Gemeinsinn und Gemeinwohl in der romischen Antike 3515103279, 9783515103275

English Description: Although the willingness of the ancient elite to finance the interests of the community, especially

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German Pages 220 [222] Year 2013

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Table of contents :
InhaltsverzeIchnIs
Vorwort
Einleitung: Gemeinsinn und Gemeinwohl in der römischen Antike
Der römische Senat als Hüter des Gemeinsinns
Gemeinsinn und Gemeinwohl in der politischen Rhetorik Ciceros und in den Geschichtswerken Sallusts
Die Geschenke des kleinen Mannes. Arbeitsleistungen der Bürger für ihre Gemeinschaft als Euergetismus-Substitut
Der duergetismus als Kunst, es allen recht zu machen.
Zwischen Euergetismus und Hochstapelei.
Sensus communis als „sense of public weal“?
Zivilreligion in Rom? Ein modernes Konzept und die römische Republik
Quellenregister
Personenregister
Ortsregister
Sachregister
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Gemeinsinn und Gemeinwohl in der romischen Antike
 3515103279, 9783515103275

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Martin Jehne / Christoph Lundgreen (Hg.)

Gemeinsinn und Gemeinwohl in der römischen Antike

Altertumswissenschaften Franz Steiner Verlag

Franz Steiner Verlag

Martin Jehne / Christoph Lundgreen (Hg.) Gemeinsinn und Gemeinwohl in der römischen Antike

Martin Jehne / Christoph Lundgreen (Hg.)

Gemeinsinn und Gemeinwohl in der römischen Antike

Franz Steiner Verlag

Gefördert mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des SFB 804 der Technischen Universität Dresden Umschlagabbildung: Aquädukt von Segovia © Jasmin Hettinger

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2013 Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10327-5

InhaltsverzeIchnIs vorwort ........................................................................................................ 7 Martin Jehne / Christoph Lundgreen einleitung: Gemeinsinn und Gemeinwohl in der römischen antike ................... 9 Diskurse in Rom Martin Jehne Der römische senat als hüter des Gemeinsinns ............................................. 23 Fabian Knopf Gemeinsinn und Gemeinwohl in der politischen rhetorik ciceros und in den Geschichtswerken sallusts .......................................................................51 Praxis in Italien und den Provinzen Konrad Petzold Die Geschenke des kleinen Mannes. arbeitsleistungen der Bürger für ihre Gemeinschaft als euergetismus-substitut 75 Stefan Fraß Der euergetismus als Kunst, es allen recht zu machen. Konflikte um die Gemeinsinnigkeit wohltätiger leistungen ............................ 99 Daniel Pauling zwischen euergetismus und hochstapelei. augustales in selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung ............................ 119 Konzepte zwischen Konstruktion und Rezeption Antje Junghanß Sensus communis als „sense of public weal“? shaftesbury und die antiken Wurzeln des Gemeinsinns ................................ 151 Christoph Lundgreen zivilreligion in rom? ein modernes Konzept und die römische republik ..... 177

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Inhaltsverzeichnis

Quellenregister ................................................................................................... 203 Personenregister ................................................................................................. 213 Ortsregister......................................................................................................... 216 sachregister ........................................................................................................ 217

vOrWOrt Der vorliegende Band basiert auf unserer arbeit im Projekt „Die Investition eigener ressourcen in die Gemeinschaft von der mittleren republik bis in die hohe Kaiserzeit“ am sonderforschungsbereich 804 „transzendenz und Gemeinsinn“ in Dresden. Unser Dank gilt daher der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung und allen Kolleginnen und Kollegen am sFB für die stimulierende arbeitsatmosphäre. Für anregungen zu unserem Begriffspaar Gemeinsinn – Gemeinwohl ist besonders der „arbeitsgruppe Gemeinsinn“ der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am sFB 804 zu danken, die sich immer wieder getroffen und mit verschiedenen Denkern von der antike bis zur Gegenwart beschäftigt hat. zu unserer großen Freude hat sich antje Junghanß (Projekt B2) bereit erklärt, ihre u. a. dort entwickelten ergebnisse zu shaftesbury und der vermeintlichen Kontinuitätslinie von sensus communis zu common sense hier in diesem Band zu veröffentlichen. hinsichtlich der programmatischen Bemerkungen in der einleitung danken wir weiter nele schneidereit (Projekt P) für eine kritische lektüre und Marina Münkler (Projekt s) für den hinweis auf die semantische Differenzierung von common sense und public spirit im englischen. Das sachregister für diesen Band hat christoph lundgreen erstellt, alle anderen register stefan Fraß, dem wir hierfür herzlich danken. ebenfalls möchten wir uns bei Jasmin hettinger bedanken, die das titelbild des Bandes zur verfügung gestellt hat. Und last but not least gilt unser Dank der hervorragenden zusammenarbeit mit dem Franz steiner verlag. am meisten profitiert aber hat der Band von den vielen gemeinsamen Projektsitzungen: alle autoren dieses Bandes haben alle texte mehrfach gelesen, und jeder text hat in diesen Diskussionen von Kritik und nachfrage, anregungen und Ideen profitiert. hier hat der Gemeinsinn aller Beteiligten zum Gemeinwohl eines gemeinsamen Bandes beigetragen. M. J. c. l.

eInleItUnG: GeMeInsInn UnD GeMeInWOhl In Der röMIschen antIKe Martin Jehne / Christoph Lundgreen 1. zUr theMatIK Quam ob rem, si quid in hac causa mihi susceptum est, Quirites, id ego omne me rei publicae causa suscepisse confirmo, tantumque abest ut aliquam mihi bonam gratiam quaesisse videar, ut multas me etiam simultates partim obscuras, partim apertas intellegam mihi non necessarias, vobis non inutilis suscepisse. Sed ego me hoc honore praeditum, tantis vestris beneficiis adfectum statui, Quirites, vestram voluntatem et rei publicae dignitatem et salutem provinciarum atque sociorum meis omnibus commodis et rationibus praeferre oportere. – „Daher beteuere ich, Quiriten, wenn ich in dieser sache etwas auf mich genommen habe, so habe ich das alles für das Gemeinwohl auf mich genommen, und es ist überhaupt nicht der Fall, dass ich mir irgendeine positive Dankesverpflichtung erworben zu haben scheine, vielmehr erkenne ich, dass ich zahlreiche Feindschaften, teils verdeckte, teils offene auf mich genommen habe, die für mich unnötig, für euch aber nicht unnütz sind. aber ich, der ich durch dieses amt ausgezeichnet worden bin, der ich mit euren so großen Wohltaten versehen worden bin, ich habe es mir zum Grundsatz gemacht, Quiriten, dass es nötig ist, euren Willen und die Würde des Gemeinwesens und das Wohl der Provinzen und der Bundesgenossen allen meinen annehmlichkeiten und Interessen vorzuziehen.“ cic. imp. Pomp. 71

Fragen des Gemeinwohls faszinieren Philosophen, Politiker und historiker gleichermaßen und doch in unterschiedlicher Weise. Während die Philosophen eher daran interessiert sind zu überlegen, was das Gemeinwohl sein könnte, führen Politiker den Begriff gerne im Mund und nehmen in anspruch, tatkräftig an der steigerung desselben zu arbeiten. historiker nun können beides untersuchen, die Diskurse, was das Gemeinwohl jeweils sein sollte, und die Praxis, wer sich wann darauf berief, im sinne des Gemeinwohls diese oder jene handlung zu unternehmen oder wenigstens unternehmen zu wollen. hohe chancen auf Durchsetzung hat ein solcher rekurs auf Gemeinwohl immer dann gehabt, wenn das Maß an Gemeinsinn in einer Gemeinschaft besonders hoch war (zum genauen verhältnis dieser Begriffe gleich). ein stark ausgeprägter Gemeinsinn ist antiken eliten in vielfältiger Weise häufig unterstellt worden, von der Übernahme kostenintensiver Ämter oder theateraufführungen bis hin zu spenden für straßen, Wasserleitungen, tempel und andere öffentliche Gebäude. Gerade die großen Bauten, deren Überreste uns noch vor augen stehen, haben jedenfalls schon immer die Bewunderung der nachwelt erregt, auch die von Louis de Jaucourt. Dieser französische Gelehrte des 18. Jahrhunderts hat in einem seiner unzähligen Beiträge für die berühmte enzyklopädie von diderot und d’aLembert l’amour pour le bien commun als hauptursache der

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großartigen stadtanlage roms ausgemacht.1 Den verschiedenen ausformungen und diskursiven Bezügen einer solchen liebe zum Gemeinwohl geht dieser sammelband in sieben einzelstudien nach. Innerhalb der römischen antike reicht der Fokus dabei von der mittleren republik bis in die hohe Kaiserzeit, wobei sowohl die Perspektive der stadt rom, als auch die der Provinzen Berücksichtigung findet. 2. zUM FOrschUnGsansatz Die Bedeutung von Gemeinsinn in der antike ist, das zeigt nicht nur das zitat de Jaucourts, schon lange erkannt worden. Gerade für die antike als einer epoche ohne komplexere vorstellungen von Wirtschaftspolitik oder (vorsorge-)staat wird häufig die rolle der reichen Oberschichten betont, die modern gesprochen verschiedene öffentliche Dienste oder tätigkeiten übernommen haben sollen.2 PauL Veyne hat sich diesem Phänomen ausführlich gewidmet und es mit dem Kunstwort euergetismus auf den Begriff gebracht.3 Im Gefolge dieser bahnbrechenden arbeit sind viele spezialstudien, bes. zu den griechischen stadtstaaten, aber auch zu spanien oder Italien entstanden, die die Materialbasis systematisch erweitert und regionale vertiefungen und Differenzierungen erbracht haben.4 Darüber hinaus wurden auch grundsätzliche Probleme angegangen, etwa die Fragen der informellen und formalisierten verpflichtungen der Oberschichten,5 des verhältnisses von spenden zu öffentlichen Geldern bei der Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben,6 der 1

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de Jaucourt 1753, 538. Die von denis diderot und Jean baPtiste Le rond d’aLembert herausgegebene „encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des Métiers, par une société de Gens de lettres“ erschien zwischen 1751 und 1780 in Frankreich. Der adelige und studierte Mediziner Louis de Jaucourt war nach dem tode d’aLemberts als Mitherausgeber und vor allem als autor von über 17.000 einträgen maßgeblich an diesem Projekt beteiligt, ohne allerdings am nachruhm zu partizipieren. vgl. zu allem bLom 2005, zu louis de Jaucourt dort bes. 153–162, 323–329, 385–391. – Den hinweis auf den zitierten eintrag de Jaucourts über die „cloaque“ verdanken wir andreas heil (Projekt B2). Umgekehrt ist in diesem zusammenhang die these von offe interessant, dass Gemeinwohlrhetorik in der Gegenwart das eingeständnis sei, dass die Mittel legislativer normbildung, exekutivischer normeffekte und fiskalischer anreize nicht ausreichend und zusätzliche Motivationsressourcen von nöten seien (offe 2002, 60). Man kann aber durchaus skepsis anmelden, ob die steuerungsphantasien, einen Gesamtnutzen ohne appellative Gemeinwohlrhetorik erreichen zu wollen, jemals realistisch waren. Veyne 1976, bes. 20–31. Der Begriff selbst ist älter, er findet sich als Beschreibung von Wohltaten bestimmter Familien bei bouLanger 1923, 25 („strabon a conservé les noms de quelquesuns de ces bienfaiteurs des cités et les inscriptions nous font connaître un grand nombre de familles où l’‚évergétisme’ était une tradition“), der den Begriff aus dem neugriechischen abgeleitet und dann für die antike verwendet hat, so jedenfalls Veyne 1976, 699 anm. 7. vgl. für den griechischen hellenismus nur die arbeiten von gauthier 1985 oder die Beiträge in fröhLich/müLLer 2005. Für spanien siehe meLchor giL 1994; für nordafrika siehe WeschKLein 1990; für Italien siehe mrozeK 1987 oder cébeiLLac-gerVasoni 1990, speziell für Oberitalien goffin 2002. Insgesamt ist weiter auf den 10. internationalen Kongress der aIeGl in nîmes 1992 hinzuweisen, veröffentlicht als christoL/masson 1997. KLeiJWegt 1994, zuiderhoecK 2007 und 2009. duncan-Jones 1990, ecK 1997, schWarz 2001, zuiderhoecK 2005, zerbini 2007, cramme 2009, meier 2012.

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reibungszonen zwischen euergetismus, Gabentausch und Kapitalismus,7 der Bedeutung der heimatstädte für die spendenbereitschaft der ‚globalisierten‘ reichselite in relation zu ihren vielfältigen Domizilen über die Jahrzehnte ihrer Karrieren8 sowie des sonderstatus roms.9 In dieser linie ist auch ein wesentlicher aspekt unseres Forschungsprojekts „Die Investition eigener ressourcen in die Gemeinschaft von der mittleren republik bis in die hohe Kaiserzeit“ zu verorten, da exemplarisch einzelne, interessante Beobachtungen und Phänomene aufgegriffen und dann unter einem spezifischen Blickwinkel betrachtet werden, hier am sonderforschungsbereich 804 „transzendenz und Gemeinsinn“ unter der Frage nach Gemeinwohl und Gemeinsinn. zusätzlich waren für uns die ergebnisse einer Forschergruppe an der Berlin-Brandenburgischen akademie der Wissenschaften wichtig, welche von 1998 bis 2002 über Gemeinwohl und Gemeinsinn geforscht hat und an deren Konzeption wir maßgeblich anschließen.10 In den eindrucksvollen sammelbänden dieser Forschergruppe findet sich aber nur ein einziger Beitrag zur antike, und diesen hat guido o. Kirner der griechischen Polis der klassischen zeit gewidmet, so dass die anwendung dieser Perspektive auf die römische Welt ein Desiderat darstellt.11

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domingo gygax 2003, fLaig 2007, siLVer 2007, müLLer 2011. aLföLdy 2005 sowie ecK 1980. VirLouVet 1997, zanKer 1997. Unter der leitung von herfried münKLer sind von der Forschergruppe vier Bände veröffentlicht worden: münKLer/bLuhm 2001a; münKLer/fischer 2002a; münKLer/fischer 2002b; münKLer/bLuhm 2002. Die studie von Kirner 2001 bietet einen schönen chronologischen Durchgang, bleibt dabei aber recht eng am historischen Material und bemüht sich nicht um eine verfeinerung der Konzeptionalisierung auf der Basis der erhobenen Quellenbefunde. es geht um dike und hybris bei herodot, eunomie bei solon, um den nutzen (ophelia) bürgerlicher Gesinnung in der Gefallenenrede des Perikles und die sorge (epimeleia) um die Polis bei thukydides, um die nötige innere einheit der Polis in den reden des Demosthenes und schließlich die glorifizierte vergangenheit bei Isokrates. Dem folgt der „Gegendiskurs“ von Pseudo-Xenophon, thrasymachos oder Kallikles, die den nutzen für die herrschenden und das recht des stärkeren vertreten. am ende steht die antwort von Platon und aristoteles, einerseits, dass das Gemeinwohl eben dem einzelnen wie allen nütze (Plat. nom. 875a), andererseits, dass nur auf das Gemeinwohl ausgerichtete staatsverfassungen gerecht seien (arist. pol. 1279a). nur in den reden des Demosthenes lässt sich die argumentation mit dem Gemeinwohl als spezifische argumentationsfigur greifen, in der stilisierung des Politikers, der guten, aber unpopulären rat erteile (u. a. Dem. 3,13); ansonsten bleiben die Beobachtungen bei diesem großen Durchgang notgedrungen allgemeiner natur, so z. B. auch, wenn Kirner in der spaltung der Bürgerschaft, in der stasis, das Gegenteil einer gemeinwohlorientierten Politik sieht (44). Das ist natürlich nicht falsch, aber übersieht, dass gerade die situation eines Bürgerkriegs vor allen Dingen auch Kampf um die Definition des Gemeinwohls ist. Der in diesem Band verfolgte ansatz ist dagegen analytischer, es geht nicht um Wörter und Begriffe aus den Quellen, sondern um argumentationsstrukturen, die wir dann mit unserer Definition als gemeinsinnig auffassen.

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3. zUr BeGrIFFlIchKeIt: GeMeInWOhl UnD GeMeInsInn Gemeinsinn hat im Deutschen verschiedene Konnotationen, was vor allem an den unterschiedlichen Bezugsmöglichkeiten der beiden Bestandteile ‚gemein‘ und ‚sinn‘ liegt. auf der einen seite kann man sinn als einen angeborenen sinn für Belange der Gemeinschaft verstehen, etwa wie in der verwendung von tastsinn oder Geruchssinn, oder auch im sinne einer tugendausrichtung auf die Gemeinschaft hin (vgl. dazu den Beitrag von antJe Junghanss in diesem Band). auf der anderen seite kann man sinn als Orientierungsbegriff verstehen, der für gemeinsame Ordnungen sozialer oder politischer natur einen geteilten horizont des handelns generiert, stiftet oder behauptet. Der sFB 804 nimmt zunächst beide Komponenten auf und versteht implizit immer beides: den individuellen sinn für das Gemeinsame, den man als public spirit bezeichnen könnte, und den gemeinsamen sinn aller Individuen, den man mit common sense benennen könnte.12 Beide varianten lassen sich weiter nun sowohl als anthropologische Konstanten oder epistemologische voraussetzungen, aber ebenso gut auch als Konstruktionen, zuschreibungen und Behauptungen verstehen. Dabei sind für historiker die grundlegenden erkenntnis- und verständigungsmöglichkeiten aller Menschen weniger oder seltener von Interesse, da die historische Perspektive eher auf das Inventar der Differenzen gerichtet ist, mit dem kontingente Prägungen und historische varianzen herausgearbeitet werden können. Den Gemeinsinn kann man vielleicht mithilfe eines abschichtungsmodells differenzieren, das sich an Wandlungsgeschwindigkeit und Diskurspräsenz orientiert. Wir unterscheiden daher versuchsweise das Konstante, das Beständige und das Wechselhafte bzw. volatile. In einem gewissen sinn sind public spirit und common sense als anthropologische Konstanten zu denken, als Grundausstattung aller Menschen und physische wie intellektuelle voraussetzungen für komplexere Gemeinschaftsbildung. Daneben existieren gemeinwohlorientierte regeln des verhaltens in Gemeinschaften, die ins selbstverständliche abgesackt sind und sich nur sehr langsam verändern. Diese verhaltensregeln sind beständig, aber nicht unveränderlich, sie sind manchmal in unterschiedlichen Gemeinschaften ähnlich, oft aber auch sehr verschieden, und sie werden nicht reflektiert, sondern mehr oder weniger automatisch praktiziert.13 In dem Moment, in dem sie reflektiert werden, sind sie in einer Krise oder geraten in eine hinein, die sie normalerweise nicht unverändert überstehen. schließlich können wir gemeinschaftsbezogene verhaltensanregungen greifen, die fast permanent diskursiv verhandelt werden, indem man sie evoziert, einschärft, präzisiert, anpasst, bestreitet und den eigenen verwirklichungserfolg positiv gegen das versagen der Gegner profiliert. hier bewegen wir uns in einem Feld des schnellen Wandels, aber auch des bewussten rekurses auf ressourcen der Geltung und der handlungsorientierung, denen für das Funktionieren der Gemeinschaft eine wesentliche Funktion zugesprochen wird. Der beständige und der volatile Gemeinsinn unterliegen beide der kulturellen wie gesellschaftlichen Differenz 12 13

Den hinweis auf diese Differenzierung im englischen verdanken wir Marina Münkler (Projekt s). vgl. z. B. die studie von bLoch 1992.

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und sind daher geeignet, von historikern in ihren spezifischen ausformungen analysiert zu werden – allerdings sind es natürlich nicht die historiker allein, die an diesen Formen interessiert sind, man denke nur an die analysen von ethnologen und soziologen. Wir werden uns hier jedenfalls auf das Diskursive und Wechselhafte orientieren, was aber den rückgriff auf gemeinschaftsfokussierte Praktiken, die ins selbstverständliche abgesackt sind, nicht ausschließt. Wie eingangs ausgeführt, nehmen wir an, dass eine Gemeinwohlrhetorik dann besonders erfolgreich ist, wenn auf ein hohes Maß an Gemeinsinn in einer Gemeinschaft rekurriert wird. Damit schließt der vorliegende Band an die arbeiten von münKLer/bLuhm/fischer über Gemeinsinn und Gemeinwohl an.14 Gemeinsinn wird dort verstanden „als motivationale handlungsdisposition von Bürgern und politisch-gesellschaftlichen akteuren“ und „prinzipiell knappe soziomoralische ressource,“ Orientierungspunkt für beide ist das (historisch jeweils kontingente) Gemeinwohl.15 appelle an die Bereitschaft, sich für den erhalt der Gemeinschaft, für verbesserungen des allgemeinen lebensstandards oder für die verwirklichung von Gemeinschaftsinteressen zu engagieren, setzen voraus, dass ein Mindestmaß an Gemeinsinn vorhanden ist, an den zu appellieren es sich lohnt. Für die Frage nach Gemeinwohl ist damit die Bezugsgruppe ganz entscheidend. Ist die ganze Gesellschaft gemeint oder handelt es sich um Untergruppen? verfolgen, um mit aristoteles zu sprechen, die regierenden auch das Wohl der regierten? Das errichten eines großen Gebäudes kann aus sicht der stadt gemeinsinnig, aus sicht des Kaisers partikular sein, aus sicht des stifters eine Wohltat, aus sicht vom Bau Betroffener eine Untat (vgl. dazu den Beitrag von stefan frass in diesem Band). sinnvoll erscheinen – zumindest theoretisch – auch weitere abgrenzungen nach oben und unten, also sowohl von universalistischen als auch von partikularistischen Ideen. Bei universalen Idealen, wie beispielsweise Menschenrechten, fehlt jeder Bezug auf eine spezifische Gemeinschaft, woraus solche appelle ja auch gerade ihre argumentative Kraft ziehen. Bei einem Gruppenwohl dagegen fehlt ein argumentativer Bezug auf Personen, die nicht der Gruppe angehören. es fehlt also das die unmittelbar handelnden überschreitende element. aber dies ist letztlich immer abhängig von Perspektive und Blickwinkel und kann nur am konkreten Fallbeispiel entschieden werden. Der Gemeinwohlbegriff ist nicht zuletzt deshalb so attraktiv, weil es sich mit Portinaro gesprochen um eine diffuse, aber flexible „Konkordanzformel“ handelt, die ganz unterschiedlich besetzt werden kann.16 ein nicht selten auftauchendes Missverständnis bei der Untersuchung von Gemeinsinn ist der versuch einer kontradiktorischen abgrenzung zwischen Gemeinsinn und eigensinn, zwischen gemeinsamen und partikularen Interessen. ein solcher versuch muss zwangsläufig scheitern. zum einen ließe sich philosophisch fragen, ob nicht jede handlung eines Individuums quasi automatisch ein eigeninteresse enthält, nämlich eben den eigenen handlungswillen. zum anderen aber ist, 14 15 16

vgl. oben anm. 10. münKLer/bLuhm 2001b, 13. Gemeinwohl ist dabei sowohl langfristig historischem Wandel unterworfen als auch in modernen rechtsstaaten prinzipiell nur unter dem vorbehalt der revisionsfähigkeit überhaupt zu konkretisieren, vgl. münKLer/fischer 2002c, 9. Portinaro 2002, 306.

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rein forschungspragmatisch betrachtet, ein mögliches eigeninteresse dem historiker in aller regel nicht zugänglich: kaum nachzuweisen, jedoch immer postulierbar. aber eine scharfe abgrenzung zwischen Gemeinsinn und eigensinn ist auch gar nicht nötig. Denn es soll ja weniger um den Gemeinsinn an sich gehen, als vor allem um das argumentieren mit ihm. es wird also nicht versucht werden, eine innere und damit klandestine Gefühlslage zu erschließen, sondern es sollen der öffentliche Diskurs und die argumente im politischen leben bzw. ihre Wirkung untersucht werden. Dabei wird allen akteuren, die – wie cicero in der zu Beginn zitierten rede – das Gemeinwohl behend im Munde führen, durchaus immer ein gewisses Maß an egoismus unterstellt, und sei es der Wunsch, Gutes zu tun und darüber zu reden. es geht also nie um einen „reinen“ Gemeinsinn – schon de Jaucourt nennt für die römer neben l’amour pour le bien commun ja auch weitere antriebskräfte, wie das Bedürfnis, vorbildern nachzueifern (l’exemple, l’émulation), den Wunsch sich darzustellen (l’envie de s’illustrer) und politische Popularität (s’attirer les suffrages):17 eine wunderbare Gemengelage, die man wohl bei fast jedem römischen orator vermuten darf. Die soziale situation des genannten redners aber ist bedeutsam. Für die Durchschlagskraft von argumenten ist deren anerkennung entscheidend, für die Frage nach Gemeinsinn damit der genaue öffentliche Bezug interessant. Oft scheint die Gemeinwohlorientierung im Politischen den charakter einer letztbegründung gehabt zu haben, d. h. auf der ebene öffentlicher Diskurse ist die Gemeinsinnigkeit eines vorschlags dann nur als falsch oder schlecht begründet abzuqualifizieren, nicht aber als unerheblich oder gegenüber anderen zielen subsidiär anzusehen. Doch wo können auch prononciert partikulare Interessen einer Gruppe offen vertreten werden und wo nicht? Wo arbeitet ein redner mit eigeninteressen, wie etwa dem anspruch auf sein eigentum oder seine dignitas, und wo nicht? Wo und wann werden dagegen gemeinsame und gemeinsinnige Interessen ins spiel gebracht und wie verändert das die erfolgsaussichten eines vorhabens? Wobei erfolg hier vieles bedeuten kann, von einer erfolgreichen camouflage anderer Intentionen über das Freisetzen von energien zur erreichung eines großen zieles bis hin zu, umgekehrt gedacht, einer selbstbindung und damit einschränkung politischer akteure aufgrund ihrer eigenen Gemeinwohlrhetorik.18 neben der selbstbindung, im sinne der Möglichkeit, akteure an ihren eigenen Maßstäben (Wasser predigen, Wein trinken) und vorhaben zu messen, ist auch die Bindung von akteuren durch die regeln des Diskurses zu beachten, im sinne der Grenzen des sagbaren.19 eine andauernd propagierte Orientierung auf das Gemeinwohl kann im Übrigen dazu führen, dass gewisse handlungen tatsächlich einer permanenten Überprüfung auf ihre Wirtschaftlichkeit oder ihren eigennutz entzogen sind. so betrachtet bedeutet eine ständige Gemeinwohlrhetorik sehr wohl auch eine spezifische Prägung der Gesellschaft. Für die römische republik zeigt sich dies deutlich daran, dass redner ihre politischen vorhaben dem volk immer als besonders gemeinwohlerheblich (also: gemeinsinnig) verkauften, ja verkaufen mussten, um zustimmung zu erzielen. Umgekehrt 17 18 19

de Jaucourt 1753, 538. zur selbstbindung vgl. etwa münKLer/fischer 2002c, 15. vgl. hierzu steinmetz 1993.

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konnte hierin eine verhinderungsstrategie liegen, wenn man das Publikum überzeugen konnte, ein vorschlag habe nur die Interessen des antragstellers und eben nicht das Gemeinwohl im auge.20 In den reden gegen das ackergesetz stilisiert sich cicero zum verfechter des Gemeinwohls und unterstellt seinem Kontrahenten rullus, nur selbst von seinem vorschlag zu profitieren, während das römische volk leer ausgehe.21 Geradezu altväterlich gibt er seinem Gegnern den guten rat: „Wenn Du nämlich für das volk arbeitest, halte Dich von dem verdacht irgendeines eigenen vorteils fern; erzeuge das vertrauen, dass Du einzig und allein den nutzen und den Gewinn des volkes anstrebst.“22 Das zentrale Wort lautet hier: vertrauen (fides). Gerade weil (damals wie heute) das Überprüfen von Motiven und das abschätzen von Konsequenzen nicht leicht ist, ist das vertrauen in Personen essentiell. Umgekehrt erlaubt der Mangel an semantischer eindeutigkeit natürlich die konkurrierende Inanspruchnahme des Gemeinwohls durch verschiedene akteure, was die historische Untersuchung interessant macht. Dies gilt besonders dann, wenn die prägende Kraft einer Gemeinwohlrhetorik selbst strukturell in Konkurrenz gesehen werden muss mit ebenfalls wirkmächtigen Kräften innerhalb der römischen Gesellschaft, wie etwa der ständigen Konkurrenz um ehre und Macht innerhalb der elite, der genuin partikularen Dimension von Patronage und Freundschaft oder auch der abneigung, steuern zu entrichten. Für den Fall von Dissens über das Gemeinwohl und/oder die unterschiedliche Intensität von Gemeinsinn bieten sich insgesamt vier abgrenzungen an: Man kann – zumindest analytisch – unterscheiden zwischen verschiedenen Wegen, das unstrittige Gemeinwohl zu erreichen (1), konkurrierenden Deutungen, was das Gemeinwohl ist oder sein soll (2), dem vorwurf, Gemeinsinn als bloße strategie und tarnung eigener Interessen zu benutzen (3), und schließlich der Unterstellung, generell partikularistisch zu denken, ja gar nicht gemeinsinnsfähig oder -anteilig zu sein (4). Während streit, was genau das Gemeinwohl ist, oder gegenseitige Unterstellungen, der jeweils andere verberge hinter seiner rhetorik bloß eigene Interessen, wohl zum normalen politischen alltag gehören (zweifelsohne jedenfalls in rom), tritt die letzte Figur seltener auf. Wird wirklich über einen konkreten Fall hinaus einem Gegner dessen Gemeinsinn prinzipiell abgesprochen, ist dies, mit dem damit verbundenen ausschluss aus der Gemeinschaft, ähnlich dem vorwurf des Wahnsinns oder der exklusion bei steter regelabweichung, eine der schärfsten 20 21 22

Dies hat zuletzt Jehne 2011, bes. 112 f. und 121 am Beispiel von ciceros (erfolgreicher) agitation gegen das agrargesetz des rullus gezeigt, vgl. dazu weiter im text. vgl. bes. cic. leg. agr. 2,75; 2,98–103; 3,15. cic. leg. agr. 2,22: Etenim si populo consulis, remove te a suspicione alicuius tui commodi, fac fidem te nihil nisi populi utilitatem et fructum quaerere. zugespitzt findet man diese argumentationsfigur in den catilinarischen reden, wenn cicero immer wieder von seiner aufopferung für die allgemeinheit spricht und damit kokettiert, neid und Missgunst, hass und tyrannenvorwurf gerne auf sich ziehen zu wollen, wenn denn damit (wenigstens) die Gefahr abgewendet und das Gemeinwesen geschützt werde. Die argumentationsfigur lässt sich dabei sowohl in den reden vor dem volk (vgl. nur 2,1–4; 2,12–16) als auch vor dem senat (vgl. nur 1,22; 1,29; 4,1–4; 4,19) greifen.

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Waffen im politischen Diskurs überhaupt (vgl. dazu den Beitrag von fabian KnoPf in diesem Band). 4. zU Den BeItrÄGen nach diesen einführenden Bemerkungen zum Begriffspaar von Gemeinsinn und Gemeinwohl nähern sich die Beiträge dieses Bandes der römischen antike aus drei Perspektiven. es geht zunächst um rhetorik und Diskurse in der stadt rom, dann um die Praxis in Provinzen des reiches und schließlich um die Begriffsgeschichte von sensus communis und zivilreligon. zu Beginn stehen die Diskurse in der stadt rom im Mittelpunkt, d. h. das argumentieren mit und reden über Gemeinwohl und Gemeinsinn. martin Jehnes Beitrag eröffnet den Band und spannt mit der Frage nach dem senat als hüter des Gemeinsinns einen großen Bogen von der frühen republik bis zu ihrem ende unter caesar. nach Jehne verfestigte sich erst infolge der entstehung des consulars als sozialtypus und des anwachsens der aufgaben aufgrund der zahlreichen Gesandtschaften aus dem Osten die rolle des senats und seiner führenden Mitglieder dahingehend, dass sie sich als sachwalter des Gemeinwohls und dann auch als vertreter des Gemeinsinns verstanden. aus dieser neuen selbstsicht entstand dann das Bedürfnis nach einer stärkeren heraushebung des senats, wobei sich ebenso aber auch Gruppenprivilegien ausbildeten, die sich zu der Gemeinsinnsprätention in einem performativen Widerspruch befanden. Das gewaltsame vorgehen gegen die Gracchen stellte dann eine nachhaltige eskalation dar, da der senat hier klar als Partei wahrgenommen wurde. Weiter zeigte sich noch vor dem Konflikt mit caesar schon bei den großen ausnahmen für Pompeius, dass der senat als Gruppe in der späten republik seine Deutungsmacht über den Gemeinsinn allmählich einbüßte. Diskrepanzen zwischen Gemein- und Gruppenwohl und streit um die Interpretationshoheit sind auch für den anschließenden Beitrag von fabian KnoPf zentral, der die Diagnose allgemeiner Dekadenz bei cicero und sallust und speziell die stigmatisierung politischer Gegenspieler als bloße „Gemeinwohlusurpatoren“ beleuchtet. Wie KnoPf herausarbeitet, spricht cicero dabei seinen Gegnern clodius und catilina sogar die Fähigkeit ab, überhaupt gemeinsinnig handeln zu können, was bei catilina gleichsam notwendig zum ausschluss aus der Gemeinschaft führt, wobei cicero die Debatte mit dem Wahnsinnsvorwurf verbindet und damit bewusst entsachlicht. Für die Gemeinschaft selbst wird wiederholt die vorstellung allgemeiner concordia als notwendige voraussetzung des Gemeinwohls eingeschärft; hier wird die spannungslage zwischen dem senat als Institution und seinen einzelnen Mitgliedern, die auch bei partikularen Interessen stets das Gemeinwohl im Munde führten, wieder aufgenommen. hernach steht als zweites die Praxis in Italien und in den Provinzen im Mittelpunkt. Was waren gemeinsinnige Praxen, wo können wir Gemeinwohlbezüge tatsächlich als historische handlungen jenseits von absichtserklärungen und politischer rhetorik fassen? Konrad PetzoLd zeigt an hand weit verstreuter Quellen (Ostraka aus Ägypten, stadtgesetze aus spanien), wie sich zu unterschiedlichen

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zeiten und an verschiedenen Orten sowohl bei Infrastrukturprojekten wie Wasserleitungen oder straßen, als auch bezüglich Prestigebauten im Wettbewerb der städte ein er- und sogar Übererfüllen der regulären leistungspflicht der normalen Bevölkerung beobachten lässt. statt zwang und Fron als ausschließliche erklärung zu bemühen, schärft PetzoLd den Blick für evtl. auch freiwillig und eigenmotiviert erbrachte arbeitsleistungen, die auf hohen Gemeinsinn schließen lassen und in einigen Fällen vielleicht sogar als euergetismus-substitut des kleinen Mannes aufzufassen sind. stefan frass dreht die Frage dann um und überlegt, ob es nicht auch ein „zuviel des Guten“ gab. Untersucht wird dabei, inwieweit euergeten überhaupt den nutzen ihrer Wohltaten reflektiert haben, ob sich hinsichtlich möglicher schenkungen auch Konflikte ergeben haben und wie die Konfliktvermeidungsstrategien im vorfeld euergetischer leistungen aussahen. Der Bogen reicht dabei von der angst des Plinius, für prahlerisch und pathetisch gehalten zu werden, über unpopuläre (Um-)Baumaßnahmen im bithynischen Prusa, die von der lokalen Bevölkerung einen finanziellen Beitrag bzw. gar Umsiedlungen erfordert hätten, bis zur detaillierten Kalkulation von möglichen Folgekosten einer stiftung in Oinoanda. danieL PauLing schließlich kann mit seiner studie über die viri Augustales zeigen, wie sich angehörige einer rechtlich von öffentlichen Funktionen ausgeschlossenen und literarisch kaum erwähnten sozialen Gruppe in Inschriften als wirkmächtige euergeten auf munizipaler ebene (re-)präsentiert haben – und repräsentieren konnten, wohl im einklang mit lokalen eliten und unabhängig von der kritisch-herablassenden sicht der stadtrömischen Führungsschicht. In der sozialen hierarchie gelang es den Augustales jedenfalls auf Grund ihrer Gemeinsinnigkeit, einen Platz zwischen Dekurionen und einfachem volk einzunehmen. als drittes und letztes geht es um die rezeption und Konstruktion von Konzepten. Untersucht werden die Begriffe von sensus communis und zivilreligon, denen beiden gemeinsam ist, dass für sie in neuzeitlichen Diskursen ein angeblich antiker Ursprung postuliert wird, was näherer Überprüfung aber nicht standhält. so kann antJe Junghanss zeigen, dass der frühneuzeitliche rückgriff des englischen schriftstellers und Philosophen shaftesbury auf die antike, speziell seine herleitung des common sense von sensus communis, auf ungenauer Quellenlektüre beruht und sich letztlich als schimäre erweist. Dieses ergebnis macht nicht nur die angebliche rezeption eines antiken Konzeptes unwahrscheinlich, sondern zwingt vor allem auch zu einer genaueren Begriffsanalyse. Ähnlich legt christoPh Lundgreen dar, dass sich der in gegenwärtigen Diskursen auftauchende Begriff der zivilreligon entgegen gängiger annahmen weder dem Begriff noch dem Konzept nach auf die römische republik (nota bene Marcus terentius varro) zurückführen lässt. Wenn umgekehrt zivilreligion (in allen modernen varianten) auch die erklärungskraft für das system der römischen republik abgesprochen wird, bleibt der Begriff präzisiert als rekurs von einem religiösen in einen anderen, politischen, Ordnungszusammenhang übrig, was auch einen Beitrag zur modernen Debatte leistet und insofern den Bogen zurückschlägt zu den großen Fragen nach Gründen und Motiven für gemeinsinniges handeln.

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Martin Jehne / christoph lundgreen

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DIsKUrse In rOM

Der röMIsche senat als hÜter Des GeMeInsInns Martin Jehne Gemeinhin gilt der römische senat als die Institution, die in den heftigen politischen Kämpfen der römischen republik, in denen jeder in schnell wechselnden Koalitionen den eigenen aufstieg und zuwachs an ehre und einfluß betrieb, für das Ganze zuständig war und dafür sorgte, daß die Interessen der res publica nicht ins hintertreffen gerieten. Für viele sei hier nur auf christian meier verwiesen, der hervorhebt, daß die senatoren im senat unter der erwartung standen, eine gemeinsame Position zu entwickeln und sich über Partikularinteressen hinwegzusetzen.1 Doch ist diese Funktionszuschreibung keineswegs nur eine moderne Konstruktion, sondern sie findet sich auch schon in der antike. cicero nennt den senat den führenden verantwortlichen für das heil und die intelligente Führung des Gemeinwesens,2 und öfter wird der senat als consilium publicum bezeichnet, was nicht heißt, daß der senat ein rat war, der öffentlich tagte – das tat er ja gerade nicht –, sondern daß er über die öffentlichen angelegenheiten beriet.3 seine aufgabe wird auch gerne mit dem Bild charakterisiert, daß der senat das Gemeinwesen steuere.4 Insgesamt ist nicht daran zu zweifeln, daß man in der römischen Führungsschicht der festen Überzeugung war, daß der senat in besonderer Weise zuständig war für die res publica, das Gemeinwesen, und diese Grundauffassung findet ex negativo ihre eindrucksvolle Bestätigung in den einlassungen des sallust, daß der verfall der römischen republik wesentlich auf den eigensinn der senatoren zurückzuführen sei, die eben nicht mehr das Wohl des Gemeinwesens, sondern primär ihr eigenes im auge hätten, so daß sie – das ist die letzte Konsequenz – bereit waren, ihre Integrität zu verkaufen.5 1

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vgl. meier 1984a, 72–76, bes. 76: „D’ailleurs, une pression s’exerçait sur eux pour qu’ils adoptent une position commune dans leur rôle de sénateurs. elle était apparement assez forte pour dépasser tous les intérêts particuliers. a un individu, on pouvait pardonner telle ou telle infraction; la majorité, quant à celle, continuait à ne jurer que par l’intérêt général de son ordre“. außerdem ders. ²1980, XXvI-XXIX; 50–54; vgl. auch höLKesKamP 2005, 128, der für den senat die „kollektive autorität als hüter und Garant des geltenden normen- und Wertesystems“ reklamiert; weiter Lundgreen 2011, v. a. 258 f. cic. har. resp. 58: … senatum ipsum, principem salutis mentisque publicae, … fuhrmann 1978, 431 übersetzt ausdeutend: „… den senat selbst, die für das Gemeinwohl und den politischen Willen maßgebliche Instanz, …“. Mens kann nach fears 1981, 855 als „intelligent, prudent leadership“ aufgefaßt werden, was hier genau den sinn zu treffen scheint. cic. rosc. amer. 153; cat. 3,7; leg. 3,28. zu reglement und verfahren im republikanischen senat vgl. aus neuerer zeit die grundlegenden Werke von bonnefond-coudry 1989 und ryan 1998. cic. leg. 3,28 (s. u. anm. 115). vgl. die berühmte Behauptung römischer Kameraden des Jugurtha vor numantia, sall. Iug. 8,1: … Romae omnia venalia esse (in rom ist alles käuflich); s. auch 20,1; 35,10. In der Mem-

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Wenn es nun die aufgabe des senats war, sich auf das Gedeihen der res publica auszurichten, so drängen sich unweigerlich zwei Fragen auf: sind die selbstbeschreibung der senatsfunktionen durch den senator cicero und die moderne zuschreibung denn überhaupt sachlich richtig? Und wenn man zunächst einmal davon ausgeht: Wie konnte das sein, daß sich in einer aristokratisch agierenden, verhältnismäßig kleinen Führungsschicht eine solche Portion von Gemeinsinn herausbildete, wo doch die angehörigen dieser Führungsschicht ständig erbittert um Posten und Prestige konkurrierten und dabei in hohem Maße auf ihre eigenen Interessen fixiert waren? Das Problem sollte man noch etwas klarer eingrenzen. so steht hinter dieser Frage keineswegs der schlichte Generalverdacht, jede menschliche handlung und haltung sei ausschließlich egoistisch motiviert, alle gemeinsinnige rhetorik sei grundsätzlich nur aufgesetzt oder vorgeblendet. vielmehr gehe ich von der Grundannahme aus, daß es sich im menschlichen Motivationshaushalt stets um Gemengelagen handelt und daß sich der Gemeinsinn als Orientierung auf das Wohl der Gemeinschaft allein schon dadurch tief einprägen kann, daß er zur verbesserung der akzeptanz von Maßnahmen und entscheidungen beschworen werden muß und so in politischen Diskursen permanent präsent ist.6 auf Dauer kann sich wohl niemand der Kraft der selbst eingesetzten Diskurse völlig entziehen, so daß selbst dann, wenn es sich ursprünglich im Bewußtsein eines akteurs um eine interessenverschleiernde Ideologie gehandelt haben sollte, die trennung zwischen hegemonialem Diskurs und Interesse bis zu einem gewissen Grade verschwimmt. In der römischen republik ist uns aber schon infolge der öffentlichkeit der Politik deutlich greifbar, daß Gemeinsinnsrhetorik unvermeidbar war und selbstverständlich zum alltag der senatoren gehörte, die ja die politischen reden hielten.7 Das heißt nicht, daß ein senatorischer redner nicht sehr bewußt das Gemeinwohl beschwören konnte, obwohl ihm in der konkreten situation seine Partikularinteressen sehr wichtig waren, aber der permanente Gemeinsinnsdiskurs prägte sein Denken und seine art zu argumentieren, so daß er auch in diesen Kategorien befangen war.

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mius-rede bringt sallust sogar zum ausdruck, daß dem schändlichsten Feind (nämlich Jugurtha) die auctoritas des senats abgegeben und daß ‚euer‘ reich abgegeben worden sei, zuhause wie im Militärbereich sei die res publica käuflich gewesen (31,25: hosti acerrumo prodita senatus auctoritas, proditum imperium vostrum est; domi militiaeque res publica venalis fuit). Personalisiert gegen l. calpurnius Piso (cos. 58) findet sich derselbe Gedanke bei cic. Pis. 14: Quid enim interfuit inter Catilinam et eum cui tu senatus auctoritatem, salutem civitatis, totam rem publicam provinciae praemio vendidisti? vgl. dazu auch die einleitung von Jehne/Lundgreen o. in diesem Band. Im senat ohnehin, aber auch in den volksversammlungen, den contiones, vgl. dazu Pina PoLo 1996, 34–38, v. a. 37, der betont, daß die uns bekannten sprecher in volksversammlungen fast ausschließlich senatoren waren und gelegentlich auch einmal ritter. Die listen der volksredner sind zusammengestellt von Pina PoLo 1996, 178–182 (für die späte republik); außerdem auch von tan 2008, 188–200 (für die ciceronische Ära) und allgemein von hiebeL 2009, 468– 478. vgl. zu dem Problem, daß das reden vor dem volke faktisch den senatoren vorbehalten war, auch wenn es formal nicht beschränkt war, Jehne 2011c. zur Gemeinsinnsrhetorik vgl. ders. 2011a; ders. im Druck a.

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Dennoch fragt man sich, wie denn die römischen senatoren sich einerseits ständig gegenseitig übertreffen bzw. desavouieren und andererseits in Grundsatzfragen zusammenstehen konnten. selbst wenn man den sozialisationskräften von Gremien vieles zutrauen kann, ist doch solidarität und Blick auf das Gemeinsame nicht etwas, was allein als nebenfolge anderweitig motivierten handelns entsteht – oder zumindest nicht verläßlich.8 Die „unsichtbare hand“ ist eher eine fromme hoffnung als eine rationale Kategorie. Mir scheint aber die gängige einschätzung, daß der senat grundsätzlich auf das Wohl der res publica orientiert war, durchaus zutreffend zu sein, nur wird diese haltung und praktische anstrengung des senats leichter nachvollziehbar, wenn man die historische entwicklung der senatorischen rolle wie der aufgaben und Organisation des senats berücksichtigt. Ich möchte daher im folgenden zunächst einmal knapp darlegen, wie der senat seine spezifische Position bezüglich der res publica erlangte, wie sie sich veränderte und warum es gerade im 2. Jahrhundert v. chr. offenbar recht gut funktionierte. sodann werde ich kurz auf praktische und strukturelle Gefährdungen der Gemeinwohlorientierung eingehen, um schließlich die besondere Konfliktlage in der nachsullanischen republik zu analysieren, als der senat seiner aufgabe nach dem, was wir ausmachen können, nur noch teilweise nachkommen konnte. 1. zUr entWIcKlUnG Des senats vOn Den anFÄnGen BIs Ins 2. Jh. v. chr. Den römischen Gründungsgeschichten zufolge wurde der senat schon vom stadtgründer romulus eingerichtet und mit 100 senatoren bestückt.9 Wie dem auch gewesen sein mag, jedenfalls bestand er vom Beginn der republik an und wuchs, der tradition nach, allmählich in den Mitgliederzahlen an.10 Die großen Geschlechter waren in diesem rat der alten – senatus ist schließlich von den senes, den alten, abgeleitet – zweifellos vertreten, und nachdem im Patricierstaat der frühen republik das Gremium von den Patriciern kontrolliert wurde, öffnete es sich allmählich auch für Plebeier. Die im vorliegenden zusammenhang wesentliche transformation erfolgte aber wohl erst durch lex Ovinia von 312 v. chr.,11 von der wir nur durch ein einsames zeugnis bei Festus etwas hören. Festus schreibt unter dem lemma praeteriti senatores (übergangene senatoren):12 8

vgl. auch meier 1984b, 186: „die besten regeln können natürlich noch nicht erklären, wie die Geschlossenheit und Konsequenz senatorischer Politik zustande kam“. 9 liv. 1,8,7; Dion.hal. ant. 2,12,2. 10 zu den nachrichten über die zusammensetzung und Mitgliederzahlen in Königszeit und Frührepublik vgl. WiLLems 1968, I, 19–88. 11 Für die Datierung auf 312 oder ein paar Jahre früher plädieren z. B. giangrieco Pessi 2000, 332–337; eLster 2003, 84–87; humm 2005, 194 f. corneLL 2000, 75–79 argumentiert für ein noch früheres Datum, konkret für die zeit zwischen 339 und 334 v. chr. (s. auch corneLL 1995, 369: 339 – 332 v. chr.), vgl. aber dagegen humm 2005, 190–194. 12 Fest. 290 l.: Praeteriti senatores quondam in opprobrio non erant, quod, ut reges sibi legebant sublegebantque quos in publico consilio haberent, ita post exactos eos consules quoque et tribuni militum consulari potestate coniunctissimos sibi quosque patriciorum, et deinde ple-

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Martin Jehne „Übergangene senatoren befanden sich einstmals nicht in schande, weil genauso, wie sich die Könige diejenigen auswählten und nachwählten, die sie im für die öffentlichen angelegenheiten zuständigen rat (in publico consilio) haben wollten, so wählten auch die consuln und die tribunen mit consularischer Gewalt, nachdem diese (d. h. die Könige) vertrieben worden waren, alle ihnen am engsten verbundenen von den Patriciern und später auch von den Plebeiern aus; solange bis das Gesetz des tribunen Ovinius intervenierte, durch das festgesetzt wurde, daß die censoren aus jedem stand die jeweils besten (ex omni ordine optimum quemque) unter eid auswählen sollten. Dadurch ist es erzeugt worden, daß die, die übergangen und von ihrem Platz entfernt worden waren, als durch schande gebrandmarkt galten“.

Wenn diese entwicklungsgeschichte richtig ist,13 dann war der senat lange ein immer neu zusammengestelltes Beratergremium des jährlich wechselnden Führungspersonals und damit seiner natur nach partikularistisch, war doch für die Mitgliedschaft vor allem Freundschaft und verwandtschaft mit dem amtierenden consul ausschlaggebend. von einem auf diese Weise ausgewählten Gremium wird man weitestgehende zustimmung zu den Initiativen des consuls erwarten können und gerade keine gemeinsinnsmotivierte Gegenposition im Falle eines Konfliktes zwischen dem consul und den Interessen der res publica. entscheidend ist aber, daß der senat erst nach der und wohl durch die lex Ovinia eine personalkontinuierliche Institution wurde.14 Ohne stabile zugehörigkeit und Präsenz kann aber ein Gremium kaum Bindungs- und vereinheitlichungspotentiale ausbilden, so daß wir mit dem senat als vertreter des Gemeinsinns gegen potentiell eigensinnige ziele der einzelnen senatoren nicht rechnen dürfen – falls denn diese Konstellation, die aus einer recht späten notiz herauskonstruiert ist, die historische entwicklung adäquat einfängt. zur lebenslänglichen Mitgliedschaft, die mit der lex Ovinia der normalfall geworden zu sein scheint, mußte aber noch die regelmäßige anwesenheit und eine gewisse sitzungsfrequenz treten, damit der senat überhaupt die vergemeinschaftung der Mitglieder so weit treiben konnte, daß sie in wichtigen Fällen zugunsten des Ganzen von ihren partikularen zielen absahen. aber auch im frühen 3. Jh. scheint die tätigkeit im senat keineswegs eine fast tägliche oder jedenfalls häufige Beschäftigung aller senatoren geworden zu sein, wie wir das aus der späten republik kennen. so lesen wir davon, daß große Kriegshelden wie M’. curius Dentatus auf ihren Gütern saßen und sich um die landwirtschaft kümmerten, wenn sie nicht im amt waren,15 und daß es die aufgabe von läufern (viatores) war, senatoren in dringenden Fällen von ihren Gütern zu holen.16 Interessant sind auch die hinweise

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beiorum, legebant; donec Ovinia tribunicia intervenit, qua sanctum est, ut censores ex omni ordine optimum quemque ati in senatu legerent. Quo factum est ut praeteriti essent et loco moti haberentur ignominiosi. zur Debatte um die Konjektur iurati vgl. die Diskussion in Jehne 2011b, 218 anm. 37. Wie corneLL 1995, 248; ders. 2000, 73–75 glaubt, zustimmend Jehne 2011b, 218. corneLL 1995, 248; 370; ders. 2000, 72 f. ist der auffassung, daß es zuvor gar keine lebenslängliche Mitgliedschaft gab, doch scheint es mir wahrscheinlicher, daß der Kreis der Personen, die als senatoren in Frage kamen, schon recht fest umrissen war und die amtsinhaber aus diesem Kreis auswählten, so daß so etwas wie eine aktive und passive Mitgliedschaft bestand, vgl. Jehne 2011b, 218 (das ist offenbar auch die auffassung von mommsen 1952, II 1, 420 f.). cic. rep. 3,40; sen. 55; Plut. cat. mai. 2,1–3; vgl. becK 2005, 189. cic. sen. 56; colum. re rust. praef. 18; Plin. n.h. 18,21; Dion. hal. ant. 11,4,3.

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auf die senacula, im Freien gelegene versammlungsplätze von senatoren, die sich dort für Beratungen bereithielten und zweifellos auch ratsuchenden auskünfte gaben und allgemein repräsentierten.17 Die senacula besaßen offenbar vor allem in der frühen und mittleren republik eine gewisse Bedeutung.18 Wie erneut Festus vermerkt, pflegten in dem senaculum, das zwischen capitol und Forum beim tempel der concordia lag, die Magistrate mit den seniores zu beraten, also den Älteren.19 auch varro erwähnt die seniores im zusammenhang mit dem senaculum.20 Dies hat schon mommsen so gedeutet, daß die Präsenz im senaculum die tätigkeit älterer leute war, die für das Militärkommando nicht mehr in Frage kamen.21 es deutet sich also an, daß die regelmäßige Betätigung in der statusgruppe der senatoren zunächst die aufgabe der Älteren war, die jedenfalls nicht mehr die ambition hatten, als consul oder Praetor mit dem heer in den nächsten Krieg zu ziehen. Bei diesen senioren eine gewisse Freiheit zu vermuten, sich von der engstirnigen Fokussierung auf die Familieninteressen zu lösen und gemeinsinnig zu denken, ist eine nicht allzu fernliegende spekulation – aber auch nicht mehr. Das 3. Jh. v. chr. ist eine Periode enormer römischer expansion und langer, schwerer Kämpfe. Daß der senat in rom all dies steuerte und die nunmehr oft weit entfernt von rom agierenden Kommandeure in eine „grand strategy“ einband, war immer problematisch und ist seit den ernüchternden studien von bLecKmann über den 1. Punischen Krieg und denen von corneLL und grossmann über die samnitenkriege unwahrscheinlich geworden.22 auch innenpolitisch ist eigentlich nicht erkennbar, daß der senat sich regelmäßig das ganze Jahr über betätigte und mehr war als die Gruppe der erfahrenen und angesehenen, die rund um die Wahlen und den anfang des amtsjahres über die Feldzüge und die nötigen steuern und aushebungen entschieden und ansonsten eher gelegentlich und diskontinuierlich versammelt wurden.23 Der senat dürfte erst im späteren 3. Jh. zu einem ständig tätigen und alle Bereiche des öffentlichen lebens diskutierenden und kontrollierenden Gremium geworden sein – zu der zeit, als er sich auch hierarchisierte und der consular geboren wurde.

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val.Max. 2,2,6; vgl. Jehne 2011b, 216 f. vgl. mason 1987, 43 f.; 50. Fest. 470 l. s. v. Senacula: Senacula tria fuisse Romae, … Unum, ubi nunc est aedis Concordiae inter Capitolium et Forum, in quo solebant magistratus dumtaxat cum senioribus deliberare, alterum … 20 varro, ling. lat. 5, 156: Senaculum supra Graecostasim, ubi Aedis Concordiae et Basilica Opimia. senaculum vocatum, ubi senatus aut ubi seniores consisterent, dictum ut gerousia apud Graecos. vgl. mason 1987, 41 f. 21 mommsen 1952, III 2, 914 f. 22 bLecKmann 2002; corneLL 2004; grossmann 2009. Für eine weit aktivere und tatsächlich die Operationen verknüpfende und koordinierende Funktion des senats seit dem frühen 3. Jh. argumentiert dagegen höLKesKamP 2004, 36–41, 23 vgl. Jehne 2011b, 219–221.

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2. DIe verMehrUnG Der aUFGaBen Des senats UnD DIe entstehUnG Der cOnsUlare ende des 3. Jh.s und anfang des 2. Jh.s kam es zu einer banalen, aber folgenreichen veränderung für den senat: seine aufgaben vermehrten sich erheblich. Das war zum teil die Konsequenz des gestiegenen regelungsbedarfs infolge der neuen Provinzen und der erweiterung des territoriums. Wichtiger dürfte aber gewesen sein, daß die römische republik spätestens seit 197 die dominierende Macht nicht nur im Westen, sondern auch im Osten des Mittelmeerraumes geworden war, aus dem nunmehr die vertreter zahlloser städte, Bünde und Fürsten nach rom strömten, um sich Unterstützung zu holen oder um gut Wetter zu bitten.24 Die Gravitation der Macht zog die Gesandten an wie der Magnet das eisen. Diese quantitative veränderung schlug in eine qualitative um. hatten die ausweitung des herrschaftsbereichs und die internen Differenzierungsprozesse ohnehin schon einen allmählichen anstieg der aufgaben bewirkt, so sorgten jetzt die Griechen mit ihrer kulturellen Praxis, ständig wegen allem und jedem Gesandtschaften auszusenden, für eine gewaltige zunahme der außenpolitischen Beratungs- und entscheidungsverpflichtungen der römer. Die Institution, die sich primär um die auswärtigen Gesandtschaften zu kümmern hatte, war in rom der senat – ein klar aristokratisches element in der verfassung der republik, wie schon Polybios hervorhob.25 Die vermehrte Beschäftigung des senats mit auswärtigen Gesandtschaften hatte vielfältige Konsequenzen.26 Die Gesandten kamen in solchen zahlen, daß formalisierte verfahrensweisen etabliert werden mußten, wie und wann sie sich anzumelden hatten, wo sie untergebracht wurden, usw.27 Die Gesandten wurden meist nicht sofort vorgelassen, sondern hielten sich in der stadt auf und versuchten, lobbyarbeit für ihre anliegen zu machen. so hofierten sie senatoren, auf deren Unterstützung sie angewiesen waren. Patronagebeziehungen wurden vertieft oder geknüpft. Gesandte besuchten die salutationes, reihten sich also ein in die schar der 24

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canaLi de rossi 1997 hat die griechischen Gesandtschaften nach rom in der republikanischen Ära gesammelt und kommt auf eine zahl von 780. Die zeitliche verteilung sieht so aus: für das 3. Jh. v. chr. sind 58 Gesandtschaften bekannt, für die 1. hälfte des 2. Jh.s v. chr. 304, für die 2. hälfte des 2. Jh.s v. chr. 113, für die 1. hälfte des 1. Jh.s v. chr. 233 und für die Jahre von 49–30 v. chr. 64. Diese zahlen sind sicher verzerrt, denn das Werk des livius, der häufig von solchen Gesandtschaften berichtet, ist nur bis 167 v. chr. erhalten, und die Inschriften, die uns ebenfalls in beachtlicher Menge Gesandtschaften dokumentieren, stammen überwiegend aus dem griechischen Osten, wo der Brauch, ehreninschriften für Gesandte zu errichten, zweifellos ausgeprägter war als in Italien und im Westen. Dennoch denke ich, daß im hintergrund der zahlen eine starke neigung der Griechen steht, Politik über Gesandtschaften zu machen, so daß die Menge der griechischen Gesandtschaften überproportional war, vgl. coudry 2004, 561; ferrary 2007, 116. es ist wohl kein zufall, daß der spezielle versammlungsplatz, an dem Gesandte darauf warteten, in die curie gerufen zu werden, Graecostasis (Griechenstand) hieß (vgl. zur Graecostasis L. richardson 1992, 182 f.). Polyb. 6,13,7–9; vgl. ferrary 2007, 114. In griechischen Poleis war es dagegen üblich, daß alle diese Gesandtschaften vor die volksversammlung gebracht wurden. vgl. dazu auch schon Jehne 2011b, 228 f. vgl. dazu coudry 2004.

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Morgenbesucher römischer senatoren.28 Da nicht alle senatoren – wohl etwa 300 an der zahl im 2. Jh. – besucht werden konnten, hielt man sich zweifellos an die führenden – eben die consulare, die jetzt als die immer zuerst Gefragten im senat wesentlich die Meinung machten.29 consulare im schlichten sinne als ehemalige consuln gab es natürlich seit der zeit, als das consulat geschaffen wurde,30 aber erst mit der hierarchisierung der Oberämter und deren Übertragung in den senat entstand der consular als sozialtypus, der die crême de la crême der politischen Führungsschicht darstellte. als man die Praetur eindeutig unter dem consulat ansiedelte, so daß sie nur noch vor, aber nicht mehr nach dem consulat bekleidet wurde, konnte sich die rangüberlegenheit von consularen gegenüber Praetoriern verfestigen. Dies war erst nach dem ende des 1. Punischen Krieges der Fall,31 so daß wir nicht vor den 230er oder gar erst 220er Jahren davon ausgehen können, daß diese hierarchie in den senat hinübergeschwappt ist.32 Irgendwelche censoren, zu deren aufgaben es seit der lex Ovinia gehörte, die senatsliste aufzustellen, begannen damit, die senatoren entsprechend der Ämter, die jeder erreicht hatte, aufzulisten, und sie stellten logischerweise die consulare an die spitze, denen die Praetorier und aedilicier folgten.33 Der leiter der senatssitzung, ein amtierender consul oder Praetor, rief dann die senatoren bei der Umfrage zu einem tagesordnungspunkt entsprechend dieser liste auf.34 Überhaupt wurde der senat wahrscheinlich erst in dieser zeit eine versammlung von ex-Magistraten. Während das Gremium in den zeiten von ungeordneten Karrieren und nur wenigen jährlich besetzten Posten wohl selbstverständlich aus den angesehenen Familien bestückt wurde,35 war nun spätestens seit 220 die Bekleidung eines curulischen amtes zu einer art anrecht auf den senatssitz geworden.36 Der Dienst 28

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zur berühmten Inschrift aus teos, in der das antichambrieren von Gesandten bei römischen Granden einmal dezidiert erwähnt wird (vgl. den text bei eiLers 2002, c101 [238 f.] z. 21–26), vgl. jetzt goLdbecK 2010, 196–201 (mit der älteren literatur); bLoy 2012, 192–200 (der wieder zur Frühdatierung in die 160er Jahre zurückgekehrt ist). zur besonderen Bedeutung der consulare für die ausrichtung des senats vgl. vor allem auch meier 1984b, 185–191. einiges spricht dafür, daß dies nicht vor 367 geschah, vgl. etwa J. richardson 2008a; ders. 2008b. vgl. becK 2005, 63–70; bergK 2011, 67–74. zur Begründung meiner ansicht, daß die interne Umfragehierarchie im senat zur zeit der lectio senatus des Fabius Buteo 216 schon etabliert war, vgl. Jehne 2011b, 223 f. später dann auch tribunicier und Quaestorier, aber zuvor hatten wohl nur die absolventen der im text genannten Ämter weitgehende Gewißheit, auf der senatsliste aufgeführt zu werden – wenn man sie nicht bewußt überging und damit ausschloß. vgl. etwa Jehne 2012b, 413. Was immer das in der notiz über die lex Ovinia genannte rekrutierungskriterium der censoren, daß sie aus jedem stand die Besten (ex omini ordine optimum quemque, s. o. anm. 12) auswählen sollten, nun genau meinte: man kann es jedenfalls nicht auf die Bekleidung von Ämtern beziehen. Der Bericht des livius über die lectio senatus des Fabius Buteo 216 belegt das klar, vgl. liv. 23,23,5: Recitato vetere senatu, inde primos in demortuorum locum legit qui post L. Aemilium C. Flaminium censores [d. h. nach 220] curulem magistratum cepissent necdum in senatum lecti essent, ut quisque eorum primus creatus erat. Buteo nahm also zuerst die auf, die seit der letzten lectio curulische Ämter bekleidet hatten, und daraus folgt, daß die vorangehenden cen-

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für die res publica, als die man das – unbesoldete – amt auffassen konnte, qualifizierte also für den senat. Der entstehung der klaren Ämterhierarchie und der Bindung der Umfrage unter den senatoren an diese hierarchie entsprach die verbindliche Fixierung von Karriereschritten. nach dem ausnahmezustand des 2. Punischen Krieges, als formelle wie informelle regeln des Ämterwesens suspendiert wurden und besonders erfahrene Kommandeure eine Fülle von Oberämtern innehatten,37 wurden die Magistraturen nun in fester reihenfolge bekleidet, d. h. erst die Praetur, dann das consulat. spätestens mit der lex Villia annalis von 180 wurde diese reihenfolge gesetzlich vorgeschrieben und an ein Mindestalter geknüpft in der Weise, daß man für die Praetur wenigstens 40, für das consulat wenigstens 43 Jahre alt sein mußte.38 Die massive Konkurrenz um die Oberämter, die wir im frühen 2. Jh. deutlich fassen können,39 sollte dadurch vermutlich entschärft werden – wobei es unklar ist, wie weit das wirklich gelang. Damit ging die Distanzierung von der Iteration einher, also der mehrfachen Bekleidung des consulats, die wohl 151 abgeschafft wurde.40 Die hierarchisierung innerhalb des senats machte für auswärtige Gesandte, aber auch für sonstige Bittsteller berechenbar, bei welchen senatoren der persönliche einsatz für das eigene anliegen besonders folgenreich sein konnte. Diese einflußvermutung verstärkte den effekt: Indem man den consularen Macht zuschrieb, vermehrte man diese, denn nun konnte man Mengen von Besuchern bei ihnen sehen und leute, die unterwürfig den Kontakt mit ihnen suchten – und das lud zur nachahmung ein. Im senat selbst sprachen die Gesandten, wenn ihre sache dort endlich auf der tagesordnung stand, schmeichelnd und ehrerbietig vom senat und von den senatoren und bestärkten diese in ihrem selbstbild, daß sie die Welt regierten. Die auswärtige Politik war natürlich nicht das einzige Feld, auf dem der senat tätig wurde, aber angelegenheiten des reiches wurden häufig verhandelt, und sie hatten einen starken Gemeinschaftsbezug, da hier der senat ganz eindeutig die res publica vertrat und in ein gemeinsinniges argumentationsfeld eingespannt war. zudem gab es noch eine andere seite: senatoren empfingen nicht nur die Gesandtschaften, sondern sie gingen auch selbst auf Gesandtschaftsreise, und das in offenbar steigender Menge.41 als Gesandte bekamen sie zumeist einen klaren auftrag vom senat, ordneten dann z. B. die lage nach Kriegen, schauten den Kommandeu-

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soren von 220 eben auch nach diesem Prinzip verfahren waren, da offenbar alle Inhaber curulischer Ämter bis 220 schon senatoren waren. vgl. ryan 1998, 160; Jehne 2011b, 222 f. vgl. becK 2005, 96–105; s. auch Lundgreen 2011, 65–67; 87–89. vgl. zur lex Villia jetzt Jehne 2012b, 422–426 (dort in anm. 76 die ältere literatur). vgl. v. a. eVans 1991. vgl. KunKeL/(Wittmann) 1995, 6 mit anm. 6. canaLi de rossi 2000 hat auch die überlieferten römischen Gesandtschaften von der Königszeit bis 60 v. chr. gesammelt. von den insgesamt 166 Gesandtschaften fallen 82 in die zeit von 200 – 151 v. chr. (nr. 58–140). zwar ist unsere Überlieferungslage für diesen zeitraum besonders gut (s. o. anm. 24), doch liegt diese überproportional große zahl – fast die hälfte der Gesamtzahl – nicht allein daran, sondern hat sicher etwas mit der besonderen Intensität diplomatischer aktivitäten zu tun. Dabei spielte wohl eine rolle, daß die römer so lange keine amtsträger fest im griechischen Osten installierten und daher für all das, was später zum teil in den Provinzen selbst abgearbeitet werden konnte, Gesandte schicken mussten.

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ren vor Ort auf die Finger, übermittelten Wünsche und Drohungen des senats und vertraten überall die Interessen und ansprüche der römischen res publica. Die vermehrung der Diplomatie innerhalb und außerhalb des senats stellte eine günstige Konstellation für dessen gemeinsinnige Orientierung dar. Gesandtschaftsaufgaben und auswärtige Politik waren nicht die einzigen, doch wahrscheinlich die angesehensten Bereiche senatorischer tätigkeiten. Im senat konnte man eingeschüchterte Gesandte aus allen teilen des Mittelmeerraumes erleben, die dem senat Komplimente machten, und die Wahrnehmung, daß der senat äußerst einflußreich war, dürften wohl die meisten Gesandten mit nach hause gebracht haben.42 Gesteuert wurde der senat offenbar zunehmend von den consularen.43 sie kamen nun immer als erste an die reihe, und nachdem sie ihre Meinung geäußert hatten, gab es für die senatoren der unteren rangstufen wohl kaum noch etwas zu sagen. natürlich hatten sie als große Patrone auch eigene Interessen, und in den fluiden Personalverbindungen der römischen Politiker gab es immer wieder anlaß, den einen Kommandeur oder Gesandten zu unterstützen und den anderen nicht. aber die consulare konnten selber fast nichts mehr werden. Iterationen des consulats waren selten, die censur stand nur für wenige noch an und bedeutete im senat keine wesentliche rangerhöhung.44 Gleichzeitig machte die angewachsene agenda des senats eine kontinuierliche anwesenheit und arbeit der senatoren erforderlich, die zudem bei den auftritten der Gesandtschaften und mit der entscheidung ihrer anliegen regelmäßige herrschafts- und Überlegenheitserlebnisse genießen konnten. Die consulare standen an der spitze und hatten nun eine aufgabe, die ihrem rangbewußtsein angemessen war, und sie waren verhältnismäßig frei von persönlichen Karriereinteressen, so daß sie sich weitgehend um die res publica kümmern konnten. Die senatoren aus den unteren rangklassen, die ja durchaus noch weiter Karriere machen wollten, dürften es vermieden haben, consulare vor den Kopf zu stoßen, und sich normalerweise angepaßt haben. Die amtierenden und im Felde kommandierenden Oberbeamten mit ihrem auf die Förderung der künftigen Karriere oder auf den militärischen erfolg gerichteten ehrgeiz waren durchaus bereit, die eigenen Interessen einfach als die der res publica anzusehen, doch da der senat die entscheidungsgewalt über die verlängerung von Kommandozeiten und die vergabe von triumphen ebenso in den händen hielt wie die aussendung von Gesandtschaften zur Kontrolle und Informationsbeschaffung, mußten sie sehr wohl auf den senat und seine Wünsche achten und sich entsprechend verhalten. Der senat wurde so zum hüter des Gemeinsinns, weil er in seiner Masse und gestützt auf die geringen 42 43

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Der senat wird in I Makk. 8,14–16 als zentrales Organ der römer neben einem [sic] jährlich wechselnden, aber weitreichend ermächtigten Magistrat charakterisiert; der senat habe täglich beraten über das volk und wie es wohl zu ordnen sei. vgl. ferrary 2007, 114 f. eine besondere rolle spielt unter den consularen der princeps senatus, der erste unter ihnen, der meiner Meinung nach erst mit den consularen und der etablierung der Umfragehierarchie entstand (vgl. Jehne 2011b, 222 anm. 52). entgegen der auffassung, die Führung des senats habe recht weitgehend auf den schultern des princeps gelastet (vgl. zu seiner rolle bes. meier 1984b, 197–204; s. auch bonnefond-coudry 1993; ryan 1998, 171–246), denke ich eher an eine kollektive verantwortlichkeit der consulare und eine besondere vermittlungsfunktion des princeps, aber dies kann hier nicht näher begründet werden. vgl. ryan 1998, 96–102.

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persönlichen Karriereperspektiven der consulare die strukturell noch vom persönlichen Interesse bestimmten Magistrate in schranken hielt. Diese attitüde des senats setzte sich wohl erst unter den genannten rahmenbedingungen im frühen 2. Jh. durch und schwappte dann von den äußeren angelegenheiten, wo sie sich vermutlich zunächst ausbildete, auf die inneren über. Damit ging allerdings eine entwicklung einher, die in der Folgezeit dann durchaus Probleme aufwarf: in der zeit der gigantischen ausweitung des römischen reiches fixierte sich die Politik immer mehr auf rom, wo der senat saß. 3. senatOrIsche GeMeInschaFt UnD senatOrIsche PrIvIleGIen Daß sich der senat als Gemeinschaft in wichtigen Fragen gemeinsinnig gerierte und dem eigennutz entgegentrat, basierte auf einem gewissen Gemeinschaftsgefühl, und dazu konnte die Differenzmarkierung nach außen beitragen. Der senatorische sonderstatus wurde zunächst einmal in der Kleidung deutlich. zwar waren die toga praetexta und der goldene ring keine exklusiven vorrechte der senatoren,45 doch der latus clavus, der breite Purpurstreifen auf der toga, war das wesentliche senatorische abzeichen.46 Darüber hinaus trug der senator spezielle schuhe.47 In verbindung mit der großen Gefolgschaft, die einen senator zu begleiten pflegte,48 dürfte dieser von jedem Passanten als solcher identifiziert worden sein, wenn man sich auf den straßen roms begegnete. aus der bürgerlichen Gleichheit, die mit der bei festlichen anlässen von allen Bürgern zu tragenden toga versinnbildlicht wurde, wurden senatoren und auch ritter, die den schmalen Purpurstreifen am Gewand hatten, als übergeordnete statusgruppen herausgehoben.49 194 v. chr. ging man noch weiter. Bei den spielen dieses Jahres wurden die senatoren zum ersten Male im theater gesondert plaziert, nämlich in den ersten reihen vor dem rest des römischen volkes.50 Wie livius und valerius Maximus, unsere Gewährsleute für diese episode, ausführen, hatte man bisher vermischt gesessen, und es gab jetzt Unmut im volke, daß sich die herren senatoren mittlerweile offenbar zu fein dafür waren, neben einfachen leuten zu sitzen.51 scipio af45 46

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vgl. schoLz 2005, 417–420. von den Bildwerken her ergibt sich kein sehr klarer Unterschied zwischen dem breiten Purpurstreifen eines senators und dem schmalen eines ritters. Daher dürfte die Differenzierung zwischen einem senator und ritter allein aufgrund des Purpurstreifens nicht immer leicht gefallen sein, vgl. bergemann 1990, 23 f.; s. auch boschung 2005, 98. auch die senatorischen und die patricischen schuhe (vgl. dazu goette 1988, 449–464) waren nicht leicht identifizierbar, außerdem wurde der Unterschied zum normalen schuhwerk nicht einmal bei Kaiserstatuen konsequent angewendet (vgl. bergemann 1990, 23 f.; boschung 2005, 98). vgl. muñiz coeLLo 2004. vgl. zur prinzipiell egalitären symbolik der toga schoLz 2011, 81 f., zu senatorischen abzeichen ebenda 86–88. Für diese regelung vgl. z. B. ungern-sternberg 2006. liv. 34,54,4–7; val. Max. 2,4,3.

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ricanus, der das Projekt als consul des Jahres unterstützt hatte, soll seine Position dann schon bedauert haben, da er an Popularität verlor.52 aber jedenfalls betrieb er hier die demonstrative Überhöhung der senatoren gegenüber den normalbürgern. Daß es, wie valerius Maximus an anderer stelle vermerkt, die einfachen Bürger auch schon vor der formalen regelung nicht gewagt hatten, sich vor die senatoren zu setzen,53 mag im Kern richtig sein, doch besteht zweifellos eine Differenz zwischen dem in der Praxis erwiesenen respekt und dem formalen verbot. Ob diese neuregelung in einem regelrechten Gesetz vom volk selbst beschlossen wurde, kann man bezweifeln. Wahrscheinlicher ist ein senatsbeschluß, der die aedilen, die die ludi Romani abhielten, anwies, entsprechend zu verfahren, und das auch allen späteren spielgebern auferlegte. Der senat betrieb seine eigene heraushebung aus der Bürgerschaft an einem Ort, der zwar nicht der Inszenierung von Gleichheit vorbehalten sein mußte, es aber, wie unsere Quellen ausdrücklich behaupten, 558 Jahre gewesen war.54 Dies war der einstieg in die Differenzierung der sitzordnung im römischen theater, die dann mit der lex Iulia theatralis des augustus soweit getrieben wurde, daß die zuschaueranordnung die gesellschaftliche hierarchie zur Darstellung brachte.55 Die ungeregelte sitzverteilung im theater war höchstwahrscheinlich rein traditionell gewesen, und die einführung des senatorischen sonderstatus folgte wohl aus einer senatsempfehlung an die Magistrate, den senatoren eine gebührende ehre zukommen zu lassen. ersichtlich ist jedenfalls, daß sich anfang des 2. Jh.s, als der senat ständig von auswärtigen Gesandtschaften hofiert wurde und mit seinen entscheidungen für den einen und gegen den anderen fast im ganzen Mittelmeerraum herumregierte, bei den senatoren ein gewisses Bedürfnis einstellte, als Gruppe stärker herausgestellt zu werden. Doch im Grunde blieb die öffentliche hervorhebung des senats immer noch recht bescheiden. vermutlich setzte die Grundregel, daß die verbindlichen entscheidungen im Gemeinwesen formal per volksbeschluß getroffen werden mußten, der rituellen Überhöhung des senats als eines ja eigentlich beratenden Gremiums Grenzen.56 Bedrohlich für den gemeinsinnigen anspruch des senats waren denn auch nicht so sehr prominente sitze bei spielen als vielmehr die Praxis der selbstprivilegierung. Bis zu einem gewissen Grade war der senat nämlich nicht nur der hüter und hort des Gemeinsinns, sondern auch der herr über die ausnahmen. es gibt eine reihe von Fällen, in denen der senat für einzelne seiner Mitglieder beschloß, daß Gesetze und regelungen auf sie nicht angewandt werden sollten. exemtion vom Gesetz konnte natürlich die volksversammlung gewähren, die schließlich das normsetzungsorgan war, das die Gesetze produzierte und gegebe52

liv. 34,54,8; bei val. Max. 2,4,3 ist er versehentlich mit seinem enkel scipio aemilianus verwechselt worden. 53 val. Max. 4,5,1: numquam tamen quisquam ex plebe ante patres conscriptos in theatro spectare sustinuit: adeo circumspecta civitatis nostrae verecundia fuit. 54 liv. 34,54,6; val. Max. 2,4,3. 55 vgl. dazu z. B. raWson 1987. 56 Daß der senat trotz seiner formalen Beschränkung auf unverbindliche empfehlungen faktisch die entscheidungen dominierte, hat KunKeL 1972, 12–22 herausgearbeitet.

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nenfalls modifizierte oder abschaffte. Doch tatsächlich hatte der senat diese Kompetenz der Gewährung von ausnahmen weitgehend an sich gezogen, wobei er seine eigenen Mitglieder bedachte. Dabei sollen spezialregelungen für einzelpersonen schon in den zwölftafelgesetzen verboten worden sein.57 nun waren ausnahmen nicht immer problematisch. so dürfte der Beschluß, für den erblindeten consular l. Metellus das Fahrverbot in der römischen Innenstadt zu lockern, leicht nachvollziehbar und auch für sehfähige Bürger nicht anstößig gewesen sein – bezeichnenderweise wurde ihm dieses vorrecht auch vom populus Romanus gewährt.58 Doch oft ist die Gewährung einer ausnahme zum Wohle eines Individuums eine zurücksetzung der nicht-Betroffenen und insofern in ihren Konsequenzen durchaus mit nachteilen für andere verbunden. Dies ist besonders deutlich bei den sonderregelungen für die Ämterlaufbahn, die von den angehörigen der Führungsschicht zur statusbestätigung oder –verbesserung durchlaufen werden mußte. als cicero anfang des Jahres 43 v. chr. seine merkwürdige Koalition gegen antonius zusammenschmiedete, beantragte er auch einen senatsbeschluß, man solle l. egnatuleius in anerkennung seiner verdienste das recht verleihen, sich drei Jahre vor dem gesetzlichen Mindestalter um die Ämter bewerben zu dürfen.59 ciceros Kommentar, das sei für egnatuleius eher eine ehre als ein vorteil,60 ist spitzfindig, aber nicht voll überzeugend: Mit der vorzeitigen Bewerbung war egnatuleius natürlich noch nicht gewählt, aber das Privileg dürfte als solches eindruck gemacht haben, so daß seine chancen stiegen, während die Konkurrenten um die Ämter durch die Privilegierung des egnatuleius zurückgesetzt wurden. Gerade bei den heiß umkämpften Wahlen handelte es sich um ein nullsummenspiel: Jeder vorteil für einen Mitbewerber war ein nachteil für die Gegner. Gängiger aber als Befreiungen von den gesetzlichen vorschriften des cursus honorum61 waren verleihungen von legationes liberae, also freien Gesandtschaften. legaten pflegten auf senatsbeschluß ernannt und mit einem bestimmten auf57

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XII tab. 9,1: Privilegia ne inroganto (cicero griff das in seinem Kanon der Gesetze auf, aus dem auch unser zitat aus den 12 tafeln stammt, cic. leg. 3,11; vgl. 44; s. auch dom. 43; sest. 65). zu beachten ist, dass die römer unter einem privilegium nur das sich speziell auf eine einzelperson beziehende Gesetz, nicht aber die ausnahme vom Gesetz verstanden (vgl. für einen Überblick über Quellen und moderne Forschung scarano ussani 1992, 9–15). Der mit einer exemtion bedachte Bürger hieß offenbar legibus solutus (vgl. etwa asc. in corn. p. 47 st. [58 cl.]; p. 48 st. [59 cl.]; zu der bei asconius diskutierten auseinandersetzung des Jahres 67 v. chr. vgl. knapp u. anm. 68). Plin. n.h. 7,141. cic. Phil. 5,52: ob eam causam placere uti L. Egnatuleio triennio ante legitimum tempus magistratus petere, capere, gerere liceat. cic. Phil. 5,52 im anschluß an den text in anm. 59): In quo, patres conscripti, non tantum commodum tribuitur L. Egnatuleio quantus honos: in tali enim re satis est nominari. Daß der spielraum des senats bei der Gewährung von sonderrechten hinsichtlich des cursus seit der lex Villia annalis von 180 kleiner geworden war, vermutet becK 2005, 52 f. sein Beispiel ist die Bewerbung des t. Quinctius Flamininus um das consulat von 198 v. chr. als sich t. Flamininus direkt aus der Quaestur heraus für das consulat bewarb, schritten volkstribune dagegen ein, da damit die üblichen zwischenämter übersprungen wurden, doch der senat entschied zugunsten des Flamininus (liv. 32,7,8–10). Bezeichnenderweise argumentiert der senat bei livius ausdrücklich damit, daß mit dem sonderfall des Flamininus ja nicht formal einem

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trag versehen zu werden. Oft reisten sie in fremde Gemeinwesen und führten dort verhandlungen im namen roms oder überbrachten Botschaften des senats. sie waren also repräsentanten roms, die in offizieller Mission unterwegs waren und sich konsequenterweise auch der üblichen ausstattung und der vorrechte römischer Würdenträger erfreuen konnten: sie erhielten spesen aus der staatskasse, hatten das recht, von mit rom verbundenen Gemeinden gewisse Dienste wie Quartier und transport einzufordern, wurden von den statthaltern in den Provinzen, die sie bereisten, mit lictoren als zeichen ihrer offiziellen tätigkeit ausgestattet62 und genossen Immunität.63 Daß solche legaten neben ihren aufträgen auch gerne private angelegenheiten miterledigten, dürfte sich schon früh ergeben und niemanden gestört haben. Doch schließlich kam die Unsitte auf, daß einem senator, der in eigener sache auf reisen gehen wollte, auch ohne jeden staatlichen auftrag eine legatio verliehen werden konnte, kraft derer er weitgehend dieselben vergünstigungen genoß wie die Kollegen in offizieller Mission.64 Diese sogenannte legatio libera, die Gesandtschaft, die frei von verpflichtungen für das Gemeinwesen war, stellte ein klassisches Privileg dar: es war reserviert für senatoren65 und wurde vom senat beschlossen, und es vermischte private und öffentliche Interessen in unheilvoller Weise. Wann diese Praxis etabliert wurde, wissen wir nicht.66 Die freien Gesandtschaften begegnen uns vor allem als gern genutztes Mittel, eigene Finanzinteressen irgendwo im reich zu verfolgen und dafür die staatlichen ressourcen und die leistungsverpflichtungen der Untertanen und verbündeten in anspruch zu nehmen.67 Das wurde sogar in der senatorenschaft selbst als anrüchig empfunden, und so bemühte sich cicero in seinem consulat 63, die legatio libera abzuschaffen. Daß ihm das nicht gelang, zeigt deutlich, wie wenig die senatoren gewillt waren, ihr Privileg

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Gesetz zuwidergehandelt werde (liv. 32,7,11), und eine solche Begründung war nach der lex Villia nicht mehr möglich. vgl. zu der episode PfeiLschifter 2005, 52–65. cic. fam. 12,21. vgl. zur legatio libera mommsen 1952, II 1, 690–692; WiLLems 1968, I, 149 f.; suoLahti 1969. suoLahti 1969, 116 f. bezweifelt die materielle Unterstützung aus der staatskasse, außerdem den schutz vor anklage bei einer legatio libera, doch halte ich die Quellenbelege, die er gegen letzteres anführt, nicht für in seinem sinne zwingend (vgl. auch schLeussner 1978, 189 f. anm. 295). aus cic. att. 2,18,3 geht nur hervor, daß cicero nicht glaubt, sich durch eine freie Gesandtschaft zwecks erfüllung eines privaten Gelübdes dauerhaft vor clodius schützen zu können, und das dürfte wohl eher an der Möglichkeit liegen, eine solche scheingesandtschaft leicht widerrufen bzw. beenden zu können, als an dem mangelnden schutz des Gesandten. cic. att. 15,11,4 hebt überhaupt nur auf die Dauer einer solchen Gesandtschaft ab, die sich, zumal nach einem Beschränkungsgesetz caesars, eben nicht beliebig ausdehnen ließ. Dies ist nicht dezidiert überliefert, doch ist unter den nutznießern von legationes liberae, die wir kennen, keiner dabei, von dem wir wissen, daß er kein senator war (vgl. suoLahti 1969, 115). Man hat lange die Gesandtschaft des scipio nasica 132 v. chr., der als anstifter und anführer des Mordes an dem volkstribunen ti. Gracchus in eine schwierige lage geraten war, für die erste uns überlieferte legatio dieses typs gehalten, mit der nasica vom sympathisierenden senat nach Kleinasien gewissermaßen in sicherheit gebracht worden sei (vgl. z. B. suoLahti 1969, 114). Doch mittlerweile ist klar, daß nasica eine reguläre Gesandtschaft mit staatlichem auftrag innehatte (vgl. das referat der wesentlichen argumente bei Jehne 2012b, 419 anm. 68). vgl. etwa cic. leg.agr. 1,8.

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aufzugeben. Immerhin erreichte cicero, daß die Dauer der Gesandtschaften dieses typs auf höchstens ein Jahr beschränkt wurde.68 Mit der Gewährung von Privilegien für die angehörigen des eigenen Gremiums geriet der senat auf abwege. er bediente damit klar partikulare Interessen, die mit der Orientierung auf die Gemeinschaft nichts zu tun hatten. Da Gemeinsinnigkeit stets ein anspruch war, der von anderen bestritten werden konnte, lieferte die Unterstützung privater Interessen durch den senat argumente für die auffassung, der senat kümmere sich gar nicht primär um die res publica, sondern um die eigenen Belange der senatoren. Dem wollte man im senat eigentlich entgegenwirken. noch der Kaiser tiberius war empört, als ein senator sein traditionelles Initiativrecht, das darin bestand, daß jeder seiner Meinungsäußerung zum anstehenden tagesordnungspunkt Bemerkungen zu beliebigen anderen Fragen hinzufügen durfte, zur Darstellung eines privaten anliegens nutzte.69 Das consilium publicum des römischen Gemeinwesens hatte sich mit den öffentlichen angelegenheiten zu beschäftigen und nicht private Interessen zu fördern. Die Möglichkeiten des senats, in wichtigen Fragen zusammenzustehen und an das große Ganze zu denken, waren durch die veränderungen des späteren 3. und des frühen 2. Jahrhunderts wohl eher gestärkt worden. Die Meinungsumfrage im senat war, wie oben schon dargelegt, nunmehr hierarchisiert und an die Karrierestufen der Ämterlaufbahn angebunden. Dabei war den consularen als oberster rangstufe eine besondere Bedeutung zugewachsen. sie kamen stets als erste an die reihe bei der Umfrage im senat, und sie machten so die Meinung. Daß diese formale hierarchisierung nicht dazu führte, daß andere senatoren gerade nicht kooperieren wollten, und daß auch die consulare miteinander nicht in permanenten streit gerieten, hat wohl mehrere Gründe. zum ersten hatten die consulare ja gerade einfluß, so daß den weiter unten stehenden senatoren mit Blick auf eigene aufstiegswünsche an einem guten verhältnis zu den consularen gelegen war. zum zweiten war die feste reihenfolge im rederecht das einzige element der formalen Ungleichheit im senat. Das stimmrecht aller senatoren war gleichwertig, außerhalb des senats trugen alle dieselben rangabzeichen und saßen alle gemeinsam auf den vorderen Plätzen im theater ohne rangabstufung. Der senat erweckte also nach außen den eindruck einer geschlossenen Gruppe, nur im Inneren, wenn man unter sich war, gab es die fixierte redefolge. zum dritten besaß der senat mit der abstimmungsform der discessio, in der die senatoren zu den vertretern unterschiedlicher entscheidungsempfehlungen traten und so die Mehrheit festgestellt wurde, eine wohl wirksame Methode, den Dissens nicht zu einer spaltung anwachsen zu lassen, sondern durch einen zustimmungssog, der die unteren rangklassen zur sich abzeichnenden 68

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cic. leg. 3,18; vgl. auch leg. 3,9, wo cicero in seinem – literatur gebliebenen – Gesetzescodex die legationes liberae ganz abschafft. In einem Gesetz caesars wurde ebenfalls eine zeitliche und räumliche Begrenzung festgelegt (cic. att. 15,11,4). 67 hatte der tribun c. cornelius schon versucht, solche Privilegienvergabe der volksversammlung vorzubehalten, war aber gescheitert und hatte sich damit zufrieden geben müssen, daß im senat für Beschlüsse dieses typs ein Quorum von 200 anwesenden festgesetzt wurde (asc. p. 48 st. [58 s. cl.]); vgl. Jehne 2012b, 420–422. tac. ann. 2,38,1.

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Mehrheit zog, zu klaren voten zu kommen.70 zum vierten konnten die consulare fast nichts mehr werden und waren daher frei für die Orientierung auf die anwachsenden aufgaben der res publica und des senats. Doch der senat gefährdete die Wirkung der eigenen Gemeinsinnsbehauptungen gegen einzelinteressen, wenn er sich selbst zum handlanger der eigensinnigkeit von senatoren machen ließ. Die legatio libera stellte daher einen performativen Widerspruch dar. 4. DIe GeFÄhrDUnG Der POsItIOn Des senats In Der nachsUllanIschen rePUBlIK tatsächlich wurde der senat offenbar seit der Gracchenzeit verstärkt als Partei wahrgenommen. noch heute ist ja kaum nachvollziehbar, warum das landverteilungsgesetz des ti. Gracchus so erbitterten Widerstand hervorrief, daß die situation immer weiter eskalierte. Die verteidigung der Okkupation von ager publicus gegen einen antrag, einen teil davon an einfache römer zu verpachten, damit sich diese eine bäuerliche existenz schaffen konnten, und den anderen teil den Okkupanten als Privatland zuzusprechen,71 war mit gemeinsinnigen argumenten kaum zu rechtfertigen. so blieb dem senat dann, als auch c. Gracchus den tod gefunden hatte, nur die Übertünchung der Partikularismen durch den Beschluß, einen concordiatempel am Forum zu bauen.72 hier möchte ich nicht im Detail die ambivalente rolle des senats in der nachgracchenzeit nachzeichnen, sondern ich werde mich auf die Periode nach der großen reform sullas konzentrieren. Das ziel sullas scheint nach allem, was wir erschließen können, die Befestigung der res publica durch sicherung der zentralen rolle des senats gewesen zu sein,73 doch hatte der senat in der Folgezeit schwierigkeiten, sich in den wichtigen Fragen auf das Gemeinsame zu besinnen und sich auch noch durchzusetzen. Was ging hier schief und warum? sulla hatte die Initiativen der volkstribune an die zustimmung des senats gebunden und deren Intercessionsrecht eingeschränkt, also das recht, Gesetzesabstimmungen und senatsbeschlüsse zu verhindern.74 Damit war ein wesentliches hindernis, das der steuerung der Politik durch den senat in den vorangehenden Jahrzehnten immer wieder entgegengestanden hatte, erst einmal beseitigt. tatsächlich konnte sich der senat 78/7 gegen den consul lepidus behaupten75 und ebenso 63/2 gegen catilina,76 obwohl die Beschränkungen der tribunicischen Gewalten bis 70 schon wieder aufgehoben worden waren. Daß dazu auch immer ein tatkräftiger 70 71 72

vgl. dazu timmer 2009, bes. 403 f. zur lex agraria des ti. Gracchus s. rotondi 1966, 298 f. augustin. civ. 3,25; app. b. c. 1,26 (120); Plut. c. Gracch. 17,8 f. vgl. zum concordia-slogan in diesem Kontext burcKhardt 1988, 78–85. 73 vgl. etwa KeaVeney ²2005, 150 f. 74 vgl. zur lex Cornelia de tribunicia potestate die Belege bei rotondi 1966, 350 f. 75 vgl. zum sog. lepidus-aufstand v. a. Labruna 1975, 49–81; 157–166. 76 zum erfolg des senats und zu seinem erstarken gerade wegen dieses erfolges, der verhinderte, daß man sich auf die rückrufung des Pompeius aus dem Osten für den Kampf gegen catilina einließ, vgl. die glänzende analyse von meier 1962.

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consul im amt erforderlich war – 78 Q. lutatius catulus, 63 M. tullius cicero –, war kein Widerspruch, denn die regimentsweise des senats hatte immer so funktioniert, daß die von einem starken senat getragene entscheidung von den amtsträgern umgesetzt wurde. Dennoch verlor der senat zunehmend die Kontrolle über die römische Politik in wesentlichen Fragen. Dazu trugen sicherlich die nebenwirkungen der senatsvergrößerung bei. Wie sollte der durch sulla in großem Umfang neu konstituierte senat so weit integriert werden, daß er in den wichtigen Momenten tatsächlich auf die res publica achtete und viele einzelinteressen zurückzustellen vermochte? Die aufgabe, die vielen senatoren zu dieser Grundhaltung mitzureißen, oblag zweifellos den consularen, und da erzeugte sullas gutgemeinte reform ein krasses Mißverhältnis. Den wohl zunächst ca. 450 senatoren77 standen nach sullas Dictatur vielleicht noch 12–15 consulare gegenüber,78 die in keiner Weise in der lage waren, die Massen von neusenatoren nicht nur durch ihr vorbild, sondern auch durch persönliche Kommunikation in die Gemeinschaft zu integrieren. zudem hatten die senatoren, alte wie neue, einen brutalen Bürgerkrieg mit zahllosen Opfern hinter sich, der seiner natur nach nicht so sehr den Gemeinschaftsgeist als vielmehr das Parteidenken eingeschliffen hatte. Davon war so leicht nicht abzukommen. es dürfte mindestens ein Jahrzehnt gedauert haben, ehe die Gräben sich langsam einebneten.79 schlimmer aber noch wirkte der antagonismus des senats bzw. seiner Führungsgruppe mit den erfolgreichen Feldherrn, allen voran Pompeius. Diese Konflikte sind ohnehin die standarderklärung für die Problemkonstellationen der späten republik und auch ihres endes. hervorzuheben ist aber, daß sich darin eine systemschwäche offenbart, die manchmal besser verdeckt und überbrückt werden konnte, manchmal schlechter, die aber nicht zu heilen war. Der römische Kommandeur weit weg von rom war mit seinem eigeninteresse, Kriegsruhm zu erwerben und vielleicht auch Beute zu machen und möglichst alle seine standesgenossen zu übertreffen, nur schwer vom senat an die Kandare zu nehmen, wenn dieses eigen77

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santangeLo 2006, 8–11 hat die gängige einschätzung, daß der nachsullanische senat ca. 600 Mitglieder hatte, einer Kritik unterzogen. Gestützt auf die Bemerkung bei app. b. c. 1.101 (468), daß sulla 300 ritter in den senat aufnahm, und mit dem hinweis auf die erheblichen verluste an senatoren in der Bürgerkriegszeit (nicht zuletzt durch sullas Proscriptionen) vertritt santangeLo die auffassung, der senat sei nur auf eine Größe von ca. 450 senatoren angewachsen. Das ist eine durchaus einleuchtende vermutung, doch dürfte der senat durch die jährliche aufnahme von 20 Quaestoriern im laufe der Jahre weiter angeschwollen sein, vgl. Jehne im Druck b. eVans 1983, 522 hat für das Jahr 81 fünf consulare ermittelt, die sicher noch am leben und nicht im exil waren, dazu kommen neun unsichere Fälle (ebd. 523 f.), die aber sicher nicht alle noch aktiv waren. rechnet man nun die zwei consuln von 81 und den von 80 dazu (der andere war sulla, der schon gezählt ist), dann kommen wir auf mindestens 8 und höchstens 17 consulare im Jahre 79. Wie schwierig der Umgang mit den Folgen des Bürgerkriegs war, zeigen die Konflikte um caesars Wiederaufrichtung der statuen des Marius (suet. caes. 11; vell. 2,43,4; Plut. caes. 6,1–7; vgl. 5,2 f.), um die Prozesse gegen sullanische Proscriptionsgewinnler (vgl. z. B. suet. caes. 11; Dio 37,10,2; s. insgesamt hinard 1985, 204–217), um die Initiativen zur reintegration der Proscribiertensöhne (vgl. dazu hinard 87–100; 151 f.; 162–186; 207–218).

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interesse mit dem Wohl der res publica in einen Gegensatz geriet.80 Gleichzeitig waren die wirklich überragenden Kriegshelden nach ihrer rückkehr nicht ohne weiteres bereit, sich mit dem ende der Karriere abzufinden und sich im senat mit den anderen consularen zusammenzuraufen – genau darauf lief es aber im 2. Jh. hinaus, als die verfestigten Karrierevorschriften und die große Konkurrenz eine erneute Bekleidung wesentlicher Kommandopositionen unwahrscheinlich machten.81 Daß man die Jungstars des frühen 2. Jh.s, allen voran P. cornelius scipio africanus, aber auch t. Quinctius Flamininus, noch einigermaßen bremsen konnte, erforderte schon erhebliche anstrengungen. Daß sich der senat dazu aufraffen konnte, ist eher über die im gemeinsinnigen Gewand auftretenden lenkungsabsichten dieses neu ausgerichteten Gremiums erklärbar als über die Parteiungskämpfe, mit denen man es lange versucht hat.82 Bei dem nächsten großen star, scipio aemilianus, half der – für das senatsregime wohl glückliche – zufall, daß der große sieger in Karthago und numantia bald nach seiner rückkehr überraschend starb.83 Marius schaffte es dann aber mit seinen sechs consulaten in acht Jahren, das Iterationsverbot gründlich auszuhebeln, und der Bürgerkrieg bescherte der res publica den allmächtigen Dictator sulla, der eigensinnig seine vorstellungen von Gemeinsinn durchsetzte und dem senat nur eine handlangerrolle einräumte. als Pompeius seinen sonderweg einschlug, hatte ihm der senat nicht viel entgegenzusetzen.84 Durch die häufung von militärischen Kommanden wurde Pompeius in die lage versetzt, ruhm und clientelen weit über das bekannte Maß hinaus erwerben zu können.85 Bei den Debatten über das seeräuberkommando 67 und über das Kommando gegen Mithradates 66 ist in unseren Quellen dezidiert greifbar, daß die führenden consulare Q. lutatius catulus und Q. hortensius tatsächlich als hüter des Gemeinsinns agierten. catulus betonte, es dürfe nichts neues gegen die Beispiele und einrichtungen der altvorderen eingeführt werden.86 letztlich ist das ein auf das Wohl der res publica gerichtetes und damit gemeinsinniges argument, denn schließlich war allgemein anerkannt, daß die res publica auf den einrichtungen der vorfahren fußte und sich durch die Kette von nachahmenswerten leistun80 81

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so war es schon im 4. und 3. Jh. gewesen, vgl. die literatur o. anm. 22. es gab zwar durchaus Iterationen. ein zweites consulat bekleideten c. Popillius laenas 158, c. Marcius Figulus 156, P. cornelius scipio nasica corculum und M. claudius Marcellus 155, und derselbe Marcellus war 152 sogar zum dritten Mal consul. Da Marcius Figulus und scipio nasica beide von ihrem ersten consulat 162 wegen eines auspicienfehlers hatten zurücktreten müssen, dürften ihre zweiten consulate eine Kompensation für die enttäuschung beim ersten gewesen sein. so bleibt der große Popillius laenas, dessen zweites consulat aber offenbar in keinem zusammenhang steht mit einem größeren militärischen Problem, und M. Marcellus, dessen Wahl sowohl 155 (er triumphierte dann über die ligurer), als auch 152 (Unruhen in spanien) in der erwartung erfolgt sein könnte, er werde eine militärische Krise erfolgreich beenden. aber insgesamt sind die Iterationen nach dem 2. Punischen Krieg nicht durch militärische zwangslagen erklärbar, und umgekehrt scheinen schwierigere Kriegssituationen nicht zum rückgriff auf die schon bewährten heerführer als consuln geführt zu haben. s. noch briscoe 1992. vgl. dazu beness 2005; beness/hiLLard 2012. vgl. für die Karriere des Pompeius v. a. girardet 2001. vgl. zu den Machtmitteln des Pompeius bes. dingmann 2007. cic. imp. cn. Pomp. 60: At enim ne quid novi fiat contra exempla atque instituta maiorum.

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gen der vorfahren überhaupt erst in dieser vorteilhaften Weise etablieren konnte.87 cicero ist denn auch zu einer waghalsigen Konstruktion gezwungen, um dieses argument zu entkräften.88 noch klarer zeigt sich die richtung, welche die consulare einschlugen, in dem argument des hortensius, Pompeius sei zwar am besten geeignet für die aufgabe, aber es dürfe eben nicht alles einem gegeben werden.89 Damit verdeutlicht hortensius, daß das politische system der römer, also die res publica und die libertas des populus, durch die zuweisung zu vieler Kompetenzen an einen einzigen in Frage gestellt wird. Dahinter steht nicht nur die abwehr des einzelinteresses des Pompeius um des Gemeinwohls willen, sondern der eigenwert der res publica in ihrer traditionellen Form, in der eben niemand zu viel haben durfte. Der consular hortensius stellt damit eine hierarchie der Gemeinsinnigkeit auf: Die verteilung von Macht und einfluß auf mehrere ist für das Gemeinwohl letztlich wichtiger als die möglichst effektive lösung eines aktuellen Problems wie des Krieges gegen Mithradates. Dagegen argumentiert cicero in seiner rede für dieses imperium des Pompeius nur mit dessen erfolg in der vergangenheit, d. h. er geht auf das Problem des hortensius gar nicht ein, sondern fixiert sich auf die Bewältigung militärischer und sonstiger anforderungen, die er als wesentlich für das öffentliche Wohl, die salus publica, charakterisiert. cicero lokalisiert das Gemeinwohl also in der erfüllung der aufgaben statt im schutz des politischen systems vor der Dominanz eines einzelnen.90 Möglicherweise war cicero später, als caesar genau in dieser Denkweise die republik beiseite schob,91 auf seine situative haltung von 66 nicht mehr sonderlich stolz. als Pompeius nach der Übertragung des Kommandos im Osten seinen vorgänger lucullus, der lange den Krieg gegen Mithradates geführt hatte, 66 ablöste, machte er zunächst die regelungen des lucullus rückgängig und schickte die senatorische zehnergesandtschaft nach hause, die nach altem Brauch in Kooperation mit dem Feldherrn die neuordnung der Provinzen vornahm.92 Möglicherweise lag es an diesem brüsken Umgang mit den senatoren, daß der senat nach den siegen 87 88 89

cic. rep. 2,2; 5,1 f. vgl. dazu Jehne 2012a, 65 f. cic. imp. cn. Pomp. 52: Si uni omnia tribuenda sint, dignissimum esse Pompeium, sed ad unum tamen omnia deferri non oportere. cicero nennt im weiteren nur hortensius als Gegner schon der lex Gabinia über das imperium gegen die seeräuber, aber oft wird auch catulus zu den aktiven Opponenten gezählt aufgrund von Dio 36,30,4–36,4. sayLor rodgers (2008) hat jetzt in sorgfältiger Interpretation herausgearbeitet, daß diese von Dio komponierte rede des catulus nicht beweist, daß catulus schon gegen dieses Kommando des Pompeius von 67 sprach und nicht erst gegen das von 66. 90 Damit haben wir hier einen typischen Gemeinwohlkonflikt, der eben nicht darin besteht, daß die Orientierung auf das Gemeinwohl als solche strittig ist, sondern darin, daß Uneinigkeit besteht, wo das Gemeinwohl im konkreten Fall liegt und wie es zu fördern ist. vgl. dazu auch o. die einleitung zu diesem Band von Jehne/Lundgreen. 91 Pointiert dazu meier 1982, 530: „caesar ging es wie Pompeius um die aufgaben des Gemeinwesens, den anderen um das Gemeinwesen selbst“. 92 cic. att. 13,6,4; Plut. luc. 35,6; 36,1; Dio 36,43,2; 46,1. zum charakter und zur Geschichte der zehnergesandtschaften vgl. schLeussner 1978.

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des Pompeius keine neue Gesandtschaft schickte,93 und Pompeius forderte erwartungsgemäß auch keine an, sondern übernahm die neuregelungen in eigener regie. Damit war der senat aus der direkten Kontrolle der nachkriegsregelungen herausgedrängt, seine Möglichkeit, die neuordnung im sinne der salus publica vorzunehmen und sich als Institution damit zu verbinden, war damit auf die zustimmung zu den entscheidungen des Feldherrn Pompeius reduziert. Die senatoren leisteten Widerstand, die kollektive ratifikation seiner Maßnahmen konnte Pompeius nach seiner rückkehr zunächst nicht durchsetzen.94 Pompeius’ Konkurrent und vorgänger lucullus kündigte an, man wolle über jede Maßnahme einzeln beraten und entscheiden.95 Pompeius, der sich im Osten als großer Macher inszeniert hatte, auf dessen Wort es allein ankam, dürfte diese Prüfung jeder einzelentscheidung als eine Beeinträchtigung seines Prestiges empfunden haben,96 und er arbeitete daher auf

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vgl. schLeussner 1978, 82 f. Dio 37,49,2; Plut. cat.min. 31,1; luc. 42,6. Dio 37,49,3–50,1. eine andere ansicht vertritt jetzt rising im Druck. aufbauend auf der Beobachtung, daß die zeitgenössischen Quellen, also cicero, keine verwerfungen zwischen dem senat und Pompeius wegen dessen eigenmächtiger verfahrensweise im Osten vermerken, sondern nur die späteren Quellen (aufgelistet ebd. anm. 2), vermutet er eine Dramatisierung im lichte der späteren sicht, daß der senat Pompeius in das Bündnis mit caesar hineingetrieben habe und die republik daran zugrunde gegangen sei. Diese Deutung der entwicklung führt rising auf asinius Pollio zurück, der sie in die nachfolgenden Quellen eingespeist habe. Dagegen seien die regelungen des Pompeius im Osten im senat oder in einer vom senat eingesetzten Kommission beraten und nach und nach bestätigt worden, ohne daß diese normale Prozedur Pompeius oder sonst jemanden aufgebracht habe, und man sei auf diesem Weg auch schon vorangekommen, wie die offenbar bald akzeptierten Provinzeinrichtungen und verleihungen von clientelherrschaften zeigten. tatsächlich ist das argumentum e silentio bezüglich ciceros nicht ganz von der hand zu weisen, da cicero in dieser zeit Briefe in dichter Folge an atticus schrieb und über alles mögliche berichtete, und man kann daraus wohl schließen, daß sich die ratifizierung der Maßnahmen im Osten bald zur administrativen alltagsroutine entwickelte. Doch warum gab es noch das Gesamtgesetz 59 (s. u. anm. 97), wenn alles ganz üblich und Pompeius nicht enerviert war? außerdem ist klar zu sehen, daß die von rising diskutierten Maßnahmen, die wohl bald bestätigt waren, zu den einfachen gehörten: weder die Provinzgründungen, noch die ehren für die clientelfürsten dürften in der sache strittig gewesen sein. Diffiziler waren die einzelmaßnahmen der Belohnung bzw. Bestrafung von städten, gerade weil keine zehnerkommission vor Ort gewesen war und sich selbst ein Bild gemacht hatte. Insgesamt glaube ich, daß Pompeius sehr wohl an einer Gesamtratifizierung interessiert war, schon weil nur ein solches Gesetz die anhänglichkeit der nutznießer seiner regelungen an seine Person nicht allzu sehr zerteilte. Bei vielen einzelregelungen dagegen konnte sich der jeweilige rogator (bei Gesetzen) oder princeps sententiae (bei senatsbeschlüssen) nach vorne drängeln und sich als Urheber der Wohltat aufspielen, der anspruch auf die Dankbarkeit des nutznießers hatte – wie man bei caesars ansprüchen gegenüber dem Galatertetrarchen Deiotarus sieht, b.alex. 68,1: Contra quem Caesar, cum plurima sua commemorasset officia quae consul ei decretis publicis tribuisset, … dixit (dagegen sagte caesar, als er seine sehr vielen leistungen in erinnerung gebracht hatte, die er als consul ihm [= Deiotarus] in Form von öffentlichen Beschlüssen hatte zukommen lassen, …). hier nahm caesar offenkundig auf die ratifizierung der Maßnahmen des Pompeius Bezug.

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einen Beschluß zur Bestätigung des Gesamtpakets hin, den erst der consul caesar 59 durchsetzte.97 hinter der Politik des senats standen aber nicht nur die rachegelüste des lucullus, der dem Pompeius mit einer gewissen Berechtigung vorgeworfen hatte, dieser eigne sich gerne die siege anderer an,98 sondern vor allem das Bedürfnis, die zuständigkeit des senats für das große Ganze, für die Organisation des reiches und die Belohnung oder Bestrafung der lokalstaaten, zu betonen und nicht aus der hand zu geben.99 Wenn der senat als Gremium nicht mehr die res publica in den strittigen entscheidungen des reiches vertrat, dann hatte er ein wesentliches Wirkungsfeld verloren, auf dem er im 2. Jahrhundert so eindrücklich seine Gemeinwohlorientierung hatte demonstrieren können, was einerseits zur steigerung seiner Macht, andererseits zur Intensivierung seines inneren zusammenhalts beigetragen hatte. Wenn das die Feldherrn einfach eigenständig erledigten und dem senat nur noch die rolle einer dankbaren akklamationsinstanz zuwiesen, war der senat ein weiteres stück aus dem zentrum der res publica herausgedrängt. Pompeius’ verhalten am ende seines großen Ostfeldzuges war daher kein Kavaliersdelikt, sondern beeinträchtigte die rolle des senats in sehr grundsätzlicher Weise. Bezeichnend war aber, daß auch hier die systematische Position, welche auf die Grundlagen des politischen systems ausgerichtet war, keine mitreißende Überzeugungskraft entfaltete gegenüber der effizienzorientierten, die sich nur dafür interessierte, inwieweit die regelungen angemessen waren. 5. Der BÜrGerKrIeG UnD Das scheItern Des senats als caesar wohl 48/7 seine schrift über den Bürgerkrieg verfaßte,100 den er selbst eröffnet hatte, nahm die auseinandersetzung mit seinen Gegnern, denen er die verantwortung dafür aufbürdete, einen verhältnismäßig breiten raum ein. Die gegenseitigen Beschuldigungen und speziell caesars argumentation sind natürlich ebenso vielfältig analysiert worden wie die rolle des senats bzw. führender sena97

Dio 38,7,5; Plut. Pomp. 48,3 f.; app. b. c. 2,13 (46). Das ratifikationsgesetz bezeichnet ro1966, 391 als lex Iulia de actis Cn. Pompei confirmandis, nach rising im Druck handelte es sich aber um eine lex Vatinia. er schließt dies aus cic. vat. 29: … fecerisne foedera tribunus plebis cum civitatibus, cum regibus, cum tetrarchis. Doch sind möglicherweise die foedera, also die Bündnisverträge, nach der allgemeinen annahme der Maßnahmen des Pompeius durch eine lex Iulia erst ausformuliert und dann als einzelgesetze noch einmal vor die volksversammlung gebracht worden, da ja hier ein vertragstext vorgelegt und beeidet werden mußte, und dabei übernahm vatinius die antragstellung und leitung. Jedenfalls nahm caesar für sich selbst einen wesentlichen anteil an der rangerhöhung des tetrarchen Deiotarus und an den ihm zugesprochenen Gebietserweiterungen in anspruch (s. o. anm. 96). 98 Plut. Pomp. 31,11–13. vgl. Dio 36,46,1 f. 99 vgl. ciceros bezeichnende charakteristik des senats, Phil. 4,14: senatus, id est orbis terrae consilium, … 100 vgl. zur entstehungszeit Jehne 2000, 164–166 (mit älterer literatur); s. auch batstone/damon 2006, 31 f.; raafLaub 2009, 180–182 (mit klarem Überblick über die verschiedenen Datierungsvorschläge und die argumente für und wider). tondi

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toren in den unheilvollen Jahren, Monaten und tagen bis zu caesars einmarsch und danach; das muß hier nicht referiert werden.101 Im vorliegenden Kontext ist vor allem eine Wendung caesars interessant, die er in eine rede eingebettet hat, welche er vor seinem einmarsch gehalten haben will.102 Darin faßt er knapp die Gravamina zusammen, die er gegen seine Gegner vorzubringen hat, und attackiert das senatus consultum ultimum, den notstandsbeschluß, den der senat am 7. Januar 49 nach einschüchterung der caesars Positionen vertretenden volkstribune gefaßt hatte und der klar und eindeutig gegen ihn gerichtet gewesen war.103 caesar schreibt dazu: Wann immer beschlossen worden sei, daß die Magistrate dafür sorge tragen sollten, daß die res publica keinen schaden nehme, wodurch per senatsbeschluß das volk zu den Waffen gerufen worden sei, sei dies geschehen bei ruinösen Gesetzen, bei tribunicischer Gewaltanwendung, bei einer abspaltung des römischen volkes (populus) unter Besetzung von tempeln und höher gelegenen Plätzen; er wies darauf hin, daß diese Beispiele früherer zeit gesühnt worden seien durch den sturz des saturninus und der Gracchen. Doch von solchen sachen sei zu dieser zeit nichts geschehen, ja es sei nicht einmal daran gedacht worden. es sei kein Gesetz eingebracht worden, es sei nicht begonnen worden, mit dem volk zu verhandeln, es sei zu keiner abspaltung gekommen.104

Was caesar hier vorbringt, zeigt in aller Deutlichkeit auf, wie man die Gemeinsinnigkeit des senats in zweifel ziehen konnte. Das senatus consultum ultimum war eine im Jahre 121 erfundene selbstermächtigung des senates gewesen, der damit in einer Konfliktsituation durch den einsatz militärischer Mittel die Gegengruppierung niederwerfen und ihre exponenten umbringen ließ.105 Der dahinter stehende anspruch war das heil der res publica gewesen, die – so die Formel – eben keinen schaden nehmen sollte, die Maßnahme war also auf die Förderung des Gemeinwohls ausgerichtet.106 Daß man zu einer solch drastischen vorgehensweise überhaupt greifen mußte, ist sicher ein symptom einer beachtlichen Konflikttiefe und spaltungsintensität, die möglicherweise vor den Gracchen so noch nicht auftrat, zudem auch klar ein Indiz, daß die einbindungskräfte des senats und seine abweichungstoleranz abgenommen hatten. aber entscheidend war, daß der senat, trotz 101 vgl. vor allem das klassische Werk von raafLaub 1974. 102 caes. b. c. 1,7,1–8,1. Daß die rede nicht, wie caesar behauptet, vor dem einmarsch in ravenna, sondern erst nach der Überschreitung des rubico in ariminum gehalten wurde, findet sich bei Dio 41,4,1; lucan 1,231–396; suet. caes. 33 (app. b. c. 2,33 [133] plaziert die rede in ravenna). 103 vgl. dazu etwa raafLaub 1974, 72–99. 104 caes. b. c. 1,7,5 f.: Quotienscumque sit decretum darent operam magistratus ne quid res publica detrimenti caperet, qua voce et quo senatus consulto populus Romanus ad arma sit vocatus, factum in perniciosis legibus, in vi tribunicia, in secessione populi, templis locisque editioribus occupatis; atque haec superioris aetatis exempla expiata Saturnini atque Gracchorum casibus docet; quarum rerum illo tempore nihil factum, ne cogitatum quidem. nulla lex promulgata, non cum populo agi coeptum, nulla secessio facta. s. auch caes. b. c. 1,5,3. 105 vgl. dazu v. a. Von ungern-sternberg 1970. 106 Das ist deutlich zum ausdruck gebracht in der von cicero referierten Äußerung des consuls von 120, c. Papirius carbo, der in der volksversammlung gesagt haben soll, die ermordung des c. Gracchus sei zu recht und für das heil des vaterlandes geschehen (cic. de orat. 2,106: ut cum L. Opimi causam defendebat apud populum audiente me C. Carbo consul, nihil de C. Gracchi nece negabat, sed iure pro salute patriae factum esse dicebat).

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durchaus nicht einheitlicher lageeinschätzungen der senatoren, den Beschluß faßte und seine Interpretation der salus rei publicae auf Dauer durchsetzte. Bei caesar gelang das nicht. Daß die unmittelbar Betroffenen, hier caesar, brutale, gegen sie gerichtete notstandsmaßnahmen für ungerecht halten und ablehnen, ist kaum verwunderlich, doch entscheidend ist die art der argumentation. caesar, den man oft als popularen Politiker ansieht, der gerne über die volksversammlung und unter Betonung seiner volksfreundlichkeit agierte, erkannte das recht des senats, zum Wohle der res publica den notstand zu erklären, ausdrücklich an! er ging sogar so weit, daß er saturninus und vor allem die Gracchen, die Galionsfiguren einer an Bedürfnissen der breiteren Bevölkerung orientierten Politik, als zu recht für ihre Untaten bestraft bezeichnete, ja er charakterisierte ihre ermordung als sühneopfer für ihr (schlechtes) Beispiel. Dem senat der vergangenheit wird damit zugesprochen, sich gerade auch mit dem senatus consultum ultimum im sinne der res publica betätigt zu haben.107 Dagegen hat der senat der Gegenwart nach caesars Deutung keinen gemeinsinnigen Beschluß gefaßt, sondern einen partikularen. hinter der erklärung des notstands stehen die inimici, die persönlichen Feinde, bzw. die factio paucorum, die kleine Gruppe der caesargegner, die das volk unterdrückt und den senat eingeschüchtert und gegen caesar instrumentalisiert haben,108 obwohl in seinem Falle gerade keine lage vorliegt, die den einsatz der letzten Mittel bei saturninus und den Gracchen seinerzeit gerechtfertigt hatte. caesars erklärung, daß einige wenige senatoren von zumeist hohem rang mit unlauteren Mitteln den senat in eine Konfrontation hineingetrieben hätten, die völlig unangemessen gewesen sei, wird auch in der modernen Forschung teilweise akzeptiert, und in der tat lassen sich kriegstreibende Maßnahmen der Minderheit aufzeigen.109 Doch gibt es meiner ansicht nach keinen Grund zu vermuten, in früheren zeiten sei es nicht oft eine aktive Minderheit gewesen, die den senat in aktion brachte. Der Unterschied scheint mir eher darin zu liegen, daß nun die Mehrheit nicht mehr so gerne folgen mochte, teils weil die zerrissenheit des Gremiums zu- und die anpassungsbereitschaft abgenommen hatte, teils weil konkret die angst vor caesar und dem Bürgerkrieg das einlenken nahelegte. Die Gruppe der caesargegner war prominent, es gehörten zahlreiche consulare dazu, und sie verfügte über hinreichend auctoritas, so daß es nicht abstrus war anzunehmen, daß sich die senatsmehrheit anschließen würde.110 aber nicht nur die für caesar intercedieren107 Das war durchaus nicht immer caesars haltung gewesen, denn 63 hat er mit dem rabiriusProzeß recht deutlich das senatus consultum ultimum von 100 in zweifel gezogen und mit seinen Positionierungen und argumenten in der senatsdebatte über das schicksal der catilinarier das von 63, vgl. dazu konzise gruen 2009, 26 f. 108 zur Unterdrückung des volkes vgl. caes. b. c. 1,22,5 (caesar unterbricht den consular lentulus spinther, der in seine hände gefallen ist): Cuius orationem Caesar interpellat: se non malefici causa ex provincia egressum sed uti se a contumeliis inimicorum defenderet, ut tribunos plebis in ea re ex civitate expulsos in suam dignitatem restitueret, ut se et populum Romanum factione paucorum oppressum in libertatem vindicaret. zum Druck auf den senat: caes. b. c. 1,1,2–4; 2,4–6; 3,4 f. zu caesars Fixierung auf die inimici, die persönlichen Feinde, vgl. raafLaub 1974, 125–149. 109 Man denke nur an die sog. schwertübergabe an Pompeius, dazu raafLaub 1974, 30–55. 110 zur Parteinahme der consulare im Bürgerkrieg vgl. die zusammenstellungen von bruhns

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den volkstribune behinderten den schulterschluß, sondern ganz offenkundig blieb die Propaganda caesars, wonach seine Feinde ihm aus persönlichen Gründen die wohlverdiente anerkennung vorenthalten wollten, nicht ohne Wirkung auf die Mehrheit. Die versuche der entschlossenen Gruppe, die caesar nicht in ein zweites consulat kommen lassen wollte, wurden daher nicht hinreichend als gemeinsinnig anerkannt, sondern zu sehr als persönliche racheaktion aufgefaßt. vor dem Bürgerkriegsausbruch ließ sich kein sog mehr erzeugen, man müsse um der res publica willen einen strikten Kurs gegen caesar einschlagen – der zerrissene senat konnte damit nicht mehr als hüter des Gemeinsinns auftreten. erst als sich Pompeius zu Beginn des Jahres 49 eindeutig im senat gegen caesar äußerte und die entschlossene verhandlungsführung des consuls lentulus crus die schwelle für gemäßigte einlassungen erheblich erhöhte, ließ sich die Masse der senatoren in den Konfrontationskurs mitziehen.111 nach dem ausbruch des Bürgerkriegs war es dann aber mit der vermeintlichen Geschlossenheit des senats vorbei. viele senatoren versuchten sich aus dem Krieg herauszuhalten, der doch von den caesargegnern als gemeinsinnige Pflicht zur erhaltung der res publica apostrophiert wurde,112 und caesar leistete dem vorschub, indem er verbreitete, daß es sich ja nur um die auseinandersetzung zwischen persönlichen Gegnern handelte, also um eine partikulare angelegenheit, die ihrer natur nach gar nicht gemeinschaftsbezogen war, auch wenn sie das Gemeinwohl faktisch ein Mitleidenschaft zog.113 es ist eine der ironischen Pointen der caesarischen argumentation, daß die republik in einem Konflikt unterging, der sie nach caesar gar nichts anging. 6. FazIt In seiner programmatischen schrift De legibus erläutert cicero sein statut, daß die senatsbeschlüsse gültig sein sollten,114 mit folgender Überlegung: Wenn der senat der herr der Beratung im öffentlichen Bereich ist und das, was er beschließt, alle verteidigen, und wenn die übrigen stände vom rat des höchsten standes gelenkt werden wollen, dann kann aufgrund der Bändigung des rechts, weil die potestas beim volk, die auctoritas beim senat liegt, jener gemäßigte und einträchtige zustand des Gemeinwesens festgehalten werden.115 Wenn man sich ciceros Urteil genauer durchdenkt, dann wird erkennbar, daß hinter der apodiktischen Behauptung eine Betonung des Gemeinsinns und eine ab-

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1978, 40–42, aus denen klar hervorgeht, daß die seite der caesargegner in der höchsten etage der senatshierarchie erheblich prominenter vertreten war als die caesarische Gruppe (obwohl eine reihe von aktivisten der vorkriegszeit sich jetzt neutral verhielten). vgl. dazu raafLaub 1974, 56–59; 102 f. vgl. raafLaub 1974, 192–200. vgl. raafLaub 1974, 113–152. cic. leg. 3,10. cic. leg. 3,28: Nam ita se res habet, ut si senatus dominus sit publici consilii, quodque is creverit defendant omnes, et si ordines reliqui principis ordinis consilio rem publicam gubernari velint, possit ex temperatione iuris, cum potestas in populo, auctoritas in senatu sit, teneri ille moderatus et concors civitatis status, …

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sage an den eigensinn steckt. Denn es geht um die civitas, also die Gemeinschaft aller Bürger, und die soll sich in einem gemäßigten und einträchtigen aggregatzustand befinden, was antagonismen unter Bürgerfaktionen ebenso ausschließt wie den Mißbrauch von Machtpositionen zum eigenen vorteil. Die sehnsucht nach harmonie in der Bürgerschaft ist aber zentral an die Beratungskompetenz des senats geknüpft: nur wenn der senat die Instanz ist, die über die Dinge, die die res publica betreffen, debattiert und empfehlungen produziert, kann der erstrebenswerte status civitatis erreicht werden. allerdings ist das nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung. hinzutreten muß die Bereitschaft der anderen ordines, sich diesen empfehlungen anzuschließen und zu akzeptieren, daß das Gemeinwesen durch die ratschlüsse des senats gesteuert wird. schließlich erwähnt cicero noch, daß sich daraus die Mäßigung des rechts ergibt, die sich darin ausdrückt, daß die Beschließungsmacht beim populus, die Initiative und Urheberschaft der Beschlüsse beim senat liegt. Konkret bedeutet das, daß die volksversammlung die empfehlungen des senats mit Geltungskraft versieht und auf ihr formales recht verzichtet, auch gegen den senat zu entscheiden. Der mögliche Interessenkonflikt zwischen den ständen bzw. zwischen dem volk und dem senat wird also durch die anerkennung der überlegenen ratgeberqualitäten des senats hinweghierarchisiert. Was dadurch entsteht, ist der unzweifelhaft gute zustand der res publica. Der verzicht auf die Durchsetzung partikularer Gruppeninteressen vonseiten der ordines und des populus dient also dem Gemeinwohl, das der senat verkörpert. Diese verhältnisse waren natürlich eine Idealvorstellung, die keineswegs durchgängig der realität entsprach. Immerhin wurde der senat, wie wir gesehen haben, im späten 3. und frühen 2. Jh. ein kontinuierlich arbeitendes Gremium, das infolge der rapide ansteigenden außeritalischen agenda und der besonders aus dem griechischen Osten anreisenden scharen von Gesandten ständig mit außenpolitischen angelegenheiten befaßt war und dadurch sein ansehen und seinen einfluß steigerte. Die vorsichtig hierarchische Binnengliederung durch die zuteilung des rederechts nach rangklassen sorgte für breite Mehrheiten bei entscheidungen aufgrund der Dominanz der consulare, doch bildete die gleichzeitige Uniformität der senatoren nach außen die egalitäre ergänzung, welche die solidarität und die Identifikation mit dem senat als Institution erleichterte. Daß senatoren dennoch ihre persönlichen Interessen verfolgten, vor allem ihren persönlichen Karriereaufstieg und den damit verflochtenen zuwachs an ansehen und einfluß betrieben, war selbstverständlich und nicht unbedingt ein störfaktor, solange sie sich nicht völlig verselbständigten. Problematisch waren allerdings Gruppenprivilegien wie die legatio libera, die sich nicht gemeinsinnig verbrämen ließen. hier hatte das Gruppenwohl das Gemeinwohl in den hintergrund gedrängt. Mit dem Bruch der Gracchenzeit, in der mit dem senatus consultum ultimum ein Instrument entwickelt wurde, das die niederwerfung unerwünschter Gruppierungen mit Gewalt mehr oder weniger erfolgreich legitimierte, war der senat verstärkt dem verdacht ausgesetzt, eher Partei als übergreifend gemeinsinnige Institution zu sein, und die reformen sullas vermochten es nicht, den senat wieder in eine allgemein anerkannte autoritätsstellung für die Definition des Gemeinwohls hineinzubringen. Das lag an der schwächung der hierarchiespitze in Form der consulare, darüber hinaus an der dispropor-

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tionalen Machtstellung eines Pompeius und bald auch eines caesar, wesentlich aber an der damit einhergehenden Diskrepanz zwischen der erhaltung des politischen systems der res publica, das die Macht des einzelnen begrenzen mußte, und der sehnsucht nach effizienter Problemlösung – ein Konflikt, der schon bei den Diskussionen über die großen Imperien des Pompeius in den 60er Jahren in aller Deutlichkeit aufbrach. als caesar dann den eigentlich systemkonformen anspruch auf anerkennung für große leistungen in stellung brachte gegen den systemerhaltungsreflex führender senatoren, die ihm keine Dominanzposition zugestehen wollten, war die Geschlossenheit des senats nur noch mühselig und um den Preis einer erheblichen eskalation zu erreichen, woraufhin caesar den Bürgerkrieg eröffnete. Der senat hütete nicht mehr den Gemeinsinn. Die spitze der consulare konnte den senat in einigen gravierenden Fragen seit den 60er Jahren nicht mehr auf linie bringen, und der reflexhafte zusammenschluß der Gruppe gegen den übergroßen Machtzuwachs eines Pompeius funktionierte auch nicht mehr. Das dürfte wesentlich daran gelegen haben, daß die Gemeinsinnsprätention der Führungsgruppe nicht mehr überzeugend war, sondern als partikulare Position wahrgenommen wurde. Die Definition des Gemeinwohls verschob sich auf die effiziente erfüllung von aufgaben im reich, und der erfolg eines Pompeius oder caesar sollte angemessen belohnt werden ohne rücksicht auf die Konsequenzen für das politische system. hinter dieser entwicklung stand auch eine art von verengt egozentrischer Perspektive der senatoren, die in einem offenbar immer unberechenbarer werdenden politischen Wettbewerb ihren persönlichen Karriereaufstieg betreiben mußten und denen dazu jedes Mittel recht war. Wie sehr man dabei das Ganze aus den augen verlor, zeigt sich besonders deutlich bei den caesarianern, die mit ihrem Kommandeur, der den Bürgerkrieg zu einem Parteikampf seiner Gruppe gegen die seiner Gegner erklärte, bereitwillig in den Kampf zogen, dazu beitrugen, daß caesar den Krieg gewann, und von ihm Ämter, ehren und Beute als verdiente Belohnung entgegennahmen. als dann treue helfer wie c. trebonius – 45 consul – und D. Brutus – 45 Praetor, designiert für das consulat 42 – in der laufbahn oben angekommen waren, stellten sie auf einmal fest, daß der rang nichts mehr wert war, weil die gemeinsinnige sorge um die res publica nicht mehr aufgabe der führenden senatoren war, sondern von caesar übernommen und neu interpretiert worden war. so beteiligten sie sich an der ermordung ihres Mentors – aber wie sie bald schmerzlich erfuhren, waren sie zu spät aufgewacht. lIteratUrverzeIchnIs W. W. batstone / c. damon (2006), caesar’s civil War, Oxford. h. becK (2005), Karriere und hierarchie. Die römische aristokratie und die anfänge des cursus honorum in der mittleren republik (Klio Beihefte 10), Berlin. J. L. beness (2005), scipio aemilianus and the crisis of 129 B. c., in: historia 54, 37–48. J. L. beness / t. W. hiLLard (2012), another voice against the ‚tyranny‘ of scipio aemilianus in 129 B. c.?, in: historia 61, 270–281. J. bergemann (1990), römische reiterstatuen. ehrendenkmäler im öffentlichen Bereich, Mainz. a. bergK (2011), the development of the praetorship in the third century Bc, in: h. becK / a. duPLá

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GeMeInsInn UnD GeMeInWOhl In Der POlItIschen rhetOrIK cIcerOs UnD In Den GeschIchtsWerKen sallUsts Fabian Knopf Der frühkaiserzeitliche enzyklopädist a. cornelius celsus beschreibt im Proömium zu seinem Werk De medicina genauestens die entstehung der medizinischen Kunst. Dabei kommt er zu dem überraschenden ergebnis, dass die Medizin selbst letzten endes ein Produkt eines sittenverfalls unter den Menschen sei. Denn zum einen, so celsus, habe bereits homer erkannt, dass Krankheiten strafen der Götter seien und nur von ihnen hilfe zu erwarten sei. zum anderen seien die Menschen in früheren zeiten aufgrund ihrer hervorragenden sitten schlichtweg gesund gewesen und hätten keiner medizinischen hilfe bedurft. erst mit der Korrumpierung der Gesellschaften – zuerst der griechischen und schließlich der römischen – durch Müßiggang und luxus seien die Menschen zunehmend erkrankt und benötigten daher die neue Kunst.1 es ist also nicht nur bemerkenswert, dass für celsus eine defizitäre, unethische lebenspraxis physische Beeinträchtigungen induzierte, sondern auch, dass die aszendenz der Medizin selbst durch die Dekadenz der sitten einer ethnie erst ermöglicht wurde. nun ist diese einleitende Überlegung zur Medizingeschichte nicht das einzige zeugnis, in dem, geschichtsphilosophisch gesprochen, ein Dekadenzmodell zu Grunde gelegt worden ist.2 Insbesondere das Phänomen eines sittenverfalls wurde immer wieder von antiken autoren diagnostiziert und als maßgebliche Ursache für eine kulturelle Krise ausgemacht. Obschon die moderne Forschung das antike erklärungsschema nicht einfach zu übernehmen bereit war, sieht sie doch gerade die späte römische republik überwiegend als Krisenzeit schlechthin.3 Im folgenden Beitrag wird dagegen die zeitgenössische Problemdiagnose im vordergrund stehen, 1

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cels. pr. 4 f.: Eodem vero auctore [scil. homeros] disci potest morbos tum ad iram deorum inmortalium relatos esse, et ab isdem opem posci solitam verique simile est inter * nulla auxilia adversae valetudinis, plerumque tamen eam bonam contigisse ob bonos mores, quos neque desidia neque luxuria vitiarant; siquidem haec duo corpora prius in Graecia, deinde apud nos adflixerunt ideoque multiplex ista medicina, neque olim neque apud alias gentes necessaria, vix aliquos ex nobis ad senectutis principia perducit. es sei hier noch angefügt, dass die Medizin sich für celsus nur in korrumpierten Gemeinwesen finden lässt. Da nicht alle ethnien das griechisch–römische schicksal ereilte, gibt es auch noch zu celsus’ zeiten völkerschaften, die völlig ohne diese Kunst auskommen. Bereits hesiod hatte mit seiner aus dem metallurgischen Bereich entlehnten Metapher zur abfolge der zeitalter den gleichen Weg eingeschlagen; hes. erg. 109–201. vgl. hierzu vor allem meier 31997; zur Krise der römischen republik im allgemeinen und zum Krisenbegriff bei meier im speziellen bernett 2008; WinterLing 2008. zur entwicklung des Krisenbegriffs vgl. KoseLLecK 1982; schoLten 2007, 5–11.

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unter dem besonderen aspekt, welche rolle die mangelhafte Gemeinwohlorientierung der spätrepublikanischen römer bei der Defizitbeschreibung und der appell an den Gemeinsinn jedes einzelnen als hoffnung bei der suche nach auswegen spielt. 1. DeFIzItWahrnehMUnG, DeKaDenzMODell UnD GeMeInWOhlGeFÄhrDUnG nachdem bereits deutlich wurde, dass die entstehung einer ganzen Kunst wie der Medizin aus einem übergeordneten verfallsprozess heraus gedeutet werden konnte, soll nun kurz auf die verfallswahrnehmung in der späten römischen republik Bezug genommen werden. Die Überlieferungslage bringt es mit sich, dass zur einlösung dieses Programms insbesondere auf das Œuvre ciceros zurückzugreifen ist. zusätzlich ist – neben weiteren autoren – sallust als Gewährsmann von herausgehobener Bedeutung mit einzubeziehen.4 Bevor sich der verfallswahrnehmung positiv zugewandt wird, soll vorab eine annäherung ex negativo an diese spätrepublikanische Grundeinstellung gewagt werden. Denn ein verfall kann nur in rückschau auf eine vorhergehende Blütezeit konstatiert werden. Was hatte also zu zeiten ciceros und sallusts den erfolg der römischen republik bis dato ausgemacht? Beide autoren reflektieren in ihren Werken das römische erfolgsmodell in Kontrastierung zu anderen völkerschaften. Für cicero war beispielsweise die wesentliche differentia specifica des römischen volkes dessen pietas und religio, wohingegen die römer „gleichwohl nicht an zahl den spaniern noch an Kraft den Galliern, nicht an schlauheit den Puniern noch in den Wissenschaften den Griechen noch schließlich gar durch diesen unserem volk und lande eigentümlichen und angeborenen Wirklichkeitssinn den Italern und latinern“5 überlegen gewesen seien. auch für sallust waren andere völker auf spezifischen Gebieten, so z. B. die Gallier im Kriegsruhm und die Griechen in redegewandtheit, den römern überlegen. Doch zeichnete sich das römische volk durch eine reihe tugendhafter Männer aus, die letztlich den sagenhaften aufstieg roms ermöglichten und folglich das Gemeinwohl förderten.6 Diese beiden Passagen mögen genügen, um zu verdeutlichen, dass auch für die römer ihr erfolg keine selbstverständlichkeit war und immer wieder reproduziert werden musste, um die existenz und damit auch das Gemeinwohl des staates dauerhaft zu gewährleisten.7 4 5

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vgl. zur Bedeutung dieser beiden autoren in diesem Kontext z. B. WoLff 1993, 163. cic. har. resp. 19: nec numero Hispanos nec robore Gallos nec calliditate Poenos nec artibus Graecos nec denique hoc ipso huius gentis ac terrae domestico nativoque sensu Italos ipsos ac Latinos (hier und im Folgenden übers. v. M. fuhrmann); siehe hierzu ferner cic. nat. deor. 2,8; 3,5 und rep. 2,27 sowie sall. cat. 12,4–5; vgl. auch val. Max 1,1,8. sall. cat. 53,3–4: Sciebam saepenumero parva manu cum magnis legionibus hostium contendisse; cognoveram parvis copiis bella gesta cum opulentis regibus, ad hoc saepe fortunae violentiam toleravisse, facundia Graecos, gloria belli Gallos ante Romanos fuisse. Ac mihi multa agitanti constabat paucorum civium egregiam virtutem cuncta patravisse (…). hinsichtlich der vielzahl an tugendhaften Männern siehe auch cic. rep. 2,2–3; vgl. gotter 1996, 551. Dies zeigte sich auch auf der ebene der senatorischen Geschlechter. so konnte sich kein junger

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anhand der ausgewählten Beispiele lässt sich ebenso erkennen, dass beide autoren letzten endes die tugendhaftigkeit der römer – ob sie sich nun in der Frömmigkeit oder in der egregia virtus widerspiegelt – als erfolgsgaranten hervorheben. eben in diesem Punkt wird eine massive veränderung in der späten republik diagnostiziert, die das Gemeinwohl zusehends gefährdete. Dies lässt sich zumindest bei den genannten autoren anhand einiger stellen ableiten. Bei cicero manifestiert sich dies unter anderem, wenn er auf das augurat zu sprechen kommt. es sei nämlich die ars augurum – im vergleich zu den vorfahren – durch neglegentia dem verfall preisgegeben worden.8 Deutlich bringt cicero seine verbitterung über die eigene zeit in einem Brief vom april 55 zum ausdruck. cicero reagiert hier auf die Benachrichtigung vom tode des l. cornelius lentulus niger (pr. 61), welchen er für einen ausgezeichneten republikaner hielt, der sein vaterland liebte. vor diesem hintergrund fällt es cicero schwer, seinen tod zu betrauern. vielmehr neigt er dazu, lentulus noch zu beglückwünschen, muss dieser doch nun nicht länger den verfall des vaterlandes mit ansehen.9 Wenige zeilen später kann cicero im angesicht seiner zerrissenheit bezüglich seiner Positionierung zum triumvirat gegenüber atticus nur konstatieren, dass sie „dem eisernen zeitalter“ 10 angehören. Für cicero stand also außer Frage, dass die eigenen zeitverhältnisse im vergleich zur zeit der maiores defizitär waren und eine Gemeinwohlgefährdung virulent war. Ob er jemals systematisch darüber nachgedacht hat, inwiefern die hochgehaltenen vorfahren eine ähnliche verfallswahrnehmung hinsichtlich ihrer eigenen zeit entwickelt hatten, ist letztlich eine kontrafaktische Frage und kann daher nur adliger auf den taten seiner vorfahren ausruhen, sondern musste selbst noch neue herausragende leistungen hinzufügen; vgl. schoLz 2011, 31 und 49. 8 cic. leg. 2,33; nat. deor. 2, 9–10. einen weiteren hinweis auf die Pietätlosigkeit seiner zeit gibt cicero in har. resp. 32, wo er den schamlosen abriss von altehrwürdigen heiligtümern geißelt. Doch diese stelle ist im Ganzen rhetorisch überformt. cicero kritisiert hierbei vorrangig politische Feinde und sympathisanten des clodius. eben jener hatte cicero selbst schwer für die Beseitigung des auf dem Palatin errichteten altares der libertas angegriffen, welchen clodius nach ciceros freiwilliger exilierung auf dessen ehemaligen Grundstück errichten ließ. cicero konterte eben diesen vorwurf damit, dass er zum einen auf die legitimierung dieser Beseitigung durch die pontifices verwies (har. resp. 31). andererseits ging er dann aber in der Folge dazu über, diesen vorwurf umzukehren und auf clodius und seine entourage selbst zu richten. 9 cic. att. 4,6,1: De Lentulo scilicet sic fero ut debeo. virum bonum et magnum hominem et in summa magnitudine animi multa humanitate temperatum perdidimus, nosque malo solacio sed non nullo tamen consolamur quod ipsius vicem minime dolemus, non ut Saufeius et vestri, sed mehercule quia sic amabat patriam ut mihi aliquo deorum beneficio videatur ex eius incendio ereptus. In diesem Kontext scheint zudem ciceros Betroffenheit keinesfalls nur gespielt oder auf purer höflichkeit begründet. Wie haLL 2009, 195, zeigt, waren höflichkeitsformen innerhalb des aristokratischen Briefverkehrs vor allem ein ausdruck der persönlichen Distanz zum Korrespondenten. Diese Umgangsform bezog sich vorrangig auf die Korrespondenz, die sich mit politischen themata befassten. Gerade das dieser Brief an atticus gerichtet war, – und damit an keinen politischen adressaten – suspendierte die notwendigkeit der höflichkeitsform. es ist also durchaus wahrscheinlich, dass cicero hier seine wirkliche emotionale ergriffenheit wiedergibt. 10 cic. att. 4,6,2: … nos vero ferrei (übers. v. h. Kasten).

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– wenn überhaupt – spekulativ beantwortet werden.11 Dass es aber in der römischen antike derartige zeitübergreifende Überlegungen gab, lässt sich anhand des unter tiberius verfassten Werkes des velleius Paterculus erahnen: „auf die Gegenwart schauen wir mit scheelem Blick, auf die vergangenheit aber mit Bewunderung und glauben uns vom heute erdrückt, vom Gestern aber belehrt.“12 2. Das BeDrOhte GeMeInWOhl: clODIUs UnD catIlIna Die soeben skizzierte zeitwahrnehmung sollte die Grundhaltung zur eigenen epoche von involvierten Individuen selbst herauspräparieren. Im Ganzen fehlt aber noch eine Begründung für die gewonnene erkenntnis, dass die eigene zeit eine des verfalls sei. es bleibt also zu fragen, an welchen Faktoren und entwicklungen die zeitgenossen den allgemeinen niedergang des eigenen Gemeinwesens eigentlich festmachten.13 2.1 Der ethische niedergang Bevor auf konkrete alltagspolitische symptome der Dekadenz konkret Bezug genommen wird, sollen zuvorderst allgemeine verfallstendenzen im historischen Werdegang der römischen republik beleuchtet werden. ein wesentliches element bildete in diesem Kontext ein Phänomen, welches in der Folge unter dem ausdruck „ethisierung der Politik“ ins zentrum der Betrachtung rücken soll.14 Denn sucht man innerhalb der antiken Werke nach Begründungen für den verfall des römischen Gemeinwesens und somit des Gemeinwohls, so wird die Degenerierung des staates oftmals aus dem verfall der Moral – und damit der sitten15 – herausgeschält. Für sallust ist hierbei 146 das epochenjahr der römischen republik schlechthin. Mit der vernichtung der äußeren Bedrohung Karthago erfolgte nach seiner Geschichtsauffassung für rom eine zäsur, welche die innenpolitische lage völlig 11

ansätze zur erfassung der Dekadenzwahrnehmung als generationsübergreifendes Phänomen zeigt cicero in einem Brief an seinen Freund M. caelius aus dem Mai 49: recordor enim desperationes eorum qui senes erant adulescente me. eos ego fortasse nunc imitor et utor aetatis vitio (cic. fam. 2,16,5). 12 vell. 2,92,5: nisi quod naturaliter audita uisis laudamus libentius et praesentia inuidia, praeterita ueneratione prosequimur et his nos obrui, illis instrui credimus (übers. v. M. giebeL). 13 Dabei soll es hier nicht um den von c. meier verfolgten systemorientieren ansatz zur erfassung der Krise gehen; siehe hierzu meier 31997, 201–300. Bei c. meier wird als wichtiges symptom dieses niedergangs die Dialektik zwischen den Faktoren erhaltungsmaßnahmen und Dynamisierung des zerfalls, die sich gegenseitig bedingten, einander herausforderten und doch stets aufeinander angewiesen blieben, gewertet; meier 31997, X: „eine Gesellschaft zerstört ihre Ordnung, obwohl, ja: indem sie sie zu erhalten sucht.“ 14 vgl. KLein 1962, 36, der bereits in Bezug auf ciceros Umgang mit dem Königsbegriff auf das ethisierungsphänomen hinweist. 15 vgl. die wirkungsmächtige Definition zum verhältnis von Moral und sitte in cic. fat. 1,1.

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verändern sollte.16 Bevor der dritte Punische Krieg erfolgreich beendet war, befand sich das römische volk in einer permanenten Gefahrensituation. es war nicht absehbar, ob sich die Karthager nicht doch noch von ihrer verheerenden niederlage am ende des zweiten Punischen Krieges erholen würden, um dann nachhaltig die erkämpfte vormachtstellung roms im westlichen Mittelmeerraum zu gefährden. eben diese Unabwägbarkeit habe, nach sallust, den römischen lebensalltag fortwährend mit angst erfüllt. Gleichwohl seien die römer aber auch bereit gewesen, strapazen zu erdulden, Gefahren auf sich zu nehmen und jede notlage zu ertragen. nach 146 änderte sich dies aber grundlegend. als das römische volk von jeder vernichtungsangst erst einmal befreit war, desavouierten ruhe und reichtum in Kombination mit luxuria17, avaritia18 und superbia19 die sitten zunehmend.20 eine besondere Konsequenz dieses Prozesses war die zersetzung des ehemals einträchtigen Bandes zwischen volk und senat. Dabei begann der adel immer mehr seine Machtstellung zu missbrauchen und das volk seine Freiheit zügellos auszuleben. sodann gerieten die einzelnen Bürger zusätzlich in einen Wettstreit um ruhm und herrschaft.21 Kurzum: Die Bürgerschaft geriet zusehends in den sog partikularisti16

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Die verknüpfung der Dekadenz des römischen Gemeinwesens mit der zerstörung Karthagos ist wohl keine erfindung sallusts. nach bringmann 2001, 155 f., geht diese Betrachtungsweise der römischen Geschichte auf einen historiker zurück, „der in nachgracchischer zeit und wohl noch vor dem Bundesgenossenkrieg sein Werk verfaßte.“ bringmann schlägt als erfinder dieser sichtweise c. Fannius (cos. 122) vor. als ein anderer möglicher Urheber dieser sichtweise wird auch Poseidonios von apameia vermutet; vgl. hierzu mit weiteren literaturhinweisen WaLter 2004, 325 f. mit anm. 501. sall. cat. 5,8. vgl. zur verschränkung von luxuria und avaritia bei sallust VretsKa 1976, 137 f. sall. cat. 11,3. vgl. Wolff 1993, 171. sall. Iug. 41,3. vgl. KaPust 2011, 42 und 45. sall. Iug. 41,2–5: nam ante Carthaginem deletam populus et senatus Romanus placide modesteque inter se rem publicam tractabant, neque gloriae neque dominationis certamen inter civis erat: metus hostilis in bonis artibus civitatem retinebat. sed ubi illa formido mentibus decessit, scilicet ea, quae res secundae amant, lascivia atque superbia incessere. ita quod in advorsis rebus optaverant otium, postquam adepti sunt, asperius acerbiusque fuit. namque coepere nobilitas dignitatem, populus libertatem in lubidinem vortere, sibi quisque ducere trahere rapere. ita omnia in duas partis abstracta sunt, res publica, quae media fuerat, dilacerata. vgl. auch sall. cat. 10,2–3; hist. frg. 10 (= aug. civ. 2,18; die zählung der Fragmente der historien sallusts hier wie im Folgenden nach mcgushin 1992); hist. frg. 12 (= Gell. 9,12,15; aug. civ. 3,17); vgl. zudem WoLff 1993, 170 f. es sei an dieser stelle auch auf das aporetische in sallust Konzeption hingewiesen. Denkt man seine analyse – freilich ohne dass sich dies für sallust nachweisen ließe – als Gedankenexperiment konsequent zu ende, so ergibt sich, dass die res publica nolens volens auf ihren Untergang zutrieb. Denn es ist letztlich einerlei, ob sie durch die Feinde oder im zuge der Unterwerfung der feindlichen Kräfte bzw. in Überwindung des metus hostilis ihrer auflösung zugeführt wird; vgl. auch mit weiteren literaturangaben V. haehLing 2007, 69. ebenso erwähnenswert ist, dass sallust die römische Frühzeit keinesfalls romantisch verklärt. Bereits vor dem zweiten Punischen Krieg befand sich der staat aufgrund der zersplitterung von adel und volk in schwerer schieflage. so war ein einträchtiges verhältnis zwischen beiden Gruppen nur vom zweiten bis dritten punischen Krieg gegeben; sall. hist. frg. 9. sallust postuliert folglich keine permanente Blütezeit des römischen Gemeinwesens in der vergangenheit. Wie V. haehLing 2007, 69 und 79, feststellt, ist sallust im Ganzen eher ein Pessimist hinsichtlich der menschlichen natur. Die these von V. haehLing, dass bei sallust der

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scher einzelinteressen, womit die vorher allerorts dominierende ausrichtung der römischen Bürger auf das Gemeinwesen stetig abnahm und das Gemeinwohl immer weiter in den hintergrund gedrängt wurde. cicero hingegen gibt kein konkretes historisches Datum an, das er als startpunkt des niedergangs ansah. vielmehr fokussiert er in seiner erklärung die principes als ausgangspunkt des moralischen verfalls. In De legibus berichtet der Gesprächsteilnehmer M. cicero von der villa des l. licinius lucullus (cos. 74) in tusculum. Das interessante an dieser villa ist zuvorderst, dass in deren nachbarschaft die villen eines römischen ritters und eines Freigelassenen zu finden waren. Diese anscheinend gut betuchten anrainer zeigten sich bei der ausstattung ihrer Gebäude wohl sehr verschwenderisch. lucullus nahm dies als vorwand, seine villa mindestens ebenso prunkvoll auszustatten. Dies begründete er nach cicero damit, dass es ihm als römischem senator zugestanden werden müsse, eine ebenso aufwendige repräsentation zu pflegen wie Personen einer sozial niederen statusgruppe. Offensichtlich konnte das Gros der römischen senatoren, für welche lucullus hier stellvertretend stand, aufgrund ihrer selbstwahrnehmung diese öffentliche zurschaustellung der Inversion der sozialen hierarchie nicht erdulden. lucullus’ rechtfertigung seines luxus, die sich letztlich auf die Orientierung an einem ritter und Freigelassenen stützte, kann auch als nivellierung der sozialen statusdissonanz22 gelesen werden, die für cicero ganz selbstverständlich zwischen senatoren und niederen sozialen Gruppen bestand. Mit seiner ausrichtung an den repräsentationsformen anderer, setzte sich lucullus dem ciceronischen vorwurf aus, Ideal und Imitation zu verwechseln. erst sein luxusstreben habe die Personen anderer gesellschaftlicher Gruppen überhaupt dazu animiert, ihn nachzuahmen. Ohnehin sollte der senator mehr darauf achten, die hemmungslose zügellosigkeit einzudämmen, anstatt sie noch zu entfachen.23 Die Fehler der führenden PersönlichKrisenbegriff gar nicht angewandt werden kann, da „dieser terminus ganz gezielt die Möglichkeit einer regenerierung zulässt“ (ebd. 69), wohingegen bei sallust alles zwangsläufig auf den Untergang zutreibt, geht dagegen m. e. zu weit. Wie eben gesehen, verkennt sallust nicht die harmonische Phase des Gemeinwesens zwischen dem zweiten und dritten Punischen Krieg. zwangsläufig muss also auch sallust davon ausgegangen sein, dass es zeiten der eintracht und der inneren ruhe gab. letztlich sind die aussagen in sallusts Werken aber zu disparat, als dass ein kohärentes Bild gewonnen werden könnte. Dennoch scheint mir sallusts verweis auf die Blütezeit der res publica zwischen den letzten Punischen Kriegen darauf hinzudeuten, dass der moderne Krisenbegriff auch bei ihm zur anwendung gebracht werden kann. 22 vgl. zu statusdissonanzen Jehne 2000, 168 f. mit anm. 5; für die Prinzipatszeit vgl. WinterLing 2001, 111. vgl. zur ausdifferenzierung von senatorischen Privilegien, die als anzeichen des senatorischen status gewertet werden können den Beitrag von Jehne in diesem Band (bes. Punkt 3). 23 cic. leg. 3,30–31: Vir magnus et nobis omnibus amicus L. Lucullus ferebatur quasi commodissime respondisset, cum esset obiecta magnificentia villae Tusculanae, duo se habere vicinos, superiorem equitem Romanum, inferiorem libertinum: quorum cum essent magnificae villae, concedi sibi oportere quod iis qui inferioris ordinis essent liceret. Non vides, Luculle, a te id ipsum natum ut illi cuperent? quibus, id si tu non faceres, non liceret. (31) Quis enim ferret istos, cum videret eorum villas signis et tabulis refertas, partim publicis, partim etiam sacris et religiosis? quis non frangeret eorum libidines, nisi illi ipsi qui eas frangere deberent cupiditatis eiusdem tenerentur? Nec enim tantum mali est peccare principes (quamquam est magnum hoc

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keiten sind es letztlich, die für den verfall der sitten verantwortlich seien, da ihr verhalten die übrigen Bevölkerungsteile zur nachahmung guter wie schlechter taten anleite.24 In dieser Passage kommt ein zentrales element des ciceronischen Ideals des vir bonus im einzelnen wie des senatorenstands im allgemeinen zum vorschein: die vorbildfunktion.25 Damit schrieb cicero den politischen Führungspersönlichkeiten gleichsam einen pädagogischen auftrag zu.26 Daneben konzedierte cicero mit der Gewohnheit noch einen anderen Faktor, welcher den verfallsprozess dynamisierte. so spricht er beispielsweise davon, dass das recht, welches er durch einen rekurs auf die natur unumstößlich im Kosmos verankert, sich oftmals durch die schlechten Gewohnheiten der Menschen nicht heilsam entwickeln könne.27 an anderer stelle erfahren wir, dass diese Gewohnheiten von den eltern erlernt werden und keineswegs als natürlich zu begreifen sind.28 eher überlagern jene consuetudines die natürliche gute veranlagung im Menschen.29 Jedoch bleibt festzuhalten, dass für cicero die ethische sublimität der fühper se ipsum malum) quantum illud quod permulti imitatores principum existunt. Dass cicero lucullus als Beispiel ausgewählt hat, liegt wohl daran, dass lucullus bereits 56 verstorben war und cicero damit nicht riskierte, eine tiefe Feindschaft des lucullus zu evozieren; vgl. dycK 2004, 522. 24 cic. leg. 3,31: Nam licet videre, si velis replicare memoriam temporum, qualescumque summi civitatis viri fuerint, talem civitatem fuisse; quaecumque mutatio morum in principibus extiterit, eandem in populo secutam. 25 vgl. cic. leg. 3,28. vgl. zur vorbildfunktion und zum mimetischen aspekt der römischen erziehung der senatorensöhne durch ihre väter schoLz 2006, 131 f. und 136; ebd. 2011, 358; ebd. 2011a, 143 f. und 146. 26 Dieser aufgabe hat sich selbstverständlich auch cicero verschrieben, wenn er in div. 2,4–5 schreibt: … ad reliqua alacri tendebamus animo sic parati, ut, nisi quae causa gravior obstitisset, nullum philosophiae locum esse pateremur, qui non Latinis litteris inlustratus pateret. Quod enim munus rei publicae adferre maius meliusve possumus, quam si docemus atque erudimus iuventutem? His praesertim moribus atque temporibus, quibus ita prolapsa est, ut omnium opibus refrenanda atque coërcenda sit. (5) Nec vero id effici posse confido, quod ne postulandum quidem est, ut omnes adulescentes se ad haec studia convertant. Pauci utinam! Quorum tamen in re publica late patere poterit industria. Dabei ist besonders ciceros realitätssinn hervorzuheben. er ging nicht davon aus, alle adligen sprösslinge gleichermaßen mit seiner ethik zu erreichen. Dies war freilich auch gar nicht nötig. allein die gedankliche Befruchtung einiger weniger hätte zum erhalt des staates und zur Förderung des Gemeinwohls genügt. vgl. zur erziehung des Politikernachwuchses auch strasburger 1990, 66. strasburger hat dieses ciceronische „Umerziehungsprogramm“ erkannt. er sah darin das „heilmittel“ ciceros schlechthin. es ist dann aber m. e. nicht ersichtlich, warum strasburger, obwohl er dies für die philosophischen schriften ciceros konzediert hat, das philosophische spätwerk ciceros hauptsächlich gegen caesar gerichtet sah; vgl. ebd., 38–65. 27 cic. leg. 1,33: … quo [scil. ius] dicam naturam [esse]; tantam autem esse corruptelam malae consuetudinis, ut ab ea tamquam igniculi exstinguantur a natura dati, exorianturque et confirmentur vitia contraria. 28 vgl. zum verhältnis von Gewohnheit und natur aristot. rhet. 1370a5, wo die Gewohnheit zumindest als naturähnlicher zustand vorgestellt wird. 29 cic. tusc. 3,2: sunt enim ingeniis nostris semina innata virtutum, quae si adolescere liceret, ipsa nos ad beatam vitam natura perduceret. nunc autem, simul atque editi in lucem et suscepti sumus, in omni continuo pravitate et in summa opinionum perversitate versamur, ut paene cum lacte nutricis errorem suxisse videamur. cum vero parentibus redditi, dein magistris traditi su-

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renden Männer in Form der tugendhaftigkeit als ausweg aus der Krise offengestanden hätte.30 Fernab dieser „ethischen reformation“ ist zu konzedieren, dass sowohl cicero als auch sallust die Überwältigung des einzelnen durch leidenschaften wie die grenzenlose Gier als staatsbedrohendes Moment wahrnahmen. eben dadurch tritt das Partikularinteresse zunehmend in den vordergrund, wobei zugleich das Gemeinwohl immer seltener als handlungsleitendes Movens in erscheinung trat. Genau hier sollte die Programmatik einer ethischen erneuerung den gefährlichen tendenzen der eigenen zeit entgegenwirken. Durch die erinnerung der Führungsschicht, deren hauptgeschäft die politische tätigkeit war31, an ihre verpflichtung zum tugendhaften leben wurde die Politik gleichsam ethisch mit erneuert. Dabei war diese abstraktere analyse keine von der realität entkoppelte, sondern fand ihre einbindung selbstredend im politischen alltag der späten republik wieder.32 Das hauptbedrohungsmoment für das Gemeinwohl waren laut der Diagnose sallusts und ciceros in erster linie die ethisch defizitären adligen.33 2.2 Die Bedrohung: clodius und catilina Die wesentliche Differenz zwischen cicero und sallust besteht indes darin, dass bei sallust die herrschenden Männer in ihrer Gesamtheit – mit ausnahme caesars und catos34 – dem verdacht des moralischen verfalls unterliegen.35 hingegen glaubte cicero noch, dass es bei weitem mehr boni als gescheiterte Gestalten innerhalb

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mus, tum ita variis imbuimur erroribus, ut vanitati veritas et opinioni confirmatae natura ipsa cedat. siehe auch cic. off. 1,118. meier 1997, 306, hat diesen lösungsansatz ciceros ebenfalls erkannt, dessen Wirkung aber als eher gering eingeschätzt. von dem von meier verfolgten systemorientierten ansatz her ist dies sicherlich eine zutreffende einschätzung, wenngleich hierbei das Individuum durch die äußerlichen zwänge ein stück weit zum statisten degradiert wird. Doch versuchte cicero allem anschein nach mit dem verweis auf die ethische erneuerung der Führungsschicht eher die verantwortung des Individuums ins zentrum der reformtätigkeit zu stellen. vgl. hierzu auch WoLff 1993, 176, zu sallust: „Über ‚strukturen‘ wissen wir heute bei weitem mehr als sallust. Das sollte uns aber nicht veranlassen, in der Geschichte des verantwortlichen Menschen zu vergessen.“ vgl. auch V. haehLing 2007, 80. Der römische adlige war praktisch ein Berufspolitiker, der durch seinen sozialen hintergrund auf dieses Gebiet hin professionalisiert wurde, vgl. meyer 2006, 131 f. Diese Professionalisierung begründete letztlich die autorität der nobilität in politischen Fragen. Damit waren sie auch anderen sozialen Gruppierungen wie der breiten Masse auf diesem Gebiet überlegen. Modern kann man hierbei von arbeitsteilung sprechen. eben dies schloss jede tiefere einmischung der unteren schichten im politischen entscheidungsprozess kategorisch aus. ein senator wäre mutmaßlich auch nie auf die Idee gekommen, einem schmied sein handwerk zu erklären. vgl. gotter 1996, 551 f. es soll hier nicht verschwiegen werden, dass freilich auch das volk im Ganzen mit seiner hemmungslosen Freiheitsauslebung das seinige zur schieflage des staates beitrug. vgl. bspw. cic. rep. 1,62. zu sallust siehe anm. 21. sall. cat. 53,6–54, 6. sall. cat. 12,5: at hi contra, ignavissumi homines, per summum scelus omnia ea sociis adimere,

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seines standes gab.36 hinsichtlich der Gemeinwohlfrage lohnt es sich, auf eben diese wenigen Depravierten genauer zu schauen. exemplarisch kann sich hier auf ciceros stärkste politische Widersacher clodius und catilina beschränkt werden. Beim herausdestillieren von ciceros Gemeinwohlverständnis geht es derweil nicht um eine möglichst neutrale ereignishistorische rekonstruktion frei von jeder individuellen tendenz und absicht ciceros. vielmehr ist hier exakt Gegenteiliges gewünscht. Der gattungsspezifische nachteil der politischen schriften ciceros an sich, der häufig eine konkrete ereignishistorische rekonstruktion erschwert, kann sich hier als vorteil erweisen. Denn gerade mittels einer überzogenen sprachlichen zuspitzung bzw. Übertreibung appelliert der redner ausdrücklich an den Gemeinsinn jedes einzelnen zuhörers. Im Folgenden stehen besonders die vier reden gegen catilina und die rede über das Gutachten der Opferschauer im vordergrund. Innerhalb dieser politischen reden lässt sich zudem ein Phänomen des Gemeinwohls nachzeichnen, das hier vorweggenommen sei: Der Gemeinwohlbegriff für sich allein genommen war völlig unumstritten, wurde durchweg positiv konnotiert und war somit jeder kritischen reflexion seitens der Individuen entzogen. Ist das argumentieren mit dem Gemeinsinn insgesamt unstrittig, bleibt freilich die konkrete Füllung und ausformung offen und meist kontrovers. neben dem streit um die richtige auslegung, verfolgt cicero hier noch eine besondere strategie, nämlich seine politischen Kontrahenten strikt von einer gemeinwohlgeleiteten rationalität auszugrenzen bzw. ihnen jene abzusprechen. so stellt er beispielweise für clodius und seine anhänger fest, dass ihre „absichten und verhältnisse heillos und vom Gemeinwohl weit geschieden sind“.37 Für jeden zuhörer offensichtlich versuchte cicero hier clodius und sein Wirken von den Interessen der allgemeinheit und eben der salus communis zu separieren.38 Freilich bedurfte es daneben auch einer entsprechenden leistung des Publikums, da cicero zugleich an den Gemeinsinn jedes einzelnen zuhörers appellierte. erst dadurch konnte dieser vorwurf eine positive Wirkung entfalten. Denn das Gemeinwohl ist ein genuin positiver Begriff39, und wer würde es in einer derartigen Gesprächssituation spontan wagen, gegen ciceros Gemeinwohlauffassung zu sprechen, da er sich doch damit dem vorwurf des Partikularistischen und Gemeinschaftsgefährdenden aussetzt? Durch die ausgrenzung des clodius von jeglicher Orientierung auf die salus communis versuchte cicero, ihn politisch und gesellschaftlich zu isolieren und dadurch sein politisches handeln zu marginalisieren. vermutlich war cicero auch selbst bekannt, dass seine argumentationsstrategie eine rhetorische zuspitzung war, die in praxi quae fortissumi viri victores reliquerant: proinde quasi iniuriam facere, id demum esset imperio uti. 36 Gelegentlich wirft cicero – nicht bar jeder Ironie – die Frage auf, ob es die boni überhaupt noch gebe; vgl. att. 4,3,2. einer Fundamentalkritik hingegen hat er seine ethische Konzeption des vir bonus nie unterzogen. 37 cic. har. resp. 53: … mentes et res sunt perditae longeque a communi salute diiunctae. 38 Diese ciceronische vorgehensweise lässt sich nicht nur an diesem Punkt ablesen. auch in der Debatte um populares und optimates versuchte er seine zeitgenossen davon zu überzeugen, dass clodius zu keiner der beiden Gruppen zu zählen und damit weder als volksfreundlich noch als senatsnah zu kategorisieren sei; vgl. robb 2010, 165 f. 39 vgl. Jehne/mutschLer [im Druck], um anm. 28.

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kaum Überzeugungskraft besessen haben dürfte. Bekanntermaßen hatte clodius eine weitverzweigte anhängerschaft bzw. zumindest sympathisanten, die bis in die hohen Kreise des senats zu verfolgen waren.40 Konsequenterweise hätte cicero dann auch diesen senatoren jede Gemeinwohlorientierung absprechen müssen. Doch dürfte cicero dieses Faktum nur noch umso energischer angetrieben haben, clodius keine gemeinwohlgeleitete Intention zuzubilligen. es ging eben auch darum, den Unterstützern eines aufrührerischen Politikers klar vor augen zu halten, dass sie gewiss auf das falsche Pferd setzten. Diese ciceronische strategie war allerdings nur erfolgversprechend, wenn die anhänger eines clodius ihre handlungen auch an der salus rei publicae41 orientierten, womit cicero allem anschein nach rechnete. Ähnlich, aber noch weit pointierter ist ciceros rhetorischer Umgang mit catilina. Mögen sich clodius und catilina in ihrer politischen zielsetzung auch gleichen, die Umsetzung ihrer Interessen ist für cicero doch qualitativ unterscheidbar. Die förmliche auslöschung durch Inbrandstecken der urbs rom bei zeitgleicher ermordung aller gutgesinnten römischen Bürger ist eine Beschuldigung, die in ihrer ganzen rigorosität so nur catilina zuteilwird.42 Besonders frappierend wird die charakterisierung von catilinas vorgehen, wenn cicero es mit vorhergehenden bürgerkriegsähnlichen zuständen kontrastiert. In der dritten catilinaria argumentiert cicero mit den Wirren der 80er und 70er Jahre. Dort ist zu lesen, wie sulla erst gegen sulpicius rufus und später dann gegen cinna und Marius vorging, ebenso wie M. aemilius lepidus und Q. lutatius catulus gegeneinander kämpften. Dabei versäumt es cicero gewiss nicht, auf die zahlreichen schuldigen und unschuldigen Opfer dieser hart geführten auseinandersetzungen hinzuweisen.43 zudem ging es diesen Persönlichkeiten um eine exponierte Position innerhalb der politischen Klasse. Doch all dies war im vergleich zum Wirken des catilina noch human, denn all jene hatten als regulativen Ordnungsbezugspunkt noch die res publica. Ihr ziel war es – so cicero – die republik zu verändern, bei gleichzeitiger Beibehaltung der bekannten staatlichen Grundstruktur. Ihr verhalten war demnach also noch als gemeinsinnig und folglich gemeinwohlfokussiert zu deuten, auch wenn ihr streben 40 41 42

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siehe hierzu s. 61 f. vgl. nur cic. har. resp. 58; nat. 2,9–10; cato 11. cic. cat. 3,25: ita me gessi, Quirites, ut salvi omnes conservaremini, et, cum hostes vestri tantum civium superfuturum putassent quantum infinitae caedi restitisset, tantum autem urbis quantum flamma obire non potuisset, et urbem et civis integros incolumisque servavi. Freilich versäumt es cicero hier nicht, gebührend auf seinen bescheidenen Beitrag bei der verhinderung dieser schandtaten hinzuweisen. cic. cat. 3,24: Etenim recordamini, Quirites, omnis civilis dissensiones, non solum eas quas audistis sed eas quas vosmet ipsi meministis atque vidistis. L. Sulla P. Sulpicium oppressit: C. Marium, custodem huius urbis, multosque fortis viros partim eiecit ex civitate, partim interemit. Cn. Octavius consul armis expulit ex urbe conlegam: omnis hic locus acervis corporum et civium sanguine redundavit. Superavit postea Cinna cum Mario: tum vero clarissimis viris interfectis lumina civitatis exstincta sunt. Ultus est huius victoriae crudelitatem postea Sulla: ne dici quidem opus est quanta deminutione civium et quanta calamitate rei publicae. Dissensit M. Lepidus a clarissimo et fortissimo viro Q. Catulo: attulit non tam ipsius interitus rei publicae luctum quam ceterorum.

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nach „dem Prinzipat“ partikularistisch gewesen sein mag.44 Dagegen sei catilinas Wirken einzig und allein auf die zerstörung der res publica ausgerichtet gewesen. eine Kongruenz von eigeninteresse und Gemeinwohl war bei ihm demzufolge nicht mehr auszumachen. allein die zerstörung sei es gewesen, die ihn antrieb.45 cicero sprach somit catilina als Person nicht nur jedes gemeinwohlgeleitete Interesse ab, sondern unterstellte ihm darüber hinaus nicht mal mehr gemeinsinnig handeln zu können. catilina erfüllte für cicero, der ihm jegliche Gemeinsinnigkeit als individuelle Disposition absprach, nicht einmal mehr die basale Bedingung der Möglichkeit, gemeinwohlorientiert handeln zu können. cicero warf catilina schlichtweg vor, die res publica als Orientierungsgröße des eigenen handelns komplett aufgegeben zu haben. schlimmer konnte ein vorwurf kaum sein, kam er doch einem ausschluss aus der menschlichen Gemeinschaft überhaupt gleich. auf diese Weise verlor catilina jeden humanen zug und wurde zudem völlig entrechtet.46 es verwundert also nicht, dass cicero das Blut catilinas und seiner anhänger für den erhalt der res publica als quasi gemeinsinniges ausgleichsopfer forderte.47 Doch wäre es unzureichend, wenn man annähme, dass die größte Gefahr für die salus rei publicae für cicero von einem catilina oder clodius selbst ausgehen würde. Gewiss waren beide akteure die häupter der von ihnen vertretenen Politik. allein, sie wären nicht so erfolgreich – bzw. aus ciceros Perspektive: so bedrohlich – gewesen, wenn sie sich nicht auf eine breite anhängerschaft hätten stützen können. In dieser befanden sich zum einen diejenigen Personen, die sich aufgrund ihrer verschuldung einen schuldenerlass von ihren politischen Führern erhofften.48 andererseits unterstützte allem anschein nach die senatorische Jugend – von cicero peiorativ barbatuli iuvenes getauft – gelegentlich diese aufrührerischen strömun44 45

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vgl. zum verhältnis von eigensinn und Gemeinsinn die einleitung von Jehne/Lundgreen des vorliegendes Bandes (Punkt 3). cic. cat. 3,25: [Atque illae tamen omnes] dissensiones erant eius modi quae non ad delendam sed ad commutandam rem publicam pertinerent. Non illi nullam esse rem publicam sed in ea quae esset se esse principes, neque hanc urbem conflagrare sed se in hac urbe florere voluerunt. von rechtlicher seite her wurde dies durch die hostis–erklärung von Mitte november 63 legitimiert; vgl. V. ungern–sternberg 1970, 91. Ohnehin war für cicero bspw. der politische Mord eines tyrannen legitim; vgl. Pina PoLo 2006, 75. Der tyrann stand außerhalb der republikanischen Ordnung und hatte somit kein anrecht auf rechtlichen schutz. cicero kritisierte sogar noch seine zeitgenossen für ihre zu nachsichtige art im Umgang mit den tyrannen, wenn er sich bspw. in der Miloniana darüber echauffierte, dass man in rom tyrannenmörder verklagte, wohingegen man ihnen in Griechenland statuen setzen würde; cic. Mil. 80 f.; vgl. auch Pina PoLo 2006, 76. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass eine zentrale ciceronische Forderung in De legibus der Gewaltverzicht im politischen alltag ist; cic. leg. 3,42. Jedoch lässt sich dieser scheinbare Widerspruch genau mit dem hinweis auf die wenig gemeinsinnige stellung des tyrannen ausräumen, der sowieso nur den Umsturz der bekannten Ordnung im auge hat; vgl. Pina PoLo 2006, 75. ein tyrann steht eben der Gemeinschaft gegenüber und nicht in ihr. Diesen Gedanken entwickelte cicero auch in seinem philosophischen Denken. Denn der tyrann sprengte auch den im Menschen verankerten natürlichen trieb zur Gerechtigkeit, die ein wesentliches element des von tugend geleiteten römischen adligen bildete. Ohne Gerechtigkeit und im streben nach dem eigenen vorteil löste der tyrann aber die Gemeinschaft auf; vgl. Johann 1981, 421 f. cic. cat. 2,18; vgl. sall. cat. 16,4.

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gen.49 Die wirklich gefährlichen anhänger indes saßen für cicero auf den Bänken in der curia. Durch die Unterstützer senatorischen ranges wurde die harmonie des senats insgesamt nachhaltig gestört, wodurch das Gremium selbst in zwei den politischen Prozess lähmende Parteiungen zerfiel. eindeutig artikuliert findet sich dieses von cicero ausgemachte Gefahrenmoment in De haruspicum responso, wenn cicero zum ausdruck bringt: „Ich wundere mich vielmehr über gewisse hochweise und hochwürdige leute: erstens, weil sie es anstandslos hingehen lassen, daß ein berühmter Mann, der sich oft hervorragend um den staat verdient gemacht hat, durch die Worte dieses schmutzigsten aller Menschen beleidigt wird, zweitens, weil sie offenbar meinen, die schmähungen eines verworfenen und niederträchtigen Burschen könnten jemandes ruhm und ansehen beeinträchtigen (dabei haben sie nicht den geringsten vorteil davon!), und schließlich, weil sie nicht merken (was ihnen, wie ich glaube, immerhin schon zu dämmern scheint), daß sich die wahnwitzigen und unberechenbaren ausfälle des Menschen gegen sie selbst kehren können.“50

zum einen übt cicero Kritik an der stillschweigenden tolerierung der massiven angriffe des clodius auf Pompeius51 seitens einiger homines sapientissimi gravissimique.52 entscheidend ist dabei, dass sie es in Kauf nahmen, dass mit Pompeius selbst ein angesehener und um den staat verdienter Politiker zu schaden kam. Und dies taten sie zudem, ohne davon einen eigenen vorteil zu haben. einzig – so deutet cicero an – die politische Domestizierung eines zu mächtigen Pompeius habe sie hierzu motiviert. Doch warnt cicero diese Personen, dass die Unberechenbarkeit eines clodius auch sie eines tages treffen kann. hinsichtlich catilinas finden wir ebenso hinweise darauf, dass ein teil der senatoren ihn unterstütze oder doch zumindest die von ihm ausgehende Gefahr nicht erkannte.53 an anderer stelle kritisiert cicero spöttisch Patrizier, die er als schlechter erachtete als die Gladiatoren, die catilina angeheuert hatte.54 Die zerrissenheit des senates wurde von cicero 49 50

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cic. att. 1,14,4; 1,16,11; cat. 2,22. vgl. hierzu ferner benner 1987, 81–83 und timmer 2005. cic. har. resp. 46: illos homines sapientissimos gravissimosque miror, primum quod quemquam clarum hominem atque optime de re publica saepe meritum impurissimi voce hominis violari facile patiuntur, deinde si existimant perditi hominis profligatique maledictis posse, id quod minime conducit ipsis, cuiusquam gloriam dignitatemque violari, postremo quod non sentiunt, id quod tamen mihi iam suspicari videntur, illius furentis ac volaticos impetus in se ipsos posse converti. vgl. Lenaghan 1969, 170. zu diesen Personen zählten wohl vor allem M. calpurnius Bibulus (cos. 59), c. scribonius curio (sohn des Pontifex und Konsuls von 76), c. cato (tr. pl. 56), M. licinius crassus (cos. 70, 55) und cn. cornelius lentulus Marcellinus (cos. 56); vgl. Lenaghan 1969, 170. Womöglich kann l. calpurnius Piso caesoninus (cos. 58) als ein weiterer vertreter dieses Personenkreises gelten. Dieser schaute nach cicero tatenlos zu, wie clodius die aushöhlung des staates und seine verbannung vorantrieb; cic. Pis. 9 f. und Pis. 80. cicero bedankte sich dann bei Piso mit einer Invektivrede auf seine art für dessen nachsichtigkeit gegenüber clodius. vgl. zum heftig blasenden Gegenwind für Pompeius durch teile des senats auch Jehne, Punkt 4, im vorliegenden Band. cic. cat. 1,30: Quamquam non nulli sunt in hoc ordine qui aut ea quae imminent non videant aut ea quae vident dissimulent; qui spem Catilinae mollibus sententiis aluerunt coniurationemque nascentem non credendo conroboraverunt. cic. cat. 2,26: gladiatores, quam sibi ille manum certissimam fore putavit, quamquam animo

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folglich als ein wesentliches Bedrohungsmoment begriffen. Diesem Faktum trug er dementsprechend auch rechnung, wie wir noch sehen werden.55 zuletzt sei in diesem abschnitt noch ein Perspektivwechsel versucht. Bis hierher wurde überwiegend die Positionierung ciceros referiert. Dies liegt freilich zu einem gewissen Grad an seiner Dominanz in den uns erhaltenen Quellen. es ist ungleich schwieriger, die argumentationen und Positionen seiner politischen Kontrahenten aus der Überlieferung herauszufiltern. cicero selbst ist dabei keine entscheidende hilfe. Immerhin versetzt sich sallust in die argumentations- und Interessenstruktur catilinas, wie einer in direkter rede wiedergegebene ansprache catilinas an seine soldaten bei sallust zu entnehmen ist. Darin heißt es: „außerdem, soldaten, sind die andern ja nicht in gleicher not wie wir: wir fechten für vaterland, Freiheit, leben; ihr Kampf für weniger Männer Macht ist überflüssig.“56

Wir sehen anhand dieser Worte, wie der sallustische catilina einen ähnlichen standpunkt wie cicero entwickelt. zuvorderst ist augenfällig, dass von der bei cicero zu lesenden, staatszerstörenden tendenz nichts zu finden ist. Daraus wird ersichtlich, dass sich die Gemeinwohlrhetorik mit ihren zum teil aus der Gemeinschaft exkludierenden aussagen vordergründig aus Fremdbezeichnungen konstituiert. In erster linie geht also es darum, den politischen Konkurrenten im Diskurs jede gemeinwohlorientierte Fokussierung abzusprechen. Wenn cicero catilina als besondere Bedrohung für das Gemeinwesen darstellen wollte, so musste er zwangsläufig die Interessen catilinas als partikularistisch und den Interessen der republik entgegengesetzt brandmarken. Doch ist es wohl keine allzu gewagte hypothese, wenn man behauptet, dass catilina sich in der selbstbeschreibung der eigenen Person nie als eigensinnig und gegen das Gemeinwesen und volk handelnd charakterisiert hätte. sich selbst als gemeinwohlfeindlich zu kategorisieren, wäre dementsprechend einem politischen selbstmord gleichgekommen. so passt es ins Bild, dass sallusts catilina davon spricht, für das vaterland und damit für die res publica einzutreten. Dazu gilt sein Kampf der Freiheit und dem Überleben, was es gegen eine kleine machtbesessene clique zu verteidigen gilt. hier wird also im Umkehrschluss u. a. cicero als partikularistisch und gemeinwohlfeindlich kategorisiert. Den Umstand, dass catilina nun aus eigener not heraus mit Waffengewalt das vaterland gegen andere römische Bürger verteidigen muss, zeigt die paradoxe struktur des Bürgerkrieges. Der Kampf gegen römische Bürger wird mit dem hinweis auf die res publica und der Inanspruchnahme, für die Gemeinwohlbewahrung einzutreten, argumentativ gerechtfertigt. Man bewegte sich dabei immer im rahmen der bekannten Ordnung, wobei die anderen die Wenigen waren, die nur ihr Partikularinteresse verfolgten. Für cicero war catilinas argumentation wohl wenig überzeugend. aus ciceros Perspektive war catilina bestenfalls ein Gemeinwohlusurpator, den es,

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meliore sunt quam pars patriciorum, potestate tamen nostra continebuntur. siehe hierzu unten Punkt 3.2. sall. cat. 58,11: praeterea, milites, non eadem nobis et illis necessitudo inpendet: nos pro patria, pro libertate, pro vita certamus; illis supervacuaneum est pugnare pro potentia paucorum (übers. v. W. schöne).

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wenngleich er auch Gemeinwohlorientierung vorgab, vehement zu bekämpfen galt. Dies galt freilich auch vice versa. 3. ansÄtze zUr lösUnG Der GeMeInWOhlGeFÄhrDUnG Die Forschung hat sich intensiv mit den spätrepublikanischen lösungsvorschlägen der Krise auseinandergesetzt. Doch dabei lag der Fokus überwiegend auf dem Gesichtspunkt der institutionellen erneuerung der republik.57 an dieser stelle sollen indes die rhetorischen appelle als lösungsstrategien ins zentrum der Betrachtung gerückt werden. 3.1 Wahnsinn und Gemeinsinn zuvorderst sei noch einmal auf die ausgrenzungsstrategien ciceros näher eingegangen. es ist bereits deutlich geworden58, inwiefern cicero seine politischen Gegner der Möglichkeit zur Berufung auf das Gemeinwohl – als Begründung ihrer politischen handlungen – zu berauben versuchte. Daneben verfolgte cicero jedoch noch eine psychologisierende Diskreditierungsstrategie, die sich als Wahnsinnstopos niederschlägt. es reichte cicero demnach nicht einfach nur die Behauptung, dass seine Gegner gegen das Gemeinwohl und damit partikularistisch handelten, sondern er versuchte darüber hinaus sie von jeder rationalität, die man einfach als gesunden Menschenverstand bezeichnen könnte, zu distanzieren.59 cicero unterscheidet in den Tusculunae Disputationes mit insania, dementia, amentia und furor mehrere spielarten des Wahnsinns.60 Danach bedeutet insania eine Krankheit der seele, die vor allem durch den heftigen Befall durch leidenschaften hervorgerufen wird.61 In diesem sinne ist der Wahnsinn zudem eng mit dem ethischen verfall verknüpft.62 Diese Wahnsinnsform ist zudem mit stultitia zu verbinden. sodann sind dementia und amentia nach cicero weitere Formen des Wahnsinns, wobei es der entsprechenden Person am lumen mentis mangelt.63 Damit konzentrieren sich dementia und amentia als Krankheiten vorrangig auf den verstand. zuletzt definiert cicero noch furor als einerseits körperliches leiden, was die Griechen eher unter dem Begriff der μελαγχολία64 fassten, und andererseits als 57 58 59 60 61 62

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vgl. hierzu Lehmann 1980; Jehne 2003; meyer 2006, 113–181; samotta 2009, 177–389. siehe Punkt 2.2. vgl. oben s. 59. cic. tusc. 3,4 und 8–11. vgl. auch taLdone 1993, 3–8. cic. tusc. 3,8 f. vgl. foucauLt 1973, 384: „Offensichtlich ist diese Idee von den söhnen, die nicht mehr den Wert der väter haben, und jenes sehnen nach einer alten Weisheit, deren Geheimnisse im Wahnsinn der zeitgenossen verloren gehen, eines der traditionellsten themen der griechisch– römischen Kultur.“ cic. tusc. 3,10. Unter den „Griechen“ sind hier wohl vordergründig die stoiker zu verstehen; siehe hierzu wie auch zur Melancholie allgemein v. a. graVer (2003).

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leiden des verstandes, dass sich an ihm durch omnis caecitas äußere.65 Furor ist damit ein übleres leiden als insania. Daher habe es – nach cicero – auch in den zwölf tafeln in Bezug auf die entmündigung einer Person nicht si insanus, sondern si furiosus escit geheißen.66 Der vir insanus war vielleicht durch übermäßigen leidenschaftsbefall betroffen, aber im Gegensatz zum vir furiosus nicht völlig unfähig, das alltägliche leben mit all seinen rechtsgeschäften usf. zu vollziehen.67 cicero entwickelte diese hierarchie des Wahnsinns so reflektiert erst in seinem philosophischen spätwerk. zur anwendung brachte er die unterschiedlichen Begriffe dagegen bereits in seinen früheren schriften und reden. In den catilinarischen reden wird catilina denn auch an mehreren stellen mit dem Wahnsinnstopos belegt.68 In diesem Kontext dient die stigmatisierung mit Wahnsinn vorrangig der zusätzlichen Übertreibung des ohnehin schon schwerwiegenden vergehens, ist also auch ein sprachliches stilmittel um gegenüber dem Publikum die Bedeutung dieser staatsgefährdenden taten zu verdeutlichen. eindrücklicher ist aber noch die hierdurch erzeugte absurdität der handlungen des politischen Gegners. Diese stehen in einem völligen Gegensatz zum Gemeinwesen und haben per se etwas Ordnungsbedrohendes an sich.69 Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass die mutwillige Gefährdung der als alternativlos zu klassifizierenden republik an sich erklärungsbedürftig ist. eine Person, die dies bereitwillig in Kauf nimmt, kann kein intaktes Mitglied der Gemeinschaft der römischen Bürger mehr sein. cicero liefert also mit dem Wahnsinnstopos zugleich ein erklärungsmodell für das vorgehen catilinas.70 Besonders augenfällig wird dieses Begründungsmuster ciceros in der vierten stoischen Paradoxie, in der sich cicero mutmaßlich auf clodius bezieht, obschon dieser nicht ausdrücklich genannt wird.71 Dort heißt es: „Ich glaube nicht, daß du ein Dummkopf bist, wie es oft erscheint, auch nicht, daß du böse bist, wie es immer 65 66 67

cic. tusc. 3,11. cic. tusc. 3,11; vgl. auch fLach 1994, 139 f. vgl. zur hauptunterscheidung ciceros zwischen insania und furor vor allem foucauLt 1973, 178 f. 68 cic. cat. 1,8: convenisse eodem compluris eiusdem amentiae scelerisque socios. cic. cat. 1,15: Potestne tibi haec lux, Catilina, aut huius caeli spiritus esse iucundus, cum scias esse horum neminem qui nesciat te pridie Kalendas Ianuarias Lepido et Tullo consulibus stetisse in comitio cum telo, manum consulum et principum civitatis interficiendorum causa paravisse, sceleri ac furori tuo non mentem aliquam aut timorem tuum sed Fortunam populi Romani obstitisse? cic. cat. 1,22: Neque enim is es, Catilina, ut te aut pudor a turpitudine aut metus a periculo aut ratio a furore revocarit. 69 vgl. KorPanty 1985, 1. 70 eine allzu exklusive Beschränkung dieser sichtweise auf cicero ist indes nicht zwangsläufig angebracht, da auch andere autoren catilina des Wahnsinns bezichtigten. sall. cat. 15,5: igitur colos exanguis, foedi oculi, citus modo, modo tardus incessus: prorsus in facie voltuque vecordia inerat. es kann hier nicht ausgeschlossen werden, dass sallust in diesem Punkt von den Werken ciceros abhängt. Doch weist VretsKa 1976, 264, zumindest darauf hin, dass sallust „ein Interesse an derartigen symptomen von Geisteskrankheiten“ hatte. siehe zum Wahnsinn auch app. B. c. 2,2 und 2,7. 71 vgl. Weische 1966, 27.

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den anschein hat, sondern ich meine, du bist verrückt und wahnsinnig (…).“72 hier zeigt sich deutlich, was sich bei der Wahnsinnsanalyse zu catilina wiederfinden lässt. Die einfache Postulierung von Dummheit oder Bosheit konstituieren für einen clodius – und auch für einen catilina – keine adäquaten charakterisierungskategorien mehr.73 Durch den Wahnsinnstopos soll also das an sich Unbegreifbare begreifbar gemacht werden. zugleich wird im öffentlichen Diskurs dadurch die Position des clodius perhorresziert.74 Daneben – so cicero75 – schadete clodius nicht nur der res publica mit seinen handlungen, sondern sein Wahnsinn sei auch für ihn selbst die allergrößte Bestrafung.76 In ciceros Werken lässt sich also die Überführung des psychologischen Wahnsinnsbegriffs in den politischen Diskurs beobachten. Durch die Politisierung des „Wahnsinns“ wird dabei ein völlig andersartiges Instrumentarium der politischen rhetorik ermöglicht. Denn der Wahnsinnstopos dient vordergründig zur ausgrenzung eines Individuums aus der Gemeinschaft.77 somit wird einem clodius oder catilina grundlegend jede gemeinsinnige Fokussierung auf die große Ordnung der res publica in abrede gestellt. Komplettiert wurde diese ciceronische Perspektive dann noch durch catilinas und clodius’ Gewalteinsatz im politischen alltag.78 so standen die Wahnsinnigen, ebenso wie die tyrannen, außerhalb der Gemeinschaft. Die analytische Kategorie des Wahnsinns ging somit einher mit dem absprechen des ontologisch in der menschlichen natur fundierten Gemeinsinns. Wenngleich cicero dies nirgends explizit ausspricht, so darf vermutet werden, dass für ihn in letzter Konsequenz tyrannen und Wahnsinnige erhebliche schnittmengen in der Persönlichkeitsstruktur aufwiesen. Die soeben skizzierte Methodik ciceros zur Bekämpfung der Gemeinwohlbedrohung ist gewiss ein willkürlicher und hochgradig persönlicher ansatz, der so 72

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cic. parad. 4,27: Ego vero te non stultum, ut saepe, non inprobum, ut semper, sed dementem (…) (übers. v. r. nicKeL). Überhaupt widmet sich cicero in dieser Paradoxie dem Unterfangen, clodius den status eines römischen Bürgers aufgrund seiner Gewalttaten abzusprechen. Diese Paradoxie, die unter dem Motto steht ὅτι πᾶς ἄφρων μαίνεται, ist also in toto der ausgrenzung clodius’ aus der Gemeinschaft verpflichtet. Der hier verwendete Wahnsinnsbegriff dementia (hier das adjektiv demens) wird von cicero im Gegensatz zu insania nicht mit Dummheit in verbindung gebracht; vgl. oben s. 64 f. so z. B. in cic. har. resp. 44: Hanc ob amentiam in discordiis nostris, de quibus ipsis his prodigiis recentibus a dis immortalibus admonemur, arreptus est unus ex patriciis cui tribuno plebis fieri non liceret. hier ermöglicht der Wahnsinnstopos cicero sogar, den Übertritt des clodius in den Plebeierstand infolge einer unehrenhaften ausweisung aus der patrizischen gens Claudia als Konsequenz seiner Wahnsinnstaten vorzustellen. siehe ferner cic. har. resp. 55. vgl. auch Weische 1966, 28. cic. har. resp. 39. vgl. Lenaghan 1969, 156, wonach cicero (har. resp. 39) hierbei ein Motiv aus den tragödien aufnimmt, das physische leiden als göttliche strafen aufzufassen sind. cicero vergleicht das durch göttliche Mächte verursachte, körperliche leiden von tragödiencharakteren mit dem Wahnsinn des clodius, wobei er clodius zu seiner eigenen Furie erklärt. cic. parad. 4,29: tu ne nunc quidem [scil. civem], nisi forte idem hostis esse et civis potest. Mit dem Gewalteinsatz stieg auch das risiko eines ausbrechens eines Bürgerkrieges. cicero wollte womöglich mit dem terminus furor bewußt „… lo spettro della guerra civile …“ (taLdone 1993, 14) bei seinen zuhörern heraufbeschwören.

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wohl nur in rhetorisch überformten politischen reden möglich war. eine politische Programmatik ließ sich daraus kaum ableiten. eine solche wäre wohl allein auch schon dadurch erschwert worden, dass diese harschen reden ciceros keinen catilinarier oder clodianer aus seinem persönlichen abhängigkeitsverhältnis zu seinem jeweiligen anführer herausgelöst haben dürften, selbst wenn seine Worte womöglich ihren zweck erfüllten und den einen oder anderen von der richtigkeit seines standpunktes überzeugten. Dennoch exerzierte cicero damit paradigmatisch vor, wie mit derartigen politischen Quertreibern im politischen Diskurs umzugehen war, indem er die Debatte durch die Wahnsinnsargumentation entsachlichte.79 3.2 Concordia senatus und Gemeinwohl Weitaus problematischer schien dagegen die Frage nach dem Umgang mit den Unterstützern eines clodius oder catilina von senatorischem rang. es überrascht nicht, dass cicero in diesem zusammenhang wiederholt auf die discordia des senates hinweist. In De haruspicum responso argumentiert er sogar, dass „dieser Mensch [scil. clodius], der, auf sich allein gestellt, längst vernichtet und erledigt wäre, durch die verderblichen streitigkeiten der Besten auftrieb erhält: die anfänge seines rasens wurden von den abweichenden auffassungen derer unterstützt, die sich damals von euch getrennt zu haben schienen.“80 Damit kritisierte cicero scharf den anteil des in zwietracht verharrenden senats an dem politischen aufstieg des clodius. hier zeichnet sich bereits der politische Weckruf der concordia als lösungsansatz innerhalb der ciceronischen rhetorik ab. Folglich wird demnach insbesondere die eintracht des senats als Gemeinwohl- und Ordnungsgarant81 im Fokus stehen, wohingegen die concordia ordinum82 in diesem zusammenhang in den hintergrund zu treten hat. Indes sei zuerst festgehalten, dass für cicero discordia zweifelsohne ein – neben seditio – maßgebliches gemeinwohlbedrohendes Moment war.83 Die Bedeutung der eintracht innerhalb des senats leitete sich in ciceros augen zuvorderst aus der Bedeutung des Gremiums für das gesamte Gemeinwesen ab. so sagt cicero in der dritten catilinarischen rede, dass der senat der rat der republik überhaupt ist, über den sich kein einzelner, auch nicht der Konsul von 63, cicero, hinwegsetzen dürfe.84 aufgrund dieser Bedeutung wird ersichtlich, dass ein senat, 79 80 81 82 83

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In diesem zusammenhang ließe sich auch mit ebd., 18, von einer Demonisierung der politischen Gegenspieler sprechen. cic. har. resp. 50: Videtis igitur hominem per se ipsum iam pridem adflictum ac iacentem perniciosis optimatium discordiis excitari, cuius [scil. clodius] initia furoris dissensionibus eorum qui tum a vobis seiuncti videbantur sustentata sunt. vgl. KLein 1962, 52. cic. cat. 4,15. cic. att. 1,17,8–9 und att. 1,18,3. siehe hierzu im Ganzen strasburger 1931. cic. off. 1,85: Qui autem parti civium consulunt, partem neglegunt, rem perniciosissimam in civitatem inducunt, seditionem atque discordiam. Dieses Urteil findet seine Kontextualisierung hier in der Warnung vor einer einseitigen Begünstigung von teilen der Bürgerschaft bei gleichzeitiger vernachlässigung eines anderen teils. cic. cat. 3,7: Cum summis et clarissimis huius civitatis viris qui audita re frequentes ad me

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der nicht „eines herzens“85 agierte, für das Gemeinwesen eine ernsthafte Bedrohung darstellte, was nicht zuletzt auch durch die Götter angezeigt wird. Ferner differenziert cicero die ansicht aus, dass Individuen wie clodius diese zwietracht nicht erst säten, sondern in erster linie ausnutzten und weiter anfachten.86 Demnach wird klar, dass allein die eintracht des senates jeden seditiosus bereits der hauptbasis seiner gefährlichen Politik berauben würde. allerdings hing die senatseintracht zugleich maßgeblich von streitigkeiten innerhalb der clodianer ab. cicero verlangte von den senatorischen Unterstützern des clodius, ihre persönlichen Interessen sowie ihre sozialen verbindungen zum Wohle der res publica zu lösen und sich uneingeschränkt der von cicero vertretenen senatsmeinung anzuschließen. Besonders offensichtlich wird dieser Wunsch in einem Brief an atticus noch vor clodius’ volkstribunat, in welchem cicero seinen Freund bittet, den noch politisch unbedeutenderen clodius gegen seine Gönner aufzuhetzen, um so zwietracht innerhalb dieser clique zu erzeugen.87 somit sollte also die zwietracht innerhalb einer kleinen Gruppe eintracht für das gesamte Gemeinwesen schaffen. Die Debatte um eintracht zeigt insgesamt die Bedeutung des senats für das Gemeinwohl auf, für dessen Bewahrung offenkundig die Optimaten einzustehen hatten. ciceros Problemlösungsstrategie ist es dabei, seine allzu häufig pflichtvergessenen standesgenossen88 an ihre verantwortung innerhalb des senats zu erin-

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mane convenerant litteras a me prius aperiri quam ad senatum deferri placeret, ne, si nihil esset inventum, temere a me tantus tumultus iniectus civitati videretur, negavi me esse facturum ut de periculo publico non ad consilium publicum rem integram deferrem. siehe auch cic. ad fam. 5,2,8. vgl. auch ungern–sternberg 1970, 123 f. cic. tusc. 1,18. cic. har. resp. 40: Monent [scil. haruspices] NE PER OPTIMATIUM DISCORDIAM DISSENSIONEMQUE PATRIBUS PRINCIPIBUSQUE CAEDES PERICULAQUE CREENTUR AUXILIOQUE DIVINI NUMINIS DEFICIANTUR, †QUA RE AD UNUM IMPERIUM PECUNIAE REDEANT EXERCITUSQUE APULSUS DEMINUTIOQUE ACCEDAT. Haruspicum verba sunt haec omnia: nihil addo de meo. Quis igitur optimatium discordiam molitur? Idem iste [scil. clodius], nec ulla vi ingeni aut consili sui, sed quodam errore nostro; quem quidem ille, quod obscurus non erat, facile perspexit. siehe auch cic. har. resp. 46, 50, 53. cic. att. 2,7,3: hercule, verum ut loquamur, subcontumeliose tractatur noster Publius, primum qui, cum domi Caesaris quondam unus vir fuerit, nunc ne in viginti quidem esse potuerit; deinde alia legatio dicta erat, alia data est. illa opima ad exigendas pecunias Druso, ut opinor, Pisaurensi an epuloni Vatinio reservatur; haec ieiuna tabellari legatio datur ei cuius tribunatus ad istorum tempora reservatur. incende hominem, amabo te, quoad potest. una spes est salutis istorum inter ipsos dissensio; cuius ego quaedam initia sensi ex Curione. iam vero Arrius consulatum sibi ereptum fremit; Megabocchus et haec saginaria iuventus inimicissima est. accedat vero, accedat etiam ista rixa auguratus. spero me praeclaras de istis rebus epistulas ad te saepe missurum. siehe auch cic. att. 2,15,2. cicero hoffte 59 wohl vor allem darauf, dass clodius’ Feindschaft gegenüber caesar den weiten aktionsradius des triumvirates schädigen würde; vgl. tatum 1999, 109 f. Diese „ablenkung“ zeigt sich neben der Unterstützung des clodius häufig in der Kritik an den sogenannten piscinarii, die weit mehr damit beschäftigt waren, sich um ihre Fischteiche als um die res publica zu kümmern, cic. att. 1,18,6, att. 1,19,6, att. 1,20,3; att. 2,1,7 und att. 2,9,1. In der tat ist eine substituierung der republik als Bezugsgröße des eigenen handelns durch Fischteiche kritikanfällig.

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nern. Ohne erfolg blieben in diesem Kontext allerdings ciceros Bemühungen, die senatoren davon zu überzeugen, die res publica zum obersten regulativ aller handlungen zu machen, dem sich alle anderen sozialen verpflichtungen zu subordinieren hatten.89 als wichtigste Instanz der res publica galt für cicero dabei unmissverständlich der senat. Dies sprach er auch deutlich aus: so griff clodius „den senat selbst, die für das Gemeinwohl und den politischen Willen maßgebliche Instanz“ an.90 es war ciceros dringender appell an seine senatorenkollegen, ihre verpflichtung gegenüber senat und res publica nicht aus den augen zu verlieren. 4. FazIt Der vorliegende Beitrag hatte es sich zur aufgabe gemacht, den Gemeinsinn und das Gemeinwohl im rahmen der politischen rhetorik zu untersuchen. Dabei stand vorrangig die anwendung der Konzepte hinsichtlich ihrer Überzeugungskraft im politischen Diskurs im vordergrund. als ergebnis bleibt festzuhalten, dass zumindest cicero und sallust ihre eigene zeit als eine des verfalls wahrnahmen, da sich die individuelle Orientierung am Gemeinwohl mehr und mehr auflöste. Dies bildete die Grundlage dafür, dass das Gemeinwohl überhaupt als bedroht betrachtet werden konnte. zudem manifestierte sich darin ein konkretes Krisenbewusstsein, woraus sich ein erhöhtes Interesse an lösungsvorschlägen für die akute schieflage des Gemeinwesens ergab. Die Bedrohungen an sich konstituierten sich zuerst einmal innerhalb der Oberschicht. Insbesondere die ethische Depravation wurde hierbei als entscheidende Ursache explizit herausgestellt. alle weiteren schädlichen entwicklungen waren folglich nur entwicklungen per accidens. Konkret zeigte sich dies, insbesondere bei cicero, bei singulären Individuen. Diese gefährdeten die bestehende Ordnung durch ihre Geschäftigkeit, die im Diskurs als partikularistisch gebrandmarkt werden musste. cicero selbst stilisierte sich indes gelegentlich zum absoluten Gegenpol dieser entwicklung, wenn er dahingehend argumentierte, dass er mehrfach das Gemeinwohl über sein persönliches Befinden gestellt habe, wodurch gelegentlich der eindruck erzeugt wird, cicero sei der hüter des Gemeinwohls schlechthin.91 89

vgl. bspw. cic. off. 3, 90, wo cicero einem sohn nahelegt, seinen nach tyrannis strebenden vater als ultima ratio mit dem tode zu bestrafen und somit das Wohl des Gemeinwesens unter Missachtung der patria potestas vor das Wohl des vaters zu stellen. Gleiches konstatiert cicero in lael. 35 und 37 für die Freundschaft, wo er dafür plädiert das sonst unzerstörbare Band der Freundschaft, bei Machenschaften gegen das Gemeinwesen aufzutrennen. Diese Beispiele mögen genügen, um zu verdeutlichen welche spannungen zwischen sozialen Bindungen und der übergeordneten republik entstehen konnten. ciceros vehemente Forderungen immer das Gemeinwesen als Ordnungsinstanz im auge zu haben, deuten darauf hin, dass er in diesem Punkt in praxi erhebliche Defizite bei seinen standesgenossen sah. 90 cic. har. resp. 58: … senatum ipsum, principem salutis mentisque publicae … . 91 cic. cat. 4,19. Man fühlt sich hier zwangsläufig an den deutschen Buchtitel von Francisco Pina Polos cicerobiographie „rom, das bin ich“ erinnert. cicero zeigte vielerorts die tendenz, sich und die res publica als identisch zu betrachten; vgl. Pina PoLo 2011, 162 und 217 (im Kontext seiner verbannung). siehe auch Jehne/mutschLer [im Druck], um anm. 27.

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Wenn daher die Krise der republik als eine ethische Krise des adels begriffen wurde, so bedeutet dies auch, dass keine institutionelle reform Besserung gebracht hätte. vielmehr sind es die Individuen, die die verantwortung tragen, und eben dies machte einen clodius und catilina angeblich so gefährlich. Doch als schwerwiegender wurde noch die senatorische Unterstützung dieser politischen hasardeure gewertet. so verwundert es nicht, dass die Gemeinwohlrhetorik auf diese beiden Bedrohungsmomente – die zerrissenheit des senats und die einzelnen politischen Devianten – konkret reagiert. Dabei exkludiert der Wahnsinnstopos zum einen die einzelnen politischen Gegner, indem er einen clodius oder catilina jeder gemeinsinnigen Grundhaltung beraubte. Der persönlichen stigmatisierung folgt unweigerlich der gesellschaftliche ausschluss, wobei zeitgleich jeder anhänger in die situation gerät, ebenfalls der res publica als übergeordneter Ordnung gegenüber zu stehen. eben mit der versinnbildlichung dieser Konstellation hoffte cicero vielleicht auch, den Unterstützern die Unsinnigkeit ihrer Gunsterweisung vor augen zu führen. Mit dem schlagwort der concordia erinnerte er jene zudem daran, dass sie in erster linie dem senat als der maßgeblichen Instanz für das Gemeinwohl verpflichtet waren. Diese lösungsansätze waren freilich kaum mehr als rhetorische appelle, die sich an das verantwortungsbewusstsein jedes einzelnen senators richteten. aus einer modernen Perspektive erscheinen sie ganz unzulänglich, um die strukturellen Probleme der späten republik zu lösen. Jedoch sei hier nochmals darauf hingewiesen, dass für cicero und seine zeitgenossen die Krise keine systembedingte, sondern eine ethische war. Und in diesem lichte scheint die Gemeinwohlrhetorik einen ausweg aufzuzeigen. Dass die Krise letztlich als unaufhaltsam voranschreitend begriffen wurde, zeigte sich in dem augenblick, als die damals politisch aktiven wie cicero sich selbst eingestanden, dass ihre heilmittel nicht mehr anschlugen.92 exemplarisch dafür darf livius’ Diktum gelten, welches christian meier gar dazu inspirierte seine ganze schlussbetrachtung so zu überschreiben93: nec vitia nostra nec remedia pati possumus.94 es ist nicht frei von jeder Ironie, dass die akteure der ausgehenden republik ihre Metapher zur charakterisierung der alternativlosen Krise aus derjenigen Kunst entlehnten, die ihre entstehung – jedenfalls nach celsus – hauptsächlich dem Grundübel der ethischen Dekadenz verdankte.

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cic. att. 9,5,2; att. 16,15,5. es sei hier darauf hingewiesen, dass cicero die heilmittel-Metapher bereits 60 in Beschreibung einer ähnlichen situation der politischen ausweglosigkeit verwendet, att. 1,18,2; att. 2,1,7. 93 vgl. meier 31997, 301–306. 94 liv. praef. 9: „Wir können weder unsere Übel noch unsere heilmittel ertragen.“

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PraXIs In ItalIen UnD Den PrOvInzen

DIe GeschenKe Des KleInen Mannes. arBeItsleIstUnGen Der BÜrGer FÜr Ihre GeMeInschaFt als eUerGetIsMUs-sUBstItUt Konrad Petzold als der anführer der „volksfront von Judäa“ in einem der konspirativen treffen fragt, was denn die römer, oder auch der römisch imperialistische staatsapparat, wie er ihn gern nennt, jemals für die Bevölkerung Judäas getan hätte, bekommt er wesentlich mehr antworten als ihm lieb ist. Ohne zögern wird entgegnet, man habe den römern den aquädukt, die sanitären einrichtungen – früher hätte es in der stadt doch furchtbar gestunken –, straßen, medizinische versorgung, das schulwesen, Wein, öffentliche Bäder und öffentliche sicherheit sowie Frieden zu verdanken.1 sicherlich ist es kein zufall, dass Monty Python, aus deren Film „the life of Brian“ diese szene stammt, gerade Bauwerke wie den aquädukt, straßen oder öffentliche Bäder als positive errungenschaften der römer erwähnen. sind es doch oft ruinen eben dieser Bauten, die selbst im halbverfallenen zustand von ihrem einstigen Glanz und der damaligen Pracht zeugen. Doch wer errichtete diese Wunderwerke der antiken Baukunst – vor allem in den Provinzen des reiches? In der oben zitierten Passage werden die römer als diejenigen genannt, denen man alles zu verdanken habe. Das ist insofern richtig, da ohne die berühmte pax romana der Bau eines aquäduktes kaum vorstellbar gewesen wäre.2 Die eigentliche Bauausführung oblag jedoch anderen Gruppen. scheinbar war es neben dem Militär, den sklaven und Gefangenen vor allem die lokal ansässige Bevölkerung ganz gleich ob mit peregrinem oder römischem Bürgerstatus, die eben diese arbeiten verrichtete.3 eine freiwillige Partizipation der Bürger bei diesen arbeitseinsätzen wird in der modernen Forschung aber weitestgehend ausgeschlossen. Die geleistete arbeit wird vielmehr als „corvée“ bzw. „Fron“ verstanden.4 1 2 3 4

Jones, terry: Monty Python’s life of Brian, england, 1979, [0:27:21] (Film). zur Bedeutung des Friedens für große und langwierige Bauvorhaben vgl. ecK 1995a, 191. vgl. KoLb 2008, 105 f.; brunt 1980, 82. so ist brunt 1980, 82, nicht der einzige der von „corvées“ spricht; vgl. stellvertretend siJPesteiJn 1964, 4; feisseL 1985, 78; duncan-Jones 2002, 175; Le roux 2009, 28; ecK 1995b, 259 anm.33; als Fron oder Fronden werden diese arbeiten u. a. bei ecK 1995b, 264, 272; neesen 1981, 227 und Weber 1999, 106 bezeichnet. zur einstigen Bedeutung und entwicklung von Fron und Frondiensten im Mittelalter siehe: rösener 1989, sp. 986–989. heute verbindet man laut Duden folgende zwei Bedeutungen mit Fron bzw. Fronarbeit: „1. in körperlicher arbeit bestehende Dienstleistung, die bes. Bauern ihren lehnsherren zu erbringen hatten“ sowie „2. (geh.) als unerträglichen zwang empfundene arbeit“; siehe drosdoWsKi 1993, 1170. – ein Mitwirken aller Bürger unter frongleichen Bedingungen scheint Monty Python dagegen nicht

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Dieser aufsatz möchte daher einigen Fragen bezüglich dieser „zwangsdienste“ nachgehen: Wurde die Bevölkerung wirklich regelmäßig für schwere körperliche arbeit eingesetzt? Wenn das der Fall ist, lässt es sich auch erahnen, wie die ausführende Bevölkerung zu diesen arbeitseinsätzen stand? Wurde diese „Fronarbeit“ eventuell gar nicht so durchgängig negativ betrachtet, wie in der Forschung allgemein angenommen? es soll daher untersucht werden, ob es während des Prinzipats mitunter auch Formen direkter arbeit der provinzialen Bevölkerung gab, die auf eine gewisse Freiwilligkeit schließen lassen können. hierbei ist wichtig zu erwähnen, dass Freiwilligkeit nicht mit absolutem altruismus gleichgesetzt werden darf und mit graduellen Unterschieden bezüglich der Freiwilligkeit zu rechnen ist.5 Das höchste Maß des intrinsisch motivierten bzw. des gemeinsinnigen handelns wäre demnach dann erreicht worden, wenn die ärmere Bevölkerung die von ihnen geleisteten direkten arbeiten als euergetismus-substitut verstanden hätten, gleichsam einer entsprechung des einsatzes großer Geldsummen durch die lokale Führungsschicht. 1. FOrMen DIreKter arBeIt FÜr DIe GeMeInschaFt verglichen mit der nachweisbarkeit der euergetischen tätigkeit der Oberschichten lassen sich nur wenige zeugnisse finden, die überhaupt belegen, dass die Bürger an den Projekten mitgewirkt haben. Die körperlich arbeitende Bevölkerung und deren relativ unspektakuläres – eben alltägliches – Wirken ist in den literarischen Quellen nur selten bis gar nicht dokumentiert, was wohl der schreibenden Oberschicht geschuldet ist, die kein gesteigertes Interesse hieran hatte.6 es schweigen aber nicht nur literarische texte über die unterelitären schichten, sondern auch in den Inschriften werden sie kaum erwähnt.7 Dies wird zuweilen auf den Unwillen zurückgeführt, neben den erzwungenen arbeitsverpflichtungen nicht noch die finanziellen aufwendungen für eine Inschrift zu tragen, die sie an ihre vermeintliche Fronarbeit erinnerte, quasi eine in stein manifestierte erinnerung an die „zwangsarbeit“.8 aber es gibt auch alternative erklärungen. sicherlich waren Inschriften oft zu teuer

5 6 7

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im sinne gehabt zu haben, da sonst die reaktion der Mitglieder der „volksfront von Judäa“ wenig verständlich wäre. Ähnliches stellt KLeiJWegt 1994, 65 in hinblick auf die eurgeten fest, wenn er postuliert, dass „a declaration of voluntarity need not allways imply complete spontaneity on the part of the candidate.” Ähnlich brunt 1980, 84. Die wirkliche Wertschätzung der Mühen einzelner am Bau beteiligter Bevölkerungs- und Berufsgruppen findet man mitunter erst im Kontext des spätantiken Kirchenbaus; vgl. IGls XXI 2, 100; seG 45, 2028. Ich danke rudoLf haensch für seine äußerst hilfreichen hinweise im rahmen seines vortrags „alter Wein in neuen schläuchen? Der Kirchenbau im Osten des römischen reiches und der antike euergetismus“ am 7. 12. 2011 in Dresden sowie für das freundliche Übermitteln der relevanten Quellenstellen. so meint rathmann 2006, 219 anm. 87, man wollte wohl „den als belastend empfundenen verpflichtungen vermutlich nicht noch weitere Kosten für epigrafische zeugnisse folgen lassen“.

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für die einfache Bevölkerung. vielleicht mochte auch ein in den Unterschichten weitverbreiteter analphabetismus eine rolle gespielt haben. Wenn die Bauausführenden die Inschriften gar nicht selber lesen konnten, legten sie eventuell nicht so viel Wert auf eine verschriftlichung ihrer taten.9 Genauso dürfen gesetzliche einschränkungen nicht vergessen werden. Ohne kaiserliche zustimmung war es nur erlaubt, den Finanzier und natürlich den Kaiser selbst auf einer ehreninschrift zu nennen.10 Und schließlich trifft hier das gleiche argument zu wie bei den literarischen Quellen. Die direkten arbeitsleistungen für das Gemeinwesen dürften einfach zu alltäglich gewesen sein, als dass man jedes Mal extra eine Inschrift für diese leistungen anfertigte.11 Denn die aufgaben, die der vielen hände bedurften, waren vielfältig. Für den Bau von straßen, aquädukten, landwirtschaftlichen Bewässerungsanlagen, öffentlichen Prestigeobjekten etc. erforderte es zwar immer auch der professionellen Facharbeiter. Doch fiel in einer solchen vorindustriellen Gesellschaft, die ohne große krafteinsparende Geräte operierte, auch stets eine Menge von unqualifizierten arbeiten an, bei denen es weniger um expertise als um Muskeleinsatz ging.12 Für solcherlei arbeiten auch Gefangene und sklaven mit einzuspannen kam zwar sicherlich auch vor, doch eine systematische anwendung dieser „ressourcen“ lässt sich nicht feststellen.13 zudem standen nicht überall im gleichen Maße Gefangene und sklaven zur verfügung.14 Ähnlich war es um die Mitwirkung des Militärs bestellt. zwar gibt es viele zeugnisse, die den einsatz von soldaten belegen, doch gilt es dabei stets den zeitraum, die region und die Form der arbeit zu berücksichtigen.15 sucht man bei Bauprojekten nach einem hohen Maß von eigeninteresse bei der lokalen Bevölkerung, so versprechen infrastrukturell existentielle Bauten sowie 9 10

vgl. auch brunt 1980, 84. Dig. 50,10,3,1–2; der autor, aemilius Macer, war zwar ein erst unter severus alexander schreibender Jurist, vgl. Liebs 1976, 312–315, doch lässt sich die tendenz der vereinnahmung öffentlicher Darstellungsmöglichkeiten durch den Kaiser z. B. bei Münzen und straßen, bereits bei augustus deutlich fassen; vgl. dazu rathmann 2006, 211. 11 vgl. ecK 1997, 314. 12 vgl. brunt 1980, 84; KoLb 2008, 114 f. 13 vgl. miLLar 1984, 133. 14 so auch KoLb 2008, 111 f. 15 Generell waren statthalter angehalten, bei Problemen beim Bau die städte mit militärischer hilfe zu unterstützen, was Ulp. Dig. 1,16,7,1 verdeutlicht. als Beispiel für den straßenbau vgl. ae 1987, 992: a(ulo) caecina |severo | pro co(n)s(ule) | leg(io) III aug(usto) | (milia passuum) III – da die soldaten hier im nominativ genannt werden, interpretiert KoLb 2004, 147 dies als zeichen dafür, dass die arbeiten von ihnen erledigt wurden; für weitere Beispiele vgl. WaLser 1980, 455 f. sowie rathmann 2004, 188 anm. 154. Für den Kanalbau ist der einsatz von soldaten bei einem Großprojekt in numidien belegt (der Kanal war mehr als 100 km lang!), vgl. dazu shaW 1984, 130 anm. 30; auch in saldae werden Flottensoldaten für einen Bergdurchstich mit eingesetzt, um so einen mit einigen schwierigkeiten behafteten und ins stocken geratenen aquäduktbau zur vollendung zu führen; siehe cIl vIII 2728 = Ils 5795. allgemein wurde das heer meist nur dort zum Bau eingesetzt, wo eine noch schlecht ausgebaute Infraoder spärliche siedlungsstruktur bzw. die geringe Bevölkerungsdichte es nicht anders zuließen. Waren jedoch diese Probleme aufgrund von Koloniegründungen o. ä. gelöst, überließ man die Fürsorge der jeweiligen Bevölkerung. ein reichsweiter einsatz des heeres als „Baukolonne“ war schon organisatorisch undenkbar; vgl. auch rathmann 2006, 212 f.

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Projekte, die der eigenen stadt ehre, ansehen und evtl. die Gunst des Kaisers brachten, klar die größte aussicht auf erfolg. Um zu zeigen, dass die Bevölkerung beim Bau mithalf, und nicht immer per zwang dazu angehalten werden musste, werden im Folgenden zwei verschiedene arten der Bauprojekte untersucht, bei denen zwar einerseits ein hoher (körperlicher) einsatz, aber andererseits eine hohe eigenmotivation der lokalen Bevölkerung wahrscheinlich ist: der straßenbau und die Wasserversorgung. 1.1 straßenbau Im § 82 der ende des 1. Jahrhunderts verfassten lex Irnitana heißt es bezüglich des straßenbaus: „Wollen die Duumvirn, beide oder einer von beiden, straßen, Wege, Flußläufe, Gräben oder Kloaken zu bauen veranlassen oder verändern, sofern dies aufgrund eines Dekrets der Dekurionen oder conscripti und innerhalb der Grenzen dieses municipium und ohne schaden für Privatpersonen geschieht, soll den Duumvirn, beiden oder einem von beiden, das recht und die amtsgewalt zustehen, zu tun.“16 Die Obhut über den straßenbau sowie über andere infrastrukturelle Maßnahmen, obliegt den Duumvirn. Diese tragen die verantwortung für die korrekte ausführung der vom Dekurionenrat beschlossenen Maßnahmen. Wie die konkrete Umsetzung dabei erfolgen konnte, zeigt die direkt darauffolgende rubrik. so steht im § 83: „haben die Dekurionen oder conscripti dieses municipium beschlossen, daß ein Bauwerk und ein Befestigungswerk errichtet werden müssen – in der Weise , daß (…) in jedem Jahr Männer und ein Gespann von zugtieren – Männer und zugtiere, die innerhalb der Grenzen dieses Municipiums sich befinden – für nicht mehr als fünf tagewerke angefordert und bewilligt werden“.17 Diese handhabung stellte dabei keineswegs eine flavische neuerung dar, sondern fand zumindest in spanien bereits seit langer zeit anwendung, was sich aus dem caesarianischen stadtgesetz der colonia Genetiva Iulia bzw. der Kolonie Urso ergibt. In dem ganz ähnlich klingenden § 98 der lex Ursonensis liest man: „es soll erlaubt sein, die Befestigungsanlage zu bauen, welche auch immer die Dekurionen dieser Kolonie beschließen, (…) sofern sie pro Jahr und pro erwachsene männliche Person nicht mehr als fünf tagewerke und pro Paar zugochsen und Wagen nicht mehr als drei tagewerke beschließen.“18 In beiden Gesetzen ist demnach dezidiert der kostenlose arbeitseinsatz aller männlichen einwohner vorgesehen, sofern man 16

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Quas vias itinera flumina fossas cloacas inmittere commutare eius| municipi II viri ambo alterve volet dum ea ex decurionum conscrip|torumve decreto et intra fines eius municipi et sine iniuria priva|torum fiant II viris ambobus alterive facere ius potestasque esto s(i) (text und Übersetzung hier und im Folgenden von J. G. WoLf 2011). Quod opus quamque munitionem decuriones conscriptive eius municipi fieri oportere decreverint (…) ut ne amplius in| annos singulos homines et iuga singula iumentorum qui homi|nes quaeque iumenta intra fines eius municipi erunt quam ope|rae quinae exigantur decerna(n)tur. cIl II 5439 = Ils 6087 = FIra I 21 Quamcumque munitionem decuriones huius|ce coloniae decreverint (…) fieri liceto dum ne amplius in annos sing(ulos) in|que homines singulos puberes operas quinas et | in iumenta plaustraria iuga sing(ula) operas ter|nas decernant. (Übersetzung hier und im Folgenden von h. freis 1984, 94 nr. 42).

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den einzelnen nicht mehr als fünf tage beansprucht.19 auf den straßenbau gehen beide rechtstexte zwar nicht expressis verbis ein, doch meint auch ecK: „ Die verpflichtung aller Bürger und incolae, wovon keine Befreiung formuliert wurde, bezieht sich auf opus und munitio, d. h. auf die errichtung (bzw. reparatur) von öffentlichen Bauwerken einschließlich des straßenbaus.“20 Diese einschätzung wird durch das arrangement der zwei Paragraphen 82 und 83 in der lex Irnitana bestärkt. sicherlich ist die direkt aufeinanderfolgende anordnung der Punkte zuständigkeit für den straßenbau und sicherstellung der arbeitskräfte kein zufall. vielmehr wirkt § 83 wie eine Konkretisierung bzw. erweiterung zu § 82. Konkrete Belegbeispiele für direkte arbeitsleistungen der Bevölkerung beim straßenbau sind, wie oben erwähnt, eher spärlich. Die besten hinweise für die Partizipation einzelner Ortschaften liefern zweifelsohne die Meilensteine. Obwohl ihre Oberflächen keine allzu langen textpassagen zuließen und ihre Botschaften zwar nicht standardisiert, aber zumindest oft sehr ähnlich gewesen zu sein scheinen,21 ist der erkenntnisgewinn, den man aus ihnen ziehen kann, sehr beachtlich. Durch sie können nicht nur straßenverläufe, sondern eben oft auch reparaturarbeiten, zuständigkeitsbereiche beim Bau,22 Finanziers, manchmal sogar bauausführende Gemeinden nachgewiesen bzw. rekonstruiert werden.23 Jedoch lässt sich nicht klar erkennen, ob diese Gemeinden auch die Bevölkerung unvergütet herangezogen hatten. zumindest könnten aber einige Meilensteine auf die in Irni gängige Praxis hindeuten, wenn auf ihnen ein decreto decurionum festgehalten wird.24 Daneben sind es häufig Konflikte bzw. die daraus resultierenden schlichtungsschreiben, die die damaligen städte, Dörfer und sogar Phylen in erscheinung treten lassen. Besonders interessant ist in diesem zusammenhang eine zusammengesetzte Inschrift aus thrakien.25 sicinius clarus ehrt hier septimius severus sowie dessen 19

es gibt zwar auch einige Unterschiede und anpassungen, doch soll auf diese hier nicht eingegangen werden; vgl. dazu ecK 1997, 311 f. sowie horstKotte 1996, 238. Wichtig in diesem Kontext ist lediglich die Praxis des kostenfreien heranziehens der männlichen Bewohner für fünf tage, die in spanien sowohl in caesarianischer als auch in flavischer zeit nachgewiesen werden kann. 20 ecK 1997, 312. 21 Dass dem nicht so war und es keine imperiale norm, sondern einen doch recht großen Freiraum in der Gestaltung des textes gab, hat nun noch einmal rathmann 2004, 217 bes. anm. 318 herausgearbeitet. 22 vgl. KisseL 2002, 140, der zu recht auf Grenzstreitigkeiten hinweist, bei denen Meilensteine als Demarkationssteine eingesetzt werden konnten. zu Grenzstreitigkeiten von Ortschaften siehe auch burton 2000. 23 Das ist äußerst erstaunlich, da die Meilensteine als Propagandamittel sehr schnell vom Kaiser für sich beansprucht wurden. Wie bereits erwähnt, durften bei operae publicae laut Dig. 50,10,3,1–2 lediglich der name des Kaiser und des Finanziers auf der Bauinschrift erscheinen – so durfte auch der statthalter seinen namen nicht ohne weiteres auf den Meilensteinen verewigen. ab wann diese Monopolisierung der Meilensteine eintrat und ob wirklich die leges provinciae dafür verantwortlich zu machen sind, wie rathmann 2006, 211 vermutet, muss aufgrund der Quellenlage zunächst spekulation bleiben. 24 ae 1993, 1778; cIl vIII 10366; zu diesen Miliarien aus nordafrika vgl. rathmann 2004, 216; 225. 25 ae 1914, 62 = ae 1991, 1408 = seG 39, 1989, 666 = IGrr I 828; siehe auch mottas 1989,

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Familie und teilt für einen abschnitt der via egnatia den anrainerortschaften (φυλάι bzw. κώμαι; insgesamt sind es 16) ihre verschiedenen Baulose zu.26 1.2 Wasserversorgung von existenzieller Wichtigkeit für jede Gemeinschaft ist von jeher die Wasserversorgung. Ohne eine funktionierende Wasserzufuhr kann und konnte keine stadt überleben. Gerade große Ortschaften, oder solche, die in trockenen regionen gegründet wurden, waren dabei oft auf die Beschaffung von Wasser aus größerer entfernung angewiesen. eine Problemlösung hierfür war der aquädukt. Diese Wasserleitungen, die nicht immer oberirdisch, sondern auch unterirdisch und durch Berge verliefen, waren jedoch sehr kostenintensive und komplizierte Bauten. Wie aber wurde ein solches Projekt organisiert? Da solche Bauwerke die finanziellen Mittel der Kommunen weit überstiegen,27 konnte ein solches Bauvorhaben meist nur mit zuschüssen finanzstarker euergeten – oder des Kaisers – durchgeführt werden.28 Die notwendigen architekten konnten dafür oft in der jeweiligen Provinz gefunden werden, so die antwort trajans an Plinius, der nach geeigneten architekten fragte.29 solche lokalen einflüsse lassen sich mitunter heute noch nachweisen. so gibt es z. B. Indizien dafür, dass die eifelwasserleitung nicht von soldaten, sondern von einheimischen gebaut wurde, da ihr erscheinungsbild zu uneinheitlich für eine von militärischen einheiten geplante und ausgeführte arbeit ist.30 ein weiteres Paradebeispiel für die gelungene symbiose von fremder technik und lokaler aneignung bietet Petra: Dort wurde Wasser zwar dringend benötigt, stellte jedoch stets eine Gefahr dar, da bei starken regenfällen die stadt fortgespült zu werden drohte. Wie sich zeigt, wurde hier nur teilweise auf römische leitungstechnik zurückgegriffen, die man zudem mit einheimischem Know how verfeinerte.31

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82–104, bes. 101–104. Weitere Beispiele für die zuteilung von Baulosen gibt es aus der Gallia narbonensis unter augustus und antoninus Pius; siehe dazu: rathmann 2006, 219 anm. 84. vgl. WiLson 1996, 18, der meint, eine Wasserleitung sei das teuerste Bauprojekt überhaupt gewesen, welches eine stadt in angriff nehmen konnte. vgl. WiLson 1996, 18; schon die Wiederherstellung eines aquädukts konnte sehr kostenintensiv sein, weshalb auch hier der Kaiser als Finanzier auftreten konnte. siehe den aquädukt von segovia, der hierfür neben den lokalen Duoviri Kaiser trajan nennt; vgl. aLföLdy 1992, 231– 248. Plin. epist.10,40. vgl. rothenhöfer 2005, 179 anm. 532 sowie KoLb 2008, 110 anm. 39; WiLson 1996, 18 spricht sich zudem auch für eine Beteiligung der lokalen Bürger nicht nur bei der errichtung, sondern auch bei der Planung von einigen aquädukten in Gallien und afrika aus. nach ortLoff 2005, 93–109 findet man bei den Wasserleitungssystemen in Petra einflüsse vieler Kulturen (seleukidisch, syro-phönizisch, griechisch und römisch, siehe ebd., 93). Die als römische verbesserungen zu identifizierenden neuerungen sind dabei nicht allzu häufig, lediglich „few are found“; vgl. ebd., 108. Die tatsache, dass nur so wenige römische Innovationen auszumachen sind, begründet ortLoff 2009, 275 folgendermaßen: „the fact that few roman additions to the water supply situation occurred was an indication that the nebataeans had al-

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solche aufwendigen Wasserführungen wurden jedoch ausschließlich für größere städte gebaut. Für das römische reich war aber nicht nur die versorgung der städte mit trinkwasser von großer Bedeutung. In einer vorindustriellen Gesellschaft, in der ein Großteil der Bevölkerung direkt oder indirekt von der landwirtschaft lebte, galt es auch den agrikulturellen Wasserbedarf zu decken. In ländlichen Gebieten nutzte man neben den natürlichen Gegebenheiten eher Brunnen und zisternen zur trinkwasserversorgung von Mensch und tier. Um größere und breitflächige Gebiete gleichmäßig zu bewässern, waren hingegen komplexe Kanalsysteme besser geeignet.32 In unterschiedlichen regionen des römischen Imperiums lassen sich diese Bewässerungsanlagen heute noch nachweisen. Diese existierten meist schon vor der ankunft der römer und sind demnach wahrscheinlich auch auf lokale traditionen zurückzuführen.33 eines der bekanntesten und ältesten Bewässerungssysteme findet man in Ägypten. Gleichzeitig sorgten die klimatischen eigenheiten dieses landstrichs für die Konservierung der für die Forschung wertvollen Penthemeros-Quittungen.34 Diese nur aus dem Fayum überlieferten Quittungen belegen auf eindrückliche Weise, wie die normale Bevölkerung zu Instandhaltungsarbeiten herangezogen wurde, wobei diese arbeitseinsätze in der regel fünf tage im Jahr umfassten. In welcher Form das geschah und wie dieser Dienst am Gemeinwesen sich entwickelte, hat jüngst andrea Jördens in ihrer studie über den praefectus Aegypti überzeugend nachgezeichnet.35 so entstand das Penthemerossystem wohl in augusteischer zeit, wobei es anfangs noch eine Bezahlung für diese arbeit als anreiz, aber auch eine eidesabnahme als Druckmittel gegeben zu haben scheint.36 Diese art der „zuckerbrot- und Peitschenpolitik“ wurde jedoch später durch eine unentgeltliche Organisationspraxis abgelöst – zumindest werden sowohl eid als auch Bezahlung in späteren Quittungen nicht mehr erwähnt. ein genauer zeitpunkt, wann dies geschah, kann jedoch nicht mehr ermittelt werden.37 auffällig ist die Ähnlichkeit dieses Fünf-tagewerkes mit den Bestimmungen der lex Ursonensis und der lex Irnitana.38 Die vermutung, hier könne eine echte analogie vorliegen, wird dabei nicht nur durch die gemeinsame länge des arbeitseinsatzes evoziert, sondern auch durch die Beobachtung, dass die arbeiten von Mitgliedern der unterschiedlichsten sozialen schichten verrichtet wurden. so finden sich nicht nur hirten, Fischer und eseltreiber, sondern auch sklaven, was im allge-

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ready exploited all available water sources and the roman technological improvements could not significantly improve on existing nabataean technologies“. vgl. shaW 1984, 133. vgl. shaW 1984, 129. zu diesen Quittungen siehe: siJPesteiJn 1964, bes. die Definition ebd., 1–4. Jördens 2009, 407–413. siehe Papyrus BGU XvI 2590 = sB XvI 12312 (datiert auf den 1.8.25 v. chr.), vgl. Jördens 2009, 407 f. evtl. wurde die Organisationsform des Penthemeros zu trajanischen zeiten nochmals etwas verbessert, um so eine Kontrolle zu erleichtern; siehe siJPesteiJn 1965, 112 f. Diese Gemeinsamkeiten wurden von der Forschung früh erkannt, jedoch war nicht von Beginn an klar, ob die lex Iul. Gen. einfluss auf die ägyptische Praxis hatte oder umgekehrt. Doch sprach sich bereits siJPersteiJn 1964, 5 für die erste variante aus.

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meinen als eine vertretung reicherer Bürger gedeutet wurde.39aber auch in lamasba (numidien), antiochia (syrien) und spanien sind Bewässerungskanäle epigraphisch gut belegt.40 Gerade die Inschriften aus antiochia und spanien zeigen nicht nur, wie die bäuerliche Bevölkerung an den Instandhaltungsmaßnahmen direkt beteiligt wurde, sondern auch wie sie für diese verantwortlich war. Mit der veröffentlichung der sog. lex rivi Hiberiensis wurde ein schlaglicht auf einen bis dahin nur wenig beleuchteten, da nur ungenügend bekannten aspekt des bäuerlichen zusammenlebens, die sog. „irrigation communities“ oder „Bewässerungsgenossenschaften“, geworfen.41 Durch dieses inschriftlich überliefertes Gesetz sollte ein für alle Mal das vorgehen im Konfliktfall geregelt bzw. zukünftigen Konflikten präventiv entgegengewirkt werden. Gerade in diesem speziellen Fall konnte es sehr leicht zu spannungen kommen, da sich die Bewässerungsgemeinschaft über zwei verschiedene civitates erstreckte. Die lösung bestand darin, strittige Fragen betreffend der anstehenden arbeiten in concil[io]42 durch Mehrheitsbeschluss zu klären, wobei die stimmen nicht alle gleichwertig waren, sondern die Immobilienbesitzverhältnisse am Kanal bzw. die jeweiligen Wassernutzungsrechte Berücksichtigung fanden. Diese treffen, welche wohl ad termi|num.proxumae villae.Valeri 43 einberufen wurden, sind auch deshalb sehr interessant, da sie unter der aufsicht der sonst nur sehr selten erwähnten magistri pagi standen, die auch in solchen concilii gewählt wurden.44 Unter deren leitung wurde anschließend abgestimmt, wann die rechte zeit gekommen sei, die Kanäle trockenzulegen, um sie für die neue Bewässerungssaison wieder herzurichten. Der anteil, den jeder dafür zu leisten hatte, wurde in operae berechnet oder konnte auch als Geldsumme (pecunia) bis zu einem 39 40 41

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siJPestiJn 1964, 8 f. Für lamasba siehe shaW 1982; ders. 1984; für antiochia feisseL 1985; zu den unterschiedlichen Bewässerungsgenossenschaften in spanien siehe die tabula contrebiensis, dazu birKs/ rodger/richardson 1984; zu der lex rivi Hiberiensis: beLtrán LLoris 2006. Im Folgenden halte ich mich an die Interpretation von beLtrán LLoris 2006 und Le roux 2009. Die von nörr 2008, 121 f. angebotene alternative lesart, wonach der pagus Gallorum eine deutlich dominierende stellung einnahm, wird demnach nicht geteilt. eine letztgültige entscheidung kann jedoch aufgrund des Quellenmaterials nicht getroffen werden, wie nörr 2008, 122 selber zugibt: „Beide Modelle sind spekulativ (und wenig präzise). Das dürfte nicht nur an der schlechten Überlieferung der lrh liegen. vielmehr konnten ‚normproduzenten‘ und ‚normadressaten‘ auf die entfaltung des für sie selbstverständlichen verzichten, an dessen verständnis wir heute scheitern.“ zur argumentation gegen nörr 2008 siehe Le roux 2009, 24 f. anm. 26; 42 appendix 1, nr. 3. § 3c: I 41; vgl. beLtrán LLoris 2006, 176 f. § 4: I 48 f., also am Grenzstein in der nähe der villa des valerius avianus; vgl. beLtrán LLoris 2006, 177. leider ist der standort dieses Grenzsteins unbekannt. Würde sich nachweisen lassen, dass sich dieser Grenzstein zwischen dem pagus Gallorum bzw. Segardenensis und dem pagus Belsinonensis befindet, was nach ebd. (allerdings ohne Begründung) „almost certainly“ der Fall war, würde dies eher gegen die alternativlesart nörrs sprechen, wohingegen eine verortung im pagus Gallorum (evtl. zum in diesem pagus wahrscheinlich aufgegangenem pagus Segardensis) deutlich für jene Interpretation sprechen würde. § 3c: I 39. Bemerkenswert ist ebenfalls eine gewisse Kultfunktion, mit der diese Position verbunden war. so berichtet sic. Flacc., de cond. agr. 301: magistri pagorum quod pagos lustrare soliti sunt; vgl. auch beLtrán LLoris 2006, 175 bes. anm.118.

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bestimmten Datum abgeliefert werden.45 Ob die arbeiten dann innerhalb der nächsten fünf tage ausgeführt werden mussten, kann nicht mit Bestimmtheit verifiziert werden, da gerade dieser teil der Inschrift nicht erhalten geblieben ist.46 es ist anhand dieses zeugnisses deutlich zu sehen, wie die ländliche Bevölkerung für diese arbeit herangezogen wurde, was jedoch nicht unbedingt stets einer repressalie gleichkommen musste. auch wenn den magistri pagi eine reihe von juristischen Kompetenzen als Druckmittel eingeräumt wurden,47 so war es gleichwohl jene Bevölkerung selbst, die die aufgaben timokratisch festlegte. Besondere Beachtung verdient, wie bereits erwähnt, der Umstand, dass es sich hier um eine Grenzregion zweier civitates handelte und somit die zielgruppe des gemeinsinnigen handelns nicht direkt mit der heimatcivitas zusammenfiel.48 Diese besondere situation erschwerte es zusätzlich, die notwendigkeit eines gemeinsinnigen handelns bei den (besonders der flussaufwärtsgelegenen) Beteiligten zu vergegenwärtigen. Denn das oft durch die städtischen eliten propagierte Gemeinwohl entpuppte sich hier als das was es war – als Gruppenwohl.49 Unterließen die am oberen Flusslauf ansässigen Kanalnutzer die notwendigen reparaturarbeiten des Kanals kurz vor der Grenze zur nächsten Gemeinde, war es nicht deren heimatgemeinde, die ernteeinbußen zu befürchten hatte, sondern die nachbarortschaft flussabwärts. Um dennoch eine Kooperation zu erreichen, sollten die Betroffenen eine Interessengemeinschaft gründen. Dieser räumte man auch erstaunlich weitreichende Befugnisse ein.50 zudem wählte man einen vorsitzenden, der auch durch sakrale Funktionen gemeinsinnsstiftend wirken konnte und somit der Genossenschaft nicht nur auf juristischer, sondern auch auf sakraler ebene vorstand. Deren verbundenheit mit bzw. deren zugehörigkeit zur „heimatstadt“ stellte man damit keineswegs in Frage. sollten bspw. die Duumviri mithilfe des rats der colonia Caesaraugusta eine ausbesserung der verteidigungsanlagen beschließen, kamen wohl ganz selbstverständlich Fünf-tagewerke arbeit auf die Mitglieder des pagus Segardenensis zu. somit liegt folgender schluss nahe: Für die provinziale Bevölkerung scheint es nicht ungewöhnlich gewesen zu sein, für die tägliche versorgung mit frischem Wasser, sei es als trink- oder nutzwasser, eigene ressourcen zu investieren. Ob dies jedoch ausschließlich auf legislativen Druck oder auf intrinsische Motivation zurückzuführen ist, kann noch nicht beantwortet werden. 45 46 47 48 49 50

I 9–13. beLtrán LLoris 2006, 171 vermutet (nicht zuletzt wegen der ungleichen stimmgewichtung im consilium), dass diese arbeiten bzw. deren ausgleichszahlungen ebenfalls an den Besitztümern bemessen wurden. beLtrán LLoris 2006, 155 ergänzungsvorschlag für II 24 lautet: pugare sarcireque debebit in [diebus quinque pro]xumis. zu den Befugnissen der magistri pagi siehe Le roux 2009, 31; nörr 2008, 171 verweist zudem noch auf die publicani, denen noch weitere zwangsmittel zur verfügung standen. so gehörte der pagus Segardenensis zur römischen (ehemaligen veteranen-)Kolonie caesaraugusta (= heute zaragoza) und der pagus Belsinonensis zum latinischen municipium von cascantum (= heute cascante); vgl. beLtrán LLoris 2006, 148. zur Unterscheidung von Gruppenwohl und Gemeinwohl siehe Punkt 3 der einleitung von Jehne/Lundgreen im gleichen Band. vgl. hierzu die sanktionsbeschluss- und Durchführungskompetenzen; I 9–15.

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2. Das ansehen Der arBeIt Direkte arbeitsleistungen, so die eingangs wiedergegebene Meinung, beruhten meist auf zwang. Dass dem so gewesen sein könnte, liegt nicht nur an ihrer nähe zur steuerpflicht. schließlich griff man höchstwahrscheinlich bei den liturgien/ munera auf die steuerlisten zurück; evtl. gingen jene sogar aus dem steuersystem hervor.51 vor allem ist es jedoch die annahme, körperliche arbeit könnte prinzipiell als diskreditierend wahrgenommen worden sein, die eine positivere sicht auf die arbeitsdienste meist versperrt. Diese auffassung ruht auf zwei säulen. zum einen waren es vertreter der römischen elite, die mit ihrer wahrscheinlich griechisch inspirierten ansicht die „niederen Berufe“ vorwiegend negativ beurteilten. so verschob cicero52 die körperliche arbeit bewusst weg vom künstlerischen handwerk in richtung der sklaverei, da der lohn des arbeiters als eine art verpflichtung zur sklaverei wirken würde. Dies hat aus ciceros sicht insofern seine Berechtigung, als es beim römischen handwerk, anders als beim senatorischen ehrenamt, keine Beschränkungen gab, die irgendeine soziale Gruppe von der ausübung eines handwerks von vornherein ausschloss.53 Daher ist es durchaus denkbar, dass auf einer Großbaustelle, auf der mehrere handwerksunternehmen tätig waren, freie römische Bürger sowie freie Peregrine neben Freigelassenen und sklaven arbeiteten. Oft scheint jedoch das statement ciceros exemplarisch als für „das römische Denken“ herangezogen worden zu sein.54 Wenn die arbeit sogar auf bezahlter Basis die ausführende Person in die nähe der sklaverei führte, um wie viel mehr muss das kostenlose zur verfügung stellen seiner Körperkraft der sklaverei geglichen haben? eine interessante stelle, die verraten könnte, wie diese arbeiten auf nicht-römer gewirkt haben mögen, bietet tacitus. Worte der verachtung gegenüber diesen arbeitsdiensten sind es, die in den Mund eines noch nicht unterworfenen Kaledoniers namens calgacus gelegt wurden, für den gerade der straßenbau eine art sklaverei darstellte.55 so heißt es unter anderem: „Unser hab und Gut wird für abgaben, die ackererträge für Getreidelieferungen, unsere leiber schließlich und unsere arbeitskraft beim anlegen von Wegen durch Wälder und sümpfe unter schlägen und Beschimpfungen aufgezehrt.“56 es könnte aber auf dem lande bzw. in den Provinzen auch eine ganz andere Grundhaltung gegenüber der körperlichen arbeit geherrscht haben als bei cicero. zumindest suggeriert dies ein epitaph aus nordafrika, in dem ein Decurio, der es sogar zum censor seiner Ortschaft brachte, ausführlich auf seine ärmlichen an51 52

vgl. Jördens 2009, 270. cic. off.1,150. cicero sei hier nur stellvertretend genannt; generell scheint in der römischen Oberschicht eine ablehnende haltung gegenüber handwerklichen bzw. „niederen“ Berufen vorherrschend gewesen zu sein, weitere Belegstellen vgl. PreLL 1997, 146–149. 53 zu den beteiligten sozialen Gruppen und der Bauorganisation, vgl. auch KoLb 2008, 105. 54 so geht bspw. auch rainer 1990, 376–381 durchgängig von einer negativen Bewertung der körperlichen arbeit aus. 55 tac. agr. 29,4. 56 tac. agr. 31,1: Bona fortunaeque in tributum, ager atque annus in frumentum, corpora ipsa ac manus silvis ac paludibus emuniendis inter verbera et contumelias conteruntur. (text und Übersetzung von a. städeLe).

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fänge verweist.57 Dabei blickt er mit stolz auf seinen aufstieg in die höchsten städtischen Ämter zurück, welcher bei seinem unbedeutenden vater in einem bescheidenen heim gänzlich ohne Besitz begann.58 Die physisch strapaziösen tätigkeiten, die er auf seinem Weg nach oben verrichten musste, werden dabei nicht verschönert oder gar weggeblendet. Im Gegenteil: nur durch seine harte körperliche arbeit, bei der er alle anderen ausstach, konnte er diese miserablen startbedingungen überwinden.59 somit präsentiert er sich als schmied seines eigenen Glückes, der seine Karriere nicht der Gunst einer Glücksgottheit zuschreibt, sondern seiner eigenen leistung. schließlich wird seine Karriere und lebensführung auch zum Ideal deklariert, wenn er seinen epitaph mit dem verweis enden lässt, man solle von einem solchen leben lernen, da dies die art sei zu sterben, wie es derjenige verdiene, der ohne Betrügereien sein leben führte.60 Ob dieses Ideal einer lebensführung, die auch vor harter körperlicher anstrengung nicht zurückschreckt, generell oder nur durch den verstorbenen als nachahmenswert empfunden wurde, lässt sich natürlich aufgrund der singularität dieser Inschrift nicht bestimmen. zumindest zeigt dieses epitaph, dass ein solches Denken möglich war.61 Der zweite Pfeiler der oben genannten annahme basiert vorwiegend auf semantischen Überlegungen. Das Wort operae und die Wortfelder, in denen es meist gebraucht wurde, weisen oft in die gleiche richtung wie das cicero-zitat. so konnten zwar auch städte operae von ihren einwohnern einfordern.62 Die gleiche vokabel tritt jedoch bei den Pflichten der sklaven und der Freigelassenen auf, die gegenüber ihren herren ebenfalls zu Diensten (operae) verpflichtet waren,63 und so ist es nur wenig verwunderlich, dass der operarius sowohl ein Freigeborener als auch ein sklave sein konnte.64 es ist legitim zu vermuten, eine eher negative Konnotation des Wortes habe sich auch auf die Dienste und Werke abfärben können. Doch kann dieser annahme entgegen gehalten werden, dass die durch die operae entstehenden Bauwerke (opera) positiv betrachtet wurden – genauso wie die Bürger, also die 57 58

courtney 1995, nr. 109 = cle 1238 = cIl vIII 11824 = Ils 7457. zeile 3–4: Pau[p]ere progenitus lare sum paruoq(ue) parente, | cuius nec census neque domus fuerat. 59 Dezidiert wird darauf hingewiesen, dass er zwölf Jahre als schnitter zubrachte, bis er zum vorarbeiter aufstieg; siehe zeile 7–14. es ist dabei auch äußerst auffällig, wie viel Platz der Frühphase seiner Karriere auf der Inschrift eingeräumt wird: Während die armen verhältnisse von zeile 3–14 geschildert werden (die ersten zwei zeilen sind nicht überliefert), bekommt seine elfjährige zeit als vorarbeiter, in der er zu Wohlstand gekommen ist, noch immerhin ca. 5 zeilen gewidmet; die zeit, in der er in den höchsten Kreisen ankam, wird nur noch mit 3 zeilen bedacht. 60 zeile 27 f.:Discite mortales sine crimine degere vitam: | sic meruit, vixit qui sine fraude, mori. 61 vgl. auch PreLL 1997, 130, wonach nur die Minorität der römischen Oberschicht eine negative sichtweise auf die handwerklichen Berufe vertrat. Die Majorität, die angehörigen der unterelitären schichten, waren demgegenüber oft stolz auf ihre jeweilige zunft, was man anhand der Grababbildungen, bei denen man sich gern eifrig bei der arbeit zeigte, belegen kann. 62 so auch die terminologie in den spanischen stadtgesetzen; vgl. hierzu auch KoLb 2008, 114. 63 Bereits cato sprach von operae, wobei diese einem eintägigen arbeitseinsatz entsprachen (cato agr. 5,4); zu den operae, die sklaven bzw. Freigelassene zu leisten hatten siehe u. a. Dig. 38,1,9,1; vgl. auch brunt 1980, 89 sowie WaLdstein 1986, 19–42. 64 vgl. brunt 1980, 89.

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Bauausführenden. somit konnten sogar sowohl die Bauwerke und als auch die Bürger einer stadt einzug in einen Panegyrikos finden.65 ein ebenso breites Wortfeld ist für das auch oft mit direkten arbeitsleistungen verknüpfte Wort munus auszumachen. Dabei sind es wiederum häufig, aber nicht immer negative bzw. erzwungene leistungen, die mit munera verknüpft werden.66 auch einige positive aspekte lassen sich fassen,67 was aber angesichts eines solch umfassenden Bedeutungshorizontes nicht verwundern sollte und daher nicht überbewertet werden darf. anders sieht es mit jenen Inschriften aus, auf welchen sich ehemalige munizipale Kuratoren ihrer geleisteten munera rühmen.68 nach diesen Beispielen war es durchaus nicht von vornherein diskreditierend, „zwangsdienste“ zu verrichten. Gegen diese art der ehr- oder gar politischen Machtgewinnung durch verrichtung von Pflichtaufgaben machte sich libanios stark.69 zwar hat drecoLL recht, wenn er hervorhebt, libanios habe in diesem abschnitt versucht, die oberen schichten zu einem größeren engagement zu bringen; ein engagement, das weiter reicht als die üblichen munera bzw. liturgien.70 Doch macht diese Passage auch deutlich, wie schwierig es war, trennschärfe zwischen Pflichterfüllung und wahrem euergetismus zu erreichen. Gleichwohl reichen diese Überlegungen nicht aus, um zu belegen, dass direkte arbeitsleistungen nicht immer als erdrückend empfunden und daher mitunter freiwillig abgeleistet wurden. sie zeigen jedoch sehr wohl, dass wenigstens aus semantischen Überlegungen nicht auf eine vorverurteilung der auferlegten Pflichten geschlossen werden darf – zumindest, wenn es um Pflichten für die städtischen eliten ging. Wie aber wurden die Dienste der unterelitären schichten von diesen selbst beurteilt? Im Folgenden wird die Frage der Motivation erörtert. Indem gezeigt wer65 66

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vgl. Quint. inst. 3,7,26 f., wo es heißt, die Bauwerke sollten genauso wie die Bürger gelobt werden. so meint horstKotte 1996, 235: „Munus kann fast alles heißen, was hoheitsträger oder Privatpersonen von irgendjemandem erwarten: die Wahrnehmung öffentlicher Ämter, die Dienste des Freigelassenen für seinen Patron, das Geschenk zum hochzeitstag, das spiel, das der amtsbewerber ausrichten muß, die schutzpflicht der werdenden Mutter für die leibesfrucht usw.; das ganze leben kann ein munus sein, das schicksal, das jeder erfüllen muß.“ Bereits in den eben zitierten Beispielen horstKottes zeigte sich auch der Geschenkcharakter der munera; bspw. beim hochzeitsgeschenk oder den spielen für das volk, welches es wie ein Geschenk aufnahm. aber auch in manchen Inschriften werden munera als Geschenk verwendet; vgl. folgende Inschriften in courtney 1995: Das „Geschenk des Bacchus“: Nectareos sucos, Baccheia munera cernis, | quae bitis genuit aprico sole refecta (nr. 45 = cle 280 = cIl III 188) oder das „Geschenk des himmels“: Namque inter celsi densata sedilia tem[pli] | Incola quo plebes tectis effunditur at[…] | Munera caeli[colum] (nr. 26= cle 271 = cIl III 77, 12076). vgl. u. a. cIl XIv 3014 = Ils 6633; siehe auch JaschKe 2006. lib. Or. 35,4: „Das ist der politeuomenos, nicht die hölzer, öfen, Pferde, athleten, Bären und hundeführer. Diese ausgaben sind zwar auch gut, und sie bringen der stadt ehre, ruhm aber demjenigen, der die Unkosten trägt, aber noch nicht heißt dies, an der polis teilzuhaben, sondern vielmehr – glaube ich – sind dies Dinge der liturgien, etwas anderes aber ist der politeuomenos, wie ich ihn gerade nannte. auch wenn jemand zehnmal alle diese Dinge auf eigene Kosten tut, wäre dies zwar ehrliebe, Großzügigkeit, Glanz, aber keine eigentliche teilhabe an der politeia. Das ist klar.“ (Übersetzung von drecoLL 1997, 299). drecoLL 1997, 299.

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den soll, dass es auch gute argumente für die ableistung gemeinsinniger direkter Dienste gegeben hat, können evtl. auch rückschlüsse auf das ansehen dieser arbeitsdienste gewonnen werden. Denn wenn es ein hohes Maß an eigenmotivation bei den arbeitenden selbst gab, so ist bei jenen eine ähnlich negative Beurteilung wie bei cicero oder tacitus’ Kaledonier calgacus, zumindest unwahrscheinlich. 3. FreIWIllIGKeIt ODer zWanGsarBeIt? – DIe MOtIvatIOn zUr DIreKten arBeIt Die Frage nach dem charakter dieser körperlichen arbeiten für die ausführenden, ist nicht zuletzt auch eine Frage nach der Motivation. War sie eher extrinsischer oder intrinsischer natur? rom musste wohl nicht sämtliche leistungen mit Waffengewalt einfordern. Denn es gab auch konkrete Motive für eine Unterstützung der direkten arbeit und damit verbunden auch argumente für intrinsische anreize. so konnte gemeinsames arbeiten und der stolz auf das gemeinsam vollbrachte als antrieb für die arbeit wirken. Für Winter besteht durchaus die Möglichkeit, dass durch verteilung der Kosten für den Bau von straßen, Kanälen oder hafenanlagen auf mehrere Beteiligte diese Projekte als gesamtgesellschaftliche leistungen erfahren werden konnten und dies „die Beteiligten auch so empfunden haben“71 dürften. Gleiches gilt natürlich auch für die direkten arbeitsleistungen, die von viel mehr Parteien getragen wurden. ein weiterer Grund, warum die römische Praxis, die örtliche Bevölkerung bei Bauarbeiten mit einzubeziehen, auf keinen nachweisbaren Widerstand stieß, wird sicherlich darin liegen, dass es die Praxis natürlich bereits vor der römischen eroberung gegeben hatte und sie damit den völkern, die zu Provinzialen wurden, nicht unbekannt war. so wurde nicht nur der tempel der Diana in ephesos in einer großen Kooperation verschiedener Gemeinden erbaut,72 sondern es gab natürlich auch vor der ankunft der römer Kanalsysteme in nordafrika,73 besonders in Ägypten.74 ebenso scheint der straßenbau in manchen regionen ähnlich organisiert gewesen zu sein.75 auch die jerusalemer76 oder die syrakusanische stadtmauer77 können hier als Beispiele für die vorrömische Massenmobilisierung dienen.

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Winter 1996, 83. liv. 1,45,2; Plin. nat. 16,79; 36,21. vgl. shaW 1984, 129. nach neesen 1981, 226 existierten die meisten reallasten bereits vor der errichtung der römischen herrschaft in Ägypten zur zeit der Ptolemäer; zur existenz des Kanalsystems in der pharaonischen und ptolemäischen zeit vgl. siJPestiJn 1964, 4. vgl. dazu die astynomeninschrift, die wahrscheinlich nur eine hadrianische replik einer pergamenischen Inschrift darstellt. Dazu KLaffenbach 1954, 3–25, bes. 19–25; frei-stoLba 1989, 30 f. neh. 2–6. Diod. 14,18.

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Gerade Dionysios I., der angeblich 60 000 Mann und 6 000 Ochsen aufgeboten haben soll,78 damit er die Mauer binnen weniger tage errichten konnte, ist aus zwei Gründen ein äußerst interessantes Beispiel. zum einen lässt sich hier auch eine andere Wahrnehmung aus der außenperspektive beobachten als bei dem oben genannten Kaledonier. Denn in dieser Passage wird nicht nur die arbeit an sich kurz beschrieben, sondern auch die reaktion der Beobachter. Wie es heißt, waren diese durchaus stark beeindruckt von so vielen arbeitern bzw. Bauern vom lande, die alle, angestachelt durch einen Wettbewerb mit einer gewissen siegprämie, arbeitswütig ans Werk gingen.79 Dieser aspekt, dass eine Polis mit solchen Gemeinschaftsarbeiten an sich sowie deren schnelligkeit und Größe bereits das aufsehen und die Bewunderung auf sich lenken konnte, ist dabei nicht unwesentlich und soll später noch mehr vertieft werden. zum anderen fällt eine Parallele zu den römischen Kaisern auf. Um die arbeiter zusätzlich zu motivieren, legte Dionysios scheinbar seine ehrenstellung zumindest vorübergehend ab und dafür selbst hand an – mit erfolg wie Diodor bescheinigt. Dadurch angestachelt, dass selbst Dionysios die härtesten arbeiten verrichtete, sollen einige arbeiter von sich aus sogar bis in die nacht hinein gearbeitet haben.80 Dieses vermeintliche zeitweilige aufheben der standesunterschiede kann auch bei einigen der angesehensten römern der Kaiserzeit beobachtet werden, wenn bspw. vespasian den symbolischen ersten spatenstich tätigt und damit beginnt den schutt der ruinen fortzuräumen.81 solch eine standesuntypische arbeit wurde sicherlich von den meisten senatoren anders bzw. kritischer gesehen als von der ländlichen Bevölkerung. es zeigt aber auch, dass einige Kaiser sehr wohl um die symbolkraft einer solchen handlung und ihre motivierende Wirkung beim volk wussten. Und eventuell verdeutlicht es auch, dass direkte arbeitsleistungen nicht immer so negativ gesehen wurden wie vielleicht von cicero.82 als äußerst geschickt kann man auch die Praxis bezeichnen, mit der diese Bauprojekte umgesetzt wurden. Denn das vorgehen beweist, wie ausgesprochen findig rom mit den in den eroberten Gebieten vorhandenen Formen der Bürgermobilisierung zu Bauzwecken umging. Unter der römischen Oberherrschaft wurden diese Dienste in gewisser Weise nur weiter geführt, wobei die arbeit in den seltensten Fällen direkt von römischen Imperiumsträgern an die ausführenden herangetragen 78 79 80 81

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Diod. 14,18,4 f. Diod. 14,18,6. Diod. 14,18,7. nicht nur vespasian setzte den berühmten ersten spatenstich (suet. vesp. 8,5; Dio 65 (66), 10,1–2), auch nero (suet. nero 19,2; Dio 63 (62), 16) und Germanicus (tac. ann. I, 62) taten dies bereits vor ihm. Insgesamt gleichen solche rein symbolischen akte eher dem Gebaren moderner Politiker und sollten daher nicht mit einer harten, körperlichen arbeit, wie sie der syrakusanische tyrann angeblich verrichtete, gleichgesetzt werden, doch sind einige Parallelen offenkundig. Wobei es offensichtlich einen Unterschied machte, wer diesen ersten spatenstich vollzog. Während es bei einem Germanicus durchaus positiv wahrgenommen wurde, war es bei nero nur ein weiterer Beleg für dessen Indignität, indem er sogar mit diesem spatenstich auch göttliche negativvorzeichen beiseite zu schaufeln versuchte (vgl. Dio 63[62],16,2).

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wurde.83 vielmehr nutzte man die bestehenden Macht- und Organisationsstrukturen, um geplante Projekte umzusetzen. Dieses vorgehen half nicht nur, den Beamtenapparat möglichst klein zu halten;84 durch dieses vorgehen konnten sich auch die lokalen eliten den staatlichen vertretern gegenüber beweisen und so ihre verbindung nach rom stärken, was auch ihrer Machtposition in der eigenen Gemeinschaft zugutekam. auch die ehrungen anlässlich der kaiserlichen Baufürsorge schließen eine gänzlich negative sichtweise auf die direkten arbeitsleistungen weitgehend aus. Denn gerade diese kaiserliche cura gegenüber dem straßennetz etc. wurde stets als Beweis der liberalitas angesehen.85 Dass diese liberalitas letztlich dazu führte, dass der gemeine Bürger selbst mit hand anlegen musste, scheint dabei nicht zu Problemen geführt zu haben.86 Der Grund hierfür darf nicht nur im kaiserlichen Interesse an einem guten Wegenetz gesucht werden. auch die Bevölkerung nutzte schließlich diese öffentlichen straßen und kannte daher deren vorteile.87 Gerade für die händler einer Kommune waren die straßen von unschätzbarem Wert. Je besser die straße beschaffen war, desto schneller konnte man seine Waren im land verteilen.88 Wie wichtig dabei der zustand der straße gewesen ist, zeigt sich am Beispiel eines gewissen Octavius, der in einem Brief den empfänger wissen lässt, er habe die Ware noch nicht abgeholt, da er seine zugtiere nicht den schlechten straßen aussetzen mochte.89 ein ähnliches verständnis für die notwendigkeit von Baumaßnahmen darf man wohl auch bei Kanalarbeiten voraussetzen. In diese richtung scheint zumindest Jördens das Wegfallen von Belohnung und eidesleistung bei den Penthemeros83 84

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so treten die statthalter in Bauinschriften meist nur als schlichter auf, vgl. rathmann 2006, 221 und Jördens 2009, 408 f., die feststellt, dass sich der Prätor nur in besonderen ausnahmefällen um die Durchführung des Penthemeros kümmern musste. Der Beamtenapparat wurde auf diese Weise äußerst minimal gehalten, weshalb fLaig 1992, 99 anm. 18 dem Imperium romanum im zweiten Jahrhundert sogar jegliche „verwaltung“ im heutigen sinne abspricht: „Bei einem verhältnis von über 300.000 Personen pro kaiserlichen ‚verwalter‘ verliert die Kategorie ‚verwaltung‘ jeglichen sinn.“ Dion. chrys.or. 3,127; vgl. KisseL 2002, 148; Winter 1996, 35–42; aber auch KLoft 1987, 361–388, der jedoch nicht explizit den straßenbau als akt der liberalitas aufzählt und des Weiteren von einem gewissen Gefälle bzgl. der ausmaße des euergetischen handelns des Kaisers zwischen rom bzw. italischem Kernland und den Provinzen ausgeht. eine ausnahme scheint lact. de mort. pers. 7 zu sein, wo die Belastungen der provinzialen ressourcen durch zu große Baulust des Kaisers erwähnt werden; doch trifft das nicht wirklich den Kern der Beschwerde. KisseL 2002, 159 begründet die relative Quellenarmut zur straßenpflege mit einer höheren toleranz der Bevölkerung gegenüber diesen leistungen. Dies sei wahrscheinlich, weil straßenreparaturen anders als andere liturgien allen nützlich erschienen und daher etwas erträglicher waren. schnell ist hier relativ zu sehen. laut rothenhöfer 2005, 31 war ein schwerlasttransport (d. h. bis zu 5 t Gewicht) mit Ochsen – je nach straßenzustand – etwa 1,3–3 km/h schnell, wobei das Gespann nur 5 stunden am tag zu belasten war. Pferde konnten hingegen ein Gewicht von bis zu 150 kg an einem tag ca. 40 km weit transportieren. siehe t.vindol. II 343, 20 f. aber auch für columella ist eine gute anbindung ans straßennetz wichtig für die gute lage des potentiellen landwirtschaftsbetriebes; siehe: colum. De re rustica 1,3,3.

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diensten in Ägypten indirekt zu deuten. Ob diese Übergangslösung wirklich nur anfänglich nötig war, weil „die Bevölkerung die damit auch für sie selbst verbundenen vorteile nicht unmittelbar erkannte“90, und ob diese einsicht später vielleicht noch erreicht wurde und somit quasi eine kognitive neuorientierung und neubewertung dieser tätigkeit einsetzte, bleibt unklar. ebenso denkbar ist eine resignation gegenüber der Übermacht des römischen zwangsapparats, der sämtliches aufbegehren im Keim erstickte und daher sowohl weiteren Druck als auch Belohnungsmechanismen überflüssig machte. In jedem Fall ist es jedoch beachtlich, dass keine größeren Protestbewegungen gegenüber dieser arbeitsleistung bekannt sind.91 Im Gegenteil: es lässt sich sogar zeigen, wie die Bauern sich mitunter beklagten, weil sie eben nicht arbeiten konnten! so gibt es ein Beschwerdeschreiben aus Kerkesoucha, einem Dorf im nordöstlichen Fayum gelegen, in dem sich die landbesitzer über ein ausbleiben der zum Bau nötigen Materialien beklagen.92 Während diese sonst alljährlich von den verantwortlichen rechtzeitig geliefert worden seien, blieben sie in diesem Jahr bisher aus, wodurch die notwendigen Kanalarbeiten an einem hölzernen Wehr nicht möglich seien. Damit sich der zuständige epistratege möglichst schnell einschaltete, untermauerten die Bauern ihr anliegen, indem sie gleich die Folgen bei einer weiteren Untätigkeit mit auflisteten. Konkret: landaustrocknung und damit verbunden ausfall von möglichen steuereinnahmen für die kaiserliche Kasse, welche nicht unerheblich waren. Ganze 10 000 artaben Getreide93 konnten verloren gehen. Gewiss waren die landbesitzer dabei vor allem wegen der eigenen einnahmen besorgt, wie es ecK richtig heraus gestellt hat.94 Dennoch bleibt in diesem Kontext die wichtige Beobachtung, von wem hier der Druck ausging. es gab in diesem Fall keinen zwang munizipaler oder überregionaler Beamter, sondern lediglich den Wunsch der Bevölkerung nach einem reibungslosen ablauf der arbeiten. es ist zweifelsohne eine gemeinsinnige Komponente im Pentheremos festzustellen, wenn auf direkte vergütung der leistung verzichtet wurde; erst recht dann, wenn das bearbeitete teilstück des Dammes nicht an das eigene landstück angrenzte.95 zu bedenken ist außerdem, dass neben diesem arbeitsdienst auch noch andere direkte lasten wie das ναύβιον oder das χωματικόν zu entrichten waren, die ebenfalls für den erhalt und die Pflege des Bewässerungssystems eingesetzt werden sollten.96 90 91

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Jördens 2009, 408. auch Jördens 2009, 523 zieht ein durchaus positives Fazit über das römische Ägypten. Demnach seien keine größeren Probleme bekannt; sogar die dort stationierten römischen truppen seien in der ägyptischen Wahrnehmung eher Beschützer als Besatzer gewesen. Dies zeige sich an den vielen Petitionen, die man an die centurionen schickte und in denen man um deren hilfe bat – ein Umstand, den sie mit den veteranenansiedlungen in verbindung bringt; vgl. Jördens 2009, 522. aber auch außerhalb Ägyptens richtete man im Problemfall immer wieder hilfegesuche an heeresmitglieder; vgl. hierzu fuhrmann 2012, 202, 206 sowie 213–216. sB Iv 7361 = youtie 1974; vgl. ecK 1995b, 261. nach ecK 1995b, 262 waren dies ca. 100 000 liter. ecK 1995b, 262. ecK 1995b, 267. Das χωματικόν nannte man eine ab der römischen zeit 6 Drachmen und 4 Oboloi hohe Kopf-

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Um die Bevölkerung zu kollektiver, körperlicher arbeit zu motivieren, dürfte also in vielen Fällen kein allzu großes Überredungsgeschick von nöten gewesen sein. es wurde bereits am Beispiel des Mauerbaus in syrakus gezeigt, wie die Mobilisierung sämtlicher ein- und Umwohner einer stadt für ein Bauprojekt durchaus Bewunderung von benachbarten städten finden konnte. Doch nicht nur der Bau an sich konnte anerkennung finden, sondern auch selbstverständlich das Bauwerk selbst. Gerade in regionen, in denen ein hoher Konkurrenzkampf zwischen einzelnen städten vorhanden war, konnte man vermutlich mit dem hinweis, man könne durch das jeweilige Bauprojekt und das daraus entstehende Bauwerk der jeweiligen Konkurrentin den rang ablaufen, die Bevölkerung recht leicht motivieren. somit war der verweis auf die nachbarpoleis ein gern genutztes und auch sicherlich erfolgreiches Mittel,97 was daran liegt, dass auch oder gerade die nichtelitäre schicht sich mit der stadt und ihren Bauwerken identifizierte. ein zwar nicht aus römischer zeit stammendes aber dennoch äußerst eindrückliches Beispiel liefert hierfür die Bürgerschaft Jerusalems.98 so wird über diese gesagt, sie sei „in großem Unglück und in schmach“ und das scheinbar, weil die stadtmauer zerstört war.99 Die Ursache, warum eine nicht intakte Mauer für eine negative Grundstimmung in der Bevölkerung verantwortlich zu machen ist, wird einige verse später ersichtlich. so

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steuer, die zum erhalt der Dämme eingesetzt wurde und die mit ausnahme einiger Bürger privilegierter städte (im Fayum z. B. arsinoe) von allen steuerpflichtigen Bewohnern eingezogen wurde; vgl. ecK 1995b, 262–264; PeKáry 1968, 121; siJPesteiJn 1964, 2–4 sowie Jördens 2009, 133. Das ναύβιον war eine vom Besitz abhängige arbeitsverpflichtung und ebenfalls in ganz Ober- und Unterägypten zu leisten. Jedoch gab es die Möglichkeit einer adaeratio, siehe. P. bibl. univ. Giss. Inv. nr. 274r aus dem 2. Jh. n. chr. vgl. Klass 1948, ecK 1995b, 264; PeKáry 1968, 121; siJPesteiJn 1964, 18–21; sowie LePeLLey 2001, 489, der das ναύβιον sogar als steuer versteht, vgl. auch Jördens 2009, 133. als Beispiel, wie die städtische Oberschicht solch eine Konkurrenzsituation auszunutzen wusste, kann Dion chrysostomos gelten, der immer wieder geschickt diese rivalitäten als antrieb in seinen reden einzubauen wusste – so z. B. Dion. chrys. or. 47,13: ἐγὼ μὲν γὰρ ᾤμην ὁρῶν τὰ τοιαῦτα πόλεις ἄλλας φιλοτιμουμένας, οὐ μόνον τὰς κατὰ τὴν Ἀσίαν λέγω καὶ Συρίαν καὶ Κιλικὶαν, ἀλλὰ ταύτας τὰς ἀστυγείτονας καὶ πλησίον, τὴν τῶν Νικομηδέων, τὴν τῶν Νικαέων, τοὺς Καισαρεῖς τούτους, εὐγενεῖς μὲν ἀνθρώπους καὶ σφόδρα Ἓλληνας, πολὺ δὲ μικροτὲραν τῆς ἡμετέρας οἰκοῦντας πόλιν. „Ich sah den ehrgeiz anderer städte in diesen Dingen, wobei ich nicht nur an die städte in asien, syrien und Kilikien denke, sondern auch an die in eurer unmittelbaren nachbarschaft, an nikomedia, nikaia und Kaisareia – auch das Menschen von edler abstammung und gute Griechen, die in einer viel kleineren stadt als wir wohnen.“ (Übersetzung von W. eLLiger) zu Dion chrysostomos siehe auch den Beitrag von frass im gleichen Band. nehemia brach 444 v. chr. nach Jerusalem auf und war dort 12 Jahre im auftrag des artaxerxes I. tätig (neh. 5,14); vgl. dazu schuncK 2009, XvIII–XX. neh. 1,3: >vôab´ … WtàXn] I h;yr