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German Pages 197 [202] Year 2019
Historiographie
und Vergangenheitsvorstellungen in der Antike Herausgegeben von Astrid Möller
Alte Geschichte Franz Steiner Verlag
Astrid Möller (Hg.) Historiographie und Vergangenheitsvorstellungen in der Antike
Historiographie
und Vergangenheitsvorstellungen in der Antike Beiträge zur Tagung aus Anlass des 70. Geburtstages von Hans-Joachim Gehrke Herausgegeben von Astrid Möller
Franz Steiner Verlag
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INHALT Astrid Möller (Freiburg) Einleitung …………………………………………………………………
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FESTVORTRAG Kurt A. Raaflaub (Brown University) Patres historiae? Die Anfänge kritischer Geschichtsschreibung in vergleichender Perspektive ……………………………………………
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HEROISCHE ERZÄHLUNGEN Marek Węcowski (Warschau) An Intentionale Gegenwart? Odysseus’ ‘False Tales’ and the Intellectual Context of the Odyssey ……………………………………………………
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Massimo Nafissi (Perugia) Spartan Heroic Ancestry and Austere Virtues. Herakles, Theseus, and the Phaeakians on the Throne of Amyklai ……………………………
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HERODOT UND SEIN ERBE Maurizio Giangiulio (Trento) Traditional Narratives, Historiography, and Truth. On the Historicity of Herodotus’ Histories ……………………………………………………
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Nino Luraghi (Oxford) Herodotus, Egypt, and the Athenian Expedition
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Johannes C. Bernhardt (Karlsruhe) Das zweite Makkabäerbuch und die Tradition der Perserkriege …………
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Alexander Free (München) Geschichte zum Geschenk und als Zeitvertreib: Lukians Macrobii und die Frage, warum liest man Geschichte? ……………………………
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Inhalt
VERGESSEN UND ERINNERN Katharina Wojciech (Freiburg) Kollektives Vergessen in Athen. Paul Ricœur und die attische Rhetorik ……………………………………………………………………
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Verena Schulz (München) Die Erzeugung von ‚Vergessen‘ in der römischen Historiographie ………
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EPILOG Felix K. Maier (Würzburg) Literatur als Erkennens-Erfahrung: Gedanken zur Wesenhaftigkeit von Geschichte ……………………………………………………………
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EINLEITUNG Astrid Möller Anlässlich des 70. Geburtstages von Hans-Joachim Gehrke versammelten sich junge Nachwuchswissenschaftler*innen und Kolleg*innen vom 29. bis 31. Oktober 2015 in Freiburg, um den Jubilar mit einem Kolloquium zu ehren. Bei der Planung des Kolloquiums bestand schnell Einigkeit darüber, ein Forschungsfeld als Thema auszuwählen, das Hans-Joachim Gehrke besonders am Herzen liegt. Die Auswahl fiel auf die antike Geschichtsschreibung in ihren vielfältigen Facetten, ohne jedoch den von ihm geprägten Begriff der „intentionalen Geschichte“ in den Mittelpunkt zu stellen. Dass er in einigen der vorgelegten Beiträge dennoch keine unwesentliche Rolle spielt, liegt in der Natur der Sache. Der Festvortrag, den Kurt A. Raaflaub unter dem Titel „Patres historiae? Die Anfänge kritischer Geschichtsschreibung in vergleichender Perspektive“ hielt, wird hier unverändert in seiner Vortragsform abgedruckt. Raaflaub untersucht darin die Besonderheit der Entstehung der Geschichtsschreibung in Griechenland und in China. Es gibt bekanntlich Kulturen, in denen die jeweiligen Herrscher für die Urheber der Geschichte gehalten werden; in ihnen konnte sich keine kritische Geschichtsschreibung entwickeln. Die kritische Geschichtsschreibung aber entstand und entwickelte sich Raaflaub zufolge in zwei Kulturen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die griechische Welt war durch Bürgergemeinden ohne feste Hierarchien geprägt, in denen die rationale Auseinandersetzung mit der Vergangenheit begünstigt und gefordert wurde. Aber auch im frühen China bildete sich eine unabhängige historische Tradition, die Raaflaub mit dem im ersten Jahrhundert v. Chr. arbeitenden Hofastronom Sima Qian verbindet. Sima Qian schrieb aus persönlicher Frustration und als Privatmann eine umfassende, multiperspektivische und kritische Geschichte der bekannten Welt, nur der Wahrheit verpflichtet und seiner Zeit gegenüber äußerst kritisch eingestellt. Der Habitus intellektueller Unabhängigkeit, dem der chinesische Historiker auch im persönlichen Leben folgte, lässt ihn, so Raaflaub, in eine Reihe mit Herodot und Thukydides treten. Unter der Überschrift „Heroische Erzählungen“ folgen zwei Beiträge, von denen der eine die Lügengeschichten des Odysseus behandelt, der andere spartanische, athenische und homerische Heroen in bildlicher Darstellung. Marek Węcowski argumentiert unter dem Titel „An Intentionale Gegenwart? Odysseus’ ‚False Tales‘ and the Intellectual Context of the Odyssey“ für die These, dass die homerischen Epen nicht nur von dem handeln, was die Zuhörer als ihre soziale Gegenwart in die Vergangenheit projizierten, sondern gerade die Gegenwart und einige ihrer grundlegenden Werte zur Diskussion stellen und gegen eine inten-
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tionale Vergangenheit setzen. Anhand der Lügengeschichten des Odysseus zeigt Węcowski, wie in der Odyssee neben der heroischen Welt der Telemachie und der Märchenwelt der Irrfahrten eine dritte Welt besteht, in der keine Heroen und übernatürlichen Wesen vorkommen. In dieser Welt liegen die erwähnten Orte in Randzonen und weitentfernten Gebieten der gegenwärtigen Welt der Zuhörer, statt göttlicher Eingriffe betonen nur unpersönliche Ausdrücke die unvorhergesehene Natur der Ereignisse. Atmosphärisch sei diese Welt der Lügengeschichten näher an den Zuhörern, so dass sich eine Distanzierung von der heroischen Distanz ergibt. Durch den Kontrast mit der Weltsicht und dem Wertesystem der mythischen Vergangenheit ergab sich möglicherweise aus der in den Lügengeschichten hergestellten intentionalen Gegenwart eine subtile Art der Selbst-Identifikation. Diese Selbsterkenntnis wiederum habe ein Gefühl für die Gemeinschaft aller Menschen hervorgerufen, deutlich getrennt von den wankelmütigen und letztlich unverständlichen Göttern. Die Funktion der Lügengeschichten liege, so Węcowski, einmal im Bruch mit den Regeln, so dass ein humorvoller Kontrast zur epischen Konvention entstand. So konnten die Zuhörer den ingeniösen Wandel und die Anpassungen der falschen Identität des Helden verfolgen. Zum anderen scheinen die Lügengeschichten im Verhältnis zur gesamten Odyssee zwar nur eine marginale Rolle zu spielen, wenn man jedoch ihre Position im Epos berücksichtigt, erkenne man, dass immer, wenn Odysseus fast seine Identität preisgibt, eine Lügengeschichte die Spannung erhöht und auf den zweiten Teil des Epos verweist. In seinem Beitrag „Spartan Heroic Ancestry and Austere Virtues. Herakles, Theseus, and the Phaeakians on the Throne of Amyklai“ untersucht Massimo Nafissi einige der von Pausanias beschriebenen Szenen, die einst auf dem Thron des Apollon Hyakinthos in Amyklai abgebildet waren. Die mythologischen Szenen stellten die ältesten Ereignisse der Vergangenheit Spartas und Lakoniens dar und können als Beispiel einer intentionalen Geschichte in Bildern verstanden werden. Auf dem Thron war zum einen die Abstammung der Lakedaimonier und ihrer Heroen von Zeus dargestellt. Die Bilder, in denen Theseus mit dem Minotauros bzw. Demodokos mit den phäakischen Tänzern erscheinen, gehören hingegen einem viel breiteren mythischen Horizont an, der, so Nafissi, nicht leicht zu verstehen sei. Ohne dass sich der Bilderschmuck erhalten hätte, biete die schriftliche Überlieferung doch insofern eine Grundlage für ein synthetisches Verständnis seiner Bedeutung, als die Verbindungen zwischen den Szenen in Begriffen der Polarität und Analogie bestimmt werden können. Nafissi sieht in der Darstellung des Theseus mit dem Minotauros einen impliziten Vergleich zwischen Theseus und Herakles, der selbstverständlich zugunsten des Herakles ausgeht. Was das zweite Bild betrifft, so lege die Behandlung der Phäaken in der Odyssee eine stark kontrastierende Darstellung nahe: Der Lebensstil der Phäaken war dem der Spartaner in klassischer Zeit diametral entgegengesetzt. Der amykläische Thron lässt daher vermuten, dass die elitäre Selbstdarstellung eines entspannten, geradezu effeminierten Lebensstils nicht nur als sozial spaltend, sondern wegen ihres kosmopolitischen Charakters auch als fremd gegenüber den lokalen Traditionen betrachtet wurde. Die Ikonographie des Thrones könnte mithin die lokale Perspektive der frühen Entwicklung der spartanischen Austerität, die sonst nur aus nicht-spartanischen Quellen bekannt ist,
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bieten. Indem Theseus als ebenso schwach wie die hedonistischen Phäaken dargestellt wird, betone der Thron zudem die Schwäche Athens. Vier Beiträge befassen sich mit Herodot und seinem Erbe. Der Bogen spannt sich von der Untersuchung der herodoteischen Behandlung traditioneller Überlieferungen über die Frage nach implizitem Wissen und dessen Verarbeitung in Herodots ägyptischem logos bis hin zur herodoteischen Tradition im zweiten Makkabäerbuch und der Rezeption griechischer Geschichtsschreibung wie der Historien Herodots in der römischen Kaiserzeit. In „Traditional Narratives, Historiography, and Truth. On the Historicity of Herodotus’ Histories“ beschäftigt sich Maurizio Giangiulio mit der Frage nach der Struktur der erzählenden Quellen für Herodots Geschichten. Zwar verwende Herodot volkstümliche Geschichten, griechische Mythen und rituelle Handlungen für seine Erzählungen, nutze sie aber nicht als Vorratsräume faktischer Details. Mal weist Herodot explizit auf die von ihm verwendeten Überlieferungen hin, dann aber bestehen auch wieder Zweifel, ob diese Geschichte jemals als abgeschlossene, homogene mündliche Erzählung existiert habe. Oder Herodot nennt keine mündlichen Informanten, und dennoch finden sich traditionelle Erzählungen, Tyrannen- und Orakelgeschichten als Material in seinen Geschichten. Zum Problem werde dies, meint Giangiulio, wenn aus der Art der Erzählung auf deren Historizität geschlossen wird, und zwar besonders dann, wenn man unter Historizität Faktizität versteht. In oralen Traditionen wurden Fakten nicht unabhängig vom Geschichtenerzählen verstanden, so dass es in einer oralen Kultur keine Realität außerhalb der Erzählung gibt. Deshalb können Traditionen wahr im Sinne von glaubhaft sein, ohne faktisch wahr zu sein. So lässt sich kein Kern historischer Wahrheit aus den traditionellen Erzählungen herausschälen: Das hieße, die narrativen Formen selbst zu verwerfen und damit das Wesen der Tradition. Herodots Kommentare zu wiedergegebenen Informationen können daher auch keine Garantie der Historizität als nach historischer Methode eruierter Wahrheit bieten und machen ihn nicht zum kritischen Historiker. Seine Absicht sei vielmehr gewesen, seine redaktionelle Kontrolle über die von ihm wiedergegebenen Geschichten zu demonstrieren und komplexe Erzählungen als glaubhaft hinzustellen. Im Rückgriff auf die phänomenologische und hermeneutische Tradition Diltheys und Husserls versteht Giangiulio Geschichtlichkeit als existentielle Qualität des Menschen, seiner Vergangenheit durch Bewusstsein, Erinnerung und Selbst-Identität Bedeutung geben zu müssen. In diesem Sinne sei die intentionale Geschichte ein Aspekt der Historizität. Historizität sei eben keine Qualität der Vergangenheit als Objekt, sondern des Historikers und seines Bewusstseins. Herodot erkläre nicht seine Gegenwart als Ergebnis der Vergangenheit, sondern sehe die Gegenwart in der Vergangenheit und nehme die Vergangenheit als Vorahnung der Gegenwart. Insgesamt sei für Herodots Verständnis der Menschengeschichte weniger die kritische Haltung des Historikers charakteristisch als seine Behandlung des traditionellen narrativen Materials. Nino Luraghi fragt in seinem Beitrag „Herodotus, Egypt, and the Athenian Expedition“ nach dem Einfluss, den das Wissen über die Aufstände gegen die achämenidische Herrschaft in Ägypten auf Herodots ägyptischen logos ausgeübt haben
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könnte. Zunächst rekonstruiert er das Wissen über die Aufstände der Zeit von Kambyses bis Xerxes, bei denen sich jemand zum Pharao proklamierte. Insbesondere behandelt Luraghi die Revolte des Inaros. Der libysche König Inaros verbündete sich mit Athen, das ihm mit Schiffen zu Hilfe kam. Artaxerxes gelang es jedoch nach einigen Jahren, die Athener zu besiegen. Zu Verwirrungen in der Überlieferung führt die Existenz eines weiteren Inaros, der in demotischen Papyri der ptolemäischen und römischen Zeit vorkommt und während der Anfangsjahre der 26. Dynastie erfolgreich gegen die Assyrer kämpfte. Da die Geschichte bereits im frühen fünften Jahrhundert bekannt war, könnte der Rebell des fünften Jahrhunderts den Namen des älteren Helden angenommen haben. Insgesamt dauerte die Revolte nach Thukydides sechs Jahre, vermutlich war der Delisch-Attische Seebund aber wohl mehr als zehn Jahre engagiert. Man könne davon ausgehen, dass sich Tausende von Athenern und ihren Bundesgenossen in Ägypten, auch jenseits des Deltas, aufhielten. Nach Luraghi müssen diese Ereignisse aufgrund des vorhandenen Wissens im ägyptischen logos Herodots eine gewisse Rolle gespielt haben, aber inwieweit sie tatsächlich den impliziten Hintergrund und Referenzrahmen für den ägyptischen logos bildeten, bleibe zu fragen. Dass Herodot die Revolte des Inaros und die athenische Expedition nicht explizit behandelte, liegt nach Luraghi am zeitlichen Horizont des Werkes, das ja bekanntlich mit der Schlacht von Mykale und der Eroberung von Sestos endet. Herodot habe wohl über genügend Informationen verfügt, aber als der ägyptische logos Teil der Historien wurde, habe er den Plan einer ausführlicheren Behandlung vermutlich aufgegeben. In seinem Beitrag „Das zweite Makkabäerbuch und die Tradition der Perserkriege“ stellt Johannes Bernhardt die These auf, das zweite Makkabäerbuch folge nicht nur den Konventionen der zeitgenössischen griechischen Geschichtsschreibung, sondern inszeniere die Erhebung der Hasmonäer in der Tradition der Perserkriege, und der Autor habe sich dabei an Herodot orientiert. Allerdings will Bernhardt mit dieser These nicht die orientalisch-östliche Tradition gegen die griechischwestliche ausspielen, sondern einen besonders interessanten Fall intentionaler Geschichtsschreibung hervorheben. Im zweiten Makkabäerbuch seien die Judäer die Hellenen, während die neuen Barbaren von den Seleukiden, den eigentlichen Hellenen, dargestellt werden. Diese Umkehrung der griechischen Barbarenantithetik findet sich Bernhardt zufolge im gesamten Buch. Der verschobene Standpunkt zeige sich auch in der Frage nach Erklärungen. Wo Herodot im Prooimion nach den Ursachen des Konflikts zwischen Hellenen und Barbaren fragt, stellen sich für den Epitomator des zweiten Makkabäerbuches alle Erfolge als Folge der Milde des Herrn dar. Bernhardt führt auch die Bildung des Begriffs ‚Ioudaismos‘ im zweiten Makkabäerbuch folgerichtig auf die Auseinandersetzung des Epitomators mit den Begriffen ‚Medismos‘ und ‚Hellenismos‘ zurück. Das zweite Makkabäerbuch gehöre damit in den Kontext der sich etablierenden Hasmonäerherrschaft und deren Revision der judäischen Geschichte. Durch die Verarbeitung der griechischen Tradition betreibe das Buch seine eigene Einschreibung in die Tradition des Orients, wodurch es als mehrfach gebrochener Vexierspiegel zwischen Hellenismus und Persianismus dastehe.
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Im Beitrag „Geschichte zum Geschenk und als Zeitvertreib: Lukians Macrobii und die Frage, warum liest man Geschichte?“ nimmt Alexander Free die pseudolukianische Schrift Macrobii als Ausgangspunkt einer Betrachtung des antiken Interesses an Geschichtsschreibung im Kontext der antiquarisch ausgerichteten Bildungskultur der Kaiserzeit. Die Macrobii sollten persönlich erbauen und exempla zur moralischen Nachahmung bieten, was sie mit der römischen Geschichtsschreibung verbinde, ohne direkt ein historiographisches Werk darzustellen. Free argumentiert, dass in der Kaiserzeit die großen Werke der Geschichtsschreibung des klassischen Griechenlands nicht ausschließlich über die Rhetorik rezipiert wurden, sondern vornehmlich im Kontext antiquarischer Wissbegierde. Neben den Macrobii zieht er Censorinusʼ Werk De die natali heran, das ebenfalls Überlegungen zum Höchstalter des Menschen enthält. Die Verfasser beider Schriften seien professionelle Gelehrte gewesen, die ihre Abhandlungen für ihre jeweiligen Patrone schrieben und in einem Umfeld tätig waren, in dem sie sich mit wissbegierigen Aristokraten austauschten. Jenseits der politischen Partizipation seien Rednerbühne, Literaturbetrieb und Haus zu Orten der Inszenierung eines kultivierten Lebens geworden. Ein zentrales Bildungsthema war hierbei die Geschichte, insbesondere die des fünften und vierten Jahrhunderts v. Chr., die auf der Rhetorenschule gelehrt wurde. Die Macrobii stellten hierzu eine notwendige Ergänzung dar, wobei sie Kenntnisse der Historien Herodots und der Anabasis Xenophons voraussetzten. Die intensive Beschäftigung mit Bildungsinhalten habe der sozialen Distinktion gedient und eine Elite geschaffen, die sich durch Gelehrsamkeit definierte. Die historische Lektüre diente insofern der Wissenserweiterung und als Mittel zum Zeitvertreib und der Muße. Die nächsten beiden Beiträge befassen sich mit „Vergessen und Erinnern“, wobei das Vergessen sowohl eine Strategie der Erinnerung sein kann, als auch ganz neue Bedeutungen hervorruft. Katharina Wojciech widmet sich in ihrem Beitrag „Kollektives Vergessen in Athen. Paul Ricœur und die attische Rhetorik“ den attischen Rednern und deren Bezügen auf die Vergangenheit. Sie fragt nach den Mechanismen der Erinnerungsselektion bei den Athenern, wie sie anhand der öffentlich gehaltenen Reden bei Festen, vor Gericht und der Volksversammlung besonders gut zu erkennen sind. Zur Beantwortung der Frage, warum bestimmte historische Ereignisse unvollständig wiedergegeben wurden und ob die Auslassungen den antiken Zuhörern überhaupt auffielen, zieht Wojciech die drei Formen des Gedächtnismissbrauchs heran, die der französische Philosoph Paul Ricœur unterscheidet. Dem verpflichtenden, dem verhinderten und dem manipulierten Gedächtnis ordnet er jeweils eine Form des kollektiven Vergessens in seiner aktiven, passiven und semi-aktiven Prägung zu. Ausgehend von diesem Modell fragt Wojciech nach spezifischen Formen, Motiven, Funktionen und der Bedeutung des kollektiven Vergessens in Athen. Sie arbeitet dabei vier spezifische Ausdrucksformen des kollektiven Vergessens für die attische Rhetorik heraus: a. Der ausdrückliche Verzicht auf eine den inneren Frieden belastende Erinnerung; b. die Pflege und Weiterentwicklung einer (mythischen) Ersatzerinnerung; c. die tendenzielle Tabuisierung einer problematischen Erinne-
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rung und d. das Resultat einer kontext- und funktionsabhängigen Reduktion respektive Priorisierung von Wissen. Mit Hilfe dieses Modells erklärt sie auffällige Erinnerungslücken sowie die Funktionen dieser Auslassungen. Vermeintliche Erinnerungen lassen sich als Form des kollektiven Vergessens erkennen, und Vergessen manifestiere sich sowohl durch Fehlen als auch durch Anders-Erinnern. Auch wenn ein Vergessen sozial gewollt war, habe in der freien Redekultur der athenischen Demokratie immer die Möglichkeit bestanden, das Vergessen zu unterlaufen: Der Redner konnte an die Notwendigkeit des Schweigens erinnern, er konnte eine nicht mehr präsente Erinnerung aktualisieren, Lücken gezielt einsetzen oder seine Zuhörer irritieren. In ihrem Beitrag „Die Erzeugung von ‚Vergessen‘ in der römischen Historiographie“ geht Verena Schulz der Kunst des Vergessen-Machens in der römischen Historiographie der Kaiserzeit nach. Die römische Geschichtsschreibung eigne sich als Medium besonders, da sie durch das senatorische Selbstverständnis charakterisiert und durch einen starken Vergangenheitsbezug gekennzeichnet sei. Schulz knüpft sowohl an kultursemiotische wie auch systemtheoretische Ansätze an, indem sie sowohl Zeichen und Inhalte der Kommunikation über römische Kaiser als auch ihre Organisation im Medium der Historiographie in den Blick nimmt. Als Beispiele dienen ihr die Erinnerungsfiguren der Kaiser Nero und Domitian, wie sie von Tacitus, Sueton und Cassius Dio entwickelt wurden. Nero wurde vom Friedensfürsten zum weltfernen Künstler, Domitian vom erfolgreichen Feldherrn zum Vortäuscher von Triumphen. Das Vergessen, dem sich Schulz widmet, ist nicht der passive, unbewusste Prozess des Alltags, sondern es enthält sowohl ein aktives wie auch ein passives Element und unterscheidet sich vom Nicht-Erinnern, Verdrängen oder Verzeihen. Durch eine Bedeutungsänderung oder Wahrnehmungskanalisierung könne das Vergessen eines Teilaspektes einer grundsätzlich erinnerten Sache herbeigeführt werden. Dieses Vergessen sei nachweisbar, weil es eine Spur bzw. Lücke zurücklasse. Schulz unterscheidet drei Formen oder Typen: Das Entfernen, das Fokussieren und das Ersetzen. Die Frage nach den Lücken zeige auf, wie Vergessen und Erinnern miteinander verbunden seien. Solange eine Spur des Entfernens zurückbleibe, führe sie zum Erinnern. Beim Fokussieren müsse etwas vergessen werden, damit an etwas erinnert werde. Und beim Ersetzen werde die Lücke überdeckt, um eine alte Bedeutung wie unter einer Decke vergessen zu machen. Der Beitrag von Felix K. Maier zu „Literatur als Erkennens-Erfahrung: Gedanken zur Wesenhaftigkeit von Geschichte“ bildet den Epilog. Indem er zum Nachdenken anregen will, ohne den Anspruch einer vollständigen Ausarbeitung der hier vorgestellten Überlegungen zu erheben, stellt er weniger ein abschließendes Nachwort dar als den Beginn von etwas Neuem. Maier nimmt ein Gespräch mit dem hier Geehrten und Katharina Wojciech zum Anlass, um über die Möglichkeiten nachzudenken, die Literatur zur Erfassung von Geschichte bietet. Können Literatur, darstellende Kunst, Musik oder Film ein tieferes Verständnis von Geschichte in ihrer doppelten Form von res gestae und historia, von Geschehen und Darstellung, erzeugen? Im Erkennen entziehe sich das Wesen der Geschichte, wofür Maier Thomas Manns Metapher des Brunnens der Geschichte heranzieht: Je tiefer man
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schürfe, desto mehr weiche der Boden zurück. Im Akt des Durchlebens eines historischen Erkenntnisprozesses erspüre man etwas, was sich nicht einfach theoretisch erfassen lasse. Diese Erfahrung fasst Maier in den Begriff der „Erkennens-Erfahrung“. Anhand einiger Beispiele aus der Literatur stellt er das produktive Wechselspiel von Geschichte und Literatur als Erkennens-Erfahrung und seiner Effekte vor. Maier geht es nicht um die Frage nach der angemessenen Darstellung von Vergangenheit, sondern um die Frage, ob wir durch Literatur die Wesenhaftigkeit der Geschichte, ihre metaphysischen Aspekte, besser verstehen. Den Gleichgültigkeitscharakter der kontingenten und ergebnisoffenen Geschichte erläutert Maier an Laurence Sternes „Leben und Ansichten des Tristram Shandy, Gentleman“, die sich durch eine nicht-kausale Erzählweise und paradoxe Erklärungen auszeichnet. Lew Tolstojs „Krieg und Frieden“ oder Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ seien Beispiele dafür, wie das unverwirklichte Mögliche dargestellt werden könne. Die Illusion einer vollständigen Beschreibung der Wirklichkeit sei durch James Joyces „Ulysses“ ein für alle Mal desavouiert worden; die scheinbar lückenlose Darstellung lasse die Lücken besonders schmerzhaft empfinden. Wenn wir über vergangene Zeiträume schreiben, werde die Differenz zwischen Dargestelltem und nicht Dargestelltem immer größer, der Brunnenboden werde nicht zur Linie, sondern zum Horizont. Die Wesenhaftigkeit der Geschichte, ihre Metaphysik, das Innere der Geschichte lasse sich nicht mit reiner Wissenschaft und Theorie erschließen. Der Historiker, so meint Maier, solle Künstler sein, weil er sich Geschichte durch Kunst, in diesem Fall durch Lektüre von Literatur aneignen müsse. Mit diesem Appell zum Genuss literarischer Werke endet ein Sammelband, der verschiedene Aspekte des Umgangs mit Vergangenheit behandelt. Von heroischen Erzählungen über Auseinandersetzungen mit dem ersten Historiker und dessen Erbe bis zum Vergessen als Form der Erinnerung verbindet alle Themen die Suche nach einem angemessenen Verständnis der Vergangenheit. Hans-Joachim Gehrke verfolgt diese Frage schon sein Leben lang. Die griechische Geschichtsschreibung, ihre intellektuellen Fundamente und ihr soziopolitischer Kontext forderten Gehrke stets zu neuen Überlegungen heraus. Die enge Verbindung von Geschichtserzählungen und Gründungsmythen mit der Identität einer sozialen Gruppe führte zum Begriff der „intentionalen Geschichte“. Immer wieder beschäftigten ihn insbesondere die griechischen Historiker, die nicht nur die Grundlagen zu unserer Wissenschaft gelegt haben, sondern auch kunstvoll erzählen konnten. Möge diese Sammlung von Analysen, Überlegungen und Betrachtungen zu antiker Historiographie und Vergangenheitsvorstellungen dem hier Geehrten Freude machen.
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DANKSAGUNGEN Nicht zuletzt soll all denen gedankt werden, ohne die weder die Tagung noch der Sammelband möglich gewesen wären. Die Tagung wäre nicht so reibungslos verlaufen, hätten nicht unzählige studentische Hilfskräfte, Studierende und Mitarbeiter*innen des Seminars für Alte Geschichte mit vollem Einsatz zum Gelingen beigetragen: Roberta Ahlers, Ines Bantle, Felix Banzhaf, Carolin Gschlecht, Peter Hart, Esther Hauth, Clara Hillebrecht, Bruno Kaut, Matthias Kuta, Lars Lenius, Mark Marsh-Hunn, Pascal Matheus, Angela Osthoff, Eva Pasch, Philip Schaefer, Christopher Seiberlich, Hendrik Stanway, Philip Straub, Benjamin Wieland, Johannes Wetzel, Julia Wilm, Sandra Worschech. Besonders hervorheben möchte ich Mirjam Lober, die die Gestaltung des Plakats und des Programms übernommen hat. Ganz besonders danke ich Andrea Heinemeier, die, wie immer, während der Tagung alles im Blick hatte und im Vorfeld für leibliches Wohl und den reibungslosen Ablauf der Tagung sorgte, und Stefan Baake, der sich um Organisation und Finanzen der Tagung kümmerte. Zum Erscheinen des hier vorliegenden Tagungsbandes hat insbesondere Ricarda Berthold beigetragen, die durch ihr professionelles Lektorat und die graphische Gestaltung diesen Sammelband zu einem ansehnlichen Buch hat werden lassen. Annika Stehle kümmerte sich verantwortungsvoll um die redaktionelle Überarbeitung der Beiträge. Der Alexander von Humboldt-Stiftung danke ich für die Unterstützung bei den Aufenthaltskosten der Humboldtianer*innen unter den Teilnehmer*innen der Tagung und der Stiftung Humanismus heute für ihren finanziellen Beitrag zum Gelingen einer ebenso stimmungsvollen wie arbeitsintensiven Tagung. Der Gerda Henkel Stiftung gebührt ein ganz besonderer Dank für die Unterstützung des ganzen Unternehmens und den ansehnlichen Beitrag zu den Publikationskosten.
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Achim, Typus Herodot
Achim, Typus Thukydides
Achim, Typus Sima Qian
© für die Fotomontagen Luther Karper
PATRES HISTORIAE? DIE ANFÄNGE KRITISCHER GESCHICHTSSCHREIBUNG IN VERGLEICHENDER PERSPEKTIVE Kurt A. Raaflaub Magnifizenz, Spectabilis, collegae, commilitones, feminae et viri illustres, Ich bedanke mich sehr herzlich für die Einladung, am heutigen Anlass zu sprechen. Welch schönere Weise kann es geben, einem Freund ein Geburtstagsgeschenk zu bereiten! Freilich gestehe ich, dass die Aufgabe, dem Festakt zu Ehren von Achim Gehrke auch von wissenschaftlicher Seite Würde zu verleihen, mir nicht geringes Kopfzerbrechen verursacht hat, zumal, wenn dies in Verbindung mit einer Tagung über antike Geschichtsschreibung geschehen soll. Denn der honorandus hat ja gerade diesem Bereich wegweisende Impulse verliehen, und der Begriff der ‚intentionalen Geschichte‘ ist untrennbar mit seinem Namen verbunden. Er ist also vielleicht nicht ein pater, aber doch unzweifelhaft ein magister historiae. Was aber kann ich einem solchen Meister bieten, das er nicht schon längst weiß und dank seines, wie man sieht (s. vorige Seite), stupenden Einfühlungsvermögens in seine antiken Vorgänger gewiss auch profunder, eleganter und mit theoretischer Raffinesse darbieten könnte? In dieser Lage hilft nur die Flucht nach vorn, ins Abenteuer der vergleichenden Geschichtsforschung, und der wollen wir uns hier widmen. EINLEITUNG Christian Meier charakterisiert die wesentliche Leistung der griechischen Historiker als „multi-subjektiv und kontingenz-orientiert“. Gehrke betont Intentionalität, das Potenzial, Identitäten zu schaffen. So wichtig diese Kriterien sind, ich greife heute ein anderes heraus, das bereits antike Diskussionen geprägt hat. Cicero nennt Herodot „Vater der Geschichtsschreibung“ (pater historiae). Dichtung, sagt er, soll Vergnügen bereiten, aber für Geschichte gilt das Prinzip der Wahrheit – unter zwei Gesetzen. Der Historiker darf sich nicht getrauen, von der Wahrheit abzuweichen, und nichts auslassen, das wahr ist. Aristoteles traf eine andere Unterscheidung: Dichtung erzählt, was geschehen könnte, und betont Allgemeingültiges, Geschichte aber, was geschehen ist, und Spezifisches. Cicero war zweifellos mit dieser Unterscheidung vertraut, aber er folgte einer anderen Autorität: dem Historiker Thukydides. Thukydides distanziert sich von Dichtern und Geschichten-Erzählern, deren Quellen nicht überprüfbar sind, will nicht Vergnügen bereiten, sondern nützliches Wissen vermitteln. Er rekonstruiert den wahren Ablauf der Geschichte, indem er
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sich für das Selbsterlebte auf sein eigenes Wissen verlässt und für alles andere Zeugenberichte mit größter Sorgfalt prüft. Was Thukydides hier explizit als Prinzip formuliert, findet sich implizit, in praktischer Anwendung, bei Herodot. Wenn dieser zwischen widersprüchlichen Berichten zu wählen hat, erklärt er oft die Gründe für seine Entscheidung; er lässt den Leser ausdrücklich an seinem Denkprozess teilnehmen, wenn er ihm nicht gar die Entscheidung überlässt. Das Resultat ist bei beiden Historikern ‚kritische Geschichtsschreibung‘ im Sinne einer kritischen Überprüfung der Quellen und ihrer Aussagen im Dienst der Suche nach historischer Wahrheit. Während etwa Homer sich für seine ‚historische‘ Erzählung auf eine äußere Autorität (die Muse) beruft, verlassen sich die Historiker ganz auf ihr eigenes Urteil. Dementsprechend ist es eine Bedingung solcher Geschichtsschreibung, dass die kritische Absicht des Verfassers explizit oder implizit im Text erkennbar ist. In der griechischen historischen Tradition war diese Betonung eines kritischen Zugangs zu historischer Wahrheit neu. Natürlich kann ‚kritisch‘ auch eine kritische Einstellung bezeichnen: gegenüber Personen, Staaten, politischen Strukturen sowie bestimmten Maßnahmen und Handlungen, wie wir sie etwa in Herodots Ablehnung der absoluten Macht von Tyrannen oder persischen Königen und in Thukydides’ Reaktion auf die athenischen Demagogen finden. Solche Kritik war freilich nicht neu: Sie ist schon in Homers Epen klar zu sehen. Heute geht es mir nicht um solche Kritik, sondern eben um den Versuch, mittels einer kritischen Überprüfung der Quellen die historische Wahrheit zu erkennen. Vor diesem Hintergrund stelle ich zwei Fragen: ob und wieweit es für solche ‚kritische Geschichte‘ anderswo in der globalen antiken Welt Parallelen gibt und, wenn ja, ob auch die Entstehungsbedingungen solch ‚kritischer Geschichte‘ identisch oder zumindest ähnlich sind. Dies sind keineswegs rhetorische Fragen. Die Griechen waren ja nicht allein. Geschichtsschreibung findet sich in vielen antiken Kulturen in aller Welt, zum Beispiel in Mesopotamien und vielleicht Ägypten seit der Mitte des dritten, bei den Hethitern seit der Mitte des zweiten und in China vor der Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. Meine These ist, erstens, dass in den meisten Fällen die herrschenden sozialen und politischen Strukturen nur ein sehr beschränktes Verständnis von Geschichte zuließen. Nach diesem Verständnis wurde Geschichte generell von Herrschern ‚gemacht‘. Um sie zu verstehen, brauchte man nur auf die Entscheidungen und Handlungen dieser Machthaber zu achten – und allenfalls auf die der dahinterstehenden Götter. Es war deshalb unnötig (oder gar unmöglich), die Zeugnisse über diese Herrscher kritisch zu prüfen oder tieferschürfende Fragen über historische Kausalität oder Kontingenz zu stellen. Dies nenne ich das ‚monarchische Grundmuster‘ in der antiken Geschichtsschreibung. Im Gegensatz dazu – dies ist meine zweite These – entwickelten unter außergewöhnlichen und keineswegs identischen Bedingungen nur die Griechen und Chinesen komplexere und kritischere Formen von Geschichtsschreibung. Dies ist ein großes Thema. Ich habe wenig Zeit und konzentriere mich deshalb auf drei Fallstudien: Mesopotamien, Griechenland und China. Um das monarchische Grundmuster zu illustrieren, beginne ich mit Mesopotamien.
Patres Historiae? Die Anfänge kritischer Geschichtsschreibung
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MESOPOTAMIEN Die Mesopotamier, schreibt Piotr Michalowski, entwickelten in ihren Schriften keinen ‚Metadiskurs‘. Es gibt deshalb keine Abhandlungen, theoretische Überlegungen oder philosophische Texte. Dies heißt nicht, dass die Mesopotamier keine solchen Überlegungen anstellten und sich nicht mit ihrer Umwelt auseinandersetzten, sondern nur, dass sie solche Überlegungen nicht in analytischer Prosa, sondern in Form von Dichtung, Listen oder Ereignisbeschreibungen ausdrückten. Geschichtstheoretische oder -philosophische Gedanken, wie wir sie in starken Ansätzen bereits bei den frühen griechischen Historikern finden, sind deshalb von vornherein nicht zu erwarten. Ein früher historischer Bericht findet sich auf der ‚Geierstele‘. Sie beschreibt den Sieg des Königs von Lagaš, Eannatum, über das benachbarte Umma. Reliefs zeigen den König, der seine Armee in dichten Reihen in die Schlacht führt, den Gott Ningirsu, der Feinde in einem Netz einfängt, und Geier, die mit Körperteilen gefallener Feinde in ihren Schnäbeln über dem Schlachtfeld kreisen. Der Text erklärt: Eannatum, Liebling der Götter, wird von Ningursu aufgefordert, gegen den König von Umma, der sich an Lagaš vergangen hat, zu Felde zu ziehen. Eannatum führt seine Armee persönlich in die Schlacht, kämpft heldenhaft an der Front, vernichtet die Feinde und erobert mit göttlicher Hilfe Städte und Länder. Historische Kausalität ist hier einfach und direkt: feindliche Aktion provoziert göttliche und königliche Reaktion. Wille und Handlung des Königs sind entscheidend, und der König selbst schreibt seine Geschichte. Im monarchischen Grundmuster dominiert die Perspektive vom König her und auf den König hin. Dieses Grundmuster erhielt sich im Wesentlichen über zweitausend Jahre. Auch wenn es später erweitert und mit dramatischen und literarischen Kunstmitteln wie direkten Reden ausgeschmückt wurde, blieb der Zweck dieser Darstellungen, den Ruhm des Königs und seines Gottes zu feiern, gleich. Weil es der Bericht des Königs war, beschränkte er sich auf die Gegenwart oder die jüngste Vergangenheit. Gewiss, etwa die Königslisten erfassten eine tiefe Vergangenheit, und alte Texte mit (vermeintlichem oder wirklichem) historischem Gehalt wurden immer wieder kopiert, aber niemand hätte daran gedacht, eine ‚Geschichte Assyriens‘ oder der ‚Entstehung und Zerstörung des babylonischen Reiches‘ zu schreiben. Als die Neubabylonier das assyrische Reich eroberten, erneuerten die Könige die Erinnerung an die Könige Altbabyloniens ein Jahrtausend zuvor, um sich an diese großen Vorbilder anzuschließen, aber der Gedanke, eine zusammenhängende Geschichte etwa von Hammurabi über den Aufstieg und Fall von Königen und Reichen bis zum gegenwärtigen Höhepunkt zu schreiben, lag außerhalb des Horizonts dieser Zeit – nicht weil es an Fähigkeit oder Kreativität gefehlt hätte, sondern weil sie nicht benötigt wurde.
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Kurt A. Raaflaub
DIE ERSTEN GRIECHISCHEN HISTORIKER Vor diesem Hintergrund kehre ich kurz zu den Griechen zurück, um einige im Folgenden wichtige Aspekte hervorzuheben. Die frühen Griechen kannten gewisse nahöstliche epische Traditionen, wussten aber nichts von den historischen Texten. Ihre Welt unterschied sich zutiefst von der der nahöstlichen Reiche; sie bestand aus einer Vielzahl von Bürgergemeinden (poleis), denen hierarchische Strukturen fremd waren. Wo in den frühen Gedichten von Geschichte (im Gegensatz zu Mythen) die Rede ist, hören wir dementsprechend von Gründungen neuer Poleis und Konflikten zwischen Poleis, von Heldentaten und Lokalgeschichte. Herodot und Thukydides waren die ersten Verfasser umfangreicher und komplexer Prosa-Geschichtswerke. Sie betraten unerforschtes Territorium und waren gezwungen, radikale Neuerer zu sein. Dies ist ihnen gemeinsam; ich behandle sie deshalb trotz großer Unterschiede zusammen und betone einige ihnen gemeinsame Charakteristika. Erstens: das Thema. Beide Historiker waren durch die Erfahrung eines großen, epochalen Krieges motiviert; sie schrieben in einen weiteren Zusammenhang eingebettete Kriegsmonographien, in ihrem eigenen Namen und als persönliche Werke. Zweitens: Kausalität. Herodot kombiniert ein universales Bemühen, die Erinnerung an große Leistungen wachzuhalten, mit einem zentralen ‚Weshalb?‘ – weshalb es zum Perserkrieg kam. Um die Antwort herzuleiten, konstruiert er eine von der unmittelbaren in die ‚tiefe‘ Vergangenheit reichende Kausalität und ein komplexes Organisationsschema. Bei Thukydides ist das ‚Weshalb?‘ impliziert. Er beweist die einzigartige Bedeutung ‚seines‘ Krieges und erklärt ihn mit einer dreifach gestaffelten Kausalität, die zwischen unmittelbarem Grund des Ausbruchs, unmittelbarem oder vorgegebenem Grund des Krieges und tieferem, wirklichem, „am meisten wahrem“ Grund (alēthestatē prophasis) des Krieges unterscheidet. Das andere ‚Weshalb?‘, ebenfalls impliziert, betrifft die Frage, weshalb die Athener einen Krieg verloren, den sie hätten gewinnen müssen – wie Herodot klarmacht, weshalb die Griechen einen Krieg gewannen, den sie eigentlich hätten verlieren müssen. Das emphatische ‚Weshalb?‘, das am Anfang des griechischen historischen Unternehmens steht, hat weitreichende Konsequenzen für die Art, wie hier mit Geschichte umgegangen wird. Drittens: Methodologie. Beide Autoren stützen sich primär auf mündliche Quellen und entwickeln zu deren Bewertung neue Methoden. Wir sahen bereits, dass beide ihr Publikum an ihren Methoden teilhaben lassen, somit methodologisch explizit sind. Als Folge ist Herodot häufig in eigener Person in seinem Werk sichtbar, während Thukydides nur am Anfang persönlich erscheint. Viertens: Geschichtsphilosophie. Diese beruht bei Herodot auf der Einsicht, dass Geschichte nicht geradlinig, sondern in stetem Auf und Ab verläuft: Menschlicher Erfolg dauert nie lange. Dies gilt für Gemeinden, Reiche und Individuen. Über dem Kaleidoskop von Ereignissen, aus denen sich ‚Geschichte‘ zusammensetzt, anerkennt Herodot den Einfluss eines ‚göttlichen Elements‘ und von ‚Faktoren‘, die die Geschichte vorantreiben (wie den steten Konflikt zwischen Machthunger und Freiheitsstreben). Auch für Thukydides ist der Aufstieg und Niedergang
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von Reichen entscheidend: Hegemonie wandelt sich in Herrschaft, deren unaufhaltsame Eigendynamik schließlich zum Zusammenbruch führt. Auch hier ist der Konflikt zwischen Macht und Freiheit der treibende Faktor. Was zählt, sind Politik und Krieg. Das göttliche Element weicht dem Schicksal. Fünftens: die Aktualität der Geschichte. Herodot arbeitet in seinem Vergangenheitsbericht gewisse sich wiederholende Grundmuster heraus, die zentrale Vorgänge seiner Gegenwart beleuchten und zeigen, wie wichtig Kenntnis der Vergangenheit für das Verständnis dieser Gegenwart ist. Ein Paradebeispiel ist der unaufhaltsame und in seiner Maßlosigkeit zuletzt immer zum Scheitern verurteilte Expansionsdrang aller Perserkönige, der ominöses Licht auf die athenische Machtpolitik in Herodots Zeit wirft. Wieder ist es Thukydides, der dieses Prinzip expliziert: Vorgänge wiederholen sich – nicht in identischer, aber ähnlicher Weise, eben in Grundmustern, weil die Vielfalt historischer Ereignisse ein stabiles Element enthält: die Menschennatur. In ähnlichen Situationen verhalten sich die Menschen ähnlich. Wer weiß, wie Menschen in der Vergangenheit auf typische Situationen reagierten, kann sich auf künftige Herausforderungen ähnlicher Art vorbereiten. Dies verleiht der Geschichte ihren Nutzen, wie Thukydides es in seiner tiefdringenden Analyse wichtiger politischer Phänomene demonstriert – einer Technik, die auch Herodot nicht unvertraut ist. Im Dienste dieses Anliegens scheuen sich die Historiker dann auch nicht, dem Leser die zeitgenössische Bedeutung historischer Vorgänge durch narrative Erweiterung, Veränderung oder gar Fiktion noch deutlicher zu machen. Schließlich sechstens: das Publikum. Alles, was ich bisher über die charakteristische Denk- und Arbeitsweise dieser Historiker gesagt habe, wäre nicht möglich gewesen ohne die kritische Einstellung, die sie gegenüber ihren Quellen, ihrem Gegenstand, ihrer Gegenwart und ihrer Vergangenheit entwickelten. Sie waren überzeugt, dass ihr Tun für ihr Publikum große Bedeutung hatte – Thukydides betont ausdrücklich den Nutzen seines Werks als eines „Besitzes für immer“ (ktēma es aiei). Dieses Publikum war groß. Herodot wandte sich an ein panhellenisches Publikum und gab öffentliche Vorträge. Thukydides schrieb für „alle die genau verstehen“ wollten, was geschah, d.h. zumindest die gebildete Oberschicht der griechischen Welt. EINE UNABHÄNGIGE HISTORISCHE TRADITION: DAS FRÜHE CHINA Eine unabhängige und völlig andersgeartete Tradition der Historie entstand im frühen China. Es fragt sich, ob sich dort etwas findet, das mit der griechischen ‚kritischen Geschichte‘ vergleichbar ist. Erinnerungen an historische Ereignisse und Persönlichkeiten, Worte und Taten, erhielten sich in verschiedenen schriftlichen Kollektionen, die Material aus der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr. enthielten und für die Berater von Herrschern und Ministern eine wichtige rhetorische und didaktische Funktion als Beispielsammlungen erfüllten.
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Vor der Einigung Chinas durch den ersten Kaiser im Jahre 221 v. Chr. bestand das Land aus einer Mehrzahl von Staaten, die alle ihre Astronomen (shi) hatten, die für den Kalender, Ahnenkult und Rituale verantwortlich waren und mancherorts diese wie auch politische Vorgänge regelmäßig aufzeichneten. Die älteste erhaltene ‚Chronik‘ dieser Art sind die Frühlings- und Herbst-Annalen (Chunqiu) des Staates Lu, die chronologisch nach den Jahren von zwölf Herrschern von 722 bis 481 angeordnet waren. Sie enthalten eine nüchterne Liste von Herrschaftsantritten, dynastischen Heiraten und Todesfällen, formellen Staatsbesuchen, Verträgen, Schlachten, Intrigen, Rebellionen, Opfern, astronomischen Beobachtungen und Naturkatastrophen. Man denkt hier an die elementaren jährlichen Aufzeichnungen (Annalen) der römischen Priester. Weil das Chunqiu angeblich vom großen Philosophen Konfuzius bearbeitet worden war, stand es in hohem Ansehen. In seinen Formulierungen, glaubte man, verbargen sich tiefe Sinninhalte. Dies verlangte nach Erklärung und Erweiterung, die von verschiedenen Kommentaren geliefert wurden. Einer davon, das Gongyang, genoss unter der Regierung der Han-Kaiser offizielle Anerkennung – mit gutem Grund. In einer unverhohlen ahistorischen Tendenz wurde hier die Frühlingsund Herbstperiode als eine Zeit des steten Fortschritts auf einen immer weiterreichenden Frieden dargestellt – obschon sie in Wirklichkeit von Krieg und Unordnung geprägt war. Das Werk diente somit den politischen und ideologischen Interessen des neu geeinigten Han-Reiches. Ein Strang der frühen chinesischen Historiographie machte sich somit das „monarchische Grundmuster“ zu eigen: Geschichte, die ganz von der Perspektive vom Herrscher her und auf den Herrscher hin dominiert war. Die Herrscher wussten um das Potenzial der Historie, indirekt Lob oder Kritik zu vermitteln – und die Chronisten um die Gefahr, die ihnen drohte. Sie versuchten deshalb mit raffinierten Mitteln, ihre Kritik zu verschleiern, was umgekehrt Versuche provozierte, in harmlosen Formulierungen verborgene Sinninhalte zu entdecken. Der erste Kaiser räumte mit dem allen radikal auf: Er richtete Hunderte von Gelehrten hin und ließ massenweise Bücher mit historischem Inhalt verbrennen. Außerdem zogen gewisse philosophische Richtungen die Funktion der Historie, für die Gegenwart wesentliche Lehren zu vermitteln, in Zweifel. Aber es gab gegenläufige Tendenzen. Der wichtigste der Chunqiu-Kommentare, das Zuozhuan, benützte die Chroniken anderer Staaten, um eine breit-integrierte, weite Teile des Landes umfassende narrative Geschichte zu produzieren, die in chronologischer Präzision und im Detail der Erzählung präzedenzlos war. Ich habe freilich in diesem Werk kaum etwas gefunden, das man nach unserer Definition als „kritische Geschichte“ bezeichnen könnte. Aber das Zuoshuang diente keinen unmittelbaren politischen Zwecken und war eine unabdingbare Voraussetzung für eine noch viel bedeutendere Leistung.
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SIMA QIANS AUFZEICHNUNGEN DES CHRONISTEN (SHI JI) Dies bringt uns zu Sima Qian (145–86 v. Chr.), dem Autor des monumentalen Shi ji (Aufzeichnungen des Chronisten). Sein Vater, Sima Tan, ebenfalls Hofastronom und -chronist, hatte den Plan einer umfassenden Geschichte der bekannten Welt gefasst – ein Konzept von ‚China‘ war damals noch unbekannt –, die zweitausend Jahre vom legendären ‚Gelben Kaiser‘ bis zu seiner eigenen Zeit umfassen sollte; sein Sohn führte diesen Plan aus. Obwohl die Simas die kaiserlichen Archive und Bibliotheken benutzen konnten, war ihr Unternehmen ganz privat: Es drückte, wie Sima Qian sagt, „die Meinungen (oder Interpretationen) einer einzigen Familie aus“, d.h., es interpretierte die alten Überlieferungen aus der Sicht seiner Familie. Die Geheimhaltung des Werkes hatte ihren Grund. Sima Qians Einstellung seinem Kaiser gegenüber war äußerst kritisch, nicht nur aus politischen Gründen, sondern auch wegen einer vernichtenden persönlichen Erfahrung. Sima hatte sich im Kronrat mit einer aufrichtigen, aber unpopulären Meinung unbeliebt gemacht, wurde zum Tode verurteilt und wählte, weil ihm die Mittel fehlten, sich von dieser Strafe freizukaufen, die mit tiefstem Ehrverlust verbundene Alternative der Kastration – um sein dem Vater gegebenes Versprechen erfüllen und sein Werk vollenden zu können. Er wurde später rehabilitiert, aber sein Werk ist weder aus der Sicht des Kaisers geschrieben noch propagiert es Reichspolitik und -ideologie. Das Shi ji beruht auf breitester Kenntnis früherer historischer Literatur und dokumentarischer Quellen sowie auf Autopsie und Zeugenbefragung auf Reisen durch weite Teile des Reiches. Sein Aufbau ist komplex. Reichs-Annalen erzählen die Geschichte der Herrscher von den Anfängen bis zur Gegenwart. Chronologische Tabellen synchronisieren die Ereignisse jedes Jahres in den verschiedenen Staaten. Abhandlungen analysieren wichtige Themen. Weitere Teile behandeln die Geschichte der Staaten und ihrer Dynastien, und Biographien diskutieren Leben und Einfluss von Hunderten von Individuen und Gruppen. Diese Kategorien waren nicht neu, aber ihre Kombination zu einer multi-perspektivischen Großgeschichte war Sima Qians Erfindung und eine enorme Leistung – nicht zuletzt, wenn man bedenkt, dass das Manuskript aus Tausenden von Bambusstreifen bestand. Diese Struktur bringt es mit sich, dass Ereignisse oder Personen oft an verschiedenen Stellen und aus verschiedenen Perspektiven behandelt werden. Dies macht die Verwendung des Werkes schwierig, was schon in der Antike kritisiert wurde. Für Sima selber verkörperte diese Struktur tiefen Sinn: Jedes Kapitel hatte seinen genau bestimmten Platz. Dass er im Bewusstsein der massiven Zerstörung historischer Texte durch den ersten Kaiser die geradezu enzyklopädische Bewahrung historischer Erinnerungen anstrebte, scheint klar. Ich denke hier an Herodots Absicht, große Taten von Griechen oder Barbaren vor dem Vergessen zu bewahren. Herodot bettete dies alles in einen großen Erzählzusammenhang ein. Die völlig andere Struktur von Simas Werk erklärt sich jedenfalls aus dem anderen kulturellen Kontext. Aber weshalb er sich entschied, sein immenses Material gerade auf diese Weise zu systematisieren und damit sicher auch gewisse assoziative Sinnzusammenhänge zu schaffen, scheint mir noch nicht völlig geklärt.
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Fünf Aspekte in Simas Werk sind in unserem Zusammenhang besonders wichtig: didaktische Absicht, kritische Methode, historische Kausalität, historische Grundmuster und historische Wahrheit. Erstens, didaktische Absicht. In einem seiner Kommentare schreibt Sima: „Von diesen zehn Männern mögen die, die ehrlich waren, als Beispiele guten Verhaltens, die Korrupten aber als Warnung dienen.“ Ähnliches liest man im Vorwort des römischen Historikers Livius. Wir sahen bereits, dass die Absicht, Lehren aus der Geschichte zu vermitteln, eine lange Tradition hatte. Sie durchzieht auch Simas Werk, wendet sich an alle Schichten, aber vor allem an die Hochstehenden, denen das Shi ji eine wahre Enzyklopädie guter und schlechter Regierung bietet. Überall kann man etwas lernen, sagt Sima, sogar in von Krieg und Chaos erschütterten Epochen. Zweitens, kritische Geschichte. Wie Herodot ist auch Sima ständig in seinem Werk präsent. Am Ende der meisten Kapitel bietet er persönliche Kommentare, die je nach Zusammenhang Zweck und Absicht erklären, wichtige Aspekte oder Lehren hervorheben, moralische Urteile fällen oder die Art und Qualität der verwendeten Quellen diskutieren. Unter philosophischem Einfluss dient Simas kritische Kapazität mehrheitlich der moralischen Beurteilung. Die Zuverlässigkeit seiner Quellen akzeptiert er öfter, als man dies erwarten würde, vielleicht aus Respekt für eine lange Tradition als autoritativ anerkannter historischer Texte. Er präsentiert sich als Überlieferer des zu Erhaltenden, nicht als Schöpfer von Neuem. Wo er es aber mit der jüngsten Vergangenheit zu tun hat, bietet er, wie Herodot, Einblick in seine Werkstatt: Er erklärt, welchen Quellen er folgt und weshalb, betont, dass er nur festhält, was gewiss ist und in Zweifelsfällen lieber nichts sagt, oder korrigiert Fehler in der Überlieferung. Wir sprachen von Reisen, Autopsie und Zeugenbefragung. Seine methodologischen Prinzipien fasst er nicht, wie Thukydides, in einem „Methodenkapitel“ zusammen, aber einige seiner Kommentare kommen dem recht nahe, und insgesamt besteht kein Zweifel, dass Sima auf einem hohen Niveau methodischen Bewusstseins arbeitete. Drittens, historische Kausalität. In einem schnellen Machtaufstieg, schreibt Sima, errichtete der erste Kaiser seine Herrschaft über das ganze Land. Aber dann „rief ein einziger Mann … zum Widerstand auf, und die sieben Ahnentempel stürzten, der Herrscher starb eines gewaltsamen Todes, und das Reich wurde zur Zielscheibe allgemeinen Gespötts. Weshalb? Weil man es versäumte, mit Menschlichkeit und Rechtschaffenheit zu regieren, und weil man nicht wahrnahm, dass die Fähigkeit anzugreifen und die, das Gewonnene zu halten, nicht identisch sind.“ Hier ist das ‚Weshalb?‘ explizit, meist ist es implizit. Und meist ist die Antwort, dass eine mächtige Person trotz anfänglicher Erfolge versagte, weil sie vom altbewährten Weg rechten Handelns abwich. Viertens, der Aufstieg und Niedergang von Dynastien beruhen auf einem zyklischen Grundmuster, das der Verwendung solcher Grundmuster durch die griechischen Historiker entspricht. Anfängliche gute Herrschaft aufgrund guter Prinzipien verschlechtert sich im Lauf der Nachfolge, bis die korrumpierte Dynastie in einer gewaltsamen Erhebung von einem guten Herrscher ersetzt wird, der aufgrund tugendhafter Prinzipien die gute Ordnung wiederherstellt – und der Zyklus beginnt von Neuem. Dieses Muster diktiert auch die Darstellung der Qin-Dynastie, die es
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versäumte, die Fehler ihrer Vorgänger zu korrigieren, und deshalb nicht dauern konnte, und die des Aufstiegs einer neuen Dynastie, der Han. Die ersten beiden Han-Kaiser erscheinen als ideale Herrscher – in scharfem Kontrast nicht nur zu den Qin-Vorgängern, sondern auch zu einem Nachfolger, unter dessen gewaltsamer Willkürherrschaft Sima selber zu leiden hatte. Fünftens, wie sich diese negative Erfahrung auf den Historiker und sein historisches Wahrheitskonzept auswirkte, erfahren wir am Ende seines Werks. Sein Körper war ruiniert, seine Karriere zerstört. Er zog sich emotional zurück und konzentrierte sich auf die Beispiele früherer Meister. „Die, die [in früheren klassischen Werken] verschleierte Kritik äußerten, wollten ihren Gefühlen Ausdruck geben … Die meisten dieser Werke wurden verfasst, als edle und weise Männer sich von Zorn und Enttäuschung befreien mussten. Sie alle kämpften mit etwas, das sie aufwühlte und daran hinderte, ihren Weg zu finden. Sie schrieben deshalb Berichte über vergangene Ereignisse, in der Hoffnung, dass künftige Leser sie verstehen würden“, d.h., fähig sein würden, zwischen den Zeilen zu lesen. Das ist ungemein wichtig. Was immer sonst Sima Qian zu seinem gewaltigen Unternehmen motivierte, in seiner Koda betont er Zorn und Enttäuschung über gegenwärtige Bedingungen. Die erste umfassende, detaillierte, multiperspektivische und kritische Geschichte wurde von einem desillusionierten Regierungsbeamten aus persönlicher Frustration und in völlig privater Kapazität verfasst. Sima wollte damit den Aufstieg und Sturz von Staaten und Persönlichkeiten analysieren – in steter impliziter (und oft expliziter) Auseinandersetzung mit den guten und schlechten Aspekten, die er in Politik, Herrschern und Gesellschaft seiner Zeit wahrnahm. Wie wir sahen, spielte das „monarchische Grundmuster“ in der Tradition chinesischer Geschichtsschreibung eine wichtige Rolle. Aber der Durchbruch zu einer neuen Form von Historie kam von einem Historiker, der intellektuell unabhängig und seiner Zeit gegenüber kritisch eingestellt war – auch wenn wegen der tief eingesessenen Strukturen, Traditionen und Werte seiner Gesellschaft jede Alternative zur Monarchie jenseits seines Horizonts lag. Was bedeutet all dies nun für Sima Qians Konzept der historischen Wahrheit? Auch dieses Problem hatte eine lange Geschichte. Grundsätzlich nahm man die Verpflichtung der Chronisten, sich an die Wahrheit zu halten, sehr ernst. In einer berühmten Episode schrieb ein Chronist, dass ein Usurpator seinen Herrscher umgebracht hatte – er wurde deswegen hingerichtet. Sein Bruder schrieb dasselbe und erlitt dasselbe Schicksal. Einem dritten Bruder ging es nicht anders. Als sich ein vierter Bruder meldete, gab der Usurpator schließlich nach. Ohne Zweifel war das Ideal des wahrheitsgemäßen Berichtens auch für Sima Qian verpflichtend – auch wenn er es meines Wissens nie explizit formuliert. Umgekehrt finden sich freilich in den Chunqiu-Kommentaren Hinweise auf einen gegenläufigen Trend. Verschiedene Gründe konnten einen Chronisten veranlassen, die wahrheitsgemäße Widergabe sorgfältig eruierter Fakten zu unterschlagen: das Ansehen des eigenen Herrschers oder Staates, rituelle oder religiöse Motive, eine bestimmte Interpretationstendenz oder einfach das Bemühen, sich nicht selber zu gefährden. Diese Tendenz ist gelegentlich auch im Shi ji sichtbar. Mindestens zum Teil scheint man sich zudem auch hier, wie bei den Griechen, nicht vor
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narrativer Erweiterung und sogar Fiktion gescheut zu haben – weniger um den Leser irrezuführen, sondern im Dienste einer tieferdringenden Interpretation. SCHLUSSBEMERKUNGEN Es scheint überflüssig, jetzt noch einen detaillierten Vergleich zwischen Sima Qians Arbeitsprinzipien und denen seiner griechischen Kollegen vorzunehmen. Auch habe ich Ihre Geduld schon über Gebühr in Anspruch genommen. Die Unterschiede sind, wie Sie gesehen haben, offenkundig und in verschiedensten Hinsichten substanziell, aber Ähnlichkeiten, sogar einige nahe Analogien, sind ebenso bemerkenswert, gerade im Bereich unserer Untersuchung zur ‚kritischen Geschichtsschreibung‘. Aufgrund dieses Kriteriums, meine ich, verdient Sima Qian den Ehrentitel pater historiae nicht weniger als Herodot und Thukydides. Als Nächstes müsste man die unabhängige Entstehung „kritischer Historie“ in Ost und West erklären. Dazu einige kurze abschließende Bemerkungen. In China müssten wir an eine alte Tradition denken, bemerkenswerte Worte und Taten aufzuzeichnen, an die Verpflichtung der Chronisten, wahrheitsgemäß zu berichten, und an den Ernst, mit dem die Philosophen die Suche nach der Wahrheit betrieben und die Interpretation alter Aufzeichnungen dazu benützten, Lehren vor allem über die Charakteristika guter Herrschaft zu vermitteln. Eine kritische Einstellung gegenüber Quellen und Herrschern war durch solche Traditionen vorgegeben und wurde verstärkt durch philosophische Debatten über den Wert von Lehren aus der Vergangenheit, die Neigung mancher Herrscher, den Gebrauch der Vergangenheit für solche Zwecke zu unterdrücken, und den ideologischen Missbrauch von Geschichte. Ich weiß nicht, ob auch kritische Forschungen in den sich herausbildenden Wissenschaften die Geschichtsschreibung beeinflussten. Außer allenfalls der letzten spielten diese Bedingungen in Griechenland keine Rolle. Dort war – jedenfalls vor Alexander dem Großen und dem Hellenismus – für das ‚monarchische Grundmuster‘ ohnehin kein Platz. Stattdessen war, zum Teil sicher unter nahöstlichem Einfluss, das Aufkommen kritischen Denkens entscheidend, das einerseits die frühen Philosophen anregte, traditionelle Anschauungen und Werte infrage zu stellen, andererseits Spezialisten in Gebieten wie der Geographie, Medizin oder Rhetorik veranlasste, die Grenzen des Wissens und Verstehens weit voranzutreiben. Die ersten Historiker standen in einem intensiven und öffentlichen Wettbewerb mit diesen ‚Wissens-Experten‘ und ließen sich von ihnen anregen. In Athen, damals die ‚kulturelle Hauptstadt‘ Griechenlands, herrschte zu der Zeit eine ‚radikale‘ Demokratie, in der im Wettbewerb der Politiker jeder Vorschlag kritisch geprüft wurde. Dass in diesem intensiv-‚agonalen‘ Klima auch historische Traditionen und Vorgänge kritisch überprüft und die dafür benötigten Methoden theoretisch definiert und in der praktischen Anwendung verfeinert wurden, ist gut verständlich. Die Bedingungen, unter denen sich in China und Griechenland ‚kritische Historie‘ entwickelte, waren demnach sehr verschieden. Aber es gab ein Element, das allen drei ‚Vätern der Geschichte‘ gemeinsam war, und das ist ihre intellektuelle
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Unabhängigkeit. In China begann solche Unabhängigkeit mit Gelehrten wie Konfuzius, die nicht in die Machtstrukturen eingebunden waren, ihre Schüler privat unterrichteten, deshalb fähig waren, kritische und kreative Distanz zu wahren, und mit ihren Theorien die Interpretation der Geschichte beeinflussten. Sima Qian stand in dieser Tradition; er war als Hofbeamter ein Insider, aber aufgrund von Einstellung und persönlichen Erfahrungen ein Außenseiter, der den Machthabern und ihrer Politik höchst kritisch gegenüberstand. In Griechenland förderten adlige Herren und Tyrannen Künstler und Dichter, und reiche Athener waren Sponsoren berühmter Gelehrter, aber all diese ‚Intellektuellen‘ blieben unabhängig und kritisch (und erregten dadurch nicht selten Ärger). Das gleiche gilt für die Historiker. Herodot war ein ‚politischer Flüchtling‘ und verbrachte den Rest seines Lebens außerhalb seiner Heimat. Nach einem Misserfolg als General ging Thukydides ins Exil und kehrte wohl erst nach der Niederlage Athens in seine Heimatstadt zurück. Ihr Status als Außenseiter machte diese Historiker unabhängig und kritisch gegenüber vorherrschenden Meinungen und Ideologien und befähigte sie, die Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu beurteilen. Die ersten großen Geschichtswerke in Ost und West waren somit geprägt von einer kritischen Haltung, die aus dem persönlichen Schicksal der Historiker erwuchs und auf ihrer intellektuellen Unabhängigkeit beruhte.
HEROISCHE ERZÄHLUNGEN
AN INTENTIONALE GEGENWART? ODYSSEUS’ ‘FALSE TALES’ AND THE INTELLECTUAL CONTEXT OF THE ODYSSEY 1 Marek Węcowski Achim Gehrke’s ‘intentional history’ is essentially what ‘a society knows and holds for true about its past’2, and thus a way of ‘constructing the identity of a group as a group’3. And although Homer is, in principle, ‘the poetry of the past’4, Kurt Raaflaub and others have taught us in recent decades that in many ways this past was actually a projection, reflection, but also a construction of the social present.5 To anticipate my conclusions, let me say that what I will try to do in the following goes into the opposite direction, offering, I hope, a complementary approach to Homer.6 It will be a case-study in intentionale Gegenwart in Homer, of a deliberate effort to reflect on the present and some of its fundamental values in a discussion immersed in, and masterfully set against, the ‘intentional past’ as both received and conceived by Homer. * In the Odyssey, the geography and ethnography of the “real world” is notoriously manipulated in a highly sophisticated way.7 In particular, Euboea, the centre of 1
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Earlier versions of this paper were read at a meeting of the Committee for Classical Studies of the Polish Academy of Sciences (January 2016), at Rzeszów University and, at the Jagiellonian University in Cracow (both in April 2016), at Balliol College, Oxford (May 2016), and at the meeting of the European Network for the Study of Ancient Greek History at Copenhagen University (August 2016). I am very grateful to my audiences in all of these occasions and not least to the Honorand of this volume. I also profited from criticisms and advice offered by Benedetto Bravo, Margalit Finkelberg, Irene de Jong, and the editor of this volume. Needless to say, all remaining mistakes and shortcomings of this paper are solely mine. Gehrke 2001, 286. Foxhall/Luraghi 2010, 9. Ford 1992. See, however, Crielaard 2002. From another perspective, see also Węcowski 2011. Raaflaub 1989 and 1997. In what follows, I use the name ‘Homer’ only as a conventional and convenient short-cut, without committing myself to any theory of the origins, or authorship, of both poems. In this particular case, we are, I think, entitled to resort to the often abused notion of ‘poetic archaization’. Thus, for instance, the Dorians have only a fleeting existence among the inhabitants of the ‘populous Crete’ – and this only in one particularly ‘modernizing’ tale of Odysseus in disguise (19,144). The Greek presence in Asia Minor fades away entirely and Sicily, closely linked with the Aegean by trade even within the narrative of the Odyssey, is only represented by three indigenous tribes, whereas the Greek settlements there, early though they were, are erased altogether.
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gravity of the Greek world in the eighth century BC, is only marginally mentioned once when it was absolutely inevitable, in a rather detailed geographic repertory, by Nestor describing the path of the Achaean heroes on their way back home from Troy (3,174). Therefore, it is all the more striking when we come across a passage in which the king of the Phaeacians Alkinoos promises Odysseus to bring him safely (7,319–28; transl. R. Lattimore) back to your country and house and whatever else is dear to you, even if this may be much further away than Euboia, which those of our people who have seen it say it is the farthest away of all (321–3: εἴ περ καὶ μάλα πολλὸν ἑκαστέρω ἔστ᾽ Εὐβοίης, | τήν περ τηλοτάτω φάσ᾽ ἔμμεναι, οἵ μιν ἴδοντο | λαῶν ἡμετέρων […], at the time they carried fair-haired Rhadamantys on his way to visit Tityos the son of Gaia. They went there, and without any strain they accomplished the journey, and on the same day they were back home with us. You yourself will see and know in your mind how my ships are best, and my young men for tossing up sea with their oarblade.
One could of course take these lines as possibly contributing to the debate on the land of origin of the poet of the Odyssey.8 But if we do not consider these lines as the poet’s slip of tongue, we may read them as wittingly playing with his own poetic convention. A conceivably Euboean audience of the poet might react to Alkinoos’ words in much the same way as Shakespeare’s public watching the Danish prince to be sent to meet his death in faraway … England (Hamlet, act 4, scene 3). The usual roles are inverted and the contemporaries of the Odyssey take a glimpse at their own world as viewed by the mythical king of a fairy-tale land overseas.9 Let me give you a more elaborate example of this literary technique. The very first character Odysseus encounters on Ithaca after his long absence is Athena ‘in the form of a young man, a herdsman of sheep, one most delicate, as are the sons of princes’ (13,222–3). A divine mist around him prevented Odysseus from recognising his own island, so now he addresses the stranger in order to learn his current whereabouts. The youth’s noble appearance stands in a sharp contrast with his (her) rather impolite and simpleminded answer, ironically crafted by the disguised goddess (13,237–49; transl. R. Lattimore):10 You are come innocent, O stranger, or else you have come from far away, if you ask about this land, for it is not so nameless as all that. There are indeed many who know it (οὐδέ τι λίην | οὕτω νώνυμός ἐστιν: ἴσασι δέ μιν μάλα πολλοί) […]. See now, this is a rugged country and not for the driving of horses, but neither it is so unpleasant, though not widely shapen; for there is abundant grain for bread grown here, it produces wine, and there is always rain and the dew to make it fertile; it is good to feed goats and cattle; and timber is there of all sorts, and watering places good through the seasons; so that, stranger, the name of Ithaca has gone even to Troy, though they say that is very far from Achaian country (τῷ τοι, ξεῖν᾽, Ἰθάκης γε καὶ ἐς Τροίην ὄνομ᾽ ἵκει, | τήν περ τηλοῦ φασὶν Ἀχαιΐδος ἔμμεναι αἴης).
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In his insightful book on this poem, Martin L. West (2014, 90) argued that ‘[…] a Euboean poet might have reasoned that if the Phaeacians were remotest of human peoples from his viewpoint, Euboea would be the most distant from theirs’. In Shakespeare, this literary effect gets intensified when the geographical ‘realities’ of the distant Denmark are completed by the absurd war between two exotic and even more distant countries, Norway and Poland (act 4, scene 4). Cf. also de Jong 2001, ad 7,321–3. The incipit of this speech echoes the cruel speech of Polyphemus in Od. 9,273.
An Intentionale Gegenwart? Odysseus’ ‘False Tales’
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Given the usual heroic etiquette, this is yet another breach in the epic convention, sharply contrasting with the memorably courteous treatment of the castaway stranger by Nausikaa on the shores of Scheria. But there is more to this episode. It should not go unnoticed that Athena teases Odysseus as if inviting him to a child’s play of puzzles: the land he visits is not entirely nameless, it is not too fertile, but not quite barren, for it is rich in water, grapes, and pasture. Only upon reaching the end of this speech, after a long series of positive and negative statements of the kind, we learn of the name of Ithaca. Now, although the eulogy of the island is not unprecedented in the Odyssey, it assumes a very unheroic form (bucolic at best). Furthermore, the (fake) youth hardly heard of Troy, ‘presumably far from the Achaean land’. More strikingly still, he thinks that the name of Ithaca is only known to the Trojans owing to the favourable natural conditions of the island. The youth never heard of the most important reason why the Trojan survivors would never forget Ithaca, namely of its king Odysseus, the nemesis of Troy, the thief of the Palladium, and the inventor of the Trojan horse. In view of the epic convention, the state of mind and, more importantly, the hierarchy of values of the ‘unwise youth’ are truly shocking. He never heard of Odysseus, of the Trojan War and of its outcome. The epic world of the heroes immortalised by the bards in their songs for the men that ‘praise that song the most which comes the newest to their ears’ (Od. 1,351–2) – all this is just non-existent for the false Ithacan noble herdsman. The humorous effect of the scene is beyond doubt, but the deeper meaning of the deliberate ‘breaches’ in the epic convention studied thus far needs to be explored more thoroughly. As we shall see shortly, the ‘false tales’ of the disguised Athena are carefully coordinated with their counterparts told by Odysseus in disguise, so we should interpret them together.11 * When responding to Athena in disguise, Odysseus assumes his false Cretan identity for the first time (13,256–86). He pretends to be an anonymous veteran of the Trojan War who treacherously killed Orsilochos, son of the king Idomeneus, when defending his share of the Trojan booty. He took his treasures with him escaping from Crete aboard a Phoenician ship heading for Pylos or Elis, but contrary winds led him to Ithaca instead. The story justifies the very presence of the foreigner on the beach, but also his plentiful and valuable cargo beside him. This last element is here to emphasize the honesty of the noble traders from Sidon (a rare thing in the 11
The bibliography of the ‘false tales’ is of course very ample, as they must be discussed, among other things, in every study of Homer’s understanding of poetry (e.g. see below, n. 37). Here, I can only list some of the studies I consider the most relevant to my present argument: Woolsey 1941, 173–5, 177–81; Trahman 1952; Merkelbach 1969, passim; Fenik 1974, esp. 167–71; Todorov 1971, 66–77; Maronitis 1981; Clay 1997, 86–9; Haft 1984; Emlyn-Jones 1986; Goldhill 1991, esp. 36–47; Reece 1994; Danek 1998, 214–21; Burkert 2001; Schlesier 2003, 138–9; Minchin 2007, 23–6; Kelly 2008, esp. 182–93; Tsagalis 2012; Rutherford 2013, 126–31. In general, cf. Marg 1957 and Most 1999.
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Odyssey’s portrait of the Phoenicians). Right away, one realizes that this is a variation on the motifs of the magical trip of Odysseus aboard the self-propelled Phaeacian ship, including such a detail as the rowers’ role in transporting his treasure ashore when Odysseus himself was still asleep. The second of the ‘false tales’ is perhaps the most sophisticated of them all (14,192–359). Here again, the hero pretends to be of Cretan origin, but this time we also learn the name of his father, Kastor son of Hylax. The ‘Cretan’ was born of a ‘bought concubine’, but his success in military endeavours triggered his advance into the ranks of the local elite despite his limited share in the father’s inheritance. He enjoyed his wars even more than his family life, but he reluctantly participated in the Trojan War, alongside Idomeneus, apparently as one of the leaders of the Cretan contingent. Unlike many of the Achaeans, he made it home smoothly after the fall of Troy, but he only spent a month with his wife and children, embarking fast on a raid on the Egyptian shores. After the failure of his attack, the hero only survived owing to the clemency of the Egyptian king on the battlefield. The ‘Cretan’ spent seven years at the court of the friendly king accumulating his new riches there, before joining in a trade enterprise with a treacherous Phoenician merchant. Ultimately blackmailed into a risky commercial trip to Libya, he alone survived when Zeus sank their ship in the high seas. Adrift for nine days on the remnants of the ship, the ‘Cretan’ landed in Thesprotia, where he was saved by the son of the local king Pheidon. On this very court the ‘Cretan’ heard of Odysseus’s imminent return to Ithaca, but he did not meet the hero in person as Odysseus was gone to the oracle of Dodona at the time. The Thesprotian sailors were supposed to take the ‘Cretan’ to king Akastos of Dulichion, but instead they stripped him of his garments and decided to sell him into slavery. However, he succeeded in escaping them on Ithaca and made his way to Eumaios. Now, the details of the adventures and sufferings of the ‘Cretan’ interestingly correspond to the wanderings of Odysseus in the Odyssey and in other Odyssean traditions, beginning with his own reluctant participation in the Trojan War. The ‘Cretan’s’ happy homecoming is in fact a heroic nostos à rebours: fed up with family life he eagerly puts his life in danger in Egypt. The Egyptian adventure closely resembles Odysseus’ attack against the Kikones: after the initial success, the troops get sloppy, which leads to the efficient counterattack of the natives (9,49–61); the hero barely survives. The seven-year profitable sojourn on the Egyptian court is very close to the Phaeacian episode of the Odyssey.12 The shipwrecking on his way to Libya was described in very much the same lines as the catastrophe of the last ship of Odysseus destroyed by Zeus who punishes the crew for slaughtering the cows of Helios on Thrinakia (12,405–25). The son of the Thesprotian king, instead of the Phaeacian princess, saves the ‘Cretan’ on the seashore and brings him to his father’s hospitable court. The mention of Odysseus travelling to the oracle of Dodona brings to mind Odysseus’ travel to the oracle of the dead.13 The ‘Cretan’s’ escape in hiding from the Thesprotian sailors corresponds to his deliverance from 12 13
Cf. e.g. Goldhill 1991, 40. My analyses, I suppose, are not undermined by the fact that references to Odysseus’ travels to Thesprotia may ultimately stem from earlier and alternative versions of the hero’s adventures
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the cave of Polyphemus; the remarkable scene of his swimming for his life there was rendered in much the same terms as his dramatic landing on Scheria, and his arrival in rags to Eumaios is similar to Odysseus’s homecoming in a beggar’s disguise. The next ‘false tale’ is the account Odysseus gives to Antinoos, one of the suitors (17,415–44).14 This story is similar, although not identical with what he told Eumaios: the Cretan identity is withheld and the Egyptian adventure ends on Cyprus, where the beggar was given in slavery to the king Dmetor. It is from Cyprus that he arrives to Ithaca. The bulk of this story will be repeated in Book 19, where Odysseus responds to the maidservant Melantho (19,71–80). The most complex from the formal point of view is the account to Penelope in Book 19. Accordingly, it has attracted most of the scholarly attention. Odysseus answers his wife, who was still unaware of his true identity, very reluctantly, only upon her second request. At first, he tries to avoid answering her altogether (107– 22). His ultimate story (19,165–202) is richer in allegedly autobiographic and even family details and develops his previous tales. He still pretends to be a Cretan, but this time we learn about his name, Aithon, this time not a murderer or a bastard, but no less than a younger brother of the king Idomeneus, a son of Deukalion and a grandson of Minos. He says he met and hosted Odysseus twenty years earlier, on the hero’s way to Troy. In the next instalment of this tale (269–307), the ‘Cretan’ heard of Odysseus’ stay in Thesprotia, of his pilgrimage to the oracle of Dodona, and of his imminent return to Ithaca, but also of some episodes of the hero’s wanderings, namely of the wrath of Helios and of the island of the Phaeacians. One last time he assumes a false identity when meeting his own father Laertes and asking him about his alleged guest-friend Odysseus (24,244–79).15 In the process, he poses as a certain Eperitos of Alybas, son of the king Afeidas and grandson of Polypemonidas. He says he veered off course on his way from Sikania and ended up on Ithaca (303–14). The aforementioned false tale told to Penelope is a rather special case. It is the only one to be fully integrated into the plot of the poem and indeed indispensable in its narrative logic as it introduces the motif of the wife tested by her long absent husband in disguise. The functional importance of this scene makes it rather close to the main narrative lines of the Odyssey and slightly different from other, and more independent or self-contained, ‘false tales’. Having said that, it must be stressed, as several scholars have well observed, that each particular tale of this kind suits very well the general circumstances of the plot and tends to fulfil the expectations of the hero’s interlocutor at a given moment. There are interesting correspondences between the individual stories. They are con-
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after his return to Ithaca. Such versions were interestingly studied by Malkin 1998, in particular 126–34. Cf. also Danek 1998, 214–21. I skip the occasional ‘false tale’ of the ‘Cretan’ given to Eumaeus in 14,462–506. The latter calls it an ainos (l. 508), and Odysseus calls it an utterance with a wish (l. 463: εὐξάμενός τι ἔπος ἐρέω). For this ‘false tale’, see in particular Kelly 2008, 191–3.
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veniently compiled by Irene de Jong in her narratological commentary.16 In all the false tales, Odysseus’ false identity has something to do with Crete and consequently often with the local ruler Idomeneus. In most cases, the hero, or his brother, fights in the Trojan War; in two cases, he organizes a raid to Egypt; in two of them, he is associated with Phoenician merchants; in three tales, his plans are ruined by a terrible storm; in three of them, he finds himself in Thesprotia; in two, he hosts Odysseus; in three more, he hears about Odysseus’ fate or meets him in person in Thesprotia; in three of them, he is aware of Odysseus alleged trip to the oracle of Dodona. * The contents of the false tales were carefully coordinated for us by the poet with the wanderings of Odysseus. When addressing Penelope as he reveals his (false) identity, the ‘Cretan’ introduces himself in a most remarkable manner (19,165–70; transl. R. Lattimore): O respected wife of Odysseus, son of Laertes, you will not stop asking me about my origin? Then I will tell you; but you will give me over to sorrows even more than I have; but such is the way of it, when one strays away from his own country as long as I have, wandering many cities of men and suffering hardships (ἀλλ᾽ ἔκ τοι ἐρέω: ἦ μέν μ᾽ ἀχέεσσί γε δώσεις | πλείοσιν ἢ ἔχομαι: ἡ γὰρ δίκη, ὁππότε πάτρης | ἧς ἀπέῃσιν ἀνὴρ τόσσον χρόνον ὅσσον ἐγὼ νῦν, | πολλὰ βροτῶν ἐπὶ ἄστε᾽ ἀλώμενος, ἄλγεα πάσχων).17
These words serve as a kind of prooimion to the crucial ‘false tale’ of the ‘Cretan’ and clearly echo the opening lines of the Odyssey (1,1–5).18 Briefly put, we are supposed to take this false identity of the hero as a carefully conceived alter ego of Odysseus.19 The Cretan identity of the hero is remarkably consistent and systematically interwoven into the narrative of the second half of the poem. It is clear that what we have here is a serious artistic ploy of a deeper importance. The question remains as to the meaning of the correspondence between Odysseus’ true and false identity in the Odyssey. In the light of the aforementioned lines of Book 19 this correspondence had no less than a programmatic value to the poet. I have already emphasized that at least two of the most elaborate ‘false tales’ by Odysseus consist of a series of variations on the motifs of Odysseus’ own adventures. One could of course consider all these analogies as variations or variants typical of the oral epic traditions, or else, as stemming from alternative versions of our Odyssey, from alternative traditions about the adventures of Odysseus, or more 16 17 18
See in particular de Jong 2001, 596–7 and passim. Similarly twice more in the poem: 15,492 and 16,63–4. Cf. also 15,491. This parallel is even more striking when we realise (with West 2014, 115–16) that the prooimion does not do justice to the present state of Odysseus’ wanderings in the Odyssey, but may have suited better some original plan of the poet, in which, hypothetically, Levantine adventures of the hero might have featured more prominently, actually bringing him to a number of ‘cities of men’. Cf. Od. 4,267–8 (on Menelaus), but see also below, 34–36.
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generally from the traditional background of the poem.19 All such hypotheses, however, would not do justice to the nature of the changes and adaptations of the motifs involved.20 As we shall see shortly, the poet is very consistent here. The wanderings of the ‘Cretan’ differ from those of Odysseus on several levels and I would argue that the differences between them are systematically applied in the majority of the ‘false tales’. First of all, besides the exceptional case of the Cretan king Idomeneus and his ancestors in the story addressed to Penelope, the ‘false tales’ systematically feature characters otherwise unheard of in the poetic traditions that came down to us from Antiquity. Moreover, some of them look like names improvised impromptu, but virtually all of them lack any connection with the heroic world or with the mythical accounts which we are aware of. Thus, Pheidon of Thesprotia (14,316), Akastos of Dulichion (14,336), both of them, importantly, without their patronymika; Dmetor, son of Iasus, of Cyprus (17,443), Aithon himself (19,183). The least we can say is that the names under scrutiny did not find their way, before the Odyssey or after, to the Pan-Hellenic traditions which we know of. The next and rather analogous difference is to be found in the geography of both series of travels. Instead of the mythical lands of Laestrygones, Lotophagoi, the island of Aiolos, of the Cyclopes, of the Sirens, of Scylla and Charybdis, those of Circe, Helios, and Calypso, and finally of the fairy-tale land of Phaeacians, in the ‘Cretan stories’ we only hear of lands known to the public of the poem first-hand or at least well known to them from hearsay: Crete, Egypt, Phoenicia with Sidon, Libya, Elis, the lands of Kaukones and Epeans in the Peloponnese, Thesprotia, Dodona, Dulichion, Cyprus and Sikania. It seems truly remarkable that, again leaving aside the more detailed tale told to Penelope, no important centre of the epic traditions features on the list. The ‘Cretan’ travels mainly in marginal and often distant regions of the real, or better, contemporary world of the audience of the Odyssey. Closely related to it is the next important – nay, the most important – feature of the ‘false tales’ as told by the ‘Cretan’. Strikingly, one does not encounter there a single supernatural, mythical, or magical creature, object, or event, so not a single monster, nymph, or goddess. In his Travelling Heroes, Robin Lane Fox rightly observes that ‘Odysseus’ story [namely the one in Book 14 – M.W.] is an excellent instance of how a Greek tale involves the gods throughout its narrative […]’21. True, but just how different the ‘divine apparatus’ is here from the one we find elsewhere in the Odyssey!22 19 20 21 22
A brilliant recent example of this approach can be found in St. West 1981. In general, see M. West 2014, passim. Some of the analogies, and variants, involved were pointed out by Meuli 1921, 34–5. See also Reinhardt 1948, 57–61. Lane Fox 2009, 321. Cf. however, Jørgensen 1904, esp. 362–3, on Odysseus’ Apologos. Zeus (or ‘a god’) perceived as determining Odysseus’ fate, in Odysseus’ own words: 9,38. 52. 67. 142. 154. 158. 339. 381; 10,141. 157; 12,169. 295. 313. 338. 371. 394–5. 405. 415–16. 419. 448; cf. 9,479. However, Hermes, Circe, Poseidon, Eidothea, Athena, Helios, Lampetie, Calypso also meet, help, con-
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There is no room for direct, palpable divine interventions in the fates of the wanderer, be it that of a god appearing in a personal epiphany or in some disguise, human or else. In a similar vein, the magical self-propelled vessel of the Phaeacians gives way to an ordinary ship of the Phoenician merchants. The ‘Cretan’ in hiding escapes the captivity of the greedy Thesprotian sailors while they dine, which brings to mind the Polyphemus episode of the hero’s wanderings. The Phoenician ship carrying the ‘Cretan’ was destroyed, as already mentioned, in much the same way as the last ship of Odysseus,23 but this time for no obvious reason but the caprice of Zeus, the god of storm and thunder. There is no divine plan whatsoever to it, no trespassing against a divine property, no divine punishment etc. In the same episode, the role of the maritime goddess Leukothea with her magical ‘safety veil’ (kredemnon) thrown to Odysseus, as well as that of Athena,24 is briefly taken over by Zeus who saves the sinking hero. Perhaps the most characteristic example of this phenomenon is the scene of the salvage of the ‘Cretan’ from the captivity of the treacherous Thesprotian crew. Who comes to the rescue of the ‘Cretan’ here is not Athena or another tutelary divinity of the hero, but – again, in a very impersonal vein – his bonds are undone ‘easily by the gods themselves’, just as ‘the gods themselves hid him easily’ from the sight of the persecutors (14,348–9 and 357–8). Furthermore, ‘Zeus who hurls the thunderbolt’ casts ‘an evil panic’ upon the companions of the ‘Cretan’ in Egypt (14,268–70), which explains why – surprisingly – they could not face their enemy on the battlefield. These impersonal expressions emphasize the unexpected nature of the events, but do not instil them with a miraculous dimension of the kind one finds in the aforementioned adventures of Odysseus. In a similar vein, in the tale addressed to Laertes (24,306–7) the ship veers off course because of a daimon,25 and not by the will of Athena, Poseidon, Helios, or Zeus, as it was the case for the heroic nostoi elsewhere in the Odyssey. Last but not least, in the tales of the ‘Cretan’, Odysseus’ prophetic encounters with the dead at the confines of the earth are replaced by a trip to the well-known oracle of Dodona in Epirus. Briefly put, to account for the discrepancies between the stories of the marvellous wanderings of Odysseus, on the one hand, and the ‘false tales’ of the ‘Cretan’, on the other, one should emphasize the ‘de-heroization’, so to speak, of the world as conceived by these tales. As we have seen, this ‘de-heroization’ concerns both the geography and the ‘prosopography’ of the presented world. But most importantly, what we witness here is actually reducing the relations between gods and mortals to the notions corresponding to the everyday use by the poet and his public. In other words, the dramatic events of the life of the ‘Cretan’ were described in the way men and women contemporary with the Odyssey would most probably depict dramatic twists of fate in their lives. Contemporaries of the Odyssey would be aware
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verse with, or discuss the fate of Odysseus in the Apologos. Sending ‘bad omens’ (as in 9,553, 12,394–5) is obviously not enough for them in their communication with the hero. 12,405–25. Cf. also 5,130–2; 7,248–54. See 5,333–74 and 458–62 (Leukothea) with 5,382–440 (Athena). See also 14,488. Already Jørgensen 1904, esp. 363–6, has shown that impersonal expressions regarding divine interventions in Homer are almost exclusively to be found in speeches.
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of various signs of divine intervention in their lives, but they would not claim to feel the individual proximity or intimacy with a divinity or to discern the presence of a specific god or goddess in their actual divine form. One could claim that stripping Odysseus’ ‘false tales’ of the marvellous and of the heroic was natural and even necessary, because the heroic decorum would be unsuitable, in conventional terms, for the stories told by a beggar in rags.26 However, we should not forget, on the one hand, that the autobiographic tale of the ‘noble swineherd’ Eumaios (15,403–84) ascribes to him a royal pedigree and a fatherland, the island of Syrie ‘above Ortygia’ (whatever it means), whose marvellously favourable life conditions and the miraculously gentle way of dying there bring to mind the utopian visions of the primitive mankind such as the ‘golden race’ in Hesiod (Erga 112–16). On the other hand, we have seen the same radical ‘de-heroization’ of Ithaca in the ‘false tale’ of Athena in disguise. Let me, then, briefly focus on such false accounts by the goddess, the stories clearly analogous to those of the ‘Cretan’. All the more so that Athena openly spars with Odysseus in a friendly contest of metis, or cunning wisdom,27 when the two exchange their ‘false tales’. Athena appears in disguise at several other occasions in the Odyssey and when she does so she has recourse to similarly fictitious stories, at times also manipulating the narratives of the wanderings of Odysseus. When she poses as Mentes at the beginning of the Odyssey, her utterances display all the characteristics of the ‘false tales’ we already know. Her ‘Mentes’ was also one of Odysseus’ hosts and his guest-friend of old. More importantly, in the stories told by ‘Mentes’, we also find names of non-heroic, or not necessarily heroic, characters, such a Mentes himself or his father Anchialalos, the ruler of the Taphians. Once again, we encounter non-heroic and non-mythical geographical realities featuring not only the land of the Taphians (in antiquity identified with an island not far away from Ithaca), Ephyra in Thesprotia, but also ‘Mentes’s’ destination, the mysterious Temesa, usually located in Bruttium or on Cyprus. This feature creeps into another ‘false tale’ by Athena, this time disguised as Mentor, when she parts company of Telemachus to attend his (her) business in the land of the Kaukones (3,366), somewhere in the western part of the Peloponnese. But much more important is the manner the disguised Athena deals with the motifs of Odysseus’ wanderings. This time, the ‘manipulation’ involved seems much less subtle than in the tales of the ‘Cretan’ although its nature is similar. Just as the ‘Cretan’, she also claims she knows the fate of the absent Odysseus. When giving more details about the current whereabouts of Odysseus, ‘Mentes’ says that (1,197–9; transl. R. Lattimore):
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A variant of this argument would be to ascribe different relations with gods to the difference in the social status of the ‘true’ heroes, on the one hand, and of the ‘Cretan’, on the other. Thus e.g. Emlyn-Jones 1986. See in particular, in the words of the goddess herself, 13,296–9. On Odysseus’ encounters with Athena and their meanings, cf. esp. Strauss Clay 1997, 86–9.
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Marek Węcowski He is held captive, on a sea-washed island, and savage men have him in their keeping, rough men, who somehow keep him back, though he is unwilling (ἀλλ᾽ ἔτι που ζωὸς κατερύκεται εὐρέι πόντῳ | νήσῳ ἐν ἀμφιρύτῃ, χαλεποὶ δέ μιν ἄνδρες ἔχουσιν | ἄγριοι, οἵ που κεῖνον ἐρυκανόωσ᾽ ἀέκοντα).
The audience of the poem is of course well aware that the hero is being kept ‘in a sea-girt isle’ by the divine Calypso. As Stephanie West puts it in her commentary, this is ‘an interesting mixture of truth and falsehood’.28 Just like in the ‘false tales’ by Odysseus, what ‘Mentes’ does is actually depriving the story of the hero’s travels of the marvellous or fabulous elements replacing them with the details entirely plausible and hence persuasive in strictly human terms. Witness the impersonal and unspecific mention that it must be some gods that hinder Odysseus’ ultimate homecoming (195: ἀλλά νυ τόν γε θεοὶ βλάπτουσι κελεύθου), which replaces the specific mention of Poseidon’s wrath. I would argue that what we have here is building the characters’ utterances in such a way as to make them sound persuasive in a purely human context of a given encounter featuring Athena (or Odysseus) in disguise.29 And this, I submit, amounts to playing with the poet’s own poetic convention. In the ‘false tales’ of Athena and those of the ‘Cretan’, we encounter a whole series of signals and hints at particular episodes of Odysseus’ wanderings. The interlocutors of the ‘Cretan’ (Eumaios, Telemachus, and Penelope) are given pieces of information that are ‘false’ (Odysseus accumulating riches in Thesprotia or travelling to the oracle of Dodona), but not only sound plausible and reassuring. They do render the current state of Odysseus’ travels. The ‘false tales’ achieve this by eliminating the marvellous or miraculous layer of the episodes they convey. Thus, Odysseus does accumulate riches, but he does it ‘in fact’ among the Phaeacians on Scheria; he does seek prophecy regarding his homecoming, but he finds it ‘in fact’ at the gates of the Netherworld and learns it from the dead seer Tiresias. * I am fully aware that my argument above may look pedantic and/or far-fetched. After all, getting rid of the marvellous and of the conventionally heroic elements of the plot in the ‘false tales’ might have been due to the cursory character of these stories. I think I can confront such a criticism by adducing another and plainly analogous story, namely the account of Menelaus about his own adventures on his way back home from Troy. This nostos too is rendered in the first-person narrative, just like those of Odysseus and of the ‘Cretan’. This time, however, unlike in Odysseus’ monumental performance at the Phaeacian court, the tale has no significance for the plot and is only slightly longer than the longest of the ‘false tales’ we have been studying thus far (4,351–586, cf. 14,192–359). Hence, their comparison seems fully justified. The extent of Menelaus’ travels is hinted at even before the story itself.30 Interestingly, their geography, although it does not contain fairy-tale lands as such, is 28 29 30
St. West in: Heubeck 1988, vol. I, ad 1,198–9. Cf. also de Jong 2001, ad 1,179–212, on Athena’s ‘role-playing’. Nestor mentions the alarmingly distant wanderings of Menelaus in 3,317–22.
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much richer than that of the ‘Cretan’ (4,83–5): Cyprus, Phoenicia, the Sidonians (sic!), but also Ethiopians, the mysterious Erembi (Arabs, according to Strabo) and Libya. In this last land, however, we encounter ‘the lambs that are horned from their birth’, where ‘the ewes bear their young thrice within the full course of the year; there neither master nor shepherd have any lack of cheese or of meat or of sweet milk, but the flocks ever yield milk to the milking the year through’ (85–9). All this brings to mind the marvellous richness of the island of the Cyclopes or the miraculous garden of the Phaeacians. The tale of Menelaus’ travels (14,192–359) is modelled on that of Odysseus’. This is clear when Menelaus is blocked by the angry gods on an island on his way home, when he meets a helpful goddess Eidothea resembling Odysseus’ Circe and providing him with remarkable instructions for his journey and, last but not least, when Menelaus wins against Proteus by resorting to a purely Odyssean ruse (hiding in the skins of four seals closely resembles the stratagem that enabled Odysseus to leave Polyphemus’ cave). Having won against the ‘old man of the sea’ who can magically change his shape, Menelaus receives from him a prophecy very much like the one Tiresias gives Odysseus, regarding not only his homecoming, but also the final stage of his life. I enumerate all these analogies, already well established in Homeric scholarship, to stress that this episode too was modelled on the adventures of Odysseus just like the ‘Cretan tales’ were. But the difference between the ‘false tales’, on the one hand, and the account of Menelaus, on the other, could not be more pronounced and the discrepancies between them involve the very same aspects of the narrative I studied above. To our comparison, one should also add the famous mention about the miraculous ‘clashing rocks’ encountered by the Argonauts who were all barely saved by a personal intervention of Hera, the tutelary goddess of Jason (12,61–72). Thus, both the dim traces of the so-called Argonautica and the story of Menelaus display precisely the same characteristics that are conspicuously lacking in all the ‘false tales’: the marvellous sea adventures in distant fairy-tale lands, peppered with monsters, magical items, and/or explicit divine interventions. None of those can be found in the ‘false tales’ and this should make us sensible to their exceptional character as compared with the epic conventions we know of. Let me also forcefully stress that it would be entirely misguided to reduce the tales of the ‘Cretan’ to typical sailors’ storytelling, with innumerable analogies in our comparative material from around the globe and in all historical periods. What stands in a sharp contrast with such wondrous tales of distant sea-travels is the extremely sober, if not down-to-earth, geography, ethnography, ‘prosopography’, ‘zoology’, and ‘religion’ of the ‘false tales’ in the Odyssey. This fact makes them a case apart obviously worth considering as resulting from a poet’s design and not simply justifiable by some heterogeneous background traditions or earlier, or alternative versions of the epic nostoi creeping into our poem. *
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Traditionally, scholars used to discern three principal components of the Odyssey (while variously explaining their origins and mutual relations): (1) the so-called ‘Telemachy’ (1–4 and a part of 15), (2) the ‘Wanderings of Odysseus’ (5–12), and (3) the ‘Return of the Husband’ (13–24). This outline can now be completed by discerning three different and divergent presented worlds of the poem. Whereas the difference between the heroic world of the ‘Telemachy’ and of the ‘Return’, on the one hand, and the fairy-tale world of the ‘Wanderings’, on the other, has always been clear to all, what needs our special attention is the third one, the ‘de-heroized’ world of the false tales of Odysseus. Although it may at first seem marginal, it no doubt is intellectually consistent. Therefore, let me briefly consider conceivable functions of this ‘de-heroized’ world in the literary economy of the poem. First and foremost, there is the function of breaking the rules of the epic convention by introducing an element humorously contrasting with the said convention. This, so to speak, entertaining mode of the ‘false tales’ involves introducing a series of variations on the motif of the Cretan identity of Odysseus. The audience of the Odyssey can follow with amusement the ingenious changes and adaptations of the hero’s false identity. Secondly, it is true that the ‘false tales’ can only play a limited, if not marginal role in the poem given the overall dimensions of the Odyssey. If, however, one takes into account their positioning within the poem, their importance looks considerably bigger. Beginning in Book 13, through Books 14, 17, 19, up to Book 24, these tales systematically pervade and inform the second half of the Odyssey, recurring at every turn or twist of the plot when the hero is about to reveal his true identity upon his return to Ithaca. To put it in a slightly anachronistic way, the ‘false tales’ co-exist with each important ‘suspense’ of the final part of the poem, every time Odysseus ultimately maintains his fictitious self thus resisting the temptation of revealing his identity to his consecutive interlocutors when meeting the first individual on his native soil (i.e. Athena in disguise), when first meeting his close associate (Eumaios), when first confronting the suitors (Antinoos) or unfaithful servants (Melantho), finally when first facing his beloved wife or his father. What is at stake in most cases (in Books 14, 17, and 19) is the hero’s safety and the ultimate success of his hazardous plan. There can be no doubt that the ‘false tales’ were supposed to be perceived as crucially important by the public of the second part of the Odyssey. I think it is admissible to claim that there is a much more important compositional function involved in the formal distribution of the ‘Cretan tales’ within the poem. Whereas the first half of the Odyssey is dominated by the heroic, refined, and courtly travels of Telemachus and by the fairy-tale wanderings and stories of Odysseus (as well as of Menelaus), the atmosphere of the poem changes considerably in its second half. The setting is now limited to Ithaca and to Odysseus’ closest entourage. The atmosphere is still (at times) elevated and quasi-heroic, but treacherous and stifling. The world is populated by servants and domestics instead of kings, princesses or nymphs, and heroes go about their daily business. This very atmosphere seems duly completed by the ‘false tales’ that play with the epic conventions in a twisted way. All in all, I dare say that the audience of the Odyssey must have felt more at home in Odysseus’ farmyard than in the palaces of the Peloponnesian
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heroes or in Alkinoos’ Scheria. All this must somehow belong to the poet’s artistic design. If the heroic world of old may be described by modern scholars in terms of a ‘distancing effect’ imposed on the public of the poems, what we have in the ‘false tales’ is clearly a distancing from the ‘distancing effect’. A more specific meaning of these tales may perhaps be grasped when emphasising once again which elements of the presented world are ‘manipulated’, so to speak, to achieve this goal of a (conventional) distance from the heroic subject-matter. Elaborating on the interpretation of the Iliad by Jasper Griffin, one can point to an important divergence between the Iliad and the Odyssey as regards their respective attitudes towards the marvellous or magical elements in the narrative.31 Such elements only marginally feature in the Trojan poem, mostly in battle-scenes and sometimes only to stress their exceptional character and the fact that they actually do not befit the presented world of the Iliad. With very few exceptions, the poet sets the rules of engagement between the gods and the mortals very carefully. Leaving aside several idiosyncratic battle-scenes, the gods usually directly interact with humans in a mortal disguise or in some other shape or modality only to be deciphered by particularly perceptive mortals. This was no doubt a monumental authorial innovation as it is clear from totally different standards creeping into the poem e.g. in the Iliadic speeches charged with mythological exempla.32 Close encounters with gods, marvellous adventures, monsters, fairy-tale objects – all this must have been a norm for the epic tradition surrounding the Iliad as the world of the so-called ‘Epic Cycle’ abundantly shows. From this perspective, of course, the Odyssey dramatically differs from the Iliad. Odysseus’ tales on the Phaeacian court teem with all that was curbed by the poet of the Iliad in order to conceive an idiosyncratic presented world with its own rules. I am tempted to conclude that introducing Odysseus’ ‘false tales’ with their consistently ‘de-heroized’ world-view was a similar literary ploy. Only that it goes much further as if reacting to the poetic conventions and traditions that made the poet of the Odyssey abandon the intellectual accomplishments of the Iliad by drawing extensively on the abundant stock of the epic marvels, magic, and super-human monstrosity in his own narrative of the adventures of Odysseus. This was of course indispensable. In our interpretations of the Odyssey, much depends on the veracity of the stories Odysseus tells in Scheria. Martin West warned us against the ‘mistake of supposing […] that the placing of the adventures in Odysseus’ mouth is meant to raise any question about their reality status’.33 True, but Alkinoos himself, in the middle of Odysseus’ tale of his encounter with the dead, voices what can be understood as a good-humoured or mildly ironic comment (11,363–9; transl. R. Lattimore):34 31 32 33 34
Griffin 1977 and 1980. Cf. the case of the pursuit of the youthful Dionysus by the ‘mighty Lycurgus’ (Il. 6,130–40). West 2014, 97. The poet refers to them as true events on several occasions (1,8–9; 69–70; 2,19–20; 8,448) and never suggests that Odysseus’ stories are not trustworthy accounts of his adventures. Cf. already Richardson 1996. It is perhaps worth noticing that the fairy-tale adventures of the hero as narrated by Odysseus himself are totally absent from the summary of his travels as presented to Calypso by Hermes
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Marek Węcowski Odysseus, we as we look upon you do not imagine that you are a deceptive or thievish man, the sort of the black earth breeds in great numbers, people who wander widely, making up lying stories, from which no one could learn anything (ψεύδεά τ᾽ ἀρτύνοντας ὅθεν κέ τις οὐδὲ ἴδοιτο). You have a grace upon your words, and there is sound sense within them, and expertly, as a singer would do, you have told the story of the dismal sorrows befallen yourself and all of the Argives […].
As to the ‘false tales’ told by Odysseus, the narrator explicitly presents them twice as fallacious. In Book 13 (254–5), the hero responds to the equally false tale by the disguised Athena ‘and he answered her again and addressed her in winged words; but he did not tell her the truth but checked that word from the outset, forever using to every advantage the mind that was in him’ (οὐδ᾽ ὅ γ᾽ ἀληθέα εἶπε, πάλιν δ᾽ ὅ γε λάζετο μῦθον, | αἰεὶ ἐνὶ στήθεσσι νόον πολυκερδέα νωμῶν). Summarising the ‘Cretan tale’ addressed to Penelope (19,203) the narrator observes that ‘he knew how to say many false things that were like true sayings’ (ἴσκε ψεύδεα πολλὰ λέγων ἐτύμοισιν ὁμοῖα). This last line naturally brings to mind the famous utterance of the Muses in Hesiod’s Theogony (27–8; transl. H.G. Evelyn-White): ‘we know how to speak many false things as though they were true; but we know, when we will, to utter true things’ (ἴδμεν ψεύδεα πολλὰ λέγειν ἐτύμοισιν ὁμοῖα, | ἴδμεν δ᾽, εὖτ᾽ ἐθέλωμεν, ἀληθέα γηρύσασθαι).35 These programmatic lines of Hesiod show well that the question of the veracity of Odysseus’ stories (both ‘false’ and ‘true’, on their traditional interpretation) is actually irrelevant. Mastering both the ‘truthful things’ and those ‘resembling truth’ is a sign of the poetic virtuosity of the Muses and of their disciples, the aoidoi. And given the Alkinoos’ comment on Odysseus’ performance, we can be sure that the poet of the Odyssey is also fully aware of the fictitious potential of good poetry.36 In this particular case, I think we can detect here a conventional self-awareness of the poet who is ready to play with the rules of his genre by conceiving three different but internally consistent poetic worlds and who confronts them to entertain his audience. As Uvo Hölscher aptly observed, in the Odyssey ‘the lie resembles reality whereas the truth belongs to the realm of fantasy’.37 As we remember, the fantastic or exotic elements of the narrative must have been abundantly present in earlier epic traditions, but their juxtaposition with ‘the lie that resembles the truth’ was most probably due to the original idea of the poet of the Odyssey. So my final question is whether we can postulate a more general context for this idea. *
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(5,105–12). One could of course ascribe this fact to an earlier, or alternative, version of Odysseus’ nostos, but it cannot be excluded that the most fantastic elements of his wanderings were omitted on purpose as unsuitable for a truthful account by the god. It is true that the syntax of Od. 19,203 is ambiguous, but this is not enough to conclude that Hesiod’s more natural hexameter predated this line of the Odyssey. One should rather think of some traditional phrasing as ambiguously rendered by Homer (as pointed out by J. Russo, in Heubeck 1992, vol. III, ad loc.). More recently, of an immense scholarly discussion on these issues, see in general Goldhill 1991 and Finkelberg 1998. Cf. also the studies listed above, n. 11. Hölscher 1989, 213.
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What I suggest is assuming that the aforementioned play with the epic conventions and in particular with the convention of the epic nostoi, or better: of the sea adventures of heroes, had a similar function to the monumental creation of the presented world by the poet of the Iliad. The world of the ‘false tales’ of the Odyssey corresponds to the Weltanschauung, in which personally meeting a god was only possible for chosen individuals in the heroic times when earth was still populated by direct descendants of gods and by personal favourites of gods. In those times of old, one could easily encounter men of superhuman strength, untold monsters, magical objects, self-propelled ships etc. Consequently, the main lesson to be learned from the juxtaposition of the three different worlds of the Odyssey is that of an awareness of possible forms of interaction between gods and humans in the present time of the audience of the poem. In their eyes, such an interaction is of course feasible, but only through the agency of an oracle such as Dodona. In their lives, communicating with gods is always opaque, deceptive, or at least ambiguous. The gods may appear to them in an unrecognisable form, as fundamentally unfathomable, distant, and capricious, and whose intentions are unclear and beyond comprehension. In a word, I would argue for a certain ‘theology’ behind the three worlds as conceived and juxtaposed by the poet of the Odyssey. The main element of this vision is the idea of an impassable boundary and distance between the gods and the mortals and of a distance that separates humans from the heroic times. All things considered, this is a hardly surprising concept in its contemporaneous historical context. Suffice it to mention the vision of the human races, succeeding one another according to the will of Zeus, but separate and disconnected in Hesiod’s Works and Days. Or think of minor but telling artistic ploys of the Iliad, where the gods intentionally erase the last trace of the Trojan War by wiping down the remnants of the Achaean wall.38 Let us not forget the message of the Homeric Hymn to Aphrodite (5),39 emphasizing as it does the new and divinely sanctioned cosmic order that excludes the possibility of the physical encounter or love intimacy between the gods and the mortals henceforward. All these poetic works – spanning the late eighth- and early seventh-centuries BC – have a common denominator. They all share the monumental effort to rethink and reassess the epic traditions as regards the idea of the mutual relations between gods and men. In the Iliad and in Hesiod, this effort leads to a solemn vision of the heroic world full of suffering and punctuated by the ultimate consequences of human decisions. In the Odyssey just as in the Hymn to Aphrodite, we find much more light-hearted visions often playing with the conventions of the genres and at times having recourse to a peculiar conventional ‘self-irony’ of the poet.40 But all this together testifies to the strikingly homogeneous intellectual and spiritual atmos38 39 40
Il. 12,8–35. Particularly important here is the l. 23, explicitly associating the disappearance of the wall of Achaeans with the fate of the ‘demi-gods’ as a group (cf. Hes. erg. 159–66). In general, see the inspiring study of the Homeric hymns by Strauss Clay 1989, esp. 152–201. As Jenny Strauss Clay puts it in her classical book (Strauss Clay 1997, 213), ‘The Epic encounter of god and mortal reveals both their similarities and explores their differences. If the Iliad exposes the tragic features of this conjunction, the Odyssey dwells on its comic dimensions.
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phere of this historical period, recognizable at least in some of its surviving literary representatives.41 This brings me back to Gehrke’s intentionale Geschichte. It would only look natural for eighth- and seventh-century poets to connect with the grand epic past e.g. through individual or collective genealogies and thus to conceive their variegated group identities as solidly rooted in their ‘intentional history’. Meanwhile, in the Odyssey and in several other poems of this period, we witnessed a diametrically opposite tendency to systematically insert some elements of the contemporary reality, its world-view, and its system of values into the heroic past and to magisterially juxtapose the two to please the audience of the poems. This intentionale Gegenwart, if you will, was another and I dare say much subtler way of self-identification by way of a contrast with the world-view and the system of values of the mythical past. The identity to which this ploy was supposed to contribute was a very special one. Going far beyond conceivable self-identifications of particular groups or communities, it offered a sense of fellowship with other humans as living their lives kept at a distance by the capricious and ultimately unfathomable gods. Thus, our case-study in intentionale Gegenwart in Homer amounts to a chapter in the early history of Greek humanism.
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Precisely because they compare and contrast the mortal with the immortal, both poems are able to celebrate the human as human’. The problem of why these particular works, displaying this particular Weltanschauung, survived is of course beyond the scope of this contribution. Not that I could claim to have an answer to this fundamental question.
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SPARTAN HEROIC ANCESTRY AND AUSTERE VIRTUES. HERAKLES, THESEUS, AND THE PHAIAKIANS ON THE THRONE OF AMYKLAI Massimo Nafissi Nun, kleiner Phäake! dachte er. Du scheinst vor diesen das Vorrecht beliebigen Ausschlafens zu genießen. Und plötzlich aufgeheitert, rezitierte er bei sich selbst den Vers: ‘Oft veränderten Schmuck und warme Bäder und Ruhe.’(Thomas Mann, Der Tod in Venedig)*
Polybius referred to the sanctuary of Apollo and the hero Hyakinthos at Amyklai as ‘about the most famous of all the Lakonian holy places’ (5,19,1–3). Its importance for the religion of Sparta and the whole of Lakonia emerges from many sources.1 The Amyklaion, located on the hill of Agia Kyriaki, is known to modern scholars through the throne of Apollo and its description by Pausanias (3,18,9–19,5). Its construction represents the culmination of the building activity in the sanctuary which began in the late Geometric or in the Orientalizing period. At that time, a terracing wall was built regularizing and expanding the top of the hill,2 and a colossal figure of an armed Apollo (probably a sphyrelaton about 12 m high) was erected.3 Apollo stood above the tomb of the local hero, Hyakinthos. On one of the two sides, a bronze door allowed access and offerings of heroic sacrifices (3,19,3).
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To Achim Gehrke, the great scholar and friend, in dedication of his tenacious trust in the unity of the fields of Altertumswissenschaft and his passionate mastery of modern literature. [This contribution was completed during a stay at the Seminar für Alte Geschichte of the Wilhelms-Universität Münster in August 2017 funded by the Fondo Ricerca di Base, 2015, from the Università degli Studi di Perugia. My deepest thanks to Dr. Crysta Kaczmarek for her competent and patient help in translation.] Many fifth-century historians, tragedians and comedians refer to the great festival for Apollo and Hyakinthos, the Hyakinthia. Testimonies from the Hellenistic-Roman period document the solemnity and importance of the festival. The Hyakinthia were a great panegyris that emptied the city of Sparta. On the Hyakinthia see recently Richer 2012, 343–82; Petropoulou 2011–12, 153–61; Nobili 2014; Ehrenheim 2015; Petropoulou 2015; Vlachou 2017; Petropoulou in press. The combination of some fragmentary evidence suggests that the Hyakinthian festival was a great pan-Lakedaimonian event. It is probable that, after a pannychis, in the last of three days of the sacrifices, a hecatomb was celebrated, for which each polis of the perioikis contributed an ox: Nafissi 2013, 137–46, and Petropoulou 2011–12, 154–6. Vlizos 2011–12; Vlizos 2017, 74f. Paus. 3,19,2: ‘I know of nobody who has measured the height of the image, but at a guess one would estimate it to be as much as thirty cubits. It is not the work of Bathycles, being old and uncouth; for though it has face, feet, and hands, the rest resembles a bronze pillar. On its head it has a helmet, in its hands a spear and a bow’ (transl. W.H.S. Jones), Hölscher 2005, 56 n. 13. For the date see Vlizos 2017, 74f.
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Sometime between the middle and the end of the sixth century,4 the throne of Apollo was built around the statue of the god and the ceremonial space on the hill was extended with the construction of a new peribolos wall.5 Pausanias attributes the throne and its decorations to Bathykles, an otherwise unknown artist from Magnesia on the Maeander.6 Archaeological research in the late nineteenth and early twentieth century brought to light several architectural elements pertaining to the throne. The remains on the ground were, however, dramatically scarce and the reconstruction of the monument remains debateable. Radical differences in the reconstructions proposed so far demonstrate how difficult it is to combine the surviving remains with Pausanias’ descriptions, which are not always easy to understand. Standing above the altar-shaped base (3,19,3), the statue of Apollo somehow gave the impression of being seated. Additional seats were present, separated by intervals (3,19,1) and it was possible to pass ‘underneath the throne’ (3,18,15 and 5,11,4–5).7 A clearer picture is expected from the results of the work begun in 2005 by Themis Bilis, Maria Magnisali and Manolis Korres, within the framework of the Amyklai Research Project, directed by Angelos Delivorrias.8 No remains have yet been found of the figures with which Pausanias opens his description: the two Charites and the two Horai that functioned as supports for both the front and back of the throne, Echidna and Typhon that stood on the left side, and the Tritons that stood on the right (3,18,10). Similarly, the rich figurative decoration is only known from Pausanias’ synthetic yet systematic and sequentially ordered presentation (3,18,9–19,5).9 Its complete absence in the archaeological record 4 5 6
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Late date: Fiechter 1918, 223–41; Buschor/Massow 1927, 21; intermediate date: Dinsmoor 1975, 142 n. 1; early date: Faustoferri 1996, esp. 350–8. Vlizos 2017, 77. Pausanias says that he will keep the reader in the dark for the sake of brevity – the same reason he set forth to justify his brief description of the scenes (18,10 and below n. 9) – about Bathykles’ master and the Spartan king under which he worked (3,18,9). Doubt has been expressed on the actual availability of this information; Robert 1897, 135, was less suspicious, and thought that Pausanias could rely, at least in part, on the inscription of the statues of Artemis Leukophryene and of the Charites dedicated as charisteria by Bathykles. For the first archaeological investigations see Tsountas 1892, and, also for important proposals on the reconstruction of the throne, Fiechter 1918 and Buschor/Massow 1927; cf. also Martin 1976 and Prückner 1992, who, unfortunately, does not consider the actual remains. For collections and discussions of the various proposals see Martin 1976; Faustoferri 1996, figs. 1–15, 30; Svenson-Evers 1996, 448–58; Delivorrias 2009; see also Ohnesorg 2005, 248, and Prontera 1980–81. Delivorrias 2009; Bilis/Magnisali 2011–12; Korres 2011–12. Regularly updated information on the research conducted by the Amyklai Research Project can be found on the website http://www.amyklaion.gr/?page_id=241. 3,18,10: ‘To describe the reliefs one by one in detail, adding further information, would have merely bored my readers; but to be brief and concise (for the greater number of them are not unknown either) …’ Pausanias avoids a detailed presentation of each figure and does not give commentaries or explanations, but he presents the scenes ‘one by one’. As for the sequential order, 3,18,11, παρέντι and 3,18,15, ἀπὸ τῶν Τριτώνων are also especially significant. The completeness of the description of the reliefs is comparable to that of the temple of Zeus at Olympia, see Marconi 2014–15, 188–93.
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Plan and representation of the Throne of Amyklai, 2nd hypothesis by Roland Martin (Roland Martin, Architecture et urbanisme. Publications de l’École française de Rome 99, Rome 1987, 384–5)
leaves room for speculation. Even so some scholars suggest that the decoration was composed of hammered bronze sheets, it is more likely that marble decoration was used, which has now completely disappeared.10 The decoration was clearly divided 10
Marbles could have been burned into lime. Bronze sheets: Furtwängler 1893, 695f.; Floren 1987, 396; Korres 2011–12; Kansteiner/Lehmann 2014. Paintings on wooden pinakes: Delivorrias 2009.
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into three parts: 25 mythical scenes11 were placed on the external frieze (a somewhat conventional term, given the uncertainty about the placement of the scenes on the building and their presentation either in the form of a continuous frieze or metopes),12 14 were visible on the inside to those who entered the throne from below. Finally, reliefs (?) were placed on the base, which depicted the apotheosis of both Hyakinthos and Herakles, as well as the Muses, the Horai, and the daughters of Thestios. The present contribution will discuss a section of the mythological scenes that decorated the throne, as described by Pausanias, which illustrates the most ancient events of the Spartan and Lakonian past and which should be interpreted as an example of pictorial ‘intentional history’. Hans-Joachim Gehrke, to whom this work is dedicated, has repeatedly shown the historical value of the analysis of this kind of mythical and genealogical traditions. Several themes present in this section of the decoration are not surprising: the throne exalted the greatness of the Lakedaimonian lineage and their heroes, among which Herakles, of course, stood out. Less obvious are the specific selections and their relations to one another as explained in the second chapter. While these myths appeal to the core identity of the Spartans, two further themes, Theseus and the Minotaur and Demodokos and the Phaiakian dancers, are related to a much broader cultural horizon and raise questions that are not easily answered. The encounter between Theseus and the Minotaur, as will be shown in chapter three, may point to an implicit comparison between Theseus and Herakles. The relationship between the two heroes, which was often addressed in myths, took different local forms and changed over time, with Athens playing a particularly important role in the elaboration and dissemination of new narratives. The myth of Theseus as Helen’s kidnapper, however, had a distinctive resonance in Sparta. The Homeric epos, in the case of Theseus and Herakles, seems to preserve a traditional discourse which oriented the iconographic choices on the throne, aiming to correlate the two heroes. Similarly, the text of the Odyssey suggests a marked contrast between the way of life of the Phaiakians and that of the Spartans as known in Classical times. This topic will be examined in chapter four. The development of Spartan austerity was a crucial phenomenon in the archaic history of Sparta. While most of our information on Spartan austerity comes from non-Spartan and Classical sources, the iconography of the throne may provide a local perspective on its early development, shedding light on a phenomenon that had a decisive impact on the values and behaviour of the elites throughout the Hellenic world.
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The number of scenes has been debated (cf. Robert 1897, 131). Faustoferri 1996 counts 26 scenes, dividing the scene with Herakles and Tyndareos into two. Fiechter 1918 reconstructed a Doric frieze on the exterior, despite the fact that there are no traces of triglyphs from the Archaic period (Fiechter 1918, 161 Werkstück 86f.), Buschor supported a continuous frieze (Buschor/Massow 1927, 20). Martin 1976, 375f. and Svenson-Evers 1996, 447 and n. 20, express doubt.
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1. AN ICONOGRAPHIC PROGRAMME? An associative principle prevails in the distribution of the pictorial scenes. No single story or mythical theme was developed in multiple scenes along an entire side of the monument, even though some mythical episodes may have occupied a larger space. Instead, different myths were juxtaposed with each other. Faced with the heterogeneous series of myths represented on the throne, scholarship is divided as to whether the decoration is a mere mythical anthology or follows a structured logic or an iconographic programme.13 Although it is not possible to engage in a thorough theoretical discussion here, it is important to emphasize that the concept of ‘iconographic programmes’ has become less acceptable for the following three reasons: first, it has been indiscriminately adopted for different media; second, there seems to be a tendency of a vicious hermeneutic circle between murky historical and political junctures and abstruse exegesis;14 and third, there is also an abuse of references to political propaganda, which is a concept that is barely pertinent to the Greek poleis.15 Decoration often made reference to specific civic values and symbols of community pride.16 In these instances an ‘iconographic programme’ may reveal a previously shared set of general religious and ethical norms and attitudes. It may also reveal a vision of the past that had been articulated in other (e.g. literary) media. Single viewers decoded architectural decoration differently, thus its content was only subsidiary in shaping collective identities. Nonetheless, it testifies to the basic – yet fragmentarily preserved – constituent of a community’s culture and identity, and to a specific and historically determined combination of those constituents produced by the collaboration of patrons and artists. In the case of the decoration of the throne, however, a paradox is faced: no images are available but the relationships between the myths are known. While the fundamental conditions of a proper iconological or semiotic analysis are absent, the circumstances favour a synthetic perception of meaning because the connections between scenes are significant in terms of polarity and analogy. These associations give the scenes their full meaning and determined their inclusion and precise placement on the throne. 13 14
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For the anthological character and the randomness of the associations of the images on the throne see Felten 1984, 37; Floren 1987, 396; Stewart 1990, 246f. Faustoferri 1996 incurs this pitfall, when she subordinates the lost evidence of the images of the throne to a previous understanding of the historical context in which the monument – according to its suggested dating – was created. Faustoferri recognizes a very important role for the Aigeidai in the commission of the work, but the hypothesis rests on shaky ground. Since the reconstruction rests largely on Nafissi 1991, I am particularly sensitive to the fragility of parts of my own early research. Since I shared the experience of Mario Torelli’s courses with Amalia Faustoferri, I would like to mention his name here with profound and sincere gratitude. His teaching was crucial for my own scholarly training and is still an inspiration for the present research. Knell 1990, XIf.; Marconi 1999 and 2004; Hölscher 2009. Marconi 2006.
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The overall connotation of the decoration seems to be ethical-religious and patriotic, but a more comprehensive investigation lies beyond the scope of this paper. Myths evoked robust traditional conceptual nuclei, while famous archaic gnomai inspired sections of decoration.17 2. LAKEDAEMONIAN ANCESTORS: ZEUS AND HEROES My contribution only considers the first group of scenes presented by Pausanias, who (3,18,10–11) identified these scenes – which probably decorated the front of the monument – as follows: (1) Poseidon and Zeus are carrying Taygete, daughter of Atlas, and her sister Alkyone. There are also reliefs of Atlas, (2) the single combat of Herakles and Kyknos, and (3) the Battle of the Kentauroi at the Cave of Pholos. I cannot say why Bathykles has represented (4) the so-called Bull of Minos bound, and being led along alive by Theseus. There is also on the throne (5) a band of Phaiakian dancers, and Demodokos singing, (6) Perseus, too, is represented killing Medusa. Passing over (7) the fight of Herakles with the giant Thourios and that of Tyndareos with Eurytos, we have next (8) the rape of the daughters of Leukippos. (transl. W.H.S. Jones, rev. by M. Nafissi)
The distinctive character of this group of scenes has long been recognized. At the two extremities (1, 7, 8) there are local myths about the origins of Lakonia and its legendary kings. The first and last of the group (1, 8) depict abductions. Two pairs of brothers abduct two pairs of sisters: Zeus and Poseidon abduct the daughters of Atlas and the Dioskouroi abduct the Leukippides.18 Furthermore, the analogy between the two actions was particularly close, since the Dioskouroi were the sons of Zeus (or at least one of them was). The similar figurative schema of these two depictions highlights the unity of the scenes. Faustoferri suggests a reference to the Lakonian world and culture for all the scenes in this group, and also tries to show that they are related not only to the Spartan basileis, but also to the Aigeidai, the famous Spartan phyle, according to Herodotus’ definition (Hdt. 4,149,1). Immediately after the two peripheral sections, the myths that include Herakles represent, according to Faustoferri, ‘the overthrow of anomic, savage, and cunning beings whose elimination is a necessary premise for the conquest … of the territory, and the establishment of the nomos’.19 The first scene described by Pausanias is Zeus’s abduction of Taygete, Atlas’ daughter and eponym of Mount Taygetos (3,18,10). According to well-known traditions from the Hellenistic-Roman period, Lakedaimon, the eponymous hero of the Lakedaimonians, was born from the union of Zeus and Taygete.20 Important 17 18
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The theme of initiation does not play a significant role, pace Faustoferri 1996. Brunn 1847, 326 (cf. e.g. Furtwängler 1893, 701f.); Faustoferri 1996, 109, 201, 204–5. Birth of the Dioskouroi see Gantz 1993, 323. The name Dioskouroi, instead of Tyndaridai, more common in Lakonia, appears for the first time on a late sixth-century inscribed stele from Sellasia, IG V 1, 919. Faustoferri 1996, 206–10, quotation from p. 206. Paus. 3,1,2. 20. 2; Apollod. 3,10,3; Sch. Eur. Or. 626; Ov. fast. 4,174.
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elements of this genealogy were already known from the Pseudo-Hesiodic Catalogues.21 This section highlights the role of Zeus in the origins of Sparta and Lakedaimon in addition to revealing the civic and ethnic inspiration of the figurative programme. The reliefs portray Zeus and Poseidon abducting Taygete and Alkyone in the presence of their father, Atlas, perhaps illustrating the father’s assent to the abrupt divine intervention,22 but also clarifying that the two sons of Kronos joined two Atlantides.23 Such emphasis is certainly related to the abduction of the Leukippides by the Dioskouroi and the choice of depicting the capture of a second daughter of Atlas by the brother of Zeus may have been intended to reinforce the parallel. The interpretation of scene 7 (3,18,11: παρέντι δὲ Ἡρακλέους μάχην πρὸς Θούριον τῶν γιγάντων καὶ Τυνδάρεω πρὸς Εὔρυτον), which precedes the Leukippides’ abduction by the Dioskouroi, is a traditional crux. Carl Robert rightly assumed that Pausanias interpreted this scene as a Gigantomachy (‘Passing over the fight with the Giants, of Herakles with Thourios and of Tyndareos with Eurytos’), but that Bathykles had intended to depict the myth of the Hippokoontidai.24 The story and its function are well-known. Tyndareos was the king of Sparta. Hippokoon, his brother or step-brother, usurped the reign. When Herakles had defeated and killed Hippokoon and/or his children, he gave Tyndareos back his dignity. It was said that Tyndareos then left Herakles the kingship in his will (Isocr. 6,18), or rather, that Herakles was the holder of it by right of conquest but he left it in deposit for his descendants (Speusippus ad Philippum 6). Scenes 7 and 8, therefore, illustrate the charter myth of the Heraklid kingship and the Dioskouroi, the prefiguration and the protectors of the kings of Sparta.25 In this light, it is easily comprehensible why, immediately after the abduction of the Atlantides, two feats of Herakles (2 and 3) are displayed. After a reference to Lakedaimon and Lakedaimonians, the great mythical ancestor of the Spartan kings 21 22 23 24
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Lakedaimon fr. 129,12 M.-W. = 46,12 Hirschberger; Taygete fr. 169 M.-W. = 73 Hirschberger, cf. 170 M.-W. = 74 Hirschberger; Amyklas, Hyakinthos fr. 171 M.-W. = 75 Hirschberger. On this genealogy in general see Calame 1987. Cf. the role of Leukippos in the scene depicting his daughters’ abduction by the Dioskouroi: Lambrinoudakis 1997. Perhaps an uncertain element in the most ancient traditions: West 1978, 255. On the Atlantides see Gantz 1993, I 212–18; Fowler 2000–13, II 415–18. Faustoferri 1996, 104 n. 1, summarizes other hypotheses about the identity of the antagonist of Herakles, none of which is very convincing (nor is her own, Faustoferri 1996, 104–8, 206–10). Tyndareos never participates in the Gigantomachy. According to Robert 1897, 130, Pausanias read Eurytos’ name in the inscriptions that accompanied many of the figures on the base and on the throne (the best evidence of their presence is in the spelling of Βῖρις in 3,19,2 – Trendelenburg 1880, 133 n. 5 – see also Robert 1897, 128, 131, 134f.) and was then deceived by his own erudition. Eurytos is in fact also the name of a Giant (e.g. Apollod. 1,6,2), but Alkman (fr. 3,9 Calame) had an Eurytos among the Hippokoontidai (cf. Apollod. 3,10,5). On the myth of the Hippokoontidai see Gantz 1993, I 427f. The clearest evidence for the relationship between the Heraklid kings and the Dioskouroi is offered by a famous passage in Herodotus (Hdt. 5,75). Before the quarrel between Kleomenes and Demaratus at Eleusis, it had been customary at Sparta for the two kings, whenever they went out to war, to be accompanied by images of the Dioskouroi. Afterwards, when only one king took the field, he took only one of those symbols with him, see e.g. Carlier 1984, 298–301.
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appears. Herakles is undoubtedly the character most represented in this part of the decoration (in three scenes out of eight) – as well as on the rest of the throne. Before discussing Herakles, however, it is important to first consider scene 6, the depiction of Perseus killing Medusa. Perseus establishes a blood tie between the main characters of scene 7, Tyndareos and Herakles. Perseus, the son of Zeus, is in fact a maternal descendant of Zeus and Taygete (Perseus’ mother, Danae, is the daughter of Akrisios and Eurydike, the daughter of Lakedaimon and Sparta).26 Furthermore, through his children, Elektryon and Gorgophone, Perseus is a common ancestor of Herakles and Tyndareos. In the lexicon of political oratory, the help given by Herakles to Tyndareos could be termed an euergesia, a benefit that obligates the Lakedaimonians to the Heraclids. On the other hand, Perseus’ figure creates a syngeneia that constitutes the premise behind the good relationship between Herakles and Tyndareos. The Spartans were well aware that their kings were Perseids.27 Perseus is therefore also another semi-divine element in the origins of Lakedaimon and its kingship, which are repeatedly ‘ennobled’ by the seed of the king of the gods (Zeus-Taygete > Lakedaimon, Zeus-Danae > Perseus, Zeus-Alkmena > Herakles; the Dioskouroi, depicted in the scene 8, reiterate the claim). The throne depicts Perseus’ great feat. The defeat of one of the most fearsome primordial monsters of Greek mythology is another clear proof of the noble lineage of the Spartan kings. This group of scenes is therefore an expansion of a simple statement: The Lakedaimonians and their kings descended from Zeus. 3. THESEUS AND HERAKLES In the compact set of the first eight mythical episodes, the two central scenes, (4) Theseus and the Minotaur, and (5) Demodokos and the Phaiakians – which were placed between two feats of Herakles (2–3) and Perseus’ killing of Medusa (6) – seem to constitute two intrusions. However, such a layout finds at least partial analogy in the interior scenes. In fact, Theseus appears twice more and he is always flanked by at least one of Herakles’ feats (3,18,15–16): (2) Herakles killing the Moliones; (3) Kalais, Zetes and the Harpyai; (4) Peirithoos and Theseus with the abducted Helen; (5) Herakles and the Nemean lion; (7) Herakles and the kentauros Oreios; (8) Theseus and the Minotaur, and (9) Herakles and Acheloos. The possibility should be explored that the throne suggested a comparison between Herakles and Theseus – to the advantage of the former. 26 27
Cat. fr. 129 M.-W. = 46 Hirschberger and Pherekydes FGrH 3 F10. We are used to thinking of Perseus as the incarnation of Argos and its relationship with the Persians (Hdt. 7,150,2), but Ion of Chios’ fr. 27 West = fr. 90 Leurini, a poem sung in a (culturally?) Spartan context or alluding to it (Whitby 1998; Katsaros 2007, 221–5; Stewart, forthcoming, with many thanks to the author for sharing with me his manuscript before publication), mentions libations to Zeus, Herakles and Alkmene, Prokles and the sons of Perseus, see also Hdt. 6,53; Plat. Alk. 1, 120e.
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This portion of the outer decoration would therefore have formed a sort of excursus or parenthesis, which aimed to demonstrate the excellence of Herakles, the great ancestor of the Spartan kings, through comparison with Theseus. The superiority of Herakles was highlighted by emphasizing the different characteristics of the opponents of the two heroes. Power, danger, armament, number of enemies etc. were salient features for comparison. The contrast is presented by placing a scene displaying Theseus and the Minotaur (4) beside the battle of Herakles against the Kentauroi on Pholoe (3). On first approximation, the logic of the comparison can be defined as follows: the two heroes are confronted with half-human and half-feral monsters. Herakles, presumably armed, clashes with a crowd of monsters, Theseus against a single one. Herakles surpasses Theseus not only in number. In their hybrid form, the Kentauroi, with their equine body, display a sense of strength and power not present in the Minotaur, which, as described by Susan Woodford, was instead ‘a peculiarly unfortunate creature combining the weakness of a man with the limited intelligence and inarticulateness of a bull’.28 Furthermore, the Kentauroi constitute an obvious tertium comparationis between Herakles and Theseus. The confrontation of Theseus and the Lapithai with the Kentauroi is, in fact, a feat that traditionally documents Theseus’ greatness, at least from the first half of the sixth century, as the Pseudo-Hesiodic Scutum (178– 90)29 and the François vase prove. The earliest mention of the conflict between the Kentauroi and Lapithai appears in the first book of the Iliad (1,260–70). Nestor uses the Kentauroi as a means of comparison for the heroes’ strength. The Kentauroi were the ‘strong’ opponents of the ‘fierce’ men of the past, Peirithoos, Kaineus, Theseus and their other comrades, who are all named one by one. These heroes were stronger than Achilleus and Agamemnon. Now you listen to me, both of you. You are both Younger than I am, and I’ve associated with men Better than you, and they didn’t treat me lightly. I’ve never seen men like those, and never will, The likes of Peirithous and Dryas, a shepherd to his people, Caineus and Exadius and godlike Polyphemus, And Aegeus’ son, Theseus, who could have passed for a god, The strongest men who ever lived on earth, the strongest, And they fought with the strongest, with wild things From the mountains, and beat the daylights out of them. (transl. S. Lombardo).
If Theseus is a great hero for defeating the Kentauroi with the help of the Lapithai, and if the clash with the Kentauroi is traditionally the measure of the strength for ancient heroes, the single combat of Herakles against the Kentauroi evokes the superiority of Herakles compared to Theseus and the coalition of heroes who confronted the same opponents. Although the inclusion of Theseus among the heroes 28 29
Woodford 1992, 580, who also remarks that ‘in Attic imagery the bestial, as opposed to the human, aspects of the Minotauros are stressed’. Zimmermann/Schlichtmann 2011, 99 n. 79.
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who fought the Kentauroi (265) is suspected of being an Attic interpolation30 and the Spartans may have been more familiar with the Iliad passage without Theseus, the traditions which included him among the protagonists of the clash were established by the first half of the sixth century. Thanks to these traditions, Theseus was probably thought of as being among the great heroes who fought against the Kentauroi. In any case, the exploit of Herakles, in which he dealt with the Kentauroi alone, was evidence of his superiority over other heroes. Pausanias points out that Bathykles had chosen unusual iconography for the Minotaur scene (3,18,11: τὸν δὲ Μίνω καλούμενον Ταῦρον οὐκ οἶδα ἀνθ᾽ὅτου πεποίηκε Βαθυκλῆς δεδεμένον τε καὶ ἀγόμενον ὑπὸ Θησέως ζῶντα): ‘I cannot say why Bathycles has represented the so-called Bull of Minos bound, and being led along alive by Theseus’ (transl. W.H.S. Jones). Scholars usually compare this scene with rare seventh-century representations that depict Theseus fighting a chained Minotaur. On the throne, however, the struggle was not displayed, but rather Theseus leading away his already defeated enemy.31 Depicting Theseus leading the Minotaur by the halter, like a horse or an ox being led to work or sacrifice, may accentuate the characterization of the Minotaur as weak and docile. It is useful to consider one of the sequences of the inner decoration (3,18,16): (7) Herakles and the Kentauros Oreios, (8) the fight (μάχη) between Theseus and the Minotaur, and (9) Herakles wrestling (πάλη) with Acheloos. It is likely that the first of these scenes is intended to recall – in extreme synthesis, almost quoting the external frieze – Herakles’ labour on Pholoe.32 The other two scenes, as in the iconographic tradition, display Theseus’ fight against the Minotaur with a sword (μάχη), and Herakles’ battle against Acheloos with bare hands (πάλη). Theseus fights armed, and Herakles faces the fight unarmed. The sequence is clear: armed Herakles against many / armed Theseus against a single monster / unarmed Herakles against a single monster. Acheloos is similar to the Minotaur, albeit with reversed human and bull parts. It is obvious, however, that Herakles’ rival is much stronger than the monster confronted by Theseus.33 How does the depiction of Herakles against Kyknos fit into this scheme? In one version of the Herakles and Kyknos myth (2), from the Pseudo-Hesiodic Scutum, Herakles faces and defeats Kyknos and his father, the god Ares (320–470). In an30 31
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Mills 1997, 30 n. 128; Latacz/Nünlist/Stoevesandt 2002, 265, both with bibliography. Two Megarian stamnoi from the second half of the seventh century from Sicily, respectively, CA 3837, Paris, Louvre and BS 1432, Basel, Antikenmuseum (Woodford 1992, I 575 nos. 6–6a). The comparison dates back to Devambez/Villard 1979, 29, and is welcomed or suggested by Brommer 1982, 39f.; Woodford 1994, I 941 no. 248; Faustoferri 1996, 99. Contra, justifiably, Gantz 1993, I 266. For other, more unlikely hypotheses see Brommer 1982, 56; Faustoferri 1996, 96 n. 1. The name Oreios appears both in relation to Kentauroi from Thessaly (Hes. scut. 186), and to the battle on Mount Pholoe (Diod. 4,12,7). It is an unspecific name, appropriate for a mountain creature (the Kentauroi are anonymous ‘mountain-dwelling beasts of prey’ φῆρες ὀρεσκῷοι, in Hom. Il. 1,268; see Bremmer 2012, esp. 27 n. 8). Cf. Faustoferri 1996, 164 n. 3, with bibliography. The comparison was already made in the early sixth century: Corinthian cup from the Gorgoneion group, Brussels, Mus. Royal A 1374; c. 575 BCE (Woodford 1994, no. 246).
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other version, the hero is initially forced to withdraw because Ares intervenes in defence of his son (Stesich. fr. 166–8 Finglass-Davies), but Herakles ultimately wins and kills Kyknos. The presentation of the myth varied in Archaic times, sometimes being depicted as a duel between Herakles with lion skin, shield and sword, and Kyknos as a hoplite, or in the – more or less active – presence of Ares, Athena, and sometimes also Zeus (occasionally alone between the two fighters). In many cases Zeus’ concern for Herakles and for the inevitable confrontation with Ares is made clear.34 If Zeus was present in the depiction of the story on the throne, this would function as a powerful reminder of the previous scene, the abduction of Taygete by the god. It is likely, however, that the throne adopted the version, common in the Late-Archaic period, which features only Herakles and Kyknos.35 The situation was obviously serious: victory over Kyknos had brought about the danger of facing the god of war.36 The duel was one of the most difficult that Herakles endured. Not only was Kyknos armoured in bronze, but he also had a powerful ally, his father Ares. It was much easier to confront the Minotaur, born of the insane passion of a mortal woman for a bull. 4. PHAIAKIAN AND SPARTAN VIRTUES In the depiction of Demodokos and the Phaiakians, Pausanias (3,18,11) clearly recognized the episode portrayed in Od. 8,261–384. Demodokos’ song, which accompanied the wonderful dances of the Phaiakian kouroi, described how Hephaistos captured Ares and Aphrodite in flagrant adultery. It is disputed whether the identification proposed by the Periegetes corresponds to Bathykles’ intentions. Some scholars associate the dances displayed here with those performed on Delos by the young Athenians following Theseus, while others suggest a generic scene.37 The 34
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Cambitoglou/Paspalas 1994 distinguish many versions, four being by far the most popular. It is not always clear if the warrior facing Herakles is Ares or Kyknos. Version B is the simplest, with the duel between Herakles and Kyknos (Cambitoglou/Paspalas 1994, nos. 4–21, 23–6). In version C Zeus features between the two fighting figures (Cambitoglou/Paspalas 1994, nos. 44–73); in the very popular version E, Herakles and Kyknos are backed by Athena and Ares (Cambitoglou/Paspalas 1994, nos. 78–109). In some cases, Herakles is displayed alone defeating Kyknos, and Ares advances to support or avenge his son (Cambitoglou/Paspalas 1994, nos. 127–37, version I). Muth 2008, 28–64, shows how secondary figures effectively connote the fight as extremely dangerous. Cambitoglou/Paspalas 1994, I 973 no. 29. In ἐπείργασται […] καὶ Ἡρακλέους μονομαχία πρὸς Κύκνον καὶ ἡ παρὰ Φόλῳ τῶν Κενταύρων μάχη, Pausanias with the term μονομαχία (duel) differentiates this scene from the clash with the Kentauroi (μάχη), certainly depicted as an overwhelming plurality. Janko 1986; Cambitoglou/Paspalas 1994; Lloyd-Jones 1995; Davies/Finglass 2014, 459–69, with additional bibliography. See Robert 1897, 129; Brommer 1982, 83; and Faustoferri 1996, 100 n. 1, with bibliography cited in the latter two: the entries in the Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae do not trust Pausanias: Pipili 1986 and Touchefeu-Meynier 1994; Pipili 1987, 81, reiterates her suggestion of a genre scene, also because Pausanias wrongly claimed (according to Pipili) that a second choros on the highest part of the throne represented the Magnesians who collaborated
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possibility that Pausanias read some names on the throne, as well as the presence of another unusual scene from the Odyssey, Menelaos’ capture of Proteus (3,18,16: Od. 4,351–570), confirms the plausibility of Pausanias’ indication. The context is very important. After the meal, Alkinoos exhorts the Phaiakians to compete in agones so that Odysseus can evaluate the skill of the Phaiakians in ‘boxing, wrestling, jumping, and footraces’ (8,103). Euryalos, the son of Alkinoos, unkindly offends Odysseus, comparing him to a merchant, ignorant of noble competitions (159–64). Odysseus becomes angry and throws a discus, which surpasses even the smaller ones cast by the Phaiakians (186–98). After boasting of his skills in athletics and archery, Odysseus admits that he cannot compete with men from the past, and in particular, Herakles (223–5). Alkinoos then wisely admits the limits of the Phaiakians and invites Odysseus to remind his future guests what talents Zeus traditionally assigns to the Phaiakians (241–9). But now listen to my words, so that one day, As you sit feasting with your wife and children, You may tell another hero what you remember Of the Phaeacians’ skill (ἡμετέρης ἀρετῆς) in the feats that Zeus 245 Established as ours in our forefathers’ days (ἐξ ἔτι πατρῶν). For we are not flawless boxers or wrestlers, But we are swift of foot, and the best sailors, And we love feasts and the lyre and dancing, Fresh clothes, warm baths, and soft beds. (transl. S. Lombardo) 246 οὐ γὰρ πυγμάχοι εἰμὲν ἀμύμονες οὐδὲ παλαισταί, ἀλλὰ ποσὶ κραιπνῶς θέομεν καὶ νηυσὶν ἄριστοι, αἰεὶ δ᾽ ἡμῖν δαίς τε φίλη κίθαρις τε χοροί τε εἵματά τ᾽ ἐξημοιβὰ λοετρά τε θερμὰ καὶ εὐναί.
He then invites the Phaiakians to dance and to get the cithara for Demodokos (254– 65), so that one day Odysseus would be able to tell others ‘How superior are we in seamanship, in fleetness of foot, in dancing, and in song’ (253f.). The scene of the choros and the song of Demodokos evoke Alkinoos’ admission of weakness (present in the scene, but not mentioned by Pausanias?). Alkinoos’ speech in some ways opposed the speech of Nestor, who recalled the struggle with the Kentauroi in order to demonstrate the superiority of the heroes of the past. The Phaiakians are weak, as Theseus is in comparison to Herakles. For the epic poet, the luxury of the Phaiakians is a distinctive trait of an ideal world; luxury is a positive attribute of the most fortunate heroes (such characteristics also appear through Menelaos and Nestor in the Odyssey), although the conduct of the Phaiakians, as Alkinoos admits, classifies them as ‘inferior’, compared to the heroic greatness of an Odysseus. This luxury was interpreted more negatively in later centuries. Plato (rep. 3,390a–b), for example, launched his barbs on the words
with Bathykles (Pausanias’ claim is accepted by Martin 1976, 376, and Faustoferri 1996, 264 and passim).
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that the courteous Odysseus used to praise the banquets and their pleasure in the palace of Alkinoos (Hom. Od. 9,5–11): Nothing we do is sweeter than this A cheerful gathering of all the people Sitting side by side throughout the halls, Feasting and listening to a singer of tales, The tables filled with food and drink, The server drawing wine from the bowl And bringing it around to fill our cups. For me, this is the finest thing in the world. (transl. S. Lombardo)
Later, Epicurus and his school were likened to the Phaiakians, and – usually scornfully – to their hedonist way of life.38 As a matter of fact, the ancients saw in the Phaiakians an example of a people dedicated to pleasure and the enjoyment of luxury.39 The paradigm has been documented as far back as the fourth century. Theopompos (FGrH 115 F114 ap. Athen. 12,531a–b) compared Straton, the king of Sidon, to the Phaiakians. He recalled their love for banquets, drinking, singing songs and rhapsodies. The king of Sidon, however, with his passion for hetairai, exemplified and even exceeded this model. Polybios (34,9,15 ap. Athen. 1,16c) ironically describes an Iberian king as an emulator of the Phaiakians. The Phaiakians’ love of luxury is a frequent theme in Athenaios and in the ancient commentators.40 This bad reputation, as well as the idea that there was a profound link between the weakness of the Phaiakians and their luxurious life, was already established in Sparta during Bathykles’ time. Alkinoos’ words in Od. 8,241–9 (quoted above) must first be understood in the context of the general weakness of the Phaiakians, which is implied by other passages of the Odyssey. Passage 6,270–2 is particularly relevant. Their naval ability is clearly opposed to martial interests (‘Phaeacians do not care for quivers and bows, but for the oars and masts and streamlined ships, where they love to cross the grey, salt sea.’ transl. S. Lombardo).41 Alkinoos’ reminder of ‘our arete’ (8,244), as opposed to that of Odysseus (237), could raise the critical interest of those who had Tyrtaeus’ elegy (9 G.-P. = 12 West) and the poet’s strict definition of ἀρετή in mind. According to Tyrtaeus no excellence is worthy of praise without military virtue. In fact, Alkinoos’ description of the virtues and true passions of his people proposes values and practices that are in diametrical opposition to Spartan culture. Youth, which is a salient feature common 38 39
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Gordon 1998, esp. 189–98. A useful overview of the post-homeric tradition on the Phaiakians is offered by Duffy 2011. For an essential list of relevant passages see Heubeck/West/Hainsworth 1988, 341. Cf. e.g. Heracleid. Pont. fr. 104 Schütrumpf; Hor. Ep. 1,15,22–5; Plut. symp. 730c; Gell. 19,9,8; Philostr. Ap. 4,20. Athen. 1,9a. 14c. 4,177b. 5,192b–c. 12,513b–e. Duffy 2011, 178: ‘Several Odyssey scholia describe the Phaeacians with derogatory adjectives referring to their wealth and lack of toil. The Phaeacians are called ἀβροδίαιτοι (‘luxurious’) six times in Homeric scholia, making it the adjective most often used to describe them’ (Sch. Hom. Il. 16,747b and Sch. Hom. Od. 6,65; 6,244 (twice); 7,318; 9,6). Cf. also Od. 6,5f. and 199–205.
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to Theseus and the Phaiakian dancers, sharpens the contrast. The Spartans were conscious of the rugged severity of their own educational practices.42 When the poet contrasted boxing and wrestling with running (246f.), he compared the virtues of the hands to those of the feet. The Phaiakians only excel in races, while a feature of Spartan gymnastic practice was a balanced exercise of both hands and feet (Xen. Lak. pol. 5,9). This balanced training had a special connection with the Amyklaion. Apollo accidentally killed Hyakinthos while practising the discus, which in historical times was one of the events in the pentathlon, the most unspecialized agonistic discipline. The Spartans were aware of the agonistic implications of the myth, as is evidenced by concrete votive practices. The Amyklaion hosted dedications for victories in the pentathlon, such as Ainetos’ monument, which was mentioned by Pausanias and is identified with an early Classical inscribed marble stele of a pentathlete found in the sanctuary.43 Alkinoos then boasts of the Phaiakians’ skills in navigation. It has already been mentioned above that the Odyssey associates the Phaiakians’ maritime abilities with their lack of interest for weapons. At the same time, there is no doubt that the Phaiakians’ inclination towards maritime life must have been perceived as foreign to the Spartan culture and way of life. The references to banquets, music and dance (248f.) remind us of the contrast between banquet and war, which is a typical motif of Archaic elegy (Kallinos fr. 1,1–4 G.-P. = West; Thgn. 757–64, 885f.). Epic and sympotic martial exhortations, moreover, urge warriors and citizens to couple feasting with glorious fighting.44 As a whole, the elements that describe the unheroic character of the Phaiakians in these two verses, ‘Feasts … lyre and dancing, fresh clothes, warm baths, and soft beds’ evoke, through contrast, the proverbial sobriety of Lakonian customs.45 Definitive evidence of the moderation in drinking and eating of the traditional Spartan syssitia dates to the fifth century,46 although Alkman already stated his preference for simple and common food.47 The ancients described certain aspects 42
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In Faustoferri’s view (1996, 100f., 211, 219f.), the scene with Demodokos and the Phaiakians acts instead as a mythical prefiguration of Spartan paideia, and the Phaiakians represent a society of homoioi, free from the obligations of work/labour. The ephebic athla of Perseus and Theseus are paradigms for Spartan initiands (Faustoferri 1996, 96–9, 102f., 221). Hyakinthos’ discus: e.g. Hes. cat. fr. 171 M.-W. = 75 Hirschberger, Eur. Hel. 1469–74. Ainetos: Paus. 3,18,7, Massow 1926; Jeffery 1961, 201 n. 51, 195. Hodkinson 1999, 155 and Pavlides 2011, 54 underline the relationship between the Hyakinthos myth and dedications by pentathletes. Irwin 2005, 41–8. The relationship with Spartan paideia is, therefore, a reversal rather than foreshadowing as Faustoferri suggests, 100–1, 211. There is a vast literature on Spartan austerity, see at least Holladay 1977; Nafissi 1991, passim; Hodkinson 1998; Powell 1998; Förtsch 1998 and 2001; Hodkinson 2006; Powell 2009; Scott 2010; Delahaye 2016; Van Wees 2017a and 2017b; Prost 2017 (I am truly grateful to the last two for allowing me to read of a draft version of their papers). A panel of the Celtic Conference in Classic 2017 in Montreal was dedicated to the topic. I briefly stated my own opinion in Nafissi 2009, 129–33. Hdt. 9,82, Kritias fr. 88 B 6 and B 33 D.-K.; cf. Xen. Lak. pol. 5,3–4. The literature on the syssitia is boundless: see at least Rabinowicz 2009; Węcowski 2014, 111–17; Van Wees 2017b. Fr. 17 Davies = 9 Calame, Nafissi 1991, 206–14.
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of Spartan banqueting as ‘anti-sympotic’,48 because it consciously banned the circulation of the cup between symposiasts ‘to the right’. Some of the customs of the standard sympotic practice, such as forced drinks, were certainly perceived as damaging to the body and soul of a warrior. The reference to the cithara (κίθαρις) and dance (258), within the framework of the general characterization of the Phaiakians as a people scarcely versed in the art of war, is reminiscent of the image of the cowardly Paris in the Iliad. Hector warns him: the κίθαρις and the gifts of Aphrodite, hair and beauty will not be of any use to him (Il. 3,54f.). Aphrodite tempts Helen, by telling her that Paris, after his inglorious escape from the duel with Menelaus, is waiting in the thalamos, splendid in his dress like someone going to or returning from the dance (Il. 3,391–4). Elsewhere in the epic, dance is opposed to war and military valour. Warriors are incited to fight, not to dance (Il. 15,508), and Priamos rebukes his surviving sons, calling them liars and dancers, great only in dance (Il. 24,260f.). The cithara returns again in a famous passage in Herodotus. Kroisos advises Kyros (Hdt. 1,155,4) that in order to transform Lydians from men into women and make them lush, it is necessary to prevent them from having weapons, to dress them luxuriously, make them wear female shoes, and – among other things – teach their boys to κιθαρίζειν.49 The advice turns out to be effective (1,157). Poems accompanied by the cithara were, without a doubt, sung in Sparta, from at least the time of Terpander and the founding of the cithara contests of the Karneia in the seventh century, up to the Hellenistic Hyakinthia (Polykrates FGrH 588 F1). A Spartan however would reproach the Phaiakians for their inability to balance musical ability and warlike virtues. That is what Spartan culture demanded, as Plutarch shows (Lyc. 21,4–6) by quoting famous verses of Terpander (fr. 4 Diehl = 5 Gostoli), Pindar (fr. 199 S.-M.) and a poetic fragment modern scholars have ascribed to Alkman (fr. 41 Davies = 143 Calame): ‘Goes in front of the weapons and iron the fine lyre-playing’ (ἕρπει γὰρ ἄντα τῶ σιδάρω τὸ καλῶς κιθαρίσδεν).50 Playing music and dancing were particularly prominent in the displayed scene, as well as in the Hyakinthia, because of the songs and the choruses that enlivened the festival (Polykrates FGrH 588 F1). Traditional images of unmanly hedonism are often built by accumulating recurring elements, which become immediately recognizable common truisms. Dress is a common feature of these descriptions. The desire to change clothes frequently 48 49
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Węcowski 2014, 111f. Although sometimes Gorman/Gorman 2014 give the impression of throwing the baby out with the bathwater, there is much to commend in their reading of Herodotus’ treatment of Lydian luxury, stressing the importance of the reversal of martial education and practice (117–27). For a more traditional approach see Dorati 2003. The exact interpretation of the relationship between music and war in the Alkman fragment is not clear: Nannini 1988, 39–47. Plutarch twice quotes Alkman fr. 41 Davies = 143 Calame. In Lyc. 21.6 the verses describe the Spartans as μουσικώτατοι and together πολεμικώτατοι. In Mor. 334e–335a, Plutarch narrates instead that the poem was performed to celebrate the close relationship between music and heroism. The chronology of these verses – except those of Pindar – is uncertain. In the secondary tradition, the fragment of Alkman is attributed to ‘the Spartan poet’ or is said to have been recited by the’Spartans’; against the Terpandrian authorship of fr. 5 Gostoli: Beecroft 2008, 234–6; cf. Power 2010, 317–422; Kivilo 2010, 121–66.
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assimilates the Phaiakians (249) to the beautifully clothed Homeric Paris and the effeminate Lydians of Herodotus. Conversely, Thucydides contrasted a more relaxed (τρυφερώτερον) and laid back (ἁβροδίαιτον) lifestyle, for which he used Athens as the prime example, and a more sober and egalitarian one, represented above all by the Spartans (Thuk. 1,6,3–4; about Sparta cf. Aristot. pol. 4,1294b26–29). Thucydides’ main focus was on the luxury or poverty of dress.51 The earliest testimony of a typical Spartan style of dress, then linked to the severity of Spartan education, and finally a cliché, is present in the portrait of Athenian lakonophiles (and of Socrates, who was connected to them). Aristophanes (Lys. 279f., Av. 1282, 414) and Plato (fr. 132 Kassel-Austin) already implied that the Spartans and the lakonophiles seemed dirty, perhaps because they did not change their clothes and did not wash themselves. Spartan youths were obliged to wear the same clothing all year, regardless of the season.52 Already in the fifth century bathing in hot water (another Phaiakian arete: Od. 8,249) was considered to be an overindulgent and degenerate pleasure, as can be seen in Superior Argument’s response to Inferior Argument in Aristophanes’ Clouds (991, 1044–54): the baths make man cowardly (1046: κάκιστόν ἐστι καὶ δειλὸν ποιεῖ τὸν ἄνδρα). As Ducat observes, Superior Argument is informed by Spartan education, and more generally by the stereotypes and judgments which are the basis of both Spartan education and traditional mentality.53 As for the reference to the ‘beds’, the meaning is uncertain. An erotic connotation has been suspected,54 but it is more likely an allusion to a relaxed life, opposed to the rigorous laborious effort that is an essential feature of Spartan education and life. Classical tradition, and without doubt the Spartans themselves, conceived of it as a difficult practice in fatigue and pain tolerance (ἄσκησις, πόνοι).55 A more direct contrast can be seen in the rough straw mattresses, on which young Spartans used to sleep (Plut. Lyc.16,13f.). 5. CONCLUSION Beyond the individual aspects, it is the assemblage of these statements that is most scandalous for a Spartan: this ‘manifesto of the Phaeacian dolce vita’.56 Alkinoos 51 52 53 54 55
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Van Wees 2017a, 216–9. Xen. Lak. pol. 2,4; Plut. Lyc. 16,12; Iust. 3,3,5, cf. the lakonizing Sokrates in Xen. mem. 1,6,2–6. On the lakonophiles Cartledge 1999, 313f.; Hodkinson 2005, 223; Ruzé 2007. Ducat 2006, 36–8. As Ducat observes, in reference to Sparta, this theme only appears in Plut. Lyc. 16,12, and in a very general manner. Heubeck/West/Hainsworth 1988, 361 ad loc., comments ‘the erotic nuance cannot be excluded’, but remembers that Horace (epist. 1,2,30) mentions the Phaiakian custom of ‘sleeping until very late’. Węcowski 2014, 219, considers the hypothesis farfetched. Xen. Lak. pol. 2,3; 3,2; 4,5; 7,4; cf. Plat. leg. 1,633b–c. Although schematic and opportunistic in the hostile climate of the war (Ducat 2006, 39, Hodkinson 2006, 118), Pericles’ reference to the ἐπίπονος ἄσκησις of the Spartans (Thuk. 2,9,1) ultimately reflects the perception that the Spartans themselves had of their own education. Węcowski 2014, 219.
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reveals an orientation towards pleasure, contrary to the Spartan focus on warlike virtues, providing important evidence on the history of Spartan culture and its evolution towards austerity. More broadly, it sheds light on a turning point in Greek culture, which led to the rejection of luxury as a manifestation of happiness and the well-being of the ‘aristocratic’ lifestyle.57 The root causes of Spartan austerity are debated, and its very development is hard to trace.58 Some scholars emphasize the military needs, others the concern for internal social equilibrium, but most assume that austerity was largely inspired by fear of the helots.59 The throne of Amyklai suggests that elite display was considered to be not only socially divisive, but also alien to genuine local traditions because of its cosmopolitan character.60 In addition, not least because luxurious hedonism was gendered, it seemed incompatible with manly valour (andreia).61 A relaxed and effeminate lifestyle contrasted with the height of Sparta’s greatness, as well as with the individual pursuit of excellence. Hardship was the core of education, and endurance, martial bravery, and political action were the gateways to honour.62 The most elitist community of Greece, while striving for equality in diaita among its members, took the lead in refusing hedonism and luxury. Framed in a discourse of arete, the throne offers indirect, but clear evidence of this perspective. Theseus is not as strong as Herakles, he is weak like a hedonistic Phaiakian. Through the comparison with Theseus, the throne certainly focuses on the greatness of Herakles. One cannot exclude the possibility that Theseus also represented Athens.63 In this case, the throne would have not only developed a rhetorical strategy to exalt the greatest of mortals, but also displayed Sparta’s hostile view of the Athenian community. If this is the case, some questions are raised. Is there any relation between the iconography of the throne and the growth of Theseus in Athenian culture and imagery, and what is the chronological relationship with the Athenian treasury in Delphi, where Theseus and Herakles are fairly compared? Moreover, moving from 57
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In recent years habrosyne and archaic luxury have largely been discussed with reference to Morris’ (1996, 2000, esp. 109–91) and Kurke’s (1992, 1999) opposition between Middlingand Elitist-Ideology (on shortcomings of which see Hammer 2004; Kistler 2004; Irwin 2005, 58–62; Van Wees/Fisher 2015, 25–7; Ma 2016, 642–53). Hodkinson 1998. Holladay 1977; Van Wees 2017b, 255–8. A classic statement of the importance of the helots for the transformation of Sparta is to be read in de Ste. Croix 1972, 79–81. See the cautious remarks by Hodkinson 2006, 132f. In Nafissi 2009, I expressed my sympathy for Nino Luraghi’s opinions on helotism in Spartan history. Crielaard 2009, 60–2. Lombardo 1983, 1097–102. Nafissi 2009, 129f. On Theseus as an Athenian hero, at least from the sixth century, the development of a tradition about his heroic deeds in the last decades of the century, often emulating those of Herakles, and the Treasury of the Athenians at Delphi see e.g. Mills 1997 and von den Hoff 2010 with bibliography (on the figural decoration of the Treasury of the Athenians at Delphi, particularly the parallel between Herakles and Theseus see now Gensheimer 2017). At present, it is pointless to wonder whether the contrast has ethnic connotations, and prefigure an anti-Ionic prejudice known for the fifth century (Alty 1982).
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culture and communication to political history – could the king under whom the throne was commissioned have been Kleomenes, who, in the late sixth century, was humiliated, pushed back by the fierce resistance of the Athenian citizens, and tried in vain to punish Athens, Theseus’ city? These questions must remain unanswered until a revision of the archaeological and architectonical evidence establishes a firmer chronology for the throne.
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HERODOT UND SEIN ERBE
TRADITIONAL NARRATIVES, HISTORIOGRAPHY, AND TRUTH. ON THE HISTORICITY OF HERODOTUS’ HISTORIES Maurizio Giangiulio ‘[…] l’enquête d’Hérodote n’établit pas la vérité en constatant, en raisonnant, en recoupant les témoignages, mais en narrant ou plutôt en se faisant narrer, et en choisissant – mais sans le dire – le narrateur oral ou livresque qu’elle tient pour veridique.’ (P. Veyne, Préface, in: Darbo-Peschanki 1987, 9–10)
At the beginning of ‘Heart of Darkness’, just before Marlow begins narrating the story, the author warns the reader that ‘Marlow was not typical […] and to him the meaning of an episode was not inside like a kernel but outside, enveloping the tale which brought it out, only as a glow brings out a haze, in the likeness of one of those misty halos, that sometimes, are made visible by the spectral illumination of moonshine’. Herodotus too was not typical, and also to him the meaning was not simply ‘inside like a kernel, but outside’. In this sense there surely is something beyond the text of the stories told in the Histories. Such an apparently unpostmodern stance, however, is not meant to return to outdated views of the relationship between historiographic textuality and factual “reality”. It aims instead at highlighting the growing consensus on the existence behind and beyond Herodotus’ narrative of complex networks of other meaningful narratives, namely oral traditional stories.1 And it is this world of narratives and meanings that in a sense surround the stories recounted by Herodotus, and indirectly and often no more than suggestively make sense of them. TRADITIONAL STORIES This kind of narratives have left traces in Herodotus’ text, and we still can get an idea of the characteristics that belong to oral traditional stories shaped by, and articulated according to, patterns and motifs typical of both international folklore and Greek myth, as well as of ritual action. Herodotus exploited stories of this kind, and constructed his text out of them, not limiting himself to extracting detailed information from their content. He made the most of those narratives qua stories, far from taking them as “repositories” of factual details. This is probably the reason why only thorough acquaintance with both the text of the Histories and international 1
See Aly 1969; Murray 1987; Gould 1989; Griffiths1987; Hansen 1996; Giangiulio 2001; Griffiths 2001a and 2001b; Luraghi 2001a; Murray 2001; Luraghi 2005; Griffiths 2006; Davies 2010; Wesselmann 2011.
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folk narrative can give us an idea of the pre-existing narrative material Herodotus incorporated into the fabric of his work. Two examples among many others may be especially helpful. Thanks to Victor Hansen’s analysis, as refined by Nino Luraghi,2 the Lydian logos in Book I, and especially the stories of Gyges and Croesus, turn out to be the rewriting, with additions and changes, of a legendary account of the vicissitudes of the Mermnad royal dynasty. In turn, this legend had drawn several motifs from the international tale type known as Das Marienkind (‘Our Lady’s Child’, ATU 710),3 but some of them were used to account for the rise of king Gyges to power and some others to shape the story of the fall of Croesus. Admittedly, a narrative tradition of legendary character adopting and transforming folklore stories was reshaped and given literary form by Herodotus. Almost the same holds true for Herodotus’ account of the career of the Greek doctor Democedes in Book III (129–38). If one looks deeply into it, as Alan Griffiths, and more recently Malcolm Davies did,4 the story of the doctor brought before the Great King in fetters appears to be imbued with folk tale elements, as well with narrative structures and values influenced by international folk narrative, to the point that the idea makes no sense at all that Herodotus put together such a story out of individual folk tale motifs he would have picked out from international tale. Now, if such a story about the ‘great’ doctor Democedes existed, as its traditional features lead us to assume, the conclusion is inevitable that Herodotus was drawing on a pre-existing oral narrative circulating in South Italy and/or Samos. It is not necessarily to be inferred, however, that it was a ‘popular narrative’, as Davies supposes,5 because the story (or the stories) Herodotus came to know had already lost its original folk tale format and turned into a ‘legend’, that is a traditional story about an allegedly historical event of the past.6 Besides, we may also assume that Herodotus did not put together his patterned narratives out of rough data or small pieces of factual information. He did not ‘translate’ historical details into traditional story-telling ‘idiom’, as Detlev Fehling maintained, and more recently Katharina Wesselmann has come to believe.7 Quite on the contrary, we see that Herodotus had at his disposal traditional stories such as foundation tales of overseas colonies, tyrant stories, narratives about Near Eastern kings, oracular tales.8 The influence exerted on his Histories by a mass of oral traditions already cast into narrative form cannot be overestimated. One may also wonder whether the extent to which Herodotus’ account of the past is woven out of 2 3 4 5 6 7 8
Hansen 1996; Hansen 2002; Luraghi 2005, 78f. See Uther 2004. Griffiths 1987; Davies 2010. Davies 2010, 25. On legends and Sage Bascom 1965 and Gerndt 1988 are still essential reading; see also Hansen 2002, 2 and n. 2, 8–9, 15–16. Fehling 1989; Wesselmann 2011 (reviewed by Maurizio Giangiulio in: Gnomon 86 (2014), 101–6). Foundation tales: Giangiulio 2001 and 2012; Hall 2008; Mac Sweeney 2015. Tyrant stories: Catenacci 1996; Luraghi 2001a; Giangiulio 2013; Luraghi 2013. Near Eastern kings: Regenbogen 1930; Reinhardt 1940; West 2003. Oracular tales: Crahay 1956; Giangiulio 2010a, 2010b and 2014.
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stories is greater than we are admitting here. An affirmative answer appears to be appropriate, on the grounds that traditional narrative material is also to be found in those sections of the Histories where no oral informants are mentioned. Again, tyrant stories and oracular tales are extremely rewarding when approached from this angle. When instead we look at the ethnographic sections or the books more directly focused on the Persian Wars, we must acknowledge that the role played by traditional stories remains an under-researched topic, even though Wolfgang Aly’s nearly forgotten pages about the last books of the Histories offer much food for thought.9 Almost nobody followed him, so that especially the influence of oral traditions on Herodotus’ treatment of the Persian wars still waits to be assessed. Importantly, what we said before about those cases where Herodotus evidently drew on traditional narrative material without making any reference to pre-existing stories has notable consequences for the interpretation of metanarrative comments in the Histories. Especially comments aiming to present the author as a re-teller of pre-existing stories are bound to raise grave doubts, particularly when one considers that many times traditional narrative material is exploited without being mentioned at all, and in certain cases what is passed off as a logos in fact never existed as a self-contained, homogeneous oral narrative. HISTORICITY AS FACTUALITY? It is important to note that the folkloric and mythical-ritual nature of the oral traditions retold by Herodotus is commonly believed to have crucial implications for the historicity of the information they contain, all the more so when historicity is understood in terms of factuality. From this point of view, the question arises whether we should assume that there is a historical core to any given patterned narrative in the Histories. Admittedly, the issue of the relationship between traditional stories and historical reliability has always been framed in terms of opposition between facts and patterns, history and fiction. Nevertheless, the idea that one should assess to what extent historicity as factuality is inherent to the stories told by Herodotus is a highly problematic one in itself. More than one hundred years ago, Reginald Macan had already seen that in the Histories: ‘There is no page on which fact and fiction – if so crude a distinction may be admitted for the sake of argument – are not to be found lying side by side, or indissolubly interpenetrated, mutually affected, not as oil and vinegar, but as water and wine.’10 For a long time ancient historians remained unconvinced, but in our own times it is widely acknowledged that archaic Greek culture was an oral/aural one, and that we cannot properly understand it leaving aside the contribution of social anthropology, folklore studies, and field research about oral tradition. The all-important point is that within oral tradition “facts” are not conceived independently from storytelling. In other words, to an oral culture, there is no reality outside storytelling. This is why tradition can be true, but 9 Aly 1969, 144–207. 10 Macan 1895, xxvii.
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not factual. It is the transmission among generations in itself that involves truth, as Jan Vansina pointed out and more recently cognitive research on traditional discourse insisted upon.11 Also the storytelling culture of modern Eastern Europe, could not really think of reality outside a narrative framework. As Walter Benjamin remarked in his Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows, ‘Die Erzählung […] legt es nicht darauf an, das pure “an sich” der Sache zu überliefern wie eine Information oder ein Rapport.’12 This also means that those elements and details of a given traditional story which may appear to be “factual” – and therefore “historical” – cannot be taken as “fragments” of past reality embedded into a narrative context. In addition, it is important to note that oral transmission of stories through generations not only tends to erode the specificities of their factual content, but also to make them undergo complex processes of recasting that accommodate them to stereotyped patterns and motifs.13 Thus, one should conclude that traditional stories cannot be simply stripped off their folk tale elements and narrative patterns for the sake of bringing the kernel of historical truth to the fore. It would mean to discard narrative form in itself, and at the same time to give up the very essence of the tradition. Exactly as a destructive chemical analysis does, when we look for the facts behind any given traditional story we inevitably end up dissolving the object of our investigation. As the rather dismissing, but apropos of analogy with the onion put forward by Richard Buxton has it, ‘strip the layers away, and nothing remains except tears’.14 If so, the “meaning” of traditional stories is inextricably tied to narrative itself to such an extent that one never can extract a few factual details from it and assign a historical value to them. To give just a few examples: there is no reason to look for a substratum of historical details behind the story of Croesus’ survival and all the other Persian court stories.15 And as regards Greece, foundation tales were more intended to make sense of the past and shape collective identity than to chart the historical origins of any given settlement;16 Herodotus’ account of Cypselus, given his true legendary character,17 can give us little reliable information about the Bacchiads and other seventh-century Corinthian elites; nor the stories of Periander, his son Lykophron, and his wife Melissa can be taken at face value.18 Similarly, we are not entitled to translate into factual history the account of Agariste’s wooing,19 the narrative 11 12 13 14 15
Vansina 1985, 129; Boyer 1990. Benjamin 1977, 447. Sourvinou-Inwood 1991; Boedeker 2002, 109f., is less convincing. Buxton 1994, 183. On Croesus and the tales of the Persian court in the Histories, see especially Regenbogen 1930; Reinhardt 1940; Burkert 1985; West 2003. 16 See on this Giangiulio 2001; Hall 2008; Giangiulio 2012, and, most recently, the overview of the foundation tales in Mac Sweeney 2015. 17 Giangiulio 2010a, 127–8, 2010b and 2013; Wesselmann 2011, 201–26; Hornblower 2013, 251–60. 18 Here Sourvinou-Inwood 1991 is of methodological value. 19 Hdt. 6,126–30, on which see esp. Griffiths 2001b, 168; Wesselmann 2011, 180–9; Müller 2006, 225–76.
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of Democedes, the stories of the founding of Macedonian royal dynasty,20 or of the deathly banquet at the Macedonian court under king Amyntas the First.21 To sum up, to look for a kernel of historical facts behind the narrative surface of traditional stories is on the one side unfounded in principle, and on the other extremely difficult in practice. From this point of view, then, historicity cannot simply mean factuality. At this point, it may be worth pointing out that in Herodotus’ Histories the authorial critical comments are not meant to guarantee historicity, not even in the sense of reliably reporting past reality. Of course, Herodotus sometimes makes some comments on a given piece of information, often a very specific one, especially brief reports of what is said, ethnographic data, and individual details. For instance, in the case of the celebrated diver Skyllias (8,8), Herodotus explicitly doubts the truth of the tradition about Skyllias traversing eighty stades underwater and suggests that other (similar) stories were ‘very much like lies’, whereas some were true. However, he has no exact knowledge of what happened, but only an opinion. Thus, no critical treatment of the stories known to the author is provided, and the truthfulness or the falsehood of the oral tradition is ultimately seen as a matter of personal opinion. Similarly, Herodotus does not know if the story allegedly told by the Carthaginians about the lake on an island off the Libyan coast is true. Nonetheless, knowing that anything may happen, and that elsewhere something similar may be observed, he concludes that the story about the Libyan island seems likely to be the truth.22 As one can see, on the one hand this usefully shows that Herodotus’ opinion (gnome) does not consist of vague feelings but presupposes some reasoning, on the other hand confirms that to the human enquirer there can be no certainty about the truth of stories passed around by word of mouth. Notably, also with regards to what king Cleomenes reportedly said to the ephors about the campaign against Argos Herodotus says he is not able to ascertain whether the king was telling the truth or not.23 The conclusion seems inevitable that these and other such authorial intrusions do not suffice to make Herodotus a critical historian. Indeed, making critical com20 21 22 23
Hdt. 8,137–9, with Aly 1969, 196–7, 237; and Gould 1989, 33–4. Hdt. 5,18–21, on which see Wesselmann 2011, 269–82. See 4,195. 6,82,1: Νοστήσαντα δέ μιν ὑπῆγον οἱ ἐχθροὶ ὑπὸ τοὺς ἐϕόρους, ϕάμενοί μιν δωροδοκήσαντα οὐκ ἑλεῖν τὸ ῎Αργος, παρεὸν εὐπετέως μιν ἑλεῖν. ‘Ο δέ σϕι ἔλεξε, – οὔτε εἰ ψευδόμενος οὔτε εἰ ἀληθέα λέγων, ἔχω σαϕηνέως εἶπαι, ἔλεξε δ’ ὦν ϕάμενος, – ἐπείτε δὴ τὸ τοῦ ῎Αργου ἱερὸν εἷλε, δοκέειν οἱ ἐξεληλυθέναι τὸν τοῦ θεοῦ χρησμόν· πρὸς ὦν ταῦτα οὐ δικαιοῦν πειρᾶν τῆς πόλιος, πρίν γε δὴ ἱροῖσι χρήσηται καὶ μάθῃ εἴτε οἱ ὁ θεὸς παραδιδοῖ εἴτε [οἱ] ἐμποδὼν ἕστηκε· 2 […] Ταῦτα λέγων πιστά τε καὶ οἰκότα ἐδόκεε Σπαρτιήτῃσι λέγειν καὶ διέϕυγε πολλὸν τοὺς διώκοντας. – On his return to Sparta he was brought by his enemies before the Ephors; the charge against him was that he had accepted a bribe not to take Argos, when he might easily have done so. His answer – whether true or false I cannot be sure – was that when he had destroyed the shrine of the hero Argos, he supposed that the prophecy was already fulfilled, and on that account, he did not think it proper to make an attempt on the town of Argos, until he had further consulted the god’s wishes, and found out, by means of a sacrifice, whether he would grant him this further success or not. […] The Spartans accepted this as a credible and reasonable defence, and Cleomenes was fully acquitted (transl. Aubrey de Sélincourt).
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ments on specific details or opinions put forward by others does not amount to assessing the historical value of a piece of oral narrative. Herodotus is keen to put on display his “editorial” control over what he is recounting, at least as much as he is prone to polemics,24 and in both cases he was probably concerned with enhancing his authority as an author. As again Aly wrote, ‘möchte man daran zweifeln, ob er wirklich der geborene Forscher ist, der er sich zu sein einbildete’.25 It is also important to note that Herodotus does not comment on how he comes to shape his own account. As regards the story of the Lydian dynasty, for example, he reshapes a narrative of legendary nature, as we have seen before, but abstains from letting the reader understand the role he played in structuring the narrative. In other cases – such as the stories about Helen in Egypt (2,112–20), or the account of the origins of the oracle of Dodona (2,54–7) – Herodotus alleges that he is recounting a logos told to him on the spot, but in fact he presents the reader with rationalizations of stories told by poets.26 And similarly, far from letting us understand how important was his role in reshaping a legendary narrative about the Mermnad royal dynasty, he attributes the story of Croesus on the pyre to Lydian sources.27 In all these cases Herodotus profoundly recasts tradition for the sake of making it more believable, or even reconstructs a supposed local tradition based on his erudition, but at the same time he is committed to attributing his narrative to collective, “national” wisdom. Having all this in mind, it is not difficult to convince oneself that Herodotus’ “critical” comments are not meant to increase the reader’s trust in the reliability of the stories he recounts. For example, when he emphasizes that he is reporting what about the birth of Cyrus and the rise of Persian power is said by the Persians who want to tell the story that gets to the heart of the matter (1,95,1),28 he is not really assessing the historical validity of Persian tradition as such, because ‘the story that gets to the heart of the matter’ (ho eon logos), must be taken as meaning ‘the convincing story’,29 and not ‘the logos telling the truth’. What Herodotus is trying to do here is to lend authority to his account of the early Persian history, which appears to be a large-scale potpourri of legend, folklore, ethnography and historical reasoning. A Persian logos of this kind probably did not exist, and one should be wary of tak24 25 26 27 28
On this point, see especially Thomas 2000, 144f. (Ch. 7: Persuasion and Polemic). Aly 1969, 75. On this, West 2002 and 2003 are essential reading. See 1,187,1. ’Επιδίζηται δὲ δὴ τὸ ἐνθεῦτεν ἡμῖν ὁ λόγος τόν τε Κῦρον ὅστις ἐὼν τὴν Κροίσου ἀρχὴν κατεῖλε, καὶ τοὺς Πέρσας ὅτεῳ τρόπῳ ἡγήσαντο τῆς ’Ασίης. ‘Ως ὦν Περσέων μετεξέτεροι λέγουσι, οἱ μὴ βουλόμενοι σεμνοῦν τὰ περὶ Κῦρον ἀλλὰ τὸν ἐόντα λέγειν λόγον, κατὰ ταῦτα γράψω, ἐπιστάμενος περὶ Κύρου καὶ τριϕασίας ἄλλας λόγων ὁδοὺς ϕῆναι. – So far I have described the subjugation of Lydia by the Persians. The course of my story now leads me to Cyrus: who was this man who destroyed the empire of Croesus, and how did the Persians win their predominant position in Asia? I could, if I wished, give three versions of Cyrus’ history, all different from what follows; but I propose to base my account on those Persian authorities who seem to tell the simple truth about him without trying to exaggerate his exploits (transl. Aubrey de Sélincourt). 29 Erbse 1992, 36 and n. 8, with reference to Hdt. 1,116,5; 5,50,2; 106,4; and Hölscher 1976, 46.
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ing for granted that here the critical historian assumes that there is a true story waiting to be discovered.30 As Hartmut Erbse perceptively remarked, ‘Die treffende Erzählung […] müsste dann Herodots eigene Darstellung sein.’31 Even in the case of the long argument Herodotus makes about the story of Helen as allegedly told by the Egyptian priests (2,120), what is at stake is more the likelihood of the opinion Herodotus shares with his “informants”, than the reliability of the story in itself. And also, the role of the truth spoken by the Trojans according to the Divine is presented as a matter of personal opinion.32 Furthermore, when Herodotus distances himself from a piece of information and suspends in various ways his judgement, he is not necessarily implying by contrast the truthfulness of the rest of his narrative. Although he famously declares in Book VII that he must tell what is said, but he is not bound to believe it (7,152,3),33 such an apparently generalizing statement is meant to indirectly explain why he doubts the complicity of the Argives with the Persians and tends toward believing in the Argive version of the events. This is definitely not abstract historiographical methodology. 30 Pace Harrison 2004, 260–1. 31 Erbse 1992, 36. 32 2,120,5: ’Αλλ’ οὐ γὰρ εἶχον ‘Ελένην ἀποδοῦναι οὐδὲ λέγουσι αὐτοῖσι τὴν ἀληθείην ἐπίστευον οἱ ῞Ελληνες, ὡc μὲν ἐγὼ γνώμην ἀποϕαίνομαι, τοῦ δαιμονίου παρασκευάζοντος ὅκως πανωλεθρίῃ ἀπολόμενοι καταϕανὲς τοῦτο τοῖσι ἀνθρώποισι ποιήσωσι, ὡς τῶν μεγάλων ἀδικημάτων μεγάλαι εἰσὶ καὶ αἱ τιμωρίαι παρὰ τῶν θεῶν. Καὶ ταῦτα μὲν τῇ ἐμοὶ δοκέει εἴρηται. – The fact is, they did not give Helen up because they had not got her; what they told the Greeks was the truth, and I do not hesitate to declare that the refusal of the Greeks to believe it came of divine volition in order that their utter destruction might plainly prove to mankind that great offences meet with great punishments at the hands of God. This, then, is my own interpretation (transl. Aubrey de Sélincourt), with Darbo-Peschanski 1987, 167–169. 33 Εἰ μέν νυν Ξέρξης τε ἀπέπεμψε ταῦτα λέγοντα κήρυκα ἐς ῎Αργος καὶ ’Αργείων ἄγγελοι ἀναβάντες ἐς Σοῦσα ἐπειρώτων ’Αρτοξέρξην περὶ ϕιλίης, οὐκ ἔχω ἀτρεκέως εἰπεῖν, οὐδέ τινα γνώμην περὶ αὐτῶν ἀποϕαίνομαι ἄλλην γε ἢ τήν περ αὐτοὶ ’Αργεῖοι λέγουσι. 2 ’Επίσταμαι δὲ τοσοῦτο, ὅτι, εἰ πάντες ἄνθρωποι τὰ οἰκήια κακὰ ἐς μέσον συνενείκαιεν ἀλλάξασθαι βουλόμενοι τοῖσι πλησίοισι, ἐγκύψαντες ἂν ἐς τὰ τῶν πέλας κακὰ ἀσπασίως ἕκαστοι αὐτῶν ἀποϕεροίατο ὀπίσω τὰ ἐσηνείκαντο. 3 Οὕτω [δὴ] οὐδ’ ’Αργείοισι αἴσχιστα πεποίηται. ’Εγὼ δὲ ὀϕείλω λέγειν τὰ λεγόμενα, πείθεσθαί γε μὲν οὐ παντάπασιν ὀϕείλω (καί μοι τοῦτο τὸ ἔπος ἐχέτω ἐς πάντα τὸν λόγον)· ἐπεὶ καὶ ταῦτα λέγεται, ὡc ἄρα ’Αργεῖοι ἦσαν οἱ ἐπικαλσάμενοι τὸν Πέρσην ἐπὶ τὴν ‘Ελλάδα, ἐπειδή σϕι πρὸς τοὺς Λακεδαιμονίους κακῶς ἡ αἰχμὴ ἑστήκεε, πᾶν δὴ βουλόμενοι σϕίσι εἶναι πρὸ τῆς παρεούσης λύπης. – For my own part I cannot positively state that Xer-xes either did, or did not, send the messenger to Argos; nor can I guarantee the story of the Argives going to Susa and asking Artaxerxes about their relationship with Persia. I express no opinion on this matter other than that of the Argives themselves. One thing, however, I am very sure of: and that is, that if all mankind agreed to meet, and everyone brought his own sufferings along with him for the purpose of exchanging them for somebody else’s, there is not a man who, after taking a good look at his neighbour’s sufferings, would not be only too happy to return home with his own. So the Argives were not the worst offenders. My business is to record what people say, but I am by no means bound to believe it – and that may be taken to apply to this book as a whole. There is yet another story about the Argives: it was they, according to some, who invited the Persians to invade Greece, because their war with Sparta was going badly and they felt that anything would be better than their present plight (transl. Aubrey de Sélincourt).
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It is worth stressing that although to Herodotus it was not unimportant to proclaim things as not false or not far from truth he does not devote himself to closely arguing the truthfulness or exactitude of the stories he recounts. Even where he comes closest to making a strong truth claim, as in 7,139, he limits himself to declaring an opinion (gnome) that he thinks true (139,1) and expresses it in a very cautious manner (7,139,5: ‘a man who declares that the Athenians were the saviors of Greece would hit the very truth’ [transl. by D. Grene]). Also, the factuality of his stories concerns Herodotus only to a limited extent. The most interesting case probably is the discussion in Book I of what Spartans and Samians had to say about the bronze krater sent to Croesus (1,70),34 where Herodotus suspects that the version of the Spartans was a self-interested one. Even in this passage, however, Herodotus does not apply a universal system of reasoning, nor a general methodology, to what he is reporting: when he makes an argument, his conclusions are hardly more than his personal opinion.35 Herodotus surely was more a ‘Historiker von Traditionen’ than an ‘Ausgräber von Fakten’, as Walter Burkert brilliantly put it,36 but nonetheless such a remark should not lead us to assume that Herodotus engaged himself in discussing how he managed the traditions he got acquainted with, or that he was interested in arguing 34
Τούτων τε ὦν εἵνεκεν οἱ Λακεδαιμόνιοι τὴν συμμαχίην ἐδέξαντο, καὶ ὅτι ἐκ πάντων σϕέας προκρίνας ‘Ελλήνων αἱρέετο ϕίλους. Καὶ τοῦτο μὲν αὐτοὶ ἦσαν ἕτοιμοι ἐπαγγείλαντι, τοῦτο δὲ ποιησάμενοι κρητῆρα χάλκεον ζῳδίων τε ἔξωθεν πλήσαντες περὶ τὸ χεῖλος καὶ μεγάθεϊ τριηκοσίους ἀμϕορέας χωρέοντα ἦγον, δῶρον βουλόμενοι ἀντιδοῦναι Κροίσῳ. Οὗτος ὁ κρητὴρ οὐκ ἀπίκετο ἐc Σάρδις δι’ αἰτίας διϕασίας λεγομένας τάσδε· οἱ μὲν Λακεδαιμόνιοι λέγουσι ὡς, ἐπείτε ἀγόμενος ἐς τὰς Σάρδις ὁ κρητὴρ ἐγίνετο κατὰ τὴν Σαμίην, πυθόμενοι Σάμιοι ἀπελοίατο αὐτὸν νηυσὶ μακρῇσι ἐπιπλώσαντες· αὐτοὶ δὲ Σάμιοι λέγουσι ὡς, ἐπείτε ὑστέρησαν οἱ ἄγοντες τῶν Λακεδαιμονίων τὸν κρητῆρα, ἐπυνθάνοντο δὲ Σάρδις τε καὶ Κροῖσον ἡλωκέναι, ἀπέδοντο τὸν κρητῆρα ἐν Σάμῳ, ἰδιώτας δὲ ἄνδρας πριαμένους ἀναθεῖναί μιν ἐς τὸ ῞Ηραιον· τάχα δὲ ἂν καὶ οἱ ἀποδόμενοι λέγοιεν, ἀπικόμενοι ἐς Σπάρτην, ὡς ἀπαιρεθείησαν ὑπὸ Σαμίων. – For this reason, then, and also because Croesus had chosen them out of all the Greeks to be his friends, the Lacedaemonians consented to give him their help. Not only, moreover, were they ready to serve when he should call upon them, but wishing to make Croesus some return for his presents they had a bronze bowl made, large enough to hold two thousand five hundred gallons and covered with small figures round the outside of the rim. They meant to take this bowl to Croesus, but for one reason or another it never reached Sardis. The Lacedaemonians say that off Samos the islanders got wind of its presence and sailed out in their warships and stole it. But the Samians deny the theft: according to them, the Lacedaemonians who were taking the bowl to Sardis were too late, and when they heard that the city had fallen and Croesus was a prisoner, they sold it in Samos to some men who placed it as an offering in the temple of Hera. And indeed if they did sell it, it is not unlikely that on their return to Sparta they would pretend to have been robbed (transl. Aubrey de Sélincourt). 35 As Darbo-Peschanski 1987, 163, penetratingly remarks, ‘[…] quelque soit le type de raisonnement utilize et quelles que soient les precautions prises pour le mettre en oeuvre, il n’engendre que des conclusions probables, ou des opinions qui n’engagent que l’enquêteur […]’. In the light of all the above, I definitely would not say that ‘Herodotus seems genuinly interested in marking a story as true in a very modern sense of factuality – or false’ (Wesselmann 2016, 152). Thomas 2018 importantly contributes to the topic I discuss in the text, but it appeared too late to be accounted for here. 36 Burkert 1985, 15.
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the reliability of large stretches of narratives. He does not give us guidelines for assessing the historical validity of the oral traditions he had at his disposal, and only occasionally comments on the soundness of a complex narrative. HISTORICITY OF TRADITIONS As we have already seen, the historicity of traditional stories reworked and invested with a new meaning by Herodotus cannot mean sheer factuality. Nor can it simply refer to “historicality” taken as the quality of belonging to the past. It evidently needs to be seen from a different perspective. We probably should depart from the idea that the past is something separated from the present and turn to the notion of historicity as developed within the phenomenological and hermeneutic tradition from Dilthey and Husserl through Heidegger, Gadamer and Ricœur, where historicity is seen as the basic existential quality of being for all entities, which human beings take to a self-conscious level. In this way historicity becomes the human perception of being-in-time that in turn affects how both men and societies make sense of their past through their consciousness, memory and self-identity, at the same time shaping their presents. After all, ‘intentionale Geschichte’ is exactly an aspect of historicity in this sense, inasmuch as it may be understood as ‘the projection in time of the elements of subjective, self-conscious self-categorization which construct the identity of a group as a group’.37 Also the notion of “régimes d’historicité” according to François Hartog relates to historicity in the same sense.38 It may be added that recently social anthropology has come to pay attention to the changing ethnographies and the diverse cultural statuses of historicity, especially emphasizing the extent to which the ethnographies from outside the western world assume that the past, present and future are mutually implicated.39 Turning back now to Herodotus, the crucial point is that, inasmuch as the Histories rest on traditional narratives, what we truly gain from them is an idea of the content and structures of social memory. That is to say, an idea of how the past has been construed. Seen from this point of view, tradition is the only historical reality we can achieve. Rather than hoping to reconstruct as precisely as possible the historical details of the past, we should establish themes in the tradition, and try to put them into a historical perspective. The stories about the Lydian or Persian kings, for instance, may include authentic elements we may be able to spot, especially when we have external evidence confirming them. On the whole, however, their historicity consists in the view of Oriental autocracy they represent and in the ways in which different social, ethnic and geographic milieus constructed and transmitted the images of the Eastern kingdoms as projected by the traditional stories. Similarly, Cypselus’ legend does not so much reflect the power relations among the Bacchiad families, but opens a window 37 For the definition, see Foxhall/Gehrke/Luraghi 2010, 9. 38 Hartog 2015. 39 See especially Hirsch/Stewart 2005.
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on the ways in which a new power was seen in seventh-century Corinth. And the multiple stories about Periander give us an idea of how patterned narratives about wicked fathers, persecuted sons and mistreated women contributed to cast the tyrants in a negative light for long time after the end of their rule. In both cases we have before us crucial aspects of the different perceptions of tyranny in archaic Corinth. Also, with regard to the foundation tales, one is inevitably lead to see them as cultural artefacts having much more to do with the corporate identity of the relevant communities than with the historical “events” at the time of their foundation. In all of these cases, we have just a glimpse of the meaning of tradition. And far from being a means to get in touch with the past, tradition becomes, in a sense, the past itself. One is lead to say that understanding the structures and contents of archaic social memory may be more significant than trying to recover some factual details. What if historicity of traditional stories deepens our understanding of history more than factuality does? HISTORICITY OF HERODOTUS’ HISTORIES AS A WHOLE The last aspect to be mentioned is the historicity of Herodotus’ Histories taken as a whole. As we have seen, Herodotus strives to make the most of existing oral traditions and to take advantage of them to give an account, not only of the past, but also of the more recent times. As in the case of Near Eastern history, for example, traditional narratives are often manipulated, re-contextualized and re-focused by Herodotus himself, evidently with the aim to put the Greek-Persian conflict into a broader perspective and help readers to understand who the Persians and the Greeks were, and why they acted as they did. Also, when he reshapes traditional narratives, or “traditionalizes” rationalizations of poetical narratives, he is evidently trying to make sense of things. What is at stake here is some sort of historiographic historicity, all the more so if historicity is not a quality of the past as an object, but of the historian and his consciousness. The same holds true in an even subtle manner for Herodotus’ use of traditional stories to understand the present, that is to say the crucial decades of the late Pentekontaetia and especially the 430s. Most notably, Herodotus does not explain the present in the light of the past, as it might seem. Rather, he “sees” the present in the past, and takes the past as foreshadowing the present. In this way, historiographic historicity, far from isolating the past, focuses on the temporal nexus of past-present-future. The ways in which Herodotus makes use of traditional narratives certainly show that he is able to distance himself from archaic memory-culture. He is extraordinarily equipped to understand it, but he is definitely not part of it. One might see him as placed somewhere midway between – in the words of Hans-Joachim Gehrke – ‘die alte intentionale Geschichte’ and ‘die moderne kritische Recherche-Geschichte’.40 It seems to me, however, that Herodotus’ understanding of the human 40 Gehrke 2014.
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world has more to do with how he manages and uses his traditional narrative material than with the critical stance he sometime takes toward it. This probably is why the historicity of traditions as cultural memory and ‘intentional history’ is subsumed into the manner in which Herodotus views the past and the present and tries to make sense of both of them. That is, ultimately, the historicity of the Histories.
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HERODOTUS, EGYPT, AND THE ATHENIAN EXPEDITION Nino Luraghi Herodotus’ Egypt has fascinated countless readers over many centuries. In part because the Egyptian logos ostensibly ends with the Persian conquest, readers have less often reflected on the historical background against which Herodotus wrote it. After the conquest, Egypt was anything but a quiet province of the Achaemenid Empire, and one major revolt took place during Herodotus’ own lifetime. Starting from an overview of Egyptian restlessness under the Persian domination, I will investigate in the present study the extent to which post-conquest Egyptian history, and especially the major revolt that broke out after Xerxes died and saw the participation of troops of the Delian League in large numbers, may have impacted this part of Herodotus’ Histories. Finally, I will present to the reader a somewhat speculative reflection on the original conception that underlies the Egyptian logos.* ACHAEMENID EGYPT FROM CAMBYSES TO XERXES Conquered by Cambyses in the spring of 526 BCE, Egypt represented the last major territorial addition to the Achaemenid Empire.1 Unlike earlier foreign conquerors, who had either installed themselves in the Nile Valley or, like the Assyrians, had tried to rule Egypt indirectly through subordinate indigenous rulers, the Great Kings chose to be by and large pharaohs in absentia. They appear in Egyptian documents with the full titles of the pharaonic tradition, but in fact they ruled the Nile Valley as a province of their vast empire, installing in it governors, administrators, and garrisons – in part taken over from their predecessors of the XXVI dynasty.2 This was a new situation for Egypt. The actual proportion of accommodation and resistance to Persian rule within the Egyptian elite is hotly debated among Egyptologists, but it * 1 2
It is a privilege to offer these reflections to Hans-Joachim Gehrke – less as an inadequate attempt at beginning to repay a debt that cannot be repaid anyway than as the starting point for new conversations. The date of Cambyses’ campaign has been fixed by Quack 2011. For the timing of the campaign, see Kahn 2007 (with Quack 2011, 242). Cruz-Uribe 2003 discusses in detail many aspects of the Persian conquest. Posener 1936 provides an invaluable collection of hieroglyphic evidence for the Achaemenids as pharaohs; Bresciani 1958 has a broader focus and is equally document-oriented. More recently, see Vittmann 2011. On the Persian garrisons in Egypt, see Tuplin 1987, 238–9 and passim. The most striking case of continuity with the previous situation is that of the Jewish garrison of Elephantine, installed there under the XXVI dynasty, which appears to have taken service with the Persians without any interruption; the same probably applied to numerous mercenaries from the Levant, see Bresciani 1958, 147–53, and Pétigny 2014, 12–14.
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is perfectly clear that it would have been impossible for the Achaemenids to run the country without significant local support.3 There is, however, another side to the story: Egypt holds the undisputed claim to the title of the most unruly province of the Achaemenid Empire. The history of what is usually called the first Persian domination, from 525 to 404, is an endless sequence of episodes of unrest, ranging from all-out revolts to lower-intensity but – one has the impression – almost endemic outbursts of organized violent resistance, until finally, in 404, after ten years of struggle, Egypt became independent again, and remained so for the next sixty years.4 In assessing Egyptian resistance to Persian domination, we need of course to keep in mind that episodes of even quite serious unrest are inherently likely to be underrepresented in our evidence and may well have been more frequent than the full-fledged revolts that involved local leaders taking the title of pharaoh, thereby leaving a trace in dating formulas if nothing else, and/or caught the attention of Greek historians. The suspicion that this might have been the case is reinforced by the evidence of the dossier of documents connected with Arsames, satrap of Egypt possibly from the fifties of the fifth century.5 As Christopher Tuplin memorably puts it, ‘where Egyptian troubles are concerned, multiplication of entities is not necessarily an offence against reason’.6 Whatever their specific causes, on which our sources provide only indirect evidence, full-fledged revolts involving the proclamation of an indigenous pharaoh may show some tendency to cluster around the beginning of the reign of each new Great King. This fact is not surprising and may hint, if not to a reason, at least to an important factor in the outbreak of the revolts. There has probably never been a monarchic system whose legitimacy did not depend at least from a modicum of charisma in Weberian terms, and accordingly, succession has usually been a delicate moment even for the most stable of dynasties.7 At the death of every Persian pharaoh, the option for some local leader of stepping in as the next pharaoh was obviously very attractive. This of course does not mean that other factors should be discarded a priori. Discontent with the fiscal regime imposed by the Persians, or 3
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For balanced surveys of the evidence for the reactions to Persian domination in Egypt, see Devauchelle 1995 and Lloyd 2014. Holm-Rasmussen 1988 was especially important for framing the question and moving away from the anachronistic connotations of the concept of collaboration. The main piece of evidence for the latter is represented by the biographical inscriptions on the naophoros statue of Udjahorresnet (text and translation in Posener 1936, 1–26; English translation in Lichtheim 1980, 36–40), commander in chief of the fleet of Psammetichos III (but see Cruz-Uribe 2003, 13–15) and chief physician under Cambyses and Darius. For a recent survey of the evidence on this fascinating character, which now includes also his grave, see Smoláriková 2015. There is now a book-length treatment of Egyptian revolts against the Persians, Ruzicka 2012, which focuses mostly on the period from 415 BCE onwards, but offers precise information and insight also in the earlier periods. The assessment of the Egyptian revolts in Rottpeter 2007 is based only on the Greek evidence, and accordingly misleading (see below). See the detailed discussion in Tuplin 2013, 39–44 (and, for Arshama’s chronology, 8–10 and 26). Tuplin 2013, 41. For the proximity between succession on the Achaemenid throne and outbreak of revolt in Egypt see Tuplin 2013, 41, and Kahn 2008, 424.
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with an ad hoc increase in the extraction of resources in connection with empire-wide military campaigns, has often been invoked by scholars as a motivating factor.8 The list of short-lived indigenous pharaohs is opened, immediately after the death of Cambyses if not already at the end of his reign, by Pharaoh Petubastis IV, who only recently, thanks to new archaeological evidence, has acquired the profile of a bona fide separatist pharaoh. A reader of Herodotus might be tempted to wonder whether this early rebellion had been sparked by Cambyses’ particularly harsh behaviour: especially in the Greek sources, Cambyses’ presence in Egypt is associated to a veritable leyenda negra consisting of an impressive catalogue of impious and generally irrational actions, and there are reasons to believe that the negative tradition on Cambyses was not a mere product of the inexhaustible phantasy of the Greeks. The notion that Cambyses had overthrown the temples of the Egyptian gods is referred to in a petition to the Persian governor of Judah from the Jews of Elephantine in the last decade of the fifth century, which means that not only such a notion was not limited to the Greeks, or to Herodotus himself, but also that it was commonplace in the Achaemenid empire, to the point that it could be mentioned without fear of offending a Persian provincial officer.9 Whether such view conveys an even approximately adequate characterization of Cambyses’ rule over Egypt, however, is highly questionable: the evidence overall has mostly been taken to suggest otherwise.10 Unlike his absentee successors, from the conquest of the country until the eve of his death in 522 BCE Cambyses had ruled the Achaemenid Empire from Memphis, a decision that may not have contributed to the stability of his imperial throne, but certainly involved closer interaction with the newly-conquered province. Whether he might have also tried to present himself as legitimate heir to Apries after the usurper Amasis, as some scholars have thought, is uncertain,11 but in any case, Cambyses acquired a bona fide pharaonic titulary courtesy of Udjahorresnet and showed appropriate devotion for the goddess Neith, the protector of his predecessors of the XXVI dynasty. The infamous episode of the killing of the Apis bull by Cambyses, narrated by Herodotus and reprised with variations by other ancient authors, has been repeatedly debunked by scholars, and it does sit ill with the fact that Cambyses dedicated the granite sarcophagus of an Apis bull which was buried in 524 BCE.12 The only substantial piece of evidence against Cambyses refers to 8 9 10 11 12
See e.g. Lloyd 2014, 195, and note the reference to the expulsion of Persian tribute-collectors at the outbreak of the Inaros revolt in Diod. 11,71,3. On the impact of the Persian tributary system on Egypt, see also Bresciani 1989. For the text of the letter see Porten/Yardeni 1986, A 4.5. So, at any rate, most of the relevant scholarship; cf. however Jansen-Winkeln 2002, with noteworthy objections. On the legend that made Cambyses a descendant of Apries and its implications for his title to rule Egypt, see Bresciani 1985, 503–4, but cf. Tuplin 1991, 257–9, and see also the comments of Dillery 2005, 388–9, on Hdt. 3,2 and further bibliography cited there in n. 24. For the text of the funerary stele of the Apis bull and of the sarcophagus dedicated by Cambyses, see Posener 1936, 30–6 and 171–5, with a very helpful discussion of the chronological issues, and Devauchelle 1995, 68–70. The killing of the bull is narrated in Hdt. 3,27–9. Depuydt 1995,
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the curtailment of certain economic privileges of temples that had been granted by Amasis.13 On the other hand, when it comes to searching for candidates for the role of manufacturing a posteriori the leyenda negra of Cambyses, we are faced with an embarrassment of richness: beside the Egyptians themselves, for whom in retrospect Cambyses may have come to embody the final loss of independence,14 and perhaps especially the priests whose privileges had been withdrawn or curtailed, there is of course Darius, who reached the Achaemenid throne via a rather oblique itinerary, which many would call outright usurpation;15 finally, the methodical disrespect for the customs of other peoples that characterizes Herodotus’ Cambyses is so deeply reflective of key themes of the Histories that it is difficult to deny that Herodotus himself must have dealt rather creatively with whatever negative image his sources provided to him.16 In other words, while we should not be too surprised by the bad press that Cambyses receives especially in Herodotus, the evidence for his rule over Egypt offers no particularly strong reason to think that the first Egyptian revolt against the Achaemenids had been sparked by any special harshness specific to Cambyses. The rebel pharaoh, Petubastis IV, was once thought to be a vassal of Cambyses based somewhere in Lower Egypt. Recent discoveries in the Dakhla Oasis show that he had been acknowledged as the ruling pharaoh in Upper Egypt as well, and not only in the Memphis area as the evidence previously known was taken to suggest.17 He was very likely responsible for the revolt of Egypt mentioned, but without further details, in Darius’ Behistun inscription (DB 21). Darius’ silence on how the revolt had been suppressed makes of Egypt a unique case in the Behistun text and has caused some amount of perplexity among scholars. Since Aryandes, the satrap of Egypt installed by Cambyses, was still there, at least as late at 518 BCE
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122–5, shows that, strictly speaking, Herodotus’ story in not necessarily incompatible with the epigraphic evidence. The text of Cambyses’ measure, written on the other side of the famous Demotic Chronicle (pBN 215 Verso, text c), is presented in translation by Devauchelle 1995, 75. On the substance of the measure see Bresciani 1985, 506–7. Agut-Labordère 2005, 11–15, suggests that Cambyses may also have been trying to improve the finances of the Egyptian sanctuaries, rather than just curtailing their privileges (but cf. Agut-Labordère 2009/10, 358, where the reintroduction of the measure by Darius is presented as a sign of a later phase in Darius’ reign in which Egypt received a harsher treatment than before, and note Quack 2011, 235–6 and n. 41, on Agut-Labordère’s reading of the papyrus). Menu 2008, 144–5. For a detailed argument in favour of an Egyptian origin of the leyenda negra of Cambyses found in Herodotus, see Dillery 2005. On resentment against Cambyses among the Egyptian priestly elite, see Lloyd 2014, 189. Tuplin 1991, 268. For a different take on the question of Darius’ legitimacy, see Jacobs 2011. On Herodotus’ portrait of Cambyses as the worst embodiment of monarchic arbitrariness, see Munson 2001, 168–72. The substantial bibliography on Herodotus’ Cambyses is collected in Rendina 2014. Kaper 2015; see there the intriguing suggestion that Petubastis IV may have been the true responsible for the disappearance of the army that Cambyses famously sent into the Western Desert from Thebes in order to subjugate the Ammonians (3,25,3). On Cambyses’ expedition against the oasis, see also Cruz-Uribe 2003, 35–7.
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and likely even later, to be got rid of by Darius on trumped up accusations of attempted secession, the most economic hypothesis would be that Aryandes himself had undertaken the task of putting down Petubastis’ revolt.18 Under this scenario, one might of course legitimately wonder why Darius mentioned the revolt in the first place, if he did not think its suppression could be made part of the glorification of his new order that is the central message of the Behistun text. It is also worth pointing out that, if Petubastis controlled Egypt from the Western Desert all the way to Memphis, it is unlikely that the Delta, the region most prone to revolt, had remained loyal to the Persians. In this case, if it was really Aryandes who re-conquered Egypt, then he must have invaded it from the East, along the usual way.19 This would not have been possible without support from the neighbouring Achaemenid provinces. If we look at the likely timing of the events, there is a very real possibility that Aryandes may have acted, at least at the beginning, as a loyal subject of Cambyses’ successor, even though he must have concluded his operations after Darius had ascended to the throne. A scenario of this sort might go some way towards explaining both Darius’ odd silence and his diffidence towards Aryandes.20 But given the troubled transition between Cambyses and Darius, it is perhaps unnecessary to speculate too much on why the latter might have eliminated a provincial governor installed by his predecessor. Be that as it may, Darius famously went out of his way to behave as a good pharaoh, piously donating land to temples, overseeing the revival of central Egyptian institutions such as the House of Life, and interacting in a friendly way with the religious and military elites of the country.21 His efforts seem to have resulted in a generally positive attitude of the Egyptians, and not only among the elite.22 Egypt under Darius’ reign appears to have been at peace, and in later Greek tradition Darius was included among the lawgivers of Egypt and praised for his close association with the Egyptian priests (Diod. 1,95,4–5). At the very end of his reign, however, 18 19 20
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On the evidence for Darius’ visit to Egypt and its chronological implications, see Tuplin 1991, 265–7. In particular on the chronology of Aryandes’ demise implied by Herodotus, see Corcella’s note to Hdt. 4,166 in Ashery/Lloyd/Corcella 2007, 692–3. On the general pattern of invasions of Egypt from Palestine during the first millennium, see Kahn/Tammuz 2009. Polyaenus 7,11,7 speaks of Egyptians revolting because of Aryandes’ cruelty, with Darius persuading them to abandon the revolt by an impressive show of respect for Egyptian religion (note that the introductory sentences are those in which Polyaenus most radically shortened his sources: we do not necessarily have to think of yet another revolt based on what he says here). Hdt. 4,166 has a somewhat puzzling story about Aryandes, installed by Cambyses as satrap of Egypt, producing (or minting?) silver of especial purity and thereby gaining Darius’ hostility; finally, Darius falsely accused him of revolt and had him killed. On the Aryandic silver, see most recently van Alfen 2004/5, 25–6, with further references. Donation of land to the temple of Horus at Edfu: Manning 2003, 74–7 and 265; Udjahorresnet’s reopening of the House of Life under Darius’ aegis: Menu 2008, 151–2. See also the compilation of Egyptian law and legal wisdom ordered by Darius in his third year of reign, Agut-Labordère 2009/10 and Lippert 2010, 159–62 (new readings of the relevant papyrus in Quack 2011, 233–6), which in all likelihood is connected to the later Greek tradition reported by Diodorus, see below. See Lloyd 2014, 191–3.
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Egypt revolted again. We know very little about this new revolt, which Xerxes proceeded to put down expeditiously, except for the fact that the two years of reign of a Pharaoh Psammetichos who appears in documents from Diospolis Parva, in Upper Egypt immediately downstream of Thebes, are most easily accommodated between 486 and 484 BCE, suggesting that this pharaoh, the fourth to carry the name of the founder of the XXVI dynasty, was in all likelihood the leader of the revolt.23 The repression may have been especially severe, to judge by Xerxes’ bad reputation in later Egyptian tradition.24 INAROS’ REVOLT AND THE ATHENIAN EXPEDITIONS TO EGYPT A further and almost certainly far more serious revolt broke out once the news of Xerxes’ death reached Egypt. Because of the involvement of the Delian League, this revolt has left quite a mark in the Greek sources.25 Herodotus refers to it several times in asides, to be discussed later, while Thucydides provides a brief summary of it in his famously laconic treatment of the pentekontaetia. According to him Inaros, whom he calls ‘a Libyan king, of the Libyans who lived towards Egypt’, started from Marea, the old fortress on the Western side of the Delta, and managed to detach from Artaxerxes most of Egypt, becoming himself its ruler (1,104,1). It is worth noting, in light of an Egyptian document to be discussed in a moment, that Thucydides seems to be careful not to say that Inaros had been crowned pharaoh or acknowledged as such. Diodorus on the other hand, our other Greek authority on the revolt, says that Inaros was recognized as king, which in the context can only mean king of Egypt (11,71,3).26 Inaros immediately concluded an alliance with the Athenians, who sent a fleet of two hundred triremes of the Delian League (1,104,2) – according to Diodorus, they voted to send three hundred (1,71,5), but when the operations got under way, his figure is the same as Thucydides’, two hundred (11,74,3). There is a marked difference, at least in terms of presentation, between Thucydides and Diodorus here: while Thucydides says that the Athenians were already en route to Cyprus when they received Inaros’ request, Diodorus clearly thought that Inaros had sent an embassy directly to Athens, and the decision to support him had been taken by the Athenian assembly. The two may not be completely incompatible, but the difference is undeniable. 23 24 25 26
The chronology of the documents is explained in Pestman 1984, 147–8; see also Vittmann 2011, 395. Vittmann 2011, 396–7. Xerxes is singled out for scorn in the Satrap Stele, in what purports to be a report by local Egyptian authorities rendered to Ptolemy Soter; see Klinkott 2007. For a very recent and detailed treatment of the revolt, see Biondi 2016, with copious references to the relevant scholarship. There is no need to expand on the respective reliability of Thucydides and Diodorus; Robinson 1999, 133–5, says all that needs to be said. The revolt is narrated briefly also in Photios’ excerpts from Ctesias’ Persika (FGrH 688 F14, 36–9, discussed extensively by Bigwood 1976); his report does not add much in terms of detail that might tempt one to ignore the general unreliability of this author.
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The discrepancy between Thucydides and Diodorus becomes even more striking as the narrative of the revolt proceeds. Thucydides seems to imply that the Greek fleet sailed upstream the Nile, took control of the river, and finally reached Memphis, where it started besieging Persian and Egyptian troops that had barricaded inside the White Fortress (1,104,2). What Inaros and the rebels were doing we are not told at this point, although later (1,109,1) we do learn that they were fighting alongside the Athenians. Diodorus, on the other hand, has a completely different story, in which a counterattack organized by Artaxerxes and lead by Achaemenes was defeated by a combined Egyptian and Athenian army (11,74,1–4). Diodorus’ version presupposes that what Achaemenes was attempting was a reconquista, invading Egypt from the East and clashing with the rebels on the Eastern margin of the Delta. On the other hand, the Persians who survived the defeat are said to have regrouped in the White Fortress in Memphis (11,74,4), which, while agreeing with Thucydides, is hardly compatible with the above-mentioned scenario, and makes one wonder whether such scenario might not be a mere product of confusion. Some analogies with Ctesias’ version of the expedition of Achaemenides (sic; FGrH 688 F14, 36) do nothing to support Diodorus’ trustworthiness in this case. The failure of the first Persian reaction, whatever shape it took, convinced Artaxerxes that he needed more preparation to curb the revolt. At first, according to Thucydides, he tried to bribe the Spartans into invading Attica, but his attempt failed: the Persian Megabazos returned after having spent money in vain (1,109,2– 3).27 Then, according to Diodorus, Artaxerxes put two of his lieutenants, Artabazos and Megabyzos, the son of Zopyros, in charge of organizing and training a massive army that successfully invaded Egypt and locked up the Athenians and the rebels on the large island of Prosopitis in the Upper Delta, not far from Memphis.28 After eighteen months of siege, the Greeks were finally compelled to surrender. A few of the Greeks, says Thucydides (1,110,1), escaped towards Cyrene, and it is not clear how different his version is in the substance from the one found in Diodorus (11,77,4–5), according to which the survivors were allowed by the conditions of their surrender to go to Cyrene, and thence, of course, back to their native poleis.29 Soon afterwards, a fleet of fifty triremes that had been sent to replace the forces in Memphis, not knowing what had transpired, was attacked when it landed at the Delta by the Phoenician fleet and by Persian land troops and almost completely wiped out (Thuk. 1,110,4).30 27
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It is noteworthy that the money was spent at all: one wonders how exactly; see Lewis 1977, 62 and n. 84. Artxerxes’ attempt at bribing the Spartans into attacking Athens in mentioned also in Diod. 11,74,5–6. Some scholars have connected the obscure story of Arthmius of Zeleia to the mission of Megabazos; see the discussion in Biondi 2016, 50–6. Diod. 11,74,6; 11,75 (the preparation for the invasion) and 11,77,1–2. Thuk. 1,109,3–4, much more succinct, mentions Megabyzos only, and does not refer to the preparations. The main difference is that Diodorus’ version glorifies the Athenians beyond the bounds of credibility and downplays the role of the Egyptians; see the comments of Robinson 1999, 135, and Biondi 2016, 58–60. On the real entity of the Athenian losses, see Robinson 1999, 144–7, who shows that it is utterly unlikely that the entire fleet initially sent to Egypt had remained there during the whole timespan of the revolt, to be besieged and finally eliminated by the Persians, or that Prosopitis might
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The revolt, however, was not entirely quelled. Another local leader, the ‘king in the marshes’ Amyrtaios, seems to have continued almost seamlessly Inaros’ revolt (Thuk. 1,110,2).31 The Persians were not able to defeat him at first: Amyrtaios retreated to the marshes of the Delta and soon thereafter asked for support from the Athenians, receiving a squadron of sixty triremes detached from the fleet of the Delian League that Kimon was leading once again towards Cyprus (Thuk. 1,112,2– 4).32 This time, the Athenian fleet does not appear to have spent much time in Egypt, and we cannot tell how much longer it took before Amyrtaios, too, like Inaros, was eliminated. Not long after his demise, at a time when Egypt may still have been in turmoil, a Psammetichos, king of the Libyans, is said to have sent a donation of 30,000 medimnoi of grain to the Athenians. The combination of name and title would point to a descendant of Inaros, and a fragment of Philochoros dates this episode to the year 445/4 BCE (archonship of Lysimachides). The reliability of this piece of information, however, would require further research.33 The chronology of Inaros’ revolt is not entirely clear, tied as it is to the broader problem of the chronology of the pentekontaetia in Thucydides and beyond. The early date that seems to be compatible with documentary evidence from Egypt could refer to the first phase of the revolt, before the Athenian intervention, especially if we follow a Thucydidean scenario for the latter, which seems advisable considering the geographic confusion of Diodorus’ account.34 As we will see later
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have hosted the crews of 200 triremes for a year and a half; his estimate is in the order of forty triremes and their crews (and note that no allowance is made in his calculations for the Egyptians who were also besieged on the island according to Diod. 11,77,3 – whatever weight we decide to assign to this testimony). The marshes in the lower Delta, a characteristic area, were famously impenetrable; see Hdt. 2,92 with Lloyd 1976, 370. Note that Amyrtaios, unlike Inaros, is called ‘king’ by Thucydides. A somewhat confused reference to this episode is found in Plut. Cim. 18; see Biondi 2016, 104–8. Philoch. FGrH 328 F119; the text is best consulted in Scholia vetera in Aristophanis Vespas 718a and 718b Koster (and see also Scholia vetera in Aristophanis Plutum 178a Chantry). Psammetichos is described as ‘king of the Libyans’ in the version of the fragment preserved in Schola in Aristophanem Vespas 718b, where the name of Philochorus is absent. The same episode is apparently referred to in Plut. Per. 37,4, where a gift of 40,000 medimnoi from an anonymous Egyptian king is mentioned. Regardless of which figure is correct, it was a substantial amount; as a comparison, Athens received 100,000 (Attic?) medimnoi from Cyrene during a grain shortage at some point between 330 and 326 BCE (Rhodes/Osborne 2003, 486–93, with a very helpful commentary), but cf. also the early Hellenistic donations to the Athenians of Lysimachos (10,000 medimnoi in 299/8 BCE, IG II/III3 877) and Ptolemy Soter (20,000 medimnoi in 283/2, IG II/III3 911). Especially if the designation of Psammetichos as ‘king of the Libyans’ can be taken seriously, a connection to Inaros seems likely (but of course cf. Hdt. 3,15,3 discussed below); see Lloyd 1975, 45 and n. 205. The chronology proposed by Kahn 2008, which sets the outbreak of the revolt early in 464 BCE, soon after Xerxes’ death in the summer of 465 BCE, could in other words be compatible with the most common reconstructions of the chronology of the pentekontaetia, which date the beginning of the Athenian expedition to 460 BCE, give or take one year. As Winnicki 2006, 139, rightly points out, the evidence from Upper Egypt (Wadi Hammamat and Elephantine, where an inscription and a letter dated to year 5 and 6 of Artaxerxes respectively have been found) may simply indicate that these areas remained under Persian control during the revolt.
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on, Herodotus’ reference to the battle of Papremis might be taken to suggest that the revolt had possibly started quite some time before the Athenian intervention. New evidence from Egypt has contributed an important piece to the puzzle of Inaros’ revolt. Against an old prejudice that assumed that the revolt involved only the Delta and Memphis, denying that it extended to the whole of Egypt as Thucydides says, we now possess evidence showing that the royal era of an Inaros that can hardly be different from the leader of the revolt was used to date documents all the way to the Oases of the Western Desert in Upper Egypt; the second year of his reign appears in a contract written in demotic from the archive of the temple of Osiris at Manawir, in the Kharga Oasis, west of Thebes. Interestingly, Inaros’ name is not accompanied by regular pharaonic titulary, but by an epithet which has been read either as ‘prince of the rebels’ or, perhaps more likely, ‘prince of the Bakales’, a Libyan tribe.35 Even though there may still be reasons to think that the Persians retained control of Elephantine, Thucydides’ view of the extension of the revolt now appears essentially correct. Finally, in a somewhat more speculative vein, it is worth mentioning a different Inaros, the hero of an extensive story cycle which until recently was documented only in demotic papyri of Ptolemaic and Roman date. The adventures of this Inaros, hailing from the city of Athribis in the Upper Delta, locate him in the early years of the XXVI dynasty and involve victorious fighting against the Assyrians, who repeatedly invaded Egypt under Esarhaddon. Recently Joachim Friedrich Quack has been able tentatively to identify this early Inaros with a ruler of the Delta documented in Assyrian inscriptions. The reinterpretation of an Aramaic tomb inscription from the Fayum area has demonstrated that at least parts of this narrative cycle, and in particular its main character and his struggle against the Assyrians, were already known in the early fifth century BCE. Accordingly, the old idea that the Inaros of the stories could be a transposition of the fifth-century rebel leader has to be given up, but the opposite possibility is now worth considering, namely that the later Inaros took his name after the rebel hero of the early Saite period.36 If Christopher Tuplin is correct in separating the rebel Inaros mentioned in the Elephantine letters from Inaros the Libyan, one ends up with the intriguing suspicion that ‘Inaros’ had become a nom de guerre for rebel leaders in Achaemenid Egypt. Before turning to Herodotus, one point is worth stressing. The expedition in support of Inaros is said by Thucydides to have lasted six years, and if we include the phase in which the revolt was led by Amyrtaios, we must reckon with well over ten years of intermittent engagement of Greek forces in Egypt. Literally thousands 35
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The Manawir ostrakon mentioning Inaros was published for the first time in Chauveau 2004; Winnicki 2006, 135–6, followed by Vittmann 2011, 400, doubts that ‘prince of the rebels’ could be the official designation of a ruler of Egypt, and accordingly proposes a different reading of the ostrakon, as referring to a Libyan tribe known from Herodotus (4,171) and from earlier Egyptian documents. On the Inaros cycle and its origins, see especially Holm 2007 and Quack 2006. Rutherford 2016 provides a fascinating if preliminary exploration of possible Greek literary influences on the shaping of the story. Overall, these studies open up fascinating perspectives on the cultural world of Saite Egypt and on the impact of Semitic and Greek elements (mostly mercenaries, presumably) on such world.
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of Athenians and allies will have spent substantial time in the Nile Valley during this period – and not necessarily only in the Delta. The involvement of the Delian League in the revolt was no minor episode and must have left many permanent traces in the Greek poleis that participated, not only in Athens. The evidence is suggestive: in the Samian Heraion, two inscribed bases mention Samian captains who had fought in Egypt, Hegesagoras and Leokritos. The former, possibly erected retrospectively after the middle of the century, supported a statue, the latter supported an unknown object that had been dedicated by Inaros himself as an aristeion for Leokritos. Hegesagoras was somehow responsible for the capture of fifteen Phoenician ships.37 In light of all this, it is clear that the expeditions of the Delian League to Egypt should be part of any discussion of the audience of Herodotus’ Egyptian logos and of its previous knowledge of the topic. HERODOTUS’ EGYPTIAN LOGOS AND THE EGYPTIAN REVOLTS The first two Egyptian revolts against the Achaemenids are still part of Herodotus’ narrative purview, but the former, somewhat surprisingly, goes unmentioned,38 while the latter appears only briefly at the point where Xerxes was about to gather his army for the invasion of Greece (7,1,3; 7,4; 7,7) – we will return to this. In the passage where he mentions this revolt, Herodotus has a forward-looking reference to the death of the new satrap of Egypt installed by Xerxes, the Great King’s own brother Achaemenes, at the hands of the Libyan Inaros, son of Psammetichos (7,7), which is at the same time a cross-reference to a passage towards the end of the Egyptian logos. There, in the course of a famous comparison of Persian and Egyptian skulls, he refers to inspecting the remains of Persian soldiers who had died in the Battle of Papremis, where, he says, Achaemenes the son of Darius had been killed by the Libyan Inaros (3,12,4). The location of Papremis is not entirely certain, but the general area of the III or VII nomes, on the Western border of the Delta, seems the place to look – this, incidentally, forbids combining Herodotus and Diodorus/Ctesias and shows that the latter had a completely different story for the revolt.39 Considering that Inaros, according to Thucydides, had originally moved from Marea, Herodotus must be referring here to an early episode in the revolt, which may have taken place sometime before the Athenian expedition. A few chapters later (3,15,3), talking about the demise of the last pharaoh of the XXVI dynasty, whom he calls Psammenitos, Herodotus observes that, if Psammenitos had avoided plotting, Cambyses would probably have reinstated him as his deputy, to judge by what the Persians did with the sons of Inaros and Amyrtaios, in 37 38 39
Hegesagoras: IG XII 6.1, 279 = Meiggs-Lewis2 34; Leokritos: IG XII 6.1, 468. See Tuplin forthcoming. The most detailed discussion of the location of Papremis is Bresciani 1972; for further references, see de Meulenaere 1982. Biondi 2016, 35 and n. 101, somewhat misrepresents the issue; Sourdille 1910, 90–6, located Papremis in the Eastern Delta solely on the basis of the need to combine Herodotus and Diodorus, and was still unaware of the evidence later brought to bear on the problem.
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spite of the fact that nobody caused as much harm to the Persians as Inaros and Amyrtaios. Indeed, says Herodotus, it was a Persian custom to honour the sons of kings, even of those kings who had revolted against them. The parallel is somewhat strained: Amasis was no rebel king after all, and it seems hard to believe that Cambyses would have even contemplated installing Psammetichos as governor of Egypt, as Herodotus seems to suggest. One cannot resist the impression that the real point of the passage is the additional information it provides about Inaros and Amyrtaios.40 The sons of the two rebels, called Thannyras and Pausiris respectively, appear in no other source. Herodotus clearly means that, once the revolt was finally quelled, the two were left, as vassals of the Great King, in charge of the Delta principalities over which their fathers originally ruled. Unique to this passage is also the implicit reference to Amyrtaios’ revolt as a concluded affair. Herodotus’ emphatic assessment of the impact of the revolts of Inaros and Amyrtaios should not go unnoticed: any attempt at attributing to him a specific judgment of the Athenian involvement in support of the two rebel leaders should start from here – we shall return to this. Finally, at the end of Book III (3,160,2), after narrating the self-mutilation of Zopyros, son of Megabyzos, which made it possible for Darius to conquer Babylon, Herodotus mentions Zopyros’ son, himself called Megabyzos like the grandfather, who commanded the Persian forces in Egypt against the Athenians and their allies. This is the only time that Herodotus mentions the participation of Greeks in the revolt, and he does so passing over their defeat. Herodotus then adds that Megabyzos’ own son, called again Zopyros, ended up deserting to Athens, thereby generating endless speculations among modern scholars as to Herodotus’ sources of information about Egypt and other Achaemenid matters.41 All in all, one might say that Herodotus provides reasonably comprehensive, if somewhat scattered information on the Egyptian revolt, its main episodes, leaders, and impact. Taken together these references indicate that, unsurprisingly, he was quite familiar with its history. To what extent, we may then wonder, does the revolt form an implicit background and frame of reference for the Egyptian logos? In the first place, the revolt must have left traces in the very Egyptian milieus from which Herodotus derived a good portion of his knowledge, as reconstructed most recently by Ian Moyer.42 To take the most obvious example, the Egyptian nationalist propaganda which is usually considered responsible for the extension of the conquests of Pharaoh Sesostris, in competition with those of the Achaemenids, may point precisely in this direction, and maybe we should view it less in terms of erudite revanchism and more in terms of a militant take on the relationship between Egypt and Persia, linked less to the musings of nostalgic Egyptian priests and more to the 40 41 42
As pointed out by Tuplin, forthcoming. On Zopyros as a source for Herodotus, see e.g. Wells 1923, 95–111; cf. Lewis 1997, 349–50. Let it be noted at this point that the more our knowledge of Egyptian evidence, especially of demotic documents of the late period, expands, the clearer it becomes that Herodotus’ Egyptian logos is indeed based on knowledge of the Egyptian cultural tradition that cannot but have been acquired in loco; see now Quack 2013, 80–1, with his explicit criticism of the ‘liar school’.
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projects of ambitious Egyptian princes, or at any rate to their spin-doctors – in the end, priests, of course.43 This suggestion is reinforced by a somewhat less obvious and certainly less often noticed echo of the revolts which comes in a story regarding the return on the throne of Anysis, the blind pharaoh who had been ousted by the Ethiopian ruler Herodotus calls Sabakos (2,140). According to this story, after spending fifty years hiding in the marshes of the Delta, Anysis regained his position when the usurper fled. In between, for fifty years he had inhabited an island of his own creation, made by the accumulation of earth and ash that Anysis asked the Egyptians who visited him to carry. The artificial island was called Elbo and nobody was able to locate it until it was finally found by none other than Amyrtaios. There is much more to this story than meets the eye of a Greek reader. Beyond the folk tale motif of the return of the vanished king, the story of Anysis and his phantom island reflects patterns that derive from the deepest layers of Egyptian political ideology. The emergence of a mound of land from the water is the first step of every Egyptian cosmogony, while the narrative complex in which the pharaoh, temporarily defeated by a barbarian, foreign king seeks refuge in the marshes, where he regenerates his strength in order to be able to regain his rightful place, is reflected in the mythic battle between Horus, the dynastic god of the pharaohs, and Seth, the god of disorder and barbarism. In the words of Jan Assmann, this myth was ‘the most impressive Egyptian response to the experience of foreign rule’.44 The story of Elbo is embedded in a context of doubtful historicity, which conflates a whole dynasty of Kushite pharaohs into one single individual, the Ethiopian Sabakos, and seems obviously intended to confer legitimacy to Amyrtaios, the rebel king of the marshes, as Thucydides calls him (1,110,2). The leader of a revolt against a foreign domination, he may well have claimed to have found the secret refuge of a previous pharaoh who had himself fled to the marshes in order to take refuge against a foreign domination, along the lines of the ur-story of Egyptian resistance to foreign invaders. All things considered, we seem to have here a piece of Amyrtaios’ propaganda that linked his position to the old pharaonic tradition and to its rituals of kingship, filtered into Herodotus’ own version of pharaonic history, no doubt thanks to his direct or indirect Egyptian interlocutors, who certainly had a deep understanding of the meaning of this story. Surely this tells us something about these interlocutors. Somewhat more tentatively, it seems possible that the revolt has coloured Herodotus’ own presentation of Egypt and the Egyptians more broadly. A discussion of the units of measure for land, implicitly pointing to the vast extent of the (arable) land of Egypt (2,6), or the somewhat misguided insistence on the miraculous fertility of the Delta region (2,14,2), may betray the imperial gaze of mid-fifth century Athens and point to the debates that must have accompanied the decision to send 43 44
On Sesostris, see Moyer 2011, 73; the demotic evidence is discussed by Quack 2013, 63–6. Assmann 2003, 409. For fascinating explications of the symbolic complexes evoked by the Anysis story, see Dillery 2005, 390–2, and especially Haziza 2009, 75–9 (with a clear explanation of the actual historical background of the Kushite dynasty, quite different from Herodotus’ depiction of it). On the name of the island, see Quack 2013, 81.
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substantial amounts of troops to Egypt.45 In a similar vein, the gross exaggeration of Egypt’s military potential that can be deduced from Herodotus’ reference to the numbers of Egyptian warriors, the machimoi, recently emphasized by Christelle Fischer-Bovet, would have had a very special ring on the background of Athens’ support for the indigenous revolt.46 As in the case of Herodotus’ assessment of the damage done to the Persians by Inaros and Amyrtaios, this passage reflects indirectly on the wisdom of the Athenian intervention: whatever its outcome, the Egyptian revolt was a serious enterprise, supported by significant manpower, and even if it had failed, it had posed a severe threat to the Persians. The place where the topical resonance of Herodotus’ references to Egyptian resistance to the Persians appears strongest, however, is one that ostensibly refers to the second revolt, early in Xerxes’ reign (7,1–7). Here, Herodotus creates a suggestive parallel between the Egyptians and the Athenians, both defiant enemies of the Persian superpower, at the price, one may suspect, of manipulating the chronology of the Egyptian revolt: Book VII opens with Darius preparing the vengeance for Marathon when he learns of the revolt in Egypt, and for the next few chapters, including the succession of Xerxes, the question comes up repeatedly, whether Egypt or Athens should be attacked first. It does not take an inordinate amount of phantasy to suggest that the parallel may have originally been meant to create a frame of reference for the support offered by the Athenians to the third revolt, all the more so if Herodotus has on purpose structured the story so that the parallel would be as close as possible. The theme may go back to the age of the revolt, but we should not exclude that it still possessed some topicality in later decades. Regardless of what one thinks of the Peace of Callias, the Persian threat had never fully vanished from the Aegean. Herodotus’ depiction of the Egyptians as former and potential fellow-fighters in the war on Persia had a very immediate meaning for an Athenian audience, even in the forties and thirties.47 EGYPT, THE PERSIAN WARS, AND HERODOTUS’ HISTORIES To conclude, let me trespass the boundary of controlled reconstruction and engage in a modicum of speculation – not otiose, as I hope the reader will agree. Book II is not just any part of the Histories. In terms of structure, there is no other part of Herodotus’ work that is organized in such a clear and meticulous way: geography, ethnography and history are neatly separated, and the thematic transitions are regularly marked by chapters devoted to what we might call reflections on method or on
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They would resonate with Inaros’ offer to the Athenians of a share in Egypt reported by Diodorus (11,71,4). Note that intervening in defence of allies and being attracted by the wealth of the land are not two incompatible reasons, as shown by Thucydides’ depiction of the motives for the Sicilian expedition, Thuk. 6,6. See Fischer-Bovet 2013, 210–19, commenting on Hdt. 2,164–6. General hostility between Athens and the Persians: Eddy 1973; I discuss this question and its implications for a reading of Herodotus Histories in a forthcoming contribution.
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the nature of the evidence.48 Psammetichos’ linguistic experiment (2,2), intended to figure out which human language was the oldest, provides a striking opening, putting on the table some of the key themes of Herodotus’ version of the history of Egypt – monarchy with its arbitrary manipulation of human lives, the fathomless depth of the Egyptian past, and the sophistication of their intellectual tradition. We are then treated to a survey of Egyptian time-reckoning (2,4), of the geological history and extension of their country (2,5–18), and of the geography and morphology of the River Nile, including its unexplored springs and especially its mysterious regime of floods (2,19–27).49 A very comprehensive ethnography, with special emphasis on religion, constitutes the main body of the first part. The transition to the historical narrative is marked by Herodotus’ very famous statement regarding the provenance of his knowledge (2,99,1). Within the historical part, a further turning point, at the end of the earlier part of pharaonic history, is signalled by the anecdote of Hecataeus and the priests (2,143), which confirms both the reliability of the preceding narrative and the soundness of Herodotus’ methodology, as opposed to that of his predecessor, before turning to the more recent part of the Egyptian past, for which, Herodotus emphasizes, evidence from non-Egyptians is also available. 50 The impression of a self-contained unit is irresistible, and it is reinforced on other levels, too. Book II, and the Egyptian logos more in general, is the part of Herodotus’ Histories in which references to the process of collecting information and to the nature of the information collected are most frequent, explicit, and detailed – no other part of the Histories comes even close to Book II in this respect.51 Even the texture of the narrative parts and the underlying moral of the stories are distinctive: there are no wise advisers on the side of Egyptian pharaohs, for instance, and the moral tone that so frequently accompanies Herodotus’ narratives of the past is distinctly absent.52 It comes as no surprise that many a scholar has been led to argue for a special status for this part of the Histories, and some have speculated that it might represent an earlier phase of Herodotus’ project, originally conceived as an independent monograph, along the lines of what apparently most of Herodotus’ contemporaries were doing.53 We have so far ventured only one little step into the dangerous land of speculation. In preparation for the next, more daring step, a few points need recalling. Firstly, the references to the revolt of Inaros and Amyrtaios discussed in this contribution 48 49 50 51 52 53
On the structure of Book II, see now Kimmel-Clauzet 2013, 18–19. As regards Herodotus’ Egypt, I acknowledge here my profound debt to Vannicelli 1997 and 2001, as well as to many illuminating conversations with their author. On the importance of Egyptian time-reckoning as a foundation for the chronology of Egyptian history, see Vannicelli 2001, 216. On the thematic transitions in Book II and the chapters that mark them, see Kimmel-Clauzet 2013, 29–30. West 1991 and Bertelli 2001, 91–4, offer different interpretations of the episode of Hecataeus and the priests. So, among others, Darbo-Peschanski 1987, 108–9, Marincola 1987, 123–8, Luraghi 2001, 151–4. See also the discussion of Herodotus’ methodology based on Book II in Hunter 1982, 50–92. Fornara 1971, 17–18. See the comments on Herodotus’ contemporaries of Dionysius of Halicarnassus, de Thuk. 5.
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give a strong impression that Herodotus had collected sufficient information to continue the history of Achaemenid Egypt up to and including the Athenian expeditions. This however, as shown by Pietro Vannicelli, would have been in contrast with the very keen sense of the lower chronological threshold of the Histories that Herodotus expresses in several places.54 Now, if we are prepared to admit that this sharp chronological threshold, alongside the vision of the singular importance of the Persian Wars of which it is part and parcel, was a product of Herodotus’ own historical reflection, and accordingly was not with him from the very outset,55 we might start wondering whether the insistent presence, direct or indirect, of the Egyptian expedition in Herodotus’ Egyptian logos might not be a pointer to the extension of the project that originally underlay this part of his work, so self-contained and so different from the rest of the Histories – a project the last part of which was later given up in favour of combining and integrating the histories and ethnographies of Egyptians, Lydians, Scythians, Babylonians, and of course Greeks and Persians, into a monumental history of the Persian Wars ending with the year 479.
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Vannicelli 1993, 16–18. See Fornara 1971, 1–4.
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DAS ZWEITE MAKKABÄERBUCH UND DIE TRADITION DER PERSERKRIEGE* Johannes C. Bernhardt Das zweite Makkabäerbuch ist für die religiöse Krise unter Antiochos IV. und die judäische Erhebung unter Führung des Judas Makkabaios eine fundamental wichtige Quelle, als literarisch gestalteter Text aber schwierig zu beurteilen. In der vorliegenden Form ist das Buch in typischem Koinegriechisch abgefasst und weist schon formal eine merkwürdige Struktur auf. Es beginnt mit zwei aus Jerusalem nach Ägypten gesandten Einleitungsbriefen, mit denen die dort lebenden Judäer zur Feier der von Judas Makkabaios erreichten Neuweihung des Tempels 164 v. Chr. aufgefordert werden, also jenem Fest, das sich in einem länger währenden Prozess der Traditionsbildung als Chanukka etablierte und bis heute alljährlich gefeiert wird.1 Im Vorwort zum eigentlich narrativen Teil wird dann von einem namentlich unbekannten Autor ausgeführt, dass die wiedergegebenen Informationen auf die Zusammenfassung (epitome) des ursprünglich fünfbändigen Geschichtswerks eines gewissen Jason von Kyrene zurückgehen, von dem bis auf die Verarbeitung im zweiten Makkabäerbuch aber nichts Sicheres bekannt ist.2 Das wahrscheinlichste Szenario für das Zustandekommen dieser merkwürdigen Form ist nach wie vor, dass man in Jerusalem dem historisch glaubwürdigen ersten Einleitungsbrief einen erläuternden Bericht zu den historischen Hintergründen der Neuweihung des Tempels und der Verteidigung des erreichten Status quo unter Judas Makkabaios beigab, zusätzlich noch einen fiktiven und angeblich aus der Zeit des Judas Makkabaios stammenden zweiten Einleitungsbrief beilegte und das gesamte Konvolut gemäß der Datierungsangabe des ersten Einleitungsbriefs 125/4 v. Chr. an die Judäer in Ägypten versandte.3 *
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Für die Organisation des Symposions anlässlich des siebzigsten Geburtstags von Hans-Joachim Gehrke und die Einladung zur Teilnahme möchte ich mich herzlich bei Astrid Möller bedanken. Die folgenden Ausführungen nehmen Überlegungen auf, die ich in meiner Dissertation Bernhardt 2017a unter quellenkritischen Gesichtspunkten und über mehrere Kapitel hinweg verfolgt habe, so dass mir eine konzentrierte, einige dort noch nicht berücksichtigte Beiträge aufnehmende und weiterführende Argumentation eine sinnvolle Sache zu sein schien und das Themenspektrum des Bandes hoffentlich bereichert. 2 Makk 1,1–2,18. 2 Makk 2,19–32. Diese formale Beurteilung und chronologische Einordnung des zweiten Makkabäerbuches folgt Anstößen etwa von Momigliano 1994a und van Henten 2003, wird von Schwartz 2008, Doran 2012 und Honigman 2014 aber zum Teil radikal anders gesehen. Eine grundsätzliche Klärung der umstrittenen Punkte kann hier glücklicherweise ausbleiben, da die folgenden Ausführungen je nach Beurteilung des ganzen Buches zwar unterschiedlich zu nuancieren sind,
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Johannes C. Bernhardt
Das Zentrum des narrativen Teils bilden leicht ersichtlich Jerusalem und vor allem der Tempel, der in den 170er- und 160er-Jahren v. Chr. drei Bedrohungen und Übergriffen von den Seleukiden ausgesetzt ist und eine thematische Gliederung des Buches in drei Abschnitte ermöglicht. Im ersten Abschnitt kommt es zur Zeit Seleukos’ IV. zu Konflikten zwischen dem Hohepriester Onias III. und dem Vorsteher des Tempels, in die schließlich auch der seleukidische Reichskanzler Heliodor hineingezogen wird. Als dieser dem Tempel überzählige Wertsachen entnehmen möchte, flehen die Judäer ihren Gott an, der den Tempelräuber daraufhin mit mehreren Epiphanien zurückschlägt.4 Der zweite Abschnitt spielt dann zur Zeit Antiochos’ IV. und beginnt damit, dass sich Jason, der Bruder Onias’ III., das Hohepriesteramt beim König erkauft, Jerusalem als Polis konstituiert und als Gegenpol zum Tempel ein griechisches Gymnasion einführt. Als Jason aber schon wenig später von Menelaos aus dem Hohepriesteramt verdrängt wird, kommt es in Jerusalem nach zunehmender Eskalation zu bürgerkriegsartigen Zuständen, bis Antiochos IV. ein blutiges Strafgericht abhalten, den Tempel schänden und sein berüchtigtes Religionsverbot verhängen lässt.5 Zur Wende im Geschehen kommt es erst durch mehrere Martyrien: Judas Makkabaios beginnt den Widerstand, erreicht nach einer Reihe militärischer Erfolge die Neuweihung des Tempels und richtet das später als Chanukka bekannte Gedenkfest ein.6 Im dritten Abschnitt kommt es zur Zeit Antiochos’ V. und Demetrios’ I. schließlich zur Verteidigung des Tempels gegen das erneute Auftreten judäischer Frevler und Zerstörungsdrohungen des seleukidischen Kommandanten Nikanor. Judas Makkabaios kann aber wiederum standhalten, tötet Nikanor im Gefecht und richtet mit dem sogenannten Nikanortag ein weiteres Gedenkfest für die Rettung des Tempels ein.7 In seiner übergreifenden Kausallogik ist der Text durch deuteronomistische Schemata von Schuld und Sühne bestimmt, weswegen Verfehlungen der Judäer sowie Gebete und Martyrien eine zentrale Rolle spielen und immer wieder zum göttlichen Eingreifen und wundersamen Epiphanien führen.8 In der Forschung hat sich die literarische Beurteilung des zweiten Makkabäerbuches in den letzten Jahren massiv gewandelt. Zunächst hatte die klassische Quellenkritik die Einordnung des Buches an zwei Beobachtungen ausgerichtet: Zum einen hat Abraham Geiger schon 1857 dafür plädiert, das stark religiös geprägte Buch zeige abgesehen von Judas Makkabaios kein Interesse an der Hasmonäerfamilie und sei durch eine distanzierte, wenn nicht sogar kritische Haltung gegenüber der späteren Herrscherdynastie geprägt.9 Und zum anderen ist das Buch von Benedictus Niese bereits 1900 in die Tradition der griechischen Historiographie einge-
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aber nicht davon abhängen. Zur Begründung der hier vertretenen Position ausführlicher Bernhardt 2017a, 47–57. 2 Makk 3. 2 Makk 4,1–6,11. 2 Makk 6,12–10,8. 2 Makk 10,9–15,36. Zu „deuteronomistischen“ Schemata Nickelsburg 1971; Schwartz 1998; Vorbehalte bei Honigman 2014, 72–80. Geiger 1857, 219f.
Das zweite Makkabäerbuch und die Tradition der Perserkriege
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ordnet worden,10 bis es Elias Bickermann in seinem berühmten Buch „Der Gott der Makkabäer“ 1937 folgendermaßen charakterisierte: „Literarisch gehört das Werk […] zu einer bestimmten Gattung der griechischen Geschichtsschreibung, der ‚pathetischen Historiographie‘ des Hellenismus, die auf das Gemüt des Lesers wirken wollte […]. Das zweite Makkabäerbuch stellt für uns das einzige Beispiel dieser Literaturgattung dar, von der sonst keine Werke vollständig erhalten sind“.11 Diese Charakterisierung des zweiten Makkabäerbuches als ein hasmonäerkritisches Stück pathetischer oder tragischer Geschichtsschreibung wird nach wie vor vertreten und stellt trotz der kaum noch überschaubaren Flut an Neupublikationen wahrscheinlich noch immer die herrschende Meinung dar.12 Bickermann hatte im Anschluss an die zitierte Charakterisierung des Buches wertvolle Erkenntnisgewinne einer Untersuchung des zweiten Makkabäerbuches im Kontext der griechischen Historiographie in Aussicht gestellt, bislang hat sich für diese Aufgabe aber kein versierter Philologe gefunden.13 Entscheidend für die weitere Entwicklung der Forschung war vielmehr, dass Frank Walbank seit den 1930er-Jahren das Genre einer pathetisch-tragischen Geschichtsschreibung immer wieder infrage stellte und dass auch bei vermeintlich „guten“ Historikern wie Herodot oder Thukydides immer wieder auf tragische Elemente hingewiesen wurde.14 Damit einhergehend setzte ein Forschungsstrang zur Neubewertung des zweiten Makkabäerbuches ein, der zur Beurteilung des Texts in erster Linie vorderasiatische Traditionen heranzog. Robert Doran etwa vertritt seit den 1980er-Jahren die These, das zweite Makkabäerbuch folge dem Erzählschema einer Theomachie, das sowohl bei den Griechen als auch im Orient geläufig war und die Verteidigung eines Heiligtums durch eine Gottheit ins Zentrum stellt.15 In einer Reihe von Aufsätzen wurde dann aus ganz unterschiedlichen Perspektiven argumentiert, einzelne Passagen und Motive im zweiten Makkabäerbuch seien intertextuell auf babylonische oder sogar ägyptische Vorbilder zurückzuführen.16 Vor dem Hintergrund der seit einigen Jahren florierenden Narratologie und entsprechender Textlektüren haben diese laufenden Revisionen schließlich zu einer vollständigen Neubewertung geführt: In ihrer Studie Tales of High Priests and Taxes hat Sylvie Honigman 2014 argumentiert, das zweite Makkabäerbuch folge ganz dem im Orient etablierten Erzählschema königlicher Tempelbaugeschichten und sei in der Adaption dieser Perspektive keineswegs hasmonäerkritisch, sondern eigentlich ein hasmonäisch-dynastischer Legitimationstext.17 Dieser radikale turn in der Beurteilung des zweiten Makkabäerbuches hat bisher selbst bei narratologieaffinen Forschern nur verhalten Aufnahme gefunden und
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Niese 1900, 299–307. Bickermann 1937, 147. Vgl. etwa Bar-Kochva 1989, 172–178; Schwartz 2008, 78f.; Bringmann 2014, 590f. Am ehesten noch Richnow 1967. Walbank 1938 und 1960. Doran 1981, 103f.; Doran 2012, 3–6. Stokholm 1968; Mendels 1981; Weitzman 2004; van Henten 2007. Honigman 2014, 51–186.
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ist schon bei oberflächlicher Betrachtung kaum akzeptabel.18 Einerseits ist die Beurteilung des zweiten Makkabäerbuches als grundsätzlich prohasmonäischer Text durchaus vertretbar, da die angeblich kritische Haltung lediglich auf Argumentationen e silentio beruht, während ein explizit schlechtes Wort über die Hasmonäer an keiner Stelle zu finden ist und Judas Makkabaios ganz unzweifelhaft als gottgewollter Retter aus der religiösen Krise gezeichnet wird.19 Andererseits ist das unterstellte Erzählschema königlicher Tempelbaugeschichten aber alles andere als offensichtlich: Während man das Erzählschema für den Bau des ersten Tempels unter Salomon, den Bau des zweiten Tempels zur Zeit Esras und Nehemias sowie den Tempelbau unter Herodes einigermaßen stichhaltig in der entsprechenden Überlieferung nachweisen kann, ging es in der Krise zur Zeit der Hasmonäer nicht um Zerstörung und Neubau des Tempels, sondern „lediglich“ um dessen Ent- und Neuweihung;20 will man den Tempelbau dennoch im Text „erkennen“, muss man dem Autor des zweiten Makkabäerbuches zumindest einen ziemlich kreativen Umgang mit dem Erzählschema unterstellen, aufwendige Texteisegesen betreiben und die nach wie vor offensichtlichen Übereinstimmungen mit den Konventionen der zeitgenössischen Geschichtsschreibung der Griechen vollständig aus dem Blick nehmen.21 Angesichts dieser wechselhaften Forschungsgeschichte soll im Folgenden ein Themenkomplex im Zentrum stehen, der bisher zu wenig hervorgehoben worden und nur verstreut in der Kommentarliteratur zur Sprache gekommen ist: Das zweite Makkabäerbuch folgt nicht nur Konventionen der zeitgenössischen Geschichtsschreibung, sondern inszeniert die hasmonäische Erhebung durchaus naheliegend in der Tradition der Perserkriege und orientiert sich dabei ganz im Trend der Zeit an klassischen Geschichtsschreibern wie Herodot.22 Um potentielle Missverständnisse von vornherein auszuräumen: Mit der Hervorhebung der Perserkriegsthematik ist nicht angestrebt, griechisch-westliche gegen orientalisch-östliche Traditionen auszuspielen. Vor dem Hintergrund des jüngst zunehmenden Interesses an lokalen Selbstverortungen im Spannungsfeld von Persianismus und Hellenismus soll es vielmehr darum gehen, einen für die Gesamtbeurteilung des zweiten Makkabäerbuches wesentlichen Aspekt und einen besonders interessanten Fall intentionaler Geschichtsschreibung zu profilieren.23 18 19 20 21 22
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Vgl. etwa die Reserven bei Doran 2016 und unterschiedlich ausgerichteten Zurückweisungen von Collins 2016; Bar-Kochva 2016 und Bernhardt 2017a, 509–513. Zu den differierenden Bildern der Hasmonäerfamilie in den Makkabäerbüchern Bernhardt 2017b. Hurowitz 1992 geht in seiner Grundlagenstudie zu Tempelbaugeschichten auf die angebliche Präsenz des Erzählschemas in den Makkabäerbüchern nicht ein. Honigman 2014 braucht für die weitgehend auf das zweite Makkabäerbuch fokussierte Feststellung des vermeintlich offenkundigen Erzählschemas bezeichnenderweise bald 150 Seiten. Am bisher systematischsten verfolgt die Angleichungen an die Tradition der Perserkriege Schwartz 2008. Zur Popularität Herodots im Hellenismus Murray 1972, 200–213; Niskanen 2004, 47–51; Priestley 2014, 157–186; zur Rezeptionsgeschichte Herodots allgemein die Beiträge Priestley 2016. Zum Spannungsfeld zwischen Persianismus und Hellenismus die Beiträge Strootman/Versluys 2017; in der Einleitung zu jenem Band 16–21 grenzen die Herausgeber persianism vom Akkul-
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I Seit Kyros im 6. Jahrhundert v. Chr. Babylon erobert hatte und Teile der exilierten Judäer in ihre angestammte Heimat zurückgekehrt waren, haben die Perser natürlich auch in der judäischen Tradition ihren Platz. Man denke in dieser Hinsicht etwa an die Darstellung des Kyros in Deutero-Jesaja, die kleineren Propheten sowie die Bücher Esra und Nehemia.24 Nachdem Parallelen und mögliche Rezeptionen zwischen vorderasiatischer und griechischer Epik, Weisheitsliteratur und Gesetzgebung bereits lange diskutiert werden, ist in der jüngeren Forschung auch die judäische Rezeption der griechischen Geschichtsschreibung und besonders Herodots vor Abfassung des zweiten Makkabäerbuches zunehmend in den Blick genommen worden.25 Waren weitreichende Strukturparallelen zwischen der griechischen Geschichtsschreibung und der Rekonzeption der israelitischen Geschichte in den spätpersischen oder frühhellenistischen Chronikbüchern schon lange gesehen worden,26 haben progressive Theologen und Literaturwissenschaftler seit den 1990er-Jahren immer wieder die traditionellen Disziplinengrenzen überschritten und das sogenannte deuteronomistische Geschichtswerk – also die vom Deuteronomium bis zum zweiten Buch der Könige reichende Geschichte Israels – mit Modellen der griechischen Historiographie in Beziehung zu setzen und in der einen oder anderen Richtung direkte Abhängigkeiten plausibel zu machen versucht.27 Zumindest erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass manche dieser Arbeiten aus der sogenannten Copenhagen School hervorgegangen sind, die die Bibel sogar vollständig für ein hellenistisches Buch hält und von weitreichenden Einflüssen von Motiven und Modellen der griechischen Literatur ausgeht.28 Diese Vergleiche haben zwar meistens nur sehr allgemeine Parallelen wie tragische Erzählschemata, den Entwurf jeweils eigener „Nationalgeschichten“ oder das göttliche Hineinwirken in den historischen Prozess zutage gefördert und sind bei der Behauptung direkter gegenseitiger Abhängigkeiten auch nicht stichhaltig, aber ein intensivierter Dialog zwischen Theologie, Judaistik und Altertumswissenschaften könnte sich zweifellos noch als fruchtbar erweisen.29 Für die hier interessierende Thematik näherliegend und ergiebiger ist ein Blick ins Buch Daniel. In der vorliegenden Form ist dieser Text bekanntlich während der religiösen Krise unter Antiochos IV. in den 160er-Jahren v. Chr. endredigiert wor-
24 25 26 27 28 29
turationsbegriff persianization ab und sehen darin analog zur Differenzierung zwischen hellenism und hellenization selbstbewußte und oftmals mnemohistorisch geprägte Auseinandersetzungen mit Konzepten und Bildern vom Persischen (bzw. Hellenischen); zum Konzept der intentionalen Geschichte Gehrke 2014. Zur Perserzeit allgemein Grabbe 2004; zum Perserbild in der judäischen Literatur Gruen 2016. Vgl. etwa Burkert 2004; Schmitz 2004; Burckhardt u.a. 2007. Vgl. etwa Hengel 2001, 10f. Mandell/Freedman 1993; Nielsen 1997; Wesselius 2002; Taylor 2007. Grundlegend für die „Copenhagen School“ Lemche 2013; zu weitreichenden Strukturvergleichen zwischen griechischer und biblischer Literatur zuletzt Wajdenbaum 2011; Thompson/ Wajdenbaum 2014. Zur Beurteilung biblischer Historiographie einstweilen Grabbe 2001; Barstad 2008; van Seters 2011; Brettler 2014.
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den, also genau zu jener Zeit, über die das zweite Makkabäerbuch berichtet.30 Eine vollständige Diskussion dieses faszinierenden Texts und seiner Anknüpfungspunkte an Herodot würde hier zu weit führen und ist glücklicherweise auch schon mehrfach unternommen worden, so dass drei markante Exempel ausreichen mögen: Zum einen liegt den Visionen in den Kapiteln 2 und 7 eine Abfolge der Weltreiche zugrunde, die bereits Arnaldo Momigliano auf die genuin griechische und erstmals bei Herodot erscheinende Theorie der Weltreichsfolge Assyrien–Medien–Persien und ihre Erweiterungen um Makedonien und Rom bei hellenistischen Autoren zurückgeführt hat;31 in einer breiter angelegten Studie hat Paul Niskanen weitergehend sogar zeigen können, dass die Visionen im Buch Daniel auf direkte Auseinandersetzungen mit Herodot zurückgehen und dass dessen unpräzise Angaben zum Assyrerreich dort zu Babylon korrigiert werden.32 Zum anderen wird in den Kapiteln 10 bis 12 dann eine apokalyptische Vision entworfen, die im Stil eines vaticinium ex eventu die Weltgeschichte von den Persern bis zur Abfassungszeit des Buches im Jahr 164 v. Chr. nachzeichnet: Sind Abfolge und Chronologie der persischen Könige in früheren judäischen Texten zumeist unpräzise und wegen offensichtlicher Überlieferungsmängel schlicht fehlerhaft, stimmen im Buch Daniel sowohl die Zählung der Könige als auch die Zeichnung des Xerxes als reichster und alle Macht gegen die Griechen aufbietender König exakt mit Herodot überein.33 Wenn der Text für die 160er-Jahre v. Chr. schließlich auf die Ereignisse in Judäa fokussiert, folgt die Zeichnung Antiochos’ IV. ganz dem Bild des Frevelkönigs Kambyses bei Herodot; und diese Angleichung geht sogar so weit, dass dem zur Zeit der Abfassung des Buches Daniel noch lebenden Antiochos IV. ein nach dem Vorbild des Kambyses modellierter Tod angedichtet wird.34 So skizzenhaft diese Ausführungen auch sein mögen und so sehr Skepsis gegenüber weitreichenden Abhängigkeiten angebracht bleibt, kann man als Ausgangspunkt doch festhalten: Zwischen der griechischen und judäischen Geschichtsschreibung bestanden schon früh gegenseitige Anschlussfähigkeiten, die im Hellenismus rege Rezeption Herodots und der Tradition der Perserkriege gewann während der religiösen Krise der 160er-Jahre v. Chr. auch für judäische Autoren an Relevanz und die herodoteische Geschichtsphilosophie von menschlicher Hybris, dem sich regenden Neid der Götter bis zur Bestrafung der Frevler muss für deuteronomistisch orientierte Autoren und historische Prozessvorstellungen von Schuld und Sühne vorangetriebener Geschichte attraktiv gewesen sein. Wendet man sich vor diesem Hintergrund dem zweiten Makkabäerbuch zu, muss man nach Reminiszenzen an die Perserkriege und Herodot tatsächlich nicht lange suchen. An sich reicht es schon aus, den Beginn des narrativen Berichts zu lesen: Die Ereignisse um Judas Makkabaios und seine Brüder und die Reinigung des größten Tempels und die Neuweihung des Altars sowie die Kämpfe gegen Antiochos Epiphanes und seinen 30 31 32 33 34
Zu Daniel statt vieler Newsom 2014. Momigliano 1994b, 27–35. Niskanen 2004, 27–43. Dan 10,1–11,2; Niskanen 2004, 41f. Dan 11,40–45; Lebram 1975, 765–772; Niskanen 2004, 68–71.
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Sohn Eupator sowie die himmlischen Epiphanien, die den eifrig und mutig für den Ioudaismos Kämpfenden erschienen, so dass sie, obwohl gering an Zahl, das gesamte Umland in die Hand bekamen und die barbarischen Massen verjagten, das in der ganzen bewohnten Welt berühmte Heiligtum einnahmen, die Stadt befreiten und die beinahe abgeschafften Gesetze wiederherstellten, da der Herr in seinem ganzen Erbarmen ihnen gnädig war – diese von Jason von Kyrene in fünf Büchern berichteten Ereignisse haben wir zu einer Zusammenfassung zu epitomieren versucht.35
Zunächst schreibt hier leicht ersichtlich der Epitomator des umfangreicheren jasonischen Geschichtswerks, der sich auch sonst mehrfach direkt zu Wort meldet und in der vorliegenden Form als der eigentliche Autor des zweiten Makkabäerbuches anzusehen ist; in den nachfolgenden Ausführungen stellt er seine auf Unterhaltung und Merkbarkeit angelegte Zusammenfassung zwar hinter der Geschichte Jasons zurück, dabei handelt es sich aber schlicht um eine captatio benevolentiae.36 Entscheidend ist im hiesigen Zusammenhang vielmehr, dass der vom Epitomator verfasste Einleitungspassus keinem biblischen Vorbild folgt, sondern ganz den Konventionen von Prooimien der griechischen Geschichtsschreibung verpflichtet ist, mit der Befreiung der Stadt und der Rettung der Gesetze programmatisch griechische Konzepte aufgreift und diese auch im weiteren Bericht für die Judäer vereinnahmt.37 Vor allem aber schlägt er mit dem Kampf der kleinen Schar gegen die Massen der Barbaren gleich zu Beginn einen deutlich herodoteischen Ton an. Während Herodot in seinem Prooimion aber gleichermaßen die Taten von Hellenen und Barbaren berichten möchte, ist das zweite Makkabäerbuch parteiisch nur an den Taten der Judäer interessiert und nimmt mit der Nennung der Barbaren eine für das gesamte Buch bezeichnende Inversion der Tradition der Perserkriege vor: An die Stelle der Hellenen treten nun die Judäer, während die „neuen“ Barbaren die Seleukiden und somit die Hellenen selbst sind.38 Diese Inversion der griechischen Barbarenantithetik erscheint im Text dann immer wieder: Umgebende Stämme, seleukidische Lokalbeamte, Antiochos V. und Nikanor werden explizit als Barbaren bezeichnet.39 Der selbstbewusst judäische Standpunkt des Epitomators kommt schließlich auch in den aitiologischen Interessen deutlich zum Ausdruck: Während Herodot nach den Ursachen der Konflikte zwischen Hellenen und Barbaren fragt, gehen für den Epitomator letzten Endes alle Erfolge auf die Milde des Herrn zurück.
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2 Makk 2,19–23: Τὰ δὲ κατὰ τὸν Ιουδαν τὸν Μακκαβαῖον καὶ τοὺς τούτου ἀδελφοὺς καὶ τὸν τοῦ ἱεροῦ τοῦ μεγίστου καθαρισμὸν καὶ τὸν τοῦ βωμοῦ ἐγκαινισμὸν ἔτι τε τοὺς πρὸς Ἀντίοχον τὸν Ἐπιφανῆ καὶ τὸν τούτου υἱὸν Εὐπάτορα πολέμους καὶ τὰς ἐξ οὐρανοῦ γενομένας ἐπιφανείας τοῖς ὑπὲρ τοῦ Ἰουδαισμοῦ φιλοτίμως ἀνδραγαθήσασιν, ὥστε τὴν ὅλην χώραν ὀλίγους ὄντας λεηλατεῖν καὶ τὰ βάρβαρα πλήθη διώκειν καὶ τὸ περιβόητον καθ’ ὅλην τὴν οἰκουμένην ἱερὸν ἀνακομίσασθαι καὶ τὴν πόλιν ἐλευθερῶσαι καὶ τοὺς μέλλοντας καταλύεσθαι νόμους ἐπανορθῶσαι, τοῦ κυρίου μετὰ πάσης ἐπιεικείας ἵλεως γενομένου αὐτοῖς, ὑπὸ Ἰάσωνος τοῦ Κυρηναίου δεδηλωμένα διὰ πέντε βιβλίων πειρασόμεθα δι’ ἑνὸς συντάγματος ἐπιτεμεῖν. 2 Makk 2,24–31. Zur Darstellung der Judäer als gesetzes- und verfassungstreue „Griechen“ Doran 2011. Zum Prooimion Herodots im Kontext des Prologs etwa Węcowski 2004. 2 Makk 5,22; 10,4; 13,9; 15,2.
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Im Prooimion klingt noch ein zweites an Herodot gemahnendes Thema an: Judas und seine Getreuen kämpfen für den Ioudaismos. Dieser vieldiskutierte Begriff ist bekanntlich eine Neuprägung des zweiten Makkabäerbuches und erscheint noch zwei weitere Male an zentralen Wendepunkten.40 In der Begriffswelt des zweiten Makkabäerbuches fungiert er als Gegenbegriff zum ebenfalls erstmals erscheinenden Begriff des Hellenismos, der synonym zum allophylismos – der Fremdheit – verwandt wird; während Judas für den Ioudaismos kämpft, werden die Zeit unter dem Hohepriester Jason, die Konstituierung Jerusalems als Polis und die Einführung des Gymnasions als ein Höhepunkt des Hellenismos charakterisiert.41 In der jüngeren Forschung ist bereits wiederholt darauf hingewiesen worden, dass sich diese begrifflichen Neuprägungen analog zum Medismos der Perserzeit verhalten, für den Herodot die wichtigste Quelle ist.42 In der hier eingenommenen Perspektive spricht weitergehend auch nichts dagegen, die neuen Begriffsprägungen sogar auf eine Auseinandersetzung mit Herodot zurückzuführen: Denn ganz im Einklang mit der Inversion der Barbarenantithese nimmt der Hellenismos nun die Stelle des Medismos ein. Im Text lässt sich sogar noch ein Ansatzpunkt ausmachen, von dem die Begriffsprägung ausgegangen ist. So überliefert das zweite Makkabäerbuch historisch glaubwürdig einen Königsbrief aus den 160er-Jahren v. Chr., der die Religionseingriffe Antiochos’ IV. als Umstellung auf die griechische Lebensweise bezeichnet.43 Als sich der Epitomator in den 120er-Jahren v. Chr. für seine retrospektive Deutung mit Herodot auseinandersetzte, musste die Analogiebildung zwischen Medismos und Hellenismos naheliegen; und antithetisch lag es dann genauso nahe, auch den Kampf des Judas Makkabaios für Tempel, Stadt und Gesetze auf den Begriff des Ioudaismos zu bringen.44 Dem Epitomator waren diese Themen offenbar so wichtig, dass er sie schließlich sogar für sich selbst reklamiert. Im Anschluss an das zitierte Prooimion hebt er hervor, es sei ihm bei seiner Zusammenfassung des jasonischen Geschichtswerks um eine erbauliche und gut einprägsame Darstellung gegangen, und vergleicht die Schwierigkeiten bei ihrer Anfertigung mit der zünftigen Ausrichtung eines Symposions.45 Die Metaphorik des Symposions greift er am Ende des narrativen Berichts wieder auf, wendet sich dort ein letztes Mal an den Leser und vergleicht sein Werk mit Wein, der ordentlich mit Wasser gemischt sei.46 Es ist ganz sicher kein Zufall, dass er damit im letzten Satz des Buches für sich in Anspruch nimmt, kein Barbar zu sein, denn wiederum bei Herodot kann man lesen, dass das Trinken ungemischten Weins lediglich bei Barbaren wie den Skythen üblich sei.47 40 41 42 43 44 45 46 47
2 Makk 8,1; 14,38. 2 Makk 4,10–15. Zur Parallele zum Medismos Cohen 1999, 175–179; Mason 2007, 462f.; zum Medismos selbst Rung 2013. 2 Makk 11,22–26. Einen völlig anderen, aber kaum zwingenden Deutungszusammenhang entwickelt Honigman 2014, 199–210; zur Einordnung ansonsten Bernhardt 2017a, 124–129. 2 Makk 2,27. 2 Makk 15,38f. Hdt. 6,84. Grundsätzlich kann man natürlich argumentieren, dass die skythische Sitte des Trinkens von ungemischtem Wein ein allgemeiner und bei Herodot lediglich besonders prominent
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II Markieren Anfang und Ende des narrativen Berichts also Auseinandersetzungen mit Herodot, finden sich auch an zentralen Stellen der drei Tempelbedrohungen Verarbeitungen der Tradition der Perserkriege. So folgt auf das Prooimion und die Bemerkungen des Epitomators zu seiner Arbeit an der Zusammenfassung der Bericht über die erste Bedrohung des Tempels und die berühmte Geschichte vom Aufenthalt des seleukidischen Reichskanzlers Heliodor in Jerusalem. Wie einleitend bereits angesprochen, nimmt diese Episode ihren Ausgang von einem Streit über die Marktordnung zwischen dem Hohepriester Onias III. und dem Vorsteher des Tempels, bis Letzterer schließlich die Wertsachen im Tempel bei der seleukidischen Verwaltung anzeigt. Seleukos IV. entsendet daraufhin seinen Reichskanzler Heliodor. Als der Hohepriester den Reichskanzler nicht von der Beschlagnahmung der Wertsachen abbringen kann, bleiben ihm und der Bevölkerung Jerusalems nur noch flehentliche Gebete zu Gott. Und tatsächlich werden sie erhört: Als sich Heliodor Zutritt zum Tempel verschaffen möchte, attackiert ihn zunächst ein engelhafter Reiter, bis schließlich zwei Jünglinge erscheinen und ihn erbarmungslos zu Boden peitschen.48 Was es mit dieser topischen Tempelraubgeschichte historisch auf sich hat, muss hier nicht geklärt werden.49 Im Anschluß an die grundlegenden Untersuchungen Bickermanns ist ausreichend, dass in der vorliegenden Form zwei Epiphaniegeschichten über den Reiter und über die Jünglinge zu einer fortlaufenden Erzählung zusammengefügt worden sind und dass diese geradezu ein Musterbeispiel für die Einordnungsprobleme entweder in orientalische oder griechische Traditionen darstellen.50 So wurde als Vorbild der Geschichte einerseits auf einen babylonischen Keilschrifttext und einen Passus in der zweiten Chronik verwiesen, die von der Entsendung eines Dämons gegen einen versuchten Tempelraub des elamischen Königs Kuturnahhunte und der Vertreibung des frevelredenden Assyrers Sanherib durch einen Engel berichten.51 In der Tat spricht nichts dagegen, dass die Epiphanie des Reiters mit entsprechenden Anpassungen an den Zeitgeist auf diese Geschichten zurückgeht. Andererseits waren Epiphaniegeschichten und göttliche Tempelverteidigungen aber auch bei den Griechen verbreitet und erfreuten sich gerade im Hellenismus
48 49 50 51
erscheinender Barbarentopos ist; zu weiteren Belegen etwa Schwartz 2008, 513f.; Doran 2012, 301. Herodot berichtet an der Stelle aber davon, der Spartanerkönig Kleomenes sei durch übermäßigen Umgang mit den Skythen der Trinkerei verfallen. Da das zweite Makkabäerbuch die auch in anderen Kontexten beobachtbare Angleichung der Judäer an die Spartaner aufnimmt (s.u. Anm. 60), barbarische Gegner als Skythen brandmarkt (s.u. Anm. 64–66) und sich somit im selben Bezugszusammenhang bewegt, ist ein direkter Rekurs auf Herodot mehr als wahrscheinlich. 2 Makk 3. Seit der Publikation der Heliodorstele SEG 57,1838 liegen neue Ansatzpunkte zur historischen Rekonstruktion vor; zum Zusammenspiel mit der folgenden literarischen Dekonstruktion der Heliodorgeschichte sowie zur weiteren Literatur Bernhardt 2017a, 112–121. Bickermann 1980, 172–187; Goldstein 1983, 196–199. BM 34062 (Sp. 158 + Sp. 2,962); 2 Chr 32,1–22; Stokholm 1968, 8–18.
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großer Beliebtheit.52 Es ist daher wenig verwunderlich, dass die Heliodorgeschichte strukturell am weitesten mit einer bei Herodot berichteten Episode aus der Zeit der Perserkriege übereinstimmt.53 So macht sich beim Feldzug des Xerxes nach Griechenland ein Teil des persischen Heeres nach Delphi auf, da der König ganz wie Antiochos IV. von den dortigen Schätzen gehört hatte. Während Apollon den verängstigten Delphern dann in einem Orakel die Verteidigung seines Heiligtums ankündigt und wie ein Fanal die heiligen Waffen plötzlich vor dem Tempel liegen, flehen die Judäer in Gebeten ihren Gott an. In der Folge weiß Herodot dann von zwei Erscheinungen zu berichten: Zum einen seien die Barbaren beim Erreichen des Tempels der Athena Pronaia von herabstürzenden Gipfeln des Parnass erschlagen worden. An die Stelle dieser fehlenden Passage tritt im zweiten Makkabäerbuch die Epiphanie des Reiters. Zum anderen seien die flüchtenden Barbaren aber von zwei übermenschlichen Kriegern verfolgt und erschlagen worden, was sich genau mit der Epiphanie der beiden Jünglinge im zweiten Makkabäerbuch deckt. Die Heliodorgeschichte adaptiert also ein herodoteisches Modell und versieht es mit judäischen Vorzeichen: Zum einen wird der Tempel in Jerusalem mit dem bedeutenden Heiligtum in Delphi auf eine Ebene gestellt, erscheint durch die zusätzlich eingefügte Epiphanie aber als noch bedeutender. Und zum anderen findet der niedergeschlagene Heliodor am Ende nicht den Tod, sondern wird durch Fürbitten des Hohepriesters gerettet und zum Anhänger des judäischen Gottes bekehrt, so dass dieser als noch mächtiger erscheint.54 Die zweite Bedrohung des Tempels wird durch Jasons Kauf des Hohepriesteramtes, die Konstituierung Jerusalems als Polis und die Einführung von Gymnasion und Ephebie eingeleitet. Wie gesagt charakterisiert das zweite Makkabäerbuch die Einführung dieser fundamental griechischen Institutionen als Abfall vom rechten Glauben und bezeichnet sie mit einer Inversion des Medismos als Höhepunkt des Hellenismos. Ebendiese Etikettierung gibt dann auch den entscheidenden Hinweis, nach welchem Vorbild aus der Tradition der Perserkriege der Text strukturiert wird: Gemeint ist der bei Herodot kurz angesprochene und bei Thukydides ausführlich berichtete Medismos des spartanischen Königs Pausanias in den 470er- und 460erJahren v. Chr.55 Im zweiten Makkabäerbuch werden Pausanias und Jason in mindestens fünf Punkten augenfällig parallelisiert. Erstens in der Kooperation mit den Königen: Während Pausanias in der Darstellung bei Thukydides am Hellespont mit Xerxes kooperiert und diesem die Herrschaft über Sparta in Aussicht stellt, erkauft sich Jason durch Kooperation mit Antiochos IV. das Hohepriesteramt und verspricht eine Erhöhung der Abgaben Judäas.56 Zweitens in der Annahme fremder Bräuche: Während Pausanias mit dem Tragen persischer Tracht beginnt und sich persische Mahlzeiten auftischen lässt, verleitet Jason die Mitglieder des Gymnasions zum 52 53 54 55 56
Doran 1981, 103f.; Doran 2012, 89f.; Kosmin 2016, 36. Vgl. zum Folgenden Hdt. 8,35–39 mit Trampedach 2015. 2 Makk 3,35–39. Hdt. 5,32; Thuk. 1,128–135. Vgl. Thuk. 1,128f. und 2 Makk 4,7–9.
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Tragen des makedonischen Huts und wird der Verzehr unreiner Speisen zum zentralen Thema der religiösen Krise.57 Drittens scharen beide mit deutlichen Anklängen an griechische Tyrannen „fremde“ Verstärkung um sich: Während sich Pausanias mit einer persischen und ägyptischen Leibwache umgibt, sammelt Jason die stärksten der judäischen, nun aber als entfremdete Hellenen begriffenen Epheben um sich.58 Viertens geraten Anordnungen beider in Konflikt mit den Beherrschten: Während Pausanias als Sieger von Plataiai in Delphi ein Monument im eigenen Namen weiht, dessen Weihinschrift dann von den Spartanern wieder entfernt wird, entsendet Jason eine Opfergesandtschaft nach Tyros, die sich aber gegen das regelwidrige Opfer für Herakles/Melqart entscheidet.59 Zweifelsohne sind diese Analogien vor dem Hintergrund der schon länger kursierenden und nahezu sicher aus dem Umfeld der Oniaden stammenden Konstruktion von Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Judäern und Spartanern zu sehen und spiegeln sich fünftens auch in den Berichten über das Ende der Protagonisten wider:60 Während Pausanias vor seiner Ergreifung ins Heiligtum der Athena Chalkioikos flüchtet und dort eingemauert zu Tode hungert, berichtet das zweite Makkabäerbuch davon, Jason sei nach dem Bürgerkrieg in Jerusalem zu den verwandten Spartanern geflüchtet und habe dort ehrlos und unbestattet sein Ende gefunden.61 Als Jason dann kurze Zeit später von Menelaos aus dem Amt des Hohepriesters verdrängt wird, spitzt sich die Lage weiter zu. Im Fall des Menelaos dominiert allerdings nicht mehr die Anlehnung an ein spezifisches Exempel wie Pausanias, sondern es kommt endgültig die bei Herodot schon anklingende und dann bei griechischen Autoren auf Schritt und Tritt begegnende Topik des gerissenen Tyrannen zum Durchbruch: Menelaos reißt in einem coup d’état die Macht an sich, raubt Schätze aus dem Tempel, greift zum Mittel der Bestechung, verdreht die Wahrheit und schreckt nicht einmal vor der Ermordung seiner Mitbürger zurück.62 Da in der Nachfolge von Aischylos und Herodot zu dieser Topik auch die Gleichsetzung des Tyrannen mit den Barbarenkönigen des Ostens und seine Ausgrenzung aus der Rechtsordnung der Polis gehörte, wird Menelaos vor dem Hintergrund der Konstituierung Jerusalems als Polis als Tyrann sowie als einziger Judäer als Barbar bezeichnet.63 Das Gegenstück zu dieser theatralisch anmutenden Inszenierung bildet die Darstellung Antiochos’ IV., den das zweite Makkabäerbuch im Einklang mit der Vereinnahmung der griechischen Barbarenantithetik zum Inbegriff des Barbaren stilisiert. Denn während der Epitomator sein eigenes Werk von den barbarischen Sitten der 57 58 59 60 61 62 63
Vgl. Thuk. 1,130,1 und 2 Makk 4,10–17. Vgl. Thuk. 1,130,1 und 2 Makk 4,12. Vgl. Thuk. 1,132 und 2 Makk 4,18–20. Zur judäisch-spartanischen Verwandtschaft Bernhardt 2017a, 145–155. Vgl. Thuk. 1,134 und 2 Makk 5,5–10. Coup: 2 Makk 4,23f.; Tempelraub: 2 Makk 4,32; 4,39; 5,15; Bestechung: 2 Makk 4,32; 4,45; Wahrheitsverdrehung: 2 Makk 4,46f.; Morde: 2 Makk 4,34f. Zur Topik des gerissenen Tyrannen Luraghi 2014; zur historischen Kontextualisierung Bernhardt 2017a, 156–163. Aischyl. Pers. 213f.; 760–842; Hdt. 3,80–86; 2 Makk 4,25.
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Skythen abgrenzt, stellt er den König in den Bahnen der herodoteischen Berichte gezielt als grausamen Skythen dar.64 Nachdem es in Jerusalem wegen der Umtriebe des Menelaos zu ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen war, Mitglieder des Ältestenrates den Hohepriester angezeigt hatten und Menelaos seinen Kopf durch Bestechung noch einmal aus der Schlinge hat ziehen können, heißt es über Antiochos IV: „und er sprach die Ursache des ganzen Übels, Menelaos, frei von den Anschuldigungen, während er die Unglücklichen, die selbst bei einer Vorsprache vor Skythen für unschuldig erklärt worden wären, zum Tode verurteilte“.65 Im zentralen Bericht über die Martyrien lässt Antiochos IV. dann auf dem Höhepunkt der religiösen Krise mehrere Judäer zum Abfall vom rechten Glauben zwingen und wegen ihrer standhaften Weigerung bestialisch zu Tode foltern, indem er sie erneut im Rekurs auf Passagen bei Herodot „nach Art der Skythen skalpieren lässt“.66 Narrativ gewissermaßen geklammert werden die zentralen Martyrienberichte durch die Darstellung des Königs als Reinkarnation des barbarischen Xerxes. Als Antiochos IV. nach dem ersten Feldzug des sechsten syrischen Krieges nach Jerusalem kommt und von Menelaos nicht rechtzeitig gelieferte und noch ausstehende Abgaben aus dem Tempel entnimmt, zieht er in der Darstellung des zweiten Makkabäerbuches voll Überheblichkeit und im Glauben ab, „er könne das Land schiffbar und das Meer begehbar machen“.67 Bei der „Schiffbarmachung des Landes“ und der „Begehbarkeit des Meeres“ ist natürlich immer gesehen worden, dass es sich nur um Anspielungen auf Xerxes’ Kanalbau am Berg Athos und seine Pontonbrücke über den Hellespont handeln kann, die er zur Vorbereitung seines Einmarsches in Griechenland hatte errichten lassen und die seit Aischylos und Herodot exemplarisch für seine Hybris standen.68 Nachdem die Martyrien der frommen Judäer die Wende im Geschehen eingeleitet haben, werden die Xerxesanalogien im Bericht über den Tod Antiochos’ IV. wiederaufgenommen. Während sich Xerxes in Aischylos’ Persern nach der Niederlage von Salamis Hals über Kopf aus Griechenland zurückzieht, zieht sich Antiochos IV. nach einer gescheiterten Tempelplünderung in Persepolis ebenfalls ungeordnet zurück.69 Als er dann von den ersten Erfolgen des Judas Makkabaios erfährt und blutige Rache schwört, wird er vom Gott der Judäer niedergestreckt, verwest bei lebendigem Leibe und wird von Würmern zerfressen.70 Die Darstellung greift hier ähnlich der Heliodorgeschichte sowohl auf orientalisch-biblische Motive ge64 65 66 67 68 69 70
Vgl. zum Folgenden Hdt. 4,64. 2 Makk 4,47: καὶ τὸν μὲν τῆς ὅλης κακίας αἴτιον Μενέλαον ἀπέλυσεν τῶν κατηγορημένων, τοῖς δὲ ταλαιπώροις, οἵτινες, εἰ καὶ ἐπὶ Σκυθῶν ἔλεγον, ἀπελύθησαν ἀκατάγνωστοι, τούτοις θάνατον ἐπέκρινεν. 2 Makk 7,4: περισκυθίσαντας; vgl. auch 2 Makk 7,7. 2 Makk 5,21: οἰόμενος ἀπὸ τῆς ὑπερηφανίας τὴν μὲν γῆν πλωτὴν καὶ τὸ πέλαγος πορευτὸν θέσθαι […]. Zur chronologischen Einordnung von 2 Makk 5,11–20 Bernhardt 2017a, 584–592. Hdt. 7,22–24; 33–36; Aischyl. Pers. 744–748. Schwartz 2008, 352, weist auf das identische Schlüsselwort ἀκόσμως Aischyl. Pers. 422; 470 und 2 Makk 9,1 hin. 2 Makk 9,3–10.
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stürzter Frevelkönige als auch die griechische Tyrannentopik zurück.71 Im Vordergrund steht aber auch im Weiteren die Tradition der Perserkriege, wenn Antiochos IV. schließlich die Reue und Erkenntnis der eigenen Vergänglichkeit überkommt, bis er sich sogar dem Gott der Judäer unterwerfen möchte.72 Die Umkehr kommt allerdings zu spät für den Frevelkönig, „der gerade noch der Überzeugung war, wegen übermenschlicher Anmaßung den Wellen des Meeres befehlen zu können“.73 Es ist zweifelsohne als besondere Pointe zu sehen, dass der Epitomator sogar in den historischen Ereignisgang eingreift, in direktem Anschluss an den Tod Antiochos’ IV. die eigentlich schon früher anzusetzende Neuweihung des Tempels durch Judas Makkabaios berichtet und in dieser Passage durchaus Anklänge an Tempelbaugeschichten und deren legitimatorische Botschaft sucht.74 Die dritte Bedrohung des Tempels setzt schließlich damit ein, dass Judas nach seinen ersten Siegen und der Neuweihung des Tempels zu Feldzügen in die Nachbarregionen Judäas aufbricht. Bei diesen eher überschaubaren Feldzügen lassen sich zwar wenig überraschend keine Anspielungen auf die Tradition der Perserkriege ausmachen. Von entscheidender Bedeutung für die hier verhandelte Thematik ist vielmehr, dass diese Unternehmungen erstmals eine große seleukidische Strafexpedition unter der persönlichen Führung von Antiochos’ IV. Sohn provozieren, dass es bei BethZacharia zu einer Schlacht mit den aufständischen Judäern kommt und dass die Tradition der Perserkriege in diesem Zusammenhang sogar zur Umdeutung von historischen Ereignissen genutzt wird.75 Zunächst kann in einer historisch-kritischen Perspektive kaum ein Zweifel bestehen, dass Judas Makkabaios in der Schlacht von Beth-Zacharia gemäß den Parallelberichten im ersten Makkabäerbuch und bei Josephus erstmals eine Niederlage erlitt.76 Im zweiten Makkabäerbuch liest sich die Begegnung hingegen wie eine chiastische Inversion des Xerxeszuges bis zur Schlacht bei den Thermopylen: Zunächst ziehen die Griechen Xerxes nach Thessalien entgegen, ergreifen aber die Flucht und nötigen die Thessaler zum Abfall (Medismos!), während Judas dem barbarischen Antiochos V. entgegenzieht, bei Modein aber einen ersten Sieg davonträgt.77 Den 71 72 73 74 75 76
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Vgl. hierzu Schwartz 2008, 351f.; Bernhardt 2017a, 267–270. Schwartz 2008, 358f., weist auf die terminologische Analogie der göttlichen Überhebung (ἰσόθεος) und der eigenen Sterblichkeit (θνητός) 2 Makk 9,12 und Aischyl. Pers. 80; 820 hin. 2 Makk 9,8: ὁ δ’ ἄρτι δοκῶν τοῖς τῆς θαλάσσης κύμασιν ἐπιτάσσειν διὰ τὴν ὑπὲρ ἄνθρωπον ἀλαζονείαν (…). 2 Makk 10,1–8; zur oftmals infrage gestellten Zugehörigkeit der Passage zum Buch aus unterschiedlichen Richtungen Trotter 2017, 117–130, und Bernhardt 2017a, 52 mit Anm. 80; zu den Anklängen an Tempelbaugeschichten Honigman 2014, 122–136, und Bernhardt 2017a, 311–313. 2 Makk 13,1–22. 1 Makk 6,18–54; Ios. bell. Iud. 1,41–46; Ios. ant. Iud. 12,367–381. Zur Rekonstruktion der Schlacht grundsätzlich Bar-Kochva 1989, 291–346. Gera 1996 hat die Schlacht als weitgehend fiktionale Gestaltung gedeutet, die sich an literarischen Topoi griechischer Schlachtenbeschreibungen orientiert. Diese Position hat Bar-Kochva 1998 aber detailliert zurückgewiesen. Tropper 2017 hat nun erneut eine literarische Relektüre unternommen, die zwar die Schlacht und die Niederlage des Judas für historisch hält, die Details der Beschreibungen aber nahezu vollständig einer sich entwickelnden literarischen Tradition zuschreibt. Vgl. Hdt. 7,172–174 und 2 Makk 13,9–17.
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Angelpunkt bildet dann in beiden Fällen die nachfolgende Belagerung: Die Perser bestürmen die Spartaner am Pass der Thermopylen, während Antiochos V. die judäische Festung Beth-Zur einschließt.78 Nach mehreren gescheiterten Einnahmeversuchen kommt es schließlich zum Verrat: Während die Perser dadurch aber den Durchbruch schaffen und die Spartaner vollständig aufreiben, ergreifen die Judäer ihren Verräter und schlagen die Seleukiden letztlich in die Flucht.79 Dass es sich bei der gerafften Darstellung des zweiten Makkabäerbuches tatsächlich um eine gezielte Anspielung handelt, wird auch dadurch unterstrichen, dass der judäische Verräter den persischen und seltenen Namen Rhodokos trägt.80 Nach der Inversion der Barbarenantithese und des Medismos treibt es das zweite Makkabäerbuch mit dieser literarischen Umgestaltung der historischen Ereignisse also auf die Spitze: Die Judäer sind nicht nur an die Stelle der Griechen getreten, als Sieger „ihrer“ Thermopylen sind sie sogar die besseren Griechen.81 Nach diesem vermeintlichen Sieg kommen die Auseinandersetzungen mit den Seleukiden natürlich nicht zur Ruhe, bis schließlich Nikanor nach Judäa entsandt wird. Zunächst kommt es zwar zu einer freundschaftlichen Annäherung mit Judas, nach Interventionen judäischer „Frevler“ droht Nikanor aber mit der Zerstörung des Tempels und wird von Judas zur Strecke gebracht.82 Das zweite Makkabäerbuch markiert auch das Ausklingen dieser letzten Bedrohung des Tempels noch einmal markant mit einer Herodotreminiszenz. Ansatzpunkt ist hier die drastische Schilderung, Judas habe die Leiche Nikanors verstümmelt, in Jerusalem triumphal dessen Kopf und rechte Hand präsentiert und schließlich den Kopf des Frevlers an den Mauern der seleukidischen Festung in der Stadt aufgehängt.83 Intertextuell ist für diese Episode zwar oftmals auf den Tod König Sauls in der ersten Chronik verwiesen worden, dessen Leiche von den Philistern erbeutet und dessen Kopf am Tempel des Dagon angebracht worden sein soll.84 Doch so frevelhaft Saul in der biblischen Tradition auch erscheinen mag, ist es kaum vorstellbar, dass das zweite Makkabäerbuch bei seiner Darstellung Nikanors eine Assoziation zu einem König Israels intendierte. Daher ist es intertextuell und vor allem thematisch erheblich plausibler, die Episode auf den bei Herodot überlieferten Aufstand des Kyprers Onesilos zu beziehen und als eine weitere Inversion der Tradition der Perserkriege zu lesen: Während sich Onesilos gegen die Perser erhebt, aber im Kampf fällt und sein Kopf am Stadttor von Amathous aufgehängt wird, bleibt Judas in der Erhebung gegen die Seleukiden siegreich und hängt den Kopf Nikanors an der Festung der Feinde auf.85
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Vgl. Hdt. 7,175–212 und 2 Makk 13,18–20. Vgl. Hdt. 7,213–228 und 2 Makk 13,21f. Vgl. Goldstein 1983, 466; Schwartz 2008, 456f. Zu dieser literarischen Dekonstruktion als Voraussetzung historischer Rekonstruktion Bernhardt 2017a, 322–326. 2 Makk 14f. 2 Makk 15,32–35. 1 Chr 10,10. Vgl. Hdt. 5,104–115.
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III Komplementär zur Vereinnahmung der Tradition der Perserkriege und ihrer Spiegelung auf das Verhältnis der Judäer zu den Seleukiden wird im zweiten Makkabäerbuch auch das Verhältnis zu den eigentlichen Persern neu ausgerichtet. Wesentlich sind in dieser Hinsicht die unterschiedlichen und vieldiskutierten Berichte über den Tod Antiochos’ IV.: Denn abgesehen von der bereits diskutierten Darstellung im narrativen Bericht, Antiochos IV. sei nach einer gescheiterten Tempelplünderung in Persepolis elend zugrundegegangen,86 findet sich im fiktiven zweiten Einleitungsbrief die alternative Version, Antiochos IV. habe in der Persis einen hieros gamos mit der Göttin Nanaia vollziehen wollen und sei beim Betreten des Tempels von der Priesterschaft erschlagen worden.87 Diese Darstellungsdifferenzen sind zumeist dahingehend gelesen worden, dass die Epitome und der zweite Einleitungsbrief ursprünglich nicht zusammengehörten.88 Bei näherer Betrachtung sind die beiden Seitenblicke auf Persien aber als Teil der hier verhandelten Thematik zu sehen und dienen der Neuvermessung des Verhältnisses zu den Persern im Spannungsfeld von Nähe und Distanz: Sehr wahrscheinlich nimmt der Bericht im zweiten Einleitungsbrief bereits kursierende Erzählungen von einer Tempelverteidigung und Epiphanie der Göttin Nanaia auf, parallelisiert den widerrechtlichen Zutrittsversuch des Königs zum persischen Tempel bewusst mit der Heliodorgeschichte, lässt ihn aber bezeichnenderweise „nur“ am Widerstand der Priesterschaft scheitern.89 Wenn der Tod Antiochos’ IV. im narrativen Bericht dann variiert wird, ist dies sicher nicht als Widerspruch, sondern als Weiterführung und Steigerung der zu Beginn des Buches aufgenommenen Argumentation zu sehen: Verweigert der Einleitungsbrief der Göttin Nanaia die Verteidigung ihres Heiligtums in einer Epiphanie, ist es im narrativen Bericht nach der gescheiterten Tempelplünderung in Persepolis erst die Epiphanie des judäischen Gottes, die den frevlerischen König zur Strecke bringt.90 Die Aussage dieser Gedankenlinie ist klar: Da das zweite Makkabäerbuch Antiochos IV. als Barbaren, Skythen und zweiten Xerxes zeichnet, bilden Judäer und Perser nun eine Art Schicksalsgemeinschaft und sind gleichermaßen von Übergriffen auf ihre Tempel betroffen, aber nur der einzig wahre Gott der Judäer offenbart sich in einer Epiphanie und triumphiert über den Frevelkönig – in dieser Lesart gehören der zweite Einleitungsbrief und der narrative Bericht zweifellos zusammen.91 86 87 88 89
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2 Makk 9,3–10. 2 Makk 1,10–17. Vgl. die unterschiedlichen Entstehungsszenarien Habicht 1979, 174–177; Goldstein 1983, 167; Schwartz 2008, 133; Doran 2012, 1f. Kosmin 2016, 32–40, hebt die Analogie des Todesberichts im zweiten Einleitungsbrief zur Heliodorgeschichte hervor und hält den Bericht für eine Parodierung einer bereits kursierenden Epiphanie der Nanaia im Sinne eines „Priesterbetrugs“, die auf eine Konfrontation einer vorgetäuschten Epiphanie der Göttin Nanaia und Antiochos IV. als selbsternanntem theos epiphanes abziele. Vgl. hierzu die etwas anders gelagerten Ausführungen Kosmin 2016, 40–46. Kosmin 2016, 46–49, argumentiert sogar, die Perserreferenzen im zweiten Makkabäerbuch reflektierten bei aller literarischen Gestaltung eine lokale Erhebung in der Persis. Ein derartiger Hintergrund ist zwar möglich und nicht auszuschließen, angesichts der klaren Funktion der
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In jüngster Zeit ist wiederholt darauf hingewiesen worden, dass der allmähliche Zerfall des Seleukidenreichs in Judäa und anderen ehemals zugehörigen Regionen auch sonst zu Rückbesinnungen auf die vorseleukidische Perserzeit führte.92 So herrscht inzwischen weitgehend Einigkeit, dass die Bücher Esra und Nehemia in der vorliegenden Form erst in hellenistischer Zeit endredigiert worden sind und positive Elemente des hellenistischen Euergetismus auf die Perser übertragen. Da der zweite Einleitungsbrief des zweiten Makkabäerbuches in direktem Anschluß an den Bericht über Antiochos’ IV. Tod die perserzeitliche Restauration Nehemias zum Vorläufer der Tempelweihung unter Judas Makkabaios stilisiert und die Restaurationsbücher auch sonst gut zu hasmonäischen Positionen passen, kann man sie sogar mit einiger Zuversicht dem Umfeld der Hasmonäer zuordnen;93 die abweichende Variante des nur griechisch überlieferten und etwas anders ausgerichteten Buches 1. Esdras ist dann durchaus plausibel einem konkurrierenden Milieu zugeordnet worden, das die Deutungshoheit über die perserzeitliche Restauration für sich vereinnahmen wollte.94 Ganz ähnlich verhält es sich auch mit dem Buch Esther. Bekanntlich spielt dieses Buch am Hof eines Perserkönigs namens Ahasveros, berichtet eine vom königlichen Berater Haman initiierte und von den Judäern Esther und Mordechai verhinderte Religionsverfolgung und leitet auf diesem Weg die Hintergründe des Purimfests her. Die ursprünglich hebräische Fassung des Buches ist zwar schwierig zu datieren, kann wegen hellenistischer Anspielungen und der literarischen Angleichung an die Religionsverfolgung Antiochos’ IV. aber am sinnvollsten als literarische Gestaltung frühhasmonäischer Zeit und als gezielte Übertragung der Verfolgungsthematik in den persischen Kontext begriffen werden.95 Dass man an diesem Erzählmaterial auch in hasmonäischen Kreisen großes Interesse hatte, kann man erneut am zweiten Makkabäerbuch ablesen, das den Sieg des Judas Makkabaios über Nikanor und das entsprechende Gedenkfest am Nikanortag direkt mit der Feier des „Mordechaitages“ verbindet.96 Da die griechische Fassung des Estherbuches dann sicher ins erste Jahrhundert v. Chr. datiert, den Verfolger Haman explizit zu einem Makedonen umdeutet und somit in Übereinstimmung mit dem zweiten Makkabäerbuch alle Schuld an der Verfolgung einem Griechen zuschreibt,97 kann man diese spätere Variante plausibel als perserfreundlichen Vereinnahmungsversuch hasmonäischer Kreise sehen.98 Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen ist schließlich das ebenfalls in die Hasmonäerzeit gehörende Buch Judith erwähnenswert. So wird dort unter anderem von der Belagerung des Passes von Bethulia berichtet, die immer wieder
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Perserreferenzen im größeren Zusammenhang der Auseinandersetzung mit der Tradition der Perserkriege und der ansonsten eher dürftigen Indizienlage aber auch nicht zu beweisen. Eckhardt 2015 und 2017. 2 Makk 1,18–2,15. Vgl. zu dieser Deutung Böhler 2015, 19f.; Bernhardt 2017a, 74–77. Zur Einordnung in hasmonäische Zeit Trehudic 2014; Eckhardt 2017. 2 Makk 15,36. gr. Est 8,12k. Während Trehudic 2014, 152–154 die hebräische Version für hasmonäisch hält, argumentiert Eckhardt 2017, 261f., zu Recht und mit breiterem Fundament für die Zuschreibung der griechischen Version.
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für eine Verarbeitung Herodots gehalten worden ist und durchaus plausibel als eine weitere Variante des Themas judäischer Erfolge bei ihren „Thermopylen“ gelesen werden kann.99 Das zweite Makkabäerbuch ist also nicht nur selbst ein komplexer Fall intentionaler Geschichtsschreibung, sondern gehört im Zeithorizont der sich etablierenden Hasmonäerherrschaft zu einer ganzen „Industrie“ von Revisionen und sich teils widersprechenden Vereinnahmungen der judäischen Geschichte und entsprechender Perserbilder. Wie eingangs gesagt, ist hier dezidiert nicht ein Ausspielen orientalisch-östlicher gegen griechisch-westliche Traditionen angestrebt. Angesichts der verhandelten Befunde wird man aber sagen müssen, dass das zweite Makkabäerbuch zwar Gott als unzweifelhafte Letztursache des historischen Prozesses begreift, Jerusalem und den Tempel ins Zentrum der Darstellung rückt, deuteronomistischen Schemata von Schuld und Sühne folgt und vorderasiatische Erzählelemente aufnimmt, die hasmonäische Erhebung aber mindestens gleichwertig und eigentlich auch naheliegend an die griechische Tradition der Perserkriege angleicht. In einer stärker synthetischen Perspektive kann man sogar sagen, dass das Buch gerade durch die Verarbeitung der griechischen Tradition der Perserkriege seine eigene Einschreibung in die Tradition des Orients betreibt und dass es in dieser Hinsicht wie ein mehrfach gebrochener Vexierspiegel zwischen Hellenismus und Persianismus steht. Angesichts der hier verhandelten Befunde ist schließlich auch ganz allgemein festzuhalten, dass die Judäer der hellenistischen Zeit griechische Autoren wie Herodot, Thukydides und Aischylos lasen und sich je nach ihren eigenen Bedürfnissen kreativ mit diesen auseinandersetzten. Denkt man in dieser Perspektive auch an den späteren Josephus und dessen Auseinandersetzung mit Herodot, Thukydides, Polybios und Dionysios von Halikarnassos, ist es geradezu erstaunlich, dass trotz exorbitantem Forschungsaufkommen noch immer eine Untersuchung zur judäischen Auseinandersetzung mit Modellen der griechischen Geschichtsschreibung fehlt. So wie eine Studie des zweiten Makkabäerbuches im Kontext der historiographischen Konventionen des Hellenismus weiter ein Desiderat bleibt, wäre eine systematische Untersuchung judäischer Geschichtsbilder im Spannungsfeld von Akkulturation und Intentionalität zweifelsohne lohnend.100 99 Niskanen 2004, 23–25. 100 Die Rezeption von Motiven und Modellen der griechischen Geschichtsschreibung bei Josephus ist natürlich immer gesehen und in einer Vielzahl von Studien thematisiert worden, vgl. etwa Price 2011; Almagor 2016 sowie allgemein Gehrke 2016. In größer angelegten Untersuchungen lässt sich aber dennoch eine ähnliche Dichotomie wie im Fall des zweiten Makkabäerbuches ausmachen: Einerseits ordnet Sterling 1992 Josephus unter Berücksichtigung früherer judäischer Geschichtsschreiber in das Genre apologetischer Geschichtsschreibung Vorderasiens ein; andererseits setzt Swoboda 2014 am besonders zentralen Todesmotiv an, reflektiert sowohl griechische als auch judäische Vorläufer wie das zweite Makkabäerbuch, ordnet Josephus aber ganz im Trend der neueren Forschung vor allem in die Tradition der griechisch-römischen Geschichtsschreibung ein. Beide Studien sind für sich genommen natürlich völlig berechtigt und liefern für die hier angezeigte Untersuchung bereits eine Vielzahl wertvoller Beobachtungen. Interessante Ansatzpunkte in einer stärker synthetischen Perspektive bietet Sterling 2007.
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GESCHICHTE ZUM GESCHENK UND ALS ZEITVERTREIB: LUKIANS MACROBII UND DIE FRAGE, WARUM LIEST MAN GESCHICHTE? Alexander Free Von dem Tragödiendichter Sophokles heißt es, er sei mit 95 Jahren an einer Weintraube erstickt. Zuvor soll er seinen Mitbürgern jedoch noch einmal bewiesen haben, dass der Scharfsinn seines Geistes trotz seines hohen Alters nichts von seiner Kraft eingebüßt hatte. Als sein Sohn Iophon ihn entmündigen lassen wollte, habe Sophokles dem Gericht sein letztes Stück, Ödipus auf Kolonos, zu lesen gegeben. Die Richter waren davon so begeistert, dass sie den Tragödiendichter voller Bewunderung entließen, seinen Sohn hingegen für verrückt erklärten.1 Der Begründer der Stoa, Zenon von Kition, soll mit 98 Jahren auf dem Weg in die Volksversammlung gestürzt sein. In der Überzeugung, es handelte sich um ein göttliches Zeichen, kehrte er daraufhin nach Hause zurück und bereitete seinem Leben durch Nahrungsentzug ein Ende.2 Der Geschichtsschreiber Polybios von Megalopolis schließlich soll mit 82 Jahren auf dem Weg in die Stadt vom Pferd gefallen und tödlich gestürzt sein. Ohne den Unfall – so zumindest die antike Quelle – wäre wohl auch ihm ein Alter jenseits der 90 beschieden gewesen.3 Alle drei Anekdoten sind in der mutmaßlich pseudolukianischen Schrift Macrobii versammelt, einem Verzeichnis von Personen, die ein sehr hohes Alter erreicht haben.4 Aufgelistet sind dort neben Dichtern, Philosophen und Geschichtsschreibern vor allem Herrscher: von altrömischen Königen wie Numa Pompilius oder Tarquinius Superbus über Regenten einzelner Königreiche bis zu hellenistischen Machthabern wie Antigonos Monophthalmos, Ptolemaios I. oder den pergamenischen Fürsten Philhetairos und Attalos II.5 Bemerkenswert an der Sammlung ist die große chronologische sowie geographische Vielfalt, die sich von einem klassizistischen Kanon unter Berücksichtigung Athens und der Perserkriege im 5. Jahrhun1 2 3 4 5
Lukian. macr. 24. Zum Tod des Sophokles siehe auch Kunzmann 1908, 55f., mit weiteren Belegen sowie Flashar 2010, 164–180. Lukian. macr. 19. Vgl. auch Diog. Laert. 7,28f., der eine andere Version erzählt. Diogenes Laertios führt auch unterschiedliche Meinungen über das Alter des Zenon an. Eine ausführliche Diskussion mit weiteren Belegen bietet Kunzmann 1908, 17–29. So Lukian. macr. 22. Dubuisson 1980, 72–82, weist allerdings nach, dass die Angabe über das Alter des Polybios nicht zur übrigen Quellenlage passt. Zu der Schrift siehe vor allem Kunzmann 1908, der auf Seite 5 Anm. 1, weitere Literatur anführt. Gemäß der communis opinio handelt es sich bei dem Verfasser nicht um Lukian. Vgl. Georgiadou/Larmour 1994, 1452 Anm. 13, mit den einschlägigen Positionen. Lukian. macr. 10–17. Es werden darüber hinaus Herrscher aus den Gebieten Thrakien, Pontus, Kappadokien, Persien, Armenien, Parthien, Mauretanien und Arabien genannt.
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dert v. Chr. löst. Abgesehen von den persischen Königen werden nahezu ausschließlich Persönlichkeiten der hellenistischen Zeit sowie der römischen Republik bis in die Ära des Augustus und seines Nachfolgers Tiberius angeführt.6 Die Macrobii stellen dabei eine Aufzählung von Personen dar, die oftmals allein durch einen Namen mit einer Alterszahl gekennzeichnet werden.7 Der literarische Gehalt der Schrift ist dadurch eher gering einzuschätzen und die Informationen der Abhandlung scheinen allenfalls einen antiquarischen Wert zu besitzen. Um die antiquarische Gelehrsamkeit, die sich aus den Macrobii gewinnen lässt, soll es im Folgenden gehen. Die Schrift soll als Ausgangspunkt für eine Betrachtung des antiken Interesses an Geschichte und insbesondere an Geschichtsschreibung im Kontext einer antiquarisch ausgerichteten Bildungskultur dienen, wie sie sich spätestens ab der Kaiserzeit voll entfaltet hat.8 Die Ausstattung aristokratischer Villen mit Bildnissen berühmter Gelehrter ebenso wie die Formen öffentlicher Unterhaltung im Zuge der sogenannten zweiten Sophistik mit Auftritten von Rhetoren, die sich in die Rolle historischer Persönlichkeiten des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. begaben, bezeugen die hohe Bedeutung, die der Beschäftigung mit Bildung und dabei maßgeblich der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit innerhalb der kaiserzeitlichen Aristokratie zukam.9 Die große Zahl buntschriftstellerischer Werke 6
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Siehe etwa Lukian. macr. 17 zu Asandros, einem Ethnarchen, der von Augustus zum König des Bosporus ernannt wurde. Über ihn informiert Wilcken 1896, 1516f. Lukian. macr. 21 nennt den Philosophen Athenodoros von Tarsos als Lehrer des Augustus sowie den Stoiker Nestor von Tarsos als Lehrer des Tiberius. Zu beiden siehe Kunzmann 1908, 40f., und von Arnim 1896, 2045. Modrze 1936, 124, macht darauf aufmerksam, dass der Autor der Macrobii Nestor von Tarsos mit dem gleichnamigen Akademiker verwechselt haben könnte. Vgl. Strab. 14,5,14. Zum Klassizismus der römischen Zeit siehe die Beiträge in Flashar 1979. Über die Rezeption der Perserkriege informieren Gehrke 2003 und Jung 2006. So z.B. Lukian. macr. 22 zu den Historiographen Hellanikos von Lesbos und Timaios von Tauromenion. Freilich handelt es sich bei den Macrobii nicht um Geschichtsschreibung, doch soll die Schrift auch lediglich den Ausgangspunkt für eine Betrachtung des Verhältnisses von antiquarischer Literatur zur Historiographie bilden. Es wird die Position vertreten, dass das Wort ἱστορία den antiken Autoren einen großen Handlungsspielraum in ihrer jeweiligen Ausprägung erlaubte. Der Begriff lässt daher keine klare Abgrenzung zwischen z.B. politischer Geschichte, Lokalchroniken oder Genealogien zu. Vgl. Meier 1994, 600. Aus diesem Grund wird die von Momigliano 1950, bes. 286–289, vertretene Dichotomie zwischen dem Antiquar und dem Historiographen aufgegeben. Vgl. dazu seine Äußerung über die Erklärung des Wortes Archäologie im platonischen Hippias Maior (Plat. Hipp. mai. 285D) auf Seite 287 Anm. 2: „The distinction between Hippias’ ‚archaeology‘ and Thucydides’ notion of history is evident. Less evident, though I should think very perceptible, is the distinction between Hippias’ ‚archaeology‘ and Herodotus’ ἱστορία.“ Im Folgenden wird der Ansatz vertreten, dass die thukydideische Form der Geschichtsschreibung nur eine von mehreren Möglichkeiten darstellt, um sich als antiker Autor dem Feld der ἱστορία zu nähern. Vielfach wird die Unterscheidung zwischen Historiographie und antiquarischem Schrifttum dabei nach den Worten Momiglianos „less evident“. Zum Verhältnis antiquarischer Schriften zur Geschichtsschreibung siehe noch Rawson 1972; Bravo 2007 und Stevenson 2004, der auf Seite 118 die gängige Unterscheidung prägnant formuliert: „It was, then, a sort of non-Kunstprosa history, possibly more recognizable as ‚history‘ to modern historical scholarship than is ancient historiography.“ Siehe die Studien von Zanker 1995; Schmitz 1997, 160–231; Schmitz 1999; Korenjak 2000 sowie Borg 2004.
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wie jener des Aulus Gellius, des Favorinus von Arelate oder des Phlegon von Tralleis festigen das Bild einer bildungsbeflissenen Elite auch auf literarischem Gebiet.10 Antiquarisches Wissen war für die Aristokraten der Kaiserzeit von großer Bedeutung. Die folgende Untersuchung soll zeigen, dass die Rezeption von Geschichtsschreibung vornehmlich im Kontext solch antiquarischer Wissbegierde zu verorten ist. Auf diese Weise soll die gängige Auffassung von einer rein rhetorisch rezipierten Gattung herausgefordert werden. In diesem Sinne formulierte Jürgen Malitz: „In der Antike ist die Neigung zu historischer Lektüre mit vorwiegend stofflichem – im Unterschied zum bloß literarischen – Interesse ohnehin nicht so selbstverständlich zu erwarten wie in der Neuzeit.“11 Es gilt, diese Aussage einer näheren Prüfung zu unterziehen. Zunächst soll der Blick dabei auf den Macrobii bleiben, die im Laufe der weiteren Ausführungen stets als Referenzpunkt dienen und mit denen die motivisch ähnlich geartete Schrift des Censorinus, De die natali, verglichen wird. Daraufhin soll der gesellschaftliche Kontext, in dem beide Werke zu verorten sind, näher umschrieben und die kaiserzeitlichen Lesegewohnheiten in die Untersuchung miteinbezogen werden. Dies führt zu der Frage, inwiefern sich ein Interesse an historischen Stoffen für die Leser der Kaiserzeit nachweisen lässt. Neben einem tieferen Einblick in die Rezeption von Geschichte während des römischen Prinzipats strebt die Studie auch an, allgemeine Aussagen über die Rezeption von Schriften mit historischem Inhalt in der Antike zu treffen. PS.-LUKIANS MACROBII UND CENSORINUS’ DE DIE NATALI Über das Werk Macrobii lässt sich wenig Sicheres sagen. Mit den Schriften Lukians von Samosata in Verbindung gebracht fand der Text an prominenter Stelle Eingang ins Corpus Lucianeum und wurde in seiner Authentizität offenbar zunächst nicht infrage gestellt.12 Insbesondere das Verhältnis zwischen Sprecher und Adressat sowie die Grundthematik der Präsentation von Bildungsinhalten weckt Assoziationen mit Schriften wie dem Nigrinus, De mercede conductis oder der Schrift Pro lapsu inter salutandum.13 Es fehlt den Ausführungen jedoch die feine Ironie in Inhalt und Sprache, die so viele der lukianischen Schriften auszeichnet. Auch die gehäuften Erwähnungen von Personen aus der römischen Geschichte erscheinen untypisch für 10 11 12
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Zu diesen Autoren siehe Holford-Strevens 2003 und Amato 2005. Phlegon von Tralleis schrieb ebenfalls Macrobii. Vgl. FGrH 257 T1. F36–38. Zu Phlegon siehe auch Brodersen 2002. Malitz 1990, 325. Zur Rezeption von Geschichtsschreibung in der Antike vgl. auch folgende grundlegende Literatur: Momigliano 1978; Hose 1994, 19–52; Krasser 1999; Marincola 2009. So finden sich die Macrobii als Libellus 12 in dem für die Überlieferung wichtigen Codex Γ aus dem 10. Jahrhundert. Siehe dazu die praefatio der Ausgabe von Macleod 1972, ix–xix, bes. xiii–xvii, mit den detaillierten Korrekturen und Ergänzungen von Nesselrath 1984, bes. 577– 583. Die Textüberlieferung Lukians behandelt ausführlich Mras 1911. Diese Schriften lassen sich nicht nur in einen römischen Kontext setzen, sondern haben auch das Patron-Klienten-Verhältnis zum Thema. In Lukian. macr. 9 wird impliziert, dass sich Adressat und Sprecher in Italien befinden.
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den Satiriker aus Samosata, der einem Klassizismus verpflichtet war.14 Der Verfasser sollte daher eher nicht mit Lukian gleichgesetzt werden, sondern ein Anonymus bleiben. Immerhin scheint es sich um jemanden gehandelt zu haben, der sich professionell mit Bildung beschäftigte, möglicherweise als Grammatiker.15 Als Adressaten führt der Text einen gewissen Quintillus auf, dessen Person allerdings ebenso im Dunkeln bleibt wie der Verfasser. Auch ist die Datierung der Macrobii problematisch. Diskutiert wird eine Entstehungszeit zwischen dem 3. und 4. Jahrhundert n. Chr.16 Folgt man diesem Ansatz, lässt sich die Schrift im Kontext der zuvor skizzierten kaiserzeitlichen Bildungskultur verorten. Der Sprecher äußert sich über Anlass und Zweck des Werkes in einigen kurzen einleitenden Bemerkungen. In einem Traum habe er den Auftrag erhalten, dem Adressaten und seinen Kindern μακρόβιοι, „lange Leben“, darzureichen. Unschlüssig über die Bedeutung dieser Aufgabe bat er die Gottheit zunächst um eine lange Gesundheit des Quintillus. Schließlich verstand er aber, dass damit eine Abhandlung in der vorliegenden Form gemeint war. Dies käme seiner Profession auch am nächsten. Das Verzeichnis von Personen, die ein sehr hohes Alter erreichten, diente als Geschenk zum Geburtstag des Quintillus. Der Adressat sollte aus den Aufzeichnungen die Zuversicht gewinnen, selbst zu einem hohen Alter zu gelangen.17 Die Macrobii erhalten damit exemplarischen Wert. Gerade diejenigen, die sich um ihren Geist und ihren Körper sorgten, wären jene, die bei bester Gesundheit das höchste Alter erreichten.18 In den literarischen Kreisen der Kaiserzeit scheinen Widmungen von Schriften zum Tag der Geburt nicht ungewöhnlich gewesen zu sein, wie auch das von dem anonymen Verfasser erwähnte Stoßgebet für ein langes Leben an den Genius des zu Ehrenden üblich war. Häufig wurden Weisungen für ein glückliches Leben verfasst oder Phrasen aus Rhetorikhandbüchern präsentiert.19 Poeten wie Tibull oder Martial widmeten dem Jubilar darüber hinaus einzelne Gedichte.20 Von dem Neuplato14 15 16
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Für Rothstein 1888, 124, zeigen die Macrobii eine exilitas dicendi. Eine Auswertung der von Lukian benutzten historischen exempla in seinem Gesamtwerk bietet Walz 1921. Zum Klassizismus Lukians, der sich von einem reinen Attizismus abgrenzt, siehe Free 2015, 144–159. So bezeichnet sich der Sprecher in macr. 2 selbst als ἀνὴρ περὶ παιδείαν ἔχων. Kunzmann 1908, 5f., charakterisiert den Autor aus diesem Grund als Grammatiker. Rothstein 1888, 29, 124–127, datiert die Schrift nicht zuletzt aufgrund prosopographischer Überlegungen in die Zeit Iulians im 4. Jahrhundert. Ihm widerspricht Hirschfeld 1889, der u.a. aufgrund der in macr. 7 verwendeten Titulatur des Princeps die Jahre 212/213 unter der Herrschaft des Caracalla annimmt. Vgl. auch PIR² Q 31, die den Adressaten mit einem gewissen Plautius Quintillus aus Severischer Zeit gleichsetzt. In macr. 9 wird jedoch davon ausgegangen, dass der Princeps bereits ein relativ hohes Alter erreicht hat. Möchte man bei einer Datierung in Severische Zeit bleiben, die durch die im Text verwendete Herrschertitulatur wahrscheinlich scheint, böte sich eher eine Abfassung unter Septimius Severus an, der ein Alter von 65 Jahren erreichte. Die Datierungsfrage lässt sich dennoch nicht eindeutig lösen. Eine Abfassungszeit zwischen dem 3. und 4. Jahrhundert würde sich immerhin hervorragend in die unmittelbare Lukian-Rezeption einordnen. Siehe dazu Free 2015, 11–13. Lukian. macr. 1f. Ebd. So Cens. 1,6. Tib. 1,7,49–55; Mart. 3,39; 9,52; 10,24; 12,60. Siehe ferner Ov. trist. 3,13; Hor. carm. 4,8.
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niker Porphyrios ist ein Hymnus zu Ehren Platons bekannt.21 Die ausführlichste Denkschrift zum Anlass eines Ehrentages hat sich allerdings in dem kleinen Werk De die natali des Censorinus aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. erhalten.22 Dieser Text bietet wichtige Parallelen für die Beurteilung der pseudolukianischen Macrobii. De die natali stellt die Abhandlung eines Grammatikers zu Ehren seines Patrons Q. Caerellius dar. Der Patron – ein offenbar aus Rom stammender Ritter – zeichnet sich nach den Informationen der Schrift durch diverse öffentliche Ämter aus, gehört zur Elite der Stadt und ist auch als Redner tätig.23 Der Dedikant Censorinus gelangt aus diesem Grund zu dem Schluss, statt materieller Güter entspreche eine gelehrsame Abhandlung eher den Interessen seines bildungsbegeisterten Unterstützers. Zum Tag der Geburt des Caerellius möchte der Grammatiker dem Jubilar eine Abhandlung über die Themen der Zeugungslehre und Zeitlichkeit präsentieren, die u.a. auch Überlegungen über das Höchstalter des Menschen enthalten.24 Censorinus verweist in diesem Zusammenhang auf zahlreiche Abhandlungen, die sich mit diesen Themen auseinandergesetzt haben und führt Solon ebenso auf wie Hippokrates oder den römischen Polyhistor Varro.25 Er selbst macht sich die Position Platons zu eigen, der ein Lebensende mit 81 Jahren als angemessen beschrieb. Der Grammatiker gibt jedoch zu bedenken, dass Geisteskraft körperliche Gebrechen überwinden könne.26 Die pseudolukianischen Macrobii berühren sich mit Censorinus’ De die natali in diesem Punkt. Ihnen liegt eine Berechnung von 80 Jahren als Richtmaß zugrunde. Alle angeführten Personen haben dieses Alter erreicht und können ihr Leben aufgrund ihrer Sorge um einen gesunden Körper und Geist weiter fortsetzen. Die Staatsmänner sterben häufig in offener Feldschlacht, erhalten auf diese Weise allerdings exemplarischen Wert für ein Leben voller Tatendrang auch bis ins hohe Alter.27 Neben inhaltlichen Gemeinsamkeiten gleichen sich De die natali und die Macrobii ferner in ihrem Anlass als gelehrsames Geschenk zum Geburtstag wie auch in der Beziehung zwischen dem Verfasser und dem Adressaten. Wie Censorinus ist auch der anonyme Autor der pseudolukianischen Schrift ein professioneller Gebildeter, der die Abhandlung allem Anschein nach für seinen römischen Patron schrieb. So betont der Sprecher die Vorteile, die ein langes Leben des Quintillus auch für ihn selbst bereithalte. Die Anrede des Geehrten, die jener des Q. Caerellius in De die natali gleicht, sowie ein Kompliment, das den Adressaten in die Nähe der von dem Anonymus angeführten Könige rückt, unterstreichen das Patronatsverhältnis zwischen Quintillus und dem Verfasser.28 Beide Schriften sind damit offenbar in 21 22 23 24 25 26 27 28
Porph. vit. Plot. 15. Siehe dazu vor allem Sallmann 1983 sowie die unlängst veröffentlichte zweisprachige Ausgabe von Brodersen 2012 mit weiterführender Literatur. Vgl. in dieser Hinsicht die Ausführungen von Hölkeskamp 2011, 9–22, bes. 14f., zur Konstituierung von Prominenzrollen innerhalb der römischen Aristokratie. Cens. 1,1–8; 2,1; 15,4f. Vgl. ebd. 4,1 sowie z.B. ebd. 14 mit Verweisen auf diverse Gelehrte. Klassisch ist die Auseinandersetzung Solons mit Mimnermos Sol. 20 West sowie 18 West. Cens. 15,1 sowie 15,4. Vgl. etwa Lukian. macr. 11. Siehe Lukian. macr. 1, wo Quintillus als λαμπρότατος bezeichnet wird. Ebd. 29 erhält er die
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einem Umfeld zu verorten, in dem sich professionelle Gelehrte und wissbegierige Aristokraten in literarischen Zirkeln über Bildungsinhalte austauschten. Werke wie die Macrobii oder De die natali scheinen in solchen Gesellschaften geläufig. Einen satirischen Eindruck einer derartigen Lebenswelt gibt Lukian in seiner Schrift De mercede conductis.29 BILDUNG ALS AUSDRUCK GESELLSCHAFTLICHER EXKLUSIVITÄT IM PRINZIPAT In seiner Schrift über Gelehrte, die sich für Geld verkauft haben, beschreibt Lukian die Einführung eines professionell Gebildeten in einen römischen Haushalt. In diesem verkommt Bildung allein zum schmückenden Accessoire für den äußeren Schein, ohne Beachtung für wirkliche Inhalte oder den Gelehrten selbst.30 Jenseits seines satirischen Charakters bestätigt De mercede conductis allerdings den Eindruck einer Allgegenwart des Bildungsanspruches innerhalb der kaiserzeitlichen Aristokratie, wie sie sich z.B. auch in den Noctes Atticae des Aulus Gellius beobachten lässt.31 Literarische Kenntnisse und die Fähigkeit zur gebildeten Konversation gehörten zu einem vornehmen Auftreten. Im Zuge von Abendgesellschaften, an öffentlichen Plätzen, aber auch zu jeder passenden Gelegenheit konnten sich gelehrsame Gespräche über Dichtung, Philosophie, Rhetorik, aber auch Geschichte entspinnen. Jenseits einer politischen Partizipation entwickelten sich auf diese Weise neue Handlungsfelder aristokratischer Konkurrenz und Distinktion im außerstaatlichen Bereich. Die Rednerbühne, der Literaturbetrieb oder das Haus avancierten so zu Orten der Inszenierung eines kultivierten Lebens.32 In De mercede conductis fragt der Hausherr den angestellten Gelehrten unvermittelt, wer der König der Achaier gewesen sei. Lukian schildert das Wechselbad der Gefühle, wenn der Gebildete nach der Unterhaltung mit seinen eigenen Aussagen unzufrieden ist, da sie ihm ungenügend erscheinen oder der dominus eine andere Meinung vertritt.33 Beim Gastmahl versucht sich der Hausherr gar selbst als Geschichtsschreiber und erwartet im Anschluss an seine Darbietung eine Stellung-
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Bezeichnung ἱερώτατος. In Cens. 15,1 wird Caerellius als sanctissimus bezeichnet. Sallmann 1983, 237, spricht in diesem Fall von einem „Stile höfischer adulatio“. Solche Zirkel lassen sich freilich auch in den Schriften des jüngeren Plinius oder des M. Cornelius Fronto greifen. De mercede conductis stellt in dieser Hinsicht nur ein Fallbeispiel dar. Einen guten Eindruck von der Bildungskultur der Kaiserzeit vermittelt Johnson 2010. Zu De mercede conductis vgl. ebd. 170–175 sowie Hafner 2017. Vgl. Lukian. de merc. cond. 25. Ebd. 3 macht deutlich, dass es sich generell um ein Oberschichtenphänomen handelt. Siehe dazu maßgeblich Krasser 1999. Walter 2011, 226, spricht in dieser Hinsicht für den Prinzipat von einer „Intellektualisierung des aristokratischen Rollenmodells“. Vgl. ferner Schmitz 1997, 39–50, 97–135; Stein-Hölkeskamp 2011 sowie Roller 2011. Abzugrenzen ist freilich der professionelle Gebildete von dem interessierten Laien. Siehe Krasser 1999, 58f.; Stein-Hölkeskamp 2011, 183. Lukian. de merc. cond. 11.
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nahme seines Publikums.34 Der Austausch über historische Themen ebenso wie die Präsentation der eigenen literarischen Produktivität, wie in diesem Beispiel eines selbst verfassten Geschichtswerkes, bildeten typische Gegenstände gelehrsamer Unterhaltung.35 Daneben spielte natürlich auch die Kenntnis von Literatur eine bedeutende Rolle in einer bildungsbeflissenen Konversation. In seiner Invektive gegen einen reichen Syrer, der sich unzählige Bücher kaufe, ohne diese jedoch eingehender zu studieren, wirft Lukian dem Sammler vor, bei den üblichen, längeren Gesprächen über die Schriften von Rednern, Dichtern oder Geschichtsschreibern zwar die Titel zu wissen, über die Vorzüge und Mängel der Werke aber nur verlegen zu schweigen.36 Eine Lektüre von Schriften mit historischem Inhalt wurde demnach durch die Gesprächskultur beeinflusst, und für Unterhaltungen war ein Detailwissen der Werke nicht unerheblich. Eine intensive Beschäftigung mit Bildungsinhalten diente auf diese Weise als soziales Distinktiv und schuf eine Elite, die sich durch Gelehrsamkeit definierte. Die Zeit des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. bildete den Grundstock an historischem Wissen, mit dem ein in griechischer Kultur und Sprache Gebildeter die Rhetorenschule verließ. Darüber hinausgehende Kenntnisse mussten durch eigene Lektüre ergänzt werden.37 Die Macrobii stellen einen solch ergänzenden Lesestoff dar. Namen wie Ariarathes von Kappadokien, der Partherkönig Sinarthokles oder der Herrscher der in Arabien lebenden Omaner, Goaesus, bieten dem Rezipienten ungewöhnliche und neue Inhalte, während der Verfasser gleichzeitig etwa die Kenntnis der Historien Herodots oder der Anabasis Xenophons voraussetzt.38 Ein bildungsbeflissener Rezipient fühlte sich durch die Reminiszenzen an klassische Werke zum einen in seinem Wissen bestätigt und wurde zum anderen bei Unkenntnis anderer Themen zumindest stärker herausgefordert als bei der alleinigen Konzentration eines Werkes auf Inhalte von kanonischem Rang. Der Perieget Pausanias bezeugt etwa, dass seinen Zeitgenossen die Geschichte hellenistischer Zeit offenbar weniger bekannt war. Er wollte sie aus diesem Grund verstärkt in seinem Werk anführen.39 Schließlich belegen auch die Papyri Ägyptens das Interesse an Inhalten jenseits eines klassizistischen Kanons. Es finden sich Papyri über Alexander den Großen, die Diadochen oder eine Epitome der Geschichte Siziliens. Bei diesen Texten stand das inhaltliche Interesse im Vordergrund.40 34 35 36 37 38 39 40
Ebd. 35. Bei Lukian wird dies freilich dadurch ironisch gebrochen, dass die Bankettteilnehmer für den Hausherren nur Lob übrig haben müssen. Vgl. auch Lucan. 10,172–333. Hier möchte sich C. Iulius Caesar beim Gastmahl über die Geschichte Ägyptens unterhalten. Lukian. ind. 18. Gell. 18,4,1 schildert z.B. ein Gespräch über Sallust. Siehe Hose 1994, 12f. Zum lateinischen Rhetorikunterricht siehe ebd. 13–17, sowie allgemein Nicolai 1992. Siehe Lukian. macr. 13. 15. 17 sowie bezeichnend ebd. 14f. zu den Perserkönigen Kyros dem Großen und Artaxerxes. Über die drei angeführten Herrscher informieren Niese 1895, 815f.; Stähelin 1927, 222f.; Grohmann 1939, 344. Siehe Paus. 1,6 sowie 10,17,13 mit Ameling 1994. Mertens-Pack³ 2193. 2195. 2197. 2202. 2207. 2208. 2210. Siehe ferner FGrH 155 und Malitz 1990, 343. Vgl. z.B. auch die Lebensbeschreibungen des Herennius Senecio über Helvidius
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DIE KLASSISCHEN GESCHICHTSSCHREIBER ALS AUSNAHME-ERSCHEINUNGEN EINER ANTIQUARISCHEN LESEKULTUR? In der überwiegenden Mehrzahl der Papyri mit historischen Themen haben sich jedoch Abschriften von Thukydides, Herodot und Xenophon erhalten. Für diese bemerkt Malitz, dass unabhängig von einem literarischen ein historisch-stoffliches Interesse durch die vergleichsweise hohe Zahl der Texte noch nicht bewiesen sei.41 So scheinen Papyri, auf denen lediglich die Reden des thukydideischen Geschichtswerkes gesammelt sind, oder ein Kommentar, der sich allein mit sprachlich-stilistischen Fragen bei Thukydides auseinandersetzt, eher das literarisch-rhetorische Interesse an diesen Autoren zu belegen.42 Ein solcher Gebrauch antiker Geschichtsschreibung lässt sich besonders bei dem römischen Rhetor Quintilian greifen. Er betont den Nutzen der Gattung als Hort für in einer Rede zu verwendender exempla sowie zur Schulung des eigenen Stils.43 Der Umgang mit Geschichtsschreibung in der von Quintilian geschilderten Form ist indes zwar nicht ausschließlich, jedoch vornehmlich für den angehenden Redner sowie den ausgebildeten Rhetor und Grammatiker von Relevanz. Der gebildete Laie brachte den Texten hingegen sowohl sprachliches als auch inhaltliches Interesse entgegen. Cicero, Vitruv oder Plinius der Jüngere belegen die Lektüre antiker Geschichtsschreibung zum Genuss aus Interesse am Stoff.44 Aus ihren Äußerungen wird der Charakter antiker Historiographie als jene Prosagattung deutlich, die durch einen spannenden Inhalt fesseln konnte.45 Die Durchdringung eines antiken Textes erfolgte indes idealerweise auf verschiedenen Ebenen. In einem Papyrus aus Oxyrhynchos geben zwei Gelehrte Einblicke in ihr Leseverhalten. Sie interessieren sich ausschließlich für Spezialliteratur zur Erschließung von Komödien und Tragödien, die sie sowohl sprachlich als auch inhaltlich ganz und gar zu durchdringen versuchen. So nennen die beiden Gelehrten die Schrift des Hypsikrates über Personen, die in Komödien erscheinen, die Epitome eines Werkes über Mythen der Tragödie des Thersagoras sowie die Arbeit des Seleukos über Zeitformen.46 Mit diesen Schriften können die zwei Gebildeten die von ihnen gelesenen Dramen in all ihren Aspekten studieren. Auf Papyrus erhaltene
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Priscus sowie jene des Arulenus Rusticus über Thrasea Paetus, die beide im 1. Jahrhundert n. Chr. den Tod fanden. Die Viten beider Stoiker waren für den antiken Leser gerade wegen ihres Inhalts relevant. Siehe Tac. Agr. 2,1f.; Plin. epist. 7,19,5. Vgl. Malitz 1990, 342f. P.Oxy. XIII 1621; P.Oxy. VI 853. Quint. inst. 10,1,31–34. Siehe auch den von ihm aufgestellten Kanon, der sich maßgeblich auf stilistische Grundlagen stützt, ebd. 10,1,73–75. Exemplarisch äußert sich z.B. Iustin über den Stil des Livius und des Sallust. Iust. 38,3,11. Gran Lic. 36,31f. bemerkt: nam Sallustium non ut historicuiunt, sed ut oratorem legendum. Cic. fin. 5,51f.; de orat. 2,59; Vitr. 5, praef. 1; Plin. epist. 5,8,4. In dieser Hinsicht verweist Malitz 1990, 336, auch auf die Alexanderhistoriker, die offenbar den Geschmack des Publikums trafen. P.Oxy. XVIII 2192. Der Papyrus macht deutlich, dass beide Personen Teil eines literarischen Zirkels waren. Es wird ferner auf einen weiteren Kreis um einen gewissen Diodoros verwiesen.
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Bücherlisten mit zu erwerbenden Desiderata bestätigen einen solchen Hang gebildeter Kreise zu gelehrsamen Kompilationen und antiquarischen Abhandlungen. Auf diese Weise war es möglich, Hintergrundinformationen und Spezialwissen über die bereits bekannte Literatur zu gewinnen.47 Die auf Papyrus erhaltenen Kommentare zu Thukydides und Herodot ordnen sich ebenfalls unter derartige Spezialwerke ein. Insgesamt haben sich vier Kommentare zu den beiden Historiographen auf Papyrus erhalten. Davon setzen sich zwei sowohl mit dem Inhalt als auch mit der Sprache auseinander, während ein einziger dezidiert sprachlich-stilistische Anmerkungen gibt.48 Als Spezialabhandlung erweist sich der genannte Kommentar vor allem dadurch, dass er sich zunächst mit dem Urteil des Dionysios von Halikarnassos aus dessen Schrift über Thukydides auseinandersetzt. Er nimmt dabei eine Gegenposition zu dem Stilkritiker ein, bevor die Besprechung des Textes erfolgt.49 Die Kenntnis der Schrift des Dionysios ist bei dem Rezipienten des Kommentars somit vorauszusetzen und ergibt sich auch aus einem Wiener Thukydides-Kommentar, in dem darüber hinaus Aelius Aristides als Vergleichsgröße in sprachlichen Aspekten zitiert wird.50 Die Spezialwerke konnten also aufeinander Bezug nehmen, so dass es dem Rezipienten dadurch ermöglicht wurde, sich mit verschiedenen Auffassungen über den Text auseinanderzusetzen und die gelehrsame Diskussion mit anderen Gebildeten zu suchen. Die Kommentare zu Thukydides und Herodot fundieren somit eine Konversation, wie sie von Lukian in seinem Tadel an dem ungebildeten Syrer erwähnt wird. Der Text des Thukydides wurde zu diesem Zweck in möglichst vielen Facetten durchdrungen. Die Papyri belegen damit eine Lesekultur, in der Literatur mit einem tieferen Verständnis ihres Stils, Aufbaus, Inhalts und ihrer Einordnung in eine klassizistische Tradition rezipiert wurde.51 Sprache und Stil wurden durchaus besonders goutiert. Nur in Interdependenz mit dem zugrunde liegenden Inhalt konnte ein Werk jedoch literarisch voll erfasst werden. SPRACHE UND STIL CONTRA INHALT? DIE ÄSTHETISCHE EBENE HISTORISCHER LEKTÜRE Auch Lukian erläutert dem von ihm kritisierten Büchersammler, dass eine oberflächliche Kenntnis der von ihm erworbenen Texte unzureichend sei. Vielmehr sei die Einsicht in die Vorzüge und Fehler der Schriften, ihren Sinn und Zusammenhang sowie die Wahl und Stellung der einzelnen Ausdrücke das Ideal. Auf diese
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Die verschiedenen Zirkel standen also auch im Austausch miteinander. Zu dem Papyrus vgl. auch die neue Überarbeitung von Hatzilambrou 2007. Siehe auch Johnson 2010, 180–185. Zu Herodot siehe P.Amh. II 12. Zu Thukydides P.Oxy. VI 853 sowie Mertens-Pack3 1535 = Gerstinger 1925. Über den kürzlich edierten Thukydides-Kommentar BKT 10,6 lässt sich leider wenig Sicheres sagen. P.Oxy. VI 853 col. I 7–33. II 33–III 1. Siehe Mertens-Pack3 1535, Fol 2ª 25–28 mit dem Kommentar ad loc. So auch Johnson 2010, 192, 200.
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Weise könne man beurteilen, ob sich ein Autor an die kanonischen Regeln gehalten habe und ob etwas verdächtig, unecht oder verfälscht an einem Werk sei.52 Für Lukian wird die Rezeption von Literatur in diesem Passus zu einem ästhetischen Erlebnis.53 Die Konzentration auf stilistische Feinheiten spielte dabei eine hervorgehobene Rolle. Sowohl bei der Lektüre als auch beim mündlichen Vortrag konnte eine ausgefeilte Rhetorik Begeisterung auslösen. Im Rahmen der Gattung Geschichtsschreibung wurde vor allem Herodots Stil durchweg mit dem Begriff der ἡδονή in Verbindung gebracht.54 Für die öffentliche Rezitation bestätigen zudem Aelius Aristides und Lukian die Bereitschaft der Vortragenden, dem Publikum in seinem Vergnügungsbedürfnis entgegenzukommen. Das Resultat konnten Auftritte sein, in denen exzessiv von rhythmisierender Sprache, extravaganten Beschreibungen, Hyperattizismen oder Thukydides- und Herodotnachahmungen Gebrauch gemacht wurde.55 Eine ästhetische Komponente berührte jedoch genauso die inhaltliche Ebene von Geschichtswerken. Zum einen las man sie schlicht zum Zeitvertreib, um unterhalten zu werden, wie es etwa Ammianus Marcellinus für den Biographen Marius Maximus konstatiert.56 Zum anderen konnte man die historische Lektüre auch zur persönlichen Wissenserweiterung nutzen, wie es z.B. an den Lesegewohnheiten des Princeps Tiberius deutlich wird.57 In dieser Hinsicht scheinen sich auch die pseudolukianischen Macrobii durch ihren Inhalt als eben jene Zusatzlektüre zu erweisen, die die Möglichkeit zur Wissenserweiterung bot. Sie stehen damit jenen Papyri nahe, die man maßgeblich aufgrund ihres Inhalts verwendete, wie den Ausschnitten aus dem Feldzug Alexanders des Großen oder der Geschichte Siziliens.58 Daneben berühren die Macrobii sich auch mit den handschriftlich überlieferten Sammelschriften und Exzerpten, wie der Bibliotheke des Diodorus Siculus oder der Epitome der römischen Geschichte des Titus Livius. Derartige Texte fungierten maßgeblich als Mittel der Wissensspeicherung und ersparten ihren Lesern den Aufwand einer umfangreichen Recherche.59 Auf der Ebene inhaltlicher Erkenntnis konnte ein klassizistischer Rahmen dabei an Bedeutung verlieren, um ungewöhnlicheren Ge-
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Lukian. ind. 2. Über Ästhetik als einen Grund zur Lektüre von Geschichte siehe maßgeblich Hose 1994, 24–29. Dion. Hal. Th. 8; Imit. 3; Diod. 1,37,4; Ios. c. Ap. 1,18; Dion Chrys. 18,10; Aphth. Prog. 8,38. Aristeid. 51,32f.; Lukian. hist. conscr. 14–32. Bei Lukian werden die beschriebenen Geschichtswerke freilich als wahre Glanzstücke für das einmalige Hören im Sinne der thukydideischen Kritik an Herodot karikiert. Vgl. Free 2015, 198–203, sowie zu dem durch einen mündlichen Vortrag evozierten ἐνθουσιασμός des Publikums Korenjak 2000, 100. Amm. 28,4,14. Vgl. auch Iul. epist. 89b 346f. Suet. Tib. 70,2f. Vgl. außerdem Plut. Brut. 4,4. Auf diese Weise lassen sich auch eine Periegese Attikas sowie die Listen athenischer Archonten und Olympiasieger deuten. Mertens-Pack³ 2185. 2186. 2188. Diod. 1,3,3–8 führt diesen Zweck explizit auf. Kompilatorische Bemühungen lassen sich ferner bereits im Hellenismus nachweisen, wie z.B. das 2. Makkabäerbuch als Epitome des Iason von Kyrene zeigt, 2 Makk. 2,23. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der kompilatorischen Literatur der Antike bietet Hose 2002, der weitere Belege anführt.
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genständen Platz zu machen.60 In ihrem Wesen decken sich diese Schriften dadurch ebenfalls mit dem von Aulus Gellius intendierten Zweck seiner Noctes Atticae. Gellius ist sich der eingeschränkten stilistischen Schönheit seines buntschriftstellerischen Werkes bewusst, betont allerdings maßgeblich seinen inhaltlichen Nutzen. Die Informationen sammelt er zum Zeitvertreib und er verfolgt darüber hinaus die Absicht, die Schrift seinen Kindern zur Erholung zu überlassen.61 Die Auseinandersetzung mit Inhalten antiquarischer Natur macht für Aulus Gellius somit einen unterhaltsamen Teil seiner Freizeitbeschäftigung aus. Dieser Eindruck drängt sich auch bei den Verae Historiae Lukians auf. Die fiktive Reise in die Gewässer jenseits der Säulen des Herakles, die den Erzähler u.a. auf den Mond oder in den Schlund eines Wals führt und mit gelehrsamen Anspielungen auf die antike Literatur gespickt ist, sollte den Lesern vor allem intellektuelle Zerstreuung bieten.62 In einer Gesellschaft, in der Bildung eine zentrale Rolle der Selbstrepräsentation spielte, konnte Vergnügen also gerade durch Gelehrsamkeit und neues Wissen evoziert werden. Insbesondere Herodian bezeugt, dass solche Überlegungen auch bei der Abfassung von Geschichtswerken eine Rolle spielten. Er unterstellt den Geschichtsschreibern seiner Zeit, dass sie Geschichte maßgeblich zur Präsentation ihrer eigenen Bildungsfähigkeiten schrieben, wie es auch bei dem Hausherrn in Lukians De mercede conductis deutlich wurde. Auch Herodian hebt in diesem Zusammenhang die große Bedeutung eines angemessenen Stils und Wohlklangs von Geschichtswerken hervor. Gerade er selbst möchte jedoch vor allem durch den Inhalt seiner Schrift unterhalten.63 Er beweist damit, dass der tatsächliche Gehalt seines Werkes keineswegs von untergeordneter Relevanz war. Dass seine Schrift Vergnügen auf sprachlicher wie auch auf inhaltlicher Ebene bereitete, ist Herodian ein wichtiges Anliegen. Die Geschichtsschreibung reiht sich damit neben die antiquarische Literatur als Mittel zum Zeitvertreib und der Muße. Jenseits ihrer Verwendung in der Rhetorenschule stellte die private Lektüre den Ausgangspunkt für alle weiteren Zielsetzungen dar, die man mit der Gattung verbinden konnte. Inhaltlich deckt sich ihr Gebrauch mit den Aufgaben der antiquarischen Literatur. PRAGMATISMUS UND SINNSTIFTUNG MITTELS HISTORISCHER INHALTE Neben einer ästhetischen Ebene, auf der die Lektüre von Geschichtswerken oder antiquarischen Abhandlungen vor allem Kurzweil vermitteln sollte, beinhaltete die Benutzung solcher Schriften auch eine didaktisch-moralische Komponente.64 Die 60 61 62 63 64
Vgl. dazu auch die Bemerkungen von Hose 2002, 16, zu den Deipnosophistai des Athenaios, die er als Luxusmahl der Literatur deutet. Gell. praef. 1–25. Unter den Werken, die seiner Darstellung zugrunde liegen, führt er ferner eine Reihe von Schriften an, die den pseudolukianischen Macrobii nicht unähnlich sind. Lukian. ver. hist. 1,1. Herodian. 1,1,1–3. Vgl. dazu Hose 1994, 29–50, sowie Marincola 2009.
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pseudolukianischen Macrobii sollten für ihren Adressaten vor allem persönlich erbauend wirken und exempla zur moralischen Nachahmung bieten.65 Der hohe Wert exemplarischer Belehrung wird allerdings auch in der Geschichtsschreibung unablässig betont. Augenfällig weist etwa Diodorus Siculus darauf hin, dass er die Tüchtigen zu höheren Taten anspornen, die Schlechten hingegen vor schlimmen Handlungen bewahren möchte.66 Titus Livius verbindet in seiner praefatio eine moralische mit einer politischen Belehrung, indem er seine exempla direkt auf die Rolle des Individuums innerhalb des Gemeinwesens bezieht.67 In der Kaiserzeit verstärkte sich dann die Bedeutung moralischer Leseansprüche. Persönliche Erbauung wurde zu einem integralen Bestandteil privater historischer Lektüre.68 Daneben gewinnen die exempla aber auch als Wissenserweiterung innerhalb der gelehrten Gesprächskultur der Zeit an Bedeutung. Aulus Gellius erachtet den Wert seiner Noctes Atticae grundsätzlich in ihrem enzyklopädischen Nutzen. Sollte seinem Gedächtnis einmal ein Gegenstand oder ein Wort entfallen sein, könne er sofort die nötigen Informationen in seiner Schrift auffinden.69 Gellius verbindet mit seinem Werk also auch einen pragmatischen Zweck. Den Wert von Kompilationen führt er z.B. anhand einer kurzen Übersicht über die Zeit vor dem zweiten Punischen Krieg und den damals geborenen berühmten Männern vor. Innerhalb eines Gesprächs fiele man dann nicht durch unbedachtsame Äußerungen über das Lebensalter bestimmter Personen auf. So habe er neulich einen Sophisten gehört, der fälschlich behauptete, der Philosoph Karneades habe ein Geldgeschenk von Alexander dem Großen erhalten.70 Das Beispiel deckt sich mit den Belehrungen Lukians an den ungebildeten Büchersammler und auch die Macrobii erhalten durch die Bemerkung des Aulus Gellius neben dem von dem anonymen Verfasser genannten moralisch-didaktischen Nutzen zusätzlich den Aspekt des Wissenserwerbs für eine gebildete Konversation. Der pragmatische Gebrauch historischer Inhalte zur Profilierung während einer Unterhaltung oder zur moralisch-lehrreichen Erbauung in privaten Mußestunden klärt jedoch noch nicht, ob das Interesse des antiken Lesers an Geschichte über eine exemplarische Belehrung hinausging. Die Konzentration auf sprachliche Feinheiten wie auch die Verwendung einzelner Ausschnitte als moralisch-didaktische exempla scheinen einer Neugier an historischen Zusammenhängen offenbar zu widersprechen.71 Man setzt damit allerdings voraus, dass sich allein die Geschichtsschreiber selbst für größere Sinnzusammenhänge interessierten, während ihr Publikum dies nur selten würdigte und die Werke schlicht auf historische exemplaSammlungen und sprachlich-stilistische Fundgruben reduzierte. Dem widerspricht allerdings Polybios, wenn er die Intention seines Geschichtswerkes – die Klärung, wie Rom innerhalb von nicht ganz 53 Jahren die ganze bewohnte Welt unter seine 65 66 67 68 69 70 71
S.o. Diod. 15,1,1; 14,1,2. Liv. praef. 10. Siehe auch Xen. hell. 5,3,7. Ähnlich Hose 1994, 35. Gell. praef. 2. Vgl. auch die ähnlichen Äußerungen bei Lukian. rh. pr. 17. Gell. 17,21. Vgl. Malitz 1990, 346f.
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Herrschaft gebracht habe – unmittelbar mit dem Interesse seines Publikums in Verbindung bringt.72 Polybios setzt einen Leser voraus, der sich neben einzelnen Beispielen gerade für den größeren Sinnzusammenhang interessiert. Diese Annahme bestätigt auch Appian. Der Historiograph, der in seiner römischen Geschichte oftmals zwischen verschiedenen geographischen Räumen hin und her wechseln muss, legt für seine Leser das gleiche Streben nach Erkenntnis zugrunde, das auch ihn selbst zur Abfassung seiner Schrift antreibt. Er erklärt in seinem Proömium, dass er zu der Auffassung gelangt sei, es möchte vielleicht auch sonst jemand auf diese Weise in die römische Geschichte eingeführt werden.73 In einer Ehreninschrift für den athenischen Geschichtsschreiber P. Herennius Dexippos wird schließlich der gesellschaftliche Wert sinnstiftender historischer Werke hervorgehoben. Als herausragendes Verdienst lobt die Inschrift Dexippos’ Beitrag zur generellen historischen Bildung der Griechen. Der Text unterstreicht damit deutlich das allgemeine inhaltliche Interesse an Geschichtswerken innerhalb der Gesellschaft.74 FAZIT Historische Lektüre gewinnt nach diesen Ausführungen auf verschiedenen Ebenen an Relevanz: Unter einer pragmatischen Zielsetzung konnte man aus der Geschichte exempla zum eigenen Gebrauch für eine Rede oder ein Gespräch gewinnen. Darüber hinaus bot ein stilistisch bestechendes Geschichtswerk die Möglichkeit, den eigenen sprachlichen Ausdruck zu verbessern. Neben diesen von der Forschung stets angeführten Funktionsformen der Gattung Historiographie sollte jedoch die ästhetische Ebene nicht vernachlässigt werden. Die Charakterisierung der Sprache Herodots als erheiternd macht deutlich, dass Geschichtswerke auch schlicht zum Genuss gelesen wurden. Neben dem Stil konnte der Inhalt zur persönlichen moralischen Erbauung und Weiterbildung, aber auch rein zum eigenen Erkenntnisgewinn ohne weiteren pragmatischen Nutzen dienen. Gerade die pseudolukianischen Macrobii stehen für diese Form antiker Lesekultur. Um die eingangs angeführte Formulierung von Malitz wieder aufzugreifen, ist das stoffliche Interesse an historischer Lektüre für die Antike also durchaus zu erwarten, und dies nicht allein auf einer pragmatischen Ebene. Im Rahmen einer antiquarisch ausgerichteten Bildungskultur war das Interesse für historische Informationen und Sinnzusammenhänge wohl größer als es die überwiegend rhetorisch geprägten Äußerungen antiker Autoren vermuten lassen. Ohne Zweifel ist die Geschichtsschreibung häufig Gegenstand von literarischem Interesse, doch greift die eingeschränkte Wahrnehmung der Gattung auf eine rein rhetorische Zweckmäßigkeit zu kurz. Vielmehr sollte sie auch im 72 73
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Pol. 1,1,5. Siehe auch 1,2,7f.; 1,13,9; 1,65,9. App. praef. 46–49. Vgl. auch Arr. an. praef. 3. Der Historiograph Florus nimmt zudem eine Epocheneinteilung nach Lebensaltern vor, über die auch Seneca der Ältere und Ammianus Marcellinus nachdenken. Vgl. Häussler 1964. Ähnliche Reflexionen begegnen indes auch bei Cens. 21. IG II/III² 3669 mit Chaniotis 1988, 326. Auch A. Claudius Charax wurde wohl für sein Geschichtswerk öffentlich mit einer Ehreninschrift gelobt. Vgl. Chaniotis 1988, 318–320.
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Zusammenhang mit antiquarischer Literatur, wie den Macrobii, gesehen werden, in der der Inhalt definitiv von Bedeutung war. Pointiert zeigt sich diese Schlussfolgerung auch in der lukianischen Schrift Pro lapsu inter salutandum. Nach einem sprachlichen Fehler während der morgendlichen salutatio beim Patron geht der Sprecher der Verwendung von Begrüßungsformeln innerhalb der Geschichte nach. Wie in den Macrobii werden dabei Beispiele jenseits eines klassizistischen Kanons angeführt. Programmatisch für die Interdependenz zwischen einer Bildung um der Bildung willen und dem hieraus zu ziehenden Vergnügen beendet der Sprecher seine Ausführungen schließlich mit den Worten: Doch ich merke, dass ich weitläufig geworden bin, um zu befürchten, dass man am Ende gar sagen werde, ich hätte den Verstoß absichtlich gemacht, um diese Apologie schreiben zu können. Und doch, was könnte ich mir Schmeichelhafteres wünschen, […] als dass man diese Schrift unterhaltend genug fände, um eine solche Beschuldigung wahrscheinlich zu machen.75
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Lukian. laps. 19: Ἔοικα δʼ ἐνταῦθα ἤδη γενόμενος εἰκότως ἄλλο τι φοβήσεσθαι, μή τισι δόξω ἐξεπίτηδες ἡμαρτηκέναι, ὡς τὴν ἀπολογίαν ταύτην συγγράψαιμι. καὶ εἴη γε […] τοιοῦτον φανῆναι τὸν λόγον, ὡς μὴ ἀπολογίαν, ἀλλ‘ ἐπιδείξεως ἀφορμὴν εἶναι δοκεῖν. (Übers. v. Wieland)
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VERGESSEN UND ERINNERN
KOLLEKTIVES VERGESSEN IN ATHEN PAUL RICŒUR UND DIE ATTISCHE RHETORIK* Katharina Wojciech In einer Gefallenenrede aus der Zeit des Korinthischen Krieges beschreibt der Redner Lysias den rund hundert Jahre zuvor ausgefochtenen Kampf der Athener gegen die Perser bei Marathon und stellt fest: ἠξίουν δέ, οὓς μὴ μόνοι νικῷεν, οὐδ᾽ ἂν μετὰ τῶν συμμάχων δύνασ-θαι· καὶ ἡττηθέντες μὲν ὀλίγῳ τῶν ἄλλων προαπολεῖσθαι, νικήσαν-τες δὲ καὶ τοὺς ἄλλους ἐλευθερώσειν. Sie dachten aber, wenn sie diese (Feinde) nicht alleine besiegen könnten, seien sie dazu auch nicht mit Hilfe der Bundesgenossen in der Lage: und als Besiegte würden sie zwar kurz vor den anderen untergehen, als Sieger aber auch die anderen befreien.1
Im zeitlichen Kontext der Auseinandersetzung gegen Sparta kann die Betonung des hohen Einsatzes der Athener für das Wohl aller Griechen ohne fremde Hilfe als eine Anspielung auf die berühmte Verspätung des spartanischen Aufgebots erkannt werden. Der mit der Lektüre Herodots vertraute moderne Leser mag dennoch eine Erwähnung des Beitrags der kleinen Polis Plataiai vermissen, die im Jahre 4902 Seite an Seite mit den Athenern gegen die Perser gekämpft hatte.3 Solche und ähnliche Auslassungen begegnen immer wieder bei der Beschäftigung mit der attischen Rhetorik und werfen Fragen nach ihrer Interpretation auf: Mit welcher Absicht geschah die Auslassung? Wusste der Autor tatsächlich weniger als uns mit wesentlich größerem zeitlichen Abstand noch bekannt ist? Und wie bewusst war den antiken Zuhörern das Fehlen? Auf diese Weise ist die Beschäftigung mit der Erinnerungskultur einer Gesellschaft auch mit dem Erforschen einer Abwesenheit und ihren Gründen verbunden. Bereits Friedrich Nietzsche vertrat im Rahmen seiner „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ die Überzeugung, dass das Historische und Unhistorische, also die Kunst und Kraft zu vergessen, gleichermaßen zur Gesundheit eines Volkes notwendig seien.4 Spätere Gedächtnisforscher, wie Pierre Nora, betonten, dass das Gedächtnis einer Gruppe nur das memoriert, was für den Fortbestand dieser Gruppe relevant ist; ein Teil des gemeinsam Erlebten wird aber unweigerlich, *
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Mein größter Dank gebührt Hans-Joachim Gehrke, der mich für historiographische Fragestellungen begeistert hat. Die ersten Überlegungen zu diesem Aufsatz entstanden während der Arbeit an meiner Habilitation am Institut Ausonius, Université Bordeaux-Montaigne. Der Aufenthalt wurde durch die großzügige Unterstützung der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ermöglicht, der ebenfalls gedankt sei. Lys. 2,24. Alle Daten v. Chr. Zur spartanischen Verspätung Hdt. 6,106. 120; zur Anwesenheit der Plataier Hdt. 6,108. Nietzsche 2003, 252.
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wenngleich nicht zwingend unwiderruflich vergessen.5 Die Konzepte, die zum Phänomen solchen kollektiven Vergessens von den unterschiedlichen Disziplinen entwickelt worden sind, hat Verena Schulz in diesem Band systematisch dargestellt. Ein besonders ansprechendes Modell erarbeitet der französische Philosoph Paul Ricœur in seinen beiden Werken „Das Rätsel der Vergangenheit. Erinnern – Vergessen – Verzeihen“ (1998) und „Gedächtnis, Geschichte, Vergessen“ (2004). Neben der Beschäftigung mit dem tiefen, „echten“ Vergessen beschreibt er auch drei Formen des Gedächtnismissbrauchs, die er „das verpflichtende Gedächtnis“, „das verhinderte Gedächtnis“ sowie „das manipulierte Gedächtnis“ nennt.6 Diesen ordnet er jeweils eine Form des kollektiven Vergessens in seiner aktiven, passiven und semiaktiven Prägung zu.7 Doch wie universell können solche theoretischen Konzepte sein und wie hilfreich sind sie bei der Beschäftigung mit der antiken Erinnerungskultur? Im Folgenden möchte ich auf der Grundlage der Einordnung von Paul Ricœur überprüfen, auf welche Weise die Rhetorik in Athen ein so verstandenes Vergessen verarbeitete, nutzte oder dazu beitrug. Die während der Feste, in den Gerichten oder vor der Volksversammlung gehaltenen Reden stellen eine besonders gute Möglichkeit dar, die Mechanismen der Erinnerung-Selektion bei den Athenern zu beleuchten, da sie einen öffentlichen Umgang mit Erinnerung repräsentieren.8 Dabei soll nicht eine Exklusivität des einen Modells etabliert werden, sondern dieses als Anlass dienen, um nach den spezifischen Formen, Motiven, Funktionen und der Bedeutung des kollektiven Vergessens in Athen zu fragen. „DAS VERPFLICHTENDE GEDÄCHTNIS“ – VERSÖHNEN DURCH VERGESSEN? Die Variante des kollektiven Vergessens, die von Ricœur unmittelbar mit Athen in Verbindung gebracht wird, ist das befohlene Vergessen, das dem „verpflichtenden Gedächtnis“ entspricht. Dieses stehe im Zusammenhang mit der Überwindung von Bürgerkriegen, revolutionären Episoden oder gewaltsamen Veränderungen politischer Herrschaftsformen, solle die Gewalt beenden und den sozialen Frieden sicherstellen.9 Das Paradebeispiel eines solchen Vergessens stellt für den Philosophen die Versöhnung des Jahres 403 dar.10 Im Anschluss an den zweiten oligarchischen Umsturz und die Überwindung der Herrschaft der Dreißig wurde zwischen den in der Stadt verbliebenen und den aus der Verbannung zurückgekehrten Athenern die Eintracht wiederhergestellt, indem die gesamte Bürgerschaft einen Eid schwor, 5 6 7 8
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Nora 1990, 12f. Ricœur 2004, 115–146. Ricœur 2004, 678–696. Eine Besonderheit stellt Isokrates dar, dessen Reden größtenteils nicht für den öffentlichen Vortrag bestimmt waren. Da er sich jedoch in ihnen auch mit der zeitgenössischen Rhetorik auseinandersetzt und sie kritisiert, kann er in unserem Rahmen ergänzend berücksichtigt werden. Zu den Zielen des Isokrates Blank 2014, bes. 57–64. Ricœur 2004, 691. Ricœur 2004, 692–695.
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nicht an die Übel der Vergangenheit zu erinnern. Laut Andokides beschworen die Bürger wörtlich: καὶ οὐ μνησικακήσω τῶν πολιτῶν οὐδενὶ πλὴν τῶν τριάκοντα καὶ τῶν ἕνδεκα· οὐδὲ τούτων ὃς ἂν ἐθέλῃ εὐθύνας διδόναι τῆς ἀρχῆς ἧς ἦρξεν. Und ich werde mich keinem der Bürger gegenüber an das Schlechte erinnern, außer gegenüber den Dreißig und und den Elf. Und diesen gegenüber dann nicht, falls jemand für das Amt, das er ausgeübt hatte, Rechenschaft ablegen will.11
Die Besonderheit des Schwurs liegt auf der Hand: In der griechischen Antike war Erinnerung aufs Engste mit einem Reziprozitätsprinzip verbunden. Sowohl die Dankbarkeitspflicht für erhaltene Wohltaten als auch die Rachepflicht für erlittene Übel begründeten eine Erinnerungspflicht.12 Durch den Schwur wurde diese Vergeltungsethik unterbunden. Der Eid war deshalb ein allgemeines politisches Statement, der die gemeinsame Anstrengung eines Neuanfangs symbolisierte.13 Was es dabei konkret zu überwinden gab, lässt sich drei Ebenen zuweisen: Auf der rechtlichen Ebene musste eine Prozesslawine verhindert werden.14 Auf der emotionalen Ebene mussten die Wunden des Bürgerkrieges heilen. Ricœur bezieht das notwendige Vergessen ausdrücklich auf die Schuld, was das Vergessen einem Verzeihen annähert.15 Man sollte vergessen, was man sich gegenseitig angetan hat und wozu die Mitmenschen fähig waren.16 Auf der ideologischen Ebene musste schließlich ein Ausgleich innerhalb der Bürgerschaft das demokratische System wieder stabilisieren.17 Es musste vergessen werden, dass die Demokratie nicht von allen Athenern getragen wurde und dass es am Ende der Auseinandersetzung Gewinner und Verlierer gab; in der Forschung wird darauf verwiesen, dass ein Sieg im Bürgerkrieg als böser Sieg gegolten habe.18 Beide Gruppen mussten gleichermaßen in die erneuerte Gesellschaft integriert werden.19 Die erhaltenen Gerichtsreden vermitteln eine Vorstellung davon, wie überaus kompliziert sich der Umgang mit dem vielschichtigen Vergessensimperativ im Alltag gestaltete. Das Vergessen entpuppt sich hier als ein Kampf zwischen individu11 12 13 14 15 16 17 18
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And. 1,90. Siehe außerdem Xen. 2,4,43; Aischin. 2,176; Ps.-Aristot. Ath. pol. 39,6; Dion. Hal. Lys. 32. Zur Instrumentalisierung der Erinnerung Loraux 2006, 149. Die rituelle Bedeutung betont Chaniotis 2013, 63–65. So etwa Shear 2011, 192–195; Scheibelreiter 2013, 95–126. Ricœur 1998, 144–156. Ihm zufolge ist die Vergebung jedoch dann nicht echt, wenn sie praktiziert wird, um Normalität wiederherzustellen (Ricœur 2004, 714–716). Vgl. noch Flaig 1991, 141. So etwa Wolpert 2002b, 111. Vgl. Lys. 25,28. So etwa Flaig 1991, 139; Loraux 2006, 23f. Vgl. noch Shear 2011, 294–306, die darauf aufmerksam macht, dass das Wort stasis in der Erinnerung vermieden worden sei; sie geht jedoch etwas zu weit, wenn sie die Ansicht vorbringt, die Ereignisse seien ausschließlich als ein externer Krieg erinnert worden und dabei u.a. auf den epitaphios des Lysias verweist. Die Ereignisse des ausgehenden 5. Jahrhunderts werden bei Lysias sehr summarisch geschildert, doch der Redner versäumt nicht zu erwähnen, dass die Kämpfer für die Demokratie auch gegen die eigenen Mitbürger kämpfen mussten (Lys. 2,61–65). So Flaig 1991, 140–143; zu den politischen Gruppierungen Funke 1980, 1–16.
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ellen und kollektiven Interessen. Von Bedeutung war, ob vor Gericht die Richter oder die Prozessgegner angesprochen wurden. Das Vergessen funktionierte besser, wenn es die Richter betraf, die ein Redner vor Gericht für sich gewinnen wollte. In den Reden werden dabei häufig Schlagworte wie „Phyle“ oder „Piräus“ als Synonyme für den Widerstand genutzt.20 Denn die Verbannten, die in Theben Zuflucht gesucht hatten, hatten von der Grenzfestung Phyle aus den Widerstand organisiert und dann von Piräus und Munichia aus gegen die Oligarchen in der Stadt gekämpft.21 Auffallend dabei ist, dass die Richter meistens implizit als Mitwirkende oder Sympathisanten auf der Seite der Phyle-Piräus-Gruppe erscheinen.22 Der Sieg eines Teils der Athener wird auf diese Weise zum Sieg des gesamten demos umgedeutet. Auf der anderen Seite werden „die aus der Stadt“ als Synonym für die ProOligarchen verwendet.23 Doch die Richter werden nicht mit ihnen in Verbindung gebracht. Auf diese Weise kann der Teil der athenischen Bürgerschaft, der sich mit einem oligarchischen System zu arrangieren bereit war, in eine diffuse Abwesenheit gedrängt werden. Offiziell wird die Schuld aber eher bei den Dreißig gesucht, die ja aus dem Versöhnungseid ausgenommen waren. „Unter den Dreißig“ entwickelt sich zu Epochenbezeichnung und Schlagwort für schweres Unrecht.24 So kann Aischines im Jahre 330 behaupten, dass die Dreißig insgesamt 1500 Menschen getötet hätten, obwohl das Zahlenverhältnis absurd ist.25 Die Schuld wurde also nicht eigentlich vergessen, sondern auf die Hauptschuldigen umgeladen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. In der Athenaion politeia wird beschrieben, wie auf Betreiben des Archinos über einen nicht näher benannten Athener, der die Amnestie nicht respektieren wollte, zur Abschreckung die Todesstrafe verhängt werden musste.26 Wir wissen auch von einem Gesetz, das auf Antrag desselben Archinos verabschiedet wurde und Einspruch gegen ungerechtfertigte Klagen, die die Amnestie verletzten, ermöglichte.27 Das Vergessen funktionierte außerdem vor Gericht deutlich schlechter, wenn der Prozessgegner angeschwärzt werden sollte. Die Verfahren konnten ja de iure einen anderen Gegenstand haben und dennoch Vorwürfe beinhalten, der Gegner habe von der Oligarchie profitiert und diese begünstigt. Die Motive der Kläger divergierten. Die von Lysias verfassten Reden spiegeln diese unterschiedlichen Perspektiven auf die Klagebereitschaft wider: Es finden sich Verteidigungsreden, in denen der Redner die Richter ausdrücklich dazu ermahnt, Frieden zu halten;28 dabei wird angesprochen, dass sich manche Athener 20 21 22 23 24 25 26 27 28
Lys. 2,61; 12,52–56. 92–98; 13,63. 77–79. 82. 88; 14,33; 16,4; 19,19; 25,2. 9. 28; 26,17; 28,12; 31,8–9; 34,2; And. 1,80–81; Isokr. 16,13. 46; 18,2. 7. 38. 45; Demosth. 19,277. 280; 20,11. 68. 149; 24,134; Aischin. 2,176; 3,181. 187. 190–191. 195. 208; Deinarch. 1,25. Xen. hell. 2,3,1–2,4,43. Lys. 12,53. 92–98; 13,82. 88; 25,28; 31,8–9; 34,2; And. 1,81; Isokr. 16,13; 18,2; s. noch Lys. 2,61. Lys. 12,92–98; 13,88; 25,28; 34,2. Dazu Wolpert 2002a, 91–95; ders. 2002b, 123; ders. 2003, 543f. Aischin. 3,235. Ps.-Aristot. Ath. pol. 40,2–3. Isokr. 18,2–3; Aischin. 2,176; 3,195; Deinarch. 1,76. Lys. 25: Verteidigungsrede [gegen die Anklage auf Sturz der Demokratie] ca. 400; 18: Vertei-
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bei der Klage von Geldgier und nicht vom Gerechtigkeitssinn haben leiten lassen.29 Andere Reden zeigen, dass die radikale Amnestie von direkt Betroffenen als Unrecht empfunden werden konnte. So wirft Lysias in seiner Rede Gegen Eratosthenes (ca. 403/0) einem früheren Mitglied der Dreißig den Mord an seinem Bruder vor; in der Rede Gegen Agoratos (ca. 403/0) wird hingegen ein Denunziant aus dieser Zeit des Mordes an einem gewissen Dionysodoros beschuldigt.30 Beide Reden stellen nur die berühmtesten Zeugnisse für die persönlich schlechten Erfahrungen aus dieser Zeit dar.31 Der Redner schafft es darin sogar, auch an den Richtern subtile Kritik anzubringen. In der Rede Gegen Eratosthenes erinnert er die anwesenden Richter daran, dass die Abstimmung für oder gegen das frühere Mitglied der Dreißig nicht erzwungen wird und sich durch sie die wahre Gesinnung eines jeden offenbare.32 Dadurch stellt Lysias das Handeln unter Zwang als Rechtfertigungsstrategie bloß und gibt zu verstehen, dass die behauptete Unschuld der anwesenden Athener nur ein fragiles Zugeständnis sei.33 Auch Andokides spricht in der Rede Über die Mysterien (400/399) offen darüber, dass einer seiner Kläger, Epichares, aus demselben Kreis stamme, der auch schon unter den Dreißig andere angeklagt habe. Bei der Anklagerede sei es ihm, Andokides, deshalb so vorgekommen, als ob er unter den Dreißig angeklagt worden wäre.34 Dies kann Andokides behaupten, obwohl er in der Zeit des Umsturzes gar nicht in Athen war und sicher keine eigenen Erinnerungen an eventuelle Machenschaften des Epichares hatte. Der Schwur beinhaltete das Vergessen der erlittenen Übel. Da aber auch Kategorien wie Sieger und Verlierer nivelliert werden sollten, ist ebenso die Frage von Belang, wie mit den Menschen umgegangen wurde, die tatsächlich bereit waren, für die Wiederherstellung der Demokratie zu sterben. Hatte die Unterbindung der Vergeltungsethik Auswirkungen auf die Dankbarkeit gegenüber den Siegern? Die Rückkehrer, die den Widerstand organisiert hatten, wurden öffentlich geehrt, ihre Namen auf einer Stele verzeichnet und im Metroon aufgestellt.35 Unsere Quellen suggerieren dabei, dass es gewisse Tendenzen gab, den Sieg politisch instrumentalisieren zu wollen. Thrasyboulos, der bei Xenophon als die dominierende Figur des Widerstandes geschildert wird, wollte allen Fremden, die auf Seiten der Demokraten gekämpft hatten, das Bürgerrecht verleihen; als er einen entsprechenden Antrag vor die Volksversammlung brachte, soll er von Archinos wegen gesetzeswidriger Antragstellung
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digungsrede im Prozess über die Beschlagnahme des Vermögens vom Bruder des Nikias ca. 395; 16: Verteidigungsrede des Mantitheos bei seiner Überprüfung vor dem Rat ca. 392. Lys. 18,17–18 (dazu Wolpert 2002b, 119–123); Lys. 25,25–27. Zum Problem der Regelungen der Besitzverhältnisse nach 403 Funke 1980, 20f. Zu Fragen der Datierung und zum Charakter der Prozesse Bearzot 1997, 42–58, 74–76; Wolpert 2002a, 59–62; Piovan 2011, 15–33, 95–122; Chaniotis 2013, 55–61. Insgesamt dazu Wolpert 2002a, 58–71; Shear 2011, 217–224; speziell zu Lysias Bearzot 2007, 37–54; Piovan 2011, 181–304. Lys. 12,90–91. Zur Haltung des Lysias insgesamt Bearzot 2007, insb. 55–57; vgl. noch dies. 1997, 86–92; außerdem Chaniotis 2013, 61, 63f. And. 1,101. Aischin. 3,187. 190. Zur inschriftlichen Evidenz im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Demokratie vgl. Shear 2011, 232–238.
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verklagt worden sein.36 In den zeitgenössischen Reden begegnet sein Name in Zusammenhang mit der Demokratiewiederherstellung verhältnismäßig selten,37 teilweise entsteht sogar der Eindruck des Überdrusses. So bringt Lysias in der Verteidigungsrede für einen gewissen Mantitheos (ca. 392) vor, dass „der Erhabene aus Steiria“ allen anderen Männern Feigheit vorzuwerfen pflege.38 In der Rede Gegen Ergokles (388) formuliert der Redner sogar die Überzeugung, dass Thrasyboulos glücklicherweise in der Fremde getötet worden sei, da er als Wohltäter nicht durch die Hand der Athener hätte sterben dürfen.39 Es scheint, als habe die Anstrengung der Versöhnung keinen Platz für einzelne Helden gelassen. Dies ändert sich deutlich in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, als alle diese Akteure längst verstorben waren. Doch als Retter der Demokratie sticht in den Reden Archinos hervor, der für die effektive Durchsetzung der Amnestie sorgte; Demosthenes versteigt sich dabei sogar zu der Äußerung, dass die Athener Archinos nach den Göttern den größten Dank schuldeten.40 Als im Jahr 323 Deinarchos für den Prozess gegen Demosthenes die Ereignisse des Jahres 403 rekapituliert, steht bei ihm eine positive Erinnerung an die Unterstützung der Demokraten durch die Thebaner im Vordergrund. In dem Zusammenhang erinnert Deinarchos auch an Thrasyboulos, der einst in Theben die Truppen gemustert habe, mit denen er dann Phyle einnehmen konnte.41 Als er einige Paragraphen später die besten früheren Berater der Polis aufzählt, ist es hingegen wieder Archinos, der gelobt wird.42 Diese Akzentuierung fällt umso mehr auf, als der hauptsächlich an militärischen Fragen interessierte Xenophon in den Hellenika Archinos nicht ein einziges Mal erwähnt. In der rhetorischen Erinnerung findet sich also eine andere Schwerpunktsetzung als in der Historiographie. Sie ist stärker auf den inneren Frieden der restaurierten Demokratie ausgerichtet und drückt aus, dass der aktive Schutz der Versöhnung das Wiederaufleben und den Fortbestand der Demokratie ermöglicht hat. Auf der ideologischen Ebene kann also von einem erfolgreichen Konzept der Versöhnung durch Vergessen gesprochen werden. Als entscheidende Erinnerung bleibt die Fähigkeit zu Versöhnung. „DAS VERHINDERTE GEDÄCHTNIS“ – URSPRUNGSMYTHEN ALS ANTIKE FORM DER DECKERINNERUNG? Eine weitere Ausdruckform des „kollektiven Vergessens“ stellt nach Paul Ricœur die sogenannte verhinderte Erinnerung dar, für die er auf die Erkenntnisse der Psychoanalyse zurückgreift.43 Sie basiere auf einer Art kollektivem Trauma, einer Ver36 37 38 39 40 41 42 43
Ps.-Aristot. Ath. pol. 40,2; Aischin. 3,195; Ps.-Plut. X or. = mor. 835F–836A; P.Oxy. 1800 frg. 6–7. Zur Bedeutung des Archinos für die Versöhnungspolitik Funke 1980, 17–19. Isokr. 18,23; Lys. 12,52. Lys. 16,15. Lys. 28,8; vgl. noch Bearzot 2014, 301–310. Demosth. 24,135; s. noch Aischin. 2,176; 3,187. 195. Deinarch. 1,25. Deinarch. 1,76. Ricœur 2004, 115–130, 679–683.
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letzung des Gedächtnisses, die mit der Angst vor dem Verlust dessen zusammenhänge, was die Substanz eines Gemeinwesens ausmache: Macht, Territorium oder nationale Eigenliebe.44 Das Verdrängen führe aber zur Hervorbringung falscher Deckerinnerungen (wörtlich: „substitutions“).45 Diese Variante des „kollektiven Vergessens“ bezeichnet Ricœur explizit als passiv-unbewusstes Vergessen. Die Schwierigkeit, das Vergessene zu ermitteln, liegt auf der Hand. Ricœur nennt an dieser Stelle auch kein konkretes historisches Beispiel, verbindet die Verdrängung jedoch ausdrücklich mit den Anfängen von politischen Gemeinschaften. Denn jedes Gemeinwesen sei aus einer Beziehung entstanden, die mit Krieg verglichen werden könne. Die Erinnerungen an die Gewalttaten der Frühzeit würden in der Folgezeit mit einer positiven Erinnerung überdeckt.46 Bei den Griechen wurden die Ursprünge stets mythisch vorgestellt und als Teil der Geschichte empfunden. Für dieses Phänomen prägte Hans-Joachim Gehrke den Begriff der „intentionalen Geschichte“.47 In der Rhetorik des 4. Jahrhunderts wurde die Darstellung der athenischen Ursprünge über den Autochthonie-Mythos verhandelt. Die Athener wähnten sich als einziges Volk, das nicht von außerhalb eingewandert war. Anders als etwa die Spartaner mit ihrem Mythos über die Rückkehr der Herakliden weist die athenische Ursprungsgeschichte also in der Tat gar keine Gewaltkomponenten auf.48 Was wurde hier also substituiert? In den Reden lassen sich mindestens vier mit der Idee der Autochthonie verbundene Wunschvorstellungen ausmachen. Bei Lykurg und Isokrates findet sich erstens die Perspektive, dass die autochthonen Athener durch das hohe Alter der Polis unter den Griechen hervorstechen.49 Darüber wird die kulturelle sowie zivilisatorische Abhängigkeit der anderen Hellenen postuliert.50 Die hieraus resultierende Dankbarkeitsverpflichtung der Griechen sollte den Anspruch auf die Vorrangstellung der Athener begründen, wie er im 5. Jahrhundert bestand und im 4. Jahrhundert angestrebt wurde. Ebenso wichtig war zweitens die Betonung der Rechtmäßigkeit des Besitzes von Attika, wie sie in den Reden für die Gefallenen begegnet; da die Athener niemanden hätten vertreiben oder überwältigen müssen und die Gründung ihrer Polis nicht auf Unrecht basiere, sei ihre Verteidigung rechtens.51 Aus den erhaltenen Fragmenten der zeitgleich ent44 45
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Ricœur 1998, 137f.; ders. 2004, 128. Ricœur 2004, 683. Die Übersetzung der französischen Vokabel „substitution“ mit „Deckerinnerung“ folgt hier der Begrifflichkeit in Freud 1952, 531–554. Vereinfacht auf den Punkt gebracht handelt es sich um eine Erinnerung, „die ihren Gedächtniswert nicht dem eigenen Inhalt, sondern dessen Beziehung zu einem anderen unterdrückten Inhalt verdankt“ (ebd. 551). Deutliche Beispiele dafür sind etwa die scheinbar belanglosen Kindheitserinnerungen, die entweder eine für die individuelle Entwicklung ungleich wichtigere Kindheitserinnerung verdrängt haben oder symbolisch bloß für bestimmte Phantasien/Wunschvorstellungen stehen. Ricœur 2004, 128. Zuerst in Gehrke 1994. Dazu Loraux 1981, 84; Walter 1992, 181; Gotteland 2001a, 82. Lykurg. 83; Isokr. 4,32–37; 8,49; 12,124. Speziell zu den Ionern, die als direkte Abkömmlinge gegenüber (der Mutterstadt) Athen gedacht wurden Gotteland 2001a, 79–93. Lys. 2,17; Demosth. 60,4–5; vgl. noch Thuk. 2,36,1; Isokr. 4,23–25.
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standenen Atthis lässt sich dabei noch eine Variante erahnen, der zufolge in Attika auch die Pelasger gesiedelt hätten.52 Die Nachricht findet sich bereits bei Herodot, der die beiden Informationen, dass die Athener autochthon seien und dass die Pelasger Attika besiedelt hätten, gewissermaßen versöhnt, indem er die Ersteren aus den Letzteren hervorgehen lässt.53 Freilich werden dadurch die ursprünglichen Athener zu Nicht-Griechen. Bei Thukydides findet sich dann die Bemerkung, Attika sei schon immer von denselben Menschen bewohnt gewesen; die Pelasger werden aber als ein Teil der späteren Hellenen betrachtet und das Problem dadurch behoben.54 Diese Geschichten stellen vermutlich Versuche dar, die eigenen Anfänge zu rekonstruieren.55 In den Reden für die Gefallenen werden solche Probleme jedoch ausgeblendet, weil sie hier keine Funktion haben. In der Rede Gegen Neaira (343/0) fügt Apollodoros in seiner Argumentation die interessante Bemerkung ein, dass die Königswürde in alten Zeiten den Autochthonen zugestanden habe.56 Damit meint er vielleicht, dass in Attika noch andere nichtautochthone Gruppen gelebt haben. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Apollodoros eine ganz andere Assoziation wecken möchte. Denn eine königliche Abstammung suggerierte die edle Abkunft aller Athener,57 die sich dadurch als etwas Besonderes verstehen konnten.58 Josiah Ober argumentiert, dass die Athener dadurch als eine Familie verstanden wurden.59 In den Gefallenenreden konnten auf diese Weise die Bürger zu weiteren Opfern für ihre „Verwandten“ animiert werden;60 in den Gerichtsreden ließ sich etwa mangels Familie darauf verweisen, dass die anwesenden Athener stellvertretend als Fürsprecher des Angeklagten auftreten könnten.61 Die gleiche noble Herkunft und die familiären Bande bedeuteten also drittens die Gleichheit aller Athener.62 Auf diese Weise überdeckte die Idee der Autochthonie die Erinnerung an jede Form vordemokratischer Ungleichheit. Der Gedanke dürfte nach der Erfahrung der oligarchischen Umstürze an Bedeutung noch gewonnen haben. Denn er impliziert, dass jede Form der Oligarchie indisku52 53 54 55 56 57
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Kleidemos FGrH 323 F16; Philochoros FGrH 328 F100–101; vgl. noch Strab. 5,2,4 C221. Hdt. 1,56–57. Thuk. 1,2; zum Motiv der Autochthonie in der griechischen Historiographie und Literatur ausführlich Osmers 2013, 153–171. Dazu Walter 1992, 182–185. Man fühlt sich hier an Nietzsche und seine „Geburt der Tragödie“ erinnert, in der er die Suche nach den Ursprüngen für das menschliche Dasein als konstitutiv definiert und den Mythos als geeignet, um dieses Bedürfnis zu erfüllen (Nietzsche 2003, 146). Ps.-Demosth. 59,74. Die Idee der königlichen „Abstammung“ ist relativ alt, die Athener galten möglicherweise schon in der Ilias (2,546–8) als Nachkommen des Erechtheus, sicher bei Pindar (I. 2,19). Dazu Parker 1987, 193–195; Blok 2009, 151–154; Osmers 2013, 155f. Zur Verbindung der Autochthonie mit der eugeneia Plat. Mx. 237a–c; Demosth. 60,4; Hyp. 6,7; Isokr. 12,124; dazu etwa Loraux 1981, 150f.; Thomas 1989, 213–221; Ober 1989, 261–263; Walter 1992, 181. Deutlich in Isokr. 8,50. 89; Lykurg. 41. 100 (= Eur. Erechtheus vv. 7–13); die Idee der Exklusivität kann wahrscheinlich als eine Folge des Bürgerrechtgesetzes von 451 angesehen werden, siehe Blok 2009, 150–154. Ober 1989, 263. Dazu Arrington 2015, 108–113. And. 1,148–149. Dazu auch Loraux 1981, 195f., 281f.; Parker 1987, 195.
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tabel und aufgrund der besonderen Geschichte der Polis auf die athenischen Verhältnisse nicht anwendbar war. Der Autochthonie-Mythos implizierte viertens eine Freiheitsverpflichtung. Demosthenes behauptet in der Rede Über die falsche Gesandtschaft (343), dass die Arkader als einzige außerhalb Athens autochthon seien. Obwohl sie also stets frei gewesen seien, hätten sie sich nun in eine Abhängigkeit von Philipp eingelassen.63 Und auch Lykurg verdammt in der Rede Gegen Leokrates (331/0) den nach der Schlacht bei Chaironeia unter hohem militärischen Druck gefassten Volksbeschluss, Fremden das athenische Bürgerecht zu geben, da die Athener stets autochthon und frei gewesen seien. Autochthonie impliziert hier offenbar außenpolitische Selbstbestimmung: Nicht nur hat ein autochthones Volk in seinen Ursprüngen kein Unrecht begangen, sondern musste auch selbst kein Unrecht erleiden. Die freien Ursprünge der Polis verpflichteten die Bürger dazu, frei zu bleiben. Die Bedeutung des Freiheitsaspekts ist offenbar durch die Auseinandersetzung mit Makedonien gewachsen, könnte aber schon früher entwickelt worden sein. Die Funktionen des Autochthonie-Mythos erhellen die athenische Frühzeit nicht. Alle vier mit der Autochthonie verbundenen Wunschvorstellungen zeigen jedoch klar, dass mit der „Erinnerung“ Gewalttaten der relativ rezenten Vergangenheit und sogar Gegenwart gerechtfertigt wurden: die Hegemonialstellung Athens in Griechenland und das Recht auf Verteidigung des Landes sowie der äußeren Freiheit. Dadurch erweist sich der Autochthonie-Mythos als komplexe Deckerinnerung, die sich nicht auf eine Zeitspanne beschränken lässt. Diese Komplexität lässt sich sogar ergänzen, wenn ein weiterer athenischer Ursprungmythos betrachtet wird: Denn auch die stufenweise Entwicklung der Demokratie wurde in der öffentlichen Erinnerung zugunsten eines einmaligen, in die Frühzeit verlegten Gründungsaktes „vergessen“. Seit dem ausgehenden 5. Jahrhundert gebührte diese Ehre König Theseus.64 In dieser Substitution zeigen die Reden allerdings ein eigenes Profil. Wesentlich größer als die Rolle des mythischen Königs ist hier die Rolle von Gesetzgebern wie Drakon65 und Solon.66 Dafür ist einerseits der Kontext verantwortlich, da die meisten der erhaltenen Reden Gerichtsreden sind. Man darf außerdem annehmen, dass nach der Gesetzesrevision im Zusammenhang mit der Demokratiewiederherstellung (399 vollendet) diese Gesetzgeber besonders geeignet waren, um die bestehende Ordnung zu legitimieren.67 Die Demokratie ruhte in dieser Perspektive nicht auf dem Zugeständnis eines Einzel63 64
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Demosth. 19,261. Eur. Suppl. 346–353; 399–455; Isokr. 10,36; 12,129; Ps.-Demosth. 59,75; Demosth. 60,28; Theophr. c. 26,6; Plut. Theseus 25. Dazu unter anderen Gotteland 2001b, 263f.; Mitchell 2013, 155f.; von den Hoff 2010, 315. Zur Mythisierung der demokratischen Ursprünge ab dem 5. Jahrhundert Thomas 1989, 233–235. And. 1,81–84; Aischin. 1,6; Demosth. 20,158; 23,51; 24,211; 47,71. And. 1,81–84. 95; Lys. 10,15–19; 30,2. 26. 28; Aischin. 1,6. 183; 3,2. 108. 175. 257; Demosth. 18,6; 20,90. 93-94. 99. 102–104; 22,25. 30–31; 24,103. 106. 113. 114–115. 142. 147–148. 211. 212–214; 36,27; 42,1; 43,62. 67. 78; 44,67–68; 46,14; 57,31–32; Ps.-Demosth. 26,4. 23; Isokr. 15,231–232; Hyp. 3,21–22. Siehe Joyce 2008, 517; außerdem Wolpert 2002a, 38f. Das Ausmaß und die Folgen der Beschäftigung mit den Gesetzen in der Zeit 410–399 werden in der Forschung kontrovers disku-
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nen, sondern auf den Gesetzen, die nun für alle zugänglich und nachvollziehbar waren. Bei dieser Darstellungsart werden Namen wie Kleisthenes und Ephialtes, deren Beitrag zur Demokratisierung Athens in den modernen Darstellungen diskutiert wird, verdrängt. In der Rhetorik wird Kleisthenes namentlich nur von Isokrates erwähnt, der ihm in mehreren Reden eine recht vage Rolle bei der Wiederherstellung der Demokratie solonischer Prägung nach der Vertreibung der Tyrannen zuweist.68 Ephialtes wird aber nur von Antiphon in einer Rede aus dem Jahr 415 erwähnt: Der Angeklagte warnt die Richter vor Justizirrtümern und nennt den Mord an Ephialtes als Beispiel für einen ungelösten Mordfall, ohne jedoch die politischen Implikationen zu erwähnen.69 Nicole Loraux interpretiert die Überlieferung so, dass die Demokratie ihre Historizität verneint habe und dass Kleisthenes und Ephialtes zu sehr mit stasis und Gewalt assoziiert werden konnten.70 Die Überlagerung von schmerzhaften Erinnerungen könnte dabei bereits im 5. Jahrhundert eingesetzt haben, doch die Erfahrung des Bürgerkrieges und die Versöhnung von 403 mussten das Bedürfnis nach einem Bild des ewigen demokratischen Friedens zusätzlich stärken. Auf diese Weise konnte die Demokratie mit innerer Stabilität assoziiert und die Gewalt eine Eigenart der Oligarchie bleiben. Betrachtet man dabei die Reformen selbst, so stellt man fest, dass die Autochthonievorstellung und der Demokratie-Mythos sich gegenseitig unterstützten. Das gilt zumindest für die Phylenreform. Denn die Phylenzugehörigkeit war aufs Engste mit der Zugehörigkeit zum Bürgerverband verbunden.71 Eine relativ rezente Reform, die den künstlichen Charakter der wichtigsten Personenverbände offenlegte, widersprach der Vorstellung der Exklusivität durch Autochthonie. Auch mit dem Blick auf Kleisthenes lässt sich also die Funktion des Autochthonie-Mythos in seiner Funktion als Deckerinnerung aufrechterhalten, die die schmerzliche Erinnerung an die stasis des ausgehenden 6. Jahrhunderts überdeckte. „DAS MANIPULIERTE GEDÄCHTNIS“ – WIE FUNKTIONIERT DIE HIERARCHIE DER ERZÄHLUNG? Als dritte Form des Erinnerungsmissbrauchs benennt Ricœur das „manipulierte Gedächtnis“, das er in den Kontext der Rechtfertigung von Macht- und Herrschaftsstrukturen einordnet. Die Motivation für das dadurch provozierte Vergessen erkennt Ricœur in der grundsätzlichen Fragilität von Identität. Das tiefe Bedürfnis nach einer Abgrenzung von dem Anderen und nach einer Konstanz des Eigenen, das heißt der Reduktion auf das immer Gleiche und Vertraute, führe zur einen Ideologisierung des Gedächtnisses und seine Verwendung als Legitimation. Die Selektion be-
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tiert; aus der sehr umfangreichen Literatur sei hier auf Wolpert 2002a, 39f.; Joyce 2008, 515f.; Shear 2011, 238–240 verwiesen. Isokr. 7,16. 19; 15,232. 306; 16,26. Antiph. 5,68. Loraux 2006, 63, 71–75; vgl. noch Flaig 1991, 137f.; Walter 1992, 201–208. Vgl. Walter 1992, 201–209.
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stärke das gewünschte Selbstbild und ermögliche eine kohärente Erzählung. Dabei spiele das Phänomen der Flucht in eine Illusion eine erhebliche Rolle; es handle sich um eine Nicht-Wissen-Wollen-Haltung, die der Autor als „eskapistisches Vergessen“ bezeichnet. Das Vergessen kann hier aber die gesamte Bandbreite zwischen aktiv-bewusst und passiv-unbewusst einnehmen.72 Übertragen auf Athen bedeutet dies, dass aus dem Erinnerungsprozess diejenigen Aspekte der Geschichte „herausgefallen“ sein müssten, die für die Athener weniger wichtig waren, weil sie nichts zu Stärkung des Selbstbildes beigetragen haben, sowie diejenigen, die sie direkt als identitätsschädigend empfunden haben. Ersteres lässt sich am Umgang der Redner mit wichtigen Protagonisten der Geschichte nachvollziehen, die auf bestimmte Tätigkeiten reduziert werden, wie der weiter oben erwähnte Solon auf die Gesetzgebung. Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass solche Stereotype jederzeit durchbrochen werden konnten. So beschreibt Aischines in der Rede Gegen Timarchos (345) Solon als Redner, um einen Gegensatz zu Timarchos zu konstruieren, der sich einer dokimasia rhetoron unterziehen musste.73 Auch der eingangs erwähnte Umgang mit den Plataiern bei Lysias kann unter dem Aspekt der Reduktion respektive Priorisierung eingeordnet werden. Ihr Anteil am Sieg bei Marathon wurde regelmäßig unterschlagen.74 Er konnte aber problemlos aktualisiert werden, wenn es für die Argumentation sinnvoll war. So geht in der Rede Gegen Neaira (343/0) Apollodoros sehr ausführlich auf die Unterstützung der kleinen Nachbarpolis ein, da er belegen möchte, dass das athenische Bürgerrecht nur durch überaus große Verdienste für die Polis zu erreichen sei.75 Solche Informationen waren also nicht ganz vergessen, bloß die Anlässe der Aktualisierung seltener.76 Die Hierarchisierung konnte dabei je nach Kontext divergieren, ohne dass es die Athener irritiert zu haben scheint. Einheitlicher erscheint die Flucht in Illusion, die sich gut anhand der Retrospektive auf die Geschichte des Attisch-Delischen-Seebunds zeigen lässt. Das letztliche Scheitern schaffte hier ein Bewusstsein um die Fragilität der einst erreichten Hegemonialstellung und verstärkte das Bedürfnis nach einer Rechtfertigung und Idealisierung des Verlorenen. Deshalb werden in den erhaltenen Reden des 4. Jahrhunderts die Problematik der Autonomie der athenischen symmachoi, die Abfallbewegungen und die darauffolgenden strengen Strafmaßnahmen kaum explizit angesprochen. Die Vorzüge einer ausgewogenen hegemonia zu betonen, die einer rücksichtslosen arche vorzuziehen sei, blieb im Wesentlichen Isokrates vorbehalten.77 Außerhalb seiner Schriften sucht man vergeblich nach konkreten Namen, die durch den Einfluss des Thukydides in der modernen Forschung zu Paradebeispielen für
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Ricœur 1998, 139–142; ders. 2004, 130–139, 683–685. Aischin. 1,25. Zur Bedeutung von Marathon für die Athener Erinnerungskultur vgl. Gehrke 2003. Ps.-Demosth. 59,94–96. Dazu zuletzt Steinbock 2013, 127–142. Isokr. 5,146; 6,42; 7,17; 8,64. 74–94. 116; 12,53. 63. 89. 114–118; 14,39; 15,318. Dazu ausführlich Blank 2014, 251–272.
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den unrechten Charakter der athenischen Herrschaft geworden sind: Mytilene, Toronne, Skione oder Melos.78 Noch im Jahr 415 lässt Antiphon in seiner Rede Über den Mord an Herodes den Mytilener Euxitheos die Richter vor der Abstimmung zur Vorsicht zu gemahnen: 71. … εὖ βουλεύσασθε, καὶ μὴ μετ᾽ ὀργῆς καὶ διαβολῆς, ῶς τούτων οὐκ ἄν γένοιντο ἕτεροι πονηρότεροι σύμβουλοι. 72. οὐ γὰρ ἔστιν ὅ τι ἄν ὀργιζόμενος ἄνθρωπος εὖ γνοίη. αὐτὸ γὰρ ᾧ βουλεύεται, τὴν γνώμην, διαφθείρει τοῦ ἀνθρώπου. μέγα τοι ἡμέρα παρ᾽ἡμέραν γιγνομένη γνώμην, ὦ ἄνδρες, ἐξ ὀργῆς μεταστῆσαι καὶ τὴν ἀλήθειαν εὐρεῖν τῶν γεγενημένων. 71. … beratet euch gut, und ohne Zorn und Verleumdung, denn es gibt wohl keine schlechteren Berater als diese. 72. Es gibt nämlich keinen Menschen, der im Zorn gut urteilen könnte. Denn er zerstört genau dies im Menschen, womit dieser entscheidet, nämlich seine Urteilskraft. Jeder Tag, der vergeht, hilft der Urteilskraft sehr, Männer, sich vom Zorn zu befreien und herauszufinden, wie die Ereignisse in Wahrheit geschehen sind.
Die Warnung, von einem Bürger aus Mytilene ausgesprochen, lässt den modernen Historiker an Thukydides denken, der ausführlich die Reaktion der Athener auf den Abfall von Mytilene 428/7 schildert: Er berichtet, wie nach der Niederschlagung des Aufstandes die athenische Ekklesia im frischen Zorn beschlossen hat, alle männlichen Bürger hinzurichten und Frauen sowie Kinder in die Sklaverei zu verkaufen. Erst am nächsten Tag wurde der Beschluss aufgrund von einsetzender Reue dahingehend abgemildert, dass „nur“ an 1000 Mytilenern ein Exempel statuiert werden sollte.79 Die athenischen Richter des Jahres 415, allesamt mindestens dreißig Jahre alt, dürften sich an diese Ereignisse noch persönlich erinnert haben, auch wenn Antiphon es vermeidet, die Debatte ausdrücklich zu erwähnen.80 Den Richtern wird indirekt vermittelt, sie sollten nicht den in der Vergangenheit beinahe begangenen Fehler nachholen und einen Mytilener unschuldig hinrichten lassen. Die indirekte Erinnerung funktionierte bei Antiphon aufgrund der zeitlichen Nähe, solche Anspielungen verschwinden jedoch in der Folgezeit. Zwar verdeutlichen die Bestimmungen des Aristotelischen Psephisma von 377, dass die Athener bei der Gründung des Zweiten Seebunds ihre früheren Fehler beheben wollten,81 in welcher Form und in welchem Ausmaß diese diskutiert worden sind, wissen wir jedoch nicht. Im Jahr 342 führt wiederum Demosthenes den Athenern vor Augen, wie sehr sie sich dafür schämen müssten, dass sie Philipp bei seiner aggressiven Politik gewähren lassen; denn früher, so der Redner, habe es keine Straflosigkeit für die hegemones in Griechenland gegeben, wenn sie Unrecht begangen hatten, ob es die Athener, die Spartaner oder die Thebaner gewesen seien.82 Diese Aussage impliziert eine Kritik der athenischen Machtpolitik, doch bleibt diese letztlich ausgesprochen vage. Zwei Gründe dürften nach 404 das Schweigen über die Abfallbewegungen und die früheren Strafmaßnahmen verstärkt haben: Erstens problematisierten sie die Frage der Verantwortung für Krieg und Scheitern. In den Folgejahren 78 79 80 81 82
Thuk. 3,36–50 (Mytilene); 5,2,4 (Toronne); 5,32,1 (Skione); 5,84,1–116,4 (Melos). Thuk. 3,36–50. Vgl. Zinsmaier 1998, 408. Rhodes/Osborne GHI, Nr. 22. Demosth. 9,23–25.
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wird die militärische Niederlage jedenfalls auffällig als Unglück (δυστυχία,83 ἀτυχία 84) oder Katastrophe (συμφοράv 85) bezeichnet. Dadurch wurde die Frage nach der menschlichen Verantwortung umgangen und suggeriert, dass die Niederlage beinahe zufällig erlitten worden sei. Zweitens rief die Erinnerung an die eigenen unbarmherzigen Beschlüsse gegenüber anderen Poleis die Situation vor Augen, als im Anschluss an die Niederlage im Peloponnesischen Krieg die eigene Polis beinahe zerstört und die Athener selbst beinahe versklavt worden wären. Xenophon schreibt, dass sich nach der Nachricht von der Niederlage eine Panik der Athener bemächtigt habe; in einer schlaflosen Nacht hätten sie in der Erwartung, nun auch dasselbe Schicksal zu erleiden, sich selbst betrauert.86 Ein weiteres Beispiel, das dem eskapistischen Vergessen anheimfiel, stellt der Umgang der Athener mit dem Arginusenprozess dar. Im Jahr 406 wurden alle acht an der gleichnamigen Schlacht beteiligten Strategen zum Tode verurteilt, weil aufgrund eines aufziehenden Sturms die Schiffsbrüchigen nicht geborgen werden konnten, die sechs nach Athen zurückgekehrten Strategen wurden tatsächlich hingerichtet.87 Dieses extreme Vorgehen soll insbesondere Theramenes forciert haben, dem im Verbund mit Thrasyboulos – beide zu diesem Zeitpunkt Trierarchen – die Bergung der Schiffbrüchigen eigentlich anvertraut worden war.88 Der Prozess fand vor der Volksversammlung statt; doch anders als 427 soll sich hier ausgerechnet die Vertagung des endgültigen Beschlusses negativ auf die Stimmung des demos ausgewirkt haben. Denn während des folgenden Festes der Apatourien, so beschreibt Xenophon, habe Theramenes die Angehörigen der Opfer, die an schwarzen Gewändern und geschorenen Haaren in der Öffentlichkeit gut erkennbar waren, für eine Stimmungsmache in der Volksversammlung mobilisieren können.89 Trotz der Bedeutung und Brisanz des Prozesses gibt es in den erhaltenen Reden nur einen einzigen eindeutigen Bezug darauf. In der Rede des Lysias Gegen Eratosthenes nutzt der Redner das Beispiel, um ein ausgewogenes Verhalten bei der Bestrafung zu thematisieren. Dabei wirft er den Athenern vor, dass sie zwar nicht zögerten, siegreiche Strategen zu bestrafen, als es nötig war, aber mit den Mitverursachern der Niederlage Nachsicht üben.90 Lysias gibt mit seiner Einschätzung vor, dass der Arginusenprozess als Beispiel für gerechte Strenge ohne Rücksicht auf Verdienste hätte genutzt werden können, wie es in der Rhetorik sonst häufig geschieht.91 Doch dafür existiert kein weiterer Beleg. Auch dieses Schweigen ist leicht erklärbar: Denn die unmittelbare Folge des Prozesses war eine Schwächung der militärisch-strategischen Ressourcen Athens, 83 84 85 86 87 88 89 90 91
Plat. Mx. 244a–b; Lys. 2,58. 65; Is. 5,7; Isokr. 9,52; 12,99; 14,31. Isokr. 4,119; 5,62; Demosth. 23,212; vgl. noch Isokr. 12,57. Lys. 2,59; Ps.-Lys. 6,46; Lys. 21,9; Is. 5,8; siehe noch Isokr. 7,64. Xen. hell. 2,2,3. Dazu noch Steinbock 2013, 291–300. Zur Schlacht Xen. hell. 1,6,24–36; zum Prozess Xen. hell. 1,7,1–35; die Darstellung bei Diodor (13,97,1–102,5) weicht ab. Dazu ausführlich Bleckman 1998, 509–571. Xen. hell. 1,6,35; 1,7,4; siehe noch Philochoros FGrH 328 F142. Xen. hell. 1,7,7–8. Lys. 12,36. Dies begegnet etwa im Zusammenhang mit Themistokles (Demosth. 23,205; Ps.-Demosth. 26,6) oder Chabrias (Demosth. 21,64).
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so dass der Zusammenhang zwischen der Entscheidung und dem unmittelbaren Ende des Peloponnesischen Krieges unübersehbar war. Hierin offenbart sich eine starke Verknüpfung mit der bereinigten Geschichte des Seebunds. Beides problematisierte und symbolisierte dadurch die selbstverschuldete Katastrophe des peloponnesischen Krieges mit ihren Folgen: knappe Rettung der Stadt, Verlust der Hegemonialstellung, oligarchischer Umsturz. Jahrzehnte später beklagt wieder Isokrates in der Antidosis (353), dass die Polis schon oft in Zorn gefällte Entscheidungen bereut und anschließend die Bestrafung der Antragsteller gefordert habe.92 Dies stimmt mit dem Bericht von Xenophon überein. Durch ihn erfahren wir, dass nach der Hinrichtung der Strategen die Athener Reue empfunden und beschlossen hätten, die Initiatoren des Prozesses vor die Volksversammlung zu laden; zu einem Prozess sei es indessen nicht mehr gekommen, da die festgesetzten Verantwortlichen entkommen konnten.93 Nach der einschneidenden Wendung des Krieges wollten die Athener also die Kläger des Prozesses zur Verantwortung ziehen,94 so dass ihnen der Zusammenhang zwischen Prozess und Niederlage klar gewesen sein dürfte.95 Bei Lysias spiegelt sich die Verhandlung der ganz rezenten Vergangenheit, die Auseinandersetzung mit dem Scheitern ist noch nicht abgeschlossen. Wie im Fall der Mytilene-Debatte, ist dies die Erinnerung der Zeitgenossen. In der Folgezeit unterliegt die schmerzhafte Erinnerung an den Arginusenprozess einem Tabu. FAZIT Auf der Grundlage des von Paul Ricœur entwickelten Modells können vier spezifische Ausdrucksformen des kollektiven Vergessens für die attische Rhetorik herausgearbeitet werden: der ausdrückliche Verzicht auf eine für den inneren Frieden belastende Erinnerung, die Pflege und Weiterentwicklung einer (mythischen) Ersatzerinnerung, die tendenzielle Tabuisierung einer problematischen Erinnerung, das Resultat einer kontext- und funktionsabhängigen Reduktion respektive Priorisierung von Wissen. Das Modell hilft dabei nicht nur, auffällige Lücken in der öffentlichen Erinnerungslandschaft zu erklären und die Funktion dieser Auslassung aufzudecken, auf diese Weise können auch vermeintliche Erinnerungen als eine Form des kollektiven Vergessens erkannt werden. Das Vergessen kann sich gleichermaßen durch ein Fehlen wie durch ein Anders-Erinnern manifestieren. Wie die Erinnerung so war das Vergessen mehr oder weniger unmittelbar auf den Erhalt und die Bestärkung der Gemeinschaft ausgerichtet. Als für das Vergessen besonders prädestiniert erweisen sich deshalb Verantwortungsfragen: bei dem Umsturz die Schuld der das Regime der Dreißig unterstützenden Athener, bei der Geschichte des Delisch-Attischen Seebunds die problematischen politischen, militärischen oder gerichtlichen Entscheidungen der großen demokratischen Gremien. Dadurch wirkt der Einfluss der Niederlage im Peloponnesischen Krieg 405 sowie des oligarchi92 93 94 95
Isokr. 15,9. Xen. hell. 1,7,35; die Reue-Behauptung begegnet ebenfalls in Diod. 13,103,1. Siehe Bleckmann 1998, 510–514. Vgl. noch Strauss 1983, 28.
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schen Umsturzes 404/3 auf die Wahrnehmung der athenischen Geschichte durch die Zeitgenossen und spätere Generationen; beide Ereignisse können teils als Auslöser, teils als Verstärker für das kollektive Vergessen im Athen des 4. Jahrhunderts definiert werden. Dort, wo das Vergessen mit Schweigen oder Vernachlässigung gleichgesetzt werden kann, war es nie absolut. In der freien Redekultur der athenischen Demokratie bestand immer die Möglichkeit, das Vergessen zu unterlaufen, wenn es einem Redner sinnvoll erschien. So konnten die Redner etwa an die Notwendigkeit zu schweigen erinnern; eine nicht mehr allzu präsente oder gar ungewollte Erinnerung wieder aktualisieren; sich durch Anspielungen, eine richtige InSzene-Setzung von Lücken verständlich machen oder, um die Zuhörer zu beschämen und zum Nachdenken zu animieren, selbst den Weg der Irritation beschreiten.
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DIE ERZEUGUNG VON ‚VERGESSEN‘ IN DER RÖMISCHEN HISTORIOGRAPHIE Verena Schulz DER WUNSCH ZU VERGESSEN Der Europäische Gerichtshof entschied im Mai 2014 eine Klage gegen Google und für das Vergessen. Demnach dürfen Personen unter bestimmten Voraussetzungen verlangen, dass Links mit auf sie bezogenen Daten aus den Ergebnislisten von Suchmaschinen gelöscht werden. Im Anschluss an das Urteil betonte der Vizepräsident des Europäischen Gerichtshofs, dass man damit kein „Recht auf Vergessenwerden“ erfunden habe.1 Damit spielte er auf Überlegungen zu einem solchen Recht an, die schon länger diskutiert werden.2 Politik- und Rechtswissenschaftler arbeiten an entsprechenden Entwürfen für Gesetze. Ein solches Recht bezöge sich als „digitaler Radiergummi“3 auf elektronisch gespeicherte Daten und sollte sicherstellen, dass digitale Informationen, die sich auf eine Person beziehen, nicht dauerhaft zur Verfügung stehen, z.B. indem sie mit einem automatischen Ablaufdatum versehen werden. Alles das ist aber – auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs – nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Als Google-Nutzer und Altertumswissenschaftler können wir bei dieser gerichtlichen Auseinandersetzung beobachten, dass offenbar Lethe, die Göttin des Vergessens, auch noch in unserer Zeit eine Tochter von Eris, der Zwietracht, ist. Obwohl in der Antike ganz andere Informations- und Kommunikationsbedingungen herrschten als in unserem Google-Zeitalter, hatte man auch damals den Wunsch vergessen zu können. Allgemein wird das Vergessen als etwas beschrieben, das nicht in unserer Macht liegt.4 Es kann aber als wünschenswert erscheinen, wie eine bekannte Anekdote über Themistokles in Ciceros De Oratore (2,299) illustriert:5 Ein Lehrer der Mnemotechnik kommt zu Themistokles und bietet ihm an, ihm seine Kunst des Erinnerns beizubringen. Themistokles leidet aber unter einem zu guten Gedächtnis, er kann sich alles merken. Wir haben es hier mit einem frühen Fall von Hypermnesie zu tun. Themistokles könne der Gedächtnisexperte daher einen größeren Gefallen tun, wenn er ihn lehre zu vergessen, was er wolle, statt sich daran zu erinnern (si se oblivisci quae vellet quam si meminisse docuisset). Themistokles 1 2 3 4 5
Vgl. zu diesen Ereignissen den wikipedia-Artikel „right to be forgotten“ bzw. „Recht auf Vergessenwerden“ (zuletzt abgerufen am 9.10.2016). Siehe auch Mayer-Schönberger 2010. Zum „Recht auf Vergessen“ aus Sicht des digitalen Datenschutzes vgl. Mayer-Schönberger 2012. Zu diesem Begriff siehe z.B. Nolte 2011, 237f. Vgl. Cic. Tusc. 3,35: non est enim in nostra potestate … oblivio. Zu dieser Anekdote vgl. Weinrich 2005, 23f.
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wünscht sich, so sagt später Antonius, eine der Hauptfiguren in Ciceros Dialog, eine oblivionis ars, eine Technik oder Kunst des Vergessens (Cic. De orat. 2,351). An diesen Beispielen aus der heutigen Zeit und aus der Antike lassen sich einige allgemeine Eigenschaften von Vergessensprozessen erkennen: Vergessen kann das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft betreffen. Es kann auch, was unserer Alltagserfahrung widerspricht, etwas Wünschenswertes und Positives sein. Wenn man Vergessen erzeugen will, stellt sich die Frage, wie man es steuern kann. Damit ist auch die Frage nach einer „Kunst“ (im antiken Sinn) des Vergessens und nach der Praktikabilität des Vergessen-Machens aufgerufen. Der Europäische Gerichtshof beantwortet sie mit der Technik der Löschung. Diese und andere Möglichkeiten untersucht dieser Aufsatz am Beispiel der römischen Geschichtsschreibung der Kaiserzeit. FORSCHUNGEN ZUM VERGESSEN Das Vergessen als Gegenstand verschiedener Disziplinen Neben der Rechtspraxis befasst sich auch die moderne Forschung zahlreicher anderer Disziplinen mit dem Vergessen.6 In den Geisteswissenschaften herrschen heute kultursemiotische und systemtheoretische Ansätze vor.7 Die kultursemiotischen Ansätze sind an Maurice Halbwachs angelehnt und setzen ihren Fokus auf die Zeichenhaftigkeit der Welt.8 Wie beim kulturwissenschaftlichen Ansatz des kollektiven Gedächtnisses insgesamt steht die Verbindung von Vergangenheit und Identität einer Gruppe im Mittelpunkt des Interesses. Systemtheoretische Ansätze nehmen hingegen die Organisationsformen und Medien von Kommunikation in den Blick.9 In diesem Aufsatz möchte ich an Überlegungen aus beiden Ansätzen anknüpfen, indem ich sowohl Zeichen und Inhalte von Kommunikation (über römische Kaiser) als auch ihre Organisation im Medium Historiographie in den Blick nehme. Dabei soll gezeigt werden, dass Impulse der modernen Überlegungen zum Vergessen erstens noch besser für Forschungszwecke operationalisiert werden können als 6 7
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Vgl. den Überblick über aktuelle Debatten, in denen das Vergessen eine Rolle spielt, bei Dimbath/Wehling 2011, 7f., 10f. Vgl. Butzer/Günter 2004, 11f. Der Hauptunterschied der Systemtheorie im Vergleich zu kulturwissenschaftlichen Ansätzen liegt in der Auflösung des Verhältnisses von individuellem und kollektivem Gedächtnis, einem Konnex, der sonst im Anschluss an Maurice Halbwachs betont wird. Vgl. die Gegenüberstellung von kulturwissenschaftlichem und systemtheoretischem Ansatz bei Dimbath/Wehling 2011, 15f., die allerdings in Auseinandersetzung mit Jan Assmanns Kritik am soziologischen Ansatz erfolgt. Zu Assmanns Gegenüberstellung von kulturwissenschaftlichem und soziologischem Ansatz der Gedächtnisforschung siehe sein Nachwort zu Esposito 2002, 400f. Halbwachs’ Bedeutung für die Forschungen zum kollektiven Gedächtnis fasst Jan Assmann 2007, 34–48, zusammen. In Anknüpfung an Niklas Luhmann bietet Elena Esposito 2002 eine soziologische Auseinandersetzung mit dem „Gedächtnis der Gesellschaft“. Einen Kommentar aus kulturwissenschaftlicher Sicht liefert dazu Assmann in Esposito 2002, 400–414.
Die Erzeugung von ‚Vergessen‘ in der römischen Historiographie
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bisher. Zweitens können diese Überlegungen wichtige Anstöße zum Verständnis der antiken Geschichtsschreibung und der antiken Literatur insgesamt geben. Exemplarisch werde ich mich dabei hauptsächlich auf Erinnerungsfiguren der exzentrischen römischen Kaiser Nero und Domitian beziehen, die Tacitus, Sueton und Cassius Dio entwickelt haben.10 Formen des Vergessens Für einen ersten Einblick in Typologien des Vergessens eignen sich Konzepte mit umfassendem Anspruch, die nicht auf die Antike beschränkt sind. Oliver Dimbath und Peter Wehling definieren „Vergessen“ allgemein als „den Verlust, das Verblassen oder auch das Verdrängen von etwas bereits Gewusstem“ und unterscheiden, ohne damit bereits eine Typologie begründen zu wollen, zwischen verschiedenen Formen oder Graden des Vergessens, nämlich zwischen einer partiellen Form und einer vollständigen, zwischen einer vorübergehenden und einer dauerhaften Form sowie zwischen ungewolltem und beabsichtigtem Vergessen.11 Renate Lachmann unterscheidet vier Formen des Vergessens, genauer „Strategien der Kanalisierung des semiotischen Exzesses und der Zeichentilgung, die kulturelles Vergessen bewirken sollen“.12 Erstens spricht sie von Desemiotisierung, wenn Zeichen kulturell keine Bedeutung mehr haben. Dabei handelt es sich nicht um eine vollständige Löschung, denn die Zeichen können später wieder mit Bedeutung aufgeladen werden. Zweitens nennt sie die Verdrängung im psychoanalytischen Sinne, die das Ergebnis einer Zensur ist und bei der inakzeptable Zeichen in akzeptable Zeichen übersetzt werden. Auch hier bleibt das Verdrängte vorhanden und kann ungewollt wieder in Erscheinung treten. Lachmann führt drittens die Umsemantisierung als Form des Vergessens an, bei der neue kulturelle Parameter eine Umwertung von überlieferten Werten verlangen, die als Recodierung bezeichnet werden kann. Ihre vierte Vergessensform ist die Löschung von materialen Zeichen. Hier ließe sich die vom Europäischen Gerichtshof legitimierte Löschung der Google-Daten einordnen. Die Anglistin Aleida Assmann präsentiert insgesamt sieben Formen des Vergessens: 1. automatisches Vergessen, das sowohl materiell als auch biologisch oder technisch vollzogen werden kann;
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Zum Begriff der Erinnerungsfigur siehe Assmann 2007, 37–42. Vgl. Dimbath/Wehling 2011, 17. Lachmann 1991, 112. Diese Spezifizierung nimmt sie in Auseinandersetzung mit Umberto Eco 1987 vor, der eine Kunst des Vergessens als semiotische Kunst für ein Oxymoron hält, weil das Erinnern an ein Zeichen, um es zu vergessen, nicht möglich sei. Denn Erinnern stelle immer Anwesenheit eines Zeichens dar, nie Abwesenheit. Nach Eco wird Vergessen nicht durch das Löschen von Zeichen, sondern durch die Konfusion, durch einen Exzess von Zeichen erreicht. Siehe dazu unten S. 213.
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2. das Verwahrensvergessen, den Eintritt ins Archiv, die Bibliothek oder das Museum; 3. das repressive oder strafende Vergessen wie bei der damnatio memoriae; 4. das defensive und komplizitäre Vergessen zum Schutz der Täter, z.B. von Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg und von Mitgliedern der katholischen Kirche in Bezug auf Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs; 5. selektives Vergessen, das notwendig ist für eine zielstrebige Handlungsorientierung oder ein positives Selbstbild; 6. konstruktives Vergessen, womit eine Art Tabula rasa im Dienst eines politischen und biographischen Neubeginns gemeint ist; 7. therapeutisches Vergessen, bei dem man die Last der Vergangenheit hinter sich bringen kann.13 In dieser Sammlung geht Aleida Assmann von sehr verschiedenen Dingen aus wie dem Ablauf eines Vergessensprozesses, seinen materialen Grundlagen, Funktionen und Zielen, verschiedenen Graden, aber auch der Bewertung des jeweiligen Vergessens. Sie betont dabei, dass Vergessen und Erinnern eng zusammengehören und dass die Frage nach unterschiedlichen Formen des Vergessens klarer macht, wie das Zusammenspiel zwischen beiden funktioniert.14 Das Vergessen in den klassischen Altertumswissenschaften In den Altertumswissenschaften macht sich besonders seit der Jahrtausendwende der Einfluss der kultur- und sozialwissenschaftlichen Arbeiten über das Vergessen bemerkbar. Egon Flaig untersucht soziale Bedingungen des kulturellen Vergessens und arbeitet einzelne Typen des Vergessens heraus.15 Charles W. Hedrick, dessen Forschung u.a. von Derrida, Foucault und Ricœur inspiriert ist, befasst sich mit der Spätantike und der damnatio memoriae, die er unter dem Stichwort „remembering to forget“ und damit als Erinnerungsform fasst.16 Martin Hose regt an, bei der Erforschung des Vergessens gleichsam einen Schritt zurückzutreten und die literatursoziologischen Konstellationen zu untersuchen, die dem Vergessen von Literatur in 13
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Siehe Assmann 2012. Auch Paul Connerton (2008) unterscheidet sieben Formen des Vergessens, die diesen Formen teilweise ähneln und eher eine Sammlung als eine Typologie darstellen. Er nennt sie „repressive erasure“ (z.B. damnatio memoriae), „prescriptive forgetting“ (öffentlich vom Staat vollzogen), „forgetting that is constitutive in the formation of a new identity“, „structural amnesia“ (Vergessen von insbesondere sozial Nicht-Relevantem), „forgetting as annulment“ (bei einem Übermaß an Information), „forgetting as planned obsolence“, „forgetting as humiliated silence“ (kollektives Schweigen). Vgl. Assmann 2012, 48. Einzelne von ihm herauskristallisierte Typen sind die Umsemantisierung, die Nichtbeachtung, die Habitualisierung, die Enteignung oder Übereignung (kultureller Aktivität), die Exemplifizierung, politisch verordnetes Vergessen, Gründungsmythen und Kanonbildung. Siehe Flaig 1999. Siehe Hedrick 2000, 89–130. Zur damnatio memoriae siehe unten S. 209–210.
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der Antike vorausgehen.17 Harriet I. Flower legt sehr lehrreiche Fallstudien zu Formen der damnatio memoriae vor, die die praktizierte Diversität von Memorialsanktionen verdeutlichen.18 Christian Meier befasst sich mit dem „öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit“ und der Athener Amnestie von 403.19 In diesen Arbeiten zeigt sich als Fokus der Altertumswissenschaften das Interesse am Vergessen in Form der damnatio memoriae, der Eradierung, Amnestie, Zensur und Kanonisierung. Mein Interesse liegt hingegen an Strategien des Vergessen-Machens, die sich im Text finden oder mittels des Textes wirksam werden und strukturelle Gemeinsamkeiten mit kulturellen Praktiken des Vergessens aufweisen. Während das Phänomen der Schrift für Arbeiten zum kollektiven Gedächtnis und Vergessen immer schon eine Rolle spielt,20 rücken somit hier der Text und seine rhetorischen Mechanismen in den Vordergrund. VORSCHLAG FÜR EINE TYPOLOGIE VON FORMEN DES VERGESSEN-MACHENS Dieser Ansatz bedeutet auch eine Perspektivverschiebung. Während der Europäische Gerichtshof das Vergessenwerden behandelt, Themistokles sich individuelles Vergessen wünscht und die vorgestellten Typologien sich mit Vergessensformen jeglicher Art befassen, geht es mir im Folgenden um die kreative textuelle Seite von Vergessensprozessen und um die Frage, wie man Vergessen im Text und mittels eines Textes erzeugt. Mit ‚Vergessen‘ bezeichne ich also nicht den natürlichen, passiven, auch unbewussten Prozess, dem wir täglich ausgesetzt sind. Das ‚Vergessen‘, das hier untersucht wird, unterscheidet sich von Nicht-Erinnern, auch von Verdrängen und Verzeihen. Es enthält ein aktives und ein passives Element.21 ‚Vergessen‘ bedeutet nicht nur – wie man es in der Folge von Halbwachs definieren kann – dass „etwas nicht mit Bedeutung versehen [wird] und daher auch nicht in der Kommunikation zirkulier[t]“.22 Vielmehr geht es im Folgenden auch und gerade um Fälle, bei denen eine Bedeutungsänderung oder eine Wahrnehmungskanalisierung zum Vergessen eines Teilaspekts einer grundsätzlich durchaus erinnerten Sache führt. Wenn ich 17 18 19 20 21 22
Der Schwerpunkt liegt auf den literarischen Speicherungsformen der Kaiserzeit, Epitome, Lexikon, Sammelschrift/Bibliotheke und Florilegium/Exzerpt-Sammlung. Siehe Hose 2002. Allerdings setzt sich Flower 2006 nicht, wie es der Titel der Arbeit „The Art of Forgetting“ vielleicht erwarten lassen würde, theoretisch mit der Frage nach einer Kunst des Vergessens auseinander, sondern geht vielmehr implizit vom Bestehen einer solchen aus. Siehe Meier 2010, 15–40. Zur Athener Amnestie vgl. auch Flaig 1999, 67–74; Ricœur 2004, 692f. Siehe v.a. Assmann 2007, 87–129 zur Schriftkultur. Vgl. die linguistische Analyse bei Weinrich 2005, 11. Flaig 1999, 41. Flaig geht auf die Unterbestimmtheit dieser Definition von „Vergessen“ ein. Ihre Hauptprobleme sind das Verhältnis des Vergessens zur Nicht-Beachtung und die Frage nach der Kontinuität der sozialen Gruppe, die etwas kommuniziert oder nicht kommuniziert, erinnert oder vergisst.
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den Begriff also in diesem, mit dem Alltagsgebrauch nicht ganz übereinstimmenden Sinn verwende, setze ich ihn daher in einfache Anführungszeichen. Dabei geht es mir um bewusstes und gesteuertes Vergessen-Machen, das noch nachweisbar ist, weil es eine Spur, um einen Terminus von Ricœur zu verwenden, bzw. eine Lücke zurücklässt, die festgestellt werden kann.23 Beim Betrachten der Spur oder Lücke kann man Grade unterscheiden, wie stark die Spur oder Lücke auf sich selbst verweist. Angeregt von den erwähnten Typologien und Forschungsansätzen unterscheide ich grundsätzlich drei Formen des Vergessen-Machens, zunächst allgemein und nicht konkret auf Texte bezogen: Entfernen, Fokussieren, Ersetzen.24 Beim Entfernen wird eine Sache gelöscht. Eine Lücke bleibt als sichtbare Spur wahrzunehmen oder kann zumindest potentiell wahrnehmbar gemacht werden. Vier Beispiele mögen das illustrieren. Eine materielle Form der Lücke und des Entfernens liegt im Fall der dirutio domus, der antiken Hauszerstörung, vor.25 Die Löschung selbst ist dabei erfolgreich, die Lücke sichtbar für jeden. Auch die Zensur ist eine Form des Entfernens. Hierbei kann sich das Problem einer Löschung zeigen, die nicht erfolgreich ist. Wenn nämlich der Versuch des Entfernens und Erzeugens einer Lücke nicht gelingt, kann dadurch gerade umso mehr Aufmerksamkeit erzeugt werden. Tacitus erwähnt im Fall des Fabricius Veiento, dass Personen gerade versuchten, die Schriften zu beschaffen, die verboten waren und die verbrannt werden sollten. Später aber habe die Erlaubnis, sie zu besitzen (licentia habendi), sie in Vergessenheit geraten lassen (oblivionem attulit) (Tac. ann. 14,50,2). Eine kommunikative, sprachlich-performative Form des Entfernens, in Form des Schweigens oder Verschweigens, liegt mit der Amnestie vor.26 Der pragmatische Aspekt der Amnestie, der im gesetzmäßig festgelegten Verzicht auf Anklage oder Wiederaufnahme von Verfahren liegt, soll streitende Parteien nach internen und externen Kriegen versöhnen und zielt auf Frieden. Neben der schon erwähnten berühmten Athener Amnestie von 403 v. Chr. finden wir auch kleinere Appelle zu vergessen in den historiographischen Texten beschrieben. So erwähnt Tacitus in 23
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Ricœur 2004, 636, unterscheidet zwischen „zwei großen Figuren des tiefen Vergessens“, die er „Vergessen durch Auslöschung von Spuren“ und „das verwahrende Vergessen“ nennt. Dabei unterscheidet er drei Arten von Spuren: die geschriebene Spur (bzw. in der Historiographie: dokumentarische Spur); die psychische Spur (Eindruck eines frappanten Ereignisses und seiner Affektion in uns); die zerebrale, kortikale Spur (die in den Bereich der Neurowissenschaften fällt). Die dokumentarische Spur und die zerebrale, kortikale Spur sind materielle Spuren und können ausgelöscht werden. Gegen eine solche Auslöschung operieren Archive. Die psychischen Spuren setzen lebendige Erfahrung voraus (669). Ricœur unterscheidet zudem verschiedene Manifestationsgrade des Vergessens und Modi von Aktivität und Passivität (678). Danken möchte ich den Doktorandinnen und Doktoranden der Focus Area „Memory and Forgetting“ der Münchner Graduiertenschule „Distant Worlds“ für unsere Diskussionen über Prozesse des ‚Vergessens‘ in verschiedenen alten Kulturen, die diese Typologie stark beeinflusst haben. Zur antiken Hauszerstörung siehe z.B. Flower 2006, 19, 102, 134. Ricœur 2004, 690–696, stuft die Amnestie als „befohlenes Vergessen“ ein und beleuchtet die Grenze von Vergessen und Vergeben.
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den Historien einen Fall von organisiertem Vergessen in der zweiten Senatssitzung nach dem Sieg der Flavier im Bürgerkrieg und Vierkaiserjahr 69 n. Chr. Nachdem es in der ersten Senatssitzung hauptsächlich um den Umgang mit neronischen Delatoren ging, fordert Domitian, der zu dieser Zeit Caesar in Rom ist, einen Schlussstrich unter die jüngere Vergangenheit und die Emotionen zu ziehen, die sie mit sich bringt.27 Schließlich handelt es sich auch bei Eradierungen im Rahmen der damnatio memoriae um Formen des Entfernens.28 Sie sollten allerdings weniger als Formen des Vergessens betrachtet werden, sondern eher des negativen Erinnerns. Vergessen und Erinnern spielen dabei eng ineinander, wenn das Andenken an jemanden durch Löschung negativ kodiert wird. Die Person wird damit zum exemplum malum und negativ erinnert, aber nicht vergessen.29 Entfernen und Ersetzen gehören hier zusammen, denn die entstandene Lücke z.B. in einer Inschrift zielt auch auf eine Umdeutung, auf das Ersetzen einer alten Bedeutung durch eine neue. Vom Fokussieren kann man als einer Vergessensform sprechen, wenn eine Sache im (nicht expliziten) Vergleich mit anderen Sachen, die derselben Menge zugehören, so stark betont wird, dass die anderen aus dem Blick geraten. Für den Funktionsmechanismus der Betonung ist die Annahme einer Lücke bzw. eines Bereiches außerhalb des Fokus notwendig. Die einzelnen Elemente der Lücke werden erst wahrnehmbar, wenn man Spuren folgt. Unter diese Form des Vergessens fallen alle Varianten der Exemplifizierung, inklusive der literarischen Kanonbildung. Römische exempla allgemein, die darauf zielen, „normative Verbindlichkeit zu personifizieren“,30 funktionieren nach dem Schema der Fokussierung. Wenn Cato als exemplum virtutis fokussiert wird, ist es logisch notwendig, dass es viele andere gibt, die nicht zu exempla geworden sind. Aber wer all diese sind, ist am exemplum Cato nicht zu erkennen. Dasselbe strukturelle Merkmal der „latenten Lücke“ weist der römische Leichenzug auf.31 Die Ahnenmasken, die im Leichenzug fehlen, sind 27 28 29
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Tac. hist. 4,44,1: Proximo senatu, inchoante Caesare de abolendo dolore iraque et priorum temporum necessitatibus, censuit Mucianus prolixe pro accusatoribus. Zur damnatio memoriae als Form des negativen Erinnerns vgl. Flaig 1999, 66f.; Rathmann 2014, 86. Aleida Assmann (2012) versteht hingegen die damnatio memoriae als ein Instrument des „gezielten politischen Vergessens“ (32). Die betroffenen Personen sollten „ein zweites Mal sterben“ (33). In der Tat ergibt sich dann der Widerspruch, den Eco herausgearbeitet hat (33), dass nämlich Aufmerksamkeit auf das gelenkt wird, was eigentlich vergessen werden soll. Der Widerspruch löst sich hingegen auf, wenn man die damnatio memoriae nicht als Vergessensform im reinen Sinne versteht, sondern als Vergessensform, bei der eine positive Erinnerung getilgt werden und eine negative Erinnerung hervorgebracht werden soll. Dasselbe gilt für die Interpretation der damnatio memoriae durch Butzer/Günter 2004, 236: „Dass die Rituale der damnatio memoriae bereits in der Antike nicht selten das Gegenteil dessen bewirkten, was sie beabsichtigten, also nicht Vergessen, sondern Gedächtnis produzierten, ist wiederholt bestätigt worden.“ Wenn man hingegen die Produktion von Gedächtnis (genauer: von negativer Erinnerung) eben als Absicht einer damnatio memoriae versteht, hat sie ihr Ziel durchaus sehr häufig erfüllt. Flaig 1999, 64. Flaig 1999, 56, bezeichnet den Leichenzug als die „eindrucksvollste und wirkungsvollste In-
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konzeptionell wichtig, obwohl – oder: weil – sie nicht da sind. Denn gerade sie betonen die vorhandenen in ihrer Exemplarität. Aber wessen Maske genau fehlt, weiß man nur, wenn man über zusätzliche Informationen (in diesem Fall über die Vorfahren des Toten) verfügt. Wer Erinnerung und nicht ‚Vergessen‘ erzeugen will, kann den Fokus auf genau diese Lücke legen, wie Tacitus es bei seiner Darstellung des Begräbnisses von Iunia, der Frau des Cassius und Schwester des Brutus, tut. Cassius’ und Brutus’ imagines bzw. effigies fehlen in diesem Ahnenzug und genau auf diese Lücke lenkt Tacitus – effektvoll im Schlusssatz des dritten Buches der Annalen – den Blick. Die beiden Caesarmörder überstrahlen alles, sind besonders anwesend, gerade weil sie abwesend sind: sed praefulgebant Cassius atque Brutus, eo ipso quod effigies eorum non visebantur (Tac. ann. 3,76,2). Ersetzen bedeutet die Substitution einer Sache durch eine andere. Dabei ist die Lücke nicht (direkt) erkennbar. Hierzu gehört die Technik der Umsemantisierung, bei der derselben Sache, auch einem Ereignis oder einer Person, eine andere, neue Bedeutung zugeschrieben wird. Der Zusammenhang von Kommunikation, Erinnern und Vergessen sowie Bedeutungen zeigt sich dabei deutlich. Erinnerungsinhalte müssen kommuniziert werden. Wenn die Verhältnisse der Kommunikation oder ihre Rahmen – um diesen Halbwachs’schen Begriff zu verwenden32 – sich verändern, werden Erinnerungsinhalte neu organisiert und semantisiert. Die Rahmen steuern die Auswahl sowohl für das, was erinnert, als auch für das, was vergessen wird.33 Aber auch sie sind nicht fixiert, sondern verändern sich im Laufe der Zeit entsprechend den Gruppennormen.34 Reflexionen über Prozesse von Bedeutungszuschreibungen finden wir häufiger in der Historiographie, z.B. in Tacitus’ Historien mit Bezug auf Piso. Kurz vor der berühmten Adoptionsrede Galbas macht der Erzähler deutlich, dass das Ergebnis der Bedeutungszuschreibung, also ob man Piso für streng (severus) oder finster (tristior) hält, abhängig ist von der Einstellung dessen, der Bedeutung zuschreibt und der gerecht oder missgünstig deuten kann.35 Eine Interpretation kann daher, da
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szenierung der politischen Erinnerung in Rom“ und listet die Ausblendungen, diejenigen Personen, die nicht erinnert werden können und sollen (Nichtadelige, Frauen etc.), auf (62–64). Halbwachs spricht von „Gedächtnisrahmen der Gesellschaft“ oder „Bezugsrahmen des sozialen/kollektiven Gedächtnisses“ (cadres sociaux de la mémoire), in denen Vergangenheit rekonstruiert und damit immer verformt wird. Siehe vor allem Halbwachs 1966, 143–149, 381. Vgl. Halbwachs 1966, 368: „Man kann sich nur unter der Bedingung erinnern, dass man den Platz der uns interessierenden vergangenen Ereignisse in den Bezugsrahmen des Kollektivgedächtnisses findet. Eine Erinnerung ist umso reicher, je größer die Anzahl jener Rahmen ist, in deren Schnittpunkt sie auftaucht, und die sich in der Tat kreuzen und teilweise gegenseitig decken. Das Vergessen erklärt sich aus dem Verschwinden dieser Rahmen oder eines Teiles derselben, entweder weil unsere Aufmerksamkeit nicht in der Lage war, sich auf sie zu fixieren, oder weil sie anderswohin gerichtet war […]. Das Vergessen oder die Deformierung bestimmter Erinnerungen erklärt sich aber auch aus der Tatsache, dass diese Rahmen von einem Zeitabschnitt zum anderen wechseln. Die Gesellschaft stellt sich die Vergangenheit je nach den Umständen und je nach der Zeit in verschiedener Weise vor: sie modifiziert ihre Konventionen.“ Vgl. die hilfreiche Zusammenfassung bei Assmann 2012, 40. Tac. hist. 1,14,2: … et aestimatione recta severus, deterius interpretantibus tristior habebatur.
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sie immer andere Interpretationsmöglichkeiten ausblendet oder sogar ausblenden muss, auch als Vergessensform bezeichnet werden. Eine Änderung der Bedeutungszuschreibung kann sich auch durch eine neue kontextuelle Einbettung ergeben. Diese bringt eine Neubewertung hervor, bei der man von Rekontextualisierung oder Reaktualisierung sprechen kann. Im Unterschied zum gerade erwähnten Beispiel Pisos kommt hier noch ein diachroner Aspekt der Bedeutungszuschreibung hinzu. Ein Beispiel hierfür liefert auch Tacitus, wenn er die Bewertung Galbas referiert, die durch Neros vitia neu kontextualisiert wird und sich daher ändert.36 Auch ein neuer Name für eine Sache, eine Umbenennung, kann als Form des ‚Vergessens‘ durch Ersetzen aufgefasst werden. Wenn Octavian nicht vom Bürgerkrieg gegen Marcus Antonius, sondern vom Krieg gegen Kleopatra spricht, ersetzt er nominell die Bedeutung „interner ziviler Krieg“ durch „Krieg gegen einen äußeren Feind“.37 Die Strategie des Ersetzens ist einerseits mit der des Fokussierens verwandt. Bestimmte Elemente werden jeweils aus der Zeichenzirkulation ausgegrenzt, die Zeichenfunktionen werden stillgestellt oder primäre Zeichen werden durch sekundäre überdeckt.38 Zeichen werden aber nicht direkt gelöscht, sondern verharren nur in einer Form der Abwesenheit, aus der sie wieder in die Anwesenheit der Zeichenzirkulation zurückgelangen oder zurückgeholt werden können. Andererseits unterscheidet sich das Ersetzen als Vergessensform aber auch deutlich vom Fokussieren und vom Entfernen, wo die Lücke mindestens implizit oder konzeptionell wichtig ist. Beim Ersetzen wird hingegen eine alte Bedeutung überdeckt, so dass möglicherweise nicht bewusst (gemacht) wird, dass überhaupt etwas vergessen worden ist oder dass es überhaupt eine andere Bedeutung für dieselbe Sache gibt. Es wird vielmehr nur noch eine weitere Sicht auf dieselbe Sache geboten. Mit dem Ersetzen liegt eine Form des ‚Vergessens‘ vor, die auch Umberto Eco, der Kritiker einer Kunst des Vergessens, ähnlich beschrieben hat, auch wenn er nicht von einer „Technik des Vergessens“ sprechen würde. Laut Eco kann ein Gedächtnis nicht zum Vergessen gezwungen werden, wohl aber verwirrt werden. Ein Zuviel an Information, z.B. durch unterschiedliche Ausdrücke für dieselbe Sache, könne aber immerhin Erinnerung überdecken und verwirren.39 Für Eco ist das „schlechtes Erinnern“, aber nicht „Vergessen“. Dennoch liegt hier eine Form vor, bei der eine Bedeutungszuschreibung eine andere, ohne auf sie zu verweisen, ersetzt.40 Spätestens, wenn man eine diachrone Komponente hinzudenkt, die bei Er36 37 38 39 40
Siehe Tac. hist. 1,5,2: laudata olim et militari fama celebrata severitas eius angebat aspernantis veterem disciplinam atque ita quattuordecim annis a Nerone adsuefactos ut haud minus vitia principum amarent quam olim virtutes verebantur. Für den engen Zusammenhang von Worten und Erinnerungen siehe Halbwachs 1966, 368f. Vgl. Lachmann 1991, 117, die im Zusammenhang mit ihrer eigenen Typologie ähnliche Vorgänge beschreibt und an deren Terminologie ich mich hier teilweise anlehne. Vgl. Eco 1987, 259f. Vgl. Eco 1987, 254: „But I do not see how one can imagine an object x that, duly evoked, acts in some way on the cerebral center to cancel object y.“ Auch wenn man eine Bedeutungszuschreibung nicht als „Objekt“ im strengen Sinn bezeichnen muss, beschreibt die Bedeutungsersetzung doch diesen Vorgang, den Eco für unmöglich hält, ziemlich gut.
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folg der neuen Bedeutungszuschreibung die alte ganz verdrängt, wird die erste Bedeutung im Laufe der Zeit ‚vergessen‘. VERGESSEN-MACHEN IN DER KAISERZEITLICHEN RÖMISCHEN HISTORIOGRAPHIE UND BIOGRAPHIE Die drei Typen des Vergessens wurden ausgehend von der Frage, ob und wie Lücken in Vergessens- und Erinnernsprozessen auf sich selbst verweisen, gebildet. Wie die bisherigen Textbeispiele schon gezeigt haben, findet man sie auch in der Geschichtsschreibung und in anderer Literatur. Das soll im Folgenden am Beispiel der römischen Historiographie und Biographie der frühen und hohen Kaiserzeit genauer analysiert werden. Dabei geht es nun um textuelles Vergessen-Machen, um die Literarizität und Rhetorizität des ‚Vergessens‘ in diesen Texten. Als Textgrundlage verwende ich insbesondere Darstellungen von exzentrischen Kaisern, die als mali principes in die Tradition eingegangen sind, bei Tacitus, Sueton und Cassius Dio.41 Kaiser wie Nero und Domitian haben nämlich einen Bruch im kollektiven Gedächtnis hervorgerufen, an dem sich dessen Konstruktion durch Erinnern und Vergessen ausgesprochen gut untersuchen lässt.42 Zudem eignet sich besonders die römische Historiographie als Medium, das ‚Vergessen‘ zu untersuchen. Denn die römische Historiographie war stets durch das senatorische Selbstverständnis charakterisiert, das sich wiederum durch einen starken Vergangenheitsbezug auszeichnete.43 Bei den römischen Senatoren und ihren Geschichtsschreibern dürfen wir damit von einer relativ stabilen sozialen Gruppe mit eigenem kollektivem Gedächtnis ausgehen. Das methodische Problem, zu bestimmen, ob eine Gruppe noch dieselbe ist, wenn ihr kollektives Gedächtnis sich verändert,44 kann damit zumindest eingeschränkt werden. Ausgehend von Nero und Domitian sowie ihrer Herrscherrepräsentation45 interessiert mich als Philologin, wie der kritische Text deren negative Bilder erzeugt und wie er damit umgeht, dass es auch Versionen und Interpretationen dieser Kaiser und ihrer Repräsentationsformen gibt, die mit den negativen Darstellungen konkurrieren. Zu denken ist diesbezüglich vor allem an panegyrische Darstellungen, die 41 42
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Diese Darstellungen im Ganzen sind Thema meiner Habilitationsschrift über die Dekomposition der Herrscherrepräsentation in der römischen Historiographie und Biographie (München 2018). Dies gilt sowohl für systemtheoretische wie kulturwissenschaftliche Ansätze, wie Jan Assmann (in Esposito 2002, 402) hervorhebt: „Wie das Gedächtnis der Gesellschaft funktioniert, lässt sich offenbar am besten anhand entscheidender Wandlungen und Epochenschwellen beschreiben.“ ‚Schleichendes Vergessen‘ in anderen Epochen lässt sich schwieriger fassen. Zum Verhältnis von Dynastiewechsel und Vergessen siehe Flower 2006, 197–199, 236 (speziell zu Domitian). Vgl. Flaig 1999, 65. Zu diesem Problem der Gruppenkontinuität im Rahmen einer Theorie des kollektiven Vergessens vgl. Flaig 1999, 41. Siehe hierfür ausführlich den interdisziplinären Band von Bönisch-Meyer/Cordes/Schulz u.a. 2014.
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insbesondere zu Lebzeiten vorherrschen, während erst nach dem Tod ein negativer Diskurs greifbar wird. Konkret sind zum Vergleich mit den historiographisch-biographischen Texten das Nero-Bild bei Seneca und Lucan, bei Calpurnius Siculus und in den Carmina Einsidlensia sowie das Domitian-Bild bei Statius und Martial heranzuziehen. Dabei lässt sich feststellen, dass die historiographischen Texte u.a. gegen ein positives Bild von Kaisern arbeiten, die sie als negativ gewertet wissen wollen. Sie machen daher Motive, Deutungen und andere Ausprägungen derselben Erinnerungsinhalte vergessen. Die Historiographie bringt neue, andere Varianten von Geschichten über diese Personen zum Ausdruck und gestaltet die Erinnerungsfiguren um. Nero wird vom Friedensfürst zum weltfernen Künstler; Domitian wird vom erfolgreichen Feldherrn zum Vortäuscher von Triumphen. Dabei kann man nach den Techniken des Vergessen-Machens fragen, nach ihrem Zusammenhang mit dem Erinnern und nach den Überschneidungen mit den anfangs vorgestellten allgemeinen kulturellen Techniken des Vergessen-Machens. Die im Folgenden genannten literarischen Beispiele repräsentieren die Vergessens-Typen Entfernen, Fokussieren und Ersetzen. Diese Typen können allerdings auch ineinander übergehen und eine Textstelle kann sich bisweilen mehreren Typen zuordnen lassen. Das Entfernen als Vergessensform kreiert eine deutliche Lücke und eine sichtbare Spur, die auf sich selbst verweist. Die Aufmerksamkeit liegt dabei auf der Lücke wie in der Eradierung in einer Inschrift. Ebenso kann ein Text eine Lücke erzeugen und auf sie hindeuten. Dies geschieht in Formen des selbstreferentiellen Schweigens, also wenn der Historiker von etwas berichten könnte, wie er selbst sagt, es aber nicht tut. Dabei ist die „kreative Lücke“ ein Trick, bei dem der Leser das Fehlende selbst ergänzen muss. Wie bei der Eradierung handelt es sich nur teilweise um eine Form des Vergessens. Es soll vielmehr auch erinnert oder der Erinnerung nachgespürt werden. Wir können in den Texten drei Spielarten des selbstreferentiellen Schweigens unterscheiden, nämlich die praeteritio, die Abbruchformel46 und die Katalogverweigerung. Bei der praeteritio wird auf eine Lücke im Text verwiesen und darauf, was in der Lücke zu finden wäre, wenn man sie denn füllte. So fragt Cassius Dio: „Und wozu sollte man all die riesigen Geldsummen aufzählen, die bei dieser Verschwörung an die Praetorianer gegeben wurden, oder die maßlosen Ehrungen, welche man für Nero und seine Freunde beschloss?“47 Etwas anders gelagert ist die Abbruchformel. Hier ist die Lücke nicht vollständig. Eine Aufzählung wird vielmehr begonnen, aber dann in ihrer Unvollkommenheit und Lückenhaftigkeit markiert. Cassius Dio beginnt die Darstellung von Neros Herrschaft mit einer solchen Abbruchformel. Nach der Beschreibung von Claudius’ Tod und der Vernichtung seines Testamentes durch Nero sowie nach dem Mord an Britannicus und seinen Schwestern stellt Dio effektvoll die Frage: „Warum sollte man nun auch die schlim46 47
Zum Begriff siehe Hose 2011, 116. Cass. Dio 62,27,4: τί δ’ ἄν τις καταλέγοι ὅσα ἐπὶ τῇ ἐπιβουλῇ ταύτῃ ἢ τοῖς δορυφόροις ἐδόθη ἢ τῷ τε Νέρωνι καὶ τοῖς αὐτοῦ φίλοις ὑπέρογκα ἐψηφίσθη; (Übersetzungen von Cassius Dio stammen von Veh 1987, sind aber teilweise leicht angepasst).
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men Schicksale der übrigen Opfer bejammern?“48 Bei der Katalogverweigerung wird eine Fülle von Einzelfällen evoziert. Die Größe der Lücke dessen, was ausgelassen wird, ist nicht absehbar und wirkt dadurch besonders groß. So fühlt sich Dio von der schieren Menge an Opfern und Dankfesten, die der Senat für Nero während dessen Griechenlandtour beschließt, überfordert: „Was die Tätigkeit des Senats anlangte, so wäre es mühevoll, in allen Einzelheiten darauf einzugehen; denn so viele Opfer und Dankfeste wurden angekündigt, dass nicht einmal das ganze Jahr zu ihrer Durchführung ausreichte.“49 Weitere Beispiele für praeteritio, Abbruchformel und Katalogverweigerung findet man auch bei Tacitus. Dass man hingegen bei Sueton solche Techniken seltener antrifft, liegt an seiner Darstellungsart des Rubrikensystems, die die Textstruktur bestimmt. Einzelbelege für eine Eigenschaft eines Kaisers oder einen Bereich seiner Herrschaft werden zusammen präsentiert. Sie sind das Hauptordnungsprinzip, nicht ein chronologisch sich entwickelndes Narrativ. Suetons Text verfügt aber über andere Möglichkeiten, Lücken zu erzeugen. So kann die Erwähnung einer Sache an einer anderen Stelle als erwartet eine Lücke in einer bestimmten Rubrik markieren. In der Rubrik Bauten (opera) unter den positiven Taten Domitians wird sein Palast nicht erwähnt (Suet. Dom. 5). Diese Lücke, für Zeitgenossen ohnehin feststellbar, wird einerseits deutlich, wenn wir aus anderen Quellen von Domitians Palast wissen. Andererseits aber erwähnt Sueton selbst den Palast im Rahmen seines Narrativs zu Domitians Ermordung. Dort wird der Palast zum Schauplatz der Ereignisse (Dom. 15,2) und die vorherige Lücke wird so nachträglich markiert. Für das Fokussieren ist, wie oben ausgeführt, eine auf den zweiten Blick oder mit zusätzlichem Wissen wahrnehmbare Spur entscheidend, der man folgen kann. Die Annahme einer Lücke oder Ausblendung von einer oder mehreren Sachen ist konzeptionell wichtig, da eine Sache betont wird. Heuristisch wertvoll ist dabei die Frage, was am Rand des Fokus passiert. Den historiographischen Texten liegen solche Fokussierungen schon in ihrer Makrostruktur zugrunde. Erstens werden angreifbare Rollen der Kaiser fokussiert, wenn Nero als Performance-Kaiser und Domitian als militärischer Autokrat dargestellt wird. Zusätzlich basiert bei Nero diese Fokussierung noch auf einer Form des strukturellen Vergessens. Es wird nämlich abgelenkt von der Tatsache, dass die Schauspielerei zu Neros Zeit durchaus auch ein Freizeitvergnügen des Adels war. Zweitens leisten die Texte eine Fokussierung, wenn sie Motive und Erinnerungsfiguren kanonisieren wie Neros Auftritt beim Brand Roms und Domitians falschen Triumphzug. Das Ergebnis dieser Fokussierung ist die Ablenkung und damit das ‚Vergessen‘ von anderen Rollen oder Interpretationen dieser Rolle, die eher positiv gewertet würden. Nero als Friedensfürst und Domitian als erfolgreicher Verwalter sind prominent in der zeitgenössischen Panegyrik, aber keine in der Historiographie repräsentierten Rollen. 48 49
Cass. Dio 61,1,2: τί γὰρ ἄν τις καὶ τὰ τῶν ἄλλων παθήματα κατοδύραιτο; ähnliche Abbruchformeln findet man in Cass. Dio 62,25,1; 62 (63),17,2; 63,26,4. Cass. Dio 62(63),18,3: τὰ δὲ δὴ τῆς γερουσίας ἔργον καθ’ ἕκαστον ἐπεξελθεῖν· τοσαῦται γὰρ αἵ τε θυσίαι καὶ ἱερομηνίαι ἐπηγγέλθησαν ὥστε μηδ’ ὅλον τὸν ἐνιαυτὸν ἐξαρκέσαι. Siehe auch Cass. Dio 62 (63),11,3; 73 (72),7,3.
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In der Mikrostruktur der Texte finden wir narrative Methoden der Fokussierung bzw. Fokalisierung. Ausführungen zu Motivationen des Kaisers lenken den Fokus auf sein Innenleben und lassen andere Begründungen für den Handlungsverlauf an den Rand treten. Das ist eine große Kunst von Tacitus, aber auch von Cassius Dio. Betrachten wir beispielhaft Cassius Dios Erklärung zum Edikt Domitians gegen Kastration (67,2,1–7). Das habe Domitian erlassen, so Dio, obwohl er selbst Earinus, einen Eunuchen, verehrte. Man könnte dies als eine positive Tat ansehen, die das eigene persönliche Interesse sogar hintanstellt. Das ist dem Leser aber nicht möglich, weil Dio sogleich den Grund für dieses Kastrationsverbot anschließt, indem er Einblick in Domitians Motivation gewährt und so fokalisiert und fokussiert. Seine Motivation sei nämlich Titus’ Vorliebe für Eunuchen gewesen. Domitian wollte angeblich durch das Verbot in Wirklichkeit die Erinnerung an seinen Bruder Titus beschmutzen.50 Die Fokalisierung blendet hier andere, für den Kaiser günstigere Erklärungsmodelle aus. Bei der Darstellungsart Suetons kommt ganz besonders gut Selektion als extreme Variante der Fokussierung zum Vorschein. Denn er wählt für die Rubriken, nach denen er gliedert, jeweils bestimmte Beispiele aus und lässt andere ganz weg. Hier gilt im Besonderen, was Ricœur allgemein über das Erzählen als Vergessensform sagt. Ricœur fasst nämlich die Selektion durch ein Narrativ in zwei verschiedenen Formen als Strategie des Vergessens auf. Erstens sei die Wahl einer Sache oder eines Themas selbst schon ein Akt des Vergessens von anderen.51 Zweitens habe jede Erzählung eine selektive Dimension, die das Narrativ, das man wählt, zu einer Strategie der Ausblendung von anderem Erzählbaren mache.52 Wenn Dinge, v.a. Bedeutungszuschreibungen, ersetzt werden, ist die Lücke nicht direkt erkennbar bzw. soll auch nicht erkennbar sein. Beim Ersetzen handelt es sich um den wichtigsten Typus des Vergessen-Machens in der Geschichtsschreibung, wenn man ihr Verhältnis zur Panegyrik bzw. den positiv bis neutral wertenden Diskursen mitbedenkt. Unter dem Ersetzen lassen sich zahlreiche Mechanismen der Um-Codierung und Neu-Semantisierung subsumieren, die in allen Bereichen und bei allen Herrscherrollen, die fokussiert werden, angewendet werden können: im Bereich des Militärischen, der Sakralität und des Kultes, des Euergetismus und auch der Baupolitik. So hat der historische Nero mit seinen Bauten das Stadtbild Roms geprägt. In der Panegyrik wird in der siebten Ekloge des Calpurnius Siculus sein Amphitheater gepriesen (v.a. Calp. ecl. 7,23–25; 36–37; 45–56; 69–72). In der Historiographie werden die Bauten aber umsemantisiert von Akten der Konstruktion zu Akten der Destruktion. Die Gebäude, die nach dem Brand von 64 n. Chr. 50 51 52
Siehe Cass. Dio 67,2,3: καὶ διὰ τοῦτο, καίπερ καὶ αὐτὸς Ἐαρίνου τινὸς εὐνούχου ἐρῶν, ὅμως, ἐπειδὴ καὶ ὁ Τίτος ἰσχυρῶς περὶ τοὺς ἐκτομίας ἐσπουδάκει, ἀπηγόρευσεν ἐπὶ ἐκείνου ὕβρει μηδένα ἔτι ἐν τῇ τῶν Ῥωμαίων ἀρχῇ ἐκτέμνεσθαι. Vgl. Ricœur 2004, 689: „Eine Sache sehen heißt eine andere nicht sehen. Ein Drama erzählen heißt ein anderes vergessen.“ Vgl. Ricœur 2004, 684: „Man kann immer auch anders erzählen, indem man weglässt, indem man die Bedeutungsakzente verschiebt, indem man zugleich mit den Konturen der Handlung die Protagonisten der Handlung unterschiedlich refiguriert.“
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errichtet wurden, sind zwar anwesend im Text, sie erzeugen keine Lücke im Sinne des Entfernens. Aber sie sind auf folgenden vier Ebenen als Destruktionen semantisiert, nicht als Konstruktionen. Erstens werden Neros Bauten mit Destruktion assoziiert, indem Nero implizit die Schuld am Brand gegeben wird. Der Text suggeriert, dass Nero Rom in Brand gesteckt habe, um ein neues Rom zu gründen, das seinen Namen trägt (Tac. ann. 15,40,2). Die Bauten zeigen ihn als Nutznießer des Brandes.53 Zweitens wird auf die finanzielle und historische Destruktion hingewiesen. Die hohen Kosten werden herausgestellt. Nero muss Italien, die Provinzen, seine Verbündeten, die freien Städte und sogar die Götter plündern (ann. 15,45,1–2). Aber auch das kann die zerstörten Bauwerke, deren historische Einzigartigkeit Tacitus hervorhebt (ann. 15,41,1), nicht wiedererrichten. Nero erscheint daher nicht als zukunftsweisender Bauherr, sondern als Zerstörer von Vergangenheit und Erinnerung. Drittens sorgt Nero für die Destruktion natürlicher Grenzen. Seine Architekten setzen ihre Kenntnisse gegen die Natur ein (ann. 15,42,1), da Nero immer das Unmögliche will (ann. 15,42,2). Schließlich destruiert Nero sein eigenes, zu Beginn der Herrschaft ausgegebenes Regierungsprogramm. Denn die domus aurea zerstört die Grenzen von privat und offiziell, was in eindeutigem Anklang und Widerspruch zu seinem anfänglichen Regierungsversprechen steht, er werde sein Haus und den Staat getrennt voneinander halten (discretam domum et rem publicam, Tac. ann. 13,4,2). Ähnliches findet man in Bezug auf die Technik des Ersetzens und der Umsemantisierung so auch bei Cassius Dio. Sueton nimmt solche Umkodierungen durch die Einordnung und Rekontextualisierung in eine bestimmte Rubrik vor. Domitians Statuen und Triumphbögen werden nicht unter den Bauten gelistet (Suet. Dom. 5), die klar als positive Rubrik platziert sind, sondern erst später unter der Rubrik arrogantia (Dom. 13,2). Durch die Einordnung in diesen Kontext werden sie negativ semantisiert. KUNST DES VERGESSENS? Diskursive Formen des Vergessen-Machens finden sich in den Texten der Historiographie wie in kulturellen Praktiken. Sie stehen im Dienst der Erinnerungsfiguren, die diese Texte für ein bestimmtes kollektives Gedächtnis entwickeln. Dabei ist es aufschlussreich, nach Lücken zu suchen und danach zu fragen, ob und wie diese Lücken auf sich selbst verweisen. Denn so zeigt sich, wie Vergessen und Erinnern ineinander spielen. Das Entfernen ist nur effektiv, wenn wirklich keine Spuren vorhanden bleiben. Dann führt es zum Vergessen, das für uns nicht mehr nachweisbar ist. Wenn hingegen eine Spur erkennbar ist oder sogar beabsichtigt, führt das Entfernen, wie bei der Eradierung einer Inschrift, zum Erinnern. Beim Fokussieren muss etwas vergessen werden, damit etwas anderes erinnert wird. Wichtig ist hier, dass eine Lücke existiert, aber nicht, was genau sich in dieser Lücke findet. Beim Ersetzen wird durch Überdecken eine Lücke möglichst nicht sichtbar. Unter dieser 53
Siehe Tac. ann. 15,42,1: Ceterum Nero usus est patriae ruinis exstruxitque domum, in qua (…).
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Decke kann dann insbesondere eine alte Bedeutung im Laufe der Zeit vergessen werden. Dadurch hat sich herausgestellt, dass das Ordnungsprinzip des Textes Einfluss auf die Wahl der Strategien des ‚Vergessens‘ hat. Je nach Struktur des Textes – narrativ und größtenteils chronologisch bei Tacitus und Cassius Dio, thematisch und rubrizierend bei Sueton – bieten sich unterschiedliche Formen des Vergessen-Machens an. Die Umsemantisierung ist immer möglich. Sie ist besonders effektiv, wenn keine Lücke oder Spur gesehen werden soll. Narrativ-chronologische Texte arbeiten mit dem Erzeugen kreativer Lücken, bei denen der Leser selbst ergänzen muss. Sie zielen somit eigentlich auf das Erinnern. Bei thematisch organisierten Texten liegt das Fokussieren (bis hin zu Selektion) nahe. Eine Antwort auf die Frage, die Themistokles und die Vergessensforschung beschäftigt, ob es eine Kunst des Vergessens geben kann, fällt damit aber noch nicht leicht. Dagegen spricht sich insbesondere Eco aus, wie bereits erwähnt. In seinem Aufsatz „An ars oblivionalis? Forget it!“ begründet er seine Position damit, dass alle Zeichen Anwesenheiten und nicht Abwesenheiten herstellten.54 Wenn wir etwas Bestimmtes vergessen wollen, müssen wir darauf Aufmerksamkeit richten, was dazu führt, dass wir daran erinnert werden.55 Für eine Kunst des Vergessens sprechen sich hingegen Harald Weinrich und Harriet I. Flower aus. Falls es eine solche Kunst nicht gibt, hat sie es doch immerhin geschafft, viele Namen zu erhalten. Neben ars oblivionis und ars oblivionalis finden sich Bezeichnungen wie Amnestonik oder auch Lethotechnik sowie Lethognomik.56 Mein Aufsatz bietet keine Lösung für dieses viel umstrittene Problem, sondern schlägt vielmehr eine Perspektivverschiebung vor, die eine heuristisch hilfreiche Frage produziert: Wie sieht eine Kunst des Vergessen-Machens aus? Zur Analyse von Texten und kulturellen Praktiken bietet sich eine flexible Typologie als Ausgangsbasis an, die zwischen Entfernen, Fokussieren und Ersetzen unterscheidet. Diese Strategien kann man in der römischen Historiographie, aber auch in anderen Gattungen wiederfinden. Außerhalb des Systems Literatur gibt es Prozesse, die strukturelle Gemeinsamkeiten mit den Text-Mechanismen haben, z.B. in der Eradierung und im Ahnenzug. Dies alles lässt sich nicht nur in der griechisch-römischen Welt, sondern auch in anderen alten Kulturen untersuchen, die sich zum Vergleich anbieten.57 Die jeweils anderen Erinnerungsrahmen und Gruppennormen im alten Ägypten und China oder bei den Assyrern bestimmen auch die Vergessensprozesse in diesen Kulturen. Aufgrund dieser Fülle und Diversität des Materials und der Vergleichsmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, eignen sich gerade die Altertumswissenschaften als Fach, das die Steuerung von ‚Vergessen‘ in verschiedenen Medien und Kulturen erforschen kann. 54 55 56 57
Zum Zusammenhang von Semiotik und Mnemotechnik siehe Eco 1987, 255–259. Techniken, so Eco, können nur helfen zu erinnern, dass man vergessen will, aber nicht Vergessen erzeugen (ebd., 254). Eine Auseinandersetzung mit Ecos Thesen bietet Lachmann 1991, 111f. Diese Begriffe werden verwendet von Weinrich 2005. Vgl. zur Abgrenzung auch die spezifisch moderne Sicht in Connerton 2009.
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EPILOG
LITERATUR ALS ERKENNENS-ERFAHRUNG: GEDANKEN ZUR WESENHAFTIGKEIT VON GESCHICHTE1 Felix K. Maier ONCE UPON A TIME IN THE WEST (GENAUER: SAARBRÜCKEN) Im Februar 2015 fuhren Hans-Joachim Gehrke, Katharina Wojciech und ich gemeinsam mit dem Zug von einer Konferenz in Saarbrücken zurück nach Freiburg. Im Regionalexpress von Saarbrücken nach Mannheim diskutierten wir darüber, inwieweit Kunstgattungen – sei es die Literatur, sei es die darstellende Kunst, sei es die Musik oder auch der Film – besser als wissenschaftliche Texte dazu geeignet seien, ein tieferes Verständnis von Geschichte zu entwickeln. „Besser“ meinte hier nicht: inwiefern (re)konstruierte kausale Zusammenhänge eines historischen Ereignisses für den Leser leichter nachzuvollziehen oder die Genese geschichtlicher Entwicklungen genauer zu verstehen wären. Unser Streitgespräch bezog sich vielmehr auf die Möglichkeit, all jene Phänomene und Paradoxien zu erkennen und zu erfahren, die Geschichte – nach Koselleck in ihrer doppelten Form als geschehene Vergangenheit (res gestae) und Darstellung von Geschichte (historia) – in ihrem Innern, in ihrem Wesen ausmachen. Es handelte sich also um abstrakte, gleichsam „metaphysische“2 Aspekte und theoretische Probleme der Geschichte, mit denen Historiker immer wieder konfrontiert und die manchmal nur sehr schwer nachvollziehbar sind: die unendlichen Möglichkeiten alternativer Geschehensverläufe, die 1
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Der folgende Beitrag resultiert aus Gesprächen über Geschichte, ihre ‚Eigenschaften‘ und die Möglichkeiten ihrer Darstellung, mit Personen, die dem Kreis des Internationalen Netzwerkes historiai angehören. Die Vielfalt und vor allem die philosophische Tiefe derjenigen Aspekte, die im Folgenden angesprochen werden, können in einem Aufsatz in keiner Weise angemessen behandelt und oder gar umfassend erörtert werden. Ich greife deshalb einzelne Gesichtspunkte heraus, die mir aus einer empirischen Sichtweise beispielhaft erscheinen. Die von mir in diesem Zusammenhang geprägten Begriffe sind vorläufige Hilfskonstrukte und Diskussionsangebot zugleich. Unter Metaphysik der Geschichte verstehe ich das, was Oswald Spengler in einem ähnlichen Kontext formuliert hat: „Aber man halte fest: Geschichte wissenschaftlich behandeln wollen ist im letzten Grunde immer etwas Widerspruchsvolles. Die echte Wissenschaft reicht so weit, als die Begriffe richtig und falsch Geltung haben. Das gilt von der Mathematik, das gilt also auch von der historischen Vorwissenschaft der Sammlung, Ordnung und Sichtung des Stoffes. Der eigentlich geschichtliche Blick aber, der von hier erst ausgeht, gehört ins Reich der Bedeutungen, wo nicht richtig und falsch, sondern flach und tief die maßgebenden Worte sind. Der echte Physiker ist nicht tief, sondern „scharfsinnig“. Erst wenn er das Gebiet der Arbeitshypothesen verlässt und an die letzten Dinge streift, kann er tief sein – dann aber ist er auch schon Metaphysiker geworden“, Spengler 1963, 128 (Markierungen durch Spengler). Spengler geht es allerdings nur um die Feststellung der nicht mehr mit der reinen Geisteskraft zu erfassenden Charakteristika von Geschichte, nicht um einen möglichen Versuch, die Metaphysik zu verstehen.
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,Sinn-Losigkeit‘, d.h. der eigentlich nicht sinnstiftende Charakter von historischen Prozessen, die Problematik der oftmals deterministischen Struktur von Erzählungen und vieler ähnlicher Phänomene.3 Diese Herausforderungen von Geschichte an das menschliche Erfassungs- und Verstehensvermögen, aber auch an die Möglichkeiten der Darstellung von Geschichte möchte ich in ihrer Gesamtheit im Folgenden mit dem Ausdruck der „Wesenhaftigkeit“ von Geschichte bezeichnen. Innerhalb vieler verschlungener Diskussionsfäden landeten wir, ich weiß nicht mehr wie, beim Western, genauer: beim Film Once Upon a Time in the West (1968, deutsch: „Spiel mir das Lied vom Tod“). Etwas erstaunt, vielleicht sogar eine Spur entrüstet, da Katharina und ich uns nicht mehr an alle Details der Anfangsszene am Bahnhof erinnern konnten, beschloss Hans-Joachim Gehrke, uns die entsprechende Handlung sowie die Inszenierung des Spannungsbogens noch einmal zu erzählen. Und so begann er und erzählte, entfaltete, entwickelte. An seinen Ausführungen nahmen bald nicht nur wir, sondern auch – wie mich gelegentliche Blicke auf die Seite lehrten – die anderen Reisenden mit immer größerem Interesse teil; denn für die ca. elf Minuten der Anfangssequenz bis zum berühmten „Frank?“ brauchte der Erzähler fast die gesamte restliche Zeit auf der Strecke von Saarbrücken bis Mannheim – das Einleitungsgespräch abgezogen also ungefähr 55 Minuten. Jede Kameraeinstellung, jeder Schnitt, jeder Zoom, jede Bewegung, jede Nicht-Bewegung und vor allem die Stille wurden bis ins kleinste Detail geschildert. Diese Erzählung gereichte zu einem nachdrücklichen Beispiel dafür, dass kunstvoll vorgetragene Geschichte(n) eine unvergleichlich lebendigere Anschauung vermitteln als eine trockene Erzählung (einige Tage später schaute ich mir noch einmal diese Anfangsszene an und war geradezu enttäuscht von der filmischen ‚Umsetzung‘ des geschilderten Geschehens). Als wir allerdings aus dem Zug stiegen, sagte Hans-Joachim Gehrke – fast schon entschuldigend – zu mir: „Ich hätte diese Anfangsszene noch viel ausführlicher erzählen müssen.“ Es war weniger jene Erkenntnis der Anschaulichkeit von Erzählungen, sondern dieser letzte Satz, über den ich immer wieder nachdenken musste – und nicht nur darüber, sondern vor allem über die ,Entschuldigung‘, denn in ihr manifestierte sich eine wichtige Einsicht: Sie ließ beide – Erzähler und Rezipienten – erfahren, dass man Vergangenes (hier: Gesehenes) nicht vollständig erzählen kann; dass der Brunnen der Vergangenheit, wie Thomas Mann sagen würde, zu tief ist.4 Der Erzähler, obwohl er überaus ausführlich, dabei sowohl penibel als auch ausladend alles darlegte, musste zur gleichen Zeit erkennen und erfahren, dass es ihm nicht möglich sein würde, sich dem Grund des Brunnens anzunähern; er wurde gewahr, dass Geschichte zum Horizont, nicht zum Raum wird,5 mochte er auch noch so ausführlich über eine eigentlich überschaubare und klar umrissene Handlung referieren. Trotz3 4 5
Siehe beispielsweise die bei Faber 1978 genannten Problemfelder der Geschichtstheorie oder auch die von Goertz 1995 in seinem Einführungswerk behandelten philosophischen, narrativen und kognitiven Herausforderungen für Historiker. Mann 1967, 17–20 (im Folgenden sind die Jahreszahlen nach der herangezogenen Ausgabe zitiert, die Ersterscheinung ist in der Bibliographie angegeben). Koselleck 1989.
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dem war es die geradezu literarische Ausgestaltung und Erzählung der Handlung,6 die neben der Erkenntnis einer unüberwindbaren Grenze auch das Bewusstsein mit einschloss, einen tieferen Blick in das schier undurchdringliche Wesen der Geschichte geworfen zu haben. Die Geschichte – sowohl als res gestae als auch als historia – entzog sich uns bei diesem Erkennens-Moment in demselben Augenblick, als wir gleichwohl ihrem Wesen ein Stück nähergekommen waren. Es ist dieser durchlebte Akt, bei dem man etwas erkennt, sich etwas erheischt, bei dem man etwas erspürt und nicht einfach theoretisch rezipiert, bei dem sich ein Bewusstsein bildet, das schließlich eine Erfahrung erwachsen lässt, die ich im Folgenden Erkennens-Erfahrung nennen möchte.7 Diese Erkennens-Erfahrung bildet nun den Kern meiner These, die entstanden ist aus vielen Gesprächen und Diskussionen von Hans-Joachim Gehrke mit seinen Schülern zum Thema „Nachdenken über Geschichte“ allgemein und „Inwiefern trägt Literatur zum Verständnis von Geschichte bei?“ im Besonderen: Es ist die Literatur, die uns immer wieder eine Erkennens-Erfahrung beim Verstehen und Begreifen der Wesenhaftigkeit von Geschichte verschafft und einen ganz anderen, aber komplementären Blick auf die inneren Paradoxien und Strukturen von Geschichte ermöglicht. Literatur gestattet es uns, die in der dunklen Tiefe des geschichtlichen Wesens angesiedelte ‚Metaphysik‘ der Geschichte zu erkennen und dies gleichzeitig ‚am eigenen Leib‘, d.h. beim Akt des Lesens zu erfahren. Und sie gemahnt daran, unseren Blick für ihre unstrukturierbare, unerfassbare Wesenhaftigkeit zu schärfen und diese auch auszuhalten. Aus diesem Grund werden – ausgehend von dem oben geschilderten Ausgangsbeispiel einer ‚literarischen‘ Erzählung von Geschichte – im Folgenden einige Gedanken präsentiert, die das produktive Wechselverhältnis von Geschichte und Literatur als Erkennens-Erfahrung in den Mittelpunkt stellen und an ein paar Beispielen mögliche Effekte dieser Synthese ausloten. GESCHICHTE ALS KUNST Die Verbindung von Geschichte/Geschichtswissenschaft und Literatur wurde seit dem 19. Jahrhundert, als die wechselseitige Verflechtung immer mehr in den Fokus rückte, in alternierenden Phasen entweder betont oder problematisiert. Die berühmte Formulierung Theodor Mommsens, „[d]er Geschichtsschreiber gehört vielleicht mehr zu den Künstlern als zu den Gelehrten“,8 steht symptomatisch für eine intensiv geführte Auseinandersetzung über die ‚richtige‘ Form der Historiographie: Auf welche Weise wird dem Leser eine wirklichkeitsgetreue Anschauung histori6
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Literarisch meint hier die ausdrucksvolle, ausführliche Ausgestaltung des Erzählten. Diese steht im Gegensatz zu einer nüchternen, sachlichen, ‚wissenschaftlichen‘ Besprechung, die lediglich die einzelnen Abfolgen der Szenen beschreibt. Im Folgenden bedeutet Literatur in Abgrenzung zur wissenschaftlichen Fachliteratur die heute zumeist als Belletristik bezeichneten Werke der Weltliteratur. Das Verb „erkennen“ soll – als Kontrast zum Substantiv „Erkenntnis“ – den Charakter des nie abgeschlossenen Erfahrungsprozesses betonen. Mommsen 1905, 12.
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scher Prozesse ermöglicht? Ist ein nüchterner, sachlicher Stil besser geeignet und ‚objektiver‘ als eine packend geschriebene, mitunter dramatisierende Darstellung der Ereignisse? Dass die Erzählung eines Historikers über die Vergangenheit „Kunst“ sei, war nicht nur Mommsens Meinung, sondern auch die von Leopold von Ranke. Dieser empfand es als wichtige Aufgabe, „Kunst und Wissenschaft, die an sich nicht zu trennenden, im Begriff, aber nicht in der Ausübung verschiedenen, in Einheit zu verbinden“.9 Johann Gustav Droysen hingegen betonte, „dass damit die methodische Frage – um diese handelt es sich – […] ins Unklare geriet“.10 Er beschrieb eine Situation, vor die sich der Historiker nach wie vor gestellt sieht: Wie verhalten sich Forschung und Darstellung zueinander? Was unterscheidet wissenschaftliche von literarischer Geschichtsschreibung? Ab wann wird die narrative Darstellung von Vergangenheit zum historischen Roman?11 Die daraus entstehende Diskussion12 ebbte nach dem 19. Jahrhundert nicht ab, sondern wurde immer wieder neu aufgegriffen, da man ihr sowohl eine immerwährende Aktualität zuerkannte, als auch die damit verbundenen Fragen und Probleme weiterhin als ungelöst empfand.13 Die Sozialgeschichte problematisierte das Narrativ als geeignete Darstellung historischer Zusammenhänge. Hans-Ulrich Wehler stellte die Behauptung auf, dass man durch eine anschauliche Schilderung von „qualmenden Schloten, schwitzenden Arbeiterrücken, kühl kalkulierenden Unternehmern“ die Industrialisierung historiographisch nicht in den Griff bekomme; dafür brauche man die „Hilfe von theoretischen Instrumenten wie Kapitalstock, Nettoinvestitionen, Wertschöpfung“.14 Dieser ,Vorwurf‘ steht stellvertretend für einen – auch heute noch – bestehenden Streit über die Unsicherheit hinsichtlich der Mittel, die zulässig sind, eine anschauliche Geschichte zu schreiben, da vor allem die Historische Sozialwissenschaft jede künstlerisch schildernde Geschichtsschreibung als „Ästhetisierung“ der Geschichte denunzierte, als postmoderne „Fiktionalisierung“, die mitnichten wissenschaftlich sei.15 9 10 11 12 13
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Ranke 1964, 101. Droysen 1967, 419. Siehe dazu ausführlich die Beiträge in Fulda 2002. Prägnant zusammengefasst in Fulda 1996 und Süßmann 2000. Umfassend untersuchte beispielsweise in den 1970er- und 1980er-Jahren die Studiengruppe „Theorie und Erzählung“ um Reinhard Koselleck als Teil des Projektes „Poetik und Hermeneutik“ in mehreren Bänden mögliche Formen der Geschichtsschreibung. Koselleck 1977; Faber/ Meier 1978; Koselleck 1982; Meier/Rüsen 1988; Acham 1990. Wehler 1979, 58. Gegen Wehler vor allem Danto, Mink, Baumgartner, White, Rüsen, Ricoeur, siehe Baumgartner 1976 sowie Stierle 1979, 98. Konträr zu dieser Entwicklung betonten im Zuge eines ‚narrative turn‘ vor allem neuere Philologen, dass sich auch wissenschaftliche Darstellungen derselben narrativen Techniken bedienten wie die fiktionale Literatur, eine Tatsache, die zwar für die meisten Historiker nicht neu war, aber aufgrund ihrer radikalen und von außen herangetragenen Formulierung dennoch als Herausforderung an den Anspruch der historischen Disziplinen auf Wissenschaftlichkeit aufgefasst wurde. White 1973; grundlegend Jauß 1982; Genette 1992; Lamarque/Olsen 1994; Vogt 1998; Fludernik 2001; Zipfel 2001; Blume 2004; Bareis 2008. Vgl. Baberowski 2005, 204–214. Süßmann 2000, 19; Aschmann 2003. In jüngster Zeit hat die Frage der angemessenen Darstellung historischer Inhalte durch die Analyse medialer Umsetzungen, beispielsweise im Film,
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Bei dieser Diskussion war jedoch der Streitpunkt anders gelagert als bei der von mir oben skizzierten Problematik. Während es dort um die adäquate und angemessene Darstellung von Vergangenheit ging, zielen meine Überlegungen auf einen anderen Aspekt: Ich möchte zeigen, warum wir durch Literatur das Wesen der Geschichte – in dem oben genannten Sinn – besser verstehen. Mir geht es also im Folgenden um die Erkenntnis der Wesenhaftigkeit, der metaphysischen Aspekte der Geschichte und um das „Tief“, wie es Spengler beschreibt, oder in Thomas Manns Worten: um den Brunnen-Charakter.16 Ich werde vier stellvertretende Beispiele für persönliche Erkennens-Erfahrungen anführen und daran meine These exemplifizieren. WESENHAFTIGKEIT Die Gleich-Gültigkeit der Geschichte Zur Metaphysik der Geschichte zählt das Phänomen der, wie ich es formulieren möchte, Gleich-Gültigkeit der Geschichte, das Historiker sich immer wieder vor Augen halten sollten. Bei der Darstellung geschichtlicher Ereignisse und Strukturen wird von einem Historiker erwartet, dass er erklärt und dass er Genese und Entwicklung in einen kausalen Zusammenhang bringt. Diese Aufgabe führt jedoch, wie es Edward. H. Carr gezeigt hat, zu einem Dilemma: Wenn ein Historiker bei der Analyse zu viele Gründe für ein Ereignis anführt, suggeriert er damit, dass sich
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neue Impulse erfahren und dabei die Diskussion abermals entfacht. Thomas Späth bezeichnete etwa TV-Serien wie Rome als „experimentelle Geschichtsschreibung“, die sowohl einen höheren Grad an Anschaulichkeit für das Laienpublikum aufweise, als auch für Wissenschaftler extrem nützlich sei, da durch ihre unmittelbare ‚Realitätsnähe‘ neue Assoziationen beim Rezipienten geweckt würden, die wiederum zu neuen Fragestellungen führen könnten, Späth 2012. Im Prinzip bedeutet jedoch die Hinwendung zu visuellen Medien keine Transgression des seit jeher implizit oder explizit vorhandenen Anspruchs auf Anschaulichkeit einer (schriftlichen) Darstellung, sondern lediglich die Verlagerung der Darstellung in ein neues Medium. Damit sind jedoch die Existenzberechtigung und die Funktionalität von literarischen Schilderungen nicht infrage gestellt, denen ebenfalls eine hohe kognitive Wirksamkeit zukommt, Staffort 1999. Mann 1967, 11: „Da denn nun gerade geschieht es, dass, je tiefer man schürft, je weiter hinab in die Unterwelt des Vergangenen man dringt und tastet, die Anfangsgründe des Menschlichen, seiner Gesittung, sich als gänzlich unerlotbar erweisen und vor unserm Senkblei, zu welcher abenteuerlichen Zeitenlänge wir seine Schnur auch abspulen, immer weiter und weiter und ins Bodenlose zurückweichen. […] Denn mit unserer Forscherangelegentlichkeit treibt das Unerforschliche eine Art von foppendem Spiel: es bietet Scheininhalte und Wegesziele, hinter denen, wenn sie erreicht sind, neue Vergangenheitsstrecken sich auftun, wie es dem Küstengänger ergeht, der des Wanderns kein Ende findet, weil hinter jeder lehmigen Dünenkulisse, die er erstrebte, neue Weiten zu neuen Vorgebirgen vorwärtslocken.“ Ich übertrage hier die bei Thomas Mann angesprochene rein chronologische Komponente auf den Erkenntnisrahmen: Brunnenartig meint, dass die Wesenhaftigkeit von Geschichte einen Brunnen darstellt. Zum Boden dieses Brunnens können wir nicht vordringen und damit seine Struktur nicht vollständig erschließen. Wir können aber immer wieder versuchen, einen möglichst intensiven Blick in den Brunnen zu werfen, um eine Ahnung von der tiefen Struktur zu bekommen.
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Geschichte zwangsweise oder unvermeidlich auf ein bestimmtes Resultat hin entwickelt habe.17 Eine solche Einschätzung kann aber auf keine historische Situation zutreffen, da Geschichte immer kontingent und ergebnisoffen ist.18 Hans Robert Jauß nannte diese Problematik die „epische Fiktion“.19 Und Ernst Heitsch hat diesen Sachverhalt einmal folgendermaßen beschrieben: Geschichte ist eben keine Handlung, die ein Subjekt hätte, sondern ein Geschehen, in dem es u.a. auch handelnde Subjekte gibt. Ihr liegt ein Plan, der den Menschen verständlich sein könnte, nicht zugrunde. Sie ist deshalb noch nicht sinnwidrig, doch sie ist auch nicht sinnvoll. Sie ist einfach nur ohne Sinn, also sinnlos, und allenfalls – nämlich unter bestimmten Aspekten, sinnfähig.20
Die im Gegensatz zu den zugeschriebenen Sinnzusammenhängen aber eigentlich ereignisoffene, zusammenhangslose oder – wie ich es formulieren möchte – gleichgültige Grundstruktur der Geschichte steht uns als Historikern oft kaum vor Augen. Zu sehr sind wir an den inneren Zusammenhang eines kohärenten Narrativs gewöhnt, zu sehr ist in uns der Drang verankert, das, was gesagt wird, im Lichte dessen, was gesagt wurde und was noch gesagt werden wird, zu betrachten. Friedrich Schlegel nannte deshalb nicht ganz ohne Grund den Historiker einen „rückwärts gekehrten Propheten“.21 Aber auch auf den Rezipienten einer Erzählung trifft dieser Sachverhalt zu: Selbst wenn man eine fast schon unverbundene Erzählung eines Historikers lesen würde, in der die verschiedenen Bezüge innerhalb eines vergangenen Geschehenszusammenhangs nicht deutlich gemacht würden, so würde die innere Kohärenz vom Leser automatisch hergestellt.22 Man kann sich diese theoretischen Überlegungen und Hinweise von Schlegel, Heitsch, Habermas oder Danto immer wieder bewusst machen, sie nachvollziehen und sich ins Gedächtnis rufen. Aber man kann die Gleich-Gültigkeit von Geschichte kaum erfahren, da der innere Drang nach kausalen Erklärungen immer wieder teleologische Strukturen aufbaut, ‚Ziele‘ ansteuert, ‚Endpunkte‘ anvisiert und sinnstiftende Kohärenzen herstellt. Wie kann man sich aber von diesen unvermeidli17
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Carr 1986, 90: „Historians, like other people, sometimes fall into rhetorical language and speak of an occurrence as ‚inevitable’ when they mean merely that the conjunction of factors leading one to expect it was overwhelmingly strong“. Auch Hawthorn 1991, 13, problematisiert die psychologische Komponente: „And indeed, it is quite natural, having sketched an explanation, to try to make it all but impossible to resist. […] We will want to make it difficult to believe in any alternative course of events that does not take us so far away from what did happen, or so far back, as to be indeterminate and uninteresting.“ Ein in-struktives Beispiel ist der Erste Weltkrieg: Zieht man zu viele Gründe heran, um die Eskalation des Konfliktes zu erklären, gerät man schnell in die Gefahr, einer historischen Entwicklung den Stempel der Unausweichlichkeit aufzudrücken – eine Beurteilung, die für keine geschichtliche Situation zutreffen kann. Hoffmann 2005. Jauß 1982, 416. Heitsch, 2003, 167. Ebenso urteilte Habermas 1967, 33, dass der Historiker Sinn stifte, da er sich auf Intentionen von Personen beziehe: „Der Historiker hat es mit einem Zusammenhang von Ereignissen zu tun, die durch Intentionen handelnder Subjekte vermittelt sind. Der Historiker knüpft deshalb an dem subjektiv vermeinten Sinn, an tradierte Bedeutungsinhalte an.“ Schlegel 1974, 176. Die ‚Prophetengabe‘, die Schlegel dem Historiker attestiert, steckt natürlich voller Ironie, weil der Historiker nur das sage, von dem man wisse, dass es eingetroffen sei. Danto 1965, 234–236.
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chen Strudelwirkungen historischer Analysen emanzipieren, wie die Gleich-Gültigkeit von Geschichte erfahren? Gibt es einen Text, der uns einen kurzen Blick in das Sinn-lose der Geschichte ermöglicht? Bei geschichtswissenschaftlichen Darstellungen ist das nahezu unmöglich. Jedenfalls wäre mir kaum eine historische Abhandlung bekannt, die sich eine solche Herangehensweise leisten könnte oder geleistet hat. Aber erkennen, ja geradezu fühlen und beim Lesen erfahren kann man den ‚Gleich-Gültigkeits-Charakter‘ der brunnenhaften Wesenhaftigkeit von Geschichte, wenn man beispielsweise Laurence Sternes The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman liest. Jener Roman (geschrieben zwischen 1759 und 1767), der nicht ohne Grund zu den bedeutendsten Werken der Weltliteratur zählt, da er sämtliche Grenzen einer Erzählung sprengt, zeichnet sich durch eine völlig chaotische, ja anarchische Grundstruktur aus: Ein auktorialer Ich-Erzähler – sofern eine solche Bezeichnung überhaupt auf ihn zutrifft – streut immer wieder mehr oder weniger zufällige Exkurse in seine Erzählung ein, blendet zu langen Vorgeschichten zurück, ergießt sich in Reflexionen und komponiert ein so dichtes Netz an völlig inkohärenten Strukturen, dass eine Grundordnung seiner Erzählung radikal in Frage gestellt wird.23 Damit wird jegliche Form einer sinnstiftenden, teleologischen Erfolgsgeschichte eines Protagonisten, wie sie im englischen Roman des 18. Jahrhunderts Tradition war, negiert. Die Biographie eines Landadligen, die im Untertitel eigentlich angekündigt wird, kann sich somit in keiner Weise entwickeln. Jede Form eines kausalen Konnexes zwischen den einzelnen Episoden und Digressionen wird durch ihre unverbundene Präsentation aufgelöst.24 Und obwohl der Erzähler immer wieder verkündet, dass er Erklärungen für bestimmte Ereignisse und Entwicklungen bieten werde, erweisen sich die tatsächlich präsentierten kausalen Verortungen nach „causes and effect“ als widersinnig und paradox:25 Der Verfall der Redekunst wird mit der Mantellosigkeit der zeitgenössischen Redner (die auf diese Weise nichts ,in petto‘ haben können) erklärt oder das Ausstoßen eines Fluches mit dem völlig regelmäßigen und biologischen Prozess des Einströmens von Blut in die rechte Herzkammer, um kurz darauf auch diese Begründung wieder infrage zu stellen und damit dem Leser die völlige Subjektivität aller Erklärungen zu demonstrieren, selbst wenn sie einer noch so feinsinnigen Analyse entspränge.26 In vielen Fällen macht es deshalb keinen Unterschied, ob der Erzähler seine Ankündigung einer „full explanation“ nicht einlöst oder ob er den Leser ermuntert: „You may conjecture upon it, if you please – and whilst your imagination is in motion, you may encourage it to go on, and discover by what causes and effects in nature it could come to pass“.27 Sternes Textexperiment möchte demonstrieren, dass es bei der Rekonstruktion von Ereignisentwick23 24 25 26 27
Fulda, 1996, 111, z.B. „Let us go back to the * * * * * * ---- in the last chapter“, Sterne 2003, 167; oder beispielsweise wird ein Satz von Onkel Toby mitten im Kapitel unterbrochen und erst viele Kapitel danach wieder fortgeführt, I.21–II.6, Sterne 2003, 88. Aus diesem Grund wurde der Roman auch als „Parodie des herkömmlichen Erzählens“ angesehen, Ahrends 1986, 20. Fulda, 1996, 111. Kap. III.14 bzw. IV.27, Sterne 2003, 287: „How finely we argue upon mistaken facts!“ Kap. II.19, Sterne 2003, 136.
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lungen keinen Unterschied macht, ob der Erzähler oder der Leser den Sinn stiftet, der somit als eine völlig willkürliche und künstliche Konstruktion erscheint. In der Unendlichkeit der Erklärungen, die jedes Explanans wiederum zum Explanandum macht, konstituiert sich ein immerwährendes kausales Loch, das die Gleich-Gültigkeit des Geschehens deutlich werden lässt. Der Roman betreibt systematisch und in voller Absicht die sukzessive Zersetzung und Dekonstruktion der Handlung als einen in irgendeiner Weise kausal nachvollziehbaren Ablauf in Richtung eines Endpunktes.28 Er fordert den Leser zu einem Spiel heraus, indem er ihn zwingt, die Unverbundenheit zwischen bestimmten Ereignissen und Entwicklungen auszuhalten und führt ihm gleichzeitig vor Augen, wie sehr man sich nach einem verbindenden Sinn, nach einem inneren Kausalitätsprinzip, nach einem kohärenten Zusammenhang sehnt, je mehr dieser fehlt. Viktor Šklovskij hat deshalb auch zu Recht gesagt, dass Sternes Meisterwerk „das Bewusstwerden der Form mit Hilfe ihrer Auflösung zum Inhalt des Romans“ mache.29 Wer Tristram Shandy liest, sich auf das Chaos und die Anarchie der Textstruktur einlässt, sich durch geradezu nervtötende Abschweifungen kämpft, die Zusammenhangslosigkeit des Vorgebrachten akzeptiert und vor allem das kausale Vakuum aushält, in dem man sich die ganze Zeit wie in einer belastenden Schwerelosigkeit befindet, kann während des Leseaktes erleben, wie er ständig nach Kontinuität und struktureller Verklammerung strebt und dabei mit der Irritation des Zusammenhanglosen konfrontiert ist.30 Er erfährt – die Gleich-Gültigkeit der Geschichte. Der Möglichkeitssinn Gedanklich eng verknüpft mit der Gleich-Gültigkeit der Geschichte ist der Aspekt der unverwirklichten Möglichkeiten. Geschichte ist nicht nur das, was geschehen ist, sondern auch das, was hätte geschehen können. Bei der Abbildung dieses im Innern alternativen Charakters von Geschichte gelangen wir aber mit den herkömmlichen Mitteln einer Erzählung sehr schnell an Grenzen. Ein ‚normales‘ Narrativ erlaubt eigentlich keine oder kaum eine Darstellungsmöglichkeit alternativer Ereignisverläufe. Gary Saul Morson hat diesen Umstand einmal folgendermaßen auf den Punkt gebracht: 28 29 30
Sternes Text richtet sich als Parodie gegen das „planmäßig verfahrende, eindeutig motivierende, sauber begründende und sprach-optimistische Erzählen der Aufklärung“, Fulda 1996, 111. Šklovskij 1969, 251. Warning, 1965, 49: „Dieselbe Romanwirklichkeit, die sich in der Perspektive des an ihr scheiternden Historikers als eine vom Dämon der Vergeblichkeit beherrschte Welt gibt, erscheint in der des Steckenpferdreiters in spielerischer Leichtigkeit und Heiterkeit.“ Noch einmal: Damit ist nicht gesagt, dass wir als Historiker dieses Phänomen nicht auch auf einer theoretischen Ebene diskutieren, besprechen und uns darüber Rechenschaft ablegen können. Es geht mir hier darum, diese Erscheinung selbst zu erfahren. Gerade hier liegt eben der Unterschied zwischen Wissenschaft und Literatur und das besondere Potential von Literatur, weil sich eine solche Erfahrung nur darstellen, aber nicht erklären lässt, da die Ursachen selbst im Bereich des Irrationalen liegen.
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Life as it is lived, is not storylike […] Lives include all sorts of extraneous details leading nowhere, but good stories do not. Narratives are more successful if they display a structure, which it is hard to find in life. And stories have a real closure, in which all loose ends are tied up; but there is no privileged point in life comparable to the ending of a novel.31
Es sind diese von Morson so bezeichneten „details“, die einen narrativen Konflikt hervorrufen; denn sie sind – geschichtsmetaphysisch oder eher geschichtschemisch gesprochen – Substanzen, die zu einer Reaktion führen können aber auch nicht. Ob sie zu einer Reaktion führen oder nicht, ist ontologisch gesehen einerlei, sie sind in ihrem Status als Vorbedingungen bestimmter historischer Situationen alle gleichberechtigt.32 In einer Erzählung setzt sich aber meistens nur derjenige Ereignisstrang durch, der erzählt wird, beziehungsweise in der Darstellung der Vergangenheit das, was passiert ist. Nicht zufällig sagte Tschechow einmal über die Komposition eines Bühnenstückes: „Entferne alles, was keinen direkten Bezug zur Handlung hat. Man sollte nie ein geladenes Gewehr auf der Bühne platzieren, wenn es nicht abgeschossen wird. Es ist falsch, Versprechungen zu machen, die man nicht halten kann“.33 Was für das Bühnenstück Tschechows gilt, trifft in noch viel stärkerem Maße auf eine wissenschaftliche Geschichtserzählung zu. Auf diese Sackgasse, nämlich dass sich eine Erzählung, eine Schilderung auf einen bestimmten Handlungsverlauf konzentrieren muss, hat die Literatur dennoch Antworten gefunden, die – das nehme ich vorweg – für einen Historiker allerdings kaum praktikabel sind. Ich verweise kurz auf drei Beispiele und beginne mit Tolstojs „Krieg und Frieden“ (1868/69). Im Mittelteil der Handlung wird ein gewisser Prinz Czartoryski vorgestellt, über den der Hauptprotagonist Prinz Andrej sagt: „Das sind Menschen, die die Geschichte von Völkern entscheiden“.34 Obwohl der Leser jetzt erwartet, dass Czartoryski bald wirklich in das Geschehen eingreifen, dass er der Geschichte eine wichtige Wendung geben wird, taucht er in der gesamten weiteren Erzählung nicht mehr auf – und versinnbildlicht damit die ereignisoffene Struktur von Geschichte. Tolstoj spielt hier mit unserem automatischen Antizipieren von Erfüllungsstrukturen – jede Person, die auftritt, wird noch eine große Bedeutung haben – und führt uns hin auf unverwirklichte Pfade der Geschichte, die wir aber als solche fast schon a priori auszuschließen gewohnt sind.35 Der Text von „Krieg und Frieden“ strotzt von solchen ‚unverwirklichten‘ Charakteren, deren ,unnötige‘ Präsenz den Leser aus der Komfortzone der Erfüllungserwartung reißt. Das Narrativ erhebt sich über die scheinbar unvermeidliche teleologische Struktur und präsentiert ein multiperspektivisches Kaleidoskop, durch das wir den PotentialisCharakter von Geschichte erahnen oder erfahren. 31 32 33 34 35
Morson 1994, 158. Eine Hierarchisierung solcher Zustände unternimmt Max Weber, der als „adäquate“ Ursache jene Verlaufsformen ansieht, ohne die als Differenzierungsmittel bei der historischen Urteilsbildung ein Ereignis nicht mehr vorstellbar wäre, Weber 1988, 273–275. Tschechow 1974, 23. Tolstoj 2010, 441. Morson 1994, 159: „Readers of novels are trained to seek significance. When at the beginning of Great Expectations, Pip gives a pie to a convict, the reader knows that this event will mean something or it would have not been narrated. The fact that the work is known to be an artifact, an aesthetic structure planned in advance, guarantees significance.“
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Ein zweites Beispiel ist Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ (1930/32). Der Beginn der Romanhandlung liegt im Jahr 1913. Die Hauptfigur Ulrich nimmt eine Position als Sekretär im Projekt „Parallelaktion“ an, das die für das Jahr 1918 terminierten Feierlichkeiten zum siebzigjährigen Thronjubiläum des Kaisers umfasst. Obwohl man als Leser natürlich schon weiß, dass das Thronjubiläum nie stattfinden wird, ja nicht stattfinden kann – nur wenige Monate später wird ein Krieg ausbrechen, in dessen Verlauf der habsburgische Kaiser Franz-Joseph bereits 1916 stirbt – wird diese Allwissenheit des Lesers, die normalerweise stets zum Fanal einer auf Kontingenz ausgelegten Erzählung gereicht, durch eine besondere Darstellungsweise immer wieder infrage gestellt: So erscheinen sämtliche Vorbereitungen für die Parallelaktion deshalb nicht als lächerlich oder verlorene Mühe, weil Musil den Leser mit einem enorm dichten Netzwerk an Ideen, Plänen und Absichten der Akteure konfrontiert, einem Netzwerk, dessen Gesamtheit die Annahme einer übergeordneten, weil letztendlich eingetretenen Entwicklung geradezu aushöhlt. Musil präsentiert so viele plausible Zukunftsszenarien, die sich in den Hoffnungen und Erwartungen der Protagonisten widerspiegeln, dass man zwischenzeitlich fast schon daran zweifelt, ob Franz-Joseph auch wirklich sterben wird.36 Dem Leser werden unterschiedliche, aber gleichberechtigte Perspektiven in die Zukunft präsentiert, ohne dass auch nur eine davon mit der Aura der Unvermeidlichkeit behaftet wäre.37 Das, was nicht passierte, erscheint auf einmal sehr real, während das, was tatsächlich eintreten sollte, in den Hintergrund rückt. Indem Musil vorführt, dass es nur eine „Utopie des exakten Lebens“ gibt,38 niemals aber ‚reale‘ Geschehnisse den Vorrang vor dem Nicht-Realisierten haben, erlebt man beim Lesen eine ständige Osmose zwischen dem Tatsächlichen und dem Möglichen und entwickelt dabei das, wovon Ulrich immer wieder spricht: einen Möglichkeitssinn.39
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Bernstein 1994, 98: „The entire novel swarms with projections of contradictory possibilities.“ Bernstein 1994, 99: „Only because we know which of these projected futures came to pass are we tempted to privilege that one at the moment of its first articulation. But Musil specifically warns us against the intellectual triviality of such a judgment by satirizing the reader’s inclination to endow specific moment with greater portentousness strictly because of what ensued.“ Damit stünde Musils Roman in deutlichem Kontrast zu anderen Werken, in denen ständig Ankündigungen auf tatsächlich eingetretene Entwicklungen zu finden sind, wie beispielsweise bei Joseph Roths „Radetzkymarsch“ (1932); in diesem Buch fungieren vor allem klimatische Phänomene wie Donner und Blitz als symbolische Vorboten für die heranziehende Katastrophe. Vosskamp 2016. Musil 2002, 16: „Wenn es aber einen Wirklichkeitssinn gibt, und niemand wird bezweifeln, dass er seine Daseinsberechtigung hat, dann muss es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennt. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muss geschehen; sondern er erfindet: hier könnte, sollte oder müsste geschehen; und wenn man ihm von irgendetwas erklärt, dass es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebenso gut sein könnte, zu denken, und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist. […] Das Mögliche umfasst jedoch nicht nur die Träume nervenschwacher Personen, sondern auch die noch nicht erwachten Absichten Gottes. Ein mögliches Ergebnis oder eine mögliche Wahrheit sind nicht gleich wirklichem Erlebnis und wirklicher Wahrheit weniger dem Werte des Wirklichseins.“
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Ein drittes Beispiel: In seinem Werk The Counterlife (1986) führt Philip Roth den Leser regelrecht an der Nase herum und sprengt dabei fast alle Grenzen einer Erzählung. Der verheiratete jüdische Henry Zuckerman, der als Zahnarzt in einem Vorort von New Jersey praktiziert, unterhält eine Affäre mit seiner Sprechstundenhilfe Wendy. Henry ist jedoch an einem Herzleiden erkrankt und die Medikamente, die er deswegen einnehmen muss, haben bei ihm zu Impotenz geführt. Henrys Arzt verweist auf eine mögliche Alternative zur Medizin, eine Operation, die ein hohes Risiko birgt und lebensgefährlich sein kann. Henry will jedoch nicht auf den Sex mit seiner Affäre verzichten, entschließt sich zur Operation und stirbt dabei. Im zweiten Kapitel des Buches wird alles, was im ersten Kapitel passierte, auf den Kopf gestellt. Henry lebt noch, er hat die Operation gut überstanden, sich jedoch daraufhin entschlossen, sein Leben in New Jersey aufzugeben und seine Familie zu verlassen. Er lebt nun im Westjordanland. Das dritte Kapitel führt diesen neuen Erzählstrang weiter. Im vierten Kapitel ist es dann nicht Henry, sondern sein Bruder Nathan, der an dem Herzleiden erkrankt ist. Er entscheidet sich ebenfalls für eine Operation – und stirbt. Das fünfte Kapitel nimmt wiederum die Teile 2 und 3 auf: Nathan lebt mit seiner Lebensabschnittsgefährtin Maria in England, so wie er es sich immer vorgestellt hatte, wodurch ein überaus starker Kontrast zum vierten Kapitel entsteht, in dem er gestorben ist. Anhand von Philip Roths Roman lässt sich sehr deutlich nachvollziehen, inwiefern Literatur Potentiale ausloten und damit den Lesern auch andere Erfahrungen ermöglichen kann, als es die Geschichtswissenschaft mit ihren Narrativen vermag. Kaum ein Historiker der Welt könnte es sich leisten, Geschichte nach der Art von Roth zu erzählen. Einmal abgesehen von der Tatsache, dass eine Handlungsentfaltung wie die bei Roth nicht von jedem Leser auszuhalten ist: Von einem Historiker würde man stets erwarten, dass er erzählt, „was der Fall war“ (Koselleck). Und selbst wenn kontrafaktische Überlegungen in den letzten Jahrzehnten nicht mehr als unsinnige Spinnerei abgetan werden40 und „virtual history“ sich im Geschichtsroman oder im Film immer größerer Beliebtheit erfreut, ist damit ein strukturelles Problem verbunden: Natürlich könnte ein Historiker in seiner Darstellung immer wieder auf alternative Pfade der Geschichte verweisen und die Überlegung anstellen: „Wenn x nicht passiert wäre, wäre wohl y geschehen“. Jedoch nimmt jede kontrafaktische Überlegung, die ein wenig ausführlicher betrieben wird, sofort wie40
Gegen kontrafaktische Geschichtsschreibung vor allem Giordano 1991, 9. Anlehnend an das berühmte Wort Rankes hat Weizsäcker 1983, 263 behauptet: „Geschichte lässt sich nicht konstruieren; es gilt vielmehr zu ermitteln, wie es denn eigentlich gewesen sei.“ Eine frühere, gleichsam kongruierende Meinung formuliert Jäckel 1974, 69, der in seiner Untersuchung zum Attentat des 20. Juli 1944 bezüglich alternativer Entwicklungen feststellt: „Natürlich ist die Annahme unsinnig; der Anschlag ist nicht gelungen, und Mutmaßungen darüber, was geworden wäre, wenn […] sind in jedem Falle verwegen.“ Diese Ablehnung gegenüber kontrafaktischen Analysen bleibt aber nicht auf die deutsche Forschung beschränkt, wie man bei Oakeshott 1978, 128–130, nachlesen kann. Thompson 1978, 300, trat dafür ein, sich von der „counterfactual fiction“ zu lösen und bezeichnete diese als „unhistorical shit“. Zu jüngeren Plädoyers für die kontrafaktische Geschichtsschreibung siehe beispielsweise Demandt 2001; Brodersen 2000; Salewski 1999; Ferguson 1998; Tellenbach 1994.
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der eine deterministische Struktur an, da sie einen bestimmten Verlauf als Ergebnis einer anderen Entwicklung voraussetzt. Roth hat es da als Künstler leichter und sein Ergebnis ist auch viel anschaulicher. Ohne einen einzigen auktorialen Kommentar, mit dem er die Ereignisoffenheit seiner Handlung und das kontrafaktische Potential dem Leser geradezu aufs Auge drücken muss, führt er den Leser in ein faszinierendes Spektrum gleichberechtigter Ereignisverläufe, lässt das, „was nicht der Fall war“ gegenüber dem, „was der Fall war“, als parallele, nicht hierarchisch untergeordnete Möglichkeit stehen und sorgt auf diese Weise dafür, dass man die unendliche Tiefe der Geschichte, ihr unsichtbares, unendliches Netz an alternativen Möglichkeiten für einen kurzen Moment sieht, erleben darf und dabei kurz hoffen darf zu erahnen, welches Möglichkeitspotential ein noch so kleiner Moment der Vergangenheit in sich birgt. Der Leser hat hier nicht nur einen Wirklichkeitssinn, sondern er bildet sich durch die Lektüre auch einen Möglichkeitssinn. Horizonte des Brunnens Die Metapher „Geschichte als unendlich tiefer Brunnen“ wird einem Historiker nicht nur im Hinblick auf die zeitliche Dimension bewusst, sondern auch als entscheidende Schwelle bei dem Versuch, historische Prozesse möglichst umfassend zu durchdringen. Der Umstand, dass man Geschichte nie auch nur annähernd vollständig beschreiben oder sich ihr nähern kann, selbst wenn man eine schier unendliche Anzahl von Quellen zu nur einem Tag, beispielsweise dem 14. Juli 1789, zusammenführen und diese mit einem differenzierten methodischen Zugang analysieren würde, ist wohl bekannt. Historiker sind sich dieses Sachverhalts stets bewusst und wissen um die epistemologische Grenze ihrer Untersuchungs- und Darstellungsmöglichkeiten. Es bedarf eigentlich auch keiner allzu großen Imaginationskraft, um sich diesen Sachverhalt zu vergegenwärtigen. Dennoch lässt sich der doppelte Brunnencharakter von Geschichte – Erschließung und Darstellung – noch besser verstehen und vor allem erfahren, wenn man sich dem Phänomen über die Literatur nähert. Die Lektüre von James Joyces Ulysses (1918–1920) ermöglicht dem Leser ein außergewöhnliches Erlebnis. Die Handlung des gesamten Romans besteht aus der Beschreibung eines einzigen Tages im Leben des Dubliner Anzeigenakquisiteurs Leopold Bloom. Eigentlich müsste man davon ausgehen können, dass der Leser nach der Lektüre des über 1000 Seiten langen Textes, der auch Gedankenfetzen, Überlegungen und Assoziationen, die Bloom während des Tages durch den Kopf gehen, geradezu protokollarisch einfängt,41 das Gefühl hat, über alles Bescheid zu wissen, was Bloom an diesem Tag gedacht, gefühlt oder getan hat. Doch es stellt sich ein höchst paradoxer Effekt ein: Gerade Joyces überambitioniertes und hyperexaktes, ausschweifendes und überspitzt ausuferndes Narrativ kann der Wirklichkeit nicht gerecht werden, schlim41
Joyce wendet dabei die Technik des „Bewusstseinsstromes“ („stream of consciousness“) an, den Leo Tolstoj in Anna Karenina (7.29) bereits eingesetzt hatte, Robinson 1971.
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mer noch: Je mehr man über den Tag von Leopold Bloom erfährt, umso mehr Lücken eröffnen sich vor dem Auge des Lesers. Die Dichte, mit der Joyce ausnahmslos jedes Geschäft von Bloom beschreibt – und das ist sogar wörtlich zu verstehen, da im 4. Kapitel auch über einen Toilettengang ausführlich berichtet wird – erweckt beim Leser den Impuls, immer noch mehr über das Denken, Fühlen und Handeln des Protagonisten zu erfahren. Es ist die manchmal bis zur Absurdität gesteigerte Ausführlichkeit von Joyce, die das Phänomen hervorruft, dass gerade die scheinbar lückenlose Darstellung eines Tages als überaus lückenhaft empfunden wird.42 Lässt man sich auf die Herausforderung dieses Texts ein und hat man genug Ausdauer für Joyces Experiment, so macht man die überaus einprägsame Erfahrung, dass die Illusion einer vollständigen Beschreibung der Wirklichkeit – unabhängig vom „Wie“ – gänzlich unmöglich ist. Es ist dies die Erfahrung, die auch im Eingangsbeispiel eine wichtige Rolle spielt. Eine solche Erfahrung allein wäre jedoch zu banal. Vielleicht noch wichtiger ist ein zweiter Aspekt: Wenn wir über einen Zeitraum in der Vergangenheit schreiben, wird die Differenz zwischen dem Dargestellten und dem nicht Dargestellten nicht kleiner, sondern größer, je mehr wir über diesen Zeitraum schreiben. Der Brunnenboden wird nicht zur Linie, sondern zum Horizont. Dieses Paradox impliziert auf der einen Seite eine fast niederschmetternde Erkenntnis, auf der anderen Seite führt sie zu der Erfahrung, dass das Streben nach absoluter Vollständigkeit nur ins Gegenteil führt und wir – selbst bei kürzeren Darstellungen – vom tiefsten Punkt des Brunnens nicht unbedingt weiter entfernt sind als in einem aufgeblähten Werk riesigen Ausmaßes. Und das ist wiederum überaus beruhigend. LITERATUR ALS ZUGANG ZUR WESENHAFTIGKEIT VON GESCHICHTE Geht es darum, das Innere von Geschichte, ihre komplexen Phänomene und ihre für uns manchmal nur schwer vorstellbaren, aber mit menschlicher Vernunft konzipierten ‚Mechanismen‘ zu verstehen – und damit meine ich nicht einzelne Ereignisse, sondern ihre Wesenhaftigkeit, ihre Metaphysik – so ist dies mit reiner Wissenschaft und Theorie manchmal kaum zu leisten. Historiker können noch so sehr über die Vergangenheit, ihre Struktur, ihr Wesen theoretisieren und sie müssen das in jedem Fall auch tun. Aber die Wesenhaftigkeit von Geschichte, die manchmal kaum mit theoretischen Modellen und Konzepten zu erklären oder zu veranschaulichen ist, muss man sich bisweilen auf eine andere Weise erschließen: direkter, unmittelbarer und aus einer eigenen Anschauung heraus. Nur so wird dann unter Umständen erfahrbar, was eigentlich unerfahrbar ist. Bei dieser Einsicht – so meine These – hilft die Literatur. Sie kann zu Erkennens-Erfahrungen führen, die in dieser direkten und unmittelbaren Form in rein wissenschaftlichen Diskursen nur schwer zu erringen sind. Und daher ist es doch 42
Darüber hinaus erwächst im Leser die Sehnsucht, das zu wissen, was Ricoeur 1982, 152, einmal die „monumentale Zeit“ („temps monumental“) genannt hat, d.h. alles, was den Wissensund Erfahrungshorizont des Protagonisten im Roman übersteigt und doch zu der jeweiligen Situation des Augenblicks als ‚Weltgeschehen‘ gehört.
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wohl so, wie Mommsen es formulierte, dass der Historiker eher zu den Künstlern als zu den Wissenschaftlern gehöre. Diese Ansicht ist aktueller denn je, vielleicht nicht in dem Sinn, wie es Mommsen gemeint hat, sondern wie wir den Satz auch verstehen können: Der Historiker sollte Künstler sein, aber weniger, weil er ein Kunstwerk produziert, sondern weil er sich Geschichte durch Kunst, in diesem Fall durch die Lektüre von Literatur, aneignen muss. Weil er sich ein Kunst-Verständnis erhalten sollte, um ansatzweise die Wesenhaftigkeit von Geschichte zu begreifen, die nur schwerlich mit theoretischer Wissenschaft begriffen oder dargestellt werden kann. Gleichwohl: Diese Wesenhaftigkeit wird immer unergründlich bleiben und wird auch nicht durch die Beschäftigung mit Kunst vollständig erfasst werden können. Sie wird – wie Thomas Mann es sagte – ein foppendes Spiel mit uns treiben. Aber wir erhalten durch das Lektüreerlebnis von Literatur einen wichtigen Blick in den Kern von Geschichte, der uns vieles besser verstehen lässt. Und genau in diesem Punkt sehe ich beim Nachdenken über Geschichte den besonderen Stellenwert von Literatur und ihre zu wissenschaftlichen Theorien und Darstellungsmodi komplementäre Funktion; denn dem Historiker sind bei seiner Arbeit manche Dinge einfach verwehrt: Er muss sich auf die Geschichte konzentrieren, die passiert ist, er muss beschreiben, was „der Fall war“. Würde er sich nicht daran halten, würde er wohl zum Banditen werden, der auf der Mundharmonika das Lied vom Tod spielt, ja, er geriete in Gefahr, zum „outlaw“ zu werden, sollte er seinen Verlag davon zu überzeugen versuchen, bei einer begrenzten Seitenanzahl auch die Geschichte ehemals bedeutender, dann unbedeutender Personen zu schreiben, um dem Leser einen Möglichkeitssinn zu verschaffen. Es wird ihm nicht möglich sein, wie Roth eine anarchische Erzählung zu verfassen oder wie Laurence Sterne keine oder lediglich lächerliche Erklärungen anzuführen, um bei seinen Lesern ein Gefühl für die Sinnlosigkeit von Geschichte zu erzeugen. Das ist sein Schicksal – und das seiner Leser. Mit Literatur aber tauchen beide in die Metaphysik der Geschichte ein. Diese Entdeckungen trösten darüber hinweg, ansonsten alle auf der Bühne platzierten Gewehre abschießen zu müssen. Manchmal ist es ganz gut, sich nicht wie im Wilden Westen zu fühlen.
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Nils Steffensen
Nachdenken über Rom Literarische Konstruktionen der römischen Geschichte in der Formierungsphase des Principats hisTORiA – EinZElsChRiFT 252 2018. 575 Seiten 978-3-515-12136-1 gEbUnDEn 978-3-515-12145-3 E-bOOk
Politische Umbrüche verändern den Blick auf die Vergangenheit. In Rom brachte der Bürgerkrieg des 1. Jh. v. Chr. eine jahrhundertelang bestehende Ordnung zum Einsturz. Der Zerfall der Republik und die Konsolidierung des Staates im Principat forderten die römische Gesellschaft zu neuer Selbstvergewisserung auf. Nils Steffensen widmet sich den Debatten über die Neuorientierung in einer Zeit des dynamischen Wandels, zwischen der Ausrichtung an der Vergangenheit und der Anpassung an neue Realitäten. Gegenstand seiner Untersuchung sind die unter Augustus und Tiberius entstandenen Versuche, die Gegenwart über Konstruktionen der Geschichte literarisch einzuordnen und diskursiv mitzugestalten. Im Mittelpunkt der Analysen von zeitgenössischen Historikern, Epikern, Elegikern, Fachschriftstellern und Handbuchautoren steht die Frage nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten, nach strukturellen Problemen und Lösungsstrategien
in der römischen Geschichte. Vermochte der Systemwechsel tatsächlich die Verwerfungen der jüngsten Vergangenheit zu überwinden und das von Augustus annoncierte Goldene Zeitalter zu verwirklichen? DER AUTOR Nils Steffensen, Studium der Geschichte, Lateinischen Philologie, Philosophie und Politikwissenschaften an den Universitäten Tübingen, Köln und Princeton, ist wissenschaftlicher Angestellter an der Europa-Universität Flensburg. Forschungsschwerpunkte: Principat, antike Historiographie, politische Philosophie, Rezeptionsgeschichte. AUs DEm inhAlT Einleitung | Das augusteische Zeitalter | Das Principat des Tiberius | Die Konstruktionen der römischen Geschichte in der Formierungsphase des Principats | Literaturverzeichnis | Index
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Friedrich Meins
Paradigmatische Geschichte Wahrheit, Theorie und Methode in den Antiquitates Romanae des Dionysios von Halikarnassos PAlingEnEsiA – bAnD 113 2019. 169 Seiten 978-3-515-12250-4 gEbUnDEn 978-3-515-12255-9 E-bOOk
Was ist Wahrheit? Auf diese zentrale Frage jeder wissenschaftlichen Methodendiskussion kannte schon die Antike höchst unterschiedliche Antworten – auch die Historiographie bildet hier keine Ausnahme. Vor dem Hintergrund der Frage nach dem Wesen historischer Wahrheit widmet sich Friedrich Meins den Antiquitates Romanae des Dionysios von Halikarnassos. Während diese lange als Beispiel einer kolportageartigen „rhetorischen Geschichtsschreibung“ ohne Quellenwert galten, rücken sie als Zeugnis ihres Entstehungsumfeldes nun wieder vermehrt in den Fokus. Im Zuge dessen lässt sich auch eine gewisse Rehabilitierung ihres spezifischen Wahrheitsanspruches ausmachen: in Form einer Neubewertung von Dionysios’ Forschungsbemühungen, unter Heranziehung narrativistischer Konzepte historischer Wahrheit oder durch den Verweis auf Vorstellungen allgemeiner
Wahrheiten des Historischen. Meins diskutiert diese Ansätze und formuliert die These, dass Dionysios’ paradigmatische Geschichte ihren Anspruch auf Wahrheit sowohl aus der sehr eigenen Vorstellung wissenschaftlicher Erkenntnis als auch aus dem Anspruch der praktischen Anwendbarkeit historischen Wissens ableitet. DER AUTOR Friedrich Meins studierte in Leipzig den Masterstudiengang „Klassische Antike. Geschichte und Literatur“. 2014 promovierte er dort in der Alten Geschichte zum Thema „Literarische Kritik, rhetorische Theorie und historische Methode bei Dionysios von Halikarnassos“. Er war Mitarbeiter in verschiedenen Forschungsprojekten. Momentan ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Alte Geschichte in Leipzig.
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Der vorliegende Band ist Hans-Joachim Gehrke gewidmet, dessen Forschen in besonderer Weise der antiken Geschichtsschreibung gilt. Ihm zu Ehren behandeln die Autorinnen und Autoren sowohl die antike Historiographie in ihrem sozio-kulturellen Kontext und in ihren methodischen Voraussetzungen als auch weitere in der Antike übliche Formen der Ausübung kollektiver Erinnerung. Im Fokus der Beiträge stehen die vielfältigen Mittel, die Vergangenheit als Forschungs- oder Aneignungsobjekt zu bearbeiten. Die Themen reichen von der epischen oder bildlich-narrativen Darstellung geglaubter Vergangenheiten über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Beschäftigung mit eigener und fremder Geschichte, den intertextuellen Bezügen und historiographischen Diskursen bis hin zur Bedeutung des Vergessens als Strategie der Erinnerung und dem Vorschlag, das Studium der Weltliteratur zum besseren Verständnis von Geschichte zu nutzen.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag
ISBN 978-3-515-12269-6
9
7835 1 5 1 2 2696