Diehl 2007, bes. 326–332 zu den Glasarbeiten und -pasten. 27 Weiß 1999.

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Abb. 7: Der 1902 in der Bauerngasse 13 in Mainz gefundene ovale Glaskameo aus grünlich weißer Masse mit dunkler Grundplatte und weißer Darstellung eines Meerwesens. Maße: L. 5,3cm, H. 3cm. Foto: GDKE Landesmuseum Mainz (Ursula Rudischer).

runder und ovaler Form nahe, deren Fibelfassung erhalten geblieben ist.28 Lindenschmit erkannte diese Funktion bereits und sprach in seinem Fundbericht von einem „Einsatz in eine Brosche“, ohne dass Fassungsreste bei der Auffindung vorhanden waren (Lindenschmit 1903, 219). Ament vermutet, „dass solche Fibeln vor allem westlich des Rheins getragen wurden“ (Ament 1993, 57). Der zweite Glaskameo ist bei Maßen von 5,3 × 3 cm in ovaler Form etwas größer und in der Masse zweifarbig (Abb. 2,2 und 7). Bei der Auffindung war der Glaskameo nicht irisiert. Die ovale Grundplatte ist von violettschwarzer Farbe und weist in opak mattweißer Glasmasse die erhabene Darstellung eines Meerungeheuers (ketos) auf. Grundplatte und figürliche Auflage sind separat gearbeitet.29 Die Zweifarbigkeit des Pseudokameos imitiert einen echten Kameo. Um die Darstellung des Meerwesens ist eine kranzartig angelegte Verzierung aus kleinen dreieckigen Goldplättchen vorhanden, die in die Glasmasse oberflächlich eingelegt sind.30 Glaskameen sind seit der Antike bekannt und waren sehr geschätzt. Die runde und einfarbige Kamee zitiert die Tradition der antiken Herrscherkameen.31 Der ovale und zweifarbige Kameo kann als Fortsetzung der antiken Kameen mit mythologischer Darstellung gesehen werden. Große antike Herrscherkameen waren im Frankenreich kaum im Original verfügbar, aber in ihrer Bedeutung hinsichtlich der Ikonographie des römisch legitimierten Herrschertums bekannt, wofür beispielsweise als späteres Zeugnis das um 1000 zu datierende Lotharkreuz mit dem Augustus im Profil nach links zeigenden Sardonyx-Kameo aus dem frühen 1. Jh. angeführt werden kann, das

28 Runder Glaskameo mit Fibelfassung: Dorestad, Hoogstraat I, Siedlungsfund aus der H ­ afengrabung (van Es/Verwers 1980, Taf. 11, Fig. 124,6; Gaut 2005, 555 [Liste 4]). Beispiele von ovalen Glaskameen mit ganz oder teilweise erhaltener Fibelfassung: Putten, Grab 62 (Ypey 1964, Abb. 21–22; Gaut 2005, 554 [Liste 3]); Vicherey (Gaut 2005, 554 [Liste 3]); Mertloch, Grab 51 (Ament 1993, Abb. 43; Gaut 2005, 554 [Liste 3]). 29 Ypey 1962; Werner 1969; Haevernick 1979, 164. 30 Ament 2013, Abb. 3. 31 Megow 1987; Bruns 1948; Möbius 1985.



Der Runen-Glaskameo aus Mainz 

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im Aachener Domschatz erhalten geblieben ist.32 Für das Frühmittelalter mag der Verweis auf das Eligiuskreuz33 und das uns noch zu beschäftigende Desideriuskreuz genügen. Zu betonen bleibt die hohe Wertschätzung originaler Gemmen und Kameen im Frühmittelalter.34 Im Merowingerreich war die Kunst des Steinschnitts und der -gravur unbekannt.35 Erst am Hofe Karls des Großen (768–814) blühte diese Kunstfertigkeit wieder auf, um im 10. Jh. wieder zu enden.36 Eine direkte Parallele zum Mainzer Kameo mit Inschrift und Büstendarstellung (Abb.  2,1 und 6) fehlt. Annähernd zur Darstellung auf dem runden Mainzer Glaskameo zu vergleichen ist das im Schutt der Kryptenverfüllung der Stiftskirche von St. Dionysius in Esslingen aufgefundene Kameofragment mit Herrscherbild nach rechts, das ebenfalls einen Buckelrand aufweist (grünweißes Glas, rund, ∅ 1,9 cm).37 Ein weiteres Kameofragment aus „flaschengrünem, transparenten Glas“ von der Ausgrabung auf dem Lorenzberg bei Epfach von noch 1  cm Höhe und 1,8  cm Breite ist oval zu ergänzen und zeigt den Kopf eines Herrschers mit Diadem im Profil nach rechts ohne Perlrand.38 Auf dem Fragment eines ovalen Glaskameos aus Karos-Eperjesszög II, Grab 56 ist eine nach links gerichtete Büste zu erkennen39. Die ovale Fibel von Vicherey (dunkle Grundplatte, Büsten weißlich, 5,7 × 4 cm) zeigt drei nach rechts gerichtete Herrscherbüsten, von denen die mittlere größer dargestellt ist (Burnand 1980, 430 Abb. 25 B) und m.  E. als von spätantiken Darstellungen angeregt angesehen werden kann. Weit qualitätvollere bichrome Glaskameen kommen am Lebuinus-Evangeliar in Utrecht mit zwei gefassten Exemplaren und am Desideriuskreuz in Brescia mit je einem Exemplar auf der Vorder- und der Rückseite vor40. Vergleichen lassen sich auch neun, 3,6 cm hohe und stärker transluzide monochrome Glaspasten am Desideriuskreuz mit nach rechts gewandter Profilbüste41, denen ein Stück unbekannter Herkunft aus der Königlichen Münzsammlung in Brüssel mit nach links gerichteter Profilbüste zur Seite gestellt werden kann.42 Stärker stilisierte und zu Linien und

32 Deér 1955, 48–110; Wibiral 1994. 33 Zwierlein-Diehl 2007, 260. 34 Jülich 1986/87. 35 Ament 1991; Päffgen 1992, 383  f. 36 Als Gesamtüberblick z.  B. Alcouffe 1984. 37 Stein 1966, Abb.  1,6; Haevernick 1979, 162 Abb.  4,1; Haevernick/Stein/Scholkmann 1995; Gaut 2005, 555 (Liste 4). 38 Werner 1969, 283 Taf. 53,10–11. 39 Europas Mitte um 1000. Kat. Mannheim 3 [Stuttgart 2000] 111Nr. 04.03.13; Prohászka 2007/08. 40 Snijder 1933, Taf. 14 Abb. 2–4. Hinzu kommt noch das Reliquiar im Museo Cristiano in Cividale (Conway 1919, 227 Abb. 5), auf das bereits H. Zeiß als Korrekturzusatz zu Snijder 1933, 124 Anm. 21 aufmerksam machte. Außer Büsten im Profil ist auf dem Reliquiar, das Ende des 9. bis frühes 10. Jh. angesetzt wird, ein Glaskameo mit einer Darstellung Mariens en face vorhanden. Wentzel 1962 fasste diese zweifarbigen Glaskameen zur Gruppe Brescia-Cividale zusammen. 41 Wentzel 1962; Wentzel 1963; Gaut 2005, 554. 42 Berghaus 1994, Abb. 71,2; Gaut 2005, 554.

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Kreuzdarstellungen aufgelöste Herscherbilder in Perlrandfassung sind von monochromen Glaskameen aus Kaupang (grünweißes Glas, rund, ∅ 2,1  cm)43, DorestadHoogstraat (grünweißes Glas, oval, in Fibel der Größe 7,2 × 5,5 cm)44 und MannheimSeckenheim (grünweißes Glas, oval, 2,5 × 1,9 cm, in Fibel der Größe 3,15 × 2,5 cm)45 bekannt; Ament führt diese Stilisierungen auf oströmische Solidi mit Kaiserbildern in Panzerbüste und mit einem Kreuzglobus en face zurück, wie sie etwa für Kaiser Justinian I. (527–565) bekannt sind.46 Die Herrscherbüste im Profil mit einem nach antiker Art bekränzten Haupt wäre nach Josef Déer im christlichen Kulturkontext immer nur als weltliche Herrscherrepräsentation zu lesen gewesen, da das Christusbild en face dargestellt worden sei.47 Ob dies wirklich so stimmt oder das Herrscherbild nicht doch auch im Sinne einer Christusdarstellung gedeutet worden sein kann, bleibt zu diskutieren. Im Merowingerreich jedenfalls dürfte das Kaiserbild auch generell für Christus gestanden haben können.48 Bei den in das 5. und 6. Jh. datierenden Goldbrakteaten mit Büste im Profil (A-Brakteaten) ist das Kaiserbild im Profil nach der Interpretation Karl Haucks zur Gottheit (Odin) umgedeutet worden49. Interessanterweise gibt es auch römische Kameen, die Angehörige der Herrscherfamilie mit erkennbaren Porträtzügen als Götter darstellen.50 Der ovale Glaskameo aus Mainz zeigt ein mythisches Meerwesen (ketos) nach rechts im Profil. Das Motiv des Meerungeheuers fand bekanntlich bereits im 5. Jh. als Umsetzung in die „germanische Kunst“ Eingang51. Die beste Parallele bietet der schon Lindenschmit bekannte Grabfund aus Mertloch auf dem zwischen Mittelrhein und Mosel gelegenen Maifeld (blauschwarze Grundplatte, ketos nach links in weiß, 6,5 × 4,2).52 Hinzu kommen zwei weitere Grabfunde aus Vicherey, Dép. Vosges (dunkle Grundplatte und ketos in weiß, 7,0 × 4,5 cm)53 und Putten, Grab 62, Prov. Gelderland (violette Grundplatte und ketos nach rechts in weiß, 6,2 × 4,2 cm).54 Als Siedlungsfunde sind ovale Psedokameen mit der Darstellung des Meerwesens als Altfund aus der Rosenbadgasse

43 Gaut 2005. 44 van Es/Verwers 1980, Taf. 11, Fig. 124,6; Gaut 2005, 555 (Liste 4); Ament 2013, Abb. 2. 45 Wirth 2012. 46 Ament 2012; Ament 2013, Abb. 1. 47 Deér 1955, 57. 48 In Pressblech abgeformter Kaiserkopf als Sinnbild Christi: Klein-Pfeuffer 1993, 208  ff. Abb. 67. 49 Hauck 2011. 50 Z.B. der stehende Claudius mit den Attributen des Jupiter, Lagenachat, 5,1 × 4,0 cm im Art Institut of Chicago; Ivilla oder Drusilla als Pax mit Kerykeion und Füllhorn, Lagenachat, 9,5 × 7,8 cm, im Museum Schaffhausen. 51 Z.B. Werner 1949; Haseloff 1973. 52 Bei Lindenschmit 1903 verschrieben zu Mettlach.  So dann auch bei Snijder 1933, 120 Taf. 14 Abb. 6. –Zum Stück: Haevernick 1979, 163 Nr. 3 Abb. 4,5; Ament 1993; Gaut 2005, 554. 53 Burnand 1980, 430  f. Fig. 25A; Haevernick/Stein/Scholkmann 1995, 420; Gaut 2005, 554. 54 Haevernick/Stein/Scholkmann 1995, 421; Gaut 2005, 554.



Der Runen-Glaskameo aus Mainz 

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in Straßburg (Fragment, blauschwarze Grundplatte und ketos nach links in weiß, noch 3 × 3 cm, ursprünglich etwa 5–7 cm)55 und als Grabungsfund des Jahres 1980 aus Wijk bij Duurstede/Dorestad (Fragment, blaurote Grundplatte und ketos nach links in weiß, ca. 5,2 cm)56 zu nennen. Nach den Beobachtungen von Jaap Ypey am Puttener Exemplar sind die weiße Tierdarstellung und die Grundplatte separat gegossen und dann fixiert (Ypey 1964, 141). Zu vergleichen sind wiederum vier Glasflüsse von 2,8 cm auf dem Desideriuskreuz, die jeweils ein geflügeltes Seewesen zeigen.57

Datierungsfragen Leider ist nicht hinreichend klar, ob die in der „schwarzen Schicht“ der Bauerngasse entdeckten Fundstücke (Beinkamm, Kreuzfibel, die beiden Glaskameen und der Riemenverteiler) wirklich eine Einheit gleichzeitiger Deponierung darstellen (Abb.  2). Ein Argument in diese Richtung gibt die Tatsache, dass auch andernorts beide Glaskameoformen in einem Kontext zusammen vorkommen (Esslingen). Noch nicht diskutiert ist bislang der Beinkamm. Der Zeichnung im Inventarbuch zufolge handelte es sich um einen einzeiligen Kamm langrechteckiger Form (Abb. 2,5). Er besaß eine oder drei (?) Durchbohrungen am Kopf und wies am Kopfende eine dreieckige Aussparung auf. Solche aus einem Langknochen (metacarpus, metatarsus) von Pferd oder Rind gefertigte Steil- oder Langzinkenkämme waren als Steckkamm für das weibliche Haar zu verwenden. Man hat aber auch an eine handwerkliche Nutzung bei der Keramikverzierung, als Webkamm oder als Riffelkamm bei der Flachsbearbeitung gedacht. Entgegen der Einschätzung Lindenschmits ist diese Kammform nicht chronologisch empfindlich, sondern vom Früh- bis Spätmittelalter anzutreffen.58 Eher selten begegnen Steilkämme in Grab- und Siedlungszusammenhängen fränkischer Zeit.59 Chronologisch relevant sind besonders die Fibeln.60 Mechthild Schulze-Dörrlamm hat sich für eine Datierung des Fundkomplexes in das späte 8. bis 9. Jh. ausgesprochen.61 Der Datierungsfrage sei hier noch etwas detaillierter nachgegangen.

55 Forrer 1927, 755  f. fig. 549; Ypey 1964, Abb. 38,2; Gaut 2005, 554. Haevernick 1979, 164 Nr. 5; 171 Abb. 4,7. 56 Haevernick 1979, 164 Nr. 6, 171 Abb. 4,8–9; Gaut 2005, 554. 57 Snijder 1933, Taf. 15 Abb. 2; Wentzel 1962, Abb. 6; Gaut 2005, 554. 58 Lampe 1980, bes. 197; Teegen 1981; Ulbricht 17–36; May 1992, bes. 310 (Webkamm); Ermischer 1997 (zur Wollverarbeitung dienend); Schmidt 1999, bes. 120; Teuber/Heege 2002. Zusammenfassend: Richter 1994. 59 Ament 1976a, Taf. 9,6 (Mayen, Gräberfeld „Auf der alten Eich“); Janssen 1967, 22 Abb. 30 (aus der fränkischen Siedlung Gladbach bei Neuwied). 60 Als Übersicht zu Fibeln der Karolingerzeit: Wamers 1994b. 61 Schulze-Dörrlamm 2013, 92.

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Kreuzfibeln aus Grabkontexten sind vor allem aus der Stufe JM II (= jüngere Merowingerzeit) nach Hermann Ament bekannt, zeigen aber im Detail andere Formen.62 Das Mainzer Exemplar (Abb.  2,3) weist wie schon die noch merowingerzeitlichen Exemplare einen betonten Mittelbuckel auf, unterscheidet sich aber durch die höhere Form, die Eckrundeln und die Art der mitgegossenen Ornamentik und dürfte in das 8. Jh. zu setzen sein.63 Die Datierungsfrage zu den Glaskameen ist komplizierter. In der archäologischen Forschung haben sich, nachdem ein früher Zeitansatz in das 7. Jh., wie ihn Snijder und Ross vertraten64, als nicht haltbar erwiesen hatte, unterschiedliche Positionen einer späteren Zuweisung herausgebildet. Ausgehend von Grabfunden mit Glaskameofibeln wird zumeist eine Datierung in die ausgehende Merowingerzeit des späten 7. bis früheren 8. Jh.s vertreten.65 Auch der Kunsthistoriker Hans Wentzel sprach sich aus stilistischen Erwägungen nach seiner Beschäftigung mit frühmittelalterlichen Glasarbeiten für einen Zeitansatz „um 700“ aus.66 Frauke Stein datierte die beiden Glaskameofragmente aus der Kirchengrabung von St. Dionysius in Esslingen zunächst um die Mitte des 8. Jh.s (Stein 1966). Detlev Ellmers betonte gegenüber Haevernick, dass im Hinblick auf das Mainzer Stück und dessen von Jaap Ypey vorgeschlagener Datierung „um 800“ die Runenverwendung in dieser Zeit auszuschließen und aus seiner Sicht im Hinblick auf Parallelen im Fundgut des 7. Jh.s deutlich früher anzusetzen, vielleicht aber auch noch im 8. Jh. möglich sei.67 Vor allem wegen der Verwandtschaft mit den Münzfibeln und Pseudomünzfibeln der Karolingerzeit vertritt dagegen eine Gruppe von Archäologen einen anderen Zeitansatz in das späte 8. bis 9. Jh.68 Für die Gewinnung einer Datierung führt die Suche nach einem umgesetzten Münzvorbild weder am Mainzer Glaskameo noch für die gesamte Gruppe der Glaskameen mit Herrscherbild im Profil weiter. Festzuhalten bleibt allenfalls eine gewisse Nähe zu Trienten des 6. bis 7.  Jh.s, obwohl sich bereits dezidierter hinsichtlich der konkreten Umsetzung von Münzvorbildern ausgesprochen wurde. So hat Snijder für die neun monochromen Glaskameen am Desideriuskreuz die Herleitung von Münzen

62 Ament 1976b, 308 Anm. 57; Ament 1993, 55  f. 63 Stein 1967, 97  f.; Sippel 1989, 167  ff.; Bierbrauer 1984; Wamers 1994a, 134  ff.; Wamers 1994b; Bunte 2013, 101–102. 64 Snijder 1932 und 1933 hob darauf ab, dass diese Glaskameen an frühmittelalterlichen Goldschmiedearbeiten karolingischer und vorkarolingischer Zeitstellung zum Teil in gesicherter Zweitverwendung vorkommen. Ross 1965, 124–126 argumentierte über die Goldscheibenfibeln des 7.  Jh.s mit Kameen und Gemmen, nahm langobardenzeitlichen Steinschnitt in Italien im 7. Jh. an und setzte die Glasimitate zeitgleich. 65 Ament 1993. - Werner 1954, bes. 28, vertrat eine Datierung in die zweite Hälfte des 7. Jh.s. 66 So Wentzel 1962 und Wentzel 1963 für die Gruppe Brescia-Cividale. Vgl. auch das Urteil von H. Wentzel in: Fehring 1966, 370 Anm. 51 für die Glaskameofibeleinlagen nördlich der Alpen. 67 Ypey 1964, 139; D. Ellmers, in: Haevernick 1979, 168 mit Anm. 30. 68 Haevernick/Stein/Scholkmann 1995; Frick 1992/93; Spiong 2000; Gaut 2005 plädiert hinsichtlich der Kameen mit Herrscherbild für einen Zeitansatz von 750/775–800/825 n. Chr.



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Justinians aus Rom versucht (Snijder 1932, 46). Ross begründete seine Datierung und Werkstattlokalisierung mit der langobardischen Münzprägung des 7.  Jh.s, gab aber auch zu bedenken, dass ein direktes Vorbild nicht zu benennen sei (Ross 1965, 125  f.). Der speziell zum Mainzer Exemplar von Ypey und Haevernick bemühte Vergleich mit dem Münzbild Ludwig des Frommen vermag ebenfalls nicht zu überzeugen.69 Noch nicht hinreichend untersucht sind die etwaigen Beziehungen der Glaskameen zu den gläsernen Münzgewichten im frühbyzantinischen Raum, die wohl vor allem im 6. Jh. zu finden sind.70 Arabische Glasgewichte sind aus dem 8. Jh. bekannt.71 Auch spätantik-frühbyzantinische Glasanhänger rundlicher Form wären zu vergleichen.72 Aus kunstgeschichtlich-kunstgewerblicher Sicht wird vor allem mit dem Desideriuskreuz im Museo di Santa Giulia in Brescia argumentiert; auf dem etwa einem Meter hohen Vortragekreuz befinden sich zwei Arten von verwandten Glasarbeiten. Zum einen handelt es sich um zwei zweifarbige Glaskameen mit einem männlichen und einem weiblichen Brustbild im Profil; zum anderen 17 einfarbige, zumeist stärker transluzide Glaskameen. Auch hier ist eine einhellige Datierung nicht gegeben. Der von Snijder in die Diskussion gebrachte und zuletzt noch von Ross vertretene Ansatz in das 7.  Jh. ist nicht zu halten.73 Auch die traditionell vertretene Zuweisung des Kreuzes an den Langobardenkönig Desiderius (reg. 757 bis 774) wird heute zumeist kritisch gesehen. Hans Wentzel setzte das Kreuz als familiäre Stiftung aus dem Umfeld des Langobardenkönigs „um 800“ an. Damals seien die zweifarbigen Glaskameen, für die er eine Datierung „auf die Zeit um 700 oder die erste Hälfte des 8. Jh.s“ vertrat,74 zusammen mit den als „Lückenbüßer für die Kreuzrückseite“ gegossenen 17 einfarbig-transluziden Glaskameen und anderen Stücken montiert worden.75 Ob ein solcher chronologischer Unterschied für die beiden Arten von Glaskameen besteht, bleibt ungewiß. Auch die Datierung des Kreuzes selbst wird vom 8. bis späteren 9. Jh. unterschiedlich gesehen.76 Besser datiert ist noch in das 7. Jh. durch seine Stiftungs-

69 Ypey 1962; Haevernick/Stein/Scholkmann 1995, 419. 70 Dalton 1901, 133–135 Nr. 660–685. 71 Miles 1963, 77–87; Balog 1981. 72 z.  B. Dalton 1901, 137–138 Nr. 697–706. 73 Snijder 1932; Ders. 1933; Ross 1965, 124–126. 74 Wentzel 1963, Sp. 758. 75 Wentzel 1963, Sp. 759  f. 76 Zur Problematik der Datierung des Kreuzes und seiner 212 Kameen, Gemmen, Glaspasten und sonstigen Einlagen (u.  a. einem spätantiken Goldglas und einer Alsengemme): Wentzel 1962; Wentzel 1963; Jülich 1986/87, 153–157 Farbtaf. II–III; Sena Chiesa 1995, bes. 432  f.; Sena Chiesa 1997; Sena Chiesa 2001; Sena Chiesa 2002, bes. 163  f. u. 181–218; Gaut 2005. – Die Spätdatierung des sog. Desideriuskreuzes ergibt sich über die mit vorkommenden gravierten Bleikristalle, die erst um die Mitte des 9. Jh.s anzusetzen sind, vgl. zu den spätkarolingerzeitlichen Bleikristallgemmen und -siegeln Kornbluth 1995, 119.

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inschrift das Theudericus-Reliquiar von St. Maurice d´Agaune, das mittig einen nach antikem Vorbild gearbeiteten, zweifarbigen Glaskameo mit Büste nach links zeigt.77 Deutlich wird m.  E. in erster Linie ein Problem der unterschiedlichen Argumentation über differierende Quellengattungen wie archäologische Siedlungs- und Grabfunde, Runeninschriften und kunsthistorische Realia. Die Stütze der „Frühdatierung“ liefern drei linksrheinisch im Milieu der ausgehenden Merowingerzeit vorkommende Grabfunde, denen es aber an einer aussagekräftigen Vergesellschaftung mit anderen Beigaben fehlt, was im Horizont der aussetzenden Beigabensitte kaum verwundern kann.78 Ament betont daher, „dass keines der Vergleichsstücke mit letzter Präzision datiert werden kann“, stellt aber heraus, dass „sich die Indizien für eine Einordnung in den JM-III Horizont“ summieren (Ament 1993, 57). Das Gräberfeld «Haut de la Grève» im lothringischen Vicherey, Dép. Vosges, wurde M. Michler zufolge vom 7. Jh. bis an das Ende des 8. Jh.s belegt.79 Von Bedeutung ist hier das Gräberfeld von Putten, das vom 6. bis 8. Jh. belegt wurde. Vertreten ist dort mindestens noch der Horizont der Waffengruppe C nach Frauke Stein. Das Frauengrab 62 von Putten wird von Frauke Stein dem „Gräberfeldareal des 8. Jh.s“ zugerechnet (Stein 1967, 61). Vergesellschaftet waren im Frauengrab mit der ovalen Pseudokameofibel eine Pressblechfibel mit münzartiger Darstellung von 2,6 cm Durchmesser, ein sächsisches Tongefäß und ein eiserner Stab von 13,4 cm (Ypey 1962/63, 118). Eine Datierung des Grabfunds von Putten ist bis um die Mitte des 8. Jh.s gut vorstellbar, wenngleich hinsichtlich des Belegungsendes immer noch Klärungsbedarf besteht.80 Von diesen drei Belegen aus Grabzusammenhängen sind wiederum zwei weit entfernte Fundorte außerhalb des Frankenreichs zu unterscheiden. Ebenfalls aus alt geborgenem, kaum näher datierbarem Grabzusammenhang stammt ein Glaskameo ohne Fassungsspuren aus dem im späten 8. und im 9. Jh. bedeutenden Handelsplatz Kaupang in Norwegen.81 In das 10. Jh. anzusetzen ist ein magyarisches Frauengrab der sog. Landnahmezeit aus Karos-Eperjesszög II an der oberen Theiß,

77 Wentzel 1962, Abb.  7; Moosbrugger-Leu 1971, Farbtafel D; Roth 1986, 261 Nr.  1; Antonini 2004; Zwierlein-Diehl 2007, 259. – Ein 3x4,5 cm großes, Vergleichsstück mit der Darstellung einer weißlichen Frauenbüste im Profil n.l. auf grüner Grundplatte in der Dumbarton Oaks Collection stammt aus dem Kunsthandel mit Herkunftsangabe „Constantinopel“: Ross 1965, 124–126 Nr. 173 Taf. 86; Evison 2008, 26. Ähnlich hierzu auch der ovale Glaskameo aus der Abtei von Whitby, dessen Darstellung entweder als jugendlicher Christus oder treffender als Frauenbüste nach antikem Vorbild gedeutet wird: Peers/Radford 1943, bes. 55 Taf. 28 b; Jennings 2005, bes. 208; Evison 2008, 26 Nr. 218. 78 Grabfunde mit Glaskameofibeln: Putten, Grab 62 (Prov. Gelderland, NL): Ypey 1962/63, 120  f. Abb. 21 A und 22; Haevernick 1979, 163 Nr. 4 Abb. 4,6; Vicherey, Dép. Vosges, Gräberfeld des 7.–8. Jh.s: Burnand 1980, 430 Abb.  25 A-B (zwei unterschiedlich große Exemplare); Mertloch, Altfund, ohne überlieferten Grabkontext aus dem Gräberfeld: Haevernick 1979, 163 Nr. 3 Abb. 4,5; Ament 1993. 79 Michler 2004, 370. Das Grab mit den beiden Glaskameofibeln wurde von Burnand 1980, 430  f. zu früh in das 7. Jh. angesetzt. 80 Gaut 2005, 554 mit Datierung in das mittlere Drittel des 8. Jh.s. 81 Gaut 2005 betont, dass nur wikingerzeitliche Grabfunde des 9. bis 10. Jh.s aus Kaupang bekannt



Der Runen-Glaskameo aus Mainz 

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das ein ovales Glaskameofragment aufwies und sekundär als Anhänger in Draht gefasst war.82 Prinzipiell ist auch die Buckelzier des Randes der Mertlocher Fibelfassung und der mitgegossene Perlrand der Mainzer Fibeleinlage mit Runenschrift schon in der ausgehenden Merowingerzeit vorstellbar. Zu nennen sind hier etwa vergleichsweise runde Filigranscheibenfibeln mit äußerer Buckelzierleiste.83 Der ovale Umriß der Mainzer und Mertlocher Glaskameo-Fibeln ist im Formenkanon der Merowingerzeit ungewöhnlich. Nach H. Ament sind ovale Fibeln in der Stufe JM II noch nicht üblich, sie kommen dann in Stufe JM III vor.84 Noch schwieriger feinchronologisch zu fassen sind die Siedlungsfunde der Glaskameen. Für die Fundbeobachtung in der Bauerngasse in Mainz kann die Überlieferung aufgrund stratigraphischer Beobachtungen und mitgefundener Gegenstände noch als vergleichsweise günstig eingestuft werden. Für das monochrom-transluzide Fragment vom Lorenzberg bei Epfach ist zu betonen, dass dort im 8.  Jh. quasi ein Nebensitz des Augsburger Bistums bestand; Bischof Wikterp (amtierend 738–772) wurde in Epfach in der Marienkirche bestattet.85 Aus dem Grabungskontext ergab sich am Lorenzberg nur eine Datierung in das Frühmittelalter86; vergleichend setzte Joachim Werner den Epfacher Fund in die Mitte des 8. bis Mitte 9. Jh.s an und betonte für den Mainzer Fund die größere Nähe zu den zweifarbigen Ovalkameen mit Meerwesen, die er etwas früher dem 8. Jh. zurechnete (Werner 1969, 284). Bei der Kirchengrabung in St. Dionysius in Esslingen stammen beide Glaskameen aus der erst in spätromanischer Zeit eingebrachten Verfüllung der Krypta des im späten 9. Jh. errichteten Vorgängerkirchenbaus St.  Vitalis II. Dass das Fragment mit dem nach rechts gerichteten Herrscherbild deutlich älter anzusetzen sei als die spätkarolingische Krypta vermutete Frauke Stein im Vergleich mit Grab S339, das eine Scheibenfibel mit ähnlichem Herrscherbild aufwies. Sie sprach sich für eine Datierung des zum ältesten Kirchenbaus St. Vitalis I gehörigen Grabs und des Glaskameofragments aus der

sind und setzt das Grab mit der Fibeleinlage in den frühesten wikingerzeitlichen Belegungshorizont um 800 oder das frühe 9. Jh. an. 82 Prohászka 2007/8. Auch originale Kameen wurden im Frühmittelalter vergleichbar als Anhänger gefasst, wie ein Fundstück aus Epsom in Surrey mit Kameo (Profilkopf) zeigt: Webster/Backhouse (eds.) 1991, 54 Nr. 35. 83 Ament 1993, 44 zu den Mertlocher Exemplaren Abb. 34,1–2 und 34,6 und ihrer Einordnung. 84 Stein 1967, 61; Ament 1993, 44; Klein-Pfeuffer 1993, 59. Vgl. dazu auch das Kirchengrab von St. Severin in Köln III,99 (Päffgen 1992, Bd. 1, 383–384 mit Abb. 141; Bd. 2, 278 Taf. 58,5) mit einer antiken Original-Gemme in ovaler Fassung. 85 Zoepfl 1955; Schmid 1964; Werner 1969, 276  f. („Epfach als Sitz Bischof Wikterps“). 86 Das Fundstück kam in Schnitt K 10, im Westbereich von Bau II, in 1,34 m Tiefe zutage und stammt wohl aus der Abbruchschicht des spätantiken Baus I bzw. der Planierschicht für Bau II: Werner 1969, 131  f., 142–144, 272–275 Abb. 102. Für Bau II betonte Werner 1969, 275  f. über Keramik unter dem Bauhorizont als terminus post quem das 8. Jh.

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späteren Kryptenverfüllung „um 750“ aus.87 Im Vergleich zu den übrigen Glaskameen kam auch die Glasforscherin Thea Elisabeth Haevernick zunächst auf eine Datierung in das 8. Jh. (Haevernick 1979). Diesen Ansatz korrigierte sie dann in der Grabungsmonographie mit Verweis auf die Münzbildbroschen Ludwigs des Frommen in das 9.  Jh. (Haevernick/Stein/Scholkmann 1995, 419). In Mannheim-Seckenheim dauern die Untersuchungen des frühmittelalterlichen Wüstungsareals immer noch an; die Keramikfunde aus dem 2009 ausgegrabenen Grubenhaus mit der Glaskameofibel sollen nach Durchsicht von Uwe Groß einer Datierung in das 8. oder frühe 9. Jh. nicht widersprechen (Wirth 2012). Chronologisch relevant ist auf der Mainzer Ovalfibel das Zierdetail der aufgeschmolzenen Goldplättchen. Durch die randlich aufgelegten dreieckigen oder auch rautenförmigen Goldflitter konnte die Wirkung der bichromen Glasarbeit gesteigert werden88. Diese markante Zierweise kommt auch auf den Ovalfibeln von Dorestad, Putten, Mertloch, Vicherey, Straßburg und Esslingen sowie den neuer bekannt gewordenen Funden von Rheine89 und Karos-Eperjesszög II vor. Mit Hermann Ament ist zu betonen, dass diese Zierweise vor dem 8.  Jh. nicht vorkommt (Ament 1993). Außer an den ovalen Glaskameen, die durch die kleinen Goldfolien polychrom aufgewertet werden, ist diese Zierart an Perlen und Glasgefäßen zu beobachten. Relativ früh ist das Zierdetail auf Perlen aus Grab 10 in Lahr-Burgheim zu bewerten.90 Wertvolle mediterrane Glasgefäße des 8.–9. Jh.s, die als Prestigegüter zu bewerten sind, weisen Goldfolien auf, die wohl für die Glaskameen als die verzierungstechnischen Vorbilder anzusehen sein dürften und zumeist geometrische, seltener pflanzliche Muster zeigen.91 Ein Produktionsnachweis für solche Glasarbeiten liegt aus dem Kloster San Vincenzo al Volturno (Benevent) vor.92 Aus Paderborn stammt ein so dekoriertes Glasgefäßbruchstück aus einer nach 778 n. Chr. zu datierenden Schicht.93 Aber auch die Aufwertung von Glaskameen durch die Verwendung von Gold reicht bereits in die Antike zurück, was in diesem Zusammenhang gern übersehen, aber im Sinne einer Kontinuität wichtig ist.94

87 Stein 1966, 382  f. 88 Lundström 1971, 62 Abb. 5; Hävernick 1979, 163  f. Abb. 4, 5–10; Spiong 2000, 43; Schulze-Dörrlamm 2005, 191 Taf. 2,22. 89 Kersting 2005, 44. 90 Stein, Germania 44, 1966, 382; Zeitstufe JM III: Ament 1993, 116 Anm. 121. 91 Lundström 1971, 53 Abb. 1–2; Stevenson 1999, 180 Nr. III.89. Eine Verbreitungskarte von Glasgefäßen mit aufgeklebten, ungeschützten Metallfolien des 8./9. Jh.s hat Schulze-Dörrlamm 2005 zusammengestellt. Abb. 6 mit Fundliste S. 368. Vgl. auch Evison 2008, 26. 92 Stevenson 1997, 132 Abb. 7. 93 Lundström 1971, bes. 53 Abb. 2; Stevenson 1999, 180. 94 So zeigt der knapp 5 × 6 cm große Glaskameo mit dem Porträt eines Angehörigen des julischen Kaiserhauses (Drusus maior ?) im Kunsthistorischen Museum in Wien (Antikensammlung, Inv.-Nr. IXa 30), der nachweislich von einem Originalkameo des Herophilos, Sohn des Dioskurides, abgeformt ist,



Der Runen-Glaskameo aus Mainz 

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Eng verwandt, aber in der antiquarischen Klassifikation doch anders einzuordnen sind die im wesentlichen zeitgleich anzusehenden Münzfibeln und Pseudomünzfibeln, die im späten 7. Jh. bzw. um 700 im spätmerowingerzeitlichen Fundhorizont beginnen95 und im 9. Jh. mit den gefassten und nachgeahmten Münzen Kaiser Lothars begegnen.96 Während die Fibeln der ausgehenden Merowingerzeit Bestandteil der Frauentracht waren, nimmt man für die karolingerzeitlichen Münz- und Pseudomünzfibeln an, dass sie eher am Männermantel Verwendung fanden und auf das fränkisch-weströmische Kaisertum zu beziehen sind97. Zu betonen bleibt, dass nur Frauengräber mit Pseudokameofibeln bekannt sind. Mediterrane Münzfibeln mit gefassten byzantinischen Solidi oder arabischen Silbermünzen sind aus der Mitte des 9. J ahrhunderts von den Küsten der Nord- und Ostseegebiete bekannt (SchulzeDörrlamm 1999, Abb. 10). Die von Sven Spiong gefertigte Verbreitungskarte der Fibeln zeigt Schwerpunkte im Rheinmündungsgebiet und im friesischen Nordseeküstenraum (Spiong 2000, 192  ff. Karte 24). Die Datierung setzen Frick und Spiong später, d.  h. bis in das 10. Jh. an (Frick 1992/93; Spiong 2000). Die Pseudomünzfibeln weisen häufiger ein vereinfacht dargestelltes Brustbild – zumeist ohne Umschrift – und einfachem Perl- oder Leistenrand auf.

Vorbilder, Bildinhalt und Werkstattfrage Trotz der Verwandtschaft zu den Münz- und Pseudomünzfibeln bleibt bei den hier betrachteten gläsernen Pseudokameen die sehr bewusste Umsetzung von Darstellungen von Personen der kaiserlichen Familie des römischen Reiches und das Anknüpfen an die Materialität antiker Kameen hervorzuheben.98 Der Bestand an antiken Originalkameen war begrenzt und exklusiv. Die Langobardenkönigin Theodolinde (reg. 589–627) ließ acht antike Kameenbüsten auf einen Buchdeckel applizieren, der sich mit noch sechs erhaltenen Büsten im Domschatz von Monza befindet.99 In dieser Tradition der Zimelienverwendung im Bereich der prestigeträchtigen Sakralkunst steht die frühmittelalterliche Verwendung von Glaskameen an Reliquiaren wie in St. Maurice d´Agaune und Cividale, dem Desideriuskreuz in Brescia und Bucheinbänden wie in Utrecht.

wie aus der Signatur hervorgeht, eine Goldblattauflage versehen, von der sich Reste an den Spitzen des Lorbeerkranzes erhalten haben. Vgl. Kenzler 2009, 323 Kat. Nr. 5.23. 95 Hierher gehören die wiederum aus dem Mertlocher Gräberfeld bekannten beiden Pseudomünzfibeln: Ament 1993, 53 Abb. 38,1 u. 3; vgl. Klein-Pfeuffer 1993, 208  ff. Abb. 67. 96 Frick 1992/93; Berghaus 1994; Schulze-Dörrlamm 1999, 271–288; Gendre/Hollard 2005, 163; Dieke 2003. 97 Schulze-Dörrlamm 1999; Dies. 2002. 98 Krug 1998, 107–108. 99 Busch 1988, 330  f. Nr. 113.

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Aber auch der Kameo als Fibeleinlage besitzt frühmittelalterliche Tradition, so dass eben nicht primär Münzfibeln als Vorbilder anzusehen sind. Dahinter steht letztlich auch das Motiv der spätantiken Kaiserfibeln mit Steineinlage.100 Die Goldfibel aus dem Reihengräberfeld von Charnay-lès-Chalon, Dép. Saône et Loire, die in das frühere 7.  Jh. gehört, weist ein antikes dreilagiges Chalzedonköpfchen als Einsatz auf.101 Hinzu kommt die Goldscheibenfibel aus dem Gräberfeld «Auf der Leimenkaut» bei Mölsdorf, Kr. Alzey-Worms, Rheinland-Pfalz, mit einem Achat-Kameo-Köpfchen (Medusenhaupt).102 Anzuschließen sind Goldscheibenfibeln, die antike Steine, zumeist Gemmen, als Einlage wiederverwenden.103 Auch aus dem langobardischen Italien sind Goldscheibenfibeln des 7. Jh.s mit mittiger Kameoeinlage bekannt.104 Zum Bildinhalt war natürlich entscheidend, wer das Profilbild auf dem Mainzer Glaskameo betrachtet hat. Ein christlicher Rheinfranke müsste im 8. Jh. ein idealisiertes Herrscherbild aus antiker Bildtradition erkannt haben, im übertragenen Sinne und trotz der Profildarstellung vielleicht auch Christus. Einem Betrachter mit heidnischem (oder synkretistischem) Hintergrund wäre das Bild vielleicht als Odin eingängig. Zu thematisieren bleibt auch noch die Werkstattfrage der hier behandelten Glaskameen, die ebenfalls unterschiedlich gesehen wird.105 Die ovalen Exemplare aus zweifarbiger Glasmasse und mit Golddekor stellen – wie oben ausgeführt – mit

100 Schmauder 1999, 123  ff. 101 Baudot 1857–60, 167 Taf. XII,1; Vierck 1974, Abb.  5, 1; Roth 1986, xxx; Guide Musée 1989, 239 Nr. 187 mit Abb.; Graenert 2007, 237  f. Nr. III, 31d. 102 Zeiß 1931, Taf. 14–15; Koch 1935, 205  ff.; Roth 1986, Taf. 34; Graenert 2003, Nr. II 55; Ament 2010. Fälschlich hat Ross 1965, 124–126 die Kameen auf den Fibeln von Charnay und Mölsheim für Steinschnittarbeiten des 7. Jhs, gehalten. 103 Rademacher 1940, 63 Taf. 1 (FO.: Kobern; ovale Sardonyx-Gemme mit Darstellung des Mars) und 80 Taf. 29 (FO.: Hönningen; Sardonyx-Gemme mit Darstellung der Victoria); auch Gränert 2007, Nr. II 32 (FO.: Hönningen), II 41a (FO.: Kobern), Nr. II 68 (FO.: Quedlinburg; ovale Achat-Gemme mit Darstellung des Apoll); Nr. II 85 (FO.: Wonsheim; ovale Onyxgemme, Darstellung unkenntlich); Nr. IV 4 (FO.: Aesch; Fragment einer ovalen Glasgemme?) und Nr. VII 9 (FO.: Bassins, Kanton Waadt, ovale, rote Achatgemme mit bärtigem Kopf im Profil). Vgl. auch Ament 1991. 104 Z.B. als Grabfund aus Benevent im Ashmolean Museum in Oxford: Bierbrauer 1991, Abb. 9 auf Farbtaf. zwischen S. 40 u. 41; Graenert 2007, 307 Nr. VI,2 Taf. 18,4. – Ross 1965, 123  f. Nr. 171 Taf. 86 (FO.: Italien; grauweißer Lagen-Achat-Kameo mit Pfauen-Darstellung). – Im Metropolitan Museum of Art in New York befindet sich eine Goldscheibenfibel aus Italien mit ovalem, dreilagigen Kameo, der eine Wagenfahrt zeigt. 105 Snijder 1932 und 1933 hielt nur die Pseudokameen am Desideriuskreuz für „langobardisch“, ansonsten nahm er (ohne Kenntnis des Reliquiars in Cividale) das Merowingerreich mit Werkstätten in Gallien oder am Rhein als Herkunftsraum für die Glaskameen in den Kirchenschätzen von St. Maurice d´Agaune und Utrecht sowie für die ihm bekannten Funde aus dem Mainzer Landesmuseum und dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg an. Dagegen Ross 1965, 125: „the majority of these glass pastes were made in one region, probably northern Italy”. Vgl. auch Evison 2008, 26: “There is not enough evidence to determine whether the Whitby cameo was a product of the Byzantine-Lombardic world or the Rhineland”.



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großer Wahrscheinlichkeit mediterrane Arbeiten dar.106 Dies gilt wohl ebenfalls für die bichromen Glaskameen mit männlichen und weiblichen Büsten im Profil, wie sie am Deckel des Lebuinus-Evangeliars in Utrecht, der Vorder- und Rückseite des Desideriuskreuzes und am Reliquiar in Cividale vorkommen.107 Davon zu trennen sind die monochromen Glaspasten. Frauke Stein hielt es bei der Behandlung der Esslinger Funde für möglich, dass Münzbildfibeln und die Glaskameofibeln mit Herrscherbild in gleicher Werkstatt im Frankenreich entstanden (Stein 1966, 382  f.). Gaut hat die runden Fibeleinlagen mit Herrscherbild einer fränkischen oder friesischen Werkstatt zugeschrieben (Gaut 2005). Die Lokalisierung der Werkstatt der Mainzer Fibeleinlage mit Runeninschrift ist für die Runenforschung von Bedeutung. Ergänzend zu Gauts Zuschreibung ist eine Einschränkung zu machen. Da sich in Friesland keine nennenswerte Glasproduktion nachweisen lässt, kommt m.  E. der linksrheinische Raum zwischen Köln und Mainz oder die Landschaft an Mosel und Maas am ehesten für die Lokalisierung der Fibeleinlagen in Frage. Dass es in Mainz im 8. Jh. Glasproduktion gab, lässt sich historisch erschließen, da im Jahr 764 ein englischer Abt seinen in Mainz als Bischof amtierenden Landsmann, den aus Wessex gebürtigen Lullus bat, er möge ihm doch einen Glasmacher aus seiner Diözese schicken.108 Die Existenz eines solchen weit gespannten überregionalen Austauschs von Personen und Gütern belegt übrigens archäologisch auch der Mainzer Fund eines 2,4 cm großen Goldfingerrings mit gewölbter Zierplatte und nielliertem Kreuzdekor im angelsächsischen Trewhiddlestyle des späten 8. Jh.s (Schulze-Dörrlamm 2009, Abb. 8a). Als Auftraggeber für eine kleine Serie von solchen Fibeln mit Glaskameo-Einlage und Runen wird man sich im Rhein-Maas-Mosel-Raum am ehesten friesische Händler vorzustellen haben.109 Diese besaßen zumindest bekanntlich in der Karolingerzeit am Rhein regelrechte Stadtquartiere in Duisburg, Köln oder Worms. Sie betrieben Austausch nach Norden; früh belegt ist die friesische Händlerkolonie in York in den 760er Jahren.110 In Mainz befand sich das Friesenviertel in bester Lage (optima pars) wohl in unmittelbarer Rheinnähe, wie es in den Annales Fuldenses anläßlich seiner Zerstörung durch einen Brand im Jahr 886 heißt.111

106 Anders Werner 1969, 284, der auch sie “wohl in den Rheinlanden gearbeitet” vermutete. So auch Evison 2008, 26. 107 Wentzel 1962; Wentzel 1963. 108 Dümmler 1892, S. Bonifatii et Lulli Epistola 406; Übersetzung bei Nonn 2007, 85. 109 Als Gesamtüberblick: Lebecq 1983. 110 Altfrid, Vita Liudgeri, c. 11–12; Diekamp 1881, 16–17. 111 Kurze 1891, 104.

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Zusammenfassung und Ausblick Vor dem Hintergrund der Neufunde von Glaskameen aus Bitburg und Trier wird die genauere Zeitstellung der hier behandelten Glaskameen innerhalb des 8. Jh.s erneut zu diskutieren sein, um dann hoffentlich abschließend klären zu können, ob der Mainzer Pseudokameo mit Runen noch an das Ende der Merowingerzeit gehört oder mit Gaut in die Zeit 750/775–800/825 anzusetzen ist.112 Die frühere Datierung hat im Hinblick auf die runenepigraphische Tradition, die gegen Mitte des 7. Jh.s abbricht, Gewicht. Andererseits gilt es, das Fehlen von Glaskameen im Fundgut des eigent­ lichen Reihengräberhorizonts bis um 680 zu betonen. Da die gesicherten Grabfunde (Putten, Vicherey, wohl auch Mertloch) zu weiblichen Bestattungen gehörten, ist auch für den Mainzer Runenkameo eine Verwendung als Bestandteil der Frauentracht das Wahrscheinlichste. Es stellt sich auch die derzeit jedoch kaum zu beantwortende Frage nach der Produktionsdauer der Glaskameen im späten 7. und 8. Jh. sowie nach chronologischen Unterschieden der unterschiedlichen Typen hinsichtlich Farbe, Glasmasse und Darstellungen. Die feinchronologische Einordnung innerhalb des 8.  Jh.s ist  – wie mehrfach betont – schwierig.113 Die wenigen Grabfunde aus dem Merowingerreich gehören am ehesten zu einer Spätphase der Stufe JM III nach Ament, d.  h. ca. um 700 bis 720 n. Chr. und stammen aus Frauengräbern und eben nicht aus Männergräbern, was in Analogie zu Münzfibeln um 800 möglich wäre. Die hier betrachteten Siedlungsfunde und das Desideriuskreuz sprechen eher für eine Datierung später im 8. Jh. (mittleres Drittel oder zweites Hälfte 8. Jh.). Gauts Meinung, den Mainzer Runenkameo ganz an den Anfang der Entwicklung der Glaskameen zu setzen, ist so wohl kaum zu halten.114 Der Mainzer Runenkameo imitiert vielmehr frühere und realistisch gehaltene Arbeiten wie den Profilkameo auf dem Theudericus-Reliquiar (spätes 7. Jh.) oder die bichromen Pseudo-Bildniskameen auf dem Desideriuskreuz, die nach Wentzel um 700 anzusetzen sind. Ein weiterer Schritt der Entwicklung wären dann nach dem Mainzer Stück die Vereinfachungen wie aus Mannheim-Seckenheim und Dorestad (Ament 2012; Ders. 2013). Schwierig ist es, in dieser Entwicklungslinie aber die stärker transluziden einfarbigen Glaskameen wie auf dem Desideriuskreuz (nach Wentzel späteres 8.  Jh.) oder aus Epfach anzu-

112 Stein 1967, 61 (8. Jh. für die ovalen Fibeln mit Seewesen); Ament 1993 mit dem Plädoyer für JM III; Krug 1998, 107–109 (8. Jh.); Gaut 2005. – Spiong 2000 setzt die Glaskameen als Fibeleinlagen „um 800“ an; ähnlich Schulze-Dörrlamm 2009; Dies. 2013. 113 Evison 2008, 26: “… most of these glass cameos are inlaid in Carolingian objects, and two of the animal brooches were found in Merovingian graves, so that a late 7th–8th century date is indicated for their production”. 114 Gaut 2005, 551 charakterisiert das Mainzer Stück als „the earliest of the glass casts in question … in archaeological terms“.



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setzen. Möglicherweise liegen doch mindestens zwei chronologisch unterschiedliche Gruppen vor, die antiquarisch noch zu präzisieren sind. Für eine Datierung der gesamten Gruppe deutlich später in das 9. Jh., wie sie zuletzt von Thea Elisabeth Haevernick vertreten wurde (Haevernick/Stein/Scholkmann 1995, 419), sehe ich in der Bilanz eine geringe Wahrscheinlichkeit. Weiter führen könnten zur Klärung materialkundliche Untersuchungen an erhaltenen Fibelfassungen der Pseudokameofibeln. Nach Spiong sind „Fibeln, die aus einer Blei-Zinn-Legierung gegossen wurden, (…) erstmals für die Zeit um 800 nachgewiesen“ (Spiong 2000, 87). Leider fehlen solche Analysen bislang.

Klaus Düwel, Robert Nedoma Teil II: Die Inschrift des Mainzer Glaskameo Zu den Merkwürdigkeiten in der Runologie gehört eine gelegentlich recht große Zeitspanne zwischen dem Auffinden eines Objektes und der Entdeckung darauf stehender Buchstaben und Zeichen, insbesondere Runen. Markante Beispiele bieten die Bügelfibel von Nordendorf I (KJ 151), 1843 gefunden, die Runen erst 1865 entdeckt, oder der Goldring von Pietroassa (KJ 41), 1837 in einem Schatzfund geborgen, die Zeichen darauf anfangs für Griechisch oder Pelasgisch gehalten und erst 1855 als Runen erkannt. Fast 40 Jahre liegen bei der Bronzekapsel von Schretzheim II (KJ 157) zwischen Auffindung im Jahre 1892 und Entdeckung der Runenschrift im Jahre 1931 (s. Schnall 1973, 59  ff., 66  ff. bzw. 75 und die entsprechenden Artikel im Reallexikon der Germanischen Altertumskunde [RGA]). Schließlich hat, um einen rezenten Fall zu nennen, Heiko Steuer im Jahre 1963 in Haithabu ein Kammergrab ausgegraben und die darin aufgefundene dreieckige Bronzeschale 1973 veröffentlicht. Auf der Außenwand der Schale waren kaum sichtbare zarte Einritzungen entdeckt worden. Nachdem seinerzeit nur ein aus dem Osten stammendes Pendant bekannt war, wurden die Zeichen nicht als Runen, sondern als „türkische Runenschrift mit Schriftzeichen der Orchon-Jenissei-Schriften“ (Steuer 1973, 92) angesehen und als Trinkspruch gedeutet. Zur Zeit arbeiten Steuer, der zahlreiche Schalen aus westlichem Gebiet anführen kann, und Düwel, der die Zeichen als jüngere skandinavische Runen identifiziert, an einer neuen Deutung, gut 50 Jahre nach dem Bekanntwerden der Schale.115

115 Stever/Nugderen/Düwel 2017. Es gibt aber auch das Gegenteil solcher zeitlich weit auseinander liegender Entdeckung von Gegenstand und Inschrift. Ende 2013 informierte Ursula Koch Klaus Düwel über eine gerade erkannte Ritzung auf einer Amulettkapsel aus einem Frauengrab (Nr.  938) vom Hermsheimer Bösfeld (Mannheim-Seckenheim), die wenig später autopsiert und als Runeninschrift erkannt wurde. Anfang 2014 lag das Manuskript in Zusammenarbeit von Robert Nedoma vor, und die Publikation erfolgte in der Germania 91 (2013), erschienen zur Mitte des Jahres 2015.

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Hier ist nun ein krasser Fall zu verhandeln: der Mainzer Glaskameo (Abb.  2,1 und 6), ein Pseudokameo, der bereits 1903 gefunden wurde (Schnall 1973, 45) und den Ludwig Lindenschmit (der Jüngere) im selben Jahr (Lindenschmit 1903, 419  f.) bekannt gemacht hat. Er schreibt: „Von der Strassenseite der Baugrube und aus einer etwa 60 cm unter der mittelalterlichen Schuttmasse liegenden schwarzen Erde stammen einige wahrscheinlich der karolingischen Zeit angehörige Zierrate.“ Das erste ist eine „in farbigem Glasfluss ausgeführte barbarische Nachahmung eines antiken Kameo (abgebildet Taf. 9 No. 9).“ Dieses Objekt dürfe „als überaus seltenes Fundstück bezeichnet werden“. Lindenschmit beschreibt diesen Pseudokameo, der „ehemals als Einsatz in eine Brosche“ gedient habe. Das zweite Objekt, ebenfalls als Einsatz in eine Brosche verwendet, ist „der auf Taf. 9 unter No. 10 abgebildete Gegenstand, die barbarische Nachbildung einer römischen Kaisermünze aus weissem opaken Glas; die Buchstaben der Inschrift, welche ohne Verständnis zusammengestellt sind, geben keinen Sinn“ (Abb. 7). Es ist verwunderlich, dass L. Lindenschmit, dessen gleichnnamigem Vater einige Entdeckungen von Runen zu verdanken sind (z.  B. KJ 151 Nordendorf I im Jahre 1865, s. Schnall 1973, 59), die Schriftzeichen der Inschrift nicht als Runen identifiziert hat. Obwohl Jaap Ypey (1964, 139) bereits neben der Bilddarstellung eines Kopfes „eine Randinschrift in Runen“ erkannt und beschrieben hatte, sprach Wolfgang Krause (1968, 120) von „einem 1965 [!] in Mainz gefundenen und noch nicht publizierten Glasbrakteaten“ beziehungsweise genauer im Funddatum und in der Formulierung: „Auf einem um 1900 in Mainz gefundenen Glasbrakteaten  – einer äußerst seltenen und sekundären Brakteatenform – befindet sich eine bisher noch nicht veröffentlichte Runeninschrift, die anscheinend wirkliche Lautrunen enthält, aber noch völlig undeutbar wirkt […]“ (Krause 1971, 37 Anm.). Offenbar haben Krause Photos vorgelegen, zwei im Maßstab 1,5:1 sind in der Phototafelsammlung des Skandinavischen Seminars der Universität Göttingen erhalten. Sie sind ohne Datum und ohne Herkunftsnachweis. Auf diesen Photos wird Krauses wiederholte Angabe zur p-Rune in der Inschrift (s. dazu unten) gründen. Es verwundert dagegen, dass er bei der engen Zusammenarbeit mit dem Archäologen Herbert Jankuhn keine Kenntnis der Abhandlung Ypeys (1964) gehabt haben sollte. Dementsprechend fehlt auch der Beitrag Ypeys in der gründlichen Bibliographie zu den kontinentalen Runeninschriften von Schnall (1973, 55) zum Lemma *Mainz. Zwar stimmt die Angabe nicht, die Inschrift sei „bisher noch nicht veröffentlicht“, aber tatsächlich ist sie noch nicht im Kontext einer archäologischen Analyse runologisch bearbeitet worden. Dies geschieht mit diesem Beitrag. Neben den bereits eingangs genannten knappen Hinweisen auf Buchstaben beziehungsweise Runen auf dem Mainzer Glaskameo hat als erster und bisher einziger Jaap Ypey ausführlich den Befund beschrieben: „Der Brakteat ist aus opakem bläulich-weissem Glas. H: 2,9. Ein nach links sehender Kopf hat eine Randschrift in Runen. Diese scheinen mir angelsächsische Runen zu sein wie diese vorkommen im Codex Salisburgensis 140 (jetzt in Wien) aus dem Ende des 8. Jahrhunderts41 und auf



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Abb. 8: Manuskriptrunen in Codex Vindobonensis 795. Nach: Derolez 1954, 59.

dem Scramasax aus dem Thames bei Battersea (British Museum, Inv. No. 56.6–23.1) aus dem 9.  Jahrhundert. Die Runen würden dann darstellen: eiglp?siu? Besonders das p ist kennzeichnend. Es wäre dann eine Datierung um 800 möglich. Die Glaskamee kann damit selbstverständlich nicht mit Sicherheit datiert werden – die Möglichkeit, dass diese aus derselben Zeit kommt, ist nicht ausgeschlossen“ (Ypey 1964, 139). Unklar ist, warum Ypey die um den Kopf laufenden Zeichen als „angelsächsische Runen“ angesehen hat. Sein erster Verweis geht auf eine Überlieferung von Manu­ skript­runen im Codex Vindobonensis 795 (ÖNB Wien, sog. Salzburg-Wiener AlkuinHandschrift;116 olim Codex Salisburgensis 140, hier Abb.  8) aus dem 9./Anfang des 10. Jh.s (Einzelnes schon Ende 8. Jh.), den Derolez117 (1954, 52  ff.; Runen mit Angabe der Lautwerte und der Runennamen ebd., 59) ausführlich behandelt hat. Diese Handschrift stellt eines der wichtigsten Zeugnisse von Runica manuscripta der englischen Tradition auf dem Kontinent dar. Der prinzipielle Unterschied zwischen epigraphischer und Manuskriptrunen-Tradition (dazu Derolez 1983) spielt in diesem Fall keine Rolle. Den zweiten, diesmal epigraphischen, Beleg für angelsächsische Runen auf dem Glaskameo bezieht Ypey (1964, 139 Anm. 42) aus Diringer (1948), und zwar mit dem Fuþa3rk1 („Fuþorc“)118 auf dem sog. Themse-Kurzschwert (Thames scramasax)

116 Faksimileausgabe: Unterkircher 1969. 117 Diese grundlegende Darstellung scheint Ypey nicht gekannt zu haben, da er in der zugehörigen Anm. 41 angibt: „Dieser [!] Runenfuthark ist auch abgebildet in Der Grosse Brockhaus, 1933, Bd. 16, S. 217.“ 118 Abweichend von der in der Runologie herrschenden Praxis (sog. Dickins-Page-System) wird für die (anglo-)friesischen Runeninschriften hier und im folgenden ein nicht-interpretatives Transliterationssystem verwendet, für das u.  a. gilt: a3 = Æ („o“) und k1 = ½ und Varianten („c“). Der wesentliche Vorteil dieser (nur) auf den ersten Blick weniger übersichtlichen Methode besteht in der Eindeutigkeit: die graphemische Ebene wird nicht verlassen, sodaß keine Vorentscheidung über tatsächliche oder vermeintliche Graphem-Phon(em)-Korrelationen getroffen wird.

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Abb. 9: Englische Runenreihe auf dem Themse-Kurzschwert. Nach: Düwel 2008, 71.

aus dem 9. Jh. (Abb. 9). Dieser immer noch einzige Zeuge für die englische Runenreihe war seinerzeit schon bequem bei Elliott (1959, 34 Fig. 7)119 zugänglich. Nach Ypey (1964) sieht man folgende, von ihm nicht ausdrücklich als rechtsläufig (also münztechnisch gesehen von innen) zu lesende Runen: eiglp?siu?. Ypey erkennt demnach zehn Runen. Schnall (1973, 55) notiert hingegen: „Der runische (?) Charakter der Inschrift wurde zunächst nicht erkannt.“ Das Fragezeichen signalisiert, dass „der runische Charakter“ der Zeichen nicht sicher ist, weshalb auch das Lemma *Mainz mit einem Asterisk versehen wurde. Um Klarheit zu gewinnen, ist in einem solchen Fall dringend eine Autopsie erforderlich. Diese Autopsie hat Klaus Düwel am 17. September 1986 in Mainz vornehmen können. Das Ergebnis lautet: Links von der Halspartie des dargestellten Kopfes beginnend, verlaufen fünf sicher zu identifizierende Runen nach rechts etwa bis zum Haaransatz: E e, i i, G g, l l und P p. Die danach erkennbaren Zeichen sind folgendermaßen zu beschreiben: Zeichen 6 setzt sich aus zwei Teilen zusammen, einer nach unten ausgebogenen bootförmigen Linie, in die umgekehrt eine kleinere der gleichen Art eingesetzt ist. Eine gewisse Nähe zeigt diese Zeichenform zur j-Rune in Form zweier gegeneinandergesetzter Halbkreise (ç bzw. &). Allerdings bleibt angesichts der abweichenden Form doch äußerst fraglich, ob eine intendierte Rune vorliegt; es kann sich gut um ein paraschriftliches Zeichen (als Markierung des Textendes) handeln.120 Zeichen 7 gleicht einem liegenden Spazierstock, dessen kurzer nach unten weisender Handgriff etwas verlängert ist. Zeichen 8 stellt ein langgestreckt liegendes S

119 Bemerkenswerterweise findet sich bei Elliott (1959, 34  f.) direkt hintereinander die Runenreihe auf dem Thames scramasax und im Vienna codex (Abb. 10). Diese Zusammenstellung ist ganz außergewöhnlich.  Ypey hat beide aus verschiedenen Quellen zusammengebracht, ohne dass erkennbar wird, warum er sowohl die epigraphische als auch die Manuskript-Überlieferung zusammengeführt hat. Die englische Runenreihe auf dem Themse-Kurzschwert ist jetzt bequem zugänglich bei Page (1999, 80) und Düwel (2008, 71). 120 In einem früheren Stadium der Bearbeitung schien mir (K.D.) der Formduktus von Zeichen 6 mit der vorausgehenden Rune eher für runischen Charakter zu sprechen, die ungenaue Form jedoch eher dagegen. Nachdem in der letzten Zeit der Begriff des paraschriftlichen Zeichens – zuerst bei Robert Nedoma 1995, 30; 2004, 185 passim (Liste S. 447) – gebräuchlich geworden ist, kann das Zeichen 6 am besten als ein solches bezeichnet werden.



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Abb. 10: Die Runenreihe vom Thames scramasax und aus Codex Vindobonensis 795 hintereinander gestellt. Nach: Elliott 1959, 34  f.

dar, es folgt ein kopfständiges lat. T, dessen Horizontale auf der linken Seite merklich verlängert ist (Zeichen 9).121 Das 10. und letzte Zeichen zeigt wieder den Spazierstock, dessen unteres Ende mit einer senkrechten Linie abgeschlossen wird.122 Die Zeichen 7–10 sind mit Sicherheit keine Runen, sie stellen bestenfalls depravierte Kapitalis-Imitationen dar. Es ist uns unverständlich, wie Ypey mit den angegebenen Vergleichsquellen die Runen siu? hat erkennen wollen. Wir haben auf diesem Glaskameo ähnlich wie auf zahlreichen Goldbrakteaten der Völkerwanderungszeit Runen und (depravierte) Kapitalis-Imitationen nebeneinander. Bei den Goldbrakteaten begegnen solche Inschriften 1. als Kapitalis-Imitationen (darunter fallen alle mit Inschriften versehenen Medaillon-Imitationen123 mit dem Avers: IK 3 Åk, IK 14 Aneby, IK 85 Hove, IK 107 Lilla Jored, IK 124 Mauland, IK 126 Midtmjelde, IK 193 Tunalund, IK 256 Godøy, IK 263 Gunheim, IK 268 Haram, IK 282 Hov, IK 286 Kälder, IK 351 Raum Sundsvall; einige

121 In den Zwischenraum zum Zeichen 10 ragen zwei Striche hinein, die aber wohl zur Haartracht gehören und keinen schriftartigen Charakter haben. 122 Wenn Ypey hier mit Fragezeichen umschreibt, versteht man nicht, dass er das ähnliche Zeichen 7 mit s wiedergibt. Möglicherweise nimmt er eine andere Zuordnung vor, doch wird dies nicht erkennbar. 123 Die Medaillon-Imitationen und die A-Brakteaten haben nur ein Haupt im Bildfeld, die Zeichen verlaufen zu beiden Seiten des Hauptes.

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A-Brakteaten: IK 47,1 Elmelund, IK 47,2 Broholm, IK 162,1 Skonager (II), IK 162,2 Darum (III), IK 225 Broholm (I)/Oure, IK 240 Erin und IK 299 Maglemose (I)/Gummersmark, IK 326 Schonen (VII), IK 346 Strangegården/Sundby, IK 354 Torpsgård-Senoren; dazu die beiden C-Brakteaten: IK 59 Fünen und IK 289 Kjellers-Mose), 2. als Mischinschriften, bestehend aus Kapitalis-Imitationen und Runen beziehungsweise runenähnlichen Zeichen (z.  B. die A-Brakteaten: IK 41,1 Darum (II), IK 145 Revsgård, IK 329 Seeland (III), IK 360 Unbekannter Fundort, sowie ein B-Brakteat: IK 384 Vindum Stenhuse) und 3. vereinzelt auch mit reinen Runenformen (z.  B.: IK 42 Darum (I)-B, IK 76 Wurt Hitsum-A und IK 189 Raum Trollhättan-A). Im Fall des Mainzer Glaskameo stehen Runen und depravierte Kapitalis-Imitationen in zwei Gruppen nebeneinander, wofür es unter den Goldbrakteaten nur ein Beispiel gibt, nämlich IK 39 Dänemark (X)-B, vergleichbar wäre noch IK 345 Store Salte-A. Aber auch näher an den Fundort Mainz herangerückt gibt es die beiden Kleinbrakteaten von Hüfingen, die neben den Formelwort-Inschriften alu und ota eben solche Kapitalis-Imitationen zeigen (Fingerlin et al. 1998, Heizmann 2004). Wenden wir uns wieder der Inschrift auf dem Glaskameo zu. Grundsätzlich können die fünf sicher als Runen zu identifizierenden Zeichen EIGLP sowohl aus dem anglofriesischen Fuþa3rk1 („Fuþorc“),124 das in Inschriften aus England bis ca. 1000 und aus Friesland bis ca. 900 bezeugt ist, oder aus dem Älteren Fuþark stammen, das in Skandinavien bis ca. 700 und auf dem europäischen Kontinent epigraphisch bis in das 7. Jh. hinein in Gebrauch war. Es sind jedenfalls keine Runen darunter, deren Form eindeutig auf eine dieser Überlieferungen weist, wie es etwa H h in skandinavischen und gotischen, ¥ h in südgermanischen und anglofriesischen, oder Æ a3 (o) in anglofriesischen Inschriften tun. Ypey (1964, 139) meinte, es handle sich um „angelsächsische“ (i.  e. anglofriesische) Runen, wobei Rune Nr. 5 P p besonders kennzeichnend sei. Dies trifft allerdings nicht das Richtige, denn P ist die originale (Odenstedt 1990, 79) bzw. ‚klassische‘ Form der p-Rune (vgl. Seebold 1991, 452  f.), die nicht nur in England (Themsemesser, 9. Jh.), sondern auch in Skandinavien (Stein von Kylver, KJ 1; Brakteat von Grumpan-C, KJ 3 = IK 260; beide 5. Jh.) und im südgermanischen Raum (Ichtratzheim; Neufund, s. unten) entgegentritt. Odenstedt (1990, 80) hat beobachtet: „P seems to have been avoided in runic texts in Scandinavia [Ersatz durch b] and on the continent [ auf Charnay, KJ 6; Î auf Breza KJ 5].“ Der lebendigen bodenständigen runenepigraphischen Tradition wird die Inschrift auf dem Glaskameo von Mainz jedenfalls nicht entstammen. In der südgermanischen (sprachlich: voralthochdeutsch-voraltsächsisch-langobardischen) ‚Runenprovinz‘ kommt der vor allem im 6. Jh. üppige Runengebrauch125 mit dem Abbruch der Beigabensitte in den Reihengräbern und der christlichen Bestattung bei und in Kirchen E

124 Die anglofriesische Runenreihe baut im wesentlichen auf dem älteren Fuþark auf (Page 1999, 43). 125 Eine Gesamtedition Die südgermanischen Runeninschriften von Klaus Düwel, Robert Nedoma



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völlig zum Erliegen, so dass hier ab der Mitte des 7. Jh.s keine Runen mehr im epigraphischen Gebrauch zu finden sind. Wohl die späteste Runeninschrift aus dem Raum, aus dem der Pseudokameo von Mainz stammt, findet sich auf der silbernen Kapsel von Arlon (Prov. Luxembourg, Belgien) aus der Zeit 610–640.126 Es ist daher schwer vorstellbar, dass die Inschrift auf dem Glaskameo von Mainz einen 100–150 Jahre jüngeren, isolierten Ausläufer der einheimisch-südgermanischen Runenkultur bilden kann. Wenn, wie der archäologische Befund nahelegt, der Mainzer Kameo in dem Rhein-Maas-Mosel-Raum lokalisiert werden kann und dort auch hergestellt wurde, dann wird es sich nicht um ein Importstück aus England, Friesland oder Skandinavien handeln. Denkbar wäre, dass am Herstellungsort ein aus England/Friesland oder sogar Skandinavien stammender Spezialist gearbeitet hat, der von Haus aus über Runenkenntnis verfügte. Damit wird die umstrittene Vorstellung vom Wanderhandwerker berührt. So bemerkt Gaut (2005, 553) anlässlich der Behandlung des Pseudokameo aus Kaupang (Norwegen): „Imported pottery, glass and also a small number of coins uncovered from the settlement area demonstrate lively contacts with the Frankish and Frisian areas at this time. ([Literaturhinweise]). A small collection of metal work also testifies to the presence of visiting traders and artisans from these regions (Wamers in prep.)”.127 In der Frage, ob insbesondere Goldschmiede als Wanderhandwerker zu gelten haben, „hat sich die Meinung durchgesetzt, daß es in der MZ [Merowingerzeit] und WZ [Wikingerzeit] neben ortsfesten auch mobile G[oldschmied]e gab“ (RGA 12, 1998, 364, s. auch RGA Register Bd. 2 s.  v. Wanderhandwerker). Die Denkmäler der Wielandsage bieten literarische Zeugnisse dafür, einen mobilen Goldschmied durch Lähmung ortsfest zu machen (s. RGA 33, 2006, 604, 608). Was die Möglichkeit einer englischen Herkunft von Runen auf dem Kontinent betrifft, so sei an die Überlieferung von Runen in Handschriften erinnert.128 Diese Runica manuscripta sind frühestens seit dem späten 8. Jh., in größerer Zahl aus dem 9. Jh., vor allem in Gestalt von Runenreihen und -alphabeten in der englischen Tradition (d.  h. mit anglofriesischen Runen geschrieben) bezeugt. Die Schreiber dieser

und Sigmund Oehrl wird im Rahmen des Projektes „Runische Schriftlichkeit in den germanischen Sprachen“ der Akademie der Wissenschaften in Göttingen erscheinen. 126 Bei runenähnlichen Zeichen wie etwa auf einer Grabstele aus Kaiseraugst, die „ein der o-Rune O ähnliches Zeichen“ aufweist, reicht der Zeitrahmen möglicherweise noch weiter „zwischen 610/620 und 700/720“. Alle Angaben aus der in Anm. 125 genannten Edition. Die Datierung von Arlon lautet in KJ 146: „Mitte des 7. Jh.s“. 127 Wamers 2011: „Es geht bei den kontinentalen und insularen Funden aus den jüngeren Grabungen von Kaupang darum, dass wir dort offenkundig ein nordfränkisch-friesisches (Händler-)Viertel nachweisen können, vielleicht auch inkl. Metallwerkstatt.“ 128 Ferner wäre in diesem Zusammenhang das Runenkästchen von Gandersheim aus der Zeit um 800 zu erwähnen, dessen bronzene Bodenplatte eine längere, in anglofriesischen Runen geschriebene Inschrift trägt. Da jedoch unklar ist, ob dieser Metallrahmen authentisch ist (s. Page 1994, 183; Pape 2000, 33), bleibt dieses epigraphische Zeugnis aus dem Spiel.

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Handschriften müssen jedoch nicht durchweg aus England stammen, zumal für den Ausgangspunkt der Manuskriptrunen in Nordfrankreich „Iren als Zwischenträger“ (Seebold 2000, 33) in Frage kommen können. In der Forschung wird die Frage: „Epigraphical versus Manuscript English Runes: One or Two Worlds?“ (Derolez 1983) diskutiert. Derolez „presented some examples of epigraphical runic usage which may derive directly from the scriptorium: the learned nature of the inscriptions on St. Cuthbert’s coffin and […] the coded vowel-runes of the right side of the Franks Casket” (Parsons 1994, 198), wie denn auch Parsons (ebd.) betont: „The manuscript world must have existed in the eighth and ninth centuries in England and must, in some way, have lived alongside epigraphical practice.“ Vielleicht darf man auch vergleichbares für den Großraum voraussetzen,129 in dem der Pseudokameo von Mainz lokalisiert wird (s. oben), allerdings ist da die epigraphische Tradition bereits seit längerem abgebrochen. Im übrigen haben wir bisher kein Beispiel für die Übernahme einer spezifischen Manuskriptrune in eine Runeninschrift gefunden. In jedem Fall ist die rechtsläufige Runeninschrift auf dem Mainzer Glaskameo folgendermaßen zu transliterieren: eiglp? (? paraschriftliches Zeichen, womöglich zur Markierung des Textendes). Sämtliche fünf Runen sind im älteren Fuþark und im anglofriesischen Fuþa3rk1 identisch.  Die Runen 1–4 EIGL eigl begegnen in allen runenepigraphischen Traditionen außerordentlich häufig, während die p-Rune sehr selten entgegentritt. Dies hat sprachliche Gründe: bereits im Urgermanischen war /p/ (< uridg. /b/ durch die Erste Lautverschiebung) ein Marginalphonem. Zuwachs in dessen Tochtersprachen, darunter Urnordisch, (Vor-)Altenglisch, Voralthochdeutsch etc., bekam /p/ erst durch Lehnwörter (v.  a. aus dem Lateinischen, teils aber auch aus keltischen Sprachen). Die p-Rune begegnet großteils in Fuþarkinschriften, die das gesamte runische Graphem­ inventar aufreihen: auf dem Kontinent Fibel von Charnay (ostgermanisch, um/nach 550, allerdings in der Variante ) und Halbsäule von Breza (wohl langobardisch, 6.  Jh., ebenfalls in einer Variante Î), in Skandinavien Steinplatte von Kylver und mehrere Brakteaten (KJ 1–6; RGA 10, 273  ff.). Da die Runeninschrift auf dem Glaskameo ein Wort, jedenfalls keine Runenreihe, aufzuweisen scheint, hat Krause (s. oben) mehrfach auf dieses Objekt mit der p-Rune als Beleg außerhalb der Fuþarkinschriften hingewiesen. Erst im Jahre 2012 wurde in einem reich ausgestatteten Frauengrab (ca. 570–590/600) in Ichtratzheim im Elsass ein Silberlöffel mit einer Inschrift lapela = vor-ahd. (fränk.) lap(p)ela ‚Löffel‘ geborgen (Fischer et al. 2014), in der P p ein Phonem in einem Appellativum bezeichnet. Für Lindenschmit (1903, 420) ergibt die Runenfolge eiglp „keinen Sinn“, Ypey (1964, 139) äußert sich gar nicht zu einer Deutung. Wir bewegen uns im Umfeld von Brakteaten, bei denen das Kaiserportrait von Medaillons und Münzen barbarisch E

129 „On the evidence Derolez cites there are Anglo-Saxon futhorcs in manuscripts that may […] have been written in Salzburg, St. Gallen, Trier, Brau[]weiler (near Cologne)” (Page 1994, 183).



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nachgeahmt wird. Das gilt auch für einen der beiden Kleinbrakteaten von Hüfingen, und ebenso beruht die Kopfdarstellung des Mainzer Kameo auf einem Münzvorbild (s. oben). Die Legenden von Münzen enthalten oft einen Namen, meist den eines Kaisers, wie er auf einigen Medaillon-Imitationen und Goldbrakteaten noch erkannt oder rekonstruiert werden kann, z.  B. IK 265 Godøy-M bzw. IK 263 Gunheim-M: CON­ STANS. Es liegt also nahe zu prüfen, ob die Inschrift auf dem Mainzer Glaskameo einen Namen enthalten kann. Will man der undeutbaren Runensequenz EIGLP eiglp einen Sinn abgewinnen, ist eine – durchaus verständliche – Verschreibung Æ a3130 (= o nach herkömmlicher Transliterationspraxis) → P p anzunehmen; hier ist lediglich der untere Zweig des intendierten Æ an den Fuß des Stabs geklappt. Umformungen ähnlicher Art sind in den Brakteateninschriften nicht selten zu beobachten, etwa wenn die Normalform L der l-Rune etliche Male als ¯ (Zweig geklappt)131 erscheint (Belege bei Nowak 2003, 227  ff.). Die Herstellung von (Inschrift-)Brakteaten erfolgt in mehreren Arbeitsschritten (Konzeption-Modell-Pressung/Prägung eines Goldblechs-Beschneidung des GoldblechsRandeinfassung-Ösung, s. Axboe 2004, 1  ff.; Nowak 2003, 23  ff.; vgl. auch Wicker 2006, 415  ff.). In diesem komplizierten Herstellungsprozess – die Runen müssen seitenverkehrt/spiegelbildlich in den Modell gearbeitet werden – können leicht einfache, aber auch größere Abweichungen von der idealen Runenform vorkommen, vor allem wenn illiterate Handwerker die Arbeiten ausführen. Eine vergleichbare Verschreibung begegnet ferner auf dem Stein von Krogsta (KJ 100), wo s§ainaz wohl für *stainaz steht: auch hier ist ein Zweig von der Stabspitze an den Fuß geklappt. Das aus EIGLP gebesserte *EIGLÆ eigla3 ist glatt als Männername ahd. (fränk.) Eiglo zu deuten, dessen genaue Entsprechung als wfränk. Aiglo (zwei Belege, 7. Jh. und 10. Jh.; Morlet 1968, 27) entgegentritt. Es handelt sich wohl um eine Allegroform des (ursprünglichen) Kurznamens ahd. Eigilo, der mit Suffix *-an- zu einem zweigliedrigen Anthroponym mit Vorderglied *Aigila- gebildet ist. Dieser Namenstamm ist etwa in ahd. Eigilrat m., 8. Jh. oder wfränk. Eigelramnus m., 9. Jh. bezeugt (För­ stemann 1900, 34 sub Egilrat; Morlet 1968, 27; weitere Belege bei Wagner 1999, 114  f.). Das appellativische Relatum ist wohl ein mit dem Suffix *-ila- gebildetes Nomen agentis zur Verbalwurzel des Präteritopräsens got. aigan*, ahd. eigan*, ae. āgan, aisl. eiga etc. ‚haben, besitzen‘ (Typ ahd. zuntil m. ‘Anstifter’: zunten sw. Vb. I ‘anzünden, entfachen’; Wagner 1999, 117; Nedoma 2004, 164  f. mit Lit.). Im Korpus südgermanischer Runeninschriften wird das Nomen agentis in aigil = vor-ahd. (obd.) Aigil m. auf

130 Bei der Rune Æ handelt es sich um eine Neuerung in der anglofriesischen Runenreihe, die mit einem ersten Vorkommen auf dem Brakteaten von IK 374-A Undley noch in das späte 5. Jh. datiert (Parsons 1999, 63  f.; RGA 31, 2006, 435), damit aber keinen Datierungshinweis für den Mainzer Kameo abgibt. 131 Einen nur tiefer gesetzten Zweig bei der l-Rune zeigen z.  B. IK 264 Gurfiles(?)-C oder IK 353 Raum Tønder-B.

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der Gürtelschnalle von Pforzen (567–600)132 greifbar; es handelt sich offenbar um eine (ursprünglich) morphologisch-semantisch motivierte Bildung, mithin um einen Übernamen (Nedoma 2004, 165). Wer der Genannte ist, läßt sich nicht zweifelsfrei feststellen. Es kann sich um den Besitzer des Objekts, um den Spezialisten oder auch  – etwas weniger wahrscheinlich – um den Schenker handeln. Warum der Auftraggeber des Mainzer Kameo auf die Idee verfallen ist, das Stück mit (anglofriesischen) Runen versehen zu lassen (vielleicht kannte er ‚richtige‘ Brakteaten?, die ja auch in England vorkommen) und woher er einen englischen oder ggf. auch friesischen Runenkundigen aufgetrieben hat, ist unklar und wohl auch nicht zu klären.

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 Bernd Päffgen, Klaus Düwel, Robert Nedoma

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Edith Marold

Die Bronzefibel von Skabersjö Abstract: This article contains an attempt at a recent interpretation of a runic inscription on the bronze fibula von Skabersjö. Following general information about the inscription and the previous attempts to interpret it, an attempt will be made, based on the extensive documentation of the occurrence of wordmaterial related to the puzzling word fauka, to determine the meaning of this word in its syntactic and semantic context. The result is an interpretation of the inscription as thanking a generous donor, which is also expressed in the metric form and the large, valuable, gold coated fibula. Die Inschrift auf der Fibel von Skabersjö (DR 263; DK Sk 5) (Abb. 1–4) bietet zahlreiche Probleme der Datierung, der Lesung und der Deutung – weshalb eine große Zahl widersprüchlichster Deutungen bisher vorgelegt wurde. Hier soll ein neuer Versuch gewagt werden. Die Bronzefibel wurde 1855 nahe bei Skabersjö in Skåne (Bara härad, Malmöhus län) gefunden und vom Historischen Museum in Lund erworben. Sie ist rechteckig und außerordentlich groß (16,5 × 6,4 × 0,2–0,3 cm), so dass man sich fragen kann, ob sie an der Kleidung getragen wurde. Ihre vergoldete Vorderseite ist mit Tierornamentik (Vendelstil D bzw. Übergang von Salins Tierstil II zu III) verziert, die aus 14 vierfüßigen Tieren und einem Vogel besteht. Die Inschrift auf der Rückseite (Abb. 2 und 4) verläuft in zwei Zeilen oben und unten an den Längsseiten. In der Mitte der Fibelrückseite sind ebenfalls Fragmente einiger Runen zu sehen. Über der ersten Zeile befinden sich drei Rahmenlinien. Viele der fein geritzten Runen sind beschädigt und nur die obere Zeile und einige Runen auf der unteren lassen sich einigermaßen lesen. Schon die Datierung der Fibel ist umstritten, weil die archäologische Datierung auf der Basis des Tierstiles auf eine Zeit um 7001 weist, während die Inschrift aus runologischen und linguistischen Gründen auf 1050 datiert wurde. Sophus Bugge (Bugge/Salin 1897, 17–20) hatte deshalb die Inschrift ins 10. Jahrhundert datiert. Später vertrat Moltke (DRI I, Sp. 318 und 1985, 354) die Ansicht, dass die Inschrift um 1025 geschrieben wurde. Sein Hauptargument war die Schreibung des Namens Ąsa mit a am Anfang statt mit A, wie man es um 700 erwarten würde. Er nahm daher an, dass die Inschrift im 11. Jahrhundert in eine Fibel des 8. Jahrhunderts geritzt wurde. Allerdings spricht auch einiges gegen diese Annahme: Von archäolo-

1 Bugge/Salin 1897, 17–20; Nerman 1947, 129–131; Høilund Nielsen 2002, 195; etwas später (725–800) Ørsnes 1966, 259.

586 

 Edith Marold

Abb. 1: Fibel von Skabersjö, Anfang 8. Jahrhundert. Breite 14,3 cm. Umzeichnung der Vorderseite mit einigen herausgezeichneten Tierfiguren, nach Salin 1904, 264  f. (Nr. 586).

Abb. 2: Fibel von Skabersjö, Transkription der Runeninschrift vom Rand der Rückseite. Skizze: E. Marold.

gischer Seite wurde darauf hingewiesen, dass es keinen Unterschied zwischen der Korrosion der Fibel und der der Runenzeichen gebe (Nerman 1947, 129), beide also demselben Zeitraum entstammen müssten. Auch dem runologischen Argument Moltkes wurde widersprochen: K. M. Nielsen (1970, 25) wies darauf hin, dass auch im 11. Jahrhundert eine Schreibung von ą durch a bemerkenswert wäre. Er verwies aber auch auf die Inschrift von Rävsal (KJ 80), die zur jüngsten Gruppe der Inschriften



Die Bronzefibel von Skabersjö 

 587

im Älteren Futhark gehört (ca. 750), die ebenfalls dreimal die a Rune zeige.2 Auch Stoklund (2006, 360) geht von einer Datierung der Inschrift in die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts aus. Es scheint als hätten in dieser Zeit mehrere a-Runen mit einander konkurriert: Die Inschrift von Flemløse 1 (DR 192) verwendet sogar drei verschiedene a-Runen (A,h,a).3 Es gibt also keinen Grund, die Inschrift wegen der Verwendung der Rune a dem 11. Jahrhundert zuzuweisen. Man kann der archäologischen Datierung in die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts folgen und die Inschrift, die jedoch bereits das Jüngere Futhark verwendet, am ehesten der Helnæs-Gørlev-Gruppe zuweisen (vgl. Imer 2013, 174).

Transliteration Auf ältere Lesungen, die vorgelegt wurden, wird hier nicht eingegangen, da sie durch die Lesung Moltkes (1985, 354), die er mit einem Elektronenmikroskop durchgeführt hatte, überholt sind. Eine neuerliche Autopsie wurde am 29.11.2016 durchgeführt. Zeile 1: Den Anfang dieser Zeile bildet eine Reihe von R-Runen, die nicht sicher zählbar sind,4 darauf folgt: r^a þ i

t

þ

l

u k

f

a u

n a t

5

u i 30

a u k 10

a f

i

a R 15

s

i

s

i 20

n a i

a k

a s

(a)

25

35

R. 1: Moltke (1985, 354) hatte vor dem a noch ein r gesehen. Dieses r konnte bei der neuerlichen Autopsie nicht gesehen werden. Dagegen zeigte sich, dass rechts von der a-Rune noch der Buckel und ein abwärtsführender Zweig einer r-rune zu sehen ist. Beides kann als eine Binderune a^r oder r^a gelesen werden. – R. 5: Die t-Rune ist erkennbar, allerdings sind ihre Zweige kaum sichtbar. Wenn die diese Rune, wie alle anderen bis zur oberen Einrahmung reichte, dann gehen die Zweige nicht von der Spitzes des Stabes ab, sondern weiter unten. – R. 6: Die Spitze der u-Rune fehlt, die Ergänzung zu einem u ist aber höchst wahrscheinlich. – R. 28: Die Lesung als a ist wahrscheinlicher als u. Was man als den gekrümmten Seitenzweig eines u gedeutet hat, ist höchstwahrscheinlich ein Kratzer. Ein zweiter solcher Kratzer, parallel zum ersten, stört auch die þ-Rune in derselben Höhe wie bei der a-Rune. Zudem würde

2 Weiterer Widerspruch kam von Birkmann (1995, 90–91; 221, 229). 3 h in Aftr, stAin, sAsi, uAs; A in stâtR, âuAiR und a in nuRa, satu, aftiR, faaþi. 4 In DRI I, 319 werden nur 16 solcher Zeichen gezählt, Moltke (1985, 354) zählte 25. Bei einer neuerlichen Autopsie war eine Zählung dieser Runen nicht möglich.

588 

 Edith Marold

dieser Kratzer, wenn man ihn als Seitenzweig der u-Rune interpretierte, erst in der Mitte des Stabes ansetzen. Zeile 2: …

a

u

a

b

?

k

s

u

a

f

a

k

a

t

Deutung Zahlreiche Versuche wurden gemacht, diese Inschrift zu deuten. Dafür einige Beispiele: Die Deutungen von Bugge/Salin (1897) und Lindquist (1918; 1932, 88) beruhen auf unzulänglichen Lesungen und werden deshalb hier nicht mehr behandelt. Marstrander (1965, 271–272) gab die Inschrift folgendermaßen auf Altisländisch wieder: Veð tók Fauka féar síns ok á ek Ási því launat und übersetzte sie: „Fauka tok pant for sitt gods og jeg, Ase, har betalt det (nemlig veð) med denne (spende, nisti).“ Marstranders Deutung beruht darauf, dass er die erste Rune der Inschrift zu w emendierte und sie mit den folgenden Runen zu waþi verband, was er als aisl. veð ‚Pfand‘ deutete. Dieses Wort ist ein ja-Stamm, und man kann das noch erhaltene auslautende i damit rechtfertigen, dass die Wurzelsilbe kurz ist. Marstranders Deutung ist abgesehen von dieser Emendation aus mehreren Gründen problematisch: 1. Fauka wird hier interpretiert als Nominativ eines Personennamens, das müsste dann ein Frauenname sein (Fauka < *Faukōn). Das folgende Possessivpronomen síns setzt aber ein Maskulinum voraus. 2. Der Ausdruck taka veð féar sí(n)s5 im Sinn von ‚seinen Besitz verpfänden‘ lässt sich nicht befriedigend erklären, denn taka veð würde eigentlich eher ‚ein Pfand entgegennehmen‘ bedeuten und ‚ein Pfand seines eigenen Vermögens zu nehmen‘ ist unverständlich. 3. Problematisch ist auch die Verwendung des Demonstrativpronomens því ohne vorausgehendes Bezugswort. Es müsste sich auf den beschrifteten Gegenstand beziehen, dafür wäre jedoch das von Marstrander angenommene Wort nisti n. ungeeignet, weil es eine Nadel bezeichnet. 4. Die Übersetzung von á launat því mit ‚habe es damit bezahlt‘ ist ebenfalls zu beanstanden, denn launa hat ja die Bedeutung ‚Lohn einer Person für etwas geben, vergelten‘, die Satzstruktur dieses Verbs ist Dativ der Person, Akkusativ der Sache (s. die Bsp. bei Fritzner s.  v. launa). Das ist mit der Interpretation von því (Dativ des Demonstrativpronomens) als ‚damit, mit der Fibel‘ nicht vereinbar.

5 sis wird von allen zu Recht zu sīns korrigiert.



Die Bronzefibel von Skabersjö 

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Moltke (1985, 354) ging von folgender Lesung aus: (r)aþi (tu)k fauka fiaR sis in a iak asa þui launat und übersetzte: „(R)ade took fauka of his property and with that6 I, Åse, have rewarded (NN).“ Er verzichtete auf die Deutung von fauka und kam zu folgender Interpretation: The inscription says that a man took fauka (a word we do not understand but which probably refers to the buckle) from his property and apparently delivered it to a lady – Åse – who in turn has used it to reward someone for doing her (and Rade?) a service. (Moltke 1985, 355)

N. Å. Nielsen (1994, 187) versuchte eine Deutung für fauka zu finden: Er interpretierte es als Akk. Pl. von aisl. faukr ‚Angriff, Kräftemessen‘ und verwies auf nn. fauka, einem Femininum mit der Bedeutung ‚Anfall einer Krankheit‘. Diese Bedeutung übertrug er auf das fauka der Inschrift. Er kam damit zu einer völlig neuen Deutung der Inschrift: „Rade blev udsat for sit kvægs sygdom, men jeg har lønnet Åse med dette (spænde)” (N. Å. Nielsen 1994, 187). Er deutete die Inschrift so, dass Åse diejenige war, die das Vieh heilte und dafür die Fibel als Lohn erhielt. Auch hier sind einige Einwände zu machen: 1. Die Übertragung der Bedeutung vom Femininum nn. fauka auf aisl. faukr m. wäre zwar grundsätzlich akzeptabel, jedoch die Verwendung des Plurals (Anfälle von Krankheit?) wäre dann ungewöhnlich. 2. Probleme macht die Interpretation von tōk fauka als ‚wurde der Krankheit (seines Viehs) ausgesetzt‘. Es gibt zwar die Verbindung von taka mit Wörtern für Krankheiten (s. Fritzner s.  v. taka Nr.  9), jedoch ist ‚Krankheit‘ dabei immer in der Subjektsposition, z.  B. … er riða tók mik ‚als mich das Fieber ergriff‘. 3. Schwerer wiegt jedoch der Wechsel von Eigenname (Raði), verbunden mit einem Verb in der 3. Person (tōk) im ersten Satz, zu iak ‚ich‘ im zweiten Satz. Beides würde sich seiner Interpretation zufolge auf dieselbe Person beziehen. 4. N. Å. Nielsens Interpretation setzt eine Lesung asu voraus, gedeutet als femininer Personenname. Doch diese Lesung ist nicht wahrscheinlich, s.  o. Der hier vorgelegte Versuch geht ebenfalls von dem problematischen Wort fauka und seiner syntaktischen Verbindung mit tōk aus. Dabei ist zunächst festzustellen, dass fauka kein Verb sein kann. Aisl. taka kann nicht mit einem reinen Infinitiv verbunden werden, sondern nur mit einem at + Infinitiv. Dies zeigen die zahlreichen Belege bei Fritzner (s.  v. taka), die nicht ein einziges Beispiel für taka + Infinitiv enthalten. Wenn fauka ein Substantiv ist, kann es nur ein maskuliner a-Stamm (Gen. Pl. oder Akk. Pl) oder ein casus rectus eines an-Stammes sein.7 Es ist wahrschein-

6 Diese Übersetzung von því scheint einen Bezug zwischen dem Demonstrativum und dem fauka im ersten Satz herzustellen. Dann aber müsste fauka ein neutrales Substantiv sein, was aber angesichts der Endung nicht sehr wahrscheinlich ist. 7 Eine Deutung als fem. ōn-Stamm kommt nicht in Frage, da es dann Nominativ sein müsste, es liegt aber schon ein Nominativ Raði fest.

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 Edith Marold

lich, dass es sich bei fauka um eine Ableitung von germ. *feukan, aisl. fjúka ‚blasen, dahinstürmen‘ handelt. Eine Sammlung der Bezeugungen der Wurzel *fauk- (Abtönungsstufe) in den skandinavischen Sprachen zeigt, dass sie weiter verbreitet und vielfältiger in ihrem semantischen Spektrum ist, als man annehmen könnte, s. die folgende Aufstellung: ‚Kampf, Kraft, Stärkeprobe‘: nn. fauk8 m., alle Nennungen9 gehen zurück auf Ross (1895, 150). ‚Sturm, Wehen‘: norw. snøføyk m., snøføyke (bm. m./f., nn. n.) ‚Schneesturm, Schneegestöber‘, Bokmålsordboka/ Nynorskordboka nn. fauka f. ‚Unwetter‘, Ross (1895, 150), fauke f. ‚Unwetter‘, Bokmålsordboka/Nynorskordboka ‚Staub‘ nisl. faukur ‚Staub, Stäubchen‘, ÁBIM s.  v. faukur. nn. fauk ‚Korn‘, Ross (1895, 150) ‚Rauch‘: schwed. fauk ‚Krankheitsanfall‘ nn. fauka, Ross (1895, 150); fauke (bm. m/f; nn. f), Bokmålsordboka/Nynorskordboka Beiname aisl. faukr ‚der Stürmer‘: Beiname von Hákon, dem Bruder von Magnus blindis Mutter; von Nickvlos faukke von Þore kudde im Diplomatarium Norvegicum (DN III, 297).

Zu erwähnen sind noch die norw. Redewendungen: gå føyka ‚verloren gehen‘, alt gjekk i ein føyk (m.) ‚alles ging in Hast vor sich‘; kome i eit føyke (n.) ‚daherbrausen‘ (alle Bokmålsordboka, Nynorskordboka). Es scheint, als ob mehrere substantivische Ableitungen von der Abtönungsstufe von germ. *feukan existierten. Es muss allerdings gesagt werden, dass die meisten Ableitungen erst in den neueren skandinavischen Sprachen bezeugt sind und es daher ungewiss ist, ob sie schon zur Zeit der Skabersjö-Inschrift existierten: 1. Es gibt mehrere nomina actionis mit den Bedeutungen:     – Sturm, Blasen, Unwetter‘ (ja-Stamm m./n.)     – ‚Kampf‘ (a-Stamm) metaphorisch verwendet     – ‚Krankheitsanfall‘ nn. fauka (ōn-Stamm, f.). 2. ein nomen agentis: aisl. faukr ‚der Stürmer, der Angreifer‘ als Beiname.10

8 Ross (1895, 150) gibt alle Nynorsk-Belege mit historisierendem fauk- wieder, während moderne norwegische Wörterbücher føyk- schreiben. 9 Kahle 1910, 237; AEW s.  v. faukr; Fritzner IV, 93. 10 Vgl. dazu Kahle 1910, 237.



Die Bronzefibel von Skabersjö 

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3. Die Bedeutung ‚Staub‘ oder ‚Schneeflocke’ (nisl. faukur, nn. fauk) ist möglicherweise von einem früheren Verbaladjektiv mit passiver Bedeutung (‚das was geblasen wird‘) entstanden. Die nächste Frage muss nun sein, in welcher Weise fauka mit taka semantisch verbunden werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in (r)aþi ein Personenname im Nominativ vorliegt, der das Subjekt der Handlung bezeichnet.11 Die Deutung von fauka als nomen agentis ‚Stürmer‘ ist aus inhaltlichen Gründen auszuschließen. Denkbar wäre zwar „(R)aþi nahm (ergriff) die Stürmer seines Vermögens…“, d.  h. er hätte einen Raubüberfall abgewehrt. Dagegen aber würde der zweite Teil der Inschrift (‚und ich … habe damit bezahlt‘) sprechen. Besser scheint die Verwendung in der Bedeutung ‚Staub, Schneeflocke‘ zu passen. „(R)aþi nahm Staubkörner seines Vermögens, (d.  h. einen geringen Teil)“. Diese metaphorische Verwendung ließe sich gut mit dem zweiten Teil der Inschrift vereinen: ‚und ich … habe damit bezahlt (belohnt)‘. Das würde bedeuten, dass (R)aþi einen sehr geringen Teil seines Vermögens verwendete, womit etwas bezahlt wurde. Obwohl die nomina actionis ‚Blasen, Wehen‘ auf den ersten Blick ausgeschlossen scheinen, lohnt doch ein Blick auf eine spezielle Verwendung von taka mit einem nomen actionis. fauka müsste dann aber als Verbalabstraktum (m. an-Stamm, Akk. Sg.) gedeutet werden,12 denn als a-Stamm wäre nur Akk. pl. möglich und ein Plural wäre bei einem Verbalabstaktum unwahrscheinlich. Fritzner (s.  v. taka Nr. 14) gibt etliche Beispiele, wo taka den Beginn einer Handlung ausdrückt: tóku þeir þá ok ferð mikla; tóku þeir nú rás af nýju; Sigurðr tók svá langt kaf á brótt; K. tók hvíld; Konungar tóku tal sín á millum etc. Auf die Skabersjö-Inschrift angewandt ergäbe das folgende Deutung: Raþi begann sein Vermögen ‚(weg)zublasen‘, das könnte eine metaphorische Bezeichnung von ‚großzügig verteilen‘ sein. Eine solche metaphorische Verwendung ist im Nibelungenlied (2. Aventiure Str. 41) bezeugt, wo es von den Geschenke verteilenden Fürsten heißt: … ros und kleider daz stoub in von der hant. Der erste Teil der Inschrift Raþi tōk fauka fēaʀ sīns würde dann wörtlich zu übersetzen sein: ‚Raþi begann das Wegblasen seines Vermögens‘, d.  h. er teilte es großzügig aus. Die beiden möglichen Deutungen: ‚Raþi nahm einen kleinen Teil seines Vermögens‘ und ‚Raþi verteilte großzügig sein Vermögen‘ stehen in Konkurrenz und es ist nicht einfach zu entscheiden, für welche von beiden man wählen sollte. Vor einer solchen Entscheidung sollte man den zweiten Teil der Inschrift näher betrachten.

11 Die Emendation mit anlautendem r stammt von Moltke (1985, 385). Der Name Raþi ist auf dem Stein von Hjermind (DR 77) bezeugt und wird auf germ. < hraþan zu germ hraþaz ‚rasch‘ zurückgeführt (Peterson 2007, 117). 12 Zu Verbalabstrakta abgeleitet mit einem an-Suffix s. Krahe-Meid 1967, III, 94.

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 Edith Marold

Der zweite Teil des Satz lautet: en ā iak … þvī launat ‚und ich habe13 damit bezahlt‘. Bei dieser Übersetzung wird auch das neutrale Genus von þvī verständlich, es referiert auf das fē des Vordersatzes. Þvī kann nicht bei der durch launa vorgegebenen Satzstruktur sich auf das Bezahlte beziehen, sondern darauf, womit bezahlt wird. Die Frage ist nun, wer das ‚ich‘ ist, das hier bezahlt. Es ist unwahrscheinlich, dass dieses ‚ich‘ der Schenker Raþi ist, dass in einem Satz ein Personenname und das Personalpronomen ‚ich‘ auf dieselbe Personen referieren. Das iak muss sich vielmehr auf eine weitere Person beziehen, die das verteilte Vermögen erhalten hat und damit etwas bezahlt. Es gibt hier zwei Möglichkeiten: 1. Das ‚ich‘ bleibt unbestimmt, und bezieht sich auf den Ritzer oder seinen Auftraggeber, die anonym bleiben. asa müsste dann als Akkusativ eines Männernamens Ąsi14 aufgefasst werden. Der zweite Satz hieße dann: ‚und ich habe Ąsi damit bezahlt‘, könnte Ąsi dann vielleicht der Hersteller der Fibel sein, also ein Goldschmied, aber auch eine andere Leistung vollbracht haben. 2. Die zweite Möglichkeit besteht darin, asa als Apposition zu ek zu interpretieren. Ąsa wäre dann ein weiblicher Name (Nominativ eines ōn-Stammes) und der zweite Satz lautete: ‚und ich, Ąsa, habe damit bezahlt‘. Ąsa wäre dann die Beschenkte, die damit etwas, vielleicht die Fibel, bezahlt hat. Ein Blick auf die ek-Inschriften hilft möglicherweise bei der Entscheidung zwischen den beiden Möglichkeiten. Eine Untersuchung der Vorkommen von ek in den Inschriften des Älteren Futhark (bis 700) zeigt, dass dort das Personalpronomen so gut wie immer mit einem Personennamen oder einer Funktionsbezeichnung wie erilaz verbunden ist. Erst in den Inschriften der Wikingerzeit kommt ein nicht näher definiertes ek vor, das die Inschrift als Selbstaussage des Runenritzers kennzeichnet.15 Akzeptiert man eine Datierung der Inschrift an den Anfang des 8. Jh.s, dann könnte das dafür sprechen, dass ek Ąsa wie in den frühen Inschriften ein Verbindung von Personalpronomen und Personenname ist. Noch steht die Entscheidung aus, welche der beiden Deutungen des Vordersatzes die größere Wahrscheinlichkeit hat: Raði, der Stäubchen seines Vermögens nimmt, oder Raði, der sein Vermögen „wegbläst“, es also großzügig verschenkt sind die beiden Möglichkeiten. Möglicherweise kann die Form der Inschrift etwas zur Entscheidung zwischen den beiden Möglichkeiten beitragen. Ivar Lindquist (1932, 89) hat bereits darauf hingewiesen, dass der lesbare Teil der Inschrift einen helmingr einer Ljóðaháttr-Strophe bildet:16

13 Die Verwendung von eiga für die Perfektperiphrase anstelle von hafa ist zwar selten, aber durchaus möglich (s. Fritzner s.  v. eiga Nr. 9). 14 Dieser Name ist in Altdän., Altschwed. und Altwestnord. bezeugt (Peterson 2007, 30). 15 Marold (2015, 148  f.). 16 „En oparig vers med tre starktonsstavelser varav den sista faller på näst sista stavelsen, som skall



Die Bronzefibel von Skabersjö 

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Raþi tōk fauka  fēaʀ sīns   en ā iak Ąsa þvī launat.

Man könnte gegen eine solche metrische Interpretation einwenden, dass die Kadenz   (launat) nicht den Anforderungen einer Vollzeile des Ljóðaháttr entspreche, die hier entweder   oder  fordern (s. dazu Sievers 1893, 84). Es zeigt sich allerdings, dass in Runeninschriften des Öfteren gegen diese Regel verstoßen wird. Beispiele sind die Vollzeilen von Sjörup (DR 279): æn wā mæþ han wāpn hafþi; Vestermarie 5 (DR 387) ok Skōgi svæik saklausan, Aarhus 5 (DR 68) sā ātti skip með Arna. Heusler (1925/1, 243) hatte in Zusammenhang mit Sjörup darauf hingewiesen, dass es sich in diesem Vers um ein früheres Stadium des Ljóðaháttr handle, während der klassische Ljóðaháttr mit der strengeren Kadenzregel sich in Norwegen entwickelte. Die Skabersjö-Inschrift wäre dann ein frühes Beispiel einer Inschrift im Ljóðaháttr.17 Die metrische Gestaltung, die man als zusätzlichen Schmuck interpretieren kann, gibt der Inschrift und ihrem Inhalt besonderes Gewicht. Das könnte die Interpretation nahelegen, dass es sich um eine Inschrift handelt, die in ihrer metrischen Form den Dank für eine Schenkung ausdrücken soll, und die Beschenkte könnte eine Frau namens Ąsa gewesen sein, der es die Schenkung ermöglichte, jemandem einen Lohn zu zahlen. Das verleiht der Deutung der zweiten Hälfte als ‚… und ich, Ąsa, habe damit bezahlt‘ eine gewissen Wahrscheinlichkeit. Die Verbindung von Ich und Personenname ist in Inschriften im älteren Futhark sehr häufig und drücken eine gewisse Emphase, eine Hervorhebung einer Person aus. Interpretiert man die gesamte Inschrift mit ihrem Schmuck der metrischen Gestaltung und der Kostbarkeit des Objekts – eine vergoldete überaus große Fibel – als Dank für eine Gabe, dann gewinnt die Interpretation des ersten Satzes an Wahrscheinlichkeit, die Raði als den großzügigen Schenker darstellt - ein Ideal der damaligen Gesellschaft. So bietet sich als Ergebnis des neuerlichen Versuchs eine zwar immer noch mit Unsicherheiten belastete Deutung aus der Inschrift an, die von einem großzügigen Raþi, der sein Vermögen verteilt, berichtet, dem eine Frau, Ąsa, in einem Vers ihren Dank ausspricht: „Raþi begann sein Vermögen zu verteilen und ich, Ąsa, habe damit bezahlt.“ Ob es die vergoldete, überaus schöne Fibel war, die sie damit erworben hat, ist eine denkbare Möglichkeit.

vara lång och som tycks städse sakna alliteration.“ 17 Zu frühen Formen des Ljóðaháttr und Vollzeilen in Inschriften des älteren Futhark s. Marold 1911, 95  f.

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 Edith Marold

Abb. 3: Vergoldete Vorderseite der Fibel von Skabersjö, Anfang 8. Jahrhundert. Breite 14,3 cm. Foto © Dänisches Nationalmuseum.

Abb. 4: Fibel von Skabersjö, Detail mit Runeninschrift am Rande auf der Rückseite. Foto © Dänisches Nationalmuseum; Fotograf: Roberto Fortuna.

Abkürzungen AEW: Jan de Vries, Altnordisches etymologisches Wörterbuch. [2. rev. Aufl. Reprint]. Leiden 1977. DRI: Lis Jacobsen, Eric Moltke, Danmarks Runeindskrifter. 2 Bde. København 1941–1942. Fritzner: Johan Fritzner, Ordbog over det gamle norske sprog, 4 Bde. Christiania 1883–1896. ÁBIM: Ásgeir Blöndal Magnússon, Íslenzk orðsifjabók. Reykjavík 1989. bm. = Bokmål nn. = Nynorsk nisl. = Neuisländisch



Die Bronzefibel von Skabersjö 

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 Edith Marold

Stoklund 2006: Marie Stoklund, Chronology and Typology of the Danish Runic Inscriptions. In: Marie Stoklund, Mikael Lerche Nielsen, Bente Holmberg, Gillian Fellows-Jensen (eds.), Runes and their Secrets. Studies in runology. København 2006, 355–383.

Gaby Waxenberger

alu An attestation of a Scandinavian trait in Pre-Old English? Abstract: In the article I would like to demonstrate the problems and open questions connected to the word alu on the Spong Hill Urns (ca. AD 450–550). Since alu is one of the very few words that has been passed down to us from the Pre-Old English (Pre-OE) period, I will make an attempt to shed more light on its origin. I will do this not only by looking at it from a linguistic angle, but also by taking archaeological research into account, namely by analyzing the Spong Hill pots and the Spong Hill cemetery. The Spong Hill Urn inscriptions belong to a small corpus of very early inscriptions, which are archaeologically dated to the period between ca. AD 400 and ca. AD 600. Linguistically, these inscriptions belong to the Pre-Old English (Pre-OE) period. In a number of publications Wilhelm Heizmann has revealed the complexity of alu. In this article I will look at this word from the ‘English’ perspective and explore the evidence that it came to England with the first settlers from the North. alu occurs on the Spong Hill Urns (ca. AD 450–550) and is therefore one of the very few words that have been passed down to us from the Pre-Old English (Pre-OE) period. In order to shed more light on its origin, I will demonstrate the problems and open questions connected to the word alu on the Spong Hill Urns. I will do this not only by looking at it from a linguistic angle, but also by taking archaeological research into account, namely the Spong Hill pots and the Spong Hill cemetery. The Spong Hill Urn inscriptions belong to a small corpus of very early inscriptions, which are archaeologically dated to the period between ca. AD 400 and ca. AD 600. Linguistically, these inscriptions belong to the Pre-OE period. Runic inscriptions from Pre-OE times provide evidence of sound changes and their results (see below Table 1) in the time from the adventus Saxonum (ca. AD 400),1 to the beginning of OE (ca. AD 650). The beginning of OE is marked by the completion of the Pre-OE sound changes of which the phonemicization of i-umlaut is the last (Waxenberger forthcoming, ch. 3). Due to the sound changes in Pre-OE, the common Germanic fuþark was obviously regarded as no longer sufficiently applicable to Pre-OE. Not only did this situation require the creation of new runes (= graphemes), namely ōs Æ = / c˜:/ and āc ‚ = /a:/, but it also demanded internal shifts. The ansuz-rune A /a(:)/, no. 4 of the

1 The object with the oldest runic inscription, the Caistor-by-Norwich Astragalus, is dated to ca AD 425–475 by Hines (1990a, 442); see also Hines (1990b, 17–36).

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 Gaby Waxenberger

Common Germanic fuþark, represents the new phoneme /æ(:)/, while rune ōþil O, no. 24 of the Common Germanic fuþark, experienced a shift from /o(:)/ to /œ(:)/. This intermediary phase marks the transition from the Common Germanic or Older fuþark to the OE fuþorc. By the middle of the 7th century, the following four runes must have been established: O = /œ(:)/ Æ = /o(:)/ A = /æ(:)/ and ‚ = /a(:)/

The first innovations in Pre-OE (ca. AD 400–500):

The second innovations in Pre-OE (ca. AD 500–610/650):

Further innovations by i-umlaut (ca. AD 500–610/650):



alu An attestation of a Scandinavian trait in Pre-Old English? 

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The Old English fuþorc in ca. AD 650 (beginning of OE):

The Pre-OE Runic Corpus Only nine inscriptions of the relatively small sub-corpus of 13 early inscriptions dated between 400 and 600 were suitable for the analysis of the early sound changes (Fig. 1; see Waxenberger forthcoming, ch. 3).

Fig. 1: Map of the Pre-OE runic inscriptions (ca. AD 400 – 600) Legend: unprovenanced object: skanomodu solidus (ca. AD 575 – 610) © RuneS 2016

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 Gaby Waxenberger

The early inscription on the Spong Hill Urns has raised many questions. In the following I would like to address these questions from a linguistic, archaeological and material culture perspective in order to ascertain if alu can be seen as an attestation of a Scandinavian trait in Pre-OE.

1 The Inscription on the Spong Hill Urns At Spong Hill, North Elmham, Norfolk a large early Anglo-Saxon cemetery was excavated in its entirety from 1972–1981 [Hills forthcoming]. Three pots (C1224, C1564, C2167) used as cremation urns were found at Spong Hill. They carry impressions of the same stamp, a rectangle holding three runes [Hills forthcoming]. The stamp itself has not been found. The inscription on the Spong Hill Urns (ca. AD 450–550) (Fig. 2) is written in mirror-runes (Pieper 1986; 1987, 67–72).

Fig. 2: runic stamp on the Spong Hill Urn C1564 © Castle Museum Norwich

The sequence has been read from left to right, resulting in alu. If the mirror-runes are not purely ornamental, the sequence running from right to left, reading ula, should also be taken into account.

alu ula←



?‘ale’ ?‘owl’ For the discussion of the left halves of the mirror runes see the Pre-OE RuneS edition (forthcoming).



alu An attestation of a Scandinavian trait in Pre-Old English? 

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alu



The sequence consisting of the right halves of the mirror runes has unanimously been seen as alu, the precursor of OE ealu ‘ale or some other intoxicating drink, apparently brewed’ [DOEEF 2003, s.  v. ealu].

ula← If the mirror runes do not fulfil a merely ornamental purpose but are meant to be read as two different words depending on the direction of writing, the sequence ula may be the OE noun ūle ‘owl’, -an, fem. n-stem [BT 1898, 1088]. However, the question arises if the ending represented by rune ansuz Afuþark is possible. In the case of the nom.sg., the fem. n-stem OE -e must go back to Pre-OE *[-a]/*[-æ] (see Waxenberger forthcoming, ch. 3) and therefore rune ansuz Afuþark is the only possible grapheme for the time-span defined above. The interpretation of ula as a fem. personal name or possibly by-name contradicts the evidence of the human remains in at least one urn (see below section 5: Cremation 1564: probably male). Although phonologically possible and appropriate in this context, ula as a Pre-OE loanword meaning ‘pot’ (< Lat. olla ‘pot’) lacks evidence in the OE dictionaries.2 It should not go unmentioned that on bracteates alu appears as lau, all, al, aul, tau (see Nowak 2003, 211–212): therefore ula← has also been read as alu (e.  g., Hagland forthcoming; see also below alu and its contexts). However, it should not go unmentioned that these mirror-runes are unique in the English Corpus. As the sequence ula← is not the subject of discussion here, I will only focus on →alu in the following sections.

2 The Old High German (OHG) evidence is rather late which may indicate a late loanword and not an early Continental borrowing. According to Dr. Brigitte Bulitta (Althochdeutsches Wörterbuch, Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig) the evidence is as follows: “habin ula [est et] olla (gillo) [fictilis, Prud., Epil. 17] Gl 2,511,58 (geheimschriftliche Prudentiusglosse in der Hs. Eins. 316, 10. oder 11. Jh.; Zürich Car. C 164, Hs. 10. Jh.?) - ula = lat. olla Gl 3,194,1 (Summarium Heinrici, verschollener Codex Sanblasianus) - vle = lat. olla Gl 3,372,21 (Jd = Oxf. Jun. 83, Gll. 12./13. Jh.) - cophern ule = lat. lebes Gl 3,372,23 (Jd = Oxf. Jun. 83, Gll. 12./13. Jh.).” [pers. e-mail communication: 12 April 2017].

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 Gaby Waxenberger

The runological and phonological perspectives Rune ansuz Afuþark of the Common Germanic fuþark represents the phonemes short /a/ and long /a:/ in the inscriptions written in this rune row. It has been assumed that rune ansuz Afuþark of the Common Germanic fuþark still represents the phoneme short /a/ (see Waxenberger forthcoming, ch. 2 no. 77) in the Pre-OE period. Therefore the sequence appearing on the Spong Hill Urns has generally been interpreted as alu. My absolute chronology of the early sound changes (see Waxenberger forthcoming, ch. 3) confirms this assumption (see below table 1) in both scenarios of the period in question.3 It was only later that the shape of rune ansuz Afuþark was recycled and used for the phonemes short /æ/ and long /æ:/ (see below table 1 nos. 3 of scenario 1 and 2). Conclusion: The date (ca. AD 450–550) of the Spong Hill Urn suggests that the inscription could have been created either in the second half of Pre-OE Phase 1 (ca. AD 400–500) or in the early Pre-OE Phase 2 (ca. AD 500–610/650). In Pre-OE Phase 1 (ca. AD 400–500) rune ansuz Afuþark denotes the allophone [a] of Pre-OE /a/ in both scenarios. In the time between ca. AD 500–550 (= early Pre-OE Phase 2), Pre-OE short /a/ and its allophones must have still been denoted by rune ansuz Afuþark in both scenarios. alu must represent the allophone [a] of Pre-OE /a/ which is due to the rule of restoration, which says there is ‘restoration of a before back vowels’ (Waxenberger forthcoming, ch. 3; see also table 1). In the literature (see Waxenberger forthcoming, ch. 2 no. 77), the assumed representation of [a] rendered by rune ansuz Afuþark is therefore correct. My absolute chronology offers two scenarios which depend on the determination of the point of time of the monophthongization of Gmc. */aI/ to Pre-OE /a:/: Scenario 1

Scenario 2 1. ca. AD 450–500: Creation of new rune for / ɔ͂ :/

2a. ca. AD 500

2b. ca. AD 500 – ca. 575/610:

Monophthongization of Gmc. */aɪ/ > Pre-OE /a:2/ and subsequent creation of rune āc a Old rune ansuz was still used for Pre-OE /a:1/ ([a:1], [æ:]) and Pre-OE /a/ ([a], [æ], [å])

2. AD 500– 575/610:

Rune ansuz Afuþark was still used for Pre-OE /a:/ ([a:], [æ:]) and also for Pre-OE /a/ ([a], [æ], [å])

3 The date AD 610–650 is the earliest (ca. AD 610) and the latest (ca. AD 650) date for the Caistor-byNorwich-Brooch. This inscription marks the end of the Pre-OE inscriptions, as the new runes characteristic of the OE period had been firmly established. See Waxenberger (forthcoming, ch. 3).



alu An attestation of a Scandinavian trait in Pre-Old English? 

Scenario 1 3. ca. AD 575/610:

 603

Scenario 2 Partial merger of /a:1/ and /a:2/ to Pre-OE */a:merged/ (= a) and subsequent phonemic split of Pre-OE */a:merged/ into Pre-OE */a:/ (= a) and /æ:/ (= æ)

3. Shortly before AD 575/610:

Monophthongization of Gmc. */ aɪ/ > Pre-OE /a:/ and subsequent merger of this /a:/ with the allophone [a:] of Pre-OE /a:/ (< WGmc. /a:/); creation of rune āc a. Subsequent phonemic split into Pre-OE /a:/ (= a) and Pre-OE /æ:/ (= æ).

4. ca. 575/610–ca. 610/650     (= Harlingen solidus – Caistor-by-Norwich Brooch)     Phonemicization of i-umlaut of Pre-OE [a], [å] which caused the     phonemic split of Pre-OE /a/ into early OE /a/ and /æ/ . Table 1: absolute chronology

The etymological perspective OE ealu is considered to be an old neuter dental stem. In OE only four nouns represent this group: hæleþ ‘hero’, mōnaþ ‘month’, mægeþ ‘maiden’ und ealu ‘ale’ [see SB 1965, § 290; Campbell 1959, § 637; Wardale 1922, § 107; Prokosch 1939, 259; DOEEF 2003, s.  v. ealu]. As can be inferred from the table below, semantically, OE ealu differs from OE bēor. In OE ealu and bēor gloss different Latin lexemes. Therefore, these two nouns may denote drinks which differ in some way. This, however, is only valid for the OE period; the exact meaning of alu in the time of the Spong Hill Urn is difficult to define. OE ealu [DOEEF 2003, s.  v. ealu 1–6] ‘ale or some other intoxicating drink, apparently brewed’.

OE bēor [DOEEF 2003, s.  v. bēor a.-e.] ‘an alcoholic drink brewed from various fruits often using honey; beer; frequently used as an ingredient in medical recipes’. According to DOEEF the “etymological connection with ModE beer need not imply identity of OE bēor with, or similarity to, modern beer in ingredients or mode of manufacture.”

1. with various qualifying adjectives indicating type of ale, especially hlutor ealu ‘clear ale’, wylisc ealu ‘Welsh ale’, i.  e. a kind of ale originally made by the Britons’.

1. ‘as distinct from other alcoholic drinks’ and 1a. ‘with qualifying adjectives perhaps suggesting different types (mainly in medical recipes)’.

2. æþele ealu ‘noble ale’ glossing caroenum ‘reduced sweet wine’.

2. ‘paid as part of a tribute or tax’.

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 Gaby Waxenberger

3. in plural, more generally: kinds of intoxicating drink (including wine).

3. used in poetry, the word can mean 3.1 on/æt beore, ‘suggesting conviviality’ 3.2 beore druncne 3.2.a in a positive context, suggesting feasting 3.2.b in a negative context, suggesting inebriation

4. glossing cervisia ‘a kind of beer’ and caelia ‘ale, beer’.

4. glossing hydromellum ‘a beverage made of honey and water; honeywater, mead, hydromel’, and mulsum ‘honeywater, hydromel’ (mulsum elsewhere glosses medu).

The Latin equivalents in manuscripts are caelia, +cervisia; caroenum = æþele ealu

The Latin equivalents in manuscripts are hydromellum, mulsum, sicera; mella dulcis = leoht beor

Table 2: etymological perspective of ealu and bēor

It should be pointed out that according to Kluge/Seebold (2011, 121) the word for ‘beer’ (OHG bior, OS bior, OFris. biar, bier) is mainly a Continental-Gmc. word whereas ǫl (*alut-) occurs in Scandinavia. Additionally, Kluge/Seebold point out that in English both words (bēor and ealu) are used (see below section 9. Conclusion).

2 alu and its contexts The word alu occurs mainly, but not only, on bracteates; for lists of attested forms see Nowak (2003, 208–214); Heizmann (2005, 479, 2011, 533–538) and Zimmermann (2014/2015, 45  f.) and see also Heizmann (2011, 539) on the distribution of alu on the bracteates types A, B, and C (3:4:13) as well as Düwel/Heizmann (2006) on alu in the context of fuþark inscriptions. Regarding burial contexts, alu also appears on the Elgesem Stone (Sandefjord commune, Vestfold, Norway: Krause/ Jankuhn 1966, no. 57; http://www.runenprojekt.uni-kiel.de/abfragen/default.htm, accessed 5/10/2016). The stone has been seen as a grave-slab but it may have been a standing stone (Runenprojekt Kiel, accessed 5/10/2016). The period of the object and the inscription have been difficult to pinpoint (see Krause/Jankuhn 1966, no. 57) dating it only to the second half of the 1st millennium AD (http://www. runenprojekt.uni-kiel.de/abfragen/default.htm, accessed 5/10/2016). It may also be significant that the first attested form of alu is not on a bracteate but on the Nydam Axe Shaft, dated to ca. AD 350 (Stoklund 1994, 4–5, 2006, 359; Jørgensen/ Vang Petersen 2003). Moreover, a find made in 2005 may shed new light on the object types with alu inscriptions. Hagland (2017, 163) reports on an excavation at “Horvnes in the municipality of Alstahaug, County of Nordland in Northern Nor-



alu An attestation of a Scandinavian trait in Pre-Old English? 

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Fig. 3: The alu alu-inscription from Horvnes, Alstadhaug, County of Nordland taken from Hagland (2017, 165)4; Photo by Per E. Fredriksen, NTNU University Museum.

way”.5 The inscription is on two adjacent fragments of (burnt) bone with a total length of 30  mm and a total width of 5  mm (Hagland 2017, 163).6 According to Hagland these bone fragments may have “possibly been part of a comb” and “seem to have been broken off lengthwise at some stage, implying that the runes in their original shape have been higher than we see them at present”. Hagland also points out that the runes are “sharply cut” and he considers it an intentional inscription and “not just accidental cracks in the surface of the bone”. According to Hagland (2017, 166) the comb “seems, with some reservation, to be dateable mainly in (the second part of) the 6th century”. Hagland (2017, 163) classifies the sequence as an inscription written in the Common Gmc. fuþark. He reads aallu[ and regards it “as the well-known formulaic and seemingly magic word of alu (‘bier’) carved twice: Runes 1, 3 and 5 constituting the first alu, runes 2, 4, together with a most probably now lost rune 6 the second, so as to form an intertwined alu, alu.” In

4 Jan Ragnar Hagland kindly let me use the photograph. 5 The excavated site is “located at the north-westernmost promontory of the big island called Alsten” (Hagland 2017, 163). 6 The objects are now in the museum in Trondheim: catalogue no T-22926: 96+97 (Hagland 2017, 163).

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 Gaby Waxenberger

Hagland’s opinion the doubling of the runic word alu in the Horvnes inscription is not “totally unique” as he sees the inscription on the Spong Hill Urns as a parallel (see above section 1 The inscription on the Spong Hill Urns). Although the sequence alu is mostly used on bracteates, this inscription, on a piece of bone which is probably part of a comb, may provide new evidence for the assumption that this formula was not only limited to bracteates. The geographical distribution of the alu inscriptions to the North (“nordgermanischer Sprache”) has been pointed out by Krause/Jankuhn (1966, 106). Heizmann (2004, 374; 2005, 470) has heeded his warning to read alu ‘into runic inscriptions from the Alemannic and southern German areas’.

3 The semantic dimension of alu Looijenga (2003, 194) introduces a catalogue of the “interpretations” that have been suggested for alu; they encompass ‘magic’, ‘extasy’ and ‘intoxicating drink’. Despite Høst Heyerdahl’s (1981) and Polomé’s (1996) objections, Looijenga (1997, 111) feels that a “connection” of alu with IE *alu- ‘bitter’ and the mineral alum, which was used as both medicine and as amulets, “cannot be excluded”. Also the importance of alu may lie in its taste, since it denotes an antidote (just like laukaz ‘garlic, leek’: see Heizmann 2011, 550–573), which might explain its occurrence on bracteates according to Saltveit (1991, 140). Polomé’s (1996, 103) attempt to link alu to Hittite *aluwanza‘affected by sorcery’ and therefore relate it to “an ecstatic state of mind, caused by drinking beer or ale” does not seem “unlikely” to Looijenga (2003, 194). On the basis of the Elgesem rune stone (see above 3.1.3), Antonsen (1984, 334  f.) considers alu to denote not only ‘ale’ but also the situation of a person in a trance, perhaps as a result of drinking beer. Moreover, on amulets alu may refer to religious activities, initiation rites or a death cult; it might even symbolize the transitory state between this and the after-world. Finally, alu may also have been the liquid used for libations according to Looijenga (2003, 111). Concerning the connection between alu and death, Looijenga (2003, 195) points out that since drinking vessels were often put in graves to “symbolize” the deceased’s “partaking at the eternal feast” the word alu may have been used in order “to replace or symbolize a missing drinking vessel.”7 Looijenga (2003, 195) concludes that “[s]acred and profane uses of ale can be regarded as complementary.” Elliott (1989, 50) holds the view that “the survival of a traditional formula using the original runes need not be surprising” as the pot seems to belong to the period of Anglo-Saxon

7 Alexandra Pesch (pers. communication: 29 March 2017) points out to me that drinking vessels are not depicted on bracteates.



alu An attestation of a Scandinavian trait in Pre-Old English? 

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migrations and he points out the parallels in Scandinavia. According to Looijenga (1997, 166) alu “may be taken as a word indicating some cult or ritual, in which the use of ale may have played a central role, perhaps in connections with a death cult.” Looijenga (2003, 282) modifies her statements inasmuch as she omits the death cult. Schwab (1998, 418) defines it as a ‘magic word’ which was intended as having a double effect so that the runes could be read from left to right and from right to left: alu and ula. Schwab states that “writing backwards is one of the most popular obscuring techniques of magic writing’ („die Rückwärtsschreibung gehört zu den beliebten Verdunkelungstechniken der Schriftmagie“). Looijenga (1997, 166; 2003, 282) observes that since the runes “are stamped”, there “might be a connection with the manufacturing of bracteates, which also bear stamped runic legends, such as alu.” This “manner of decorating pots with stamps is common to Anglo-Saxon and Anglo-Frisian ware” according to Looijenga (2003, 282). On the basis that Pieper’s approach (mirror runes) is correct, Page (1999, 93) points out that the “Spong urn-maker had devised a revolutionary technique” for reproducing messages in a soft material, by “cutting them in relief in ?wood and printing them on the unfired pots.” Although the literal meaning of alu is ‘ale’, Looijenga (2003, 194) stresses the fact that its “meaning or function in runic texts, and its occurrence, especially on bracteates, is enigmatic.” Formally, nothing speaks against seeing alu as the regular Proto-Old Norse equivalent to *alu ‘beer’ which developed into ON ǫl and OE ealo8 according to Nowak (2003, 214). In Nowak’s (2003, 215) view, the etymology of the word can be linked to either Proto-Gmc. *alan ‘to nourish’ (cf. ON ala) or to Hittite alwanzatar ‘magic’ and Grk. ἀλυ΄ειν ‘to be beside oneself; to be intoxicated’; in the first case beer would be a “Nährgetränk” (‘nourishing drink’) whereas in the second it would be a ‘drink with special characteristics’. However, the latter etymology is not without problems (see Nowak 2003, 216). Moreover, from a morphological point of view, the Gmc. stem *aluþ(formed with a dental suffix without thematic vowel) cannot be linked to either of the two discussed above as it is morphologically isolated according to Nowak (2003, 216). Nowak (2003, 216) considers the possibilities that *alu ‘beer’ and Runic alu may be the same word but they may also be two different words. Nowak (2003, 219) established an impressive list of possible connections and meanings of the two words. On the basis of Rooth (1926, 9  ff.), he also regards alu as a verbal form in the first person singular present tense active ‘I nourish’ connected to Proto-Gmc. *alan.9 The ending -u for the 1st person singular present tense active is the original ending in OE (Gmc. -ō > Pre-OE -u: SB 1965, § 355) and therefore alu meaning ‘I nourish’ would formally be correct in Pre-OE. The matching verb, alan ‘to nourish, to produce’ (strong,

8 Nowak’s form is late(r) OE; for the earlier OE form see below DOEEF. 9 For the assumed meaning ‘to nourish’ see also Nowak (2003, 219).

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 Gaby Waxenberger

VI; Holthausen/Matthes 1974, 3), is also attested in OE although only 3 attestations are recorded [DOEEF 2003, s.  v. alan]. Basically, the complex and controversial discussion on alu is based on three major morphological and semantic concepts, that is on two morphological (noun – verb) and three semantic concepts (Hittite *aluwanza ‘affected by sorcery’; Gmc. *aluþ ‘beer’; Gmc. *alan- ‘nourish’): alu as a noun

alu as a verb

1. etymology: cf. Hittite *aluwanza ‘affected by sorcery’ and therefore ‘an ecstatic state of mind, caused by drinking beer or ale’ (Polomé 1996, 103) 2. etymology: Gmc. *aluþ ‘ale’ (cf. Bæksted 1945, 88)

1st pers. sg. pres. active of Gmc. verb *alan- > OE alan (Rooth 1926, 9  ff.)

Table 3: alu as a noun and as a verb

After analyzing all the possibilities, Nowak (2003, 225) concludes that a final solution for the meaning(s) of alu is not (yet) possible. On the grounds of his analysis, he arrives at the conclusion that runic alu should be seen as *alu ‘Bier’ (‘ale’) because the attested forms of alu require neither the assumption of homonyms nor the assumption of a magical term the precise meaning of which is not known. Judging by the inscriptions on bracteates, Nowak regards the basic meaning ‘beer, ale’ as supported by a plausible analogy, namely by the concrete meaning laukr as ‘leek; onion’ (on laukr ‘leek, onion’ see also Heizmann 1986, 1993, 2011). After discussing researchers’ opinions on the various connections of ‘beer; ale’10 with bracteates and the bracteate culture on the one hand and the dead on the other, Zimmermann (2014/2015, 48–51) arrives at the conclusion that there were two contexts in which alu-inscriptions occur: in the relation of rulers and retainers (e.  g., bracteates) and in the context of the after-world (Zimmermann 2014/2015, 53). Zimmermann (2014/2015, 58) emphasizes the central role of drinking ceremonies in the king’s hall (cf., e.  g., Beowulf) in the retinue system in the Migration Period. She holds the view that bracteates played an important role as prestigious gifts of honour, reward, or confirmation of a relationship. She takes into account that bracteates were distributed during such drinking ceremonies in the hall. Furthermore, Zimmermann concludes that the formulaic use of the drink, alu, could stand for such a ceremony (pars pro toto). She also lists examples of the concept of common drinking in the afterworld in the Old Norse literature and argues that alu in the grave context may refer to this concept.

10 E.g., healing and nourishing drink; drink for the after-world; drink at burial rituals for the living.



alu An attestation of a Scandinavian trait in Pre-Old English? 

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Heizmann (2004, 376) discusses a possible connection between gold bracteates and Constantinian coins and medallions which are considered the templates for the bracteates: he observes certain similarities between runic formula words, such as “salusalu/alu” and “SALVS” and he takes into account that the creator of the runic bracteates may have consciously searched for phonological equivalents in the vernacular to match the meaning of the iconography of the bracteates in question. Heizmann (2011, 540  f.) points out that only two etymological concepts are considered today: Gmc. *aluþ ‘ale’ and Hittite *aluwanza ‘affected by sorcery’ (see also above Table 3). He rightly emphasizes that linguistics can therefore not provide an unequivocal interpretation of alu on the given objects and therefore the context of the alu inscriptions must be taken into account. After comparing all the contexts, Heizmann (2011, 542 and 544) arrives at the conclusion that alu must have had an apotropaic function with a transported meaning (“Sinngehalt”) ‘Abwehr’; for Spong Hill that would be the ‘repulsing of the dead’. For the semantic development of alu, Heizmann (2011, 544 footn. 76) generally follows Arntz (1944, 262), who states that Gmc. *aluþ ‘beer’ must already have developed to alu in Proto-ON and must have fallen together with the ‘cult word’ (“Kultwort”) alu the meaning of which, in all probability, seems to have been ‘Abwehr’.

4 The text-typological dimension: comparison of the inscriptions of the Spong Hill pots and the Loveden Hill urn (ca. AD 450–550) The only other Pre-OE runic inscription on a funerary urn comes from the Loveden Hill cemetery, Lincolnshire. According to Hills (1991:54), the “range of material” from Loveden Hill is “comparable” to that from the Norfolk cemeteries and therefore also “likely to have a largely Anglian ancestry.” She also points out that some of the pots appear to have “similar, or identical, stamps to some found at Spong Hill, suggesting some direct contact between Lincolnshire and Norfolk”. Seen from the text-typological dimension, the two text differ a great deal.

s§þAbAd || þ i{c /u}w || [.]lA[.] Although the sequence s§þAbAd is generally seen as a personal name (?masc.; ?fem.: see Waxenberger forthcoming, ch.  2 no. 54), the sequences þi{c/u}w and [.]lA[.] are controversially deciphered and interpreted. When compared to the Loveden Hill Urn ca. AD 450–550 (see Waxenberger forthcoming, ch. 2 no. 40), the Spong Hill inscription differs in two ways: first, the oneword inscription was stamped on the pot and not cut. Second, the stamped inscription

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occurs several times on each of the pots (C2167 and C1546) whereas the Loveden Hill inscription shows three sequences divided by markers. Although this inscription has not been deciphered completely (see Waxenberger forthcoming, ch. 3), it seems clear that the first sequence represents a name. Furthermore, the runic inscription on the Loveden Hill Urn can be read by the beholder whereas the inscription on the Spong Hill Urns cannot as it is upside down (and in a 90° angle on C1224). From these differences of the two urns, it becomes already obvious that the writing on the two pots may reflect two different traditions, intentions and/or purposes. The probability that the Loveden Hill Urn with its three sequences was originally intended as a ‘personalized’ funerary urn seems very high to me. In the case of the Spong Hill Urn, this is, in my opinion, not entirely certain, especially since there may have been some liquid in the pots before they were used as cremation urns according to Hills (private communication). Thus, it is imaginable that these pots were used as containers holding alu prior to their use as funeral urns.

5 The archaeological perspective The Spong hill pots with the stamped runes were found at North Elmham, Norfolk. Spong Hill is situated in the southern part of North Elmsham parish in central Norfolk (TF 981 195; Historic Environment Record No. 1012), ca. 25 km northwest of Norwich (Hills/Lucy 2013, 9; see also above the map Fig. 1). Three of the pots used as cremation urns, C1224, C1564 and C2167 (Fig. 4), carry impressions of the same stamp, a rectangle with three indentations across one narrow end, containing three runes (Hills forthcoming; see below figures 4b and 4c). The stamp itself has not been found. The cemetery was in use from the first half of the 5th cent. AD to the early 6th cent. AD. The runic pots belong to the middle of that period, the central decades of the 5th cent. (Hills forthcoming).

C1224

 C1564

Fig. 4: The stamped pots (C1224, C1564, C2167) © Norwich Castle Museum

C2167 (Hills forthcoming)



alu An attestation of a Scandinavian trait in Pre-Old English? 

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Cremation 1224 According to Hills (forthcoming) the pot is relatively large for Spong Hill: 19  cm in height, 27.5 cm in diameter. Cremation 1224 was buried seemingly near the middle of the cemetery. The artefact was in situ although the rim and part of the upper body of the pot are missing due to plough damage. It contained the cremated bones of a young mature adult, possibly female. For information on the grave goods of C1224, C1564, and C2167 see Hills (forthcoming). Cremation 1564 C1564 was buried 10 meters to the south of C1224, still within the central part of the cemetery. It was close to another cremation (C1566) and crushed in situ. It contained the bones of an older mature adult, probably male (see Hills forthcoming). Cremation 2167 This pot was buried 30 meters to the west of the other two, near the western edge of the cemetery. It was buried singly, crushed in situ. It contained the cremated bones of a sub-adult human. The pot was originally of a similar shape to the other two, but slightly smaller. Lines and rows of oval indentations around the neck are like the ones on C1224, but below are triangular panels with single runic stamp impressions like the ones on C1564 (see Hills forthcoming). According to Hills (forthcoming), C2167 “was originally of a similar shape to the other two, but slightly smaller. Lines and rows of oval indentations around the neck are like the ones on C1224, but below are triangular panels with single runic stamp impressions like the ones on C1564”. The slightly different patterns are only attested on two pots (C1224 and C1564) while the third is too fragmentary to draw any conclusions. This low number of attestations, however, may not be significant in terms of age and/or gender but it is definitely eye-catching that the patterns differ and may fit the general context (see below the pattern of Spong Hill pots in general). In the following section, I would like to focus on the way the pots are stamped. Hills (forthcoming) points out that all the “pots were hand made, not wheelthrown, and not fired in a kiln.” Stamped pot C1564 The pot (Fig. 5) is of a similar size and shape to C1224 (Fig. 6) but the decoration is different. Around the neck are eight horizontal lines. Underneath this is a row of rosette stamps and then another line. Below this are sloping lines and bands of circle stamps which form triangular panels within each of which is a single impression of the runic stamp (see also Hills forthcoming).

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 Gaby Waxenberger

Fig. 5a: Stamped pot C1564

Fig. 5b: stamped inscription

Fig. 5c: stamped inscription Figures 5a–5c: © Norwich Castle Museum

Stamped pot C1224 C1224 (Fig. 4, 6) is described by Hills (forthcoming) in the following way: “The decoration covers the upper half of the pot. Around the neck are at least eight horizontal lines separated by at least three bands of oval indentations, and around the middle of the pot is a band of alternately sloping lines and grooves. In between is a zone separated into four panels, divided by shallow slashed vertical cordons and vertical rows of cross in circle stamps. In each panel is a small round boss surrounded by small round indentations and three impressions of the same runic stamp. The stamp is a rectangle with three indentations across one narrow end, containing three runes”.



alu An attestation of a Scandinavian trait in Pre-Old English? 

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Fig. 6: The inscriptions on the stamped pot C1224 © Norwich Castle Museum

aa ll uu

aa ll uu aa ll uu

The runes of the stamp impression in the middle are upside down from the beholder’s/reader’s frontal perspective. The runes impressed on both sides run from top to bottom but do not face each other, pointing to the right instead. Stamped Pot C2167 There are only some sherds left of C2167. The pattern on the urn seems to be a conglomerate of C1224 and C1564: see above Fig. 4. As far as can be inferred from the drawing of the sherd, the runes are also upside down.

The patterns of the Spong Hill pots in general The majority of the pots had linear, plastic or stamped decoration, in contrast to contemporary settlement sites where the majority of the potsherds are undecorated. This suggests the decoration had meaning in the context of a burial, and was chosen as appropriate for the individuals buried. This is supported by an analysis of the relationship between pottery form, size and decoration and the age and sex of the buried individuals. Groups of pots decorated with the same stamps were identified, usually including pots similar in overall decorative style although they may include simple and complex versions of similar designs. Larger groups of stylistically similar pots

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 Gaby Waxenberger

were also identified. Both stamp-linked groups and style groups represent broadly contemporary pots, possibly made by one person, and the spatial clustering within the cemetery of many such groups probably indicates family burial areas (Hills forthcoming).

Conclusion Looking at the stamp impressions of C1564 and C1224, it becomes obvious that neither the stamps were impressed in the same direction nor were the patterns completely identical. On C1564 the stamp impressions are arranged in the lower parts of the inside areas of the individual triangles which, in turn, are arranged in a zig-zag band around the urn. Interestingly, the runes are upside down when looked at from a beholder’s/ reader’s frontal position. In the case of C1224 the runes of the stamp impression on the two sides point in the same direction (see above Fig. 6). If the reverted runes are only due to the technique of the craftsman, then the fact that they are reverted bears no meaning. However, it should not go unmentioned that the runes can only be read if the beholder stands behind the pot looking down at it or if (s)he carries the pot. This, in turn, may be a clue as to who was intended to see the inscription and when. In its use as an urn, the beholder could only see the inscription as long as the urn was not totally covered with soil. If, however, the word alu was meant as information about the content of the pot, the reader must have stood behind it or must have carried it, looking down (see below Fig. 7). In my opinion, the stamps were deliberately impressed upside down (see above 3).

Fig. 7: The pot (C1564) from above © Norwich Castle Museum



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6 Relations of the Spong Hill runic pots with other objects According to Hills (forthcoming) the three runic pots (Fig. 4) can be typologically related to a number of other pots at Spong Hill, also decorated with unusual, often large and detailed, stamp motifs. The closest connection would be to the pots of Stamp Group I (C1029, C1046, C1055, C1056, C1199: see Hills 1977, figs. 57–58). These were all buried quite close together near the western edge of the cemetery (see Hills forthcoming). One of these pots, non-runic C1046, has a decorative scheme close to that of runic C1224 according to Hills (forthcoming). She gives the following description: “[b]oth [pots] have a zone on the upper half defined below by a horizontal line and [are] divided into four panels defined by narrow slashed bosses with stamp rows on either side. Within each panel of both pots is a small round boss, surrounded either by dots or stamp impressions, with a small number of larger stamps in each panel. The latter are the runic stamp on C1224, on C1046 instead they are swastikas. The semi-circular stamp used on C1046 is seen again on the other four pots of this group, one of which also shares the swastika stamp. Apart from C1046 the pots in this group are closely similar in size, shape, and decoration, which consists of horizontal lines and stamp rows.” Beside the runic stamps, there are other rectangular stamps. According to Hills (forthcoming) most of them are on the pots belonging to Stamp Group 4. These include “several versions of a narrow rectangular stamp which includes rows of G and swastika symbols, also rune-like symbols. These stamps are arranged in horizontal bands, possibly imitating Frankish roulette decoration. Several further pots have stamps in the form of animals or birds, combined with swastika motifs, some in narrow rectangular bands like the runic stamp. All of these contrast with the more commonly found smaller stamps with simple patterns such as circles, crosses, or rosettes.” For Hills (forthcoming) this suggests that “these motifs were chosen deliberately, because they had more than decorative significance.” Most of the other stamp-linked groups were found clustered together in the same part of the cemetery, suggesting family burial plots. With the exception of the pots of Stamp Group 1, the pots discussed above were widely scattered over the cemetery, which may indicate the stamps used had more than family significance (see Hills forthcoming). All of the pots discussed have been dated to phase B, that is, the central decades of the 5th cent. according to Hills (forthcoming). Hills (forthcoming) points out that the concentric circular bands of decoration on the pots can be compared to the decoration on circular brooches. Moreover, she points at a possible parallel of pots from Stamp Group 1 and other pots with rows of stamps around the neck and the “concentric bands of stamped decoration seen on some Scandinavian gold bracteates” such as Gudme II-B (IK 51,3) which has “concentric bands of semi-circular and triangular stamps with internal beads or pellets, the

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Fig. 8: Gold Bracteate from Brinton: Front Photograph: Charlotte Behr (2010:54, fig. 11)

Fig. 9a: Runic B-Bracteate from Binham (IK 604,1) Behr & Pestell (2014:48 figure 3(d))

Fig. 9b: Runic B-Bracteate from Binham (IK 604,2) Behr & Pestell (2014:48 figure 3(e))

same motifs and the same arrangement as those used for the pot stamps on C1199 and C1029 (Stamp Group 1). Furthermore, other “bracteates with stamped borders often include triangular and semi-circular motifs as well as diagonal crosses and S-shaped stamps, which also occur on Spong Hill pots”. Moreover, Hills (forthcoming) regards the two recent finds of gold bracteates in Norfolk as “[m]ore immediately relevant”: an A-bracteate from Brinton (see below Fig. 8), “with a central image which includes human, animal and bird elements, and a border of small stamped semi-circles” and the runic B-bracteates from Binham (see below Figs. 9a–9b). Here the central image is of a standing figure between two beasts, his hand in the jaws of one. The border has concentric bands of triangle with circle and diagonal cross stamps, both motifs found on pots at Spong Hill. Behr/Pestell (2014, 49) describe the outer zones of the two B-bracteates from Binham as follows: “[t]he central motif on both pendants is surrounded by two concentric fields that were decorated with the same stamps: the inner zones with a series of triangles crowned with a circle, and the outer ones with square panels in which an equal-armed saltire cross was set”. Behr/Pestell (2014, 49 footn. 22) confirm Hills’ observation that “the stamps in the border zones of the Binham bracteates parallel stamps used to decorate urns in the nearby cemetery of Spong Hill”.



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Fig. 10: The Spong Hill Cemetery and the cemeteries of Westerwanna, Bordesholm and Süderbrarup Map taken from Hills (forthcoming)

7 The Spong Hill cemetery The cemetery was in use from the first half of the 5th cent. AD to the early 6th cent. AD (Hills forthcoming). As the largest Anglo-Saxon cremation cemetery was excavated in its entirety, more than 2,500 cremations and 57 inhumations were excavated (Hills/ Lucy 2013, 1; Hills forthcoming). According to Hills/Lucy (2013, 1) these numbers offer the “potential for robust associative patterning to be reliably observed” and, equally important, the “completeness of the site was vital for detecting spatial patterning and potentially horizontal stratigraphy – a temporal phasing of the site – or for discerning other sub-divisions of the site”. This fact, in turn, is of utmost importance for the linguistic analysis of the word alu. The runic pots belong to the middle of that period, that is the central decades of the 5th cent. (ca. AD 440–460); this is the time, according to Hills (1991, 50), when local English traditions had emerged after the migration, and when pottery decoration had a vigour and confidence which might indicate that it had meaning and purpose. This would include pots with animal and swastika stamps, as well as runic ones. For Hills (1991, 51) such “a dating, after the initial migration, would also allow these pots to fit into a second-generation Anglian cultural context.” Hills (1991, 51) compares the Spong Hill Cemetery with the cemeteries of Westerwanna, Bordesholm and Süderbrarup (see Fig. 10) and she points out that in “con-

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ventional terms, Westerwanna is Saxon, while the two cemeteries at Bordesholm and Süderbrarup are Anglian.”11 A comparison of the grave-goods shows a close relationship between Spong Hill and the two Anglian cemeteries according to Hills (1991, 51). Although individual items can be paralleled at Westerwanna as well as at Süderbrarup, the overall proportions of types found are different. In the following table, cruciform brooches and also miniature tweezers, razors and shears are compared in the different cemeteries: Whereas at Spong Hill and at the two Schleswig-Holstein cemeteries (Bordesholm; Süderbrarup) cruciform and related brooch types predominate, at Westerwanna cruciforms are rare and other types (e.  g., supporting-arm, tutulus and applied brooches) are typical according to Hills (1991, 51). At Süderbrarup sets of miniature tweezers, razors and shears occurred in a quarter of all graves and in more than half of those with any grave-goods at all. At Spong Hill nearly three hundred graves, about 18% of those with grave-goods, contained sets of miniatures or component parts of such sets, like tweezers (Hills 1991, 51). At Westerwanna, however, there seem to be only some dozens of burials with miniatures, out of nearly 3,000. Even allowing for considerable loss at Westerwanna, Hills (1991, 51) finds the difference striking. Regarding the similarities between the Spong Hill grave-goods, considered as a whole, and the Schleswig-Holstein sites, Hills (1991, 52) arrives at the conclusion that they are much greater than the correspondences between Spong Hill and Westerwanna. More importantly, according to Hills (1991, 52) the differences between Spong Hill and any of the Continental cemeteries are partly explicable in terms of chronology.12 Brooches seem to have been declining already on the Continent and at Spong Hill there are few, and of those there are more early than late types. Glass beads and ivory, on the other hand, are far more popular at Spong Hill than on the Continent. Hills (1991, 52) emphasizes that the clearest pattern is that shown by stamped pots.13 There are no stamped pots at Süderbrarup and very few at Bordesholm, whereas ca. 10% of Westerwanna (= Saxon) pots are stamped and 33% of those from Spong Hill:

‘Anglian’

‘Saxon’

Süderbrarup

Bordesholm

Westerwanna

Spong Hill

none

very few

ca. 10%

33%

Table 4: stamped pots 11 The sites are very large, producing between 1,000 and 5,000 burials a piece (see Hills 1991, 51). 12 Hills (1991, 51) stresses the point that allowance has to be made for the fact that the Continental sites all began and ended sooner than Spong Hill. 13 This fact seems to contradict the grave-good analysis at first sight according to Hills (1991, 52).



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She regards the pattern at Spong Hill as “partly an English development: other English cremation cemeteries produce very high proportions of stamped pots, many belonging to the sixth century. The idea of stamping pots may have come from Saxony, but it was taken up and vigorously developed in England” [Hills 1991, 52]. Hills (1991, 53) comments that the “context for the Spong Hill runic pots is the whole of that cemetery. This appears to be predominantly Anglian rather than Saxon in character. Even the “Saxon” habit of stamping pots may have been promoted by non-Saxons. The runic pots themselves represent a combination of traits”; she sees C1224 (Fig. 4; Fig. 6) as “a particularly odd mixture with ‘Anglian’ applied cordons and ‘Saxon’ rosettes and stamps [b]ut this probably represents an amalgamation of traditions in a period after the initial migration.”

8 Summary After looking at the inscription, the object and the cemetery, it can be said that: 1. my absolute chronology of the early sound changes (see above 3.1.1) confirms the assumption by earlier research that rune ansuz Afuþark represents the sound values /a/ and /a:/ in the period in question (ca. AD 450–550). Therefore the sequence consisting of the right halves of the mirror runes reads alu. The sequence consisting of the left halves of the mirror runes may be read as ula (see above section 1 ula←). 2. With the exception of the Spong Hill inscriptions, the geographical distribution of the alu inscriptions seem to be restricted to Scandinavia (see above section 2) which makes a Scandinavian trait in Pre-OE alu more probable. 3. Although it is not clear how many meanings there were in Pre-OE alu (see above section 3), a basic meaning ‘alcoholic drink’ seems, however, certain as this can clearly be established from its later OE attestations. Unlike ON and OHG, there are two words for ‘beer’ in the OE lexicon. However, it should not go unmentioned that in the OE period, ealu and bēor must have meant (slightly) different alcoholic beverages as is evidenced by the Lat. words which were glossed by the two lexemes (see above section 1 The etymological perspective). 4. The conclusion that alu must be a noun (‘alcoholic beverage; ale’) is drawn by Nowak (2003, 225) on the appearance of laukr ‘leek’ together with alu in bracteate inscriptions. Therefore he does not accept alu as a verb form ‘I nourish’ (see above section 3). Although a verbal form ‘I nourish’ would be appropriate for a pot containing ale which may have been the case of the Spong Hill Urn but it would neither be suitable on bracteates, on the Elgesem Stone nor on the Horvnes Bone ?Comb (see above section 2).

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5. Typologically, the Spong Hill inscription differs a great deal from the only other runic Pre-OE urn, the Loveden Hill Urn: not only was the inscription intended to be read by the beholder, but it was also ‘personalized’ as there was a name on it (see above section 4). 6. The same stamp was used on pots C1564 (Fig. 5b) and C1224 (Fig. 6); only the patterns are somewhat different (see above section 5). The variation in the patterns are eye-catching but it is not clear if they depend on the gender and/or age of the deceased. The bones in C1564 belong to an older mature adult, probably male while those in C1224 were part of a younger adult, possibly female and last but not least the pattern on C2167 (Fig. 4), the cremation of a sub-adult, seems a conglomerate of the first two (see above section 5 Stamped Pot C2167). 7. In my opinion, the connection of the ornaments and stamps with other urns in the cemetery and also with brooches and most importantly with bracteates recently found in Norfolk, sheds new light not only on the urns C1564 and C1224 but also on the connection of bracteates and other goods (see above section 6) which, together with point 8 below, helps to contextualize the inscription. 8. Finally, the Spong Hill cemetery was shown as having a connection with Continental ‘Saxon’ (Westerwanna) and ‘Anglian’ (Bordesholm and Süderbrarup) cemeteries. Spong Hill’s conglomeration of the two is of particular interest: Spong Hill’s C1564 and C1224 are seen as the second generation. Points 7 and 8 reveal clues that the inscription was probably not made by a first-generation settler but by the second or even third generation. Linguistically, this means that alu must have been integrated into the vocabulary of Pre-OE although its roots must lie in the North.

9 Conclusion Although many questions of the mysterious Spong Hill Urn inscription must remain unsolved, I have attempted to throw more light on the inscription by looking at its micro and macro contexts in order to see if the assumption of a Scandinavian trait in Pre-OE alu could be justified. In her conclusion, Hills (forthcoming) states that the three runic pots from Spong Hill “can be seen to be local products made and buried in central Norfolk in the fifth century, probably the middle decades of that century. The stamped decoration can be related to other stamped pots which are also relatively well made, decorated with relatively large and complex stamped motifs such as animals or swastikas. Some of the latter can be paralleled at other Anglo-Saxon cremation cemeteries such as Caistor-by-Norwich or Cleatham, but the runic stamps so far appear as peculiar to Spong Hill. These pots belong to a period when local var-



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iation had developed. The pots of the earliest phase at Spong Hill have relatively few stamps, and those are not complex motifs.” From a runological point of view, the following facts can be added to this ‘peculiarity’ of the Spong Hill Urns: these mirror-runes are unique in the English Runic Corpus and so is the fact that they read alu→, a word mostly but not only used on bracteates. Additionally, the inscription can be read in both directions, revealing alu and possibly ula. Moreover, the runes are impressed upside down. This may be due to the craftsman’s technique but it may have been a deliberate act. Possibly, the runes were intended to be seen by the person burying the dead, or, if the pots were originally intended as vessels for ale, when empty, they may have been stored upside down. If the pots were in use as containers for ale, the runes impressed on both sides would have been easier to read as well. However, the question if alu is an attestation of the Scandinavian trait in Pre-Old English can be answered with a certain degree of confidence. The archaeological analysis shows that the Spong Hill Cemetery is predominantly Anglian and that the runic pots “fit into a second-generation Anglian cultural context” (see above section 7). Since the first attested form of alu is on the Nydam Axe Shaft, dated to ca. AD 350 (see above section 2), it can be assumed that the first settlers introduced the word to English soil which, is, in my opinion, manifested in the alu of the Spong Hill Urn. If alu on the Spong Hill Urns is the equivalent of ModE noun ale, then alu belongs to the stock of Pre-OE words. alu ‘ale’ seems to be only attested in North-Germanic. OE bēor ‘beer’ seems to come from West-Germanic. OE ealu (alu) ‘ale’ and bēor ‘beer’ may be another small piece in the mosaic “reflecting composite dialectal background of the Germanic-speaking colonists of Britain”, as Hans Frede Nielsen (1998, 80) puts it.14

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14 My thanks go to Ute Zimmermann; last but not least to Jenny Robins for reading the manuscript and making most valuable suggestions.

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 Gaby Waxenberger

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Register Aachen 135–138, 143, 146  f., 151, 153–155, 157–160, 164, 168, 457, 497, 506 Adam von Bremen 19 Adventus Saxonum 597 altenglisches Fuþorc (auch engl. Old English Fuþorc) 569, 572, 598  f. altnordische Historiographie (auch engl. Old Norse historiography) 33, 209, 214, 262, 323 altnordische Literatur (auch engl. Old Norse literature) 227, 393, 416  f., 419, 318 altnordische Philologie (auch engl. Old Norse philology, schwed. norrönfilologi) 258, 421 altschwedische Historiographie (auch schw. fornsvenska historieskrivning) 258 alu 572, 597, 600–610, 614, 617, 619–621 andelang 283 Andvaranautr 101  f., 104, 106–111, 114 Angelsachsen 432, 436  f. Angelsächsische Siedlung 382, 384 Anglian siehe anglisch Anglisch (auch engl. Anglian) 609, 617–619, 621 Antikenrezeption 553 Ari inn fróði 7 Aufaniae 497, 499, 504, 511  f., 514  f. Austriahenae 497–499, 501, 504–506, 514  f. Autorschaft 74 Auzon 429, 435, 438, 444 baldric mounts siehe Beschläge eines Wehrgehänges Bataille de Stiklestad siehe Schlacht von Stiklestad Beschläge eines Wehrgehänges (auch engl. baldric mounts) 374 Bildkult 25 Bordesholm 617  f., 620 Bracteates siehe Goldbrakteaten Caistor-by-Norwich 597, 602  f., 620 Central place siehe Zentralort Christianitas 7, 11, 14 christliche Ikonographie 431 Codex Regius 101–103, 240, 311, 343  f., 346, 350 Common Germanic Fuþark siehe gemeingerm. Fuþark

Devotion siehe Verehrung Ding 83, 84, 91–93, 97  f., 100  f. Éclipse solaire siehe Sonnenfinsternis Einarr Skúlason 33, 42 Ekphrasis 20  f., 301, 305  f., 310  f. Færeyinga saga 261–266, 268  f., 271, 273, 275–277 Farbsymbolik 349, 355 Fehde 231, 318, 328, 333, 337  f. Fibel 160, 537, 546, 555, 574, 585  f., 588  f., 592–594, 476 Figürchen (auch engl. figurines) 370  f., 408, 466, 475, 481 Figurines siehe figürchen;  siehe Figürchen fornsvenska historieskrivning siehe altschwedische Historiographie Franken 145, 504 Franks Casket 429  f., 433–439, 444–446, 453, 574 Frauen (auch engl. women) 9, 124, 204, 228, 264, 293, 353, 392–394, 419, 430, 319, 432, 437, 439, 442, 470, 479  f., 485  f., 489 Fremdheit 3, 8, 13 Freyja 26, 272, 313, 407  f., 413, 466, 469, 477, 482 Friesen 35  f., 528, 530 Frühmittelalter 21  f., 308, 555 Geschenk 85, 89, 90, 92  f., 326 Germanische Mythologie 429 Glaskameo 545  f., 552–556, 558, 560–562, 564  f., 567  f., 571  f., 574  f. Goldbrakteaten IX , 368, 379–381, 523  f., 526–528, 380, 466, 469, 473, 476 Goldsolidus 433, 531  f., 536 Götterbilder 19, 21–23, 25, 27 Göttinnen 326, 469, 497  f., 516 Handschriften (auch schw. handskrifter) 4, 192  f., 204  f., 282, 306, 313, 69, 69 Handskrifter siehe Handschriften Heimskringla 7, 34–39, 41  f., 123, 130, 209, 214, 218  f., 70, 25, 67, 324 Hexenprozess 292 Historiographie 68, 214, 219

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 Register

Hrungnir 302, 304, 310  f. Hyrrokkin 312 Iceland siehe Island Ich-Emphase 593 Ikonographie XI, 198, 308, 310  f., 386  f., 379, 479, 481, 484, 472 Interpretation 23, 90, 159, 166, 225  f., 231, 235, 262, 269, 271, 273, 301, 303, 307, 311, 313, 379  f., 435, 471, 556, 585, 588  f. Island (engl. Iceland) X, 4, 47, 50–52, 54, 56, 59, 61, 119  f., 128–131, 180, 191, 209–211, 77, 75, 74, 67  f., 90, 85  f., 88, 326, 487 Isländersagas 7, 88  f., 91–94, 82–85, 81 Íslendingabók 7, 67–73, 75–77, 67 Kaiser Zeno 136, 142, 147, 149, 151, 157 Karl der Große 135, 138, 145, 147, 154 Karolingerzeit 441  f., 557  f., 565 Kesselhaken 281–290, 293, 296 Kindermord von Bethlehem 440  f., 444, 446 Königssagas 7, 12, 119, 124, 126, 132, 26 Kontingenz 212  f., 217–219 Landnámabók 28, 47, 227 Landscape siehe Landschaft Landschaft (engl. landscape) 13, 47–50, 57–62, 177, 184, 362, 19, 509 lar familiaris 281  f., 290, 297 Laxdœla saga 28, 81, 89  f., 93, 486 Lieder-Edda 101  f., 106, 437 Loveden Hill Urn 609, 620 Ludwig der Fromme 154 Männername 575 Maria (engl. Virgin Mary) 145, 177, 191–202, 204, 206, 264, 295  f., 431, 439–441, 444–446, 454 Marienmirakel 191, 193, 205, 264 Maríu saga 177, 179  f., 185–187, 189, 193, 261–266, 273, 276 Matronen 497  f., 500  f., 503–505, 508–511, 516 Merowingerzeit 86, 466, 550, 558, 560  f., 563 metal detecting siehe Metaldetektor Metaldetektor (auch engl. metal detecting) 362, 395, 404, 420 Migration Period siehe Völkerwanderungszeit Mittelalter IX, X, 7–9, 13, 146, 213, 301, 304, 308, 348, 350, 444, 67, 473, 479, 485, 466, 513

Motivstudie 264 Mucking 379, 383–387 Mythische Erzählebenen 271, 275 Mythographie 303, 314 Mythologie (auch engl. mythology) 22, 59, 97, 225, 290, 301, 303, 309, 332, 337  f., 319 Mythology siehe Mythologie Narratologie 269 Nibelungenhort 101 Nibelungenlied 84, 97  f., 101, 109, 111–115, 270, 273, 311 Niederrheinische Matronennamen 497  f., 500  f. Norge, siehe Norwegen Norway, siehe Norwegen Norwegen 4, 7, 14, 74  f., 87, 120, 122, 124, 127–129, 131, 191, 214  f., 218, 221, 322–324, 341, 560, 573, 593 Nydam Axe Shaft 604, 621 Ódáinsakr 3  f., 11, 14  f. Óláfr Haraldsson 33, 36, 39, 42, 127, 215  f. Óláfs saga Helga 7, 123  f., 127, 209, 214 Óláfs saga Tryggvasonar 7, 25, 124 Old English Fuþorc siehe altenglisches Fuþorc Old Norse historiography siehe altnordische Historiographie Old Norse literature siehe altnordische Literatur Old Norse philology siehe altnordische Philologie Ortsnamen (engl. placenames) 26, 503  f., 506, 510, 513  f. Pilger (auch engl. pilgrims) 183, 196 Pilgrims siehe Pilger Poetische Edda 470 Pre-Old English siehe Vor-Altenglisch Rechtssymbol 282  f., 288, 297 Religion (auch engl. religion) 8, 14, 26, 51  f., 56, 59, 82, 87, 191, 226, 265, 301, 324, 331, 337, 392, 421, 482 Religious history siehe Religionsgeschichte Rezeption 97, 211, 346, 353 Ring 81, 97  f., 100–102, 104–115, 261, 263–271, 273–276, 344  f., 410  f., 417, 476 rituelle Zerstörung 387 Rökstein 158  f.

Register 

Runen 158, 302, 446, 524, 526–529, 531, 533–537, 545, 565–568, 570–576, 585, 587  f. Runeninschrift 25, 159, 430  f., 433, 528, 531  f., 534  f., 538, 545  f., 553, 565, 567  f., 573  f., 585  f. Sächsisch (auch engl. Saxon) 364, 399, 429, 574, 379, 600, 606  f., 617–619 Sagaforschung 271  f. Saints’ cult siehe Heiligenkult Saxon siehe Sächsisch Scheibenfibel 537, 539, 561 Schlacht von Stiklestad (franz. bataille de Stiklestad) 33, 35  f., 38, 42  f. Scholastik 218 Schwanjungfrauen 343–345, 348–352, 354–356 Sigvatr Þórðarson 33  f., 43 Sleipnir 307–310, 471 Snorra Edda 101, 106, 114, 239–242, 244, 257, 305, 320, 466, 470 Snorri Sturluson 34–39, 41, 43, 48, 110, 123, 213  f., 218, 243, 303, 67, 321 Sonnenfinsternis (franz. éclipse solaire) 34, 39 Spong Hill 597, 600, 602  f., 606, 609–611, 613, 615–621 Statuenverlobung 263, 268  f., 273 Süderbrarup 617  f., 620 Supernatural, siehe Übernatürlich

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Tierdarstellung 487, 557 Trickster 223–227, 234  f. Übernatürlich 88, 104, 227, 275–277, 344, 434 Uppsala 19  f., 22, 24, 26  f., 29 Vacallinehae 497, 499, 501, 506–511, 514–516 Valknútr 310 Verehrung (auch engl. devotion) 22, 26, 498, 510, 516 Versöhnung 200, 317–321, 324  f., 327–332, 334–338 víðfǫrla-Erzählungen 4, 13 Viking Age siehe Wikingerzeit Virgin Mary siehe Maria Völkerwanderungszeit (auch engl. Migration Period) IX , 361, 371, 523, 530, 571, 476 Volksmedizin 288  f., 293  f. Vǫlsunga saga 98, 101, 106–108, 111, 114  f., 417 Vǫlva 469, 486, 490 Vor-Altenglisch (auch engl. Pre-Old English) 597, 621

Waffen (auch engl. weapons) 21, 119, 123, 150, 161  f., 228, 323, 326, 323, 472 Wagner 26, 97, 114  f., 196, 198 Weapons siehe Waffen Wieland 345, 349, 429, 431–436, 438  f., 444–446, 532–535 Wikingerzeit (auch engl. Viking Age) 19, 22, 24, Talisman 81, 84–88, 92  f. 27, 29, 52, 60, 261, 304, 311, 313, 317, 320, Teufel 191–203, 205  f., 265  f., 274, 283, 291, 293, 361–363, 391–393, 394  f., 396, 399, 401  f., 302  f., 538 404, 406, 413, 419  f., 463, 466, 470  f., Teufelspakt 198, 200  f., 205, 292 476  f., 479, 481, 490 Theoderich der Große 135  ff. Women siehe Frauen Theophilus 191, 193, 199–201, 203, 205 Thronamulette 474, 485 Zentralort (auch engl. central place) 19, 362