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German Pages 356 [358] Year 2023
Prof. Dr. Guido Fackler hat an der Universität Würzburg das Fach Museologie aufgebaut und erforscht aus museumswissenschaftlicher Perspektive den Umgang mit sensiblen Objekten. Thomas M. Klotz, Dipl.sc.pol.Univ. studierte Politikwissenschaft in München und Venedig. Er leitet das Referat „Bildung, Hochschulen, Kultur“ der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung. Dr. Stefanie Menke studierte Kunstgeschichte und Geschichte sowie „Museum und Ausstellung“. Seit 2012 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Museologie der Universität Würzburg.
wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27618-9
Guido Fackler / Thomas M. Klotz / Stefanie Menke (Hrsg.)
Human Remains finden sich weltweit in Sammlungen und Ausstellungen. Dabei stellt sich zunehmend die Frage, ob dies ethisch vertretbar ist, aber auch ob und gegebenen falls wie ein angemessener Umgang mit ihnen in Museen und Forschung möglich ist. Um die divergierende Diskussion breit darzustellen, umfasst dieser Sammelband unterschied liche fachliche Positionen, Herangehensweisen und Beispiele, die von Mumien, Moorleichen, Reliquien und Toi moko bis zu „Ötzi“ und den „Körperwelten“ reichen.
| HUMAN REMAINS
Guido Fackler / Thomas M. Klotz / Stefanie Menke (Hrsg.)
HUMAN REMAINS Ethische Herausforderungen für Forschung und Ausstellung
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Academic ist ein Imprint der wbg © 2022 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Satz: Melanie Jungels, TYPOREICH – Layout- und Satzwerkstatt Titelbild: akg-images / Erich Lessing Schmuckelement: Adobe Stock / miloje Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in the EU Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27618-9 Elektronisch ist folgende Ausgabe erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-27619-6
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Im kulturpolitischen und museologischen Kontext tritt immer wieder und zunehmend die Frage in den Vordergrund, wie mit menschlichen Überresten pietätvoll umge gangen werden kann. Die Hanns-Seidel-Stiftung hat in Kooperation mit der Professur für Museologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) im Oktober 2021 einen mehrtägigen internationalen Fachkongress mit dem Titel „Mumien und andere menschliche Überreste: Ethische Herausforderungen für Forschung und Ausstellung“ durchgeführt. Dabei wurden aus verschiedenen Perspektiven die ethischen, juristischen und praktischen Herausforderungen im Umgang mit Human Remains dargelegt, die der vorliegende Band dokumentiert und weiterführend diskutiert. Unterstützt wurden sowohl der Kongress als auch der vorliegende Band durch das Museum Kloster Banz und die Oberfrankenstiftung. Dafür danken die Veranstalter und Herausgeber ganz herzlich. Dieser Sammelband erscheint als dritter Band der Schriftenreihe „Würzburger museumswissenschaftliche Studien“ der Professur für Museologie der JMU.
Hinweis: Die Hanns-Seidel-Stiftung verfolgt das Ziel, alle Geschlechter gleichermaßen anzusprechen und sichtbar zu machen. Sämtliche im Text verwendeten Personenansprachen beziehen sich uneingeschränkt auf alle Geschlechter und beinhalten keine Wertung.
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INHALT 10 Vorwort
Oliver Jörg
13 HUMAN REMAINS: MUSEALE PRAKTIKEN UND DISKURSE 16 Menschliche Überreste in Sammlungen und Ausstellungen – Phänomene, Diskurse, Positionen
Stefanie Menke
33 Handle and care – Der Umgang mit Human Remains in ethnologischen Sammlungen als eine Frage der Perspektive
Mareike Späth
49 Anthropologische Sammlungen und ihr koloniales Erbe
Sarah Fründt
59 Verantwortung im Umgang mit Human Remains – Orientierung in der ethischen Diskussion
Dirk Preuß
71 Gewesenes Rechtssubjekt, gewordenes Rechtsobjekt – Human Remains in öffentlichen Sammlungen und Ausstellungen
Claudia von Selle / Dirk von Selle
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Inhalt
85 SAMMLUNGS- UND PRÄSENTATIONSKONTEXTE VON HUMAN REMAINS 89 Arme Seelen und Heilige Leiber – Umgang mit Skeletten im kirchlichen Kontext
Günter Dippold
102 Gruftmumien – Hintergründe ihrer Entstehung und ethische Aspekte
Andreas Ströbl / Regina Ströbl
119 Die vier Nachleben von Mumien und menschlichen Überresten – Beispiele aus dem vorspanischen Südamerika
Anna-Maria Begerock / Mercedes González / Louisa Hartmann / Lena Muders
134 Die Moorleichen des Oldenburger Landes: Vom Moor bis zum Museum – „Wie die Leichen nach Hause gehen!“
Mamoun Fansa
158 KÖRPERWELTEN – Ein Medienspektakel
Angelina Whalley
173 Ethische Überlegungen zum Umgang mit humananatomischen Präparaten aus der Zeit des Nationalsozialismus
Christian Lechner
185 Human Remains in medizinhistorischen Sammlungen – Zur Erweiterung des Verständnisses von Unrechtskontexten
Elisabeth Kriep / Sabine Schlegelmilch
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197 DIMENSIONEN DES UMGANGS MIT HUMAN REMAINS 200 Museums, Colonialism and Repatriating the Ancestral Dead
Paul Turnbull
211 Reconciliation through repatriation
Te Arikirangi Mamaku-Ironside
225 „Ötzi“, der Mann aus dem Eis – Die Exposition einer Eismumie und ihre touristischen Auswirkungen auf die Region
Elisabeth Vallazza
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Mumien-Tabu
Sylvia Schoske
2 45 ALTÄGYPTISCHE MUMIEN IN MUSEEN, SAMMLUNGEN UND FORSCHUNG 249 Verstorben und zur Schau gestellt – Gedanken zur musealen Präsentation von Mumien und anderen menschlichen Überresten
Regine Schulz
256 Displaying and Studying Mummies in Egypt – An Overview and View from 2021
Salima Ikram
268 Mumien erforschen und ausstellen – Was können und was dürfen Museen und Wissenschaft?
Oliver Gauert
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Inhalt
290 Die Mumie im Wohnzimmer – Ein ganz anderer Umgang mit den Überresten von einst
Christine Fößmeier
304 Die Orientalische Sammlung von Herzog Maximilian in Bayern – Objektbestand, Provenienz, Präsentation
Alfred Grimm
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ENT-wickelt und ENT-rätselt – Die Rolle von Mumien als „Bioarchive“ am Beispiel der Mumie aus der Orientalischen Sammlung des Museums Kloster Banz
Andreas Nerlich
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SCHLUSSB ETRACHTUNG
338 Human Remains als kulturpolitische und museale Herausforderung
Guido Fackler / Thomas M. Klotz
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Danksagung
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Oliver Jörg
VORWORT In der Anatomie weiß man: Mortui vivos docent. („Die Toten lehren die Lebenden.“) Diesem Leitspruch folgend entwickelte sich über Jahrhunderte hinweg ein umfassendes medizinisches Wissen, das uns heute verschiedenste Heilungsmethoden ermöglicht. Doch nicht nur die Medizin lernt von den Toten, auch Anthropologen, Geschichtswissenschaftler und andere Forschungsrichtungen greifen auf Erkenntnisse zurück, die sie von Human Remains, also sogenannten „menschlichen Überresten“, gewinnen können. Die breite Öffentlichkeit hingegen findet sich beim Museumsbesuch meist fasziniert und nicht selten auch an die eigene Sterblichkeit erinnert (memento mori), etwa beim Anblick von ägyptischen Mumien und Eisleichen, wie dem allseits bekannten „Ötzi“. So hinterfragt der Museumsbesucher einerseits, wie jene Personen gelebt und welche Lebensumstände sie geprägt haben. Zum anderen bleibt ein gewisses Unbehagen, macht man sich bewusst, dass einem ein Mensch mit postmortaler Würde und weit mehr als ein Ausstellungsobjekt gegenübersteht: ein Subjekt, kein Objekt. Der Umgang mit Human Remains erfordert Antworten auf die Fragen nach Pietät, Würde, Rechtsetzung und – besonders – nach den ethisch-
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moralischen Vorstellungen verschiedener Gesellschaften. Der vorliegende Sammelband, der auf eine internationale Tagung der Hanns- Seidel-Stiftung im Oktober 2021 rekurriert, geht daher der Frage nach den Maßstäben bei Ausstellung und Erforschung „menschlicher Überreste“ aus verschiedenen Perspektiven nach. Die Hanns-Seidel-Stiftung, die selbst im Besitz einer Frauen-Mumie aus dem 4. Jahrhundert vor Christus ist und diese auch im Museum Kloster Banz zeigt, hinterfragt den eigenen Umgang mit diesen Human Remains regelmäßig. Bereits mehrere Male wurde das Ausstellungskonzept verändert, um den sich wandelnden Anforderungen Rechnung zu tragen. Denn auch das ist ein ganz wesentlicher Aspekt im Umgang mit Human Remains: Die Kontexte und Konditionen, unter denen menschliche Überreste gezeigt werden, sind einer ständigen gesellschaftlichen Veränderung unterworfen. Wie sind also die ethischen Leitlinien für Forschung und Ausstellung von Human Remains aus heutiger Perspektive zu artikulieren? Damit auch weiterhin die Toten die Lebenden lehren, nähern sich dieser Frage im vorliegenden Band Experten aus Museums- und Kulturwissenschaft, Medizin, Ethik und Jurisprudenz mit unterschiedlichen Blickwinkeln. Mein Dank für das Gelingen dieses Vorhabens gilt besonders der Professur für Museologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, der Oberfrankenstiftung sowie dem Museum Kloster Banz für die erfolgreiche Kooperation. Eine erkenntnisreiche Lektüre wünscht Ihnen Oliver Jörg Generalsekretär der Hanns-Seidel-Stiftung, München
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HUMAN REMAINS: MUSEALE PRAKTIKEN UND DISKURSE
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HUMAN REMAINS Museale Praktiken und Diskurse
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n zahlreichen Sammlungen weltweit finden sich Human Remains. Die bis zu den Ursprüngen der Institution Museum zurückreichende Praxis des Verwahrens und Zeigens menschlicher Überreste wurde lange Zeit als selbstverständlich hingenommen. Mittlerweile stellt sich Museen jedoch immer drängender die Frage, ob die Existenz menschlicher Überreste in Sammlungen und Ausstellungen ethisch vertretbar erscheint und – falls dies grundsätzlich bejaht wird – wie sich ein angemessener Umgang mit ihnen gestalten kann. Denn in aller Regel entsprechen mutmaßlich weder das Aufbewahren in einer Sammlung noch das öffentliche Präsentieren der Überreste den Wünschen der verstorbenen Person beziehungsweise ihrer Nachfahren. Hinzu kommt die Frage nach den (oft zweifelhaften) Umständen ihres Erwerbs. Ein zentraler Impuls für die noch nicht übermäßig lange geführte Debatte um Human Remains in Museen und Sammlungen ging von Rück gabeforderungen indigener Gruppen aus, welche die meist aus kolonialen Kontexten stammenden Überreste ihrer Vorfahren aus Museen westlicher Prägung entfernt wissen wollten, um sie zurückführen und würdig bestatten zu können. Inzwischen ist die museale Präsenz menschlicher
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Human R emains: museale P raktiken und D iskurse
Überreste Gegenstand breiter Diskussion, wobei das Ausmaß an Vehemenz und Kontroversität von diversen Parametern abhängt. Das folgende Kapitel führt allgemein in diese Diskussion ein und stellt mögliche Entscheidungsleitlinien für einen angemessenen Umgang mit menschlichen Überresten in Sammlungen vor. Der Beitrag von Stefanie Menke liefert diesbezüglich einen Überblick über Genese, Erscheinungsformen und mögliche ethische Implikationen der Existenz menschlicher Überreste in Museen. Mareike Späth plädiert dafür, den Umgang mit menschlichen Überresten in ethnologischen Sammlungen zuallererst an den Interessen der verstorbenen Personen und deren Nachfahren auszurichten, denn nur auf diese Weise sei eine nachträgliche Rehumanisierung der einst im Zuge des kolonialen Sammelns als reines Forschungsmaterial angesehenen Menschen möglich. Dieses Ziel verfolgen heute vermehrt auch anthropologische Sammlungen, wie Sarah Fründt in ihrem Aufsatz darlegt. Sie betont angesichts der historischen Verstrickung dieser Art von Sammlungen in rassistische Wissenschaftskomplexe die große Bedeutung systematischer Provenienzforschung. Deren Ergebnisse könnten die Grundlage schaffen für einen Dialog mit den Herkunftsgesellschaften und eine anschließende Repatriierung. Eine Art ethischen Kompass für den Umgang mit Human Remains in Sammlungen bietet Dirk Preuß. Er zeigt vier Dimensionen von Verantwortung auf, die helfen können, zu einer individuell angemessenen Entscheidung zu gelangen, wie mit menschlichen Überresten im Einzelfall umzugehen sein könnte. Juristische Aspekte legen dagegen Claudia und Dirk von Selle dar. Sie führen aus, dass es in Deutschland kaum konkrete Rechtsnormen gebe, aus denen Handlungsempfehlungen für den Umgang mit menschlichen Überresten in öffentlichen Sammlungen ableitbar wären. Um Museumsverantwortlichen dennoch gewisse Orientierungsperspektiven zu eröffnen, erläutern sie, welche rechtlichen Gesichtspunkte entscheidungsrelevant sein könnten.
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Stefanie Menke
MENSCHLICHE ÜBERRESTE IN SAMMLUNGEN UND AUSSTELLUNGEN Phänomene, Diskurse, Positionen Der vorliegende Beitrag möchte das sehr heterogene thematische Feld der menschlichen Überreste in Museen und Sammlungen unter besonderer Berücksichtigung des Ausstellens derselben sondieren. Es soll grob skizziert werden, wie es dazu kam, dass menschliche Überreste Eingang in die Sammlungen fanden, in welchen Erschei nungsformen sie dort vorliegen und welche spezifischen Probleme sich daraus jeweils ergeben können. Der wissenschaftliche Diskurs um dieses Thema wird grob umrissen und es werden einige zentrale Standpunkte und Argumente vorgestellt. Dabei bezieht sich der Beitrag ausschließlich auf die Situation in Europa unter besonderer Berücksichtigung von Deutschland.
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ach dem Ableben eines Menschen ist hierzulande keine längerfristige Präsenz des toten Körpers in der Gemeinschaft der Lebenden vorgesehen. Im Gegenteil: Der Leichnam wird rasch dem Zugriff der Hinterbliebenen entzogen, wird beigesetzt und soll sich mittelfristig möglichst vollständig auflösen.1 Dennoch existieren unzählige menschliche Überreste in musealen Sammlungen und Ausstellungen, was diverse rechtliche und vor allem auch ethische Fragen aufwirft.
Gebeine des Anstoßes Obwohl (oder vielleicht gerade weil) die Existenz menschlicher Überreste in musealen Sammlungen kulturellen Gepflogenheiten zuwiderläuft, wurde dieses Phänomen lange Zeit weitgehend unhinterfragt akzeptiert. Die damit verbundenen juristischen und ethischen Herausforderungen offenbarten sich, bezogen auf den deutschsprachigen Raum, in einem größeren Ausmaß erst um die Jahrtausendwende. Angestoßen wurde die Diskussion durch zwei entscheidende Impulse: das Aufkommen der besonders in den Anfangsjahren noch stark polarisierenden „Körperwelten“-Ausstellungen2 auf der einen und die vermehrt nun auch an deutsche Museen herangetragenen Forderungen zur Restitution indigener, meist aus kolonialen Kontexten stammender menschlicher Überreste durch die jeweiligen Herkunftsgesellschaften3 auf der anderen Seite. Auch wenn beide Phänomene hinsichtlich ihrer konkreten Ausprägungen sowie der jeweils diskutierten Fragen sehr verschieden anmuten, führten sie letztlich doch beide auf ihre Weise zu einer steigenden Sensibilisierung in Bezug auf das Sammeln und Ausstellen menschlicher Überreste allgemein. Die „Körperwelten“ stellten erstmals plastinierte Körper rezent verstorbener Personen aus und warfen damit vollkommen neue Fragen auf, die primär juristisch geklärt werden mussten. Dabei war neben dem geringen Alter der Präparate auch deren zum Teil nicht unerheblicher Schauwert Gegenstand der Diskussion. Mehr als zwanzig Jahre später
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hat sich die Aufregung um die „Körperwelten“ jedoch weitgehend gelegt, während die Frage nach dem angemessenen Umgang mit menschlichen Überresten aus der Kolonialzeit die Museen aktuell mehr denn je beschäftigt. Neben den Überresten aus kolonialen Kontexten gerieten alsbald auch solche aus der NS-Zeit in den Fokus, was auch mit einem in den letzten zwanzig Jahren gewachsenen Bewusstsein für die Problematik um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut in Museen und Sammlungen sowie die damit einhergehende Notwendigkeit der Provenienzforschung zu tun haben dürfte. Gegenüber der Situation in den englischsprachigen Ländern setzte indes die Diskussion um menschliche Überreste in Museen und Sammlungen in Deutschland vergleichsweise spät ein – erst 2013 legte etwa der Deutsche Museumsbund einen Leitfaden zum „Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen“ vor.4 Vorausgegangen waren diesem – bezogen auf Deutschland – lediglich die „Empfehlungen zum Umgang mit Präparaten aus menschlichem Gewebe in Sammlungen, Museen und öffentlichen Räumen“ des Arbeitskreises „Menschliche Präparate in Sammlungen“ von 2003, welche primär auf Sammlungen mit Überresten aus der NS-Zeit abzielen.5 Beide Leitfäden stellen das Phänomen des Unrechtskontextes ins Zentrum ihrer Betrachtungen, wobei hier ebenso wie in der allgemeinen Debatte um dieses Thema als Unrechtskontexte primär die NS-Zeit und die Kolonialzeit gelten. Menschliche Überreste aus ersterer sind mit Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 25. / 26. Januar 1989 aus den Sammlungen zu entfernen und würdig zu bestatten.6 Für kolonialzeitliche Überreste existiert hingegen bislang kein entsprechender Beschluss. Allgemein ist die Diskussion um einen angemessenen Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen meist eng an Fragen der Provenienzklärung, Restitution / Repatriierung und (Wieder-)Bestattung gebunden. Andere eventuell bedenkliche Gesichtspunkte erscheinen in der Diskussion nachgeordnet. Überhaupt lässt sich konstatieren, dass diese Debatte in erster Linie im Umkreis jener Sammlungen geführt wird, die potenziell oder erwiesenermaßen Über-
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reste aus Unrechtskontexten beinhalten. Zwar lässt sich das Bewusstsein für einen angemessenen Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen mittlerweile allgemein als geschärft bezeichnen, doch wird das Ausstellen von Überresten aus anderen zeitlichen und kulturellen Zusammenhängen (etwa ägyptischen Mumien oder Moor- und Eisleichen) nur selten Gegenstand kritischer Betrachtung.7 Dies dürfte auf die enge Verflechtung wissenschaftlicher Diskussionen mit dem jeweiligen politischen Zeitgeist zurückzuführen sein: In einer Gesellschaft, die sich um eine kritische Aufarbeitung kollektiver Verbrechen in ihrer Vergangenheit bemüht, wird per se ein besonderes Augenmerk auf der Auseinandersetzung mit den immateriellen wie materiellen Hinterlassenschaften aus eben diesen Kontexten liegen – und damit eben auch auf den menschlichen Überresten, die sich in Museen und Sammlungen aus den fraglichen Zeiten erhalten haben.
Eine kurze Geschichte menschlicher Überreste in Museen und Sammlungen Zum Verständnis der gegenwärtigen Gemengelage lohnt es, sich die Hintergründe zu verdeutlichen, wie und weshalb in der Vergangenheit menschliche Überreste Eingang in die unterschiedlichen Sammlungen fanden. Typischerweise verfügen besonders anthropologische sowie medizinische, anatomische und pathologische Sammlungen über große Mengen von menschlichen Überresten. Darüber hinaus finden sich diese aber auch in ethnologischen sowie archäologischen Museumsbeständen. Gelegentlich kommen sie zudem noch in weiteren Sammlungen wie etwa (kultur)historischen, naturkundlichen oder kriminalgeschichtlichen vor. Die konkrete physische Gestalt, in der die jeweiligen Überreste vorliegen, ist stets abhängig von den Konservierungsmöglichkeiten zur Zeit ihrer Entstehung, dem Zweck ihrer Präparation und Sammlung, aber auch von der ursprünglichen Funktion der aufnehmenden Institu-
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tion. Dementsprechend lassen sich unterschiedliche Erscheinungsformen menschlicher Überreste oft idealtypisch einer bestimmten Art von Sammlung zuordnen. Auch dieser Umstand trägt dazu bei, dass sich für manche Sammlungen Fragen nach dem angemessenen Umgang mit diesen besonderen Beständen drängender stellen als für andere. Schon in den Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance und des Barock fanden sich wie selbstverständlich menschliche Überreste. Zugeordnet waren diese in der Regel den Naturalia, gelegentlich bildeten sie aber auch als Anatomica einen eigenen Sammlungsbereich.8 Besonderes Interesse bestand an Erscheinungsformen, die fremdartig und/oder wundersam anmuteten, darunter etwa missgebildeten Föten, ägyptischen Mumien oder Überresten von „nicht weißen“ Menschen. Die Intentionen, mit denen gesammelt wurde, waren vielfältig und stets auch von individuellen Interessen abhängig, wobei sich in den Anatomica der Kunst- und Wunderkammern gleichermaßen ein Streben nach Naturerkenntnis wie auch eine auf Schaulust abzielende Faszination für alles Abnorme ausdrücken konnte.9 Mit dem Fortschritt der Konservierungstechniken gelangten immer mehr kunstvoll angefertigte anatomische Präparate in die Sammlungen. Weil sich in diesen die Zurschaustellung wissenschaftlicher Erkenntnis auf eigentümliche Weise mit ästhetischen Ansprüchen verbindet, können sie auf heutige, Wissenschaftlichkeit gemeinhin mit Nüchternheit assoziierende Betrachtende faszinierend und verstörend zugleich wirken. Die steigende Anzahl dieser Präparate in den Sammlungen wurde bedingt durch den stetigen Fortschritt der Anatomie als wissenschaftliche Disziplin. Diese war wiederum auf die Möglichkeit der Sektion angewiesen. Die ab dem 16. / 17. Jahrhundert in immer größeren Mengen benötigten Leichen stammten zunächst ausschließlich von zum Tode Verurteilten (wobei die öffentliche Sektion zumindest bis zur Aufklärung gemeinhin als strafverschärfend wahrgenommen wurde10) oder Selbstmördern. Später ging man vermehrt dazu über, den stetig steigenden Bedarf einigermaßen stillschweigend mit Leichen von sozial unterprivilegierten Personen zu befriedigen, die in Kranken- oder
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Armenhäusern starben. Auch vor Grabraub und sogar Mord schreckte man bisweilen nicht zurück, um an Anatomieleichen zu gelangen.11 Mit der zunehmenden kolonialen Expansion europäischer Staaten wie auch der Entstehung der Anthropologie ab dem späten 18. Jahrhundert kamen schließlich Überreste außereuropäischer Menschen in zuvor unbekanntem Ausmaß in die Sammlungen. Anfangs stellte die Entwicklung von Rassentheorien, basierend auf der Einteilung von Menschen nach biologischen Merkmalen, ein zentrales Erkenntnisinteresse der Anthropologie dar. Hierfür wurden große Mengen an „Forschungsmaterial“ benötigt.12 Die höchste Position in einer Hierarchie der Rassen wurde freilich den Europäern zugesprochen. Dieser pseudowissenschaftlich fundierte Rassismus stellte sich unterdessen in den Dienst einer immer weiter ausgreifenden kolonialistischen Ausbeutung und Unterdrückung „rassisch Anderer“. Bei der Beschaffung des „Forschungsmaterials“ kannte man wenig Skrupel, schien doch der wissenschaftliche Zweck jedes Mittel zu rechtfertigen.13 Dementsprechend wurden die menschlichen Überreste häufig auf einem Weg erworben, der zumindest nach heutigen Maßstäben als unrecht gelten muss: Ein Großteil von ihnen gelangte infolge der Ausnutzung kolonialer Unterdrückungszustände in die Sammlungen und nicht wenige von ihnen sind das Resultat von Erpressung, Diebstahl oder Grabraub. Somit muss nicht nur der Erwerbungskontext der Überreste aus heutiger Sicht ethisch problematisch erscheinen, sondern auch der Umstand, dass das auf diese Weise zusammengetragene „anthropologische Material“ ursprünglich diskriminierenden Zwecken diente. Der letztlich mithilfe der Sammlungsbestände begründete Rassismus wirkt bis heute in vielen Bereichen nach.14 Historisch gesehen ist das Ausstellen menschlicher Überreste in musealen und protomusealen Kontexten eng mit der Kategorie des „Anderen“ verbunden. Lange markierte Religion die Grenzlinie für diese Wahrnehmung: Ausgestellt wurden in der Regel ausschließlich die Überreste von Menschen, die als außerhalb der christlichen Werteordnung und mithin außerhalb der eigenen Gemeinschaft stehend wahr-
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genommen wurden. Der Umgang mit dem menschlichen Leichnam war dementsprechend traditionell religiös geprägt und trug christlichen Auferstehungsvorstellungen Rechnung, die eine Bestattung in geweihter Erde verlangten. Auf diese musste man jedoch bei ungetauften Föten, Nicht-Christen sowie aus der christlichen Werteordnung durch eigenes Verschulden Ausgeschiedenen keine Rücksicht nehmen, was ein Sammeln und Ausstellen ihrer Überreste statthaft erscheinen ließ. Im Zuge von Aufklärung und zunehmender Säkularisierung verschob sich die Grenzlinie zwischen „wir“ und „die Anderen“ dann von der Differenzkategorie „Religion“ hin zu „ethnische Zugehörigkeit / Rasse“, aber auch zu „soziale Zugehörigkeit / Klasse“. Diese Verschiebung ist einerseits vor dem Hintergrund des oben bereits angesprochenen Rassediskurses seit dem späten 18. Jahrhundert zu sehen. Andererseits erlaubte nun aber auch die zur selben Zeit in Europa sich etablierende Philosophie des Utilitarismus einen veränderten Umgang mit den Körpern Verstorbener: Eine potenziell der Allgemeinheit zugutekommende Nutzung menschlicher Überreste erschien nun allgemein immer weniger als Tabu.15 Wo man sich – auch bei gleicher Religionszugehörigkeit – der Körper Unterprivilegierter oder ethnisch Anderer bediente, wurde nun stets der wissenschaftliche Wert dieser Körper für Forschung und Ausbildung betont, auch wenn deren Präsentation zusätzlich (oder vielleicht sogar in erster Linie) anderen Zwecken wie der Demonstration von Status und Können gedient haben mag. So musste sich beispielsweise schon der seinerzeit hochangesehene Anatom Honoré Fragonard (1732–1799) von einem Zeitgenossen den Vorwurf gefallen lassen, mit seinen kunstvollen Präparaten mehr einen Voyeurismus der Betrachtenden zu bedienen und das eigene Können zur Schau stellen zu wollen, als einen Beitrag zur Wissenschaft zu leisten.16 Dass man den Verstorbenen ein Begräbnis verweigerte und ihre Überreste – in der Regel entgegen ihren Wünschen – öffentlich zur Schau stellte, schien ethisch nicht weiter bedenklich.17 Bis in die Gegenwart ist der (vermeintliche) wissenschaftliche Nutzen das zentrale Argument geblieben, um die Existenz menschlicher
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Überreste in Sammlungen und Ausstellungen zu rechtfertigen. Heute ist dafür jedoch die Zustimmung der verstorbenen Person (sofern diese rezent verstorben ist) eine juristische Conditio sine qua non. Fehlt diese Zustimmung, ist eine wie auch immer geartete Nutzung des toten Körpers, speziell zu Ausstellungszwecken wie bei den „Körperwelten“, ausgeschlossen.18 Bei historischen Körpern dagegen (sofern sie nicht aus einem strukturellen Unrechtskontext wie der NS-Zeit oder dem Kolonialismus stammen) herrscht auch bei fehlender Zustimmung der verstorbenen Person meist eine stillschweigende Akzeptanz der fortwährenden Nutzung zu Forschungs- und Ausbildungszwecken. Wo die Freiwilligkeit der Körperspende aber nicht gegeben ist, erfolgt das Sichbemächtigen und öffentliche Zeigen fremder Körper für die eigenen Zwecke letztlich immer mit einem herrschaftlichen Impetus und ist als Ausdruck asymmetrischer Machtverhältnisse zu verstehen.
Versuch einer Kategorisierung Bereits aus dem oben vorgenommenen historischen Zugriff auf das Phänomen menschlicher Überreste im Museum haben sich verschiedene Aspekte ergeben, die im Zusammenhang mit der Frage nach einem ethisch angemessenen Umgang mit menschlichen Überresten in Sammlungen und Ausstellungen bedeutsam sein können. Diese dienen im Folgenden als Ausgangspunkt für eine stärker systematisierende Betrachtung des Phänomens. Als dessen Resultat ergeben sich verschiedene Kategorien, in die sich menschliche Überreste in musealen Kontexten einteilen lassen. Diese Kategorisierung soll nicht allein einer museologischen Bestandsaufnahme dienen, sondern auch bei der Verortung im Diskurs helfen, denn viele der teils hochkomplexen Probleme, die mit der Präsenz menschlicher Überreste in Museen und Sammlungen einhergehen können, bewegen sich exakt entlang dieser Kategorisierungslinien, von denen einige oben bereits angeklungen sind.
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Zunächst einmal lassen sich menschliche Überreste einteilen nach ihrer physischen Gestalt, in welcher sie im Museum vorliegen, und – eng damit verbunden – dem jeweils zugrundeliegenden Zweck ihrer Konservierung sowie dem ihres Sammelns und Ausstellens. Zwei große Hauptbereiche sind hier zu nennen, und zwar Skelette oder Teile davon auf der einen und mehr oder weniger komplett erhaltene Leichname mit Weichteilen daran auf der anderen Seite. Diese Einteilung erscheint insofern bedeutsam, als Überreste der letztgenannten Kategorie Besuchende für gewöhnlich weitaus stärker auf einer affektiven Ebene anzusprechen vermögen als erstgenannte – im positiven wie im negativen Sinne.19 Als Faustregel kann gelten: Je stärker die Übererste in ihrer physischen Gestalt noch dem Aussehen des einstmals lebenden Menschen ähneln, je mehr sie unmittelbar über das Schicksal des verstorbenen Individuums preisgeben und je näher sie an die Lebenswirklichkeit der Besuchenden heranreichen, desto stärker sind die Effekte, die ihre Präsenz bei den Betrachtenden auslöst. Beide genannte Formen können entweder natürlich und damit zumeist nicht-intentional entstanden oder künstlich, also intentional, konserviert sein. Letztere lassen sich nach der unterschiedlichen Motivation für die Konservierung im Großen und Ganzen drei Zweckbestimmungstypen zuordnen: einem religiös / spirituell-kulturellen (beispielsweise bei ägyptischen Mumien oder Kopftrophäen), einem wissenschaftlich-aufklärerischen (etwa bei anatomischen Präparaten) und einem unterhaltend-sensationsheischenden (Präparate in Schaubuden und Panoptiken); zwischen den letzten beiden sind die Grenzen historisch gesehen indessen fließend. Sammlungs- und Präsentationszweck können sich mit dem Zweck der Konservierung decken, sie müssen es aber nicht zwangsläufig. Dementsprechend kann man bei den intentional konservierten Überresten noch einmal unterscheiden zwischen solchen, die von Anfang an für eine wie auch immer geartete Zurschaustellung gedacht waren (etwa anatomische Präparate, Schrumpfköpfe), und solchen, die nicht für diesen Zweck vorgesehen waren (ägyptische Mumien bei-
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spielsweise). Nicht-intentional konservierte Überreste wie Moor- oder Eisleichen waren nie für eine öffentliche Präsentation vorgesehen. Diskutabel sind die sich hieraus ergebenden ethischen Implikationen – immerhin entspricht die Zurschaustellung besonders letzterer in keinem Fall dem Willen der verstorbenen Person. Somit ist ein weiteres wichtiges Kriterium die Frage, ob die Person, von der die Überreste stammen, einer öffentlichen Präsentation zugestimmt hat. Inwiefern diese bedeutsam ist, wurde oben bereits erläutert. Eng verwandt mit dieser letztgenannten Kategorisierung ist eine Einteilung in Überreste rezent Verstorbener und in historische Überreste. Dies ist deshalb wichtig, weil sich beim Ausstellen von rezent Verstorbenen rechtliche Probleme ergeben können, die für historische Überreste weitgehend obsolet erscheinen. Juristisch ist indes nicht eindeutig geklärt, was genau „historisch“ in diesem Zusammenhang bedeutet: Unumstritten ist, dass auch ein toter Körper noch einen gewissen Schutz genießt, er aber nach Ablauf einer bestimmten Frist zu einer verkehrsfähigen Sache wird, an der Eigentum begründet werden kann.20 Wann diese Frist aber als verstrichen anzusehen ist, ist unklar.21 Der Leitfaden des Deutschen Museumsbundes geht in diesem Zusammenhang von rund 125 Jahren (= fünf Generationen) aus, die seit dem Tod der Person vergangen sein sollten.22 Dann lebt niemand mehr, der die verstorbene Person persönlich gekannt hat und sich – zumindest nach europäischem Verständnis – in seinen Pietätsgefühlen durch das Ausstellen ihrer Überreste verletzt fühlen könnte. Mit dem vorhergehenden Punkt wiederum eng verbunden ist, wie oben bereits ausgeführt, ein weiteres bedeutendes Einteilungskriterium, nämlich die Frage, ob es sich um Überreste von Menschen aus der eigenen Gemeinschaft handelt oder um solche, die man als „fremd“ oder „anders“ betrachtet(e). Ein letztes Kriterium ergibt sich schließlich aus der Art des Erwerbs: Wurden die Überreste für die jeweilige Sammlung auf aus heutiger Sicht rechtmäßigem Weg erworben oder fand der Erwerb innerhalb eines Unrechtskontextes statt? Dass ein solcher für viele, die sich mit menschlichen Überresten im
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Museum beschäftigen, die bedeutendste Kategorie darstellt, aus der sich gravierende Konsequenzen für den Umgang mit den Überresten ergeben, wurde bereits deutlich. Liegt nachweislich ein Unrechtskontext vor, scheinen Restitution / Repatriierung beziehungsweise Bestattung der Überreste geboten.
Wessen Interessen? – Positionen im Diskurs Grundsätzlich lässt sich die ethische Vertretbarkeit des Ausstellens menschlicher Überreste in musealen Kontexten aus vier verschiedenen Perspektiven heraus diskutieren, die jeweils zu unterschiedlichen Ergebnissen führen werden: Da wäre zunächst die Perspektive des Menschen, von dem die Überreste stammen. Wenn man dessen Belange in das Zentrum der Betrachtung rückt, könnte man zunächst ganz allgemein fragen, ob das Ausstellen nicht gegen die Menschenwürde verstößt und ob die verstorbene Person überdies nicht ein Anrecht auf ein ordentliches Begräbnis nach ihren jeweiligen religiösen Vorstellungen und kulturellen Gepflogenheiten hat. Des Weiteren wäre der bereits erwähnte Aspekt der Freiwilligkeit in die Betrachtung einzubeziehen: Hat der Verstorbene sein Einverständnis zum Ausstellen gegeben? Was ist, wenn dieses nicht vorliegt? Dürfen wir heute Lebenden gegen den expliziten oder anzunehmenden Willen der verstorbenen Person handeln und uns ihres Körpers für unsere eigenen Zwecke bemächtigen? Braucht uns ein fehlendes Einverständnis nicht zu kümmern, so lange nur der Tod der Person lange genug zurückliegt? Als Nächstes lassen sich die Nachfahren der verstorbenen Person oder eine größere Gruppe, die diese als zugehörig ansieht (Herkunftsgesellschaft), in das Zentrum der Betrachtung rücken. Werden die Überreste eines Verstorbenen gegen deren Willen in einer Sammlung aufbewahrt oder in einer Ausstellung gezeigt, so können sich diese in ihrem Pietätsempfinden verletzt fühlen. In Deutschland gilt, wie bereits ausgeführt, das Andenken an eine verstorbene Person – sofern
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diese nicht namentlich bekannt und von öffentlichem Interesse ist – spätestens nach ca. 125 Jahren als verblasst, so dass es nach Ablauf dieser Frist legitim erscheint, deren Überreste im Museum zu verwahren und auszustellen. Brüchig wird diese Argumentation jedoch unter Umständen bei außereuropäischen Überresten, wenn diese aus einer Kultur stammen, in der die Erinnerung der Lebenden an ihre Vorfahren viel weiter zurückreicht als bei uns.23 In einem solchen Fall kann noch hinzukommen, dass die Überreste in einem kolonialen Kontext erworben wurden. Eine Restitution und anschließende Bestattung der Überreste mag dann nicht nur dem Pietätsgefühl der Herkunftsgesellschaft Rechnung tragen, sondern zudem eine weiterreichende symbolische Komponente aufweisen, da ein solcher Akt gemeinhin als Wiedergutmachung eines größeren in der Vergangenheit begangenen Unrechts empfunden wird und entsprechend auch große politische Bedeutung haben kann.24 Doch wer legt eigentlich fest, wer sich zu den Angehörigen beziehungsweise der Herkunftsgesellschaft25 der verstorbenen Person zählen darf und somit ein Anrecht auf Herausgabe der Überreste hat? Hier lässt sich die Tendenz erkennen, solchen Gemeinschaften, welche in der Vergangenheit als „ethnisch / rassisch anders“ betrachtet wurden und denen systematisches, gruppenbezogenes Unrecht zugefügt wurde, heute Rechte zuzugestehen, die Angehörigen der eigenen Community verwehrt werden: Die Verweigerung einer Restitution menschlicher Überreste an eine außereuropäische Herkunftsgesellschaft erscheint selbst dann kaum mehr ethisch vertretbar, wenn das fragliche Museum auf einen rechtmäßigen Erwerb der Überreste sowie auf das Fehlen eines eindeutigen kolonialen Kontextes verweisen kann, wie sich etwa am Fall der Herausgabe eines Skalps an eine Delegation des Sault Ste. Marie Tribe of Chippewa Indians in Michigan (USA) durch das Karl-May-Museum im Jahr 2021 ablesen lässt.26 Vergleichbaren Anliegen europäischer Initiativen zur Bestattung archäologischer Skelette oder anatomischer Präparate (sofern sie nicht aus der NS-Zeit stammen) wird indes in der Regel unter Verweis auf den großen wis-
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senschaftlichen Wert der Überreste mit Ablehnung begegnet, auch wenn der Erwerb der Überreste aus heutiger Sicht ethisch fragwürdig erscheint oder ungeklärt ist.27 Dabei stellt sich noch einmal gesondert die Frage, ob systematisch begangenes Unrecht wie in der NS-Zeit oder im Kolonialismus per se schwerer wiegt als individuell zugefügtes Unrecht. Man kann aber auch von der gegenwärtigen Gesellschaft allgemein oder den Ausstellungsbesuchenden ausgehend argumentieren: Menschliche Überreste üben eine enorme Faszination auf die Lebenden aus, welche durchaus über das Befriedigen eines primitiven Voyeurismus hinausgehen kann.28 Unter Umständen mag die Begegnung mit toten Körpern im Museum eine Kompensationsfunktion im Sinne eines weltlichen Memento mori erfüllen in einer Zeit, in der der Tod nicht mehr einen selbstverständlichen Bestandteil des Lebens darstellt, sondern in Spezialeinrichtungen ausgelagert wird. Indessen kann die Begegnung mit menschlichen Überresten in Ausstellungen auch erschrecken und zu einer unfreiwilligen Konfrontation mit dem Tod führen.29 Dies gilt es bei der Präsentation von menschlichen Überresten zu bedenken. Doch genauso hat die Institution Museum selbst in dieser Angelegenheit spezifische Interessen. Das Museum hat den Auftrag zu sammeln, zu erhalten, zu forschen, auszustellen und zu vermitteln. Die Herausgabe von menschlichen Überresten, speziell zum Zweck der Bestattung, widerspricht daher per se allen musealen Aufgaben. Dementsprechend erscheint es zunächst einmal verständlich, wenn Museen zögern, einen solchen Schritt zu gehen. Doch das Museum ist andererseits auch ethischen Grundsätzen verpflichtet, wie sie beispielsweise im Code of Ethics der ICOM festgeschrieben sind und die ein Handeln gegen andere Arbeitsprämissen erfordern können.30 Nicht zuletzt stellt das Interesse von Besuchenden an menschlichen Überresten unter Umständen einen Wirtschaftsfaktor für die sie beherbergenden Museen dar, was in Zeiten stetiger Verknappung öffentlicher Mittel bei gleichzeitig steigendem Rentabilitätsdruck in der Diskussion nicht gänzlich außer Acht gelassen werden kann.
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Menschliche Überreste in Ausstellungen: Was gilt es zu bedenken? Es wurde deutlich, dass das Phänomen menschlicher Überreste in Museen und Sammlungen diverse konkrete Ausprägungen haben und unterschiedliche Fragen nach einem angemessenen Umgang aufwerfen kann. Auf Grund der hohen Komplexität der Thematik wird es kaum eine pauschale Antwort auf die Frage geben können, ob und unter welchen Umständen das Sammeln und Ausstellen von menschlichen Überresten vertretbar erscheint. Speziell das Zeigen sollte stets unter Bewusstmachung aller ethischen Implikationen erfolgen und auf einer sorgfältig abgewogenen, im Idealfall transparent kommunizierten kuratorischen Entscheidung beruhen. Dabei sind sowohl die spezifische Erscheinungsform und individuelle Geschichte der Überreste als auch die Zwecke, zu welchen diese konserviert und gesammelt wurden, zu berücksichtigen. Doch auch die Art des Erwerbs und das Alter können bedeutsam sein. Zudem gilt es, sich zu verdeutlichen, welche Position das Museum jeweils als handelnde Institution im Diskurs einnimmt und welche Argumente und wessen Interessen im konkreten Fall so schwer wiegen, dass ein Ausstellen gerechtfertigt erscheint. Grundsätzlich sei mit dem Leitfaden des Deutschen Museumsbundes dafür plädiert, menschliche Überreste nur dann auszustellen, wenn eine didaktische Sinnhaftigkeit gegeben ist.31 Der (vermeintliche) wissenschaftliche Wert der Überreste sollte nicht als argumentatives Feigenblatt dienen, wenn man eigentlich nur Mumien ausstellt, um Mumien auszustellen. Eine würdige Art der Präsentation sollte, ebenfalls mit dem Deutschen Museumsbund gesprochen32, immer selbstverständlich sein, wobei sich an der Frage nach der „Würdigkeit“ zweifellos die Geister scheiden können. Dr. Stefanie Menke Akademische Oberrätin an der Professur für Museologie der Universität Würzburg
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Bankl, Hans: Der entkleidete Tote, in: Körper ohne Leben. Begegnung und Umgang mit Toten, hrsg. von Norbert Stefenelli, Wien / Köln / Weimar 1998, S. 85–86; Stefenelli, Norbert: Unverweslichkeit, in: Körper ohne Leben. Begegnung und Umgang mit Toten, hrsg. von Norbert Stefenelli, Wien / Köln / Weimar 1998, S. 719–720, hier S. 719. Über die „Körperwelten“-Ausstellung ist viel öffentlich diskutiert und viel publiziert worden (siehe hierzu auch den Beitrag von Angelina Whalley in diesem Band). Besonders einschlägig, weil alle zentralen ethischen und rechtlichen Aspekte aufgreifend und kontroverse Meinungen berücksichtigend ist hierzu folgender Sammelband: Wetz, Franz Josef / Tag, Brigitte (Hrsg.): Schöne Neue Körperwelten. Der Streit um die Ausstellung, Stuttgart 2001. Die bis heute umfassendste und bedeutendste Publikation zu dieser Thematik im deutschsprachigen Raum geht auf das 2013 abgeschlossene Charité Human Remains Project zurück: Stoecker, Holger / Schnalke, Thomas / Winkelmann, Andreas (Hrsg.): Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen (= Studien zur Kolonialgeschichte 5), Berlin 2013. Deutscher Museumsbund e.V. (Hrsg.): Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen, Berlin 2013. Eine überarbeitete und erweiterte Fassung wurde 2021 vorgelegt. Arbeitskreis „Menschliche Präparate in Sammlungen“: Empfehlungen zum Umgang mit Präparaten aus menschlichem Gewebe in Sammlungen, Museen und öffentlichen Räumen, in: Deutsches Ärzteblatt 100/2003, 8, S. 378–383. Wesche, Anne: Im Zweifelsfall als Einzelfall – Überblick zu vorhandenen Empfehlungen für den Umgang mit menschlichen Überresten vor dem Hintergrund zunehmend gestellter Rückgabeforderungen, in: Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen (= Studien zur Kolonialgeschichte 5), hrsg. von Holger Stoecker, Thomas Schnalke und Andreas Winkelmann, Berlin 2013, S. 349. Eine markante Ausnahme stellt hier namentlich der Ägyptologe Dietrich Wildung dar, der die 2007 eröffnete Mannheimer Ausstellung „Mumien – Der Traum vom ewigen Leben“ (Reiss-Engelhorn-Museen) der „Mumien-Pornografie“ bezichtigte. Siehe hierzu: Museumschef wirft Kollegen „Mumien-Pornografie“ vor, in: Der Spiegel, 28.9.2007, https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/ausstellungen-museumschef-wirftkollegen-mumien-pornografie-vor-a-508497.html, Stand: 25.2.2022. Wallenstein, Uta: Sceleta, Monstra und Kuriosa – Menschliche Anatomica in fürstlichen Wunderkammern, in: Anatomie – Gotha geht unter die Haut. Ausstellungskatalog Schlossmuseum Gotha, Berlin / München 2010, S. 55–69, hier S. 55. Ebd., S. 56–57. Pauser, Josef: Sektion als Strafe?, in: Körper ohne Leben. Begegnung und Umgang mit Toten, hrsg. von Norbert Stefenelli, Wien / Köln / Weimar 1998, S. 527–535, hier bes. S. 529. Groß, Dominik / Schäfer, Gereon: Die klinische Sektion und ihre gesellschaftliche Wahrnehmung. Die medizinhistorische Perspektive, in: Tod und toter Körper. Der Umgang mit dem Tod und der menschlichen Leiche am Beispiel der klinischen Obduktion, hrsg. von Dominik Groß, Andrea Esser, Hubert Knoblauch und Brigitte Tag, Kassel 2007, S. 59–82, hier S. 62–63. Laukötter, Anja: Gefühle im Feld – Die „Sammelwut“ der Anthropologen in Bezug auf Körperteile und das Konzept der „Rasse“ um die Jahrhundertwende, in: Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen (= Studien zur Kolonialgeschichte 5), hrsg. von Holger Stoecker, Thomas Schnalke und Andreas Winkelmann, Berlin 2013, S. 24–44, hier bes. S. 27. Zwar berichten westliche Sammelnde in den Kolonien immer wieder davon, dass ihnen zum Teil selbst nicht ganz wohl sei angesichts der Methoden, mit welchen sie das „Forschungsmaterial“ beschafften. Unter Verweis auf den wissenschaftlichen Nutzen desselben wird das Vorgehen aber stets als legitim deklariert. Hierzu beispielhaft Henrichsen, Dag: Die „Skelettaffaire“ und andere „Geheimnisse“ – Sammelstrategien, Grenzüberschreitungen und Wissenskonzeptionen des Zürcher Botanikers Hans Schinz, in: Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen (=Studien zur Kolonialgeschichte 5), hrsg. von Holger Stoecker, Thomas Schnalke und Andreas Winkelmann, Berlin 2013, S. 121–129, hier bes. S. 125–128.
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Einen guten Überblick über diese Problematik bietet Hund, Wulf D.: Die Körper der Bilder der Rassen. Wissenschaftliche Leichenschändung und rassistische Entfremdung, in: Entfremdete Körper. Rassismus als Leichenschändung (= Postcolonial Studies 4), hrsg. von Wulf D. Hund, Bielefeld 2009, S. 13–79. Lenk, Christian: Ethische Grundsätze für den Umgang der Sammlungen mit menschlichen Überresten, in: Leitfaden. Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen, hrsg. von Deutscher Museumsbund e.V., Berlin 2021, S. 121–131, hier S. 122–123. Degueurce, Christophe: Fragonard Museum. The Écorchés. The Anatomical Masterworks of Honoré Fragonard, New York 2011, S. 72. In diesem Zusammenhang sei beispielhaft verwiesen auf den Umgang mit den sterblichen Überresten des 1796 in Wien verstorbenen Angelo Soliman, der als „ausgestopfter Mohr“ traurige Berühmtheit erlangte: Der wohl aus dem heutigen Nigeria stammende Soliman wurde als Kind nach Europa verschleppt. Er kam schließlich nach Wien, wo er bis zum Prinzenerzieher am Hof des Fürsten von Liechtenstein aufstieg. Doch seine hohe soziale Stellung bewahrte ihn nicht davor, dass seinem Leichnam unter der Ägide des Leiters des kaiserlichen Naturalienkabinettes die Haut abgezogen und diese als Ganzkörper-Stopfpräparat ebendort ausgestellt wurde. Wiederholt bemühte sich Solimans Tochter vergeblich um die Herausgabe der Haut, um sie zusammen mit dem restlichen Leichnam ihres Vaters christlich bestatten zu können. Siehe Blom, Philipp / Kos, Wolfgang (Hrsg.): Angelo Soliman. Ein Afrikaner in Wien. Ausstellungskatalog, Wien Museum, Wien 2011, S. 205–209. Tag, Brigitte: Grenzüberschreitung, Aufklärung oder beides?, in: Schöne Neue Körperwelten. Der Streit um die Ausstellung, hrsg. von Franz Josef Wetz und Brigitte Tag, Stuttgart 2001, S. 143–170, hier bes. S. 150–152; Menschen-Museum muss Einwilligung von Körperspendern haben, in: aerzteblatt.de, 14.9.2017, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/79283/Menschen-Museum-muss-Einwilligung-von-Koerperspendern-haben, Stand: 24.2.2022. Ráček, Milan: Begegnungen mit erhaltenen Körpern längst Verstorbener, in: Körper ohne Leben. Begegnung und Umgang mit Toten, hrsg. von Norbert Stefenelli, Wien / Köln / Weimar 1998, S. 726–727. Selle, Claudia von / Selle, Dirk von: Menschliche Überreste in deutschen Museen: Rechtliche Freiräume, moralische Ansprüche, in: Kunst und Recht. Journal für Kunstrecht, Urheberrecht und Kulturpolitik 14/2012, 4, S. 169–173, hier S. 171; Thielecke, Carola / Geißdorf, Michael: Rechtliche Grundlagen für den Umgang der Museen und Sammlungen mit menschlichen Überresten, in: Leitfaden. Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen, hrsg. von Deutscher Museumsbund e.V., Berlin 2021, S. 106–120, hier S. 108–111. Zu den verschiedenen juristischen Ansätzen in dieser Frage siehe Thielecke, Carola: Ein würdiges Ende? Der Umgang mit Human Remains im Museum und das Grundrecht auf Menschenwürde, in: Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen (= Studien zur Kolonialgeschichte 5), hrsg. von Holger Stoecker, Thomas Schnalke und Andreas Winkelmann, Berlin 2013, S. 353–369, hier S. 362–363. Deutscher Museumsbund e.V. (Hrsg.): Empfehlungen zum Umgang, S. 11. Thielecke: Ein würdiges Ende?, S. 363. Fründt, Sarah: Alle anders, alle gleich? Internationale Repatriierungsbewegungen, in: Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen (= Studien zur Kolonialgeschichte 5), hrsg. von Holger Stoecker, Thomas Schnalke und Andreas Winkelmann, Berlin 2013, S. 323–338, hier S. 334–335. In der überarbeiteten Fassung des Leitfadens des Deutschen Museumsbundes von 2021, S. 17, wird „Zugehörigkeit“ zu einer Herkunftsgesellschaft folgendermaßen definiert: „Zugehörigkeit kann über geteiltes Wissen und geteilte Werte, geteilte Praktiken und Lebensumstände entstehen bzw. entstanden sein, aber auch über geteilte Interessen – und nicht nur über geteilte Sprache und ethnische / kulturelle Herkunft.“ Gleichwohl ist das dem Leitfaden zugrundeliegende Verständnis von „Herkunftsgesellschaft“ jedoch primär auf ethnische, speziell indigene Gemeinschaften fokussiert. Stiftung gibt umstrittenen Skalp aus Karl-May-Museum heraus, in: Süddeutsche Zeitung, 23.11.2020, https:// www.sueddeutsche.de/kultur/museen-radebeul-stiftung-gibt-umstrittenen-skalp-aus-karl-may-museumheraus-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-201123-99-434688, Stand: 25.2.202. Exemplarisch genannt sei hier der Fall des „Irish Giant“ Charles Byrne (1761–1783), der aus Furcht vor einer Zurschaustellung seiner sterblichen Überreste verfügte, man möge seinen Leichnam einer Seebestattung zuführen. Sein letzter Wille wurde jedoch missachtet und das präparierte Skelett befindet sich bis heute in der Sammlung des Hunterian Museum in London, wo es bis zur renovierungsbedingten Schließung im Jahr 2018
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ständig ausgestellt war. Diverse Initiativen zur Bestattung der Überreste wies das Museum stets unter Verweis auf ihren hohen Wert für Forschung und Ausbildung zurück. Ob die Phase der Renovierung und Umstrukturierung auch Anlass für einen veränderten Umgang mit dem Skelett geboten haben wird, bleibt abzuwarten. Seitens des Museums heißt es, man werde die Zeit der Schließung nutzen, um die Angelegenheit zu diskutieren. Das Museum soll Anfang 2023 wiedereröffnet werden. Siehe Devlin, Hannah: „Irish giant“ may finally get respectful burial after 200 years on display, in: The Guardian, 22.6 2018, https://www.theguardian.com/ science/2018/jun/22/irish-giant-may-finally-get-respectful-burial-after-200-years-on-display, Stand: 22.2.2022. Mit dem „Marburger Lenchen“, einem Ganzkörperpräparat einer schwangeren Frau aus der Zeit um 1900 im Marburger Museum Anatomicum oder dem „Charlie“ genannten neolithischen Kinderskelett aus dem Alexander Keiller Museum in Avebury sei auf nur zwei weitere prominente, ähnlich gelagerte Fälle verwiesen. Bislang existiert wenig speziell auf Ausstellungen mit menschlichen Überresten bezogene Besuchsforschung, doch spricht allein die große Resonanz, die Ausstellungen wie „Mumien – Der Traum vom ewigen Leben“ oder „Körperwelten“ beim Publikum hervorrufen, eine eindeutige Sprache. Über die Motive für einen Besuch sowie die Art der individuellen Erschließung einer solchen Ausstellung liegen aber kaum gesicherte Erkenntnisse vor. Beispielhaft sei auf folgende zwei Publikationen zu einzelnen Ausstellungen verwiesen: Loeben, Christian E.: Ägyptische Mumien in Sonder- und Dauerausstellungen – Zwei Fälle von Erfahrungen mit Besuchern, in: Mumien und Museen. Kolloquium zur Ausstellung „Mumien – Der Traum vom ewigen Leben“, Mannheimer Geschichtsblätter, Sonderveröffentlichung 2, hrsg. von Alfried Wieczorek, Wilfried Rosendahl und Hermann Wiegand, Heidelberg / Ubstadt-Weiher /Basel 2008, S. 61–72; Eisenbeiß, Sabine: Die Rezeption von Moorleichen, in: Mumien und Museen. Kolloquium zur Ausstellung „Mumien – Der Traum vom ewigen Leben“, Mannheimer Geschichtsblätter, Sonderveröffentlichung 2, hrsg. von Alfried Wieczorek, Wilfried Rosendahl und Hermann Wiegand, Heidelberg / Ubstadt-Weiher /Basel 2008, S. 113–120. Gegenstand systematischer, kontinuierlicher Erforschung sind – sicherlich auf Grund ihrer Kontroversität und des anfänglichen Legitimationsdrucks – dagegen Motivation und Besuchsverhalten bei den „Körperwelten“. Siehe Lantermann, Ernst-Dieter: Körperwelten im Spiegel der Besucher, in: Körperwelten. Die Faszination des Echten, hrsg. von Gunter von Hagens, Ausstellungskatalog, Heidelberg 2003, S. 208–215; Charlton, Michael / Burbaum, Christina / Staiblin, Lothar / Zander, Mark: Was die Menschen an den „Körperwelten“ bewegt, in: Schöne Neue Körperwelten. Der Streit um die Ausstellung, hrsg. von Franz Josef Wetz und Brigitte Tag, Stuttgart 2001, S. 328–356. Bock, Britta / Gräfe, Antje: Mumien und Museen: Museumspädagogik zwischen inhaltlicher Vermittlung und psychologischer Betreuung, in: Mumien und Museen. Kolloquium zur Ausstellung „Mumien – Der Traum vom ewigen Leben“, Mannheimer Geschichtsblätter, Sonderveröffentlichung 2, hrsg. von Alfried Wieczorek, Wilfried Rosendahl und Hermann Wiegand, Heidelberg / Ubstadt-Weiher / Basel 2008, S. 121–126, berichten von den unterschiedlichsten (zum Teil auch sehr heftigen) Reaktionen bei Besuchenden in der Mannheimer Mumienausstellung. Einen guten Überblick über die verschiedenen ethischen Aspekte wie auch die vorhandenen Leitfäden und Richtlinien, an denen sich Museen in diesen Fragen orientieren können, bietet Lenk: Ethische Grundsätze. Deutscher Museumsbund e.V. (Hrsg.): Empfehlungen zum Umgang, S. 59. Ebd.
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HANDLE AND CARE Der Umgang mit Human Remains in ethnologischen Sammlungen als eine Frage der Perspektive Bei allen Handlungen und Entscheidungen, die Human Remains in ethnologischen Sammlungen betreffen, muss die Perspektive der Verstorbenen und ihrer Nachfahren in den Vordergrund gestellt und als handlungsanleitend angenommen werden. Es liegt an uns, dafür Sorge zu tragen, dass der widerfahrenen Dehumanisierung eine Re humanisierung entgegengesetzt wird.1
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enn wir2 über Mumien und andere menschliche Überreste in Forschung und Ausstellung und die damit verbundenen ethischen Herausforderungen nachdenken wollen, so ist es unmöglich, dies zu tun, ohne die spezifischen Kontexte mit in den Blick zu nehmen: geografische, historische, kulturelle und religiöse Zusammenhänge, denen die zu erforschenden und auszustellenden Human Remains zugehören, die Wege, über die sie in Sammlungen und Ausstellungen gelangt sind, die Art und Funktion der Sammlungen, in der sie heute bewahrt sind, sowie Methoden, Fragen und Ziele der Forschung, denen sie ausgesetzt sind.3 In diesem Beitrag thematisiere ich einige Herausforderungen, die sich aus dem Vorhandensein von Human Remains in ethnologischen Sammlungen ergeben. Mein Ziel ist zu zeigen, wie eine kritische Auseinandersetzung mit Kolonialismus und der damit verbundenen Wissenschaftsgeschichte die Forschungs- und Museumspraktiken in ethnologischen Sammlungen und Museen und den Umgang mit denen in ihnen anwesenden Human Remains beeinflusst. Hierzu beleuchte ich zunächst die Verwurzelung ethnologischer Sammlungen in kolonialen Kontexten und zeichne die rezenteren Debatten um Sammlungen aus kolonialen Kontexten nach. Alsdann zeige ich anhand einiger Beispiele die Bandbreite von Human Remains in ethnologischen Sammlungen auf und erläutere deren Qualität als sensible Sammlungen. Daraufhin beschreibe ich die Methoden der (Provenienz-)Forschung, die Handhabung in der Depotsituation und anhand einiger Beispiele die (Nicht-)Präsentation in Ausstellungen. Ich schließe mit einem Hinweis auf den in meinen Augen ausschlaggebenden, besonderen Schutzbedarf von Human Remains in ethnologischen Sammlungen aus kolonialen Kontexten und die daraus erwachsende Verantwortung, die jede Person im Umgang mit diesen trägt. Mein Anliegen ist es, die Arbeit mit und an Human Remains in ethnologischen Sammlungen aus kolonialen Kontexten als Fürsorge (im Englischen „care“4) zu beschreiben.
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Ethnologische Sammlungen und koloniale Kontexte Als koloniale Kontexte werden Umstände und Prozesse verstanden, die mit der kolonialen Expansion Europas verbunden sind und sich entweder in einer formalen Kolonialherrschaft oder in kolonialen Strukturen auswirken. Diese Strukturen sind von großem machtpolitischem Ungleichgewicht sowie kolonialem Denken geprägt, das von „einer Ideologie der kulturellen Höherwertigkeit gegenüber Kolonisierten […] und des damit begründeten Rechtes zur Unterdrückung und Ausbeutung“5 überzeugt ist. Diese Strukturen der Ungleichheit ermöglichten die Entstehung von kolonialen Sammel- und Beschaffungspraktiken. Auch wenn es eine Vielzahl historischer Aneignungs-, Veräußerungs- und Aushandlungsprozesse gab, die von unterschiedlichen Akteuren mitbestimmt wurden, so muss doch mitgedacht werden, dass in kolonialen Strukturen ein grundlegendes Machtgefälle zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden gegenwärtig ist, das jegliches Denken und Handeln prägt. Damit verbunden ist die inzwischen in zahlreichen Publikationen herausgearbeitete Erkenntnis, dass das Sammeln in kolonialen Kontexten, insbesondere das Sammeln von Human Remains, oft – und oft auch bewusst – lokales Recht missachtete, moralische Grenzen überschritt, obsessive Züge annahm und sich bewusst zum Ziel setzte, eine Überlegenheit der Kolonisierenden wissenschaftlich zu fundieren, um daraus koloniale Herrschaft zu legitimieren. So entstandene Sammlungen aus kolonialen Kontexten sind vorrangig, aber mitnichten ausschließlich, ethnologisch ausgerichtet.6 Die Ethnologie wurde lange als die Wissenschaft vom kulturell Fremden bezeichnet. Daher sind ethnologische Sammlungen Orte, an denen materielle Kultur und Human Remains von nicht-europäischen Menschen, insbesondere von Menschen aus kolonisierten Gebieten, versammelt wurden.7 Diese Sammlungen enthalten, was aus der Perspektive der Aneignenden als anders, fremd und daher studierenswert und als zu Sammlungszwecken verfügbar wahrgenommen wurde. Das Besondere an ethnologischen Sammlungen ist also, dass sie ideenge-
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schichtlich als fremd, gleichzeitig aber auch in einer evolutionstheoretisch abwertenden Perspektive als Vorstufe des Eigenen und damit in letzter Konsequenz als Menschheitserbe betrachtete wurden. Damit wurde ein Anrecht oder gar eine Verpflichtung zur Aneignung, Erforschung, Aufbewahrung und Ausstellung verbunden. Vor diesem Hintergrund stellt sich eine reflexive und kritische Arbeit an und mit ethnologischen und kolonialen Sammlungen immer der Frage der Rechtmäßigkeit des Besitzes, des Eigentums und der Verfügung über Human Remains. Sie erkennt zudem grundsätzlich die Rechtmäßigkeit des Anspruchs durch Personen und Personengruppen, die mit den Human Remains verbunden sind, an. Die Entscheidungen darüber, wie mit Human Remains verfahren wird, ob sie beforscht und wann, wo und wie sie ausgestellt werden oder nicht, sollte daher wann immer möglich von oder mit Nachfahren der Verstorbenen getroffen werden.
Human Remains als sensibles Sammlungsgut Die Subjektivierung des Gegenübers in der ethnologischen Forschung und die verstärkte Zusammenarbeit mit Eigentumsgruppen bei der Sammlungsforschung haben in den vergangenen zwanzig Jahren zu „einer wachsenden Sensibilität“8 im Umgang mit kolonialen Sammlungen und einer Klassifizierung verschiedener Sammlungsbestände als besonders und sensibel geführt. Sensible Sammlungen sind demnach solche, die „aus ethischen Gründen sowie aufgrund ihrer Beziehung zu Menschen außerhalb der Sammlung als sensibel einzustufen sind und deshalb eines besonderen Umgangs bedürfen.“9 Human Remains werden grundsätzlich als sensibel behandelt. Im engeren Sinne sind Human Remains „alle unbearbeiteten, bearbeiteten oder konservierten Erhaltungsformen menschlicher Körper sowie Teile davon.“10 Dazu zählen Schädel und Knochen, natürlich oder künstlich konservierte Körper wie etwa Mumien, aber auch Haar- und
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Hautproben. Ferner zählen zu Human Remains auch Teile menschlicher Körper, die kulturell bearbeitet oder überformt sind, sowie Gegenstände, in die menschliche Körperteile eingearbeitet wurden. Hierfür wurden sowohl Körperteile verwendet, die den Tod der Person voraussetzen (etwa Schädeltrommeln, Schädelschalen oder Knochentrompeten), als auch solche, die gegebenenfalls ohne den Tod der Person gewonnen wurden (beispielsweise Hüftschnüre aus menschlichem Haar oder Reliquiarfiguren mit eingearbeiteten menschlichen Haaren, Nägeln oder Zähnen). Die Verwendung von Teilen menschlicher Körper in kulturellen und religiösen Objekten lässt in der Regel darauf schließen, dass ihnen eine besondere Bedeutung und Wirkmacht für die besitzende oder verwendende Person zugeschrieben wird. Unterschieden werden zudem individualisierbare Human Remains wie Ahnenschädel, die zumindest theoretisch auf ein einzelnes Individuum zurückgeführt, also mit Namen und Familienzugehörigkeit identifiziert werden können.11 In ethnologischen Sammlungen befinden sich des Weiteren sogenannte Objekte mit Subjektcharakter, die aus nichtmenschlichen Materialien wie Holz oder Stein hergestellt sind, die aber im jeweiligen Herkunftskontext als Ahnen angesehen und mit entsprechendem Respekt behandelt werden. Sie werden daher auch der Gruppe der Human Remains zugeordnet. Die Sensibilität von Sammlungen kann sich auch aus der ihnen eingeschriebenen Gewalterfahrung ergeben. Diejenigen Human Remains, die im Zuge rassenkundlichen Interesses in ethnologische Sammlungen gekommen sind, gehen fast ausschließlich auf Graböffnungen, Konfiszierungen oder die Aneignung der Körper gewaltsam zu Tode gebrachter Menschen zurück. Denn was die Totenruhe betrifft, wurden für tote Körper nichteuropäischer Menschen andere Maßstäbe angewendet als für europäische Körper.12 Auch Objekte, die auf gewaltsame Herstellungs- oder Sammlungszusammenhänge zurückgehen, werden als sensibel eingestuft. Insbesondere solche, in die Teile angeeigneter, toter menschlicher Körper eingearbeitet sind. Das Verarbeiten und Zurschaustellen getöteter Feinde oder Teile derer Körper, etwa in Form von
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Kopftrophäen oder durch das Verwenden von Haaren, Blut oder ausgewählter Körperteile zur Fertigung von Macht- oder Kriegsobjekten zielte darauf, sich die Kraft der Getöteten anzueignen, um die eigene Macht zu erhöhen.13 Diese Objekte schöpfen ihre Wirkung gerade aus der eingeschriebenen Gewalt an den Opfern und Unterlegenen. Als kulturell sensibles Sammlungsgut werden darüber hinaus mit Human Remains assoziierte Grabbeigaben sowie sakrale und zeremonielle Gegenstände angesehen. Sie sind deswegen als sensibel einzustufen, da ihnen eine besondere Bedeutung zugesprochen wird und sie in der Handhabung und Aufbewahrung in den Eigentumsgesellschaften begründeten Zu- und Umgangsbeschränkungen unterliegen. Die Sensibilität von Sammlungsbeständen kann auch in der fehlenden Einwilligung zum Verbleib in Sammlungen oder Ausstellungen begründet liegen. Selbst wenn ein Individuum zu Lebzeiten gewahr war, dass im Rahmen kultureller oder religiöser Praktiken, etwa der Ahnenverehrung, Teile des eigenen toten Körpers zur Schau gestellt oder von anderen Menschen gehandhabt und gesehen werden, kann daraus keine allgemeine Zustimmung zum Ausgestellt-Werden abgeleitet werden. Denn ein Anschauen und Anfassen toter Körper durch ausgewählte, initiierte oder verwandte Personen in einem speziellen, sanktionierten Rahmen unter der Wahrung entsprechender Gebote ist nicht mit einem Anschauen durch Fremde, gar unverständige, im schlimmsten Falle abwertende Augen in einer Vitrinen- oder Depotsituation in einem Museum gleichzusetzen. Es kann bei Human Remains in ethnologischen Sammlungen niemals davon ausgegangen werden, dass eine Zustimmung der verstorbenen Person zu ihrer Verwendung in wissenschaftlicher Forschung oder musealem Zusammenhang vorliegt. In manchen Fällen mag es vermittelnde, also sammelnde, herstellende und verkaufende Personen gegeben haben, die bewusst auf eine Veräußerung an Europäer und eine mögliche Verwendung in Sammlungen hingewirkt und dieser zugestimmt haben.14 Diese Zustimmung lässt sich aber nicht zwangsläufig auf die Person, deren sterbliche Überreste dazu verwendet wurden, verlängern.
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Die Sensibilität insbesondere von Human Remains erstreckt sich auch auf Abbildungen wie Fotografien, Zeichnungen, Abformungen, anthropometrische Daten, Film- und Tonaufnahmen. Ihre Sensibilität beruht auf der Anerkennung, dass diese Daten und Materialien in der Regel ohne Einwilligung und unter Zwang erhoben, also nicht freiwillig zur Verfügung gestellt wurden. Manche Objekte vereinen in sich mehrere Sensibilitäten, denen im Umgang mit ihnen Rechnung getragen werden muss. Die Anerkennung der Sensibilität bestimmter Sammlungsbestände mündet zunächst in einer erhöhten Aufmerksamkeit und in einem Bewusstsein darüber, dass jeglicher Umgang mit ihnen geprüft und abgewogen werden sollte, da bei diesen Beständen mehr als bei anderen Persönlichkeitsrechte und sonstige Rechte Dritter verletzt werden.
(Provenienz)Forschung an ethnologischen Sammlungen aus kolonialen Kontexten Weltweit fordern Nationalstaaten und indigene Gesellschaften sensible Objekte und Human Remains zurück. Die Foundation for Aboriginal and Islanders Research Action (FAIRA) und das Tasmanian Aboriginal Centre (TAC) fordern seit den 1960er-Jahren die Rückgabe von Human Remains aus Sammlungen australischer Museen. Sie erreichten dadurch 1993 die Verabschiedung einer Richtline durch Museums Australia, die festlegt, dass Entscheidungen über die Handhabung und Zukunft von den Eigentumsgesellschaften getroffen werden müssen und nicht mehr allein bei den Museen liegen. Die aktive Repatriierungsforderung Angehöriger der First Nations führte 1990 zum Erlass des Native American Graves Protection and Repatriation Act (NAGPRA), der nicht nur ein ethisch-moralisches Recht auf Rückgaben von Human Remains und Kulturerbe anerkennt, sondern alle staatlichen Museen innerhalb der USA rechtlich zu einer Rückgabe verpflichtet. 2006 wurde darüber hinaus die Wichtigkeit von Ausstellungen anerkannt,
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aber gleichzeitig festgehalten, dass entsprechende Gemeinschaften konsultiert und in Planungen miteinbezogen werden müssen; keine Ausstellung darf ohne Erlaubnis erfolgen. Seit 1985 werden in Neuseeland konsequent und beständig die Rückführungen von Human Remains, insbesondere von Toi Moko, aus internationalen Institutionen verfolgt und es gibt offizielle Richtlinien verschiedener Iwi, die Vorgaben zum Umgang mit ihren Human Remains geben, solange diese in Sammlungsinstitutionen lagern.15 Diese Forderungen beruhen auf lebhaften und oft schmerzlichen und widerständigen Erinnerungen der Nachfahren an diejenigen, deren Leichen, Gebeine oder Ahnen beziehungsweise Teile davon während der Zeit kolonialer Unterdrückung entwendet wurden. In Reaktion auf diese internationale Entwicklung und die Forderungen nach Rückgaben seitens der Nachkommen der im kolonialen Sammeln entwendeten Human Remains, deren repräsentativen Vertretern oder politischer Institutionen etablierte sich an deutschen sammlungsbewahrenden Institutionen eine Forschungslandschaft, die Provenienzen zu Human Remains und sensiblem Sammlungsgut bearbeitet.16 Dies schlägt sich in einer wachsenden Anzahl einschlägiger Forschungsprojekte und -verbünde, Tagungen, Publikationen, Forschungsnetzwerke und entsprechender Förderlinien (etwa seit 2021) nieder.17 Ganz zögerlich werden auch dauerhafte Stellen für Provenienzforschung zu kolonialen Kontexten in den Stellenplan sammlungsbeherbergender Institutionen eingeschrieben. Diese Entwicklung hat sich beschleunigt und verstetigt, seit 2018 die Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit und ihren gegenwärtigen Spuren, etwa in Form kolonialer Sammlungen, auch auf die politische Agenda gerückt und Teil der Kulturpolitik des Bundes und der Länder geworden ist, was zuletzt zur Einrichtung einer Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland führte. Ziel der Provenienzforschung ist die Feststellung der Herkunft, des Ortes, an dem Gebeine entwendet wurden, oder gar die Identifizierung der Person und damit gegebenenfalls heutiger Nachfahren. Die Re-
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cherche beginnt in der Regel in sammlungsdokumentierenden Akten. Diese lassen jedoch meist viele Fragen offen. Zudem müssen die dort verfügbaren Angaben vor dem Hintergrund der kolonialen Perspektive der A rchive selbst unbedingt kritisch hinterfragt und oft angezweifelt werden. Um diesen Leerstellen zu begegnen, wurden literarische Methoden wie die tentative, also hypothetische Objektbiografie entwickelt.18 Archivische Widersprüche oder Lücken werden außerdem durch einschlägige Kontextliteratur oder empirische Forschung zu anderen Wissensarchiven (mündliche Überlieferungen, topografische Rekonstruktionen etc.) zu schließen versucht. Eine weitere Möglichkeit ist die anthropologische, insbesondere nichtinvasive Untersuchung der Human Remains selbst hinsichtlich an der Oberfläche hinterlassener Spuren von Umwelteinwirkungen und vorgenommener Behandlungen, die auf eine Herkunft schließen lassen. Die Durchführung von invasiven Methoden ist sehr umstritten, von Gegnern wird sie als gewaltwiederholend abgelehnt. Ein wichtiger Aspekt der Forschung an ethnologischen Sammlungen aus kolonialen Kontexten ist es, eine respektvolle Beziehung zu Vertretern der Herkunftsgesellschaften zu etablieren, diese als Experten in die Forschung miteinzubeziehen oder ihnen die Durchführung eigener Forschung zu ermöglichen. Gemeinsam mit Kultur-, Sozial- und Politikwissenschaftlern von wissenschaftlichen Institutionen der Herkunftsländer werden Konzepte umgekehrter oder reziproker Forschung entwickelt, und dabei wird der Umgang mit den Human Remains, die Gegenstand der Forschung sind, gemeinsam erst im Laufe des Projekts ausgehandelt.19 Oft sind es auch deren Fragen und Perspektiven, die Forschungsprojekte entscheidend voranbringen. Das Ausloten (potenzieller) Forschungsmethoden im Bereich der Provenienzforschung und gerade bei der Arbeit zu und mit Human Remains befindet sich in ständiger Aushandlung und ist selbst Gegenstand einschlägiger Forschungsprojekte. Das bedeutet, die Methoden der Forschung selbst sowie die Auswirkungen der Forschung auf die beteiligten Forscher rücken in den Blick der Forschung.
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Dies sind zentrale, aber oft langwierige Prozesse. Gerade daher ist es für den Erfolg der Provenienzforschung unerlässlich, an sammlungsbeherbergenden Institutionen unbefristete Stellen für diese Aufgaben zu schaffen, so dass eine Kontinuität gewährleistet und dieser Eigenart der Forschung Rechnung getragen wird. Gerade die Etablierung und Pflege der notwendigen, oft weltumspannenden Netzwerke mit Eigentumsgesellschaften, Nachfahren oder Vertretern der Herkunftsgesellschaften kann nur durch dauerhaft an einer Sammlung beschäftigte Personen geleistet werden.
Depot und Ausstellung Bei einer Entscheidung darüber, wie mit Human Remains innerhalb des Sammlungsbetriebs umgegangen wird und welche Sammlungsbestände gezeigt werden und welche nicht, sind vielfältige Schutzbedürfnisse zu berücksichtigen: in erster Linie die der Human Remains und ihrer Nachfahren, aber auch die der Mitarbeiter und des Publikums. In vielen Depots ist es inzwischen gängige Praxis, dass Human Remains oder als sensibel identifizierte Sammlungssubjekte eine gesonderte, angemessene Lagerung erfahren. Dadurch sind sie dem unkontrollierten Zugang entzogen, oft sichtgeschützt und besonders sorgsam gebettet, etwa, wenn möglich, in einem separaten Bereich der Depoträumlichkeiten. In Schau- und Lehrsammlungen werden besonders sensible Human Remains bisweilen separat verwahrt und so eine Nutzung und Anschauung nur unter Vorbehalt ermöglicht. Vermehrt entscheiden sich Datenbankbetreiber dafür, Datensätze zu Human Remains nicht öffentlich auszuspielen oder zumindest mit einem Platzhalterbild zu versehen, auf dem darauf hingewiesen wird, dass aus ethischen Gründen keine Abbildung erfolgt. Dadurch erfolgt jeder visuelle Kontakt mit Human Remains absichtlich und ist nur autorisierten Personen vorbehalten.
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Manche Institutionen haben sich selbst Richtlinien gegeben, in denen der Umgang mit Human Remains in Sammlungen und Ausstellungen festgelegt ist. In vielen Einzelfragen beobachte ich jedoch eine zunehmende Uneinigkeit innerhalb der Museen zwischen Personen in forschenden, sammlungsbetreuenden, ausstellungsgestaltenden, ausstellungsbetreuenden und entscheidungstragenden Positionen. Ich halte es daher für notwendig, dass hausinterne Richtlinien im Dialog ausgehandelt werden, die es ermöglichen, dass alle Beteiligten in einer für sie tragbaren Art mit sensiblen Beständen wie Human Remains im Arbeitsalltag konfrontiert sind.20 Immer wieder wird mit einem angenommenen Seh- oder Informationsbedürfnis des Publikums oder mit einem Bildungs- und Vermittlungsauftrag gegenüber der Öffentlichkeit für eine Ausstellung sensibler Sammlungssubjekte argumentiert. Beides muss im Einzelfall sorgfältig gegenüber dem Schutzbedürfnis der ausgestellten Menschen und Objekte oder ihrer Nachfahren abgewogen werden. Das International Council of Museums (ICOM) formulierte als Mindeststandard, dass „[d]ie Ausstellung von menschlichen Überresten […] den Interessen und Glaubensgrundsätzen der gesellschaftlichen, ethnischen oder religiösen Gruppen, denen die Objekte entstammen, Rechnung tragen [muss].“21 Nicht immer wird das museale Zeigen von kulturell überarbeiteten Human Remains seitens der Nachfahren in den Herkunftsgesellschaften kritisch gesehen oder gar abgelehnt. Ist dies aber der Fall, verstößt ein Ausstellen also gegen den ausdrücklichen und artikulierten Wunsch der Angehörigen, so sollte aus ethischen Gründen unbedingt darauf verzichtet werden. Eine wachsende Zahl von Museumsbesuchern erwartet von ethnologischen Museen gar einen sensiblen Umgang mit Human Remains und reagiert mit entsprechender Kritik, entscheidet sich eine Institution für das Ausstellen bekanntermaßen sensibler Sammlungen und Human Remains. Im Gespräch mit aufsichtführenden Personen, die per se den meisten Kontakt mit Besuchern haben und erste Ansprechperson für deren Fragen sind, berichten mir diese immer wieder von Reaktionen auf ausgestellte Human
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Remains. Demnach werden sie durchaus kritisch darauf angesprochen und gefragt, ob es ethisch oder religiös vertretbar sei, tote menschliche Körper zu zeigen. Zunehmend sind in Ausstellungen innovative und kreative Wege zu sehen, Human Remains nicht auszustellen, etwa weil sie nach einer Rückgabe dafür nicht mehr zur Verfügung stehen oder eine kuratorische Entscheidung zugunsten des Nichtpräsentierens getroffen wurde. Auch viele Publikationen zu Provenienzforschung kommen ganz ohne Abbildungen der Human Remains aus. Stattdessen werden, in diesem Zusammenhang meist auch mit höherem Informationsgewinn, Archiv- und Dokumentationsmaterialien, historische oder verfremdete Fotografien oder Umverpackungen gezeigt oder künstlerische Auftragsarbeiten installiert. Um nur zwei Beispiele anzuführen: Das Völkerkundliche Museum Witzenhausen zeigt eine Arbeit der Künstlerin Linda-J. Knop mit dem Titel „Zur Erde sollst du werden“, die unter anderem mithilfe einer Platte, die ehemals für die Präsentation eines Schädels verwendet wurde, darauf verweist, dass an dieser Stelle über einhundert Jahre lang ein menschlicher Schädel ohne Einwilligung festgehalten wurde.22 Im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln wird in der Sonderausstellung „RESIST!“23 die Geschichte der Rückgabe eines 2018 restituierten Toi Moko gezeigt. Auf einem Monitor ist ein Interview mit der Resititutionsforscherin Amber Kiri Aranui zu sehen, die ausführlich und eindrücklich die Wichtigkeit der Repatriierung von Human Remains der Māori aus musealen Sammlungen nach Neuseeland formuliert. Während kaum ein ethnologisches Museum heute noch Human Remains im engeren Sinne ausstellt, ist die Haltung gegenüber der Frage, ob bearbeitete oder kulturell überformte Human Remains und kulturelle Objekte mit Subjektcharakter gezeigt werden sollten, nicht einheitlich. In Fällen, in denen Human Remains in die Ausstellung eingebracht sind, wird der unmittelbare Sichtkontakt jedoch fast immer durch sichthemmendes Displaymaterial oder eine Zugangshürde erschwert oder das Display wird mit einer Triggerwarnung versehen, so
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dass jeder Besucher eine aktive Entscheidung für ein Ansehen der sensiblen Human Remains treffen kann und muss. Diese Methode übergibt die Entscheidung über eine Begegnung in die Hand der schauenden Person. Die Verantwortung über den Schutz der angeschauten Person wird von kuratorischer Seite an die Triggerwarnung beziehungsweise das zugangsbeschränkende Display oder Personal abgegeben. Die digitale Ausstellung „Leichen im Keller – Menschliche Überreste zwischen Rückgabe und Verbleib“ greift Fragen rund um die Sensibilität menschlicher Überreste in Museen und Sammlungen auf. Die Ausstellungsmacher formulieren: „Für den Umgang mit menschlichen Überresten dürfen nicht Profit und Prestige die leitenden Motive sein. Im Fokus sollten Respekt gegenüber den Menschen, Reflexion und moralische Handlungsweisen stehen. […] Um diese ethische Problematik zu unterstreichen, rücken wir in dieser Ausstellung menschliche Überreste in den Mittelpunkt, ohne sie selbst zu Objekten zu machen. Wir behandeln das Thema menschliche Überreste, ohne welche zu zeigen. Damit betonen wir, dass es sich um Menschen handelt und nicht (nur) um Objekte. […] Das Anliegen von (möglichen) Nachfahr:innen bewerten wir in diesem Zusammenhang als moralischen Orientierungsrahmen.“24
Fürsorge, Perspektive und Verantwortung Nicht nur müssen die durch Sammlung und Musealisierung objektifizierten menschlichen Körper und Teile menschlicher Körper mit besonderer Vorsicht und Sorge gehandhabt werden. Diese Sorgfalt in der Handhabung muss durch eine Haltung der Zuwendung und Achtsamkeit gegenüber den Menschen, mit denen wir es zu tun haben, ergänzt werden. Beim Umgang mit diesen besonders sensiblen Beständen müssen dabei diejenigen Menschen im Fokus der Fürsorge stehen, deren Körper (oder Teile davon) in den Sammlungen anwesend sind. Ihnen sollte größtmöglicher Respekt gezollt und ihren Bedürfnissen entsprochen werden. Diese Verpflichtung überträgt sich auf die Begeg-
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nung mit denjenigen, die sich als Nachfahren der Verstorbenen identifizieren. Bei allen Handlungen und Entscheidungen diese besonderen Sammlungen betreffend muss die Perspektive der Verstorbenen und ihrer Nachfahren in den Vordergrund gestellt und als handlungsanleitend angenommen werden. Die Kernfrage ist schließlich, bei wem die Entscheidungsmacht über das Forschen und Ausstellen von Human Remains liegt. Meist sind es in deutschen Museen bislang weiße Europäer wie ich selbst, denen diese Entscheidungsmacht obliegt. Ich habe allerdings die Möglichkeit, den Vorgaben und Bedürfnissen derjenigen, die mit den Verstorbenen in Verbindung stehen, Priorität einzuräumen. Was würde die Person, die ich vor mir habe, wählen, könnte sie selbst entscheiden? Was ist im Sinne der Nachfahren? Diese Fragen zu bedenken, pietätvoll mit Human Remains umzugehen und eine sensible kuratorische Haltung zu etablieren, darin sehe ich die Verantwortung ethnologischer und kolonialer Forschungs- und Ausstellungspraxis. „Indem sich Museen und universitäre Sammlungen ihrer Verantwortung stellen, leisten sie einen wichtigen Beitrag zu aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen. Sie sensibilisieren für historische Zusammenhänge, Abhängigkeiten und Vermächtnisse sowie für das Fortwirken rassifizierender und dekolonialer Denkmuster in der Gegenwart,“25 so formulieren Anna-Maria Brandstetter und Vera Hierholzer das aus einer solchen Verantwortungshaltung erwachsende Potenzial. Es liegt an uns, dafür Sorge zu tragen, dass der widerfahrenen Dehumanisierung eine Rehumanisierung entgegengesetzt wird. Dr. Mareike Späth Kuratorin und Leiterin des Fachbereichs Ethnologie am Niedersächsischen Landesmuseum Hannover
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Die Redaktionsvorgabe der Hanns-Seidel-Stiftung gibt die Verwendung des generischen Maskulinums vor. Von dieser Konvention möchte ich mich distanzieren. Sprachwissenschaftliche Analysen zeigen, dass geschlechtsspezifisch maskuline Personenbezeichnungen nicht geschlechtsneutral gelesen werden und die Verwendung des generischen Maskulinums nichtmännliche Personen nicht adäquat repräsentiert. Das generische Maskulinum eignet sich daher nicht als genderunspezifische, inklusive und diskriminierungsfreie Referenz. Ich verfasse diesen Text als weiße Person, die akademisch als Ethnologin sozialisiert und als Kuratorin am Landesmuseum Hannover angestellt und damit mit der Betreuung einer ethnologischen Sammlung beauftragt ist. Wenn ich gelegentlich von einem „wir“ spreche, so meine ich damit Personen mit vergleichbaren Identitäten und Positionen. Ich übernehme als Sammelbegriff den englischen Ausdruck Human Remains, der das Erhalten- und Anwesend-Sein in den Vordergrund stellt, im Gegensatz zu dem im Deutschen verwendeten Ausdruck Menschliche Überreste, in dem das Übrig- und Rest-Sein hervorgehoben und eine objektifizierende Betrachtung begünstigt wird, von der ich mich distanzieren möchte. Während der deutsche Begriff der Fürsorge auch eine stark paternalistische Konnotation trägt, steht im englischen Begriff „care“ und dessen Verbalisierung „care about“ im Vordergrund, dass dem Gegenüber Interesse und Respekt entgegengebracht wird und die Anliegen des Gegenübers als wichtig erachtet und als relevant anerkannt werden. Deutscher Museumsbund e.V. (Hrsg.): Leitfaden. Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, Berlin 2021, S. 27. Gleichzeitig bestehen ethnologische Sammlungen nicht ausschließlich aus Beständen aus kolonialen Kontexten. Es gibt zudem eine enge historische Verbindung zwischen ethnologischem und anthropologischem Sammeln und damit auch zwischen ethnologischen und anthropologischen Sammlungen, die sich bisweilen an denselben Institutionen befinden oder befanden. Arndt, Wiebke: Zum Umgang mit menschlichen Überresten in deutschen Museen und Sammlungen. Die Empfehlungen des Deutschen Museumsbundes, in: Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen (= Studien zur Kolonialgeschichte 5), hrsg. von Holger Stoecker, Thomas Schnalke und Andreas Winkelmann, Berlin 2013, S. 314–322, hier S. 314. Brandstetter, Anna Maria / Hierholzer, Vera: Sensible Dinge. Eine Einführung in Debatten und Herausforderungen, in: Nicht nur Raubkunst! Sensible Dinge in Museen und universitären Sammlungen, hrsg. von dens., Göttingen 2018, S. 11–28, hier S. 12. Zur Definition siehe auch Berner, Margit / Hoffmann, Anette / Lange, Britta: Sensible Sammlungen. Aus dem anthropologischen Depot. Hamburg 2011, insb. S. 19; Fründt, Sarah: Sensitive Collections, in: Museumsethnologie. Eine Einführung, hrsg. von Iris Edenheiser und Larissa Förster, Berlin 2019, S. 134–147. Deutscher Museumsbund e.V. (Hrsg.): Leitfaden. Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen, Berlin 2021, S. 14–15. Die Unterscheidung zwischen unbearbeitet und bearbeitet kann irreführend sein, da auch unbearbeitete Human Remains in der Regel konservatorisch bearbeitet sind. Zur Kategorisierung Fründt, Sarah: Die Menschen-Sammler, Marburg 2011, hier S. 49–53. Ebd., S. 16. Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen europäischen und nichteuropäischen Körpern ist eine zutiefst rassistische, die ich an dieser Stelle nur zur Verdeutlichung der differenzierenden Praxis reproduziere. Auch europäische Körper wurden exhumiert und angeeignet, dies jedoch in der Regel unter Umständen, die ein Unrechtsbewusstsein gegenüber den Verstorbenen und der geltenden Gesetzeslage sichtbar machten. Etwa beschrieben für eine Kriegstrommel der Ewe in Lang, Sabine: Den Sammlern auf der Spur, Heidelberg 2021, S. 154–156. So wurden etwa Kopftrophäen explizit für den Handel hergestellt, wozu eigens Tötungsunternehmen gegen befeindete Gruppen unternommen wurden. Hierzu ausführlicher die Beiträge von Paul Turnbull, Te Arikirangi Mamaku und Sarah Fründt in diesem Band. Eine Darstellung einzelner Forschungen und Individuen sprengt leider den Umfang des Beitrags. Stellvertretend verweise ich auf die wohl aktuellste Publikation der Koordinierungsstelle bei Decolonize Berlin e.V.: We want them back. Wissenschaftliches Gutachten zum Bestand menschlicher Überreste /
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Human Remains aus kolonialen Kontexten in Berlin, Berlin 2022, https://decolonize-berlin.de/wp-content/ uploads/2022/02/We-Want-Them-Back_deutsch-web.pdf, Stand: 6.3.2022. Außerdem im Überblick: Fründt: Die Menschen-Sammler, S. 22–45; Fründt, Sarah: Alle anders, alle gleich? Internationale Repatriierungsbewegungen, in: Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen (= Studien zur Kolonialgeschichte 5), hrsg. von Holger Stoecker, Thomas Schnalke und Andreas Winkelmann, Berlin 2013, S. 323–338; einen Überblick über international vorhandene Empfehlungen und Richtlinien bietet Wesche, Anne: Im Zweifelsfall als Einzelfall. Überblick zu vorhandenen Empfehlungen für den Umgang mit menschlichen Überresten vor dem Hintergrund zunehmend gestellter Rückgabeforderungen, in: Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen (= Studien zur Kolonialgeschichte 5), hrsg. von Holger Stoecker, Thomas Schnalke und Andreas Winkelmann, Berlin 2013, S. 339–352. Eines der ersten großen Projekte war die ab 2010 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Forschergruppe Charité Human Remains Project, aus der die Publikation „Stoecker / Schnalke / Winkelmann: Sammeln, Erforschen, Zurückgeben?“ hervorging. Siehe exemplarisch die Webseite Provenienzforschung in außereuropäischen Sammlungen und der Ethnologie in Niedersachsen sowie dort gelistete weitere Projekte, online im Internet unter https://www.postcolonialprovenance-research.com/ag-projekte/, Stand: 6.3.2022 sowie Förster, Larissa / Edenheiser, Iris / Fründt, Sarah / Hartmann, Heike (Hrsg.): Provenienzforschung zu ethnografischen Sammlungen der Kolonialzeit. Positionen in der aktuellen Debatte, München / Berlin 2018, https://edoc.hu-berlin.de/handle/18452/19768, Stand: 6.3.2022. Zentrale Netzwerke sind die Arbeitsgruppe Koloniale Provenienzen im Arbeitskreis Provenienzforschung e. V., insbesondere die UAG Human Remains sowie das Netzwerk für nachhaltige Forschungsstrukturen zur Bearbeitung von Sammlungen und Beständen aus kolonialen Kontexten. Zum Fachbereich des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste siehe das Periodikum Provenienz & Forschung 2/2020. Förster, Larissa / Stoecker, Holger: Haut, Haar, Knochen. Koloniale Spuren in naturkundlichen Sammlungen der Universität Jena, Weimar 2016. Der Sammelband von „Stoecker / Schnalke / Winkelmann: Sammeln, Erforschen, Zurückgeben?“ veranschaulicht die unterschiedlichen Positionen in der Debatte um angemessene Methoden zur Forschung an und über Human Remains und plädiert gleichzeitig für interdisziplinäre Forschung, um in der Verschränkung verschiedener Ansätze ein Maximum an verfügbaren Information zu erreichen. Siehe auch Fine, Jonathan / Thode-Arora, Hilke: Provenienzforschung. Forschungsquellen, Methodik, Möglichkeiten, in: Leitfaden. Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, hrsg. von Deutscher Museumsbund e.V., Berlin 2021, S. 153–158. Zu Maßnahmen zum Schutz von Museumsmitarbeitenden in Australien siehe Pickering, Michael: The supernatural and sensitive Indigenous materials: a workplace health and safety issue?, in: Museum Management and Curatorship 5/2010, S. 532–550. ICOM: Ethische Richtlinien für Museen von ICOM, Paris 2004, S. 19. Siehe dazu auch die Begleitbroschüre von Hulverscheidt, Marion / Stoecker, Holger / Hülsebusch Christian: Die Spur des Schädels, Witzenhausen 2017. „RESIST! Die Kunst des Widerstands“, 1. April 2021 bis 9. Januar 2022. Digitale Ausstellung „Leichen im Keller – Menschliche Überreste zwischen Rückgabe und Verbleib“, Universität Wien, https://leichenimkeller.at/leichen-im-keller, Stand: 6.3.2022. Brandstetter / Hierholzer: Sensible Dinge, S. 25.
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ANTHROPOLOGISCHE SAMMLUNGEN UND IHR KOLONIALES ERBE Anthropologische Sammlungen1, die zumindest zum Teil auf histo rische Bestände zurückgehen, tragen schwer an ihrem kolonialen Erbe. Dabei ist dieser Begriff sowohl materiell wie immateriell zu verstehen. Provenienzforschung und anschließende Rückgaben sind Teile der Aufarbeitung.
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nthropologische Sammlungen, die zumindest in Teilen auf historische Bestände zurückgehen, tragen oft schwer an ihrem kolonialen Erbe. Zum einen können sie, wenn sie in der Kolonialzeit angelegt oder signifikant ausgebaut wurden, Opfer von Kolonialherrschaft enthalten.2 Neben den eigenen Kolonien konnten hiesige Sammlungen dabei auch von den Infrastrukturen anderer Kolonialreiche profitieren. So finden sich heute neuseeländische und australische Gebeine in Deutschland, obwohl beide Regionen unter britischer Herrschaft standen. In Frage kommen damit Bestände vom 15. Jahrhundert bis in die 1960er-Jahre. Allerdings lässt sich eingrenzend sagen, dass die Hochzeit des Sammelns in die Zeit zwischen 1890 und 1930 fiel. Zum anderen ist den Sammlungen ein immaterielles koloniales Erbe eingeschrieben. Ihre Klassifizierungs- und Inventarisierungssysteme gehen bis heute oft auf koloniale und rassenkundliche Bezeichnungen und Kategorisierungen zurück. Dies bezieht sich neben den Begriffen selbst auf die damit einhergehende Vorstellung, dass die Beschreibung menschlicher Variation nicht primär auf individueller Ebene erfolgt, sondern zwingend eine Einteilung in größere und umfassendere Einheiten erfordert. Seit dem 18. Jahrhundert erfolgte dabei eine Eingrenzung und meist auch Hierarchisierung bestimmter „Rassen“ und diverser Untereinheiten. Zwar hat sich die deutsche Anthropologie mittlerweile ausdrücklich von der Nutzung des „Rasse“-Begriffs distanziert.3 Dennoch werden heute noch Einteilungen auf biogeografischer Ebene, respektive aufgrund der Herkunft, vorgenommen. Dem zugrunde liegt die bis heute in der anthropologischen Wissenschaft existierende Idee, die Herkunft einer Person lasse sich anhand ihrer Knochen zumindest in Ansätzen bestimmen.
Die Entstehung anthropologischer Sammlungen Seit dem 18. Jahrhundert lassen sich vier Phasen feststellen, die die Anlage systematischer Sammlungen bedingten. Im Zuge der Aufklärung und mit zunehmender kolonialer Expansion europäischer Mächte in
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geografisch weit entfernte Regionen nahm das Interesse an der vorgefundenen menschlichen Vielfalt zu. Viele europäische Gelehrte interessierten sich neben den unterschiedlichen Kulturen auch für die körperlichen und damit biologischen Merkmale der Menschen, von denen sie teils über Berichte Reisender, teils durch eigene Anschauung erfuhren. Neben einer Vielzahl beschreibender Traktate, die bereits seit dem 17. Jahrhundert unterschiedliche Einteilungen aufgrund vager und subjektiver Kriterien vorschlugen und über die Ursachen der Unterschiede spekulierten,4 begann im 18. Jahrhundert die systematische Untersuchung menschlicher Schädel mit entsprechender Zielrichtung. Genutzt wurden zunächst vorhandene einzelne Gebeine aus den fürstlichen Wunderkammern oder zufällig gemachte Funde aus alten Grabstätten. Es wurde jedoch deutlich, dass eine wissenschaftliche Untersuchung umfassendere Sammlungen erforderte, die nicht mehr dem Zufallsprinzip unterlagen, sondern möglichst viele Schädel und Skelette aus unterschiedlichen Teilen der Welt in einer erhofften Repräsentativität enthielten. Als einer der Ersten begann Johann Friedrich Blumenbach an der Universität Göttingen damit, über private und wissenschaftliche Kontakte und Netzwerke gezielt um Zusendung von Gebeinen durch Reisende zu bitten. Diese Praxis setzte sich bis ins 20. Jahrhundert fort und ermöglichte es den Sammlern, umfassende Bestände zusammenzutragen, ohne selbst reisen zu müssen.5 Blumenbach und andere begannen damit, menschliche Variation anhand der Schädel zu klassifizieren und in ein System einzuordnen. Seine Einteilung in fünf menschliche „Rassen“ inklusive deren Benennung (etwa „kaukasisch“) hat bis heute in Teilen der biologischen Anthropologie und in anderen gesellschaftlichen Feldern Bestand, insbesondere im angloamerikanischen Raum.6 Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt die Suche nach den Ursachen durch die aufkommende Evolutionstheorie eine entscheidende Antwort: Sie wurden nun auf die kontinuierliche Entwicklung des Menschen als biologisches Wesen zurückgeführt. Die Rekonstruktion dieser Prozesse wurde zur entscheidenden Zielstellung der Anthropologie, die sich nun erstmals bewusst als eigenständige wissenschaftliche Disziplin verstand und abgrenzte.7 In
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der Folge etablierten sich in der zweiten Jahrhunderthälfte neben ersten universitären Lehrstühlen für Anthropologie8 weitere Sammlungen wie die von Alexander Ecker (Freiburg) oder Rudolf Virchow (Berlin). Um eine Übersicht zu gewinnen und die Bestände wissenschaftlich nutzbar zu machen, beauftragte die neu gegründete Deutsche Gesellschaft für Anthropologie die Erstellung von detaillierten Katalogen für alle damals bekannten Sammlungen im deutschsprachigen Raum. Unter dem Titel „Die anthropologischen Sammlungen Deutschlands“ wurde die mehrbändige Reihe zwischen 1877 und 1902 publiziert.9 Nicht nur zufällig ist die Parallelität der Ereignisse in Bezug auf die Etablierung der Disziplin und wichtiger Ereignisse der deutschen Kolonialgeschichte (Abbildung 1).
1 Gegenüberstellung wichtiger Daten der deutschen Anthropologiegeschichte (unten) mit Ereignissen der deutschen Kolonialgeschichte (oben). (Quelle: © Sarah Fründt, 2022)
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Die Kolonien boten Wissenschaftlern besonders günstige Gelegenheiten, menschliche Überreste auch gegen lokale Proteste zu erwerben und ins Deutsche Reich zu verschicken. Wie bereits Blumenbach beauftragten sie dazu Reisende, Militärangehörige, Missionare, Seeleute oder Händler. Da es sich dabei zumeist um Laien handelte, wurden ausführliche Anleitungen publiziert, die den Sammelnden vor Ort wissenschaftlich fundiertes Sammeln wie geeignete Verpackungs- und Transportmodalitäten erläuterten.10 Zur Beschaffung empfahl der bereits erwähnte Rudolf Virchow 1875 explizit die „europäischen Colonien“ und hier am besten „Hospitäler […] und Gefangenen-Anstalten [sowie] sichere Grabstätten“; manche „Völkerschaften“ seien zudem „nicht abgeneigt […] die Schädel ihrer Feinde […] zum Gegenstande des Handels oder des Tausches zu machen“.11 Der Anatom und Anthropologe Felix von Luschan betonte 1914 die hohe wissenschaftliche Bedeutung des Sammelns: „Jede Gelegenheit […] eine große Anzahl von Schädeln […] vor der Vernichtung im Erdboden oder durch Feuer zu retten, sollte eifrig benutzt werden; ebenso auch jede Gelegenheit, ganze Skelette zu sichern; unter Umständen genügt ganz oberflächliche Reinigung, event. nur Abfleischung und Trocknung – alles übrige kann zu Hause in Europa besorgt werden.“12 Dass solche Anweisungen nicht nur abstrakte, theoretische Abhandlungen darstellten,13 sondern tatsächlich die Sammelpraxis bestimmten, zeigen entsprechende Berichte aus den Hinterlassenschaften der Sammelnden. Am 31. Dezember 1905 schrieb etwa der Mediziner und Anthropologe Hermann Klaatsch an seinen Heidelberger Kollegen Otto Schoetensack: „Ein merkwürdiger Glückszufall war es, dass kurz vor meiner Abreise von Beagle-Bay ein c. 14 jaehr. Maedchen, das schon laengere Zeit ein Opfer der von Malayen eingeschleppten Syphilis war, starb – eine noch groessere Glücksfügung, dass der leitende Missionar mir heimlichst gestattete, den Kopf, die Haende und Füsse der Leiche abzuschneiden.“14 Am 17. September 1912 schrieb der Zoologe Ludwig Cohn an den damaligen Direktor des heutigen Bremer Übersee-Museums, Hugo Schauinsland, die Ruhr-Epidemie auf Manus sei
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mittlerweile abgeklungen, allerdings hoffe er als Folge davon „auf eine reichliche Ausbeute an Schädeln; sollte sich die Möglichkeit bieten, ein ganzes Skelett zu bekommen, so werde ich die Gelegenheit selbstredend nicht versäumen.“ 15 Neben der Beschaffung beschreiben Sammler die Herausforderungen des Transports: „Vor allen Dingen muß ich wissen bis wann die Sachen geliefert sein müssen, und mir dann die nötigen Konservierungsmitteln, Gefäße und Anleitung für die Salz bearbeitung zur Verfügung gestellt werden. In betreff der menschlichen Schädel vor allen Dingen, da hier größten teils die Zähne springen. Ich habe jetzt […] die Schädel weiter nicht bearbeitet [… sondern] sowie die Köpfe trocken waren das hauptsächliche Fleisch […] abgelößt und dann verpackt.“ 16 Ende des 19. Jahrhunderts erweiterte sich die evolutionsgeschichtliche Ausrichtung der Anthropologie unter dem Eindruck sozialevolutionistischer Theorien und des realen Geschehens in den europäischen Kolonien zunehmend zu einer Theorie von der Verdrängung und dem Aussterben „primitiver Rassen“. Dies diente verstärkt der Rechtfertigung kolonialer Bestrebungen, die so als naturgegeben entschuldigt wurden. Zur Jahrhundertwende und mit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte „Rassentypologien“ verbanden sich später immer mehr mit sozialhygienischen und eugenischen Bewegungen, die sich in Verbindung mit dem erstarkenden Nationalismus der 20er- und 30er-Jahre zu der nahezu alle wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Bereiche umfassenden „Rassenkunde“ der NS-Zeit entwickelten. Parallel zu den Versuchen, menschliche Vielfalt entlang geografischer Einheiten zu unterteilen, gab es Forschungsrichtungen, die sich auf systematischer Ebene mit den Charaktereigenschaften und dem Verhalten einzelner Personen beschäftigten (statt wie die Rassenkunde auf Gruppenebene zu argumentieren). Beispiele hierfür stellen die Schädellehre des Franz Joseph Gall im ausgehenden 18. Jahrhundert sowie der Versuch des italienischen Arztes Cesare Lambroso dar, um die Wende zum 19. Jahrhundert sogenannte Verbrechertypologien zu entwickeln, die von einem erblichen Hang zum Verbrechen ausgingen.
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Zwar wurden auch hier Schädel genutzt, oft ist aber durch das immanente Interesse am jeweiligen Individuum mehr über die Verstorbenen bekannt als bei rassenkundlichen Forschungen, bei der sie als pars pro toto für bestimmte Gruppen standen.17 Zudem wurden hier gezielt „außergewöhnliche“ Schädel gesammelt, also neben denen sozial randständiger Personen ebenso die herausragender Gelehrter und besonderer „Genies“.18 Heutige Sammlungen, die nicht komplett neu angelegt wurden, enthalten meist Überreste aus allen beschriebenen Kontexten. Daneben finden sich in ihnen Belege unsystematischen Sammelns: etwa die vereinzelten Überreste eines über viele Jahrhunderte als Teil von Kriegshandlungen praktizierten Trophäenkultes19 sowie Bestände, die auf das Interesse am „Exotischen“ zurückgehen (etwa pathologische oder anatomische Besonderheiten), wie es sich in den fürstlichen Wunderkammern manifestiert hatte. Erst Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs erhielten anatomische wie anthropologische Sammlungen keine Neuzugänge mehr, die gegen den Willen der Verstorbenen gesammelt worden waren.20 Heute noch wachsende Bestände im deutschsprachigen Raum speisen sich meist aus älteren Überresten aus dem regionalen Umfeld oder aus der aktiven Körperspende Verstorbener. Im Gegensatz zu der erwähnten Überblickspublikation damaliger Bestände gibt es für moderne anthropologische Sammlungen keine vergleichbaren Zusammenstellungen; umfassende Übersichten im Internet oder frei einsehbare Kataloge oder Datenbanken existieren kaum. Dies ist auch einem veränderten Umgang mit den Gebeinen Verstorbener geschuldet. Forschung zu den historischen Zusammenhängen wird dadurch oft erschwert: Es ist nicht immer nachzuvollziehen, was aus den historischen Beständen geworden ist und welche der dort genannten Gebeine sich bis heute in den Institutionen finden. Denn viele der damals katalogisierten Sammlungen wurden auf andere Einrichtungen verteilt beziehungsweise ganz aufgelöst oder insbesondere während der beiden Weltkriege zerstört.
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Heutiger Umgang mit Sammlungen aus kolonialen Kontexten Eines der ersten systematischen Projekte zur Aufarbeitung kolonialer Provenienzen war das Charité Human Remains Project in Berlin, das zwischen 2011 und 2013 die Herkunft menschlicher Überreste aus Aus tralien, Namibia, Neuseeland und Paraguay untersuchte.21 Seitdem haben viele Sammlungen mit der Untersuchung ihrer Bestände begonnen22 und die Provenienzforschung an menschlichen Überresten hat sich systematisiert.23 Sie wird zunehmend als interdisziplinäre und transnationale Aufgabe verstanden, deren Ziele neben der Rekonstruktion der Herkunft sowie des Weges in und durch die Sammlungen auch die Erstellung einer Individualbiografie und die Wieder-Sichtbarmachung der Person sind. So soll eine Grundlage für einen Dialog mit möglichen Hinterbliebenen oder Totenfürsorgeberechtigten aus den Herkunftsregionen geschaffen und die Rückgabe der Gebeine ermöglicht werden. Zwar existiert hierfür bisher keine rechtlich-bindende Vorgabe, aber spätestens seit dem 2019 von der Kulturministerkonferenz veröffentlichten Eckpunktepapier besteht ein hohes Maß an ethisch-moralischer Verantwortung. Hier heißt es: „Die generelle Bereitschaft zur Rückführung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, insbesondere von menschlichen Überresten, in die Herkunftsstaaten und Herkunftsgesellschaften ist wichtig für den von uns angestrebten partnerschaftlichen Dialog und eine aufrichtige Verständigung […]. Menschliche Überreste aus kolonialen Kontexten sind zurückzuführen.“24 Mehrere entsprechende Rückgaben haben bereits stattgefunden oder sind in Vorbereitung.25 Die Aufarbeitung des kolonialen Erbes anthropologischer Sammlungen ist bei weitem nicht abgeschlossen, aber sie hat begonnen. Sarah Fründt, M.A. Biologische Anthropologin und Ethnologin
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Unter anthropologischen Sammlungen werden hier vor allem solche der biologischen Anthropologie verstanden, auch wenn sich vergleichbare Bestände in anderen Einrichtungen finden. Sie enthalten hauptsächlich osteologische Bestände (Schädel und Skelette), manchmal mumifizierte Überreste, Abformungen, Gipsabgüsse, Haarproben oder anatomische Präparate. Siehe z. B. die Beiträge in Stoecker, Holger / Pape, Elise (Hrsg.): Human remains from Namibia in German collections. Special issue: Human Remains and Violence: An interdisciplinary Journal, 2/2018, www.manchesteropenhive.com/abstract/journals/hrv/4/2/hrv.4.issue-2.xml , Stand: 28.1.2022. Niemitz, Carsten / Kreutz, Kerstin / Walter, Hubert: Wider den Rassenbegriff in Anwendung auf den Menschen, in: Anthropologischer Anzeiger 4/2006, S. 463–464, https://gfa-anthropologie.de/wp-content/ uploads/2017/08/Wider-den-Rassebegriff.pdf, Stand: 14.1.2022. Etwa Bernier, François: Nouvelle division de la terre par les différentes espèces ou races d’hommes qui l’habitent, in: Journal des sçavans 6/1684, S. 133–140, online im Internet: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/ bpt6k56535g.image.langEN.f135# (28.1.2022); Buffon, Georges de: Histoire naturelle, générale et particulière, avec la description du cabinet du roi. Tome troisième, Paris 1749, https://archive.org/details/ b30415330_0003/page/356/mode/2up, Stand: 28.1.2022. Ein Mapping dieser Netzwerke wurde jüngst von Studierenden der Universität Bielefeld unternommen: Fromme, Fabio u. a.: Sammeln, Beschreiben, Kategorisieren – Vom Umgang mit menschlichen Überresten zu Beginn der modernen Wissenschaft, https://dkan.sfb1288.uni-bielefeld.de/story/2946762, Stand: 14.1.2022. Siehe z. B. Moses, Yolanda: Why Do We Keep Using the Word „Caucasian“?, in: Sapiens vom 1.2.2017, https:// www.sapiens.org/column/race/caucasian-terminology-origin/, Stand: 28.1.2022. Als Geburtsstunde gilt oft das von Karl Ernst von Baer und Rudolf Wagner einberufene Treffen im Jahr 1861 in Göttingen. Vgl. von Baer, Karl Ernst / Wagner, Rudolf: Bericht über die Zusammenkunft einiger Anthropologen, Leipzig 1861. München (1886), Leipzig (1889), Berlin (1900). Bis heute stellt die Reihe eine wichtige Forschungsquelle dar. Eine Übersicht findet sich unter https://katalog. slub-dresden.de/id/0-219630879, Stand: 14.1.2022. Einzelne Bände sind auch als Digitalisat recherchierbar. Diese Sammelanweisungen umfassten auch Anleitungen für andere Wissensschaften wie Ethnologie, Geologie, Zoologie oder Botanik. Virchow, Rudolf: Anthropologie und prähistorische Forschungen, in: Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen, Band 2, hrsg. von Georg von Neumayer, Berlin 1888, S. 295–327, hier S. 311. Von Luschan, Felix: Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf dem Gebiet der Anthropologie, Ethnographie und Urgeschichte. Sonderausgabe aus Neumayers Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen, 1914 (Reprint Edition Classic Saarbrücken 2007), hier S. 6. Entsprechende Anweisungen erschienen nicht nur in Deutschland. Exemplarisch sei auf Beispiele aus Großbritannien und den USA verwiesen: Hrdlička, Aleš: Directions for Collecting Information and Specimens for Physical Anthropology, in: Directions for Collecting and Preserving Specimen, Part R., hrsg. von der Smithsonian Institution, Washington 1911, S. 1–25; Herschel, John Frederick William / Main, Robert: A Manual of Scientific Enquiry: Prepared for the Use of Officers in Her Majesty’s Navy and Travellers in General, Article X, Ethnology, London 1859, S. 253–267. Zitiert nach: Erckenbrecht, Corinna / Wergin, Carsten: Hermann Klaatsch and His Collection of Human Remains from (North)West Australia, in: Der Ruf des Schneckenhorns: Hermann Klaatsch (1863–1916). Ein Heidelberger Wissenschaftler in Nordwestaustralien, hrsg. von Carsten Wergin und Corinna Erckenbrecht, Heidelberg, 2018, S. 101–115, hier: S. 112. Archiv des Übersee-Museums (im Folgenden AÜM), Archivband 323: „Zeichnungen und Notizen“. Brief eines südafrikanischen Farmers namens Balzar an das Übersee-Museum vom 22. Juli 1908, in: AÜM: Archivband 145: „Korrespondenz Januar 1908 bis Dezember 1908 inclus.“. Auch hier existiert der Wunsch nach Bestattung der Gebeine sowie eine Petition, die eine Schließung des Lambroso gewidmeten Museums sowie eine Umbenennung nach ihm benannter Straßen und das Ende seiner Verehrung in Lehrbüchern fordert, siehe https://www.nolombroso.org/, Stand: 28.1.2022. Siehe etwa die Schädel von Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller, die entsprechend aufbewahrt und untersucht wurden. Vgl. Maatsch, Jonas / Schmälzle, Christoph: Schillers Schädel. Physiognomie einer fixen Idee, Göttingen 2009; Ullrich, Herbert: Schädel-Schicksale historischer Persönlichkeiten, München 2004.
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So wurde der Kopf des preußischen Offiziers Ferdinand von Schill nach seinem Tod 1809 abgetrennt und an den französischen König Jérôme verschickt. Später wurde er im niederländischen Leiden aufbewahrt und erst 1837 nach Braunschweig zurückgebracht und dort bestattet vgl. https://saebi.isgv.de/biografie/ Ferdinand_von_Schill_(1776–1809), Stand: 28.1.2022. Winkelmann, Andreas: Zur Legitimation der Verwendung menschlicher Leichen in der heutigen Anatomie, Habilitationsschrift an der Charité Berlin, 2013, https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/9387, Stand: 28.1.2022. https://anatomie.charite.de/ueber_den_faecherverbund/human_remains_projekt/, Stand 12.10.2022. Viele davon sind gelistet unter https://www.postcolonial-provenance-research.com/ag-projekte/, Stand: 14.1.2022. Winkelmann, Andreas / Stoecker, Holger / Fründt, Sarah / Förster, Larissa: Interdisziplinäre Provenienzforschung zu menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten: Eine methodische Arbeitshilfe des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité und von ICOM Deutschland (= Beiträge zur Museologie 11), Heidelberg 2022. Kulturministerkonferenz (KMK): Erste Eckpunkte zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten der Staatsministerin des Bundes für Kultur und Medien, der Staatsministerin im Auswärtigen Amt für internationale Kulturpolitik, der Kulturministerinnen und Kulturminister der Länder und der kommunalen Spitzenverbände, 13.3.2019, https://www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuelles/2019/2019-03-25_ Erste-Eckpunkte-Sammlungsgut-koloniale-Kontexte_final.pdf, Stand: 28.1.2022. Eine Übersicht bietet Winkelmann, Andreas: Repatriations of human remains from Germany – 1911 to 2019, in: Museum and Society 1/2020, S. 40–51. Weitere Rückgaben nach Neuseeland, Australien und Hawaii waren zur Zeit der Drucklegung des Manuskriptes angekündigt, aber noch nicht durchgeführt worden.
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VERANTWORTUNG IM UMGANG MIT HUMAN REMAINS Orientierung in der ethischen Diskussion Der Verantwortungsbegriff eröffnet verschiedene Blickwinkel auf die Debatte über den angemessenen Umgang mit menschlichen Überresten. Mit seiner Hilfe lässt sich die Diskussion strukturieren und Konsens beziehungsweise Dissens in der argumentativen Auseinandersetzung punktgenau identifizieren. Dies wird im Fol genden skizzenhaft entfaltet.1
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uf einer internationalen und interdisziplinären Tagung zu Human Remains, wie sie im Oktober 2021 in Kloster Banz stattfand, wird eines deutlich: Der richtige Umgang mit menschlichen Überresten in musealen Sammlungen und Ausstellungen ist in seinen ethischen Dimensionen ein vielschichtiges und komplexes Unterfangen. Um dieses zu erschließen und die vielgestaltigen Diskussionen einordnen zu können, ist daher eine Art Landkarte,2 eine Matrix als Ordnungsschema sinnvoll. Ein solches könnte, so die These des Beitrags, im Verantwortungsbegriff zu finden sein. Mit seiner Hilfe sollte es möglich werden, zu identifizieren und zu bestimmen, wo man sich in der Debatte über den richtigen Umgang mit menschlichen Überresten angesichts der Verästelungen des Problems und unterschiedlicher Kontexte und Fragestellungen bewegt, ob Missverständnisse vorliegen und zu welchen Punkten gegebenenfalls Dissens herrscht. Anhand von Beispielen und lediglich exemplarisch soll hierbei veranschaulicht werden, welche Aspekte bestehen und zu definieren beziehungsweise zu reflektieren sind, ohne jedoch an dieser Stelle eine umfassende moralphilosophische Position oder Rekonstruktion offerieren zu können.3
Verantwortung Bei „Verantwortung“ handelt es sich um einen relationalen Begriff. Das heißt, es sind unterschiedliche Relata zu bedenken und zu bestimmen, um ihn sachgerecht anwenden und sein Potenzial zum Erschließen der Diskussion um Human Remains nutzen zu können. Je nach Autor differieren Anzahl und Benennung solcher Relationen zwischen vier und acht.4 Dies muss für diesen Artikel nicht weiter vertieft und diskutiert werden. Im Gegenteil: Für eine erste grobe Übersicht wird sich der Beitrag nur auf jene vier Dimensionen fokussieren, die für eine Verantwortungszuschreibung5 notwendig sind und die anhand der Frage aufgeschlüsselt werden können: Wer ist wofür, wovor und weswegen verantwortlich?
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Die Frage nach dem „Wer“ Allgemein Bei Verantwortungszuschreibungen, die als Selbst- und Fremdzuschreibungen vorliegen können, stellt sich die Frage nach dem Subjekt der Verantwortung. Unstrittig hierbei ist, dass Individuen Verantwortung übernehmen können (Selbstzuschreibung) oder ihnen solche zugeschrieben werden kann (Fremdzuschreibung). Voraussetzung ist, dass die jeweilige Person nicht gänzlich determiniert ist, mit ihrem Tun beziehungsweise Unterlassen eine Absicht verfolgt und kausal auf das, was sie (mit-)verantworten soll, Einfluss nehmen kann.6 Umstrittener ist hingegen, ob auch einer Gruppe von Individuen Verantwortung zugeschrieben werden kann. Diese Diskussion kann hier nicht nachgezeichnet werden. Eine überzeugende Auffassung liegt jedoch darin, dass Korporationen und Kooperationen Verantwortung tragen können und in einer modernen Welt mit komplexen und arbeitsteiligen Handlungsstrukturen de facto zu Handlungs- und Verantwortungssubjekten werden: Der Verantwortungsbegriff „lässt sich, obwohl sein Ursprung personalisierter Natur ist, auf höherstufige Handlungseinheiten übertragen. Verantwortung kann auch Gruppen, Verbänden, Institutionen oder Organisationen zugeschrieben werden. Diese Zuschreibung ist nicht unumstritten, sie hat sich aber im Laufe der Zeit durchgesetzt und sie wird sowohl im Alltag wie auch in der Wissenschaft praktiziert.“7 Korporationen sind arbeitsteilige, hierarchische Zusammenschlüsse in festen Organisationsformen, also beispielsweise Unternehmen oder eben auch Museen.8 Unter Kooperationen firmieren kurz- oder längerfristige Zusammenschlüsse von Menschen, ohne dass hierfür komplexe Strukturen notwendig sind (etwa ein Forschernetzwerk). Sie suchen ein gemeinsames Ziel zu verwirklichen, das sie alleine kaum / nicht erreichen könnten. Dass Korporationen oder Kooperationen als Ganzes Verantwortung tragen können (und zum Beispiel bei Fehlverhalten als Unternehmen Schadensersatz leisten), schließt freilich nicht aus, dass innerhalb ihrer Struktur Verantwortlichkeiten zugewiesen werden
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können und unterschiedlich verteilt sind zwischen beispielsweise dem Pförtner und der Leitung. Denn „praktisch gehaltvoll“ kann die Verantwortungszuschreibung womöglich nur sein, „wenn am Ende mindestens ein Individuum benannt werden kann, das die Verantwortung tatsächlich auf sich bezieht und auch bereit ist, sie zu tragen.“9 Eine Verantwortungszuschreibung wird hingegen unmöglich bei sogenannten Aggregatkollektiven, also einer Gruppe von Individuen (oder von Korporativen), „die weder mit einer gemeinsamen Absicht handeln noch einen intentionalen Gruppenakteur bilden“.10 Sie handeln ohne Verabredung, führen „mehr oder minder gleichzeitig, aber unabhängig voneinander, gleichartige Handlungen“11 aus.
Speziell Für die Debatte zu Human Remains bedeutet dies, sich in der Diskussion exakt Rechenschaft darüber zu geben, wer Verantwortung trägt beziehungsweise wem diese zukommen sollte. Demnach können weder „die deutschen Museen“ oder „die Museumsbesucher“ Verantwortung tragen (Aggregatkollektive), wohl aber das Museum XY, der Museumsbesucher XY, der Musemspädagoge oder -führer, das Kultusministerium, der Förderverein, die Kulturstaatsministerin, die Museumsleitung etc. In jedem Fall sollten sich Diskutanten darüber im Klaren sein und verständigt haben, wen sie als Verantwortungssubjekt vor Augen haben, zumal es je nach Verantwortungsträger variieren wird, wofür er Verantwortung trägt und tragen kann.
Die Frage nach dem „Wofür“ Allgemein Diese Verantwortungsdimension benennt das Objekt, für welches Verantwortung übernommen oder zugeschrieben wird. Darunter zu verstehen sind die Handlungen von Akteuren, die sowohl ein Tun als auch ein Unterlassen meinen können, beziehungsweise die Folgen dieser Hand-
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lungen. Am Ende steht schließlich der- oder dasjenige, der / das von den Handlungen und ihren Folgen betroffen ist. Er / es definiert den Grund für das Vorhandensein von Verantwortung. Unbestritten kommen hier lebende Menschen in Frage, auch (empfindungsfähige) Tiere werden gesellschaftlich wohl ganz überwiegend akzeptiert. Schwieriger zu beantworten dürfte sein, ob auch die Toten12 selbst als Grund für das Vorhandensein von Verantwortung in Betracht kommen (siehe unten). Zu beachten ist an dieser Stelle, dass man nur für etwas verantwortlich gemacht werden kann, das man hätte ändern können (retrospektiv) oder das man ändern kann (prospektiv).13 Diese Überlegungen sind insofern wichtig, als sie auch von unrechtmäßig zugeschriebener Verantwortung entlasten können. Die Bestimmung des Verantwortungsraumes begrenzt diesen eben auch. Liegen Missstände außerhalb der unmittelbaren Einflussnahme, kann allerdings die Pflicht bestehen, sie jenen anzuzeigen, die sie beheben können, oder aber auf die Änderung der Rahmenbedingungen hinzuwirken, die solche Missstände begünstigen.
Speziell Mit Blick auf menschliche Überreste im musealen Kontext sind es zum einen die Handlungen an den Exponaten und Sammlungsstücken selbst, die zu verantworten sind. Man denke an die Art und Weise, wie sie in der Sammlung behandelt werden, wie und zu welchen Fragestellungen an ihnen geforscht wird, wie sie aufbewahrt werden. Aber auch die Besucherlenkung, das Ob und die Art und Weise der Präsentation von Human Remains ist zu verantworten. Sie stellen die Rahmenbedingungen dar, unter denen sich dann andere, das heißt die Besucher, angesichts der Ausstellungsstücke verhalten und die bestimmte Gefühle bei jenen begünstigen können: Wie wird die Präsentation menschlicher Überreste gegebenenfalls beworben, welche Stimmung wird im Ausstellungsraum erzeugt, was und wie wird bei Museumsführungen berichtet?14 Unter die zu verantwortenden Rahmenbedingungen im Museum fallen somit auch die Schulung des Personals sowie Maßnahmen, es für einen angemessenen Umgang mit Human Remains zu sensibilisieren.
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Unter die Verantwortungsobjekte kann bei entsprechender Her kunft(svermutung) auch die Provenienzforschung fallen, ob sie etwa durchgeführt, ermöglicht oder unterlassen wird. Je nach Verantwortungssubjekt kann sich dies auf unterschiedlichen Ebenen abspielen: Freiräume und Arbeitsaufträge für Kustoden zu definieren – falls die Personaldecke dies zulässt –, damit diese recherchieren können statt Förderprogramme für museale Einrichtungen aufzulegen, damit sie ausreichend Mittel und Personal für diesen Auftrag haben statt sich um entsprechende Fördermittel zu bewerben etc. Schließlich kann auch Verantwortung dafür bestehen, Prozesse anzustoßen, um die Rahmenbedingungen zu ändern, falls Desiderate nicht unmittelbar behoben werden können.15 Hierunter fällt beispielsweise die Einflussnahme im Rahmen eines Verbandes oder einer Kooperation auf Entscheider in Politik, Verwaltung oder bei Geldgebern, damit Provenienzforschung ermöglicht, nicht mehr haltbare Formen der Präsentation überarbeitet oder Magazine auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden können. Eine interessante Frage ist hinsichtlich dieser Verantwortungsdimension die Angabe des Grundes der Verantwortung: Kann dieser bei den Toten, speziell bei den Verstorbenen, gefunden werden? Zumindest falls die These stimmt, dass „mit dem Tod alles aus ist“ oder dass die Verstorbenen nicht davon positiv oder negativ tangiert werden, wie mit ihren sterblichen Überresten verfahren wird,16 scheiden jene Motive aus. Dann wäre der Grund der Verantwortung allein bei den Lebenden zu suchen.
Die Frage nach dem „Wovor“ Allgemein Sich zu verantworten setzt eine Instanz voraus, der man Rede und Antwort steht. Entscheidend für eine Instanz ist, dass sie erstens verstehen können muss, was es mit Verantwortungskonzept und Verantwortungszuschreibungen auf sich hat (Gegenstände, Tiere und Säuglinge scheiden somit als Instanzen aus);17 bei Gruppen müssen zumindest einige
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ihrer Mitglieder ein solches Verständnis besitzen. Ob man sich, zweitens, auch vor der Gesellschaft oder der öffentlichen Meinung verantworten kann, erscheint diskussionswürdig. Immerhin sind die „Gesellschaft“ oder die „öffentliche Meinung“ zu diffus, um konkret Verantwortungsübernahme einfordern und deren Kriterien formulieren zu können. Hier erscheint es zielführender, auf die – durchaus verschiedenen – Repräsentanten einer solchen Gesellschaft oder öffentlichen Meinung als Instanzen zu verweisen, seien dies nun Individuen oder wiederum strukturierte Gruppen: also auf eine Nichtregierungsorganisation, auf einen Redakteur, auf ein politisches Gremium etc. Charakter, Ausmaß und Umfang von Verantwortung hängt wesentlich davon ab, welche Instanz hier in Anschlag gebracht wird. Hat man sich vor Gericht zu verantworten, spielen rechtliche Normen die maßgebende Rolle (mit entsprechenden Verjährungsfristen), zudem wird hier retrospektiv nach Verantwortung gefragt. Eine Instanz kann aber auch das eigene Gewissen, das moralische Selbstwertgefühl sein, das für vollzogene Handlungen und deren Folgen (retrospektiv), aber auch prospektiv bei Entscheidungen für zukünftiges Handeln eine zentrale Rolle spielt. Verantworten muss man sich aber gegebenenfalls auch gegenüber den Repräsentanten der eigenen Community, dem Geldgeber, den Vertretern einer Herkunftsgesellschaft oder der öffentlichen Meinung in Form der Presse. Diese können sich an Normen orientieren, die sowohl von den vor Ort gültigen rechtlichen Vorgaben als auch von den persönlichen moralischen Überzeugungen abweichen.
Speziell Für die Diskussion kann es auch hinsichtlich dieser Verantwortungsrelation hilfreich sein zu klären, von oder vor welcher Instanz Rede und Antwort eingefordert beziehungsweise abgelegt wird. Moniert man den Umgang mit Human Remains in einer Ausstellung, ist es sinnvoll zu konkretisieren, vor welcher Instanz der Vorwurf (gegebenenfalls fiktiv) verhandelt werden soll: Wird die Präsentation nicht den Forderungen der Standesorganisation gerecht (zum Beispiel entsprechenden
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Ethikcodices18), entspricht sie nicht den rechtlichen Vorgaben (und wäre entsprechend vor Gericht zu bringen), wird sie persönlichen Ansprüchen nicht gerecht (also dem Gewissen als „klassischer“ Instanz, vor der man sich zu verantworten hat), fürchtet man das Urteil von Besuchern und der Presse (sprich Vertretern der öffentlichen Meinung), halten die Herkunftsgesellschaft oder die Nachfahren die Ausstellung für unangemessen? Auch Gott oder die Verstorbenen selbst kommen als Instanzen in Frage, allerdings ist strittig, ob sie überhaupt existieren beziehungsweise ob wir mit ihnen im Sinne einer Auskunftspflichtigkeit in Verbindung stehen können. Wird dies verneint, wird man sich vor ihnen nicht verantworten können und müssen. Praktisch und theoretisch herausfordernd ist somit die Frage, welche Instanzen man als solche berechtigt oder faktisch akzeptieren sollte oder muss. Neben den de facto gegebenen Zwängen dürfte eine Antwort auch davon abhängen, ob und wie sich die Ansprüche dieser In stanzen, falls sie als existent gelten, überzeugend begründen lassen.
Die Frage nach dem „Weswegen“ Allgemein Anders gesagt hängt es meist von der Instanz ab, vor der die Verantwortungszuschreibungen verhandelt werden, welche Normen und welches Normensystem in Anschlag gebracht wird, ob man beispielsweise dem Normensystem der einen oder der anderen Glaubensgemeinschaft folgt oder ob man sich im Kontext rechtlicher oder moralischer Normen bewegt. Diese etwa können, müssen aber nicht deckungsgleich sein. Um sinnvoll von Verantwortung sprechen zu können, muss ein solches normatives Bezugssystem angegeben werden.19 Nur wenn die Normen, die herangezogenen Werte, Regeln, Prinzipien benannt sind und definiert ist, auf welche die jeweilige Instanz rekurriert, lässt sich entscheiden, ob Akteure jenen gerecht wurden / werden. Aus dem alleinigen Rekurs auf „Verantwortung“ ergeben sich diese nicht, vielmehr
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gilt, dass Verantwortung „‚parasitär‘ […] gegenüber ihrem eigenen normativen Fundament“20 ist, sie steuert es nicht selbst bei.
Speziell Damit gelangt man vermutlich zum umstrittensten und am schwierigsten zu definierenden Punkt. Während sich die Verantwortungssubjekte (Besucher, Kustode, Museumsleiter, Museum, Museumsträger, Kultusministerium) meist relativ einfach identifizieren lassen, während sich ihnen auch meist einfach ein Verantwortungsobjekt zurechnen lässt (das Verhalten im Museum, die Besucherlenkung in der Ausstellung, die Beantragung von Fördermitteln, die Bereitstellung von Mitteln für die Überarbeitung veralteter Ausstellungen, die Bereitstellung von Mitteln für die Provenienzforschung) und während sich oft problemlos benennen lässt, vor wem man sich verantwortlich fühlt oder von wem man zur Verantwortung gezogen wird (Gewissen, Gericht, Herkunftsgesellschaft), ist es sehr viel schwieriger zu bestimmen, ob die Normen, die in Anschlag gebracht werden, tatsächlich überzeugen und eine Verpflichtung für das eigene Handeln generieren können. Selbst bei rechtlichen Normen, deren Befolgung in der Regel wenig Spielraum lässt, stellt sich die Frage, ob sie inhaltlich überzeugen. Bei moralischen Forderungen gilt dies umso mehr. Im Falle der Human Remains ist die Geltung moralischer Normen so diffizil, weil schon der Umgang mit dem menschlichen Leichnam nicht nur in der aktuellen ethischen Diskussion, sondern bereits in der Antike ein Paradebeispiel für einen Relativismus in normativen Fragen zu sein scheint. Herodot schildert in seinem Geschichtswerk folgende Begebenheit: „Als König Dareios einige Griechen seines Reiches fragte, was sie haben wollten, wenn sie ihre toten Väter essen sollten, sagten sie, dazu würden sie sich für kein Geld verstehen. Darauf ließ er Inder kommen, Kallatier, wie sie heißen, welche ihre toten Eltern essen, und fragte sie in Gegenwart jener Griechen mit Hilfe eines Dolmetschers, was sie haben wollten, wenn sie ihre toten Väter
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mit Feuer verbrennen sollten; die aber schrieen vor Entsetzen und baten ihn, um Gottes willen nur solche Worte nicht in den Mund zu nehmen.“21 Woran kann man sich also orientieren, insbesondere bei menschlichen Überresten, die gegebenenfalls aus aller Herren Länder, aus vergangenen Kulturen und aus anderen Jahrhunderten und Jahrtausenden stammen? Wie hier eine Basis und Argumentationsgrundlage gefunden werden könnte, ist an anderer Stelle skizziert worden und muss nicht wiederholt werden.22 Wichtiger ist an dieser Stelle der Hinweis, dass das normative Fundament in den Diskussionen längst nicht so klar, wohlbegründet und allgemein geteilt beziehungsweise überzeugend und verbindlich hergeleitet ist, wie es Diskutanten oft erscheinen mag.
Ausblick Wie eingangs erwähnt, kann eine weiterreichende Auffächerung des Verantwortungsbegriffs sinnvoll und zielführend sein, indem mehr als die vier genannten Dimensionen unterschieden werden.23 Aber auch eine Vertiefung, die verstärkt eine Ordnungs- oder Systemverantwortung unterscheidet, könnte hilfreich sein. Verantwortlichkeiten abschließend zu klären, wollte und konnte nicht das Ziel des Beitrags sein, wohl aber, ein Werkzeug zur Verantwortungszuschreibung und damit zur Erschließung der Debatte an die Hand zu geben und zu skizzieren. Dies auszubuchstabieren respektive auf konkrete Fragestellungen und Diskussionen rund um Human Remains anzuwenden, bleibt einem ausführlicheren Beitrag vorbehalten. Dr. Dr. Dirk Preuß beschäftigt sich seit 2002 mit dem Umgang mit menschlichen Überresten und Fragen der Sepulkralkulturen, Referent für Umweltschutz und Nachhaltigkeit beim Bistum Hildesheim
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Für Hinweise zum Inhalt des Manuskriptes danke ich herzlich Herrn Sebastian Hartstang M.A. Siehe auch Enders, Alfred: Umweltökonomie, Stuttgart, 4. Aufl., 2013, hier S. 25 f. Siehe seitens des Autors hierzu beispielsweise: Preuß, Dirk: … et in pulverem reverteris? Vom ethisch verantworteten Umgang mit menschlichen Überresten in Sammlungen sowie in musealen und sakralen Räumen, München 2007; Preuß, Dirk: Pietät – eine Rekonstruktion in moralphilosophischer Perspektive, in: Facetten der Pietät, hrsg. von dems., Lara Hönings und Matthias Tade, München 2015, S. 141–334. Siehe auch Ropohl, Günter: Neue Wege, die Technik zu verantworten, in: Technik und Ethik, hrsg. von Hans Lenk und Günter Ropohl, Stuttgart, erw. Aufl., 1993, S. 149–174, hier S. 155–158; Maring, Matthias: Kollektive und korporative Verantwortung. Begriffs- und Fallstudien aus Wirtschaft, Technik und Alltag, Münster 2001, zugl. Habilitationsschrift Karlsruhe 2000, hier S. 14. Vgl. Loh, Janina: Strukturen und Relata der Verantwortung, in: Handbuch der Verantwortung, hrsg. von Ludger Heidbrink, Claus Langbehn und Janina Loh, Wiesbaden 2017, S. 33–56, hier S. 51. Vgl. Bayertz, Kurt: Eine kurze Geschichte der Herkunft der Verantwortung, in: Verantwortung. Prinzip oder Problem?, hrsg. von dems., Darmstadt 1995, S. 3–71. Heidbrink, Ludger: Die Rolle des Verantwortungsbegriffs in der Wirtschaftsethik, Working Papers des CRR Nr. 9/2010, http://www.responsibility-research.de/resources/WP_9_Verantwortungsbegriff_in_der_Wirtschaftsethik.pdf, hier S. 3, Stand: 26.1.2022. Vgl. Ropohl, Günter: Ethik und Technikbewertung, Frankfurt am Main, 2. Aufl., 2016, S. 99. Vgl. auch Lübbe, Weyma: Kollektive Verursachung und kollektive Verantwortung – Zivilisationsfolgeschäden als ethische Herausforderung, in: Herausforderungen der Angewandten Ethik, hrsg. von Ulrich Arnswald und Jens Kertscher, Paderborn 2002, S. 19–31; Maring: Kollektive und korporative Verantwortung. Gerhadt, Volker: Individuelle Verantwortung, in: Handbuch der Verantwortung, hrsg. von Ludger Heidbrink, Claus Langbehn und Janina Loh, Wiesbaden 2017, S. 431–451, hier S. 449. Albertzart, Maike: Der Vorrang des Pflichtbegriffs in kollektiven Kontexten, in: Zeitschrift für Praktische Philosophie 2/2015, S. 87–120, hier S. 90. Ropohl: Ethik, S. 106. „Toter“ wird hier als noch undifferenzierter Überbegriff verwendet, der den Leichnam, Human Remains und / oder den Verstorbenen meinen kann. Menschliche Überreste sind der körperliche Rückstand des Toten, mit dem Verstorbenen wird bezeichnet, was jenseits des körperlichen Überrestes nach dem Tod gegebenenfalls noch als eigenständige Entität weiterbesteht (ist also zu unterscheiden von der Erinnerung an den einst Lebenden). Die zeitliche Dimension wird auch als eigene Relation verhandelt, etwa bei Ropohl: Ethik, S. 75, 80. Siehe auch Preuß: … et in pulverem, S. 69–75; Preuß, Dirk: Body Worlds: looking back and looking ahead, in: Annals of Anatomy 190/2008, S. 23–32, hier S. 28–29. Vgl. Beckmann, Markus / Pies, Ingo: Ordnungsverantwortung – Konzeptionelle Überlegungen zugunsten einer semantischen Innovation, Diskussionspapier des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg Nr. 2006–10, Halle 2006, https://wcms.itz.uni-halle.de/download.php?down= 23147&elem=2549630, Stand: 26.1.2022. Vgl. zum Beispiel Augustinus, Aurelius: Die Sorge um die Toten, übertragen von Gabriel Schlachter, eingeleitet und erläutert von Rudolf Arbesmann, Würzburg 1975, S. 8 (= III,5). Siehe Loh: Strukturen und Relata, S. 43–44. Siehe auch Deutscher Museumsbund e.V. (Hrsg.): Leitfaden. Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen, 2021, S. 124–128, https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2021/06/dmbleitfaden-umgang-menschl-ueberr-de-web-20210623.pdf, Stand: 28.1.2022. Vgl. auch Ropohl: Ethik, S. 78. Loh: Strukturen und Relata, S. 49. Herodot von Halikarnassos: Das Geschichtswerk. Aus dem Griechischen von T. Braun, Frankfurt am Main / Leipzig 2001, S. 250 (= III, 38). Zum exemplarischen Charakter dieser Passage für einen (vermeintlichen) ethischen Relativismus vgl. Kass, Leon R.: Thinking About the Body, in: The Hasting Center Report 15/1985, S. 20–30, hier S. 22, 29–30; Knoepffler, Nikolaus: Angewandte Ethik, Köln / Weimar / Wien 2010, S. 28; Quante, Michael: Einführung in die Allgemeine Ethik, Darmstadt, 2. Aufl., 2006, S. 154.
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Siehe Preuß: Pietät, S. 141–239; siehe auch Preuß, Dirk: „[…] wie schwierig es ist, mit dem Begriff der Pietät zu operieren“: Eine ethische Perspektive auf den Umgang mit Toten und Hinterbliebenen, in: Würde und Selbstbestimmung über den Tod hinaus, hrsg. von Gunnar Duttge und Christoph Viebahn, Göttingen 2017, S. 23–36. Vgl. Lenk, Hans: Verantwortlichkeit und Verantwortungstypen: Arten und Polaritäten, in: Handbuch der Verantwortung, hrsg. von Ludger Heidbrink, Claus Langbehn und Janina Loh, Janina, Wiesbaden 2017, S. 57–84.
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GEWESENES RECHTS SUBJEKT, GEWORDENES RECHTSOBJEKT Human Remains in öffentlichen Sammlungen und Ausstellungen Die wenigsten menschlichen Überreste sind zu Lebzeiten dazu be stimmt worden, öffentlich ausgestellt zu werden. Als paradigmatisch dürfen altägyptische Mumien gelten. Die Mumifizierung und Grab legung dienten dem Dasein im Jenseits, nicht im Diesseits. Ein Grab für menschliche Überreste können Museen dagegen nicht sein; sie wollen das Kultur- und Naturerbe der Menschheit vermitteln.1 Damit sind die widerstreitenden Interessen benannt, die an den Körpern und Körperteilen verstorbener Menschen in öffentlichen Sammlun gen und Ausstellungen bestehen. Zum Ausgleich dieser Interessen setzt das geltende Recht lediglich einige Rahmenbedingungen. Über diese Vorgaben hinaus ist zu überlegen, wie die verfassungsrechtlich gewährleistete Totenwürde im Umgang mit menschlichen Überresten gewahrt werden kann.
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Rechtliche Rahmenbedingungen Internationale Abkommen Streitigkeiten über menschliche Überreste in deutschen Museen entzündeten sich in jüngerer Vergangenheit vor allem an Rückführungsansprüchen der Herkunftsgesellschaften. Derartige Konflikte haben begriffsnotwendig internationalen Bezug. Zudem sprengt der Streit über die Behandlung menschlicher Überreste in Museen oftmals den nationalen Rahmen. Aus verschiedenen historischen Gründen werden „einheimische“ Leichname oder ihre Bestandteile vergleichsweise selten zum Problem; sei es, dass diese Überreste in den Museen von vornherein pietätvoller behandelt wurden als diejenigen „fremder“ Toter, sei es, dass die europäische Aufklärung die Toleranzschwelle im Umgang mit dem gewesenen Leben auf ein Niveau gehoben hat, das etwa in animistischen oder manistischen Kulturen unerträglich wäre. Ersteres klingt etwa in einer Entscheidung des Reichsgerichts an, wonach es „dem Herkommen und den Gepflogenheiten aller Kulturvölker widersprechen [würde], den Leichnam eines Menschen als eigentumsfähige Sache zu behandeln“;2 letzteres schwingt in Überlegungen mit, den Schutz der Totenruhe nur solange zu gewähren, solange die Individualität des Toten noch erkennbar ist.3 Wohl nicht zuletzt zur Überwindung dieser „westlichen“ Sichtweisen billigt die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker aus dem Jahr 2007 (UN-Dok. A/RES/61/295) diesen in Art. 12 Nr. 1 das Recht auf Rückführung ihrer sterblichen Überreste zu. Mit der Unterzeichnung der Erklärung hat die Bundesrepublik Deutschland ihren Willen bekundet, sich zu bemühen, durch gemeinsam mit den betroffenen indigenen Völkern entwickelte faire, transparente und wirksame Mechanismen den Zugang zu den in ihrem Besitz befindlichen sterblichen Überresten und / oder deren Rückführung zu ermöglichen (Art. 12 Nr. 2 der Erklärung). Völkerrechtliche Verbindlichkeit kommt der Erklärung allerdings nur zu, soweit sie bereits geltendes Völ-
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kergewohnheitsrecht deklariert.4 Im völkerrechtlichen Schrifttum wird die Herausbildung eines zur Rückgabe geraubter Kulturgüter verpflichtenden Gewohnheitsrechts teilweise bereits auf die Zeit des Wiener Kongresses datiert, mit dem die napoleonischen Kulturplünderungen rückgängig gemacht wurden.5 Ob dies auch für menschliche Überreste angenommen werden kann, die jedenfalls in musealen Kontexten nach dem genius loci als Kulturgut begriffen werden müssen, erscheint jedoch sehr zweifelhaft. Auf koloniale menschliche Überreste wird sich ein derartiges Gewohnheitsrecht nach dem eurozentristischen Kultur-, Ethnologie- und Anthropologieverständnis des 19. Jahrhunderts kaum erstreckt haben. Eine andere Beurteilung mag geboten sein, wenn die Besitzergreifung der menschlichen Überreste mit einer Verletzung des humanitären Völkerrechts (ius in bello) verbunden war. Zu denken ist insbesondere an das Verbot von Angriffen auf die Zivilbevölkerung und Zivilpersonen, das Plünderungsverbot und das Gebot zur Achtung des Privateigentums und der religiösen Überzeugungen nach Art. 23, 25, 28, 46, 47, 56 der Haager Landkriegsordnung von 1907, mit der verbreiteter Auffassung zufolge lediglich geltendes Gewohnheitsrecht kodifiziert wurde.6 Das historisch durchaus wirksame Spolienrecht (von lat. spoliare: den erschlagenen Feind entkleiden) war spätestens damit, und wohl auch im Kolonialkrieg, als Rechtsnorm obsolet. Auch ein völkergewohnheitsrechtlicher Repatriierungstatbestand würde zunächst nur Völkerrechtssubjekte, das heißt den verletzten Staat und Verletzerstaat als Kriegsparteien, berechtigen und verpflichten. Falls die kulturelle Bedeutung der menschlichen Überreste (von Mumien, Kultschädeln oder ähnliches) bereits im Herkunftsstaat anerkannt war, gehört die Zukunft dem Unesco-Übereinkommen vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut (BGBl. 2007 II S. 626). Das AusführungsG vom 18. Mai 2007 (KultGüRückG, BGBl. I S. 757), das 2016 in das KulturgutschutzG (KGSG, BGBl. I S. 1914) überführt worden ist, hat einen öffentlich-rechtlichen Rückgabeanspruch der Vertragsstaaten des Unesco-Übereinkommens für nach dem 26. April
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20077 illegal ausgeführtes Kulturgut geschaffen, das vom Herkunftsstaat individuell identifizierbar als im Sinne des Übereinkommens als bedeutsames oder unveräußerliches Kulturgut eingestuft oder erklärt worden ist (§ 52 Abs. 1 KGSG). Der Rückgabeanspruch des Vertragsstaats ist unmittelbar gegen denjenigen zu richten, der die tatsächliche Sachherrschaft über das Kulturgut ausübt (§ 49 Abs. 2 KGSG), also gegen Museen mit eigener Rechtspersönlichkeit, andernfalls gegen die juristischen Personen des privaten oder öffentlichen Rechts, die sie tragen.8 Für Altbestände in Museen ist dies freilich ohne Relevanz.
Bestattungsrecht Die Bestattungsgesetze der Bundesländer enthalten eine öffentlichrechtliche Bestattungspflicht von Leichen, deren Erfüllung regelmäßig den Angehörigen auferlegt wird (zum Beispiel Art. 1, 15 BayBestG).9 Menschliche Überreste in Museumsbesitz, sofern sie überhaupt in ihrer körperlichen Gestalt noch als Leiche zu begreifen sind (etwa Mumien),10 sind von der Bestattungspflicht damit schon mangels Verpflichtetem in aller Regel nicht umfasst. Öffentliche Sammlungen können sich gegebenenfalls zudem auf die in einigen Bestattungsgesetzen enthaltenen Wissenschaftsklauseln berufen.11 Darüber hinaus greift der auf unlängst Verblichene zugeschnittene Bestattungszwang12 auch nach Sinn und Zweck hier nur im Ausnahmefall. Soweit die Bestattungspflicht wie beispielsweise in § 14 BerlBestG von dem grundsätzlichen Verbot, Leichen öffentlich auszustellen, flankiert wird, hängt die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung entscheidend von der Einwilligung der verstorbenen Person ab.13 Mit der Betonung des Selbstbestimmungsrechts wird ein allgemeiner Rechtsgedanke ausgedrückt, der auch bei der Zurschaustellung menschlicher Überreste aus öffentlichen Sammlungen zu berücksichtigen ist. Dem musealen Bildungs- und Forschungsauftrag in Grenzen vergleichbar ist überdies das anatomischen Sektionen und Leichenversuchen zugrundeliegende Erkenntnisinteresse, welches durch die Landesgesetzgebung eine punktuelle Reglementierung erfahren hat. Auch hier kommt dem Selbstbestimmungsrecht die Rolle
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eines criterium distinctiones zu, da Leichen für anatomische Sektionen oder für sonstige Zwecke der Forschung und Lehre nur mit Einwilligung des Verstorbenen verwendet werden dürfen.14
Störung der Totenruhe Strafbarkeit wegen Störung der Totenruhe (§ 168 StGB) müssen Museumsverantwortliche und Ausstellungsmacher nicht befürchten. Der juristischen Mehrheitsmeinung zufolge soll typisches Museumsinventar wie Mumien oder Moorleichen, Skelette oder Skelettteile bereits nicht zu den Tatobjekten der Norm gehören, weil das ihnen vordem entgegengebrachte Pietätsgefühl erloschen sei.15 Obwohl Menschen, gleich ob in jüngerer oder in entfernterer Vergangenheit verstorben, unzweifelhaft tot sind, soll es sich bei mumifizierten Toten und dergleichen offenbar nicht mehr um verstorbene Menschen handeln. Ohne verstorbene Menschen keine Totenwürde: Das ist sicherlich der bequemste juristische Weg, Mumien und andere menschliche Überreste auf Forschungs- und Ausstellungsobjekte zu reduzieren. Dem ist zwar wegen der dieser Begriffsbestimmung latenten Abwertung des – sozial, kulturell, geografisch oder historisch – „Fremden“ zu widersprechen.16 An der Straflosigkeit der musealen Aufbewahrung, Erforschung und Darbietung menschlicher Überreste ändert sich dennoch nichts, weil darin regelmäßig kein beschimpfender Unfug gesehen werden kann, womit das Strafgesetz etwas altertümlich die Tathandlung umschreibt. Und ebenso wenig liegt in der gewöhnlichen Museumsarbeit eine Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, wie sie in § 189 StGB unter Strafe gestellt wird. Sofern der Körper oder Teile des Körpers von der überwiegenden Meinung nicht mehr einem länger verstorbenen Menschen zugeordnet werden, kann der strafrechtliche Schutz des Eigentums namentlich vor Wegnahme (Diebstahl, § 242 StGB) und Beschädigung oder Zerstörung (Sachbeschädigung, § 303 StGB) greifen, indem Human Remains mit Untergang der Pietätsbindung als eigentumsfähig angesehen werden.17 Damit wird freilich schon die Brücke zum Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs beschritten.
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Der tote Körper als Sache Menschliche Überreste sind Sachen im Sinne von § 90 BGB, da sie selbst der „Freiheit ermangeln“ und deshalb „keiner Zurechnung fähig“ sind.18 Der Körper und die Körperteile eines Menschen werden mit seinem Versterben zum Objekt.19 An dieser Erkenntnis kommt, ungeachtet gewisser normativer Übersprunghandlungen (§ 90 a BGB), auch der Zivilrechtsgesetzgeber nicht vorbei. Die Frage kann daher nur sein, welchen Personen sie zugerechnet werden. Dies sind kraft Gewohnheitsrechts zunächst die vom Toten zur Totenfürsorge bestimmten Personen, in Ermangelung einer solchen Bestimmung die nahen Angehörigen. Sie können sich Beeinträchtigungen ihres Rechts mit Herausgabe-, Beseitigungsund Unterlassungsansprüchen erwehren (§ 1004 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB: Totenfürsorge als sonstiges Recht; § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 168 Abs. 1 StGB: Verletzung des Gewahrsams des [Totenfürsorge-] Berechtigten).20 Diese Treuhand ist allerdings bis zu dem Zeitpunkt befristet, an welchem das Fürsorgebedürfnis endet, weil das Totengedenken verblasst und das Pietätsgefühl erloschen ist. Ab diesem kaum jemals eindeutig bestimmbaren Zeitpunkt gelten menschliche Überreste der herrschenden Meinung nach als eigentumsfähig. Durch Aneignung gemäß § 958 BGB sollen sie originär erworben werden können.21 Doch lässt sich kaum bestreiten, dass die Subsumtion unter die vermögenswerten Sachen, mit denen der Eigentümer nach seinem Belieben verfahren kann (§ 903 BGB), häufig weder mit dem normalen Sprachgebrauch noch dem Rechtsempfinden in Übereinstimmung gebracht werden kann.22 Immerhin können auch die Toten in übertragenem Sinne von der bürgerlichen Eigentumsordnung profitieren. Bei der Ausplünderung archäologischer und historischer Grabstätten, dem Diebstahl aus Beinhäusern, der Wegnahme von Reliquien oder kultischen Gegenständen aus menschlichen Überresten wird ein Museum auch gutgläubig Eigentum vielfach nicht rechtsgeschäftlich erwerben können, weil gutgläubiger Erwerb nach § 935 Abs. 1 BGB oder inhaltsgleichem Tatortrecht (Art. 43 Abs. 1 EGBGB) ausscheidet; es bleibt freilich möglich, solcherart abhanden gekommene menschliche Überreste durch gutgläubigen Eigenbesitz zu ersitzen (§ 937
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BGB). Im Grundsatz sind Museen hier den gleichen Risiken ausgesetzt, denen sie auch bei dem Erwerb sonstigen Kulturguts unterliegen, weshalb die damit verbundenen Rechtsfragen an dieser Stelle23 nicht zu vertiefen sind. Einem auf Eigentum gestützten Herausgabeverlangen (§ 985 BGB) wird sich ein öffentliches Museum nicht ohne Weiteres durch Einrede der Verjährung (§ 197 Abs. 1 Nr. 2, § 214 Abs. 1 BGB) entziehen können. Da die Erhebung der Verjährungseinrede im pflichtgemäßen Ermessen der öffentlichen Hand liegt, bleibt Raum für die Umsetzung politischer Absichtserklärungen wie etwa in Art. 12 der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker enthalten. Nach dem Rechtsgedanken des § 5 VStGB wird die Berufung auf Verjährung jedenfalls dann ausscheiden, wenn der Besitz an den menschlichen Überresten nach heutigem Verständnis unter Verstoß gegen völkerstrafrechtliche Vorschriften begründet wurde, was insbesondere praktisch werden kann, wenn diese aus einem Kolonialkrieg stammen. Auch der Grundsatz, dass der Staat nichts zu verschenken hat,24 zwingt mitnichten dazu, die Verjährungseinrede zu erheben. Menschliche Überreste können, auch sofern sie eigentumsfähig sind, nicht den für gewöhnliches Fiskalvermögen geltenden Regeln unterworfen werden. Neuerdings erlaubt der Bundeshaushaltsgesetzgeber durch entsprechenden Haushaltsvermerk gemäß § 63 Abs. 3 Satz 2 BHO Sammlungsgut, das aus kolonialen Kontexten stammt und dessen Aneignung in rechtlich und / oder ethisch heute nicht mehr vertretbarer Weise erfolgte, unentgeltlich herauszugeben.25 Dies ermöglicht dem Bund im Rahmen seiner Bewirtschaftungsbefugnis die Rückführung menschlicher Überreste unabhängig von der bürgerlich-rechtlichen Eigentumszuordnung. Welche rechtlichen und / oder ethischen Gesichtspunkte hierfür heutzutage maßgeblich sein können, ist indes eine nicht einfach und selten eindeutig zu beantwortende Frage. Dazu gehört auch die Frage, wem diese nach heutigen Maßstäben rechtlich und / oder ethisch zuzuordnen und an wen sie demgemäß herauszugeben sind, die Museumsverantwortliche in die unerfreuliche Rolle eines Entscheiders im Prätendentenstreit der Herkunftsgesellschaft drängen kann.26
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Totenwürde als Norm und Wert Die in Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, endet nicht mit dem Tode.27 Da Tote und menschliche Überreste aber, wie wir gesehen haben, nicht rechtsfähige Personen, sondern Sachen sind, lässt sich diese Schutzverpflichtung nicht mit einem (Grund-)Recht der Toten auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit begründen.28 Wenn wir in einer unangemessenen Behandlung von Toten und ihren Überresten eine Würdeverletzung erblicken, ist deshalb wohl in Wirklichkeit eine Verletzung der uns allen unveräußerlichen Menschenwürde zu beklagen, denn: „Die Menschheit selbst ist eine Würde“.29 Die Würde der Toten als gewesene Menschen wird und ist gleichsam durch die Lebenden garantiert und zu garantieren, die sie sich um ihrer eigenen Menschenwürde willen wechselseitig schulden (deshalb auch: Menschenwürdegarantie). Diese Verpflichtung ist anscheinend umso stärker ausgeprägt, je enger das Verhältnis zwischen den Lebenden und den Toten ist. Gletschermumie „Ötzi“ und andere archäologische menschliche Überreste gehören offenbar nur sehr bedingt zu „unseren“ Toten, was die größeren Freiheiten zu erklären vermag, die ihren Besitzern im Umgang mit ihnen zugebilligt werden. Der westliche Zeitgenosse definiert sich vor allem durch seine individuelle Persönlichkeit und sein Lebenswerk, weshalb sich die Gerichte hierzulande fast durchweg mit postmortalen Verfälschungen des Persönlichkeitsbildes (Image) zu befassen haben, wenn sie wegen Verletzung der Totenwürde angerufen werden.30 Der „Würde der Menschheit“ widerspräche es jedoch, ihren Schutz auf den Schutz einer mehr oder weniger eng befristeten „postmortalen Persönlichkeit“ zu reduzieren. Es gibt keinen zureichenden Grund, Würdekonzeptionen von der Menschenwürdegarantie auszunehmen, die weniger auf der Individualität des Verstorbenen als etwa auf manistischen Vorstellungen, das heißt der Nähe und Verbundenheit der Lebenden mit ihren Ahnen, beruhen. Plakativ formuliert: Die Totenwürde endet nicht mit dem Totenkult,
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sondern umfasst auch den Ahnenkult. An diesem Punkt ist indessen das juristische Fach verlassen und die Sachkunde der Ethnologen gefragt. Sie müssen beantworten, ob ein Ahnenkult noch als gelebte Praxis nachweisbar ist, die eine bestimmte Behandlung oder sogar die Repatriierung menschlicher Überreste in Museumsbesitz verlangt. Die Berührung des Schutzbereichs des Art. 1 Abs. 1 GG besagt noch nichts darüber, ob die Totenwürde angetastet (verletzt) wird. Die Schwelle für eine Würdeverletzung liegt sogar besonders hoch: Die Menschen- und also auch die von ihr mitgarantierte Totenwürde darf nicht zur „kleinen Münze“ marginalisiert werden, weil dadurch letztlich ihre Unantastbarkeit, mithin ihre kategorische Geltung und Unabwägbarkeit in Frage gestellt würde.31 Da das BVerfG32 zudem sämtliche Grundrechte als Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde begreift, fordert es stets eine sorgfältige Begründung, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts auf die unantastbare Menschenwürde durchschlägt. Zu diesen Konkretisierungen zählt gemäß Art. 5 Abs. 3 GG auch die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit, auf die sich Museen im Zusammenhang mit menschlichen Überresten regelmäßig werden berufen können.33 Immerhin wird sich dem auf Kant34 zurückgehenden, später als sogenannte Objektformel in das geltende Verfassungsrecht implementierten35 Diktum, wonach der Mensch nicht „bloß als Mittel, sondern […] jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden [muss]“, als negatives Kriterium entnehmen lassen, dass menschliche Überreste nicht wie beliebige Sachen behandelt werden dürfen. Darauf ist insbesondere bei der musealen Präsentation menschlicher Überreste Rücksicht zu nehmen, die deshalb weder warenhaft dargeboten noch voyeuristischen Anwandlungen zunutze gemacht werden dürfen.36 Die Menschenwürde ist natürlich nicht aus dem (juristischen) Begriffshimmel gefallen, mag auch die Gottesebenbildlichkeit (Genesis 2, 26–27) eine ihrer wirkmächtigsten Begründungen geliefert haben. Sie ist nicht nur Norm, sondern zugleich Wert.37 Ihren dogmatisch vielleicht sinnfälligsten Ausdruck findet dies darin, dass die Menschen-
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würde dem herrschenden Verfassungsverständnis als „Wurzel aller Grundrechte“38 gilt. Nun kann die Abwägungstoleranz der Einzelgrundrechte sicher nicht kurzschlüssig in Art. 1 Abs. 1 GG zurück implementiert werden. Der Wert der Menschenwürde entlastet nicht von dem „Konkretisierungsdilemma“39 der Norm. Unterhalb der Unantastbarkeitsschwelle des Art. 1 Abs. 1 GG eröffnen sich Museen, die menschliche Überreste beherbergen oder bereits Repatriierungsforderungen ausgesetzt sind, jedoch Abwägungsspielräume. Zu dieser Abwägung können wiederum die juristischen Anstrengungen beitragen, die Menschenwürdegarantie anhand der speziellen Freiheits- und Gleichheitsgarantien des Grundgesetzes zu konkretisieren.40 Museen werden gegen ihren Kulturauftrag zunächst das Autonomieprinzip zu wägen haben. Der in der Objektformel ausgedrückte Selbstzweck menschlichen Lebens ist ohne Freiheit nicht denkbar, da der Mensch ansonsten eben „bloß als Mittel“ anderer behandelt würde. Die Positivierung des Selbstbestimmungsrechts in so unterschiedlichen Regelungsbereichen wie dem Erbrecht, der Transplantationsmedizin (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 4 TPG)41, dem Bestattungswesen oder auch dem Recht am eigenen Bild (§ 22 KUG) bezeugt zusätzlich dessen allgemeine Verbindlichkeit.42 Daraus lässt sich folgern, dass der geäußerte oder mutmaßliche Wille des Menschen, wie mit seinem Körper nach seinem Ableben verfahren werden soll, grundsätzlich auch für menschliche Überreste in Museen zu beachten ist.43 Vielfach wird sich dieser Wille indes nicht (mehr) verlässlich feststellen lassen.44 Dann kann gegebenenfalls eine lebzeitige Würdeverletzung den Ausschlag für die Totenwürde geben, indem jene in einer Beeinträchtigung dieser fortwirkt.45 Zu denken ist insbesondere an die Verletzung des Rechts auf Leben. In der vorsätzlichen Tötung eines unschuldigen Menschen liegt zumindest dann zugleich ein schwerer Verstoß gegen die Menschenwürde, wenn dem Opfer mit der Tat der personale Eigenwert abgesprochen wurde.46 Paradigmatisch für derartige Tötungsverbrechen sind Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (jetzt §§ 6, 7 VStGB). Solche
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Taten gelten auch – neben ihrer quantitativen Unrechtsdimension – deshalb als „Menschheitsverbrechen“, weil der Täter das Lebensrecht des Opfers schon und nur aufgrund dessen Zugehörigkeit zu einer Gruppe leugnet, die er nach tatsächlichen oder vermeintlichen überindividuellen Merkmalen wie etwa seiner „Rasse“ bestimmt.47 Völkerrechtliche Ächtung, Schwere und Evidenz der lebzeitigen Würdeverletzung48 sprechen dafür, Ansprüche der Repräsentanten einer derartigen Gruppe auf die menschlichen Überreste des Opfers grundsätzlich als bevorrechtigt anzuerkennen, obwohl die diesen Ansprüchen korrespondierende Verpflichtung zur (Unrechts-)Folgenbeseitigung häufig auf nicht mehr als den Museumsbesitz gestützt werden kann. In diesen Fällen offensichtlicher Würdeverletzungen wird von öffentlichen Sammlungen wegen der objektiv-rechtlichen Dimension der Menschenwürde auch verlangt werden können, die Initiative für eine Rückführung an die Berechtigten zu ergreifen. Während das Abwägungsergebnis in den genannten Fällen vorgezeichnet ist, kann die Gewichtung von Totenwürde und musealer Bewahrungs-, Forschungs- und Ausstellungsaufgabe im Übrigen nur anhand der Umstände des Einzelfalls erfolgen. Dabei gebührt unserem „aufgeklärten“ Erkenntnis- und Wissenschaftsinteresse nicht ohne Weiteres der Vorrang gegenüber manistischen oder uns sonst fremden, bisweilen auch nur fremd gewordenen Praktiken der Totenfürsorge. Mit der „Würde der Menschheit“ sind kulturelle Dominanzansprüche auch im Reich der Toten unvereinbar.49 Claudia von Selle arbeitet unter anderem im Bereich Kunstrecht / Kulturgüterschutz als Rechtsanwältin, Partnerin von Berg & Moll Rechtsanwälte, Berlin / Paris / Nur-Sultan sowie gelistete Mediatorin des International Council of Museums (ICOM)
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So die Präambel der „Standards für Museen“ des Deutschen Museumsbundes (DMB) und des International Council of Museums (ICOM), Sektion Deutschland. RGSt 64, 313, 315. Statt vieler Dippel, Karlhans, in: Leipziger Kommentar zum StGB, Berlin, 12. Aufl., 2009, § 168 Rn. 35 mit weiteren Nachweisen. Art. 10 Satzung der Vereinten Nationen. Die Erklärung bezeichnet sich in der Präambel selbst „als […] ein zu verfolgendes Ideal“. Jenschke, Christoff: Der völkerrechtliche Rückgabeanspruch auf in Kriegszeiten widerrechtlich verbrachte Kulturgüter, Berlin 2005, S. 128. Vgl. Fiedler, Wilfried: Der Streit um die „Kriegsbeute“, in: Gedächtnisschrift für Joachim Burmeister, hrsg. von Klaus Stern u. a., Heidelberg 2005, S. 163, 165; jetzt auch § 9 Abs. 1 VStGB. 31. Dezember 1992 bei einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Näher, auch zu zivilrechtlichen Folgen der ungenehmigten Einfuhr von Gegenständen, die in einem Verzeichnis wertvollen Kulturguts geführt werden: von Selle, Claudia / von Selle, Dirk: Illegaler Kunsthandel – Teil 2, Kulturgüterschutz, Internationaler Kunsthandel, Rechtsschutz und Verfahrensfragen, in: Kultur und Recht, hrsg. von Alexander Unverzagt und Gereon Röckrath, Loseblattwerk, März 2008, L 3.8, S. 3 ff. Überblick über die landesgesetzlichen Regelungen bei Grziwotz in Groll, Michael / Steiner, Anton (Hrsg.): Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, Bonn, 5. Aufl., 2019, Rn. 32.26 ff. Vgl. OVG Koblenz, DÖV 1987, 826. Zum Beispiel Art. 6 Abs. 3 BayBestG, § 19 Abs. 1 Sätze 6 und 7 BbgBestattG. Siehe auch die Bestattungsbefristungen durch Ruhezeitregelungen wie zum Beispiel Art. 10 Abs. 1 BayBestG, wonach die Ruhezeit für Leichen nach Anhörung des Gesundheitsamts unter Berücksichtigung der Verwesungsdauer festzusetzen ist. OVG Berlin-Brandenburg, LKV 2016, 139, 143. So zum Beispiel § 5 Abs. 3 BestattG M–V; näher – mit weiteren Nachweisen – Kretschmer, Bernhard: Leichenversuche im Dienste der Wissenschaft und der Patientenversorgung, in: Rechtsfragen der Obduktion und postmortalen Gewebespende, hrsg. von Albrecht Wiene, Markus A. Rothschild und Kathrin Jahnke, Heidelberg 2012, S. 53, 70. Statt vieler Dippel, Karlhans in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 168 Rn. 35 f. mit weiteren Nachweisen. Eingehend Kretschmer, Bernhard: Der Grab- und Leichenfrevel als strafwürdige Missetat, Baden-Baden 2002, S. 311 ff., 540 ff. Statt vieler Vogel, Joachim, in: Leipziger Kommentar zum StGB, Berlin, 12. Aufl. 2010, § 242 Rn. 14, 34 mit weiteren Nachweisen. Andere Ansicht Kretschmer: Der Grab- und Leichenfrevel, S. 372 ff.: Treuhand des Obhutsberechtigten, die die Fremdheit der Human Remains für den Täter begründe. Kant, Immanuel: Metaphysik der Sitten, 1797, Einleitung IV, herrschende Meinung, statt vieler Stieper, Malte, in: J. von Staudingers Kommentar zum BGB, Köln 2021, § 90 Rn. 39 mit weiteren Nachweisen. Andere Ansicht – ohne dass damit ein sachlicher Unterschied verbunden ist – Stresemann, Christina, in: Münchener Kommentar zum BGB, München, 9. Aufl., 2021, § 90 Rn. 29: Rest der Persönlichkeit. BGHSt 60, 302 Rn. 10. Herrschende Meinung, statt vieler Stieper: J. von Staudingers Kommentar zu BGB, § 90 Rn. 42 ff. mit weiteren Nachweisen. Statt vieler ebd., (Fn. 20), § 90 Rn. 52 f. mit weiteren Nachweisen. Eingehend Kretschmer: Der Grab- und Leichenfrevel, S. 368 ff.; ders.: Leichenversuche im Dienste der Wissenschaft, S. 62 f. Dazu näher von Selle, Claudia / von Selle, Dirk: Illegaler Kunsthandel – Teil 1, Strafrechtliche und zivilrechtliche Haftungsrisiken beim Handel mit Kunst und sonstigen Kulturgütern, in: Kultur und Recht, hrsg. von Alexander Unverzagt und Gereon Röckrath, Loseblattwerk, März 2008, S. 8 ff. BGHZ 47, 30, 39 f. mit weiteren Nachweisen. Bundeshaushalt 2021, Einzelplan 04, Kapitel 0452 (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien), Einnahmen, Vermerk 1.2. Der Haushaltsgesetzgeber spricht ganz allgemein von Herkunftsstaat respektive Vertretern der Herkunftsgesellschaft, den ehemals Berechtigten beziehungsweise deren Rechtsnachfolgern oder geeigneten Institutionen.
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BVerfGE 30, 173, 194. BVerfG (Fn. 27); NJW 2001, 594 f.; NJW 2001, 2957, 2959; Rixecker, Roland, in: Münchener Kommentar zum BGB, Anhang zu § 12 Rn. 65, 73; demgegenüber leitet der BGH ein „postmortales Persönlichkeitsrecht“ auch aus Art. 2 Abs. 1 GG ab, BGHZ 50, 133, 138; BGHSt 40, 97, 105. Kant: Metaphysik der Sitten, Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, 1797, § 38; ferner Fichte, Johann Gottlieb: Grundlage des Naturrechts, 1796, § 19; aus dem zeitgenössischen Schrifttum etwa Benda, Ernst, in: NJW 2000, 1769, 1771; Hofmann, Hasso: Die versprochene Menschenwürde, in: HFR 1996, Rn. 36; Kretschmer: Der Grab- und Leichenfrevel, S. 243 ff.; ders.: Leichenversuche im Dienste der Wissenschaft, S. 67 f.; Maurer, Hartmut, in: DÖV 1980, 7, 9 f.; ähnlich VGH B-W, BeckRS 2006, 20462 Rn. 29. Herdegen, Matthias, in: Grundgesetz-Kommentar, hrsg. von Günter Dürig, Roman Herzog und Rupert Scholz, Stand November 2021, Art. 1 Abs. 1 Rn. 57; Rixecker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Anhang zu § 12 Rn. 73 mit weiteren Nachweisen. Böckenförde, Ernst-Wolfgang, in: JZ 2003, 809, 811; Dreier, Horst, in: Grundgesetz, hrsg. vom dems., München, 3. Aufl., 2013, Art. 1 Abs. 1 Rn. 49 mit weiteren Nachweisen. BVerfGE 93, 266, 293; speziell zur Totenwürde BVerfG NJW 2001, 2957, 2959. Kritisch Herdegen, in: Grundgesetz-Kommentar, Art. 1 Abs. 1 Rn. 22. Nach VGH München, in: NJW 2003, 1618, 1620, soll demgegenüber die Berufung auf die gleichfalls verfassungsrechtlich verbürgte Kunstfreiheit ausscheiden, weil die „Instrumentalisierung einer Leiche zu kreativer Gestaltung“ gegen die Menschenwürde verstoße; der Leichnam sei, wenn schon nicht eine „res extra commercium“, so doch jedenfalls eine „res extra artem“. Kant: Metaphysik der Sitten, Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, 1797, § 38. Pointiert BVerfGE 115, 118, 154. Thielecke, Carola / Geißdorf, Michael, in: Leitfaden. Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen, hrsg. vom Deutschen Museumsbund e.V., Berlin 2021, S. 106, 108. Die Verfasser warnen hier zu Recht davor, Produkte in Museumsshops feilzubieten, die Sammlungsgut aus oder mit menschlichen Überresten abbilden. BVerfGE 32, 98, 108: der „oberste Wert“. BVerfGE 93, 266, 293. Andere Charakterisierungen lauten „Quellnorm“, „Grund der Grundrechte“, „normatives Prinzip“, „tragendes Konstitutionsprinzip“, „oberste Wertnorm“, „objektives Grundprinzip“ oder „oberstes Verfassungsprinzip“. So treffend: Höfling, Wolfram, in: Grundgesetz, hrsg. von Michael Sachs, München, 9. Aufl. 2021, Art. 1 Rdn. 10. Vgl. Herdegen, in: Grundgesetz-Kommentar, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 23 f. Die Organentnahme ohne Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts gilt wegen Leugnung der Subjektqualität als Menschenwürdeverstoß, Herdegen, in: Grundgesetz-Kommentar, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 58; Hofmann, Hans, in: Grundgesetz, hrsg. von Bruno Schmidt-Bleibtreu, Berlin, 15. Aufl., 2022, Art. 1 Rn. 40. Kretschmer: Leichenversuche im Dienste der Wissenschaft, S. 72 f. Dies betont auch: Leitfaden. Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen, hrsg. vom Deutschen Museumsbund e.V., Berlin 2021, S. 20 ff. Danach kann es sich nur dann um eine „rechtmäßige Erwerbung“ menschlicher Überreste handeln, wenn sie im „gegenseitigen Einverständnis“ erfolgt ist. Bekannt ist die Kontroverse um den aus Schwarzafrika stammenden, zu Lebzeiten in Wiener Adels- und Freimaurerkreisen integrierten Angelo Soliman, der nach seinem Tod 1796 präpariert und halbnackt „als Wilder“ in einer Tropenlandschaft des kaiserlichen Naturalienkabinetts ausgestellt wurde: Bis heute ist strittig, ob er darin auf Zuraten „aufgeklärter Freunde“ eingewilligt hatte; seine Tochter Josephine jedenfalls bemühte sich vergeblich um eine christliche Bestattung seiner Überreste. Siehe dazu einerseits: Firla, Monika: Verkörpert uns Soliman? Oder: Hat er seine Haut selbst gespendet?, Wien 2003. Andererseits: Wigger, Iris / Klein, Katrin: „Bruder Mohr“. Angelo Soliman und der Rassismus der Aufklärung, in: Entfremdete Körper. Rassismus als Leichenschändung, hrsg. von Wulf D. Hund, Bielefeld 2009, S. 81 ff. Davydov, Dimitrij, in: VR 2021, 325, 331. Eingehend Schockenhoff, Eberhard: Naturrecht und Menschenwürde, Mainz 1996, S. 210 ff. Von Selle, Dirk, in: NJW 2000, 992, 996. Zu diesen Gesichtspunkten namentlich Herdegen, in: Grundgesetz-Kommentar, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 42, 44. Frühe und beispielgebende Kritik an einer eurozentristischen Ethnologie von Wittgenstein, Ludwig: Bemerkungen zu „Frazers Golden Bough“, in: Wittgenstein. Vortrag über Ethik und andere kleinere Schriften, hrsg. von Joachim Schulte, Berlin, 6. Aufl., 1989, S. 29 ff.
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SAMMLUNGS- UND PRÄSENTATIONSKONTEXTE VON HUMAN REMAINS
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ntentional und nicht-intentional konservierte Human Remains liegen nicht nur in unterschiedlichsten Formen vor – von GanzkörperMumien über anatomische Präparate bis hin zu Knochen in sakralen Kontexten –, sondern entstammen auch verschiedensten Regionen, Kulturen und Sammlungskontexten. Über diese Bandbreite informiert das folgende Kapitel anhand exemplarischer Beiträge. Der hierzulande weniger kritisierten Präsentation mumifizierter Leiber und Körperteile in katholischen Kontexten spürt Günter Dippold nach. Entsprechende Human Remains finden sich seit Jahrhunderten vielerorts auf Kirchhöfen und in Kirchenräumen, darunter auch in der Banzer Klosterkirche, deren Heilige Leiber ausführlicher dargestellt werden. Während sichtbar präsentierte Knochen und Schädel in Beinhäusern (Ossuarien) an die eigene Sterblichkeit gemahnen (Memento Mori), stiftet die öffentliche Zurschaustellung von Reliquien eine Verbindung zu den betreffenden Heiligen. Demgegenüber befriedigt die öffentliche Ausstellung von Gruftmumien, die aufgrund guter Belüftung und hygienischer Bedingungen
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zufällig bewahrt worden sind, immer wieder die touristische Sensationsgier. Da ihr Herzeigen nicht beabsichtigt war, zielt die im Aufsatz dargestellte Arbeit der Forschungsstelle Gruft von Regina und Andreas Ströbl bei der Erforschung vernachlässigter oder zerstörter Grüfte auf die Wiederherstellung der früheren Sargbestattungen. Die hierbei zu berücksichtigenden ethischen Überlegungen und historischen Umstände werden anhand konkreter Fälle nachvollziehbar. Nach Südamerika, aus dem seit dem 19. Jahrhundert Mumien und skelettierte menschliche Überreste nach Europa und Nordamerika gelangten, führen Anna-Maria Begerock, Mercedes Gonzalez, Louisa Hartmann und Lena Muders. Da diese Human Remains in der aktuellen Diskussion nur eine untergeordnete Rolle spielen, spannt ihr Beitrag einen weiten Bogen von der vorspanischen bis zur nachspanischen Zeit und thematisiert neben der historischen Entwicklung auch den rituellen wie musealen Umgang mit den Toten bis in die Gegenwart. Hier nehmen sich beispielsweise nicht verwandte Vertreter der Aymara- und Quechuabevölkerung vorspanischer Schädel an und haben sie in eigene kulturelle Praktiken (Schadenszauber, Bewältigung von Krisensituationen) integriert. Mit den nächsten Beiträgen kehren wir wieder nach Europa zurück. Mamoun Fansa behandelt Geschichte und Präsentation von Moorleichen im Oldenburger Landesmuseum Natur und Mensch. Dieses wird eingangs in seiner Entwicklung und Konzeption vorgestellt, welche durch die interdisziplinäre und wechselseitige Darstellung von Naturund Kulturgeschichte gekennzeichnet ist. In der „Moorausstellung“ werden die Mumien aus dem Moor folglich nicht separat gezeigt, sondern eingebettet in die dortige Landschaft als Lebensraum. Anschließend wird auf die Konservierung, Verbreitung und Erforschung von Moorleichen eingegangen, die im Museum als anschauliche Informationsquelle dienen, wobei Gesichtsrekonstruktionen als didaktisches Hilfsmittel fungieren. Die „Körperwelten“ mit den von Gunther von Hagens entwickelten Plastinaten zählen mit über 50 Millionen Besuchern seit 1995 zu den
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weltweit erfolgreichsten Ausstellungen. Ihre Erfolgsgeschichte zeichnet Angelina Whalley nach. Dabei war die Schau besonders in Deutschland zunächst umstritten, wobei sich die öffentliche und mediale Wahrnehmung von der Besuchermeinung markant unterschied. Inzwischen hat die Ausstellung an Skandalwert verloren, aber nicht ihre Attraktivität eingebüßt. Darüber hinaus gibt es ein eigenes Körperspendenprogramm und zusätzliche didaktische Angebote, auch begegnet das Team den freiwillig für den Ausstellungszweck zur Verfügung gestellten Körperspenden mit einem expositorischen „Achtungsanspruch“. Human Remains aus der NS-Zeit in der Anatomischen Sammlung der Medizinischen Universität Innsbruck stehen im Mittelpunkt der Ausführungen von Christian Lechner. Dabei weist der Umgang mit Präparaten von Opfern des NS-Regimes über Innsbruck hinaus: Internationalen Empfehlungen folgend versucht man dort die menschlichen Überreste zu identifizieren sowie die zugehörigen Biografien interdisziplinär zu erforschen und zu kontextualisieren, um sie dann unter Einbindung von Angehörigen beziehungsweise Glaubens- und Opfer(schutz)gemeinschaften aus der Sammlung zu entfernen und würdig zu bestatten. 3D-(Bio)Drucke können Alternativen zu den eigentlichen Objekten darstellen. Im Vergleich hierzu steht an der Universität Würzburg die Bestandsaufnahme und -sicherung der medizinhistorischen Sammlungen im Fokus. Elisabeth Kriep und Sabine Schlegelmilch schildern, dass diese nicht nur Human Remains aus historischen Objektgruppen umfassen, sondern auch solche, die an der Universitätsklinik noch in „Gebrauch“ sind, etwa histologische Schnittpräparate. In beiden Fällen ist das Verständnis von Unrechtskontexten zu erweitern, gehen viele Human Remains doch auf ein kaum reflektiertes Machtgefälle im Arzt-PatientenVerhältnis zurück, so dass bei ungeklärter Herkunft vorerst per se von einem Unrechtskontext auszugehen ist.
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ARME SEELEN UND HEILIGE LEIBER Umgang mit Skeletten im kirchlichen Kontext Der Besucher einer katholischen Kirche konnte in der Vormoderne – und kann sporadisch bis heute – an zwei Stellen mensch lichen Überresten begegnen: im Kirchhof und im Kirchenraum.
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Kirchhof und Beinhaus Die Bestattung um die Kirche stellte lange, in weiten Landstrichen bis ins frühe 19. Jahrhundert, eine Normalität, ja ein Muss dar. Bestattungsort schlechthin war der Kirchhof, der mit einer Mauer umfriedete Umgriff der Pfarr- oder wenigstens einer Filialkirche.1 Doch stellte diese Praxis die Gemeinden vor ein praktisches Problem. Der als Gräberfeld zur Verfügung stehende Raum war begrenzt und, weil oft mitten im Ort gelegen, nicht beliebig erweiterbar. Mehrere früh- und hochmittel alterliche Synoden bestimmten die Reichweite des Kirchenasyls (bis zu 60 Schritt Umkreis der Kirche, mehr aber nicht).2 Dieser Raum, ein gewissermaßen durch die Strahlkraft der Kirche, zumal durch die in ihr geborgenen Reliquien geheiligter Bezirk,3 war nicht zu vergrößern, selbst wenn die städtebauliche Struktur es zugelassen hätte. Erst im ausgehenden 15. und frühen 16. Jahrhundert gingen einige wenige Städte dazu über, ihren Friedhof vor die Stadt zu verlegen.4 Vor der Reformation aber – und in der katholischen Sphäre weit darüber hinaus – hielt die Masse der Ortschaften am innerörtlichen Kirchhof fest. Begräbnisse inmitten der Siedlung wurden erst im beginnenden 19. Jahrhundert aus hygienischen Gründen unterbunden. Vielerorts verschwand jetzt der herkömmliche, von einer hohen Mauer umfangene Kirchhof,5 wo „sich die unterirdische und irdische katholische Gemeinde um ihren gemeinsamen Oberhirten im allerheiligsten Sa kramente“ scharte.6 Ein Leichnam war mehr als der entseelte Leib. Da die Gläubigen eine leibliche Auferstehung erwarteten, war der Leichnam an sich nicht anzutasten, denn am Jüngsten Tag werde die Seele wieder mit dem – allerdings verklärten – irdischen Leib vereinigt. Die Seele habe daher, so lehrte Kirchenvater Augustinus, eine „Hinneigung zum eigenen Leib“.7 Folglich verbot es sich eigentlich, die Grabesruhe zu stören, sprich: Das Grab galt dem Grundsatz nach als unverletzlich.8 Dem stand aber die Enge des Kirchhofs entgegen, welche die wiederholte Nutzung einer Grabstelle unumgänglich machte.
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Den Widerspruch löste man, indem man auf dem Kirchhof ein Gebäude errichtete, das die bei Wiederbelegung einer Grabstelle exhumierten Gebeine, zumal den Schädel sowie die großen Arm- und Beinknochen, aufnahm.9 Erste Hinweise auf solche Oss(u)arien finden sich im Hochmittelalter.10 Dieser Gebäudetypus, im Deutschen Beinhaus, auch Karner (von carnis, Fleisch)11 oder gelegentlich Seelhäuslein oder Seelkerker bezeichnet,12 verbreitete sich.13 Dabei fand man unterschiedliche bauliche Lösungen; eine Typologie hat Stephan Zilkens erarbeitet.14 Waren es bisweilen nur Anbauten an die Pfarrkirche, so gab es oft gesonderte Bauten, meist an die Kirchhofmauer gelehnt. Viele Beinhäuser waren zweigeschossig. Das eingetiefte Untergeschoss nahm Gebeine auf; das Obergeschoss barg eine Kapelle, oft geweiht dem Seelenwäger, dem Erzengel Michael; auch Katharina, Anna und eine Reihe anderer Heiliger kommen als Patrone vor.15 Ossarien verschwanden in evangelischen Regionen und Orten oft schon in der frühen Neuzeit,16 in ganz Bayern dann im frühen 19. Jahrhundert, als viele Friedhöfe auf staatliches Gebot hin auf freies Feld, außerhalb der Siedlung, verlegt wurden. Damit standen die nutzlos gewordenen Beinhäuser zur Disposition. Die darin verwahrten Gebeine wurden entweder auf dem Kirchhof oder im neuen Friedhof beigesetzt,17 die Gebäude umgenutzt oder abgebrochen.18 In frühe Beinhäuser wurden Knochen offenbar einfach hineingeworfen.19 In der frühen Neuzeit begegnet uns der wohl schon weiter zurückreichende Usus, die Gebeine, zuvor gereinigt,20 ordentlich aufzustapeln, zum Beispiel auf der einen Raumseite die Schädel, auf der anderen die Knochen der Gliedmaßen.21 Eine soziale Ordnung scheint bewusst nicht stattgefunden zu haben.22 Der Zugang zum Knochendepot war vergittert. Die Gebeine der einstigen Gemeindemitglieder sollten zu sehen sein, der Raum aber nicht ohne Weiteres betreten werden. Denn die kirchlichen Obrigkeiten fürchteten einen Gebrauch der Gebeine zu superstitiösen Zwecken.23 Dennoch kam hin und wieder eine Klage über unversperrte Beinhäu-
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ser vor.24 Und es gibt Belege, dass Menschen sich vom Kontakt mit den körperlichen Überresten Hilfe gegen körperliche Gebrechen versprachen25 oder Schädel benutzten, um durch Orakel die Lotteriezahlen der nächsten Ziehung zu ermitteln.26 Beim Umgang mit den im Ossarium deponierten Gebeinen sehen wir örtliche oder regionale Besonderheiten. Dieses Sujet ist, was den deutschsprachigen Raum angeht, vornehmlich für Altbayern27 und für Teile Österreichs wie der Schweiz28 untersucht, wo sich – weit häufiger als beispielsweise im katholischen Franken29 – „gefüllte“ Beinhäuser erhalten haben. Mancherorts waren Schädel mit einem schlichten Kreuz bemalt.30 In anderen Fällen war auf der Stirn die tatsächliche oder vermeintliche31 Person benannt, zu der dieser Totenkopf zu Lebzeiten gehört hatte. Eine solche Benennung geschah offenbar anfangs durch ein Hauszeichen32 oder ein Monogramm,33 dann mehr und mehr durch den ausgeschriebenen Namen, verbunden mit Sterbejahr oder sogar vollständigen Lebensdaten, der Angabe des Hofs oder einer Berufsangabe.34 Im Innviertel wurde bisweilen der Schädel silbern, golden oder mit einer anderen Farbe grundiert und dann beschriftet.35 In etlichen Orten wurde es üblich, den Schädel, oft erst in der Sonne gebleicht, mit farbigen Ornamenten zu verzieren. Hier finden sich Blumen oder Kränze – diese etwa für unverheiratet gebliebene Tote36 – oder Schlangen als Sinnbild der Vanitas. Marie Andree-Eysn (1847–1929) beobachtet 1910 für Oberösterreich: „Vielfach ist es der Totengräber, der sie reinigt und ausschmückt, zuweilen besorgt dies auch der Tischler, oder es kommt ein wandernder Künstler, der sich handwerksmäßig mit dem Bemalen beschäftigt.“37 Im oberösterreichischen Hallstatt ist der Karner mit tausenden Schädeln heute eine touristische Sehenswürdigkeit. Eine Alternative zur Beschriftung des Totenkopfes ist seine Verwahrung in einer kleinen, mit Namen und Daten versehenen Vitrine, einer sogenannten Schädelkapsel. Dies begegnet uns beispielsweise in Berchtesgaden.38 Motive, ein Beinhaus zu haben, waren vornehmlich Platzgründe.39 In manchen Kirchhöfen blieb ein Grab nur zehn Jahre
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unangetastet, in anderen war die Zeitspanne noch weit kürzer,40 reduziert auf bis zu drei Jahre.41 Wenn man die Knochen aber nicht nur verwahrte, sondern sie stets sichtbar präsentierte, dann war dies ein Memento mori und zugleich eine Mahnung, etwas für das Seelenheil der im Fegfeuer schmachtenden Toten zu tun.42 Der Regensburger Generalvikar nannte als Nutzen eines Beinhauses 1591, es würden „die Gemüter der Christgläubigen hierauß bewegt / und zu Christlichem Mitleiden gegen den Verstorbenen […] gebracht“.43 Die im Beinhaus geborgenen Überreste der Verstorbenen wurden in die Liturgie einbezogen, namentlich am Allerseelentag,44 der seit dem Hochmittelalter am 2. November begangen wird. Einer Seelmesse in der Beinhauskapelle, also nahe den Toten, folgte eine Prozession am, um oder durch das Knochendepot.45 Manches Beinhaus besaß zwei Türen, so dass, ebenfalls an Allerseelen, aber auch zu anderen Terminen, die vom Priester angeführten Gläubigen hindurchziehen konnten.46 Dem Einzelnen erlaubte ein beschriftetes Haupt ein sozusagen zielgerichtetes Gedenken. Fritz Markmiller hat es so formuliert: „Man wollte die Gebeine seiner Vorfahren unverwechselbar vor sich haben, wenn man im Karner für ihre armen Seelen betete oder ihnen Weihwasser und Kerzenlicht spendete.“47 Unnötig zu sagen, dass sich mit religiösen Motiven das Bemühen um weltliche Memoria vermengte – ein bei vielen Gelegenheiten zu beobachtendes Phänomen. Ungeachtet aufklärerischer Kritik bestand die Praxis, Totenköpfe und Großknochen zu bergen und im Karner zu deponieren, die Schädel zu verzieren und durch eine Inschrift einem Individuum zuzuordnen – solange das Beinhaus existierte und mithin die Möglichkeit zu derartiger Sekundärbestattung gegeben war. In einzelnen alpenländischen Orten hielt die Gemeinde bis ins ausgehende 19. Jahrhundert daran fest, in Hallstatt sogar bis in die 1980er-Jahre. 48 Diesen Umgang mit dem Totenkopf eines Menschen als Respektlosigkeit abzutun, zeugt mehr von eigener Überhöhung, wie sie vor über 200 Jahren allzu bereitwillig urteilende Aufklärer ausgezeichnet hat.
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Menschliche Überreste im Kirchenraum Die katholische Kirche kennt Menschen, die durch ihren Märtyrertod oder ihr Bekennertum bereits zur Schau des Lammes gelangt sind. Diese Heiligen sind gewissermaßen die Höflinge am Hof des himmlischen Königs;49 angerufen von den Lebenden können sie für die Bittsteller beim Allmächtigen Fürsprache halten. So wie ein armer Mann nicht vor einen irdischen Herrscher hätte treten können, brauchte er auch einflussreiche Vertreter, die sein Anliegen vor den himmlischen Herrscher trugen. Diese Vorstellung steht letztlich hinter der Heiligenverehrung. Körper der Märtyrer genossen schon im frühen Christentum hohe Verehrung. Ihre toten Leiber waren Ziel von Pilgern.50 Die Praxis, dem Leichnam des Heiligen einzelne Knochen zu entnehmen und an andere Kirchen weiterzugeben, bildete sich seit karolingischer Zeit langsam heraus; 51 im späten Mittelalter war sie dann gang und gäbe: „Eine Partikel genügt, um den ganzen Heiligen präsent zu haben.“52 Die einzelnen Knochen waren durch Authentiken als wahre Reliquien nachgewiesen und durch Cedulae, kleine beigefügte Pergamentstreifen, gekennzeichnet.53 Es bürgerte sich nicht nur im Frühmittelalter ein, in jedem Altar müsse wenigstens eine Reliquie geborgen sein (oft waren es mehrere).54 Überdies wurde es üblich, dem gläubigen Volk wichtige Reliquien zu präsentieren. Zu diesem Zweck entstanden Schaugefäße, sogenannte Ostensorien: in ihrem Mittelpunkt in Edelmetall gefasste, verglaste Behältnisse, welche die Reliquie aufnahmen.55 Andere Reliquien wurden, nicht sichtbar, in Reliquiaren verwahrt, zumal Schädel. Eine feste Regelhaftigkeit ist nicht zu erkennen. Die wenigsten Reliquien wurden dauerhaft gezeigt. Man stellte sie zu besonderen Gelegenheiten, etwa am Kirchweihtag oder am Fest des jeweiligen Heiligen, in der Kirche aus oder im großen Umfang bei Heiltumsweisungen unter freiem Himmel.56 Irdische Reste eines Heiligen – dazu hier nicht zu erörternde Kontaktreliquien aus dem Leben Jesu oder Mariens57 – waren Gegenstand frommer Verehrung. Schon
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ihr Anblick, natürlich in rechter Gesinnung, und die dadurch entstehende Nähe zu jeweiligen Heiligen verschafften Ablass, also Erlass von Sündenstrafe, sprich: eine verkürzte Zeit im Fegfeuer. Große Kirchen sammelten bekanntlich Reliquien, aber auch weltliche Machthaber; erinnert sei nur an den Reliquienschatz des sächsischen Kurfürsten Friedrichs des Weisen.58 Die Reformatoren lehnten Heiligenverehrung ab, denn es brauche dieser Mittler am himmlischen Hof nicht. Die neue Lehre fasste der ehemalige Würzburger Domprediger Paul Speratus (1484–1551) in wenigen Liedzeilen prägnant zusammen: „Der Glaub’ sieht Jesum Christum an / Der hat g’nug für uns all’ getan, / Er ist der Mittler worden.“59 Umso stärker betonte in der Entwicklung scharfer konfessioneller Profile die katholische Kirche Wert und Wichtigkeit der Heiligenverehrung, namentlich nach einer theologischen Neuformierung im Konzil von Trient. 15 Jahre nach Ende des Konzils entdeckte man im Norden Roms an der Via Salaria eine antike Katakombe, die zigtausende Skelette enthielt;60 die dort Bestatteten sah man durchweg als frühchristliche Märtyrer oder Bekenner an. Die römischen Katakomben boten nun die Chance, nicht mehr nur einen Finger oder eine Rippe eines Heiligen zu erlangen, sondern seine vollständigen Gebeine.61 Diese Ganzkörperreliquien – Heilige mit ungewöhnlichen, alles andere als gängigen Namen – erfreuten sich in der Barockzeit großer Beliebtheit.62 In einer Zeit, als etliche Kloster- und Stiftskirchen neu errichtet oder zumindest im Zeitgeschmack überformt wurden, erwarben die geistlichen Institutionen solche Katakombenheilige, um der neugestalteten Kirche eine zusätzliche Strahlkraft zu verleihen. Im ehemaligen Benediktinerkloster Banz finden wir vier solche Katakombenheilige. Als 1801 der hiesige Mönch Johann Baptist Roppelt (1744–1814) die Klosterkirche beschrieb, verwies er gleich im zweiten Satz darauf: „Sie ist mit 4 heiligen Leibern geziert, welche prächtig gefaßt und mit vielen Unkosten von Rom hieher gebracht worden sind.“63 Erlangt hatte die ersten beiden Katakombenheiligen Pater Kilian Düring (1641–1720),64 als er 1680 Rom besuchte. Damals stand der einstige Banzer Abt Otto
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de la Bourde (1630–1708) als Diplomat im kaiserlichen Dienst, und Düring war als Beichtvater und Sekretär an seiner Seite. Sicherlich wurde die wertvolle Neuerwerbung in der alten Klosterkirche aufgestellt; wir wissen jedoch nicht, in welcher Weise. Kilian Düring, 1701 seinerseits zum Abt gewählt, ließ den bestehenden, 1719 geweihten Kirchenbau durch Johann Dientzenhofer (1663–1726)65 errichten.66 Für diese Kirche wurden weitere zwei Ganzkörperreliquien angeschafft. Ein lediger Bäcker und ein Eremit wurden im Februar 1745 zu diesem Zweck nach Rom gesandt und erhielten vom Abt 100 Gulden allein an Reisegeld.67 Die beiden waren offenbar erfolgreich heimgekehrt,68 denn im Mai 1747 erschien die Oberin des Bamberger Hauses der Englischen Fräulein in Banz; mit ihr wurde vereinbart, „die hh Leiber umb 2 hundert Gulden zu fassen“.69 Im Oktober 1747 kamen sie, kostbar geziert,70 zurück und wurden in Gegenwart des Würzburger Weihbischofs stehend neben dem Tabernakel am Hochaltar aufgestellt.71 Die beiden anderen Heiligen Leiber von Benedictus und Felix72 – dies sind wohl die 1680 erworbenen – sind, ebenso wertig gefasst und in Glasvitrinen verwahrt, jedoch dem Betrachter zugewandt liegend,73 an Seitenaltären aufgestellt. Die Präsentation macht deutlich, dass es hier wie andernorts nicht galt, den Tod zu zeigen, sondern eine Ahnung der glorreichen Auferstehung zu vermitteln.74 Weitere Skelettteile, die wohl ebenfalls aus römischen Katakomben stammten,75 wurden gleichfalls gefasst, in Reliquiaren oder Reliquienpyramiden verwahrt und in Nebenaltären der Klosterkirche aufgestellt.76 Valerius und Vincentius heißen die beiden Heiligen am Hochaltar der Banzer Klosterkirche, und es ist bezeichnend, dass zwei Novizen, die 1748, kurz nach der Aufstellung, Profess feierten, gerade diese Namen empfingen.77 (Felix dagegen hieß nie ein Banzer Mönch.) Eine Verwendung der Heiligennamen als Taufnamen im Umfeld des Klosters78 oder eine besondere Verehrung der vier Banzer Heiligen ist, anders als in vergleichbaren Fällen in manchem altbayerischen oder schwäbischen Kloster79, nicht zu beobachten, geschweige denn eine Wallfahrt zu ihnen. Die liegenden Leiber wurden durch wohl 1746 gefertigte
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Tafeln80 verdeckt, die das geschmückte Gerippe darstellen. Diese Gemälde wurden wohl nur zu besonderen Gelegenheiten entfernt, so dass die Reliquie sichtbar wurde. Den im deutschsprachigen Raum größten Schatz an solchen Heiligen Leibern besitzt wohl die Kirche der einstigen Zisterzienserabtei Waldsassen in der Oberpfalz.81 Insgesamt zehn Katakombenheilige wurden zwischen 1688 und 1765 erworben und mit Klosterarbeit gefasst, die meisten durch den Konversen Adalbert Eder (1707–1777),82 einen gelernten Seiler. Der Waldsassener Abt etablierte 1756 das Heilige-LeiberFest, das alljährlich am ersten Augustsonntag begangen wurde.83 Auch etliche andere Kirchen verfügten über derart präsentierte Reliquien. Die acht Kilometer von Banz entfernte Zisterzienserabtei Langheim hatte in ihrem 1802 durch Brand geschädigten, 1804 – nach Aufhebung des Klosters – abgebrochenen Münster zwei in Glaskästen verwahrte Ganzkörperreliquien.84 Ihr Schicksal kennen wir nicht.85 Möglicherweise wurden Kästen samt Inhalt wie anderes Inventar verkauft. Die vier Heiligen Leiber von Banz, die zehn von Waldsassen und etliche andere sind aber bis heute vorhanden und zu sehen – mit gutem Grund, denn sie sind Teil des religiösen und künstlerischen Gesamtwerks der jeweiligen Klosterkirche. Prof. Dr. Günter Dippold Bezirksheimatpfleger von Oberfranken
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Zur Genese und Gestalt des Kirchhofs vgl. Sörries, Reiner: Der mittelalterliche Friedhof. Das Monopol der Kirche im Bestattungswesen und der so genannte Kirchhof, in: Raum für Tote. Die Geschichte der Friedhöfe von den Gräberstraßen der Römerzeit bis zur anonymen Bestattung, Braunschweig 2003, S. 27–52; Brademann, Jan: Leben bei den Toten. Perspektiven einer Geschichte des ländlichen Kirchhofs, in: Leben bei den Toten. Kirchhöfe in der ländlichen Gesellschaft der Vormoderne, hrsg. von dems. und Werner Freitag, Münster 2007, S. 9–49, hier S. 16–20; Schmitz-Esser, Romedio: Der Leichnam im Mittelalter. Einbalsamierung, Verbrennung und die kulturelle Konstruktion des toten Körpers, Ostfildern 2014, S. 33, 70–76. Werner, Paul / Werner, Richilde: Bemalte Totenschädel. Besonderheiten der Sekundärbestattung im süddeutschen Sprachraum, in: Jahrbuch der Bayerischen Denkmalpflege 39/1985, erschienen 1988, S. 246–271, hier S. 247–248; Franke, Gerhard: „Praecipimus etiam ut in eos, qui ad ecclesiam vel coemiterium confugerint, nullus omnino manum mittere audeat“. Beobachtungen zur Asylschutzfunktion christlicher Friedhöfe, in: Leben bei den Toten, hrsg. von Jan Brademann und Werner Freitag, S. 53–81, hier S. 60, 68; Schmitz-Esser: Der Leichnam im Mittelalter, S. 33 Anm. 66. Zur Asylfunktion vgl. Illi, Martin: Wohin die Toten gingen. Begräbnis und Kirchhof in der vorindustriellen Stadt, Zürich 1992, S. 38–39. Hierzu auch Illi: Wohin die Toten gingen, S. 15; Sörries, Reiner (Bearb.): Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur. Wörterbuch zur Sepulkralkultur. Volkskundlich-kulturgeschichtlicher Teil: Von Abdankung bis Zweitbestattung, Braunschweig 2002, S. 170. Happe, Barbara: Die Trennung von Kirche und Grab. Außerstädtische Begräbnisplätze im 16. und 17. Jahrhundert, in: Raum für Tote. Die Geschichte der Friedhöfe von den Gräberstraßen der Römerzeit bis zur anonymen Bestattung, hrsg. von Reiner Sörries, Braunschweig 2003, S. 63–82, hier S. 64–67. Dippold, Günter: Katholische Friedhöfe in Bayern, in: Evangelische Friedhöfe in Bayern, hrsg. von Hans-Peter Hübner und Klaus Raschzok, München 2021, S. 195–201. Archiv des Erzbistums Bamberg, Pfarrarchiv Breitengüßbach, B 36, pag. 75. Zit. nach Angenendt, Arnold: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München, 2. Aufl., 1997, S. 103. Schmitz-Esser: Der Leichnam im Mittelalter, S. 34–36. Bünz, Enno: Memoria auf dem Dorf. Pfarrkirche, Friedhof und Beinhaus als Stätten bäuerlicher Erinnerungskultur im Spätmittelalter, in: Tradition und Erinnerung in Adelsherrschaft und bäuerlicher Gesellschaft, hrsg. von Werner Rösener, Göttingen 2003, S. 261–305, hier S. 293. Werner: Bemalte Totenschädel, S. 246; Sörries: Der mittelalterliche Friedhof, S. 43. Zu Ossarien in Frankreich Ariès, Philippe: Geschichte des Todes, München / Wien 1980, S. 73–82. Mögliche Vorläufer nennt SchmitzEsser: Der Leichnam im Mittelalter, S. 37. Auch im Französischen gibt es die Bezeichnung „charnier“, in der Bretagne „garnal“. Vgl. Ariès: Geschichte des Todes, S. 73–74, S. 80–81. Wolf, Herbert: Bemalte Totenschädel und unbemalte Skelettreste in Beinhäusern und Seelenkapellen des Bayerischen und Oberpfälzer Waldes, in: 75 Jahre Anthropologische Staatssammlung München 1902–1977, hrsg. von Peter Schröter, München 1977, S. 175–202, hier S. 175; Werner: Bemalte Totenschädel, S. 246. Zum Beinhaus allgemein: Koudounaris, Paul: Im Reich der Toten. Eine Kulturgeschichte der Beinhäuser und Ossuarien, Potsdam 2014; Odermatt-Bürgi, Regula: Gebeine und ihr Haus. Die historische Entwicklung der Schweizer Ossarien, in: Ossarium. Beinhäuser der Schweiz, hrsg. von Anna-Katharina Höpflinger und Yves Müller, Zürich 2016, S. 60–81; wichtige regionale Studien: Markmiller, Fritz: Karner, Bein- und Seelhäusl in Ostbayern. Ein Forschungsbericht über Zweckbauten des Totenkults, o. O. 1983; Sörries, Reiner: Die Karner in Kärnten. Ein Beitrag zur Architektur und Bedeutung des mittelalterlichen Kirchhofes, Kassel 1996. Zilkens, Stephan: Karner-Kapellen in Deutschland. Untersuchungen zur Baugeschichte und Ikonographie doppelgeschossiger Beinhaus-Kapellen, Köln 1983; zusammenfassend Sörries: Großes Lexikon, S. 38–39.; regional auch Heuer, Ludger: Ländliche Friedhöfe in Unterfranken, Dettelbach 1995, S. 41–46. Zilkens: Karner-Kapellen, S. 106–114; Sörries: Der mittelalterliche Friedhof, S. 44. Hierzu etwa Hartinger, Walter: … denen Gott genad! Totenbrauchtum und Armen-Seelen-Glaube in der Oberpfalz, Regensburg 1979, S. 19–20. Beispiele bei Markmiller: Karner, Bein- und Seelhäusl, S. 16; Wolf: Bemalte Totenschädel, S. 182; Heuer: Ländliche Friedhöfe, S. 39. Beispiele bei Markmiller: Karner, Bein- und Seelhäusl, S. 7, 16; Heuer: Ländliche Friedhöfe, S. 36–37.
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Odermatt-Bürgi, Regula: Volkskundliches über die Beinhäuser der Innerschweiz, in: Der Geschichtsfreund. Mitteilungen des Historischen Vereins der fünf Orte Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden ob und mit dem Wald und Zug 129–130/1976–77, S. 183–214, hier S. 192. So noch 1613 im unterfränkischen Stammheim am Main belegt, vgl. Heuer: Ländliche Friedhöfe, S. 49. Hierzu besonders Odermatt-Bürgi: Volkskundliches über die Beinhäuser, S. 190. Daxelmüller, Christoph: Der Friedhof als Kommunikationsraum, der Tote als Familienmitglied. Historische Stratigraphien des Umgangs mit dem Tod, in: Leben bei den Toten, Kirchhöfe in der ländlichen Gesellschaft der Vormoderne, hrsg. von Jan Brademann und Werner Freitag, Münster 2007, S. 157–172, auf S. 162 unterscheidet man „zwischen ,ungeordneten‘ und ,geordneten Beinhäusern‘“, die nebeneinander bestanden. Bünz: Memoria auf dem Dorf, S. 295. Werner: Bemalte Totenschädel, S. 252. Einen solchen Vorwurf äußerte auch ein evangelischer Geistlicher im frühen 17. Jahrhundert. Vgl. Bünz: Memoria auf dem Dorf, S. 298. Werner: Bemalte Totenschädel, S. 250–251. Odermatt-Bürgi: Volkskundliches über die Beinhäuser, S. 204–206. Andree-Eysn, Marie: Volkskundliches. Aus dem bayrisch-österreichischen Alpengebiet. Braunschweig 1910, S. 150–151 mit Abb. 124; Werner: Bemalte Totenschädel, S. 260; Sörries: Großes Lexikon, S. 338. Ein Beleg aus dem Jahr 1793 findet sich bei Wolf: Bemalte Totenschädel, S. 182. Für Niederbayern und die Oberpfalz vgl. Wolf: Bemalte Totenschädel; Markmiller: Karner, Bein- und Seelhäusl. Höpflinger / Müller: Ossarium. Einziges Beispiel ist Greding, das einst zum Hochstift Eichstätt gehörte; ferner war bis 1960 das Beinhaus in Iphofen gefüllt. Vgl. Heuer: Ländliche Friedhöfe, S. 38–39. Zu Greding: Braun, Emanuel: Der mittelalterliche Karner von Greding. Neue Erkenntnisse zu seiner Baugeschichte und seine Rolle im Lichte der Karner in der Oberpfalz, in: Sammelblatt des Historischen Vereins Eichstätt 92/93, 1999/2000, S. 211–232; Leuschner, Peter: Das Beinhaus von Greding, in: Das Jura-Haus 11, 6/2005, S. 82–85; Langenmaier, Alexander: Der Karner in Greding, in: Der Geschichte auf der Spur. Bayerns einzigartige Denkmäler – Von den Kelten bis zum Kalten Krieg, 2. Etappe, hrsg. von Egon Johannes Greipl, München 2012, S. 94–97. Zur Kennzeichnung und Verzierung der Schädel vgl. Burgstaller, Ernst: Schädelbeschriftung und -bemalung in den österreichischen Alpenländern, in: Volkskunde im Ostalpenraum. Vorträge auf der II. Internationalen Arbeitstagung der Freien Arbeitsgemeinschaft für Ostalpenvolkskunde in Graz, hrsg. von Hanns Koren und Leopold Kretzenbacher, Graz 1961, S. 71–84; Sörries, Rainer: Bemalte Totenschädel. Eine bemerkenswerte Form der Memorialkultur in den süddeutschen und westösterreichischen Beinhäusern, in: Schädelkult. Kopf und Schädel in der Kulturgeschichte des Menschen, hrsg. von Alfried Wieczorek und Wilfried Rosendahl, Mannheim/Regensburg 2011, S. 256–261; Koudounaris, Paul: Vom Berg Athos nach Stans. Ursprünge und Verbreitung der Schädelbemalung in Europa, in: Ossarium. Beinhäuser der Schweiz, hrsg. von AnnaKatharina Höpflinger und Yves Müller, Zürich 2016, S. 210–223. Ein Beispiel für eine offenbar falsche Beschriftung bei Metken, Sigrid: Seelkerker, Schädel und Totengebein, in: Die letzte Reise. Sterben, Tod und Trauersitten in Oberbayern, hrsg. von ders., München 1984, S. 330–334, hier S. 334 Kat.-Nr. 436a. Andree-Eysn: Volkskundliches, S. 150. Burgstaller: Schädelbeschriftung, S. 75. Ebd., S. 75–78; Wolf: Bemalte Totenschädel, S. 176–181, 189–190, hier auch eine Verbreitungskarte S. 188; Werner: Bemalte Totenschädel, S. 253–256. Andree-Eysn: Volkskundliches, S. 149; Werner: Bemalte Totenschädel, S. 257. Odermatt-Bürgi: Volkskundliches über die Beinhäuser, S. 195–196. Andree-Eysn: Volkskundliches, S. 147–148. Werner: Bemalte Totenschädel, S. 259–260; Beispiele aus dem Salzburger Land bei Andree-Eysn: Volkskundliches, S. 152–153; Ein ähnliches Beispiel aus Schönau, Lkr. Regen, bei Wolf: Bemalte Totenschädel, S. 177–179. Kritisch hierzu Werner: Bemalte Totenschädel, S. 249. In Aub noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts fünf bis sechs Jahre. Vgl. Heuer: Ländliche Friedhöfe, S. 19. So 1783 für Burgkunstadt belegt. Will, Georg: Die Baugeschichte der Burgkunstadter Stadtpfarrkirche, in: Heimat-Blätter. Land am Obermain in Vergangenheit und Gegenwart 7/1954. Zum Armenseelenkult in Beinhäusern Odermatt-Bürgi: Volkskundliches über die Beinhäuser, S. 196–197.
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Zit. nach Werner: Bemalte Totenschädel, S. 248–249. Zu dieser Funktion des Beinhauses auch Bünz: Memoria auf dem Dorf, S. 296. Bärsch, Jürgen: Allerseelen. Studien zu Liturgie und Brauchtum eines Totengedenktages in der abendländischen Kirche, Münster 2004. Haimerl, Franz Xaver: Das Prozessionswesen des Bistums Bamberg im Mittelalter, München 1937, S. 76; Odermatt-Bürgi: Volkskundliches über die Beinhäuser, S. 197–198; Markmiller: Karner, Bein- und Seelhäusl, S. 19–20; Werner: Bemalte Totenschädel, S. 261; Bärsch, Jürgen: Der Kirchhof als Ort des Gottesdienstes. Liturgiegeschichtliche Beobachtungen anhand nachtridentinischer Diözesanritualien aus Köln, Münster, Osnabrück und Paderborn, in: Leben bei den Toten, Kirchhöfe in der ländlichen Gesellschaft der Vormoderne, hrsg. von Jan Brademann und Werner Freitag, Münster 2007, S. 173–191, hier S. 186. Odermatt-Bürgi: Volkskundliches über die Beinhäuser, S. 198; Markmiller: Karner, Bein- und Seelhäusl, S. 11 f.; Werner: Bemalte Totenschädel, S. 261; Bünz: Memoria auf dem Dorf, S. 294; Odermatt-Bürgi: Gebeine und ihr Haus, S. 75–76. Markmiller: Karner, Bein- und Seelhäusl, S. 2. Sörries: Bemalte Totenschädel, S. 257. Hierzu Dippold, Günter: Kostümkundliches zur Nothelfer-Erscheinung von 1446, in: Bilder – Sachen – Mentalitäten. Arbeitsfelder historischer Kulturwissenschaften. Wolfgang Brückner zum 80. Geburtstag, hrsg. von Heidrun Alzheimer, Fred G. Rausch, Klaus Reder und Claudia Selheim, Regensburg 2010, S. 349–350. Angenendt: Heilige und Reliquien, S. 132–133. Angenendt, Arnold: Zur Ehre der Altäre erhoben. Zugleich ein Beitrag zur Reliquienteilung, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 89/1994, S. 221–244, hier S. 237–244; ders.: Heilige und Reliquien, S. 153–155. Angenendt: Heilige und Reliquien, S. 155. Ebd., S. 162. Ebd., S. 168–172. Ebd., S. 160. Kühne, Hartmut: Heiltumsweisungen: Reliquien – Ablaß – Herrschaft. Neufunde und Problemstellungen, in: Jahrbuch für Volkskunde NF 27/2004, S. 42–62; Diedrichs, Christof L.: Ereignis Heiltum. Die Heiltumsweisung in Halle, in: „Ich armer sundiger mensch“. Heiligen- und Reliquienkult am Übergang zum konfessionellen Zeitalter, hrsg. von Andreas Tacke, Göttingen 2006, S. 314–360. Angenendt: Heilige und Reliquien, S. 214–225. Ebd., S. 161; Cárdenas, Livia: Friedrich der Weise und das Wittenberger Heiltumsbuch. Mediale Repräsentation zwischen Mittelalter und Neuzeit, Berlin 2002; Laube, Stefan: Zwischen Hybris und Hybridität. Kurfürst Friedrich der Weise und seine Reliquiensammlung, in: „Ich armer sundiger mensch“. Heiligen- und Reliquienkult am Übergang zum konfessionellen Zeitalter, hrsg. von Andreas Tacke, Göttingen 2006, S. 170–207. Zum Lied vgl. Degen, Daniel: Das Lied „Es ist das Heil uns kommen her“ von Paulus Speratus, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 49/2010, S. 135–162. Achermann, Hansjakob: Die Katakombenheiligen und ihre Translationen in der schweizerischen Quart des Bistums Konstanz, Stans 1979, S. 9–11; Koudounaris, Paul: Katakombenheilige. Verehrt, verleugnet, vergessen, München 2014, S. 23, S. 32–33, S. 35–36. Zur Identifizierung oder nachträglichen Namensgebung vgl. Polonyi, Andrea: Wenn mit Katakombenheiligen aus Rom neue Traditionen begründet werden. Die Wirkungsgeschichte einer Idee zwischen Karolingischer Reform und ultramontaner Publizistik, St. Ottilien 1998, S. 113–117; Koudounaris: Katakombenheilige, S. 39, 42, 45, 51. Hertling, Ludwig / Kirschbaum, Engelbert: Die römischen Katakomben und ihre Martyrer, Wien, 2. Aufl., 1955. Einen Überblick über die jüngere Forschung bietet Weiland, Albrecht: Zum Stand der stadtrömischen Katakombenforschung, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 89/1994, S. 173–198. Achermann: Die Katakombenheiligen; Polonyi: Wenn mit Katakombenheiligen, S. 63–167; Koudounaris: Katakombenheilige. Roppelt, Johann Baptist: Historisch-topographische Beschreibung des Kaiserlichen Hochstifts und Fürsten thums Bamberg, Nürnberg 1801, S. 198. Über ihn Dippold, Günter: Das Klosterleben in Banz zur Zeit Valentin Rathgebers, in: Rathgeber im Kontext. I. Internationales Rathgeber-Symposium am 3. Juni 2007 in Oberelsbach. Festschrift für Franz Krautwurst zum 85. Geburtstag, hrsg. von Erasmus und Berthold Gaß, Oberelsbach 2008, S. 35–54, hier S. 37–41.
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Über ihn Bartsch, Werner: Johann Dientzenhofer, in: 300 Jahre Dom zu Fulda und sein Architekt Johann Dientzenhofer (1663–1726). Begleitband zur Ausstellung, hrsg. von Gregor K. Stasch, Fulda 2012, S. 137–151. Dazu Bartsch, Werner: Diarium des Johann Dientzenhofer. Eine Rekonstruktion, in: 300 Jahre Dom zu Fulda und sein Architekt Johann Dientzenhofer (1663–1726). Begleitband zur Ausstellung, hrsg. von Gregor K. Stasch, Fulda 2012, S. 155–185. Ferner Bartsch, Werner: „Baumeisterin Dintzenhöfferin von Bamberg“ – ein Lebensbild, in: Bericht des Historischen Vereins Bamberg 151/2015, S. 129–170. Zu Bau und Ausstattung der Kirche Hotz, Joachim: Kloster Banz, Bamberg 1993. Staatsbibliothek Bamberg, Cal.q.22(17, 17.2.1745. Zum Transport der Reliquien allgemein Achermann: Die Katakombenheiligen, S. 38–44; Koudounaris: Katakombenheilige, S. 57, 60. Staatsbibliothek Bamberg, Cal.q.4(7, 6.5.1747. Auch die Augsburger Englischen Fräulein fassten für das Augustinerchorherrenstift Rottenbuch 1725 zwei Heilige Leiber. Schiedermair, Werner: Ein klösterlicher Briefwechsel um Heilige Leiber, in: Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 36/2002, S. 280–302, hier S. 287. Zum Vorgehen allgemein Koudounaris: Katakombenheilige, S. 67–68, 77, 81, 85–86, 91. Staatsbibliothek Bamberg, Cal.q.4(7, 26.10.1747 und Cal.q.4(8, 14.8.1748. Zu diesen verbreiteten Heiligennamen Koudounaris: Katakombenheilige, S. 45, 41. Diese Form überwog insgesamt. Vgl. Achermann: Die Katakombenheiligen, S. 93–94. Hierzu u. a. Achermann: Die Katakombenheiligen, S. 111. Zur Bedeutung solcher Reliquien Polonyi: Wenn mit Katakombenheiligen, S. 107–108. Lippert, Karl-Ludwig: Landkreis Staffelstein, München 1968, S. 58. Zum Umgang mit einzelnen Skelettteilen allgemein Koudounaris: Katakombenheilige, S. 63. Schatt, Georg Ildephons: Lebens-Abriß des Hochwürdigen und Hochwohlgebornen Herrn Gallus Dennerlein Abten und Prälaten des aufgelößten Benedictiner-Stifts Banz, Bamberg / Würzburg 1821, S. 139. Beide Klosternamen wurden nach dem Tod der beiden Mönche (1784 und 1792) nochmals verwandt, Vincentius 1784, Valerius 1799, vgl. ebd., S. 151, 154. Zur Praxis allgemein Achermann: Die Katakombenheiligen, S. 265–267; Koudounaris: Katakombenheilige, S. 106, 109. Achermann: Die Katakombenheiligen, S. 268–270; Koudounaris: Katakombenheilige, S. 104, 106. Krausen, Edgar: Die Verehrung römischer Katakombenheiliger in Altbayern im Zeitalter des Barock, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1966–67, S. 37–47, mit Beispielen aus Geisenfeld, Gars, Raitenhaslach u. a.; auch Pötzl, Walter: Katakombenheilige als „Attribute“ von Gnadenbildern, in: Jahrbuch für Volkskunde NF 4/1981, S. 168–184; Polonyi: Wenn mit Katakombenheiligen, S. 72–90, 128–131 u. ö.; Schwarz, Thomas: „Zu Freyburg will er seyn“. Die 1738 begründete Wallfahrt im Ursulinerinnenkloster zum Katakombenheiligen Felician, in: „Gold, Perlen und Edel-Gestein …“. Reliquienkult und Klosterarbeiten im deutschen Südwesten, hrsg. vom Augustinermuseum Freiburg, München 1995, S. 20–29; Koudounaris: Katakombenheilige, S. 109, 117, 120, 122, 124–126, 131–132, 137. Schweizer Beispiele bei Achermann: Die Katakombenheiligen, S. 270–287. Den einzigen näher bekannten Fall aus dem Rheinland präsentiert Plück, Beate: Der Kult des Katakombenheiligen Donatus von Münstereifel, in: Jahrbuch für Volkskunde NF 4/1981, S. 112–126. Staatsbibliothek Bamberg, Cal.q.4(6, 27.5.1746: „Jo[ann]es Michael Tretter pictor die hh leiber copirt“. Schiedermair, Werner: Die Waldsassener Heiligen Leiber, in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 38/2004, S. 357–368, ebenso in: Stiftsbasilika Waldsassen. Raumgestaltung – Bewahrung – Instandsetzung, hrsg. von Kirchenstiftung Waldsassen, Regensburg 2017, S. 69–79. Über ihn Schiedermair, Werner: Adalbert Eder. Meister der Klosterarbeiten, in: Barocke Klosterarbeiten, hrsg. von Hans Frei und Werner Schiedermair, Oberschönenfeld 2001, S. 7–20, hier bes. S. 16–18. Hierzu Krausen: Die Verehrung römischer Katakombenheiliger in Altbayern, S. 44–45; Schiedermair: Die Waldsassener Heiligen Leiber. Dippold, Günter: Die Klostersäkularisation von 1802/03. Das Beispiel Langheim, Bayreuth 2003, S. 29. Zum Umgang mit Heiligen Leibern bei der bayerischen Klostersäkularisation von 1803 Krausen, Edgar: Schicksale römischer Katakombenheiliger zwischen 1800 und 1980, in: Jahrbuch für Volkskunde NF 4/1981, S. 160–167, hier S. 160–163. Im Kloster Geisenfeld wurde der Heilige Leib 1803 seines Schmucks beraubt, vgl. Koudounaris: Katakombenheilige, S. 139. Im Rottenbuch wurden mehrere Katakombenheilige verkauft, ebenso in einem Münchner Nonnenkloster, vgl. ebd., S. 154, 157, 159, 178.
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GRUFTMUMIEN Hintergründe ihrer Entstehung und ethische Aspekte In zahlreichen europäischen Gruftgewölben ruhen mumifizierte Leichname aus den vergangenen fünf Jahrhunderten, viele davon werden gezeigt und – mitunter ethisch fragwürdig – als touristische Attraktion vermarktet. Kuriose und mysteriöse Erklärungen zu ihrer Entstehung sollen dabei auch die Merkwürdigkeit eines Phäno mens unterstreichen, das naturwissenschaftlich problemlos er klärbar ist.
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Jahrmarktsattraktion Als „biologisches Wunder“, das bis heute „wissenschaftlich ungelöst“ sei, wird die Mumie des märkischen Landadeligen Christian Friedrich von Kahlbutz (1651–1702) als „Ritter Kahlbutz“ in der Dorfkirche von Kampehl bei Neustadt/Dosse wie eine Jahrmarktsattraktion aus vergangenen Jahrhunderten zur Schau gestellt.1 In der Tat ist die durch natürliche Austrocknung entstandene Mumie hervorragend erhalten, aber bei weitem nicht die einzige ihrer Art. Bereits Theodor Fontane hat in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ nicht nur diesen, sondern auch andere gut konservierte Leichname beschrieben,2 Adolf von Menzels Zeichnungen von Mumien aus der Gruft unter der Berliner Garnisonkirche zeigen mitunter Portraitähnlichkeit.3
Entstehung und Faszination In den vergangenen Jahrzehnten konnten von der Forschungsstelle Gruft in Lübeck in zahlreichen Grüften gehobener sozialer Schichten im nördlichen und mittleren Deutschland Mumien in unterschiedlichen Erhaltungszuständen dokumentiert werden. Trockenmumien sind aus ganz Europa bekannt, wobei in diesem Kontext die katholischen Mumiengrüfte mit Ausstellungscharakter wie in Palermo, Rom, Savoca oder Venzone ausdrücklich nicht behandelt werden: Bei ihnen handelt es sich um lokal und zeitlich begrenzte Kulturerscheinungen, deren religiöse und soziohistorische Hintergründe sich vollständig von den Beispielen nördlich der Alpen unterscheiden.4 Seit dem 19. Jahrhundert üben Mumien eine besondere Faszination aus, weswegen das Phänomen auch vielfach in unterschiedlichen Medien wie Büchern und Filmen rezipiert wird.5 Zu den Hintergründen gehören sowohl religiöse als auch „volksgläubische“ Vorstellungen, nach denen ein Leichnam mit Erhaltung der Weichteile wieder zum Leben erweckt werden kann. Das Nichtverwesen eines Leichnams wird viel-
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fach entweder mit einer Heiligmäßigkeit oder einer Verfluchung des Verstorbenen in Verbindung gebracht, wie es auch im Falle von Christian Friedrich von Kahlbutz erzählt wird, dem ein Mord zur Last gelegt wurde.6 Die Faszination von Mumien lässt sich psychologisch durch die sogenannte „Angstlust“ erklären, da die Wahrnehmung des angstauslösenden Reizes durch einen toten Körper aufgrund des Bewusstseins einer ausbleibenden Gefahr – der Leib wird sich, so ähnlich er dem Verstorbenen noch sehen mag, in keinem Falle wieder regen – neutralisiert wird und einen „wohligen Schauer“ hervorruft.7 Erste literarische Verarbeitungen sind geprägt durch das Zusammenspiel der Nachwirkungen von Napoleons Ägyptenfeldzug und öffentlichen Mumienauswicklungen, den sogenannten „Mumienparties“ vor allem im frühen 19. Jahrhundert, sowie galvanischen Experimenten, mit denen angeblich Tote wieder zum Leben erweckt werden konnten.8
Ruhe- und Auferstehungsorte Auch in deutschen Grüften werden mumifizierte Leichname gezeigt, wie beispielsweise im brandenburgischen Illmersdorf, in Nedlitz in Sachsen-Anhalt oder im sächsischen Riesa.9 Während die Präsentation in Nedlitz zu teils öffentlich ausgetragenen Kontroversen geführt hat,10 entschied man sich in Riesa für ein sensibleres Konzept. Die Gruftbesichtigung ist dort zwingend mit einer Kirchenführung verbunden, was impliziert, dass die Besucher auf die Würde des Ortes und ein entsprechend respektvolles Verhalten hingewiesen werden.11 Gerade Jugendliche reagieren angesichts von menschlichen Überresten oft mit albernem und großspurigem Benehmen,12 woraus auch eine Unsicherheit gegenüber dem Themenkomplex Sterben, Tod und Trauer spricht.13 Jedes christliche Grab, jede Gruft und jedes Mausoleum ist nämlich primär Ruhe- und Auferstehungsort, jeder Leichnam der Überrest eines Individuums, für das auch nach seinem Tod Artikel 1 des Grundgesetzes gilt.14 Welche Einrichtung oder Institution auch immer Leichname
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aufbewahrt, sei es offen präsentiert oder verborgen, hat sie, juristisch gesprochen, in „Gewahrsam“. Inwiefern der Besitz eines Leichnams oder der Eigentumserwerb eines solchen möglich ist, wird unter Juristen diskutiert beziehungsweise gibt es hier Grauzonen, was vor allem für nichtverweste Tote gilt.15 In jedem Falle ist ein verantwortungsvoller Umgang mit menschlichen Überresten angeraten, verbunden mit der Frage, zu welchem Zweck eine öffentliche Ausstellung geschieht. Grundsätzlich ist festzustellen, dass für Leichname, die, zusätzlich zu einem Innensarg für die Aufbahrung und / oder Überführung, in einem gut verschraubten Außensarg liegen, niemals eine öffentliche Zurschaustellung angedacht war. Auch der wissenschaftliche Wert einer solchen Präsentation, die sich wohl niemand für seine Verwandten wünschen würde, ist nicht gegeben. Ob der Glaube an eine Erleichterung der fleischlichen Auferstehung zu Vorkehrungen zur Erhaltung des Leichnams geführt haben mag, wird seit einigen Jahren in der Forschung diskutiert.16 Zweifellos wird die leibliche Auferstehung nach christlichem Glauben bis an die Schwelle der Moderne als ebenso selbstverständlich angesehen wie eine bewusste Unterstützung der Leibeserhaltung unnötig ist. Zahlreiche Inschriften auf Särgen, vor allem aus dem 17. bis 18. Jahrhundert, geben entsprechende Bibelzitate wieder, allen voran Hiob 19,25–27: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt und er wird mich hernach aus der Erde auferwecken und werde danach mit dieser meiner Haut umgeben werden und werde in meinem Fleisch Gott sehen“ (Abbildung 1). Wenngleich Luther die Stelle inkorrekt übersetzt hat und die eigentliche Aussage in Wirklichkeit das Gegenteil, nämlich das Vergehen des Fleischlichen behandelt, so ist der Vers doch vielfach in der genannten Form tradiert worden.17 Auch Jesaja 26,19 und Hesekiel 37,1–14 mit ihren apokalyptischen Auferstehungsvisionen werden immer wieder auf frühneuzeitlichen Särgen oder an den Wänden von Gruftkammern zitiert. Dahinter verbirgt sich zumindest für protestantische Grablegen die Luther’sche Auferstehungstheologie vom „Todesschlaf “, denn der Reformator stellt
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sich die Zeit zwischen Tod und Auferstehung als „tiefen, starken, süßen Schlaf “ vor; Sarg und Grab versteht er als Christi Schoß oder ein Ruhebett, ja als Paradies.18 Die aufgeführten Zitate sind daher wohl auch als Beschwörung der eigenen Auferstehung mit Gott als Adressaten zu deuten. Eine erfreulich klare Aussage über den Glaubensinhalt befindet sich auf der Deckelplatte des Sarges von Christian zu Putbus in Vilmnitz auf Rügen von 1663: „Gott wolle dem Körper eine sanfte Ruhe und am Jüngsten Tage eine fröhliche Auferstehung und mit der Seele Vereinigung geben.“ Eine Grablege folglich, wie oben gesagt, als Ruheund Auferstehungsort wahrzunehmen, impliziert, dessen Würde zu respektieren und sich seiner Verantwortung für die Beigesetzten bewusst zu sein, falls man als Besitzer einer Gruft diese öffentlich zugänglich machen möchte. Die Abwägung zwischen wissenschaftlichem bezie-
1 Hiob 19,25–27 auf einem Sarg von 1667 (Augusta von Rantzau, 1667, BuchwaldtGruft in Dänischenhagen bei Kiel) (Quelle: Regina Ströbl / Andreas Ströbl, Forschungsstelle Gruft, Lübeck)
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hungsweise öffentlichem Interesse und bloßer Schaulust, ja Voyeurismus, ist ein hochsensibler Prozess mit Beteiligten, die sich nicht mehr äußern können.19
Mumifizierung und Mumifikation Da Grüfte oft über viele Generationen hinweg belegt wurden, mussten sie hygienischen Grundvoraussetzungen genügen und gefahrlos begehbar sein. Wesentlich dafür war der Einbau von Belüftungsfenstern und, bei mehrstöckigen oder tief unter den Gebäuden liegenden Kammern, von Schächten, welche die Feuchtigkeit abführten und dadurch die Entstehung gesundheitsgefährdender Ausdünstungen verhinderten. Dies führte zur natürlichen Austrocknung der Bestattungen. In der weitläufigen Gruft unter der Berliner Parochialkirche beispielsweise sind alle 30 Kammern durch Fenster miteinander verbunden, die Kammern an den Außenwänden verfügen über entsprechende Fenster nach draußen. Querlüftung mit einem stetigen Luftzug verhindert Schimmelbildung. Es gibt aber zahlreiche Beispiele, in denen die bloße Entnahme von Organen zwecks Aufbahrung und / oder Überführung eine Mumifikation begünstigt hat. Im Gegensatz zur künstlichen Mumifizierung bezeichnet Mumifikation die natürliche Austrocknung.20 Der im heißen Sommer 1838 verstorbenen Caroline von der Wense, Äbtissin des Klosters Lüne in Lüneburg, hatte man die Bauchhöhle zur Entfernung der Eingeweide geöffnet und hernach wieder vernäht, um die Verwesung hinauszuzögern. Allerdings war die beleibte Äbtissin im Kloster gestorben und in der Äbtissinnengruft unter der Barbarakapelle beigesetzt worden, musste also nicht überführt werden; die Vorkehrungen dienten lediglich einer für die Trauergäste angenehmen Aufbahrung.21 Das gleiche gilt für zwei sehr ähnlich behandelte Mumien aus der Johanniterkirche in Mirow, bei denen es sich wahrscheinlich um Christine Emilie von Schwarzburg-Sonderhausen (1681–1751) und Georg Carl von
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Hessen-Darmstadt (1754–1830), einem Onkel von Königin Luise, handelt.22 Christine Emilie starb im November, Georg Carl am 28. Januar, sie wahrscheinlich, er sicher im 30 Kilometer entfernten Neustrelitz.23 Georg Carl wünschte keine öffentliche Aufbahrung;24 allerdings war nicht klar, ob sein Leichnam nicht doch nach Hessen überführt werden sollte, was eine entsprechende Organentnahme erklären würde.
Überführung und Konservierung Ein Beispiel für einen einfachen Überführungssarg aus Blei ist der von August Friedrich von Braunschweig-Lüneburg (1657–1676) in der Welfengruft unter der Wolfenbütteler Hauptkirche Beatae Mariae Virginis. Der Herzog wurde bei der Belagerung der Feste Philippsburg bei Frankfurt am Main durch einen Schuss in den Hinterkopf getroffen, woran er 13 Tage später starb.25 Durch die schlechte Erhaltung des Schädels lässt sich zwar nicht die Schussverletzung, wohl aber die Öffnung des Schädels mittels eines Sägeschnitts zur Entnahme des Gehirns in Vorbereitung der Überführung nachweisen. Auch der Schädel seines Verwandten Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel (1564–1613), der durch Hexenverbrennungen und seine Judenfeindlichkeit traurige Berühmtheit erlangte, weist eine solche aufgesägte Öffnung auf. Der Erhaltung der Leichname in der Unteren Fürstengruft im Dom zu Schleswig wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt. So wurden fünf verschiedene Methoden dokumentiert, die den jeweiligen Körper vor der Zersetzung / Verwesung bewahren sollten. Erst bei der wissenschaftlichen Untersuchung wurde offensichtlich, dass ein Großteil der Leichname präpariert worden war.26 Teils wurden die Leichname für Überführungen und / oder Aufbahrungen konserviert. König Friedrich I. ist der einzige dänische Herrscher der Neuzeit, der nicht in Dänemark bestattet wurde. Der Leichnam des 1533 gestorbenen Königs wurde in besonderer Weise präpariert, sollte sein Sarg doch im Rahmen einer Übergangslösung 22 Jahre im nordwestlichen Schiff
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des Doms zu Schleswig aufgebahrt stehen, bevor er 1555 als erster in die Schleswiger Gruft kam. Bei den Resten der durch Plünderung stark gestörten Bestattung konnte zumindest festgestellt werden, dass sein Leichnam von einer Lehmhülle und Textilien umgeben war; die Unterlage bestand aus Lehm, Kalk und Lorbeerblättern. Tragischerweise starben zwei Prinzen aus dem Hause Schleswig-Holstein-Gottorf auf ihrer gemeinsamen Kavalierstour: Friedrich im Jahre 1654 im Alter von 19 Jahren in Paris und sein Bruder Johann Georg 1655 mit 17 Jahren in Suessa bei Neapel.27 Beide Leichname mussten also über eine lange Wegstrecke nach Schleswig überführt werden. Der Körper von Friedrich war dafür kunstvoll mumifiziert worden. Die Behandlung seines Leibes durch spezielle Schnitte, um die Flüssigkeit aus dem Körper zu entfernen, und die Analyse der Pflanzenreste in der Bauchhöhle durch Botanikerinnen des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel ergab frappante Übereinstimmungen mit der Methode des französischen Chirurgen Ambroise Paré (um 1509/10–1590).28 Der Leichnam von Friedrichs Bruder, Johann Georg, war, zusätzlich zu den ebenfalls bei ihm beobachteten Schnitten, mit einer Schicht aus Gips überzogen worden, wobei die Gipsmasse mit Blei und Arsen versetzt worden war, um den Leichnam vor dem Befall durch Insekten oder Nagetiere zu schützen.29 Eine weitere, hervorragend erhaltene Mumie in dieser Grablege ist die von Herzog Adolf (1600–1631), der im Dreißigjährigen Krieg kurz nach der Schlacht bei Breitenfeld im sächsischen Eilenburg seinen Verletzungen erlag (Abbildung 2).30 Bis auf einen Brustschnitt zur teilweisen Organentnahme weist der Leichnam allerdings keine weiteren offensichtlichen Eingriffe auf. Welche Konservierungsmethoden zur Anwendung kamen, ist nicht sichtbar: Seine Kleidung wurde aus Gründen der Pietät während der Dokumentation nicht entfernt. Allerdings konnte eine nichtinvasive und störungsfreie computertomographische Untersuchung im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel die sehr wahrscheinliche Todesursache klären: eine Fett- oder Lungenembolie infolge einer Schussverletzung.
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2 Portrait-Aquarell des 1631 gestorbenen Adolf von Schleswig-Holstein-Gottorf (Quelle: Andreas Ströbl)
Arbeitsweise der Lübecker Forschungsstelle Gruft Die von den Verfassern 2011 gegründete Lübecker Forschungsstelle Gruft dokumentiert Grüfte und Mausoleen im gesamten Bundesgebiet. Allerdings bearbeiten die beiden Kulturwissenschaftler bereits
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seit 2000 neuzeitliche Grabanlagen. In Zusammenarbeit mit Kirchen, Denkmalbehörden und Restauratoren aller Disziplinen setzen sie sich für die Rettung von Grablegen ein, die oft durch Plünderungen und Feuchtigkeit beschädigt sind.31 Oberstes Ziel bei den bislang rund 50 Projekten ist die Wiederherstellung der Würde der Bestattungsorte. Interdisziplinarität prägt die wissenschaftliche Arbeit und umfasst die Bereiche Archäologie, Kunstgeschichte, Textilarchäologie, Anthropologie, Theologie und Volkskunde. Zu anderen Fachrichtungen wie Geschichte, Botanik und Rechtsmedizin beziehungsweise den entsprechenden Instituten unterschiedlicher Universitäten bestehen intensive Kontakte. Auftraggeber sind Denkmalämter, Kirchgemeinden oder Privatpersonen. In Publikationen, Vorträgen und der Zusammenarbeit mit Medien werden die Ergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bis auf eine einzige Ausnahme hat sich die Forschungsstelle dafür entschieden, auf eine Präsentation von Mumien oder auch nur Knochen in den bearbeiteten Grablegen zu verzichten. Die mecklenburgischen Herzogsgrüfte in Wolgast, Mirow und Schwerin können besichtigt werden, ebenso wie die Welfengruft unter der Wolfenbütteler Hauptkirche Beatae Mariae Virginis oder Grablegen des Landadels im ostfriesischen Dornum und Loga/Leer, aber es werden ausschließlich geschlossene Särge gezeigt; eine respektvolle Distanz zu den Bestattungen ist jeweils durch Glastüren oder Gitter gewährleistet. In der Ausstellung unter der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis, dem „Michel“, befinden sich die Bestattungen ohnehin unter den Sandsteinplatten, die den Fußboden des ausgedehnten Gewölbes bilden. Andere Befunde wie die zahlreichen Landadelsgrüfte im nördlichen und mittleren Deutschland werden beispielsweise zum „Tag des offenen Denkmals“ interessierten Besuchern bedingt zugänglich gemacht. In unseren Vorträgen und Publikationen wird eigens angefertigten Aquarellen des gesamten Leichnams oder mit Portraitcharakter sowie wissenschaftlichen Befundzeichnungen der Vorzug vor Photographien gegeben, wodurch eine ästhetische Distanz entsteht (Abbildung 2).
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Die oben angesprochene Ausnahme ist die Gruft unter der barocken Kirche St. Joseph in Hamburg an der Großen Freiheit im Stadtteil St. Pauli, der früher zu Altona gehörte. St. Joseph war die erste nach der Reformation in Norddeutschland erbaute katholische Kirche. Unterhalb der Kirche entstand 1718 das Gewölbe der ehemals größten katholischen Gruft Nordeuropas mit 282 verzeichneten Bestattungen in fünf Räumen unterschiedlicher Größe. Beisetzungen im Gruftgewölbe wurden bis 1868 vorgenommen, während sie im französisch besetzten Hamburg im frühen 19. Jahrhundert verboten und eingestellt worden sind. Noch in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts schilderten beeindruckte Besucher der Gruft die hervorragende Erhaltung der durch natürliche Austrocknung mumifizierten Leichname in den aufeinander gestapelten, teils kostbaren Särgen. Bombenangriffe trafen im Jahre 1944 die Kirche schwer, danach waren die Gruftgewölbe für jedermann zugänglich. Es regnete in die Gruftkammern, die Sargbretter dienten als Brennholz, metallene Beschläge wurden entwendet und auf dem Schwarzmarkt verkauft.32 Die Sarginhalte wurden bei Aufräumarbeiten im Jahre 1952 lieblos in zwei Kammern geschüttet und erst 2011 bei Umbauarbeiten durch Zufall wiederentdeckt. Bei unserer wissenschaftlichen Dokumentation und Beräumung erschienen Beschlagreste, eine Menge an Textilien – darunter zwei prächtige seidene Priesterkaseln – und zahlreiche Beigaben. Die Mumien waren allerdings infolge der starken Feuchtigkeit fast vollständig skelettiert, die Knochen sind keinem Individuum mehr namentlich zuzuordnen. Die kirchlichen Auftraggeber und die ausführenden Wissenschaftler waren sich einig, dass die Gebeine der in der Gruft Beigesetzten dort verbleiben und wieder eine würdige Ruhestätte erhalten sollten. So entstand die Idee, in alter christlicher Tradition ein Beinhaus einzurichten. Solche Ansammlungen menschlicher Überreste aus Gräbern haben zwar immer pragmatische Hintergründe, weil die Knochen aus unterschiedlichen Gründen am jeweiligen ursprünglichen Ort nicht mehr verbleiben konnten. Ebenso aber sind Beinhäuser Räume der Totenehrung und haben meist Kapellencharakter.
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3 Andachts- und Ausstellungsraum unter St. Joseph in Hamburg St. Pauli (Quelle: Regina Ströbl / Andreas Ströbl, Forschungsstelle Gruft, Lübeck)
Gerade an einem moralisch labilen Ort, wie der Großen Freiheit mit all ihren bunten Neonlichtern und Bordellen, durfte dieses Ossarium weder als Touristenattraktion mit Grusel-Effekt dienen noch überladen-kitschig wirken. Daher wurden die Knochen diskret auf Holzregalen in der wiederentdeckten Gruftkammer hinter dem ursprünglichen barocken Zugang in reduzierter Ornamentik nach dem Vorbild mediterraner Beinhäuser dicht gesetzt und stabil miteinander verbaut. Ein Bibelzitat über dem Zugang und ein Kruzifix im Inneren definieren die Kammer als eigenständigen sakralen Raum, der durch eine Glasscheibe verschlossen ist. Auf Wunsch der Gemeinde wurde der direkt an die Beinhauskammer angrenzende Raum zu einem Andachtsraum mit „Memento mori“-Charakter umgestaltet, in dem sich die angemeldeten und geführten Besucher auch über die Geschichte der Kirche und die Gruft informieren können (Abbildung 3). In den planlos aufgeschütteten Haufen der Sarginhalte waren auch nach den Plünderungen noch verschiedene Gegenstände erhalten, von denen eine Auswahl restauriert wurde, die in vier eigens in die neue Backstein-Wandverblendung
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4 Pastor Michael Jurk bei einer Aussegnung in der Gruft derer von Bredow in Wagenitz/Havelland (Quelle: Regina Ströbl / Andreas Ströbl, Forschungsstelle Gruft, Lübeck)
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eingebauten Vitrinen gezeigt werden. Texttafeln erzählen von den teils prominenten Beigesetzten, Zeugnisse persönlicher Frömmigkeit und verschiedene Beigaben wie Schmuck oder Spielzeug, die man den Toten mit in den Sarg gelegt hatte, illustrieren das Bestattungsbrauchtum und individuelle Schicksale. Die wenigen Reste der einst prachtvollen Särge lassen ahnen, was hier an Kulturgut verlorengegangen ist. Zu Allerseelen 2015 eröffnete das Bistum Ausstellung und Beinhaus und weihte es mit einer katholischen Zeremonie. Spätestens als sich Mitglieder der Gemeinde vor dem Beinhaus bekreuzigten, wurde deutlich, dass das Konzept aufgegangen war. Das mediale Echo respektive des Ortes und der bunten Hamburger Presse in den folgenden Monaten war erstaunlich diskret und das Wort „Grusel“ auch in den Boulevardblättern nur selten zu lesen.33 Offenbar hatten die freundlichen, aber deutlichen Hinweise auf den sakralen Charakter des Befundes seitens der Kirche und der Wissenschaftler bei den Journalisten Wirkung gezeigt. Nach den wissenschaftlichen und restauratorischen Arbeiten veranstaltet die Forschungsstelle Gruft zusammen mit den jeweiligen Pastoren des betreffenden Projekts, wenn irgend möglich, einen abschließenden Gottesdienst oder zumindest eine kleine Andacht, in welcher der Verstorbenen noch einmal gedacht wird. Texte und Gebete sollen den Toten nach der Rückbettung in die restaurierten Särge ein würdiges letztes Geleit geben (Abbildung 4). Angesichts der durch Plünderungen und unsachgemäße Lagerung entstandenen würdelosen Zustände in fast allen bisher untersuchten Grüften sollte solch eine Zeremonie im Sinne der Beigesetzten sein. Dr. Andreas Ströbl Forschungsstelle Gruft, Lübeck Dr. Regina Ströbl Forschungsstelle Gruft, Lübeck
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Aufderheide, Arthur: The geography of mummies, in: The Scientific Study of Mummies, hrsg. von dems., Cambridge 2003, S. 170. Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Berlin 1873, Band 3: Ost-Havelland, S. 161. Keisch, Claude / Riemann-Reyher, Marie Ursula (Hrsg.): Adolph Menzel 1815–1905: Das Labyrinth der Wirklichkeit. Katalog zur Ausstellung im Alten Museum Berlin, Berlin 1996, S. 265, 267, 268. Ströbl, Regina / Ströbl, Andreas: Weltberühmt und kaum erforscht – Die Catacombe dei Cappuccini in Palermo, in: Das Altertum, 1/2021, S. 45, 62. Ströbl, Andreas: Schlagwort „Mumie“, in: Großes Lexikon der Friedhofs- und Bestattungskultur – Wörterbuch zur Sepulkralkultur, Band 4: Medienkultureller Teil: Von Absurdes Theater bis Zombie, hrsg. vom Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel, Frankfurt am Main 2020, S. 159–161. Aufderheide: The geography of mummies, S. 170. Ströbl: Schlagwort „Mumie“, S. 160. Ebd. Beispiele sind „The Mummy! Or a Tale of the Twenty-Second Century“ (1827) von Jane Loudon, „Le pied de momie“ (1840), „Egypte“ (1851) und „Le Roman de la momie“ (1858) von Théophile Gautier, „Das Geheimnis der Mumie“ (1885) von Alfred Niemann, „Lost in a Pyramid; or, The Mummy’s Curse“ (1869) von Luisa May Alcott sowie „The Ring of Thoth“ (1890) und „Mummy Number 249“ (1892) von Arthur Conan Doyle. Es ist schwer zu sagen, wieviele Mumien es noch in deutschen Grüften gibt. Bei aktuellen Untersuchungen werden nach wie vor bislang völlig unbekannte Mumien entdeckt, andererseits skelettieren Mumien undokumentiert bei schlechten, also feuchten Lagerungsbedingungen. Die Zahlen gehen in die Hunderte; vor dem Zweiten Weltkrieg dürften es mehrere Tausend gewesen sein. Fricke, Matthias: Herr Hake hatte Gallensteine. Wissenschaftler untersuchen 300 Jahre alte Leichen – Kirchenvertreter kritisieren Ausstellung, in: Volksstimme, 13.4.2013. Scheiter, Martin: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt (Hiob 19,25), in: Geschichten über den Tod hinaus – Die Grüfte in der Klosterkirche Riesa, hrsg. von Stadtmuseum Riesa und der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde, Königsbrück 2021, S. 7. Erfahrungsberichte der Kuratoren und Aufsichtskräfte im Rahmen der Ausstellung „Mumien. Körper für die Ewigkeit“ vom 30. September 2007 bis 24. März 2008 im Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim sowie vom 17. November 2009 bis 25. April 2010 im Museum für Sepulkralkultur in Kassel. Freundliche Auskunft von Dipl. Psych. Manfred Ströbl, Koblenz. Hönings, Lara: Rechtswissenschaftliche Grundlagen im Umgang mit (historischen) Gruftbestattungen, in: Grüfte retten! Ein Leitfaden zum pietätvollen Umgang mit historischen Grüften, hrsg. von Dirk Preuß, Regina und Andreas Ströbl und Dana Vick (= Friedhofskultur heute 5), Frankfurt am Main 2014, S. 32: „Der Schutz des Grundgesetzes endet für den Menschen nicht mit dem Tod. Obwohl Tote selbst nicht Rechtssubjekt sein können, schützt Art. 1 Abs. 1 GG nach allgemeiner Auffassung die Würde des Verstorbenen. […] Dieser Schutz schwindet jedoch, ebenso wie der sachenrechtliche Sonderstatus des Leichnams mit der Zeit, ohne dass eine genaue zeitliche Grenze festgelegt werden kann.“ Siehe hierzu auch BVerfGE 30, 173 (194) und Philip Kunig, Art. 1, in: Grundgesetz. Kommentar, Band 1, hrsg. von Ingo von Münch und Philip Kunig, München 2021, S. 56–120. Da der Leichnam immer auch Rückstand der Persönlichkeit ist und die Achtung, die dem Lebenden entgegengebracht wurde, auch dem Toten gegenüber aufrechtzuerhalten ist, gilt der Leichnam als res extra commercium, das heißt, als dem Rechtsverkehr entzogen. „Dies bedeutet, dass trotz der Sachqualität des Leichnams keine Rechte an diesem erworben werden können, folglich auch kein Eigentum am Leichnam bestehen kann. Der Leichnam ist jedoch nicht dauerhaft dem Rechtsverkehr entzogen. Sobald der Rückstand der Persönlichkeit vollständig verblichen ist, werden die menschlichen Überreste Teil des Rechtsverkehrs. Es handelt sich dabei um einen Prozess, dessen Ende nicht pauschal definierbar ist. Je länger der Mensch bereits tot ist, desto weniger Persönlichkeitsrückstand ist vorhanden; ein fester Zeitraum lässt sich hierfür jedoch nicht nennen. Sicher ist allerdings, dass dieser Prozess bei Mumien und Skeletten bereits abgeschlossen ist und diese Gegenstand fremder Rechte sein können. An ihnen kann also ohne weiteres Eigentum erworben werden.“ (Hönings 2014, S. 26). Einer solchen sachenrechtlichen Position steht in der juristischen Diskussion die personenrechtliche gegenüber: „Die Anhänger eines persönlichkeitsrechtlichen Ansatzes lehnen bereits die Einordnung des Leichnams als Sache im Rechtssinne ab. Vielmehr sei der Körper des toten Menschen Rückstand der Persönlichkeit, der Gegenstand der Totenehrung sei.“ (Roth, Carsten:
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Eigentum an Körperteilen – Rechtsfragen der Kommerzialisierung des menschlichen Körpers, Heidelberg 2009, S. 125). Diese Haltung lässt sich – auch in Bezug auf völlig skelettierte Leichname – noch erweitern: „Er [der Leichnam] ist als Schutzobjekt sui generis ein Gegenstand familiärer Pietät, aber nicht des Rechts.“ (von Aretin, Cajetan: Recht und Pietät. Vom Umgang mit verstorbenen Landesfürsten, in: Memoria im Wandel. Fürstliche Grablegen in der Frühen Neuzeit und im 19. Jahrhundert, hrsg. von Winfried Klein und Konrad Krimm (= Oberrheinische Studien 35), Ostfildern 2016, S. 221–241, hier S. 229). Siehe hierzu Sörries, Reiner: Schlagwort „Unverweste Tote“ in: Großes Lexikon der Friedhofs- und Bestattungskultur – Wörterbuch zur Sepulkralkultur, Band 1: Volkskundlich-kuturgeschichtlicher Teil: Von Abdankung bis Zweitbestattung, hrsg. vom Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel, Braunschweig 2002, S. 366 sowie Bergmann, Axel: Deskription, Rezeption und Tradition in der nachägyptischen Geschichte der dauerkonservierenden Humanbestattung, in: Geschichte und Tradition der Mumifizierung in Europa, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V., Kassel 2011, S. 149–159. Luther, Martin: Die Bibel, oder die ganze Heilige Schrift des alten und neuen Testaments. Halle 1784, S. 539. Siehe hierzu auch Bergmann: Deskription, Rezeption und Tradition, S. 153. Luther, Martin: Vorrede zu den Begräbniß-Gesängen von 1542, in: D. Martin Luthers Werke, Band 35, Weimar 1883–2009, S. 477–483. Siehe Ströbl, Regina / Ströbl, Andreas: Mumien und Grüfte –Faszination ohne Gruselfaktor, in: Collatz 2021, S. 1–6. Kleiss, Ekkehard: Zum Problem der natürlichen Mumifikation und Konservierung, in: Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie 2/1976, S. 204–213; Bromley, Richard: Spurenfossilien – Biologie, Taphonomie, Anwendungen, Berlin 1999. Die ehemalige Körperfülle weist die Mumie bis zum heutigen Tage auf. Da diese Leichname bei Plünderungen umgelagert wurden, ist eine zweifelsfreie Zuordnung nicht möglich. 1990 hatte man sie provisorisch in einen Sarg gelegt. Freundliche Auskunft von Sandra Lembke (Neustrelitz). Nach zum Zeitpunkt der Niederschrift unpublizierten Recherchen zum Briefwechsel von Großherzog Georg von Mecklenburg-Strelitz mit Großherzog Ludwig von Hessen und bei Rhein im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt von Sandra Lembke (Neustrelitz). Ferdinand Spehr, August Friedrich, Prinz von Braunschweig, in: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Band 1, Leipzig 1875, S. 662–663. Insgesamt weisen zehn Mumien beziehungsweise Skelette aus der Zeit von 1533 bis 1655 Eingriffe zur Organentnahme oder Konservierung des Leichnams auf, die mit längeren Aufbahrungszeiten und / oder Überführungen zusammenhängen. Siehe hierzu Jungklaus, Bettina / Ströbl, Regina / Ströbl, Andreas: Bericht zu Särgen und Bestattungen aus der Unteren Fürstengruft am Schleswiger Dom, Oktober 2020 (Bericht beim Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland); Jungklaus, Bettina: „Das Leben ist nur ein Moment, der Tod ist auch nur einer.“ Ergebnisse der osteoanthropologischen Analysen an den sterblichen Überresten der Bestatteten aus der „Unteren Fürstengruft“ im Schleswiger Dom; PreußWössner, Johanna u. a.: Fürstlicher Besuch im CT – Klärung der Todesursache bei einer Mumie durch Bildgebung; Ströbl, Regina / Ströbl, Andreas: „… wie man die verstorbene Leichnam und Todten Cörper einwürtzen und Balsamieren soll“ – Aspekte zur Leichenkonservierung in der Frühen Neuzeit. Alle drei Beiträge in: Collatz 2021. Ellger, Dietrich: Die Kunstdenkmäler der Stadt Schleswig, Band 2: Der Dom und der ehemalige Dombezirk, hrsg. von Hartwig Beseler, München / Berlin 1966, S. 518. Kirleis, Wiebke / Reiser, Tanja / Reuter, Anna Elena: Ergebnisse der Beprobung aus der Unteren Fürstengruft (UFG) des St. Petri-Domes zu Schleswig, Institut für Ur- und Frühgeschichte der Christian-AlbrechtsUniversität Kiel, Unpublizierter Bericht vom 16. Dezember 2018. Krause, Rüdiger / Helfert, Markus: Untersuchung einer Probe aus Schleswig mittels portabler energiedispersiver Röntgenfluoreszenzanalyse, Institut für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Unpublizierter Bericht vom 25. Februar 2022. Heinrich Handelmann, Herzog Adolf von Holstein-Gottorp, postulirter Coadjutor des Stiftes Lübek, kaiserlicher Kriegs-Oberst unter Tilly und Waldstein, in: Jahrbücher für die Landeskunde der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, Band VIII, hrsg. von der S. H. L. Gesellschaft für vaterländische Geschichte, Kiel 1866, S. 78 f. sowie von Schröder, Johannes: Geschichte und Beschreibung der Stadt Schleswig, Schleswig 1827, S. 141; Ellger: Die Kunstdenkmäler der Stadt Schleswig, S. 517.
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Preuß, Dirk / Ströbl, Regina / Ströbl, Andreas / Vick, Dana: Grüfte retten! Ein Leitfaden zum pietätvollen Umgang mit historischen Grüften (= Friedhofskultur heute 5), Frankfurt am Main 2014. Katholische Kirchengemeinde St. Joseph-Altona (Hrsg.): St. Joseph-Altona – Festschrift 1594–1994, Hamburg 1994, S. 39–40. So brachte die Hamburger „Morgenpost“ am 2. November 2015 auf ihrer Titelseite einen Beitrag mit dem Titel „St. Paulis geheimer Knochenkeller“. Am 3. Juli 2021 titelte das Blatt „Die Schädel-Gruft vom Kiez“, das Wort „Grusel“ erschien mehrfach im Artikeltext. Die plakative Berichterstattung beschränkte sich aber auf die aufgeführten Fälle.
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DIE VIER NACHLEBEN VON MUMIEN UND MENSCHLICHEN ÜBER RESTEN Beispiele aus dem vorspanischen Südamerika Seit dem 19. Jahrhundert finden sich Mumien und skelettierte mensch liche Überreste aus dem vorspanischen Südamerika in großer An zahl in Sammlungen in Europa und Nordamerika. Dennoch scheinen derzeit hierzulande geführte Debatten um den Umgang mit Human Remains in Sammlungen diese „Weltgegend“ auszuklammern. Der Artikel soll in vier Abschnitten einen kurzen Einblick in Praktiken der Totenbehandlung und des Umgangs mit Ahnen in vor- und nach spanischer Zeit geben wie auch in Schlaglichtern Beispiele des heu tigen Umgangs mit jenen Toten vorstellen.
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Vorspanische Zeit / Eroberung Die Behandlung Verstorbener und die ihnen einst entgegengebrachte Wertschätzung sind grundlegende Aspekte, die eine heutige Debatte zum Umgang mit postmortal translozierten, dekontextualisierten Toten bestimmen sollten. Auch ist eine Untersuchung der Totenbehandlung aus konservatorischer Sicht von großer Bedeutung. Die Berichte der spanischen Eroberer bezeugen für das westliche Südamerika einen komplexen Ahnenkult. Hierbei waren Mumien, aber auch Schädel ein zentraler Bestandteil. Die Notwendigkeit des materiellen Erhaltens der Ahnen in den vorspanischen Kulturen mag sich aus dem Fehlen eines vollständigen Schriftsystems herleiten. Der bewahrte und damit vorzeigbare Ahn kann somit als Zeuge für bestehende Landbesitzverhältnisse und Rechtsnormen gedient haben.1 Um ihre Vorherrschaft zu sichern, unterdrückten die christlichen Eroberer seit dem 16. Jahrhundert zahlreiche Riten massiv, so auch die der Totenbehandlung, bis sie in Vergessenheit gerieten. Heute, nach 200 Jahren archäologischer Forschung, reicht unser Wissensgewinn noch nicht aus, um die Techniken der Vielzahl der vorspanischen Kulturen vollends fassen zu können. Zudem sind die naturwissenschaftlichen Methoden oft noch nicht weit genug entwickelt, um Mumifizierungsmethoden nachweisen oder gar im Ablauf rekonstruieren zu können. Es scheint, dass jede Kulturgruppe ihre eigenen Vorstellungen hatte, wie der oder die Tote nach dem irdischen Ableben „richtig“ auf den Weg zu bringen sei. Dies sei an einigen Beispielen erläutert: Zwischen 5.000 und 1.500 vor unserer Zeitrechnung blühte in der Küstenregion des heutigen Nordchile und Südperu die ChinchorroKultur, deren Angehörige umfangreiche Techniken entwickelten, um ihre Ahnen zu erhalten. In der ersten Phase wurden die Mumien des sogenannten schwarzen Typs geschaffen – unter Auseinandernahme und Wiederaufmodellierung des gesamten Körpers. In zwei späteren Phasen wurden diese Techniken vereinfacht; so gibt es die Mumien des roten Typs (Abbildung 1) und die mit Lehmbezug. Interessant erscheint, dass trotz der Entwicklung neuer Mumifizierungstechniken alle drei
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Techniken an verschiedenen Toten derselben Grablege parallel zueinander angewandt wurden. Warum dies geschah, bleibt unbestimmt.2 Als Grund für die Entwicklung neuer Techniken werden klimatische Veränderungen diskutiert: War die Gegend zunächst von einem feuchten Klima bestimmt, das eine schnelle Verwesung der Körper begünstigte, so wurde es im Laufe der Jahrtausende immer trockener. Drastische Maßnahmen wie bei der Herstellung der Mumien des schwarzen Typs waren nicht länger notwendig, wollte man die Verstorbenen erhalten.3 Die Chinchorro-Kultur war in ihrer Totenbehandlung also nicht über den Zeitraum ihres Bestehens konstant, sondern passte ihre Totenrituale den klimatischen Veränderungen an. Dies ist von Bedeutung, da heute meist generell von Kulturen einer Region Südamerikas gesprochen wird, jedoch seltener eine genaue Phase ihrer Entwicklung bestimmt wird. Um 1.500 vor unserer Zeitrechnung migrierten zahlreiche Gruppen aus dem Andenhochland in die Tieflandgebiete. Sie brachten neue Kulturtechniken mit und assimilierten die Chinchorro. Fortan wurden die Toten nicht mehr aufwendig künstlich mumifiziert und in Rückenlage bestattet4, sondern in eine gehockte Position gebracht und in Bündeln beigesetzt. Letztere wurden mit Grabbeigaben gefüllt sowie mit Rohbaumwolle und Blättern ausgestopft, bis sie eine stabile Form erhielten. Da diese Bündel oft eine Mumie enthalten, werden sie auch Mumien- oder Totenbündel genannt.
1 Replik einer Mumie des roten Typs der Chinchorro-Kultur (Foto: Mercedes González)
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Nun scheint eine schnelle Methode zur Mumifizierung gewesen zu sein, Körper der Hitze auszusetzen5 – das Auftragen von Flüssigkeiten vielleicht eine weitere.6 Auch das Ausnutzen ökologischer Nischen wie der Luftzug auf Felsvorsprüngen, ein stabiles Klima in Grabkammern oder die salzhaltigen Böden an der Küste förderte den Trockenprozess von Körpern. Dekontextualisierte Mumien in Sammlungen sind heute dieser Faktoren beraubt und bedürfen daher besonderer konservatorischer Aufmerksamkeit. In der Region des feuchten Nebelregenwaldes im Nordosten des heutigen Peru konnte eine bis dahin für vorspanische Kulturen Südamerikas unbekannte Methode nachgewiesen werden: Eviszeration wurde um 1470 von den hier lebenden Chachapoya bei einigen ihrer Toten angewandt. Da die inneren Organe sehr viel Wasser enthalten und hier auch viele Bakterien zu finden sind, bedeutet eine Eviszeration einen ersten Schritt zur Mumifizierung der Toten, indem die verwesungsfördernden Bestandteile des Körpers gezielt entfernt wurden. Aber auch hier bleibt unklar, ob es sich um hierarchische oder zeitliche Unterschiede, ähnlich den Chinchorro, handeln mag. Es wird diskutiert, dass die Chachapoya diese Technik von den inkaischen Eroberern übernommen haben könnten7 oder auch von nördlich ihres Siedlungsgebietes lebenden Gruppen im Gebiet des heutigen Kolumbien, die ebenfalls Methoden zur künstlichen Mumifizierung kannten und anwandten.8 Ein weiterer wichtiger Aspekt der Ahnenverehrung im vorspanischen westlichen Südamerika ist die Beziehung zwischen den Toten und ihren lebenden Nachfahren. In den andinen Hochlandgebieten bestattete man in vorspanischer Zeit die Toten oft in Nischen, von denen aus die Ahnen einen „Blick“ auf ihre lebenden Nachfahren und ihre Ländereien hatten. Oft finden sich diese Grabstätten mit kräftigen Rottönen markiert. So wurde den durchreisenden Fremden jener Zeit deutlich vor Augen geführt, dass es sich hier um Ahnenplätze handelte und diese Ahnen ihr Gebiet durchaus über- und bewachen würden. Die „Ahnenpflege“ war reziprok, so belegen es die archäologischen Zeugnisse.
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2 Ein Inka-Herrscher reicht seinen mumifizierten Vorfahren ein Trank opfer. Im Hintergrund sieht man Gebeine in einem Grabturm. Zeichnung 112 des Chronisten Felipe Guamán Poma de Ayala in seiner „Primer nueva corónica y buen gobierno“ von 1615 (Quelle: Dänische Königliche Bibliothek http://www5.kb.dk/permalink/ 2006/poma/289/es/text/?open=&imagesize=XL, Stand: 19.1.2022)
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nter den Grabbeigaben, auch in den Grabkammern an der Küste, fanU den sich Speisegaben von jenen Feldern, welche die lebenden Nachfahren nun bewirtschafteten. Diese dienten vielleicht dazu, die Ahnen in ihrer jenseitigen Welt zu ernähren. Wohl aber dienten sie auch als Beleg für die Bestellung der Felder, welche die Ahnen einst besaßen. Nicht selten finden sich die Grabstätten in der Nähe von Wasserquellen, sodass die Toten auch die Lebensgrundlage Wasser für ihre (!) Lebenden bewachten. Vor der Aussaat im Frühling vor den Mumienbündeln abgelegte Pflanzen zeugen von der Bitte an die Ahnen, den Gebern im kommenden Jahr wohlwollend beizustehen, auf dass die Felder erneut fruchtbar und die Ernte reichhaltig würde.9 Generell scheinen verstorbene Vorfahren von den Lebenden im vorspanischen Südamerika als „reanimiert“ erachtet worden zu sein, und galten weiterhin als Mitglieder der Gemeinschaft (Abbildung 2). Diese Auffassung des Weiterlebens nach dem Tod zeigt sich bereits im sogenannten Scheinkopf, einem auf das Mumienbündel genähten Kissen mit offenen Augen, Nase und Mund. Der Tote hatte also durch das Bündel eine neue Hülle erhalten und war ein neues, lebendiges Wesen. Obwohl die spanischen Eroberer die Ahnenkulte in der frühen Kolonialzeit noch weitgehend geduldet hatten, verlangte die katholische Kirche im Ersten Konzil von Lima 1551 die „Unterdrückung des Totenkultes“.10 Nachdem die Ahnenkulte beendet und keine weiteren Ahnen mehr mumifiziert wurden, hat man die noch bewahrten Mumien an geheimen, bisher unentdeckten Orten weiterverehrt oder sie gerieten in Vergessenheit.
Das 19./20. Jahrhundert Im 19. Jahrhundert verloren die Spanier ihr Monopol über Südamerika. In Nordamerika und Europa herrschte der Geist der Industrialisierung. Händler, Forschungsreisende und Interessierte reisten in die neu entstandenen Länder und erforschten die Rohstoffquellen, Naturräume
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3 Die geborgenen Mumienbündel wurden noch vor Ort geöffnet: Was gewinnbringend erschien, wurde mitgenommen, der Rest an Ort und Stelle entsorgt. Mumien bündel, die eine typische Form für den Friedhof oder eine bestimmte Kultur darstellten, versandte man als Ganzes an die Interessenten (Quelle: Reiss, Wilhelm / Stubel, Alphons: The Necropolis of Ancon in Peru: A Contri bution to Our Knowledge of The Culture and Industries of the Empire of the Incas Being the Results of Excavations Made on the Spot. Berlin / New York 1887. Tafel 6)
und voreuropäischen Kulturen. Letzteres gestaltete sich bald als lukrative Freizeitaktivität, denn präkolumbische Artefakte – darunter auch Human Remains – wurden von Privatleuten und den oft gerade erst gegründeten Museen in Europa und Nordamerika gern angekauft (Abbildung 3). Nach den ersten Verlusten bei der Bergung der Funde aus den vorspanischen Grabstätten barg der Transport die nächsten Gefahren. Die Feuchtigkeit im Inneren der Schiffe verursachte die Verwesung zahlreicher Mumien. Oft entschieden sich die Kapitäne in solchen Fällen, verwesende Human Remains über Bord zu werfen oder mit diversen Mitteln zu behandeln, um dennoch einen Transport möglich zu ma-
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chen und damit einen anschließenden Verkaufsgewinn zu erzielen.11 In den Sammlungseinrichtungen stellt die Trennung von Disziplinen ein weiteres Problem bei der Bestimmung südamerikanischer Human Remains dar. Dies betrifft vorrangig Museen und Universitäten, an denen sich Disziplinen „emanzipierten“ und sich beispielsweise Anthropologie und Ethnologie trennten. Nur allzu häufig wurden Human Remains von ihren Grabbeigaben getrennt. Der einst verehrte Ahn wurde hierdurch weiter dekontextualisiert.
Das 20./21. Jahrhundert Neue technische Errungenschaften wie die „Durchleuchtung mit XStrahlen“ ermöglichten seit dem Ende des 20. Jahrhunderts umfangreiche Einblicke in das Innere der Toten, die zuvor nicht möglich waren oder stark invasive Methoden verlangten. Die Verfeinerung von Techniken und die Entwicklung weiterer Analyseformen wie CT, C14, Isotopenanalyse und Genetik lassen uns heute ein umfangreicheres Bild über Menschen weltweit aus vergangenen Epochen mit ihren jeweiligen Lebensweisen erhalten. Oft war die Anwendung dieser Methoden jedoch mit einer invasiven Probenentnahme verbunden.
Das 21. Jahrhundert Heute ist man international um den Kontakt mit Herkunftsgesellschaften oder ihren Nachkommen bemüht, der die Anwendung solcher Analysemethoden mit ihnen abstimmen soll. Des Weiteren ist ein zukünfti ger Umgang mit den menschlichen Überresten in unseren Sammlungen auszuloten oder auch deren Repatriierung.12 Wie eingangs erwähnt, erscheint Südamerika in diesen Debatten noch nahezu unbeachtet. Dass Diskussionen dieses Inhalts vor Ort bereits seit einiger Zeit geführt werden, zeigen die jahrelangen Anstrengungen, die Machu Pic-
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chu-Sammlung von der Universität Yale nach Peru zurückzubringen: Ihren Ursprung hat diese in drei Expeditionen des US-Amerikaners Hiram Bingham, der zwischen 1911–1916 in Machu Picchu Ausgrabungen durchführte. Gemäß der Sammlungspraxis seiner Zeit sammelte er nicht nur Objekte, sondern auch Human Remains.13 Schon während Bingham in Peru weilte, existierten erste Bemühungen, Grabungen zu regulieren und die illegale Ausfuhr von Archäologica – Human Remains inbegriffen – zu verhindern. Eine erste Regelung stammte schon aus dem Jahr 1906.14 Obwohl Bingham eine Erlaubnis des peruanischen Präsidenten besaß, bewegten sich einige seiner Aktivitäten jenseits des legal Erlaubten. So waren etwa die Funde seiner letzten Expedition aus peruanischer Sicht Leihgaben. Auf frühe Rückgabeforderungen ging Yale nur zögerlich ein und gab 1921 Human Remains zurück, die jedoch nicht aus der Ruinenstadt stammten. Der Großteil verblieb in New Haven und geriet zunächst in Vergessenheit, bis die Sammlung in der peruanischen Öffentlichkeit der 2000er-Jahre eine Renaissance erfuhr: Nach langen Verhandlungen restituierte Yale 2010 – zum 100. Jahrestag der vermeintlichen „Entdeckung“ von Machu Picchu durch Bingham – die gesamte Machu Picchu-Sammlung.15 Das gestiegene Bewusstsein um den Wert des vorspanischen kulturellen Erbes16 zeigt sich auch in der Rückgabe von Grabbeigaben der Paracas-Kultur (500 v. u. Z. bis 300 u. Z.), namentlich Textilien einstiger Mumienbündel, aus dem Göteborger Museum of World Culture an Peru von 2014–2021.17 Die heute in der Chachapoya-Region Lebenden haben sich zu Beschützern der einstigen Herkunftsgesellschaften erklärt. Sie beantworten Leih- und Forschungsanfragen nicht mehr positiv, sondern belassen die Mumien zu deren Schutz vor Ort. Das in Leymebamba errichtete Museum stellt darüber hinaus durch die Ausstellung der ChachapoyaMumien, Touristenführungen und den Souvenirmarkt die mittlerweile wichtigste Einkommensquelle für die Region dar. Auch in Chile haben sich Museen gegen internationale Ausleihen von Chinchorro-Mumien ausgesprochen18 und nach dem Verlust einer Mumie während einer in-
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ternationalen Ausleihe entschieden, fortan nur noch Repliken zu verleihen19. Am Beispiel Argentiniens zeigen sich die Folgen des internen Kolonialismus, welcher die Museumsgeschichte in Südamerika prägt: Nach der Unabhängigkeit von den europäischen Kolonialmächten repräsentierten die jungen Staaten des 19. Jahrhunderts die lokalen indigenen Gemeinschaften als andersartig und rückständig, um deren Unterdrückung zu legitimieren.20 Im Zuge dessen gelangten im 20. Jahrhundert auch menschliche Überreste indigener Anführer, Caciques und bedeutender Persönlichkeiten in Museumssammlungen. Ihre Ausstellung förderte einen grundlegenden Diskurs, auf dessen Basis der entstehende Staat seine nationale Identität zu konstruieren versuchte: Argentinien als ein Land ohne indigene Völker, als ein integriertes Territorium unter der effizienten Kontrolle der Regierung.21 Seit Ende der 1980er-Jahre repatriierte das Museo de La Plata auf nationaler Ebene menschliche Gebeine an Vertreter der Mapuche-Tehuelche, der Ona aus Feuerland sowie der Qom, der Nivaclé und der Wichí aus dem Chaco. Viele dieser Körper können konkreten Persönlichkeiten zugeordnet werden.22 Im Jahr 2006 wurden alle menschlichen Überreste amerikanischer Herkunft aus dem Ausstellungsbereich entfernt. Dem Museo de la Plata zufolge stellen Restitutionsveranstaltungen „eine historische Wiedergutmachung dar und bieten Gelegenheit zum Knüpfen freundschaftlicher und kooperativer Verbindungen zwischen Vertretern der autochthonen Gemeinschaften und Mitgliedern der akademischen Gemeinschaft“23. Auch wenn Rückführungen wohl als strategischer Schritt auf dem Weg zur Dekolonisierung des Museums betrachtet werden können24, so erscheinen sie doch auch als eine erzwungene politische Antwort auf den wachsenden sozialen Druck. Das Potenzial der Provenienzforschung liegt indes nicht in dem Versuch, „die letzte Seite der Biographie eines Objekts zu schreiben, sondern in der Hervorhebung seiner inhärenten Fähigkeit, unendliche Universen von kultureller Bedeutung, Identität und Erinnerung zu schaffen und zu artikulieren“25. Nach der Rückgabe an die Nachfahren liegt der weitere Umgang mit den menschlichen
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Überresten in deren Ermessen und mag von Ort zu Ort und von Gruppe zu Gruppe variieren. In Bezug auf den Umgang mit Human Remains aus Südamerika in deutschen Sammlungen hat das Provenienzforschungsprojekt der Anatomie in Rostock mit der Anfrage, wie mit den Schädeln in der Sammlung verfahren werden sollte, einen ersten Kontakt nach Peru aufgenommen. Die peruanische Botschaft leitete dieses Ersuchen an das Kulturministerium des Landes weiter, das sich nun zum ersten Mal mit nicht nur einzelnen Repatriierungen konfrontiert sah, sondern mit einer Anfrage für eine Sammlung als Beispiel für folgende aus Projekten und Sammlungen in ganz Deutschland. Das Ministerium äußerte sich aufgeschlossen gegenüber der Anwendung jeglicher Forschungsmethoden, aber auch sehr interessiert an der Repatriierung. Im neu eröffneten Museum in Lima wird derzeit ein Raum eingerichtet, der Repatriierungen aufnehmen wird. Ob die menschlichen Überreste dann in ihre jeweiligen Herkunftsregionen weiter überführt werden, bleibt derzeit noch offen.
Gelebter Ahnenkult heute – die Ñatitas in Bolivien Wie eng der Umgang mit den Körpern der Vorfahren auch heute noch sein kann, zeigt das Beispiel der Ñatitas aus Bolivien.26 Von einigen Vertretern der Aymara- und Quechuabevölkerung um La Paz, El Alto, Cochabamba und in den umliegenden Gemeinden werden die Schädel von Familienangehörigen nach einigen Jahren auf dem Friedhof mit nach Hause genommen und die weiteren Überreste kremiert. In der andinen Kosmovision werden die Körper der Ahnen (mallqui) mit Regen und Fruchtbarkeit assoziiert, da sie die Samen unter der Erde zum Keimen bringen. Wie die vorspanische Ahnenverehrung sind auch die vielfältigen Beziehungskonstellationen des Ñatita-Kultes von Reziprozität geprägt: Die Lebenden erbitten Schutz und Orientierung in Alltags- und Krisensituationen (Krankheit, Unsicherheit, wirtschaftliche
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4 Jährlich am 8. November findet in Boliviens Regierungssitz La Paz die Fiesta de las Ñatitas statt, zu der diese zu Hunderten auf den Zentralfriedhof getragen oder zeitweise dort exhumiert werden, um die Gaben und Bitten der Lebenden zu empfangen (Foto: Andrea Tito Lopez, 2018)
Situation, Konflikte oder romantische Beziehungen); im Gegenzug werden die Ñatitas mit Gaben in Form von materieller und emotionaler Zuwendung freundlich gestimmt, etwa mit Blumen, Kerzen, Kokablättern, Zigaretten, Alkohol und Süßigkeiten, aber auch Kopfbedeckungen, Sonnenbrillen und Musik (Abbildung 4). Auch in der Obhut von „Bruderschaften“ (Spanisch hermandades) befindliche Schädel werden in diesen Kult eingebunden und es gibt sie auf manchen Polizeirevieren, wo sie bei der Aufdeckung von Verbrechen helfen sollen, denn die in den Schädeln verkörperten Seelen kommunizieren, ihren Besitzern zufolge, durch Träume mit den Lebenden.
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Die Schädel besonders alter Individuen gelten als besonders mächtig, da sie zum einen die vorspanische Weltordnung mit sich tragen, zum anderen aufgrund jahrhundertelanger Vernachlässigung besonders hungrig sind.27 So finden vorspanische Schädel (chullpas) besonders in traditioneller Medizin und im Schamanismus Verwendung, wo sie zu Schutz- und Schadenszauber adressiert werden. War der Kult zwar seit der spanischen Kolonialzeit verboten, so wurde er doch im Untergrund fortgeführt, bis er seit den 1990er-Jahren zunehmend öffentliche Sichtbarkeit erlangte und heute stets Anfang November Gläubige, Neugierige und Kunstschaffende nach La Paz lockt. Dr. Anna-Maria Begerock Instituto de estudios científicos en momias (IECIM) in Madrid Mercedes González Direktorin des IECIM Madrid Louisa Hartmann, M.A. Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte (SMNG) an der Universität Göttingen Lena Muders, M.A. Bonn Center for Dependency and Slavery Studies (BCDSS) an der Universität Bonn
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Die vier Nachleben von M umien und menschlichen Überresten
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Restitutionen des Museo de La Plata von 1994 bis 2020: https://www.museo.fcnym.unlp.edu.ar/home/ restituciones-realizadas-por-el-museo-de-la-plata-372/, Stand: 19.1.2022. Politik zur Restitution menschlicher Überreste des Museo de La Plata: https://www.museo.fcnym.unlp.edu.ar/ restituciones/restituciones_presentacion-21/, Stand: 19.1.2022. Ballestero: The Path of the Bodies, S. 41. Ebd. Eyzaguirre: Los rostros Andinos de la muerte. Ebd., S. 177.
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DIE MOORLEICHEN DES OLDENBURGER LANDES: VOM MOOR BIS ZUM MUSEUM „Wie die Leichen nach Hause gehen!“ Das Ausstellungskonzept des Landesmuseums Natur und Mensch Oldenburg, das in den Dauerausstellungen seit 1995 umgesetzt wurde, basiert auf einer Integration von Natur- und Kulturgeschichte. Im Mittelpunkt eines der ältesten Museen in Nordwestdeutschland – gegründet 1836 – steht dabei die Wechselbeziehung von Natur und Mensch. Die Fachgebiete Naturkunde, Archäologie und Völkerkunde präsentieren sich unter interdisziplinären Gesichtspunkten mit ei nem zentralen Leitthema: die Landschaft. Ausgehend von der Vielfalt und den prägenden Charakteristika der Lebensräume Moor, Geest, Küste und Marsch sowie der Hunte zeigt das Gesamtkonzept eine intensive Verzahnung von Forschung, Wissenschaft und Ausstellung.
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Das Konzept Natur und Mensch Die Anfänge des früheren Staatlichen Museums für Naturkunde und Vorgeschichte – dem heutigen Landesmuseum Natur und Mensch – gehen auf eine Insekten- und Vogelsammlung zurück, die der Großherzog Paul-Friedrich-August 1835 ankaufen ließ. Dem Geiste jener Zeit folgend, wurde für das nur ein Jahr später eröffnete naturhistorische Museum zusammengetragen, was der Bildung diente: tropische Vögel, Herbarien, Mineralien und Völkerkundliches. Erweitert wurde die Sammlung durch den Bestand an „Altertümern“ aus dem großherzoglichen Besitz und schließlich 1962 durch die Hinzunahme der Moorarchäologie. Die ehemaligen Dauerausstellungen des Landesmuseums, die zu einem großen Teil über mehr als dreißig Jahre unverändert in Szene gesetzt worden waren, schienen von einer krampfhaften „Ernsthaftigkeit“, die den Blick für die Bedeutung der „Rezeptionsästhetik“ schlicht ignorierte. Präsentation und Inhalte basierten auf dem damaligen Forschungsstand und den gegebenen Möglichkeiten der Visualisierung. Im Einzelnen gehörten hierzu Schaubereiche, die in der Ausstellung zusammenhanglos erschienen, die keine inhaltlichen Verbindungen zwischen Mensch und Natur aufzeigten, dazu fehlte eine kritische respektive aufklärende Sicht auf die Geschichte der menschlichen Entwicklung und eine Vernachlässigung feinsinniger Reize, um das Lernen und Verstehen anzuregen. Außerdem beschränkte sich die Darstellung des kulturhistorischen Bereichs einzig auf die Gräber-Archäologie, ohne die zivilisatorischen Leistungen des Menschen und seinen Umgang mit der Natur zu berücksichtigen. Alle Kriterien zusammengenommen ließen den Wunsch nach einer Umgestaltung aufkommen und machten eine Neukonzeption aller Schaubereiche zwingend notwendig. Um jedoch hierbei nicht eventuell einem modernen Zeitgeist „aufzusitzen“ beziehungsweise der Vergangenheit des Hauses und seiner Sammlungen nicht gerecht zu werden, musste folgende Frage im Vordergrund stehen: „Wie kann man ein
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Konzept entwickeln, das einerseits informativ, andererseits aber auch attraktiv und zeitgemäß ist?“ Für ein sinnvolles Vorgehen war vor allem der Aspekt entscheidend, dass aufgrund des Aussagewertes der Sammlungsbestände Naturkunde und Archäologie eine spezifische Trennung nach wissenschaftlichen Ausbildungsgängen weder dem Material noch den Besuchern gegenüber angemessen ist. Eine intensive Verzahnung der Sammlungsschwerpunkte in Forschung und Ausstellung war somit gleich zu Beginn das Ziel der Umgestaltung des Museums.
Inhaltliche Aspekte und Leitgedanken Bei der Verwirklichung unserer Neukonzeption stand die Natur- und Kulturgeschichte der Region im Mittelpunkt. Es gibt nur wenige Landschaftsräume in Deutschland, die so vielfältig mit so unterschiedlichen Landschaftseinheiten ausgestattet sind, wie Nordwestdeutschland: Moore, Geest, Küste und Marsch prägen den Naturraum sowie die kulturelle Geschichte dieses Gebietes. Das Museum zeigt die Vielfalt dieser Biotope, ihren Ursprung und ihre Entstehungsgeschichte. Die Komplexität und die wechselseitigen Beziehungen werden dabei mit authentischem Material präsentiert, schließlich soll die Basis unserer Erkenntnisse auch für den Laien sicht- und nachvollziehbar sein. Die Gestaltungsidee des Hauses, die sich bereits in der Namensgebung „Natur und Mensch“ widerspiegelt, beinhaltet die gezielte Kombination aus Objekt, Information und künstlerischer Präsentation. Nicht zuletzt befinden sich Forschung und Wissenschaft nach wie vor im Fluss und sorgen so maßgeblich für den modernen Charakter. Inhaltliche Maxime ist die Tatsache, dass die Natur niemals für sich steht, sondern immer von Menschen gesehen und gestaltet wurde und wird, daraus folgernd ist Naturgeschichte auch immer ein Stück Kulturgeschichte und umgekehrt. Durch seine übergreifende Betrachtungsweise lässt sich das komplexe Gefüge menschlichen Seins und Handelns in dyna-
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mischer Wechselwirkung mit dem Naturraum rekonstruieren. Mit diesem Konzept wahrt das Museum die regionalgeschichtliche Tradition seiner Entstehung, erhält gleichzeitig jedoch unter dem Topos „Natur und Mensch“ einen innovativen Charakter, der auf eine überregionale Bedeutung hinweist. Neue ästhetische Präsentationsformen sind die Grundvoraussetzungen in den Dauerausstellungen; hierzu zählen etwa die Präsentation von Ensembles, von Inszenierungen oder auch die Einbeziehung von multimedialen Stationen. Veränderungen schaffen neue Bedürfnisse und Ansprüche – durch die Organisatoren ebenso wie durch das Publikum. Zu den Zielen, die es vorrangig umzusetzen galt, gehören folgende Aspekte: • das Museum ist ein Ort der Wahrnehmung, des Kennenlernens und des Nachdenkens über natur- und kulturgeschichtliche Veränderungen der Regionen; • es ist ein Ort der Erinnerung an natürliche und kulturelle Ereignisse, ihre Bedeutung für die Landschaft und ihre Auswirkung auf die Siedlungsformen sowie die Lebensbedingungen und Lebensgewohnheiten der Menschen; • es ist ein Ort für Utopien für die Entwicklung zukünftiger Modelle im Umgang mit der Natur • und es ist ein Ort des Langzeitlernens. Ein solches Konzept verspricht, scheinbar natürliche Gegebenheiten und Zusammenhänge von gestern und heute unterscheidbar zu zeigen. Um zu verhindern, dass kulturhistorische Epochen vergessen werden, sollen die Ausstellungen im archäologischen Bereich nicht nur die Magazinbestände zugänglich machen, sondern Hintergrundinformationen über die kulturgeschichtliche Bedeutung der Menschen im Hinblick auf die Naturräume und Siedlungsentwicklung liefern. Die Dauerausstellungen sind auf drei Etagen verteilt. Alle drei Ausstellungsbereiche erhielten einen literarischen Titel:
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• Weder See noch Land: Dies ist ein Zitat von Fritz Theodor Overbeck, einem Botaniker und Universalgelehrten. Der vollständige Ausstellungstitel lautet: Weder See noch Land. Moor – eine verlorene Landschaft. • Mensch und Meer: Dies ist ein Zitat von Ernest Hemingway. Der vollständige Ausstellungstitel lautet: Menschen und Meer – Küste und Marsch. Eine ewige Liebesgeschichte. • Vom Eise befreit: Dies ist ein Zitat von Johann Wolfgang von Goethe. Der vollständige Ausstellungstitel lautet: Geest. Vom Eise befreit – reiche Geschichte auf kargem Land. Die gestalterische Aufgabe der gesamten Umgestaltung übernahm die Künstlergruppe „Parameter“ aus München: Rainer Wittenborn, Tobias Wittenborn und Michael Lukas – in Zusammenarbeit mit dem Museums team. Im Ergebnis ist eine inhaltliche Synthese von Natur- und Kulturgeschichte entstanden, die zugleich das Zusammenspiel von Wissenschaft und Kunst beinhaltet. Es zeigt sich eine neue Vermittlungsform wissenschaftlicher Erkenntnis durch das Ästhetische. Alle drei neuen Dauerausstellungen werden nicht nur als informativ empfunden, sondern als ein Augenschmaus.
Die Moorausstellung Bevor die Besucher die eigentliche Ausstellung betreten, werden sie im so genannten „Bilderraum“ mit ersten sinnlichen Eindrücken konfrontiert. Ölbilder, zum Beispiel von Bakenhus, und Fotodokumentationen zeigen das Moor von mehreren Seiten. So werden die Besucher eingestimmt und zahlreiche Facetten eines Naturraums beleuchtet. Wenn sie sich dann in den großen Ausstellungsraum mit dem Hauptthema hineinbegeben, gehen sie gleichzeitig ein wenig direkt in das Moor selbst: Im Zentrum des Hauptsaals befindet sich ein Moorblock – ein Originalexponat, das heißt, es handelt sich um präpariertes echtes Moor. Dieser
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1 Blick auf den echten Moorblock im Hauptraum der Moorausstellung (Quelle: Bildrechte für alle Abbildungen dieses Beitrags liegen beim Autor)
2 Blick auf zwei integrierte Moorleichen
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3 Die Moorleiche von Neuengland
lenkt den Blick buchstäblich in diese einmalige natürliche Gegebenheit hinein (Abbildung 1 und 2). In dem Block sind Moorleichen, die auch als Mumien aus dem Moor bezeichnet werden, zu sehen, die das feuchte Milieu dieser Landschaft über Jahrtausende konserviert hat. Man hat sie, bevor sie dort ihren neuen Platz gefunden haben (Abbildung 3), mit modernen gerichtsmedizinischen Methoden untersucht und dabei wertvolle Erkenntnisse über die Menschen der Vorzeit gewonnen. Oben auf dem Block ist die moortypische Flora und Fauna zu sehen. Zu den Details gehören beispielsweise Erklärungen zur Nahrungsaufnahme des fleischfressenden Sonnentaus, zu den Aktivitäten und Gebärden des balzenden Moorfrosches oder zu den Techniken, mit denen Brachvögel nach Larven und Insekten stochern. Der Querschnitt durchs Moor ermöglicht Einblicke in 4.000 Jahre Naturgeschichte, die sonst abstrakt und unsichtbar bleiben. Er lässt das Moor in seiner ganz eigenen Natürlichkeit lebendig werden. So wird verhindert, dass der Gegenstand der Ausstellung, das Leitthema „Moor“, zu einer gänzlich fremden Materie wird. Seit vor zwei Jahrhunderten damit begonnen wurde, die Hochmoore zu entwässern und abzubauen, wurden zahlreiche Objekte menschlicher Herkunft gebor-
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gen. Es geht darum, die Komplexität vergangener Zeithorizonte visuell umzusetzen; so wird beispielsweise in der Ausstellung die aufwändige Technologie der Bohlenwege nachvollziehbar, die das Überqueren des unwegsamen Moorgeländes ermöglichten und die Mobilität des steinzeitlichen Menschen belegen. In einer Vitrinenwand von 25 m Länge wird auf der dem Moorblock gegenüberliegenden Seite eine Auswahl moorarchäologischer Exponate präsentiert. Wagenreste, Schmuck, Lederschuhe und der Vehner Moormantel zeugen von der Anwesenheit des Menschen seit der Steinzeit bis in das Mittelalter. Eine sonst mikroskopisch kleine Welt wird begreifbar, indem einige Stränge Torfmoose in extremer Vergrößerung vom Boden bis zur Decke reichen. Auf diese Art und Weise werden auch Ameisen, Käfer und andere Insekten den Besuchern veranschaulicht. Eine riesige Pflugschar im letzten Ausstellungsraum macht die Dimension menschlichen Eingreifens in das Moor deutlich, dazu eine den Raum umlaufende Vitrine, ein Panorama in Form eines Miniaturmodells – beide setzen chronologisch die Geschichte der Moorkultivierung in Szene. Nach Abschluss des Rundganges durch die Dauerausstellung „Moor“ werden die Besucher mit der Zerstörung unwiederbringlicher Biotope von Flora und Fauna konfrontiert, die „verlorene Landschaft“, und sie werden für Naturschutzgedanken sensibilisiert. Die wenigen noch erhaltenen Moorflächen stehen heute unter Naturschutz und müssen als komplexes und einmalig eigenes Vegetationsgefüge bewahrt werden. Wie in der Natur, stecken die Besonderheiten auch in der Ausstellung im Detail.1
Die Moorleichen in der Weser-Ems Region Fünf vollständig erhaltene Moorleichen aus der Weser-Ems-Region befinden sich im Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg (Abbildung 4). Dank der konservierenden Eigenschaften des Moores konnten die Körper von Menschen oft Jahrtausende lang erhalten bleiben. So vermitteln sie manchmal das Bild eines lebenden Menschen und lie-
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4 Die Verbreitung der Moorleichen in Nordwestdeutschland
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fern uns eine Reihe interessanter Erkenntnisse, die sich der Archäologie ansonsten kaum erschließen: Man erkennt ihre Größe, ihren Körperbau, Spuren der Körperpflege, Wunden, verheilte Knochenbrüche, körperliche Behinderungen, Erkrankungen, die Zusammensetzung ihrer letzten Nahrung, Farbe und Schnitt der Haare und sogar ihren Ernährungszustand. Dazu kommt in manchen Fällen die mehr oder minder vollständige Kleidung.
Darf man die Moorleichen ausstellen? Im Zusammenhang mit der Präsentation der Moorleichen in der Dauerausstellung wurde ausführlich darüber diskutiert, ob es aus ethischen Gründen überhaupt vertretbar sei, diese auch manchmal als Moormumien bezeichneten Menschen im Rahmen einer Dauerausstellung zu zeigen. Es wurden Naturwissenschaftler, Mediziner, Pädagogen, Theologen und die Ausstellungsmacher zur einer Diskussionsrunde eingeladen. Alle waren der Meinung, dass die Moorleichen wichtige und ungewöhnliche Informationen zu Menschen aus verschiedenen Epochen geben können, über die Gestalt, das Aussehen, die Ernährung, Krankheiten und viele andere Erkenntnisse, die man nur anhand dieser Objekte gewinnen kann. Daher sollten sie auch als historische Quellen den Besuchern vorgestellt werden. Die Besucher werden durch sie animiert, mitzudenken und die Auswertungsschritte und -prozesse nachzuvollziehen, denn allein durch Bilder und Texte ohne die Originalobjekte wäre das nicht möglich. Nur die Beschreibung der Moorleiche von der Entdeckung bis zur letzten Untersuchung würde umfangreiche Texte erfordern, die die Besucher überfordern. Mit Hilfe des Originals werden die Informationen nachvollziehbar. Es heißt immer, Museen sind Forschungsinstitutionen, die meistens am Objekt forschen, und die Resultate in verschiedenen Formaten didaktisch vorbereiten und präsentieren. Das Objekt ist ein wichtiger und lebender Teil der didaktischen Vermittlung.
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5 Die Moorleichen wurden im Rahmen der neuen Gestaltung medizinisch untersucht
Forschung an Moorleichen Die Moorleichen wurden medizintechnisch untersucht (Abbildung 5) und dabei konnten zahlreiche neue Informationen gewonnen und für die Ausstellung didaktisch aufbereitet und präsentiert werden. Ein weiteres Mal wurden im Rahmen der Vorbereitungen zu einer Sonderausstellung aus dem Jahr 2011 mit dem Titel „Faszination Moorleichen“ alle vorhandenen Grabungsdokumentationen sowie Datierungsmöglichkeiten neu geprüft und interpretiert.2 Dabei konnte nachgewiesen werden, dass fast alle Moorleichen des Landesmuseums Natur und Mensch nach neueren 14C-Datierungen aus der Eisenzeit und nachchristlichen Römischen Kaiserzeit sowie aus dem Mittelalter stammen. Deutlich wurde auch, dass sie nicht zufällig in das Moor geraten sind, sondern regelrecht in einer Grabgrube bestattet worden
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waren. Die Menschen gelangten aus den verschiedensten Gründen in den Torf der Moore: Schon die Körperhaltung und die Fundsituation lassen manchmal die Ursachen der Bestattung im Moor erkennen: Einige Menschen starben auf eine natürliche Weise, andere sind vielleicht verunglückt, wurden eventuell Göttern geopfert, ermordet oder im Kampf getötet. Eine gut erhaltene Moorleiche von den dreien, die in den Moorblock integriert sind, soll im Folgenden ausführlich als Beispiel für die Moorleichen als Informationsquelle vorgestellt werden.
Die Moorleiche von Husbäke 1931 wurde beim Torfabbau (Handstich genannt) eine Moorleiche (Abbildung 6) gefunden, die leider nicht gut erhalten ist. Am 15. Oktober 1936 wurde in einem nur wenig entwässerten Teil des Moores „beim Abgraben des oberen hellen Torfes“ auf die Füße und Unterschenkel einer Leiche gestoßen, sie befand sich nur ca. sieben Meter nördlich vom Fundort 1931 entfernt. Sie lag längs in der Seitenwand der ausge-
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hobenen Grube. Als dann die Ortspolizei benachrichtigt wurde, lag der Körper in einer flachen Höhle. Die Polizei informierte umgehend das Museum in Oldenburg. So konnte der auffallend gut erhaltene Fund bereits einen Tag später geborgen werden.3 Am 5. November 1936 besichtigte Fritz Overbeck (ein bekannter Botaniker, der sich auf dem Gebiet der Pollenanalyse der Moore in Norddeutschland ausgezeichnet hat) die Fundstelle erneut und es wurde hinter der Stichwand ein Profil für die Pollenanalyse entnommen.4 Mithilfe des Torfblockes unter der Leiche sowie elf Einzelproben von an der Leiche haftenden Torfresten konnte der Einbettungshorizont in die Zeit direkt vor der so genannten Carpinus-Kurve eingeordnet werden.5 Ein späterer Vergleich mit einem Diagramm von Oltmannsfehn6 zeigte, dass sich der Beginn der Carpinus-Kurve mit der Bauzeit des Moorweges IX (Le) parallelisieren lässt. Die Bäume für den Weg sind 717 bis 714 v. Chr. gefällt worden. In den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde ein Programm mit 14C-AMS-Datierungen an Moorleichen aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein durchgeführt7 und dabei auch die Leiche Husbäke II beprobt. Zunächst hatte man Haarproben aus der Sammlung Diek benutzt und ein Datierungsintervall erhalten, das in die Römische Kaiserzeit fällt8. Obwohl die Probenherkunft heute als unglaubwürdig eingestuft wird, arbeiteten mit dieser Datierung einige Forscher9 und kamen so zu falschen Interpretationen. Eine 14C-Datierung an Hautproben der Leiche führte dann zu einem erstaunlichen Wert: 2480±50 BP. Kalibriert ergibt sich die Zeitspanne 765–520 BC.10 Diese passt erstaunlich gut zu der Datierung des Einbettungshorizontes. Es ist also davon auszugehen, dass die Person im 8./7. Jahrhundert vor der Zeitenwende zu Tode kam und damit die bisher älteste Moorleiche im Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg ist. Die fehlende Differenz zwischen Einbettungshorizont und Alter der Leiche zeigt darüber hinaus, dass der Leichnam nicht wie die anderen eingegraben und somit regulär bestattet wurde.
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Beschreibung der Fundsituation Der Tote lag auf dem Bauch. Sein lang ausgestreckter Körper war nach Nord-Nord-West gerichtet, der Kopf nach Norden abgewinkelt. Die geschlossenen, parallel gerichteten Beine erschienen mit leicht gebeugten, sich berührenden Knien wie ausgestreckt. Der linke Arm lag unter der Körperseite, die Handfläche zeigte abwärts. Der von oben sichtbare rechte Arm lag angewinkelt unter der rechten Brustseite. Die Innenseite der ausgestreckten Hand war nach unten gekehrt. Die Finger beider Hände sind in ihren Endgliedern gekrümmt, nur Daumen und Zeigefinger ganz ausgestreckt. Der Oberkörper lag deutlich tiefer als die Beine. Am tiefsten der linke Arm mit der linken Schulter. So war der Körper doppelt gedreht: mit dem Oberkörper und der linken Schulter abwärts, Hals und Kopf aufwärts gebogen. Damit entsteht der Eindruck, der Tote hätte sich mit der rechten Hand stützen wollen und dabei versucht, sein Gesicht an der Luft zu halten. Trotz intensiver Suche fand man weder Kleidungsstücke noch andere Beigaben. Der Körper war so gut erhalten, dass er sehr schnell und vollständig eingebettet worden sein muss. Nur die Füße hatten sich aufgelöst, allerdings kann nicht gesagt werden, ob dies eine Folge der Freilegung ist. Die Körperhaut wurde hellgrau angetroffen. Sie war wachsweich und in sich gequollen, also stark wasserhaltig. Schon bei der Bergung wurde sie an der Luft dunkler und, nach Trocknung, schließlich lederartig-hart, spröde und fast schwarz. Jetzt hat sie sich an den Körperseiten zu groben Falten zusammengezogen. Die Feinstruktur der Haut blieb mehrfach erhalten, helle Pünktchen markieren darin hier und dort die Stellung der feinen, hellen Körperhaare. Nach der Trocknung waren im Körper Eingeweide und Organe in Resten vorhanden. Ihre Untersuchung war dem Museum erst ein Jahr nach der Bergung möglich, als der Fund schon völlig getrocknet war. Er war deutlich geschrumpft, verhärtet und im Erscheinungsbild verändert. Er gleicht nun den aus anderer Herkunft bekannten Trockenmumien. Viele Einzelheiten waren unkenntlich geworden. Im Gesicht fehlt der Nasenknorpel. Die Oberlippe ist hasenschartenartig ange-
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hoben. Sie lässt die Schneidezähne des Oberkiefers frei vorstehen. Diese sind schwarz gefärbt und geschrumpft. Ihre Form blieb jedoch gut erhalten. Sie sind hart, keilförmig, scharf und scheinen nur wenig abgenutzt zu sein. Auch sollen die Backenzähne noch „jugendliche Schmelzfalten“ gezeigt haben. Bei der Bergung war das Gebiss vollständig. Jetzt befinden sich mehrere scharf abgegrenzte leere Zahnhöhlen in der Reihe. Vom Hinterkopf her wurden die Schädeldecke und Stirn nach teilweiser Auflösung der Knochen durch den Druck des aufliegenden Torfes so flach gedrückt, dass sich die obere Stirnhaut in grobe Querfalten legte. Die ursprünglich vollzählig vorhandenen Fingernägel waren wohlgeformt, schmal und länglich. Ihre Pflege war erkennbar. Inzwischen fehlen sie. An den Fingern ist jedoch das Nagelbett noch deutlich und scharf begrenzt geformt. Die Innenflächen der Hände blieben unbeschädigt. Sie zeigen, insbesondere rechts, deutliche Abformungen der Sehnenstränge in der Haut. Die rechte Hand blieb vollständig erhalten, der linken fehlen außer dem Daumen alle Finger. Auf dem linken Handgelenk sind feine Körperhaare deutlich sichtbar. Alle Knochen sind entkalkt, jedoch formgetreu und waren frisch geborgen elastisch. Knorpel blieb mehrfach erhalten. Er sah allgemein lackartig schwarz aus, schrumpfte inzwischen zu dünnen Blättchen. Auch Knorpelgewebe der Ohrmuscheln ist noch vorhanden. Es zeigt sich klar geformt unter dem Rand des Kopfhaares. Muskeln und Fettgewebe wurden nicht mehr beobachtet, dafür jedoch die entkalkten Knochen, Haare, Nägel und Bindegewebe. Das Alter dieses Menschen kann man mit rund 20 Jahren bestimmen. Seine Größe wurde gleich nach der Bergung mit 1,75 m gemessen. Das Kopfhaar ist auffallend dicht und kräftig gewachsen. Seine Länge misst am Hinterkopf und auf dem Kopf 12 cm. Im Nacken und über der Stirn hat man es durch Schneiden auf 3–5 cm verkürzt. Das Haar ist noch jetzt wellig und besitzt seinen Eigenglanz. Es scheint ursprünglich auch lockig und wellig gewesen zu sein. Gleich nach der Bergung war es blond. An der Luft wurde es dann schnell rotbraun
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und nahm einen leichten bläulichen Schimmer an. Es ist geeignet, Einzelheiten der Frisur zu zeigen. Auch das Gesichtshaar ist in Einzelheiten erkennbar. Trotz des Fehlens der das Gesicht formenden Weichteile ist seine Verteilung charakteristisch. Ein kurzer Oberlippenbart wurde auf 6 mm gestutzt. Er zeigt sich als schmaler Streifen gleich über der Oberlippe bis in die Mundwinkel hinein und ist in ganzer Länge zu sehen. Von der Mitte der Unterlippe reichen die kurzen Haare eines eng begrenzten kleinen Bärtchens bis auf die Kinnspitze hinab. Die Augenbrauen sind in voller Länge der Haare und ihrer fächerförmigen Anordnung erhalten geblieben. Erstaunlich erscheinen die langen Wimpern auf den noch vorhandenen, geschlossenen Augenlidern. Am unteren Kinn, an Wangen und Hals zeigen sich keine Haare oder Bartstoppeln. Sie waren rasiert und erscheinen noch immer glatt. Erst vor den Ohren stehen an den Schläfen bis zum Haaransatz wieder gekürzte Haare. Verletzungen oder gewaltsame Veränderungen wurden nicht erkannt. Der Ausgräber leitete aus der Körperhaltung ab, der Tote sei in das Moor eingesunken. Seine Körperhaltung schließt jedoch nicht aus, dass er schon tot in das Moor gekommen sein kann. Weitere Informationen sollten genetische Analysen an DNA-Extrakten erbringen. Es wurden zwei Proben am Metatarsus (Mittelfußknochen) und einer Rippe entnommen. Leider ergab sich keine analysefähige DNA-Erhaltung, und weder für chromosomale DNA noch für mitochondriale DNA waren positive Ergebnisse zu erzielen.11
Gesichtsrekonstruktion Ein wertvolles didaktisches Hilfsmittel sind Gesichtsrekonstruktionen von Moorleichen. So ist die Möglichkeit gegeben, „Auge in Auge“ (Abbildung 7) einem vor sehr langer Zeit verstorbenen Menschen gegenüberzustehen. Der Frage, wie der Mann von Husbäke einst ausgesehen haben könnte, wurde deshalb mit modernsten biomedizinischen und computergraphischen Methoden nachgegangen.12 Dafür musste die Leiche in der Universitätsklinik Bonn zunächst mittels Computertomo-
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7 Das Gesicht der Moorleiche von Husbäke
graphie untersucht und sozusagen in elektronische Schnittbilder zerlegt werden (Abbildung 8). Dabei zeigte sich, dass die Haut gut erhalten ist, sogar die Augäpfel und das Hirngewebe, die Knochen dagegen entkalkt sind. Im Holographielabor des Bonner Forschungszentrums „Caesar“ wurde eine dreidimensionale Schädeldarstellung angefertigt, um dann in der Arbeitsgruppe Rapid Prototyping durch ein StereolithographieVerfahren ein Kunstharzmodell aufzubauen. Ein erstes Ergebnis der CT wurde schnell sichtbar: Während die Gesichtspartie relativ gut erhalten geblieben war, fehlte merkwürdigerweise die knöcherne Schädeldecke, was sich aufgrund des vollen
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Haarwuchses nicht sofort bemerkbar macht. So fällt die Schädelform steil nach hinten ab, die Kopfhaut ist wegen des fehlenden Knochens eingesunken und hat die Form einer „Baskenmütze“ eingenommen.13 Hier stellte sich die Frage, was mit der Schädeldecke passiert war. Der Fundbergung zufolge lag der Körper im Moor auf dem Bauch und die Ausgräber vermerkten bereits, dass der Hinterkopf eingefallen war, eine Erscheinung, die sich durch die spätere Aufbewahrung als „Trockenmumie“ noch verstärkte. Zollikofer u. a.14 sahen die Erklärung folgendermaßen: „Die gute Erhaltung von Moorleichen verdankt sich vor allem der Tatsache, dass deren Körper rasch in ein sauerstoffarmes,
8 Die Moorleiche von Husbäke wurde an der Uni Bonn mit CT untersucht
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9 Verschiedene Rekonstruktionsstufen der Schädelknochen
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10 Letzte Stufe der Gesichtsrekonstruktion
torfsäurereiches Milieu eingebettet wurden. Genaugenommen gilt dies aber nur für die Teile, die unterhalb einer kritischen Wassertiefe lagen, ab der kein Sauerstoffaustausch mit der Luft mehr möglich war. Über diesem Niveau sind die Bedingungen für die Erhaltung von Weichteilen zwar relativ gut – organisches Material wird von den Moorsäuren regelrecht gegerbt –, aber die säureempfindlichen Knochen werden aufgeweicht. Das eigentliche Kalkskelett löst sich somit im Laufe der Zeit auf. Die Tatsache, dass nur der Hirnschädel, nicht aber der Gesichtsschädel von diesen Zersetzungserscheinungen betroffen ist, stimmt mit den
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ursprünglichen Lagerungsbedingungen überein: Gemäß Grabungsbildern lag der Hinterkopf tatsächlich an höchster Stelle. Im Licht dieses Befundes lässt sich der Aufweichungsprozess der Schädelknochen nachvollziehen. Im Übergangsbereich zwischen Gesichts- und Hirnschädel ist der Knochen noch vorhanden, aber stark verformt.“ (Abbildung 9 und 10) Diese Erkenntnisse lassen die Frage unbeantwortet, warum der Mann von Husbäke im Moor zu Tode kam. Die Veränderungen am Körper sind auf die Lagerungen im Moormilieu zurückzuführen und machen deutlich, dass der Mann im Gegensatz zu etlichen anderen Leichen nicht eingegraben, das heißt bestattet wurde. So ist in diesem Fall wohl von einem Unfall oder natürlichen Todesursachen auszugehen. Aber zurück zur virtuellen Schädelchirurgie und der Frage, wie der Mann kurz vor seinem Tod ausgesehen haben könnte. Zunächst wurde durch spezielle computergestützte Verfahren der verformte Gesichtsschädel wiederhergestellt und die fehlende Schädelplatte ergänzt.15 Der Grad der Verformung wurde aus den Symmetrie-Abweichungen zwischen linker und rechter Schädelseite ermittelt und durch rechnerisches Entzerren wieder in die ursprüngliche Lage zurückgebracht, der fehlende Schädel mittels Daten aus einer virtuellen Skelettsammlung ergänzt. So wurde ein Hirnschädel gewählt, der am besten zur Form und Größe des Gesichtes passte. Letztendlich fertigte man ein virtuelles Phantombild an. Histologische Untersuchungen ergaben, dass die ursprüngliche Haarfarbe eher schwarz war. Ein Gesicht ist abhängig von der Haut, dem darunterliegenden Muskel- und Fettgewebe und den Skelettstrukturen (Abbildung 10). Da die Leiche ausgetrocknet ist, sind hier wenige Informationen ablesbar. Deshalb wendeten Zollikofer u. a.16 ein so genanntes Morphing-Verfahren an, bei dem Ingenieurwissenschaften, Anatomie, Gerichtsmedizin und Computergraphik zusammenwirken. Morphing heißt, dass vorhandene Gesichtsdaten dem Husbäker Skelett angepasst werden, bis man eine nach biologischen Kriterien optimale Gesichtsform gefunden hat, wobei CT-Daten von lebenden Menschen benutzt
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11 Das vermutete Gesicht der Moorleiche von Husbäke
werden. Das Ergebnis ist ein Porträtbild, das aber je nach Bearbeiter durchaus Abweichungen unterworfen ist. So sind die Frisur, der Teint, die genaue Nasenform, die Gesichtsfülle (Verhältnis von Muskel- zu Fettgewebe) hypothetisch. Eine Darstellung der Gesichtszüge ist letztendlich fiktiv und vom Bearbeiter abhängig. Aber trotz aller Unsicherheitsfaktoren sind Gesichtsrekonstruktionen gerade im musealen Bereich ein wertvolles didaktisches Hilfsmittel17 (Abbildung 11). Festzuhalten bleibt, dass 1936 die Leiche eines etwa 20-jährigen, 1,75 m großen Mannes im Moor der Gemeinde Edewecht entdeckt wurde, der aus der frühen Vorrömischen Eisenzeit stammte. Nur we-
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nige Meter entfernt lag eine weitere, aber gut 800 Jahre jüngere Leiche. Verletzungen, die Rückschlüsse auf die Todesursache zulassen, waren bisher nicht festzustellen. Hinweise auf eine Eingrabung beziehungsweise Bestattung im Moor fehlen im Gegensatz zu vielen anderen Moorleichen ebenso. So muss, trotz aller modernen Untersuchungsmöglichkeiten, noch vieles Spekulation bleiben. Es scheint in diesem Fall aber alles auf einen Unfall oder eine natürliche Todesursache hinzudeuten. Prof. Dr. Mamoun Fansa Leitender Museumsdirektor a. D. am Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg; Honorarprofessor für Geschichte an der Universität Oldenburg; seit 2016 Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts
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Fansa, Mamoun: Einzigartige Landschaften in Nordwestdeutschland. Schauplatz für Ästhetik, Innovation und neue Perspektiven, in: Museumsjournal Natur und Mensch: Naturkunde – Kulturkunde – Museumskunde (Oldenburg) 3/2007, S. 65–74. Both, Frank / Fansa, Mamoun: Faszination Moorleichen, Landes Museum Natur und Mensch, Mainz 2011. Hayen, Hajo: Die Moorleichen im Museum am Damm (= Veröffentlichungen des Staatlichen Museums für Naturkunde und Vorgeschichte Oldenburg 6), Oldenburg 1981, S. 23 ff., 1987, S. 51 ff. Overbeck, Fritz / Schneider, Siegfried: Botanisch-geologische Bemerkungen zu den Moorleichenfunden von Edewechterdamm in Oldenburg, Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins zu Bremen 32(1), 1942, S. 38–63. Ebd., Abbildung 3, S. 42. Kalis, Arie J. / Meurers-Balke, Jutta: Gräber im Moor? Ein Kommentar zu pollenstratigraphischen Untersuchungen an Moorleichen, in: Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland 21/1998, S. 71–78. Van der Sanden, Wijnand: C14-Datierungen von Moorleichen aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Die Kunde N.F. 46, 1995, S. 137–155. Ebd., S. 143. Kalis / Meurers-Balke: Gräber im Moor?, S. 75 f. Van der Plicht, Johannes / van der Sanden, Wijnand / Aerts, A. T. / Streuermann, H. J.: Dating bog bodies by means of 14C-AMS. Journal of Archaeological Science 31, 2004, S. 471–491. Hummel, Susanne / Schilz, Felix: Arbeitsbericht DNA-Analysen an Knochen der Moorleiche von Husbäke, in: Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland 27/2004, S. 81–82. Fansa, Mamoun: Mumien aus dem Moor. Begegnungen mit Moorleichen im Landesmuseum für Natur und Mensch in Oldenburg, in: Antike Welt 2/2005, S. 15–20; Zollikofer, Christoph P. E. / Suter, Susanne / Hartmann, Adrian / Ponce de Leon, Marcia S.: Vom Moor in den Computer, in: Antike Welt 2/2005, S. 21–25. Zollikofer / Suter / Hartmann u. a.: Vom Moor in den Computer, S. 22. Ebd., S. 23. Ebd., S. 23 ff. Ebd., S. 24 f. Lampe, Annika: Gesichter der Vergangenheit – Plastische Gesichtsrekonstruktion in der Archäologie, in: Museumsjournal Natur und Mensch: Naturkunde – Kulturkunde – Museumskunde (Oldenburg) 2/2006, S. 69–83.
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KÖRPERWELTEN Ein Medienspektakel Mit mehr als 52 Millionen Besuchern bis März 2022 ist KÖRPERWELTEN eine der erfolgreichsten Sonderausstellungen.1 Dabei war die Idee einer anatomischen Ausstellung für ein Laien publikum damals keineswegs naheliegend: Gunther von Hagens hatte die Plastination 1977 am Anatomischen Institut der Universität Heidelberg erfunden und über viele Jahre weiterentwickelt. Doch seine Plastinate dienten einzig und allein der anatomischen Lehre und Wissenschaft. Zudem war es in jener Zeit völlig unüblich, die Öffentlichkeit an der wissenschaftlichen Anatomie teilhaben zu lassen. Im universitären Umfeld ließ sich daher kein Hinweis auf ein Interesse eines größeren Laienpublikums erkennen.
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Von den Anfängen 1995 fand auf Einladung der Japanischen Anatomischen Gesellschaft hin eine erste, von mir mitkuratierte öffentliche Ausstellung mit Plastinaten vom 14. September 1995 bis 26. November 1995 im Tokyo National Science Museum statt. Neben einer Vielzahl kleiner Einzelpräparate zu allen Organsystemen enthielt die Ausstellung auch bereits erste Ganzkörperplastinate – eigentlich ein erheblicher Tabubruch. Denn bis zu jenem Zeitpunkt war es mehr als 200 Jahre lang in Japan verboten gewesen, einen Leichnam in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dennoch zog die Ausstellung fast eine halbe Million (498.371) interessierte Besucher in den Bann, so dass sich weitere Ausstellungen in Japan anschlossen. Im westlichen Kulturkreis blieb das völlig unbemerkt, zumal die Ausstellung weder empörte Gegner noch öffentliche Debatten oder gar Forderungen nach Verbot hervorbrachte.
1 Ausstellungsbesucher in Japan. Das Staunen, die Ehrfurcht und die Selbst ergriffenheit fanden in den Betrachtern einen so unvergesslichen Ausdruck, weil jeder in dem Gesehenen sich selbst anschaute (Quelle: Angelina Whalley)
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Das änderte sich schlagartig und dramatisch, als KÖRPERWELTEN nach Deutschland kam. 1997 gastierte die Ausstellung erstmals in Mannheim vom 30. Oktober 1997 bis 1. März 1998 im damaligen Landesmuseum für Technik und Arbeit (heute: Technoseum). Noch bevor sie ihre Pforten öffnen konnte, stellten sich erste hitzige Debatten über die ethische Vertretbarkeit ein: Vom „Verfall sittlicher Werte“2 war die Rede; die Ausstellung sei ein „perverses Spektakel“3; Menschen würden „zu Kunstwerken degradiert“4, und Kirchenvertreter wandten sich an den damaligen Landesvater Baden-Württembergs mit „Bitte um Abhilfe“5. Schließlich entschied eine eilig vom Land einberufene Kommission nach Inaugenscheinnahme der Ausstellung nur mit knapper Mehrheit, dass KÖRPERWELTEN im Landesmuseum gezeigt werden dürfe. Während der viermonatigen Ausstellungszeit rissen die Diskussionen nicht ab und schienen die ganze Nation zu spalten; es gab kaum jemanden, der keine Meinung zur Ausstellung hatte. Und es gab kaum ein Medium, das nicht kritisch über die Ausstellung berichtete und damit die Debatte am Laufen hielt und weiter anheizte. Die überwiegend negative Berichterstattung und die negativen Kommentare derer, welche die Ausstellung gar nicht gesehen hatten, standen meines Erachtens allerdings in krassem Widerspruch zu den Bewertungen der Besucher: In der Ausstellung sah man ähnlich wie zuvor in Japan Menschen, die tief berührt, staunend und nachdenklich vor den Exponaten standen und begannen, ihren eigenen Körper völlig neu zu entdecken. Viele dieser Menschen sagten im Anschluss, sie hätten einen völlig neuen Blick auf ihre eigene leibliche Existenz erhalten und würden fortan ihren Körper nicht mehr als etwas Selbstverständliches erachten wollen. Das positive Erleben der Ausstellung bestätigte sich auch in unabhängigen, von der Universität Kassel durchgeführten Besucherumfragen. Danach bewerteten 95 Prozent der Besucher die Ausstellung als gut bis sehr gut, vier Prozent fanden sie immerhin befriedigend und nur ein Prozent schlecht.6 Dabei zeigte sich insgesamt, dass in der Regel positive Erwartungen, mit denen Besucher in die Ausstellung hinein-
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2 Die Umfrage wurde an 1.500 Personen unter der Leitung von Ernst-D. Lantermann, Professor für Sozial- und Persönlichkeitspsychologie an der Universität Kassel, durchgeführt. Ziel der Befragungen war es, ein möglichst objektives Bild über die Bewertungen der Ausstellung, über Erwartungen und Motive, Befürchtungen und Erfahrungen von Ausstellungsbesuchern zu gewinnen (Quelle: Ernst-D. Lantermann, Kassel)
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gingen, durchweg erfüllt wurden, während negative Erwartungen und Befürchtungen sich nur für eine geringe Minderheit bewahrheiteten. Insgesamt sahen sich nur vier Prozent der Befragten in ihren Moralvorstellungen verletzt.7 Weitere Umfrageergebnisse zeigten, dass 85 Prozent der Befragten nach dem Ausstellungsbesuch mehr Anerkennung für ihren Körper empfanden, 46 Prozent waren nachdenklicher über Leben und Tod geworden, und 51 Prozent erachteten die Inhalte der Ausstellung als wertvolle Wegweisung zu einer gesünderen Lebensweise.8 In den nachfolgenden Ausstellungen zeigten sich ganz ähnliche Umfrageergebnisse.9 Bemerkenswert ist auch eine Nachbefragung aus dem Jahr 1999, welche die Universität Kassel ein halbes Jahr nach Ende der Ausstellung in Wien durchgeführt hatte. Danach gaben 9 % der Befragten an, seit dem Ausstellungsbesuch weniger zu rauchen oder mit dem Rauchen ganz aufgehört zu haben, 33 % bemühten sich um eine gesündere Ernährung und rund 20 % gaben an, sich sportlich mehr zu betätigen als zuvor.10 Die Ausstellung hatte also nicht nur hohen Zuspruch bei den Besuchern gefunden, sondern auch einen nachhaltigen Beitrag zur Gesundheitsaufklärung geleistet.
Öffentliche Wahrnehmung versus Besucherwahrnehmung Wie kann es sein, dass eine Ausstellung so viele Menschen in ihren Bann zieht und die Wahrnehmung der Ausstellungsbesucher in einem so krassen Widerspruch zur öffentlichen Wahrnehmung steht? Zunächst muss man sich vergegenwärtigen, dass sich KÖRPERWELTEN – wie auch die Anatomie im Allgemeinen – in einem Grenzbereich zwischen Leben und Tod bewegen. Da werden an toten Körpern Aspekte des Lebens dargestellt und thematisiert − scheinbar ein Widerspruch in sich. Das Spannungsfeld zwischen Leben und Tod hat eine erhebliche Irritationskraft und übt auf uns Menschen seit jeher eine ungeheure Faszination
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aus. Wir fühlen uns angezogen und gleichermaßen abgestoßen – von einem Zwischenreich des Dunklen und scheinbar Anrüchigen, das uns einerseits Unbehagen bereitet, andererseits aber auch eine schauerlichschöne Befriedigung unserer menschlichen Sensationslust verspricht. In der Ausstellung wurde diese Sensationslust keineswegs bedient; in diesem Punkte waren einige Besucher möglicherweise enttäuscht worden. Aber dafür wurden sie mit ganz anderen Eindrücken belohnt, nämlich mit einem außergewöhnlichen Blick auf das eigene Leben. Die Medien haben sich auf die entstandene Kontroverse in diesem Spannungsfeld gestürzt und sie bis zum Anschlag ausgebeutet. Anstelle zur Versachlichung beizutragen, haben sie die Diskussion angeheizt und damit die Skandalsehnsucht der Menschen bedient. Sie haben dabei den KÖRPERWELTEN nur allzu gern Sensationshascherei unterstellt und sind ihr selbst verfallen. Ich will das keineswegs kritisieren; das ist ein Stück weit unserer modernen Medienwelt geschuldet, in der es nicht nur um guten Journalismus geht, sondern auch um Quote und Verkaufszahlen. Und eine skandalumwitterte Geschichte verkauft sich eben besser. Zudem hat das alles dem Ausstellungserfolg keinen Abbruch getan, ganz im Gegenteil. Das Thema KÖRPERWELTEN war lange Zeit allgegenwärtig und hat viele Menschen erst zum Ausstellungsbesuch angeregt. Bei allem Erfolg hatte das kontroverse öffentliche Bild allerdings auch negative Folgen für unser Institut für Plastination (IfP), die teilweise noch bis heute nachwirken: Die KÖRPERWELTEN stehen nach wie vor unter einem gewissen Generalverdacht, so dass sich beispielsweise potenzielle Kooperationspartner im Zweifelsfalle lieber fernhalten.
Ein deutsches Phänomen Man muss mit Nachdruck festhalten, dass sich diese heftige Kontroverse einzig und allein in Deutschland zugetragen hat. In keinem der rund 40 Länder, in denen die Ausstellung mittlerweile zu Gast war,
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fand Ähnliches statt, selbst nicht in Israel oder im katholischen Rom. Woran liegt das? Ein Grund mag in unserer jüngeren Geschichte liegen: Seit den Ereignissen im „Dritten Reich“ herrscht in Deutschland nach wie vor eine unbewusste Schuld und Angst, dass erneut Menschen benutzt und in einer Art verdinglicht werden könnten, die ihnen das Menschsein abspricht. Ein weiterer Grund ist, dass Deutschland meines Erachtens keine pragmatische und entspannte, sondern eine überaus aufgeregte und sehr grundsätzliche Nation ist, in der alles kritisch beleuchtet und im Detail diskutiert wird – ein Land, „wo man die Nase eher rümpfen lernt als zu putzen“, wie Georg Christoph Lichtenberg es einmal formulierte. Oder wie Voltaire sagte: „Am Ende eines jeden Problems sitzt ein Deutscher.“ Das kritische Denken macht uns Deutsche in vielen Dingen sehr erfolgreich, erstickt aber auch so manches Potenzial bereits im Keim. Natürlich haben wir auch gerade in der Anfangszeit viele Fehler gemacht. Angefangen damit, dass wir auf grobe Falschmeldungen nicht angemessen reagiert und sie nicht konsequent genug richtiggestellt haben. Ob wir das angesichts der zahlreichen Berichterstattungen im In- und Ausland hätten leisten können, sei dahingestellt. Aber medien unerfahren wie wir waren, glaubten wir, jede Meldung sei eine gute, weil sie Werbung für die Ausstellung macht. Aber wir hatten unterschätzt, dass das damals sich gerade etablierende Internet nichts vergessen und Falschmeldungen sich sehr schnell multiplizieren würden. Darüber hinaus haben wir in den öffentlichen Debatten zu viele Verteidigungsreden geführt. Anstatt herauszuarbeiten, wofür die Ausstellung konkret steht und welches unsere Ziele sind, haben wir uns darauf konzentriert, Vorwürfe abzuwehren und herausgestellt, was die Ausstellung nicht ist. Und last but not least hat Gunther von Hagens sich irgendwann in seiner Rolle als Provokateur gefallen und Spaß daran gewonnen, Öl ins Feuer der Diskussionen zu gießen. Er nahm zunehmend die Rolle eines Störenfrieds ein, so dass sich die mediale Berichterstattung von der Ausstellung wegbewegte und sich mehr und mehr auf seine Person konzentrierte. Damit war dann auch eine Versachlichung der Diskus-
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sion unmöglich geworden. Als „Möchte-gern-Künstler vom Beuys-Verschnitt“ wurde er beschrieben, der sich „als Schöpfer aufspielen“ will, ein „Skandal-Anatom“, ein „Dr. Frankenstein“, ein „Scharlatan“, ein „selbsternannter Erfinder“, „Präparator“, „Plagiator“, „Manipulator“, kurz: „Dr. Tod“. Um ihn rankten sich zunehmend diskreditierende Horrorgeschichten, etwa über die Machenschaften und dunklen Geschäfte des „Dr. Tod“ und vor allem auch wilde Gerüchte über die vermeintlich „wahre“ Herkunft der Plastinate.
Das Vermächtnis der Körperspender Dass die Frage nach der Herkunft der Plastinate eine zentrale Rolle spielen würde, war von Anbeginn klar. Denn nach unserem heutigen kulturellen Empfinden erfordert die öffentliche Zurschaustellung echter menschlicher Körper die Zustimmung der betreffenden Personen. Juristisch ist das in den meisten Ländern allerdings nicht zwingend vorgeschrieben. Tatsächlich stammen alle Präparate der KÖRPERWELTENAusstellungen von Menschen, die verfügt haben, dass ihr Körper nach dem Ableben dauerhaft konserviert und für die Ausbildung von Ärzten sowie medizinischer Laien verwendet werden darf. Sie hatten ihren Körper zu Lebzeiten einem speziellen Körperspendeprogramm für die Plastination gespendet, das Gunther von Hagens bereits Anfang der 1980er-Jahre am Anatomischen Institut der Universität Heidelberg ins Leben gerufen und später in das privat geführte IfP in Heidelberg überführt hat. Einige wenige der gezeigten Plastinate stammen auch aus alten anatomischen Sammlungen; das trifft vor allem für die ausgestellten Föten zu. Die Menschen haben sich aus sehr unterschiedlichen Gründen zur Körperspende entschieden. Allen gemeinsam ist, dass sie zur medizinischen Aufklärung der Öffentlichkeit beitragen wollten. Ohne ihre selbstlose Spende wären die KÖRPERWELTEN nicht möglich gewesen. Zwischenzeitlich umfasst dieses Programm mehr als 19.000
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registrierte Spender − davon haben wir bis heute rund 2.500 Verstorbene erhalten. Die Unterlagen zu den eingegangenen Sterbefällen werden jährlich einer notariellen Tatsachenfeststellung unterzogen und der Stadt Heidelberg gemeldet. Alle jemals dem IfP zugeführten Sterbefälle sind auf diese Weise dokumentiert. Im Rahmen der KÖRPERWELTEN-Ausstellungen sind die IfP-Körperspenderunter lagen auch mehrfach von dritter Seite überprüft worden, so zum Beispiel 2008 und 2018 durch die britische Human Tissue Authority (HTA) in London, Manchester und Newcastle. Denn in England bedürfen alle Einrichtungen, die mit menschlichem Gewebe umgehen, sei es zum Zwecke der Forschung, Lehre, Diagnostik oder öffentlichen Ausstellung, einer Lizenz. Die HTA kam zu dem Ergebnis, dass „Körperwelten“ allen rechtlichen und ethischen Bestimmungen entspricht und hat die erforderliche Lizenz erteilt. Darüber hinaus hatten mehrere, vor allem US-amerikanische Museen (zum Beispiel: 2004 und 2017: California Science Center in Los Angeles CA; 2005: Arizona Science Center in Phoenix, AZ; 2007: Discovery Place in Charlotte, NC; 2008: The Leonardo in Salt Lake City, UT; 2011: South Carolina State Museum in Columbia, SC) entschieden, im Vorfeld der Ausstellung Ethikkommissionen einzuberufen mit dem Auftrag, die ethische Vertretbarkeit der KÖRPERWELTEN im Allgemeinen sowie deren Eignung für das jeweilige Museum im Besonderen zu prüfen. Von entscheidender Bedeutung war in diesem Zusammenhang stets auch die Herkunft der Plastinate, weshalb jeweils Vertreter (meist Ethiker oder Juristen) entsandt wurden, um die Körperspendeunterlagen in den Räumen des Heidelberger Instituts einzusehen. Alle Prüfer waren ausnahmslos zu dem Ergebnis gekommen, dass das IfP-Körperspendeprogramm allen gebotenen ethischen Standards entspricht und haben darüber hinaus die Ausstellung als ethisch vertretbar bewertet. Das vom California Science Center in Los Angeles in Auftrag gegebene Ethik-Gutachten ist exemplarisch online abrufbar.11
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Nichtsdestotrotz sind in der Vergangenheit immer wieder unzu treffende Gerüchte durch die Medien verbreitet worden, welche die KÖRPERWELTEN mit dubiosen Leichenhändlern, Leichen aus Hinrichtungen oder von Obdachlosen in Verbindung bringen. Diese Behauptungen sind angesichts der oben beschriebenen Sachverhalte haltlos.
Verletzte Menschenwürde? Eines der häufigsten Argumente der KÖRPERWELTEN-Gegner war, dass die öffentliche Zurschaustellung toter Körper ganz offensichtlich die Menschenwürde verletze. Doch stimmt das überhaupt? Nach gängiger, vernunftphilosophischer Auffassung, auf der auch Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes fußt, besitzt jeder Mensch allein aufgrund seines Menschseins Würde. Allerdings hat der Mensch auch einen Gestaltungsauftrag: Er soll sich angesichts seiner Fähigkeit zur moralischen Selbstbestimmung als würdig erweisen. Eine Verletzung der Menschenwürde ist dann gegeben, wenn eine Person als bloßes Objekt oder Mittel gebraucht wird. Hierdurch wird dem Menschen die ihm gebührende Achtung verweigert und so seine Würde verletzt. Tatsächlich wird in der Ausstellung KÖRPERWELTEN der tote Körper eines Menschen auch als Sache und Mittel zum Zweck gebraucht. Dennoch lässt sich meines Erachtens daraus keine Würdeverletzung herleiten, weil der Tod den Leichnam bereits zum Objekt gemacht hat. Andernfalls dürfte ein Leichnam nicht begraben, verbrannt oder der Transplantationsmedizin zur Verfügung gestellt werden. Der Würdebegriff ist also auf einen Leichnam nicht so einfach anwendbar. Manche Philosophen und Juristen – wie etwa der Philosoph und Ethiker Franz Josef Wetz – vertreten sogar die Auffassung, dass Leichen aufgrund ihrer Objektbeschaffenheit keine Würde haben können und stützt sich hierbei auf Immanuel Kant. Denn aus Kants Sicht kann allein die autonome Person (homo noumenon) Würdenträger sein.12 Entsprechend
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haben führende Juristen der 1950er-Jahre wie Wilhelm Wertenbruch oder Hans Carl Nipperdey die Idee der postmortalen Menschenwürde überwiegend verneint: „Die Würde kommt nur […] dem lebenden Menschen zu […], nicht dem Toten“.13 Auch heute gibt es namhafte Juristen, welche die Idee der postmortalen Würde anzweifeln.14 Eines ist jedoch unstrittig: Eine Leiche ist kein beliebiges Objekt, sondern hat als Überrest eines ehemals gewesenen Menschen einen besonderen Achtungsanspruch. Dass dieser Achtungsanspruch in den KÖRPERWELTEN keineswegs verletzt wird, zeigt sich an mehreren Punkten: • Die ausgestellten Körper stammen ausschließlich von Menschen, die ihren Körper freiwillig für diesen Zweck zur Verfügung gestellt haben. Mit der Ausstellung wird der letzte Wille dieser Verstorbenen geachtet und respektiert, auch wenn ihre Entscheidung zur Körperspende und Zustimmung zur öffentlichen Ausstellung nicht im Einklang mit den Wertevorstellungen und Meinungen anderer Personen stehen mag. • Die Exponate entsprechen stets ihrem menschlichen Wesen, das heißt, die Körper oder deren Einzelteile werden niemals in entmenschlichter Form dargestellt (indem etwa ein Bein zum Golfschläger oder eine Harnblase zur Blumenvase würde). • Die Persönlichkeitsrechte der Körperspender bleiben gewahrt, denn in der Ausstellung werden weder Angaben zu Identität noch über Alter oder Todesursache gemacht. • Die bedeutendste Rolle kommt dem Besucherverhalten zu. Denn Achtung existiert nicht aus sich heraus, sondern kommt stets durch einen achtungsvollen Umgang zum Ausdruck. Es dürfte also in einer Ausstellung nicht wie auf einem Jahrmarkt zugehen, wo man sich belustigt und die Exponate verhöhnt oder der Lächerlichkeit preisgibt. Genau das Gegenteil ist bei den KÖRPERWELTEN der Fall: In der Ausstellung geht es auffällig ruhig, ernst und diszipliniert zu. Das ist bemerkenswert und für die heutige Zeit eher unüblich.
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3 Eine häufige Kritik lautete: „Die ästhetische Gestaltung nehme den Ganzkörperplastinaten ihren eindeutigen Lehrzweck und mache sie zur bloßen Sensation ohne aufklärerischen Nutzen.“ Doch in einer musealen Ausstellung müssen die Exponate ästhetisch anzuschauen sein, so dass sich der Betrachter nicht abgestoßen fühlt (Quelle: A. Whalley)
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Jedenfalls wäre es aus meiner Sicht nicht verständlich zu machen, weshalb es ein größerer oder besserer Achtungsbeweis sein sollte, einen toten Körper der Erde oder dem Verbrennungsofen zu überlassen oder der Transplantationsmedizin zu übergeben, als ihn in ein Plastinat zu verwandeln und einem interessierten Laienpublikum in einer Anatomieausstellung mit nahezu sakraler Aura zu zeigen. Für die Seriosität einer öffentlichen Präsentation menschlicher Exponate ist es weniger wichtig, ob sie im Bereich der Wissenschaft, Religion oder Kunst geschieht. Wichtiger ist, ob der Ausstellungsrahmen eine Atmosphäre ermöglicht, die zu wissenschaftlicher Neugierde, religiöser Andacht oder ästhetischer Ergriffenheit inspiriert. Dabei hängt die Entstehung solcher Erfahrungen nicht allein von den Exponaten, sondern auch ganz wesentlich vom Ambiente der Ausstellung ab. Ob den Exponaten einer Ausstellung auch tatsächlich eine würdige Bühne geboten wurde, entscheiden vorrangig die Besucher selbst.
KÖRPERWELTEN – Eine Selbstbetrachtung ohne Spiegel Bei aller Kritik wird sich eines schwerlich bestreiten lassen: KÖRPERWELTEN stellen einen Ort dar, an dem sich Menschen auf ihr eigenes Leben besinnen und den Körper als Spiegel der eigenen Lebensführung begreifen. Was auch immer wir mit unserem Körper tun oder nicht tun – wie wir uns ernähren, ob wir körperlich aktiv sind, ob wir ein gesundes soziales Umfeld haben, ob wir uns anerkannt oder missachtet, glücklich oder unglücklich fühlen – alles wirkt auf ihn zurück, im Positiven wie im Negativen. KÖRPERWELTEN vergegenwärtigt all diese Zusammenhänge und die Einmaligkeit des menschlichen Lebens vor dem Hintergrund des Todes. Das berührt den Betrachter emotional, denn nie wird das Leben intensiver empfunden als in der Nähe des Todes. Es lässt den Betrachter nachdenklich über sein eigenes Leben werden und schärft den Sinn für die eigene Verletzlichkeit und die eigene Gesundheit: Nur was wir kennen, können wir wertschätzen und schützen. Mit
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Kunststoffmodellen ließe sich eine solche Erlebnistiefe niemals erreichen, wie auch in der Kunst keine Kopie das Original oder ein Naturbildband keine Wanderung durch die Natur ersetzen könnte. Heute, rund 25 Jahre später, ist es deutlich ruhiger um KÖRPERWELTEN geworden − die Kritiker sind weitgehend verstummt. Auch wenn die Ausstellung an Skandalwert verloren zu haben scheint, so hat sie keineswegs an Attraktionswert eingebüßt. Im Gegenteil: Die KÖRPERWELTEN haben sich über viele Jahre hinweg weiterentwickelt, weg von einer reinen Anatomieausstellung hin zu einer inhaltlich anspruchsvollen Ausstellung, die die Gesundheitsaufklärung ins Zentrum stellt und zum Nachdenken über das eigene Leben anregt. Dr. Angelina Whalley Ärztin und Kuratorin der KÖRPERWELTEN-Ausstellungen sowie Direktorin des Instituts für Plastination (IfP) in Heidelberg
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Vgl. https://koerperwelten.de/, Stand: 22.3.2022; Rekord-Meilenstein: KÖRPERWELTEN feiert den 50 Millionsten Besucher!, Pressemeldung vom 13.11.2019, in: https://koerperwelten.de/wp-content/uploads/2019/11/191113_ Koerperwelten_50Mio-Besucher1.pdf, Stand: 30.8.2022. Kirche meldet Protest an, in: Saarbrücker Zeitung, 29.10.1997. Tournee der „Körperwelten“ könnte Anfang von Schlimmerem sein, in: Ärzte-Zeitung, 17.12.1997. Der Blick in das Körperinnere rührt an das Tabu vom Tod, in: Badische Nachrichten, 29.11.1997. Brief an den damaligen Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU) und den damaligen Mannheimer Oberbürgermeister Gerhard Widder (SPD) von den Dekanen der evangelischen und der katholischen Kirche in Mannheim, Ulrich Fischer und Monsignore Horst Schroff. Lantermann, Ernst-D.: Bericht über zwei Umfragen zur Ausstellung Körperwelten, Pressemeldung, 21.1.1998. Ebd. Ebd. Lantermann, Ernst-D.: Der eigene Körper im Spiegel der Anatomie, in: Schöne neue Körperwelten. Der Streit um die Ausstellung, hrsg. von Brigitte Tag und Franz Josef Wetz, Stuttgart 2001, S. 279–300. Lantermann, Ernst-D.: Kurzbericht über die Nachbefragung Wien, Pressemeldung, Anfang 2000. https://koerperwelten.de/ethik/, Stand: 22.3.2022. Wetz, Franz Josef: Würde des Verstorbenen, in: Schöne neue Körperwelten. Der Streit um die Ausstellung, hrsg. von Brigitte Tag und Franz Josef Wetz, S. 125–131. Nipperdey, Hans C.: Die Würde des Menschen, in: Die Grundrechte: Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, hrsg. von Franz L. Neumann, Hans C. Nipperdey und Ulrich Scheuner, Berlin 1954, S. 4. Vgl. Barloewen, Constatin von (Hrsg.): Der Tod in den Weltkulturen und Weltreligionen, Frankfurt am Main 2000, S. 276–277; Gröschner, Rolf: Menschenwürde und Sepulkralkultur in der grundgesetzlichen Ordnung. Die kulturstaatlichen Grenzen der Privatisierung im Bestattungsrecht, Stuttgart 1995, S. 50.
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Christian Lechner
ETHISCHE ÜBERLEGUNGEN ZUM UMGANG MIT HUMANANATOMISCHEN PRÄPARATEN AUS DER ZEIT DES NATIONAL SOZIALISMUS Die Anatomische Sammlung der Medizinischen Universität Inns bruck umfasst etwa 4.000 Präparate, davon rund die Hälfte mensch lichen Ursprungs. Bis jetzt wurden fünf makroskopische Präparate mit einem NS-Unrechtskontext detektiert. In diesem Beitrag werden die Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Umgangs mit solchen Präparaten erörtert. Dabei gelten die geschilderten Diskussionspunkte nicht allein für die gewissermaßen als Ausgangspunkt zu verste hende Innsbrucker Anatomische Sammlung, sondern sind genauso auf weitere Sammlungen anwendbar.1
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Einführung Der Anatom Karl Dantscher (1813–1887) war einer der führenden Protagonisten bei der Wiedereröffnung der Medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck im Jahre 1869.2 Als neuberufener Leiter der Anatomie war Dantscher in weiterer Folge für die Errichtung eines eigenständigen Institutsgebäudes verantwortlich, welches 1889 eröffnet werden konnte.3 Die Versorgung anatomischer Institute mit menschlichen Leichnamen für den studentischen Unterricht und die Wissenschaft gestaltete sich bis ins frühe 20. Jahrhundert schwierig. Vielfach erhielten Anatomien ausschließlich Körper von Hingerichteten. Entsprechend hatten Dantscher und seine Nachfolger einen anhaltenden Mangel an notwendigen Leichnamen für Lehre und Forschung zu beklagen. In Tirol änderte sich diese Situation erst einige Jahrzehnte später mit dem „Gesetz vom 18. Dezember 1930 betreffend die Regelung des Leichenwesens“.4 Damit waren nun Leichname von Personen ohne Angehörige dem Anatomischen Institut zu übergeben. Betrachtet man das noch existierende „Leichenbuch“ des Anatomischen Institutes der damaligen Medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck, so waren die Zahlen der jährlich eingegangenen Leichname zwischen 1929 und 1938 recht stabil. Die Abschaffung der Todesstrafe nach dem Ersten Weltkrieg und ihre Wiedereinführung im Jahr 1934 zeigten keine relevanten Auswirkungen auf die Anzahl (Abbildung 1). In diesen Jahren stammte tatsächlich nur ein Leichnam von einem Hingerichteten. Mit dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an Nazideutschland regelte der Erlass „W A 55“ das Leichenwesen, so dass alle Leichname Hingerichteter an anatomische Institute überführt wurden, wenn Angehörige den Leichnam nicht zur Beerdigung beanspruchten. Bei der Verteilung der Hingerichteten aus dem 1894 eröffneten und später von den Nationalsozialisten als zentrale Hinrichtungsstätte genutzten Gefängnis München-Stadelheim wurde das Innsbrucker Anatomische Institut zunächst nicht berücksichtigt. Nach der Aufnahme Innsbrucks
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in die Verteilung nahm die Zahl der eingehenden Leichname deutlich zu. Am 15. Dezember 1943 wurde das Institut von einer Bombe getroffen und konnte daher einstweilen keine Leichname mehr aufnehmen.5 Insgesamt erhielt das Anatomische Institut während der NS-Zeit 199 Leichname, darunter 59 aus München-Stadelheim, 39 von sowjetischen Kriegsgefangenen, 13 von Selbstmördern, je zwei von Hinrichtungen in Salzburg und Paschberg (bei Innsbruck) und 19 aus dem nahegelegenen psychiatrischen Krankenhaus in Hall in Tirol.6
1 Erhaltene Leichname zwischen 1929 und 1950 auf Basis des sogenannten „Leichenbuchs“ (Quelle: Christian Lechner)
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Die Anatomische Sammlung Die Innsbrucker Anatomische Sammlung umfasst derzeit mindestens 4.024 Präparate, darunter Trocken- und Feuchtpräparate sowie isolierte Knochen, Schädel und ganze Skelette.7 Etwa die Hälfte dieser Objekte sind tierischen Ursprungs und erinnern damit an die Epoche der Vergleichenden Anatomie, die bis ins frühe 20. Jahrhundert andauerte. Aktuell sind vom Autor in dieser Sammlung fünf makroskopische Präparate mit NS-Kontext identifiziert worden (Tabelle 1), die anhaltend Bestandteil der Sammlung sind. Darüber hinaus haben Maximilian Freilinger, Lars Klimaschewski und Erich Brenner 237 von 15.000 histologischen Präparaten, untergebracht in 300 Schubladen, identifiziert, die möglicherweise von Opfern des NS-Regimes stammen.8
Alte Inventarnummer
Neue Inventarnummer
G.2
Knöcherne Grundplatte des Schädels Gesichtsschädel
Leichenbuch“Nummer
Herstellungsjahr
Name
Herkunft
3036
310
1941
Karl Klocker
Stadelheim
G.264
491
426 oder 433
im ” Zweiten Weltkrieg“
Johann Obreski oder Johann Salwach
Salzburg oder Stadelheim
G.264a
384
426 oder 433
–
Johann Obreski oder Johann Salwach
Salzburg oder Stadelheim
Rechtes Handskelett
G.47
710
426 oder 433
im ” Zweiten Weltkrieg“
Johann Obreski oder Johann Salwach
Salzburg oder Stadelheim
Schädel
G.16
1022
409, 459 oder 460
Zweiter ” Weltkrieg“
Erhard Sailer, Franz Barcik oder Franzissek Wiacek
Stadelheim
Präparat
Brustwarze
”
Tabelle 1 Liste der identifizierten Präparate mit einem NS-Kontext (Quelle: Christian Lechner)
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Im Folgenden werden bewusst die Klarnamen der Personen verwendet, die mit den identifizierten makroskopischen Präparaten in Verbindung stehen – ein Ansatz, auf den später noch näher eingegangen wird. Karl Klocker ermordete seine Frau Mathilde mit Blausäure, um seine Geliebte Regina Geisler zu heiraten. Geisler wurde jedoch im folgenden Prozess Hauptzeugin und sagte gegen Klocker aus, der am 14. September 1938 zum Tode verurteilt und am 14. Februar 1939 in Stadelheim durch Enthauptung hingerichtet wurde. Sein Leichnam wurde noch am selben Tag nach Innsbruck überführt.9 Im Anschluss daran wurde seine rechte Mamille als Feuchtpräparat in die Sammlung inkludiert. Drei Trockenpräparate, eine knöcherne Grundplatte des Schädels, ein Gesichtsschädel und eine knöcherne Hand, stammen auf Basis der Daten aus dem „Leichenbuch“ sowie von Karteikarten, die vermutlich in den 1970er- oder 1980er-Jahren10 erstellt wurden, ebenfalls von Opfern des NS-Regimes. Die drei Präparate stammen entweder vom Leichnam Johann Obreskis oder jenem Johann Salwachs.11 Ein weiteres Trockenpräparat, ein Schädel, stammt von einem „exekutierten Gefangenen (zwanzigjährig), 2. Weltkrieg“ und lässt sich mit einer der folgenden Personen verbinden: Erhard Seiler, Franz Barcik und Franzissek Wiacek.12
Diskussion Diese makroskopischen Präparate von Personen, die Opfer des NSRegimes wurden,13 werfen die Frage auf, wie mit solchen menschlichen Überresten nicht nur in Innsbruck, sondern generell umgegangen werden soll. In den vergangenen Jahrzehnten haben interdisziplinäre Arbeitsgruppen mehrere Empfehlungen erarbeitet.14 Die wahrscheinlich wichtigsten Empfehlungen wurden nach einem internationalen Symposium am 14. Mai 2017 in Yad Vashem veröffentlicht. An diesem haben einige der anerkanntesten Forscher auf diesem Gebiet teilgenommen. Im Sinne eines pars pro toto werden diese Empfehlungen allgemein als
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„Vienna Protocol“ bezeichnet, was eigentlich der Titel des Abschnitts von Rabbi Joseph A. Polak innerhalb der Publikation ist.15 Nach der mit allen zur Verfügung stehenden Methoden durchzuführenden Identifizierung menschlicher Überreste im Zusammenhang mit der NS-Zeit und der Erforschung individueller Biografien sollten diese ihre „letzte Ruhestätte“ (im Original: „final resting place“) finden und damit aus der jeweiligen anatomischen Sammlung entfernt werden. Ein wichtiger Punkt dabei ist, Angehörige und gegebenenfalls Glaubens- und Opfer(schutz)gemeinschaften in diese Entscheidungen miteinzubeziehen. Da dieser Beitrag nicht beabsichtigt, alle Aspekte des „Vienna Protocol“ zu reflektieren, bedeutet die Anwendung der dortigen Empfehlungen kurz gesagt, dass die oben genannten Präparate aus der Sammlung entfernt werden sollten. Zunächst müssen die menschlichen Überreste mittels weiterer wissenschaftlicher Methoden, wie etwa anthropologischer oder genetischer, endgültig einer einzelnen Person zugeordnet werden können. Anschließend sind die Präparate zu bestatten und ein angemessenes Gedenken an die Opfer muss etabliert werden. Doch obwohl allen interessierten Besuchern anatomischer Sammlungen die nötigen Informationen zu den Hintergründen bestatteter Präparate vermittelt werden könnten, kann eine einfache Tafel mit Biographien auf die Leser nicht die gleiche Wirkung entfalten wie konkrete anatomische Objekte auf die Betrachter. In einer sehr pessimistischen Denkweise könnten die Beseitigung der Präparate und die ausschließlich schriftliche Information zu einem weiteren Verlust der Erinnerung beitragen, im weitesten Sinne in Anlehnung an Harald Welzers „das Vergessen der Vernichtung ist […] Teil der Vernichtung selbst“.16 In Anbetracht dieser Problematik könnten sich Alternativen zum eigentlichen Objekt als äußerst sinnvoll erweisen, zum Beispiel wäre ein 3D-(Bio)Druck des konkreten Exemplars technisch problemlos möglich und wurde daher vom Autor erfahrenen Wissenschaftlern wie Sabine Hildebrandt, William E. Seidelman, Rabbi Polak und Michael Grodin vorgeschlagen.17 Die durch diesen Vorschlag aufgeworfenen Fragen werden aktuell noch
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diskutiert.18 Eine andere Möglichkeit wäre es, Lücken in der Ausstellung zu lassen, nachdem Objekte mit problematischem Hintergrund entfernt wurden, wie es am Institut für Anatomie und Zellbiologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg für australische menschliche Überreste realisiert wurde.19 Die nächste Frage betrifft Exemplare ohne identifizierbare Prove nienz, vielleicht sogar ohne Kenntnis der Zeit, in welcher die Präparate ursprünglich hergestellt wurden. Diese Problematik hängt zu einem gewissen Teil mit der allgemeinen Frage nach der Notwendigkeit anatomischer Sammlungen in Zeiten anatomischer 3D-Modelle zusammen. Sind anatomische Museen mit historischen Präparaten noch notwendig? So stammen viele der im Museum des Anatomischen Instituts in Innsbruck präsentierten Schädel aus westösterreichischen Beinhäusern (und stehen definitiv außerhalb eines NS-Kontextes). Gelten Beinhäuser aber nicht als letzte Ruhestätten? Da dies zu bejahen ist: Warum sollten menschliche Überreste von Orten entfernt werden, an denen sie angemessen bestattet wurden? Selbst wenn dies für Forschungszwecke geschehen ist (ohne an dieser Stelle auf offensichtliche ethische Bedenken einzugehen), hätten solche Überreste nach Abschluss der jeweiligen Projekte zurückgebracht werden können. Auch wenn dies nicht der zeitgenössische Ansatz war, sollte es unser heutiger sein. Zurückkommend auf Präparate ohne erkennbare Herkunft trotz Erforschung mit allen möglichen wissenschaftlichen Methoden: Ein Ansatz, den das Anatomische Institut in Jena auf externe Empfehlung hin verfolgte, bestand in der Klassifizierung dieser Präparate nach „Erhaltungszustand, Singularität, Ersatzmöglichkeit, Häufigkeit der Verwendung im Institut und Bedeutung für den Unterricht“.20 Ein offensichtliches Problem dieses Ansatzes besteht darin, dass er mögliche Exemplare mit NS-Kontext nicht ausschließt. Um sicherzustellen, dass keine solchen Exemplare in Sammlungen existieren, muss jedes einzelne Präparat, für das ein NS-Kontext nicht ausgeschlossen werden kann, aus der Sammlung entfernt werden, unabhängig von Kriterien wie Singularität oder anderen Dingen.
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Dieses Vorgehen vernachlässigt offensichtlich die Tatsache, dass identifizierte wie nicht identifizierte Personen, vor wie nach der NSZeit, nicht die Möglichkeit hatten, einer Verwendung für anatomische Lehr, Forschungs- oder Ausstellungszwecke zu widersprechen. Würde diese Tatsache mit aller Konsequenz verfolgt, stünden die meisten anatomischen Sammlungen und Museen nahezu leer und verlören wohl ihre Bedeutung als Studienstätte. Daher sollte ein ausgewogenes Vorgehen verfolgt werden, im Sinne der Entfernung aller Präparate mit NS-Kontext und solchen, die nicht zu identifizieren waren. Präparate, die diese beiden Kriterien nicht erfüllen und für die studentische Lehre relevant sind, können unter Angabe des Kontextes, in welchem sie Teil der Sammlung oder des Museums wurden, aufbewahrt werden. Derselbe Ansatz könnte auf Präparate angewendet werden, die in vielfacher Anzahl vorliegen, beispielsweise einzelne Knochen. Anatomische Institute benötigen wohl kaum Dutzende von Schädeln, die in ihrer Sammlung für die studentische Lehre aufbewahrt werden. Mit Blick in die Zukunft wäre es möglich, freiwillige Körperspender gezielt zu fragen, ob sie damit einverstanden wären, dass ihre Körper oder Teile davon in der Sammlung für die studentische Lehre oder sogar im Museum für die interessierte Öffentlichkeit (gegebenenfalls auf unbestimmte Zeit) verwendet werden. Dadurch könnten anatomische Institute zumindest einige historische Präparate Schritt für Schritt ersetzen.21 Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist die Rolle der Forschenden: Das „Vienna Protocol“ empfiehlt etwa die „Einbindung von Historikern mit Expertise in der Geschichte der Institution, der Epoche und des spezifischen Programms, zum Beispiel Anatomie, ‚Euthanasie‘, Experimente, usw.“ (im Original: „engagement of historians with expertise in the history of the institution, the era, and the specific program e. g. anatomy, ‚euthanasia‘, experimentation, etc.“).22 Dadurch können Anatomen selbst ein entsprechendes Projekt an ihrer Institution zwar initiieren oder unterstützen, als Mitarbeiter der untersuchten Institution ist jedoch ein möglicher Interessenkonflikt unvermeidlich. Die Untersuchung der Sammlung eines Instituts auf Präpa-
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rate mit möglichem NS-Kontext sollte daher vorrangig von externen Forschern durchgeführt werden. Schließlich befasst sich diese Diskussion mit der Frage, ob die echten Namen dieser Personen verwendet werden sollen oder nicht, mit oder ohne Verbindung zu den spezifischen Exemplaren.23 Der erste Aspekt betrifft jedoch nicht nur Opfer des NS-Regimes, die in anatomische Institute gebracht werden, sondern auch Personen, die im Rahmen der sogenannten „Euthanasie“ oder in Konzentrationslagern ermordet wurden. Die Gedenkstätten Schloss Hartheim bei Linz und Steinhof in Wien nennen alle Opfer mit ihrem richtigen Namen, letztere hat sogar ein Online-Register eingerichtet.24 Dieser Benennung der Opfer war eine intensive gesellschaftliche Debatte vorausgegangen. Seit Jahrzehnten wehren sich Angehörige von Opfern aus Angst vor anhaltender Stigmatisierung gegen die Veröffentlichung ihrer Namen. In den vergangenen zwanzig Jahren hat es einen Sinneswandel gegeben, angetrieben von Historikern wie Götz Aly, Paul Weindling, Maike Rotzoll und Gerrit Hohendorf, aber auch von Angehörigen wie Sigrid Falkenstein, die das „Totenschweigen der Vernichtung [als] Teil dieses Unrechts“ erachten.25 Ein wichtiges Ergebnis dieser Diskussion war die Online-Veröffentlichung von 30.000 namentlich genannten Opfern nationalsozialistischer „Euthanasie“ durch das Deutsche Bundesarchiv im August 2018.26 Allerdings gibt es noch immer konträre Ansätze, etwa durch die Arbeitsgemeinschaft Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten.27 Ein weiteres wichtiges Thema ist die Verbindung der echten Namen mit den jeweiligen menschlichen Überresten (oder deren möglichen Alternativen wie einem 3D-Modell) in Ausstellungen, Publikationen oder Präsentationen. Argumente für einen solchen Ansatz sind die gleichen wie für die Verwendung der echten Namen und das Ersetzen von Exemplaren durch Alternativen, das heißt das Verhindern des Vergessens durch (emotionale) Beeinflussung der Betrachtenden. Andererseits könnte das Recht des Opfers auf Würde beeinträchtigt werden, wenn der echte Name mit dem Präparat gezeigt wird, seien es tatsächliche
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menschliche Überreste oder ein 3D-Modell. Dieser Aspekt verdient jedoch eine weitergehende Untersuchung, die den Rahmen dieses Beitrags sprengt, und erfordert eine breite Diskussion unter Einbeziehung von Vertretern entsprechender Opfergruppen, die derzeit beispielsweise in der „Task Force on Legacy Anatomical Collections“ der American Association for Anatomy geführt wird.28
Fazit Beim Umgang mit humananatomischen Präparaten mit NS-Kontext sind die Empfehlungen des „Vienna Protocol“ von großem Nutzen und sollten von erfahrenen und externen Wissenschaftlern in Zusammenarbeit mit den untersuchten Instituten angewendet werden. Situationen, die über die konkret genannten Aspekte hinausgehen, sollten interdisziplinär und individuell evaluiert werden. In Zweifelsfragen sollte ein Expertenkonsens erreicht werden, indem auf dem Gebiet erfahrene Forscher um Unterstützung gebeten werden, beispielsweise die Herausgeber des „Vienna Protocol“. Alternativen, zum Beispiel 3D-(Bio-) Druck, für die Entnahme von Präparaten aus den anatomischen Sammlungen müssen weiter diskutiert und evaluiert werden. Mag. Dr. Christian Lechner Universitätsklinik für Pädiatrie I, Department für Kinderund Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Innsbruck
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Dieser Beitrag entspricht einer modifizierten Version eines in Publikation befindlichen englischsprachigen Beitrags zu einem Sammelband initiiert von der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Der hier vorliegende Artikel diskutiert vor allem die ethischen Implikationen und Möglichkeiten und ist als Teil der Dissertation des Autors, welche von ao. Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Dietrich-Daum, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck, und Univ.-Prof. Dr. Dirk Rupnow, Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck betreut wird, zu betrachten. Das erwähnte und mittlerweile abgeschlossene Projekt am Anatomischen Institut wurde von ao. Univ.-Prof. Dr. Erich Brenner, Department für Anatomie, Medizinische Universität Innsbruck, geleitet (Subventionen durch Land Tirol, Zukunftsfonds der Republik Österreich, Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus). Der Autor bedankt sich an dieser Stelle bei Prof. Dr. Sabine Hildebrandt und MMag. Dr. Ina Friedmann für wertvolle Ratschläge und Kommentare zum vorliegenden Beitrag. Huter, Franz: Hundert Jahre Medizinische Fakultät Innsbruck 1869 bis 1969, II. Teil in: Geschichte der Lehrkanzeln, Institute und Kliniken, Innsbruck 1969, S. 201. Lechner, Christian: Der Umgang mit Leichnamen am Anatomischen Institut Innsbruck zwischen 1929 und 1950, in: Geschichte der Universität Innsbruck 1669–2019, Band II: Aspekte der Universitätsgeschichte, hrsg. von Dirk Rupnow und Margret Friedrich, Innsbruck 2019, S. 567–603, hier S. 566. § 4 Gesetz vom 18. Dezember 1930 betreffend die Regelung des Leichenwesens, Landes-Gesetz- und Verordnungsblatt für Tirol 7. Stück, Nr. 14, Jahrgang 1931. Huter: Hundert Jahre, S. 207. Lechner: Der Umgang mit Leichnamen, S. 572. Eine unbekannte Anzahl an Präparaten im Büro des derzeitigen Sammlungsbeauftragten wurde aufgrund der Anweisung desselbigen nicht in das Inventar des Autors aufgenommen; E-Mail-Korrespondenz zwischen dem Autor und Romed Hörmann vom 12.1.2015. Freilinger, Maximilian / Klimaschewski, Lars / Brenner, Erich: Innsbruck’s histological institute in the third Reich: Specimens from NS-victims, in: Annals of Anatomy – Anatomischer Anzeiger 241/2022, S. 1–14, hier S. 1. Leichenbuchnummer 310, Karl Klocker. Diese 2.124 Karteikarten konnten mit 1.709 der 4.024 inventarisierten Präparaten verknüpft werden und wurden offensichtlich als Inventar genutzt. Für erste biographische Informationen siehe Lechner: Der Umgang mit Leichnamen, S. 593; weitere biographische Details werden gerade recherchiert. Ebd. Ob Klocker als NS-Opfer eingestuft werden sollte oder nicht, ist keine triviale Frage. Nachdem sein Mord nicht politisch motiviert war und er im österreichischen Ständestaat auch vor dem sogenannten „Anschluss“ zum Tode verurteilt worden wäre (vgl. Lechner: Der Umgang mit Leichnamen für Details), scheint eine Kategorisierung als NS-Opfer nicht naheliegend. Wie dem auch sei, die oben erwähnten Gedanken betreffen dennoch auch das von Klockers rechter Mamille hergestellte Feuchtpräparat, sprich das Recht auf eine letzte Ruhestätte gilt auch für Klocker. Dieses Thema wurde auf einer rezenten Tagung zum Thema „NS-Opfergriff“, organisiert vom Projekt „Gräberfeld X“, aufgegriffen; vgl. https://graeberfeldx.de/aktuelles/ tagung-zum-ns-opferbegriff-am-21-22-04-2022/, Stand: 13.6.2022. Viebig, Michael / Prüll, Cay-Rüdiger: Arbeitskreis der Bundesärztekammer „Menschliche Präparate in Sammlungen“. Empfehlungen zum Umgang mit Präparaten aus menschlichem Gewebe in Sammlungen, Museen und öffentlichen Räumen, in: Deutsches Ärzteblatt 8/2003, S. 378-383; Jütte, Robert: Die Stuttgarter Empfehlungen zum Umgang mit Präparaten aus menschlichem Gewebe in Sammlungen, Museen und öffentlichen Räumen, vgl. https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/1976/juette.pdf?sequence=1, Stand: 10.5.2022; Deutscher Museumsbund e.V. (Hrsg.): Guidelines. Care of Human Remains in Museums and Collections, https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2021/07/dmb-leitfaden-umgang-menschlueberr-en-web-20210625.pdf, Stand: 10.5.2022; American Association of Museums (Hrsg.): Code of Ethics and Professional Practice for Collections Professionals, vgl. https://tinyurl.com/3etuc92d, Stand: 13.6.2022. Polak, Joseph A: How to Deal with Holocaust Era Human Remains: Recommendations Arising from a Special Symposium. „Vienna Protocol“ for when Jewish or Possibly-Jewish Human Remains are Discovered, in: Journal of Biocommunication, 45/2017, S. 74–86.
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Welzer, Harald: Verweilen beim Grauen, Essays zum wissenschaftlichen Umgang mit dem Holocaust, Tübingen 1997, S. 26. Welzers Kommentar basiert auf Schriften des französischen Philosophen Jean Baudrillard. Korrespondenz zwischen dem Autor und Prof. Dr. Sabine Hildebrandt, Prof. Dr. William E. Seidelman und Rabbi Joseph A. Polak im November 2021. Zu den ethischen Implikationen beim 3D-(Bio-)Druck siehe unter anderem Jones, David Gareth: Threedimensional Printing in Anatomy Education: Assessing Potential Ethical Dimensions, in: Anatomical Sciences Education, 12/2019, S. 435–443. Korrespondenz zwischen dem Autor und Prof. Dr. Heike Kielstein, Direktorin des Institutes für Anatomie und Zellbiologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, November 2021. Redies, Christoph / Fröber, Rosemarie / Viebig, Michael / Zimmermann, Susanne: Dead bodies for the ana tomical institute in the Third Reich: An investigation at the University of Jena, in: Annals of Anatomy – Anatomischer Anzeiger 194/2012, S. 298–303, hier S. 301. Diese Themen werden aktuell in der wissenschaftlichen Welt der Anatomie und Anthropologie breit diskutiert, siehe unter anderem Organ, Jason M. / Comer, Amber R.: Evolution of a Discipline – The Changing Face of Anatomy, in: The Anatomical Record 305/2022, S. 766–771; Raff, Jennifer A. / Mulligan, Connie J.: Race reconciled II: Interpreting and communicating biological variation and race in 2021, in: American Journal of Biological Anthropology 175/2021; Jones, David Gareth / Whitaker, Maja I.: Speaking for the Dead. The Human Body in Biology and Medicine, Milton Park 2009. Polak: Vienna Protocol, S. 74. Der folgende Abschnitt basiert teils auf Friedmann, Ina / Lechner, Christian: Medizin, in: Österreichische Zeitgeschichte – Zeitgeschichte in Österreich. Eine Standortbestimmung in Zeiten des Umbruchs, hrsg. von Marcus Gräser und Dirk Rupnow, Wien 2021, S. 534–553. Totenbuch Spiegelgrund, vgl. http://gedenkstaettesteinhof.at/de/totenbuch/totenbuch-spiegelgrund, Stand: 10.5.2022. Falkenstein, Sigrid: Ein Plädoyer für die Freigabe der Namen von Opfern der NS-„Euthanasie“; vgl. https:// www.gedenkort-t4.eu/de/blog/sigrid-falkenstein-ein-plaedoyer-fuer-die-freigabe-der-namen-vonopfern-der-ns-euthanasie, Stand: 10.5.2022; Aly, Götz: Die Belasteten – „Euthanasie“ 1936–1945. Eine Gesellschaftsgeschichte, Berlin 2013. Euthanasie im Dritten Reich. Hinweise zu den Patientenakten aus dem Bestand R 179 Kanzlei des Führers, Hauptamt II b., vgl. https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Artikel/Ueber-uns/Aus-unserer-Arbeit/ euthanasie-im-dritten-reich.html, Stand: 4.8.2022. Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten zur Entscheidung des Deutschen Bundesarchivs zur Onlinepublikation der „Euthanasie“-Opfer, vgl. https:// www.euthanasiegeschaedigte-zwangssterilisierte.de/neues/aktuell-2018/15-11-18-bundesarchiv-machtnamen-der-opfer-von-ns-euthanasieverbrechen-online-zugaenglich-stellungnahme-ag-bez/, Stand: 10.5.2022. Sumner, Dale/Hildebrandt, Sabine/Nesbitt, Allison u. a.: Racism, structural racism, and the American Association for Anatomy: Initial report from a task force, in: The Anatomical Record 305/2022, S. 772–787.
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HUMAN REMAINS IN MEDIZINHISTORISCHEN SAMMLUNGEN Zur Erweiterung des Verständnisses von Unrechtskontexten Während die Provenienzforschung bislang vorwiegend politische Konnotationen von Sammlungen betrifft (NS-Raubgut, Sowjetische Besatzungszone und DDR, Koloniale Kontexte), berührt sie über die Objektgattung der Human Remains in medizinischen Sammlungen Aspekte, die bislang nicht berücksichtigt wurden. In diesem Zusam menhang erläutern die Autorinnen Charakteristika universitärer medizinhistorischer Sammlungen und stellen damit zusammenhän gende Unrechtskontexte vor.1
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Einleitung Die Debatte um Human Remains hat sich in den vergangenen Jahren intensiviert. Während sich sensible Objekte in zahlreichen Sammlungen partiell finden, sind sie in medizinischen Sammlungen allgegenwärtig und erfordern aus ethischer Sicht einen besonderen Umgang. Im Kontext medizinischer Sammlungen avancieren Human Remains jedoch schnell zur Selbstverständlichkeit, denn die Anfertigung von Präparaten ist notwendig, um Forschung und Lehre in der Medizin zu betreiben. Dies ist in Bezug auf einen ethisch verantworteten Umgang mit ihnen nicht immer förderlich. Die Praxis des Herstellens und Sammelns von Präparaten steht in einer langen Tradition, sodass sich gerade an medizinischen Fakultäten Human Remains aus mehreren Jahrhunderten angesammelt haben, so auch an der Universität Würzburg. Selten wurden diese Ansammlungen im Sinne eigenständiger Sammlungen konzipiert, noch seltener wurden Sammlungen oder Objekte kontinuierlich personell betreut und gepflegt.2 Sofern die Objekte keine fachliche Relevanz mehr für die medizinischen Disziplinen bieten, werden sie nun teils zur bloßen Inszenierung des eigenen Faches benutzt, teils an die Medizinhistorischen Sammlungen (MHS) übergeben. Hiermit geht auch die Frage des ethischen Umgangs mit den Präparaten einher. Durch den langen Bruch in der Betreuung der Objekte ist kontextualisierendes Wissen um Anfertigung und Nutzung der Präparate in Form von Archivalien oder auch Zeitzeugen kaum vorhanden oder verloren gegangen. In den meisten Fällen ist unklar, wie die Präparate entstanden sind und eingesetzt wurden. Damit ergibt sich eine gravierende Fehlstelle in der Objektbiografie, die ihrerseits grundlegend für die Frage des ethischen Umgangs mit Human Remains ist. Auch in medizinischen Sammlungen überschneiden sich sowohl nationalsozialistische als auch koloniale Unrechtskontexte, wie sie anderenorts bereits aufgearbeitet wurden.3 Allerdings entstammen die historischen Präparate im medizinischen Bereich generell einem
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Human R emains in medizinhistorischen S ammlungen
Machtgefälle im historischen Arzt-Patienten-Verhältnis. Dieser letzte Punkt ist wenig beachtet, dabei stellt sich besonders bei der genannten Objektgruppe die Frage nach Patientenrechten im heutigen Sinne. Dementsprechend ist eine umfassende Provenienzforschung bei Human Remains in medizinischen Sammlungen unumgänglich: Bei jedem Objekt menschlichen Ursprungs, dessen Herkunft nicht umfassend aufgeklärt ist, muss daher vorerst von einem Unrechtskontext ausgegangen werden.
Die medizinhistorischen Sammlungen in Würzburg Die Würzburger Medizinhistorischen Sammlungen, die in Depoträumen des Instituts für Geschichte der Medizin verwahrt werden, bestehen im Kern aus der chirurgischen Lehrsammlung des hiesigen Juliusspitals im Umfang von circa 800 Objekten (16. bis 19. Jahrhundert). Hinzu kommt die Sammlung der Universitätsfrauenklinik, die weitere 400 Objekte umfasst (19. bis 20. Jahrhundert). Im September 2021 wurden zudem Wandtafeln sowie ein umfänglicher Bestand an histologischen Schnitten (19. bis 20. Jahrhundert) aus dem Institut für Anatomie und Zellbiologie übernommen. Die Zuständigkeit der Sammlungsleitung4 erstreckt sich freilich über die eigenen Depotbestände hinaus auch auf die dezentral in den einzelnen Instituten und Kliniken der Medizinischen Fakultät verbliebenen historischen Bestände. Universitäre Sammlungen sind zum größten Teil dadurch charakterisiert, dass sie ursprünglich nicht mit der Perspektive der Kulturguterhaltung angelegt worden sind. Die Konsequenz daraus ist, dass die zuständigen Fakultäten gewöhnlich hierfür keinen Etat ausweisen, sondern höchstens Forschungs- und Lehrgelder für die überwiegend ehrenamtliche (Not)Betreuung der Bestände freigemacht werden können.5 Hierdurch ist – einerseits durch die meist aus den Reihen des eigenen Hauses requirierte Betreuung der jeweiligen Sammlung, andererseits durch das Fehlen eines finanziell gestützten Auftrags – gerade in
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den medizinischen Sammlungen die Sicht auf die betreuten Bestände als relevantes Kulturgut bislang eher unterentwickelt. Allenfalls von außen an die Sammlungen herangetragene, von politischem Willen motivierte Aufarbeitungsinitiativen stoßen bisweilen in diesen recht geschlossenen Kosmos vor. Gleichzeitig fordert die Medizin in ihrer Rolle als Vermittlerin zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, nach Spuren eben dieser Gesellschaft in medizinischen Sammlungen zu suchen, sie aus dem rein wissenschaftlich konnotierten Kontext zu lösen und neu einzuordnen. Die chirurgische Lehrsammlung des Würzburger Juliusspitals war die erste, die mit der beginnenden Erschließung des lokalen medizinischen Objekterbes im Jahr 2014 nach beinahe 100 Jahren Dornröschenschlaf entpackt, sortiert und archiviert wurde.6 Hierfür war hilfreich, dass der Prosektor der Würzburger Zootomischen Anstalt, Johann Theodor Feigel, 1850 einen Bildatlas zur „Operations- und Instrumentenlehre“ herausgegeben hat,7 der zu dem Zweck erstellt worden war, das gesamte zeitgenössisch verwendete chirurgische Instrumentarium abzubilden. Als Grundlage diente die Würzburger Sammlung, die wohl in ihrem Umfang als vorbildlich präsentiert werden sollte. Auffällig ist, wie in diesem Atlas Human Remains in die Präsentation von Medizintechnik eingereiht werden. Es handelt sich durchweg um Knochenpräparate, die Testreihen und damit das technische Vermögen der in Würzburg entwickelten Knochensägen abbilden. Dadurch, dass diese Präparate didaktisch weder der Präsentation von idealen Körperstrukturen (Anatomie) noch krankheitsbedingten Veränderungen (Pathologie) dienen, werden sie in noch höherem Maße „objektiviert“, als es bei Präparaten gemeinhin ohnedies der Fall ist: Human Remains fungieren hier schlicht als austauschbares, da unspezifisches „Übungsmaterial“. Bis heute befindet sich beispielsweise eine Schädelkalotte mit Sägespuren in der Sammlung.8 Diese ähnelt stark den abgebildeten Schädelkalotten und unterscheidet sich nur in der Anordnung der Sägespuren (Abbildung 1) – es handelt sich somit bei dem erhaltenden Exemplar auch um einen „Verbrauchsschädel“.
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1 Schädelkalotten (Quelle: Feigel, Johann Theodor: Chirurgische Bilder zur Operations- und Instrumentenlehre mit erklärendem Texte, Würzburg 1850, Tafel XXI)
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Unrechtskontexte in einem erweiterten Verständnis Laut dem Medizinhistoriker Wolfgang U. Eckart sind seit Ende des 19. Jahrhunderts diverse ethische Fragen in Bezug auf die Forschung am menschlichen Körper ungelöst.9 Bedenken ergeben sich aus dem Spannungsfeld zwischen medizinischem Fortschrittsdenken und möglichen erforderlichen Eingriffen in die Integrität des menschlichen Körpers. Die Vorbehalte hinsichtlich der physischen Versehrung eines lebenden Menschen scheinen jedoch wesentlich größer als die hinsichtlich eines toten, da dieser die Verletzungen nicht mehr bewusst erfahren kann. Dabei erfordert die Herstellung von Präparaten massive Eingriffe in den toten Körper, gleichzeitig erfährt der Leichnam eine Transformation: Die Verwesung der sterblichen Materie wird aufgehalten und durch die Konservierung in das Stadium ewigen Lebens versetzt. Dieser Prozess ist eine medizinische Verdinglichung, die jegliche persönliche Eigenschaften des Individuums auslöscht.10 Die Problematisierung der Verletzlichkeit des Menschen wird mit der Anfertigung eines Präparats umgangen. In Anbetracht dieses Phänomens erscheint die Frage nach der Herkunft der sterblichen Überreste und den Umständen ihrer Anfertigung ethisch besonders relevant, droht sie doch zugunsten des medizinischen Fortschritts unbeachtet zu bleiben. Anatomen und andere Mediziner bezogen die benötigten Leichname ab dem 17. Jahrhundert von Hinrichtungen. Die Körper Exekutierter wurden entsprechenden Institutionen zur Verfügung gestellt, was als Verschärfung der Todesstrafe gesellschaftlich akzeptiert war.11 Für die Verurteilten bestand keine Möglichkeit, sich dieser Praxis zu entziehen. Durch ihre Tat hatten sie das Recht auf ein christliches Begräbnis und damit „ehrbare“ Behandlung nach ihrem Tod verwirkt. Mit dem Aufkommen unterschiedlicher Evolutionstheorien ab Mitte des 19. Jahrhunderts ging eine zunehmende gesellschaftliche Abwertung bestimmter, zuvor marginalisierter Personengruppen einher. Menschen wurden nun nicht nur wegen angeborener Erkrankungen und Behinderungen herabgestuft, sondern auch auf Grund im Laufe des Lebens zugeschriebener Eigenschaften.12
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Dies ermächtigte Mediziner fortan, potenziell jeden aufgrund seiner Lebensumstände herabzusetzen, wenn diese nicht den vermeintlichen gesellschaftlichen Normen entsprachen. Die Bewertung entsprechender angeborener oder erworbener Eigenschaften oblag aus fachlichen Gründen Medizinern, also jenen, deren Forschung von der Verfügbarkeit menschlicher Körper abhängig war. Dass Mediziner dieses Machtgefälle ausnutzten, um Patienten für ihre Zwecke auch zu missbrauchen, liegt nahe: Durch moralisierende Darstellungen der Biografien einzelner Patienten rechtfertigten Mediziner ihr Vorgehen vor der Öffentlichkeit. So wurden Frauen beispielsweise als „Prostituierte“ stilisiert, wodurch ihnen ein „degenerierter“ Lebenswandel unterstellt wurde.13 Im gleichen Zeitraum institutionalisierten sich „Entmündigungsstrategien“ in den neu entstandenen Krankenhäusern. Diese etablierten sich zum ökonomischen Vorteil des Staates und vor allem als Orte medizinischer Forschung und Lehre, nicht als spätere Zentren der Genesung Kranker.14 Hier galten Sterbende und Kranke als Versuchsobjekte, da ihnen vermeintlich nicht weiter geschadet werden konnte. Auch Arme traf diese systematische Ausbeutung: In Polikliniken konnten sie sich ab den 1850er-Jahren kostenlos behandeln lassen – im Gegenzug durften Ärzte durch die Behandlungen ihren wissenschaftlichen Horizont erweitern. Dieser „Handel“ ließ den Medizinern großen Spielraum in der Auslegung von Gründen zur Einweisung, während er für viele Mittellose in der damaligen Zeit die einzige Option einer Behandlung darstellte. Dieses Vorgehen vieler Mediziner war bekannt, deshalb entschieden sich einige Menschen bewusst dafür, Krankenhäuser besser zu meiden.15 Trotzdem garantierte die vielfältige Stigmatisierung der Patienten den Medizinern ein vielfältiges Spektrum an „Forschungs- und Lehrmaterial“.
Human Remains in universitären Sammlungen In den eingangs aufgezählten Würzburger Sammlungen sind Human Remains in unterschiedlichen Erscheinungsformen zu finden. Hier
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wären zunächst Mazerationspräparate zu nennen: Knochenpräparate, die erst durch manuelle, dann chemische Entfernung der Körperweichteile gefertigt werden. Die Ergebnisse reichen vom ganzen „Patienten“ (Skelett) bis zum Knochenschnitt. Sie sind nicht zu verwechseln mit Trockenpräparaten, die durch den Entzug von Feuchtigkeit aus Geweben hergestellt werden. Daneben stehen Feucht- oder Nasspräparate, bei denen organische Strukturen, in Gänze oder zuvor zurechtpräpariert, in einem Glasbehälter mit konservierender Flüssigkeit eingelegt werden. Abschließend zu nennen sind Schnittpräpate, die von ganzen Körperschnitten bis zu Gewebeschnitten auf Objektträgern reichen (histologische Präparate). Bei all diesen Objektgruppen müssen entsprechende Animal Remains, die zu ihrer Zeit für vergleichende Forschung akquiriert wurden, stets mitgedacht werden: So finden sich in der Präparatesammlung des Instituts für Anatomie und Zellbiologie Primatenskelette sowie weitere (Groß)Tierknochen; die in der geburtshilflichen Sammlung (MHS) befindlichen, weit über 100 weiblichen Becken wurden ebenfalls durch tierische ergänzt; unter den in die MHS übernommenen histologischen Schnitten befindet sich wiederum ein großer Anteil von tierischen Präparaten. Kaum reflektiert wird von medizinischer Seite, dass auch anderes, dem menschlichen Körper entnommenes und konserviertes Material zu den Human Remains zählen kann. So finden sich häufig im Bereich der Mikroskopie Objektträger mit Blut, Sekret- und Liquorproben sowie Erregerkolonien.16 Neben diesen, eher üblichen Objektgruppen sind in medizinischen Sammlungen auch disparate Einzelbestände vorzufinden, wie etwa in Würzburg eine Moorleiche (Institut für Rechtsmedizin) oder Gallensteinschliffe (Institut für Pathologie). Es hat sich außerdem gezeigt, dass mit Neuzugängen, die nicht aus dem universitären Bereich stammen, immer wieder Human Remains abgegeben werden: zuletzt beschriftete „Lernknochen“ aus dem 19. Jahrhundert (in einer Kiste mit einer Bücherspende) oder Lehrmittel aus dem Bestand des Roten Kreuzes aus den 1920er-Jahren, die als Massenprodukt mit echten Knochenschnitten gefertigt wurden.
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Nach bisherigem Kenntnisstand gibt es in den hier vorgestellten Würzburger Beständen keine, die unter die gemeinhin als Unrechtskontexte untersuchten Bereiche fallen. Die Sammlungen sehen sich aber auch nicht in dem Maße zur Reflexion über Herkunft und Aussage ihrer Objekte angehalten wie die mit Human Remains befasste Museen. Als Beispiel mögen die Feuchtpräparate dienen: Diese Art der Präparate ruft bei medizinischen Laien oft besonderes Befremden hervor, da das wissenschaftliche Dokumentationsinteresse meist Abnormitäten galt und auch Präparate mit zum Teil erkennbaren Gesichtszügen oder anderen emotional berührenden Charakteristika (Embryonenpräparate) verfertigt wurden. Welche Herausforderung dies für den musealen Umgang mit solchen Beständen darstellt, zeigt exemplarisch Virchows Präparatesammlung im Museum der Berliner Charité.17 Dabei beschränken medizinischen Sammlungen den Zugang meist auf Studierende und medizinisches Fachpersonal, so auch in Würzburg. Die eigene Unterrichtserfahrung zeigt jedoch, dass die anatomische Präparatesammlung Erstsemester durchaus irritiert und die Ausstellungsobjekte großen Gesprächsbedarf evozieren: Hier ist der nüchterne medizinische Blick noch nicht eingeübt. Das in der Wissenschaft gewünschte, da allein aussagekräftige Fragment (wie ein Kopfpräparat oder ein fehlgebildeter Embryo) wird emotional noch mit der eigenen Lebenswelt respektive dem eigenen Körper verknüpft. Die Konfrontation mit historischen Human Remains und die Frage nach der Einwilligung der „Spender“, deren Körperteile nun ein Jahrhundert später in einer Vitrine liegen, führt oft zu starker Betroffenheit: Man ist an die Vorstellung gewöhnt, dass sich Menschen heute, vertraglich geregelt, großzügig der Wissenschaft zur Verfügung stellen; dass sich die Forschung lange Zeit einfach nahm, was sie wissenschaftlich relevant fand, scheint unvorstellbar. Aber gerade diese jungen Medizinstudierenden haben einen nüchternen medizinischen Blick noch nicht ganz verinnerlicht beziehungsweise sind noch in der Lage, ihn zu reflektieren. Durch ihre Fragen nach Provenienz, Patienten(un)recht und tatsächlicher wissenschaftlicher Relevanz einzelner Objekte zeigen sie,
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dass eine eigenständige Betrachtung der Human Remains in medizinischen Sammlungen, die bewusst aktuelle (fach)politische Debatten erweitert, ein wirkliches Desiderat darstellt.
Ausweitung der Förderung Bislang existieren keine Förderlinien, die eine Sammlungs- und Provenienzforschung zu Human Remains jenseits der „klassischen“ Unrechtskontexte (vergleiche die Förderbereiche NS-Raubgut, Sowjetische Besatzungszone und DDR,18 Koloniale Kontexte19) unterstützen, auch wenn die Forderung danach nicht neu ist.20 Denkbar wäre eine entsprechende Ausdehnung der Agenda des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste (DZK) auf ein erweitertes Verständnis von Unrechtskontexten, wie es oben dargestellt wurde. Genauso notwendig ist aber auch eine systematische Förderung zur Verbesserung der eigentlichen Sammlungsinfrastrukturen, um Human Remains in den unterschiedlichen universitären Sammlungen ausfindig und damit überhaupt erst hinsichtlich der bislang viel zu wenig berücksichtigten, erweiterten Unrechtskontexte erforschbar machen zu können. Human Remains in medizinischen Sammlungen der Wissenschaft zu entziehen und gegebenenfalls zu bestatten, muss hierbei nicht das alleinige Ziel sein. Vielmehr bilden Forschungen zu Herkunft und Entstehungskontexten die Grundlage zur nötigen ethischen Reflexion im Umgang mit Human Remains und bestehenden wissenschaftlichen Praxen. Elisabeth Kriep, B.A. Professur für Museologie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg PD Dr. Sabine Schlegelmilch Sammlungsleitung der Medizinhistorischen Sammlungen am Institut für Geschichte der Medizin der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
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Der folgende Beitrag fasst die Grundzüge einer gegenwärtig an der Würzburger Professur für Museologie entstehenden MA-Arbeit zusammen (Bearbeiterin: Elisabeth Kriep; Betreuung: Guido Fackler und Sabine Schlegelmilch). Nolte, Karin: Sammeln und Deuten von dreidimensionaler Medizingeschichte. Die Chirurgische Sammlung der Universität Würzburg des 19. Jahrhunderts, in: Sammeln – eine (un)zeitgemäße Passion, hrsg. von Martina Wernli, Würzburg 2017, S. 187–205, hier S. 189, 204. 2012 wurde beispielsweise für die Bestände der Würzburger Anatomie der NS-Kontext erstmals beleuchtet: Blessing, Tim et al.: The Würzburg Anatomical Institute and its supply of corpses (1933–1945), in: Annals of Anatomy 3/2012, S. 281–285. Die Frage nach einem kolonialistischen Hintergrund der medizinischen Sammlungen bleibt für Würzburg vorläufig unbeantwortet. Die Sammlungsleitung ist seit 2014 am Institut für Geschichte der Medizin angesiedelt, Kuratorin ist gegenwärtig PD Dr. Sabine Schlegelmilch. Andraschke, Udo et al.: Empfehlungen zum Umgang mit wissenschaftlichen Sammlungen an Universitäten, verfasst im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, 2016, S. 4, https://wissenschaftliche-sammlungen.de/files/6614/8767/2151/Empfehlungen_Web.pdf, Stand: 12.5.2022. Nolte: Sammeln und Deuten von dreidimensionaler Medizingeschichte, S. 187–205, hier S. 188. Feigel, Johann Theodor: Chirurgische Bilder zur Operations- und Instrumentenlehre mit erklärendem Texte, Würzburg 1850. Medizinhistorische Sammlung Würzburg, Knöcherner Schädel, C-203. Eckart, Wolfgang U.: Introduction, in: Man, Medicine, and the State. The Human Body as an Object of Government Sponsored Medical Research in the 20th Century, hrsg. von dems., Stuttgart 2006, S. 9–13, hier S. 9. Bergmann, Anna: Der entseelte Patient. Die moderne Medizin und der Tod, Berlin 2004, S. 212–214. Ebd., S. 205. Bergoldt, Klaus: Das Gewissen der Medizin. Ärztliche Moral von der Antike bis heute, München 2004, S. 246–247. Sabisch, Katja: Das Weib als Versuchsperson. Medizinische Menschenexperimente im 19. Jahrhundert am Beispiel der Syphilisforschung, Bielefeld 2007, S. 111. Dross, Fritz: Heilende Häuser? Zur Genese des modernen Krankenhauses, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 30–31/2021, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/krankenhaus-2021/, S. 24–31, hier S. 26/27, Stand: 24.5.2021. Reuland, Andreas: Menschenversuche in der Weimarer Republik, Heidelberg 2017, S. 238–245. Diese Bestände fehlen in der „Definition und Identifizierung menschlicher Überreste“ bei: Fuchs, Jakob et al.: Menschliche Überreste im Depot. Empfehlungen für Betreuung und Nutzung, Berlin, 2. Fassung, 2021, S. 3, https://wissenschaftliche-sammlungen.de/files/4416/2140/5696/Menschliche_berreste_im_Depot_V2.pdf, Stand: 12.5.2022. https://www.bmm-charite.de/museum/geschichte-des-museums.html, Stand: 12.5.2022. Arbeitskreis „Menschliche Präparate in Sammlungen“: Empfehlungen zum Umgang mit Präparaten aus menschlichem Gewebe in Sammlungen, Museen und öffentlichen Räumen. Mitteilungen der Bundesärztekammer, in: Deutsches Ärzteblatt 8/2003, S. 378–383. Das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste (DZK) fördert seit 2017 außerdem Forschung zu Kulturgutverlusten in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Auch diese historische beziehungsweise geografische Sondierung ist für die Forschung zu Human Remains in medizinischen Sammlungen als Unrechtskontext relevant. Vgl. Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste: Die Stiftung. Aufgaben und Themenbereich, https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Stiftung/Aufgaben/ Index.html, Stand: 24.5.2022; Lehner, Anna Maria: Medizin und Menschenrechte im Gefängnis. Zur Geschichte und Ethik der Forschung an Häftlingen seit 1945, Bielefeld 2018, S. 89–96. Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste: Richtlinie für die Förderung von Projekten zur Provenienzforschung bei Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, Stand: 2.1.2022, https://www.kulturgutverluste.de/ Content/08_Downloads/DE/Projektfoerderung_Koloniale-Kontexte/Foerderrichtlinie_Kulturgueter_koloniale_Kontexte.pdf?__blob=publicationFile&v=6, Stand: 24.5.2022.
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ieses Kapitel befasst sich mit den konkreten Dimensionen des Umgangs mit Human Remains, wie der Repatriierung sterblicher Überreste und den Versöhnungsbestrebungen mit den Nachfahren der Verstorbenen. Zudem werden zwei zentrale Standpunkte dargelegt und gegenübergestellt: Human Remains öffentlich präsentieren, wie das tourismusfördernd in Bozen geschieht („Ötzi“), oder der bewusste Verzicht auf das Zeigen menschlicher Überreste, wie dies im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst München gehandhabt wird. Paul Turnbull verdeutlicht, dass in den vergangenen Jahrhunderten die Human Remains der First People, der australischen Ureinwohner, vor allem von europäischen Museen und Forschungseinrichtungen gesammelt wurden, um darwinistische Schlussfolgerungen aus biologischen Merkmalen ziehen zu können. Dabei zeichnet er die (kultur)politischen Dimensionen des Umgangs mit Human Remains – damals wie heute – nach und betont die kulturelle und soziale Bedeutung des Umgangs einer Gesellschaft mit Toten, insbesondere in Australien.
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Te Arikirangi Mamaku-Ironside erzählt zunächst nach, wie insbesondere Toi moko, konservierte, tätowierte Köpfe der neuseeländischen Ureinwohner, nach Europa gebracht wurden. Dagegen regte sich sehr früh Widerstand vonseiten der Māori und Moriori. Seit Beginn der 2000er-Jahre wird mithilfe des Karanga Aotearoa Repatriation Programme (KARP) des Te Papa Tongarewa-Museums in Wellington weltweit koordiniert nach Human Remains gesucht und versucht, die Besitzer zu einer Rückgabe zu bewegen. In seinem Beitrag geht der Autor auf die bereits erfolgten Repatriierungen von Human Remains aus dem ehemaligen Besitz deutscher Institutionen ein. Bei Elisabeth Vallazza geht es um eine der berühmtesten Mumien Europas, den Mann aus dem Eis, auch „Ötzi“ genannt. Dabei fokussiert sie die touristische Bedeutung der ausgestellten Eisleiche und die Bestrebungen der Provinz Bozen, einen neuen, dem Besucherandrang angemesseneren Museumsstandort zu finden. Deutlich anders positioniert sich Sylvia Schoske, die sich klar gegen die Zurschaustellung von Human Remains ausspricht und auf die Tabuisierung des Mumifizierungsvorgangs verweist. Zudem berichtet sie aus der Praxis: Ausstellungsbesucher würden sich eben nicht daran stören, dass die menschlichen Überreste nicht gezeigt werden, wenn man es ihnen erklärt.
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MUSEUMS, COLONIALISM AND REPATRIATING THE ANCESTRAL DEAD In 2015, the cremated remains of a man who lived in the Willandra Lakes region of south eastern Australia some 42,000 years BP were given into the care of the Mutthi Mutthi, Paakantji / Barkandji and Ngiyampaa people, the Indigenous Traditional Owners of the Wil landra region. The return of so-called “Mungo Man” is one of the best known instances of the de-accession and unconditional return of the bodily remains of Indigenous Australians by museums and other Western scientific and medical institutions over the past forty or so years. Focusing on Australia’s experience of returning the ancestral remains of its First Peoples for burial, I discuss the past entanglement of museums in European colonial ambitions, and suggest that we would do well to see that no longer treating the dead as anthropologi cal-historical artefacts holds out the promise of museums becoming places enriching our sense of common humanity through reconcilia tion with the colonial past.
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“White man took their bones. Played around with them and brought them back. Now we will bury them. Home. What is the message? We put them home.” Jacob Nayinggu, Bininj Elder, 20111
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he remains were discovered in 1974, and nicknamed “Mungo Man” by scientists, due to his discovery close to the lake named Mungo by early European settlers. They were returned after a long campaign by Mutthi Mutthi, Paakantji / Barkandji and Ngiyampaa people to have him reburied in his ancestral country, as their spiritual beliefs and customary law demands. Mungo Man is one of at least 6,000 individuals whose remains were acquired by Australian museums and university medical schools from the mid-nineteenth century to the mid-1970s. Over the next ten years, the bones of probably another 1,500 Australian Aboriginal and Torres Strait Islander people will have been returned for burial by European and North American museums and medical schools. Most of these relics came into scientific hands between 1860 and the early 1920s. The bones of Australia’s First Peoples were acquired with the ambition of gaining new sources of insight into humankind’s natural history.2 Where possible, these remains of the first Australians are being returned to the care of their ancestral community for reburial. Where there is uncertainty about their personal identity or community of origin they will be placed in a culturally appropriate resting place.
Science, Colonialism, and the Indigenous Dead The history of scientific collecting and investigation of the bodily remains of Australia’s First Peoples is a disturbing story of the entangle-
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ment of scientific aspirations in colonial ambitions. Notably between 1860–1920, this scientific work reflected the prevailing racialised chauvinism of Western social elites concerning the nature of human diversity, the causes of societal progress and the relative superiority of European civilisation. As one prominent museum director observed before a meeting of the Australian colonies’ premiere scientific congress in 1893, science was challenged to explain why was it that Europe’s most ancient human inhabitants had eventually become “a race which can claim a Shakespeare or a Newton”, while, as he saw it, the Indigenous peoples of Australia seemed to him to have had not only “remained practically unchanged through long ages” but also seemed “doomed to speedy extinction” with the spread of settler society across the vast continent.3 Curiosity about human variation and diversity led to the acquisition by many leading European museums of the later nineteenth century of collections of ethnographic artefacts and anthropological collections of Human Remains. Museums built anthropological and ethnological collections believing them to be tangible evidence of the natural history of humanity. Much like rock and mineral specimens could be “read” as evidence of Earth’s geological history, so too the material culture of Europeans and peoples in other parts of the word could be “read” as evidence of humankind’s progressive development in terms of mental sophistication and social and moral progress.4 Likewise, it was believed that Human Remains could be “read” to disclose the biological basis of human psychology and its progressive sophistication. The human brain was regarded as analogous to the geological structure of the Earth, in that both possessed a primitive core over which “strata” of greater structural complexity had been laid down over many thousands of years by physical, chemical, and biological processes. As Thomas Henry Huxley, a leading champion of Darwinian evolutionary theory, observed: “The doctrine of evolution is the necessary result of the logical application of the principles of [geological] uniformitarianism to the phenomenon of biology.”5
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Museums and the Fabrication of Indigenous “Racial Primitivity” The bodily remains and material culture of peoples living beyond Europe were displayed in ways that stimulated the consciousness of museum visitors that they were the beneficiaries of a history resulting in their inheriting an advanced capacity for self-reflective reasoning and moral judgement. Notably in the case of the indigenous peoples to Australia, present-day Namibia, and the sub-Polar regions of North and South America, their bodily remains were thought to confirm that their consciousness of self was, unlike that of supposedly more evolutionarily advanced Europeans, “[…] lacking in historical depth and complexity, and thereby, not affording the inner space in which a progressive dynamic might emerge from the work of the self on self.”6 Their skulls especially were regarded as tangibly confirming that they were peoples in a state of primitivity who were unlikely to experience any substantial degree of intellectual progress before what was widely believed to be the inevitability of their extinction. One could give many concrete illustrations of the work of museums in fostering the idea that the history of our species was essentially a drama of racial struggle and supersession. Here, one may suffice: In the 1860s the Oxford University Museum began to amass a substantial anthropological collection of skulls and post-cranial remains of peoples from all over the world. The driving force behind the growth of this collection was George Rolleston, Oxford’s Professor of Anatomy at the time. His collecting was typical of curators and other scientists associated with museums who sought to build anthropology collections throughout Europe, the Americas, and many other parts of the world in the half-century or so after 1860. Rolleston obtained remains through a network of collectors. In his case, the network included students whom he had taught anatomy and who had pursued careers as navy or army medical officers in Britain’s spheres of colonial interest, or had come to practise medicine in British colonies or other parts of the world.
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Rolleston has these bones arranged and displayed to students and Oxford’s genteel public so that they visually confirmed the truth of Charles Darwin’s “long argument” for the emergence of new species by evolution. Indeed, so arranging these bones was seen as overcoming what Darwin’s critics regarded as a major weakness of his theory. This was the absence in the fossil record of a transitional being – a so-called “missing link” between pithecoid apes and the genus Homo.7 Darwinians were forced to concede that none had so far been found; but they addressed this weakness by arguing that Australian and other indigenous peoples possessed morphological characters – notably in the shape of the skull, and the form of the pelvis – that confirmed they were peoples still in an early phase of biological and sociocultural evolution, and hence substantially similar to palaeolithic Europeans. As historian of anthropology George Stocking has brusquely observed, the defence of Darwinian evolutionism saw its leading proponents “[…] throw living savage races into the fossil gap.”8 Of course, there were museum curators and scientists who strove to build anthropological collections who rejected Darwinian evolutionary theory. Notably in French and German speaking scientific circles, the uses to which the bodily remains of Australian and other indigenous peoples were put reflected the influence of native traditions of biological thought. Even so, these remains were imagined as providing mute testimony that humanity comprised a hierarchy of distinctive racial types, each with peculiar and unequal bodily and mental differences.
Anthropology Collecting and Colonial Violence By the turn of the twentieth century, the bones of Australia’s First Peoples were regarded as among the most scientifically important items in the anthropological collections of Western museums and universities. They were also regarded as items of increasing rarity due to
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the prevailing yet mistaken belief in the inevitability of the extinction of Australia’s First Peoples. So much that curators and scientists rarely had moral reservations about acquiring remains by plundering burial places, despite knowing that doing so caused Indigenous communities profound distress and anguish.9 We also find in museum records and the personal papers of scientists numerous instances of curators of comparative human anatomy and anthropological collections knowingly acquiring skulls and other bodily remains of people killed on the frontiers of colonial settlement.10 In 1946, for example London’s Museum of Natural History inherited skulls of Tasmanian and mainland Aboriginal people which had been privately collected between 1840–1875. Within this collection was the skull of a Tasmanian man killed in 1831 when raiding a shepherd’s hut for food in a remote part of the island colony. Surviving records disclose that: “The Shepherd in his log hut one day observed this Native approach stealthily. He immediately seized his gun and pointed it out of a small loophole. The native dodged behind an outbuilding turning his head round the corner to look towards the hut. He then exposed his chest round the corner as he himself turned round to wave his arm as a signal to the natives behind him to come on. At this moment the shepherd fired and shot him through the thorax. He sprang up, made a loud yell and fell down dead.”11 Generally, however, the remains of Indigenous Australians who died violently at the hands of European settlers were acquired after some time had passed. And how collectors typically regarded the fact that they were potential beneficiaries of violence is well illustrated by the reminiscences of the German embryologist Richard Semon (1859–1918). While undertaking zoological fieldwork in northern Australia in 1892, Semon learnt that he might be able to secure for Munich’s Royal Mu-
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seum of Ethnology the skeletal remains of people shot by frontier police. Semon also claimed that he was told that one local man would have been willing to kill local Indigenous people to supply him with skulls had he not recently been shot by a young Indigenous man whom he threatened to murder.12 Understandably, he was shocked to hear that there were settlers who would have committed murder to supply him with skulls. He was also appalled to learn of the police killing and that the bones of those killed “[…]. had for a long time been left to bleach in the open bush.” Even so, he later wrote: “[…] my humanity did not go so far as to prompt me to exert myself in order to obtain an honourable burial for these bones. On the contrary, I had the ardent desire to secure the remains of these poor victims for scientific purposes, the study of a series of Australian crania being of considerable anthropological interest.”13
The Long Struggle of Indigenous People to Care for and Protect the Ancestral Dead The campaigning by Indigenous peoples to have the remains of their ancestors’ returned to their care for burial is often imagined to be a relatively recent phenomenon. Critics of repatriation have encouraged it being so seen, with some going as far as to suggest that the presence of remains in museums and other scientific collections was never an issue prior to the 1970s and claiming that campaigns for their reburial has been orchestrated by Indigenous political activists with little or no connection to the culture of their ancestors. Several observations are worth making by way of response here. Firstly, it was only in the 1970s that Indigenous peoples in Australia and other former settler colonies secured the political power and resources to begin campaigning for the return of their ancestors’ remains. One
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can find many examples of Indigenous communities seeking the return of the dead long before the 1970s. In Australia, we find that as far back as the 1890s, one Indigenous community sought to enforce their right in British common law to have the remains of one of their ancestors returned by a museum, after staff of the museum were discovered to have plundering his burial place. Secondly, when Indigenous communities were able to defend their dead from desecration by would-be collectors they invariably did so. In 1874, two experienced outback travellers came across a burial of the Garrwa people on the journey, which one of the men described in his journal as “the last resting place of some Prime Minister or other black boss”.14 Clearly, this was the grave of a senior Garrwa Elder and lawman. They dug the grave to find that the Elder’s bones were “very complete and worthy of having been robbed for a museum”. As Tony Roberts, the historian of Australia’s northern Gulf Country, observes, these opportunistic grave robbers were lucky not to have been discovered by the Garrwa. Even to walk close to the grave was a transgression of customary law punishable by death. And to touch or tamper with the Elder’s remains was so sacrilegious an act that it would have been incomprehensible to Garrwa people. As Roberts notes, “[s]ubsequent European travellers may have been punished for the actions of these men.”15 Thirdly, the fact that campaigning by Australia’s First Peoples for the return of their ancestral dead over the last forty years has been led by experienced political activists simply confirms the obvious truth that politics “is a universal and pervasive aspect of human behaviour”. What is more, in Australia and other post settler societies, the return of Human Remains from scientific institutions for burial is political action that reflects the fact that the continent’s First Peoples regard their ancestral land as forever alive and their creator. They often speak of their ancestral county as their mother, to whom they and all other living things nurtured by the land owe their existence. The land is the source of meaning from which they derive their sense of themselves and their rela-
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tions to all other l iving beings. Hence the removal of the dead from their ancestral burial places in the land is believed to have condemned their spirits to torment by taking them from the spiritual care of the country which gave them life. This in turn weakens the ability of the land to fulfil its obligation to care for the living. First Peoples say it makes the land sick. As ethnographer Stephen Muecke observes, “[t]he safe return of [an ancestor’s] spirit is imperative to the wellbeing of the place so that it may continue as an enduring life source.”16
Repatriation: Redressing a Great Wrong Given this, museums, and other scientific institutions in post settler societies such as Canada, Aotearoa New Zealand, and Australia now recognise – albeit belatedly – the ethical necessity of respecting the wishes of Indigenous people to rebury their ancestral dead. Repatriating the ancestral dead is at the core of what since the 1980s we have come to commonly term postcolonial museology. This involves addressing the fact that many ethnographic and anthropological collections in museums and universities were historically the beneficiaries of colonial duress or injustice and working to transform museums into places wherein visitors encounter items contextualised from the cultural perspectives of the communities in which objects originated. As anthropologist Emma Kowal observes, the didactic goal of postcolonial museology has been to “cultivate progressive and reflexive nonindigenous identities”17. Moreover, as Kowal points out, museums in post settler societies could be said to be now experiencing what we might call a “de-colonial turn” in response to the aspirations of Indigenous peoples for recognition of their ancient sovereign rights to land and the free enjoyment of their lifeways and culture. Museums are ceding institutional power to Indigenous curators, community reference groups and Indigenous cultural protocols in the curation and exhibition of collections.
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Lessons for the Future It seems best to conclude this essay by noting that a transformation of those museums which acquired Indigenous ancestors as specimens is underway. From institutions in which collecting and exhibitory practices gave existential concrescence to the cultural chauvinism of the nineteenth century, most now aspire to be sites of understanding and critical reflection on the past. This transformation has been achieved in large measure by Australian and other indigenous peoples drawing attention to Western sciences complicity in colonial ambitions. Perhaps there are lessons here for the many smaller museums, among them those with collections attesting to the fascination of earlier generations of Europeans with Egypt and other parts of the ancient world. I would be the last person to discourage interest and understanding of the civilisations from which we derive so much of our artistic, intellectual and cultural heritage. But by the same token, one is led to question whether enriching public interest in and knowledge of ancient Egyptian society, religion and funerary culture really needs to display the remains of the dead. For if there is one thing to be learnt from the Australian experience of returning the dead of our First Peoples for burial in the care of their ancestral country, it has provided the basis for new relations between museums and the peoples whose possess ions they curate. And as my friend and co-researcher, Lyndon OrmondParker recently observed, “the way that we treat our dead is a reflection of the society we live in.”18 I would add that for Australians, returning the ancestral dead of our First Peoples to country has given us the gift of seeing a truer reflection of our history and, perhaps, a better world we can realistically aspire to create. Prof. Dr. Paul Turnbull Professor Emeritus, School of Humanities at the University of Tasmania; Honorary Professor, Centre for Heritage and Museum Studies at the Australian National University; Honorary Professor, University of Queensland
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Thomas, Martin: Bones as a Bridge Between Worlds: Responding with Ceremony to the Repatriation of Aboriginal Human Remains from the United States to Australia in Conciliation on Colonial Frontiers: Conflict, Performance, and Commemoration in Australia and the Pacific Rim, ed. Kate Darian-Smith and Penelope Edmonds, London 2015, pp. 150–168, p. 163. Turnbull, Paul: Science, Museums and Collecting the Indigenous Dead in Colonial Australia, London 2017. Stirling, Edward Charles: Prehistoric Man, Privately Printed, Adelaide 1893. Pitt Rivers, Augustus Henry Lane-Fox: Catalogue of the Anthropological Collection Lent by Colonel Lane Fox for Exhibition in the Bethnal Green Branch of the South Kensington Museum, London 1874. Huxley, Thomas Henry.: The Coming of Age of “The Origin of Species”, in: Darwiniana. Collected Essays, by Thomas H. Huxley, London 1893, p. 232. Bennett, Tony: Pasts Beyond Memory: Evolution, Museums, Colonialism, London 2004, p. 96. Bowler, Peter J.: Evolution: the History of an Idea, Berkeley / London, 1984; Stocking, G.W.: Victorian Anthropology, New York 1987, pp. 147–148. Stocking, George W. Jr.: Victorian Anthropology, p. 148. Turnbull, Paul: Science, Museums and Collecting the Indigenous Dead in Colonial Australia, London 2017, pp 195–257. Ibid, pp. 279–298. Davis, Joseph Barnard: Manuscript Volumes of “Catalogue of Crania”, London 1876, numbers 1–1817. Semon, Richard Wolfgang: In the Australian Bush and on the Coast of the Coral Sea, London 1899, p. 266. Ibid. Nation, Wiliam: Notes of Events on an Overland Trip from Kennedy District, Queensland, to Port Darwin, 1st September 1873 – 1 June 1874. North Queensland Collection, H/37, Townsville 1874. Roberts, Tony: Frontier Justice: A History of the Gulf Country to 1900, Brisbane 2005, p 29. Muecke, Stephen: Ancient and Modern: Time, Culture and Indigenous Philosophy, Sydney 2004, p. 16. Neale, Timothy / Kowal, Emma: “Related” Histories: on Epistemic and Reparative Decolonization., in: History and Theory 3/2020, pp. 403–412, p. 408. Ormond-Parker, Lyndon: The New Tools that will Help Return Indigenous Ancestral Remains to Australia, https://www.sbs.com.au/news/the-new-tools-that-will-help-return-indigenous-ancestral-remains-to-australia/9cc3f8c8-5696-40df-9e1e-dff721082f13, retrieval date: 24.9.2019.
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RECONCILIATION THROUGH REPATRIATION For generations, Māori and Moriori have fought to have the remains of their ancestors returned home. Over much of this time, pleas and appeals to a sense of justice and a restoration of dignity have been met with resistance. This paper explores the history of this struggle through to the development of the modern era of indigenous repa triation, with specific examples of recent successful repatriations from institutions in Germany.
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Collection and trade of Māori and Moriori ancestral remains The sacred remains of the Māori and Moriori people have been sought after by foreigners as far back as Captain Cook’s first expedition in 1769, which brought the Endeavour to the shores of Aotearoa (New Zealand). On the twentieth of January 1770, while anchored at Queen Charlotte Sound, the Endeavour’s botanist Joseph Banks traded a pair of old white linen drawers for the preserved head of a boy, aged about 14 or 15 years old.1 For many of the early European explorers, there was an insatiable desire to collect as much as possible from these exotic new places, and a particularly intense interest in acquiring curiosities such as Toi moko (also known as mokomōkai and ūpoko tuhi) or preserved tattooed Maori heads.2 In the early 1800’s the Toi moko trade experienced increased demand fuelled by the desire for muskets by Māori rangatira (chiefs) such as Hongi Hika, who actively traded the remains of fallen enemy chiefs and warriors.3 It is believed that the majority of Toi moko that left Aotearoa were traded in the 1820’s and 1830’s4 during the height of the Musket Wars. It should also be noted that while a number of Toi moko ended up in England, some also were transported to France aboard the l’Uranie,5 the La Coquille6 and most likely on the Astrolabe in 1827.7 Initial attempts to halt the trade of Toi moko in Australia occurred in 1831 when the Colonial Secretary’s Office, under the authority of New South Wales’ Governor Sir Ralph Darling, issued the following order:
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COLONIAL SECRETARY’S OFFICE, SYDNEY, 16TH APRIL, 1831 “WHEREAS it has been represented to His Excellency the GOVERNOR, that the masters and crews of vessels trading between this Colony and New Zealand, are in the practice of purchasing and bringing from thence human heads, which are preserved in a manner, peculiar to that country; And whereas there is strong reason to believe, that such disgusting traffic tends greatly to increase the sacrifice of human life among savages whose disregard of it is notorious, His Excellency is desirous of evincing his entire disapprobation of the practice abovementioned, as well as his determination to check it by all the means in his power; and with this view, His Excellency has been pleased to order, that the Officers of the Customs do strictly watch and report every instance which they may discover of an attempt to import into this Colony any dried or preserved human heads in future, with the names of all parties concerned in every such attempt … His Excellency further trusts, that all persons who have in their possession human heads, recently brought from New Zealand, and particularly by the schooner Prince of Denmark, will immediately deliver them up for the purpose of being restored to the relatives of the deceased parties to whom those heads belonged.” ALEXANDER McLEAY8 Although the Governor’s legal authority did not extend to Aotearoa, it would effectively restrict the trade of Toi moko through what was at that time a major trading port in the region. The order appears to be primarily motivated by the perceived threat this burgeoning trade represented to the reputation of British merchants, at a time when commercial relations with New Zealand were growing increasingly important.9
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Less than a decade later, on 6 February 1840, Māori chiefs gathered in the Bay of Islands to debate and sign Te Tiriti o Waitangi (The Treaty of Waitangi), extending the reach of the British Crown to govern over Aotearoa, while Māori retained property rights to their land, fisheries and forests, and also became British subjects.10 While the trafficking of Toi moko contributed to the supply of firearms to certain tribes, bringing devastation to Māori society across Aotearoa during the Musket Wars, it would be the theft and illicit trafficking of Māori and Moriori ancestral remains, commencing in the mid-nineteenth century, that would burden the generations to come. Te Papa’s research of ancestral remains held in international collections indicate most were taken after 1860, and were either traded within Aotearoa among newly formed institutions such as the Canterbury Museum and Colonial Museum (now Te Papa), or directly to collectors, auction houses, museums, and / or institutions in Australia, Europe, and America.11 Between 1877 and 1889, Austrian taxidermist Andreas Reischek travelled extensively throughout Aotearoa, assembling a vast collection of plants, birds, objects, and Human Remains with ambitions to sell them to the Imperial Natural History Museum in Vienna.12 It was through Ferdinand von Hochstetter, the director of the Imperial Natural History Museum that Reischek was referred to the director of the Canterbury Museum, Julius von Haast. Reischek worked for Haast for two years as the Museum’s taxidermist before establishing a collection of specimens for Hochstetter to purchase upon his return to Austria.13 A note from Hochstetter, delivered to Haast, states: “Reischek will be able to tell you quite a bit about us and will once more remind you of the gaps in my collection, particularly in Māori skulls. Also in prehistoric ethnographic objects of the South Seas.”14 During his time in Aotearoa, Reischek worked for both the Canterbury and Auckland Museums and is known to have travelled to the West Coast, Southern Alps, Kaipara Harbour, Northland, Waikato, the Bay of Plenty and Fiordland, as well as the offshore islands including Little Barrier Island and the sub-Antarctic Islands.15 It wasn’t until after
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Reischek’s death that graphic accounts of his pillaging of sacred burial sites would come to light, after his son, also named Andreas Reischek, published “Sterbende Welt – Zwölf Jahre Forscherleben auf Neuseeland” (A dying world: twelve years of an explorer’s life in New Zealand) in 1924. This book was based on his father’s writings that the senior Reischek failed to publish before his death in 1902. An English translation titled “Yesterdays in Maoriland: New Zealand in the Eighties” was published in 1930, and contains accounts of the pillaging of Māori ancestral remains against the explicit expectations of Māori. In a passage which illustrates a flagrant disregard and lack of respect, Reischek describes how he collected Human Remains with the knowledge that he was breaking tapu, or sacred restrictions: “The farmer’s son escorted me to another burial-ground – leaving me, however, to investigate alone, as the natives threaten every violator of the grave-tapu with death. Here in the first cave I found four complete skulls and many broken bones, but for all my pains could not succeed in piecing a complete skeleton together. Digging, I came across an ornament carved out of a leg-bone, on one side of which was represented a face, and on the other, the head of a lizard. In one hole I found the half-rotten remains of a stretcher made of manuka branches bound together with mats, with a pile of bones.”16 In all instances leading to the undignified departure of ancestral Human Remains and Toi moko from their communities, it is essential to consider the theft in the broader context of white supremacy and colonialism. While the trade of Toi moko involved both native and foreign agents, a pervasive sense of injustice pervades these exchanges, especially during the Musket Wars. In the case of the hundreds of Māori and Moriori remains stolen from their communities and sacred burial places, the British crown and her agents failed in their moral and legal duty to protect and preserve their subjects.
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Early efforts to reclaim Maori and Moriori ancestral remains The efforts of Māori to reclaim their ancestors and seek justice for these brutal acts of theft has persevered for well over a century. In 1830, fourteen Toi moko were acquired in Tauranga by Captain Jacks, master of the schooner Prince of Denmark. These Toi moko were “reportedly taken from men slain in battle 300 kilometres away at the Bay of Islands”,17 and were subsequently recognised by relatives shortly after they were acquired. On its journey back to Sydney, the ship called into the Bay of Islands to trade goods. While on board, local Māori were shown the heads when Jacks “poured them out of a sack on the ship’s deck”18. Understandably, this angered the group who attacked Jacks and forced him to retreat.19 After his arrival in Sydney, Jacks was visited by a Māori chief from the Bay of Islands who immediately identified his relatives. The chief informed his host, Reverend Samuel Marsden, seeking retribution. As a consequence of this Marsden petitioned Governor Darling who, as mentioned previously in this chapter, issued his order in April 1831. Another poignant example of the actions taken to reclaim Māori ancestors, which relates directly to the aforementioned Reischek, occurred in 1945. At the end of the Second World War, Lieutenant Colonel Arapeta Awatere and the 28th Māori Battalion were stationed in Trieste, Italy. By now, Reischek’s sinister exploits were well known among Māori. Awatere was planning to cross over into Austria and recover “bodies, skulls and other burial remains from the Reischek collection”, located in the Imperial Natural History Museum in Vienna.20 In the end, Awatere was talked out of the recovery mission by his seniors and there was also some reluctance among the men about handling the ancestral remains. The attempts to have these ancestors returned home persisted throughout much of the twentieth century, and included two petitions to the New Zealand Government (in 1945 and again in 1946) for the return of “37 Maori skulls and a number of mummified bodies” stolen by Austrian taxidermist and naturalist Andreas Reischek in the 1880’s.21
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These actions were met with very limited success, however there have since been two repatriations involving Human Remains which Reischek had collected. In 1985, following a lengthy process, the body of Tainui chief Tūpāhau was repatriated and subsequently buried at the sacred mountain of his people, Taupiri, in the Waikato.22 The second return occurred thirty years later, when a formal claim was made in 2013 by the Karanga Aotearoa Repatriation Programme to Weltmuseum Wien, formerly the Vienna’s Museum of Ethnology. The claim was made for the Museum’s Reischek collection, as well as a Toi moko collected by Johann Georg Schwarz. In 2015, following a successful claim and negotiation process, these ancestors were formally welcomed home at a ceremony held at Te Papa on Monday, May 25. As the Reischek collection was split between the Weltmuseum and the Natural History Museum in Vienna, the remainder of Reischek’s collection of Māori ancestral Human Remains are yet to be repatriated from Austria. However, significant progress has been made during negotiations, and it is anticipated that the ancestors that were taken by Reischek will return home in the near future.
Establishment of the Karanga Aotearoa Repatriation Programme (KARP) State recognition and support of indigenous-led initiatives has created the much needed conditions for the restoration of dignity and respect for contemporary Māori and Moriori communities. Achieving a state of balance and harmony is a core cultural principle for these communities, and being provided with the mandate and resources to reach this state of equilibrium is essential for the sustainability and success of Aotearoa’s repatriation movement. A major turning point which inadvertently seeded the foundations of the modern era of indigenous repatriation in Aotearoa was the success of the international exhibition Te Māori (1984–1987). This landmark ex-
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hibition not only created a desire for Museums in Aotearoa to “emulate the successes of Te Māori”,23 it also created better conditions for Maori to engage with international institutions on matters of repatriation. While there have been many individuals that have actively advocated for repatriation, a more systematic approach to this work started taking shape with the research and negotiations carried out in the 1990’s by Māui Pōmare.24 Importantly, Pōmare believed that ancestral remains, including Toi moko, were to be “treated in a special and sensitive manner appropriate for Human Remains”.25 The legacy of his work is evident today, as he was personally responsible for establishing Te Papa’s wāhi tapu, or sanctified repository, for the ancestral remains, as well as developing the Museum’s Kōiwi Tangata (Human remains) Policy.26
1 Pōwhiri (Māori welcome ceremony) at the Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa (Te Papa) for Toi moko returned to Aotearoa from Ethnologisches Museum zu Berlin and Georg-August University Goettingen on 3 November 2020 (Source: Abbie Dorrington and courtesy of Te Papa)
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Building on this momentum, the New Zealand Government facilitated a series of tribal gatherings in the late 1990’s, to consult with Māori communities and understand the relevant issues around repatriating ancestral remains held in foreign collections, as well as to determine the actions required to achieve their return home.27 As a result of these gatherings it was determined that: Māori and Moriori were to be respectfully involved throughout the repatriation process; an organisation needed to be mandated and resourced to lead this process; the management, process, and practice needed to be consistent with Māori and Moriori traditional protocols and traditions; and there should be an appropriate repository for the ancestors.28 Finally, in 2003, with its mandate to serve as an agent of the Crown, Te Papa established the Karanga Aotearoa Repatriation Programme (KARP) to repatriate Māori and Moriori ancestral remains. Six over arching principles provide the scope within which this work must be conducted:29 • The government’s role is one of facilitation – it does not claim ownership of kōiwi tangata; • Repatriation from overseas institutions and individuals is by mutual agreement only; • No payment for kōiwi tangata will be made to overseas institutions; • Kōiwi tangata must be identified as originating from New Zealand; • Māori are to be involved in the repatriation of kōiwi tangata, including determining final resting places, where possible and • The repatriation of kōiwi tangata will be carried out in a culturally appropriate manner. Crucially, this indigenous-led programme would be guided by an expert panel consisting of Māori and Moriori elders, academics, and community representatives. This is an essential feature that defines Aotearoa’s repatriation programme.
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Karanga Aotearoa and German Museums From the KARP’s inception to November 2020, 160 Māori and Moriori ancestral remains have repatriated to Aotearoa from eight German museums, with the first return of a Toi moko taking place in 1990 from Hamburg’s Museum fur Völkerkunde. Twentysix years would pass before the next repatriation, when two Toi moko were returned from the Übersee-Museum in Bremen. It was from this point that a real momentum began to develop, the relationship between Karanga Aotearoa and a number of German Museums began to evolve. A clear example of this positive development is evidenced by the fact that of the total number of individual ancestors which have been returned since 1990, 96 % percent were returned in the three years between 2017 and 2020. From the perspective of the KARP team, this flourishing relationship can be attributed to both the publication of guidelines, and the significant investments made in funding provenance research activities. In particular, the publication of the German Museum Association’s Guidelines specific to the Care of human remains in Museum Collec tions in June 2021, directed Museums to be conscious of the ethical and moral aspects of handling Human Remains within their collections. They also state the need for a “high level of responsibility and respect for the remains themselves as well as for descendants and for the communities from which the human remains originated.”30 Furthermore, members were urged to be “fundamentally open to the possibility of repatriation as well as engaging in transparent and proactive procedures”.31
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Year
Institution
City
Toi moko
1990
Museum für Völkerkunde
Hamburg
1
2006
Übersee-Museum
Bremen
2
2011
Weltkulturen Museum
Frankfurt
1
2011
Senckenberg Naturmuseum (Museum of World Cultures)
Frankfurt
1
2017
Übersee-Museum
Bremen
2018
Rautenstrauch-JoestMuseum Kulturen der Welt
Cologne
1
2019
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Berlin
2
2020
Ethnologisches Museum
Berlin
2
2020
Georg-AugustUniversität
Göttingen
2
Kōimi tchakat
Kōiwi tangata
30
8
16
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Table 1 German institutions that have repatriated Toi moko, kōimi thckat (Moriori ancestral remains), and kōiwi tangata (Māori ancestral remains) to Aotearoa between 1990 and 2020 (source: own representation based on data from www.tepapa.govt.nz/internationalrepatriation)
In more practical terms, a vital element in the successful delivery of ancestral remains is the funding, resourcing and delivery of provenance research. In 2019, the largest repatriation of Māori and Moriori ances tral remains from Europe saw the return of over 100 ancestors from the collections of the Charité – Universitätsmedizin Berlin. Following an initial claim made by Te Papa in 2010, the provenance research was originally to be undertaken as part of the Charité Human Remains Project funded by the German Research Foundation. However, due to the
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large scope of the project, which also included remains of African and Australian origin, it was not possible to complete within the three-year funding period. Instead, a separate research project was undertaken by Andreas Winklemann and Sarah Frundt in 2017 and 2018, with the support of the Charité board and the curators of the Charité collections.32 When it comes to Te Papa’s repatriation activities, the Museum covers all financial costs for the preparation, crating, and freight for the ancestors released for repatriation. This resourcing is in accordance with its Government mandate and removes any potential financial burden from the international institutions. Additionally, Te Papa’s funding allows for both museum and community representatives to co-design and implement the physical transfer, in accordance with the appropriate cultural protocols at the repatriating institution. This ability provides many benefits, including cultural exchanges, deepened intercultural relations, and most importantly, a restoration of dignity to the ancestors and their communities.
Conclusion When indigenous groups who have faced extreme historical, cultural and social injustices seek to have their families and communities restored, providing them with the resources, knowledge, and skills to pursue this justice is essential. It is only when indigenous peoples are treated with the respect that has been expected of them that the true benefits of a cultural exchange can be experienced. Attitudes are shaped by experiences, and while in many instances the relationship between indigenous communities and academic as well as cultural institutions remains fraught, there is a growing understanding that by finding common ground in our shared humanity, injustices committed in the past can be put to right. Te Arikirangi Mamaku-Ironside Repatriation Programme Coordinator, Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa
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Te Arikirangi Mamaku-Ironside
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Jones / Herewini: A partnership approach to repatriation of Maori ancestors, p. 667. Aranui: Te Hokinga mai o nga Tūpuna, p. 167. Department of Internal Affairs: Cabinet Policy Paper POL Min (03) 11/5, 14 May, Wellington, New Zealand 2003. Deutscher Museumsbund e.V. (ed.): Guidelines – Care of Human Remains in Museums and Collections, June 2021, p. 7, https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2021/07/dmb-leitfaden-umgang-menschl-ueberren-web-20210625.pdf, accessed: 25.2.2022. Ibid., p. 5. Winklemann, Andreas / Frundt, Sarah: Human Remains from New Zealand in Charité Collections, Unpublished report 2018, p. 1.
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„ÖTZI“, DER MANN AUS DEM EIS Die Exposition einer Eismumie und ihre touristischen Auswirkungen auf die Region Ein Mann steigt vor über 5.000 Jahren auf einen Alpengletscher und wird dort ermordet. Durch Zufall wird er im Gletschereis konserviert und 1991 zufällig entdeckt – ein Fund, der nicht nur der Archäologie und zahlreichen anderen Forschungsdisziplinen zu neuen Höhen flügen verhilft, sondern durch seine Musealisierung auch einen neuen touristischen Anziehungspunkt schafft.
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A
m 19. September 1991 wurde auf einem Gletscher in Südtirol (Italien) eine Eismumie – in voller Bekleidung und Ausrüstung – entdeckt, die bald darauf weltweit für Furore sorgte. Als sich herausstellte, dass ihr Alter 5.300 Jahre beträgt, überschlugen sich die Medienberichte. Forschende aus verschiedensten Disziplinen untersuchten den „Mann aus dem Eis“ oder „Ötzi“, wie er bald genannt wurde. Zahlreiche neue Erkenntnisse über das Leben in der Kupferzeit konnten so gewonnen werden. 1998 eröffnete das Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen, in dessen Dauerausstellung der Fundkomplex „Mann aus dem Eis“ integriert wurde. Das Museum erfreute sich von Anfang an großer Beliebtheit und zog über die Jahrzehnte über fünf Millionen Besucher an. 2011 erfuhr das Museum eine Neukonzeption.1 In der ursprünglichen Dauerausstellung wurde der Mann aus dem Eis ausschließlich auf der ersten Etage präsentiert. Zum 20-jährigen Jubiläum der Auffindung wurde erstmals das gesamte Museum mit einer Sonderausstellung zum Mann aus dem Eis bespielt: „Ötzi 2.0 – Life, Science, Fiction, Reality“. Aufgrund des großen Erfolges wurde diese Sonderausstellung ab 2013 als neue Dauerausstellung adaptiert und die dritte Etage wurde für archäologische Sonderausstellungen reserviert.
Touristische Erfolgsfaktoren Durch die internationale Berichterstattung über den Mann aus dem Eis, durch Dokumentationen, die versuchen, das Leben des Mannes und seine letzten Stunden zu rekonstruieren, durch Kinofilme und Bücher über das fiktive Leben von „Ötzi“, durch Forschungsprojekte zur Mumie und die Objekte ihrer Ausrüstung blieb das Interesse der Menschen am Thema beständig hoch. Besonders die Tatsache, dass der Mann aus der Kupferzeit nicht durch einen Unfall ums Leben kam, sondern getötet wurde, fasziniert die Menschen bis heute. Als außergewöhnlich werden die zahlreichen Tätowierungen der Mumie wahrgenommen, ebenso die handwerklich sehr geschickt hergestellte Kleidung aus Leder und
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Fell sowie das einzige vollständig erhaltene Kupferbeil der Welt. 2017 machte die Erkenntnis Schlagzeilen, dass das Kupfer aus „Ötzis“ Beil aus der südlichen Toskana stammt – ein Beleg für frühe und weitreichende Handelsbeziehungen.2 Der noch unfertige Bogen, die reparierten Nähte der Kleidung und andere Details seiner Ausrüstung zeigen, dass der Mann handwerklich sehr geschickt war und auch abseits der damaligen Siedlungen bestens zurechtkam. Das Südtiroler Archäologiemuseum liegt sehr zentral in der beliebten historischen Innenstadt von Bozen, der Hauptstadt Südtirols. Die Stadt zieht in den touristisch belebten Zeiten des Jahres viele Tagesgäste an und so gibt es auch ein großes Potenzial an Laufpublikum, das sich kurzfristig für einen Besuch im Museum entscheidet. Zahlreiche positive Rezensionen auf diversen Plattformen (zum Beispiel Tripadvisor) tragen zudem zum Erfolg des Museums bei.
Besuchszahlen Ab 2011 erfuhren die Besuchszahlen einen stetigen Aufwärtstrend und stiegen über die Jahre von 245.000 auf knapp 300.000 an (Abbildung 1). Allein zwischen 2014 und 2018 wuchsen die Besuchszahlen um über 20 Prozent an.3 Besonders in den Sommermonaten Juli und August, aber auch in den Herbstmonaten gab es jeweils deutliche Zuwächse und im Juli 2018 erreichten die Besuchszahlen ihren bisherigen Höchststand von 44.777 Besuchern in einem Monat. Bis 2019 war die Zusammensetzung der Besuchenden relativ konstant. Etwa 35 Prozent stammten aus Italien (davon ca. fünf Prozent aus Südtirol), ca. 45 Prozent aus Deutschland und Österreich, etwa 20 Prozent aus anderen Ländern Europas und der Welt. Die Südtirolerinnen und Südtiroler besuchten das Museum hauptsächlich als Schulklasse und an Eventtagen mit freiem Eintritt oder besonderem Programm (Lange Nacht der Bozner Museen, Internationaler Museumstag).4 Auch die touristischen Übernachtungszahlen und Ankünfte in Südtirol ent-
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1 Besuchszahlen des Südtiroler Archäologiemuseums zwischen 2017 und 2019 (Quelle: Elisabeth Vallazza)
wickelten sich in vergleichbarem Maße und waren bis zum Beginn der Corona-Pandemie in stetigem Anstieg.5 Sowohl die Besuchszahlen und deren Verteilung im Jahr als auch die Herkunftsdaten der Besuchenden spiegeln die große touristische Dimension des Museums wider. Ein Forscherteam der Freien Universität Bozen untersuchte 2011 das Publikum des Museums und fand heraus, dass 95 Prozent der Besuchenden mindestens eine Nacht außerhalb ihres Wohnsitzes verbrachten, davon 81 Prozent in Südtirol.6
Problemstellung Kapazität Das Gebäude, in dem das Museum untergebracht ist, war 1912/13 als Sitz der Österreichisch-Ungarischen Bank errichtet worden. Damals
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bildete Südtirol noch einen Teil von Österreich-Ungarn. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz. Das Museum verfügt über eine überschaubare Kapazität, es dürfen sich maximal 300 Personen zugleich im Gebäude befinden. Besuchende halten sich durchschnittlich etwa 80 Minuten im Museum auf.7 Dies führt an Tagen mit hohem Andrang zu langen Warteschlangen am Eingang des Museums. Auch wenn das Museum seit Jahren versucht, durch Ticketreservierungen Wartezeiten entgegenzuwirken und in den besucherstärksten Monaten des Jahres täglich (ohne Ruhetag) von 10 bis 18 Uhr geöffnet ist, so ist es dennoch unmöglich, die hohe Nachfrage in den Spitzenzeiten adäquat aufzufangen.8 Und die Belastung für das Personal im Besucherservice ist entsprechend hoch, da es gilt, die zahlreichen Menschen in der Warteschlange zu betreuen und unzählige Auskünfte zu geben.
Ein neues Museum? Seit 2012 gibt es konkrete Bestrebungen der Provinz Bozen (Trägerin des Betriebs Landesmuseen, zu dem das Südtiroler Archäologiemuseum gehört), einen neuen Standort für das Museum zu finden. 2018 gab es eine nicht bindende Marktanalyse, 2020/21 folgte eine Standortanalyse,9 die diverse Standorte in Bozen verglichen und nach Eignung gereiht hat (Abbildung 2). Im Vorfeld der Analyse wurden zahlreiche Interessensgruppen befragt, Besuchszahlen und touristische Daten ausgewertet sowie das Potenzial der in Frage kommenden Gebäude/Grundstücke analysiert. Die Liste der in Frage kommenden Standorte führt ein Gebäude an der Ecke Dantestraße/Marconistraße an, welches über ein historisch wertvolles Bestandsgebäude verfügt, zugleich aber auch Platz für einen modernen Anbau in ausreichender Größe bietet und zudem über eine Freifläche verfügt. Der Standort wurde auch deshalb ausgewählt, weil er sich in unmittelbarer Nähe der Naherholungszone Talferwiesen und anderer kultureller Einrichtungen befindet.
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Elisabeth Vallazza
Orte von Interesse
Zukünftiges Archäologiemuseum
Potenzial für die Entwicklung der Museumslandschaft
2 Standortanalyse von Sinloc und Weber+Winterle, Sieger-Standort (in rot) und andere Kultur- und Forschungseinrichtungen in der Umgebung (gelb markiert) (Quelle: Sinloc, Padua / weber+winterle, Trient)
2021 reichte ein privater Investor ein Public Private Partnership-Projekt ein,10 welches als Standort für das Südtiroler Archäologiemuseum einen neu zu errichtenden Gebäudekomplex auf dem Virgl (vorgelagerter Hügel) bei Bozen vorschlägt. Dieser Standort soll dank einer Seilbahn in wenigen Minuten vom Stadtzentrum aus erreichbar sein und neben gastronomischen Strukturen auch das Naturmuseum Südtirol und das Haydn Auditorium beherbergen. Die Standortfrage wurde in den vergangenen Jahren von den lokalen Medien massiv aufgegriffen und diverse Interessensgruppen aus Politik, Handel, Kultur und Tourismus haben sich in dieser Frage positioniert. Vor allem die Interessen des Einzelhandels sind häufig thematisiert worden, da dem Museum das Potenzial zugetraut wird, größere Menschenströme innerhalb der Innenstadt umzulenken.
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Auch wenn Südtirol in erster Linie eine Outdoor-Destination ist, also das Naturerlebnis und der Aktivurlaub (Wandern, Skifahren, Biken) im Vordergrund stehen, so ist aber auch die Nachfrage nach attraktiven Ausflugszielen als Zusatzprogramm zum Bergerlebnis vorhanden. Fakt ist, dass das Museum innerhalb Südtirols einer der besucherstärksten Hotspots ist und als solcher von großem Interesse für die Destination. Ein neuer Standort könnte das Kapazitätsproblem des Museums lösen und bei gleichzeitig guter Erreichbarkeit könnte das Museum auch in Zukunft seinen beiden Rollen als Bildungseinrichtung und Tourismusmagnet gleichermaßen gerecht werden. Elisabeth Vallazza Stellvertretende Direktorin und Leiterin der Abteilung Marketing des Südtiroler Archäologiemuseums in Bozen
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Vgl. Fleckinger, Angelika (Hrsg.): Ötzi 2.0. Eine Mumie zwischen Wissenschaft, Kult und Mythos, Bozen 2011. Artioli, Gilberto / Angelini, Ivana / Kaufmann, Günther / Canovaro, Caterina / Dal Sasso, Gregorio / Villa, Igor Maria: Long-distance connections in the Copper Age: New evidence from the Alpine Iceman‘s copper axe, in: PLOS One 12(7)/ 2017, S. 1–14. Der bisherige Höchststand der Besuchszahlen wurde 2018 registriert mit 296.066, Quelle: Südtiroler Archäologiemuseum. Quelle: Südtiroler Archäologiemuseum, Bozen. Quelle: Landesinstitut für Statistik ASTAT, Bozen. Brida, Juan Gabriel / Meleddu, Marta / Pulina, Manuela: Understanding Urban Tourism Attractiveness: The Case of the Archaeological Ötzi museum in Bolzano, in: Journal of Travel Research, 3.5.2012, https://doi. org/10.1177/0047287512437858, Stand: 31.1.2022. Studie: Nutzung und Bewertung der Ausstellung Ötzi 2.0 durch unterschiedliche Zielgruppen, durchgeführt von Apollis im Auftrag des Südtiroler Archäologiemuseums, 2011. In den Anfangsjahren wurden Versuche unternommen, in den besucherstärksten Monaten das Museum auch abends zu öffnen, um den Ansturm besser bewältigen zu können. Dieses Experiment wurde wieder eingestellt, da die Abendöffnung kaum angenommen wurde. Dies lässt den Schluss zu, dass die Stadt Bozen von den allermeisten Touristen als Tagesausflugsziel angesteuert wird, mit dem Vorhaben, am frühen Abend wieder in die Übernachtungsstruktur zurückzukehren. https://www.iceman.it/wp-content/uploads/2021/05/DE_Delivery_Finale.pdf, Stand: 31.1.2022. http://www.vivavirgolo.it, Stand: 31.1.2022.
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MUMIEN-TABU „Das Gefühl beschämender Indiskretion verlässt einen bei keinem Schritt. Diese Menschen haben ihr Leben lang darauf gesonnen und keine Vorkehrung unterlassen, um genau das zu verhindern, was jetzt geschieht. […] Es ist ein Jammer im Grunde“.1 Thomas Mann hat mit der Schilderung seiner Befindlichkeit beim Besuch der Königs gräber im Tal der Könige im April 1925 die Frage beantwortet, worauf der Erfolg einer Mumien-Ausstellung beruht: Indiskretion. War dem Dichter die Indiskretion beschämend, so ist sie heute den Medien zum schamlos genutzten Instrument der Steigerung von Auflagen und Einschaltquoten geworden. Die Mumie verkauft sich so gut wie Sex and Crime. Wer wollte sich diesem Erfolgsrezept verschließen?
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Die Nachwelt hat den Mumien übel mitgespielt. Seit dem 13. Jahrhundert entwickelte sich zermahlene Mumie zu einem begehrten, vielseitig einsetzbaren Heilmittel – erst im Orient, dann auch im Abendland.2 Schon zu Zeiten der frühen Ägyptenreisenden des 16. Jahrhunderts wurden die Nekropolen von Sakkâra nach Mumien durchwühlt. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts findet sich Mumia vera Aegyptica im Angebot europäischer Apotheken. Tausende von Mumien, ganze Schiffsladungen voll, wurden in der frühen Neuzeit nach Nordamerika und Kanada verschifft, um aus den Leinenumhüllungen Papier herzustellen. Parallel dazu erfolgte der Ankauf von Mumien zu Ausstellungszwecken: Jeder Reisende, der etwas auf sich hielt, brachte von seiner Grand Tour eine oder mehrere Mumien mit. Jeder Fürst wollte sie in seiner Sammlung haben, so auch die in Banz ausgestellte von Herzog Max von seiner Orientreise mitgebrachte Mumie samt anderer Aegyptiaca. Über die Wunderkammern barocker Fürstenhöfe fanden diese Memorabilia Eingang in die Museen. Die Rolle der Mumien für das Entstehen von Ägypten-Sammlungen ist oft genug beschrieben worden, um hier nicht weiter ausgeführt werden zu müssen. Doch auch Bürger gründeten Vereine und gaben „Mumienaktien“ aus, um die begehrten Objekte zu erwerben. Das Auswickeln von Mumien wurde zum gesellschaftlichen Ereignis, zu dem man in der vornehmen Gesellschaft einlud. Und heute gibt es kaum ein Museum, das seine Mumien nicht schon durch den Computertomographen geschoben hat, begleitet von mindestens einem Fernsehteam und aufgeregten Journalisten. Eine Begriffsklärung erscheint jedoch angebracht. Im Kontext Alt ägyptens bezeichnet „Mumie“ nicht nur und nicht einmal vorrangig wie im allgemeinen Sprachgebrauch den konservierten Körper eines verstorbenen Menschen oder Tieres, sondern schließt eine weitere Aufbereitung des Körpers mit ein. Ein erweiterter, nicht unüblicher Wortsinn versteht unter „ägyptischer Mumie“ auch die Mumienhülle, die Mumienmaske, das Mumienporträt und den bemalten anthropomorphen Sarg. Das ist gut altägyptisch gedacht, denn der Vorgang der Mumifizierung beschränkt sich in Altägypten nicht auf die Präparie-
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rung des toten Körpers, sondern setzt sich in der handwerklich aufwendigen Einhüllung der Gliedmaßen und des ganzen Leichnams fort und findet seinen Abschluss in der Positionierung der Mumienmaske oder des Mumienporträts. Durch diese Arbeitsschritte erfährt der Leichnam eine Verwandlung zu einer neuen Daseinsform, zu einer Verpuppung, aus der heraus der verklärte Verstorbene in ein ewiges Leben eintritt. Dieses Stadium der Verwandlung aus der gewickelten, geschmückten Mumie (im erweiterten Wortsinn) und dem mit Texten und Bildern versehenen Sarg ist es, auf das die altägyptischen Darstellungen der Mumifizierung nahezu ausschließlich Bezug nehmen. Die eigentliche Präparierung des toten Körpers ist mit einem Bildund Sprachtabu belegt. In den zahlreichen Grabbildern und Totenbuchvignetten, die das Bestattungsritual zeigen, ist es die gewickelte, ornamental geschmückte Mumie, die auf der löwengestaltigen Bahre liegt und an die Anubis Hand anlegt3, die auf dem Sargschlitten zum Grab gebracht wird, die vor der Grabfassade steht und von den Hinterbliebenen beweint wird. Selbst in den ganz wenigen Grabbildern (Theben TT 23, 41, 276)4, in denen die Arbeit an der Mumie gezeigt wird (Abbildung 1), ist der Leichnam bereits gewickelt und trägt die Mumienmaske. Nur auf einigen Särgen der ptolemäisch-römischen Zeit erscheint die schwarze Silhouette des nackten Verstorbenen5, an der Reinigungsriten vollzogen werden. Nur die, die außerhalb des ägyptischen Ordnungsbegriffes stehen, werden als Leichen dargestellt. Die vor dem Jenseitsrichter Osiris Gescheiterten treiben als Leichen in den Gewässern der Unterwelt.6 Die Feinde Pharaos liegen in den kriegerischen Szenen der Tempel des Neuen Reiches als Gefallene auf den Schlachtfeldern. Mythische Feinde werden in den Bildern der Unterweltsbücher enthauptet, in Kesseln gekocht und in Feuergruben verbrannt.7 Die Darstellung des Leichnams ist gleichbedeutend mit dessen endgültiger Vernichtung. Dem Bildtabu von Mumifizierung und Leichnam entspricht das Sprachtabu. Einem Dutzend von Wörtern für „Sarg“ steht ein einziger
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1 Mumifizierer bei der Arbeit an der Mumie, Grab des Amenemopet in Theben (TT 41), Neues Reich, 19. Dynastie, um 1290 v. Chr. (Quelle: Nach W.R. Dawson, in: JEA XIII/1927, p. 47, fig. 1)
selten belegter Terminus sah für „Mumie“ gegenüber. Explizite Beschreibungen der Mumifizierung fehlen in altägyptischen Texten. Sie finden sich erst bei griechischen Autoren, bei Herodot und Diodor. Deren Blick von außen ist frei von ägyptischen Vorbehalten, und so sind es ihre von der Lust am Exotischen geprägten Schilderungen, die bis heute als wichtigste Quellen zur Mumifizierung dienen. Dabei ist es wenig wahrscheinlich, dass ihre Beschreibungen auf authentischem
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Augenschein beruhen. Sie werden auf Informanten zurückgehen und sind folglich als Sekundärquellen einzustufen. Die Tabuisierung des eigentlichen Mumifizierungsvorgangs spiegelt sich in der untergeordneten Stellung des Berufsstandes der Mumifizierer. Der „Bindenwickler“ wird nicht oft als Titel genannt. Eine Ausnahme bildet ein memphitisches Relief der Ramessidenzeit8, das im Anschluss an eine Liste von Königen, Hohenpriestern und Vorlesepriestern auch acht „Oberbalsamierer“ auflistet – die Zunftliste oder der (wohl fiktive) Stammbaum eines Balsamierers, aus dessen Grab das Relief stammen dürfte. Die Isolation, in der sich der Berufsstand der Mumifizierer befand, und die Abgeschiedenheit, in der sie ihre
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Tätigkeit ausübten, sprechen auch aus der Tatsache, dass ihre Kenntnisse der menschlichen Anatomie keinen Eingang in die medizinischen Texte gefunden haben. Offenbar gab es keinen Informationsaustausch zwischen ihnen und dem geachteten Stand der Ärzte. Dem Mumien-Tabu vergleichbar ist die Tabuisierung anderer negativ besetzter Begriffe wie Hässlichkeit, Krankheit, Alter im ägyptischen Bilderkanon. Explizite Darstellungen dieser der kollektiven Glückseligkeit des ägyptischen Menschenbildes widersprechenden Zustände finden sich – bisweilen karikierend übersteigert – nur bei Angehörigen der unteren sozialen Schichten, bei Viehhirten, Arbeitern9, Ausländern. Die Darstellung des von Krankheit gezeichneten Königs Tutanchamun auf dem Relief „Spaziergang im Garten“ und der Elfenbeintruhe aus seinem Grabschatz10 ist so verschlüsselt, dass sie von der Ägyptologie lange nicht als solche erkannt worden ist. Auch Zeugung und Geburt als zutiefst persönliche, intime Lebensbereiche verbergen sich in altägyptischen Bildern hinter Motiven, die nur der Kundige zu lesen versteht. Die Heilige Hochzeit ist im Bilderzyklus der Geburtshäuser11 durch die zarte Berührung von Händen und Ellbogen und durch die Überschneidung der Beine der Partner angedeutet; in Grabbildern verbirgt sich der eheliche Zeugungsakt hinter der Chiffre der Vogeljagd im Papyrusdickicht.12 Erst die ptolemäisch-römische Zeit schwelgt in derb erotischen Szenen13. Selbst die Darstellung von Emotionen wird gemieden. Nur in der Ausnahmesituation der Trennung von einem geliebten Menschen werden in den Bildern der Totenklage Trauer und Schmerz dargestellt.14 Panischer Schrecken und Todesangst sprechen aus den verzerrten Gesichtern der Feinde, die Pharao gepackt hat, um sie zu erschlagen. Auch positive Emotionen unterliegen dem Darstellungstabu. Die Zuneigung zwischen Ehepartnern oder Eltern und Kindern wird nur in der Kunst der Amarnazeit eindeutig thematisiert, wenn Nofretete und Echnaton sich bei einer öffentlichen Ausfahrt küssen oder mit ihren Töchtern Zärtlichkeiten austauschen.15 Freude und Schmerz lassen den Menschen in emotionaler Erregung „außer sich“ geraten – ein Zustand, der
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dem in den Lebenslehren immer und immer wieder formulierten Ideal der Selbstbeherrschung zuwiderläuft. All diesen Tabus gemeinsam sind zwei Aspekte: die strikte Respektierung privater Lebensbereiche und die Vermeidung und Negierung jeglicher existenziellen Bedrohung. Geburt und Sterben unterliegen diesem doppelten Tabu. Sie sind intime, persönliche Erfahrungen, und sie sind Momente des Übergangs mit hohem Gefährdungspotenzial. Jegliche Art der Darstellung wäre die Preisgabe eines Geheimnisses und würde die Überwindung der Gefährdung aufs Spiel setzen. Es gehört zu den Aufgaben der Ägyptologie, diese Grundeinstellung der alten Ägypter offenzulegen, bewusst zu machen und sie ernst zu nehmen. Die ägyptischen Museen tragen die Verantwortung, die Scheu der alten Ägypter vor dem toten Körper zu respektieren. Das Wesen einer Religion, die die Erfüllung des Lebens nach dem physischen Sterben sieht, kann nicht durch die Zurschaustellung des Leichnams vermittelt werden. Das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst München hat in seinem 2013 eröffneten neuen Haus im Raum „Jenseitsglaube“ zwischen die bemalten Holzsärge vor die Rückseite der Wandvitrine einen Textträger aus Metall in Form des Umrisses einer Mumie (aus eigenem Bestand) gesetzt (Abbildung 2). Darauf wird der Umgang des Museums mit dem Thema Mumie unter der Überschrift „Mumientabu“ erläutert: „Der Umgang mit Mumien muss sich an der Haltung der alten Ägypter zu den Verstorbenen orientieren. Der physische Tod und die Behandlung des Körpers des Verstorbenen unterliegen im alten Ägypten einem strengen Tabu. Der Tod eines Menschen spiegelt sich in der Bilderwelt der Gräber in den Darstellungen der trauernden Hinterbliebenen und der Bestattungsriten. Der Leichnam selbst bleibt unsichtbar; er erscheint erst in der transformierten Gestalt des kunstvoll in Binden gehüllten Körpers, dem die Maske mit goldenem Gesicht aufgesetzt ist, also als Verklärter, der eine neue, ewige Wesenheit angenommen hat. In
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den meisten Bestattungsdarstellungen ersetzt der Sarg das Bild der gewickelten Mumie. Nur die Leichname derjenigen werden bildlich dargestellt, denen ein ewiges Leben verwehrt bleibt: im Jenseitsgericht gescheiterte Sünder sowie politische und ma gische Feinde. Unter diesem Aspekt betrachtet ist die Zurschaustellung des Leichnams eines alten Ägypters gleichbedeutend mit dessen Verdammnis. Es sollte daher selbstverständlich sein, diese Scheu des alten Ägypters vor dem toten Körper zu respektieren.“ Dieses „Mumientabu“ findet beim Museumspublikum einhellige Zustimmung: Gab es früher am alten Standort gelegentlich Nachfragen oder sogar Beschwerden über das Nicht-Ausstellen von Mumien, ist dies nun nicht mehr der Fall. In den zahlreichen Führungen für Schulklassen wird dieses Thema ebenfalls ausdrücklich angesprochen – und auch Kindern ist diese Argumentation nachvollziehbar. Wobei sich oftmals herausstellt, dass ihr Wunsch, eine Mumie zu sehen, auf einem Missverständnis beruht: Was sie sehen wollen – und dies gilt ebenso für die Erwachsenen – sind die buntdekorierten Särge (s. o.). Ägyptische Museen könnten weltweit durch eine Übereinkunft des Comitée pour l’Égyptologie (CIPEG) des International Council of Museums (ICOM), keine Leichen zu zeigen, Standards setzen, die über die Ägyptologie hinaus Vorbildcharakter haben und einen Beitrag zum Problemfeld des Umgangs mit Human Remains leisten könnten. Die letzte Konsequenz wäre die Rückführung der altägyptischen Leichen nach Ägypten. Solange jedoch Kulturministerium und Altertümerverwaltung in Kairo mit den Mumien des Tutanchamun und der so genannten Hatschepsut Tourismusmarketing betreiben, ist die Zeit für eine solche Aktion noch nicht gekommen. Unter Anwar el-Sadat schien sie unmittelbar bevorzustehen: Er hatte geplant, den Königsmumien ein Mausoleum zu errichten, um sie dem profanen Blick der Touristenmassen zu entziehen. Die von Abdel Fatah al Sisi im April 2021 inszenierte pompöse Schau der Überführung der Königsmumien in das neue National
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2 Sargvitrine im Raum „Jenseitsglaube“ im SMÄK München (Foto: Arnulf Schlüter)
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Museum of Egyptian Civilisation16 war der Auftakt einer neuerlichen permanenten Mumienschau. Die entwürdigende Entkleidung selbst der Größten der ägyptischen Geschichte hat Ingeborg Bachmann in ihrem Roman „Der Fall Franza“17 in der Schilderung eines Besuchs im Raum der Königsmumien im alten Kairo-Museum am Midan el-Tahrir beschrieben: „Im Westkorridor ist der Mumiensaal. Das sechzehnschichtige Leinen, immer dünnblättriger, über allen Körpern der Könige und Königinnen, ist brüchig, wo es noch ist. Die Totenschädel treten hervor, eingesunken sind die Stirnen, die Reste der Binden sind grau, gräulich. Das Grauen für 45 Piaster Eintritt, für 5 Piaster wäre das ganze Museum zu sehen, aber hier drängen sie sich […]. Martin ging einmal rasch durch den Raum, an allen Glaskästen vorbei, nur um die Namen festzustellen, denn Franza wollte wissen, bei wem sie das noch gewagt hatten […], und sie stand da mit einem Billet, aber sie würde es nicht benutzen, auch auf keine dritte Aufforderung des Saal-Wächters hin […]. Sie krümmte sich plötzlich, es riß ihr den Kopf nach unten, und sie erbrach sich vor dem Mumienzimmer. Ein Gerinnsel von Tee und kleinen Brotbrocken war auf dem Boden, Franza war erleichtert, es würgte sie noch ein paar Mal: ich habe euch, euch Leichenschändern, wenigstens vor die Füße gespien.“ Dem Beitrag liegt ein Referat zugrunde, das anlässlich des Kolloquiums „Mumien und Museen“ im Februar 2008 in den Reiss-Engelhorn Museen Mannheim gehalten wurde.18 Dr. Sylvia Schoske Leitende Direktorin i. R. Staatliches Museum Ägyptischer Kunst in München
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Zitiert nach Grimm, Alfred: Joseph und Echnaton. Thomas Mann und Ägypten, Mainz 1992, S. 18. Germer, Renate: Das Geheimnis der Mumien, München 1998, S. 95–114. Ebd., Abb. 5, S. 21. Porter, Bertha / Moss, Rosalind: Topographical Bibliography of Ancient Egyptian Hieroglyphic Texts, Reliefs and Paintings, I. The Theban Necropolis. Part I Private Tombs, Oxford 2. Auflage 1960, S. 39 (14); S. 79–81 (20); S. 353 (10). Germer, Renate: Das Geheimnis der Mumien, S. 16 und S. 18. Hornung, Erik: Die Nachtfahrt der Sonne, Zürich / München 1991, S. 159–163. Ebd., S. 98 und S. 217. Wildung, Dietrich: Sesostris und Amenemhet: Ägypten im Mittleren Reich, München 1984, Abb. 4, S. 14. Vassilika, Eleni: Egyptian Art, Fitzwilliam Museum Handbooks, Cambridge 1995, S. 37–38. Wildung, Dietrich: Tutanchamun, München 1980, Abb. 8, S. 53–54. Brunner, Hellmut: Die Geburt des Gottkönigs, in: Ägyptologische Abhandlungen 19/1964, S. 52–58, insbes. Tafel IV, S. 54. Derchain, Philippe: La perruque et le cristal, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 2/1975, S. 62–64. Kleopatra: Ägypten um die Zeitenwende, in: Katalog Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München, Mainz 1989. S. 296–298, Nr. 124. Schoske, Sylvia / Wildung, Dietrich: Auf immer und ewig. Visionen vom Jenseits im Alten Ägypten, in: Ausstellungskatalog Knauf-Museum Iphofen, Dettelbach 2008, Abb. 33–35, S. 42–45. Arnold, Dorothea: The Royal Women of Amarna: Images of Beauty from Ancient Egypt, New York 1997, S. 85–120. https://www.youtube.com/watch?v=8B9opD8Q35g, Stand: 30.8.2022. Bachmann, Ingeborg: Werke 3, München 2. Auflage 1982, S. 447–448. Schoske, Sylvia / Wildung, Dietrich: Mumien-Tabu – altägyptisch – ägyptologisch, in: Mumien und Museen, hrsg. von Alfried Wieczorek, Wilfried Rosendahl und Hermann Wiegand (= Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 2), Mannheim 2009, S. 73–78.
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I
m letzten Kapitel stehen menschliche Mumien, vorwiegend aus Altägypten, im Fokus: Sie erfahren unter allen Human Remains wohl die größte Aufmerksamkeit in der Forschung wie in der öffentlichen Wahrnehmung. Dabei unterscheidet man tierische und menschliche Mumien, deren Körper durch künstliche (Mumifizierung) oder natürliche Verfahren (Mumifikation) vor Verwesungsund Zerfallsprozessen geschützt und so weitgehend in ihrer Form bewahrt wurden. Ursprünglich bezeichnete man nur künstlich erhaltene ägyptische Exemplare als Mumien, doch findet der Begriff inzwischen auch für konservierte Leichname aus anderen Kulturen Anwendung. Einen einführenden Überblick über die Präsentation toter Körper bietet Regine Schulz. Sie macht deutlich, dass die Zurschaustellung ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen kann: Von Ehrerweisung und Trauerbewältigung über Abschreckung bis zur Erniedrigung reicht das Spektrum. Die Ausstellung von Mumien in musealen Kontexten ist umstritten, doch bieten inzwischen Richtlinien Orientierung. Außer-
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dem gilt es, die gesellschaftlichen, ethnischen oder religiösen Hintergründe der betroffenen Gruppen zu berücksichtigen. Ganz auf die museale Präsentation altägyptischer Mumien vor allem innerhalb Ägyptens konzentriert sich der Beitrag von Salima Ikram. Sie stellt Überlieferung und Umgang mit den mumifizierten Toten, aber auch Pro- und Contra-Argumente für deren Exposition vor und zeigt auf, wie sich im Land Ausstellungsorte, -weisen und -ziele bezüglich der „Royal Mummies“ seit 1871 verändert haben. Diese wurden im Rahmen einer großen Parade 2021 ins neue Museum of Egyptian Civilisations verlegt, wo sie kontextualisiert und deutlich respektvoller als zuvor gezeigt werden. Den Fokus wieder weitend widmet sich Oliver Gauert allgemein unterschiedlichen Methoden und Erkenntniszielen der Mumienforschung: Betrieb man diese früher eher handfest und mit begrenztem Erkenntnisgewinn, ist ab dem 20. Jahrhundert eine zunehmende Verwissenschaftlichung festzustellen. Heute kann man mit zerstörungsfreien Methoden naturwissenschaftliche und kulturgeschichtliche Fragestellungen beantworten. Anschließend geht es insbesondere um die Mumien-Ausstellung in Hildesheim (2016), für die neben einem pietätvollen und kontextsensitiven Umgang das Wertesystem der Verstorbenen die Richtschnur musealen Handelns bildet. Die im vorangegangenen Aufsatz bereits angeklungene Rezeption von Mumien in der europäischen Kulturgeschichte rückt Christine Fößmeier mit mehreren Beispielen in den Vordergrund. Bereits im 17. Jahrhundert setzte eine umfassende Ägyptomanie in Europa ein, die mit der Tutmanie im 20. Jahrhundert einen erneuten Höhepunkt erreichte. Zentrales Element der Mumien-Begeisterung ist dabei die Schaulust, die mit einem wohligen Schaudern gepaart sein kann: Sie offenbart sich in Auswickel-Partys, Literatur, aber auch in Abbildungen, Mumien-Filmen und Spielsachen. Die beiden abschließenden Beiträge beschäftigen sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit der im Museum Kloster Banz verwahrten Mumie. Sie ist Bestandteil der von Alfred Grimm ausführlich do-
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kumentierten Orientalischen Sammlung von Herzog Max in Bayern (1808–1888), die dieser auf einer Orientreise 1838 zusammengetragen und in seiner Sommerresidenz im ehemaligen Kloster Banz aufbewahrt hatte. Akribisch werden anhand zeitgenössischer Überlieferungen Objektbestand, Sammlungskontexte, Herkünfte und Präsentationsweisen in Banz nachgezeichnet. Die neuesten Ergebnisse seiner Forschungen legt Andreas Nerlich vor. Einleitend werden Verfahren und Ziele der naturwissenschaftlichen Untersuchung von Mumien und Skeletten erläutert, um danach auf die Banzer Mumie einzugehen. Diese wurde bereits in den 1980erJahren im Rahmen des „Münchner Mumienprojekts“ und erneut 2020 untersucht. Verfeinerte Methoden zeitigten neue Erkenntnisse, weshalb Mumien als „Bioarchive“ aus naturwissenschaftlicher Sicht auch weiterhin für Forschungen zur Verfügung stehen sollten. Auf der Tagung „Mumien und andere menschliche Überreste: Ethische Herausforderungen für Forschung und Ausstellung“, dem Ausgangspunkt für diesen Sammelband, stellte Andreas Nerlich zudem seine naturwissenschaftlich gestützte Datierung des „Derwisch-Schädels“ aus der Orientalischen Sammlung vor, die zu einer Korrektur zwingt: So stellt sich die durch eine Objektbeschriftung beglaubigte Geschichte, dass Herzog Max den Mörder des Derwischs „gefangen“ genommen habe, als unwahr heraus, da der Schädel deutlich älter ist. Darüber hinaus flossen Nerlichs Erkenntnisse in die Sonderausstel lung „Wissenschaft ENTwickelt – eine Mumie zwischen Forschung und Verantwortung“ (9. Oktober 2021 bis 30. Juni 2022 im Museum Kloster Banz, Bad Staffelstein) ein, welche die museale Präsentation einer Mumie am Beispiel der Banzer Mumie und die diesbezügliche Verantwortung von Museen thematisiert. Sie ist von Museologie-Studierenden der Universität Würzburg unter Leitung von Stefanie Menke und Museumsleiterin Brigitte Eichner-Grünbeck für diese Tagung erarbeitet worden.
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Regine Schulz
VERSTORBEN UND ZUR SCHAU GESTELLT Gedanken zur musealen Präsentation von Mumien und anderen menschlichen Überresten Das Ausstellen von Mumien und anderen menschlichen Überresten wurde in den vergangenen Jahren vor allem in Europa und Nord amerika immer wieder kontrovers diskutiert, wobei sowohl ethische als auch religiöse Fragestellungen eine große Rolle spielten. Um diese Diskussion etwas besser verstehen zu können, sollte man sich zunächst allgemein mit der Präsentation toter Körper in verschiedenen Kontexten etwas genauer beschäftigen.
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Umgang mit Verstorbenen Der Umgang mit Verstorbenen ist in der Geschichte der Menschheit und ihren vielfältigen Kulturen mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen, Praktiken und Zielsetzungen verbunden. Dabei kann die Zurschaustellung der Toten sowohl positive Funktionen erfüllen wie Ehrerweisung, Abschied und Trauerbewältigung, als auch negative Absichten verfolgen wie Abschreckung, Bedrohung und Erniedrigung. Deshalb wurden zahlreiche religiöse und ethische Richtlinien entwickelt sowie besondere Verhaltensformen, welche den Umgang mit dem Tod und den Verstorbenen erleichtern und regeln sollen. Zahlreiche schriftliche und bildliche Belege für solche Vorgehensweisen und Normen sind schon aus der Antike überliefert, vor allem aus Ägypten1 und dem restlichen Mittelmeerraum2. Die öffentliche Präsentation eines menschlichen Körpers nach dem Tode und vor seiner endgültigen Bestattung oder Vernichtung (zum Beispiel durch Feuer, Wasser, Aasfresser oder Verfall) wird in vielen Kulturen von besonderen Vorgehensweisen und Ritualen begleitet, die von den jeweiligen Jenseitsvorstellungen abhängig sind. Dabei geht es zumeist um einen letzten direkten Kontakt der Lebenden mit den Verstorbenen, was als wichtiger Bestandteil der Todesakzeptanz und Trauerbewältigung zu verstehen ist. Für Familienmitglieder, Freunde und Bekannte oder anderen Bezugspersonen soll dies einen endgültigen Abschied ermöglichen, aber auch ein gemeinsames Gefühl der Zusammengehörigkeit, Wertschätzung und des Trostes entstehen lassen. Deshalb werden, sowohl im Buddhismus als auch im Christentum, die Verstorbenen für einen gewissen Zeitraum aufgebahrt, um den Angehörigen einen Abschied von Angesicht zu Angesicht zu ermöglichen. In anderen Religionen wie zum Beispiel im Judentum und im Islam werden die Verstorbenen nach ihrem Tod möglichst umgehend bestattet, damit sich ihre Seele vom Körper lösen kann. Eine Aufbahrung und direkte Begegnung der Angehörigen mit dem Toten ist somit
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nicht geplant. Stattdessen findet die Verabschiedung im Rahmen des Begräbniszuges und der Bestattung statt. Ganz im Gegensatz dazu gibt es zum Beispiel bei den indonesischen Toraja auf Sulawesi die Möglichkeit, die Körper der Verstorbenen wesentlich länger in einem gesonderten Raum im häuslichen Umfeld zu belassen, bis die für das Totenritual notwendigen Voraussetzungen gegeben sind, was oft mehrere Monate, manchmal sogar Jahre dauern kann.3 Darüber hinaus spielt bei einigen Kulturen auch eine erneute Kontaktaufnahme mit den Toten eine wichtige Rolle wie zum Beispiel bei den Bara in Madagaskar. Dort wird der Körper zunächst in einer Felsnische untergebracht, wo er mehrere Jahre verbleibt, bis eine natürlichen Mumifizierung eingetreten ist. Erst dann wird er erneut wieder hervorgeholt, gereinigt und nach einem Begegnungsritual erneut und endgültig bestattet.4
Präsentation Um den Erhalt der Körper zu gewährleisten, haben sich seit der Antike verschiedene Mumifizierungs- und Balsamierungsverfahren entwickelt und auch heutzutage werden Praktiken wie das Einfrieren eingesetzt, die einen langfristigen Erhalt und sogar eine Wiederbelebung5 gewährleisten sollen. Allerdings sind solche Erhaltungspraktiken nicht unmittelbar mit einer Präsentation für die Lebenden verbunden und dementsprechend nur in besonderen Fällen nachweisbar. Dazu gehört zum Beispiel, dass die mumifizierten Körper der Inka-Herrscher, die als besonders machtvoll verstanden wurden, bei Prozessionen sichtbar umhergetragen wurden. Aber auch in der Moderne kann die zeitweilige oder dauerhafte Zugänglichkeit balsamierter Körper von bedeutenden Persönlichkeiten eine wichtige Rolle spielen. Die bekanntesten politischen Beispiele sind wohl Wladimir Iljitsch Lenin in Moskau, Mao Zedong in Peking und Kim Il-Sung in Pjöngjang; aber auch wichtige religiöse Führer wie die Päpste Innozenz XI., Pius X. oder Johannes XXIII.,
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wurden balsamiert und können heute im Petersdom in Rom besucht und betrachtet werden. Die Zurschaustellung einzelner oder mehrerer Toter und die Zerstörung ihrer Körper als Zeichen der Abschreckung und Erniedrigung sind seit frühester Zeit, insbesondere seit der Antike, gut bekannt. Diese Praxis diente in vielen Gesellschaften als Mittel zur Bestrafung von Fehlverhalten, Abwehr von Gefahren und als Zeichen des Sieges über innere und äußere Feinde. Gerade in Kulturen, in denen der Erhalt des Körpers für das Weiterleben nach dem Tode eine besondere Bedeutung besaß, wie im alten Ägypten, in China oder in Peru, stellte dessen Beschädigung oder Vernichtung eine ganz besondere Strafe dar. Aber auch in der heutigen Zeit spielen die öffentliche Todesstrafe und die Präsentation der Leichen Hingerichteter noch eine Rolle. Wenngleich die Anzahl von Exekutionen in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen hat (2021: 579 in 18 Ländern),6 und diese meist nicht mehr öffentlich durchgeführt werden, so gibt es selbst 2022 immer noch Beispiele dafür, die vor allem der Abschreckung dienen sollen.7 Eine vergleichbare Funktion hat die Präsentation von Gefallenen oder Todesopfern im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen oder Terroraktionen, wobei diese heutzutage allerdings eher umgekehrt als Anklage gegen die Täter kommuniziert werden. Die öffentliche Zurschaustellung der Körper von Verstorbenen, um diese zu erniedrigen, kann sich sowohl auf Einzelpersonen als auch auf ganze Gruppen beziehen. Die Haltung und der Zustand des Körpers spielen dabei eine besondere Rolle, um nicht nur den Tod zu verdeutlichen, sondern auch Schwäche zu demonstrieren und den damit verbundenen Verlust an Respekt gegenüber dieser Person. In einer Welt, in der Gewalt zum allgegenwärtigen Thema der Medien und der Unterhaltungsindustrie gehört, ist es wichtig, den realen Tod und seine Folgen nicht zu verdrängen. Das Schicksal der Verstorbenen darf nicht irrelevant werden, und Ausstellungen können helfen, darauf nachhaltig hinzuweisen.
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Der Tod in der modernen Welt In der modernen westlichen Welt ist der Umgang mit Sterben und Tod sowie den Körpern der Verstorbenen zunehmend aus dem persönlichen, individuellen Umfeld verdrängt und Fachleuten wie Ärzten, Pflegern und Bestattern übertragen worden. Dadurch ist der Tod in weiten Bereichen zu einem Tabuthema geworden, obwohl er uns täglich auf die eine der andere Weise in Realität und Fiktion begegnet.8 Gleichzeitig hat das wissenschaftliche Interesse an diesem Thema erheblich zugenommen und insbesondere die Untersuchung von Mumien und anderen menschlichen Überresten,9 aber auch des Sterbevorgangs selbst ist verstärkt in den Vordergrund gerückt.10 Dies hat zweifellos dazu beigetragen, dass trotz der zunehmenden Tabuisierung des Todes im privaten Bereich eine verstärkte Faszination für das Thema in einer breiteren Öffentlichkeit entstanden ist, was sich auch in künstlerischen und medialen Auseinandersetzungen widerspiegelt. So spielen insbesondere Mumien, aber auch (andere) lebende Tote schon seit dem 19. Jahrhundert in der Literatur,11 seit dem 20. Jahrhundert in zahlreichen Filmen12 und in den vergangenen Jahrzehnten auch in der Welt der Computerspiele13 eine wichtige Rolle. Zahlreiche Ausstellungen haben sich ebenfalls mit dem Thema auf unterschiedlichste Weise beschäftigt und dabei neuere wissenschaftliche Ergebnisse fokussiert. So sind menschliche Überreste und insbesondere Mumien Bestandteil vieler natur- und kulturhistorischer Dauer- wie auch Sonderausstellungen, die in den vergangenen Jahren weltweit gezeigt wurden und viele Besucher angezogen haben.14 Dazu gehörten freilich auch umstrittene Wanderausstellungen wie die „Körperwelten“ Gunther von Hagens’, die plastinierte menschliche Körper und Körperteile zeigen. Gegner von Ausstellungen mit menschlichen Überresten argumentieren mit Verweisen auf die Störung der Totenruhe und den Verstoß gegen die guten Sitten, religiöse Gefühle und ethische Normen. Einige dieser Gegner forderten deshalb, alle menschlichen Überreste aus
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Museen und Ausstellungen zu entfernen, sie zu bestatten oder gar zu vernichten, wobei sie insbesondere im Zusammenhang mit Mumien darauf hinweisen, dass ein Ausstellen gegen die ursprünglichen Interessen der Menschen des alten Ägypten verstieße. Befürworter der Ausstellung menschlicher Überreste weisen dagegen auf die Notwendigkeit zur Erforschung und Vermittlung der Natur- und Menschheitsgeschichte hin sowie auf die Möglichkeit, etwas über die Verstorbenen selbst, ihr Leben und ihre Umwelt zu erfahren. Allerdings muss über den jeweiligen Umgang mit Körpern und Körperteilen und die Art ihrer Präsentation von Fall zu Fall entschieden werden, um einen respektvollen Umgang zu gewährleisten und eine Entstehung von Gruseleffekten zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund haben die meisten Museumsverbände ethische Richtlinien für den Umgang mit menschlichen Überresten entwickelt, in denen ihr gesicherter Erhalt, ein respektvoller Umgang und die Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen nach professionellen Standards gefordert werden. Genauso wichtig ist es aber auch, die Interessen und Glaubensgrundsätze der gesellschaftlichen, ethnischen oder religiösen Gruppen, denen die Verstorbenen entstammen, zu respektieren und Besuchern zu vermitteln. Prof. Dr. Regine Schulz Direktorin des Roemer- und Pelizaeus-Museums in Hildesheim
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Zum altägyptischen Totenbuch vgl. Das altägyptische Totenbuch. Ein digitales Textzeugenarchiv, http:// totenbuch.awk.nrw.de, Stand: 11.8.2022. Green, Dennis (Hrsg.): Tod und Sterben in der Antike, Stuttgart 2011. Baan, Anastasia / Deli Girik Allo, Markus / Patak, Andi Anto: The cultural attitudes of a funeral ritual discourse in the indigenous Torajan, Indonesia, in: Heliyon 8(2)/2022, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/ PMC8851071/, mit Publikationsliste, Stand: 11.8.2022. Pacaud, Pierre-Loïc: Un cult d’exhumation des morts à Madagascar, le Famadihana, Paris 2003. Zur Kyonik vgl. Krüger, Oliver: The Suspension of Death. The Cryoniy Utopia in the Context of the U.S. Funeral Culture, in: Marburg Jounal of Religion 15/2010, S. 1–19. Vgl. Countries With Death Penalty 2022, https://worldpopulationreview.com/country-rankings/countrieswith-death-penalty, Stand: 11.8.2022. Zum Beispiel im Iran, nach Aussage des Leiters der NGH Iran Human Rights Mahmood Amiry-Moghaddam. Schulz, Regine: Einleitung, in: Mumien der Welt, hrsg. von Regine Schulz, Christian Bayer und Oliver Gauert, Hildesheim 2016, S. 9–11. Hierzu gehören in Deutschland auch das German Mummy Projekt der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim und das Hildesheimer Mumienforschungsprojekt des Roemer- und Pelizaeus-Museums. Zur Thanatologie vgl. Bormann, Franz-Jospeh / Borasio, Gian Domenico (Hrsg.): Sterben. Dimension eines anthropologischen Grundphänomens, Berlin 2012. Am bekanntesten ist hier sicherlich der 1897 von Bram Stoker veröffentlichte Vampirroman „Dracula“. Zu einer umfangreichen Übersichtsliste vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Vampirfilmen_und_serien#Vor_1920, Stand: 11.8.2022, wobei als einer der bekanntesten Kultfilme „Die Nacht der lebenden Toten“ von George A. Romero von 1968 genannt werden darf. Zu einem kurzen Überblick der letzten 30 Jahre vgl. https://www.youtube.com/watch?v=TlIKgVbi2IY, Stand: 11.8.2022. In Deutschland zum Beispiel 2016 „Mumien der Welt“ im Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim oder 2018 „Mumien – Geheimnisse des Lebens“ in den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim.
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DISPLAYING AND STUDYING MUMMIES IN EGYPT An Overview and View from 2021 There is an ongoing and lively debate about the display of Human Remains in museums. This paper focuses on mummies from ancient Egypt and the various issues surrounding their display, both in Egypt and abroad, that would argue both for or against their display.
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Displaying and S tudying Mummies in Egypt
Introduction For the past decade or so, there has been a lively debate about the treatment of the dead, especially in museum contexts. No matter which museum one visits, if it has mummies, that is where visitors converge. Mummies, artificially preserved bodies of humans or other animals, are most closely associated with the ancient Egyptians who preserved the dead so that the bodies could be used by their souls in the hereafter. Mummies have elicited a variety of emotions from people who have interacted with them, ranging from reverence, to terror, greed, curiosity, and awe, and have captured the popular imagination from late antiquity until today, featuring in literature, theatre, and films. This paper exclusively deals with ancient Egyptian mummified remains,1 and is a basic discussion of some of the issues that surround their history and that might be taken into consideration when deciding on the propriety (ethics) of displaying the dead in a museum or public arena.
The Viewed and the Viewers: The Treatment of the Dead When discussing the display of the dead we are dealing with a minimum of two perspectives: those of the viewed and those of the viewer. Due to practicalities, this cannot be done for each individual who is on display or who is viewing the dead, but has to apply to general groups. In terms of those displayed, one tries to determine how the ancient Egyptians wished to treat their dead. Insofar as Egyptologists understand the official desires of the ancient Egyptians, the dead were to be interred in a burial chamber in a tomb,2 and thereafter were supposed to enjoy eternal life, with their bodies and tombs lying undisturbed. An additional emphasis was to remember their name, both through inscriptions as well as recitation so that they would live forever – successfully achieved through museum displays of named individuals.
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However, as the ancient Egyptians knew, tombs seldom remained undisturbed in antiquity. There was ancient theft, often repeatedly, with thieves tearing mummies to shreds in search of gold and jewels. Tombs and their contents were reused, sometimes more than once, and possibly with the collusion of officials and maybe even family members.3 The ancient Egyptians were aware of these ignominious acts, and tombrobbing, especially of royal tombs,4 was severely punished, but clearly, insufficiently as these acts continued through the ages. Thus, in antiquity a permanent abode for the dead was a paradigm rather than a reality. In post-pharaonic times tomb robbery and despoilation was common, carried out by the inhabitants of Egypt, as well as by foreigners, and this practice persists to the present day. Robbers have destroyed mummies while questing for gold and jewellery as well as the mythic “Red Mercury” that purportedly gave people eternal life, health, wealth, and power.5 Mummies have been ground up and consumed as medicine due to the mistaken idea that they contained bitumen, a valued materia medica. They have been burnt as fuel and illumination, used as fertiliser, human mummy heads have been used as elements in statistical studies, mummies have formed the basis of a brown paint, bodies have divided up to be sold as curiosities to antiquarians and tourists, and mummies have been unwrapped as parlour entertainment as well as in the name of science. Thus, many mummies have suffered grave indignities soon after their interment.6 The history of displaying corpses is long and varied, and today’s discussions are very much a product of time and place. Each current opinion reflects a particular group’s (or individual’s) mores and attitudes, associated with religious and cultural norms, as in the past, and deci sions made today about displaying Human Remains might well change completely 50 years hence. It is not so long ago that western and eastern nations displayed the heads of executed criminals on buildings, bridges, and in public squares, and that capital punishment was often a source of entertainment for the masses,7 a practice largely decried now. The 21st century’s uneasy relationship with death, particularly in the urban
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West, no doubt fuels the current debate about displaying Human Remains. While watching death on-screen is common, discussing death and the dead is more of a taboo subject8 and the emphasis in advertising is on living longer, being youthful, and evading death. This is a far cry from the Victorians who integrated death into their lives, almost revelling in it and commemorating the dead with family portraits including corpses, mourning jewellery made out of the deceased’s hair, creating mourning or grave dolls, and like the Egyptians, even going to picnic in cemeteries.9
Displaying Mummies in Egypt Currently, displays of Egyptian mummies tend to be respectful10 with an emphasis on what can be learned about from the body: personal medical history, broader issues of health and diet of a population, religion, technology/science, trade, and economy. All this now is achieved through, for the most part, non-destructive means. In some cases, those who support the display of Egyptian remains, both in Egypt and abroad, applaud the fact that these displays link hard sciences and the humanities, that they provide personal histories of the deceased, and make the Egyptians live again, both as individuals as well as an accessible culture that can be linked to the here and now. Those who oppose the display of mummies believe that it encourages vulgar voyeurism, is disrespectful, goes against the Abrahamic religions, and is another form of colonialism.11 The question arises, though, is displaying Egyptian mummies in Egypt with modern Egyptians making decisions about display different (and more acceptable, perhaps) than displaying the mummies abroad where non-Egyptians are deciding what, who, and how to display the dead? Of course, one should bear in mind that only a small percentage of modern Egyptians have blood ties to the ancient Egyptians, and thus the modern Egyptians have no real genealogical or religious claim over the fate of the bodies of ancient Egyptians.
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In Egypt, there has been some debate since the early 20th century surrounding the display of mummies, focussing particularly on the royal mummies.12 Elliot Smith, who worked on the royal mummies succinctly summed up the situation: “In discussing the technique of mummification and the customs associated with it one has to deal with subjects that may possibly give rise to offence, on the ground that it is not showing due respect to the memories of the powerful rulers of Ancient Egypt to display their naked remains, and use them as material for anthropological investigations. In fact, a good deal of comment has been made in the past in reference to the so-called ‘sacrilege’, on the part of modern archaeologists, in opening royal tombs and removing and unwrapping the mummies. Those who make such complaints seem to be unaware that the real desecration was committed twenty-nine centuries ago by the subjects of these rulers; and that modern archaeologists, in doing what they have done, have been rescuing these mummies from the destructive vandalism of the modern descendents of these ancient grave-plunderers. Having these valuable historical documents in our possession it is surely our duty to read them as fully and as carefully as possible.”13 Certainly by 1900, some 19 years after the mummies had been placed on display, where they had been a big draw, members of the public expressed their reservations about displaying the bodies and wished to return them to their tombs. This was clearly untenable due to potential robbery, and thus they were kept in the Museum where initially they were displayed wrapped, with a few having their faces revealed. However, finally public outcry was sufficient for the royal mummies to be removed from display in 1928, in some instances just by closing the coffins, and in others, by placing them to a room that was accessed by researchers through a special permit issued by the Minister of Public
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Works / Education.14 It seems that non-royal mummies were also withdrawn from view at this time. The royal mummies, however, played a role in politics as well as the economy in terms of attracting tourists. In 1931 King Fouad ordered that the mummies be moved to the empty mausoleum constructed for the former Prime Minister, Saad Zaghloul (1859–1927), thus making it a national pantheon.15 This asserted the king’s authority and was a blow to the popularity of the dead Prime Minister and his political party that opposed the British-supported king. Upon Fouad’s death in 1936, the mummies were returned to the Museum stores, and Zaghloul was interred in the Mausoleum. The mummies were re-displayed in 1946, coinciding with the British withdrawal in Egypt, perhaps once again playing a role in politics, nationalism, and the economy as they brought national pride and a long and glorious history to the fore, as well as bringing tourists to Egypt.16 The mummies remained on display until 1980 when President Anwar Sadat felt that it was disrespectful, in all monotheistic religions, to display bodies,17 and the mummy room was shut.18 It was only in 1994 that a renovated room was opened, with 11 royal mummies on display, mainly to boost tourism and the economy.19 A second mummy room was opened in 2006,20 with no opposition. Since 1982 there had been discussions between UNESCO and the Egyptian government to establish a National Museum of Egyptian Civilization (NMEC) in Cairo, using the residual funds from the High Dam campaign. Finally, in 1999 the two entities decided to situate the museum in al-Fustat, the site of the capital established by the Arab conquerors. Ground was broken in 2002 and the museum was finally opened on April 3, 2021 (April 18th for general visitors). The initial vision was to trace themes (agriculture, economy, writing, family organization, religion, the state, nature, etc.) from prehistory to the present, with the target audience being Egyptians. However, after discussions, it was decided that the museum should also draw international visitors, and it was decided to make it the home of the royal (and other) mummies,
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with attendant research facilities. There was no public outcry about the continued display of the mummies. The original display plan involved a subterranean passageway leading to a series of darkened chambers where the bodies would be displayed, with only the faces showing, as had been the norm since their first display. This idea evolved to include some of the coffins and grave-goods, together with didactic material that highlighted the lives of the deceased, as well as information derived from scientific investigations, such as radiography, thereby contextualizing the royal dead and also elucidating the types of information that is derived from Human Remains. In a bid to raise awareness of Egyptian culture and history, both abroad and locally, boost tourism (affected due to the Covid-19 pandemic) and the economy, and increase national pride, the government decided to create a media spectacle surrounding the removal of the royal mummies from the Egyptian Museum to the NMEC. The “Pharaoh’s Golden Parade” was a highly publicized event. The focus was the procession of a group of mummies21 progressing in chronological order, in special vehicles and containers that protected the bodies not only from undue motion, variations in climate, as well as from any possible external attacks. They were accompanied by reproduction Egyptian chariots, as well as dancers, musicians, singers, and mounted policemen. Several musical scores were composed and songs (some in ancient Egyptian) were written specifically for the event, and performed by famous stars of stage and screen. The mummies were received at NMEC by President Sisi, and the entire spectacle was broadcast internationally, made available on YouTube, and extensively covered by the international media. While the event had limited immediate impact on international tourism due to the pandemic, its positive effect has become apparent subsequently. The parade’s influence on local tourism was more immediately obvious, with people flocking to the museum to see the royal mummies; the event also engendered a surge of national pride throug-
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hout the country and a renewed interest in Egypt’s past. The royal mummies’ new quarters are accessed by a stairway leading to a circular area with projected images of the mummies and their grave goods rotating around the walls, and images of major monuments projected onto the floor. A passage connects this to the exhibition, with one or two mummies occupying each darkened chamber, together with selected grave goods and didactic material. The mummies are displayed as they have been in the past, with their bodies covered and their faces visible, and kept in special climate-controlled cases (Figure 1).
1 The new display of the mummies at the NMEC (Source: Salima Ikram)
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On the whole, the Egyptian public was positive about the display, with only a few critical comments on social media. However, one person has spoken out against the public display of mummies: Ahmed Karima, a religiously moderate professor of comparative jurisprudence at al-Azhar.22 This position also was adopted by Hajjaji Ibrahim, an archaeology professor at Tanta University, but as far as I know, no other scholars have spoken out in public condemnation of displaying Human Remains.
Ethics and Human Remains in Egypt In the past six years there has been an increased interest in the ethics of displaying mummies in the museum and antiquities arena in Egypt. The issue formed a significant part of the four-day workshop ‘Human Remains in Egyptian Museums’ held in 2016 and organised jointly by the American University in Cairo (AUC), UNESCO, the then Ministry of Antiquities, the NMEC, the National Research Center, and the University of Zurich. The theme was also touched upon in a lecture series on Human Remains given by myself in 2018 at the NMEC and figured in the 2019 ‘Human Remains Training Program’ held at the AUC and the Egyptian Museum that was jointly organized by AUC, the Institute of Bioarchaeology, the Egyptian Museum, and the Ministry of Tourism and Antiquities. One student at Helwan University’s Faculty of Tourism, Noha Hassan, did her MA thesis on the topic,23 and I have been consulted by a few other students from Egyptian universities who have written on the subject. Ms. Hassan herself started from being against such displays, but by the end of her research had reversed her position. She conducted a limited survey on the subject, with her results showing that the majority of those polled felt that a respectful and scientific display of mummies was appropriate and would help people better understand the past. Currently, Dr. Zeinab Hashesh and I are working on carrying out a large-
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scale survey regarding the display of Human Remains in Egypt, target ing a more varied demographic. Certainly, the Egyptian administration and official bodies currently have no compunction about exhibiting Human Remains. Skeletons are exposed in recreated tombs, together with grave goods, as seen in Aswan’s Nubian Museum. The latest display in the NMEC, in addition to the royal mummies, highlights one of the earliest human skeletons found in Egypt in a showcase focusing on the peoples inhabiting Egypt prior to the pharaonic era. The new provincial museums that have opened in Egypt late in 2020 and in 2021 (Sharm el-Sheikh, Kafr elSheikh, Sohag, and Hurghada) all feature mummies, which are entirely wrapped or with their faces exposed. Thus, at the moment, in Egypt at least, it is acceptable for Human Remains to be displayed in a respectful manner for science, national pride, and economic gain – but who knows when the pendulum will swing and the mummies might once again be hidden from view. Prof. Dr. Salima Ikram Professor of Egyptology at the American University in Cairo
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The ethics of displaying Human Remains of cultures where it is a well-established taboo to do so, or if descendants object to the practice due to religious or cultural beliefs, such as some Native American groups, is not discussed here. For poorer individuals, the burial was simpler, but the same rules and desires for their afterlife applied. Ikram, Salima: Death and Burial in Ancient Egypt, Cairo 2015. See also several works by Kathlyn Cooney, such as: Private Sector Tomb Robbery and Funerary Arts Reuse According to West Theban Documentation, in: Toivari-Viitala, Jaana / Vartiainen, Turo / Uvanto, Saara (eds.): Deir el-Medina Studies, Helsinki June 24–29, 2009 Proceedings, Finland 2014, p. 16–28; The Bab el Gasus Coffin Cache: Patterns of Reuse, in: Sousa, Rogério / Cooney, Kathlyn / Amenta, Alessia (eds.): Bab el Gasus in Context: International Colloquium, Lisbon, September 19–20, 2016, Rome 2021. Peet, Thomas Eric: The Great Tomb Robberies of the Twentieth Egyptian Dynasty, Oxford 1930. https://www.albawaba.com/editorchoice/egyptians-seek-red-mercury-among-temples-become-richextend-life-1197204; https://www.bbc.com/news/blogs-trending-49641369, accessed: 30.8.2022. Ikram, Salima / Dodson, Aidan: The Mummy in Ancient Egypt: Equipping the Dead for Eternity, London 1998, p. 103–136. Cawthorne, Nigel: Public Executions: From Ancient Rome to the Present Day, Edison / NJ 2006. Dickinson, George E. / Leming, Michael R.: Understanding Dying, Death, & Bereavement, Fort Worth / TX 1996; Becker, Ernest: The Denial of Death, New York 1974; Feifel, Herman: The taboo on death, American Behavioral Scientist 6(9)/1963, p. 66–67. Woodyard, Chris: The Victorian Book of the Dead, Dayton / OH 2014; Curl, James S.: The Victorian Celebration of Death, Newton Abbott 2000. In most art museums coffins are emptied of their contents. In the Metropolitan Museum of Art museum the ‘mummy’ of Wah actually is only the mask and wrappings, with the body being lodged at the American Museum of Natural History located across Central Park. This is a brief summary of some of the major issues surrounding the display of mummified remains. More discussions appear in this volume, also see: Kaufmann, Ina M. / Rühli, Frank: Without “informed consent”? Ethics and Ancient Mummy Research, in: Journal of Medical Ethics 36(10)/2010, p. 608–613; Day, Jasmine: Thinking makes it so: Reflections on the Ethics of Displaying Egyptian Mummies, in: Papers on Anthropology 23(1)/2014, p. 29–44; Exell, Karen: Domination and desire: the paradox of Egyptian mummies in museums, in: Harvey, Penny (ed.): Objects and Materials: A Routledge Companion, London 2013, p. 144–155; Antoine, Daniel: Curating Human Remains in Museum Collections, Broader Considerations and a British Museum Perspective, in: Fletcher, Alexandra / Antoine, Daniel / Hill, Jeremy D. (eds.): Regarding the Dead: Human Remains in the British Museum, London 2014, p. 3–9; Kilmister, Hugh: Visitor perceptions of ancient Egyptian human remains in three United Kingdom museums, in: Papers from the Institute of Archaeology 14/2003, p. 57–69. For a full history and discussion see Ikram, Salima: From Thebes to Cairo: The Journey, Study, and Display of Egypt’s Royal Mummies, Past, Present and Future, in: Davoli, Paola / Pelle, Natasha (eds.): Polymatheia. Studi classici offerti a Mario Capasso, Lecce 2018, p. 867–883. Smith, George E.: The Royal Mummies (CCG), Cairo 1912, p. iv–v. Correspondent: Royal Egyptian Mummies Removed from Public Gaze, in: Sydney Morning Herald, 30.7.1928, p. 10. Forbes, Dennis: Tombs, Treasures, Mummies, Weaverville / NC 2018, p. 81; personal communication with Horst Jaritz; Coury, Ralph M.: The Politics of the Funereal: The Tomb of Saad Zaghlul, in: Journal of the American Research Center in Egypt 29/1992, p. 191–200. My thanks to Donald Reid for his discussions on this topic. It should be noted that almost no other bodies were on display in the Egyptian Museum, save for a Third Dynasty burial from Tarkhan (Tomb 1.004), which was fully wrapped. Murphy, Kim: Mummies: the prized remains of Egyptian pharaohs will return to public display in Cairo, aided by the Getty Institute, in: Los Angeles Times, 18.1.1994, http://articles.latimes.com/1994-01-18/news/ wr-12918_1_egyptian-museum, accessed: 30.8.2022. James, Jaime: The Royal Mummies on Display Again, in: New York Times, 13.3.1994, http://www.deseretnews. com/article/341221/THE-ROYAL-MUMMIES-ON-DISPLAY-AGAIN.html?pg=all, accessed: 30.8.2022; No Author: Egyptologists Shocked by Sadat Proposal to Rebury Royal Mummies, in: Gettysburg Times, 17.10.1980, p. 18.
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James: The Royal Mummies on Display Again; Murphy: Mummies: the prized remains. Hawass, Zahi: Dancing with pharaohs: the new royal mummies halls at the Egyptian Museum, Cairo, in: KMT: A Modern Journal of Egyptology 17(1)/2006, p. 20–28. I am grateful to Sabah Abdelrazek, Director of the Egyptian Museum, for providing the list of the mummies that were moved: Seqenenre Taa II, Meryetamun, Ahmose Nefertari, Setkamose, Amenhotep I, Thutmose I, Thutmose II, Hatshepsut, Thutmose III, Amenhotep II, Thutmose IV, Amenhotep III, Ty, Seti I, Ramses II, Merenptah, Seti II, Siptah, Ramses III, Ramses IV, Ramses V, Ramses VI, and Ramses IX. https://www.egypttoday.com/Article/4/96618/Zahi-Hawass-to-Ahmed-Karima-Your-opinion-applies-totomb; https://www.al-monitor.com/originals/2021/01/egypt-scholar-islam-ban-digging-mummies-pharaosarcheology.html; https://www.middleeastmonitor.com/20210127-egypts-al-azhar-prohibits-excavating-anddisplaying-mummies/; https://medium.com/@timbennettgoodman/a-fine-and-private-place-19d9428a4266, all accessed: 30.8.2022. Noha Hassan under the supervision of Dr. Mary Kupelian and myself. Ms. Hassan has not yet published her results, but intends to do so.
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MUMIEN ERFORSCHEN UND AUSSTELLEN Was können und was dürfen Museen und Wissenschaft? Die Untersuchung von Mumien hat wie ihre Präsentation eine lange Tradition. Wurden Mumien früher bei Sektionen für einen geringen Erkenntnisgewinn oft stark beschädigt oder gar zerstört, so macht die moderne Mumienforschung die in den Körpern verborgenen Infor mationen auf zerstörungsfreie Weise zugänglich. Dabei zeigt sich, dass Mumien zu den aussagekräftigsten und zuverlässigsten Quellen überhaupt gehören. Als Repräsentanten ihrer Herkunftskulturen sind sie auch in Ausstellungen beeindruckende Zeitzeugen, die es verdie nen, mit größter Achtung und Wertschätzung behandelt zu werden. Bei der Frage, ob sie erforscht oder ausgestellt werden dürfen, sollte stets der Wertmaßstab der Herkunftskultur zugrunde gelegt werden, um Entscheidungen so weit wie möglich im Sinne der Verstorbenen zu treffen.
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Zwischen Faszination und Wissenschaft Von Mumien geht seit jeher eine tiefe Faszination aus. Zu allen Zeiten übten die konservierten Körper Verstorbener eine eigenartige Anziehungskraft auf die Menschen aus. Die enorme Resonanz von Ausstellungen, Publikationen und Fernsehdokumentationen zeigt, dass dieses starke Interesse bis heute fortbesteht. Der Anblick einer Mumie erlaubt einen Blick in eine vergangene Epoche und eine fremde Kultur. Die Präsenz des konservierten Verstorbenen, die teils Jahrtausende überbrückt, löst eine Faszination aus, der sich viele Menschen nur schwer entziehen können. So waren Mumien schon ein fester Bestandteil der frühesten Vorläufer der Museen, der Kuriositätenkabinette. Dies war jedoch keineswegs nur ihrem hohen kulturhistorischen Wert geschuldet. Vielmehr war ein wesentlicher Grund für die frühe Beschäftigung mit Mumien das Morbide; denn die Betrachtung einer Mumie ist immer auch eine Konfrontation mit dem Tod, welche die eigene Vergänglichkeit ins Bewusstsein rückt. Folglich wurde eine Mumie oft als Memento mori wahrgenommen. Doch es offenbarte sich auch früh, dass Mumien wertvolle Informationen beinhalten und so begann man bereits im 18. Jahrhundert, Mumien wissenschaftlich zu untersuchen.1 Die Möglichkeiten der damaligen Forscher beschränkten sich allerdings im Wesentlichen auf die Sektion. Dabei wurden die Körper im Namen der Wissenschaft ausgewickelt, aufgeschnitten und meist stark beschädigt oder sogar vollkommen zerstört.2 Mumien wurden jedoch ebenso aus banaleren Gründen ausgewickelt – zur Unterhaltung eines meist wohlhabenden Publikums. Dafür wurden regelrechte Mumien-Partys organisiert, bei denen als Höhepunkt der antike Leichnam ausgewickelt und auf verborgene Amulette durchsucht wurde. Nicht selten landeten die ohnehin weitgehend zerstörten Körper anschließend im Kaminfeuer. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde den antiken Leichen größere Beachtung seitens der Wissenschaft zuteil: Man stellte sie in sachlicherem Kontext aus und untersuchte sie immer häufiger
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wissenschaftlich. Ein Zentrum der Mumienforschung war ab 1908 Manchester, wo die Kuratorin der ägyptischen Sammlung des örtlichen Museums, Margaret Murray (1863–1963), ein interdisziplinäres Team zusammengestellt hatte, um zwei ägyptische Mumien systematisch zu untersuchen. Dem lag der Gedanke zugrunde, dass aus den Mumien vielfältige Informationen zu gewinnen seien. Murray legte damals den zukünftigen Standard in der Mumienforschung als ein interdisziplinäres Forschungsgebiet fest, das zunächst wesentlich von Medizinern und Naturwissenschaftlern dominiert wurde. Die Kulturwissenschaften und speziell die Ägyptologie machten indes zunächst wenig Anstalten, sich intensiv mit den konservierten Zeitzeugen ihrer Forschungsgebiete zu befassen. Vielmehr interessierte man sich in der Ägyptologie mehr für den Schmuck und die Amulette, welche die antiken Körper zierten, als für die Leichen selbst. Diesem kuriosen Umstand ist es zu verdanken, dass heute zwar der Armschmuck einer im Grab des Königs Djer gefundenen Mumie aus der ersten Dynastie (ca. 3.000–2.890 v. Chr.) des pharaonischen Ägypten erhalten ist, nicht aber das Fragment dieser womöglich königlichen Mumie, das wahrscheinlich einfach entsorgt wurde.3 In der Mumienforschung wurden früh innovative Technologien genutzt. Bereits 1896 und damit nur ein Jahr nach Entdeckung der Röntgenstrahlen wurde die Röntgentechnik zur Untersuchung einer ägyptischen Katzenmumie eingesetzt. Anfang des 20. Jahrhunderts fanden erste Reihenuntersuchungen mittels Röntgendiagnostik statt. Jedoch lassen sich damit nur Knochen, Füllmaterialien im Körperinneren und sonstige Fremdkörper – darunter auch Amulette – sichtbar machen. Weichteilstrukturen sind mit der Röntgentechnik kaum darzustellen, so dass die Sektion lange Zeit weiterhin das vorherrschende Instrument in der Mumienforschung blieb.4 Ab den 1930er-Jahren wurden Mumien dann immer seltener ausgewickelt. Allerdings ließ zugleich das Interesse an der Mumienforschung insgesamt nach.5 Es hatte sich weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich den Mumien kaum Informationen entlocken ließen, die über den Gesundheitszustand zum
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Zeitpunkt des Todes sowie in seltenen Fällen die Todesursache und die Balsamierungstechnik hinausgingen. Die enormen Zerstörungen an Mumien, die mit den damaligen Forschungsmethoden einhergingen, standen in keinem Verhältnis zu dem eher begrenzten Erkenntnisgewinn. Es sollten einige Jahrzehnte vergehen, bis neue Untersuchungsmethoden einen neuen Blick auf die konservierten Körper vergangener Epochen ermöglichten. Die in den 1960er-Jahren entwickelte Computertomographie ist ein bildgebendes Verfahren, das die Weichteildarstellung ermöglicht und somit einen zerstörungsfreien Blick ins Körperinnere gewährt. Dieses und viele andere neu entwickelte Verfahren brachten einen immensen Aufschwung der Paläopathologie mit sich, die sich immer mehr als eigenes Fach etablierte. Wissenschaftliche Vereinigungen gründeten sich in Europa sowie in Nord- und Südamerika und führten zu raschen Fortschritten in der Mumienforschung. Wieder sollte das englische Manchester dabei eine zentrale Rolle spielen und das von Rosalie David begründete Manchester Mummy Project knüpfte nahtlos an die einst von Margaret Murray begonnene Forschungstradition an. Heute hat die Erhaltung der Körper Priorität bei der Planung jeglicher Forschungsvorhaben an Mumien, wobei nahezu ausschließlich zerstörungsfreie und minimal-invasive Verfahren eingesetzt werden.
Methoden und Ziele heutiger Mumienforschung Das Spektrum der zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden ist mittlerweile recht umfassend. Eine zentrale Rolle spielen bildgebende Verfahren, wobei die Computertomographie die wichtigste Untersuchungstechnologie darstellt. Röntgenuntersuchungen werden nur noch in Einzelfällen zur Beurteilung des Skeletts oder zur Suche nach Fremdkörpern in Mumien durchgeführt. Die Kernspintomographie (auch Magnetresonanztomographie = MRT) ist noch kein etabliertes Verfahren in der Mumienforschung. Sie beruht
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auf Wechselwirkungen eines Magnetfeldes in der Regel mit Wasserstoffatomen (Protonen). Da die meisten Mumifizierungstechniken eine Dehydratation implizieren, galt die Protonendichte in Mumien bislang als zu gering für kernspintomographische Untersuchungen. Eine Anwendung schien nur bei solchen Mumien erfolgversprechend, die noch hinreichend Feuchtigkeit enthalten wie etwa chinesische Feuchtmumien. In jüngster Zeit ist es jedoch gelungen, mittels spezieller Software-Lösungen MRT-Bilder von trockenen Mumien ohne vorherige Rehydratation zu generieren. Dabei ist die Computertomographie der Kernspintomographie im Regelfall immer noch weit überlegen, doch zeichnen sich spezielle Anwendungen für die Kernspintomographie etwa bei der Ortung von Flüssigkeitsrückständen und der Differenzierung von Gewebstypen ab.6
1 Computertomographische Untersuchung einer Mumie (Quelle aller Abbildungen dieses Beitrags: Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim)
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Neben den bildgebenden Verfahren bilden genetische Untersuchungsmethoden einen Hauptzweig der Mumienforschung. Sie erlauben außer der Geschlechtsbestimmung und dem Nachweis von Verwandtschaftsverhältnissen durch die Sequenzierung des gesamten Genoms sowohl eine Phänotyp-Bestimmung als auch den Nachweis der Veranlagung für bestimmte Erkrankungen. Die mit zunehmendem Alter fortschreitende Fragmentierung der DNA, des Trägers der genetischen Information, erschwert die Sequenzierung bei älteren Mumien. Doch gelingt es, mit neueren Sequenzierungstechnologien selbst bei ägyptischen Mumien solche Untersuchungen erfolgreich durchzuführen.7 Zum Repertoire der Mumienforschung gehören weiterhin Blutgruppenbestimmungen, histologische Untersuchungen, endoskopische Verfahren und Gesichtsrekonstruktionen. Radiokarbondatierungen ermöglichen eine zuverlässige Altersbestimmung der Mumien. Sie haben auch einen unschätzbaren Wert bei der Plausibilitätsprüfung von Datierungen auf Grundlage der Mumifizierungstechnik. Eine besonders wichtige Rolle nehmen chemische Analysen von Balsamierungssubstanzen und anderen dem Körper anhaftenden Substanzen ein. Dabei sind keineswegs immer alle Untersuchungen gleichermaßen sinnvoll. Die Bedeutung einer Gesichtsrekonstruktion etwa liegt im Wiedererkennungswert. Sie ist besonders sinnvoll bei Mumien von Persönlichkeiten, von denen Bildnisse existieren, und vermittelt dann einen Eindruck davon, wie hoch die Übereinstimmung zwischen den Bildnissen und dem wirklichen Erscheinungsbild des Verstorbenen ist. Gesichtsrekonstruktionen sind auch ein interessantes Instrument bei der Untersuchung von Mumien, zwischen denen Verwandtschaftsverhältnisse bestehen.8 Insofern richtet sich die Auswahl der angewandten Untersuchungsmethoden nach der Fragestellung. Doch lässt diese keinesfalls erschöpfende Aufzählung der zur Verfügung stehenden Verfahren bereits erahnen, wie vielschichtig die aus den Mumien zu gewinnenden Informationen sind. Die moderne Mumienforschung beleuchtet unterschiedlichste Fragestellungen auf vier verschiedenen Erkenntnisebenen:
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Zunächst steht nach wie vor die Mumie selbst im Mittelpunkt. Die Untersuchung des Körpers fördert Erkenntnisse über den Zustand des Verstorbenen zum Zeitpunkt des Todes zutage. Größe und Geschlecht, das Erscheinungsbild und das Sterbealter, der Allgemeinzustand und mögliche Erkrankungen sind wichtige Informationen, nach denen gefahndet wird. In manchen Fällen lässt sich die Blutgruppe feststellen, teilweise ebenso die Todesursache. Auch die Mumifizierungstechnik selbst ist von großem Interesse. Werden Gruppen von Mumien untersucht, lassen sich zudem Verwandtschaftsverhältnisse nachweisen. Der Zustand des Körpers erlaubt Rückschlüsse auf das Leben des Verstorbenen, auf seine Ernährungsgewohnheiten und eventuelle Mangelerscheinungen. Es lässt sich außerdem rekonstruieren, ob er schwere physische Tätigkeiten verrichtete oder viel Zeit am offenen Feuer verbrachte. So lassen sich Informationen über Gewohnheiten gewinnen, die mitunter die Rekonstruktion einer – wenn auch äußerst rudimentären – Biographie des Verstorbenen zulassen. Mumien erlauben jedoch gleichfalls Rückschlüsse auf die Her kunftsgesellschaft des Verstorbenen. Manchmal ändern einzelne, außergewöhnlich gut erhaltene Mumien unser Verständnis der Epoche und der Gesellschaft, welcher sie entstammen. Die als Ötzi bekannt gewordene Gletschermumie aus den Ötztaler Alpen oder die chinesische Mumie der Lady Dai sind Beispiele für solche Fälle. Im Regelfall sind Erkenntnisse über die Herkunftsgesellschaften der Mumien jedoch eher den Ergebnissen von Reihenuntersuchungen vieler Mumien einer homogenen Herkunftsregion zu verdanken. Dabei sind Rückschlüsse auf die Verbreitung von Krankheiten, auf Ernährungsgewohnheiten, Bestattungsriten und teilweise auf die soziale Hierarchie möglich. Die paläopathologische Forschung ermöglicht darüber hinaus in zunehmendem Maße den Zugriff auf eine vierte Erkenntnisebene, nämlich die Beantwortung epidemiologischer Fragestellungen. Durch den Nachweis von Krankheitserregern in Mumien lässt sich
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deren Verbreitung und Ausbreitungsdynamik über längere Zeiträume ermitteln. Gelingt die genetische Sequenzierung von Krankheitserregern, dann lässt sich zudem deren evolutionäre Entwicklung rekon struieren.9
Mumien als vielschichtige Quellen der Forschung Welche Erkenntnisse der Mumienforschung zu verdanken sind, zeigt vor allem das Beispiel der Gletschermumie aus den Ötztaler Alpen.10 Aus dem Mageninhalt ließ sich die letzte Mahlzeit des Verstorbenen rekonstruieren. Er hatte Fleisch vom Steinbock und vom Hirsch gegessen, aber auch Getreide, was belegt, dass zu seinen Lebzeiten um 3.200 v. Chr. in den Ötztaler Alpen gejagt, aber auch Ackerbau betrieben wurde.11 Die Mumie weist mehrere chronische Infektionen auf, darunter mit Helicobacter pylori12, einem Bakterium, das noch heute überaus verbreitet ist13 und als primärer Auslöser der Typ B-Gastritis, der häufigsten Form der Magenschleimhautentzündung, sowie der meisten Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre gilt. Dieser Erreger war also schon vor 5.000 Jahren weit verbreitet. Der Körper der Gletschermumie zeigt außerdem eine ausgeprägte Arteriosklerose und in der Tat enthüllte das Genom eine starke Veranlagung des Verstorbenen für solche Erkrankungen. Dabei ist besonders beachtlich, dass sich die Krankheit manifestiert hatte, obwohl der Mann aus der Steinzeit nicht mit den häufig als Risikofaktoren bezeichneten Erscheinungen der modernen Zivilisation in Berührung gekommen war.14 Dies zeigt, dass es sich bei dieser Erkrankung keineswegs um eine moderne Zivilisationskrankheit handelt – eine Erkenntnis, auf die auch die Befunde an ägyptischen Mumien bereits hingedeutet hatten.15 Offensichtlich spielt die genetische Veranlagung eine entscheidende Rolle für das Auftreten arteriosklerotischer Veränderungen, wenngleich der Lebensstil zweifelsfrei ebenfalls beachtlichen Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat.
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Desgleichen ließ sich eine Laktoseintoleranz an der Mumie nachweisen. Kupferfunde bei dem Verstorbenen zeigen zudem, dass Kupfer offensichtlich in Europa schon im ausgehenden vierten Jahrtausend v. Chr. verhüttet und gehandelt wurde. Überhaupt hat die Ausrüstung der Gletschermumie das Verständnis der Wissenschaft von der materiellen Kultur jener Epoche vollkommen verändert. Vor allem aber konnte das Erbgut des Verstorbenen vollständig sequenziert werden. Die daraus gewonnenen Daten lieferten die Grundlage für vergleichende Studien zu Verwandtschaftsverhältnissen und Migrationsbewegungen im Neolithikum. Die Möglichkeiten der Mumienforschung reichen inzwischen so weit, dass selbst der Gang und die Stimme des Verstorbenen experimentell rekonstruiert werden konnten. Insgesamt haben der Fund dieser Mumie und ihre anschließende umfassende Erforschung den Kenntnisstand bezüglich ihrer Herkunftsepoche in geradezu revolutionärem Ausmaß verändert. Das Beispiel dieser Mumie zeigt eindrucksvoll, wie sehr Mumien unser Verständnis der Entstehungs- und Verbreitungsmechanismen von Krankheiten verändern können. Ein weiteres sehr beeindruckendes Beispiel hierfür sind die Mumien, die 1994 in der Gruft der Dominikanerkirche von Vác in Ungarn gefunden wurden.16 Die Mehrzahl dieser aufgrund des Mikroklimas in der Gruft spontan konservierten Verstorbenen war mit Tuberkulose infiziert und es gelang nicht nur, den Erreger in den Körpern nachzuweisen, sondern ebenso sein Genom auszulesen und mit heute kursierenden Varianten des Mycobacterium tuberculosis zu vergleichen. Daraus lässt sich die Evolution des Bakteriums über den Zeitraum der vergangenen zweihundert Jahre rekonstruieren. Vor allem aber erlauben derartige Vergleiche Rückschlüsse auf die Entstehung von Resistenzmechanismen gegenüber Tuberkulostatika; denn die in den Mumien eingeschlossenen Bakterien waren natürlich niemals mit solchen, erst viel später entwickelten Medikamenten in Berührung gekommen.17 Daraus ergibt sich, dass die Ergebnisse der Mumienforschung von äußerst praktischem Wert für die moderne Me-
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dizin sein können. Durch die kontinuierliche Optimierung der Untersuchungsverfahren nimmt deren Sensitivität und Aussagekraft immer mehr zu, was zu besseren Ergebnissen führt und mitunter Revisionen vorheriger Studien erfordert. Daher ist es durchaus sinnvoll, Untersuchungen derselben Mumie in bestimmten Fällen zu wiederholen. Zwei Beispiele aus dem Hildesheimer Mumienforschungsprojekt veranschaulichen diesen Umstand. Die Mumie Idu II aus der 6. Dynastie (ca. 2345–2181 v. Chr.) des pharaonischen Ägypten gilt als eine der ältesten erhaltenen ägyptischen Mumien. Sie wurde im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojektes 1987 umfassend untersucht. Dabei wurde eine computertomographische Untersuchung des Schädels durchgeführt, bei der die Lamina cribrosa, eine knöcherne Struktur zwischen Nasen- und Schädelhöhle, nicht auffindbar war. Da diese Struktur der Hauptzugangsweg war, den Balsamierer späterer Epochen bei der Exzerebration, der Entfernung des Gehirns im Rahmen der Mumifizierung, wählten, gingen die Untersucher 1987 davon aus, dass auch bei dieser Mumie die Lamina cribrosa im Zuge der Mumifizierung zerstört worden war.18 Es wäre der älteste Beleg für diese ansonsten erst ab der zwölften Dynastie (ca. 1985–1773 v. Chr.) bekannte Mumifizierungstechnik. Eine neue, im Jahr 2015 durchgeführte Untersuchung mit einem modernen hochauflösenden Computertomographen zeigte allerdings, dass die Lamina cribrosa bei dieser Mumie vollkommen intakt ist. Sie ist veranlagungsbedingt nur sehr dünn und wurde deshalb von dem niedriger auflösenden Tomographen der 1980er-Jahre schlicht übersehen.19 Somit wurde das Gehirn bei Idu II offensichtlich nicht entfernt, jedenfalls nicht durch die Nase. Eine in der Sammlung des Instituts für Historische Anthropologie und Humanökologie der Universität Göttingen aufbewahrte Mumie der vorspanischen Guanchen-Kultur auf den Kanarischen Inseln war ebenfalls bereits in den 1980er-Jahren computertomographisch untersucht worden. Damals wurde festgestellt, dass im Inneren des Körpers Weichteile erhalten waren, womit eine Eviszeration als Teil des Mumifi-
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2 3D-Rekonstruktion der CT-Aufnahme einer vorspanischen Guanchen-Mumie aus der Sammlung des Instituts für Historische Anthropologie und Humanökologie der Univer sität Göttingen. Selbst kleinste anatomische Strukturen innerhalb der Brusthöhle sind erkennbar.
zierungsprozesses ausgeschlossen werden konnte. Jedoch gelang es nur sehr vereinzelt, anatomische Strukturen zu identifizieren, namentlich Teile des Diaphragmas, des Oesophagus und der Trachea.20 Die 2015 erneut durchgeführte Computertomographie konnte nicht nur den Erhalt von Weichteilgewerbe bestätigen, sondern erlaubte auch die Identifikation kleinster anatomischer Strukturen. So ließen sich Teile der Lunge und des Pericards nachweisen, ebenso die Aorta und die Vena cava. Zwi-
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schen den Rippen ließen sich die Musculi intercostales interni et externi nachweisen, die sich sogar anhand des gegensätzlichen Verlaufs der Muskelfasern differenzieren ließen (Abbildung 2). Auch kleinere Gefäße wie die Arteria thoracica interna ließen sich darstellen und selbst im Abdomen waren noch anatomische Strukturen klar zuzuordnen. Dieses Beispiel zeigt einerseits die sprunghafte Entwicklung, welche die Radiologie innerhalb der vergangenen Jahrzehnte vollzogen hat, andererseits aber auch die Sinnhaftigkeit wiederholter Untersuchungen. Bei letztgenannter Mumie handelt es sich um den Körper einer Frau, die vor dem Erreichen des 40. Lebensjahres verstorben war. Das Skelett wies keinerlei Defekte wie zum Beispiel Frakturen auf und die Wirbelsäule zeigte nur geringe Abnutzungserscheinungen, was für Guanchen-Mumien ungewöhnlich ist und ein Hinweis darauf sein könnte, dass diese Frau einer privilegierten Schicht angehörte und keine schweren körperlichen Arbeiten verrichten musste. Insofern trägt diese Mumie gleichfalls dazu bei, unser Verständnis der noch weitgehend unbekannten gesellschaftlichen Strukturen der vorspanischen Kulturen auf den Kanarischen Inseln zu erweitern.21 Diese Beispiele dürften recht eindrucksvoll belegen, dass Mumien überaus wertvolle und vielschichtige Quellen sind, die einen Schatz an Informationen über die verstorbenen Menschen selbst wie über ihre Herkunftsgesellschaften bergen. Zugleich haben sich die Methoden der Mumienforschung dermaßen verbessert, dass die Untersuchungen heute weitestgehend zerstörungsfrei erfolgen und damit der Erhaltung der Körper höchste Priorität eingeräumt werden kann.
Mumien in Museen und Ausstellungen Auch der Umgang mit Mumien in Ausstellungen hat sich im Laufe der Zeit in ähnlicher Weise wie in der Wissenschaft verändert. Von den Kuriositätenkabinetten der Renaissance fanden die Mumien ihren Weg in die ersten öffentlich zugänglichen Museen des 19. Jahrhunderts und
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wurden dort ganz selbstverständlich ausgestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte vor allem im deutschsprachigen Raum ein Umdenken ein und Mumien wurden aus ethischen Gründen und aus Gründen der Pietät zunehmend weniger museal präsentiert. Sonderausstellungen speziell zu ägyptischen Mumien befassten sich in der Regel mehr mit dem Totenkult und den zugrundeliegenden Jenseitsvorstellungen als mit den mumifizierten Körpern selbst und so wurden meist – wenn überhaupt – nur wenige Mumien gezeigt und auch diese nicht in ausgewickeltem Zustand.22 Zu einem paradigmatischen Wandel führte die Ausstellung „Mumien – Der Traum vom ewigen Leben“, die 2007 in den Reiss-EngelhornMuseen in Mannheim gezeigt wurde. Sie rückte erstmals seit vielen Jahren wieder die Körper selbst in den Mittelpunkt und behandelte Mumifizierungstechniken in verschiedenen Kulturen. Zugleich löste die Ausstellung eine verstärkte Diskussion über ethische Aspekte im Umgang mit Mumien in Museen und Ausstellungen aus, die bis heute andauert. Diese Diskussion betrifft in ähnlichem Maße auch die Forschung an Mumien und letztlich generell den Umgang mit menschlichen Überresten in der Forschung und in Ausstellungen. Da es sich hierbei um ethische und wertbasierte Fragestellungen handelt, dürfte es kaum möglich sein, zu einem allgemeingültigen Ergebnis zu gelangen. Die Vielzahl der in diesem Zusammenhang geäußerten Standpunkte lässt sich in diesem Rahmen nicht annähernd wiedergeben.23 Jene, die fordern, Mumien und sonstige menschliche Überreste überhaupt nicht mehr auszustellen, stehen den Befürwortern einer Präsentation von Mumien als wichtige Quellen und Repräsentanten ihrer Herkunftskulturen recht unversöhnlich gegenüber. Jedoch hat sich mittlerweile mehrheitlich ein Konsens gebildet, demzufolge Mumien dann ausgestellt werden können, wenn sie kontextualisiert werden und ihnen eine essenzielle Bedeutung bei der Vermittlung der Ausstellungsinhalte und -ziele zukommt. Zudem muss die Präsentation der Mumien in einem respektvollen Rahmen erfolgen.24 Die Erforschung von Mumien und sonstigen menschlichen Überresten ist demnach möglich, wenn sie
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ein klar definiertes Ziel verfolgt, in respektvoller Weise geschieht und wenn ausgeschlossen werden kann, dass es sich um menschliche Überreste aus Unrechtskontexten handelt. Diese Auffassungen haben sich auch in den mittlerweile von zahlreichen Museen und Verbänden aufgestellten Richtlinien für den Umgang mit menschlichen Überresten niedergeschlagen.25 Angesichts des Umstands, dass es sich bei Mumien um die Körper Verstorbener und damit einst lebendiger Menschen handelt, sollte es selbstverständlich erscheinen, dass sie als Subjekte und nicht als Objekte zu behandeln sind. Doch soll hier die Aufmerksamkeit noch auf einen anderen wichtigen und häufig vernachlässigten Aspekt gelenkt werden, nämlich die Perspektive der Herkunftsgesellschaft; denn jede menschliche Gesellschaft hat ihre eigenen Wertvorstellungen in Bezug auf den Tod und den Umgang mit den Verstorbenen. Heutzutage wird jedoch mitunter eine Diskussion geführt, die wesentlich von unseren modernen Wertvorstellungen – seien sie christlich, islamisch, atheistisch oder von anderen Glaubenssystemen geprägt – beeinflusst ist. Forderungen nach einer nachträglichen Erdbestattung oder Verbrennung von Mumien resultieren aus solchen ausschließlich auf der Basis heutiger Wertvorstellungen geführten Diskussionen. Wenngleich der Versuch, im Interesse des Verstorbenen zu handeln, immer mit Unsicherheiten behaftet bleiben muss, da man ihn nicht mehr fragen kann, sind solche Extrempositionen offensichtlich absurd und ganz sicher nicht im Interesse der mumifizierten Verstorbenen, die durch die Mumifizierung dem Verfall des Körpers entgehen wollten.26 Mit der Zugrundelegung heutiger Wertmaßstäbe aber wird man den Herkunftskulturen der mumifizierten Verstorbenen und ihnen selbst nicht gerecht. Dass die moderne Welt den Tod zunehmend tabuisiert, bedeutet nicht, dass es andere Kulturen ebenfalls getan haben. Deren Wertesysteme unterschieden sich mitunter erheblich von unseren heutigen. Demzufolge besteht die größte Achtung, die man den Verstorbenen entgegenbringen kann, sicher darin, ihre eigenen Werte und Normen, soweit wir sie kennen, zu berücksichtigen und zu versuchen, in ihrem Sinne zu handeln.
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So gibt es Kulturen, von denen bekannt ist, dass sie das Ausstellen menschlicher Überreste als Tabubruch und als zutiefst verletzend empfinden. Die als Mokomokai bezeichneten mumifizierten Köpfe der Maori in Neuseeland etwa wurden teilweise gegen den Willen der Verstorbenen als Zeichen der Überlegenheit des Siegers über den Besiegten hergestellt, in späterer Zeit teils auch in krimineller Absicht zum Verkauf an europäische Sammler.27 Die Maori lehnen das Ausstellen der Köpfe somit kategorisch ab und daher verbietet es sich von selbst, Mokomokai auszustellen. Auf der anderen Seite wissen wir über viele präkolumbianische Kul turen auf dem Gebiet des heutigen Peru und angrenzender Andenstaaten, dass die Mumien der Verstorbenen weitgehend in das Leben der Menschen integriert waren. Sie wurden bei Prozessionen durch die Straßen getragen und waren bei wichtigen Ereignissen anwesend.28 Diese Kulturen wollten nach heutigem Kenntnisstand den Verstorbenen auch nach ihrem Tod eine Teilhabe am Leben der Menschen ermöglichen und so dürfte die Annahme berechtigt sein, dass diese Menschen gegen das Ausstellen der Mumien wenig einzuwenden gehabt hätten. In diesem Zusammenhang ist das Schicksal der königlichen Inka-Mumien von Interesse. Sie wurden im Jahre 1559 von den spanischen Eroberern zunächst im Hospital Real de San Andrés in Lima ausgestellt und dem Hohn und Spott der Spanier preisgegeben und anschließend an unbekannter Stelle vergraben – wohlgemerkt, um die Inka zu demütigen und ihnen größtes Leid zuzufügen.29 Dieses Beispiel sollte als Mahnung verstanden werden, dass die auf modernen Wertvorstellungen basierenden Bestattungspraktiken für die Angehörigen der Herkunftskulturen mumifizierender Gesellschaften keineswegs unbedingt erstrebenswert waren. Die altägyptische Kultur dürfte die bekannteste sein, die der Erhaltung der Körper Verstorbener besondere Bedeutung einräumte. Sie ist zugleich eine der wenigen, bei der tatsächlich religiöse Motive im Vordergrund standen, mindestens in jener Zeit, die sich über schriftliche Quellen erschließen lässt.30 Für die Ägypter war die Erhaltung des Kör-
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pers Voraussetzung für das Fortbestehen der metaphysischen Komponenten des Verstorbenen im Jenseits. Doch mindestens ebenso wichtig war für sie die Bewahrung des Namens und der Biographie des Verstorbenen. Unzählige Aufrufe an die Lebenden und Grabstelen legen davon Zeugnis ab. Letztlich sollte die Erinnerung an den Menschen bewahrt werden und so dürfte die Präsentation einer Mumie etwa im Kontext ihres Grabfundes und ihrer Lebensgeschichte ganz sicher eher im Sinne des Verstorbenen sein als eine nachträgliche Bestattung nach modernem Ritus, bei der der Leichnam zerstört würde.31
Möglichkeiten der Gestaltung und Konzeption von Mumien-Ausstellungen Anhand des Beispiels der Ausstellung „Mumien der Welt“, die im Jahr 2016 im Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim gezeigt wurde, soll exemplarisch aufgezeigt werden, welche Bedeutung Mumien in Museen zukommt und welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um sie in einer verantwortungsbewussten und ihnen gerecht werdenden Weise zu präsentieren. Die Ausstellung legte den Schwerpunkt auf Mumien als Repräsentanten ihrer Herkunftskulturen. Ihr Anspruch bestand darin, kultur- und naturwissenschaftliche Aspekte gemeinsam und umfassend zu behandeln. Es ist offensichtlich, dass Mumien tot sind. Darum erschien es völlig unnötig, diesen Aspekt in den Vordergrund zu stellen. Vielmehr sollte das Leben der Menschen, deren Körper die Besucher heute betrachten können, gezeigt werden. Dabei wurde verdeutlicht, welch umfassende Informationen Mumien enthalten. Dazu gehörten natürlich auch die Fragen nach dem Zustand des Körpers zum Zeitpunkt des Todes, nach der Todesursache und der Mumifizierungstechnik, doch wichtiger war es, die Lebensumstände der Verstorbenen zu rekonstruieren und im Kontext ihrer Epochen und Kulturen darzustellen. Hierzu wurden ausgewählte Exponate aus dem kulturellen Umfeld der Verstorbenen gezeigt.
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3 Blick in den Ozeanien-Bereich der Hildesheimer-Ausstellung. Im Hintergrund ist die Mumie zu erkennen. Exponate aus ihrem kulturellen Umfeld kontextualisieren sie.
4 Backlits fungierten in der Ausstellung als Fenster zu den Herkunftskulturen der Mumien, die von ihnen repräsentiert wurden.
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Mumifizierte menschliche Überreste machten somit nur einen vergleichsweise kleinen Teil der Exponate aus. Fiktive Biographien auf der Grundlage realer, anhand der aus den Mumien gewonnenen Informationen rekonstruierter Lebensumstände demonstrierten, wie unglaublich aussagekräftig die konservierten Körper sein können. Die Ausstellung zeigte Mumien unterschiedlicher Kulturen und erlaubte darum Vergleiche der Lebensumstände, der Jenseitsvorstellungen und nicht zuletzt auch der Techniken und Gründe für den Erhalt der Körper. Dabei gaben Backlits Einblicke in die Herkunftsländer (Abbildung 4). Die als Persönlichkeiten gezeigten Verstorbenen nahmen in diesem Ausstellungskonzept genau jene Funktion ein, die ihnen tatsächlich zukommt – sie waren Botschafter ihrer Herkunftskulturen, Menschen, die vom Leben in vergangenen Epochen und fernen Ländern berichteten. Genau darin liegt die Faszination von Mumien: Sie sind Zeugen längst
5 Eine große Weltkarte im Eingangsbereich der Ausstellung zeigte die weltweite Verbreitung von Mumifizierungstraditionen. Dieser Bereich hebt sich durch seine Farbgebung deutlich von den anderen Ausstellungsbereichen ab.
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vergangener Ereignisse und sie erlauben es dem Betrachter, Menschen aus jenen weit zurückliegenden Epochen von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Diese Begegnung aber sollte in der Ausstellung auf Augenhöhe erfolgen – zwischen zwei Menschen, einem lebenden und einem verstorbenen, und nicht zwischen einem Menschen und einem Objekt. Die Ausstellung vermittelte im einleitenden Teil auch die natur wissenschaftlichen Grundlagen der Mumifizierung, die Verfallsprozesse menschlicher Leichen und die Wirkmechanismen, die bei der Mumifizierung diese Prozesse hemmen. Um diese sehr nüchterne Ausstellungseinheit klar vom Rest abzugrenzen, wurde im Einführungsbereich mit einer anderen Farbgebung gearbeitet als in den anderen Einheiten, welche die verschiedenen Kulturräume behandelten. Im Einführungsbereich wurden zudem keine menschlichen Mumien gezeigt (Abbildung 5).
Botschafter vergangener Epochen und Kulturen Diese Ausführungen dürften klar veranschaulichen, dass Mumien zu den wertvollsten, aussagekräftigsten und zuverlässigsten Quellen überhaupt gehören. Gelingt es, sie zum Sprechen zu bringen, vermögen sie mehr über das Leben in vergangenen Zeiten zu berichten als jede andere Quellengattung. Die Wissenschaft ist heute in der Lage, die im Inneren der Körper konservierten Informationen auf zerstörungsfreie Weise zu gewinnen. Es sollte sogar Standard bei jeder Mumienuntersuchung sein, die Körper auf konservatorische Stabilität und Restaurierungsbedarf zu prüfen und sie gegebenenfalls entsprechend zu behandeln. So vermag die Wissenschaft, den Verstorbenen heute etwas zurückzugeben für die vielen Informationen, die sie ihnen zu verdanken hat, nämlich die Gewährleistung der Erhaltung ihrer Körper für die Zukunft. Und damit handelt sie auf jeden Fall im Sinne jener Verstorbenen, die ihre Körper mumifizieren ließen, um sie vor dem Verfall zu bewahren.
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Doch Mumien sind nicht nur großartige Quellen für die Wissenschaft, sie sind auch Zeugen vergangener Epochen, die es Besuchern in Museen und Ausstellungen ermöglichen, ihnen von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Sie nicht zu zeigen, würde bedeuten, einen wichtigen Bestandteil ihrer Herkunftskulturen auszublenden und dem Besucher nicht zugänglich zu machen. Werden Mumien kontextualisiert ausgestellt, so vermögen sie analog zu den Erkenntnisebenen der Mumienforschung multidimensional Informationen zum Körper und seiner Erhaltung, aber auch zum gesamten Leben jener Persönlichkeit, die einst in diesem Körper über die Erde wandelte, zu ihrer Herkunftsgesellschaft und in manchen Fällen zur Verbreitung von Krankheiten, die noch für die heutige Medizin von Bedeutung sind, zu vermitteln. Diejenigen Kulturen, die uns Mumien hinterlassen haben, haben uns Botschafter hinterlassen, die es verdienen, mit Würde behandelt zu werden. Im Umgang mit ihnen sollte immer das Wertesystem des Verstorbenen die Richtschnur unseres Handelns bilden, auch wenn dies in manchen Fällen bedeutet, dass man sie nicht ausstellen darf, während in anderen Fällen das Ausstellen Verstorbener für die Herkunftskultur wohl weit weniger problembelastet wäre, als es heutige Wertvorstellungen erwarten lassen. Oliver Gauert, M.A. Kurator für Sonderausstellungen am Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim und Koordinator des Hildesheimer Mumienforschungsprojektes
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Eine erste Mumiensektion mit wissenschaftlicher Fragestellung führte der englische Chemiker und Mediziner John Hadley im Jahre 1763 durch. Vgl. Hadley, John: An account of a Mummy, inspected at London 1763, in: Philosophical Transactions 54(1)/1763, S. 1–14. Für einen Überblick zur Geschichte der Mumienforschung siehe Aufderheide, Arthur C.: The Scientific Study of Mummies, Cambridge 2003, S. 1–17. Vgl. auch Gauert, Oliver: Mumien als aussagekräftige Quellen für die historischen Wissenschaften – Eine kurze Geschichte der Mumienforschung, in Mumien der Welt, hrsg. von Regine Schulz, Christian Bayer und Oliver Gauert, Hildesheim 2016, S. 12–19. Es ist unklar, ob es sich bei dem von Flinders Petrie in dem königlichen Grab in Abydos aufgefundenen Unterarm um ein Fragment der Mumie von König Djer oder seiner Großen Königlichen Gemahlin handelte. Jedenfalls wurde das Mumienfragment vom damaligen Kurator des Ägyptischen Museums Kairo, Emil Brugsch (1842–1930), offenbar entsorgt. Vgl. Ikram, Salima / Dodson, Aidan: The Mummy in Ancient Egypt. Equipping the Dead for Eternity, London 1998, S. 320. Der australische Neuroanatom Grafton Elliot Smith (1871–1937) führte Anfang des 20. Jahrhunderts große Reihenuntersuchungen an Mumien durch, bei denen er zahlreiche Mumien sezierte. Smith gehörte aber auch zu den ersten Forschern, welche die neue Röntgentechnik bei der Untersuchung von Mumien einsetzten. Die Gesamtzahl der von ihm untersuchten Mumien wird auf ca. 30.000 geschätzt. Vgl. Aufderheide: The Scientific Study of Mummies, S. 13. Ebd., S. 16. Vgl. Rühli, Frank J.: Short Review: Magnetic Resonance Imaging of Ancient Mummies, in: The Anatomical Record 298/2015, S. 1111–1115; Waldburg, Hendrik: Magnetresonanzbasierte Untersuchungen an Mumien aus Ägypten und Peru, Dissertation, Zürich 2009, S. 27 ff., 45 ff. Vgl. Zink, Albert: Paleogenetics and Mummies, in: Canarias Arqueológica 22/2021, S. 49–65. Vgl. Gauert, Oliver: Gesichtsrekonstruktionen von Mumien, in: Ta-cheru. Eine Reise ins Innere der Mumie, hrsg. von Regine Schulz und Oliver Gauert, Hildesheim 2018, S. 58–61. In einer früheren Veröffentlichung hatte ich noch drei Erkenntnisebenen in der Mumienforschung benannt. Vgl. Gauert, Oliver: Mumien als Botschafter der Vergangenheit, in: Antike Welt 2/2016, S. 40–45. Der zunehmende Fortschritt in der Paläopathologie fördert jedoch in immer stärkerem Maße Erkenntnisse zutage, die über den kulturhistorischen Kontext hinaus für unterschiedliche Bereiche auch der modernen Medizin bedeutend sind, weshalb es sich anbietet, diese als zusätzliche Erkenntnisdimension zu identi fizieren. Vgl. Zink: Paleogenetics and Mummies, S. 53 ff. Vgl. Maixner, Frank et al.: The Iceman’s last meal consisted of fat, wild meat and cereals, in: Current Biology 28/2018, S. 2348–2355. Vgl. Maixner, Frank et al.: The 5.300-year-old Helicobacter pylori genome of the Iceman, in: Science 351/2016, S. 162–165. Weltweit gilt jeder zweite Mensch als infiziert. Vgl. Pounder, R. E. / Ng, D.: The prevalence of Helicobacter pylori infection in different countries, in: Alimentary Pharmacology & Therapeutics 9/1995, Suppl. 2, S. 33–39. Vgl. Zink: Paleogenetics and Mummies, S. 54–55. Vgl. David, Rosalie A. / Kershaw, Amie / Heagerty, Anthony: Atherosclerosis and diet in ancient Egypt, in: The Lancet 375(9716)/2010, S. 718–719. Vgl. Szikossy, Ildikó et al.: Natürlich mumifizierte Leichname aus der Dominikanerkirche in Vác, Ungarn, in: Mumien. Der Traum vom ewigen Leben, hrsg. von Alfried Wieczorek / Wilfried Rosendahl, Darmstadt 2015, 2. Aufl., S. 355 ff. Vgl. Fletcher, Helen et al.: Widespread Occurrence of Mycobacterium tuberculosis-DNA from 18th–19th Century Hungarians, in: American Journal of Physical Anthropology 120/2005, S. 144–152. Vgl. Schultz, Michael: Paläopathologische Untersuchungen der Mumie des Herrn Idu, in: Untersuchungen zu Idu II, Giza. Ein interdisziplinäres Projekt, hrsg. von Bettina Schmitz, Hildesheimer Ägyptologische Beiträge 38. Hildesheim 1996, S. 73. Vgl. Schulz / Bayer / Gauert: Mumien der Welt, S. 83 (Kat.-Nr. 17). Vgl. Herrmann, B.: Eine Guanchen-Mumie aus der anthropologischen Sammlung Johann-Friedrich Blumenbachs, in: 250 Jahre Georg-August-Universität Göttingen. Ausstellung im Auditorium 19. Mai–12. Juli 1987, hrsg. von Gustav Beuermann, Hartmut Bockmann, Margrit Hische et al., Göttingen 1987, S. 108–110.
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Vgl. Gauert, Oliver / Großkopf, Birgit: The Guanche Mummy in Göttingen. Recent Research and Findings, in: Canarias Arqueológica 22/2021, S. 159–173. Ein Beispiel für diese Entwicklung ist die Mumie von Idu II im Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim. Sie war nach ihrer Entdeckung und Überführung nach Hildesheim im Jahre 1914 bis zum Jahr 1986 kontinuierlich im Museum ausgestellt worden und wurde dann für eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung im Rahmen des Idu-Projekts aus der Ausstellung entnommen. Nachdem das Forschungsprojekt etliche überaus bedeutende Erkenntnisse zutage gefördert hatte, die das Verständnis der Mumifizierungstechnik der Ägypter vollkommen verändert haben, wurde die nunmehr als äußerst bedeutend erkannte Mumie aber für Jahre nicht mehr ausgestellt, bis sie schließlich 2017 im Anschluss an die Sonderausstellung „Mumien der Welt“ im vorhergehenden Jahr wieder in die Dauerausstellung integriert wurde. Für einen Überblick sei auf den Beitrag von Regine Schulz in diesem Band verwiesen. Vgl. zum Beispiel Lohwasser, Angelika: Mumien und Museum. Vom Gruselkabinett zur Bildungsstätte, in: Tod und Ewigkeit. Die Münster-Mumie im Fokus der Forschung, hrsg. von Achim Lichtenberger, Angelika Lohwasser und H.-Helge Nieswandt (= Veröffentlichungen des Archäologischen Museums der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 7), Münster 2016, S. 30–31. Vgl. zum Beispiel Deutscher Museumsbund e.V. (Hrsg.): Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen, Berlin 2013; ICOM International Council of Museums (Hrsg.): ICOM Code of Ethics for Museums, Paris 2017. Vgl. Schulz, Regine: Mumien erforschen und betrachten: Ein ethisches Problem? in: Ta-cheru. Eine Reise ins Innere der Mumie, S. 32–33. Vgl. Palmer, Christian / Tano, Mervyn L.: Mokomokai: Commercialization and Desacrilization, International Institute for Indigenous Resource Management, Denver 2004. Vgl. zum Beispiel Aufderheide: The Scientific Study of Mummies, S. 124; Tellenbach, Virgina / Tellenbach, Michael: Mumien im Andenraum – Präsenz der Verstorbenen, in: Mumien. Der Traum vom ewigen Leben, hrsg. von Alfried Wieczorek und Wilfried Rosendahl, Darmstadt 2015, 2. Aufl., S. 119–120. Vgl. Deza Bringas, Luis / Barrera, P. Juan: Historia y leyenda acerca de los Incas enterrados en el hospital San Andrés de Lima, in: Revista de Neuro-Psiquiatría 64/2001, S. 18–35. Die ältesten erhaltenen Textquellen, die Aufschluss über Jenseitsvorstellungen geben, datieren in das ausgehende Alte Reich (Ende des dritten Jahrtausends v. Chr.), doch haben neuere Forschungen gezeigt, dass die Anfänge der Mumifizierung in Ägypten sehr viel früher, nämlich bereits im 5. Jahrtausend v. Chr., begonnen haben. Vgl. Jones, Jana et al.: Evidence for Prehistoric Origins of Egyptian Mummification in Late Neolithic Burials, in: PLOS ONE 9(8), 2014, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0103608. Allerdings liegen die Motive dieser frühesten Mumifizierungen über Jahrtausende weitgehend im Dunkeln und lassen sich bislang auch auf der Grundlage schriftlicher Überlieferungen nicht erhellen. Vgl. Schulz: Mumien erforschen und betrachten, S. 33. Siehe auch Lohwasser: Mumien und Museum, S. 30; Fitzenreiter, Martin: Tod und Tabu – Der Tote und die Leiche im kulturellen Kontext Altägyptens und Europas, in: Die ägyptische Mumie – ein Phänomen der Kulturgeschichte, hrsg. von Martin Fitzenreiter und Christian E. Loeben, in: Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie 1/1998, S. 16–17.
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DIE MUMIE IM WOHN ZIMMER Ein ganz anderer Umgang mit den Überresten von einst Ab dem 17. Jahrhundert kamen immer mehr Mumien in die westliche Welt. Mit der Ägyptomanie im 19. Jahrhundert und der Tutmanie im 20. Jahrhundert wuchs das Interesse, und die Mumie wurde immer mehr Teil der Populärkultur. Die „Mumie im Wohnzimmer“ sagt jedoch mittlerweile mehr über gegenwärtige Verhältnisse als über die Vergangenheit aus.
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Mumien im Wohnzimmer Welcher Ägypten- oder Ägyptologie-Begeisterte hat sie nicht: die Mumie im Wohnzimmer! In Vitrinen und Regalen tummeln sich neben Sachund Fachliteratur der Mumien-Schlumpf, das Mumien-Quietsche-Entchen oder kleine Sarg-Modelle mit oder ohne enthaltene Mini-Mumie. Mumien spielen ihre Rolle in Romanen, Comics, Computer-Spielen und nicht zuletzt in Spielfilmen von „The Mummy“1 bis hin zu „Raiders of the Lost Ark“ (1981). Längst ist die Mumie Teil der Populärkultur. Befremdlich hingegen wirkt der Gedanke an echte Mumien im Wohnzimmer.2 Doch im 19. Jahrhundert waren sie dort – insbesondere im Rahmen spezieller Partys – nicht gänzlich ungewöhnlich. Die feinere Gesellschaft, die sowohl Bildung wie Finanzstärke zum Ausdruck bringen wollte, erwarb entweder bei einer eigenen Reise in den Vorderen Orient oder über Mittelsmänner eine Mumie und lud zu Hause zu einer Gesellschaft. Deren Höhepunkt war das „Auswickeln“ der Mumie. Dabei stand häufig nicht das Enthüllen des Verstorbenen im Mittelpunkt, sondern die Suche nach Schmuckstücken und Papyri in den Bandagen. Viele Mumien wurden deshalb nach dem Auswickeln rasch entsorgt und nur die eventuellen Fundstücke zurückbehalten.
2.500 Jahre Rezeptionsgeschichte Sich für Mumien zu interessieren, insbesondere für jene aus dem alten Ägypten, hat in der europäisch-westlichen Kultur eine lange Tradition. Der Geschichtsschreiber Herodot war im 5. Jahrhundert vor Christus der Erste, der Europa mit der altägyptischen Praxis der Mumifizierung bekannt machte.3 Das spätere „Allheilmittel“ Mumia („Mumienpulver“, ursprünglich Bitumen oder Asphalt) wurde ebenfalls schon in der Antike erwähnt.4 Das Objekt Mumie fand schließlich ab dem 17. Jahrhundert als Kuriosum Eingang in die Raritätenkabinette und Kunstkammern der euro-
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päischen Fürstenhöfe. 1615 hatte man in Sakkara die Mumien einer Frau und eines Mannes samt Mumienporträt und Mumientuch aus der Zeit zwischen 280 und 350 nach Christus ausgegraben. In Europa angekommen, waren dies die ersten bekannten Porträtmumien. 1728 wurden sie schließlich für die Sammlung von Friedrich August I., Kurfürst von Sachsen, besser bekannt als August der Starke, angekauft.5 Einhergehend mit der Erschließung des Vorderen Orients durch oder vielmehr für Europa, fand ägyptisierendes Design im 18. Jahrhundert immer größeres Interesse. In Giambattista Piranesis 1767 bis 1769 veröffentlichten „Diverse maniere d’adornare i cammini“ tauchen mehrere Kamin-Entwürfe mit entsprechenden Elementen auf, darunter sogar bandagierte Mumien. Auf diese Weise konnten sich Ägypten-Begeisterte die Mumie ins Wohn-, Rauch- oder Studierzimmer holen.
Die Ägyptomanie des 19. Jahrhunderts Zu einer wahren Ägyptomanie-Welle kam es durch Napoleons Ägyptenfeldzug (1798–1801), denn dieser ging zugleich mit der wissenschaftlichen Erforschung des Landes einher. Dazu brachte Napoleon zahlreiche Wissenschaftler an den Nil. Insbesondere die darauf zurückgehenden Publikationen von Dominique Vivant Denons „Voyage dans la basse et la haute Egypte“ (1802) und „Description de l’Egypte“ (1809–1828) befeuerten die Faszination für Altägypten. Künstler und Kunsthandwerker fanden in den Illustrationen der „Description de l’Egypte“ zahlreiche Vorlagen für ägyptisierende (Nach-)Schöpfungen, für die sich ein großer Absatzmarkt eröffnete. Die Ägypten-Begeisterung war indes eng mit dem damaligen Imperialismus verbunden: Der Okzident betrachtete sich dem Orient gegenüber als überlegen.6 Dieser galt als rückständig oder gar dekadent und verweiblicht. Die behauptete Überlegenheit rechtfertigte Kolonialismus und Ausbeutung. Das brachte die Kunst auf ganz ei-
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gene Weise zum Ausdruck: Die ägyptische Herrscherin Kleopatra galt trotz ihrer griechischen Abstammung seit der Antike als Sinnbild des Orients. In den Darstellungen, vor allem des 19. Jahrhunderts, wird sie konsequent einem imperialistischen, westlich-männlichen Blick unterworfen.7 Auch wenn sie die Fantasie natürlich nicht in gleichem Maße anzuregen vermochte wie Kleopatra, ergeht es einer Mumie in einem von Maurice Orange Ende des 19. Jahrhunderts geschaffenen und wiederholt reproduzierten Gemälde ähnlich (Abbildung 1): „Bonaparte devant les pyramides contemplant la momie d’un roi“ zeigt Napoleon bei
1 Maurice Oranges Gemälde „Bonaparte devant les pyramides contemplant la momie d’un roi“ in einer Buchreproduktion der Zeit um 1900 (Quelle: Privatsammlung)
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der Betrachtung einer offensichtlich gerade entdeckten Mumie, deren Kopf bereits freigelegt ist. Es geht hier weniger um den kontemplativen Moment angesichts des vor langer Zeit Verstorbenen, sondern um die Aneignung durch den Blick des westlichen Feldherrn, während sich Frankreich Ägypten und die westliche Wissenschaftsexpedition das alt ägyptische Kulturgut aneignen. Die in der Kunst dargestellte, reale wie symbolische Aneignung Alt ägyptens kreiste auch um die tatsächliche Vereinnahmung der Kunstschätze und ihr Verbringen in öffentliche wie private Sammlungen der westlichen Welt. Solche Vorgehensweisen begünstigten die Grabräuberei bis hin zur Plünderung der „mummy pits“, um nicht nur Grabbeigaben, sondern sogar Mumien – zum Teil direkt am Straßenrand – an Reisende verkaufen zu können. Wohlhabende Ägypten-Reisende zeigten sich sehr am Erwerb der altägyptischen Mumien interessiert. Weniger begüterte Besucher des Nillandes begnügten sich mit einzelnen mumifizierten Körperteilen wie Köpfe, Hände oder Füße.
Die Mumie in der Literatur des 19. Jahrhunderts Bald nach der „Wiederentdeckung“ Altägyptens um 1800 nahm sich auch die Literatur der Mumie an. Bereits 1827 veröffentlichte Jane C. Loudon den dreibändigen Roman „The Mummy! A Tale of the TwentySecond Century“. Darin wird die Wiedererweckung der Mumie des Pharao Cheops mit Hilfe einer galvanischen Batterie geschildert. Galvanismus und Elektrizität waren zeitgenössische Themen und deren Verquickung mit der Wiederbelebung von Toten war bereits in Mary Shelleys „Frankenstein or The Modern Prometheus“ (1818) eindringlich thematisiert worden. Vergleichbares passiert in Edgar Allan Poes Kurzgeschichte „Some Words with a Mummy“ (1845). Als ebenso innovativ wie folgenreich erwies sich eine weitere Kurzgeschichte: Louisa May Alcotts „Lost in a Pyramid: The Mummy’s Curse“ (1869). Prägend war diese Erzählung, weil sie entscheidende Motive zusammenbrachte:
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(1) die Pyramide und die Mumie, (2) den Frevel an der Mumie beziehungsweise deren Zerstörung und (3) einen daran geknüpften Fluch. In der Folge nahmen zahlreiche Autoren diese Motive auf, bearbeiteten und erweiterten sie. Erwähnenswert ist Arthur Conan Doyles „Lot No. 249“ (1892). Doyle bringt in das sich immer mehr etablierende Genre der Mumiengeschichte das Motiv der wiederbelebten Mumie ein, die unter der Kontrolle eines Menschen der Neuzeit steht und dessen Rachegelüste ausführt. Am Ende der Erzählung wird sie jedoch zerstört. Erneut erweitert wird das Repertoire der Mumien-Erzählung in Bram Stokers „The Jewel of Seven Stars“ (1903) durch die Vereinnahmung einer Frau durch die Seele einer Mumie. Die Entwicklung der Mumie in der Literatur ist wichtig, weil sie den Mumienfilm des 20. Jahrhunderts wie überhaupt die gesamte Populärkultur maßgeblich beeinflusste – bis hin zum historisch unzutreffenden Klischee von der Mumie in der Pyramide.
Entdeckungen und Postkarten Bedeutende Entdeckungen beeinflussten die Wahrnehmung im Westen, umso mehr als Medienberichte, wissenschaftliche Publikationen, Fotografien und nicht zuletzt Postkarten in immer größerem und günstigerem Umfang zur Verfügung standen. 1881 wurde die mit DB 320 bezeichnete Cachette von Deir el-Bahari ausgehoben und damit wurden viele Königsmumien vor allem des Neuen Reiches wiederentdeckt. Einige der als bedeutend betrachteten Herrscher des Alten Ägypten wurden erst 1886 enthüllt, darunter in Anwesenheit des Khediven die Mumie von Ramses II. (Abbildung 2). Ein solches Vorgehen hatte, zumal in der raschen Durchführung, kaum etwas Wissenschaftliches. Das Auswickeln Ramses II., eines der bedeutendsten altägyptischen Herrscher, erinnert auch in der journalistischen Darstellung beispielsweise in „Le monde illustré“ vielmehr an eine englische „Mumien-Party“.
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2 Über das Auswickeln der Mumie Ramses’ II. berichtete 1886 unter anderem „Le Monde illustré“. (Quelle: Privatsammlung)
Um 1900 zirkulierten Abbildungen der prominentesten Mumien und deren Antlitze, insbesondere von Sethos I. und seinem Sohn Ramses II. Fotos der ausgewickelten Mumien wurden als Souvenirs verkauft, Postkarten in Umlauf gebracht und von Ägypten-Touristen verschickt. Dabei fällt auf: Neben manchen Fotos, die noch Wand und Boden und damit die tatsächliche Aufnahmesituation zeigen, existieren bearbeitete Reproduktionen, welche die Mumien freigestellt und damit befreit vom (entzaubernden) Hier und Jetzt präsentieren (Abbildungen 3 und 4). Niemand scheint sich daran gestört zu haben, dass die Postkarten unreflektiert und ohne größeren Kontext menschliche Überreste zeigten.
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3 Eine um 1900 im Umlauf befindliche Postkarte zeigt die vor einer Wand fotografierte Mumie Sethos’ I. (Quelle: Privatsammlung)
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4 Eine ebenfalls um 1900 veröffentlichte Postkarte bildet ein nach bearbeitetes Foto der Mumie Ramses’ II. ab, welches die tatsächliche Aufnahmesituation verschleiert. (Quelle: Privatsammlung)
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Offensichtlich nahm der Sender ebenso wenig an, dass der Anblick einer Mumie den Empfänger verstören könnte. Der Anblick von realen Toten wie auch von Abbildungen derselben war aber im späten 19. und noch im frühen 20. Jahrhundert nicht ungewöhnlich. Menschen starben nicht nur zu Hause, sondern wurden dort sichtbar aufgebahrt. Zudem wurden jüngst Verstorbene zum Teil mit ihren unmittelbaren Angehörigen, vor allem dem Ehepartner, aber auch den noch jungen Kindern oder Geschwistern, fotografiert, um sie zumindest auf diese Weise in Erinnerung zu behalten. Bei der „Post mortem“-Fotografie ging es tatsächlich um das sicht- und greifbare Erinnerungsstück.8
Tutmanie und Mumienfilm Hätte die Ägyptomanie durch das Erleben des Ersten Weltkriegs, die Freiheitsbestrebungen im Orient und das Aufkommen neuer Kunststile theoretisch ein Ende finden können, kam es jedoch in den 1920erJahren zu einer neuerlichen Begeisterung für Altägypten. Dies lag an der Entdeckung des Grabes von Tutanchamun im November 1922. Die sich über Jahre hinziehende Bergung der Grabbeigaben, die nicht nur als archäologischer, sondern mehr noch aufgrund ihres Goldanteils als Schatz im materiellen Sinn vermittelt wurden, sorgte für ein enormes Interesse der Presse und damit der Öffentlichkeit: Es kam zu einer regelrechten Tutmanie. Dieser Grabschatz beeinflusste unter anderem Mode und Design.9 Zudem harrte man nun tatsächlich des Auffindens der Mumie Tutanchamuns und wurde mit der Entdeckung der sogleich Berühmtheit erlangenden Goldmaske nicht enttäuscht. Parallel dazu wurde ausgehend vom überraschenden Tod des Finanziers Lord Carnavon (eigentlich George Herbert, 5. Earl of Carnarvon) die Erzählung vom Fluch des Pharaos neuerlich belebt. Als sich die Universal Studios mit der Entwicklung des Tonfilms einen Markt mit Horrorfilmen erschließen wollten, fand nach Dracula und Frankensteins Monster die Mumie ihre letztlich ikonische Darstellungs-
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form. Geschickt baute „The Mummy“ von 1932 neben dem essenziellen Fluch Details ein, die klar bei der allen noch präsenten TutanchamunEntdeckung abgeschaut worden waren. Dies reicht von der Auffindung eines hier zwar nicht allzu üppig ausgestatteten, aber dennoch ungeplünderten Grabes mit Mumie im Jahr 1921 bis hin zur Figur der Ankh-su-namun, deren Name von Tutanchamuns Gemahlin entlehnt worden war. Bei der Grabausstattung findet sich darüber hinaus eine „Alabaster“Vase – einem Stück aus dem Tutanchamun-Grab nachempfunden. Universal griff die Horrorserie der frühen 1930er-Jahre generell sowie speziell „The Mummy“ immer wieder auf, etwa 1999 im erfolgreichen gleichnamigen Spielfilm. Dies führte zu zwei Sequels, „The Mummy Returns“ (2001) und „The Mummy: Tomb of the Dragon Emperor“ (2008) sowie Spin-offs rund um die Figur des „Scorpion King“ (ab 2003). Zur 1999er-Version und dem Sequel von 2001 gab es eine breite Palette unterschiedlichster Produkte und Fan-Artikel. Das reichte vom Roman zum Film über das Computerspiel bis hin zu Action-Figuren oder ganzen Action-Sets – alles Dinge, die ihren Weg in die Wohn- und Kinderzimmer der Filmfans finden sollten.
Sehnsucht nach Unsterblichkeit? Die filmisch wiederbelebte Mumie in „The Mummy“ von 1999 mag in ihrer Darstellung als verwesender Körper eindeutig gruselig dargestellt sein, aber ihre bereits in der Version von 1932 vorgegebene, dort aber nicht dargestellte Verwandlung zum ansehnlichen Mann ist bemerkenswert und dank seinerzeit neuester Computer-Technologie äußerst überzeugend. Allein das mag ein bedeutsames Horrorelement sein, schwankt die Figur des Imhotep doch zwischen Tod, Un-Tod und ewigem Leben. Sie erinnert insofern an die Angst vor Wiedergängern und Zombies und gleichzeitig an die Begeisterung für Vampire. Nur wenige Jahre später, 2005, wurde der erste Band der „Twilight“-Buchserie von Stephenie Meyer veröffentlicht, dessen Verfilmung 2008 in die Kinos
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kam. Gerade an die Untoten knüpften und knüpfen sich noch immer die Sehnsüchte des Publikums. „Twilight“ brachte es mit der Figur der Bella auf den Punkt: Sie will zum Vampir werden und wird es auch. In der Buch- und Film-Reihe drückt sich das menschliche Begehren nach Unsterblichkeit und ewiger Jugend aus.10 Wenn aber auch die Mumie wieder zum lebendigen und schönen Menschen werden kann, sind Figuren wie Vampir und Mumie dann nicht auch Hoffnungsträger? Dass es nicht ganz so banal ist, macht der Mumienfilm deutlich. In der Regel belebt sich die Mumie zwar, allerdings gilt dieses Leben vor allem in den Blockbustern und ihren Nachfolgern als verflucht und widernatürlich. Zudem wird ein Frevel in der Vergangenheit angeführt. Deshalb ist entscheidend, dass die Mumie am Ende des Films wieder zu Tode gebracht wird. Insbesondere dem jugendlichen Zuschauer werden hier die gesellschaftlichen Normen des Entstehungslandes beziehungsweise des kulturellen Umfelds indirekt vermittelt. So feiert beispielsweise noch die dreiteilige US-amerikanische Reihe „The Mummy“ (1999), „The Mummy Returns“ (2001) und „The Mummy: Tomb of the Dragon Emperor“ (2008) die Ehe.
Ein aktuelles Unbehagen In der fiktionalen Mumie kommen Schaulust und wohliges Schaudern zusammen. Das Gruseln ergibt sich aus der Begegnung mit dem Toten und dessen Betrachtung. Um dieses Anschauen geht es auch bei den echten Mumien. Die Motivation mag unterschiedlich sein und vom Grusel über Neugier bis zu echtem Wissensdurst reichen: In Ausstellungen und Grüften sind Mumien jedenfalls Publikumsmagnete. Gleichzeitig wird bei den Verantwortlichen seit vielen Jahren diskutiert, ob oder welche Human Remains überhaupt noch ausgestellt werden dürfen. Problematisch ist, dass Mumien oft nicht mehr als (einstige) Individuen wahrgenommen werden. Neue Präsentationen wie zum Beispiel die Ausstellung „Mumien der Welt“ 2016 im Roemer-
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und Pelizaeus-Museum Hildesheim legen daher Wert darauf, mit den menschlichen Überresten Biographien zu verknüpfen oder zumindest das Einzelschicksal herauszuarbeiten. Der Mensch hinter der Mumie wird auf diese Weise wieder sichtbar.11 Heutzutage bleibt dennoch ein Unbehagen. „Dürfen wir Mumien ins Gesicht schauen?“ fragen viele, Fachleute ebenso wie mittlerweile auch Besucher. Übersehen wird dabei ein viel größeres Unbehagen, nämlich das gegenüber den Versterbenden und den Verstorbenen der Gegenwart. Sterben und Tod sind heute meist anonymisiert und finden fern von zu Hause in Krankenhäusern und Altenheimen statt. Offene Särge sind zur Seltenheit geworden. Gleichzeitig gibt es Ausnahmen, die gerade das „Nicht-Gesehene“ aufdecken und zeigen wollen, wie das Foto-Projekt „Post Mortem“ (2008–2009) von Patrik Budenz.12 Doch Projekte wie diese, die Sterben und Tod enttabuisieren wollen, schaffen neue Beklemmungen, wenn trotz zahlloser Details und Nahansichten erneut – durchaus aus Respekt gegenüber den Verstorbenen – nicht alles gezeigt wird und man den Toten eben nicht „ins Gesicht schauen“ darf. Das Wegschauen, Ausblenden und Abdecken kann das Unbehagen fördern, weil es das „Tabu“ unausgesprochen thematisiert und verstärkt. Was aber sagt uns in einem solchen Spannungsfeld die SpielzeugMumie? In der Regel bildet sie ein lebendiges Wesen ab, sei es nun Quietsche-Entchen oder bandagierter Schlumpf. Gruselig ist dieser Un-Tod nicht. Ja, eigentlich ist hier der Tod gar nicht präsent und damit vollends negiert. Aber Verdrängungen drängen sich auf. Allein mit ihrer Anwesenheit legt gerade die verniedlichte Mumie den Finger in die Wunde, sei es per se als Mumie oder Verniedlichung eines Toten. Ihren Ursprung mag die Mumie im Wohnzimmer in früheren Ägyptomanien haben, doch sagt sie sehr viel mehr über unsere gegenwärtigen Verhältnisse sowie unsere Ängste und Sehnsüchte aus als über das alte Ägypten. Christine Fößmeier, M.A. Freiberufliche Journalistin, Kunsthistorikerin und Künstlerin
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„The Mummy“ ist der Titel verschiedener Spielfilme. Am populärsten sind die Versionen mit Boris Karloff von 1932, mit Christopher Lee von 1959, mit Arnold Vosloo von 1999 sowie mit Tom Cruise und Sofia Boutella von 2017. Im Folgenden geht es um die Faszination Mumie vor allem ab dem frühen 19. Jahrhundert bis heute. Die sogenannte Mumienmanie ist ein Teilbereich der Ägyptomanie, einer generellen Begeisterung für das Alte Ägypten. Einen grundlegenden Überblick zu letzterem Phänomen bieten unter anderem folgende Werke: Ägyptomanie. Ägypten in der europäischen Kunst 1730–1930, Ausst.Kat. Kunsthistorisches Museum, Wien 1994; Brier, Bob: Egyptomania. Our Three Thousand Year Obsession with the Land of the Pharaohs, New York 2013. Maßgebliche Aussagen zur Mumienmanie finden sich etwa bei: Brier, Bob: The Encyclopedia of Mummies, New York 1998; Cowie, Susan D. / Johnson, Tom: The Mummy in Fact, Fiction and Film, London 2002; Day, Jasmine: The Mummy’s Curse. Mummymania in the English-speaking world, London / New York 2006; Halliwell, Leslie: The Dead that Walk. Dracula, Frankenstein, the Mummy, and Other Favorite Movie Monsters, New York 1988; Luckhurst, Roger: The Mummy’s Curse. The True History of a Dark Fantasy, Oxford 2012; Wenzel, Diana: Tot oder lebendig? Menschlich oder unmenschlich? – Mumien im Film, in: Mumien. Der Traum vom ewigen Leben (Begleitband zur Sonderausstellung „Mumien – Der Traum vom ewigen Leben“ in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, vom 30. September bis 24. März 2008), hrsg. von Alfried Wieczorek, Michael Tellenbach und Wilfried Rosendahl, Mainz 2007, S. 261–268. Herodot: Geschichten und Geschichte, 2 Bände, übersetzt von Walter Marg, Zürich / München 1990. Zur Mumifizierung siehe Band 2, S. 86 ff. Vgl. Germer, Renate: Mumien. Zeugen des Pharaonenreichs, Zürich / München 1981, S. 15 ff. Vgl. Zesch, Stephanie / Gander, Manuela / Loth, Marc et al.: Decorated bodies for eternal life. A multidisciplinary study of late Roman Period stucco-shrouded portrait mummies from Saqqara (Egypt), in: PLOS ONE 11/2020, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0240900, Stand: 6.6.2022. Sichtbar wird dies vor allem in der Darstellung der Kleopatra. Vgl. Fößmeier, Christine: Die Fatalität des Idols. Kleopatra im Fin de siècle, in: Weltkunst 7/1999, S. 1298 f. Ebd. Vgl. Beyond the Dark Veil. Post-mortem & Mourning Photography from the Thanatos Archive, Fullerton / San Francisco 2015. Vgl. das Kapitel „Tutanchamun und Art Deco“, in: Ägyptomanie, Ausst.Kat., S. 351 ff. Vgl. McMahon, Jennifer L.: Twilight of an Idol: Our Fatal Attraction to Vampires, in: Twilight and Philosophy. Vampires, Vegetarians, and the Pursuit of Immortality, ed by Rebecca Housel and J. Jeremy Wisnewski, Hoboken 2009, S. 193 ff. Schulz, Regine: Vorwort, in: Mumien der Welt. Begleitbuch zur Ausstellung im Roemer- und PelizaeusMuseum Hildesheim, 13. Februar – 28. August 2016, hrsg. von Regine Schulz, Christian Bayer und Oliver Gauert, Hildesheim 2016, S. 7. Vgl. Budenz, Patrik: Post Mortem, Berlin 2013. Vom 5. bis 28. Juni 2015 wurden Fotos dieses Projekts im Museum für Sepulkralkultur in Kassel im Rahmen der Ausstellung „Post Mortem & Hinter den Kulissen der Rechtsmedizin“ gezeigt.
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DIE ORIENTALISCHE SAMMLUNG VON HERZOG MAXIMILIAN IN BAYERN Objektbestand, Provenienz, Präsentation Die von Herzog Maximilian in Bayern (1808–1888) während seiner Orientreise des Jahres 1838 zusammengetragene Orientalische Sammlung, die zeittypisch auch Human Remains enthält, steht in einer langen Sammlungstradition bayerischer Herzöge. Sie stellt jedoch hinsichtlich ihres rekonstruierbaren originalen Objektbestan des sowie der hinter der Sammeltätigkeit stehenden Motivation einen Sonderfall dar.
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Im Morgenland: ägyptische Impressionen Nicht ganz einen Monat nach der Geburt seiner Tochter Sisi (1837– 1898), der späteren Kaiserin Elisabeth von Österreich, am 24. Dezember 1837, brach Herzog Maximilian in Bayern unter dem Motto „Hinaus aus dem bequemen Alltag!“ zu seiner Reise in den Orient auf, von der er erst, nach fast acht Monaten, am 17. September 1838 zurückkehrte.1 Die Reisebegleitung setzte sich aus in Diensten des Herzogs stehenden sowie aus mit ihm befreundeten Personen zusammen: die reise- und welterfahrenen Brüder Friedrich Carl (1801–1866) und Carl Theodor von Buseck (1803–1860), beide Ritter des Malteserordens, der Hauptmann des königlich-bayerischen Leibregiments Theodor Hügler (1784– 1844), der königlich-bayerische Kämmerer, Hofmarschall, Adjutante und „Hofkavalier“ Sebastian Ludwig von Heusler (1805–1868), der herzogliche „Kabinetsmaler“ Heinrich (von) Mayr (1806–1871), Herzog Max’ auf der Reise verstorbener Leibarzt Ernst Bayr (1808–1838) sowie der Herzog Max im Zitherspiel unterrichtende „Kammervirtuose“ Johann Petzmayer (1803–1884). Ziel der Reise war das Heilige Land, und die Reiseroute dorthin verlief, entsprechend dem Verlauf klassischer Pilgerfahrten, durch Ägypten. Auf Heinrich (von) Mayrs in der Tradition der romantisch-idealisierenden Orientmalerei stehendem Bild „Herzog Max nebst Gefolge in Theben“ (Abbildung 1) ist die Reisegesellschaft zu sehen, mit dem standesbewußten, in herrscherlich anmutender Pose auf einem Schimmel mit prächtigem Zaumzeug reitenden Herzog im Mittelpunkt, in Begleitung weiterer Männer, darunter ein am Boden sitzender, mit Säbel und Dolchen bewaffneter Ägypter in festlicher Landestracht. Sie sind abgebildet vor dem Amun-Tempel von Karnak, mit dem im Hintergrund aufragenden Pylon und dem Tor des Ptolemaios III. Euergetes I. (3. Jh. v. Chr.); rechts ragen einige Widder-Sphingen aus dem Sand heraus. Bei dem links im Bild mit leicht überschlagenen Beinen auf einem ruhenden Kamel sitzenden, selbstbewusst in Richtung des Betrachters blickenden Mann mit Notizbuch und Stift in den Händen dürfte es sich um
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1 Heinrich (von) Mayr: „Herzog Max nebst Gefolge in Theben“ (Quelle: Stadtmuseum München)
Heinrich (von) Mayr, also um ein Selbstporträt, handeln, bei der rechts daneben in dessen Richtung blickenden Person mit großem Skizzenblock und Zeichenstift in den Händen um den Maler und Lithographen Carl Theodor von Buseck. Rechts im Bild hat ein Ägypter in Landestracht seinen linken Fuß auf einen quaderförmigen Steinblock gesetzt und ist im Begriff, zum Herzog hinaufzusteigen; er hält vor sich ein Tablett mit kleinformatigen Antiken und blickt mit seitwärts gewandtem Kopf auf einen Mann, der in seinen Händen jeweils ein antikes Objekt hält. Zwischen diesen beiden ist ein junger Mann zu sehen, der mit seiner rechten Hand eine Münze emporhebt und in seiner linken Hand, mit seitwärts ausgestrecktem Arm, einen Mumienkopf umfasst. Im Vordergrund des Bildes liegen verstreut Steine sowie teils mit Hieroglyphen beschriftete Architekturteile. Während die europäischen Reisenden als Individuen erscheinen, sind dagegen die Ägypter lediglich der Betonung des Lokalkolorits dienende klischeehaft-stereotype Staffagefiguren aus dem
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Standardrepertoire der damals in Mode gewesenen Orientmalerei (so sind der vorne am Boden sitzende Ägypter und der ägyptische Antikenverkäufer physiognomisch nicht voneinander zu unterscheiden).
Objektbestand der Orientalischen Sammlung Die überwiegende Mehrzahl des Sammlungsbestandes der Orientalischen Sammlung stellen Steinobjekte dar. Die beiden nächst größeren Gruppen sind Tierpräparate und ethnologische Gegenstände, gefolgt von Devotionalien, botanischen Objekten sowie, als kleinste Gruppe, zoologischen Objekten. Dabei zeichnen zwei Schwerpunkte die von Herzog Max auf seiner Orientreise des Jahres 1838 zusammengetragene Orientalische Sammlung aus: Steinartefakte und Gesteine sowie Tierpräparate. Das Interesse von Herzog Max an der ersten Gruppe dürfte in unmittelbarer Beziehung stehen zu der von Augustin Geyer (1774–1837) und Carl Theodori (1788–1857) sehr wahrscheinlich ab 1829 auf Schloss Banz begründeten Petrefaktensammlung; die für die antiken Steinartefakte sicherlich vor Ort notierten, teilweise sehr exakten Provenienzangaben2 könnten auf eine wissenschaftlich orientierte, im Kontext der Petrefaktensammlung stehende Sammeltätigkeit hinweisen.3 Dagegen lässt sich die Sammlung von erlegten Tieren wohl auf die Jagdleidenschaft von Herzog Max zurückführen. Die aus dem Heiligen Land mitgebrachten Devotionalien sind für ihn sicherlich von persön licher Bedeutung gewesen, denn der Besuch der Heiligen Stätten stellte ja den eigentlichen Grund der Reise dar. Alle anderen Objekte sind lediglich mehr oder minder zufällig zusammengetragene Souvenirs, jedenfalls lässt sich keinerlei Konzept oder Systematik hinter deren Mitnahme aus Ägypten und Nubien erkennen. Auch der zur herzoglichen Reisegesellschaft gehörende Johann Petzmayer hat Uschebtis mitgebracht.4 Für ranghohe Gäste, und so auch für Herzog Max und dessen Reisebegleiter, wurden zu jener Zeit exklusive Schaugrabungen organi-
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siert, wobei die dabei angeblich gemachten Funde den Gästen großzügig als Geschenk überlassen wurden.5 Das Interesse an altägyptischen Mumien war damals, insbesondere in Adelskreisen, weit verbreitet, und Herzog Max stellt hier keine Ausnahme dar; nur auf das en vogue gewesene Auswickeln der Mumie, das gerne als gesellschaftliches Ereignis zelebriert wurde,6 hat Herzog Max verzichtet. Für ihn jedenfalls hatte die Orientalische Sammlung in erster Linie Erinnerungswert.7 In der oben beschriebenen von Heinrich (von) Mayr malerisch gestalteten Szenerie sind bis auf die erjagten Tiere fast sämtliche Objektgruppen versammelt, die Herzog Max von seiner Orientreise mit nach Hause brachte, wobei, bis auf die aus nubischen Tempelanlagen abtransportierten Reliefblöcke (siehe unten), mangels entsprechender Quellen (auch das Reisetagebuch von Herzog Max enthält dazu keinerlei Informationen) unbekannt ist, auf welche Weise (Kauf, Tausch, Geschenk, Zufallsfund) Herzog Max in ihren Besitz kam: antike Artefakte, menschliche Überreste (Mumie und Mumienköpfe), Gesteinsproben und ethnologische Objekte aus dem 19. Jahrhundert. Davon sind in der Orientalischen Sammlung noch vorhanden:8 – Teile von Architekturmonumenten aus Ägypten und Nubien: • 46 undekorierte, dekorierte und / oder Inschriften (in hieroglyphischer oder griechischer Schreibung) tragende Steinartefakte [Kat. 1–26]. – Gesteinsmaterial aus Ägypten und Nubien: • eine größere Anzahl kleinerer Brocken unterschiedlicher Gesteine [Kat. 77]; • sieben Kieselknollen [Kat. 76]. – Kleinformatige Aegyptiaca aus Ägypten: • 20 Uschebtis (Totenfiguren) [Kat. 28–31];9 • zwei aus Röhrenperlen bestehende Ketten mit Amulett-Anhängern (affenköpfiger Horussohn Hapi und geflügelte Sonnenscheibe) [Kat. 32–34];
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• ein Uschebti-Sarkophag aus der 19./20. Dynastie (13./12. Jh. v. Chr.) [Kat. 27]; • ein magischer (?) Papyrus mit demotischer Inschrift [Kat. 36];10 • ferner ein gefälschter Skarabäus [Kat. 35]. – Mumifizierte menschliche Überreste aus Ägypten: • zwei Schädel von Mumien [Kat. 112–113]; • eine Mumie mit beiliegendem Haargeflecht [Kat. 110–111]. – Nicht mumifizierte menschliche Überreste aus Ägypten: • ein Schädel (aus dem 19. Jahrhundert) [Kat. 114]. – Mumifizierte tierische Überreste aus Ägypten: • vier Vogelmumien [Kat. 115, 117–118];11 • eine Katzenmumie [Kat. 116]. – Ethnologische Objekte aus dem 19. Jahrhundert aus Ägypten, Nubien und Palästina: • Kleidungsstücke, Reitzubehör, Waffen und Schmuck: fünf Schals [Kat. 98–102]; drei Paar Lederschuhe [Kat. 105]; zwei Baumwolltücher mit Stickerei [Kat. 96–97]; ein Hirtenmantel [Kat. 103]; ein Fez mit zwei Leinenunterkappen [Kat. 104]; eine Samtjacke [Kat. 104]; ein Reitsattel [Kat. 83]; ein Zaumzeug mit Zubehör [Kat. 84]; zwei Jagdspeere [Kat. 108]; ein Säbel aus Damaszenerstahl mit Scheide [Kat. 106]; ein Schwert aus Damaszenerstahl mit Scheide [Kat. 107]; ein Dolch mit Scheide [Kat. 107]; ein Buckelschild aus Krokodilleder [Kat. 109]; ein Silbergehänge [Kat. 86]12.
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• Gebrauchsgegenstände:13 zwei Körbe mit Deckeln aus Palmblättern [Kat. 90–91]; zwei Schalen aus Palmblättern [Kat. 92–93]; zwei Fliegenwedel aus Palmblättern [Kat. 94]; ein Fliegenwedel aus Schilf [Kat. 95]; eine beschriftete Scheibe mit Seidenstickerei [Kat. 85]. – Ferner gehören zum Bestand der Orientalischen Sammlung:14 • Devotionalien aus Palästina: sieben Rosenkränze [Kat. 87–88]; sieben kleinere Objekte [Kat. 87–88]; fünf Kreuze [Kat. 87–88]; zwei Perlmuttschnitzereien [Kat. 87–88]; ein Olivenzweig [Kat. 41]; eine „Rose von Jericho“ [Kat. 88]. – Dazu kommen Tierpräparate sowie zoologische und botanische Objekte aus Ägypten, Nubien und Palästina: • Tierpräparate und andere zoologische Objekte: 27 Vögel [Kat. 44–51, 53–69];15 drei Nilkrokodile [Kat. 70–72]; zwei Nilwarane [Kat. 73–74]; zwei Schildkrötenpanzer [Kat. 75]; zwei unterschiedlich gefasste Straußeneier [Kat. 39–40]. • Botanische Objekte: sieben Palmfrüchte [Kat. 80]; drei Stücke verkieseltes Holz [Kat. 78]; ein Päckchen mit Pinienkernen [Kat. 82]; ein Zedernzapfen [Kat. 79]; eine zerlegte Kokosnuss [Kat. 81]. Der Sammlungsbestand hat sich im Laufe der Zeit erheblich reduziert, wie dies die zahlreichen Beschriftungszettel belegen, zu denen keine
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zugehörigen Objekte mehr vorhanden sind (siehe oben); ferner fehlen zwölf Uschebtis, die nach den Beschriftungszetteln ursprünglich zum Sammlungsbestand gehörten [Kat. 30–31]. Die Auswertung des von Hanns Stock (1908–1966), zu jener Zeit ordentlicher Professor für Ägyptologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, auf Bitte des für die „Herzogliche Hauptverwaltung Tegernsee“ zuständigen Guidotto von Donnersmarck (1888–1959) angefertigten Gutachtens „Zur orientalischen Sammlung“ vom 25. Juli 1955 zeigt,16 dass sich vor allem die von Hanns Stock als „von (verschieden grosser) Wichtigkeit“ bezeihungweise „wissenschaftlich wertvoll“ eingestuften altägyptischen Objekte nicht mehr nachweisen lassen; so fehlen heute: • „Zwei kleine Tafeln mit Inschriften“; • eine Uschebti-„Gruppendarstellung“ (von Hanns Stock als Fälschung eingestuft); • eine „Priesterstatue aus dunklem Stein, mit schurzartigem Gewand“; • „4 Steine mit Inschriften: darunter ein Grabstein aus der 18. Dynastie […] und ein Bildhauerlehrstück (Statue in Arbeit)“; • ein „Holzrelief mit Mumiendarstellung“; • eine „grosse Tafel mit Inschrift: offenbar Grabstein aus Dendera in Oberägypten, Inschrift und Opferliste vollständig“. Im Gegensatz zu den fürstlichen Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance und des Barocks, wofür in Bayern exemplarisch die primär Repräsentationszwecken dienende Kunstkammer von Herzog Albrecht V. von Bayern (1528–1579) steht, liegt der Orientalischen Sammlung von Herzog Max kein einheitliches, erstmals vom Belgier Samuel Quiccheberg (1529–1567) in seinem Traktat „Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi“ (1565) theoretisch begründetes museologisches Gesamtkonzept zugrunde.17 Es lässt sich auch keine damit vergleichbare Intention erkennen; die Orientalische Sammlung stellt, im Vergleich mit den Kunst- und Wunderkammern, ein Raritätenkabinett dar.
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Provenienz der Objekte Da sich für die überwiegende Anzahl der in der Orientalischen Sammlung nachweisbaren archäologischen Objekte aus Stein die originalen, von ein- und derselben Hand – vermutungsweise Heinrich (von) Mayrs18 – geschriebenen Beschriftungszettel mit teilweise detaillierten Herkunftsangaben erhalten haben, lässt sich deren Provenienz bestimmen beziehungsweise rekonstruieren; dies gilt jedoch, mit Ausnahme der Frauenmumie, nicht für die Human Remains (Abbildungen 2–4):
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3 4 2–4 Originale Beschriftungszettel zur Frauenmumie (Kat. 110), zum Schädel von der Mumie eines Kindes (Kat. 113) und zum Schädel eines Mannes (Kat. 114) (Quelle: Museum Kloster Banz, Bad Staffelstein)
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Mit Ägypten als Herkunftsland (stets in topographisch-alphabetischer, nicht der Reiseroute entsprechender Reihenfolge): • Alexandria: Steinfragment von der Pompejus-Säule zu Ehren Kaiser Diokletians (3. Jh. n. Chr.) [Kat. 13]; Steinfragment von einem der als „Nadeln der Kleopatra“ bezeichneten Obelisken Thutmosis’ III. (15. Jh. v. Chr. [Kat. 14]; • Armant: Relieffragment vom Geburtshaus („Mammisi“) der Kleopatra VII. (1. Jh. v. Chr.) [Kat. 9]; • Karnak (Amun-Tempel): Steinfragment von einem Obelisken [Kat. 10]; Steinfragment vom 1. Pylon aus der 25. Dynastie (8./7. Jh. v. Chr.) [Kat. 17]; Steinfragment [Kat. 18]; • Kôm Ombo: Steinfragment vom Sobek- und Haroeris-Tempel aus der Ptolemäerzeit (4./1. Jt. v. Chr.) [Kat. 20]; • Luxor (Amun-Tempel): Steinfragment vom Obelisken Ramses’ II. (14./13. Jh. v. Chr.) [Kat. 12]; • Theben-West:19 eine Mumie [Kat. 110]; zwei Mumienschädel [Kat. 112–113]; 20 Uschebtis [Kat. 28–31]; ein Uschebti-Sarkophag, sehr wahrscheinlich aus Deir el-Medineh, aus der 19./20. Dynastie (13./12. Jh. v. Chr.) [Kat. 27]. Mit Nubien als Herkunftsland: • Abû Simbel: Steinfragmente vom Großen Tempel Ramses’ II. (14./13. Jh. v. Chr.) [Kat. 21, 23]; Reliefblock vom Kleinen Tempel Ramses’ II. (14./13. Jh. v. Chr.) [Kat. 5]; • ed-Dakka: Relieffragment vom Thot-Tempel aus der Zeit des Augustus / Tiberius (1. Jh.v. Chr. / 1. Jh. n. Chr.) [Kat. 16]; • Debôd: Relieffragment vom Tempel aus der Ptolemäerzeit (4./1. Jh. v. Chr.) [Kat. 6]; • Kalâbscha: Relieffragmente vom Mandulis- und Isis-Tempel aus der Zeit des Augustus (1. Jh. v. Chr.) [Kat. 7–8];
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• Maharraka: Steinfragment vom Isis- und Osiris- / Serapis-Tempel aus der Ptolemäerzeit (4./1. Jh. v. Chr.) [Kat. 19]; Grabstein mit griechischer Inschrift (Mitte 4. – evtl. 7. Jh. n. Chr.) [Kat. 4]; • es-Sebûa: Steinfragment vom Tempel Ramses’ II. (14./13. Jh. v. Chr.) [Kat. 11]; • Unbekannter Ort: Uschebti [Kat. 22]. Die Provenienz zumindest einiger Objekte ohne Beschriftungszettel lässt sich aufgrund materialspezifischer, inschriftlicher und ikonographischer Kriterien nachweisen beziehungsweise rekonstruieren: Mit Ägypten als Herkunftsland: • Philae: Fragment eines Kompositkapitells vom Isis-Tempel aus der Ptolemäerzeit (4./1. Jh. v. Chr.) [Kat. 3]; • Unbekannter Ort: Architekturfragmente [Kat. 25–26]. Mit Nubien als Herkunftsland: • Dendûr: Reliefblock vom Tempel aus der Zeit des Augustus (1. Jh. v. Chr.) [Kat. 1]; • Unbekannter Ort: Relieffragment [Kat. 24]. Für eine Reihe von in der Orientalischen Sammlung ursprünglich vorhandenen Objekten aus Stein und für die Gesteinsproben hat sich nur der originale Beschriftungszettel mit der Provenienzangabe erhalten: Mit Ägypten als Herkunftsland: • Edfu: drei Steinfragmente vom Geburtshaus („Mammisi“) des Horus-Tempels aus der Ptolemäerzeit (4./1. Jh. v. Chr.) [OS 52]; • Kairo: Steinfragment aus der Mohammed-Ali-Moschee (19. Jh.) [OS 64]; • Karnak (Amun-Tempel): Steinfragment von der Sphinx-Allee Ramses’ II. (14./13. Jh. v. Chr.) [OS 54]; Steinfragment vom Obelisken Thutmosis’ I. (16./15. Jh. v. Chr.) [OS 63];
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• Kôm Ombo: Steinfragment vom Horus- und Sobek-Tempel aus der Ptolemäerzeit (4./1. Jh. v. Chr.) [OS 30]; • Luxor (Amun-Tempel): Steinfragment von einer Kolossalstatue Ramses’ II. (14./13. Jh. v. Chr.) [OS 66]; • Theben-West: Steinfragment aus dem Totentempel Ramses’ II. („Ramesseum“) (14./13. Jh. v. Chr.) [OS 36]; Steinfragment aus dem „Tal der Könige“ [OS 37]. Mit Nubien als Herkunftsland: • Abû Simbel: Steinfragment vom Großen Tempel Ramses’ II. (14./13. Jh. v. Chr.) [OS 49]; Steinfragment vom Kleinen Tempel Ramses’ II. (14./13. Jh. v. Chr.) [OS 46]; • Assuan: Steinfragment [OS 51]; • ed-Derr: Steinfragment vom Tempel Ramses’ II. (14./13. Jh. v. Chr.) [OS 29]; • Gerf Hussein: Steinfragment vom Tempel Ramses’ II. (14./13. Jh. v. Chr.) [OS 57]; • Zweiter Nilkatarakt: zwei Steinfragmente [OS 55–56]. Auch für sechs archäologische Objekte – zwei Uschebtis [OS 73–74], zwei kleinformatige Sitzfiguren [OS 72] und zwei Skarabäen [OS 80– 81] – haben sich nur die Beschriftungszettel erhalten; doch nur für die beiden kleinformatigen Sitzfiguren wird mit „aus den Gräbern der Könige“ das „Tal der Könige“ als Herkunftsort genannt. Bis auf ursprünglich 15 Uschebtis [Kat. 30], für die Oberägypten als Pro venienz angegeben ist, sowie für den nicht mumifizierten Schädel (siehe oben) fehlen für alle anderen archäologischen Objekte die Herkunftsangaben; die zu diesen Objekten vorhandenen Beschriftungszettel enthalten ausschließlich Objektbeschreibungen oder -bestimmungen, wie dies auch für die Tierpräparate (siehe oben) und für die botanischen Objekte (siehe oben) sowie für einen mumifizierten Schädel (siehe oben) und die mumifizierten Tiere (siehe oben) der Fall ist.
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In seinen im Jahr 1839 in Auszügen aus seinem Reisetagebuch veröffentlichten Erinnerungen „Wanderungen in den Orient“ (München) wird von Herzog Max seine Sammeltätigkeit mit keinem Wort erwähnt. Hinweise für den mit der Sammeltätigkeit von Herzog Max verbundenem Transfer von Kulturgütern enthalten lediglich zwei während der Reise von Heinrich (von) Mayr für seine später (1839/40) erschienene Prachtpublikation „Malerische Ansichten aus dem Orient“ angefertigte pittoreske Bilder: So ist auf dem Bild „Monument von Meroe (Nubien)“ der Abtransport des vom Tempel von Dendûr stammenden Steinblocks [Kat. 1] – das als „Banzer Stein“ bezeichnete größte und mit 165 kg schwerste Objekt der Orientalischen Sammlung – dargestellt (Abbildung 5).20 Außerdem wird auf dem Bild „Tempel von Girsche-Hussan (Nubien)“ die Bergung eines größeren Steinblocks wiedergegeben, bei dem es sich um den reliefierten Sandsteinblock ungenannter Provenienz [Kat. 2] handeln dürfte (Abbildung 6).21 Während nubische Arbeiter mit Transport und Bergung der schweren Steinblöcke beschäftigt sind, begleiten beziehungsweise überwachen einige Miglieder der illustren Reisegruppe die Tätigkeiten. Für die insgesamt vier Human Remains (siehe oben) haben sich nur drei originale Beschriftungszettel erhalten (Abbildung 2–4). Nur für die Frauenmumie findet sich eine spezifizierte Ortsangabe (Abbildung 2): „Eine weibliche Mumie / aus den Katakomben / des libÿschen Gebirges.“22 Zum Schädel von der Mumie eines Kindes wird lediglich vermerkt (Abbildung 3): „Kopf eines jungen / Aegyptiers.“23 Dagegen wird auf dem Beschriftungszettel zu dem aus dem 19. Jahrhundert stammenden Schädel eines Mannes eine ausführlichere Geschichte erzählt (Abbildung 4): „Schädel eines Derwischs, / welcher in der Wüste ermordet / wurde. Der Mörder, welcher / mehrere Tage mit der Karawane Sr. K: Hoheit geführt / wurde, wurde dort gleich / gefangen.“24 Diese erinnerungswerte, allerdings nicht näher lokalisierte Reisebegebenheit war sicherlich für die Mitnahme dieses rezenten, also nicht antiken Schädels ausschlaggebend. Und ein menschlicher Schädel ragt auch auf Heinrich (von) Mayrs Bild „Die Wüste“ aus dem Sand, während das zentrale Bildfeld Schakale zeigt, die dabei sind, ein tot im Wüstensand liegendes Dromedar zu zerfleischen.25
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5 Heinrich (von) Mayr, „Monument von Meroe (Nubien)“ (Quelle: Bayerische Staatsbibliothek München)
6 Heinrich (von) Mayr, „Tempel von Girsche-Hussan (Nubien)“ (Quelle: Bayerische Staatsbibliothek München)
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Präsentation der Objekte Zu Lebzeiten von Herzog Max war die Orientalische Sammlung wie auch die Petrefaktensammlung in dem den Herzögen in Bayern als Sommerresidenz dienenden Schloss Banz untergebracht, und zwar im obersten Stockwerk des Domestikenbaues in einem großen, noch heute mit der originalen orientalisierenden Deckenmalerei verzierten Zimmer;26 sie war zu jener Zeit allerdings nicht öffentlich zugänglich. 1856 wurde die Orientalische Sammlung zusammen mit der Petrefaktensammlung dann in das Parterre des Abteibaues verlagert, wo sie nun bis 1933 auch der Öffentlichkeit zugänglich war, doch lässt sich zumindest hinter der auf historischen Photographien dokumentierten Aufstellung der Objekte keinerlei systematische Ordnung erkennen (Abbildung 7–8):27 Mit Ausnahme der erst später in die Sammlung integrierten Gegenstände (siehe Anmerkungen 12–15) waren sämtliche kleinformatigen Objekte in vier eigens dafür angefertigten Vitrinenschränken untergebracht; die großformatigen Steinobjekte, so auch der „Banzer Stein“ vom Tempel von Dendûr, der Sattel, die drei Nilkrokodile und die beiden Nilwarane befanden sich im Raum verteilt auf einzelnen tischähnlichen Holzgestellen; die Kleidungsstücke, Waffen und andere Gebrauchsgegenstände hingen an den teilweise mit Heinrich (von) Mayrs Orientbildern dekorierten Wänden; dagegen lag die Mumie auf einem separaten Holzgestell unter einem Glassturz, wodurch sie eine herausgehobene Position innerhalb des Gesamtensembles innehatte (Abbildung 8). Als Kloster Banz 1933 an die „Gemeinschaft von den Heiligen Engeln“ überging, wurden die beiden Sammlungen in dafür ungeeignete Räume im Torbereich verbracht. Zu bisher unbekanntem Zeitpunkt, jedenfalls nach dem 25. Juli 1955, kam es nachweislich zu Verlusten am ursprünglichen Sammlungsbestand, darunter auch kunst und kulturgeschichtlich bedeutsame Objekte (siehe oben). Im Zuge der umfassenden Sanierung des Klosters durch die Hanns-Seidel-Stiftung wurden
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7–8 Orientalische Sammlung (Alte Präsentation) (Quelle: Museum Kloster Banz, Bad Staffelstein)
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9 Orientalische Sammlung (Neue Präsentation) (Quelle: Brigitte Diepold)
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die beiden Sammlungen dann 1988/89 im 1. Kellergeschoß des Sammlungsbaues der Öffentlichkeit sukzessive wieder zugänglich gemacht (Konzeption: Bernhard Kästle),28 allerdings wurden dabei nicht sämtliche noch vorhandenen Objekte der Orientalischen Sammlung berücksichtigt. Weitestgehend unberücksichtigt blieben damals auch die originalen Beschriftungszettel. Seit 2009 ist die Orientalische Sammlung in einer völlig neuen Präsentation (Konzeption: Isabel Grimm-Stadelmann und Alfred Grimm)29 unter Einbeziehung sämtlicher im Kloster Banz auffindbaren Exponate und deren Beschriftungszetteln sowie des anscheinend komplett erhaltenen originalen Mobiliars zu sehen. Da sowohl aufgrund fehlender zeitgenössischer Quellen (Sammlungsinventar, Sammlungsbeschreibungen etc.) wie auch durch die völlig andere Raumkonstellation eine Rekonstruktion des originalen Aufstellungszustandes nicht möglich war, wurden sämtliche Objekte, mit historischem Rückbezug auf die Tradition der fürstlichen Kunst- und Wunderkammern (siehe oben), unter Berücksichtigung ihrer gattungsspezifischen Kriterien („Artificalia“, „Naturalia“, „Exotica“, „Mirabilia“) angeordnet und, soweit möglich, thematisch zueinander in Beziehung gesetzt (Abbildung 9).30 Um die Orientalische Sammlung in ihrem noch vorhandenen Bestand als signifikantes, kulturhistorisch bedeutsames Zeugnis des Orientalismus jener Zeit zu dokumentieren, wurden auch die Human Remains unter Berücksichtigung der dafür geltenden ethischen Richtlinien integriert.31 Dr. Alfred Grimm Hauptkonservator, Stellvertretender Direktor des Staatlichen Museums Ägyptischer Kunst in München und Beauftragter für Provenienzforschung am Bayerischen Nationalmuseum in München i. R., Gründungs- und Ehrenvorsitzender des Forschungsverbundes Provenienzforschung Bayern, München
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Zur Orientreise von Herzog Max und zur Orientalischen Sammlung siehe ausführlich: Grimm-Stadelmann, Isabel / Grimm, Alfred: Eine Zitherpartie auf dem Nil. Die Orientreise von Herzog Maximilian in Bayern und seine Orientalische Sammlung, München 2009; Grimm, Alfred: West-östlicher Bildersaal. Auf Grand Tour mit Herzog Maximilian in Bayern. Malerische Ansichten aus Europa und dem Orient von Carl Theodor von Buseck. Ausstellungskatalog Museum Kloster Banz, München 2015; Grimm, Alfred: Vom Nil an den Main – aus Nubien nach Franken. Der „Banzer Stein“ vom Tempel von Dendûr. Ausstellungskatalog Museum Kloster Banz, Passau 2017. Beispielsweise zur Orientalischen Sammlung (OS) 63 siehe Grimm-Stadelmann / Grimm: Eine Zitherpartie auf dem Nil, S. 314: „Vom Obelisk von Karnakh nach dem großen Amunstempel“. Herzog Max war damit seiner Zeit weit voraus, denn erst im 20. Jahrhundert ist sukzessive mit der systematischen Sammlung und petrographischen Bestimmung von ägyptischem Gesteinsmaterial begonnen worden. Eine Analyse des Banzer Gesteinsmaterials steht nach wie vor aus. Grimm-Stadelmann / Grimm: Eine Zitherpartie auf dem Nil, S. 42–43 mit Abb. 41–43. Ebd., S. 42. Grimm, Alfred: Diesseits und Jenseits der Unsterblichkeit. Prolog zu einem abendländischen Mumiographicon, in: aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern 3/2000, S. 21. Grimm-Stadelmann / Grimm: Eine Zitherpartie auf dem Nil, S. 65. Die in eckigen Klammern stehenden Kat.- und O[rientalische]-S[Sammlung]-Nummern verweisen auf den Bestandskatalog der Orientalischen Sammlung in: Grimm-Stadelmann / Grimm: Eine Zitherpartie auf dem Nil, S. 301–352. Ebenfalls um ein Uschebti („Kleiner Karÿatid von Granit aus Nubien“) handelt es sich bei Kat. 22. Nach dem dazugehörigen Beschriftungszettel „Ein noch unkennbares Mumienstück mit Ueberzug und bemahlt“, siehe Grimm-Stadelmann / Grimm: Eine Zitherpartie auf dem Nil, S. 319, Kat. 36. Von den ursprünglich vorhandenen zwei Falkenmumien [Kat. 117] ist nur mehr eine vorhanden. Dieses Schmuckstück, zu dem kein Beschriftungszettel existiert, ist wohl auch erst später in die Orientalische Sammlung gekommen. Die drei versilberten Kupfergefäße [Kat. 42], die beiden versilberten Kupferschalen [Kat. 43], die Porzellantasse [Kat. 43] und die drei Holzpuppen in indischer Tracht [Kat. 89] sind erst später in den Bestand der Orientalischen Sammlung integriert worden. Siehe Grimm-Stadelmann / Grimm: Eine Zitherpartie auf dem Nil, S. 64–65, 74. Die beiden Schriftstücke in osmanischer Sprache [Kat. 37–38] sind ebenfalls erst später zum Bestand der Orientalischen Sammlung hinzugefügt worden. Siehe ebd., S. 64. Auch der in dem von Herzog Max bereisten Gebiet nicht heimische Edelpapagei [Kat. 52] kam erst später in die Orientalische Sammlung. Siehe ebd., S. 64. Ebd., S. 65–69. Roth, Harriet (Hrsg.): Der Anfang der Museumslehre in Deutschland. Das Traktat „Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi“ von Samuel Quiccheberg, Berlin 2000. Grimm-Stadelmann / Grimm: Eine Zitherpartie auf dem Nil, S. 64. Sehr wahrscheinlich stammen auch die Tiermumien [Kat. 115–118] aus Theben-West. Grimm: Vom Nil an den Main, S. 18 mit Abb. 30. Zu diesem Objekt fehlt der Beschriftungszettel. Ebd., S. 18–19 mit Abb. 31. Auch zu diesem Objekt ist kein Beschriftungszettel vorhanden. Grimm-Stadelmann / Grimm: Eine Zitherpartie auf dem Nil, S. 348 (rechts), Kat. 110. Ebd., S. 349 (rechts), Kat. 113. Ebd., S. 349 (Mitte rechts), Kat. 114. Ebd., Abb. auf S. 336 (unten) –337 (unten, Detail). Dieser als „Ägyptisches Zimmer“ bezeichnete Raum wird heute als Gästezimmer genutzt (Zi.-Nr. 802). Siehe ebd., S. 60, mit Abb. 71. Ebd., S. 61 mit Abb. 72 und S. 62 mit Abb. 73–74. Kästle, Bernhard: Petrefaktensammlung Kloster Banz. Versteinerungen und Orientalische Sammlung (= Bayerische Museen 17), München / Zürich 1992, S. 64–81. Grimm-Stadelmann / Grimm: Eine Zitherpartie auf dem Nil. Ebd., S. 303–350 mit Abb. auf S. 81, 303, 336, 351. Siehe Deutscher Museumsbund e.V. (Hrsg.): Leitfaden. Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen, Berlin 2021.
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ENT-WICKELT UND ENT-RÄTSELT Die Rolle von Mumien als „Bioarchive“ am Beispiel der Mumie aus der Orientalischen Sammlung des Museums Kloster Banz Mit der Diskussion über den Umgang mit menschlichen Überresten in Sammlungen und Museen ist jüngst eine intensive Debatte ent standen, die unter verschiedenen Aspekten geführt wird. Einer dieser Gesichtspunkte ist der des naturwissenschaftlichen Erkenntnis gewinns, dessen Bedeutung im vorliegenden Beitrag dargestellt und gewürdigt werden soll.1
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Einführung Mumien und Skelette sind im besten Sinne des Wortes „Bioarchive“, aus denen eine Vielzahl an Informationen gewonnen werden können: Neben biographischen Daten einzelner historischer Individuen können Lebensweise, Aspekte von Aktivitätsmustern, aber auch Krankheitsspektren und sogar Todesursachen von und in definierten Populationen rekonstruiert werden. Die Schwierigkeiten dabei liegen in der Erfordernis – je nach Art und Umfang des anzustrebenden Informationsgewinns –, mehr oder minder umfangreiche Eingriffe in die Biosubstanz vorzunehmen. Neben den hierzu anzuwendenden rechtlichen und ethischen Maßstäben, auf die verwiesen werden kann,2 soll besonders auf die naturwissenschaftlichen Aspekte einer solchen Untersuchung und auf technische Überlegungen eingegangen werden, um einer fundierten und möglichst ausgeglichenen Diskussion eine Grundlage zu geben. Diese orientieren sich gerade aus Sicht der Naturwissenschaften an teils unterschiedlichen Perspektiven und der Sicht aus diversen Ländern.3 Im vorliegenden Fall lässt sich dies auch exemplarisch anhand der Untersuchungen der Ganzkörpermumie des Museums Kloster Banz skizzieren,4 die seit ihrem Transport nach Bayern 1838 bereits mehrmals Gegenstand von Untersuchungen war.
Vorgehensweise zur naturwissenschaftlichen Untersuchung von Mumien und Skeletten Zum Vorgehen bei anthropologisch-paläopathologischen Untersuchungen von Mumien und Skeletten sind bereits früher ausführliche Überlegungen abgefasst worden.5 Die Untersuchung kann wichtige biographische Daten liefern. Dabei gilt zunächst das Prinzip: „Je mehr Gewebe vorhanden (und je besser es erhalten) ist, umso mehr Informationen können grundsätzlich ermittelt werden“, das heißt, vollständige Körper ergeben mehr Informationen als isolierte Körperteile, Mumien
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mehr als Skelette und „besser“ erhaltenes Material mehr als „schlechter“ erhaltenes. Dennoch können allein schon einzelne Knochen (und Zähne, die als härtestes Gewebe des Körpers die größte Chance auf langdauernden Erhalt haben) einige wesentliche Daten liefern. Als zweites Prinzip sollte beachtet werden: „vom nicht Zerstörenden zum so wenig wie möglich Eingreifenden“. Dies bedeutet, dass zunächst eine Untersuchung mit dem bloßen Auge (und eventuell die Abnahme von einzelnen Messstrecken) vorgenommen werden sollte (anthropologische Untersuchung). Als ebenfalls so gut wie „nichtzerstörend“ sind Verfahren unter Verwendung von Röntgenstrahlen anzusehen, heute bevorzugt mittels Computer-Tomographie, da hier dreidimensionale „Einblicke“ gewonnen werden. Die Strahlenuntersuchungen von Mumien und Skeletten (oder Teilen davon) sind jedoch nicht völlig ohne „Eingriff von außen“, da die Strahlung zu einer Beeinträchtigung des Biomateriales führen kann, die allerdings nach neueren Erkenntnissen deutlich unterhalb von natürlichen Strahleneinflüssen liegt und somit – wenn nicht exzessiv durchgeführt – ohne Konsequenz für Erhalt und Biostruktur des historischen Gewebes bleibt. Schließlich kann es notwendig sein, Gewebeproben zum Beispiel chemisch, molekularbiologisch oder histologisch zu untersuchen. Dann sind Eingriffe in die Substanz eines historischen Fundes allerdings unvermeidbar. Diese sind so gezielt wie möglich durchzuführen, wobei hier insbesondere die präzise Vorplanung hilfreich ist: Welches und wieviel Material ist wofür nötig? Wie lässt sich eine möglichst präzise Fragestellung ermitteln? Wie kommt man so wenig zerstörend wie möglich an eine / die gezielte(n) Probe(n)?
Ziele einer naturwissenschaftlichen Untersuchung Als zentrale Fragen können Individualalter und Geschlecht oft schon durch die äußere Inspektion bestimmt werden. Sofern entsprechende sekundäre Geschlechtsmerkmale (bei Mumien) vorhanden sind, ist die
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Geschlechtsbestimmung einfach. Bei Mumien kann auch eine grobe äußere Altersabschätzung gelingen. Selbst bei skelettiertem Biomaterial gibt insbesondere das Beckenskelett, das schon makromorphologisch zu über 75 Prozent eine Unterscheidung zwischen männlich und weiblich erlaubt, wichtige Informationen. Geschlechtstypische makroskopische Befunde liefert ebenso das Schädelskelett.6 Die metrischen Maße langer Knochen sowie das Verknöcherungsschema von Knochenkernen und insbesondere der Zahnstatus (Zahndurchbruch) lassen das Individualalter von immaturen Individuen abschätzen. Bei adulten Individuen können das Verschlussmuster der Schädelnähte und die Morphologie der Symphysenfuge, aber auch die Verknöcherung des Schlüsselbeingelenks das Individualalter in etwa angeben. Diese Verfahren sind allesamt nicht zerstörend. Will man noch genauere Daten zu Alter und Geschlecht erheben, sind Untersuchungen am Knochen- / Zahnmaterial notwendig. So lässt sich das Geschlecht in vielen Fällen molekularbiologisch bestimmen, das Individualalter kann durch die feingewebliche (histologische) Untersuchung von Zahnzementringen (in einem ähnlichen Ansatz wie bei der Altersbestimmung von Baumringen zur Holzaltersbestimmung) festgestellt werden. Die Röntgen- oder besser (siehe oben) CT-Untersuchung von Mumien und Skeletten kann ebenso Individualgeschlecht und -alter ergeben, liefert zudem Einblicke in das „Innere“ von Hohlräumen, zum Beispiel in Körper- oder Schädelhöhlen von Mumien, aber auch in das Innere von Knochen (Knochenmarkraum) etc. Damit werden auch mögliche krankhafte Prozesse erfassbar. Es sind aber auch sogenannte Aktivitätsmuster, zum Beispiel durch die Abnutzung isolierter Gelenke oder von Gelenk- / Knochengruppen, zu identifizieren. Letztlich können seitentypische Nutzungen von Armen und Beinen (Händigkeit, Nutzung der unteren Extremität) sowie Hinweise auf die individuelle „Mobilität“, das heißt, die übliche Nutzung der Beine, durch die Intensität der Muskulatur an den entsprechenden Knochenansätzen der langen Röhrenknochen, festgestellt und abgeschätzt werden.
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Das Spektrum an krankhaften Veränderungen umfasst am skelettierten Material alle Folgen von Traumata, bestimmten Stoffwechselerkrankungen (zum Beispiel Vitamin C- und Vitamin D-Mangel), Spuren von Entzündungen, aber auch von gut- und bösartigen Tumoren. Bei Mumien sind – je nach Erhaltungszustand – Aussagen über krankhafte Prozesse innerer Organe (zum Beispiel Verkalkungen nach Entzündungen wie besonders bei Tuberkulose, Arterienverkalkungen etc.), bis hin zu spezifischen Organbefunden – wie beispielsweise Leberzirrhose und Herzinfarktschwiele – feststellbar. Darunter lassen sich auch todesursächlich relevante Befunde identifizieren, so zum Beispiel die Residuen eines akuten Verblutungstodes in die Luftwege („Blutsturz“), tödliche Traumata oder mutmaßlich tödliche Infektionskrankheiten. Die moderne Analytik aus der Biomedizin eröffnet auch an Mumien und Skeletten zahlreiche Zusatzinformationen, so zum Beispiel den molekularbiologischen Nachweis von Krankheitserregern (oder deren DNA) oder auch den Nachweis von Krankheits-typischen Genen des historischen Individuums (zum Beispiel Mutationen von Tumorgenen). Insgesamt verspricht der rasante Fortschritt in der Anwendung moderner Nachweisverfahren künftig hier noch deutlich bessere und umfangreichere Möglichkeiten, auch in historischem Gewebe. Schließlich eröffnen neue molekularbiologische Techniken sogar die Möglichkeiten, verwandtschaftliche Beziehung historischer Individuen zu ermitteln beziehungsweise genealogische Annahmen zu erhärten oder zu verwerfen. Dazu sind dann allerdings historische Hinweise und konkrete Fragestellungen grundlegend erforderlich.
Moderne Informationsgewinnung an Mumienmaterial am Beispiel der Mumie aus dem Museum Kloster Banz Die vorgenannten Möglichkeiten zur Informationsgewinnung an historischem Biomaterial können am Beispiel der Mumie aus dem Museum Kloster Banz gut dargestellt werden. Dabei lässt sich auch der Fort-
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schritt in der Gewinnung von Daten aus derartigen Untersuchungen im geschichtlichen Verlauf exemplarisch darstellen. Nach dem verbürgten Transport der Mumie aus dem oberägyptischen Niltal durch den Reisenden Herzog Maximilian 1838 nach Bayern wurde diese – zusammen mit den umfangreichen weiteren Erwerbungen, die im Zuge dieser „Kavaliersreise“ erworben worden waren – wohl in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die herzogliche Residenz im ehemaligen Kloster Banz verbracht. Schriftliche oder gar bildliche Hinweise auf das Aussehen der Mumie oder jedwede Begleitinformationen liegen – bis auf den Erwerbungsort in der Nähe des ägyptischen Theben7 – leider nicht vor.
1 Untersuchung einer Mumie um 1890. Zeitgenössische Darstellung einer „Auswicke lung“ einer altägyptischen Mumie (Priesterin des Amun) von Paul Dominique Philippoteaux (1845–1924) (Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Paul-Dominique-Philippoteaux.jpg, wikimedia commons CC0 1.0 Universal Public Domain)
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Zu einem nicht verzeichneten Zeitpunkt, jedoch bereits nach Verbringung der Mumie nach Bayern, wurde diese zum Teil ausgewickelt. Ein solches Vorgehen – zumeist eingebettet in eine zeittypische Versammlung von Bekannten, Familienangehörigen und / oder Würdenträgern – war zu dieser Zeit nicht ungewöhnlich und ist mehrfach sowohl bildlich dokumentiert als auch literarisch verarbeitet (Abbildung 1). Der wissenschaftliche Erkenntniswert solcher „Untersuchungen“, bei denen Mumien ausgewickelt wurden, war gering und vermutlich auch nicht das primäre Ziel. Immerhin gilt es festzuhalten, dass zu jener Zeit eine alternative, insbesondere zerstörungsfreie Untersuchung gar nicht möglich war. So ist es eine Besonderheit der Banzer Mumie, dass diese „nur“ zum Teil, das heißt über dem Gesicht zur Hälfte (rechte Gesichtshälfte) und über Brust und Bauch auch nur teilweise ihrer Binden „beraubt“ wurde. Immerhin ließen sich ein mutmaßlich jungadultes Alter und das weibliche Geschlecht, ein ausgezeichneter Zahnstatus und eine sehr sorgfältige Präparation, wie auch die ungewöhnliche Armhaltung (rechter Arm neben dem Körper, linker Arm vor der Brust gekreuzt) nachweisen. Die Zuordnung der Mumie zu einem altägyptischen Individuum war damit folgerichtig sicher belegt. Im Rahmen des „Münchner Mumienprojektes“ der 1980er-Jahre wurde auch die Banzer Mumie in die Analysen einbezogen (Abbildung 2); dieses hatte eine erste, systematische Untersuchung von Mumien aus der Sammlung des Staatlichen Museums Ägyptischer Kunst in München, aber auch anderer Mumien aus bayerischen Museen, wie der in Banz, vorgenommen.8 Bereits damals wurde eine CT-Untersuchung durchgeführt. Diese konnte eine typisch altägyptische Präparation mit Entnahme des Gehirns durch das durchstoßene Nasendach, wie auch die ebenso typische Entfernung der inneren Organe aus Brust- und Bauchhöhle und „Ausstopfung“ der Leibeshöhlen sowie umfangreichen Bandagierungen der unteren und oberen Extremitäten belegen. Außer textilanalytischen Untersuchungen wurden damals allerdings keine weiteren Befunde erhoben – insbesondere wurden keine Analysen zu Sterbezeitpunkt oder genauer Herkunft der Mumie vorgenommen.
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2 Die Mumie aus der Orientalischen Sammlung des Museums Kloster Banz. Aufnahme von 1986 im Rahmen des Münchner-Mumien-Projektes. Im Zuge dieser Untersuchungen wurde die Mumie erstmals bildlich dokumentiert. Dieses bildet somit die Grundlage für alle weiteren wissenschaftlichen Beschäftigungen. (Quelle: F. Parsche, München, Abdruck mit Genehmigung)
3 CT-Untersuchungen der altägyptischen Mumie: Übersichtsaufnahmen der CTUntersuchung von 1986. Auf Grund der damaligen technischen Möglichkeiten ließ sich der Körper nur in „Segmenten“ scannen, die in unterschiedlicher Auflösung analysiert wurden. Auch wurden die beiden unteren Extremitäten erst ab der Kniegelenksebene aufwärts untersucht. (Quelle: Collage A. Nerlich aus F. Parsche, München, mit Genehmigung)
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4 Übersicht des CT-Scans der neuerlichen Untersuchung von 2020. Der Scan wurde in einem Durchgang von Kopf bis Fuß durchgeführt. (Quelle: A. Nerlich, CT-Untersuchung DiaCura Coburg & Bad Staffelstein, mit Genehmigung)
Eine aktuell neuerliche Untersuchung aus dem Jahr 2020, deren Detailergebnisse an anderer Stelle mit der gebotenen Ausführlichkeit dargestellt werden sollen, zeigt nun den weiteren technischen Fortschritt in der Analytik: Allein schon die Anwendung neuer CT-Verfahren mit einer viel höheren Schnittbildanzahl, der Möglichkeit zu dreidimensionalen Rekonstruktionen und zu Detailvergrößerungen belegt den erheblichen Fortschritt im Vergleich zu den Untersuchungen von 1986 (Abbildungen 3 und 4). So ließ sich nunmehr die genaue Technik der postmortalen Versiegelung der Mund- und Nasenhöhlen aufklären, das in-situ verbliebene Herz im Brustraum erkennen (dieses war bei den CTs von 1986 nicht der Fall gewesen) und die Technik der „Ausstopfung“ der Körperhöhlen genau identifizieren. Eine Radiokarbondatierung legt den Zeitpunkt des Todes des historischen Individuums in die Zeit um etwa 400 v. Chr. Stabilisotopenanalysen zeigen einen dauerhaften Aufenthalt in der altägyptischen Wüstengegend, hohe Qualität von Ernährung und Versorgung, somit mutmaßlich einen hohen sozialen Stand und eine ortstypisch dunkle Hautfarbe durch Pigmentnachweis in einer Hautprobe. Auf der Basis dieser Daten (speziell auch der Schädel-CT-Da-
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ten) konnte letztlich sogar eine virtuelle Rekonstruktion des Gesichts erzielt werden, die unter Anwendung moderner Verfahren aus der forensischen Medizin eine Darstellung der historischen Person mit hoher Wahrscheinlichkeit wiedergibt. Diese Untersuchungen wurden jedoch auch ganz klar auf relevante Fragestellungen beschränkt – also auf Informationen, die einen tatsächlichen Erkenntnisgewinn erwarten ließen. So wurde beispielsweise auf eine molekulargenetische Analyse verzichtet, die in neueren Untersuchungen immer wieder zu spektakulären Ergebnissen hatte führen können: Auf diese Weise hatten sich beispielsweise die Verwandtschaftsverhältnisse bei einigen pharaonischen Königsmumien klären lassen.9 Da sich jedoch im hier vorliegenden Fall keinerlei Bezüge zu einer anderen historischen Person herstellen ließen (zum Beispiel zu einem mutmaßlichen Verwandten in einem anderen Museum), ergab die technisch und finanziell aufwändige Untersuchung keinerlei Sinn und hätte lediglich Gewebematerial „verbraucht“. Es muss also der Leitspruch gelten: „Nicht jede Untersuchung, die technisch durchführbar ist, ist auch sinnvoll.“
Zusammenfassende Betrachtungen und Schlussfolgerungen Die naturwissenschaftliche Untersuchung der Überreste einer oder mehrerer historischer Personen bietet eine wesentliche Quelle zur Erforschung des „tatsächlichen Lebens“, speziell von Lebensumständen und eventuellen Krankheiten und Krankheitsverläufen in vergangenen Bevölkerungen. Für historische Populationen stellt diese eine bedeutende Informationsquelle dar – erst recht, wenn die untersuchten Gesellschaften schriftlos waren. In Bevölkerungen mit schriftlicher und / oder bildlicher Überlieferung kann eine anthropologisch-paläopathologische Analyse der Aufklärung und / oder Verifizierung anderweitig übermittelter historischer Zusammenhänge dienen. Umfang
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und Vorgehen in der Analytik sind abhängig von den Fragestellungen, dem vorhandenen Gewebe und dessen Erhaltungszustand. Die grundlegenden Regeln eines schonenden Vorgehens sind prinzipiell zu beachten, wobei eine Absprache zwischen den naturwissenschaftlichen Forschern auf der einen und den Vertretern der Institution, die das Biomaterial aufbewahrt, auf der anderen Seite notwendig ist. Da der technische und methodologische Fortschritt erwarten lässt, dass in Zukunft immer wieder durchaus auch wichtige „neue“ Informationen aus altem Biomaterial gewonnen werden können, ist eine sorgsame und möglichst zerstörungsfreie Aufbewahrung des Biomaterials, gleich welcher Herkunft und welchen Umfangs, dringend anzuraten. Die in dieser Hinsicht wohl bedeutsamsten Fortschritte sind die oben skizzierten molekulargenetischen Untersuchungsmöglichkeiten, bei denen gerade in den nächsten Jahren noch enorme technische Fortschritte zu erwarten sind und deren Aussagepotenzial derzeit noch nicht abzuschätzen ist. Aus Sicht der Naturwissenschaften sind menschliche Überreste dementsprechend nach ihrer Entdeckung aufzubewahren und nicht zu zerstören. Daher sind auch Wiederbestattungen eindeutig abzulehnen, da diese in der Regel zu einer Zerstörung des Materials führen, somit auch das oft wertvolle „Bioarchiv“ zerstören würden. Prof. Dr. Andreas Nerlich Institut für Pathologie, Klinikum München-Bogenhausen
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Nerlich, Andreas: Prinzessin Wackerstein – Geheimnisse einer bayerischen Kindermumie, Weissenhorn 2019, S. 137–141. Ebd. Davadie, Axelle / Koehler, Heloise: Human bones, archaeology and interdisciplinary research in France: From excavation to conservation for research, in: Ethics, Medicine and Public Health 18/2021, S. 1–6; Gill-Frerking, Heather: Showing respect to the dead: The ethics of studying, displaying, and repatriating mummified human remains, in: The Handbook of Mummy Studies, hrsg. von Dong Hoon Shin and Raffaella Bianucci, Singapore 2021, S. 59–88; Nerlich, Andreas / Zink, Albert / Bachmeier, Beatrice u. a.: Naturwissenschaftliche Untersuchungen von Mumien – Möglichkeiten, Grenzen und neuer Wege in der Paläopathologie. Sieben Münchner Mumien, hrsg. von Erich Matouschek, Landsberg 2002, S. 187–217. Stadelmann-Grimm, Isabel / Grimm, Alfred: Eine Zitherpartie auf dem Nil. Die Orientreise von Herzog Maximilian in Bayern und seine Orientalische Sammlung, München 2009, S. 76–79. Nerlich / Zink / Bachmeier: Naturwissenschaftliche Untersuchungen von Mumien, S. 181–217. Buikstra, Jane E. / Ubelaker, Douglas H.: Standards for data collection from human skeletal remains (= Arkansas Archeological Survey Research Series 44), Fayetteville 1994. Stadelmann-Grimm / Grimm: Eine Zitherpartie auf dem Nil, München 2009, S. 76–79. Ziegelmayer, Gerfried: Münchner Mumien, in: Schriften aus der Ägyptischen Sammlung 2/1985, S. 1–28. Hawass, Zahi / Ismail, Somaia / Ashraf, Selim u. a.: Revisiting the harem conspiracy and death of Ramesses III: anthropological, forensic, radiological, and genetic study, in: British Medical Journal (BMJ, London) 2012, 345: e8268.
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HUMAN REMAINS ALS KULTURPOLITISCHE UND MUSEALE HERAUS FORDERUNG Wurden Human Remains jahrzehntelang wie alle anderen musealen Objekte behandelt, leiten nun zunehmend ethische, gesellschaftli che und politische Fragestellungen die Diskussion über den Umgang mit Mumien etc. Damit stellen sich für Kulturpolitik, Museen und Sammlungen neue und grundsätzliche Herausforderungen, die vor allem den Verbleib und das Ausstellen solcher Sammlungsbestände betreffen.
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Human Remains als gesellschaftliche und politische Aufgabe Der Umgang mit Human Remains, das zeigen die Beiträge in diesem Sammelband, bringt eine Fülle von Fragen mit sich: für Museen, für Museumsbesucher, aber auch für ganze Gesellschaften. Insbesondere die Klärung der Herkunft spielt eine entscheidende Rolle, denn die „zugrundeliegenden kulturellen Vorstellungen über den angemessenen Umgang mit solchen Artefakten unterscheiden sich zwar heute in den betroffenen europäischen Ländern und in den Herkunftsländern kaum. Allerdings wirken im gegenwärtigen Umgang der europäischen Institutionen die kolonialen Ursprünge der Sammlungen oft nicht zuletzt deshalb fort, weil in vielen Fällen schlicht die notwendigen Informationen fehlen, um die Überreste überhaupt noch zuordnen zu können.“ 1 Dabei ist es insbesondere für indigene Bevölkerungsgruppen oftmals sehr wichtig, die eigenen Vorfahren und Stammesangehörigen endgültig bestatten zu können. Diese Bestattungsrituale können als der Ausgangspunkt für die Wiederauferstehung wahrgenommen oder tatsächlich für eine Bevölkerungsgruppe oder Glaubensgemeinschaft als unverzichtbar erachtet werden.2 Angesichts einer immer größeren Sensibilisierung der Gesellschaft und der Ausstellungsbesucher im Besonderen stehen Kulturpolitik, Museen und Sammlungen daher vor großen Herausforderungen: Der bislang beschrittene Pfad bei der Handhabung von Human Remains – gemeint ist deren museale Behandlung als quasi normales, bewahrenswertes und zugleich ausstellbares Objekt beziehungsweise „Museumsding“3 – erscheint überholt. Vielmehr werden die Fragen nach der Herkunft der menschlichen Überreste und die Kontexte ihres Erwerbs in westlichen Ländern wie in den Herkunftsländern immer drängender gestellt und diskutiert. Einer der ersten europäischen Politiker in staatspolitischer Ver antwortung, der sich klar für eine Restitution von Kulturgütern aus Unrechtskontexten aussprach, ist der französische Staatspräsident
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Emmanuel Macron. Während eines Staatsbesuchs in Burkina Faso (ehemaliges Kolonialgebiet Frankreichs) 2017 kündigte er überraschend an, Kulturgüter an afrikanische Staaten zurückzugeben und gab zugleich einen Bericht über den aktuellen Stand und die Modalitäten für die Restitution in Auftrag.4 Seither wurden etliche Kulturgüter zurückgegeben, wobei die darunter befindlichen 26 Benin-Bronzen für besonderes Aufsehen sorgten. Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die den von Macron angeforderten Bericht mitverfasst hat, sieht darin eine Zeitenwende: „Was klar ist, ist, dass dieses Ereignis vergleichbar ist mit dem Mauerfall in Berlin. Es wird ein Vorher und ein Nachher geben.“5 Mittlerweile hat auch die Bundesrepublik Deutschland mit der Federal Republic of Nigeria eine Vereinbarung über die Rückgabe von mehr als 1.100 Benin-Bronzen aus den ethnologischen Museen in Berlin, Dresden / Leipzig, Hamburg, Köln und Stuttgart unterzeichnet.6
Öffentliche kulturpolitische Debatte Im Zuge der Diskussion über den Umgang mit geraubten, kolonialen oder aus anderen Unrechtskontexten stammenden Kulturgütern taucht immer wieder die Frage nach dem Umgang mit Human Remains auf. So stellte etwa die Initiative „No Humboldt21!“ dies als zentralen Punkt dar, weshalb es kein Humboldt-Forum in Berlin hätte geben sollen: „Über den zukünftigen Verbleib von Beutekunst und kolonialem Raubgut muss der Dialog mit den Nachfahren der Schöpfer und rechtmäßigen Eigentümer der Exponate gesucht werden. Dies gilt insbesondere für die entführten Überreste von Menschen, die sich im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz befinden.“ 7 Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, betonte in einer Pressemitteilung vom 13. August 2018: „Die menschlichen Gebeine, die Ende des 19. Jahrhunderts ohne Rücksicht gesammelt wurden, einzig mit dem Ziel, einen möglichst großen Bestand an ‚erforschbarem Material‘ in Berlin aufzubauen, dürfen nicht weiter als anonyme Masse in unse-
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rem Depot liegen. Wenn Schädel klar zuordenbar sind, werden wir alles daransetzen, diese zurückzugeben. Und zwar zeitnah.“8 Diese beiden Stellungnahmen verweisen auf die großen Aufgaben, vor denen Museen, aber auch (kultur-)politische Verantwortungsträger stehen: Sammlungsgut aus Unrechtskontexten muss erst einmal identifiziert werden, dann erst kann mit der Suche nach (Rechts-)Nachfolgern begonnen werden. Neben Restitutionen und Repatriierungen stellt sich die Frage nach Reparationen. Dabei ist es über Parteigrenzen hinweg und auf verschiedenen Verwaltungsebenen Konsens, dass Human Remains aus kolonialen Kontexten an die Herkunftsgesellschaften zurückzugeben sind.9 Einzig die „Alternative für Deutschland“ (AfD) versucht immer wieder öffentlichkeitswirksam, die Restitution von derlei Kulturgütern zu verhindern, etwa in ihrem Wahlprogramm oder durch Anträge im Deutschen Bundestag.10 In diesem Zusammenhang gilt es auch festzuhalten, dass es bis dato kein bundes- oder gar europaweit einheitliches Procedere im Umgang mit Human Remains gibt (was auch durch unterschiedliche Trägerschaften erschwert wird).
Gesellschaftspolitische und ethische Aspekte der Museumspraxis Umso mehr sind diesbezüglich Museen und Sammlungen gefragt, in deren Arbeit gesellschaftliche und ethische Aspekte zunehmend an Bedeutung gewinnen: Dies betrifft ihr Selbstverständnis, aber auch den Umgang mit Objekten. Hierfür sind aus museologischer Sicht zwei Entwicklungslinien ausschlaggebend, die sich gegenseitig beeinflussen, aber je nach Museumsgattung und Veränderungsbereitschaft eines Hauses unterschiedlich rezipiert werden, wobei aktuell ethnologische Museen vorangehen. Zum einen verändert sich hierzulande das Verständnis von Museumsarbeit in Richtung gesellschaftliche Öffnung und wissenschaftliche Selbstreflexivität. Die Briten Robert R. Janes und Richard Sandell
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plädieren für eine gesellschaftliche „Öffnung und Demokratisierung dieser Institutionen, die immer noch als elitär wahrgenommen werden und auch elitär agieren“ 11. Damit wird neben der kulturellen Verantwortung der Institution Museum für das materielle Erbe auch deren soziale beziehungsweise gesellschaftliche Verantwortung herausgestellt. Sie betrifft neben der Etablierung einer Teilhabekultur für alle gesellschaftliche Gruppen (Social Inclusion) ebenso die kritische Aufarbeitung des eigenen Wissenschaftsverständnisses im Kontext des Reflexive Turn: Statt Wissenschaft und ihre Formen der Wissensproduktion etwa in Museen als „Tätigkeit im Dienste einer wertfreien Entdeckung immer genaueren Wissens zu sehen“12, verstehen sich Museen im Sinne der Repräsentationskritik heute „nicht mehr als objektiv und außerhalb der Zeit stehend“, sondern „als Teil eines kulturellen Systems der Produktion von Sichtbarkeit, Wissen und Identität. Postkoloniale und feministische Kritik führten zu heftigen Debatten zu Fragen des Ausstellens und der Beteiligung oder Teilhabe von bislang nicht repräsentierten gesellschaftlichen Gruppen an der Museumsarbeit“.13 Dies entlarvt nach Janes und Sandell die Idee eines „neutralen“ Museums als Mythos und sensibilisiert für „die vielfältigen Verflechtungen, Abhängigkeiten, Erwartungen, Traditionen, Zwänge und Machtstrukturen“, denen auch Sammlungs- und Ausstellungsstrategien unterworfen sind.14 Zum anderen wurde im Kontext des Humboldt Forums in Berlin oder der Rückgabe der Benin-Bronzen auch für eine breitere Öffentlichkeit sichtbar, dass sich Museen oder Sammlungen kaum mehr Fragen nach der Herkunft ihrer Objekte entziehen können und sich gleichzeitig neuen Fragen stellen müssen. Denn: Museen und Sammlungen waren lange auf die Materialität des Objekts fixiert. Neben anderen Entwicklungen rückte insbesondere die Provenienzforschung immaterielle Kontexte, Multivokalität und Multiperspektivität in den Fokus. Die Provenienzforschung wurde als Reaktion auf langanhaltende Rückgabeforderungen auf die politische Agenda gesetzt und durch die Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg mit Außenstelle in Berlin (2015)15 sowie der Kontaktstelle Sammlungsgut
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aus kolonialen Kontexten in Berlin (2020)16 gestärkt wie institutionell konsolidiert. Konzentrierten sich die Recherchen nach verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut zunächst auf NS-Raubgut, hat sich das Forschungsfeld mittlerweile auf Kulturgutentziehungen in der Sowjetischen Besatzungszone und der Deutschen Demokratischen Republik sowie auf die über eine formale Kolonialherrschaft weit hinausreichenden kolonialen Kontexte ausgeweitet, zu denen gerade eine „methodische Arbeitshilfe“ vorgelegt wurde.17 Damit verschob und erweiterte sich das Untersuchungsinteresse vom Objekt an sich, also von der „klassischen“, rein fachwissenschaftlich orientierten Objektforschung, auf die interdisziplinäre Untersuchung der oft komplexen Objekt-Kontexte: Wie kam dieses Objekt ans Haus? Wer hat es besessen und gesammelt? Ist es in juristische oder ethische Unrechtskontexte verwickelt? Damit einhergehend müssen sich auch deutsche Museen und Sammlungen zunehmend der eigenen kolonialen Vergangenheit stellen. Alles in allem bedeutet eine zeitgemäße Museumsarbeit daher, dass Museen im Sinne einer selbstreflexiv-kritischen Museumspraxis Verantwortung übernehmen – auch für die Herkunft ihrer Objekte, die auf „eine neue Form der Formierung des kulturellen Erbes“ 18 verweisen –, dass sie sich als diskursive Kulturinstitution einmischen und aktuellen gesellschaftspolitischen Herausforderungen stellen.
Ausstellen, aber nicht um jeden Preis Im Zentrum der öffentlich wahrnehmbaren Museumspraxis steht hierbei die Präsentation von Museumsobjekten. Diesbezüglich zeigen die Beiträge in diesem Sammelband ganz deutlich, dass es sowohl Gründe für ein Ausstellen als auch dagegen gibt, wobei eine reflektierte und inhaltlich begründete Darstellung unter bestimmten Umständen wohl als die praktikabelste Lösung erscheint: „In general Human Remains should only be displayed if their presence is an integral part of the story being told. Human remains should never be used to shock, titillate or
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purely to generate interest. Within many Western societies there is in fact an expectation that Human Remains will be displayed in museums.“ 19 Der Verweis auf ein rein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse allein kann aber nicht länger ein öffentliches Ausstellen rechtfertigen. Dabei sollte man sich, wenn bei Human Remains weiterhin von Objekten die Rede ist, bewusst sein, dass es sich stets um besondere Objekte handelt, denen mit Respekt, Würde und Verantwortung gegenüber den individuellen Toten, aber auch den Lebenden begegnet werden muss. In dieser Hinsicht plädierte Brigitte Tag (Universität Zürich) auf unserer Tagung dafür, das hinter jedem Human Remain steckende individuelle Schicksal aufzuzeigen. Zugleich müssen alle möglichen Kontexte sorgfältig geprüft und reflektiert sowie gegebenenfalls Betroffene kontaktiert werden, auch wenn fehlende finanzielle und personelle Ressourcen die notwendige Handlungsfähigkeit der Häuser oft stark einschränken. Nachdem die Geschichte der Kolonialisierung der Welt vor allem eine Geschichte des Globalen Nordens ist, stünde es insbesondere den ehemaligen Kolonialstaaten gut zu Gesicht, hier – vielleicht sogar gemeinsam – tätig zu werden, die Kapazitäten der Provenienzforschung und Fördermittel für Museen und museale Sammlungen zu erhöhen. Nur so erscheinen eine adäquate Entscheidung darüber, aus welchen Kontexten Kulturgüter – und vor allem Human Remains – stammen und damit entsprechende Restitutionen und Repatriierungen in größerem Umfang möglich. Langfristige politische Weichenstellungen sind aktuell angesichts der gesellschaftlich breit gestützten Restitutions- und Repatriierungsbestrebungen in Frankreich und Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern und den USA, durchaus realisierbar. Lassen sich im Rahmen von Forschungsarbeiten Bezüge zu Lebenden feststellen, liegen Repatriierung und Reburial nahe, liegen Unrechtskontexte vor, verbietet sich jede öffentliche Präsentation. Sofern kein Unrechtskontext vorliegt, kein (Rechts-)Nachfolger ermittelt werden kann und die Präsentation der Human Remains im Sinne des Leitfadens zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlun-
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gen des Deutschen Museumsbundes und in Übereinstimmung mit dem Code of Ethics von ICOM erfolgt, können Human Remains aber durchaus Teil einer Ausstellung sein.20 Dabei gilt es zu vergegenwärtigen, dass nicht jeder (modifizierte) menschliche Überrest aus einem Unrechtskontext stammen muss. Schließlich gab es immer – auch zu Kolonialzeiten – Handel mit Waren, in die beispielsweise menschliches Haar eingeflochten wurde. Die Frage nach Unrechtskontexten wird also auch trotz gründlicher Provenienzforschung nicht bei jedem Gegenstand eindeutig geklärt werden können. Idealerweise sollten sich Museen und Sammlungen eine Haltung sowie Kriterien zum Umgang mit Human Remains erarbeiten, immer wieder hinterfragen und diese gegenüber der Öffentlichkeit transparent machen.
Sinne und Emotionen ansprechen Entscheidet man sich bewusst für das Ausstellen, dürfen Human Remains nicht der Schaulust oder Illustration dienen, sondern müssen für das Verständnis der zu vermittelnden Inhalte unbedingt notwendig sein. Von zentraler Bedeutung ist dann die Art des Ausstellens, dann sind Geduld, Vorsicht und die Einbeziehung Dritter geboten (Betroffene, Publikum, Critical Friends, Besucherbeiräte etc.). Auch wenn es kein Patentrezept gibt, lieferte diese Tagung hierfür wertvolle Anregungen, wenn die Rede war von reflektierten Präsentationen, die das de-humanisierte und möglichst re-individualisierte Subjekt der Human Remains durch sorgfältige Kontextualisierungen und sensible Inszenierungen in den Mittelpunkt stellen, aber auch das Gesamtverständnis fördernde Vermittlungsangebote oder Begleitveranstaltungen. Denn die Wirkung einer Ausstellung wird nicht nur allein durch Texte bestimmt. Vielmehr prägen neben inhaltlichen auch gestalterische, didaktische, gesellschaftliche, institutionelle und sonstige Aspekte die Konzeption, Produktion und Rezeption einer Ausstellung.21 Mit dem Educational beziehungsweise Learning Turn22 rückten beispielsweise
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die Bedürfnisse der Ausstellungsbesucher in den Fokus: Anstatt im Museum nur zu lesen und zu schauen, spielt fortan ihre aktive Einbeziehung durch interaktive Mitmach-Stationen und meist digitale Vermittlungsmedien im Rahmen der Ausstellungsdidaktik eine besondere Rolle. Zudem steht die Öffnung der Museen für Teilhabe, Vielfalt und Diversität im Kontext von Vernetzung und Partizipation mit diversen Partnern wie der Zusammenarbeit mit lokalen Communities und Herkunftsgesellschaften im Sinne von Public Participation und Citizen Science. Schließlich wurde die Raumgestaltung in den vergangenen Jahrzehnten als dramaturgisches Element für das Schaffen von Erlebnissen und Eindrücken in Ausstellungen immer wichtiger. Eine gezielte architektonische Gestaltung der Ausstellungsräume mit individuellem Design (auch in Form von Szenografie) ist in der Lage, spezifische Raum-Atmosphären zu kreieren, die das Ausstellungsthema sinnlichemotional erleben lassen, das inhaltliche Narrativ unterstützen und Exponate verbinden: Besucher sollen durch die Elemente Architektur, Design, Licht, Farbe, Grafik, Medien, Klang etc. motiviert werden, sich im Raum zu bewegen, zu agieren und ihn aktiv einzunehmen.23 Dies kann freilich auch schief gehen: Im Ethnografischen Museum Stockholm (Etnografiska Museet) gibt es seit 2009 eine kleine Ausstellung über den „Skelttsamlaren“ (Skelettsammler) Eric Mjöberg, die mit Triggerwarnung versehen den früheren Umgang mit kolonialen Human Remains darstellt (Abbildung 1). Dieses Ansinnen wird aber gestalterisch konterkariert: So werden zeitgenössische Büsten von People of Colour mit Inventarschildchen in einer Art Archivschrank gezeigt und der mit weißen Kacheln ausgestattete Raum erinnert fatalerweise an eine Pathologie – mit solchen „Zitaten“ ruft die Gestaltung freilich Bilder an zu überwindende koloniale respektive Machtstrukturen in Erinnerung, die stärker im Gedächtnis haften bleiben als anders geartete textliche Erläuterungen.24 Alles in allem liegt das Spezifische einer Ausstellung darin, dass die oben genannten Elemente im Sinne einer besucherorientierten Per-
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1 Die Gestaltung der Ausstellungseinheit über den „Skelettsammler“ Eric Mjöberg konterkariert den Inhalt. (Foto: Guido Fackler, 2022)
spektive stimmig zusammenwirken und einen Mehrwert generieren, der größer ist als die Summe aller Einzelteile. Eine Ausstellung ist museologisch gesehen nämlich ganzheitlich-holistisch zu verstehen und kann – unter Vernachlässigung der historischen Implikationen dieses Begriffs – durchaus als eine Art „Gesamtkunstwerk“ gelten, bei dem verschiedene Künste und Elemente zusammenwirken. Im Sinne des Performative Turn ist eine Ausstellung zudem als Aufführung zu begreifen, die darüber hinaus durch Intermedialität gekennzeichnet ist, das heißt durch Medienwechsel und Gleichzeitigkeit verschiedener Ausdrucksformen. Vor diesem Hintergrund sollte eine inhaltliche Aussage expositorisch auf unterschiedlichen Ebenen transportiert werden
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und – wie die Besucherforschung hinlänglich nachgewiesen hat – nicht nur über Texte die Ratio, sondern über Gestaltung, Didaktik etc. ebenso verschiedene Sinne wie Emotionen von Besuchern ansprechen.
Möglichkeiten zur Exposition sensibler Objekte Hierfür stehen verschiedene expositorische Möglichkeiten zur Verfügung, von denen einige im Folgenden kursorisch aufgezeigt werden. Um Besucher zu involvieren und teilhaben zu lassen, setzt man im Rahmen einer dekolonialisierenden und postrepräsentativen Bildungsarbeit gerne interaktive Stationen (Leseecken, Touch tables, Touch screen, Audio, Film, AR, VR) und partizipative Elemente (Feedback, Kommentar, Abstimmungsstationen) ein. Die 2013 gezeigte Sonderausstellung „The Dark Chapter“ des Schifffahrtsmuseums Amsterdam (Scheepvaartmuseum) über die Sklaverei endete etwa mit einer aufwendigen Feedbackstation: In einem Halbrund sitzend konnte man sich in einer kinoartigen Inszenierung Filmeinspielungen anschauen, in der unterschiedliche Personen sehr kontroverse Meinungen dazu äußerten, wie sich der Staat heute zu seiner Geschichte der Sklaverei verhalten solle. Mit einem handlichen Eingabegerät konnte man über die einzelnen Meinungen abstimmen, das aktuelle Abstimmungsergebnis wurde live eingeblendet. Eine Methode, in bereits bestehende Ausstellungen einzugreifen, bilden Interventionen. „Im Kern handelt es sich um ein differenzschaffendes Verfahren: Künstlerische oder wissenschaftliche Interventionen befragen orts- oder themenspezifisch den vorhandenen Status oder fügen Schichten hinzu, vertiefen einen Aspekt.“25 Interventionen können als Kontrapunkt, Ergänzung, Blickfänger oder Dialog fungieren. Im Sinne einer Gegenerzählung beziehen sie Stellung zu vorhandenen Objekten, Räumen und Präsentationen, in die sie einen „kritischen Blick von außen“ einschleusen, um „Raum für Vielstimmigkeit und Reflexion zu geben, Dauerausstellungen zu aktualisieren oder das museale
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Umfeld als Erfahrungs- oder Erlebnisbühne zu nutzen.“26 Im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover ist eine künstlerische Intervention zu sehen, bei der die Kuratoren ihre Deutungshoheit über die Inhalte und Objekte an Gastkuratoren abgegeben haben. Solche Projekte gibt es derzeit in mehreren ethnologischen Museen und sollen den Nachfahren der Unterdrückten eine kraftvolle Stimme verleihen. In diesem Falle haben sich die Künstler Temidayo und Loana Oyeniran unter dem Titel „Geflüsterte Geschichten“ mit dem ethnologischen Museumsdepot auseinandergesetzt. Dabei gingen sie davon aus, dass jedes Objekt seine individuelle Geschichte hat: „Wir hatten die Möglichkeit, diesen Geschichten zuzuhören und erhielten dadurch Bruchstücke von Geschichten, die wir auf die [Rückseiten der] Karteikarten schrieben.“27 Zudem werden die „geflüsterten Geschichten“ in einer gefilmten Begehung des Depots und mittels Audioeinspielungen sicht- und hörbar gemacht. Überhaupt bieten Sounds und Klänge eine in Ausstellungen nur selten genutzte Möglichkeit zur atmosphärischen Verdichtung, während Hörspiele, Erzählungen, Streitgespräche oder Interviews Texte dramaturgisch spannender darbieten, was sie für Menschen, die gerne Geschichten anhören, leichter rezipierbar macht. Sensible Exponatpräsentationen sind dann gefragt, wenn Objekte prinzipiell gezeigt werden können, bei Besuchern jedoch eine schockierende oder gar traumatisierende Wirkung hervorrufen können. Dann werden Exponate, die durch sichthemmendes Displaymaterial oder eine andere Zugangshürde verdeckt sind, nur nach einer aktiven Entscheidung dem Blick der Besucher freigegeben. Beispielsweise gilt es, einen Vorhang beiseitezuschieben, in anderen Fällen erlauben getrübte Vitrinengläser nur in einem bestimmten Betrachtungswinkel die Sicht auf den Inhalt. Eine weitere Möglichkeit bilden explizite Triggerwarnungen wie bei der Sonderausstellung „RESIST! Die Kunst des Widerstands“ (1. April 2021 bis 9. Januar 2022) des Rautenstrauch-JoestMuseums in Köln.28 Dem Publikum wird dabei direkt oder indirekt die Möglichkeit geboten, sich bewusst gegen oder für das Anschauen sensibler Objekte zu entscheiden.
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Eine besondere Herausforderung liegt darin, Unrechts- und koloniale Kontexte diskriminierungssensibel sowie multivokal beziehungsweise multiperspektivisch auszustellen. Ein Musterbeispiel hierfür bildete die Ausstellungseinheit „Der König und sein Thron“ von 2013 in der ehemaligen Humboldt-Box in Berlin (Abbildung 2).29 In der zentralen Großvitrine war schemenhaft hinter einem Vorhang der Thron von König Njoya ausgestellt, der unter fragwürdigen Umständen ins damalige Völkerkundemuseum Berlin gelangt war. Weitere Objekte, Fotos und Archivalien stellten die beiden Protagonisten – König Njoya und Kaiser Wilhelm II. – sowie zeitgenössische Kontexte vor, etwa den vom Völkerkundemuseum künstlerisch inspirierten Emil Nolde. Videostationen lassen fünf Personen zu Wort kommen, die unterschiedliche persönliche Bezüge zum Thron haben: neben dem Museumsdirektor auch Menschen, die aus Kamerun stammen. Viel Raum wird Kamerun in der Kolonialzeit sowie dem Leben und Werk des Königs gewidmet.
2 Ausstellungseinheit „Der König und sein Thron“ in der Humboldt-Box Berlin (Foto: Guido Fackler, 2013)
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Ein Großrepro zeigt den heutigen Gebrauch der Thronkopie, während eine zeitgenössische Messingfigur von König Njoya mit einem Händler die Arroganz der deutschen Kolonialherren verdeutlicht und vom Museum selbstkritisch kommentiert wird. Materielle und immaterielle Kulturgüter, Bild, Ton, Filme und Kunstobjekte repräsentieren also unterschiedliche historische und gegenwärtige Perspektiven auf das Thema ohne abschließende Deutung: Die Schlussfolgerungen soll der Besucher für sich selbst ziehen. Verbietet sich das Exponieren von Human Remains wie gewöhnliche Objekte, ist besondere kuratorische Verantwortung gefragt. In der Ausstellung „Im Netz des Sichtbaren“ im Martin von Wagner-Museum der Universität Würzburg (29. Februar bis 21. Juni 2020) hat man sich dafür entschieden, das Skelett eines weiblichen Beckens gar nicht zu zeigen und bewusst eine Leerstelle in der Vitrine gelassen.30 Es ist aber auch möglich, solche Leerstellen mithilfe von Begleit- oder Ersatzobjekten (Duplikate, Hologramme, Abbildungen, analoge Modelle, digitale Simulationen etc.) zu füllen. So stellt man im Völkerkundlichen Museum Witzenhausen die Bodenplatte aus, die über 100 Jahre lang für die Präsentation eines Schädels verwendet worden ist.31 Und in der digitalen Ausstellung „Leichen im Keller“ an der Universität Wien präsentiert man an Stelle eines Human Remains lediglich dessen Aufbewahrungsbox: „Damit betonen wir“, so die Kuratoren, „dass es sich um Menschen handelt und nicht (nur) um Objekte.“32 Die kuratorische Entscheidung, Dinge nicht mehr zu zeigen und auf andere Weise in einer Ausstellung sichtbar zu machen, gilt neben Human Remains mit kolonialen und Unrechtskontexten auch für Objekte, deren primären Gebrauchskontexte eine öffentliche Ausstellung verbieten oder auf eine bestimmte Gruppe von Menschen begrenzen: Hier stellt sich zudem die Frage, ob solche Objekte überhaupt musealisiert und in einem Museum etwa im Depot anwesend sein dürfen oder nicht besser zu restituieren sind.
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Postkolonial ausstellen Es kommt beim Ausstellen von Human Remains also nicht nur darauf an, was man ausstellt und erläutert, sondern vor allem, wie man es ausstellt. Dabei ist eine Ausstellung als raumgreifendes, eigenständiges Medium mit spezifischen Regeln zu verstehen: Es bietet die Chance, ein breiteres Publikum anzusprechen, allerdings nur dann, wenn man hierfür zur didaktischen Reduktion komplexer Inhalte bereit ist und sich auf die Erwartungen der Besucher einstellt, die nur zu einem sehr geringen Teil Experten sind. Im Sinne einer besucherzentrierten Ausstellungspraxis sollten – wie das Forschungsprojekt „EyeVisit“ herausgefunden hat – museale Angebote daher intuitiv, individualisiert / personalisiert, interaktiv, kontextsensitiv, multimedial, partizipativ und kollaborativ konzipiert werden.33 Bei kolonialen Kontexten ist zudem eine diskriminierungssensible, multivokale und multiperspektivische Herangehensweise geboten, um divergierende Perspektiven und immaterielle Kontexte herauszuarbeiten. Wie Mareike Späth in diesem Band schreibt, ist hierbei das von Museumsseite gerne angenommene „Seh- oder Informationsbedürfnis des Publikums“ und der „Bildungsund Vermittlungsauftrag gegenüber der Öffentlichkeit“ bei der Ausstellung sensibler Sammlungssubjekte sorgsam abzuwägen „gegenüber dem Schutzbedürfnis“ der zur Schau gestellten kolonialen Objekte und Human Remains, aber auch der Nachfahren, des Publikums und der Museumsmitarbeiter. Andererseits, so Späth weiter, sind in Ausstellungen zunehmend „innovative und kreative Wege zu sehen, Human Remains nicht auszustellen, etwa, weil sie nach einer Rückgabe dafür nicht mehr zur Verfügung stehen oder eine kuratorische Entscheidung gegen ihre Präsentation getroffen wurde.“ Um Besucher emotional und nicht nur kognitiv zu berühren, sollen nach dem Philosoph Peter Slotderdijk immaterielle Kontexte stärker im Fokus stehen: Nur dann kann es gelingen, Museen und Sammlungen, so Slotderdijk, vom „Identitätszwang des 19. Jahrhunderts“ zu entkoppeln und als entkolonialisierte „Schule des Be-
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fremdens“ und Orte für Alteritätserfahrungen neu zu positionieren.34 Slotderdijk scharfsinniges Diktum aus dem Jahr 1989 trifft aktuell mit der im Kontext von Restitutionsforderungen und Provenienzforschung viel diskutierten Forderungen an Museen im Sinne einer postkolonialen Museologie35 zusammen, Haltung zu zeigen, museale Routinen zu hinterfragen und neue Wege des Exponierens zu gehen. Prof. Dr. Guido Fackler Gründer und Leiter der Professur für Museologie der Universität Würzburg Thomas M. Klotz, Dipl.sc.pol.Univ. Leiter des Referats Bildung, Hochschulen, Kultur der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung
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Schönberger, Sophie: Was soll zurück? Die Restitution von Kulturgütern im Zeitalter der Nostalgie, Bonn 2021, S. 120–121. Vgl. Clegg, Margaret: Human Remains. Curation, Reburial and Repatriation, Cambridge 2020, S. 137–138. Korff, Gottfried: Museumsdinge. Deponieren – Exponieren, Köln / Weimar / Wien 2007. Vgl. Sarr, Felwine / Savoy, Bénédicte: Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain.Vers une nouvelle éthique relationnelle, https://restitutionreport2018.com/, Stand: 18.8.2022, die französischen und englischen Versionen des Berichts sind dort ebenfalls zu finden. Schildbach, Linda: „Es wird ein Vorher und ein Nachher geben“, https://www.tagesschau.de/ausland/ europa/frankreich-kulturgueter-benin-101.html#:~:text=%22Was%20klar%20ist%2C%20ist%2C,den%20 Sch%C3%A4tzen%20des%20K%C3%B6nigreichs%20Abomey, Stand: 18.8.2022. Vgl. Auswärtiges Amt: Historische Rückgabe von Bronzen an Nigeria, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ aussenpolitik/themen/kultur-und-gesellschaft/-/2540200, Stand: 18.8.2022. No Humboldt 21!: Resolution, https://www.no-humboldt21.de/resolution/, Stand: 18.8.2022. Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Parzinger zum Umgang mit Human Remains: Wir forschen, um auch zurückgeben zu können, Pressemitteilung vom 13.3.2018, https://www.preussischer-kulturbesitz.de/ pressemitteilung/artikel/2018/03/13/parzinger-zum-umgang-mit-human-remains-wir-forschen-umauch-zurueckgeben-zu-koennen.html?sword_list%5B0%5D=human&sword_list%5B1%5D=remains&no_ cache=1, Stand:18.8.2022. Vgl. Staatsministerin für Kultur und Medien: Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, https://www. bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/staatsministerin-fuer-kultur-undmedien/sammlungsgut-aus-kolonialen-kontexten-1851438, Stand:18.8.2022. Vgl. Drucksache 19/24394 des Deutschen Bundestags vom 18.11.2020; Alternative für Deutschland: Deutschland. Aber Normal, Berlin 2021, S. 161. Overdick, Thomas: Kontaktzonen, dritte Räume und empathische Orte. Zur gesellschaftlichen Verantwortung von Museen, in: Hamburger Journal für Kulturanthropologie 10/2019, S. 51–65, Zitat S. 52. Siehe Janes, Robert R. / Sandell, Richard (Hrsg.): Museum Activism, London / New York 2019. MacDonald, Sharon: Museen erforschen. Für eine Museumswissenschaft in der Erweiterung, in: Museums analyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, hrsg. von Joachim Baur, Bielefeld 2010, S. 49–69, Zitat S. 52. Sommer, Monika: Museologie und Museumsgeschichten, in: Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis, hrsg. von ARGE schnittpunkt, Wien 2013, S. 13–22, Zitat S. 20. Overdick: Kontaktzonen, dritte Räume und empathische Orte, S. 51–65, Zitat S. 52. Die Homepage des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste findet sich unter https://www.kulturgutverluste.de/ Webs/DE/Start/Index.html, Stand: 15.8.2022. Die Homepage der Kontaktstelle Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten findet sich unter https://www. cp3c.de/, Stand:15.8.2022. Winkelmann, Andreas / Stoecker, Holger / Fründt, Sarah / Förster, Larissa: Interdisziplinäre Provenienzforschung zu menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten: Eine methodische Arbeitshilfe des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité und von ICOM Deutschland (= Beiträge zur Museologie 11), Heidelberg 2022, https://doi.org/10.11588/arthistoricum.893, Stand: 12.8.2022. Gößwald, Udo: Die Erbschaft der Dinge, Graz 2011, S. 107. Clegg: Human Remains, Cambridge 2020, S. 88. Vgl. Deutscher Museumsbund e.V. (Hrsg.): Leitfaden. Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen. Berlin 2021, hier insbesondere S. 106–120; ICOM International Council of Museums (Hrsg.): ICOM Code of Ethics for Museums. Paris 2017. Vgl. Jannelli, Angela / Hammacher, Thomas (Hrsg.): Ausstellungsanalyse, in: Vokus. Volkskundlich-kulturwissenschaftliche Schriften 18/2008, Nr. 1, S. 5–102, hier Grafik S. 10. Vgl. Macdonald, Sharon: Revolutions, turns and developments in museum education: some anthropological and museological reflections, in: Handbuch Museumspädagogik: Kulturelle Bildung in Museen, hrsg. von Beatrix Commandeur, Hannelore Kunz-Ott und Karin Schad, München 2016, S. 96–105, hier S. 97. Zu den
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grundlegenden Publikationen zählen diesbezüglich etwa Falk, John Howard / Dierking, Lynn Diane: Learning from Museums: Visitor Experiences and the Making of Meaning, Lanham / Maryland 2000. Vgl. Paul, Stefan: Kommunizierende Räume. Das Museum, in: Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Alexander C. T. Geppert, Uffa Jensen und Jörn Weinhold, Bielefeld 2005, S. 341–357. Vgl. Reinius, Lotten Gustafsson: The Ritual Labor of Reconciliation. An Autoethnography of a Return of Human Remains, in: Museum Worlds: Advances in Research 5/2017, S. 74–87, hier S. 86. Muttenthaler, Roswitha: Intervention, in: Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis, S. 162. Ebd. Zitate aus der Intervention „Geflüsterte Geschichte“ der Kuratoren sowie Künstler Temidayo und Loana Oyeniran im Niedersächsisches Landesmuseum Hannover im Jahr 2022. Vgl. Der WeltenBlog: Flüstern in den Regalen – Ein Erfahrungsbericht, https://blog.weltenmuseum.de/fluestern-in-den-regalen/, Stand: 17.8.2022. Vgl. Rautenstrauch-Joest-Museum Köln: RESIST! Die Kunst des Widerstands, http://rjm-resist.de/, Stand: 14.8.2022. Kuratiert wurde das Ausstellungsmodul von Michaela Oberhofer (Berlin) für das Ethnologische Museum – Staatliche Museen zu Berlin/Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das mediale Konzept und die Interviews stammen von Arcadia Filmproduktion. Vgl. kunst&kontext 2013, Nr. 1, Themenheft „HUMBOLDT-FORUM“, hier S. 9–10; Humboldt-Box – Der König und sein Thron, https://www.youtube.com/watch?v=YjLZwniOsEE, Stand: 12.8.2022. Vgl. Im Netz des Sichtbaren, https://www.uni-wuerzburg.de/einrichtungen/museen/insight/ausstellung/, Stand: 12.8.2022. Zur Arbeit „Zur Erde sollst du werden“ der Künstlerin Linda-J. Knop. Vgl. linda-knop.de/engl/, Stand: 18.6.2022. Digitale Ausstellung „Leichen im Keller – Menschliche Überreste zwischen Rückgabe und Verbleib“, Universität Wien, https://leichenimkeller.at/leichen-im-keller, Stand: 6.3.2022. Der ausführliche Titel des Kooperationsprojekts von Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) und Institut für Informatik der Universität Tübingen mit dem Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig zur Entwicklung eines prototypischen Besucherinformationssystem für Kunstmuseen lautete „EyeVisit. Intuitive und personalisierte Besucherinformation im Museum“. Vgl. Projektbeschreibung, https://www.iwm-tuebingen. de/www/de/forschung/projekte/projekt.html?name=Eyevisit, Stand: 18.8.2021; Blattner, Evamarie u. a.: Vom Nutzen psychologischer Forschung für das Kunstmuseum: Das multimediale Besucherinformationssystem EyeVisit, in: Museumskunde 78(2)/2013, S. 100–105; Abschlussbericht, https://www.leibniz-gemeinschaft. de/fileadmin/user_upload/Bilder_und_Downloads/Forschung/Wettbewerb/Vorhaben/Abschlussberichte/ Sachbericht_komplett_SAW-2011-IWM-6_DE.pdf, Stand: 18.8.2022. Sloterdijk, Peter: Museum: Schule des Befremdens, in: Frankfurter Allgemeine Magazin, Heft 472, 17.3.1989, S. 57–66, Zitate S. 62, 58. Vgl. Kazeem, Belinda / Martinz-Turek, Charlotte / Sternfeld, Nora (Hrsg.): Das Unbehagen im Museum. Postkoloniale Museologien, Wien 2009; Kazeem, Belinda: Postkoloniale Museologie, in: Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis, S. 179–180.
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DANKSAGUNG
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ie Herausgeber bedanken sich ganz herzlich bei der HannsSeidel-Stiftung, insbesondere bei Barbara Fürbeth und ihrem Redaktionsteam, bei der Leiterin des Museums Kloster Banz, Brigitte Eichner-Grünbeck, bei der Oberfrankenstiftung sowie beim Tagungsteam, insbesondere bei Simone Endres und Judith Schief, für die Ermöglichung der internationalen Tagung im Oktober 2021 und dieses Sammelbands. Guido Fackler, Thomas M. Klotz und Stefanie Menke
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Prof. Dr. Guido Fackler hat an der Universität Würzburg das Fach Museologie aufgebaut und erforscht aus museumswissenschaftlicher Perspektive den Umgang mit sensiblen Objekten. Thomas M. Klotz, Dipl.sc.pol.Univ. studierte Politikwissenschaft in München und Venedig. Er leitet das Referat „Bildung, Hochschulen, Kultur“ der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung. Dr. Stefanie Menke studierte Kunstgeschichte und Geschichte sowie „Museum und Ausstellung“. Seit 2012 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Museologie der Universität Würzburg.
wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27618-9
Guido Fackler / Thomas M. Klotz / Stefanie Menke (Hrsg.)
Human Remains finden sich weltweit in Sammlungen und Ausstellungen. Dabei stellt sich zunehmend die Frage, ob dies ethisch vertretbar ist, aber auch ob und gegebenen falls wie ein angemessener Umgang mit ihnen in Museen und Forschung möglich ist. Um die divergierende Diskussion breit darzustellen, umfasst dieser Sammelband unterschied liche fachliche Positionen, Herangehensweisen und Beispiele, die von Mumien, Moorleichen, Reliquien und Toi moko bis zu „Ötzi“ und den „Körperwelten“ reichen.
| HUMAN REMAINS
Guido Fackler / Thomas M. Klotz / Stefanie Menke (Hrsg.)
HUMAN REMAINS Ethische Herausforderungen für Forschung und Ausstellung