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German Pages 528 [530] Year 2023
Anne Uhrmacher Hexenangst und Hexenverfolgung in Goethes Faust
Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte
Band 174
Anne Uhrmacher
Hexenangst und Hexenverfolgung in Goethes Faust Die Deutung verschwiegener Spuren in der Literatur
ISBN 978-3-11-131077-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-131125-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-131157-9 ISSN 0083-4564 Library of Congress Control Number: 2023942773 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Inhaltsverzeichnis Dank 1 1.1 1.2 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.3
2.3.1 2.3.2 2.3.3
2.3.4 2.4
3 3.1 3.2
IX Hexenangst und Hexenverfolgung als Wissen in der Literatur: das Beispiel Goethes „Faust“ 1 Goethes „Faust“ – ein Präzedenzfall für das Schweigen über Hexenverfolgung? 7 Spuren lesen oder ignorieren 11 Auswahl der Forschungsliteratur 14 Literatur zur Hexenthematik in Goethes „Faust“ 16 Forschungsberichte und Darstellungen zur Wirkungsgeschichte 24 Werkausgaben mit Kommentar 26 Selbständig erschienene Gesamtkommentare und Überblicksdarstellungen zu Goethes „Faust“ 28 Monographien und Aufsätze zu verwandten Themen 30 Quellen zu Goethes Wissen über Dämonologie und Hexenverfolgung 37 Geschichtswissenschaftliche Studien zu Hexenangst und Hexenverfolgung sowie Untersuchungen zu angrenzenden Themen 39 Überblicksdarstellungen, Nachschlagewerke, landesgeschichtliche Untersuchungen und Fallbeispiele 40 Untersuchungen zur Rezeption der Hexenverfolgung 42 Rechts- und sozialgeschichtliche Untersuchungen zu unehelicher Mutterschaft, zum Delikt „Kindsmord“ und zu seiner literarischen Rezeption 46 Die Ausstellungen „Incubi. Succubi“ (Luxemburg) und „Hexenwahn“ (Berlin) 50 Literatur zum theoretischen Rahmen „Wissen“, „Nichtwissen“ und „Gedächtnis“ 51 Die Hexenthematik als Streitfall 55 Eine These aus dem Jahr 1982: Albrecht Schönes Deutung der Walpurgisnacht 56 Ein Gelehrtenstreit als Indiz für fehlendes Wissen 58
VI
4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
5 5.1 5.2 5.3 6 6.1 6.2 6.3 6.4
7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
Inhaltsverzeichnis
Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise 63 Vorgehen und Kritik: zur Historizität von Literatur 64 Interdisziplinäre Betrachtungsweisen von Goethes „Faust“ und die Konfrontation literarischer Texte mit historischen Quellen Goethes „Faust“ als „Theatrum Memoriae“ 80 Goethes Geschichtskonzeption und seine Wahrnehmung als politisch Handelnder 83 Die Hexenthematik in visuellen Verarbeitungen von Goethes „Faust“ 90
72
Ambivalenzen der „Aufklärung“ und die Peinlichkeit der Hexenverfolgung 93 Ironisch-fasziniertes Spiel mit frühneuzeitlichen dämonologischen Vorstellungen 101 Debatten um die letzten Hexenprozesse und spätere Rückblicke 106 Diskurse um das Delikt „Kindsmord“ 109 Dämonologie, Hexenverfolgung und Literatur 114 Die Hexenverfolgung und der Fauststoff 117 Der Name „Faust“ als frühneuzeitliches Synonym für „Hexer“: Doktor Dietrich Flade, ein „zweiter Faust“ 128 Bilder des historischen Faust als Teufelsbündner 135 Die literarische Gestaltung des Fauststoffes: Fausts Tod und die Absenz eines Hexenprozesses 143 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen 146 Biographische Details I: Familiengeschichten 149 Biographische Details II: Goethes Reisen nach Trier und Luxemburg 154 Goethe als Jurist 170 Goethes Quellen zur Hexenthematik: selektive Wahrnehmung und Präsentation in der Faust-Forschung 175 Goethes Exzerpte aus Quellen zu realen Hexenprozessen 198
Inhaltsverzeichnis
8
8.1 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.3.5 8.3.6 8.3.7 8.3.8 8.3.9 8.3.10 8.4 8.4.1 8.4.2 8.4.3 8.4.4 8.4.5 8.5 8.5.1 8.5.2 8.5.3 8.5.4 8.6 8.6.1 8.6.2 8.7
VII
Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung: neue Interpretationen von Goethes „Faust“ 208 Figuren im Spannungsfeld der Zeiten 209 Die Figur Faust 211 Faust als Heiler und sein Pakt mit dem Teufel 214 Melancholie, Verzweiflung und Glaubensabfall als Voraussetzungen für den Teufelspakt 219 Fausts dämonologisches Wissen 224 Sündhaftigkeit und Teufelsbuhlschaft 228 Die Figur Gretchen 231 Verführung und Assoziationen der Teufelsbuhlschaft 235 Stigmatisierung und Todesangst 244 Die Nähe von Kindsmord- und Hexenprozessen 263 Verfolgungswillen 268 das Schicksal von Tausenden 270 Die Todesstrafe 273 Verbrennung 276 zu entsetzlichen Qualen eingesperrt 287 Entblößung 290 Wahnsinn und Imaginationen des Kannibalismus 298 Die Ebene der Phantasiewelten 306 Die Szene Hexenküche 307 Die Szene Walpurgisnacht 314 Eliminierte Hexenszenen der Paralipomena 327 Der Walpurgisnachtstraum als irritierend schwacher Abschluss der Walpurgisnacht 335 Hexen- und Menschenwelt: die Hinrichtungsstätte Rabenstein 338 Die Ebene der Welt Gretchens 346 Die Nachbarschaft 355 Das Wirtshaus Auerbachs Keller in Leipzig 358 Der Weinzauber 363 Die Angst des Bruders Valentin 370 Die Ebene der höfischen Welt 378 Magievorstellungen 379 Instrumentalisierung von Hexenprozessen 385 Das Motiv der Glocke 390
VIII
Inhaltsverzeichnis
9 9.1 9.2 9.3
Die Hexenthematik in Verfilmungen des Fauststoffes 396 Probleme der Forschung zu Faustfilmen 397 Hexenverfolgung als Motiv im Film 398 „Faust. Eine deutsche Volkssage“ von Friedrich Wilhelm Murnau 402
10
Die Deutung verschwiegener Spuren in der Literatur: das beredte Schweigen über Hexenverfolgung 406 Goethes Schweigen: seine literarische Umkodierung der Hexenverfolgung 408 Ästhetische und zeitgebundene Gründe 409 Goethes Vorstellung einer weltweit wahrgenommenen Literatur 414 Das Schweigen der anderen: Goethes „Faust“ als „Nationalheiligtum“ 421 Einfluss der NS-Vergangenheit 424 „Faust“-Vereinnahmung in der DDR 429 Die Bedeutung des Vergessens bewusst machen: Bedingung für das Lesen von Spuren in der Literatur 435
10.1 10.1.1 10.1.2 10.2 10.2.1 10.2.2 10.3
11 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6
12 12.1 12.1.1 12.1.2 12.2
Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien 438 Explizite literarische Verarbeitungen von Hexenangst und Hexenverfolgung 440 Implizite Verarbeitungen der Hexenthematik 445 Bedrohungsszenarien in Bearbeitungen des Fauststoffes 450 Bedrohungsszenarien in Bearbeitungen des Kindsmordmotivs 454 Bedrohungsszenarien weiterer literarischer Kontexte 455 Diachrone Konstanten von Bedrohung: ein Fazit zum Verhältnis von Literatur und Gedächtnis 457 Literatur 463 Primärliteratur 463 Goethe Werkausgaben, Tagebücher, Briefe, Gespräche 463 Historische und literarische Quellen, sehr frühe Sekundärliteratur und NS-Literatur 464 Sekundärliteratur, Illustrationen und Nachschlagewerke 469
Abbildungsverzeichnis Namensregister
511
507
Dank Die Idee, eine Untersuchung zu Goethes „Faust“ anzustellen, fanden meine Freunde eher unvernünftig. Man betrete dann das „Himalaya-Gebirge der Germanistik“. Als einem der erfahrensten Bergführer in dieser Region sei zunächst Professor Dr. Hartmut Reinhardt gedankt, der ermutigend und freundlich Gletscherspalten in meinem Manuskript überbrückte. Außerdem danke ich herzlich (und alphabetisch): Professor Dr. Hans Peter Althaus, Dr. Marcus Böhm, Professorin Dr. Andrea Geier, Dr. Katrin Hudey, Professor Dr. Franz Irsigler, Marianne und Peter Kierspel, Professor Dr. Georg Mein, Professor Dr. Ulrich Port, Professorin Dr. Franziska Schößler, Gero Uhrmacher, Professor Dr. Martin Uhrmacher. Für die großzügige finanzielle Unterstützung meines Forschungsprojektes zum Thema der Studie1 danke ich dem Ministère de la Culture, de l'Enseignement supérieur et de la Recherche Luxembourg, dem Fonds National de la Recherche Luxembourg und dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur, Rheinland-Pfalz. Trier, im Juni 2023 Anne Uhrmacher
Die Untersuchung wurde 2016 an der Universität Trier im Fachbereich II (Fach: Neuere deutsche Literaturwissenschaft) als Habilitationsschrift angenommen und für den Druck aktualisiert. https://doi.org/10.1515/9783111311258-203
1 Hexenangst und Hexenverfolgung als Wissen in der Literatur: das Beispiel Goethes „Faust“ Man weicht der Welt nicht sicherer aus als durch die Kunst, und man verknüpft sich nicht sicherer mit ihr als durch die Kunst.1
In seiner Abhandlung „Trauerspiel und Tragödie“ schrieb Walter Benjamin: „Die tiefere Erfassung des Tragischen hat vielleicht nicht nur und nicht sowohl von der Kunst als von der Geschichte auszugehen.“2 Die fast 400 Jahre währende Hexenverfolgung in Europa ist ein Teil der Geschichte, der genuin tragische Elemente hat: Mitleid mit den Opfern und Furcht vor dem Menschen können die Resultate sein, wenn man sich mit dem Geschehen auseinandersetzt; ebenso Hochachtung für dessen mutige Widersacher. Frühneuzeitliche Zauberei- und Hexenprozesse zeitigten schätzungsweise bis zu 60 000 Todesopfer3 und werden zu Recht eine „der schlimmsten von Menschenhand angerichteten Katastrophen der europäischen Geschichte“4 genannt. Die markanten historischen Szenarien haben das Bewusstsein der Zeitgenossen geprägt und noch lange nach den großen Verfolgungswellen Spuren in der Literatur hinterlassen. Die Lehre vom Hexenwesen, die „Dämonologie“, und die in ihr geschürte Hexenangst wurden schon seit ihrer Verbreitung zu Beginn der frühen Neuzeit in literarischen Werken rezipiert und durch diese auch weitergetragen. Explizite Verarbeitungen der real praktizierten Hexenverfolgung finden sich aber vor allem in der Literatur des 19. Jahrhunderts, im weiten Feld der Heimatliteratur, in historischen Romanen sowie in Jugendliteratur seit den 70ger Jahren des 20. Jahrhunderts. In diesen Feldern wurde die Rezeption der Hexenverfolgung erforscht, wenn auch noch nicht sehr oft, aber immerhin in einigen Untersuchungen.5 Dagegen wurde die subkutane Präsenz des Themas in der Literatur noch kaum wahrgenommen: seine verdeckten, manchmal unleserlich gemachten, aber wirkmächtigen Spuren. Selbst wenn sich die Literaturwissenschaft explizit mit frühneuzeitlicher Geschichte befasst, ist die Hexenverfolgung bisher weithin ein blinder Fleck dieser Forschung. Das zeigt
Goethe: Maximen und Reflexionen, S. 725. Benjamin: Trauerspiel und Tragödie, S. 133. Vgl. zur Schwierigkeit der Hochrechnungen zusammenfassend Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 74–79. Jerouschek / Behringer: „Das unheilvollste Buch der Weltliteratur“?, S. 11. Vgl. zum Beispiel Kippel: Stimme der Vernunft; Schmidt, B.: Ludwig Bechstein; Burkhardt: Hexenverfolgung in der deutschen Jugendliteratur; Wiedemann, F.: Rassenmutter. [Bei mehrfach vorkommenden Nachnamen wird zur besseren Unterscheidung ein Vorname abgekürzt angegeben.] https://doi.org/10.1515/9783111311258-001
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beispielhaft die wissenschaftliche Wahrnehmung eines der berühmtesten Werke der Literaturgeschichte: Goethes „Faust“. Goethe behandelt hier nicht nur den Teufelspakt, sondern auch die Hexenthematik zentral und lässt Faust sogar am „Hexensabbat“ teilnehmen. Das Drama gilt als prägend für die Rezeptionsgeschichte der Hexenimaginationen, es ist bis heute ein Multiplikator dieser Phantasien. Viele Historiker zitieren auch in aktuellen Studien Goethes „Faust“, um Hexenvorstellungen anschaulich werden zu lassen. Dämonologische Elemente spielen in Goethes Werk eine wichtige Rolle. Die in der frühen Neuzeit weit verbreiteten Theorien und Ängste sind auch in der GoetheForschung – wenigstens zum Teil – als Quelle für Hexenphantasien beachtet worden. Es werden zum Beispiel die Fragen behandelt: Wie spielt sich eine Walpurgisnacht ab? Welche dämonologischen Details hat Goethe aus welchen Quellen bezogen? Die Sekundärliteratur zu „Faust“ richtet den Blick dabei aber fast ausschließlich auf die imaginäre Seite der Dämonologien: die Phantasien und Ängste; etwa: „Was sind Hexen? Was an ihrem Tun ist obszön? Wie zaubern sie?“ Ignoriert wird sogar in diesen Untersuchungen zu dämonologischen Quellen meist die reale Seite der Hexenimaginationen, die massenhaft praktizierten Verfolgungen. Einzelne Autoren erwähnen sie zwar am Rande, das Wort „Hexe“ erscheint sogar in zahlreichen Titeln, aber als Gegenstand der Forschung zu Goethes „Faust“ ist das Hexenthema meist ein rein phantastisches Konstrukt. Anders als es bisher in dieser Forschung geschehen ist, muss man jedoch beachten, dass viele dämonologische Quellen, die Hexenängste verarbeiten und die Goethe rezipierte, eben nicht nur eine Phantasiewelt schildern. Im Zusammenspiel mit anderen Faktoren entfalteten die Traktate überaus fatale Wirkungen und bildeten den theoretischen Hintergrund für die frühneuzeitlichen Hexer- und Hexenverfolgungen. Sie enthalten ganz konkrete Beobachtungen oder Anweisungen zur juristischen Verfolgung vermeintlicher Hexen und Zauberer, zur Definition des Hexereideliktes und zur Durchführung von Hexenprozessen. Sie geben oft sogar konkrete Handlungsanweisungen, zum Beispiel, unter welchen Bedingungen Folter durchgeführt werden solle und welche Fragen im Verhör zu stellen seien. Viele Dämonologen hatten Erfahrungen mit real praktizierter Hexenverfolgung. Auch manche der bekannten juristischen Lehrwerke der frühen Neuzeit enthielten dämonologische Abhandlungen. Ein Beispiel hierfür sind die Schriften Benedict Carpzovs (1595–1664), die noch lange nach seinem Tod in der juristischen Praxis und Ausbildung einflussreich waren. Auch Goethe hat diese rezipiert und sich aus ihnen Details aus Verhörprotokollen echter Hexenprozesse herausgeschrieben. Die Exzerpte sind in den Entwürfen zu „Faust“ überliefert. Diese reale Seite der Hexenphantasien und Hexenangst durchzieht, wie den Fauststoff, Goethes Drama ebenfalls sehr deutlich. Es ist geprägt von der sozialund mentalitätsgeschichtlichen Wirklichkeit des 16. Jahrhunderts, die dem Faust-
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stoff innewohnt. Goethe lässt sie lebendig werden: Fausts und Gretchens Tragödien haben detailgetreue Vorbilder in Hexenprozessen der frühen Neuzeit. Es gibt sogar Indizien dafür, dass Gretchens Hinrichtung vom Dichter ursprünglich als Hexenprozess geplant war, eine These, die schon 1982 veröffentlicht wurde.6 In anderen künstlerischen Verarbeitungen des Fauststoffes, etwa Bildern und Filmen, wird die Nähe zur Hexenverfolgung manchmal sehr stark betont. Die in der gesamten frühen Neuzeit praktizierten Hexenverfolgungen sind in der Literaturwissenschaft, auch wenn sie sich mit sozialgeschichtlichen Hintergründen des Goethe’schen Dramas auseinandersetzt, noch kaum berücksichtigt worden. Diese Lücke ist besonders auffällig, weil das Thema Hexenverfolgung zum einen aufgrund des Stoffes naheliegt: der Geschichte eines frühneuzeitlichen Teufelsbündners; und zum anderen aufgrund der unvergleichlich breiten Forschungsgeschichte des Werkes, die sonst kaum ein Gebiet auslässt. Zuwenig wird die Tatsache bedacht, dass Strafbestimmungen gegen vermeintliche Hexen in vielen Ländern bis ins frühe 19. Jahrhundert galten und Goethe noch ein Zeitgenosse der letzten Hexenprozesse war.7 Von ihm selbst sind einige Äußerungen zum Thema der Hexenverfolgung überliefert. Ein strafrechtliches Vorgehen gegen angebliche Hexen war zu Goethes Zeit durchaus noch Realität, von Lynchjustiz und Stigmatisierung ganz zu schweigen.8 Der Dichter hat auch vehemente Kritik an der Verfolgung miterlebt, etwa als die letzte legale europäische Hexenhinrichtung 1782, die im Schweizer Kanton Glarus stattfand, publizistische Proteste auslöste. So ist das populäre Bild einer zu Goethes Zeit vollzogenen „Aufklärung“9 mit Blick auf dämonologische Vorstellungen zu modifizieren. Der Dichter selbst macht Aberglauben und Aufklärung zu einem Metathema Diese These Albrecht Schönes wird unter Punkt 3.1 meiner Arbeit ausführlich dargelegt. Soweit nicht anders bezeichnet wird Schönes Studie in der 3. Auflage von 1993 zitiert. Vgl. Schöne: Götterzeichen, besonders S. 176–189. Der „Glaube an dämonenmagische Praktiken“ war also keineswegs nur, wie Ulrich Gaier schreibt, „in gewissen Kreisen noch zu Goethes Lebenszeit lebendig“, Gaier nennt etwa die „Goldmacherkunst Alchimie“; vielmehr waren dämonologische Vorstellungen noch weit verbreitet und sie lagen noch geltendem Recht zugrunde. Vgl. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 3, S. 301. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 5. Vgl. auch Kord: Ancient Fears and the New Order. Pointiert hat zu diesem Problem der Historiker Wolfgang Behringer Stellung bezogen, Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung. Gerade auch die aufkommenden Naturwissenschaften waren durchaus noch von Aberglauben durchzogen, was auch in der Forschung öfter beschrieben wird. Susanne Kord bemerkt hierzu: „Witch beliefs weathered the Enlightenment in two ways: out in the open – in the form of eighteenth-century witch hunts and witch executions – and underground, sublimated not only in ‚art‘, such as the fairy tales of Romanticism, but also in ‚science‘, such as physiognomy, a discipline embraced or at least condoned by the best and brightest of the Enlightened Age, including Goethe, Herder, Lenz, Nicolai, and Mendelssohn.“ Kord: Ancient Fears and the
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im „Faust“, etwa wenn ein Besucher der Walpurgisnacht die Hexen mit folgenden Worten verscheuchen will: Ihr seid noch immer da! Nein das ist unerhört. Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt! (4158 f.)10
Goethe hat in seinem „Faust“ Hexenimaginationen vielfach variiert und transformiert. Er hat dämonologische Details sehr kenntnisreich verarbeitet und setzt bei seinen Rezipienten dämonologisches Wissen voraus. Auch das juristisch verfolgte Hexereidelikt, das man in der frühen Neuzeit als kumulativ definierte, ist vollständig im Drama repräsentiert. Es setzte sich aus den folgenden Bestandteilen zusammen: dem Teufelspakt, der Teufelsbuhlschaft, der Luftfahrt, also dem Flug der „Hexen“, der Teilnahme am „Hexensabbat“ und dem Schadenzauber. In Goethes Drama kommt der Pakt zwischen Faust und Mephistopheles zustande. Nachdem Faust zum Blocksberg geflogen ist, beteiligt er sich am „Hexensabbat“; dort wird er zum Beischlaf mit einer Hexe verleitet, dessen Vollzug ungeklärt bleibt. Gretchens Mutter wird durch Fausts Schlaftrunk vergiftet, was als Schadenzauber ausgelegt werden könnte. Aktuelle Ergebnisse der Forschung zur Hexenverfolgung drängen die historische Perspektive auf Goethes „Faust“ geradezu auf. Sie zeigt beispielhaft: Wenn das markante Verfolgungsgeschehen ins Bewusstsein gerückt wird, sind neue Einblicke in die Literatur, ihre Rezeptionsgeschichte und auch in diachron präsente Bedrohungsszenarien möglich. Nicht zuletzt dürfen Hexenverfolgungen keineswegs als alleiniges Thema der Vergangenheit gesehen werden. Noch immer ist der Glaube an Hexerei auch in Europa existent.11 Und bei aller Vorsicht vor generalisierenden Kulturvergleichen12 ist doch offensichtlich, dass heute Hexenverfolgungen in vielen Teilen der
New Order, S. 61. Unter Punkt 5 meiner Arbeit wird die oft fehlende Wahrnehmung von Hexenprozessen in der wissenschaftlichen Darstellung von „Aufklärung“ besprochen. Alle Zitate aus dem ersten und zweiten Teil von Goethes „Faust“ sowie den dazu gehörenden Paralipomena und der Frühen Fassung werden im Folgenden nach der Ausgabe von Albrecht Schöne zitiert und sind kursiv gesetzt. Johann Wolfgang Goethe: Faust, Bd. 1: Texte. Hg. von Albrecht Schöne, 2. Aufl. Berlin 2019. Zitate aus der Tragödie werden mit der Verszählung (in Klammern) wiedergegeben. Zur Kritik an Schönes Ausgabe vgl. Michelsen: Diplomatik als Editionsprinzip; (seine Kritik bezieht sich auf die zugrundeliegende Ausgabe Schönes von 1994). Im Jahr 2016 resümiert Behringer: „Trotzdem, das sei nicht vergessen, glaubt eine Minderheit von 5–10% auch heute noch an Hexerei, wie Umfragen in Westdeutschland seit den 1960erJahren gezeigt haben. Stellt man die Frage unspezifischer, dann kann der Anteil sogar auf 20–25% steigen.“ Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 16. Vor diesen warnt zum Beispiel der Ethnologe Michael Schönhuth. Schönhuth: Theorien zu Hexerei in Afrika, besonders S. 13–15.
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Erde, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent, stattfinden.13 Der Historiker Wolfgang Behringer kritisiert zu Recht manche anthropologischen Relativierungen einer Gefahr des Hexenglaubens,14 der doch weltweit unzählige Menschenrechtsverletzungen und Morde nach sich zieht. Die geschichtswissenschaftliche Forschung betrachtet inzwischen auch Hexenprozesse außerhalb Europas, „die in vielen Teilen der Welt bis zum heutigen Tag andauern und in manchen Ländern mehr Menschenleben kosten als in jedem Land des frühneuzeitlichen Europas.“15 Rolf Schulte berichtet über zeitgenössische Hexenverfolgungen: Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen sollen von 1990–2008 über 23.000 Menschen wegen vermeintlicher Hexerei in afrikanischen Gesellschaften umgebracht worden sein. Diese Hexenverfolgungen sind mit Ausnahme Kameruns meistens durch Bewegungen ‚von unten‘ bzw. durch nicht-institutionelle Träger gekennzeichnet, d. h. Teile der Bevölkerung tragen bzw. akzeptieren sie. Inzwischen haben Provinzen in Kamerun und der Staat in Simbabwe den Straftatbestand der Hexerei wieder eingeführt, so dass in einem ordentlichen Gerichtsverfahren eine Person als Hexe verurteilt werden kann [...].16
Das Thema Hexenverfolgung ist bedrückenderweise durchaus nicht passé. Die Studien der frühneuzeitlichen Hexenprozesse und ihrer literarischen Verarbeitung geben Einblicke in Motive und Abläufe von Menschenverfolgungen, die diachron zu beobachten sind. Arten der Erinnerung an das Vergangene zeigen den Umgang eines kollektiven Gedächtnisses mit derartigen einschneidenden Erfahrungen einer Gesellschaft. Das literarische Gedächtnis birgt Potentiale für ein Lernen aus der Vergangenheit. Der Wissenstransfer, der stattfindet, wenn Dämonologie und Volksglauben in der Literatur verarbeitet werden, ermöglicht Einblicke in vergangene Weltbilder.17 Und als prägend für die Rezeptionsgeschichte der Hexenimaginationen gelten wiederum literarische Werke. Ihre Interpretationsgeschichte zeigt über die Zeit der Werke hinausgehende Rezeptionsströme. Sie dokumentieren den Umgang eines kollektiven Gedächtnisses mit Magievorstellungen und der historischen Hexenverfolgung bis heute. Am Beispiel von Goethes „Faust“ kann die doppelte Bedeutung von Literatur als eine Transferstelle des Wissens um Dämonologie und Hexenverfolgung einer-
Vgl. Schmidt, B. / Schulte, Ro.: Hexenglauben im modernen Afrika, sowie Schulte, Ro.: Hexenverfolgungen im außereuropäischen Kontext. Vgl. auch Ellis, Stephen / Ter Haar, Gerrie: The History of Witchcraft Accusations and Persecutions in Africa. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 16–20. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 16. Schulte, Ro.: Hexenverfolgungen, S. 246. Speziell zu Magievorstellungen vgl. die systematische Darstellung von Monika Schulz: Magie oder Die Wiederherstellung der Ordnung.
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seits und als Multiplikator dieses Wissens andererseits beleuchtet werden. Das Werk spielt für die Rezeption der Hexenthematik eine besondere Rolle, wie zum Beispiel Felix Wiedemann konstatiert: Nachhaltigen Einfluß auf populäre Vorstellungen von Hexenwesen und Hexenprozess haben zu allen Zeiten literarische Verarbeitungen ausgeübt. Für das 19. Jahrhundert ist hier natürlich zunächst auf die Hexenszenen in Goethes Faust zu verweisen, die auf eine recht intensive Beschäftigung des Autors mit der Materie schließen lassen. Schließlich hat Goethe [...] hier zahlreiche Elemente des Hexenglaubens verarbeitet (Hexensabbat, Hexentanz, Teufelsbuhlschaft etc.). Von nachhaltiger Bedeutung war vor allem seine Beschreibung des zentralen Hexenfestes, der Walpurgisnacht [...].18
Goethe legt in seinem „Faust“ dämonologisches Wissen zugrunde. Er bringt aber schon etliche Abwandlungen und Brüche dämonologischer Vorstellungen ein. Entsprechende Inhalte werden mit großer Kenntnis verarbeitet, zum Teil ironisiert und modernisiert. Umgekehrt wurde und wird Goethes „Faust“ in vielen historischen Abhandlungen angeführt, um Hexenvorstellungen zu beschreiben. Historikerinnen und Historiker verweisen auch reihenweise auf Goethes Drama, wenn sie die Zeit der Hexenverfolgungen schildern, ihnen liegt diese Assoziation, anders als Literaturwissenschaftlern, offensichtlich nahe. So bemerkt etwa Lyndal Roper über den ersten Teil des Faust-Dramas, Goethe kehre „darin ins Deutschland des 16. und 17. Jahrhunderts und in die Zeit der Hexenjagd zurück.“19 Auch kunsthistorische Untersuchungen nehmen Bezug auf das Drama, selbst dann, wenn sie Hexenbilder beschreiben, die lange vor Goethes Lebzeiten entstanden.20 Das Werk prägt bis heute Imaginationen des Hexenwesens, etwa das Bild von einer „Walpurgisnacht“ oder von „magischen“ Details wie zum Beispiel dem Pentagramm. Aber auch hinsichtlich der realen Seite der Hexenvorstellungen, der praktizierten Verfolgungen von tausenden Frauen und Männern, kann das Drama zur Erinnerung, zum Verstehen dieser Zeit dienen. Hierbei geht es nicht in erster Linie um ein Spiegeln von Tatsachen, sondern vielmehr um die Prägung von Aktanten durch deren Eingebundenheit in ihre Zeit. Die Literatur ermöglicht das Nachfühlen von Lebensumständen; sie fesselt uns, weil diese in überzeitlicher Bedeutung eine conditio humana abbilden.
Wiedemann: Rassenmutter, S. 56. Roper: Hexenwahn, S. 343. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist etwa die Darstellung von Hartlaub: Hans Baldung Grien: Hexenbilder.
1.1 Goethes „Faust“ – ein Präzedenzfall für das Schweigen über Hexenverfolgung?
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1.1 Goethes „Faust“ – ein Präzedenzfall für das Schweigen über Hexenverfolgung? Die Entstehungsbedingungen, Formen und Wirkungsweisen von Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses stellen ein für die heutige Diskussion ebenso wichtiges wie noch viel zu unterbelichtetes Thema dar.21
Wie präsent war das Thema Hexenverfolgung für den Autor Goethe und seine Zeitgenossen? Welche Spuren frühneuzeitlicher Verfolgungsszenarien, einer Wirklichkeit, die den Fauststoff prägt, sind im Drama heute noch lesbar? Im Annäherungsprozess zwischen dem Kunstwerk, seiner Zeit und heutigen Rezipienten besteht immer eine zeitliche und mentale Kluft. Allerdings ist diese, was die frühneuzeitliche Hexenverfolgung betrifft, ungewöhnlich groß. Die Frage, wie viel Goethe von der Hexenverfolgung gewusst und in seinem „Faust“ verarbeitet hat, wurde bisher nicht beantwortet – trotz einer ungeheuren Menge an Studien zum Autor und zu dieser Tragödie. Entsteht diese Leerstelle in der FaustForschung einfach dadurch, dass historisches Wissen fehlt? Oder wird es nicht gesucht, wird das Thema insgeheim verdrängt? Die wissenschaftliche Wahrnehmung von Goethes „Faust“ wirft diese Fragen in besonders prägnanter Weise auf. Denn das Drama ist zwar so vielfältig zu deuten, dass man zunächst einwenden könnte, die Hexenverfolgung sei nur einer unter vielen Aspekten, vielleicht ein nebensächlicher. Schwerwiegende Gründe sprechen aber für die zentrale Bedeutung des Themas in Goethes berühmtestem Werk: 1. Schon vor Goethe wurde der Fauststoff vielfach bearbeitet; er ist sowohl thematisch als auch zeitlich mit der Hexenverfolgung der frühen Neuzeit eng verknüpft. Die von Johann Spieß verlegte „Historia von D. Johann Fausten“ machte den Stoff sehr weit bekannt, sie wurde in verschiedenen Ausgaben und Übersetzungen zeitnah vielfach wiederaufgelegt.22 Ihr Erscheinungsjahr, 1587, liegt in einer der extremsten Phasen der Hexenverfolgung. Der legendenhafte historische Faust wurde als Teufelsbündner schon früh in Zusammenhang mit Hexern und Hexen gebracht. Dies taten Dämonologen, also Theoretiker der Hexenlehre, und auch frühneuzeitliche Kritiker der Hexenverfolgung. Deshalb findet sich in der Sammlung von „Faustsplittern“, das heißt Erwähnungen Fausts, die Alexander Tille um 1900 angelegt hat und die später fortgeführt wurde, als frühe Quellen ein breites Spektrum dämonologischer Literatur.
Erll: Kollektives Gedächtnis, S. 74. Eine gute Übersicht zur Druckgeschichte der „Historia“ bietet Martin: Gattungs- und Mediengeschichte / Literatur, S. 68 f.
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2. In den Entwürfen zu Goethes „Faust“ gibt es Hinweise darauf, dass der Dichter ursprünglich geplant hatte, Gretchen als Opfer eines Hexenprozesses darzustellen. Sie werden im Folgenden ausführlich vorgestellt, ebenso Goethes Exzerpte aus Quellen zu realen Hexenprozessen. Das Thema Hexenverfolgung, das in den Paralipomena23 als Verbrennungsszene noch deutlich anklingt, wurde von Goethe aber nicht explizit im „Faust“ belassen, sondern er hat nur die Kindsmordvorwürfe gegen Gretchen ausgestaltet. Über die Gründe für diese Entscheidung soll später gemutmaßt werden. Warum hat Goethe den Plan verworfen? War es schon zu seiner Zeit attraktiver oder akzeptierter, mit den dunklen Erinnerungen an Hexenverfolgungen abzuschließen und sich einem vermeintlich aufgeklärten Zeitalter zuzuwenden? Die Forschung zur Entstehung der Szene Walpurgisnacht wird als „das wohl ergiebigste Feld der neueren Faust-Philologie“24 bewertet. Schon 1982 hat Albrecht Schöne die These zur ursprünglichen Anlage der Gretchentragödie aufgestellt.25 Er hat dabei allerdings in erster Linie die Szene Walpurgisnacht betrachtet. Auch für die gesamte Tragödie ist Schönes Anstoß jedoch sehr wichtig. Dass womöglich ein Hexenprozess im Werk angelegt war, hätte unbedingt in weiterführenden Untersuchungen durchdacht werden müssen. Man hat die Bedeutung der Entwürfe Goethes für das gesamte Drama nicht erfasst. Das ist allerdings nicht Schöne anzulasten, wie es etwa Peter Matussek tut.26 Nein, Schönes Vorarbeit wäre ein Ausgangspunkt für die weitere Forschung gewesen. Das Gegenteil aber trat ein: Literaturwissenschaftler widersprachen Schöne damals – und bis heute – mit Argumenten, die eine erstaunliche Unkenntnis der frühneuzeitlichen Hexenangst und Hexenverfolgung offenlegen.27
Die Bezeichnung meint das „Ausgelassene“: von Goethe hinterlassene Skizzen, Entwürfe und eliminierte Verse zu „Faust“. Zur Beschreibung und zur Verwendung der Bezeichnung vgl. Bohnenkamp: Paralipomena, besonders S. 8 und S. 57–66. Matussek: Faust I, S. 372. Schöne: Götterzeichen, besonders S. 176–189. „So hat die zugestandenermaßen ‚eigenmächtige‘ Rekonstruktion der ursprünglichen Gestalt der Szene durch Schöne, die in den Quellenband der Frankfurter Ausgabe aufgenommen wurde, ein neues Licht auf die moderatere Endfassung geworfen, das sie nun als – durch politischmoralische Rücksichten bedingtes – Produkt einer Selbstzensur erscheinen läßt. Der damit gewonnene Einblick in die früheren Intentionen G.s ist zweifellos von großem philologischem Wert. Dessen interpretationsdienliche Potenz allerdings wird durch den Faust-Kommentator nicht ausgeschöpft: Er ist zu sehr mit dem Nachweis seiner These beschäftigt, daß die Frühfassung die authentische und dramaturgisch stimmigere sei [ ... ], als daß er der vorrangigen Frage nachgehen mag, was denn aus den nachträglichen Eingriffen für die Deutung der endgültigen Dramengestalt folgt.“ Matussek: Faust I, S. 372. Vgl. hierzu Punkt 3.2 meiner Arbeit.
1.1 Goethes „Faust“ – ein Präzedenzfall für das Schweigen über Hexenverfolgung?
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3. Es ist eine philologische Notwendigkeit, den Hintergrund der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung für die gesamte Tragödie28 in den Blick zu nehmen. Denn dann erscheinen viele Szenen plötzlich in anderem Licht;29 manche schwer einzuordnende Aussage wird erhellt. Die zentralen Figuren Faust und Gretchen wären – stellt man sie sich als Personen in der Wirklichkeit des 16. Jahrhunderts vor – durch zahlreiche Umstände prädestiniert, in einen Hexereiverdacht zu geraten. Faust ist ein erfolgloser Heiler, diese konnten nach misslungenen Heilungsversuchen leicht in den Verdacht des Schadenzaubers geraten.30 Er zweifelt am christlichen Glauben und sündigt, damit erfüllt er nach frühneuzeitlichen Vorstellungen die Voraussetzungen für einen Teufelspakt. Gretchens Stigmatisierung entspricht in vielen Punkten typischen Vorwürfen in Hexenprozessen: Man wirft ihr unsittliches Verhalten vor, sie hat ihre Mutter mit einem Schlaftrunk vergiftet. Schließlich steht sie in einem Kindsmordprozess, diese wurden in der frühen Neuzeit nicht selten mit Hexereivorwürfen verbunden.31 In der Gretchentragödie haben viele Motive Bezüge zur Hexenverfolgung; in bildlichen Darstellungen zu Goethes „Faust“ und in Verfilmungen des Fauststoffes treten diese oft deutlich hervor, Bildende Künstler und Regisseure rücken die verdeckten historischen Folien ins Licht. Phantasiewelten werden in den Szenen Hexenküche und Walpurgisnacht gestaltet, durch Faust kommen diese mit der Menschenwelt in Kontakt. Die Verbindung wird durch dämonologische Symbole im gesamten Werk gehalten, etwa die in der Tragödie sehr präsente Glocke, die nach dämonologischer Vorstellung die Hexenmacht bricht.32 Viele markante Textstellen handeln von der durch Hexenangst geprägten Alltagswelt des 16. Jahrhunderts. In den dörflichen Szenen ist sie besonders prägnant. Angst regiert in Gretchens Welt, sie ist von einem krisenhaften Klima geprägt, wie es für Phasen der Hexenverfolgung typisch war. Marthe sagt über ihre Nachbarschaft, diese sei ein gar zu böser Ort, es herrscht strenge soziale Kontrolle. In Zeiten der Hexenverfolgung war es lebensgefährlich, seinen Ruf zu gefährden, Gretchens Bruder Valentin fürchtet dementsprechend existenzbedrohende Stigmatisierungen. Auch in verschiedenen Liedern des Dramas manifestiert sich Angst – prominent platziert – etwa im Rattenlied der Zecher in
Zur Diskussion der Bezeichnung „Tragödie“ vgl. Matussek: Faust I, besonders S. 381. Vgl. hierzu Uhrmacher, A.: Umkodierung dämonologischer Vorstellungen, S. 268–279. Vgl. Irsigler: Hebammen, Heilerinnen und Hexen. Vgl. hierzu mit Blick auf den alten Fauststoff und die „Historia von D. Johann Fausten“ von 1587: Baron: Faustus on Trial, besonders S. 127–146. Vgl. Irsigler: Information oder Fiktion, sowie Ulbricht, O.: Kindsmord in der Frühen Neuzeit, S. 194. Vgl. Irsigler: Hexenfurcht.
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1 Hexenangst und Hexenverfolgung als Wissen in der Literatur
Auerbachs Keller oder in Gretchens Kerkerlied. Auch der zweite Teil des „Faust“ ist noch von Spuren der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung durchzogen. Magievorstellungen sind am Hof des Kaisers einflussreich, man spricht über Zaubereiprozesse, in die der Kaiser selbst verwickelt ist, und Krisen im Reich werden beklagt. 4. Dass die Faust-Forschung über das so naheliegende Thema Hexenverfolgung schweigt, verwundert vor allem, weil Goethes bekanntestes Werk in beinahe jeder Hinsicht gründlichst studiert wurde. Die Sekundärliteratur zu diesem Drama ist mit weit über 10 000 Publikationen33 ein eigener Gegenstand germanistischer Untersuchungen; zahlreiche Forschungsberichte dokumentieren mit Blick auf Goethes „Faust“ vergangene und aktuelle Strömungen der Literaturwissenschaft. Die Interpretationsgeschichte des Werkes hat deshalb einen beispielhaften Charakter, wenn man den Umgang mit einem spezifischen historischen Wissen oder Nichtwissen analysiert. Verschiedenste sozialgeschichtliche Aspekte wurden in der Faust-Forschung fokussiert, und ausgedehnte Studien widmete man ebenso Feldern, die der Hexenthematik verwandt sind, etwa im „Faust“ verarbeiteten Geheimwissenschaften, der Alchemie, der Astrologie und dem Okkultismus. Angesichts dieser Dichte fällt die Marginalisierung des wichtigen Themas Hexenverfolgung besonders auf. Eines der weltweit berühmtesten und am besten erforschten Werke, Goethes „Faust“, zeigt sich aus den vier beschriebenen Gründen besonders geeignet als Untersuchungsgegenstand für die Frage nach der historischen Hexenverfolgung als Wissen der Literatur. Das Drama ist ein Präzedenzfall für das Schweigen über dieses Thema. Denn wenn in der Interpretationsgeschichte dieses Werkes die Hexenverfolgung ignoriert wird, obwohl es thematisch so eng mit diesem Geschehen verknüpft ist, was sich nicht nur in Goethes Entwürfen ganz klar belegen lässt, und obwohl es mit Blick auf fast jedes andere Gebiet unendlich gründlich erforscht wurde, dann handelt es sich um einen überaus signifikanten Fall. Die Ignoranz der Forschung hinsichtlich des Themas Hexenverfolgung herrscht somit sehr wahrscheinlich auch mit Blick auf andere Werke, die noch nicht umfassend erforscht wurden, oder in denen vielleicht viel undeutlichere Spuren des historischen Geschehens vorliegen. Auch zeigt sich am Exempel Goethes „Faust“, wie vielversprechend eine verstärkte Zusammenarbeit von Geschichts- und Literaturwissenschaft wäre. Die bisherige Forschungslage ist ein Beispiel für fehlende Interdisziplinarität, von der noch die Rede sein wird.
Vgl. hierzu Kapitel 2 meiner Arbeit.
1.2 Spuren lesen oder ignorieren
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Wenn sie angestrebt wird, kann dies exemplarisch den Blick für historische Bedingungen literarischer Werke öffnen. Dass dies keine naive Verengung der Sicht auf Literatur als Abbild einer Realgeschichte bedeutet, wird unter Punkt 4.1 dargelegt: Vorgehen und Kritik: Zur Historizität von Literatur. Die Autonomie literarischer Werke wird in meiner Studie nicht infrage gestellt. Vielmehr geht es darum, Geschichte als ein Gewebe aus „Diskursfäden“34 zu betrachten, wie es im Zuge des „New Historicism“ gefordert wurde, und um den ebenso geforderten Versuch, Texte mit einer „sozialen Energie“35 aufzuladen, mit der sie zu ihrer Zeit ausgestattet waren.
1.2 Spuren lesen oder ignorieren Ich unterließ, wie Sie sehen, in prosaischer Parenthese das, was geschieht und vorgeht, auszusprechen und ließ vielmehr alles in dem dichterischen Flusse hinlaufen, anzeigen und andeuten, soviel mir zur Klarheit und Faßlichkeit nötig schien; da aber unsre lieben deutschen Leser sich nicht leicht bemühn, irgend etwas zu supplieren, wenn es auch noch so nah liegt, so schreiben Sie doch ein, wo Sie irgend glauben, daß eine solche Nachhülfe nötig sei.36
Wenngleich immer wieder Goethes historisches Gespür und sein Geschichtsbewusstsein gewürdigt werden37 und obwohl man historische Perspektiven des Dichters in der Sekundärliteratur sehr oft diskutiert, werden in der Faust-Forschung bestimmte Kenntnisse sozialgeschichtlicher Wirklichkeit übersehen, die in die Tragödie eingeflossen sind: Spuren der tatsächlich praktizierten Hexenverfolgung im Alltagsleben der frühen Neuzeit. Diese – teilweise überschriebenenen, verdeckten oder in die verwahrten Entwürfe verschobenen – Spuren sind über eine Konfrontation mit historischen Quellen und ihren geschichtswissenschaftlichen Auswertungen nachweisbar, wie in meiner Untersuchung gezeigt werden soll. Die Frage nach dem Wissen und dem Nichtwissen um die Hexenverfolgung betrifft das literarische Werk selbst wie auch dessen Deutungen. Während die Bezeichnung „Wissen“38 im Folgenden in ihrer alltagssprachlichen Bedeutung als ‚Kenntnisse, die jemand auf einem bestimmten Gebiet hat‘, verwendet wird,
Baßler: Einleitung, S. 15. Kaes: New Historicism, S. 254. Goethe: Brief an Friedrich Wilhelm Riemer vom 29. Dezember 1827. Goethe hatte ihm den Großteil des 1. Aktes des zweiten Teils des „Faust“ gesandt. Frankfurter Ausgabe, Abt. II, Bd. 10, S. 574, vgl. Kommentar S. 1109 f. Vgl. zum Beispiel Henning: Goethes Faust als Epochendichtung, in: Faust-Variationen, S. 241–257, vor allem S. 252; sowie Cassirer: Goethe und die geschichtliche Welt, S. 10. Der Begriff ist in seiner hier aus Platzgründen nicht wiederzugebenden Komplexheit Gegenstand zahlreicher interdisziplinärer Studien. Theorien zu seiner Abgrenzung werden zum Beispiel
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1 Hexenangst und Hexenverfolgung als Wissen in der Literatur
ist im Falle des zu behandelnden „Nichtwissens“39 von vielerlei Facetten auszugehen. Achim Geisenhanslüke hat den Begriff der „Ignoranz“, der auch in meiner Untersuchung ersatzweise für „Nichtwissen“ stehen könnte, definiert: Als wertneutraler Oberbegriff, der hier in ähnlicher Weise wie das englische ignorance verwendet wird, subsumiert Ignoranz Phänomene des Nichtwissens, des Vergessens und des Missverstehens. Zunächst ist auch die von Nietzsche ins Feld geführte Bedeutungsvariante von ‚Ignoranz‘ zu beachten, in der diese so etwas wie Nicht-wissen-wollen oder KeinInteresse-am-Wissen-haben meint [...].40
Neben echter Unkenntnis können beim Thema Hexenverfolgung auch das Vergessen, Verdrängen und Nicht-wissen-wollen eine Rolle spielen, bis hin zum absichtlichen Verschweigen. Alle diese Erscheinungen kommen im Folgenden zur Sprache. Was bedeutet das Bedrohungsszenario der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung für Goethes „Faust“? Diese Frage hätte schon immer nahe gelegen, sie wird durch aktuelle Ergebnisse der geschichtswissenschaftlichen Forschung zu Zauberei- und Hexenprozessen unausweichlich. Wie und warum hat Goethe das Thema semantisch umkodiert? Ist trotzdem die historische Hexenverfolgung noch lesbar und wie ist sie im Gedächtnis präsent? In meiner Studie wird als Ausgangspunkt Goethes Wissen um das Verfolgungsgeschehen ermittelt; Spuren dieses Wissens werden dann im „Faust“ nachgewiesen und führen zu neuen Interpretationen von Szenen, Motiven und Stimmungen. Auch im Werk verarbeitete dämonologische Vorstellungen sind dabei, vor allem mit Blick auf ihren Realitätsbezug, neu zu betrachten. Zum einen führt die Fragestellung zu einer in Teilen neuen Interpretation des Dramas. Ein philologisches Interesse begründet somit ein erstes Erkenntnisziel der Untersuchung. Die Textinterpretation führt umstandslos zur Frage nach der Bedeutung eines geschichtsbezogenen Gedächtnisses für die literatur- und kulturgeschichtliche Forschung – ein zweites Erkenntnisziel. Es betrifft auch die künstlerische Rezeption des „Faust“, etwa in Illustrationen und Filmen. Der Blick meiner Arbeit richtet sich auf beredte Leerstellen in Literatur und Literaturwissenschaft. Die marginale Rolle, die das Thema „Hexenverfolgung“ in den Interpretationen des Werkes spielt, gibt Einblicke in eine Literaturwissenschaft, die Sozialgeschichte rezipiert und selbst schreibt. Literatur wird ein „machtvorgestellt von Wehling: Im Schatten des Wissens?, vor allem S. 20–28. In Anwendungszusammenhängen beleuchtet den Begriff der Sammelband von Vogl: Poetologien des Wissens um 1800. Achim Geisenhanslüke beschreibt die „Schwierigkeit einer genauen Begriffsbestimmung des Nichtwissens“. Geisenhanslüke: Schöndummheit, S. 15. Zur Vielfalt der Bezeichnungen, die Nichtwissen meinen, vgl. ebd., besonders S. 15–17. Ausführlich wird „Nichtwissen“ differenziert von Wehling: Im Schatten des Wissens?, vor allem S. 109–148. Geisenhanslüke: Vorwort Ignoranz, S. 8.
1.2 Spuren lesen oder ignorieren
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volles Instrument des kollektiven Gedächtnisses“41 genannt. Sie kann deshalb auch schwer erträglich sein. Und die durch Literatur geweckte Erinnerung kann sogar als gefährlich gelten, wenn sie etwa der Glorifizierung eines Autors oder eines Werkes im Wege steht, dem daraus abgeleiteten Nationalgefühl oder einer ideologischen Instrumentalisierung. Das Nichtwissen um ein Thema und das Nicht-WissenWollen sind dann nicht leicht zu unterscheiden von Ignorieren und Verschweigen. Manches Schweigen ist beredt, wie noch zu zeigen sein wird. Das Aufspüren des Themas Hexenverfolgung im „Faust“ öffnet auch den Blick für weitere Felder der Literaturgeschichte, für andere Werke, die andere Verfolgungsszenarien im Gedächtnis bewahren. Ein Verstehen frühneuzeitlicher Szenarien sensibilisiert für Konstanten des Empfindens von Bedrohung, wie als Ausblick der Untersuchung dargelegt wird. Meine Studie kann somit ein Baustein einer „Geschichte des Erinnerungsvermögens aus poetologischer Perspektive“42 sein, die Helmut Schanze allgemein gefordert hat.
Erll: Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses, S. 271. Schanze: Goethes Dramatik, S. 2.
2 Auswahl der Forschungsliteratur Eine umfassende Darstellung der Rezeptionsgeschichte zum Faust gibt es nicht und wäre auch von keinem sterblichen Individuum mehr zu leisten.1
Immer wieder wird auf die schier unendliche Menge an Sekundärliteratur zu Goethes „Faust“ hingewiesen und darauf, dass die Zahl der Publikationen zu diesem Werk auf weit über 10 000 geschätzt wird.2 Klaus Berghahn scherzt angesicht der einschüchternden Masse einleitend zu seiner Faust-Abhandlung: „Skimming through Henning’s intimidating volumes of Faust literature, I am tempted to say that each word not written about Faust would be a blessing.“3 Immerhin stehen der Faust-Forschung unvergleichlich viele bibliographische Hilfsmittel zur Verfügung: Forschungsberichte, kommentierte und nach Themen sortierte Bibliographien sowie Nachschlagewerke zu Goethes Quellen und seit jüngerer Zeit auch digitale Suchmaschinen und spezifische Internet-Portale. Trotz aller Hilfsmittel bleibt es schwierig, die Forschung auch nur zu einem Aspekt von Goethes „Faust“ vollständig zu erfassen. Doch bietet das herausfordernd riesige Forschungsfeld auch besondere Chancen. So haben das Werk und seine Rezeption einen beispielhaften Charakter, wenn man den literarischen und sekundärliterarischen Umgang mit einem spezifischen historischen Wissen – oder auch Nichtwissen – über die europäische Hexenverfolgung analysiert. Denn die Sekundärliteratur zu diesem Drama ist, wie schon erwähnt, ob ihrer Fülle selbst zum Gegenstand vieler Studien geworden, sie dokumentiert vergangene und aktuelle Strömungen der Literatur- und Geisteswissenschaft. Die Interpretationsgeschichte von Goethes „Faust“ lässt Rückschlüsse auf gesellschaftliche Erkenntnisinteressen zu. Und sie wirft in mehrfacher Hinsicht Fragen dazu auf, wie ein kollektives Gedächtnis mit der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung umgeht.
Reinhardt: Die kleine und die große Welt, S. 298. Vgl. etwa Reinhardt: Die kleine und die große Welt, S. 301. Thorsten Valk beobachtet: „Mittlerweile umfassen die wissenschaftlichen Arbeiten zu Goethes ‚Faust‘ mehr als zehntausend Einzeltitel. Selbst Spezialbibliographien, die ausschließlich Untersuchungen zu diesem einen Werk verzeichnen, sehen sich inzwischen vor eine kaum noch zu bewältigende Aufgabe gestellt.“ Valk: Melancholie, S. 290. Manfred Beetz spricht von einer „entmutigenden Flut von inzwischen 10.000 Forschungsbeiträgen“. Beetz: Magie und Esoterik, S. 528. Vgl. zur Fülle der Literatur auch Scholz: Die Geschichte der Faust-Forschung, Bd. 1, S. 14 f., er schätzt die Zahl der Titel im Jahr 2011 bereits auf etwa 11 000. Berghahn: The Myth and Its History, S. 3. https://doi.org/10.1515/9783111311258-002
2 Auswahl der Forschungsliteratur
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Der Forschungsstand zur Hexenthematik in Goethes „Faust“ wird in meiner Studie jeweils in den einzelnen Kapiteln themenbezogen beleuchtet. Diese Forschungsberichte und ihre Kommentierung sind dort jeweils mindestens Teil und oft sogar ein Kernbereich der Untersuchung. Eine Zusammenfassung des Forschungsstandes erübrigt sich deshalb. Sie wäre in einem angemessenen Umfang auch nicht im Rahmen eines Kapitels zu leisten. Dennoch erscheint es informativ zu resümieren, welche Arten von Literatur ausgewertet wurden und welche Ergebnisse sich mit Blick auf den Forschungsstand abzeichnen. Die interdisziplinäre Perspektive auf die Hexenthematik in Goethes „Faust“ und auf ihre Rezeption erfordert es, das Werk mit verschiedenen Sorten von Quellen und Sekundärliteratur zu konfrontieren. Zum einen wurde maßgebliche geschichtswissenschaftliche Literatur zu Hexenverfolgungen zugrunde gelegt. Zum anderen war eine große Anzahl sekundärwissenschaftlicher Publikationen zu Goethes „Faust“ und zur Faustliteratur allgemein auszuwerten. Beide Bereiche werden im Folgenden untergliedert vorgestellt. Während die ausgesuchten geschichtswissenschaftlichen Studien zur Hexenthematik eine belastbare Basis der Untersuchung bilden, wurde die FaustSekundärliteratur nicht ausschließlich nach ihrer Qualität oder Aktualität ausgewählt. Manche Arbeiten wurden eingesehen, weil es sich um bekannte und einflussreiche Studien handelt; außergewöhnlich renommierte Untersuchungen haben für die hier fokussierte Rezeptionsgeschichte besonderes Gewicht. Auch manche der populärwissenschaftlichen Darstellungen zu Goethes „Faust“ waren hinsichtlich der Präsentation und Verbreitung von hexenthematischem Wissen untersuchenswert, ebenso Studien zu Gebieten, die der Hexenthematik verwandt sind und etwa im weiteren Sinne magiebezogene Künste behandeln. Es wurden darüber hinaus Untersuchungen berücksichtigt, die, ein seltener Fall, speziell die Hexenthematik im „Faust“ gut, oder auch, der viel häufigere Fall, gerade auffallend schlecht behandeln. Die getroffene Auswahl spiegelt eine gewisse Bandbreite, kann aber selbstverständlich nicht vollständig sein. Vorab sollen einige prägnante Beispiele der ausgewerteten Literatur Beobachtungen zum Forschungsstand illustrieren. Um Goethes historisches und insbesondere sein dämonologisches Wissen einzuordnen, waren seine überlieferten Briefe und Gespräche, Zeugnisse seiner amtlichen Tätigkeiten sowie Querverweise im Werk zu betrachten. Neben allen bedeutenden kommentierten Werkausgaben wurden die wichtigsten Bibliographien und spezifische Nachschlagewerke eingesehen. Sehr hilfreich waren dabei die in jüngerer Zeit erschienenen elektronischen Werkeditionen. Sie erlauben es, in den mehrere zehntausend Seiten umfassenden Ausgaben von Goethes Werken, Briefen, Gesprächen, Tagebuchnotizen und amtlichen Schriften rasche Abfragen nach Suchwörtern durchzuführen, etwa nach bestimmten Schlagwörtern zu Magievorstellungen oder nach Namen von Autoren hexentheoretischer Schriften.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
Nicht selten wird für eine stärker geschichtswissenschaftlich ausgerichtete Interpretation von Goethes „Faust“ plädiert.4 In einer Studie mit dem Untertitel „Goethes ‚Faust‘ und die bürgerliche Gesellschaft“, 1995 in zweiter Auflage erschienen, betont zum Beispiel Rüdiger Scholz, seine Interpretation sei „an diesem Aufbruch zu einem politisch gesellschaftshistorischen Verständnis von Goethes Faust-Dramen beteiligt“.5 Er beschäftigt sich zwar paradoxerweise nicht mit der Zauberei- und Hexenverfolgung. Dennoch ist eine Beobachtung aus dem Vorwort zur ersten Auflage 1981 auch mit Blick auf die Hexenthematik interessant: Während die Entstehungsgeschichte, Goethes Weltanschauung und die Tradition von Goethes Gedanken, Bildern und Kunstformen mustergültig erforscht sind, steht diesen Leistungen ein fast völliges Versagen auf dem Gebiet der Erforschung des Dramas im Zusammenhang der Realgeschichte gegenüber. Die Ursache dafür liegt in der Auffassung, daß künstlerische Schöpfungen im Genie des Autors wurzeln und ‚das Allgemein-Menschliche‘ zum Gegenstand haben, d. h. ‚Welt‘ und ‚Menschheit‘ in ihrem überhistorischen Wesen. Dieser Begriff vom Künstler und Kunstwerk hat den Zugang zum Verständnis des „Faust“ im Kontext der deutschen und europäischen Geschichte des 18. / 19. Jahrhunderts verstellt.6
Diese Annahme trifft jedenfalls hinsichtlich des Themas „Hexenverfolgung“ überwiegend zu. Bemängelt werden müsste aber deshalb vor allem, dass Kontexte des 16. und 17. Jahrhunderts in wichtigen Teilen ignoriert wurden.
2.1 Literatur zur Hexenthematik in Goethes „Faust“ Was bringt Goethe dazu, der Magie in seiner Menschheitstragödie einen solchen Stellenwert beizumessen?7
Die erste Studie, die die frühneuzeitliche Hexenverfolgung als Thema in Goethes „Faust“ ernsthaft fokussierte, erschien zunächst 1982 in dem Band „Götterzeichen, Liebeszauber, Satanskult“ von Albrecht Schöne, in dritter, ergänzter Auflage 1993. Er analysiert die Hexenthematik mit Blick auf die Szene Walpurgisnacht und die Paralipomena. Dabei geht es ihm weniger um eine sozialgeschichtliche Deutung, eher um eine Strukturanalyse des Dramas, einen „symmetrischen Dualismus“8 von Gott und Satan. Er formuliert aber die klare These, dass Gretchens Hinrichtung von Goethe ursprünglich als Hexenprozess angelegt war. Diesem Anstoß
Vgl. zum Beispiel Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 9. Scholz: Die beschädigte Seele, S. VII. Scholz: Die beschädigte Seele, S. XI. Gaier: Magie, S. 6. Schöne: Götterzeichen, S. 205, vgl. auch S. 143–145.
2.1 Literatur zur Hexenthematik in Goethes „Faust“
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Schönes ist in meiner Arbeit Kapitel 3 gewidmet, dort wird die erstaunliche Rezeption seiner These beschrieben: Er fand wenig Gehör und erhielt viel vehemente Kritik. Die Verfasserin der hier vorliegenden Studie hat einige ihrer Fragestellungen in verschiedenen Aufsätzen vorgestellt und dabei einzelne Aspekte vertieft.9 In der übrigen Forschung zur Hexenthematik in Goethes „Faust“ nehmen bis heute Untersuchungen zu einzelnen dämonologischen Motiven und Gestalten sowie ihrer symbolischen Deutung den meisten Raum ein. Mit Blick auf Goethes hexentheoretische Quellen und ihren literarischen Kontext sind früh einige Aufsätze verfasst worden. Auf die im Folgenden genannten frühen Studien beriefen sich spätere Autoren immer wieder; der Forschungsstand wurde nicht wesentlich aktualisiert, auch nicht mit Blick auf die geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisse zu den untersuchten Quellen Goethes. Erich Schmidt erwähnt einige Dämonologien schon im Kommentar der Weimarer Ausgabe von 1887, den er später erweiterte.10 Georg Witkowski hat 1894 Goethes Quellen vor allem mit Blick auf die Szene Walpurgisnacht untersucht, auf seine Darstellung wird bis heute immer wieder verwiesen.11 Max Morris betrachtete 1899 ebenfalls diese Szene und fokussiert als literarische Quelle Goethes besonders das Epos „Paradise lost“ des englischen Dichters John Milton.12 Zu Goethes Einen kurzen Überblick gibt die Abhandlung Kierspel [Uhrmacher], A.: „Dämonologische Aspekte und Spuren historischer Hexenverfolgung in Goethes Faust“, die in einem geschichtswissenschaftlich orientierten Sammelband zur Hexenverfolgung 2003 erschien. Die hexentheoretische Seite nimmt der Aufsatz „Ich fürchte mich selbst davor! Zur Bedeutung und Umkodierung dämonologischer Vorstellungen in Goethes Faust“ in den Blick. Er erschien 2009 im von Achim Geisenhanslüke und Georg Mein herausgegebenen Sammelband „Monströse Ordnungen. Zur Typologie und Ästhetik des Anormalen“. Die literarische Rezeption der Hexenverfolgung behandelt der Beitrag „Literatur und Gedächtnis: Fragen zur Rezeptionsgeschichte der Hexenverfolgung“, der 2010 in der Zeitschrift „Interdisziplinäre Hexenforschung online“ im geschichtswissenschaftlichen Portal historicum.net erschien. Fragen an eine nationale Erinnerungskultur stellt der 2012 erschienene Aufsatz „Tragödie und Nation. Über beredtes Schweigen in der Literaturwissenschaft“ im Rahmen der Publikation der X. Internationalen Tagung des Verbandes der Deutschlehrer und Germanisten der Slowakei. Der Beitrag „Theatrum Memoriae – Transfer und Selektion im Diskurs um Faustliteratur“, der 2017 im Sammelband „Hexenwissen. Zum Transfer von Magie- und Zauberei-Imaginationen in interdisziplinärer Perspektive“ erschien, betrachtet den Transfer von Magievorstellungen und den Verlust von Wissen darum. Vgl. Weimarer Ausgabe, Abt. I, Bd. 14, S. 297–300. Vgl. Schmidts Anmerkungen in: JubiläumsAusgabe Cotta, Bd. 13. Georg Witkowski: Die Walpurgisnacht im ersten Teile von Goethes Faust, Leipzig 1894, besonders S. 18–36. Morris veröffentlichte seine Studie wieder im Sammelband Goethe-Studien 1902. Vgl. auch Morris: Mephistopheles. Robert Petsch streift in seinem Aufsatz „Die Walpurgisnacht in Goethes Faust“ die dämonologischen Quellen Goethes nur am Rande, vgl. Petsch: Faustsage und Faust-
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
Wissen um die Hexenthematik geben vor allem seine Paralipomena zu „Faust“ entscheidende Hinweise. Deren mögliche Quellen sowie die Diskussion dieser Quellen in der Sekundärliteratur hat 1994 umfassend Anne Bohnenkamp vorgestellt.13 Wie schon angesprochen analysierte Albrecht Schöne Goethes Quellen zur Szene Walpurgisnacht und den Paralipomena 1982 als erster auch unter besonderer Berücksichtigung der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung, die er als Thema der Entwürfe und der dort angedeuteten Verbrennung Gretchens herausgearbeitet hat. Die von Goethe übernommenen Inhalte aus hexentheoretischen Quellen werden in den folgenden Kapiteln meiner Arbeit ausführlich dargelegt. Schönes wichtiger Anstoß zog keine vertiefenden Studien nach sich, erntete vielmehr sogar Kritik. Er führte auch nicht dazu, dass Goethes Quellen in späteren Abhandlungen historisch adäquat eingeordnet wurden. Viele Untersuchungen zu Goethes „Faust“ lassen einen angemessenen Umgang mit der frühneuzeitlichen Seite der Dämonologie vermissen. Viel öfter und intensiver als die Hexentheorien der frühen Neuzeit werden immer wieder Hexenmotive der antiken Mythologie und der Bibel vergleichend herangezogen. Sie sind jedoch dem Fauststoff und zumal dem ersten Teil von Goethes Drama viel ferner als die hexentheoretische Literatur des 15., 16., 17. und 18. Jahrhunderts. Wenn diese aber in der Faust-Forschung zur Sprache kommt, so fehlen oft differenzierte Einordnungen der frühneuzeitlichen Quellen.14 Erst recht wird der Wirklichkeitsbezug der Zauberei- und Hexenvorstellungen ignoriert. Fast immer beschränkt sich die germanistische Forschungsliteratur auf die rein imaginären Hexenphantasien, die Goethe verarbeitet hat. Oft werden eine vermeintliche „Magie der Renaissance“ oder diffuse metaphysische Aspekte fokussiert. Die historische Realität der Zauberei- und Hexenprozesse, mit der Dämonologie eng verknüpft und in Goethes Werk thematisiert, bleibt außer Acht. Die Konzentration der Faust-Forschung auf phantastische Elemente geht so weit, dass außerordentliche Energie darauf verwendet wird, Deutungen von nicht zu klärenden magischen Sprachspielen Goethes auszuarbeiten. So existiert, um ein drastisches Beispiel zu nennen, eine immense Anzahl von Abhandlungen, die sich mit dem verjüngenden Zauberspruch der Hexe in der Szene
dichtung, S. 146–167. Veit Valentin verweist in seiner Abhandlung: „Goethes erste Walpurgisnacht und ihre Paralipomena“ auf S. 101 f. bezüglich der Quellen lediglich auf Georg Witkowskis Studie. Bohnenkamp: Paralipomena. Vgl. hierzu Punkt 7.4.
2.1 Literatur zur Hexenthematik in Goethes „Faust“
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Hexenküche beschäftigen, dem Hexen-Einmal-Eins (2540–2552).15 Goethe selbst nannte die Verse „Unsinn“.16 Die Forschungsdiskussion um diesen Zauberspruch ist ein grotesker Beleg für das Ungleichgewicht der Hexenthematik in den Fauststudien: je weiter die Fragestellung von der Wirklichkeit entfernt ist, desto mehr Aufmerksamkeit scheint sie zu finden. Viel beachtet wurden zwar bestimmte dämonologische Aspekte im „Faust“ und ihre Quellen, tradierte Imaginationen wie etwa Details zu Attributen von Hexen und ihrem obszönen Verhalten, besonders anhand der Szenen Hexenküche und Walpurgisnacht. Äußerst selten angesprochen wird hingegen die Hexenthematik mit Blick auf alle anderen Szenen des „Faust“. Das erstaunt umso mehr, als, wie bereits skizziert, die Anlage des Schwarzkünstlers und Teufelsbündners Faust und das von Goethe dargestellte Alltagsleben von dämonologischen Vorstellungen durchzogen sind und auch viele Spuren einer Praxis der Hexenverfolgung zeigen – sowohl auf der Ebene der Gretchenhandlung wie auch am Hof des Kaisers im zweiten Teil des Dramas. Die Thematik der Zauberei- und Hexenverfolgung ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen, die später noch zur Sprache kommen – weder in den Kommentaren der kritischen Werkausgaben noch in den selbständig erschienenen Gesamtkommentaren oder in Einzeldarstellungen der Sekundärliteratur angemessen berücksichtigt worden. Im Gegenteil: sie ist auffallend vernachlässigt worden, geradezu ein blinder Fleck der Faust-Forschung inmitten der schier unüberschaubar breiten Sekundärliteratur. Wenn dieser prägnante Teil der Realgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts überhaupt erwähnt wird, dann beschränkt sich die Darstellung meist auf wenige Hinweise. Keinesfalls wird die Bedeutung des Themas für das gesamte Drama beleuchtet. Wenn die Hexenverfolgung überhaupt erwähnt wird, dann basieren Deutungen oft auf überholten oder falschen historischen Forschungsmeinungen. Dies gilt auch für seriöse Kommentare, wie etwa die bekannte Darstellung von Jochen Schmidt.17
Eine Aufzählung auch nur der speziellen Abhandlungen zum Hexen-Einmal-Eins würde den Rahmen dieses Kapitel sprengen. Verwiesen sei – um einen ersten Eindruck zu erhalten – stattdessen auf die Bibliographie von Siegfried Seifert: Goethe-Bibliographie 1950–1990, Bd. 3, S. 1084. Goethe: Brief an Carl Friedrich Zelter vom 4. Dezember 1827. Münchner Ausgabe, Bd. 20.1, S. 1086–1088, hier S. 1087. Vgl. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., besonders S. 197–201. Vgl. zur Kritik an Schmidts Ausführungen Punkt 2.1.3.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
Oft trifft man auf falsche Datierungen und Opferzahlen, Irrtümer bezüglich der Rechtspraxis18 und die Verwechslung von Hexen- und Ketzerprozessen. Nicht selten tauchen die unhaltbaren Thesen der Bremer Ökonomen Heinsohn und Steiger auf, die in der Hexenverfolgung eine gezielte „Vernichtung der weisen Frauen“19 vermuteten und deren Konstrukt außerordentlich populär wurde. Bemerkenswert oft kommt es in literaturwissenschaftlichen Argumentationen auch zur Gleichsetzung der dämonologischen Imaginationen von „Hexen“ mit echten Hexenprozessopfern. Die Literaturwissenschaft spiegelt hier ein zumal von Historikern beklagtes Problem, nämlich, dass auf dem Gebiet der Hexenforschung „mehr Unsinn literarischen Niederschlag gefunden hat als auf jedem anderen Gebiet der Geschichte.“20 Die Studien zu Goethes „Faust“, die eine Hexenthematik im Titel führen, sind im Hinblick auf sozialgeschichtliche Perspektiven überwiegend unergiebig. Bezeichnend ist hierfür etwa die 1970 erschienene Monographie von Wilhelm Resenhöfft. Er kündigt im Titel eine „Existenzerhellung des Hexentums in Goethes ‚Faust‘“ an, lässt aber jede im Werk verarbeitete frühneuzeitliche Wirklichkeit außen vor und verliert sich stattdessen in Hexenphantasien über Triebhaftigkeit. Die 2015 publizierte Dissertation von Thomas Höffgen „Goethes WalpurgisnachtTrilogie“ deutet Goethes Walpurgisnacht im „Faust“ einseitig als eine „kirchenkritisch-aufklärerische Satire“, als „Parodie auf die frühneuzeitliche Vorstellung von
Beispielhaft für diese typischen Irrtümer sei hier die Abhandlung von Barbara Mabee zitiert. Sie bemerkt über „die Kindesmörderinnen“: „Die Verfolgungen und Bestrafungen dieser unverheirateten Mädchen konnten in ihrer Brutalität als eine historische Fortsetzung der Hexenpogrome aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert gesehen werden, bei denen neun bis elf Millionen Frauen ihr Leben verloren hatten.“ Mabee: Die Kindesmörderin, S. 29. Heinsohn und Steiger verbreiteten in vielen Auflagen ihrer zu Bestsellern gewordenen Bücher mit dem Titel „Die Vernichtung der weisen Frauen“ die These, die Hexenverfolgung hätte durch eine Verschwörung von Staat und Kirche gezielt der Ausrottung von Hebammen bzw. kräuterkundigen Frauen und deren Verhütungs- und Abtreibungswissen gedient. Ziel sei eine Peuplierungspolitik gewesen. Die durch Quellen nicht zu stützenden Thesen wurden von der Geschichtswissenschaft widerlegt, dennoch sind sie nach wie vor populär. Schon vorher kursierte, wie Felix Wiedemann berichtet, „die griffige Formel vom Hexensabbat als ‚Ärztinnenkongress‘, auf dem Weise Frauen ihre heilkundlichen Methoden diskutiert hätten.“ Wiedemann: Rassenmutter, S. 270. In der Faustforschung spiegelt sich diese Annahme sehr oft, etwa bei Rohde: Gender, S. 555. Schormann: Hexenprozesse in Deutschland, S. 125, vgl. Midelfort: Recent Witch Hunting Research, 1968, S. 373. Wolfgang Behringer hat eine Übersicht zur Erforschung der Hexenverfolgung vorgelegt: Behringer: Geschichte der Hexenforschung.
2.1 Literatur zur Hexenthematik in Goethes „Faust“
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der Walpurgisnacht“.21 Höffgen beschäftigt sich ausführlich mit Details, bietet allerdings eine oberflächliche Kompilation einer mageren Literaturauswahl. Höffgen versucht auch, Schönes Thesen zu referieren und nennt immerhin die Hexenprozesse als Kontext des Fauststoffes, er argumentiert aber mit Blick auf Schöne irreführend (vgl. Punkt 3.2). Seine Betrachtung geschichtlicher Aspekte ist zudem an vielen Stellen ungenau und zeugt von mangelnder Kenntnis der Quellen. Die ebenfalls 2015 veröffentlichte, sorgfältig recherchierte Dissertation von Alexander Rost, „Hexenversammlung und Walpurgisnacht in der deutschen Dichtung“, widmet auch einen langen Abschnitt der Walpurgisnacht in Goethes „Faust“. Und Rost betrachtet zudem Anspielungen auf dämonologische Imaginationen im Kontext der Walpurgisnacht in verschiedenen Fassungen der Szene Auerbachs Keller in Leipzig. Diese Studie arbeitet erhellend mit Quellen und interdisziplinärer Literatur; vor allem, was nahe liegt, mit Quellen aus dem Bereich der Dämonologie sowie mit qualitativ hochwertigen Publikationen der geschichtswissenschaftlichen Hexenforschung. Sie ist damit ein seltenes Beispiel praktizierter Interdisziplinarität. Rost verfolgt jedoch nur die motivgeschichtliche Einordnung dämonologischer Details, vor allem der Walpurgisnacht. In der Bewertung der Forschung zu Goethes „Faust“ bleibt er oft merkwürdig verhalten. Auch bezüglich Schönes These eines ursprünglich geplanten Hexenprozesses enthält Rost sich erstaunlicherweise einer Stellungnahme, schon gar nicht beleuchtet er die Bedeutung dieses Diskurses für das Drama, obwohl er ihn ohne hinreichende Begründung als „Zäsur“22 bezeichnet. Ein Aspekt, der in der Forschung zu Goethes „Faust“ noch am ehesten zum Thema Hexenverfolgung hinführt, ist die Verbindung der Kindsmordproblematik mit der Hexenthematik. Meist wird allerdings nur der dämonologische Vorwurf der Kindstötung durch „Hexen“ angesprochen, nicht echte sozialgeschichtliche Fakten wie zum Beispiel die Vermischung von Kindsmord- und Hexereivorwürfen vor Gericht oder die Verbindung von deviantem Sexualverhalten mit Denunziationen als „Hexe“. Auch Darstellungen zur Gretchentragödie, die das Wort „Hexen“ im Titel führen, sind erstaunlich unergiebig, wenn man sie hinsichtlich der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung betrachtet, selbst dann, wenn sie sich ausdrücklich auf einer sozialgeschichtlichen Argumentationsebene bewegen. Ein prägnantes Beispiel ist die Dissertation von Michael Schmidt aus dem Jahr 1985. Sie trägt den plakativen Titel
Höffgens Beschreibung verkennt, dass die von ihm als übertrieben beschriebenen Details genau so in zahlreichen frühneuzeitlichen Darstellungen gang und gäbe waren: „Doch jagen die Hexen des Faust I wohl keinem Angst ein, sondern laden eher zum (Aus-)Lachen ein, denn sie furzen und stinken (V. 3961) und ihre Fluginstrumente stechen und kratzen (V. 3976 ff.); es handelt sich doch eher um eine ‚Narrentruppe‘.“ Höffgen: Goethes Walpurgisnacht-Trilogie, S. 24. Rost: Hexenversammlung, S. 356.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
„Genossin der Hexe“ und ist bemüht, Gretchen in einen historischen Kontext zu stellen. Die Studie wird von einer ausführlichen geschichtswissenschaftlichen Abhandlung zum Thema Kindsmord eingeleitet. Hier verweist Michael Schmidt auch auf Parallelen der Hexenverfolgung und der Verfolgung des Kindsmorddeliktes, ohne diese These im Detail auszuführen. Er überträgt die Erkenntnisse aber nur ganz am Rande auf die von ihm untersuchten literarischen Verarbeitungen des Kindsmordmotivs beziehungsweise auf den Hauptgegenstand seiner Untersuchung, Goethes „Faust“. Schmidt weist darauf hin, dass „die historisch-soziologischen Implikationen der Gretchentragödie nie besonders gründlich und vor allem kaum im Zusammenhang untersucht“23 worden seien. Als Beispiel für die „eminent soziale Problematik“ nennt er jedoch nur die „barbarische Sanktionierung des Kindsmords“.24 In seiner Dissertation verharrt auch er bei der dämonologischen Nähe von Hexe und Kindsmörderin, wie sie sich zum Beispiel in der Gestalt der Lilith auf der Walpurgisnacht zeige.25 Schmidt übersieht die Spuren der real praktizierten Hexenverfolgung, die in Goethes „Faust“ im Zusammenhang mit den Kindsmordvorwürfen gegen Gretchen zu lesen sind. Obwohl er die These eines früher angelegten Hexenprozesses gegen Gretchen kurz anspricht und ihr teilweise zustimmt,26 zieht er für die sozialgeschichtlichen Aspekte seiner Interpretation, etwa die langen Ausführungen zum Thema Stigmatisierung, keinerlei Schlüsse daraus. Manche Deutungen, wie etwa die von Barbara Becker-Cantarino mit dem Titel „Witch and Infanticide“, betrachten die Hexenverfolgung als aus dem Drama eliminiert: „[...] the historical witch-hunt craze is written out of the text and thereby of cultural history.“27 Zwar deutet diese Bemerkung zu Recht Goethes Umkodierung des Themas an, bei genauem Hinsehen ist die Aussage aber zu modifizieren. Das Gefühl der Auslassung zeigt vielmehr, dass die Hexenverfolgung als Subtext in der Tragödie eben doch präsent ist und spürbar wird. Becker-Cantarino nennt zwar Schönes These zum Kontext der Hexenverfolgung; man muss der Autorin aber widersprechen, wenn sie die realgeschichtlichen Verfolgungen in keiner der Szenen des „Faust I“ wiedergegeben oder als Erinnerung abgerufen sieht: „The witch in Faust I appears as a mythic, atavistic figure, not unlike ‚the witch‘ prosecuted in the witch-hunt craze. Yet none of the scenes, plot, action, or images in Faust use or recall the cruel prosecutions and ritual executions, in short the genocide on women.“28 Vielleicht ist dieses Übersehen der durchaus noch vorhandenen Spuren im Drama dadurch zu
Schmidt, M.: Genossin der Hexe, S. 173. Schmidt, M.: Genossin der Hexe, S. 173. Schmidt, M.: Genossin der Hexe, S. 149–152. Schmidt, M.: Genossin der Hexe, S. 163 f. Becker-Cantarino: Witch and Infanticide, S. 8. Becker-Cantarino: Witch and Infanticide, S. 8.
2.1 Literatur zur Hexenthematik in Goethes „Faust“
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erklären, dass Becker-Cantarino die frühneuzeitliche Hexenangst und -verfolgung nur eindimensional betrachtet: reduziert auf misogyne Imaginationen von Weiblichkeit und Sexualität. Hinsichtlich der geschichtswissenschaftlichen Fakten enthält die Abhandlung Irrtümer und Ungenauigkeiten.29 Das Fehlen einer soliden interdisziplinären Basis führt dazu, dass berechtigte feministische Fragestellungen ins Spekulative geraten oder anachronistisch gefärbt erscheinen – und dass wichtige andere Aspekte ausgelassen werden. In Untersuchungen zur Gretchentragödie behandelt man heute vor allem Geschlechtergegensätze und nach wie vor das beliebte Sturm- und Drang-Thema „ledige Mutterschaft“ versus „bürgerliche Moral“, wobei die Ausgrenzung lediger Mütter in der Realität der frühen Neuzeit fälschlicherweise nicht selten pauschal mit der Stigmatisierung von Hexenprozessopfern gleichgesetzt wird. Auf diese Weise wird zwar ein prägnantes Thema des „bürgerlichen Trauerspiels“ aus der Entstehungszeit von Goethes Werk betrachtet, nicht aber die wichtigen Facetten der sozialgeschichtlichen Wirklichkeit des 16. Jahrhunderts, die den Fauststoff prägt. Resümierende Berichte über die Gretchen-Sekundärliteratur ergeben dasselbe Bild, so etwa die Zusammenstellung von Wolfgang Wittkowski.30 Um einen Überblick über Studien zur Hexenthematik in Goethes „Faust“ zu erhalten, wurden nicht allein diesem Thema gewidmete Monographien und Aufsätze ausgewertet. Auch wurde jeweils geprüft, ob die Hexenthematik in Interpretationen berücksichtigt wurde, die sich zum Beispiel mit einzelnen Figuren oder für die Hexenthematik prägnanten Szenen auseinandersetzen. Gleiches gilt für Abhandlungen, von denen zu erwarten wäre, dass sie die frühneuzeitliche Hexenverfolgung und dämonologische Aspekte im Blick behalten. Dies betrifft etwa faustbezogene Studien zu frühneuzeitlichen Geschlechterrollen, sozialen und familiären Konflikten, Stigmatisierungen und Ausgrenzungsmechanismen, zu strafrechtlichen, theologischen und wissenschaftsgeschichtlichen Seiten des Werkes. Die Literaturauswertung ergibt: Goethes Geschichtsbewusstsein ist in der Sekundärliteratur betont und historische Perspektiven des Dichters sind oft besprochen worden. Doch weitgehend ignoriert werden sein Wissen um die Hexenverfolgung und dessen Verarbeitung in vielen Szenen des „Faust“. Diese Lücke in der Faust-Forschung überrascht schon aus den oben beschriebenen stoffgeschichtlichen und inhaltlichen Gründen.
So suggeriert sie fälschlicherweise, um nur ein Beispiel zu nennen, die Befragungen von Hexenprozessopfern seien ausschließlich als Entscheidungsfragen und auf Latein durchgeführt worden. Becker-Cantarino: Witch and Infanticide, S. 2. Wittkowski: Gretchen-Interpretation.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
2.1.1 Forschungsberichte und Darstellungen zur Wirkungsgeschichte Goethes „Faust“ gilt wohl immer noch als heiliges Territorium der Germanistik, ein Gebiet, das selbst die Engel fürchten müßten [...].31
Forschungsberichte zu Goethes „Faust“ sind subjektiv und nicht selten selbst umstritten. Sie resümieren aber in der Regel Interpretationen, die für bedeutungsvoll und einflussreich erachtet werden; deshalb sind ihre Hinweise auf die Rezeptionsgeschichte des Dramas hilfreich. Die Anzahl der Untersuchungen zur Wirkungsund Forschungsgeschichte des Werkes sind inzwischen so zahlreich, dass sie in Bibliographien eigene große Abteilungen bilden. Hinsichtlich der Hexenthematik werden sie besonders aufschlussreich ergänzt durch viele knappe Forschungsberichte in Kommentaren, etwa von Paul Requadt oder Hans Arens zu einzelnen Figuren, Motiven und Strukturen. Nur ausgewählte Beispiele können hier genannt werden. Viele Forschungsberichte zu Goethes „Faust“ bestätigen den Eindruck, dass die Hexenthematik bisher sehr einseitig behandelt wurde.32 Ein auffallendes Beispiel ist schon die frühe Darstellung von Rüdiger Scholz. Er hat 1993 vielfältige Deutungen zu „Faust“ in einem Bericht zusammengefasst: „Goethes ‚Faust‘ in der wissenschaftlichen Interpretation von Schelling und Hegel bis heute“. Feministische, theologische und psychologische Interpretationen sind hier ebenso aufgeführt wie politische und auch sozialgeschichtliche. Doch die Thematik der Hexenverfolgung wird kaum angesprochen. Scholz vertritt die Ansicht: unter anderem „[...] das Begreifen, daß Goethes Werk durch das Ausklammern der historisch-politischen Kategorie trotz aller Glorifizierung eher unterschätzt wurde“ sei eine einschneidende Veränderung in der Forschung, jene lasse „die kunstimmanente Interpretation als historisch abgeschlossene Epoche der Faust-Forschung erscheinen“.33 Im Jahr 2011 hat Scholz einen noch umfangreicheren, sehr subjektiven Forschungsbericht in zwei Bänden vorgelegt: „Die Geschichte der Faust-Forschung. Weltanschauung, Wissenschaft und Goethes Drama“. Auch hier kommt das Thema Hexenverfolgung als realgeschichtlicher Kontext nur sehr knapp vor. Allerdings ordnet Scholz es offensichtlich gar nicht der Sozialgeschichte zu, denn er bezeichnet ausgerechnet Albrecht Schöne, der die Hexenverfolgung als Kontext in Goethes „Faust“ benannt hat, als den „striktesten Vertreter einer anti-sozialgeschichtlichen Sicht des Dramas“.34 Schönes bekannte These des in den Paralipomena als Plan erkennbaren Hexenprozesses fasst Scholz, wie viele
Hamlin: Faust und der Erdgeist, S. 95. Prägnant zum Beispiel Wittkowski: Gretchen-Interpretation. Scholz: „Faust“ in der wissenschaftlichen Interpretation, S. 252. Scholz: Die Geschichte der Faust-Forschung, S. 642.
2.1 Literatur zur Hexenthematik in Goethes „Faust“
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andere, ebenso knapp wie irreführend zusammen als „Nähe Gretchens zum Bereich der Hexen“.35 Es ist bezeichnend, dass sogar ein Autor wie Scholz, der vehement für die Kenntnisnahme von historisch-politischen Zusammenhängen plädiert, der Hexenverfolgung in seinem ausführlichen Forschungsbericht als Thema kaum Platz einräumt. Auch Stoff- und Wirkungsgeschichten zu „Faust“36 behandeln den Kontext der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung oft gar nicht oder überaus knapp. Selbst wenn Studien sich dem Faustmythos explizit auch historisch nähern wollen, legen sie selten aktuelle geschichtswissenschaftliche Forschungsliteratur zur Hexenthematik zugrunde. Ein prägnantes Beispiel für diese mangelhafte Basis sind die bekannten Studien von André Dabezies.37 Immerhin erwähnt Dabezies in seiner 1990 in zweiter Auflage erschienenen Darstellung „Le mythe de Faust“ kurz die Zeit der intensiven Hexenverfolgungen als Kontext des Stoffes.38 Er belässt es jedoch bei äußerst knappen Andeutungen und benutzt, wie es häufig vorkommt, mit Blick auf die Themen Magie und Dämonologie sowie ihre Bedeutung im 16. Jahrhundert unzureichende Literatur. In seiner Bibliographie nennt er unkommentiert sogar Literatur, die nur als tendenziöse Quelle gelten kann.39 Er vermerkt unter dem Kapitel „Faust, le diable, la magie et le pacte“ eine so fragwürdige Abhandlung wie Montague Summers „The history of witchcraft and demonology“, erschienen in London 1926 und wiederaufgelegt in London 1965. Summers begründete noch im 20. Jahrhundert die Hexenverfolgung mit einer Bosheit der Verfolgten. Etwa schreibt er: “I have endeavoured to show the witch as she really was – an evil liver; a social pest and parasite; the devotee of a lathly and obscene creed; an adept at poisoning, blackmail, an other creeping crime; a member of a powerful secret organization inimical to Church and State [...]“40 und so fort. Dabezies hat die Abhandlungen Summers, die selbst eine historische Quelle für späte Hexenangst sind, nicht als solche gekennzeichnet. Einen breiten Überblick über Diskurse des Faust-Stoffes bietet das 2018 erschienene „Faust-Handbuch“, herausgegeben von Carsten Rohde, Thorsten Valk und Mathias Mayer. In dem über 600 Seiten starken Sammelband wird die Hexenthematik, trotz der Präsentation vieler eng damit verknüpfter Aspekte, nur sehr knapp behandelt und fast nur im Zusammenhang mit den älteren Faustbüchern, mit Blick auf
Scholz: Die Geschichte der Faust-Forschung, S. 768. Untersuchungen speziell zu frühen Verarbeitungen des Fauststoffes, etwa der „Historia von D. Johann Fausten“, berücksichtigen öfter realgeschichtliche Kontexte, vgl. hierzu Punkt 2.3.2. Dabezies: Le mythe de Faust. Vgl. auch: Dabezies, André: Visages de Faust au XXe siècle. Dabezies: Le mythe de Faust, S. 258. Dabezies: Le mythe de Faust, S. 370. Summers: The history of witchcraft and demonology, S. XiV.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
Goethes „Faust“ so gut wie gar nicht; die wenigen Bemerkungen in letzterem Zusammenhang sind zudem teilweise historisch ungenau. Es zeigt sich deutlich die fortgeführte Marginalisierung des Themas. Fast gewinnt man sogar den Eindruck, die Wahrnehmung von Historizität, von Kontexten und Quellen, lasse in der jüngeren Goethe-Forschung eher noch nach, trotz einer öffentlich vielbeschworenen Interdisziplinarität. Viele andere, weiterführende Aspekte sind aber im „Faust-Handbuch“ reichhaltig und gründlich aufbereitet und geben Hinweise vor allem zur weiten Rezeptionsgeschichte des Stoffes.
2.1.2 Werkausgaben mit Kommentar Überhaupt ist jedes gemeinsame Anschauen von der größten Wirksamkeit; denn indem ein poetisches Werk für viele geschrieben ist, gehören auch mehrere dazu, um es zu empfangen; da es viele Seiten hat, sollte es auch jederzeit vielseitig angesehen werden.41
Als Quelle für alle Zitate aus Goethes erstem und zweitem Teil des „Faust“, der frühen Fassung und den Paralipomena wurde die kommentierte Ausgabe von Albrecht Schöne (2. Aufl. Berlin 2019)42 verwendet. Auch die Zitate aus dem Kommentarband Schönes werden nach dieser Auflage zitiert.43 Die Ausgabe der Paralipomena zu Goethes „Faust“ von Anne Bohnenkamp wurde vergleichend hinzugezogen.44 Zitate aus dem 1790 publizierten Faust-Fragment sind nach der Münchner Ausgabe wiedergegeben.45 Zitate aus anderen Werken, Briefen, Tagebüchern und Gesprächen Goethes entstammen verschiedenen kritischen Werkausgaben, die jeweils an entsprechender Stelle aufgeführt werden. Die Kommentare kritischer Werkausgaben waren insofern besonders auszuwerten, als sie ein Gradmesser für die Gewichtung von Themen im Werk sein können. Denn sie berücksichtigen häufig gängige Interpretationen und bedeutende Forschungsdiskussionen. Eine Durchsicht der wichtigsten und verbreitetsten kommentierten Werkausgaben, insbesondere der Frankfurter, Münchner, Berliner, Hamburger und Weimarer Ausgabe sowie der Leidener Faust-Ausgabe und der sogenannten Jubiläumsausgabe, ergab mit Blick auf die Hexenthematik in Goethes „Faust“ den folgenden Befund: Die historische Hexenverfolgung ist in
Goethe in einem Brief an Karl Ludwig von Knebel vom 14. November 1827. Frankfurter Ausgabe, Abt. II., Bd. 10, S. 562–564, hier S. 563. Diese wird im Folgenden abgekürzt zitiert als Goethe: Faust, Bd. 1: Texte. Sie wird im Folgenden abgekürzt zitiert als Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare. Bohnenkamp: Paralipomena. Münchner Ausgabe, Bd. 3.1, S. 521–587.
2.1 Literatur zur Hexenthematik in Goethes „Faust“
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den Kommentaren der bedeutendsten Werkausgaben kaum, geschweige denn gebührend berücksichtigt worden. Als einzige Ausnahme ist die kommentierte Faust-Ausgabe von Albrecht Schöne zu nennen, die 1994 als Teil der Frankfurter Ausgabe und dann in verschiedenen Auflagen selbständig erschien. Schöne legt die Thematik der Hexenverfolgung mit Blick auf die Szene Walpurgisnacht und die Paralipomena dar. Er beleuchtet Hexenangst und Hexenverfolgung allerdings nicht sozialgeschichtlich und nicht im gesamten Drama. Selbst Kommentare, die explizit eine historisch orientierte Sichtweise einnehmen wollen, ignorieren häufig das Thema der Zauberei- und Hexenverfolgung. Ulrich Gaier etwa betont 1999 in seinem bekannten Kommentar zu Goethes „Faust“ mehrmals das Thema Geschichtlichkeit und behandelt überdies „Magie“ als einen Schwerpunkt. Obwohl er aber dem „Dialog der Perspektiven und Zeiten“46 ein eigenes Kapitel widmet und auch sein Abschnitt „Geschichtliche Lesart“47 über hundert Seiten füllt, lässt er das prägnante frühneuzeitliche Verfolgungsgeschehen und Goethes Thematisierungen desselben fast völlig außer Acht. Auch seine knapp hundert Seiten lange „Magische Lesart“48, die den Magiebegriff sehr weit ausdehnt, ignoriert bis auf wenige Randbemerkungen die realgeschichtliche Seite des Themas. Gaiers Arbeit ist symptomatisch für den Umgang mit dem Thema Magie in vielen literarturwissenschaftlichen Studien. Sie suggeriert, „Magie“ der frühen Neuzeit scharf vom damaligen Begriff der „Zauberei“ trennen zu können.49 Quellen der historischen Wirklichkeit belegen aber, dass Grenzen zwischen „schwarzer“ und „weißer“ Magie nicht klar gezogen wurden. Die Biographien etlicher historischer Personen, die sich als magiekundig bezeichneten, sind geprägt durch Konflikte mit verschiedenen Instanzen der Zauberei- und Hexenverfolgung. Gaier erwähnt lediglich ganz am Rande und ungenau, „schon immer“ hätten die Kirchen die Magie bekämpft.50 Die Zauberei- und Hexenpro-
Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 3, S. 91. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 3, S. 392–508. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 3, S. 296–391. Gaier distanziert sich ausdrücklich von Schönes Deutung der Hochgerichtserscheinung Gretchens als ursprünglich von Goethe angedeutetem Hexenprozess. Vgl. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 464. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 3, besonders S. 296–301. Schon viel früher wurde diese Unterscheidung mit Blick auf Goethes Faust von manchen Interpreten abgelehnt, vgl. etwa Trendelenburg: Goethes Faust, Bd. 1, S. 86 f. Sehr deutlich belegt anhand von Beispielen frühneuzeitlicher Literatur und speziell mit Blick auf Grimmelshausen Wilhelm Kühlmann die „unklare Demarkationslinie“, vgl. Kühlmann: Alltagsmagie zwischen Verlockung und Verbot, Zitat hier S. 87. Kühlmann führt in diesem Aufsatz auch die enge Verbindung von Alltagsmagie und Hexenverfolgung vielfach vor Augen. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 3, S. 301f. Zutreffender formuliert er an anderer Stelle, hier auch die Schwierigkeit der Grenzziehung betonend, Gaier: Goethes Faust-Dichtungen, Bd. 1: Urfaust, etwa S. 28f.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
zesse, die überwiegend vor weltlichen Gerichten stattfanden, werden nicht behandelt. So präsentiert Gaier breite Reflexionen über die Bedeutung von „Magie der Renaissance“,51 ohne deren überaus prägenden historischen Kontext zu berücksichtigen. Goethe hat diesen Kontext übrigens durchaus betrachtet. Die Bedrohung frühneuzeitlicher Gelehrter durch Aberglauben und Zaubereivorwürfe hat er in seinen Schriften „Zur Farbenlehre“ mehrmals ausdrücklich angesprochen und den Mut der Bedrängten zum Beispiel wie folgt gewürdigt: Man kommt zwar den wackern Personen früherer Zeiten darin zu Hülfe, daß man sie vom Verdacht der Zauberei zu befreien sucht; aber nun täte es gleich wieder Not, daß man sich auf eine andre Weise ihrer annähme und sie aus den Händen solcher Exorzisten abermals befreite, welche, um die Gespenster zu vertreiben, sichs zur heiligen Pflicht machen, den Geist selbst zu verjagen.52
Der 2008 publizierte umfangreiche Kommentar von Karl Heinrich Hucke zum 1808 bei Cotta erschienenen ersten Teil des Dramas erwähnt das Thema Hexenverfolgung sporadisch und manchmal in diffusen Zusammenhängen. Hucke sei hier als Beispiel genannt, weil er – wie in vielen Abhandlungen zu beobachten – die Teufels- und Hexenthematik aus betont nachaufklärerischer Perspektive betrachtet. Er erörtert, wieso abergläubische Vorstellungen zur Goethezeit nicht mehr aktuell gewesen seien. Etwa stellt er die Frage: „[...] ob denn nach der Epoche der Aufklärung eine literarische Figur in einem Drama noch einen Vertrag, gar einen ‚Pakt‘ mit dem Teufel schließen kann.“53 Einerseits geht Hucke, wie viele, auch noch spätere Interpreten, hier von einer zur Goethezeit vollendeten Aufklärung aus, was gerade mit Blick auf Hexenvorstellungen fragwürdig ist (hierzu Kapitel 5 meiner Arbeit). Andererseits ignoriert er durch seine Fokussierung auf diese vermeintliche neue Periode die Zeit, in der Goethes Drama zu einem großen Teil spielt.
2.1.3 Selbständig erschienene Gesamtkommentare und Überblicksdarstellungen zu Goethes „Faust“ Eine ganze Reihe verstreuter Gelegenheitsäußerungen zeigt, wie die blutigen Werke dieser Hexenverfolger ihm [Goethe] nachgingen.54
Unter den selbständig erschienenen Gesamtkommentaren und Überblicksdarstellungen zu Goethes „Faust“ habe ich in meiner Arbeit besonders die bekanntesten
Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 3, S. 296. Münchner Ausgabe, Bd. 10, S. 635. Hucke: Faust, S. 559 f. Schöne: Götterzeichen, S. 186.
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und einflussreichsten Publikationen berücksichtigt. Zu nennen sind hier als Beispiele die älteren Darstellungen von Heinrich Düntzer, Heinrich Rickert, Adolf Trendelenburg55 sowie die aktuelleren Studien von Paul Requadt, Harold Jantz, Theodor Friedrich und Lothar J. Scheithauer, Werner Keller, Hans Arens, Ulrich Gaier und Jochen Schmidt.56 Sie bilden zum Teil Angelpunkte in der Rezeptionsgeschichte des Werkes. Einige andere Kommentare werden im Folgenden ausschließlich unter rezeptionsgeschichtlichen Aspekten zitiert, etwa verschiedene Abhandlungen, die der NS-Zeit entstammen und deren Ideologie enthalten. Viele Interpreten erwähnen auch in umfangreichen Werkstudien die realgeschichtliche Seite der Magie- und Hexenthematik überhaupt nicht oder nur ganz am Rande. Eine der wenigen Ausnahmen stellt der seit 1999 in vier Auflagen erschienene Kommentar von Jochen Schmidt dar, der dem Thema mit Blick auf die Paralipomena sogar einen kurzen Abschnitt widmet: „Der ursprüngliche Schluß der Walpurgisnacht vor dem Hintergrund der historischen Hexenverfolgung“.57 Schmidt bezieht das Thema Hexenverfolgung in Anlehnung an Schöne nicht auf andere Szenen des Werkes, sondern ausschließlich auf die Walpurgisnacht und ihre Entwürfe, er rückt es aber als Realgeschichte ins Bewusstsein. Als Ziel seines Kommentars formuliert er: „Der hier unternommene Versuch soll eine Lektüre mit historischer Tiefenschärfe ermöglichen [...].“58 Doch trüben Fehler und Ungenauigkeiten Schmidts Beschreibung: Er suggeriert etwa, die Hexenverbrennungen seien durch Mönche vollzogen worden,59 dabei wurden die meisten Prozesse vor weltlichen Gerichten geführt. Er schreibt weiter: „Die modernen Schätzungen reichen von Hunderttausenden bis zu einigen Millionen Opfern.“60 – diese Zahlen entstammen keiner seriösen geschichtswissenschaftlichen Literatur. Und er formuliert apodiktisch: „Die historische Ursache der Hexenverfolgung ist klar faßbar“,61 womit er auf den Einfluss der Bulle „Super illius specula“ von Papst Johannes XXII. aus dem Jahr 1326 verweist. Diese stellt zwar einen Schritt in der Entwicklung der Hexenverfolgung dar, ist aber keine alleinige Ursache.
Düntzer: Goethes Faust (2 Bde.); Rickert: Goethes Faust; Trendelenburg: Goethes Faust (2 Bde.). Requadt: Goethes „Faust I“; Jantz: Goethe’s Faust; Friedrich / Scheithauer: Kommentar zu Goethes Faust; Keller, W.: Faust. Eine Tragödie (1808); Arens: Kommentar zu Goethes Faust (2 Bde.); Schmidt, J.: Goethes Faust. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl. S. 197–201. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 9. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 198. Dem gleichen Irrtum unterliegen nicht wenige Faustforscher, beispielsweise auch Delvaux: Hexenglaube, S. 607. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 199. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 198.
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Selbst viele Überblicksdarstellungen, die thematisch in unmittelbarer Nähe zur frühneuzeitlichen Realgeschichte stehen müssten, etwa weil Interpreten explizit eine historisch geprägte Sichtweise einnehmen wollen oder weil sie das Thema Magie als einen Schwerpunkt behandeln, ignorieren häufig den die Faustsage und Goethes Drama prägenden historischen Hintergrund der Zauberei- und Hexenverfolgungen. Noch am ehesten wird das Thema Hexenverfolgung angesprochen, wenn es, wie schon für die Spezialuntersuchungen unter Punkt 2.1 beobachtet, in Verbindung mit der Kindsmordproblematik zur Sprache kommt. Ebensowenig wie ein von Goethe ursprünglich angelegter Hexenprozess gegen Gretchen werden aber in diesem Zusammenhang geschichtliche Fakten beleuchtet, etwa die dokumentierte Vermischung von Kindsmord- und Hexenprozessen vor Gericht oder die Rolle devianten Sexualverhaltens bei Denunziationen in Hexenprozessen. Meist wird ausschließlich der theoretische dämonologische Vorwurf der Kindstötung durch „Hexen“ genannt.62
2.1.4 Monographien und Aufsätze zu verwandten Themen [...] noua alchimia ex humano sanguine aurum & argentum elici.63
Das Schweigen über das Goethes „Faust“ naheliegende Thema Hexenverfolgung ist auch deshalb prägnant, weil es zu Goethes „Faust“ sonst kaum eine Frage gibt, die noch nicht diskutiert worden wäre. Die Faust-Forschung hat zum einen sozialgeschichtliche Hintergründe verschiedenster Art ins Zentrum von Deutungen gerückt. Es ist aus Platzgründen unmöglich, alle Gebiete auch nur ansatzweise hier aufzuführen, angefangen von breit angelegten Untersuchungen zu Gesellschaft, Wirt-
Eine der wenigen Ausnahmen ist hier wieder der Kommentar von Jochen Schmidt, der auf die Nähe von Kindsmord- und Hexereidelikten kurz, aber deutlich verweist. Er formuliert allerdings etwas missverständlich, wenn er schreibt: „Denn mit Vorliebe verdächtigten die Hexenverfolger Frauen, die sich einer Kindstötung schuldig gemacht hatten, daß sie dies auf Eingebung des Teufels hin und das heißt: als Hexen getan hätten. Deshalb folterte man solche Frauen vor ihrer Hinrichtung so lange, bis sie gestanden, auf Eingebung des Teufels gehandelt zu haben.“ Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 200. Vgl. zur Vermengung der Vorwürfe in der Gerichtspraxis Punkt 8.3.3 meiner Arbeit. Martin Del Rio berichtet über den erzwungenen Widerruf des Cornelius Loos. Dieser hatte die Hexenprozesse unter anderem beschrieben als eine „neue Alchemie, aus Menschenblut Gold und Silber zu machen“. Martin Del Rio: Disquisitionum magicarum libri sex: quibus continetur accurata curiosarum artium, et vanarum superstitionum confutatio: utilis theologis, jurisconsultis, medicis, philologis. Mainz 1617, S. 824. Volltext einsehbar unter: https://gallica.bnf.fr/ark:/ 12148/bpt6k512583 [Stand: Juni 2023]. Die im Folgenden angegebenen Titel frühneuzeitlicher Literatur werden aus inhaltlichen Gründen zum Teil ungekürzt wiedergegeben.
2.1 Literatur zur Hexenthematik in Goethes „Faust“
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schaft und Politik bis hin zu detaillierten genderspezifischen Fragen, zur Familienund Konfliktforschung oder zur Untersuchung von Randgruppen und Stigmatisierungsprozessen. Das Thema „Hexenverfolgung“, das alle Bereiche gesellschaftlichen und politischen Lebens berührte, fällt hier als Auslassung besonders auf. Eines der meistdiskutierten Motive in Goethes „Faust“ ist die Kindstötung Gretchens. Wie schon angesprochen, wird häufig versucht, die Gretchenfigur in einen sozialgeschichtlichen Kontext zu stellen. Manche Studien, sie werden unter Punkt 2.3.3 vorgestellt, legen zum Thema Kindsmord ähnlich mangelhafte historische Kenntnisse zugrunde, wie dies bei der Thematisierung der Hexenverfolgung zu beobachten ist. Es gibt aber nicht nur insgesamt viel mehr Studien zum Thema Kindsmord in der Literatur als zum Thema Hexenverfolgung und Literatur, sondern auch mehr Beispiele von sorgfältig recherchierten Untersuchungen. Die mit Kindsmordprozessen verbundene Hexenthematik kommt auch in diesen Publikationen meist nur knapp oder in Ausnahmefällen zur Sprache. Die Ebene der Welt Gretchens enthält durchgängig die meisten Spuren von Hexenangst und Hexenverfolgung im Drama. Speziell Untersuchungen zur Figur Gretchen bietet der 2021 erschienene Sammelband „Gretchen – Mörderin, Verführte, Unschuldige?“, herausgegeben von Denise Roth und Jost Eickmeyer. Die Autorinnen und Autoren des Bandes bemühen sich um historische und besonders sozialgeschichtliche Kontexte, lassen das Thema „Hexenverfolgung“ aber außen vor. Dies ist wieder auffallend und erstaunlich, da in den Abhandlungen alle wichtigen Szenen der Gretchentragödie betrachtet und zahlreiche Diskurse der Sekundärliteratur zitiert werden. Viele, teils umfangreiche Studien widmete die Faust-Forschung auch solchen Gebieten, die der Hexenthematik nahe verwandt sind, etwa den „Geheimwissenschaften“, der Alchemie, der Astrologie und dem Okkultismus.64 Auch angesichts dieser Dichte von Untersuchungen zu eher marginalen Aspekten der Magiethematik fällt die Lücke des viel bedeutenderen Themas der Zauberei- und Hexenverfolgung auf. Symptomatisch zeigt sich hier bereits die frühe, detailreiche Untersuchung von Agnes Bartscherer aus dem Jahr 1911 mit dem Titel „Paracelsus, Paracelsisten und Goethes Faust“. Sie untersucht auf über 300 Seiten folgende Themen: Die Magie in Goethes Faust, die Dämonologie, die Alchymie, die Astrologie, das
Eine Aufzählung aller dem Hexenthema verwandten Untersuchungen würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen. Klaus H. Kiefer hat Goethes Gebrauch der Wörter „Aberglauben“ und „Magie“ beleuchtet. Während „Aberglauben“ in Goethes Schriften häufig „Irrlehren“ in wissenschaftlichen Diskursen bezeichnet, meint „Magie“ oft eine „experimentell-spekulative Diskurspraxis“. Klaus H. Kiefer: Sichtbares und Unsichtbares in der Aufklärung, S. 234.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
Hexenwesen, Pyromantie, Hydromantie, Chaomantie, Nekromantie sowie „Paracelsus und Faust“. Das Thema Hexenverfolgung wird in der gesamten Untersuchung allenfalls ganz am Rande erwähnt. Obwohl Bartscherer als Kapitelüberschriften „Die Dämonologie in Goethes Faust“ sowie „Das Hexenwesen in Goethes Faust“ wählt, lässt sie auch die frühneuzeitliche Dämonologie bis auf wenige vage Andeutungen außen vor, obwohl diese zur Zeit der historischen Faustgestalt gängig war und auch für den historischen Paracelsus insofern bedeutsam wurde, als er sich gegen Hexereivorwürfe verteidigte.65 Stattdessen verharrt Bartscherers Studie, wie es auch in der späteren Forschungsliteratur immer wieder zu beobachten ist, bei der Magiethematik; zum Beispiel will die Autorin “eine Reihe von dunklen oder vieldeutigen Stellen der Brockenszene [...]“66 durch den Vergleich mit Schriften des Paracelsus erhellen. Ähnlich verfährt Andreas B. Wachsmuth, wenn er „Goethe und die Magie“67 sowie „Die Magia naturalis im Weltbilde Goethes“68 behandelt. Ihm geht es um „Magie als Wissenschaft“ und „Weg menschlicher Erkenntnis“;69 oft betont er christlich-religiöse Elemente. Spätere Untersuchungen zu magiebezogenen Fragen setzen ähnlich abstrakte Schwerpunkte.70 Die umfangreiche Studie von Rolf Christian Zimmermann, „Das Weltbild des jungen Goethe“, deren erster Band 2002 in zweiter Auflage erschien, wurde in der wissenschaftlichen Kritik oft gewürdigt.71 Zimmermann beschäftigt sich mit dem „Bereich der hermetischen Tradition“, von dessen zugrundeliegender Philosophie er „die vulgäre Alchemie“72 klar abgrenzen will. Er vergleicht in diesem Zusam-
Vgl. hierzu auch Punkt 6.3 meiner Arbeit. Vgl. als ein geschichtswissenschaftlich gründliches Beispiel der neueren Forschung zum 16. Jahrhundert den Aufsatz des Medizinhistorikers Urs Leo Gantenbein: Converging Magical Legends: Faustus, Paracelsus, and Trithemius; zum Vorwurf gegen Paracelsus, er betreibe schwarze Magie, besonders S. 97 f. Bartscherer: Paracelsus, S. 213. Ähnliche Schwerpunktsetzungen finden sich in ihrer nachfolgenden Studie, die 1912, theoretische Kontexte ergänzend, erschien. Bartscherer: Zur Kenntnis des jungen Goethe. Wachsmuth: Geeinte Zwienatur, S. 26–56. Wachsmuth: Geeinte Zwienatur, S. 157–179. Wachsmuth: Geeinte Zwienatur, S. 26. Vgl. zum Beispiel Gorm: Goethe und die Magie. Auch Gernot Böhme geht ausführlich auf bestimmte Seiten von Goethes Sicht der „Alchemie“ ein, vgl. Böhme: Goethes Faust als philosophischer Text, besonders S. 49–79. Einleitend verweist er lediglich ganz knapp auf das Thema „Magie“ im Sinne von „Zauber, Beschwörung, Quacksalberei“, das im Faust seinen Platz habe. Böhme: Goethes Faust als philosophischer Text, S. 50. Jane Brown beispielsweise akzentuiert einseitig „the ambience of Renaissance alchemy, in wich the Faust legend ist grounded“. Brown: Theater of the world, S. 104. Vgl. etwa den Forschungsbericht von Requadt: Goethes „Faust I“, S. 16. Vgl. auch Priesner: Alchemie (2010), S. 195. Zimmermann: Weltbild, Bd. 1, S. 17.
2.1 Literatur zur Hexenthematik in Goethes „Faust“
33
menhang Kenntnisse der „Magie“ und der „Geheimwissenschaften“ auch mit der frühen Fassung des „Faust“.73 Der Autor setzt ein „neues Bild der spätaufklärerischen Generation, zwischen 1750 und 1780“74 voraus und vertritt die Ansicht: „Das Weltbild des jungen Goethe leitet sich von den Überlieferungen der hermetischen Philosophie her.“75 Zimmermann formuliert seine Intention wie folgt: Das Werk des jungen Goethe [...] soll aus der Perspektive verständlich werden, aus der es entstanden ist. [...] Wir müssen dazu die Werke dorthin zurückverfolgen, wo sie konzipiert wurden: in den geistigen Horizont dessen, der sie mit Absichten und Überzeugungen geschaffen hat.76
Dämonologische Traditionen und Zaubereiprozesse hat Zimmermann trotz ihrer thematischen und kontextuellen Nähe zu seinem Untersuchungsgegenstand und zu vielen von ihm genannten Personen jedoch außen vor gelassen. Obwohl er immer wieder die Wichtigkeit weit gefasster Magievorstellungen und der ihnen zugrundeliegenden Theorien betont, lässt er die frühneuzeitliche Dämonologie als Teil der Geschichte hermetischer Traditionen ebenso unbeachtet wie den von Ketzer- und Hexenverfolgungen geprägten realgeschichtlichen Kontext vieler Personen, die er erwähnt, etwa Giovan Battista Della Porta, Balthasar Bekker, Agrippa von Nettesheim oder Johannes Kepler. Lediglich ganz knapp erwähnt Zimmermann, als Beispiel nennt er Giordano Bruno, Verfolgungen, die er aber nicht erläutert.77 Dieses Vorgehen suggeriert eine „hermetische Philosophie“ losgelöst von ihren existenzbedrohenden Umständen. Die Studie Zimmermanns ist an dieser Stelle ein Beispiel für die totale Ausblendung des realhistorischen Wissens aus dem germanistischen Diskurs. Ähnlich geschieht es in einer umfangreichen Abhandlung von Manfred Beetz. Er sieht zwar zu Recht in Goethes „Faust“ eine „notorische Sperrigkeit“ und ist der Meinung: „Zu ihr tragen nicht wenig Elemente der Magie und – allgemeiner – der Esoteriktradition bei.“78 In seinem Aufsatz, in dem, wie es oft geschieht, auch Paracelsus, Agrippa von Nettesheim, Johannes Kepler, Giambattista della Porta, Giordano Bruno
Der Titel der Studie lautet: „Das Weltbild des jungen Goethe. Studien zur hermetischen Tradition des deutschen 18. Jahrhunderts, Bd. 1: Elemente und Fundamente, Bd. 2: Interpretation und Dokumentation.“ Zimmermann: Weltbild, Bd. 1, S. 7. Zimmermann: Weltbild, Bd. 1, S. 8. Zimmermann: Weltbild, Bd. 2, S. 19. Zimmermann: Weltbild, Bd. 1, S. 111. Weiter heißt es hier: „Vom ‚Prolog im Himmel‘ an gewinnen in jeder zweiten Szene Topoi der Hermetik, magische Praktiken sowie Elemente der Alchemie und Pansophie eine solche Bedeutung, dass ohne deren Kenntnis wesentliche Inhalte dieses säkularisierten Mysterienspiels nicht oder nur fragmentarisch verstanden werden.“ Beetz: Magie und Esoterik, S. 528.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
(dessen Hinrichtung immerhin kurz erwähnt wird) und Balthasar Bekker sowie deren Schriften genannt werden, wird aber der prägende zeitgenössische Kontext dieser Personen, die Verfolgungen, nur mit einer kurzen Bemerkung unklar angedeutet: „Den beiden großen Konfessionen im Reich galten Hexen als Sektierer – eine für die Betroffenen lebensgefährliche Klassifikation.“79 In mehreren Abhandlungen beschäftigt sich der Wissenschaftshistoriker Claus Priesner, Spezialist für die Geschichte der Alchemie, auch mit Goethes „Faust“, etwa im Jahr 2019: „Entgrenzung oder Utopie? Zum Einfluss der Alchemie auf Goethes Interpretation des Faust-Mythos“. Priesner nennt hier mit Blick auf „real existierende Alchemisten und Naturmagier“80 Zeitgenossen des historischen Faust. Als einer der wenigen innerhalb der Forschung zu Goethes „Faust“ beschreibt er auch den sozialgeschichtlichen Kontext der Hexenverfolgung, etwa mit Blick auf Agrippa von Nettesheim. Selektive Akzente setzen, wie die Goetheforschung, auch populärwissenschaftliche Publikationen, etwa Ausstellungskataloge. Petra Maisak hat 2007 den Katalog: “Goethes ‚Faust‘: Verwandlungen eines ‚Hexenmeisters‘“ herausgegeben. Obwohl er einige Hinweise auf die reale Hexenverfolgung enthält, wird als Schwerpunkt auch dieser Ausstellung angegeben: „Goethes Beschäftigung mit den Geheimlehren Alchemie und Magie“.81 Das dämonologisch evidente Zitat „Hexenmeister“ im Ausstellungstitel wird aber in Goethes Drama selbst unter anderem im Zusammenhang mit Ketzer- und Hexenängsten genannt. Der Kaiser im zweiten Teil der Tragödie erwähnt diese ausdrücklich: Die Ketzer sind’s! die Hexenmeister! / Und sie verderben Stadt und Land. (4911 f.) Hinsichtlich der in der Faust-Forschung bis heute so viel beachteten „Alchemie“82 mögen noch andere Tatsachen frappieren. Auch wenn ein gewisses Interesse Goethes an der Materie überliefert ist, so hat er sich über die „Alchymisten“ in seinen Schriften „Zur Farbenlehre“ abfällig geäußert:
Beetz: Magie und Esoterik, S. 532. Priesner: Entgrenzung oder Utopie?, S. 220. Maisak: Verwandlungen, S. 5. Ein anderer Ausstellungskatalog, erstellt von Hildegard Gerlach unter dem Titel „Hexen, Brocken, Walpurgisnacht“, bezieht sich auf eine Ausstellung im FaustMuseum Knittlingen. Bezüge zu Goethes „Faust“ werden in dieser Abhandlung nur am Rande hergestellt. Gerlach präsentiert zwar dämonologische Vorstellungen, ihre Darstellung ist jedoch aus historischer Sicht an vielen Stellen ungenau und fehlerhaft sowie auch stilistisch äußerst fragwürdig, wenn sie etwa Bezeichnungen wie „Lebensfähige Mißgeburten“ undistanziert selbst verwendet (S. 17). Dieser Katalog ist ein Beispiel für das Problem, dass die auf Literatur bezogene Untersuchung der Hexenthematik oft unzureichenden Darstellungen überlassen bleibt. Vgl. zu diesem Thema etwa Mesh-Hadi, Nabil: Die Einschätzung der Alchemie in FaustDeutungen.
2.1 Literatur zur Hexenthematik in Goethes „Faust“
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Auf diesem Wege gingen die Alchymisten fort und mußten sich, weil darunter wenig originelle Geister, hingegen viele Nachahmer sich befanden, immer tiefer zur Geheimniskrämerei ihre Zuflucht nehmen, deren Dunkelheiten aus dem vorigen Jahrhundert herüber gekommen waren. Daher die Monotonie aller dieser Schriften.83
Und während die Literaturwissenschaft heute versucht, möglichst tief noch einmal in die von Aberglauben durchzogene Materie der „Alchemie“84 einzudringen, verwendeten schon Denker der frühen Neuzeit den Begriff polemisch-distanziert – sogar zur Kritik der Hexenprozesse: Cornelius Loos bemerkte zu den Verfolgungen, es sei nun eine neue Alchemie, aus Menschenblut Gold und Silber zu machen.85 Die vielen Interpretationen zur Figur des Mephistopheles können im Rahmen meiner Arbeit nicht umfassend dargelegt werden, weil sie zu zahlreich sind – wenn auch öfter bemängelt wird, er habe weniger Beachtung in der Forschung gefunden als Faust. Die meisten Studien beleuchten abstrakte Fragen der Bedeutung des „Bösen“ sowie die Transformation der Teufelsfigur in Goethes Werk und ihre Modernisierung.86 So wichtig diese Aspekte auch sind, so ist es doch falsch, die frühneuzeitlichen dämonologischen Kontexte zu ignorieren; im Vergleich zu ihnen lassen sich ja erst die Veränderungen beschreiben. Diese Kontexte aber werden oft außer Acht gelassen. Ein Beispiel dafür ist die 2009 erschienene Dissertation von Jost Keller zum Thema der „Säkularisierung des Teufels in der Literatur um 1800“. Schönes Deutung der Paralipomena zur Walpurgisnacht als „poetische Summe“ der Hexenthematik kritisiert er als „übertrieben“87, ohne dies näher zu begründen. Wie wenig der Teufelsforscher Keller die dämonologischen Kontexte Goethes kennt, die der Gelehrtenwelt entstammten und zu Goethes Zeit noch juristisch nachwirkten, zeigt Kellers lapidare Bemerkung, Goethe nehme mit der Satanshuldigung „Formen der volkstüm-
Münchner Ausgabe, Bd. 10, S. 614. Claus Priesner bewertet die Alchemie aus wissenschaftshistorischer Sicht in Teilen allerdings als Vorläufer der heutigen Chemie. Priesner: Entgrenzung oder Utopie?, S. 222 f. Das Bild für die Bereicherung durch Hexenprozesse, das Loos als „neue Alchimie, aus Menschenblut Gold und Silber zu machen“ gezeichnet hat, ist sehr bekannt geworden, wie van der Eerden betont. Er berichtet über Loos: „Sein Ausspruch, daß bei den Verfolgungen durch eine ‚... nova alchimia ex humano sanguine aurum et argentum elici‘, hat als geflügeltes Wort so viel Erfolg erzielt, daß die Demaskierung der Verfolger als Habsüchtige häufig der wichtigste Beitrag von Loos zur Hexendebatte gewesen zu sein scheint.“ Van der Eerden: Cornelius Loos, S. 139. Vgl. das Zitat von Loos bei Del Rio: Disquisitionum magicarum libri sex. Mainz 1617, S. 824. Transformationen der Teufelsfigur in die Moderne beschreibt ausführlich, er sei hier beispielhaft genannt, Eggensperger: Überlegungen zu Mephistopheles. Vgl. auch Vaget: Fausts Gefährte; Keller, J.: Die Säkularisierung des Teufels in der Literatur um 1800, zu Goethes Faust vgl. S. 337–376, sowie Janz: Mephisto and the modernization of evil. Keller, J.: Die Säkularisierung des Teufels in der Literatur um 1800, S. 352.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
lichen Teufelsfigur wieder auf.“88 In der Geschichtswissenschaft dagegen wird vielfach berichtet, wie gerade die gelehrte Dämonologie, die Goethe später rezipiert hat, Imaginationen der Walpurgisnacht in der Bevölkerung verbreitete, etwa durch Predigten oder die öffentliche Verlesung von erfolterten Geständnissen. Intensiv diskutiert man in der Faust-Forschung seit langem das Thema „Melancholie“.89 Öfter wird inzwischen, vor allem mit Blick auf die frühen Faust-Bücher des 16. und 17. Jahrhunderts, zwar die Imagination zitiert, melancholische Menschen seien durch den Teufel verführbar.90 Deutungen von „Melancholie“ waren aber, vor allem in der Zeit des historischen Faust, auch eng mit der realgeschichtlich wirksamen Hexenthematik und der Hexenverfolgung verknüpft. Obwohl Melancholie in Goethes Drama – frühneuzeitlichen dämonologischen Vorstellungen entsprechend – die unmittelbare Voraussetzung für Fausts Teufelspakt ist, wird in der Sekundärliteratur kaum je erwähnt, dass genau dieser Ablauf auch in unzähligen Zauberei- und Hexenprozessen beschrieben wurde; unter anderem ist er in den von Goethe bei Carpzov exzerpierten Prozessakten dokumentiert. Stattdessen kreisen lange Diskurse der Goethe-Forschung zum Beispiel um die Gemütsverfassung von Gelehrten und die antiken Melancholiebeschreibungen. Bisweilen behandeln Historiker solche literaturwissenschaftlichen Gegenstände, die in der Germanistik zu kurz kommen. Ein Beispiel ist die im Jahr 2000 erschienene Abhandlung von Wolfgang Behringer, „Melancholie und Hexenverfolgung“.91 Angesichts des vielfachen Schweigens über die Realgeschichte ist der Verweis von Franz Neubert, der das Thema „Hexenverfolgung“ im Zusammenhang mit dem Fauststoff sieht, bemerkenswert. Sein Band: „Vom Doctor Faustus zu Goethes Faust“ zeigt in erster Linie bildliche Darstellungen, und Neubert schreibt: „Das Besondere dieses Buches liegt darin, daß es vom Bilde ausgeht.“92 Anscheinend stoßen gerade Bilder nicht selten das Thema Hexenverfolgung an, wie auch in meiner Arbeit an verschiedenen Stellen gezeigt wird. Neubert stellt schon 1932 klar, was in späteren Interpretationen nur selten als bedeutsam erkannt wurde: „Als Goethes ‚Iphigenie‘ bereits vollendet war, 1782, erfolgte im schweizerischen Freistaat Glarus die letzte Hexenhinrichtung.“93
Keller, J.: Die Säkularisierung des Teufels in der Literatur um 1800, S. 353. Eines der zahlreichen Beispiele ist etwa die Studie von Schings: Melancholie und Aufklärung. Vgl. hierzu etwa den guten Überblick von Antje Wittstock: Melancholie. Sie erschien im Sammelband von Rainer Jehl und Wolfgang E. J. Weber: „Melancholie. Epochenstimmung – Krankheit – Lebenskunst“. Neubert: Doctor Faustus, S. 5. Neubert: Doctor Faustus, S. XI.
2.2 Quellen zu Goethes Wissen über Dämonologie und Hexenverfolgung
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2.2 Quellen zu Goethes Wissen über Dämonologie und Hexenverfolgung Denn Devianz und (Straf-)Justiz schlagen sich nicht einfach in Akten nieder, sondern sind Gegenstand öffentlicher Diskurse, sie werden von Bild- und Textmedien in Bildern verdichtet und in populären Darstellungen verarbeitet.94
Zur Frage nach Goethes Wissen um die frühneuzeitliche Hexenverfolgung sind seine Lektüren von besonderem Interesse. Die ihm zugänglichen Bücher aus seiner eigenen Bibliothek und aus der seines Vaters sind – soweit sie belegbar sind – in Nachschlagewerken und inzwischen auch einer Datenbank95 ebenso aufbereitet wie Goethes dokumentierte Entleihungen aus der Weimarer Bibliothek und den Jenaischen Bibliotheken. Zudem verweist der Dichter in Tagebüchern und autobiographischen Schriften auf verschiedene seiner Quellen. Die von Goethe benutzten hexentheoretischen Schriften der frühen Neuzeit werden von der Faust-Forschung oft unkommentiert aufgezählt. Dämonologische Traktate, die zur Hexenverfolgung aufstachelten, und Schriften von Zweiflern oder Gegnern der Hexenverfolgung werden selten so sorgfältig wie möglich und nötig unterschieden. Ein Anstoß hierzu wird in meiner Arbeit gegeben, das Thema wäre jedoch einer eigenen Untersuchung wert. Neben der geschichtswissenschaftlichen Literatur, die zu einer Einordnung der verschiedenen Autoren verhalf, waren auch möglichst viele Originaltexte einzusehen. Die meisten Schriften sind heute noch in Bibliotheken mit bedeutenden alten Beständen, etwa der Stadtbibliothek Trier, vorhanden. Durch komplett abfotografierte Ausgaben ist eine rasche und unkomplizierte Nutzung in manchen Fällen in den Internetangeboten großer Bibliotheken möglich. Sehr bekannte hexentheoretische Literatur liegt auch in kommentierten Editionen vor, so zum Beispiel der „Hexenhammer“ des Heinrich Kramer, den Günter Jerouschek und Wolfgang Behringer herausgegeben haben. Gleiches gilt für literarische Verarbeitungen des Fauststoffes, etwa die „Historia von D. Johann Fausten“. Deren Druck von 1587 wurde als historisch-kritische Ausgabe von Stephan Füssel und Hans Joachim Kreutzer ediert, die Ausgabe versammelt auch weitere Quellentexte. Mit Blick auf diese und andere frühe Verarbeitungen des Fauststoffes wird der Kontext der Hexenverfolgung auch in der literaturwissenschaftlichen Forschung zunehmend thematisiert (vgl. hierzu die Literaturbeschreibung unter Punkt 2.3.2). Gerade hinsichtlich der Exzerpte, die Goethe aus den von Benedict Carpzov wiedergegebenen echten Hexenprozessakten in den Paralipomena zu „Faust“ notierte, Härter / Sälter / Wiebel: Repräsentationen von Kriminalität, S. 6. Goethe Bibliothek online. https://opac.lbs–weimar.gbv.de/DB=2.5/ [Stand: März 2023].
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
war es wichtig, den Originaltext Carpzovs einzusehen, da der Kontext der Quellen viel mehr Parallelen zu Goethes Drama enthält, als in der Faust-Forschung bisher darlegt worden ist. Viele dieser Aussagen von Hexenprozessopfern werden in meiner Arbeit mit Goethes Text verglichen. Auch die Biographie Goethes bietet verschiedene Indizien für ein ihn umgebendes Wissen über Hexenverfolgung.96 Zum Beispiel waren hinsichtlich seiner Familiengeschichte einige frühneuzeitliche Quellentexte zu beachten, die seinen Vorfahren, den bekannten Juristen Johann Wolfgang Textor d. Ä., in Hexenprozesse involviert zeigen. Auch Vorfahren der Luise von Göchhausen, einer Freundin Goethes, aus deren Nachlass die frühe Fassung des „Faust“ überliefert ist, waren tief in Hexenprozesse verstrickt, aus denen uns überkommene juristische Abhandlungen resultieren. Nicht zuletzt Goethes Reisen haben ihn in Kernzonen der europäischen Hexenverfolgung geführt, etwa die Reisen durch Trier und Luxemburg, und in Kontakt mit Historiographen gebracht. So war Goethes Gesprächspartner Johann Hugo Wyttenbach in den Blick zu nehmen. Wyttenbachs spätere Schriften, heute selbst Quellentexte zur Rezeption der Hexenverfolgung, dokumentieren dessen ausgeprägtes kritisches Interesse an den Hexenverfolgungen seines Heimatgebietes. Die Großregion zwischen Rhein und Maas gehörte hinsichtlich der Hexenverfolgung „zu den wichtigsten Schauplätzen des Geschehens überhaupt im 15., 16. und frühen 17. Jahrhundert“.97 In deren Zentrum standen etwa das Trierer Land und die Eifelterritorien sowie das alte Herzogtum Luxemburg, das neben dem heutigen Großherzogtum auch Gebiete Belgiens, Deutschlands und Frankreichs umfasste. Mit Blick auf die herrschaftsräumliche Zersplitterung wie auch die unterschiedlichen Rechtssysteme und Gerichtsinstanzen des Raumes lassen sich hier grundlegende Faktoren der Verfolgungen beobachten und grenzüberschreitend vergleichen. In dem geschichtswissenschaftlichen DFG-Projekt „Zaubereiund Hexenprozesse im Maas-Rhein-Moselraum“ (Universität Trier 1997–2002) und dem daran anschließenden Projekt „Herrschaft, Gericht, Alltag. Hexenverfolgung und Kriminaljustiz im Wittlicher Land und in den angrenzenden Eifel- und Moselregionen“ sowie der Arbeitsgemeinschaft „Hexenprozesse im Trierer Land und in Luxemburg“ wurden auf sehr breiter Quellenbasis neues Wissen über den Ablauf und die Beweggründe der massenhaften Verfolgungen gewonnen. Die umfassende Quellenauswertung basierte unter anderem auf einem 1700 Seiten starken Quellenkorpus, das der luxemburgische Historiker Nicolas van Werveke (1851–1925) für das Herzogtum Luxemburg angelegt hat. Insbesondere Erkennt-
Vgl. hierzu Kapitel 7–7.3. Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 9.
2.3 Studien zur Hexenverfolgung und zu angrenzenden Themen
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nisse aus Prozessakten des Maas-Rhein-Moselraumes, die für das Verfolgungsgeschehen überregional aufschlussreich sind, werden in meiner Studie mit Goethes „Faust“ konfrontiert. Bezeichnenderweise wurden Teile des Fauststoffes in einer Romanverarbeitung, die eine Hexenverfolgung ins Zentrum des Geschehens stellt, in diese Gegend verlegt.98 Wolfgang Behringer hat den Einblick beschrieben, den Hexenprozessakten in ihre Zeit gewähren. Die Bereiche, die er anführt, sind auch mit Blick auf Goethes „Faust“ vielfach diskutiert worden. Mehr als in normativen Quellen und selbst in Autobiographien oder Briefwechseln treten uns in den Protokollen der Hexenprozesse Menschen plastisch vor Augen und führen uns ein in die konkreten Probleme ihrer Zeit. Mit ihrer Analyse gewinnen wir Einblicke in das Alltagsleben, den zeitgenössischen Umgang mit der Natur oder das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, über Probleme der Wahrnehmung und der Wahrheitsfindung vor Gericht, über kulturelle Barrieren zwischen einfacher Bevölkerung und gebildeter Oberschicht, über die Dynamik von Stereotypenbildungen, insbesondere in gesellschaftlichen Krisenzeiten, über die Fragilität naturwissenschaftlicher Hypothesen, sowie die Gefährlichkeit von Fanatikern in Politik, Wissenschaft, Justiz oder auch nur in der Nachbarschaft.99
2.3 Geschichtswissenschaftliche Studien zu Hexenangst und Hexenverfolgung sowie Untersuchungen zu angrenzenden Themen Im sechzehnten Jahrhundert hat Faust gelebt und ist der „weitbeschreite“ geworden, dort müssen also auch die Motive für die Fausttragödie zu finden sein.100
Literatur zur frühneuzeitlichen Hexenverfolgung wird inzwischen – ähnlich wie die Sekundärliteratur zu Goethes „Faust“ – immer wieder als unüberschaubare Flut beschrieben.101 Aus dieser Fülle geschichtswissenschaftlicher Abhandlungen wurden in meiner Studie zunächst grundlegende allgemeine Darstellungen und Informationen aus einschlägigen Nachschlagewerken mit Goethes „Faust“ konfrontiert. Manche Regional- und Detailstudien konnten bestimmte Szenen und Figuren des Dramas erhellen. Das Thema Hexenverfolgung ist ein rasch wachsendes Forschungsgebiet, besonderes Interesse galt daher sehr aktuellen Studien. Neben Untersuchungen zu einflussreichen hexentheoretischen Schriften der frühen Neuzeit, die als Basis zur Einordnung von Goethes Quellen bedeutsam Zu diesem Roman, „Der flammende Engel“ von Walerij Brjussow, vgl. Punkt 11.3. Behringer: Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung, S. 101. Bielschowsky: Goethe, Bd. 2, S. 592. Vgl. zum Beispiel Schmidt, B.: Historische Hexenforschung, S. 11.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
waren, wurden Studien zur Rezeption der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung und zur literarischen Verarbeitung des Themas in den Blick genommen. Sozialgeschichtliche Literatur zur Frage des Kindsmorddeliktes und seiner literarischen Rezeption wurde vergleichend betrachtet. Im Folgenden können nur die wichtigsten Beispiele der verwendeten geschichtswissenschaftlichen Literatur genannt werden.
2.3.1 Überblicksdarstellungen, Nachschlagewerke, landesgeschichtliche Untersuchungen und Fallbeispiele [...] different social scientists have realized that many aspects of modern society can be better understood with reference to the European witchcraze (i. e. the status of women, science, religion, and the like).102
Eine prägnante Zusammenfassung bietet der 1998 erschienene Aufsatz von Franz Irsigler: „Hexenverfolgungen im 15.–17. Jahrhundert. Eine Einführung“.103 Irsigler beschreibt in seiner Analyse die Faktoren, die zu Hexenverfolgungen führten. Auch die vielfach aufgelegte Überblicksdarstellung von Wolfgang Behringer, „Hexen und Hexenprozesse in Deutschland“, wurde in meiner Studie konsultiert. Behringer erhellt seine Beschreibung durch viele Quellentexte. Von besonderem Interesse zur Einordnung der Hexenthematik in Goethes Zeit ist der 2016 von Wolfgang Behringer, Sönke Lorenz und Dieter R. Bauer herausgegebene Sammelband „Späte Hexenprozesse. Der Umgang der Aufklärung mit dem Irrationalen“, diese Thematik wird hinsichtlich literarischer Aspekte auch unter Punkt 5.1 meiner Studie beleuchtet. Konzentrierte Fakten bietet die 2008 erschienene Darstellung von Walter Rummel und Rita Voltmer: „Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit“. Einen systematischen Überblick über die Entstehung von Hexenprozessen gibt Herbert Eiden in seiner Abhandlung „Vom Ketzer- zum Hexenprozeß. Die Entwicklung geistlicher und weltlicher Rechtsvorstellungen bis zum 17. Jahrhundert“, der 2002 im wissenschaftlichen Ausstellungskatalog „Hexenwahn“ des Deutschen Historischen Museums Berlin erschien. Qualitativ hochwertig ist das im InternetPortal „historicum.net“ archivierte fachwissenschaftliche „Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung“, das Personen, Sachbegriffe und Orte aufarbeitet, herausgegeben von Gudrun Gersmann, Katrin Moeller und Jürgen Michael Schmidt. Die
Ben-Yehuda: Problems Inherent, S. 330 f. Der Aufsatz erschien im von Gunther Franz und Franz Irsigler herausgegebenen Sammelband „Methoden und Konzepte der historischen Hexenforschung“.
2.3 Studien zur Hexenverfolgung und zu angrenzenden Themen
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reichhaltigen Bände der Reihe „Trierer Hexenprozesse. Quellen und Darstellungen“, die vor allem den Maas-Rhein-Moselraum fokussieren, sind überwiegend landesgeschichtlich orientiert. Diese spezifische Methodik lehrt dabei eine genuin interdisziplinäre Perspektive, die auch für die Analyse literarischer Werke hilfreich ist. Viele Studien dieser Reihe werden im Folgenden zitiert. Dass Untersuchungen zu einflussreichen hexentheoretischen Schriften der frühen Neuzeit hinsichtlich der Einordnung von Goethes Quellen wichtig waren, wurde schon erwähnt, auch, dass die Faust-Forschung diese oft zu wenig differenziert. Die vielen in meiner Studie konsultierten geschichtswissenschaftlichen Einzeldarstellungen zu einflussreichen Dämonologen können hier aus Platzgründen nicht aufgeführt werden, sie sind später jeweils im Kontext der Goethe’schen Quellen genannt. Erhellende Ausführungen über “Gegner der Hexenverfolgungen von Johann Weyer bis Friedrich Spee“ sowie eine kommentierte Bibliographie zur Hexenliteratur bietet der Sammelband „Vom Unfug des Hexen-Processes“. Bezeichnenderweise erläutern dessen Herausgeber Hartmut Lehmann und Otto Ulbricht den Titel ihres Bandes, den sie nach einem 1703 von Johann Reiche herausgegebenen Sammelband wählten, wie folgt: Zum einen scheint für die folgenden Erörterungen der kritisch-interessiert-aufklärererische Ton, in dem um 1700 in Halle über das Hexenthema debattiert wurde, anregender und auch als Vorbild besser geeignet als die herablassend-verurteilende Attitüde, mit der in der Spätaufklärung das Hexenthema behandelt wurde, eine Haltung, die nur dazu führte, daß die gesamte Hexenthematik aus dem Bereich des von der Wissenschaft zu Erforschenden ausgegrenzt und in den Bereich des Spekulativen, des Okkulten und dessen, was dann als Aberglauben galt, verdrängt wurde. Einige der Vorurteile, mit denen damals das Hexenthema belastet wurde, erschweren noch heute, so scheint es, die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte der Hexenverfolgung.104
Diese Beobachtung gilt, wie schon angesprochen, offensichtlich auch für nicht wenige literaturwissenschaftliche Abhandlungen. Schließlich sei noch auf die Darstellung von Lyndal Roper verwiesen, die unter dem Titel „Hexenwahn“ an Beispielen die Geschichte der Hexenverfolgungen erzählt. Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht ist die Untersuchung mit einigen Problemen behaftet,105 sie lässt ihre Quellenbasis oft im Unklaren und neigt zu Verallgemeinerungen. Roper legt jedoch besonderen Wert auf psychologische Hintergründe des Geschehens, über die sie spekuliert. Ihre oft assoziative Darstellung eignet sich manchmal zur Konfrontation mit literarischen
Lehmann / Ulbricht: Motive und Argumente von Gegnern der Hexenverfolgung, S. 1. Vgl. etwa die Kritik von Rainer Walz in seiner Rezension zu: Roper, Lyndal: Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
Quellen, die Gedanken der Handelnden wiedergeben. Roper beschreibt ihre Intention folgendermaßen: Vor allem kam es mir darauf an, Bereiche menschlicher Erfahrung in die Untersuchung einzubeziehen, die von der geschichtswissenschaftlichen Betrachtung häufig ausgeklammert sind, wie Fantasie, Neid und Terror oder die scheinbar unhistorische Sphäre der engen Beziehung zwischen Mutter und Säugling.106
2.3.2 Untersuchungen zur Rezeption der Hexenverfolgung Zu den allerschlimmsten Auswüchsen, zu einer entsetzlichen Kulturschande wuchs sich der Glaube an Hexen aus.107
Zur allgemeinen Rezeption und zur literarischen Verarbeitung des Themas Hexenverfolgung gibt es nur wenige und eher junge Studien. Das Forschungsdesiderat in diesem Bereich wird als gravierend bewertet. Die literaturimmanente Tradierung ist jedoch ein elementares Forschungsfeld, denn Hexenmotive und auch das Thema Hexenverfolgung wurden vielfältig und diachron in der Literatur behandelt. Heute beschäftigen sich zahlreiche historische Romane, vor allem auch aus dem Bereich der Jugendliteratur, mit der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung. Die expliziten Thematisierungen dieses Geschehens in der Literatur sind wenigstens in Teilbereichen untersucht worden. Dagegen sind die weniger sichtbaren, latenten Spuren des Verfolgungsgeschehens, das heißt die Hexenverfolgung als wirksamer und präsenter Teil des historischen Kontextes literarischer Werke, noch kein Thema der Forschung. Wilhelm Kühlmann überlegte im Jahr 2000 mit Blick auf deutsche Barockliteratur, ob und wie sich Hexenangst in der Literatur zeigte: „Poetische Hexenangst. Zu zwei Gedichten des pfälzischen Humanisten Paul Melissus (1539–1602) und ihrem literarischen Kontext.“ Er konstatiert, dass derartige Thematisierungen in der gelehrten Barockliteratur eher selten sind. Zu Recht verweist er jedoch darauf, dass hinsichtlich anderer Arten von Literatur ein germanistisches Forschungsdesiderat besteht, wie etwa Flugschriften, Predigtliteratur und Exempelsammlungen. Zu jüngeren expliziten Verarbeitungen der Hexenverfolgung in der Literatur hat Markus Kippel im Jahr 2000 eine Untersuchung vorgelegt, die mehrere Werke vergleicht: „Die Stimme der Vernunft über einer Welt des Wahns. Studien zur literarischen Rezeption der Hexenprozesse (19.–20. Jahrhundert)“.
Roper: Hexenwahn, S. 10. Neubert: Doctor Faustus, S. 11.
2.3 Studien zur Hexenverfolgung und zu angrenzenden Themen
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Der 2003 herausgegebene Sammelband von Katrin Moeller und Burghart Schmidt, „Realität und Mythos. Hexenverfolgung und Rezeptionsgeschichte“, behandelt verschiedene Aspekte der Wahrnehmung von Hexenverfolgung. Einen guten Überblick auch über literarische Verarbeitungen des Themas gibt die Einleitung zu diesem Band von Burghart Schmidt: „Historische Hexenforschung im Spannungsfeld von Aktualitätsbezug, Rezeptionsgeschichte und frühneuzeitlicher Kontextualisierung“. Schmidt hat sich als Historiker in einer 2004 erschienenen Monographie selbst ausführlich mit der literarischen Thematik befasst: „Ludwig Bechstein und die literarische Rezeption frühneuzeitlicher Hexenverfolgung im 19. Jahrhundert“. Dem Bereich der Jugendliteratur hat Margit-Ute Burkhardt ihre Dissertation aus dem Jahr 2004 gewidmet: „Hexengeschichte / Hexengeschichten. Strategien des Erzählens von Hexenverfolgung in der deutschen Jugendliteratur des 20. Jahrhunderts.“ Die literaturwissenschaftliche Arbeit stützt sich hinsichtlich der historischen Zusammenhänge allerdings auf teilweise fragwürdige Literatur; von geschichtswissenschaftlichen Studien, die historische Hintergründe des fokussierten Erzählgegenstandes erhellen, wurden nur sehr wenige zur Kenntnis genommen, maßgebliche neuere Studien praktisch gar nicht. Besser gewählt ist die geschichtswissenschaftliche Sekundärliteratur in der 2010 erschienenen Dissertation von Heinke Kilian, die ebenfalls das Thema Hexenverfolgung in der Jugendliteratur der Gegenwart untersucht: „Von Hexen, Zauberern und magischen Gestalten“. Anders als in der Forschung zu Goethes „Faust“ ist das Thema „Hexenverfolgung“ in Kontexten der früheren Verarbeitungen des Fauststoffes im 16. und 17. Jahrhundert öfter angesprochen und behandelt worden. Meistens wird in diesen Studien Goethes „Faust“ nicht oder kaum einbezogen. Maria E. Müller hat in einem Aufsatz schon 1988 auf die Hexenverfolgung als historischen Kontext der „Historia“ aus dem Jahr 1587 hingewiesen, obwohl diese das Hexenthema ausgrenze: Poiesis und Hexerei. Zur „Historia von D. Johann Fausten“. Sie beschreibt die Implizitheit des Hexenthemas in der „Historia“ wie folgt: „Wird das Hexenthema in der ‚Historia‘ explizit ausgeschlossen, so möchte ich behaupten, daß es als implizites Muster permanent anwesend ist“.108 Diese Beobachtung, die Müller für die „Historia“ macht, ist auch für Goethes „Faust“ bedeutsam. Müllers prägnante Beispiele, etwa auch für Schadenzauber aus dem Faustbuch von Georg Rudolf Widmann (1599), wurden aber in der späteren Faustforschung kaum wahrgenommen. Frank Baron hat sich in mehreren umfangreichen Publikationen mit frühen Verarbeitungen des Fauststoffes, insbesondere ebenfalls mit der „Historia von
Müller, Ma.: Poiesis und Hexerei, S. 58.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
D. Johann Fausten“ beschäftigt. Er bespricht die Rezeption des Themas Hexenverfolgung als Zeitkontext des 16. und 17. Jahrhunderts und gab auch Anstoß für weitere germanistische Betrachtungen der „Historia“ in ihren zeitlichen Zusammenhängen.109 Auch regt er immer wieder an, Hermann Witekinds Schrift gegen die Hexenverfolgung „Christlich bedencken vnd erjnnerung von Zauberey“ als Quelle für die „Historia“ in Betracht zu ziehen.110 Gerhild Scholz Williams untersucht, ebenfalls in mehreren Studien, die Verbindung des Fauststoffes mit der Hexenverfolgung vor allem in den Faustverarbeitungen von Georg Rudolf Widmann (Hamburg 1599) und Johann Nikolaus Pfitzer (Nürnberg 1674). Sie gelangt zu dem Schluss: „Given the strong public interest in witch issues, Widman’s and Pfitzer’s message could not have been clearer. Like the Faustbook author, they align themselves with those who perceive the witch as the most dangerous enemy of the body politic.“111 Manche lokalen Hexenverfolgungen fanden Niederschlag in literarischen Verarbeitungen. Sonja Kinzler hat sich zum Beispiel unter anderem mit der literarischen Rezeption speziell der Nördlinger Hexenprozesse beschäftigt, sie veröffentlichte 2005 die Monographie „Zwischen Fortschrittsglaube und Fatalismus. Die Rezeption der Nördlinger Hexenprozesse im 19. und 20. Jahrhundert“. Heike Hartrath analysierte 1998 die Verarbeitung der Salemer Hexenverfolgung in frühen amerikanischen Vgl. zu diesem Thema knapp auch: Müller, J.-D.: Das Faustbuch in den konfessionellen Konflikten des 16. Jahrhunderts, S. 42–45 sowie mit Bezug auf Frank Baron S. 13 f. Allgemein zu dämonologischen Einflüssen auf unterschiedliche literarische Beispiele des 16. und 17. Jahrhunderts vgl. die 2021 erschienene Monographie von Maximilian Bergengruen: Die Formen des Teufels. Bergengruen durchdringt die dämonologische Literatur intensiv und zeigt, wie erhellend dieser Wissenskontext für die Deutung früher literarischer Produktionen sein kann, auch die „Historia“ von 1587 wird in der Studie vergleichend angesprochen. Vgl. als Überblick hierzu auch Bergengruen: Schwarzkunst. Speziell zum imaginierten Teufelspakt in der Historia vgl. Marina Münkler: Historia von D. Johann Fausten (1587). Michael R. Ott hat die Historia in Kontexten des 16. Jahrhunderts erhellend betrachtet, die Hexenverfolgung ist einer dieser (Diskurse prägenden) Kontexte und wird an mehreren Stellen der Dissertation, auch mit Bezug auf Baron, erwähnt. Vgl. Ott: Fünfzehnhundertsiebenundachtzig, vgl. besonders S. 84–101. Vgl. zum Kontext von Literatur des 16. Jahrhunderts auch den Sammelband „The Faustian Century“, herausgegeben von J. M. van der Laan und Andrew Weeks, in dem neben Faustus etwa Agrippa, Paracelsus und Trithemius behandelt werden. Vgl. hierzu besonders die Einleitung zu dem von ihm 2009 herausgegebenen Sammelband „Hermann Witekinds Christlich bedencken und die Entstehung des Faustbuchs von 1587.“ Baron betont an anderer Stelle, dass gerade der Teufelspakt, der Faust zugeschrieben wurde, vor allem durch den Kontext der Hexenverfolgung, in dem Witekinds Schrift stand, geprägt sei: „This conception was shaped by the imagination of persecution and fear, and to a lesser degree by the literary imagination.“ Baron, Frank: From Witchcraft to Doctor Faustus, S. 15. Vgl. auch Baron: Faustus of the Sixteenth Century, besonders S. 52–57. Scholz Williams: Faust as Witch: Transformations of the Faust Legend in Early modern Texts, S. 230.
2.3 Studien zur Hexenverfolgung und zu angrenzenden Themen
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Romanen: „Fiktionalisierungen der Salemer Hexenverfolgung in amerikanischen Romanen vor 1860“. Hartrath diskutiert dabei auch die Rolle der geschichtsbezogenen Erinnerung für ein Nationalgefühl, eine Fragestellung, die für die Analyse von Goethes „Faust“ ebenfalls von Bedeutung ist (vgl. hierzu Punkt 10.2 meiner Arbeit). Die frühneuzeitliche Hexenverfolgung ist ein Thema, das bisweilen starke Popularität besitzt. Diese Anziehungskraft wird für wirtschaftliche Interessen und auch für verschiedenste politische Absichten ausgenutzt. Folkloristische Bräuche sind ein Teil der Erinnerungskultur, die das Hexenthema in der öffentlichen Rezeption beeinflusst und die auch in die Wahrnehmung des Goethe’schen „Faust“ einfließt. Als Touristenattraktionen sind „Hexentürme“ und hexenbezogene Souvenirs beliebt, mancherorts werden Verbrennungen von Hexen folkloristisch nachgespielt. Diese Beobachtungen werfen die Frage auf: Wie lange muss eine Katastrophe vorbei sein, bevor sie volkstümelnd vereinnahmt wird? Mit folkloristischen Erinnerungskulturen hat sich zum Beispiel Jürgen Scheffler befasst. Er betrachtet fragwürdige lokale Bräuche: „Der ‚Hexenbürgermeister‘ als Trachtenpuppe. Hexenverfolgung und lokale Erinnerungskultur“.112 Ein weiterer Aufsatz von Scheffler, der 2009 im Ausstellungskatalog „Hexen. Mythos und Wirklichkeit“ des Historischen Museums der Pfalz, Speyer erschienen ist, beschreibt „‚Hexennest‘ und ‚Hexen-Stieg‘ – Hexenbilder im Tourismus“. Im selben Band findet sich auch die Abhandlung von Andrea Rudolph: „Von Fasnachtshex’ bis Hexenbrennen. Bräuche und Traditionen rund um Hexen“. Die vielfältigen ideologischen Vereinnahmungen und Instrumentalisierungen des Themas Hexenverfolgung werden in der Rezeptionsforschung intensiver behandelt als dessen literarische Verarbeitungen. Unter dem Aspekt der Instrumentalisierung untersucht etwa Felix Wiedemann die Rezeption des Hexenthemas in seiner 2007 erschienenen Dissertation „Rassenmutter und Rebellin. Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus“. Er gibt unter anderem einen Überblick über die seit den 1970er Jahren gewachsenen feministischen Interessen an der Hexenthematik. Sie liegen schon allein aufgrund der auffallend vielen weiblichen Verfolgungsopfer nahe; in ihrem Kontext stehen aber nicht wenige Abhandlungen, die unwissenschaftlich argumentieren und manche, die das Thema ausschließlich instrumentalisieren. Wiedemann bezieht auch literarische Rezeptionen in seine Untersuchung ein, vor allem romantische Hexenbilder, präsent etwa in Kunstmärchen und basierend auf Märchen und Sagen, sowie auch literarische Verarbeitungen feministischer Hexenmythen, zum Beispiel bei Irmtraud Morgner oder in trivialer Form bei Marion Zimmer Bradley. Die selt-
Der Aufsatz erschien im von Katrin Moeller und Burghart Schmidt 2003 herausgegebenen Sammelband „Realität und Mythos. Hexenverfolgung und Rezeptionsgeschichte“.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
same Mixtur von Anhängern unterschiedlichster Couleur, die sich in bestimmten Hexenvorstellungen begegnen, beschreibt auch die 1998 erschienene Darstellung „Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung“ von Wolfgang Behringer. Sie gibt einen knappen Überblick über das Phänomen der Vereinnahmung. Speziell zur diffusen Instrumentalisierung des Themas Hexenverfolgung in der NS-Zeit erschienen 1999 der von Sönke Lorenz und anderen herausgegebene Sammelband „Himmlers Hexenkartothek. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexenverfolgung“ und im Jahr 2009 die Untersuchung von Katarzyna Leszczyńska „Hexen und Germanen. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Geschichte der Hexenverfolgung“. Strömungen, die das Hexenthema instrumentalisierten, haben einen gewissen Einfluss auf dessen öffentliche Wahrnehmung. Eine Vielzahl ideologisch geprägter Deutungen ist bis in die wissenschaftliche Rezeption des Themas vorgedrungen und prägt auch manche Veröffentlichungen der Faust-Forschung. Denn diese stützt sich nicht selten auf ideologisch verbrämte Literatur. So findet sich zum Beispiel in Interpretationen der Hexenmotive im „Faust“ häufig die historisch nicht belegbare Vermutung, eine Art „Hexentum“, naturreligiös geprägte Menschen mit „Kräuterwissen“, sei durch die frühneuzeitlichen Verfolgungen ausgerottet worden.113 Selbst in seriösen Darstellungen zur Walpurgisnacht ist nicht selten die Imagination einer „verbotenen Volkskultur“114 repräsentiert. Auch die in der Diskussion um Goethes Paralipomena hartnäckig anzutreffende Verwechslung von „Hexe“ und „Hexenprozessopfer“ beruht wahrscheinlich auf ideologisch gefärbten Publikationen.
2.3.3 Rechts- und sozialgeschichtliche Untersuchungen zu unehelicher Mutterschaft, zum Delikt „Kindsmord“ und zu seiner literarischen Rezeption Welches sind die besten ausführbaren Mittel, dem Kindermorde Einhalt zu thun?115
Das Thema „Kindsmord“ ist in der Literaturwissenschaft sehr viel häufiger und in manchen Studien mit stärkerer Berücksichtigung der geschichtswissenschaftli-
Symptomatisch argumentieren so zum Beispiel Barbara Mabee: Die Kindesmörderin, S. 30 und Carsten Rohde: Gender, S. 555. Vgl. etwa Heinrich Detering: Zur Dialektik des Grotesken, S. 203. Vgl. zum komplexen Verhältnis von Eliten und „Volkskultur“ mit Blick auf das Thema Hexenimaginationen den klärenden Überblick von Herbert Eiden: Elitenkultur contra Volkskultur. Auf diese 1780 veröffentlichte Preisfrage, die der Mannheimer Regierungs- und Oberappellationsrat Ferdinand Adrian von Lamezan initiierte, antworteten über 400 Zuschriften. Vgl. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 217–231.
2.3 Studien zur Hexenverfolgung und zu angrenzenden Themen
47
chen Erkenntnisse untersucht worden, als dies für das Thema der Hexenverfolgung geschehen ist. Für die hier bearbeitete Fragestellung war es hinsichtlich der Gretchentragödie unter anderem wichtig, die Nähe des Kindsmorddeliktes zu Hexenprozessen nachzuweisen. Es wurden rechts- und sozialgeschichtliche Darstellungen zum Delikt „Kindsmord“ und Untersuchungen zu seiner Rezeption hinzugezogen. Wenn man die historischen Gegebenheiten mit literarischen Darstellungen des Phänomens vergleicht, werden gerade jene Besonderheiten in Goethes „Faust“ deutlich, die einen Hexenprozess gegen Gretchen assoziieren. Speziell zum literarischen Motiv des Kindsmordes sind viele Darstellungen erschienen, etwa 1927 die frühe Arbeit von Jan Matthias Rameckers „Der Kindsmord in der Literatur der Sturm-und-Drang-Periode: Ein Beitrag zur Kultur- und Literatur-Geschichte des 18. Jahrhunderts“, die einen Überblick über literarische Verarbeitungen des Kindsmordmotivs gibt und auch zahlreiche Textauszüge präsentiert. Die 1974 erschienene Untersuchung von Beat Weber „Die Kindsmörderin im deutschen Schrifttum von 1770–1795“ ist in ihrer knappen Darstellung der historischen Hintergründe nicht differenziert genug. In dieser Studie werden immer wieder normative Rechtsvorschriften, etwa drakonische Strafbestimmungen in Rechtstexten, mit der Realität schlicht gleichgesetzt. Dasselbe ist in der Abhandlung von Kirsten Peters zu beobachten: „Der Kindsmord als schöne Kunst betrachtet. Eine motivgeschichtliche Untersuchung der Literatur des 18. Jahrhunderts“, obwohl im Erscheinungsjahr dieses Buches, 2001, bereits eine ganze Reihe gründlicher geschichtswissenschaftlicher Studien zur Kindsmordthematik vorlagen, die gerade das Problem normativer Texte und der Rückschlüsse auf ihre Anwendung in der Realität beleuchten.116 Georg Pilz hat 1982 verschiedene Einzelwerke analysiert, die zum Vergleich einladen: „Deutsche Kindesmord-Tragödien. Wagner, Goethe, Hebbel, Hauptmann“. Nicht selten beleuchten geschichtswissenschaftliche Abhandlungen zum Thema Kindsmord, die historische Fakten differenzieren, auch die literarische Seite des Themas. Überdies kommen in der Literaturwissenschaft oft gesellschaftliche Diskurse zur Sprache, die durch Literatur angestoßen wurden und dann die Rechtssprechung und Rechtsentwicklung durchaus beeinflussten. Aufgrund der Fülle der oft interdisziplinär geprägten Darstellungen können hier nur diejenigen genannt werden, die für meine Untersuchung hilfreich waren. Besonders gründlich stellt Kerstin Michalik die Geschichte der Kindstötung in ihrer 1997 erschienenen Monographie dar: „Kindsmord. Sozial- und Rechts-
Vgl. als Beispiel für noch jüngere Literatur, in der immer noch derselbe Irrtum herrscht, die 2012 erschienene Abhandlung von Prokop: Der Teufel und die Unschuld, S. 105 f.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
geschichte der Kindstötung im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert am Beispiel Preußen“. Auch die Studie von Otto Ulbricht, „Kindsmord und Aufklärung in Deutschland“, aus dem Jahr 1990 gibt einen Überblick über Tatsachen und Fehlannahmen zu diesem Thema. Unter anderem verweist er auf die Quellenlage, die es bisweilen schwierig macht, etwa zwischen Kindsmordanklagen und Hexenprozessen zu unterscheiden.117 Generell mit ethischen Vorstellungen der Goethezeit beschäftigt sich W. Daniel Wilson in seiner Studie „Das Goethe-Tabu. Protest und Menschenrechte im klassischen Weimar“. Er operiert zum Teil mit Bezeichnungen, etwa mit dem Begriff „Menschenrechte“, deren Bedeutungswandel seit dem 18. Jahrhundert leicht zu Missverständnissen führen kann.118 Sicher berechtigt aber sind seine Beobachtungen zu einer Tabuisierung bestimmter Themen angesichts der „Ikone Goethe“;119 auch in meiner Untersuchung kommen diese zur Sprache. Harald Neumeyer hat Beobachtungen „Zur Kindsmorddebatte in Gesetzgebung, Wissenschaft und Literatur um 1800“ gemacht und dabei vor allem die „narrative Konstruktion einer Psyche“120 in der Beurteilung von Delinquentinnen herausgestellt. Zu Recht verweist er auf die Schwierigkeit, aus juristischen Akten Rückschlüsse auf Motive zu ziehen, da die Befragungen oft bestimmte Aussagen erzielen sollten.121 Er sieht zudem eine grundlegende Diskrepanz zwischen Geschichts- und Literaturwissenschaft, die auch in meiner Untersuchung vielfach eine Rolle spielt: Die Historiker reklamieren auf der Folie ihres Quellenstudiums eine Wirklichkeit, von der die Literatur erheblich abweiche und deshalb die Realität verfehle. [...] Die Literaturwissenschaftler hingegen reklamieren die ‚Freiheit der Autoren‘ [...]. Und sie reklamieren die Eigengesetzlichkeit fiktionaler Welten, die Lösungen durchzuspielen und Verhaltensmuster zu korrigieren vermag.122
Susanne Kord hat hingegen gerade Verbindungen von Realität und Literatur in den Blick genommen. Sie untersucht Hinrichtungen von realen Kindsmörderinnen als öffentliche Inszenierungen und vergleicht die Rollen und Reaktionen echter Delinquentinnen mit literarisch-fiktiven Darstellungen.123 Sie macht deutlich, dass
Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 194. Zwar betont Wilson vielfach, er habe diese Begriffe „der Zeit der Ereignisse selbst“ entnommen, vgl. etwa Wilson: Goethe-Tabu, S. 13, dies ändert aber nichts an der Notwendigkeit, jene unter den Vorzeichen der historischen Semantik zu betrachten. Wilson: Goethe-Tabu, S. 13. Neumeyer: Psychenproduktion, S. 55. Neumeyer: Psychenproduktion, S. 50. Neumeyer: Psychenproduktion, S. 49. Kord: Etikette oder Theater?
2.3 Studien zur Hexenverfolgung und zu angrenzenden Themen
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auf dem Schafott die Darbietung bestimmter Moralvorstellungen einem Drama ähnlich inszeniert wurde. Die Situation lediger Mütter und historische Ausprägungen des Sexualstrafrechts behandeln mehrere Darstellungen in dem 1997 von Ute Gerhard herausgegebenen Sammelband „Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart“. Klaus Kastner beleuchtet in seinem Aufsatz „Der Kindsmord: historische, rechtliche und literarische Aspekte“ besonders die juristische Seite von Kindstötungen.124 Im gleichen Sammelband erschien 2003 der Aufsatz von Rebekka Habermas über „Susanna Brandt, Gretchen und Goethe: Ein Kindsmord im Frankfurt des ausgehenden 18. Jahrhunderts“. Diesem von Goethe autobiographisch erwähnten Fall wird, wie Goethes früher Beziehung zu Friederike Brion, Einfluss auf die Gretchentragödie zugeschrieben. Rebekka Habermas hat bereits 1999 in Zusammenarbeit mit Tanja Hommen eine Monographie veröffentlicht: “Das Frankfurter Gretchen. Der Prozeß gegen die Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt“. Habermas verweist hier auf die hohe Anzahl von unehelichen Geburten. Diese Alltäglichkeit relativiert die in literarischen Werken oft betonte „Schande“ und somit auch das Stigmatisierungsmotiv beispielsweise der Valentinszene in Goethes „Faust“. Ein ursprünglich angelegter Hexenprozess wird vor diesem Hintergrund wahrscheinlicher. Auch in vielen anderen Untersuchungen zu frühneuzeitlichen Kindsmorden wird darauf hingewiesen, dass die in der Literatur verbreitete Vorstellung des Ehrverlustes je nach ständischer Zugehörigkeit der Frauen differenziert betrachtet werden muss. Immer wieder wird auf die Vielschichtigkeit der Tötungsmotive verwiesen. Aufschlussreich ist die 1999 erschienene Zusammenstellung der Akten im Prozess gegen Susanna Margaretha Brandt von Siegfried Birkner: “Goethes Gretchen. Das Leben und Sterben der Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt“. Die Quellen lassen teilweise wörtliche Anklänge der realen Aussagen im Text von Goethes „Faust“ aufscheinen. Diese wurden auch in der Faust-Forschung beschrieben. Besonderen Einblick in die Verbindung der Hexenthematik mit Kindsmordvorwürfen, die auch in Goethes „Faust“ anklingen, geben reale Fälle von Hexenprozessen. Franz Irsigler hat in einem Fallbeispiel den Prozess gegen eine Frau aufgeschlüsselt, die zunächst wegen Kindsmord verhört wurde, dann aber in einen Hexenprozess geriet und schließlich als Hexe hingerichtet wurde. Irsiglers Analyse „Information oder Fiktion. Vom Lesen zwischen den Zeilen“ zeigt nicht nur die Schwierigkeiten der Quelleninterpretation von Hexenprozessen, er bietet auch einen prägnanten Beleg für die realgeschichtliche Nähe von Kindsmord-
Die Abhandlung erschien im von Hermann Weber 2003 herausgegebenen Sammelband „Reale und fiktive Kriminalfälle als Gegenstand der Literatur“.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
und Hexenprozessen, die in späteren statistischen Untersuchungen wahrscheinlich nicht zutage treten würde.125
2.3.4 Die Ausstellungen „Incubi. Succubi“ (Luxemburg) und „Hexenwahn“ (Berlin) Beten. Läuten. Brennen.126
Das Musée d’Histoire de la Ville de Luxembourg hat im Jahr 2000 eine große Ausstellung zur Hexenverfolgung präsentiert. Sie entstand in Kooperation mit dem Trierer Forschungsprojekt „Zauberei- und Hexenprozesse im Maas-RheinMoselraum, 15.–17. Jahrhundert, unter besonderer Berücksichtigung räumlicher Aspekte“. Die Ausstellung beleuchtete in ihrer Gliederung „Beten. Läuten. Brennen“ auch psychologische Konstitutionen und ermöglichte eine emotionale Annäherung an die Verfolgungsszenarien. 2002 wurde die Ausstellung vom Deutschen Historischen Museum Berlin übernommen. Die Präsentation zeigte die Durchdringung des Alltags von Hexenangst sowie die Eingebundenheit der Menschen in diese Denkart. Sie ließ die Betrachter des 21. Jahrhunderts diese Bedingungen nachempfinden. Für die Analyse literarischer Darstellungen der Hexenthematik und ihrer offenen oder verdeckten Präsenz war die Ausstellung besonders anregend. Gerade die emotionale Qualität der Quellen und ihre Wirkungskraft wurden ans Licht gebracht. Dies ist sicher wesentlich auch dem Konzept des im Jahr 2001 verstorbenen Ausstellungsmachers Volker Geissler zu verdanken, der unter anderem als Theaterregisseur tätig war. Viele Teile der Präsentation sprachen die Sinne an, etwa ein „Gerüchteraum“, der die Stimmen der Besucher aufnahm und flüsternd wiedergab. Die Ausstellung sensibilisierte für unterschwellige Ängste, die den frühneuzeitlichen Alltag prägten. Diese Ängste können in der Literatur ähnlich zum Tragen kommen; in der Textsorte Drama werden sie besonders lebendig, wie das Beispiel Goethes „Faust“ zeigt. Auch in popularisierten Formen von Literatur, etwa in historischen Romanen, sind sie oft prominent. Die zweite, veränderte Darbietung der Luxemburger Ausstellung in Berlin, „Hexenwahn“, trug den Untertitel: „Ängste der Neuzeit“. Die wissenschaftlichen Kataloge Der Aufsatz findet sich im von Rita Voltmer und Günter Gehl 2003 herausgegebenen Sammelband „Alltagsleben und Magie in Hexenprozessen“; dieser behandelt auch eine Reihe anderer Aspekte, die indirekt mit dem in Goethes „Faust“ dargestellten Alltagsleben zu tun haben. Konzept der Luxemburger Ausstellung „Incubi. Succubi. Hexen und ihre Henker bis heute“ im Jahr 2000. Vgl. Voltmer / Irsigler: Vorwort, S. 12. Das Konzept verarbeitet ein Zitat des 1590 verbrannten Hexenprozessopfers Clas Endres aus Oberemmel, der beschreibt, was gegen die Hexen zu tun sei; vgl. hierzu Irsigler: Hexenfurcht, S. 119.
2.4 Literatur zum theoretischen Rahmen „Wissen“, „Nichtwissen“ und „Gedächtnis“
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zu beiden Präsentationen, „Hexenwahn“ (Berlin) und „Incubi. Succubi. Hexen und ihre Henker bis heute“ (Luxemburg), versammeln aktuelle Überblicksdarstellungen zur frühneuzeitlichen Hexenverfolgung. Viele der Beiträge werden im Folgenden zitiert.
2.4 Literatur zum theoretischen Rahmen „Wissen“, „Nichtwissen“ und „Gedächtnis“ Gedächtnis und Literatur – das ist eine ebenso viel diskutierte wie facettenreiche Verbindung. Kaum mehr zu überblicken scheint die Fülle der literaturwissenschaftlichen Studien, die den Gedächtnis-Begriff im Titel führen.127
Für die Fragestellung dieser Untersuchung sind Forschungen zu den Bereichen „kollektives Gedächtnis“ und „Erinnerung“ sowie ihr Verhältnis zur Literatur von Bedeutung. Seit den 1980er Jahren ist dieses Feld intensiv bearbeitet worden, so dass auch hier nur eine Auswahl wichtiger Studien genannt werden kann, ein umfassender Forschungsüberblick würde den Rahmen meiner Untersuchung sprengen. Gedächtnisforschung hat in jüngerer Zeit mehr und mehr die kulturwissenschaftliche Bedeutung von „Gedächtnis“ fokussiert.128 Martin Zierold betont: „Es gibt in den Kulturwissenschaften wohl nur wenige Themen, zu denen in den letzten Jahren ähnlich viel geforscht und publiziert worden ist wie zu der Frage, wie Gesellschaften mit ihrer Vergangenheit in ihrer Gegenwart umgehen.“129 Aleida Assmann spricht vom Gedächtnis als „Leitbegriff der Kulturwissenschaften“.130 Einen Überblick zur Verbindung von Gedächtnis und Literatur sowie zur literaturwissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Thema gibt der Sammelband „Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft. Theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven“, den Astrid Erll und Ansgar Nünning 2005 herausgegeben haben, sowie darin besonders die Abhandlung von Astrid Erll: „Literatur als
Erll / Nünning: Literaturwissenschaftliche Konzepte von Gedächtnis, S. 1. Einen Überblick über die Vielfalt von Erinnerungstheorien gibt Franziska Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 195–230. Zierold: Gesellschaftliche Erinnerung, Vorwort. Assmann: Gedächtnis als Leitbegriff, S. 27.
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2 Auswahl der Forschungsliteratur
Medium des kollektiven Gedächtnisses“. Angesichts der rasanten Forschungsentwicklung131 betont Astrid Erll die Unabgeschlossenheit der Begriffsbildung im Bereich der Gedächtnisforschung.132 Nicht zuletzt die Beziehung von Kunstgeschichte und „Kulturtheorie des Gedächtnisses“133 ist früh in den Blick gerückt, denn: „Das Bild vermag widersprüchliche Kräfte zu vereinigen und im Detail zu komprimieren, ähnlich wie die Anekdote im New Historicism.“134 Auch in meiner Untersuchung werden Faustdarstellungen der bildenden Kunst als Quellen für bestimmte Erinnerungen ergänzend hinzugezogen. Das von Pierre Nora geprägte, sehr einflussreiche Konzept der „lieux de mémoire“, das vielen Studien zugrunde gelegt wurde, ist für meine Untersuchung wichtig. Es berücksichtigt, dass bestimmte konkrete oder abstrakte Elemente der Vergangenheit, „Erinnerungsorte“, das kollektive Gedächtnis sozialer Gruppen selektiv konsolidieren. Diese Annahme wurde auch mit Blick auf Deutschland diskutiert. Constanze Carcenac-Lecomte hat im Jahr 2000 den Band „Steinbruch deutsche Erinnerungsorte. Annäherung an eine deutsche Gedächtnisgeschichte“ herausgegeben. Auch „Faust“ wird in diesem Band behandelt, in Charlotte von Wredes Beitrag: „Der ‚deutsche Faust‘ – für immer gestorben?“. Hagen Schulze und Etienne François schreiben im Vorwort zu diesem Band: „Nicht nur die objektive Erkenntnis, sondern
Aktuelle Darstellungen nehmen Bezug auf grundlegende Werke wie „Das kollektive Gedächtnis“ von Maurice Halbwachs; er gilt als einer der Pioniere der Gedächtnisforschung und prägte schon in den 1920er Jahren die Bezeichnung „kollektives Gedächtnis“. Dieser Begriff wurde mehr und mehr differenziert und ergänzt. Auch auf die Studien von Jan und Aleida Assmann wird immer wieder verwiesen. Sie haben sich mit Formen der Tradierung beschäftigt und verschiedene Arten des Gedächtnisses unterschieden, etwa das „kommunikative“ und das „kulturelle“ Gedächtnis. Einige dieser Bezeichnungen kommen in meiner Untersuchung zur Sprache, ohne dass ihre Begriffsgeschichte differenziert berücksichtigt werden kann. Aleida Assmann resümiert Folgendes: „Bis in die 70er Jahre galt zumal unter Historikern die Rede vom ‚kollektiven‘ Gedächtnis als eine illegitime wissenschaftliche Fiktion [...]. Nachdem wir inzwischen auf eine reichhaltige und vielfältige Forschungsliteratur zum Thema ‚kollektives‘ Gedächtnis zurückblicken können, wissen wir allerdings, daß es sich bei der Rede vom kollektiven Gedächtnis weder um eine Mystifikation noch um eine bequeme Metapher handelt. Diese Forschungen haben die Aufmerksamkeit auf neue Fragen gelenkt: wie bauen Gruppen über gemeinsam geteilte Erinnerungen Gefühle der Zugehörigkeit auf? Welche Bedeutungen haben solche gemeinsamen Erinnerungen für die Identität der einzelnen und der Gruppe? Wie werden diese Erinnerungen gegebenenfalls weitergegeben und wie verändern sie sich unter dem Druck neuer Erfahrungen?“ Assmann: Geschichte im Gedächtnis, S. 16 f. Erll: Kollektives Gedächtnis, 2. Aufl., S. 5. Vgl. etwa zur Bedeutung der Theorien von Aby Warburg Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 199–202. Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 202.
2.4 Literatur zum theoretischen Rahmen „Wissen“, „Nichtwissen“ und „Gedächtnis“
53
das subjektive, gefühlsmäßig aufgeladene, immer wieder aktualisierte kollektive Vergangenheitsbild macht das Geschichtsbewußtsein der weitaus meisten Menschen aus.“135 In dem von Schulze und François 2001–2002 herausgegebenen dreibändigen Werk „Deutsche Erinnerungsorte“ sind „Goethe“ und „Faust“ eigene Artikel gewidmet. Der von Gert Mattenklott geschriebene Beitrag „Faust“, der die Rolle des Fauststoffes als Mythos behandelt, ist in das Kapitel „Identitäten“ eingeordnet. Die Rolle von Goethes Drama als „Nationalheiligtum“ hat wahrscheinlich dazu beigetragen, dass ein Zusammenhang mit dunklen Kapiteln deutscher Geschichte wie der Hexenverfolgung von manchen Interpreten nicht gern gesehen wurde.136 Helmut Schanze legte 1989 eine Studie zu „Goethes Dramatik. Theater der Erinnerung“ vor. Seine Thesen von der vergegenwärtigenden Funktion des Theaters sind anregend mit Blick auf die Vergangenheit des 16. Jahrhunderts, die Schanze zwar nicht vertiefend betrachtet, die aber im Drama „Faust“ in vielen Szenen aufscheint. Die Begriffe „Wissen“ und „Nichtwissen“ sind in ihrer Komplexheit Gegenstand zahlreicher Studien. Theorien zu ihrer Abgrenzung werden zum Beispiel vorgestellt von Peter Wehling: „Im Schatten des Wissens? Perspektiven der Soziologie des Nichtwissens“. Achim Geisenhanslüke und Hanns Rott haben 2008 einen Sammelband herausgegeben zum Thema „Ignoranz. Nichtwissen, Vergessen und Missverstehen in Prozessen kultureller Transformationen“. Darin erläutert Achim Geisenhanslükes Aufsatz „Schöndummheit. Über Ignoranz“ allgemein die Vielfalt der Bezeichnungen, die Nichtwissen meinen, sowie die Schwierigkeit einer genauen Begriffsbestimmung. Das Schweigen der Faust-Forschung zum Thema Hexenverfolgung wirft die Frage auf, ob es sich um Vergessen, Nichtwissen oder Wegsehen handelt. In sehr verschiedenen Kontexten beleuchtet ein von Joseph Vogl 1999 herausgegebener Sammelband das Verhältnis von Wissen und Literatur: „Poetologien des Wissens um 1800“. Vogl beschreibt in der Einleitung die Auswirkungen einer „Geschichte des Wissens“ als gravierend, sie habe „beträchtliche Verschiebungen im Grenzverlauf der geisteswissenschaftlichen Disziplinen verursacht“, er nennt als Beispiele „so unterschiedliche Konzepte wie Diskursanalyse, Mediengeschichte, Kulturanthropologie oder poetics of culture“.137 Vogl schildert unter anderem „eine konsequente Historisierung des Wissens und eine Theoretisierung der Geschichte“.138 Beides ist auch für die Frage nach Goethes Verhältnis zu historischem Wissen von Bedeutung. Eine Annahme, die
Schulze / François: Deutsche Erinnerungsorte, S. 7. Vgl. hierzu Punkt 10.2 meiner Arbeit. Vogl: Poetologien des Wissens um 1800, S. 7. Vogl: Poetologien des Wissens um 1800, S. 10.
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Vogl zugrunde legt, nämlich, dass Wissen selbst „ästhetisch organisiert“139 ist, erhellt das besondere Zusammenspiel von Literatur und Wissen: Literatur ist selbst eine spezifische Wissensformation, dort etwa, wo sie zum besonderen Organ und Medium von Einheiten wie Werk oder Autor geworden ist; Literatur ist Gegenstand des Wissens, dort etwa, wo sie eine bestimmte Art des Kommentierens hervorgerufen und die Möglichkeit eines eigentümlichen Sprechens über das Sprechen geschaffen hat; Literatur ist ein Funktionselement des Wissens, dort etwa, wo sie, wie in der geistesgeschichtlichen Tradition, das Feld einer schöpferischen Subjektivität auf herausragende Weise besetzt; und Literatur wird schließlich durch eine Ordnung des Wissens selbst produziert, dort etwa, wo ihre Sprache wie keine andere beauftragt scheint, das Uneingestehbare zu sagen, das Geheimste zu formulieren, das Unsagbare ans Licht zu holen.140
Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 51 f. Vogl: Poetologien des Wissens um 1800, S. 15.
3 Die Hexenthematik als Streitfall Den Blick auf diese „dunkle“ Seite des Nichtwissens zu richten, bleibt eine der zentralen Aufgaben, denen sich die Geisteswissenschaften heute noch zu stellen haben.1
Burghart Schmidt bewertet die literarische Wahrnehmung der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung unter rezeptionsgeschichtlichen Aspekten als eines der drängendsten Forschungsdesiderate unserer Zeit.2 Ein knapper Überblick über literarische Verarbeitung von Hexenangst und Hexenverfolgung wird in Kapitel 11 meiner Arbeit skizziert, Phasen des stark schwankenden gesellschaftlichen Interesses am Hexenthema können historisch eingeordnet werden.3 Die „gelehrte“ dämonologische Seite der frühneuzeitlichen Hexenvorstellungen, hier ist sich die Rezeptionsforschung einig, hatte starken Einfluss auf die literarischen Verarbeitungen des Hexenmotivs.4 Es wird zu Recht immer wieder betont, wie vielfältig diese Verarbeitungen sind.5 Markus Kippel fasst seine Untersuchung zur literarischen Rezeption der Hexenprozesse wie folgt zusammen: „Die Erinnerung der Menschen an die Zeit der Hexenverfolgung ist vielgestaltig in der Literatur lebendig, wobei die verschiedenen literarischen Genres die Aspekte des frühneuzeitlichen Hexenbildes widerspiegeln.“6 Auch Felix Wiedemann verweist auf die diachrone Präsenz des Themas in Kunst und Literatur: Entgegen einem bis in die 1970er Jahre kolportierten Vorwurf, mit diesem Sujet habe sich die Nachwelt generell nur unzureichend auseinandergesetzt, ist das Thema während des 19. und 20. Jahrhunderts relativ umfangreich abgehandelt worden – auch wenn dieses Interesse dabei stets bemerkenswerten Konjunkturschwankungen unterworfen war. So haben Hexenwesen und Hexenverfolgung seit dem Ausklang der Hexenprozesse in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zahlreiche Verarbeitungen in Kunst und Literatur erfahren und zu diversen kulturhistorischen Deutungen angeregt [...].7
Obwohl die frühneuzeitliche Hexenverfolgung durch die Nachwelt umfassend künstlerisch verarbeitet wurde, ist das Thema nicht nur ein blinder Fleck der Literatur- und Kunstwissenschaften. Es erfährt nicht selten sogar ausdrückliche
Geisenhanslüke: Vorwort Ignoranz, S. 7. Schmidt, B.: Historische Hexenforschung im Spannungsfeld, S. 14. Vgl. Schmidt, B.: Historische Hexenforschung im Spannungsfeld, vor allem S. 14–19 und Kippel: Stimme der Vernunft, besonders S. 20–25. Schmidt, B.: Historische Hexenforschung im Spannungsfeld, S. 15. Vgl. auch Kippel: Stimme der Vernunft, S. 20. Vgl. beispielsweise Kippel: Stimme der Vernunft, S. 22. Kippel: Stimme der Vernunft, S. 2. Wiedemann: Rassenmutter, S. 11. https://doi.org/10.1515/9783111311258-003
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3 Die Hexenthematik als Streitfall
Ablehnung und taugt, wenn es denn angesprochen wird, zum Streitfall, wie im Folgenden zu berichten ist. Dabei spielen Fehlinformationen über das historische Geschehen eine fatale Rolle, insbesondere die Gleichsetzung der dämonologischen Hexenimaginationen mit echten Hexenprozessopfern.
3.1 Eine These aus dem Jahr 1982: Albrecht Schönes Deutung der Walpurgisnacht Of all the many writings on Goethe published on the sesquincentenary of his death, Albrecht Schöne’s ‚Götterzeichen. Liebeszauber. Satanskult‘ deserves pride of place, for this remarkable work is the only one that captured the attention not merely of other Goethe scholars, but also of a wider public.8
Ein wichtiges Argument dafür, die Hexenverfolgung als Hintergrund zu Goethes „Faust“ zu betrachten, sind die Belege in den Entwürfen des Dichters. Er hat sie sorgfältig aufbewahrt. In diesen Paralipomena liegen, wie schon angesprochen, klare Indizien dafür vor, dass Goethe ursprünglich geplant hatte, Gretchen als Opfer eines Hexenprozesses zu zeigen. Diese Tatsache hat als Erster der renommierte Faustkenner und spätere Herausgeber einer vielbeachteten kommentierten Faust-Ausgabe, Albrecht Schöne, eindeutig formuliert. Seine 1982 erschienene Darstellung „Götterzeichen, Liebeszauber, Satanskult. Neue Einblicke in alte Goethetexte“9 hätte ein Anstoß zur Erforschung der Hexenthematik in Goethes „Faust“ sein müssen. Die in Goethes Paralipomena nachgelassenen Verse sprechen ebenso wie seine dokumentierten Exzerpte aus realen Hexenprozessen, die noch ausführlich vorgestellt werden, dafür, dass Goethe das Verfolgungsgeschehen des 16. Jahrhunderts im Sinn hatte. Schöne beschränkt seine Interpretation weitgehend auf die Szene Walpurgisnacht und vertieft nicht die sozialgeschichtliche Seite seiner These. Stattdessen konzentriert er sich auf die Bedeutung der in den Paralipomena überlieferten Satansmesse für die dramaturgische Konstellation und die ursprüngliche „dualistische Grundspannung“10 der Szenenfolge mit Blick auf den Prolog im Himmel. Doch muss seine These hinsichtlich der Gesamtanlage vieler Charaktere, Szenen und Figuren des Werkes unbedingt mehr weiterführende Studien nach sich ziehen, als dies bisher geschehen ist. Die Bedeutung der Goethe’schen Entwürfe ist nicht erfasst worden. Erstaunlicherweise geschah das Gegenteil: Schöne wurde
Reiss: Rezension, S. 1038. Schöne: Götterzeichen. Vgl. auch Schöne: Faust, Paralip. 50. Vgl. auch die Anmerkungen von Schöne, in: Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 345.
3.1 Eine These aus dem Jahr 1982: Albrecht Schönes Deutung der Walpurgisnacht
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damals von Literaturwissenschaftlern vehement widersprochen. Die Argumente seiner Gegner sind für die Rezeption der geschichtswissenschaftlichen Hexenforschung in der Literaturwissenschaft sehr aufschlussreich, denn sie zeigen, wie wenig über die historische Hexenverfolgung bekannt ist. Der Streit wird deshalb im Folgenden vorgestellt. Schönes These wird bis heute in der Faust-Forschung, wenn überhaupt, nur kurz abgehandelt.11 Der 1999 zuerst und dann in bisher vier Auflagen erschienene Kommentar von Jochen Schmidt, der, wie schon dargelegt, leider nicht frei von Irrtümern bezüglich der historischen Tatsachen ist, stellt eine der wenigen Ausnahmen dar. Schmidt widmet dem Thema einen kurzen Abschnitt. Zwar beschränkt auch Schmidt seine Erläuterungen zur Hexenverfolgung auf den ursprünglich geplanten Schluss der Walpurgisnacht, er verweist jedoch zu Recht auf „Reflexe der Folterung und Hinrichtung Gretchens als Hexe “,12 die noch die Druckfassung enthalte. Oft wurde Schönes These vom ehemals angelegten Hexenprozess schlicht totgeschwiegen, selbst wenn auf seine Studie zur Walpurgisnacht Bezug genommen wurde. Helmut Schanze etwa, der Goethes „Theater der Erinnerung“ darlegen will, widmet Goethes Entwürfen zur Szene Walpurgisnacht ein ganzes Kapitel.13 Obwohl er aber auch Schönes Untersuchung erwähnt, geht er auf das Thema der Hexenverfolgung nicht ein. Wenn Schönes These in der Faust-Forschung erwähnt wird, dann wird sie oft merkwürdig unklar wiedergegeben. Ein signifikantes Beispiel hierfür ist der Forschungsbericht von Rüdiger Scholz. Obwohl sich dieser Autor ganz explizit für sozialgeschichtliche Interpretationen einsetzt, reduziert er die Untersuchung Schönes auf: „Tradition der Figuren und Bilder der Walpurgisnacht“.14 Er lässt somit die
Osman Durrani nennt als einer der wenigen Schönes These des Hexenprozesses gegen Gretchen zustimmend, wenn er mit Verweis auf Schöne knapp bemerkt: „The frenetic, hysterical goings-on on the Brocken anticipate aspects of Gretchen’s trial on charges of infanticide and, most probably, witchcraft“. Durrani: The Character and Qualities of Mephistopheles, S. 86. Durrani sieht hier im Thema der Walpurgisnacht auch Bezüge zu der von Aberglauben und Bigotterie geprägten Welt Gretchens: „But what remains of the Walpurgis theme suffices as an indication of the cultural environment of Gretchen, whose mother and friends are, as far as we can deduce from the scenes in which they appear or are alluded to, subject to intense forms of medieval superstition and bigotry“. Auch Aneka Viering beschreibt die „unglückliche Geliebte im Bewusstseins-Taumel der ‚Walpurgisnacht‘ bereits dem Schicksal der zur Hexe Stigmatisierten und so dem gesellschaftlichen Todesurteil zum Opfer Gefallenen assoziiert“. Viering: Konstruktionen des Bösen, S. 305. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 200. Schanze: Goethes Dramatik, S. 161–171. Scholz: „Faust“ in der wissenschaftlichen Interpretation, S. 200. Treffender würdigt etwa Karl Robert Mandelkow Schönes Untersuchung als Versuch, „Goethetexte aus der Vorgeschichte der
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3 Die Hexenthematik als Streitfall
Kernthese Schönes, nämlich die ursprüngliche Anlage eines Hexenprozesses gegen Gretchen, außen vor. Auch verfährt zum Beispiel Karl Heinrich Hucke in seiner wortreichen Untersuchung zu Goethes „Faust“ mit Schönes Interpretation unschlüssig. Die Hexenverfolgung als wichtiges Thema Schönes wird kaum zur Kenntnis genommen. Und besonders widersprüchlich ist Huckes Bemerkung: Schönes Stoffgeschichte zum „Ketzer- und Hexenwesen“ ist unerläßlich, um den strukturellen Aufbau der Szene ‚Walpurgisnacht‘ und das Paralipomenon H P50 überhaupt verstehen zu können: auch wenn man in den Bewertungen der Befunde anderer Meinung ist.15
Beispiele der Interpretationsgeschichte von „Goethes Faust“ wie die von Schanze, Scholz und Hucke geben Hinweise darauf, dass die Hexenverfolgung im kollektiven Gedächtnis nicht mehr präsent ist. Es wird deutlich, daß die Tragweite der Schöneschen These von späteren Autoren nicht erfasst und das Thema nicht angemessen weiterverfolgt wurde. Die frühneuzeitliche Hexenverfolgung und ihre Spuren in Goethes Werk sind bis heute kein Thema der Faust-Forschung. Außerhalb Europas allerdings hat die These des ehemals angelegten Hexenprozesses in der Abhandlung von Akira Kogishi mehr Zustimmung gefunden. Vielleicht deutet dies auf eine unbefangenere Sicht des historischen Geschehens. Im Goethe-Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft in Japan blickt Kogishi vergleichend auf den Fall der Susanna Margaretha Brandt und Schönes These des Hexenprozesses. Kogishi beschreibt Goethe als sensibilisiert für eine ungerechte Strafverfolgung, er nehme die Perspektive der Opfer ein.16 Kogishi zieht den weitsichtigen Schluss, Goethe habe „die noch nicht vom Hexenwahn befreiten Autoritäten der Kirche und der weltlichen Ordnung in ihrem rückständigen Wesen deutlich ans Licht gebracht.“17
3.2 Ein Gelehrtenstreit als Indiz für fehlendes Wissen MEPHISTOPHELES fortschreitend Nur zu! und laß dich ins Gewebe Der Zweifelei nicht törig ein; Denn wenn es keine Hexen gäbe, Wer Teufel möchte Teufel sein! (7722–7725)
Moderne“ zu erklären, wenn auch Mandelkows Einordnung der Hexenverfolgung ins Mittelalter falsch ist. Mandelkow, Karl Robert: Wandlungen des Faust-Bildes, S. 248. Hucke: Faust, S. 678. Für die Übersetzung des Aufsatzes danke ich Shigeko Kobayashi. Kogishi: Das Lied von der Exekution, S. 7 f.
3.2 Ein Gelehrtenstreit als Indiz für fehlendes Wissen
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Der Forschungsstreit zwischen Albrecht Schöne und den Gegnern seiner These wurde an prominenten Stellen publiziert und kommentiert, Schöne hat seine Replik in der dritten Auflage seines Buches abgedruckt.18 Es ist also keineswegs eine irrelevante oder abseitige Kontroverse, sondern eine der bekanntesten innerhalb der Faust-Forschung.19 Der Streit geriet im Ton stellenweise auffallend scharf. Gegner Schönes verstiegen sich sogar zu glattem Hohn, so bemerkte Dieter Borchmeyer unter anderem mit Blick auf Schönes Ausführungen zu den Walpurgisnacht-Entwürfen: „Die Goethe-Philologie präsentiert sich jedenfalls in den letzten Jahren vielfach recht ungeniert als Goethe-Phallologie.“20 Dieser Zynismus verrät eine bemerkenswerte Abwehrhaltung.21 Denn die obszönen Verse, die Goethe als Satansmesse einer Walpurgisnacht konzipierte, haben nicht die Germanisten zu verantworten, die sich berechtigterweise mit diesen Textstellen auseinandersetzen. Die Verse sind ausgesprochen bedeutsam für die Konzeption von Goethes „Faust“. Sie entsprechen der Obszönität frühneuzeitlicher Dämonologien, also wichtigen Quellen für das gesamte Drama. Irritierend ist die Beobachtung, dass nicht wenige „Faust“-Interpreten, die Schönes These zu rezipieren versuchen, ein Hexenprozessopfer mit einer „Hexe“ – im Sinne einer männerverführenden, „bösen“, gesellschaftliche Regeln brechenden Frau – verwechseln, ein eklatanter Fehlschluss, der auch in populärwissenschaftlicher Geschichtsschreibung bis heute anzutreffen ist.22 Dieser Irrtum prägt zum Beispiel die Einwände Christoph Müllers23 gegen Schöne. Müller will eine „Hexenhaftigkeit“ Gretchens verneinen, sucht gleichsam ein Bild von Weiblichkeit auf moralischer Ebene zu verteidigen. Gretchen könne nicht mit dem Hexenwesen in Verbindung gebracht werden, argumentiert er, weil sie als unschuldiger und guter Mensch
Schöne: Götterzeichen, S. 261–265. Maike Oergel bemerkt 2011: „This interpretation remains hotly debated, even though Schöne only suggested that Margarete might be associated with the spere of the witches, not that she actually is a witch.“ Oergel: The Faustian ‚Gretchen‘, S. 47. Borchmeyer: Die geheimgehaltenen Dichtungen, S. 100. Borchmeyer ist nicht der Einzige, der seine Distanz zum „Ungenierten“ betonen will. Auch Dieter Breuer etwa klagt, eine Aufführung der Satansmesse nach den Vorschlägen von Schöne sei „ganz im Sinne des neueren Regietheaters und des Feuilletons, das mit Vergnügen der lüsternen Menge den ‚anderen‘ Goethe präsentieren konnte.“ Breuer: Die Szene „Walpurgisnacht“, S. 51. Vgl. hierzu die bedenkliche Rezeption der Geschichte der Hexenverfolgung durch Ideologen unterschiedlichster Couleur, zusammenfassend dargestellt zum Beispiel bei Behringer: Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung, S. 92–102. Vgl. Müller, C.: „Gretchen als Hexe“?
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3 Die Hexenthematik als Streitfall
dargestellt werde.24 Sie habe eine „grundsätzliche Fremdheit gegenüber der Sphäre des Mephistophelischen“.25 Demselben Missverständnis unterliegt auch Dieter Borchmeyer, der Schönes „Hexenhypothese“ angreift und einen falschen Akzent setzt, wenn er meint, dieser wolle „die Verstrickung Gretchens in Hexensabbat und Satanskult“26 entdecken. (Zur Verknüpfung von dämonologischen Phantasiewelten und real denkbaren Menschenwelten in Goethes „Faust“ vgl. Kapitel 8.4 meiner Arbeit). Auch Borchmeyers Vorwurf, Schöne setze „Gretchens verzweifelte Tötung ihres Kindes umstandslos mit dem Ritualmord an den noch Ungetauften [gleich], der in den Inquisitionsverfahren den Hexen immer wieder zum Vorwurf gemacht worden ist“,27 geht fehl. Denn diese Gleichsetzung erfindet nicht Schöne, sondern sie waren frühneuzeitliche Realität in vielen Hexenprozessen. Beispielhaft wurde in der geschichtswissenschaftlichen Hexenforschung die fatale Verhör- und Argumentationskette zum Beispiel am Fall der „Zeihen Eva aus Kenn“ aufgezeigt.28 Wolfgang Wittkowski bestätigt in seiner echauffierten Kritik an feministisch orientierten Gretchen-Interpretationen, dass die Gleichsetzung von Hexenprozessopfer und „Hexe“ – hier unter anderen Vorzeichen – keineswegs selten ist.29 Unter der Überschrift „Gretchen – eine Hexe?“ führt Wittkowski zahlreiche Untersuchungen auf, die Gretchen hexenhafte Züge zuschreiben. Als Schöne seinen Kritikern antwortete, musste er diese über eine Tatsache informieren, die nicht erst heute bekannt sein sollte: Hexen sind Phantasiegestalten, ein Hexenprozessopfer ist keine Hexe. Aber um Mißverständnisse auszuschließen, hätte ich wohl ausdrücklicher erklären müssen, daß Goethe selber Margarete gewiß nicht für eine Hexe gehalten, sie auch keineswegs als solche ausgegeben hat: ihren Verfolgern vielmehr gibt er Indizien für eine solche Einschätzung an die Hand, und die dem Reich des Bösen zugeordneten Inquisitoren sind es, die mit dem (der geplanten Satansszene folgenden) Hochgericht zweifellos doch das Urteil eines Hexenprozesses an ihr vollstrecken.30
Müller, C.: „Gretchen als Hexe?“, S. 347–364, zur Charakterisierung Gretchens vor allem S. 351–354. Vgl. zum Beispiel auch die Einwände von Kenneth D. Weisinger: The classical facade, S. 69. Müller, C.: Gretchen, S. 356 f. Borchmeyer: Die geheimgehaltenen Dichtungen, S. 105. Vgl. ein ähnliches Missverständnis betonend etwa Bub: Ein einzig rotes Schnürchen, S. 471 f. Borchmeyer: Die geheimgehaltenen Dichtungen, S. 105. Irsigler: Information oder Fiktion. Wittkowski: Gretchen, S. 304–309. Schöne: Götterzeichen, S. 263.
3.2 Ein Gelehrtenstreit als Indiz für fehlendes Wissen
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Auch in seinem Kommentarband zu Goethes „Faust“ hat Schöne klargestellt, die Hochgerichtserscheinung Goethes richte nicht das Opfer eines Hexenprozesses, sondern seine „furchtbaren Richter und Henker“31. Wenn Jochen Schmidt von einer „Teilrevision“32 der Thesen Schönes in der zweiten Auflage von 1993 spricht, so ist diese Wortwahl irreführend. Die späteren Verdeutlichungen berücksichtigen lediglich die Tatsache, dass mit Blick auf die frühneuzeitliche Hexenverfolgung mehr Basiswissen fehlt, als man hätte annehmen sollen. Immer noch beharren viele jüngere Studien auf der merkwürdigen Fehldeutung, was die Wichtigkeit weiterer Klarstellung in dieser Thematik unterstreicht. Dieter Breuer etwa spricht noch im Jahr 2005 starrhalsig von „Schönes Deutung von Gretchen als Hexe“, obwohl er selbst über die Klarstellung Schönes berichtet.33 Ebenso hartnäckig schreibt auch Volkmar Hansen noch im Jahr 2010 über Schönes Gretchen-Deutung: „Dementsprechend ist ihre Gestalt schließlich in die Nähe von Medea gerückt und damit ein Charakterbruch vorausgesetzt worden.“34 Thomas Höffgen zitiert Schöne in langen Passagen besonders irreführend. Obwohl auch er über die Forschungskontroverse berichtet, schreibt er in seiner Dissertation zur Walpurgisnacht im Jahr 2015: „auch Gretchen tritt als eine Art Hexe auf“.35 An anderer Stelle missinterpretiert er, von Schöne ausgehend, in grotesker Weise wie folgt: Seine [Schönes A.U.] Theorie soll im Folgenden besondere Beachtung finden, wenn über Gretchen als „Dritte im Bunde“ debattiert wird – als Hexe, die mit dem Teufelsbündner Faust anbandelt, sich wie die Blocksberg-Hexen in sexuellen Eskapaden ergeht, MehrfachMord begeht und kurz nach der Walpurgisnacht vom Hochgericht getötet wird.36
Die grotesken Züge des Gelehrtenstreites wurden kein Thema in der Germanistik, Hans Reiss etwa äußerte ungetrübtes Lob über Schönes Kritiker: „Even the critics of his arguments (and there have been a number of formidables ones) have paid tribute to the high quality of his writing and the originality of his interpretation.“37 Und selbst Interpreten, die Schönes Untersuchung in Teilen als verdienstvoll erachten, betonen häufig nur die Erkenntnisse zur Dramenstruktur beziehungsweise zur Szenenabfolge, nicht die Bedeutung des Themas Hexenverfolgung. Peter Michelsens Lob ist ein Beispiel hierfür: “Das Verdienst Schönes liegt darin, Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 941. Jochen Schmidt: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 356. Breuer: Die Szene „Walpurgisnacht“, S. 55. Hansen: Satanisches Gefild, S. 228; vgl. ähnlich auch Hartmut M. Kaiser im Jahr 2013: Ist Gretchen eine Kindsmörderin?, S. 39 f. Höffgen: Goethes Walpurgisnacht-Trilogie, S. 104. Höffgen: Goethes Walpurgisnacht-Trilogie, S. 133. Reiss: Rezension, S. 1038.
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3 Die Hexenthematik als Streitfall
daß er erstmalig die Folgerichtigkeit der Paralipomena zur Walpurgisnacht in einer Szenenfolge plausibel gemacht hat [...]“.38 Schönes Untersuchung wurde für eine literaturwissenschaftliche Abhandlung ungewöhnlich populär und erschien in drei Auflagen. Hans Reiss führt dies auf die Eloquenz des Autors zurück.39 Dabei ist es wahrscheinlich, dass auch die Plausibilität von Schönes Untersuchung – gerade hinsichtlich der Hexenthematik der Walpurgisnachtszene – zum Erfolg des Buches beitrug. Das Thema Hexenverfolgung weckt seit Jahrzehnten lebhaftes öffentliches Interesse. Die fachwissenschaftliche Auseinandersetzung um Schönes These eines ursprünglich im Werk angelegten Hexenprozesses zeigt jedoch, ebenso wie ihre spätere Diskussion, eine Ignoranz von historischem Wissen in der Forschung zu Goethes „Faust“ und das Desiderat einer interdisziplinären Zusammenarbeit. Darüber hinaus wirft der Gelehrtenstreit neues Licht auf die Frage, aus welchen Gründen das Thema Hexenverfolgung bis heute mit Blick auf Goethes „Faust“ übergangen wird. Von einem schlichten „Nichtwissen“ ist seit dem Erscheinen von Schönes These und ihrer Kritik in namhaften Publikationen nicht mehr auszugehen. Es muss sich bei einer Faust-Forschung, die den Forschungsstand im Blick behält, um ein Ablehnen, Verdrängen oder auch Leugnen des Themas handeln. Meine Untersuchung wurde unter anderem durch die beschriebenen Vorgänge angeregt. Zur theoretischen Einordnung meiner Studie und ihrer Methodik gibt das folgende Kapitel Auskunft.
Michelsen: Vom Bösen, S. 246. „The reasons for its success are not hard to find: Schöne is a most elegant, careful, imaginative and persuasive writer.“ Reiss: Rezension, S. 1038.
4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise Von andern Seiten her, vernahm ich ähnliche Klänge, nirgends wollte man zugeben, daß Wissenschaft und Poesie vereinbar seien. Man vergaß daß Wissenschaft sich aus Poesie entwickelt habe, man bedachte nicht daß, nach einem Umschwung von Zeiten, beide sich wieder freundlich, zu beiderseitigem Vorteil, auf höherer Stelle, gar wohl wieder begegnen könnten.1
Das Verhältnis von Literatur und Geschichte ist ambivalent und wird sehr kontrovers diskutiert. Wenn man einen interdisziplinären Forschungsansatz verfolgt, der Literaturwissenschaft mit Geschichtswissenschaft konfrontiert, ist daher zu klären, welche Kritik daran naheliegt. Welchen Status hat Literatur als Teil einer Erinnerungskultur? Evident ist eine in der Gedächtnisforschung vertretene Erkenntnis: „Der Gedächtnis-Begriff ermöglicht und erfordert den Dialog. Der Zusammenhang von Kultur und Gedächtnis kann von keiner Einzeldisziplin aus allein bearbeitet werden.“2 Durch starre Fachgrenzen wird das Wissen verknappt. Die Frage aber, warum die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Literaturwissenschaft und Geschichtswissenschaft, auch dann, wenn sie angestrebt wird, offensichtlich schlecht funktioniert, ist schwer zu beantworten. Der Forschungsstand zu vielen historischen Fragen, auch zum Thema Hexenverfolgung, ist unüberschaubar und kann Literaturwissenschaftlern das Gefühl vermitteln, er sei nicht in angemessener Zeit zu erfassen. Ein direkter interdisziplinärer Kontakt, etwa durch entsprechend angelegte Konferenzen, ist eine vielversprechende Möglichkeit, den Austausch anzuregen. Gerade kontroverse Positionen sind ein Gewinn, wie Paul Requadt schon 1964 bemerkte: Innerhalb der allzu friedsam gewordenen neueren Germanistik sollte wenigstens die FaustForschung das Feld bleiben, auf dem man sich polemisch begegnet. Denn nur wenn sich ein stilles Engagement gegenüber dem außerordentlichen Werke erhält, kann das sich regenerierende Faust-Verständnis in die Öffentlichkeit einstrahlen [...].3
Goethe: Zur Morphologie, Erster Band. Münchner Ausgabe, Bd. 12, S. 74. Erll: Kollektives Gedächtnis, 2. Aufl., S. 2. Requadt: Die Figur des Kaisers, S. 153. https://doi.org/10.1515/9783111311258-004
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
4.1 Vorgehen und Kritik: zur Historizität von Literatur [...] deshalb hat das Geschehen mehrere Dimensionen, die sich als ‚Lesarten‘ durch das ganze Stück verfolgen lassen [...]. Alle umgreifend erscheint die Lesart der Geschichtlichkeit, die sich aus dem identifikatorischen, historisierenden und allegorisierenden Blick und der Wahl einer Sage aus der Vergangenheit ergibt: In jeder Dimension der Begebenheit erscheint Gegenwärtiges, Vergangenes und das, was sich in beiden gleich bleibt.4
Die Untersuchung ist wie folgt aufgebaut: Die Verbindungen des Fauststoffes mit der frühneuzeitlichen Dämonologie und der realen Hexenverfolgung sind außerordentlich eng und sollen zu Beginn dargelegt werden. Es zeigen sich prägnante Wechselwirkungen und Austauschbeziehungen des Fauststoffes mit Dämonologien und echten Hexer- und Hexenprozessen: Legendenhafte Berichte über den historischen Faust wurden in Dämonologien und Schriften gegen die Hexenverfolgung ausgelegt und argumentativ verwertet. Diese wiederum prägten weitere literarische Verarbeitungen des Fauststoffes. Die Kenntnis des literarischen Sujets konnte in der frühen Neuzeit auch eine Rolle in realen Hexenprozessen spielen und als Indiz gewertet werden, um die Folter anzuordnen.5 Gerade die Bekanntheit des literarisch verbreiteten Fauststoffes trug wahrscheinlich zum Schicksal mancher Hexenprozessopfer bei, wie es etwa im berühmten Trierer Fall des 1589 hingerichteten Doktor Dietrich Flade angenommen wird;6 sein Prozess wird unter Punkt 6.2 vorgestellt. Umgekehrt wirkte das reale Verfolgungsgeschehen auf dämonologische Argumentationen und literarische Verarbeitungen der Faustsage zurück. Goethes Wissen um die historische Hexenverfolgung soll in Kapitel 7 rekonstruiert werden, da dies zur Deutung seiner Texte beitragen kann. Seine Tragödie „Faust“ spielt zudem eine besondere Rolle als Multiplikator von Hexenimaginationen,7 deren historische Verortung auch deshalb aufschlussreich ist. Vor dem Hintergrund des Hexenglaubens und der frühneuzeitlichen Bedrohungsszenarien offenbart Goethes Text, wie eingangs beschrieben, Spuren der Hexenverfolgung im Werk, die in Kapitel 8 detailliert gezeigt werden. Es ist mit Blick auf manche Szenen ein Vergleich der verschiedenen Fassungen des ersten Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 3, S. 94. Vgl. Füssel, S.: Die literarischen Quellen der Historia, S. 35. Vgl. auch Schwering: Amadis und Faustbuch in den Hexenprozessen, besonders S. 115 f. Frank Baron berichtet: „Die Zeugnisse aus Straßburg, Tübingen und Heidelberg bestätigen die Angst, dass das Faustbuch den Lesern vermitteln würde, was man angeblich alles durch einen Teufelspakt erreichen könnte.“ Baron: Der Mythos des faustischen Teufelspakts, S. 263. Burr: The Fate of Dietrich Flade, S. 46, Anm. 2. Vgl. zur Bedeutung Goethes mit Blick auf die Verbreitung der Imaginationen einer „Walpurgisnacht“ etwa Rost: Hexenversammlung, S. 3, zur internationalen Wirkung, besonders im angloamerikanischen Kulturraum, S. 531.
4.1 Vorgehen und Kritik: zur Historizität von Literatur
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Teils von Goethes „Faust“ vorzunehmen.8 Die Druckfassung des ersten Teils der Tragödie von 1808 wird vor allem mit der 1887 aufgefundenen frühen Fassung, dem oft so genannten „Urfaust“,9 verglichen, dessen einzig erhaltene Abschrift durch Luise von Göchhausen wahrscheinlich 1776 oder 1777 zu datieren ist,10 sowie mit dem 1790 erschienenen „Faust“-Fragment und den zu Goethes Lebzeiten unveröffentlichten Paralipomena zu Goethes „Faust“. Dieser Vergleich ergibt zusätzliche Hinweise auf die Hexenthematik beziehungsweise ihre Umkodierung durch Goethe und führt vor Augen, wie historisch genau die Hexenverfolgung im Werk zur Sprache kommt. Auffallende Entsprechungen ergeben sich, wenn man neben geschichtswissenschaftlichen Analysen auch ausgewählte historische Quellen, vor allem überkommene Akten der Hexenprozesse und hexentheoretische Schriften, mit dem literarischen Text konfrontiert. Das Ziel, durch die Analyse von Spuren der historischen Hexenverfolgung und ihrer dämonologischen Grundlagen mit Blick auf exponierte Passagen im Werk zu neuen Interpretationen zu gelangen, wird auf unterschiedlichen Ebenen erreicht. Die phantastische Welt der Hexen in den Szenen Hexenküche und Walpurgisnacht wird getrennt betrachtet von der dargestellten Menschenwelt Gretchens und der höfischen Welt im zweiten Teil des Dramas. Man kann diese Welten als Ebenen der literarischen Fiktion im Drama unterscheiden, sie zeigen verschiedene Grade der Imagination. Die Analyse des Dramentextes verläuft wie folgt: Zunächst werden die zentralen Figuren Faust und Gretchen hinsichtlich ihrer Prädestination für den Hexereiverdacht betrachtet. Dann ist die Ebene der Phantasiewelten mit den Szenen Hexenküche und Walpurgisnacht zu durchleuchten. Wie schon beschrieben spielen dabei auch die Entwürfe Goethes, insbesondere zur Walpurgisnacht, eine wichtige Rolle. Danach wird die Ebene der Welt Gretchens untersucht, sie weist die meisten Bezüge zur frühneuzeitlichen Hexenverfolgung auf. Die kleine Stadt ist ein Ort der Angst: die strenge soziale Kontrolle, das „Gered“, das nicht nur ein Problem des Rufes ist, sondern in Zeiten der Hexenverfolgung schnell lebensbedrohlich werden kann. Die Tragödie enthält eine Fülle von Hinweisen auf dieses Einen zum Vergleich hilfreichen Paralleldruck der drei Fassungen hat Werner Keller 1985 herausgegeben: Goethe: Urfaust; Faust. Ein Fragment; Faust. Eine Tragödie. Bohnenkamp, Henke und Jannidis edierten als Druckfassung und digital ein Archiv der Handschriften und der zu Goethes Zeit erschienenen textkritisch relevanten Drucke des „Faust“ sowie einen als autornah betrachteten, konstituierten Text des ersten und zweiten Teils als historisch-kritische Hybridausgabe. https:// www.faustedition.net [Stand: März 2023]. Zum Problem dieser Bezeichnung vgl. Schönes Anmerkungen in Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 81–83. Vgl. zur umstrittenen Entstehung und Datierung des Textes zusammenfassend Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 81–83.
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
Szenario. Als Schwerpunkte werden die Nachbarschaft und das Wirtshaus Auerbachs Keller vorgestellt, außerdem das Motiv des Leumunds und die Angst des Bruders Valentin. Als weitere gesellschaftliche Ebene im Werk ist die Welt des Kaiserhofs im zweiten Teil des Dramas zu betrachten, die in ihr präsentierten Magievorstellungen und die hier nachzuweisende kritische Thematisierung von Hexenprozessen. Das Symbol der Glocke ist im gesamten Drama auffallend präsent, es beinhaltet zahlreiche dämonologische Aspekte. Nachdem durch die Auswertung des Forschungsstandes zur Hexenthematik in Goethes „Faust“ auch anhand zahlreicher Einzelbefunde die beredte Leerstelle der Hexenverfolgung gezeigt wird, soll über die Gründe für dieses Schweigen nachgedacht werden (Kapitel 10). Über Goethes Motive für die Umkodierung des Themas in seiner Tragödie kann man spekulieren (vgl. Punkt 10.1). Verfilmungen des Fauststoffes und bildliche Darstellungen zu Goethes „Faust“ geben als eigene Medien der Interpretation bisweilen sehr deutliche Hinweise auf das Thema Hexenverfolgung. Beispiele aus diesen Feldern werden deshalb in die Untersuchung einbezogen, Bildmotive ergänzend zur Textanalyse (Kapitel 8), Filmbeispiele als eigenes, kurzes Kapitel 9. Um Goethes „Faust“ in die Rezeptionsgeschichte der historischen Hexenverfolgung einzuordnen und die Präsenz des literarischen Themas zu zeigen, wird das Werk mit anderen Literaturen verglichen, die zum Teil explizit die Hexenverfolgung behandeln, zum Teil aber auch andere und jüngere Verfolgungsszenarien darstellen. Konstanten des Empfindens von Bedrohung in der Literatur werden durch den Vergleich sichtbar und zeigen die Bedeutung des Themas Hexenverfolgung bis heute (Kapitel 11). Eine historisch orientierte Betrachtungsweise von Literatur birgt Chancen neuer Erkenntnisse, Goethes „Faust“ ist in dieser Hinsicht noch lange nicht ausreichend erforscht. Doch gilt es als Tatsache, „daß das Werk wie kein anderes Anlaß gibt, grundsätzliche Methodenfragen der Kunstinterpretation zu erörtern.“11 Jochen Schmidt beklagt in seinem umfangreichen Gesamtkommentar zu Goethes „Faust“ eine „Enthistorisierung“ des Werkes. Seiner Ansicht nach wurde in den Auseinandersetzungen um das Drama versäumt: „[...] das immer noch enorme Gegenwartspotential des Werks durch historische Reflexion zu vermitteln. Die Folgen sind bis heute spürbar, und der Verlust geschichtlichen Bewußtseins in der Gegenwart verstärkt sie.“12 Allerdings soll mit Blick auf die geschichtlichen Aspekte des Werkes die Gefahr einer verengten Sicht auf Literatur nicht ignoriert werden. Achim Geisenhanslüke spricht folgende Warnung aus:
Matussek: Faust I, S. 371. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 9.
4.1 Vorgehen und Kritik: zur Historizität von Literatur
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Die allzu willige Hinwendung zur Geschichtlichkeit der Texte birgt aber eine doppelte Gefahr in sich, die zum einen in der Auflösung der Spezifität der Literatur im vagen Begriff der Kultur und zum anderen in der Wiedereinführung der traditionellen hermeneutischen Begriffe von Geschichte und Subjekt besteht.13
Geisenhanslüke blickt hier auf einen langen Forschungsdiskurs zurück. Verschiedene kulturwissenschaftliche Positionen distanzierten sich im 20. Jahrhundert von der Vorstellung einer Literatur als Spiegel der Sozialgeschichte, die Autonomie des Kunstwerks wurde betont. Vielstimmig erklingen seit Jahrzehnten Warnungen davor, sich zur Annäherung an literarische Werke, und insbesondere an Goethes „Faust“, auf die Suche nach realen historischen Umständen zu begeben. Wilhelm Emrich zum Beispiel hält im Jahr 1964 eine reduzierte Sicht auf literarische Werke für diachron verbreitet, es handele sich um die: [...] Restaurierung des Gewesenen als Reflex aus dem Werk selbst, der Trug, nun umgekehrt der „Entstehungsgeschichte“ oder gar dem „Geist“ des Werkes beizukommen durch unaufhörliche Reduzierung alles Poetischen auf real geschichtliche „Vorbilder“, all dies, dem Generationen nach Goethe verfielen [...].14
Gegen das Aufspüren der historischen Prägung von Literatur wurden schon seit langem werkimmanente Deutungen ins Feld geführt. Emil Staiger etwa umschreibt die Aufforderung, sich auf den literarischen Text selbst zu konzentrieren, gerade mit Blick auf die magiebezogenen und dämonologischen Quellen zu Goethes „Faust“: Viele Erklärer neigen dazu, bei jeder Gestalt und jedem Vers die älteste Fassung vorzunehmen und Goethes Quellen nachzuschlagen [...] Das entspricht dem Gesetz einer Philologie, die objektiv zu forschen glaubt, aber gerade so ihren eigenen Geist mit dem des Dichters verwechselt, indem sie die historische Gewissenhaftigkeit und Treue, deren sie sich selbst befleißigt, auch seinem Verhältnis zu Büchern zutraut. Bei der Lektüre der Quellen zum ‚Faust‘ geraten wir aber in die Zonen der Theosophie und Alchemie, in eine von Phantastik und verworrener Ahnung erfüllte Welt. So verbindet sich hier mit der Philologie die Wunderund Geheimnislüsternheit, die nie aussterben wird, die immer wieder das Erhellte zugunsten des brauenden Dunkels preisgibt und nicht zufrieden ist, bis abermals alles die eine Nacht verschlingt, aus der sich Geschlechterfolgen mit Kraft zum Licht emporgearbeitet haben. Sie nimmt den Text, den uns der Dichter unterbreitet, nur als Anlaß, um hinter den Wortlaut zurückzugehen; und dort, in den Akten von Hexenprozessen und in barocken Dämonologien, in magisch-kabbalistischen Schriften, glaubt sie das Wesentliche zu finden. Es sei nun freilich nicht bestritten, daß eine solche Wissenschaft uns über vieles Aufschluß gibt und manchmal eine Zeile deutet, die sonst unverständlich bliebe. Doch wird sie der Absicht Goethes als des Schöpfers von „Faust I“ gerecht?15
Geisenhanslüke: Literaturtheorie, S. 133. Emrich: Symbolik, S. 126. Staiger: Goethe, Bd. 2, S. 319 f.
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
Diese Befürchtung, die Staiger auch konkret mit Blick auf die Hexenprozessakten ausspricht, hat sich in der Forschungsgeschichte zu Goethes „Faust“ zum Teil bewahrheitet. Die Hexenthematik wurde tatsächlich einseitig auf ihren phantastischen Gehalt hin betrachtet. Allerdings hat man hier gerade das nicht geleistet, was Staiger vermutet, nämlich eine historisch genaue Auswertung von Goethes Quellen. Das unbefriedigende Ergebnis der Quellenstudien ist gerade auf eine fehlende historische Perspektive zurückzuführen. Allzu oft wurden das mit der Dämonologie verbundene reale Verfolgungsgeschehen und seine sozialgeschichtlichen Dimensionen ignoriert. Ein „Übermaß an Quellenforschung“, das zum Beispiel auch Peter Matussek annimmt,16 ist nicht gegeben. Die Eingebundenheit von Literatur in sozialgeschichtliche Kontexte kann durch die bisherige Quellenbefragung zur Hexenthematik jedenfalls nicht infrage gestellt werden. Schon eher kann die Vermutung aufkommen, dass auf Geschichtswissenschaft gestützte Literaturbetrachtung vielleicht noch in anderen Bereichen mangelhaft ausgeführt wurde. Das Verhältnis von Literatur und Geschichte war, wie die zitierten Beispiele schlaglichtartig zeigen, lange Zeit Teil eines sehr kontroversen Diskurses, der im Rahmen dieser Arbeit nicht nachgezeichnet werden kann. Denn andere kulturwissenschaftliche Positionen, etwa die des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Stephen Greenblatt und weiterer Vertreter des „New Historicism“, die im Folgenden noch zu Wort kommen, differenzierten die Einschätzung sozialer Kontexte von Literatur und betrachteten zugleich Geschichte als Text, Kultur als „narrative Verhandlung“.17 Moritz Baßler hat die Schwierigkeit, vor der die Forschung nun steht, pointiert zusammengefasst: „Die ‚Geschichtlichkeit von Texten‘, Prämisse nicht nur der marxistischen, sondern jeder Art von Literaturgeschichte, zu vereinbaren mit der poststrukturalistischen Prämisse der ‚Textualität von Geschichte‘ – das ist das Problem.“18 In Abkehr von rein werkimmanenten Methoden der Interpretation ist im Umkreis Stephen Greenblatts die Geschichtlichkeit von Literatur19 sehr überzeugend verhandelt worden. Man hat den schon genannten New Historicism20 als eine eigene, wenn auch nicht homogene und oft als ungenau beschriebene Rich-
Matussek: Faust I, S. 371. Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 80. Baßler: Einleitung, S. 8. Zu Unterschieden zwischen New Historicism und Sozialgeschichte vgl. Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 83. Die heute gängige Bezeichnung war umstritten: „Stephen Greenblatt, den man in der literaturwissenschaftlichen Renaissance-Forschung am ehesten mit dem Etikett ‚New Historicism‘ identifiziert, hat dieses jetzt selbst verworfen und bevorzugt ‚Poetik der Kultur‘ [‚Cultural Poetics‘], einen von ihm schon früher benutzten Begriff [...]“. Montrose: Renaissance, S. 63.
4.1 Vorgehen und Kritik: zur Historizität von Literatur
69
tung21 daraus abgeleitet, die eine kulturwissenschaftliche Neuorientierung der Literaturwissenschaft angestoßen hat. Allerdings ist auffällig: Obwohl Greenblatt und der New Historicism als methodische Vorbilder in literaturwissenschaftlichen Studien oft genannt werden, hat man in Textanalysen die vorgeschlagenen Methoden kaum angewandt.22 Dieser Befund gilt auch für die Auseinandersetzung mit Goethes „Faust“. Die theoretischen Prämissen des New Historicism bieten jedoch für die Spurensuche nach frühneuzeitlichen Verfolgungsszenarien in Goethes „Faust“ weiterführende Annahmen. Greenblatt selbst nennt den New Historicism ein „peculiar phenomenon“23 und beschreibt die Vorgehensweise seiner Vertreter als praxisorientiert: „So I shall try if not to define the new historicism, at least to situate it as a practice – a practice rather than a doctrine, since as far as I can tell (and I should be the one to know) it’s no doctrine at all.“24 Vertreter des New Historicism haben das Ziel formuliert, literarische Texte mit einem Teil der „sozialen Energie“25 aufzuladen, die jene zu ihrer Zeit hatten. Die Autonomie literarischer Werke als Kunstwerke soll dabei nicht in Abrede gestellt werden. Genau dieses Ziel erweist sich auch für das Werk Goethes als sinnvoll. Die Nähe zu intertextuell orientierten Deutungsmethoden wird in der Literaturwissenschaft betont: „Texte lagern andere Texte in sich ein und bilden auf diese Weise ein Gedächtnis.“26 Gerade Austauschbewegungen zwischen Texten, literarischen und nicht-literarischen (vgl. hierzu auch Kapitel 6), die in meiner Arbeit beschrieben werden, stehen auch im Fokus des New Historicism. In den Blick geraten dort auch die „Dominanz von
Volkmann: New Historicism, S. 540, zur Kritik am New Historicism vgl. S. 542. Baßler bezeichnet den von ihm wertgeschätzten New Historicism als „notorisch unter-theoretisiert“, Baßler: Die kulturpoetische Funktion, S. 3. Schößler gibt zu bedenken, dass der Bezug auf Greenblatt eine spezifische Methodik erfordere, die jedoch oft nicht eingesetzt werde: „In der Literaturwissenschaft ist Greenblatt inzwischen zu einem Gewährsmann für Lektüren geworden, die den ästhetischen Raum sprengen und außer-literarische Diskurse integrieren. Wird eine kontextuelle Lesart vorgenommen, so kommt gemeinhin sein Name ins Spiel, wobei die präzisen Austauschbewegungen zwischen den Diskursen, wie sie der Neuhistoriker verfolgt, meist unberücksichtigt bleiben.“ Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 91. Eine ungewöhnlich konsequente Anwendung von Methoden des New Historicism bietet Michael R. Ott in seiner 2014 veröffentlichten Dissertation zur „Historia von D. Johann Fausten“. Ott situiert die frühe Verarbeitung des Fauststoffes in einem „Textnetzwerk des späten 16. Jahrhunderts“ und fokussiert dabei, mit explizitem Bezug auf Methoden des New Historicism, „Bezüge und Verknüpfungen von Text und Kontext“, unter anderem auch mit Blick auf die Hexenverfolgung. Vgl. Ott: Fünfzehnhundertsiebenundachtzig. Greenblatt: Towards a Poetics, S. 1. Greenblatt: Towards a Poetics, S. 1. Kaes: New Historicism, S. 254. Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 219.
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
Machtbeziehungen und sozioökonomischen Prägebedingungen“, von denen die Diskurse gezeichnet sind.27 Laurenz Volkmann resümiert diesen Kontext gerade auch bedeutender Werke: Jeder Text ist historisch geprägt; er ist als culture in action nicht allein Abbild der Realität, sondern in ein dynamisches soziokulturelles und ästhetisches, synchron und diachron verlaufendes Interdependenzgeflecht eingebettet (embedded). Bedeutenden Texten bzw. Autoren wird dabei der Status von semiotischen Kraftfeldern eingeräumt.28
Explizit betont Volkmann, „das Verschwiegene, bisher Unterdrückte“ werde wieder aufgespürt, auch „Macht- und Unterdrückungsmechanismen“ sowie „Manifestationen des Bizarren und des Wahnsinns“.29 Es deutet sich in diesen Beobachtungen an, wieso durch die Technik der Kontextualisierung gerade Spuren der Hexenverfolgung sichtbar gemacht werden können. Sowohl in Figurenanlagen und Stimmungen, die das Werk durchziehen, sind Spuren zu lesen, als auch in zahlreichen Details, die in meiner Arbeit detailliert vor allem in Kapitel 8 rekonstruiert werden. Astrid Erll hat die Besonderheit von Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses beschrieben.30 Sie betont: Der Effekt von literarischen Verfahren wie Metaphorik, Intertextualität oder Allegorien ist die Zusammenführung und Überblendung verschiedener semantischer Bereiche auf engstem Raum. Wie alle semiotischen Prozesse in der Erinnerungskultur sind auch die der Literatur stark rezeptions- und kontextabhängig.31
Franziska Schößler fasst die Rede des New Historicism von der „Kultur als Text“32 zusammen und erläutert, wie vielschichtig Greenblatt die Kontextualisierung von Literatur und das Eingehen von Metaphern in Texte betrachtete: „Denkbar ist die unmittelbare Übernahme von Worten, was als Simulation zu bezeichnen wäre, oder aber eine metaphorische bzw. metonymische Aneignung, die mit Verschiebungen arbeitet.“33 Goethes unzählige Modernisierungen und seine teils metaphorische Verarbeitung des Hexenthemas sind in der Forschung – meist ohne dessen Ursprung und seine Kontexte zur Kenntnis zu nehmen – breit diskutiert worden und können in meiner Arbeit nicht in allen Einzelheiten wiedergegeben werden. Diese Umkodierungen und Verschiebungen werden aber durch genaues Lesen der Kultur als
Volkmann: New Historicism, S. 541. Volkmann: New Historicism, S. 541. Volkmann: New Historicism, S. 541. Erll: Kollektives Gedächtnis, 2. Aufl., S. 173–199. Erll: Kollektives Gedächtnis, 2. Aufl., S. 174. Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 92. Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 86.
4.1 Vorgehen und Kritik: zur Historizität von Literatur
71
„Gewebe“ und damit durch die Offenlegung ihrer Kontexte besser verständlich. Hierin liegt die Bedeutung einer derartigen Analyse für das Verständnis von Goethes „Faust“. Die Transformation von dämonologischen Vorstellungen, ihre Abstrahierung und Neuinszenierung, die Goethe auch durch die Überblendung von Zeitschichten im Drama erreicht, ist in der Forschung oft mit Blick auf die jüngeren Zeitebenen betrachtet worden. So werden etwa die Französische Revolution (in der Szene Hexenküche) oder die historische Geldwirtschaft (Mephistopheles Betrug mit Papiergeld), insgesamt politische Machtausübung,34 psychologische Konstitutionen oder die Folgen der Technisierung umfangreich beschrieben. Die Wurzeln der dämonologisch geprägten Szenen und Motive werden aber meist ignoriert. Gerade die älteren sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Kontexte sollen deshalb in meiner Arbeit zentral betrachtet werden. Denn Transformationen kann man nur adäquat beschreiben, wenn man die ursprünglichen Formationen kennt. Schößler warnt davor, ein „monokausales Verhältnis“ zwischen gesellschaftlicher Wirklichkeit und literarischem Werk herzustellen.35 Dieses Problem stellt sich auch, wenn man Goethes „Faust“ in sozialgeschichtlichen Zusammenhängen betrachtet. Das Durchdringen der historischen Hexenverfolgung als Kontext eines frühneuzeitlichen Stoffes birgt die Gefahr, unzählige andere Aspekte von Goethes „Faust“ dabei auszublenden. Erinnert wird man immer wieder an die von Eckermann überlieferte Aussage Goethes: Da kommen sie und fragen: welche Idee ich in meinem Faust zu verkörpern gesucht? – Als ob ich das selber wüßte und aussprechen könnte! [...] Es hätte auch in der Tat ein schönes Ding werden müssen, wenn ich ein so reiches, buntes und höchst mannigfaltiges Leben, wie ich es im „Faust“ zu Anschauung gebracht, auf die magere Schnur einer einzigen durchgehenden Idee hätte reihen wollen. [...] je incommensurabler und für den Verstand unfaßlicher eine poetische Produktion, desto besser.36
Hans Ulrich Gumbrecht hat den Kontrast zwischen zwei gegensätzlichen Positionen der Literaturwissenschaft beschrieben, einer „zähen Referenz-Enthaltsamkeit der Dekonstruktion“37 einerseits und einem teilweise marxistisch geprägten „Vertrauen
Ulrich Gaier hat solche, die Transformation magischer Vorstellungen betrachtenden Deutungen zusammengefasst: „Kritisch analysiert und ins poetische Bild gebracht hat Goethe die den Menschen über seine Möglichkeiten hinaus steigernde Technik, die psychische Projektion, die kollektive Selbsttäuschung mit Papiergeld, die Bewußtseinsveränderung durch Imaginationen, das Ersatzerlebnis in der dafür mißbrauchten Kunst, die Massenbeeinflussung und -manipulation, die Lüge und Umerzählung der Wirklichkeit im Umkreis der Macht“. Gaier: Magie, S. 40. Schößler: Lehr- und Wanderjahre, S. 19. Gespräch mit Johann Peter Eckermann am 6. Mai 1827. Vgl. Gräf: Goethe über seine Dichtungen. Teil II, Bd. 2, S. 394 f. Gumbrecht: Stimmungen lesen, S. 10.
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
auf die Geltung quantitativ-empirischer Forschung“38 andererseits, zu dem eine „gewisse epistemologische Sorglosigkeit“39 hinzugekommen sei. Er empfiehlt einen neuen Weg: Ich glaube nun, dass die Literaturwissenschaft als intellektuelles Kraftfeld von Stagnation bedroht sein wird, solange sie zwischen diesen beiden Positionen verharrt, die als Kontrast und Spannung einander neutralisieren können. Um diese in Ansätzen schon zur Realität gewordene Gefahr zu brechen, brauchen wir ‚dritte Positionen‘. Jene dritte Position in der Ontologie von Literatur, für die ich sehr werben möchte, lässt sich am besten durch das (sehr schwer zu übersetzende) deutsche Wort ‚Stimmung‘ illustrieren. In Analogie zu einem Buchtitel, den mein Kollege Peter Brooks aus Yale vor Jahren erfunden hat – ‚Handlungsorientiert lesen‘ [...] –, möchte ich vorschlagen, dass Literaturinterpreten und Literaturhistoriker heute mehr „stimmungsorientiert“ lesen – nicht zuletzt deshalb übrigens, weil es einem großen Teil der nichtprofessionellen Literaturleser heute, davon bin ich überzeugt, vor allem um Stimmung geht, ohne dass sie sich dessen notwendig bewusst wären (oder sein müssten).40
Dieser Ansatz erscheint auch mit Blick auf eine Neubetrachtung von Goethes Faust vielversprechend. Denn dass die frühneuzeitliche Hexenverfolgung nicht als ein ganz klar fassbares Szenario in Goethes „Faust“ vorgeführt wird, ist offensichtlich. Es geht vielmehr um eine Atmosphäre der Bedrohung, die durchaus diffus ist. Wie das oben genannte Zitat Goethes zeigt, ist das schwer Fassliche ein Postulat des Dichters für poetische Produktionen. Die dennoch präsenten frühneuzeitlichen Bedrohungsszenarien und ihre Umkodierungen herauszuarbeiten, erbringt nicht nur neue Interpretationen, sondern auch weiterführende Einsichten, warum es sich lohnt, die Historizität literarischer Werke, zumindest als ihre Aura, wahrzunehmen.
4.2 Interdisziplinäre Betrachtungsweisen von Goethes „Faust“ und die Konfrontation literarischer Texte mit historischen Quellen Nun fragt es sich aber, ob die gewiß handliche Unterscheidung von fiktionalen und nichtfiktionalen Texten sich an dieser geläufigen Opposition festmachen läßt. Sind fiktionale Texte wirklich so fiktiv, und sind jene, die man nicht so bezeichnen kann, wirklich ohne Fiktionen? Da sich die Legitimität dieser Frage nicht abweisen läßt, regen sich Zweifel,
Gumbrecht: Stimmungen lesen, S. 9. Gumbrecht: Stimmungen lesen, S. 9. Gumbrecht: Stimmungen lesen, S. 10. Gernot Böhme hat ebenfalls explizit dazu angeregt, „Stimmung und Atmosphäre am Beispiel von Margarete in Goethes Faust.“ zu untersuchen, so der gleichnamige Titel seines Aufsatzes.
4.2 Interdisziplinäre Betrachtungsweisen von Goethes „Faust“
73
ob die im ‚stummen Wissen‘ vorausgesetzte Opposition von Fiktion und Wirklichkeit zur Beschreibung fiktionaler Texte noch tauglich ist.41
Für hexentheoretische Texte der frühen Neuzeit ist die Frage nach ihrer Fiktionalität von besonderer Relevanz. Hier mischen sich je nach Autor etwa juristische Ausführungen mit Phantasien, religiöse Lehrmeinungen mit agitatorischen Parolen, abergläubische Zugeständnisse mit aufklärerischen Forderungen. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Hexenverfolgung wird schon angesichts dieser Quellentexte explizit nach interdisziplinären Methoden verlangt. Geschichtswissenschaftliche Publikationen zitieren ihrerseits sehr häufig literarische Texte, ganz besonders Goethes „Faust“, um Hexenimaginationen zu verdeutlichen. Mit der Betrachtung von Text und Kontext42 geht eine Vermischung der Textsorten sowie auch der Zeiten einher, aus denen Quellentexte zitiert werden. In meiner Untersuchung werden neben Quellen des 18. Jahrhunderts als Kontext Goethes auch viele Quellen des 15., 16. und 17. Jahrhunderts hinzugezogen. Sie gehören zum Umfeld des FaustStoffes und haben auch dessen spätere Wahrnehmung geprägt. Dieses Vorgehen entspricht zwar klassischen sozialgeschichtlichen Ansätzen, ist aber – schon allein durch die Verschiedenartigkeit der Quellentexte – durchaus inspiriert von Forderungen des New Historicism, literarische und nicht-literarische Texte diskursiv einzubeziehen. Wie ist es zu erklären, dass literaturwissenschaftliche Abhandlungen zu Goethes „Faust“ aktuelle Untersuchungen zur Hexenverfolgung nur äußerst sparsam oder gar nicht rezipieren? Martin Huber und Gerhard Lauer beobachten, dass der Dialog zwischen Geschichts- und Literaturwissenschaft „– zumindest für die neueren Philologien – weitgehend zum Erliegen“43 gekommen ist: Stichworte wie „Gedächtnis“, „Polykontextualität“, „New Historicism“ oder „Metahistory“, um nur einige zu nennen, verweisen auf den Bedarf, die Abkopplung [...] aufzuheben. [...] Überschneidungsfelder ergeben sich dabei vor allem bei Fragen nach der Textualität von Geschichte und Kultur und den Formen ihrer Beschreibung.44
Die Autoren plädieren auch hinsichtlich weiterer Fächer für mehr Interdisziplinarität der Literaturwissenschaft, man könne insgesamt – sich inzwischen „‚nach
Iser: Das Fiktive und das Imaginäre, S. 18. Vgl. den von Jürg Glauser und Annegret Heitmann 1999 herausgegebenen Sammelband: Verhandlungen mit dem New Historicism. Das Text-Kontext-Problem in der Literaturwissenschaft. Huber, Martin / Lauer, Gerhard: Neue Sozialgeschichte?, S. 6. Huber, Martin / Lauer, Gerhard: Neue Sozialgeschichte?, S. 6 f.
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
der Sozialgeschichte‘“ befindend – auf bewährte Standards sozialgeschichtlicher Ansätze zurückgreifen.45 Es gilt, Wissenskulturen zu integrieren. Doch wurde im Diskurs der Kulturwissenschaften auch eine Gefahr der Interdisziplinarität gesehen. Durch die Kontextualisierung von Literatur sei eine „Deprivilegierung des Literarischen“46 möglich. Tatsächlich muss auch meine Untersuchung durch ihre Fokussierung des gewählten Themas der verschwiegenen Spuren viele, auch bedeutende Seiten des Werkes unbeachtet lassen: viele formale Aspekte47 ebenso wie die unzähligen, ebenfalls wichtigen Deutungen von Szenen, Figuren und Details, die andere Themen betreffen. Beispielhaft seien hier die umfassenden Forschungsdiskurse zum Verhältnis von Faust und Mephistopheles genannt, zum Problem der Theodizee, zur Reflexion der Moderne,48 zu Fragen von Ethos, Schuld und Erlösung sowie zu vielen anderen – auch zahlreichen historischen Aspekten. Eine adäquate Behandlung erforderte jeweils andere, weite Rahmen. Louis Montrose hat das Spannungsfeld von Literatur, Literaturwissenschaft und Geschichte beschrieben; seine Thesen gelten als klassische Formulierungen des „New Historicism“: Die poststrukturalistische Ausrichtung auf Geschichte, die jetzt in der Literaturwissenschaft aufkommt, kann mit einem Chiasmus bezeichnet werden als ein reziprokes Interesse an der Geschichtlichkeit von Texten und der Textualität von Geschichte. Mit der Geschichtlichkeit von Texten behaupte ich die These von der kulturellen Bestimmtheit, der gesellschaftlichen Einbettung jeglicher Art von Geschriebenem – nicht nur der Texte, die Gegenstand der Literaturwissenschaft sind, sondern auch der Texte, in denen wir diese behandeln. Mit der Textualität von Geschichte behaupte ich die These, daß wir erstens keinen Zugang zu einer vollen und authentischen Vergangenheit haben, zu einer gelebten materialen Existenz, die nicht über die überlebenden textuellen Spuren der betreffenden Gesellschaft vermittelt wäre – Spuren, deren Überleben wir nicht für rein zufällig nehmen können, sondern wenigstens teilweise als Folge komplexer und subtiler Bewahrungs- und Auslöschungsvorgänge ansehen müssen; und daß zweitens diese textuellen Spuren selber weiteren textuellen Vermittlungen unterworfen
Huber, Martin / Lauer, Gerhard: Neue Sozialgeschichte?, S. 8. Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. VIII. Vgl. zur Vielfalt der Formgebung und der stilistischen Register in der frühen Fassung des „Faust“ Gerhard Sauders Ausführungen in der Münchner Ausgabe, Bd. 1.2, S.746 f.; sowie zum Reichtum der Versmaße, zu Klang und Rhythmus in „Faust I“ Victor Langes Beschreibung in der Münchner Ausgabe, Bd. 6.1, S. 987 f. Die vielfältigen Eindrücke hierzu resümierend bemerkt etwa Jaeger: „Als Faustautor hat Goethe den Beginn unserer modernen Ära, ihre Ängste und Sehnsüchte, ihre Enttäuschungen und Errungenschaften, literarisch abgebildet und kommentiert.“ Jaeger: Goethes Faust. Das Drama der Moderne, S. 8.
4.2 Interdisziplinäre Betrachtungsweisen von Goethes „Faust“
75
werden, wenn man sie als „Dokumente“ liest, auf die Historiker ihre eigenen, „Geschichten“ genannten Texte gründen.49
Gerade weil es sich bei Goethes „Faust“ um ein zentrales Feld der germanistischen Forschung handelt, sind hier gewonnene Erkenntnisse zu verschwiegenen Spuren auf andere Literaturen übertragbar. Nicht nur die Frage nach einer eventuell im „Faust“ verarbeiteten historischen Wirklichkeit rechtfertigt eine interdisziplinäre Methode der Annäherung. Auch der Blick auf den Umgang eines kollektiven Gedächtnisses mit einer der gravierendsten europäischen Menschenverfolgungen erfordert die fachübergreifende Arbeitsweise und ist ein Ziel meiner Arbeit. Vor allem in der öffentlichen Präsentation geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisse ist seit geraumer Zeit eine Fachgrenzen überschreitende Methodik zu beobachten. Die Ausstellung des Musée d’Histoire de la Ville de Luxembourg im Jahr 2000 vermittelte beispielsweise mit dem Theater entliehenen Techniken sowie mit Textauszügen ganz unterschiedlicher Herkunft die Durchdringung des Alltags von Hexenangst. Gerade deren verdeckte Wirkungskraft wurde so beleuchtet, wie es sonst eher durch literarische Verarbeitungen gelingt.50 Vertreter des „New Historicism“ haben eine ähnliche kulturelle Textur, ein Gewebe von Zitaten, für literarische Texte beschrieben. Stephen Greenblatt formulierte es bildhaft: „Am Anfang stand der Traum vom Gespräch mit den Toten, den ich noch immer nicht aufgegeben habe. Der Fehler bestand darin, mir eine einzelne Stimme vorzustellen [...]“.51 Texte ganz verschiedener Art können zum Verständnis nicht nur von Geschichte, sondern auch von literarischen Texten beitragen, sie sind oft enger miteinander verbunden, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Der New Historicism begreift Geschichte somit als einen vitalen Komplex; Moritz Baßler resümiert diese Sichtweise wie folgt: Der New Historicism hat sich dagegen vorgenommen, sozusagen das Mikroskop auf das aus Diskursfäden gesponnene dichte Gewebe der Kultur bzw. Geschichte zu richten und einzelne Fäden daraus zu verfolgen, um jeweils ein Stück Komplexität, Unordnung, Polyphonie, Alogik und Vitalität der Geschichte zu rekonstruieren [...].52
Stephen Greenblatt hat versucht – vor allem mit Blick auf Shakespeare – dem Bild des isoliert schaffenden Künstlers die gesellschaftliche Energie seiner Zeit entgegenzusetzen.53 Die Eingebundenheit von Dichtern und literarischen Werken in dieses
Montrose: Renaissance, S. 67. Vgl. zur Ausstellung in Luxemburg den wissenschaftlichen Katalog von Voltmer / Irsigler: Incubi. Succubi. Greenblatt: Verhandlungen mit Shakespeare, S. 32 f. Baßler: Einleitung, S. 15. Greenblatt: Verhandlungen mit Shakespeare, S. 14.
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
„Gewebe“ ihrer Zeit nachzuempfinden, ist eine schwierige Aufgabe; ein Bewusstsein für diese Schwierigkeit zu entwickeln, ist ein erster Schritt der Annäherung. Methoden des New Historicism sind gerade mit Blick auf Goethe, der in unzähligen Diskursen seiner Zeit stand, bedenkenswert. Vincent J. Günther ist der Ansicht: „Goethe hätte wohl kaum verstanden, daß man sich mit dem Werk eines Menschen beschäftigte, ohne zuvor dessen Zeit und das Wechselverhältnis, in dem Werk und Zeit gestanden sind, zu untersuchen.“54 Bemerkenswerterweise ist von Goethe selbst eine ähnliche Ansicht überliefert, und seine eigenen Studien werden als Bemühen um eine historische Kontextualisierung beschrieben.55 An Carl Friedrich Zelter schrieb Goethe 1828: Wenn man sich nur halbwege den Begriff von einem Menschen machen will, so muß man vor allen Dingen sein Zeitalter studieren, wobei man ihn ganz ignorieren könnte, sodann aber, zu ihm zurückkehrend, in seiner Unterhaltung die beste Zufriedenheit fände.56
Wie dringend nötig eine verstärkte Zusammenarbeit der geschichts- und literaturwissenschaftlichen Forschung noch heute ist, zeigt sich am Beispiel des Themas Hexenverfolgung besonders deutlich. Die aktuellen Ergebnisse der geschichtswissenschaftlichen Hexenforschung57 sind für das Verständnis vieler Passagen in Goethes „Faust“ von unmittelbarer Bedeutung. Vice versa gibt eine Analyse der umfangreichen Diskussion des Dramas signifikante Hinweise zur Rezeptionsgeschichte der Hexenverfolgung und der sie betreffenden Forschungsliteratur. Diese ist auch für die Geschichtswissenschaft von erheblichem Interesse. Nicht umsonst bemerkt Baßler, wer New Historicism betreiben wolle, brauche vor allem ein gutes Archiv.58 Stephen Greenblatt hat den Umgang der For Günther: Repräsentant der Aufklärung, S. 7. „Auch seine [Goethes] eigenen Studien zu Biographien zeigen sein Vorgehen. Winkelmann und sein Jahrhundert zeigt schon im Titel an, daß es ihm nicht allein um die Person oder gar um ihr Werk geht, auch seine Anmerkungen zu der Übersetzung der Autobiographie von Benvenuto Cellini geben von seinem Bemühen Zeugnis, dessen Werk in den Kontext der Zeit zu stellen.“ Günther: Repräsentant der Aufklärung, S. 7. Brief an Carl Friedrich Zelter vom 9. August 1828. Münchner Ausgabe, Bd. 20.2, S. 1145–1148, hier S. 1146. Zur zwar gewöhnungsbedürftigen, aber prägnanten Bezeichnung „Hexenforschung“ als Beschreibung interdisziplinärer Studien vgl. Behringer: Geschichte der Hexenforschung, S. 485. „[...] Zugang zu großen, Fach- und Gattungsgrenzen überschreitenden Textsammlungen (idealerweise in digitaler Form). Ein erstes kulturwissenschaftliches Moment liegt ganz simpel schon in der Erweiterung des zu bearbeitenden Textkorpus kanonischer literarischer (und philosophischer) Texte um möglichst viele andere Texte der jeweiligen Kultur: religiöse, politische, medizinische, juristische und andere Traktate, populäre, wissenschaftliche, offizielle und esoterische Schriften, Briefe, Tagebücher, Übersetzungen, Zeitungen, Werbung. Idealerweise gehört eigentlich alles, was sich an Schrifttum in einem Synchronschnitt durch eine Kultur finden läßt, zu
4.2 Interdisziplinäre Betrachtungsweisen von Goethes „Faust“
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schung mit Quellen und Entlehnungen von Dichtern kritisiert. Er blickt dabei noch einmal auf die Forschungsgeschichte zurück: Unbeantwortet blieb jedoch bis heute die Frage nach deren Bedeutung, ja bis vor kurzem hat man sich diese Frage noch nicht einmal gestellt. Der alte Historismus und die neue Kritik hatten sich auf ein Modell der Quellenforschung geeinigt, das über viele Jahre hinweg solch eine Fragestellung blockierte. Zwischen einem freischwebenden, autonomen, ungebundenen und von einem einsamen Genie erschaffenen Kunstwerk wie König Lear und seinen Quellen besteht diesem Modell zufolge eine rein akzidentelle Beziehung: die Quellen gestatten uns einen Blick auf das ‚Rohmaterial‘, das der Künstler zu gestalten wußte. Insoweit dieses „Material“ überhaupt ernst genommen wird, betrachtet man es als Bestandteil des „historischen Hintergrunds“, eine Wendung, die die Geschichte zu einem dekorativen Schauplatz oder zu einer handlichen, gut ausgeleuchteten Schublade degradiert. Sobald jedoch die Unterscheidungen ins Wanken geraten, auf denen dieses Modell beruht, muß sich auch an der Quellenforschung zwangsläufig etwas ändern: Geschichte kann nicht länger als feststehende Antithese oder als beständiger Hintergrund dem literarischen Text entgegengesetzt werden, und die ängstliche Isolierung dieser Texte muß einem Sinn für deren Interaktion mit anderen Texten und für die Durchlässigkeit ihrer Grenzen weichen.59
Franz Neubert, der schon 1932 das Thema Hexenverfolgung und Dämonologie im Zusammenhang mit dem Fauststoff erwähnt, weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich lohne, sich mit Teufels- und Aberglauben auseinanderzusetzen, um die Faustsage einordnen zu können: das heißt, wenn man den „Geist der Zeit“ sowie „das Volksbuch und seinen Erfolg“ verstehen wolle.60 Um derartige komplexe Textbeziehungen zu eruieren, sind starre Textabgrenzungen, die schon Stephen Greenblatt kritisiert hat, zu hinterfragen. Dabei gerät, wie es Franziska Schößler schildert, auch die Metaphorik und Poetik von Geschichtsschreibung in den Blick: Es ergeben sich also komplexe Bezüge zwischen Literatur und Historiographie, wird diese als narrative Konstruktion aufgefasst, ebenso zwischen literarischen und wissenschaftlichen Texten als rhetorischen Ensembles. [...] Die nicht metaphorisch gemeinte Formulierung „Kultur als Text“ stellt ein tertium comparationis zur Verfügung, das die Grenze zwischen den Diszi-
jenem umfassenderen kulturellen Text, der zugleich für jeden Einzeltext potentieller Kontext ist. In einem weiteren Sinne – die Praxis der New Historicists jedenfalls zeugt davon – zählen auch kulturelle representations wie Bilder, Karten, Musik, Architektur, Fotografien und andere überlieferte Zeugnisse dazu.“ Baßler: Textualität, S. 298 f. Greenblatt:Verhandlungen mit Shakespeare, S. 125. Neubert beschäftigt sich an dieser Stelle mit Hermann Witekind (Pseudonym: Augustin Lercheimer), einem Gegner der Hexenprozesse: „Es lohnt sich, ehe wir auf die Fauststellen eingehen, einige Gedankengänge seines Buches hervorzuheben, die für den Geist der Zeit, aus dem wir die Faustsage, das Volksbuch und seinen Erfolg verstehen müssen, charakteristisch sind.“ Neubert: Doctor Faustus, S. XVII.
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
plinen durchlässig macht: Jedes Wissen ist textuell, ist rhetorisch-narrativ organisiert und damit vergleichbar.61
Welche Quellen und welche geschichtswissenschaftlichen Studien bieten sich – abgesehen von den dämonologischen Quellen Goethes – an, um Spuren der historischen Hexenverfolgung in Goethes „Faust“ herauszuarbeiten? Grundlegende allgemeine Darstellungen zum Thema werden in der folgenden Untersuchung mit Goethes Werk konfrontiert, aber auch ausgewählte Detailstudien, die bestimmte Szenen und Figuren des Dramas erhellen können. Ein besonderes Interesse gilt Untersuchungen zur Rezeption und zur literarischen Verarbeitung des Themas Hexenverfolgung. Auch rechts- und sozialgeschichtliche Darstellungen zu dem – Hexereivorwürfen oft benachbarten – Delikt „Kindsmord“ und Untersuchungen zu seiner Rezeption werden hinzugezogen. Neben edierten dämonologischen Quellen wie etwa Heinrich Kramers „Hexenhammer“ und bestimmten frühneuzeitlichen Abhandlungen zur Hexenverfolgung sind auch konkrete Fallbeispiele von Hexenprozessen aufschlussreich, wenn man sie zum Beispiel mit der Faustfigur vergleicht. Studien des langjährigen Forschungsprojektes zu „Zauberei- und Hexenprozessen im Maas-Rhein-Moselraum“ konnten auf einer breiten Quellenbasis aufbauen, auf die auch in der folgenden Untersuchung stellenweise zurückgegriffen wird. Der praktizierte Ansatz der vergleichenden Landesgeschichte setzt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit als grundsätzlich erforderlich voraus. Man strebt danach, Kulturräume vielschichtig zu erfassen,62 und diese erweiterte Sicht kann anregend sein für die Literaturbetrachtung in historischen Kontexten (vgl. hierzu auch Punkt 2.3.1). Stephen Greenblatt beschrieb die Intensität, mit der Literatur in die Vergangenheit führen kann: Es ist paradox, den lebendigen Willen der Toten ausgerechnet in der Dichtung aufspüren zu wollen, an Orten also, wo niemals ein leibhaftiges, lebendiges Wesen zugegen war. Doch wer die Literatur liebt, wird leicht in ihren Stimulationen – ihren formalen, absichtsvollen Nachahmungen des Lebens – eine weit größere Intensität entdecken als in jeder anderen von den Toten hinterlassenen Textspur [...].63
Wenn Goethe etwa Gedanken Gretchens oder Valentins darstellt, interpretieren Rezipienten diese auch unter geschichtlichen Vorzeichen. Oft prägen literarische Fiktionen stärker als historische Quellen ein Bild, das sich spätere Generationen von der Vergangenheit machen. Mit Blick auf die Kindsmordthematik ist dieses Phäno-
Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 107. Irsigler: Landesgeschichte, S. 35. Greenblatt: Verhandlungen mit Shakespeare, S. 9.
4.2 Interdisziplinäre Betrachtungsweisen von Goethes „Faust“
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men schon untersucht worden: Historische Quellen geben Hinweise auf Moralvorstellungen, etwa auf die Akzeptanz unehelicher Schwangerschaften, die von den in literarischen Werken gezeigten sehr stark abweichen.64 Wenn die Literaturwissenschaft eine Figur wie Gretchen in einem historischen Kontext zu deuten versucht, stellt sie Vermutungen auf, zum Beispiel über die Wertvorstellungen und Ängste bestimmter Bevölkerungsschichten. Vergleicht man diese Deutungen mit Zeugnissen der Zeit, kann neues Licht auf manche scheinbar klare Situation im Werk fallen. So ist, um nur ein Beispiel zu nennen, die Stigmatisierung Gretchens im Drama vielschichtiger begründet als allein durch ihr außereheliches Verhältnis zu Faust und die daraus resultierende Schwangerschaft. Vielmehr sprechen aus Goethes Figuren noch ganz andere frühneuzeitliche Ängste. Sie bezeugen ein Klima der Denunziation und Verfolgung. Sowohl für Goethes Lebenszeit als auch für die damals noch relativ nahe Zeit seiner Gretchentragödie kann eine größtmögliche Annäherung an die sozialen Kontexte den Blick für diese Umstände schärfen. Was historische Quellen über das Denken der Menschen – insbesondere der Menschen, die nicht selbst schreiben konnten – transportieren, ist dann auch für die Deutung des literarischen Werkes von Belang.65 Für meine Untersuchung sind Hexenprozessakten selbstredend von besonderem Interesse. Gerade mit Blick auf Ketzer- und Hexenprozesse gilt es, die schwierige Frage der Glaubhaftigkeit von Aussagen im Blick zu behalten, insbesondere wenn sie unter der Folter entstanden und im Kontext erzwungener „Geständnisse“ stehen. Franz Irsigler hat das „Lesen zwischen den Zeilen“ von Hexenprozessakten an Beispielen veranschaulicht und verschiedene Aktentypen charakterisiert.66 Akten der Hexenprozesse geben unter Berücksichtigung der Quellenkritik Einblicke in das Alltagsleben einfacher Schichten und in das Denken von Menschen, das in nur wenigen anderen historischen Quellen dokumentiert ist. Immer wieder erscheinen zwischen den stereotypen Aussagen in Hexenprozessen individuelle Färbungen, die von der dokumentierten Sprache der Notare und Gerichtsschreiber Vgl. hierzu besonders die Punkte 8.3.2 und 8.3.4. Die Schwierigkeit, Quellen zur Sichtweise nicht- oder wenig schreibkundiger Schichten auszuwerten, wurde in der Geschichtswissenschaft oft betont und es wurde auf die Verzerrungen hingewiesen, die durch die schreibkundigen Vermittler der Vergangenheit entstehen. Über die von ihm untersuchten Hexenprozesse bemerkte der Sozialhistoriker Carlo Ginzburg: „Diese Prozesse erscheinen uns nicht nur voller Wiederholungen, sondern auch [...] monologischer Natur, insofern die Antworten der Angeklagten im allgemeinen nur ein Echo auf die Fragen der Inquisitoren bilden. Trotzdem sehen wir uns in einigen außergewöhnlichen Fällen einem wirklichen Dialog im eigentlichen Sinne gegenüber: Wir nehmen unterschiedliche, verschiedene oder sogar einander entgegengesetzte Stimmen wahr.“ Ginzburg: Inquisitor, S. 209. Irsigler: Information oder Fiktion, S. 9.
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
abweichen.67 Sie führen in Mentalitäten der Vergangenheit zurück, die wiederum – wie es in meiner Studie geschehen soll – die Konzeption von Dramenfiguren im Resonanzraum der Literatur erhellen.
4.3 Goethes „Faust“ als „Theatrum Memoriae“ Gerade weil Faust das Drama der Moderne ist, ist es auch ein Drama über kulturelles Gedächtnis und Geschichtsbewusstsein.68
Helmut Schanze beschreibt die spezifische Erinnerungsfunktion von Dramen: „Erinnernde Vergegenwärtigung leistet das Theater selbst in einem besonderen Sinn, als Kunstanstalt.“69 Gerade Goethes „Faust“ wird von Schanze ein „Theatrum Memoriae“70 genannt. Dies ist sicher richtig, auch wenn Teile der Erinnerung in der Rezeption ausgeblendet wurden. Welche Aufgaben die Literaturwissenschaft im Sinne einer „Gedächtniswissenschaft“ nach Astrid Erll haben kann, wird unter Punkt 11.6 nochmals überlegt. Sie warnt in einer Überblicksdarstellung zum Thema des kollektiven Gedächtnisses, vor einem „memory-Boom“; man habe es heute mit „einer Vielzahl von Begriffen und Konzepten zu tun [...], deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede keinesfalls klar sind.“71 Die Funktion des Vergessens wird in kulturgeschichtlichen Studien dem Erinnern gegenübergestellt.72 Und das Vergessen hat auch Goethe in seinem „Faust“ zum Thema gemacht, was in der Forschung oft behandelt wurde.73 Hartmut Reinhardt etwa beobachtet, wie der „Verlust der ‚Gedächtniskultur‘ als Thema des gesamten Faust II“74 wahrgenommen wird. Faust nimmt zu Beginn des zweiten Teils der Tragödie ein Bad im Tau aus Lethes Flut (4629). Lethe, in der griechischen Vgl. etwa die umfangreichen Quelleneditionen und -studien von Macha / Herborn: Kölner Hexenverhöre aus dem 17. Jahrhundert; Macha: Deutsche Kanzleisprache in Hexenverhörprotokollen der Frühen Neuzeit, sowie Hille: Der Teufelspakt in frühneuzeitlichen Verhörprotokollen. Wellerby: „Faust“ und die Dialektik der Moderne, S. 691. Johannes Anderegg sieht „Geschichtsund Zeitbewusstsein“ vor allem in der Figur des Mephistopheles repräsentiert. Anderegg: Goethes Faust lesen, S. 36. Schanze: Goethes Dramatik, S. 1. Schanze: Goethes Dramatik, S. 5. Erll: Kollektives Gedächtnis, 2. Aufl., S. 5. Eine trennscharfe Abgrenzung der Forschungsrichtungen innerhalb dieses sehr rasch gewachsenen Forschungsfeldes „Gedächtnis“ kann deshalb auch im Rahmen meiner Arbeit nicht geleistet werden. Smith / Emrich: Vom Nutzen des Vergessens. Vgl. zu diesem Motiv etwa Weinrich: Lethe, S. 154–160 und Weinrich: Dante und Faust. Reinhardt: Die kleine und die große Welt, S. 347.
4.3 Goethes „Faust“ als „Theatrum Memoriae“
81
Mythologie ein Fluss der Unterwelt, bewirkte, wenn die Seelen Verstorbener einen Schluck davon tranken, das Vergessen alles Erlebten.75 Auch Faust darf das grauenhafte Schicksal Gretchens, das in der früheren Anlage vielleicht als Hexenprozess gedacht war, vergessen; Goethe stellt dies als psychologisch heilend dar. Rüdiger Safranski spricht von Fausts „Schlaf des Vergessens, der manchen Faust-Interpreten seitdem den Schlaf raubt.“76 Er fragt angesichts dieser Szene: „Was bedeutet Vergessen? Vergessen ist die Kunst, dort neue Anfänge zu finden, wo eigentlich keine sind. Goethe war ein Meister solcher neuen Anfänge.“77 In der Szene Anmutige Gegend singt der Luftgeist Ariel zu den Geistern: Die ihr dies Haupt umschwebt im luftgen Kreise, Erzeigt euch hier nach edler Elfen Weise, Besänftiget des Herzens grimmen Strauß, Entfernt des Vorwurfs glühend bittre Pfeile, Sein Innres reinigt von verlebtem Graus. Vier sind die Pausen nächtiger Weile, Nun ohne Säumen füllt sie freundlich aus. Erst senkt sein Haupt aufs kühle Polster nieder, Dann badet ihn im Tau aus Lethes Flut, Gelenk sind bald die krampferstarrten Glieder, Wenn er gestärkt dem Tag entgegen ruht. Vollbringt der Elfen schönste Pflicht Gebt ihn zurück dem heiligen Licht. (4621–4633)
Die Wirkung des Vergessens ist auch bedeutsam mit Blick auf die Erinnerung an Hexenverfolgung. Ein Durchdringen des Verfolgungsgeschehens ist schmerzhaft und führt menschliche Abgründe vor Augen. Vielleicht ist Fausts heilendes Vergessen unter anderem ein Bild, das dem realen kollektiven Umgang mit der Erinnerung an Hexenverfolgung nahekommt. Ein geruhsames Vergessen und Verdrängen des Themas zeigt sich in der literaturwissenschaftlichen Rezeption des Dramas beispielhaft. Auf Fausts Vergessen hat Dieter Borchmeyer Bezug genommen und demgegenüber die Erinnerungsfunktion des Dramas betont: „In paradoxer Spannung zu dieser Erinnerungsträchtigkeit von Goethes Lebenswerk ist seine Titelgestalt, ist Faust jedoch der große Vergesser!“78 Borchmeyer nennt Goethes Drama eine „Schatzkammer des kulturellen Gedächtnisses“ und sieht hierin „eine Gegenkultur zum zunehmenden Verschwinden der Mnemosyne aus der modernen Zivilisa
Vgl. auch die Anmerkungen von Schöne. Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 405 f. Safranski: Goethe, S. 620. Safranski: Goethe, S. 620. Borchmeyer, Dieter: Goethes Faust: der große Vergesser, S. 87.
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
tion“.79 Goethes „Faust“ als „Theater der Erinnerung“ trete Faust entgegen „als dem Repräsentanten einer mehr und mehr ihr Gedächtnis löschenden Zivilisation“.80 Um die Schatzkammer des literarischen Gedächtnisses aufzuschließen und die Gedächtniskunst zu praktizieren, sollte die Literaturwissenschaft Hilfen bereitstellen. Der Autor Goethe wie auch sein Werk werden heute zu den „Erinnerungsorten“ gezählt, den Elementen der Vergangenheit, die nach dem von Pierre Nora geprägten Konzept der „lieux de mémoire“, das kollektive Gedächtnis sozialer Gruppen konsolidieren. Gemeint sind damit „Kristallisationspunkte nationaler Vergangenheit“.81 Astrid Erll definiert diese als „loci im weitesten Sinne“; sie können „geographische Orte, Gebäude, Denkmäler und Kunstwerke ebenso umfassen wie historische Persönlichkeiten, Gedenktage, philosophische und wissenschaftliche Texte oder symbolische Handlungen.“82 Michel Margue und Sonja Kmec beschreiben „Erinnerungsorte“ als lebendige Elemente der Vergangenheit mit symbolischer Kraft, die Identifikation ermöglichen: Ce qui aux yeux de son ‚inventeur‘ Pierre Nora n’était à l’origine qu’une métaphore assez floue et donc d’un usage large, s’est progressivement affiné comme concept au fil des réflexions critiques. Le ‚lieu de mémoire‘ n’est pas un ‚lieu‘ au sens géographique du terme. Il s’agit d’un élément de passé, mais d’un élément vivant du passé. Il vit ou survit parce qu’il est entré dans la mémoire collective par le fait qu’il dispose d’une force symbolique qui permet à cette collectivité de s’y reconnaître. Elément concret ou abstrait, il donne à cette collectivité une force constitutive et une capacité d’intégration qui forment justement les critères pour son accession à la catégorie des ‚lieux de mémoire‘.83
Es kann zunächst widersprüchlich erscheinen, dass die Einordnung von Goethe und seinem „Faust“ unter die deutschen „Erinnerungsorte“ auf der anderen Seite eine Wahrnehmung von Spuren dunkler Themen im Werk erschwert. Die Gründe dafür sind in der Rolle von Autor und Werk als Identitätsstützen zu suchen, dies wird unter Punkt 10.2 diskutiert. Goethe hat selbst die explizite Thematisierung der Hexenverfolgung an bestimmten Stellen vermieden, seine Interpreten haben dieses Herausschreiben als Möglichkeit der Verdrängung bereitwillig fortgeführt.
Borchmeyer: Goethe. Der Zeitbürger, S. 358 f. Borchmeyer: Goethes Faust: der große Vergesser, S. 92. Erll: Lieux de mémoire / Erinnerungsorte. Erll: Kollektives Gedächtnis, 2. Aufl., S. 25. Margue / Kmec: Lieux de mémoire, S. 6.
4.4 Goethes Geschichtskonzeption und seine Wahrnehmung als politisch Handelnder
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4.4 Goethes Geschichtskonzeption und seine Wahrnehmung als politisch Handelnder Tiefe Gemüter sind genötigt, in der Vergangenheit so wie in der Zukunft zu leben.84
Fragen nach historischen Perspektiven Goethes und nach seiner Geschichtskonzeption werden in der Sekundärliteratur sehr oft diskutiert. Eine autorzentrierte Betrachtung kann ein Ausgangspunkt der Spurensuche im Werk sein. Einzelne Schaffensphasen des Dichters wurden mit Blick auf seine Neigungen zum Historischen unterschieden.85 Gerade zu Goethes „Faust“ wird immer wieder bemerkt, das Werk sei „von einem einmaligen Geschichtsbewusstsein seines Autors geprägt“.86 Der Dichter stand damit im Kontext eines sich in seiner Zeit entwickelnden historischen Interesses. In „Faust I“ konstatiert Werner Keller eine „implizite Geschichtlichkeit“ und nennt „die ästhetische Qualität [...] von der historischen Dimension nicht ablösbar“.87 Goethe selbst schrieb, er „empfinde gewissermaßen leidenschaftlich, welche Pflicht es ist, das was für ewig verschwunden scheint, in der Erinnerung aufzubewahren.“88 Hinsichtlich der Frage, wie Goethe über Geschichte denkt, liegt es für Gernot Böhme nahe, „[...] als erstes auf den Vanitas-Gedanken hinzuweisen. Für Goethe ist Geschichte eigentlich ein Prozess der Vergeblichkeiten.“89 Die Grenzen einer Erkenntnis des Vergangenen bringt Goethe in seinem „Faust“ klar zu Sprache. In der Szene „Nacht“ formuliert er in einem Dialog zwischen Faust und dem Famulus Wagner dessen Wunsch, Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen (571). Fausts Antwort fällt ernüchternd aus: Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln; Was ihr den Geist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren eigner Geist, In dem die Zeiten sich bespiegeln. (575–579)
Goethe: Dichtung und Wahrheit. Münchner Ausgabe, Bd. 16, S. 299. Vgl. zum Beispiel Emrich: Symbolik, S. 112. Henning: Goethes Faust als Epochendichtung, in: Faust-Variationen, S. 241–257, hier S. 252. Keller, W.: Faust. Eine Tragödie (1808), S. 278. Brief an Philipp Hackert vom 4. April 1806. Frankfurter Ausgabe, Abt. II, Bd. 6, S. 47–49, hier S. 48. Böhme: Goethes Faust als philosophischer Text, S. 193. Vgl. auch Weinrich: Dante und Faust, S. 129.
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
Derartige Zweifel muten modern an, sie enthüllen eine narzisstische Spiegelung. Unstreitig ist aber die Fähigkeit Goethes, sich tief in geschichtliche Situationen hineinzuversetzen. Bekanntheit erlangte Goethes Äußerung in einem Brief an Wilhelm von Humboldt vom 1. Dezember 1831: „[...] daß in meinen hohen Jahren, mir alles mehr und mehr historisch wird: ob etwas in der vergangenen Zeit, in fernen Reichen, oder mir ganz nah räumlich im Augenblicke vorgeht, ist ganz eins, ja ich erscheine mir selbst immer mehr und mehr geschichtlich“.90 Der Historiker Barthold Georg Niebuhr, ein Zeitgenosse Goethes, schrieb über ihn: Der jugendliche Goethe gehörte auch mehr in das Rom des fünften Jahrhunderts der Stadt als in Das der Cäsaren, mehr in das Deutschland Luthers und Dürers als in Das des achtzehnten Jahrhunderts, mehr in Dantes und Boccacios Florenz als in Das Ferdinands des Dritten. Oder vielmehr: er gehörte dort ganz hin, als er „Faust“ und „Götz“ und seine Lieder sang.91
Die Äußerungen stehen im Kontext eines sich neu entwickelnden Geschichtsbildes, beeinflusst unter anderem durch Herders geschichtsphilosophische Ideen, die auch als grundlegend für den späteren Historismus gelten. So erscheint das Vermögen Goethes, Vergangenes wieder aufleben zu lassen, zwar in den Beschreibungen der Sekundärliteratur nicht frei von Projektionen. Seine spezifische Fähigkeit in der Verarbeitung historischen Wissens ist aber auch später oft hervorgehoben worden. Der Dichter selbst lobte die Nähe von Künstlern zu Geschichtssituationen, ihre Identifikation: Ist des Künstlers Imagination so wahr, eine Geschichtssituation als Mensch zu fühlen, wird er sie fühlen, als wärs in seiner Gegenwart, in seiner Heimat geschehen; und die unbedeutenden oder vielbedeutenden (wie mans nimmt) Nebensachen, werden in seiner Seele all inländisch seyn.92
Goethes Wissen um historische Atmosphären – die zeitlich nicht klar zugeordnet sein müssen – wird auch im „Faust“ sehr deutlich. So prägt auch die Hexenverfolgung als latent mitgeführtes Wissen das Werk, obschon ein Hexenprozess in der Druckfassung des Dramas nicht ausgeführt wird und somit nicht direkt sichtbar ist. Ängste und diffuse Bedrohungen durchziehen aber die frühneuzeitlichen Szenarien. Dass Goethe sich mit Hexenprozessen beschäftigte, ist durch seine Paralipomena zu „Faust“ und durch eine Reihe seiner eigenen Äußerungen belegt.
Brief an Wilhelm von Humboldt vom 1. Dezember 1831. Frankfurter Ausgabe, Abt. II., Bd. 11, S. 493–496, hier S. 494 f. Brief von Barthold Georg Niebuhr an Friedrich Karl von Savigny vom 16. Februar 1817. Bode: Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen, Bd. 3, S. 16–21, hier S. 18. Fischer-Lamberg: Der junge Goethe, Bd. 3, S. 84.
4.4 Goethes Geschichtskonzeption und seine Wahrnehmung als politisch Handelnder
85
Ernst Cassirer hat Goethes historisches Wissen und seine Umsetzung in die Literatur als Verschmelzung des Vergangenen mit der künstlerischen Phantasie empfunden: „Goethe fühlt das Vergangene nicht nur, sondern er sieht es; es liegt nicht hinter ihm, sondern es geht unmittelbar in die Empfindung des Augenblicks ein und bestimmt diese Empfindung.“93 Goethe selbst verwendete gegenüber Schiller, als er von der Arbeit am ersten Teil des „Faust“ und der Reimform berichtete, das Bild des „Flors“, durch den die Idee einer Dichtung hindurchscheine, „die unmittelbare Wirkung des ungeheuern Stoffes aber gedämpft wird.“94 Mit Blick auf dieses Bild spricht Paul Requadt treffend von einer „Sublimierung des Realen“, dieser Flor verhülle und offenbare die Wahrheit zugleich.95 Das Bild des Schleiers bewertet er für den Dichter als paradigmatisch.96 Verdeckt präsent werden in Goethes Faust auch die Dämonologie und die Umsetzung der monströsen Hexenlehre in Bedrohungsszenarien. Dieter Borchmeyer schreibt Goethe – wie es oft geschieht – „das erste echte Geschichtsdrama der Weltliteratur“ zu: „Götz von Berlichingen“. Das Drama beschwöre durch milieuspezifische Sprache „die Atmosphäre geschichtlicher Vergangenheit“, intensive Quellenstudien Goethes sind dem Werk vorausgegangen.97 Goethes geschichtsbezogene Arbeitsweise ist nicht nur hier dokumentiert. Es ist eine umstrittene Frage, wann oder unter welchen Umständen man ein Drama als „Geschichtsdrama“ bezeichnen kann, da es sich immer um eine Konstruktion von Geschichte handelt. Obwohl Interpreten mit Blick auf Goethes „Faust“ immer wieder historische Aspekte diskutieren, wird das Werk im allgemeinen nicht dem Genre Geschichtsdrama zugerechnet.98 Johannes Anderegg allerdings betont: „Dass die Tragödie auch als ‚Geschichtsdrama‘ verstanden werden kann oder verstanden werden muss, kann aufmerksamen Lesenden oder Zuschauenden nicht
Cassirer: Goethe und die geschichtliche Welt, S. 11. Brief an Friedrich Schiller vom 5. Mai 1798. Münchner Ausgabe, Bd. 8.1, S. 569–571, hier S. 570. Requadt: Goethes „Faust I“, S. 18. Requadt: Goethes „Faust I“, S. 18. Dass Borchmeyer seine Einschätzung in einem Handbuch für die breite Öffentlichkeit betont, deutet einen gewissen Konsens der Meinungen an. Borchmeyer: Schnellkurs Goethe, S. 34, weiter schreibt er dort: „Zumal gingen (während der Straßburger Studienzeit) rechtsgeschichtliche und sonstige Quellen-Studien voraus, über die Goethe im dritten Teil von Dichtung und Wahrheit eingehend berichtet hat.“ Goethe selbst beschrieb seine realgeschichtliche Orientierung dort: „Das Leben des biedern Goetz von Berlichingen, von ihm selbst geschrieben, trieb mich in die historische Behandlungsart, und meine Einbildungskraft dehnte sich dergestalt aus, daß auch meine dramatische Form alle Theatergrenzen überschritt, und sich den lebendigen Ereignissen mehr und mehr zu nähern suchte.“ Münchner Ausgabe, Bd. 16, S. 604. Vgl. zu den Definitionsschwierigkeiten etwa Düsing: Einleitung, S. 2–6.
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
entgehen.“99 Anderegg vergleicht Goethes Geschichtsdarstellung mit Aussagen Michel Foucaults, „der in der Geschichte, die ‚keinen Sinn‘ habe, nicht ein Fortschritts-, wohl aber ein Machtgeschehen erblickt. Jedenfalls wird sein Statement, die Geschichte sei ‚zum Unumgänglichen unseres Denkens geworden‘ [...], in Faust in radikaler Weise bestätigt [...].“100 Elfriede Neubuhr schlägt vor, „den Begriff Geschichtsdrama nicht einzuengen, um auch vom Stoff her ‚unhistorische‘ Dramen, die aber Geschichtsdeutung geben, als Geschichtsdramen bezeichnen zu können.“101 Eine solche offene Definition könnte Goethes „Faust“ unter bestimmten Aspekten als Geschichtsdrama einschließen. Und auch die Destillation von historischem Wissen, die Jürgen Schröder dem Geschichtsdrama zuschreibt, ist mit Blick auf Goethes „Faust“ zu konstatieren. Versteht man die Literatur als die authentischste Gedächtniskammer der Menschen und der Menschheit, so sind die Geschichtsdramen poetische, und das heißt auch humane Destillationen des Geschichtswissens und der Geschichtserfahrung ihrer Zeit. Im Gegensatz zu vielen unserer Historiker haben sie z. B. niemals – Hebbels ‚Agnes Bernauer‘ bildet hier die große Ausnahme –, die Geschichte der Sieger geschrieben und akklamiert. Sie haben vielmehr immer schon [...] auf das Verdrängte und Uneingelöste der Geschichte und – auf ihre Opfer, die Verlierer aufmerksam gemacht; sie haben weniger bewahrt und tradiert, was es zu erben, als darauf hingewiesen, was es zu kritisieren und zu verändern gibt.102
Geschichte ist in ihrer poetischen Verarbeitung nicht als Faktensammlung zu verstehen, sondern in übergreifendem Sinn: als Möglichkeit der Erkenntnis. Nicht nur eine Rekonstruktion ist das Erkenntnisziel, sondern darüber hinaus auch das Ableiten von Bedingungen des Menschseins. Ernst Cassirer sah Goethes Maxime, „das Produktive mit dem Historischen zu verbinden“,103 als ein Leitmotiv des Dichters.104 So sei Geschichte für ihn kein bloßer Stoff, sondern ein Medium, auch um das eigene Sein zu entdecken.105 Die durchaus überzeitliche Bedeutung der menschlichen Schicksale, die Goethe in historischen Kontexten darstellt – dies muss kein Widerspruch sein – hat Thomas Mann vor allem mit Blick auf die Gretchentragödie hervorgehoben. Er spricht Goethes reales Handeln in der Bewertung eines Kindsmordfalls an.
Anderegg: Transformationen, S. 36. Anderegg: Transformationen, S. 36 f. Neubuhr: Geschichtsdrama, S. 5. Schröder: Geschichtsdramen, S. 7. Cassirer bezieht sich auf Goethes Abhandlung: Das Sehen in subjektiver Hinsicht, von Purkije. 1819. Vgl. Münchner Ausgabe, Bd. 12, S. 345–355, Zitat hier S. 347. Cassirer: Goethe und die geschichtliche Welt, S. 25 f. Cassirer: Goethe und die geschichtliche Welt, S. 25 f.
4.4 Goethes Geschichtskonzeption und seine Wahrnehmung als politisch Handelnder
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Er war ein Kämpfer und Befreier im Sittlichen, im Geistigen, besonders im Erotischen, nicht im Staatlichen und Bürgerlichen. Mit Gretchens Jammerschicksal, mit Faustens Liebesschuld ist kein Paragraph, kein gesellschaftlicher Zustand, kein „Institut“ angeklagt und angegriffen, sondern ein Dichter unterredet sich in dieser „Tragödie“ mit dem Ewigen über das Menschenlos. So war es möglich, daß dieser selbe Dichter als Mitglied des Weimarischen Staatsrates unter ein Todesurteil über eine junge Kindsmörderin, die der Herzog selbst lieber begnadigt hätte, zu den Namen der anderen gestrengen Herren Minister das Wort schrieb: „Auch ich“ –, was, wie nicht ich zuerst empfinde, in seiner Art ebenso erschütternd ist wie der ganze „Faust“.106
Die bis heute andauernden heftigen Auseinandersetzungen der Goethe-Forschung über dessen diesbezügliche Entscheidung haben dargelegt, dass Mann hinsichtlich mancher historischer Details im Irrtum war,107 seine Beschreibung Goethes ist deshalb nicht weniger erhellend. Zwar wird Goethes juristische Prägung in der Faust-Forschung weitgehend ignoriert, es gibt aber diese auffallende Ausnahme: seine Haltung zum Thema „Kindsmord“ wird überaus heftig diskutiert. Es geht dabei um das Votum, das Goethe als Rat abgab. Anlass war der oben angesprochene Fall einer als Kindsmörderin verurteilten Weimarer Magd, Johanna Catharina Höhn. Der Jenaische Schöppenstuhl hatte ein Todesurteil gegen sie verhängt. Herzog Karl August, der wohl eine Abänderung der Strafe erwog, holte die Meinung seiner Räte zur Frage der Todesstrafe in Kindsmordfällen ein. Goethes Befürwortung der Todesstrafe trug wahrscheinlich mit dazu bei, dass Johanna Catharina Höhn 1783 enthauptet wurde. Seine Begründung der Entscheidung ist nicht überliefert. Goethes hart erscheinendes Votum ist, was nahe liegt, mit seiner einfühlsamen Darstellung des Gretchen im „Faust“ verglichen worden. Wilhelm Wächtershäuser nennt Goethes Verhalten „kühl-konservativ“.108 Von manchen Autoren wurde die vermessen erscheinende Frage gestellt, „ob die Alternative zur Todesstrafe, die Carl August favorisiert, wirklich ‚humaner‘ wäre“:109 eine lebenslange Haftstrafe – vorzeitige
Mann: Goethe als Repräsentant des bürgerlichen Zeitalters, S. 162 f. Volker Wahl hat die Diskussion um Goethes Handeln und die historischen Vorgänge detailliert aufgeschlüsselt und sich um Richtigstellungen bemüht, die Thomas Mann nach der Darstellung Wahls noch nicht wissen konnte. Vgl. Wahl: Sittlichkeitsdelikte und Kindsmord, besonders S. 464–466. Wächtershäuser: Das Verbrechen des Kindsmordes, S. 33 f. Kastner: Kindsmord, S. 6 f. Vgl. schon vorher: Baerlocher: Anmerkungen zur Diskussion um Goethe, Todesstrafe und Kindsmord. Vgl. hierzu kritisch Scholz: Johanna Catharina Höhn, S. 56f. Die Diskussion wurde noch fortgesetzt, vgl. etwa auch Jerouschek: Erwiderung, S. 333 und seine Kritik an Scholz aus rechtswissenschaftlicher Sicht. Vgl. auch Wilson: Goethe, His Duke and Infanticide, besonders S. 11–13.
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
Begnadigungen sind in ähnlichen Fällen allerdings überliefert110 – mit wiederholten demütigenden Sanktionen in der Öffentlichkeit. Der heftige und ausführlich dokumentierte Streit um die Bewertung der Haltung Goethes zur Todesstrafe in Kindsmordfällen kann im Rahmen dieser Arbeit nicht erschöpfend dargelegt werden.111 Heiner Müller-Dietz hat 1999 zum Umfang der Debatte bemerkt: Das Thema beschäftigt nicht nur Germanisten, sondern seit über einem Jahrhundert auch Juristen, namentlich Rechtshistoriker. Ihm ist eine Patina zugewachsen, die es fast schon alt und ehrwürdig erscheinen läßt. Und der Eindruck könnte entstanden sein, daß nichts Neues mehr dazu gesagt werden kann, weil schon alles gesagt ist.112
Zeitgleich vermutete dagegen W. Daniel Wilson, der Fall Höhn sei als Anlass für die juristische Stellungnahme Goethes noch wenig bekannt: Aber noch wenige Interpreten wissen von der Tatsache, daß während der Entscheidung des Geheimen Consiliums eine zum Tode verurteilte Kindesmörderin im Gefängnis in Weimar saß, deren Schicksal durch den Beschluß der Geheimräte besiegelt wurde – Goethes Votum war also nicht im theoretischen Leerraum verfaßt, sondern es hatte Hände und Füße, es hatte auch einen Kopf, der am 28. November 1783 in aller Öffentlichkeit durch das Schwert des Henkers vom Körper getrennt wurde. In der Faust-Forschung finden sich Spuren dieser Ereignisse erst in einem neueren Kommentar von Albrecht Schöne, obwohl sie für Teile der Gretchen-Tragödie, die nach dem Urfaust verfaßt wurden, relevant sein könnten.113
Susanne Kord hat ein von Wilson ediertes Halsgerichtsdokument114 zum Ablauf der Hinrichtung von Johanna Catharina Höhn als inszeniertes Drama beschrieben, das, wie es in Kindsmordprozessen üblich gewesen sei, die „Vermittlung einer Moral“115 angestrebt habe. Sie sieht „deutliche Parallelen [...] zwischen drei verschiedenen Bereichen: dem bürgerlichen Trauerspiel, der Kindsmordlyrik der Zeit und den zeitgenössischen Praktiken der öffentlichen Hinrichtung.“116
Vgl. Frede: Kindesmord und Kirchenbuße bei Goethe, S. 425 f. Mit ausdrücklichem Verweis auf den Prozess gegen Höhn präsentierte Volker Wahl 2004 eine umfangreiche Quellenedition zum Thema “Sittlichkeitsdelikte und Kindsmord in SachsenWeimar-Eisenach unter Carl August“. Er stellt die Quellen „in das rechtliche und literarische Umfeld der Zeit“ und zeigt den damals aktuellen „sozial, rechts- und aufklärungspolitischen“ Diskurs. Die Akte des Falles Höhn von 1783 wird vollständig wiedergegeben. Müller-Dietz: Todesstrafe, S. 15. Wilson: Goethe-Tabu, S. 7 f. Wilson: The ‚Halsgericht‘ for the Execution of Johanna Höhn, S. 33–45. Vgl. auch: Wilson: Goethe, His Duke and Infanticide. Kord: Etikette oder Theater?, S. 303. Kord: Etikette oder Theater?, S. 311.
4.4 Goethes Geschichtskonzeption und seine Wahrnehmung als politisch Handelnder
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Für die Frage der Hexenverfolgung ist die breit geführte Debatte um Goethes Haltung nicht in jedem Detail interessant, sie verweist jedoch auf einige Aspekte, die auch hinsichtlich der Hexenthematik weiterführen: Zum einen, wie schwierig und umstritten es ist, historische Vorgänge zutreffend wiederzugeben und zu bewerten. Zum anderen, wie heftig der Streit um die sakrosankte Person Goethes entbrennt und wie emotional die Debatten um den Dichter geführt werden. Rüdiger Scholz misst der Kontroverse um Goethes Votum zur Hinrichtung von Johanna Catharina Höhn weitreichende Bedeutung zu. Er geht mit den gängigen Faust-Kommentaren hart ins Gericht: „Bei diesem Thema versagen die Kommentare kläglich“.117 Scholz wirft zahlreichen Autoren ein Beschönigen vor, etwa „die Fakten zugunsten Goethes zu verbiegen“118 und hinter dem Stand der Forschung zurückzubleiben.119 Er sieht eine „Idealisierung Goethes auf Kosten der historischen Wahrheit“120 und einen „Mangel an Solidität in der apologetischen Goethe-Forschung“.121 W. Daniel Wilson hat zu Recht eine allgemeine Blindheit der Forschung gegenüber Goethes Rolle als Jurist beobachtet. Wilson vermutet bestimmte Motive dafür und hat seine Untersuchung deshalb „Das Goethe-Tabu“ genannt: Der Gegenstand dieser Untersuchung ist die Einschränkung und Verletzung von Menschenrechten im klassischen Weimar durch das Geheime Consilium – ein Thema, das wegen der Berührung mit der Ikone Goethe mit einem Tabu belegt worden ist.122
Wenn Wilson tadelt, dass die Goethe-Forschung das Verhalten Goethes und seiner Amtskollegen ignorierte, hat diese Beobachtung eine Parallele im einseitigen Umgang der Forschung zu Goethes „Faust“ mit der Hexenthematik: auch hier wurde vielfach die Lebenswirklichkeit ausgeblendet. So wenig die reale Hexenverfolgung in der Goethe-Forschung Beachtung fand, so gerne wird sie jedoch metaphorisch benutzt. Wolfgang Wittkowski etwa verwendet das Wort „Hexenjagd“ mit Blick auf den Streit um das Todesurteil gegen Höhn in seinem Aufsatz „Hexenjagd auf Goethe“. Dieser sei heute ein Opfer der „neuen Hexenjäger samt ihrem Mitläufer-Gefolge“.123 Derartige Unbedarftheit
Scholz: Johanna Catharina Höhn, S. 51. Scholz: Johanna Catharina Höhn, S. 53. Scholz: Johanna Catharina Höhn, S. 51. Scholz: Johanna Catharina Höhn, S. 5. Scholz: Johanna Catharina Höhn, S. 55. Wilson: Goethe-Tabu, S. 13. Wittkowski: Hexenjagd auf Goethe, S. 92. Zu dem Bild inspiriert fühlt sich Wittkowski, da er auf Albrecht Schönes Untersuchung zur Walpurgisnacht und die in den Paralipomena angedeutete Hinrichtung Gretchens in einem Hexenprozess zu sprechen kommt.
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
in der Wahl der Bilder zeigt die Distanz zu dem historischen Geschehen der Hexenverfolgung. Wie nahe es rechtsgeschichtlich der Kindsmordthematik lag, ist Wittkowski offensichtlich nicht bekannt, sonst würde die Polemik an dieser Stelle sicher als unpassend empfunden.
4.5 Die Hexenthematik in visuellen Verarbeitungen von Goethes „Faust“ Wenn die Textspuren, die unser Interesse wecken und uns Vergnügen bereiten, nicht als numinose Autoritäten zu betrachten sind, sondern als Zeichen kontingenter sozialer Praktiken, dann sollten wir uns mit den Fragen, die wir an sie stellen, sinnvollerweise nicht auf die Suche nach ihrem vermeintlich unübersetzbaren Wesen kaprizieren. Statt dessen steht es uns nunmehr frei zu fragen, wie die kollektiven Überzeugungen und Erfahrungen gestaltet, von einem Medium in ein anderes transportiert, zu überschaubaren ästhetischen Formen verdichtet und zum Konsum angeboten wurden.124
Die zahlreichen Verarbeitungen des Fauststoffes und insbesondere des Goethe’schens „Faust“ in der späteren Literatur, aber auch in anderen Medien, zeigen die Hexenthematik bisweilen sehr deutlich. Es handelt sich hier um Interpretationen, die mit Blick auf Goethes „Faust“ – bewusst oder unbewusst – offensichtlich stärkere Erinnerungen an das Geschehen der Hexenverfolgung zulassen, als es die meisten Interpretationen der Sekundärliteratur tun. Da das frühneuzeitliche Verfolgungsgeschehen mit seiner einprägsamen Bildlichkeit gerade in visuelle Kunst eingeflossen ist, sollen in meiner Arbeit einige Faustverarbeitungen aus den Bereichen der bildenden Kunst ergänzend zur Textanalyse sowie einige Verfilmungen angesprochen werden. Akzente der Hexenthematik in musikalischen Verarbeitungen des Fauststoffes sind ein Thema, das meine Untersuchung ebenfalls bereichern würde. Dämonologische Imaginationen wie zum Beispiel die Walpurgisnacht wurden sehr oft vertont, und das stigmatisierte Gretchen steht in nicht wenigen musikalischen Werken im Zentrum des Geschehens. Hier gibt es durchaus Verbindungen zu frühneuzeitlichen Verfolgungsszenarien. Aufgrund der Fülle des Materials,125 das in umfangreichen Abhandlungen, bisher allerdings überwiegend deskriptiven
Greenblatt: Verhandlungen mit Shakespeare, S. 14. „Von Goethes Lebzeiten bis auf unsere Zeit haben die verschiedensten Komponisten sich um die musikalische Gestaltung des Fauststoffes bemüht; sie verwandten dazu fast alle Formen der Vokal- und Instrumentalmusik, von den Volksliedern, Moritaten und Liedchen in Faustdramen über Konzertlieder, Arien und Szenen, Opern, Bühnenmusiken, Kantaten und Oratorien bis zu den Formen konkreter Musik der Jetztzeit.“ Fähnrich: Faust in Kantaten, Oratorien, symphoni-
4.5 Die Hexenthematik in visuellen Verarbeitungen von Goethes „Faust“
91
Sammelarbeiten, vorgestellt wurde, erforderte dieser Bereich jedoch eine eigene Studie. Meine Untersuchung muss sich auf Querverweise zu bestimmten Werken beschränken. Es gibt eine kaum noch zu überblickende Fülle von bildlichen Darstellungen zu Goethes „Faust“, eine „wahre Bilderflut“126 wird beschrieben. Ihre Veröffentlichungen und ihre Deutungen sind so zahlreich, dass diesem Feld eigene Abschnitte in Goethe-Bibliographien gewidmet werden.127 Inhaltliche Analysen der Bilder, die ein Thema quer durch Jahrhunderte vertiefend betrachten, sind jedoch weitaus seltener als die entweder meist deskriptiven Gesamtbeschreibungen bestimmter Bestände an Faust-Illustrationen oder die Abhandlungen, die sich mit dem Werk einzelner Künstler beschäftigen und dabei auch Faustdarstellungen einbeziehen.128 Um den Rahmen meiner Untersuchung nicht zu sprengen, sind mit Blick auf die Hexenthematik in Bildern zu Goethes „Faust“ nur wenige und knappe Hinweise möglich. Es soll trotzdem nicht darauf verzichtet werden, da viele bildende Künstler dämonologische Inhalte und Spuren der historischen Hexenverfolgung aus Goethes „Faust“ herausgelesen und verarbeitet haben. Im Folgenden werden einzelne Bildmotive ergänzend zur Textanalyse vorgestellt, die in dieser Hinsicht besonders vielsagend oder reichhaltig sind. Eine kleine Auswahl prägnanter Darstellungen kann beispielhaft gezeigt werden. Goethe selbst hat sich zu vielen zeitgenössischen Faustdarstellungen der bildenden Kunst geäußert, bisweilen schwankte seine Meinung zu Künstlern.129 Eugène Delacroix etwa lobte er ambivalent.130 Wichtig erschienen Goethe auch die
schen Dichtungen und symphonischen Kantaten, S. 16 f. Vgl. auch Meier: Faustlibretti und Theens: Faust in der Musik. Giesen: „Faust“ in der europäischen Kunst, S. 3. Zum Problem der Definition von „Illustrationen“ und ihrer Abgrenzung von Darstellungen, die ohne den Dramentext konzipiert und publiziert wurden vgl. Giesen: „Faust“ in der europäischen Kunst, S. 4 f. Einen Forschungsüberblick bietet Giesen: „Faust“ in der europäischen Kunst, S. 7–14. Giesen selbst behandelt umfassend die Verarbeitung von Goethes „Faust“ in der europäischen Kunst des 19. Jahrhunderts. Die jüngere Darstellung von Carsten Rohde beleuchtet mit einem rezeptionsgeschichtlichen Schwerpunkt ebenfalls „Faust“ in visuellen Verarbeitungen des 19. Jahrhunderts und berücksichtigt dabei auch populärkulturelles Material, Rohde: Faust-Ikonologie. Stoff und Figur in der Bildkultur des 19. Jahrhunderts. Zusammenfassend berichten etwa Ulrike Becker: Faust in der Bildenden Kunst seit Goethe; sowie Thomas Fusenig: Faust-Rezeption in der bildenden Kunst. Vgl. auch die älteren umfangreichen Bildsammlungen von Wegner: Faustdarstellungen, sowie Neubert: Doctor Faustus. „Die noch zu seinen Lebzeiten entstandenen Illustrationen kannte Goethe fast alle, zu vielen hat er sich geäußert.“ Giesen: „Faust“ in der europäischen Kunst, S. 4. „Herr De Lacroix, ein Maler von unleugbarem Talent, der jedoch, wie es uns älteren von jüngeren öfters zu geschehen pflegt, den Pariser Kunstfreunden und Kennern viel zu schaffen
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4 Theoretische Einordnung der Untersuchung und Vorgehensweise
zu seiner Zeit international beliebten Umrisszeichnungen von Moritz Retzsch und die Illustrationen von Peter Cornelius,131 von letzterem soll er sich aber im Alter distanziert haben.132 Die Hexenthematik ist ein wirkmächtiges Bildmotiv, in Faust-Darstellungen wird sie bevorzugt behandelt. Goethe selbst hat Hexen gezeichnet. Sehr oft reizte besonders die Szene Walpurgisnacht die bildenden Künstler. Die Erscheinung Gretchens als Hingerichteter ist ein zentrales Motiv vieler dieser Bilder. Sie stand, wie bereits beschrieben, in Goethes Entwürfen zum Drama durch die Hochgerichtserscheinung deutlich in der Nähe eines Hexenprozesses. In nicht wenigen bildlichen Darstellungen scheint sich eine Erinnerung an derartiges Geschehen zu entfalten. Auch die vorangehende Verzweiflung Gretchens, ihre Stigmatisierung und ihr Leiden im Kerker sind Bildthemen, die oft Indizien für frühneuzeitliche Verfolgungsszenarien vermeintlicher Hexen enthalten. Zudem können bildliche Umsetzungen die Eingebundenheit von Goethes Werk in dämonologische Vorstellungen besonders deutlich vor Augen führen, wenn man etwa ihre Parallelen zu Hexendarstellungen betrachtet. Auf diese Weise tragen Bilder als Quellen dazu bei, Goethes Text wieder im Kontext sozialer Energien zu sehen.
macht, weil sie weder seine Verdienste leugnen, noch einer gewissen wilden Behandlungsart mit Beyfall begegnen können [...].“ Goethe: Faust. Tragédie de Mr. de Goethe, traduite en François par Mr. Stapfer, ornée de XVII dessins par Mr. De Lacroix. In: Über Kunst und Altertum VI, 2 (1828). Frankfurter Ausgabe, Abt. I, Bd. 22, S. 485–487, hier S. 486. Vgl. zum Beispiel Goethes Brief an Friedrich Wilhelm von Cotta vom 16. November 1810. Frankfurter Ausgabe, Abt. II, Bd. 6, S. 617–619, hier S. 618. Vgl. auch ein Gespräch Goethes mit Joseph Stieler im Jahr 1828. Gräf: Goethe über seine Dichtungen, Teil II, Bd. 2, S. 456. Vgl. zu Retzsch und Cornelius etwa Schieb: Faust-Illustrationen, S. 217; Birus: Faust-Illustrationen von Cornelius bis Delacroix; und etwas ausführlicher zu Retzsch die Studie von Eva Krüger: Bilder zu Goethes „Faust“, besonders S. 11–45. Die Umrisszeichnungen von Retzsch können an Bühnendarstellungen erinnern; es wird in der Sekundärliteratur oft vermutet, Goethe habe dies gefallen. Goethe schrieb 1811 über Cornelius: „Nun hat sich dieser junge Mann ganz in die alte deutsche Art und Weise vertieft, die denn zu den faustischen Zuständen ganz gut passt, und hat sehr geistreiche gutgedachte, ja oft unübertrefflich glückliche Einfälle zu Tage gefördert [...].“ Brief an Carl Friedrich von Reinhard vom 8. Mai 1811. Weimarer Ausgabe, Abt. IV, Bd. 22, S. 83–86, hier S. 84. Im Jahr 1828 soll Goethe im Gespräch mit Joseph Stieler gesagt haben: „Er möge den Corneliusschen ‚Faust‘ nicht leiden, versicherte er; er trete nicht auseinander, er sei ihm zu altdeutsch.“ Gräf: Goethe über seine Dichtungen, Teil II, Bd. 2, S. 456. Vgl. zur Frage einer Abwehrhaltung gegen etwas spezifisch „Altdeutsches“, was auch durch das Thema Hexenverfolgung geprägt wäre, Punkt 10.1.2 meiner Arbeit.
5 Ambivalenzen der „Aufklärung“ und die Peinlichkeit der Hexenverfolgung Zauberey [...] ist eines der allerschändlichsten Laster, die nur unter der Sonnen gefunden werden können. [...] Denn überhaupt alle und jede Arten der Zauberey verwerfen, und so gar auch nicht einmahl die Möglichkeit derselben einräumen wollen, möchte wohl ein wenig allzu verwegen und zu weit gegangen [...] seyn. Mithin bleibet auch hierinnen, wie in vielen andern Dingen, die Mittel-Strasse unstreitig die beste. (Zedlers Universal-Lexikon 1749)1
Der Glaube an Zauberei und Hexen war ebenso wie abergläubische Praktiken noch zur Goethezeit überaus verbreitet, er ist es sogar bis heute.2 Der Historiker Wolfgang Behringer beschreibt diesen Zauberei- und Hexenglauben mit einem drastischen Bild: „Diese Themen steckten wie ein Pfahl im Fleisch der Aufklärung, ein Pfahl, den man nicht entfernen konnte, ohne den Patienten zu töten.“3 Allein der 40-seitige Artikel „Zauberey“ in Zedlers „Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste“, der im Band 61 in Goethes Geburtsjahr 1749 erschien, zeigt, welch breiten Raum abergläubische Vorstellungen damals einnahmen. Der Artikel behandelt ganz überwiegend das Thema Zauberei- und Hexenprozesse, also die realhistorische Seite der Zaubereivorstellungen. Wenn man „Zauberey“ als Suchwort in der heute digitalisierten Ausgabe des Lexikons eingibt, findet man folgende Einträge: Natürliche Zauberey Pflaster wider die Zauberey Pulver zum Räuchern in Zauberey Räucherung wider das Beschreyen und Zauberey Säckgen wider das Beschreyen und die Zauberey Salbe wider die Zauberey Segensprechen, Segensprecherey, eine Art der Zauberey Zauberey, eines der allerschändlichsten Laster Zauberey, natürliche4
Auch „Hexerey“ will das Lexikon einige Jahre früher nicht entschieden verneinen, es enthält sich einer Wertung und gibt nur, ebenso wie im Artikel „Zauberey“, die
Aus dem Artikel „Zauberey“ in Zedlers Universal Lexicon. Zedlers Universal-Lexikon, Bd. 61, Sp. 62–142, Zitate hier Sp. 62 u.139 [erschienen 1749]. Vgl. zur Verbreitung und Langlebigkeit abergläubischer Vorstellungen und Handlungen zum Beispiel die umfangreiche Untersuchung von Nils Freytag zu Preußen: Aberglauben im 19. Jahrhundert. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 6. Gefundene Einträge zum Suchbegriff „Zauberey“ in Zedlers Universalexikon. Vgl. http://www. zedler-lexikon.de [Stand: März 2023]. https://doi.org/10.1515/9783111311258-005
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Meinungen zahlreicher – auch von Goethe rezipierter – wirkmächtiger Dämonologen und Gegner der Hexenverfolgung wieder.5 Die Frage des Aberglaubens ist ein wichtiger Aspekt in der Diskussion um den schillernden Begriff „Aufklärung“.6 Dieser ist weder zeitlich noch inhaltlich klar definiert. Schon die nach heutiger Ansicht wichtigsten Vertreter der Aufklärung relativierten die Bezeichnung.7 Zwar hat die Forschung inzwischen frühneuzeitliche abergläubische Praktiken wie etwa religiösen Aberglauben, Spiritismus oder den Animalischen Magnetismus betrachtet8 und die frappierende Gleichzeitigkeit von Magieglauben und Rationalität durchaus im Blick. Zu wenig wahrgenommen wird aber nach wie vor das viel gravierendere9 Thema der Hexenverfolgung. Und genau diese Diskrepanz spiegelt sich auch in der Faust-Forschung, wie im Folgenden an ausgewählten Zitaten gezeigt wird (vgl. hierzu auch den Forschungsbericht unter Punkt 2.1.4). Die reale Seite der Hexenangst wird in der Forschung zur Aufklärung, auch wenn es um Aberglauben geht, nach wie vor nur selten angesprochen. Behringer bemerkt zu diesem Befund zu Recht: „Gelehrte Bände sind über die Vorstellungen von Magie und Hexerei im 18. und 19. Jahrhundert geschrieben worden, ohne sich überhaupt noch mit realen Hexenprozessen zu beschäftigen, so als habe es sie nicht gegeben.“10 Die Gründe für dieses Wegsehen liegen unter anderem wohl auch darin, dass in Publikationen der vermeintlich aufgeklärten Zeit das Thema selbst verhüllt wurde. Als Beispiel wird die umschreibende Bezeichnung „veneficium“ im Sinne von ‚Giftmischerei‘, mit der Hexenprozesse im 18. Jh. verdeckt wurden, unter Punkt 7.4 beschrieben. Behringer fasst in seiner Einleitung des 2016 erschienenen geschichtswissenschaftlichen Sammelbandes zu späten Hexenprozessen das kollektive Verdrängen pointiert zusammen: Die späten Hexenprozesse sind uns peinlich. In vielen Überblicksdarstellungen ist dafür gar kein Gliederungspunkt vorgesehen, weil immer wieder dieselbe Erfolgsgeschichte erzählt
Vgl. Art. „Hexerey“ in: Zedlers Universal-Lexikon, Bd. 12, Sp. 1978–1995 [erschienen 1735]. Vgl. zu dieser jedoch vielbeachteten Thematik umfassend zum Beispiel Pott: Aufklärung und Aberglaube. Immanuel Kant schrieb 1784: “Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung. Daß die Menschen, wie die Sachen jetzt stehen, im Ganzen genommen, schon im Stande waren, oder darin auch nur gesetzt werden könnten, in Religionsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines Andern sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel.“ Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, S. 491. Vgl. zum Beispiel Freytag: Aberglauben im 19. Jahrhundert. Vgl. etwa die bedrückende Aufzählung von Hexenhinrichtungen bei Behringer: Letzte Hexenhinrichtungen 1700–1911. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 2.
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wird, die Meistererzählung vom Fortschritt in der europäischen Geschichte. Die Hexenverfolgungen waren – wie die Religionskriege – ein bedauerlicher Irrtum. Die neuere Forschung hat zwar erkannt, dass sie kein Problem des Mittelalters waren, versuchte aber stattdessen, sie in das 16. und 17. Jahrhundert einzukapseln.11
Zauberei- und Hexenvorstellungen sind ein Indiz für die enge Verbindung der vermeintlich vergangenen dunklen Zeit der Hexenverfolgung mit der Goethezeit. Immerhin betont Kant im Jahr 1790 den Aspekt des Aberglaubens, der auch in der Rückschau immer wieder als entscheidend betrachtet wird: „Befreiung vom Aberglauben heißt Aufklärung“.12 Auch aufgrund der Tatsache, dass Strafbestimmungen gegen Hexen in vielen europäischen Ländern bis weit ins 18. oder bis ins frühe 19. Jahrhundert galten und dass Goethe selbst noch die letzten Hexenprozesse erlebte, ist das bis heute noch weit verbreitete Bild einer zu Goethes Zeit vollzogenen Aufklärung13 mit Blick auf dämonologische Vorstellungen in Zweifel zu ziehen. Peter Matussek etwa, der im „Goethe Handbuch“ auf die letzte europäische Hexenhinrichtung im Schweizer Kanton Glarus verweist, verkennt die noch zu Goethes Zeit weithin geltenden Strafbestimmungen gegen vermeintliche Hexen, wenn er hier „Relikte voraufklärerischer Rechtssprechung“14 sieht; zudem irrt er, wenn er Hexenprozesse im Mittelalter verortet. Und das Problem der Hexenverfolgung reichte zu Goethes Zeit über die offiziell bekannten Hinrichtungen weit hinaus, wie Behringer betont: Mit den Hexenhinrichtungen wird natürlich nur die Spitze des Eisbergs sichtbar, darunter lagerten Hunderte, wenn nicht Tausende von ernsthaften Strafverfahren wegen Zauberei und Hexerei, in denen die Folter angedroht und manchmal noch angewandt wurde, und die in empfindlichen Strafen endeten: Ewige Landesverweisungen und andere Verbannungen, die den ‚sozialen Tod‘ bedeuteten, Zuchthausstrafen, eine Neuerung des 17. Jahrhunderts, oder Schandstrafen, bei denen die Delinquenten am Pranger ausgestellt und mit Ruten gezüchtigt wurden. Weigerte sich die Obrigkeit, ernsthafte Verdachtsmomente wegen Hexerei
Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 1. Zum Beispiel Viering spricht aber noch im Jahr 2013 in ihrer Dissertation, die sich zentral mit der Teufelsthematik beschäftigt, von der „Praxis der mittelalterlichen Hexenverfolgung“. Viering: Konstruktionen des Bösen, S. 367. Kant: Kritik der Urtheilskraft. In: Kants Werke, Bd. V, hier S. 294. Helmut Koopmann fordert zu Recht von der jüngeren Goethe-Forschung erhöhte Vorsicht im Umgang mit dem Schlagwort „Aufklärung“. Koopmann selbst resümiert: “Auf jeden Fall wird man sagen dürfen, dass Goethes Verhältnis zur Aufklärung problematisch war, jedenfalls alles andere als von ungehemmter Zustimmung, und es ist Goethes ‚Faust‘, in dem sich das Problematische dieses Verhältnisses so deutlich abzeichnet [...]“. Koopmann: Goethe, Faust und die Aufklärung, S. 160. Matussek: Faust I, S. 355. Es ist vielmehr klar: „Erst sehr spät, im 18. oder gar erst im 19. Jahrhundert, wurde die Hexengesetzgebung tatsächlich abgeschafft, oft erst im Zuge umfassender Rechtsreformen.“ Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 13.
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zu verfolgen, kam es nicht selten zur Selbstjustiz von Nachbarn oder ganzen Gemeinden: Neben schweren Fällen von Mobbing, in denen die Verdächtigten ausgegrenzt oder geschlagen wurden, kam es auch zu inoffiziellen Prozessen, in denen Nachbarn illegalerweise die „Hexen“ gefangennahmen, ihre Vorwürfe unterbreiteten, sie einem Verhör oder – von England bis Russland verbreitet – einer Wasserprobe unterzogen. Es kam auch zur Anwendung der Folter und zu direkten Akten der Lynchjustiz. Verbreitet wurden dabei die Verdächtigten in ihren Häusern eingesperrt und das Haus in Flammen gesetzt [...]. Einzelne Lynchmorde finden sich das ganze 19. Jahrhundert hindurch und gelegentlich auch noch im 20. Jahrhundert.15
Auch manch gängige Wahrnehmung obrigkeitlichen Handelns des 17. und 18. Jahrhunderts empfiehlt Behringer kritisch zu prüfen: Wir müssen lernen, die aufgeklärten Selbststilisierungen als solche zu entlarven. ‚Fortschrittliche‘ Edikte von Herrschern wie dem Trierer Fürstbischof Carl Caspar von der Leyen, dem französischen König Ludwig XIV., dem preußischen König Friedrich Wilhelm I. oder von Kaiserin Maria Theresia von Österreich entpuppen sich bei näherem Hinsehen als pragmatische Versuche, die Prozesse einzudämmen, nicht als generelle Absagen an den Hexenglauben oder an Hexenprozesse.16
Stereotype Vorstellungen eines Zeitalters der Aufklärung, dem Goethe angehörte, sollen im Folgenden angesprochen und anhand von Beispielen belegt werden, denn sie sind ein Hindernis für die Wahrnehmung des Themas Hexenverfolgung in Goethes „Faust“. Trotz aller Vorsicht, die bei der Verwendung des Begriffs Aufklärung geboten ist, hat sich in vielen Köpfen die Vorstellung festgesetzt, Goethes Zeit habe nichts mehr mit dem Thema der Hexenverfolgung zu tun. Auch in der Faust-Forschung wird Goethes Zeit oft betont abgegrenzt von dieser vermeintlich überwundenen, düsteren Zeit. Immer wieder klingt in der Faust-Forschung das Spannungsfeld der Epochen an: die Zeit, in der Goethes „Faust“ geschrieben wurde, die allein schon etwa 60 Jahre umfasst, und die Zeit, in der das Drama spielt und die für den ersten Teil der Tragödie zumeist im 16. Jahrhundert verortet wird. Da sich in der Goethe-Forschung diachron und bis heute Vorstellungen einer Aufklärung finden, die wie ein Sturm alte Irrtümer beseitigte und zur Goethezeit der Vernunft wich, knüpft sich mit Blick auf Goethes „Faust“ oft die Frage an, wieso Goethe das Thema „Teufelspakt“ noch behandelt, beziehungsweise, wie er
Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 9. Vgl. auch Behringer: Letzte Hexenhinrichtungen 1700–1911. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 13.
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es modernisiert. Jost Keller nennt den Teufel „eine der unaufgeklärtesten Figuren schlechthin“.17 Schon die frühe Studie von Agnes Bartscherer betont zwar die Langlebigkeit der in der frühen Neuzeit als real gedachten Zauberer und Hexen; sie nimmt dennoch an, dass der Glaube an diese „hinweggefegt“ worden sei: Paracelsus, van Helmont, Morhof und alle die genannten Autoren können uns zeigen, daß nicht Wahngebilde des Mittelalters, nicht Märchengestalten die Geisterwelt des Goetheschen „Faust“ zusammensetzen, sondern Wesen, die für die Zeit des alten Nekromanten ebensoviel Realität hatten wie der Teufel selbst, die noch am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts nicht ganz als Fabelwesen verworfen waren. Freilich kam dann die Aufklärung und fegte den alten Aberglauben hinweg: was früher gelehrte Köpfe zu heftigen Kämpfen erhitzt hatte, diente fortan den Kindern zur Ergötzung.18
Von ähnlichen Voraussetzungen ausgehend dachten auch spätere Faustforscher über Goethes Hexenthematik nach. Werner Keller, der ausdrücklich „Zeitbezüge“19 des „Faust“ betont, hat diese Diskurse im Blick, wenn er die Frage stellt: „Der Teufel im Jahrhundert der Aufklärung – räumte Goethe mit dem unmäßigen Höllenspuk, mit Hexenzauber und Geisterwesen dem vergangenen Spätmittelalter nicht allzuviel Wirklichkeit und Bedeutung in seiner Gegenwart ein?“20 Ulrich Gaier fragt 2019, die Unklarheit der Epochenzugehörigkeit Fausts betrachtend, ob dieser „der Epoche Goethes angehört und mit Magie und Teufelspakt fast lächerlich an den alten Denkweisen hängenbleibt“.21 Klaus Eggensperger betrachtet im Jahr 2004 die Rolle des Mephistopheles und ist der Ansicht: „Zwischen Marlowe und Goethe liegen, geistesgeschichtlich gesehen, die zwei Jahrhunderte, in denen das moderne wissenschaftliche Weltbild entstand und die Aufklärung von Westeuropa aus ihren Siegeszug antrat.“22 Aneka Viering spricht 2013 mit Blick auf Mephistopheles von einer „physischen Entmachtung durch eine Aberglaubenskritik, die in der (theatralischen) Figurierung des Widersachers ohnehin nichts anderes mehr als ein anachronistisches Versatzstück mittelalterlicher Dämonologie erkennt“.23 Und Manfred Beetz ist bezüglich Fausts magischer Praktiken der Ansicht: „Komisch bleibt jedoch, dass Magie in aufgeklärten Zeiten noch weiterhin
Keller, J.: Die Säkularisierung des Teufels in der Literatur um 1800, S. 9, Zum Begriff der „Fiktion“ vgl. mit Blick auf Teufelsfiguren, S. 64–71. Agnes Bartscherer: Paracelsus, S. 80. Keller, W.: Faust. Eine Tragödie (1808), S. 278. Keller, W.: Faust. Eine Tragödie (1808), S. 268. Gaier: Universale Entgrenzung in der Hexenküche, S. 158. Eggensperger: Überlegungen zu Mephistopheles, S. 196 f. Viering: Konstruktionen des Bösen, S. 136.
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funktioniert“.24 Mit Blick auf die Entstehungszeit des Dramas beschreibt Denise Blondeau Hexen und Teufel sogar als „Ballast“: „Dès lors, que faire, dans cette tragédie, dont la rédaction est commencée dans le dernier tiers du XVIIIe siècle et achevée pendant le premier tiers du XIXe, du ballast obligatoire que sont les sorcières et le diable?“25 Auch Karl Heinrich Hucke gibt sich überzeugt von einer „aufgeklärten“ Goethezeit. Sehr weit geht er, wenn er in Goethes Zeit den „Kontext einer aufgeklärten Moral“26 vermutet. Und Hucke vertritt etwa zum Wegfall der Satansmesse, die in den Paralipomena als Teil der Walpurgisnacht zu erkennen ist, die Ansicht: „Die Schwarze Messe impliziert eine Religionskritik, die im Zuge der Aufklärung ridikül geworden ist.“27 Ob die Darstellung einer Schwarzen Messe Religionskritik beinhaltet, ist aber fraglich, wurde sie doch meist als Blasphemie aufgefasst. Noch viel mehr ist in Zweifel zu ziehen, ob die Aufklärung zu Goethes Zeit gerade im Bereich der Religion so wirksam gewesen ist, dass sie eine Kritik überflüssig gemacht hätte. Alwin Binder vermutet, das zeitgenössische Publikum Goethes hätte Schwierigkeiten mit dem Thema Zauberei haben können: Hexen sind in der Tradition des Aberglaubens Frauen, die einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben und deshalb Krankheiten aller Art erzeugen, das Wetter beeinflussen, Männer impotent und Frauen unfruchtbar machen können. An so etwas zu glauben, kann einem Publikum im Zeitalter der Aufklärung kaum zugemutet werden [...]. Weil damals der Glaube an Hexen viel eher überwunden war als der Glaube an den Teufel, war die Hexenwelt so etwas wie ein Freiraum, in dem sich mit ungewohnten Vorstellungen experimentieren ließ.28
Dass Hexenvorstellungen zu Goethes Zeit, insbesondere zur Enstehungszeit des ersten „Faust“-Teils, weder ganz überwunden, noch gar „ungewohnt“ waren, zeigt schon Goethes Spiel mit dämonologischen Elementen im „Faust“, die das Wissen der variierten Vorlagen voraussetzen. In den zeitgenössischen Quellen zur Rezeption ist nicht erkennbar, dass Goethes Publikum die Hexenthematik mehr als andere Punkte kritisiert hätte. Vielmehr bestätigen geschichtswissenschaftliche Untersuchungen, wie schon dargelegt, die diachrone Verbreitung von Hexenimaginationen.
Beetz: Magie und Esoterik, S. 536. Blondeau: Walpurgisnacht, S. 251. Hucke: Faust, S. 562. Hucke: Faust, S. 665. Binder: Faustische Welt, S. 196. Auch Wolfgang Adam etwa widersprechen die historischen Befunde, wenn er schreibt: „Die gerade entstehende philologische Wissenschaft des 19. Jahrhunderts, die sich vernunftgesteuerten und rational überprüfbaren Prämissen verpflichtet fühlte, konnte mit dem Dämonentreiben und den Teufelswesen wenig anfangen“. Adam: Faust-Konzeption, S. 127.
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Behutsam hat Peter-André Alt dagegen den Wandel der Teufelsrepräsentation im 18. Jahrhundert erhellt – und deren Thematisierung in Goethes „Faust“. Zwar schildert Alt anhand prägnanter Quellen, dass das Motiv des Teufelspaktes ein „zentraler Punkt der aufklärerischen Attacke ist“.29 Er verliert aber nicht aus dem Blick, dass es sich um einen Prozess handelt: „Als literarische Figur stirbt der Teufel unter den Bedingungen der Aufklärung zumeist an Erschöpfung.“30 In einer Untersuchung zur Wissenschaftskritik in Goethes „Faust“ hat Ingeborg Kluge auch Goethes Verhältnis zu den Themen Magie und Aberglauben betrachtet.31 Sie ist der Ansicht: Gottscheds dezidierte Wendungen gegen Hexenverehrung und Aberglauben zeigt [sic] die Virulenz solcher Verhaltensformen auch noch im 18. Jahrhundert. Nicht nur im einfachen Volk, dessen Bildungsgut noch weitgehend aus überlieferten magischen Bräuchen bestand, auch bei der gebildeten Bevölkerung waren sie bei weitem nicht ausgerottet. Trotz des außergewöhnlichen Aufschwungs der exakten Wissenschaften konnten sich doch innerhalb des Wissenschaftsbetriebes des 18. Jahrhunderts Magie und Aberglauben behaupten.32
Ähnlich und ungewöhnlich klar beschreibt 2004 Klaus H. Kiefer, der sich mit abergläubischen Phänomenen wie der „Geisterseherei“ und dem „animalischen Magnetismus“ beschäftigt hat, Goethes Zeit: [...] Goethes Skepsis [...] steht weder allein – wenn auch nicht in der Majorität -, noch können die zahllosen Erscheinungen übersehen werden, die seine Zeit geradewegs verfinsterten: obskure Geheimgesellschaften, krasser Wunderglaube, fehlgedeutete Naturphänomene, Erfolge von Geistersehern und Scharlatanen und vieles mehr. Das 18. Jahrhundert „leuchtete“ nicht. [...] Die Aufklärungsforschung indessen verkehrt die Mehrheitsverhältnisse zwischen Licht- und Schattenseiten, indem etwa in einem neueren „Lexikon der Aufklärung“ das Jahrhundertphänomen „Aberglauben“ zu einem einzigen Lemma schrumpft und z. B. der Hexenglaube dem ‚volkstümlichen Bereich‘ zugeschlagen wird. Die ‚idola‘ fanden sich aber auch andernorts: Bei Dichtern und Denkern und ebenso bei zahllosen Gläubigen und Abergläubigen. [...] Gerade im Licht immanenter Kritik erweist sich der Begriff der Aufklärung als ein wirkungsgeschichtlicher, als eine retrospektive ‚Zurecht-Fälschung‘ durch Selbstkanonisierung und Diskursmonopolisierung. Die Aufklärung triumphierte erst, als sie sich im 19. Jahrhundert an den „Siegeswagen der Naturwissenschaften“ hing, was aber in ihrem – dem 18. – Jahrhundert noch nicht geschehen war, bzw. unter Naturwissenschaften wurde anderes verstanden.33
Alt: Klassische Endspiele, S. 73. Vgl. hierzu auch Reinhardt: Rezension, S. 326. Alt: Klassische Endspiele, S. 74. Zur Unterscheidung von Aberglauben und Unglauben unter Berücksichtigung von Goethes Sicht der Wissenschaft vgl. auch Groth: Goethe als Wissenschaftshistoriker, besonders S. 89–96. Kluge: Wissenschaftskritik, S. 44. Kiefer: Sichtbares und Unsichtbares, S. 9–11.
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Diese Erkenntnisse fehlen in der Forschung zu Goethes „Faust“ oft bis heute. Besonders klare Korrekturen eines Stereotyps der Aufklärung zur Goethezeit nehmen aber manche Forscher vor, die sich mit politischen Umständen in Weimar befassen. Volker Wahl etwa verweist im Zusammenhang mit der Diskussion um den Straftatbestand des Kindsmordes auf die oft unbedachte Verwendung der Bezeichnung „Aufklärung“: Der Begriff „Aufklärung“ wird zuweilen undifferenziert verwendet und unwillkürlich mit Vorstellungen und – allerdings kaum je definierten – Begriffen wie Fortschritt, Toleranz und Humanität assoziiert, d. h., bei unserem Thema, mit Abschaffung der Todesstrafe oder mit milder Bestrafung oder sogar Straflosigkeit von Kindsmord. Erwartungsgemäß sind aber die Dinge, sieht man genauer hin, komplizierter.34
Und Wahl betont gerade bezüglich seiner Quellenedition zu Kindsmorddelikten, dass ein Blick in Originaltexte manches Bild korrigiert: Es wird sich erweisen, daß die Konfrontation mit den Originaltexten da und dort das Bild und die – meist positiv besetzte – Erwartungshaltung, wie sie die Sekundärliteratur von der Aufklärung vermittelt, in Frage stellt oder sogar verändert.35
Die verbreiteten Verklärungen der Goethezeit ergeben die Frage nach Motiven der hierfür Verantwortlichen und nach den Auswirkungen. Auch W. Daniel Wilson hat den Begriff „Aufklärung“ unter politischen Vorzeichen untersucht, und auch er verweist auf bemerkenswerte Stereotype in der Beschreibung von politischen Verhältnissen. Sie kommen seiner Ansicht nach einer Goethe-Verehrung gelegen, die durch keine Zeitkritik getrübt werden soll. Die andere falsche Schlußfolgerung ist weiter verbreitet: Ein Fürstenhaus, das ‚aufgeklärte‘ Intellektuelle wie Wieland (1772 als Fürstenerzieher Carl Augusts), Goethe (1776 als Geheimrat), Herder (1776 als Generalsuperintendent und Hofprediger) und Schiller (1789 als Professor in Jena) nach Sachsen-Weimar ziehen und sie zum Teil in die wichtigsten staatlichen Stellen berufen konnte, müsse zwangsläufig in jedem Sinne ‚aufgeklärt‘ sein. Der Geist an die Macht: Es ist der ewige Traum der Intellektuellen, der in Weimar Wirklichkeit geworden zu sein scheint.36
Er hält dagegen, die politischen Verhältnisse in Sachsen-Weimar seien in Wirklichkeit kaum erforscht worden: [...] die stillschweigende Annahme über die politischen Verhältnisse in Sachsen-Weimar bleibt nach wie vor: Der Dienstherr Goethes müsse nicht nur politische Freigeister großzü-
Wahl: Leib, S. 395. Wahl: Leib, S. 397. Wilson: Goethe-Tabu, S. 19 f.
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gig geduldet haben, sondern – in einer anderen Variante – es dürfe in einem so aufgeklärt regierten Staat eigentlich gar keine Unzufriedenheit gegeben haben. Erforschen wollte man die Sache jedenfalls nicht. So schützt das Goethe-Tabu bis heute den politischen Ruf Sachsen-Weimars.37
Eine Unantastbarkeit des Dichters, der als nationaler Mythos gehandelt wird, spielt in viele literaturwissenschaftliche Deutungen hinein. Was hinsichtlich Goethes zeitgenössischer realpolitischer Umstände von Wilson als Tabuisierung angeprangert wurde, gilt offensichtlich auch für bestimmte realhistorische Bezüge von Goethes Werk, etwa für das Thema der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung.
5.1 Ironisch-fasziniertes Spiel mit frühneuzeitlichen dämonologischen Vorstellungen Von Johann Wolfgang Goethe (1749–1832) erwarten wir, dass er barocke Konvolute wie Johannes Prätorius‚ ‚Blockes Berges Verrichtung‘ zur Konstruktion seines „Faust“ heranzieht, aber nicht, dass er selbst noch Hexenhinrichtungen besucht. Aber tatsächlich hätte er das tun können. Doch wie viele andere Schriftsteller der Aufklärung hat der Weimarer Schöngeist dazu keine Stellung bezogen, sondern sich lieber in vornehmes Schweigen gehüllt. Die späten Hexenprozesse passten nicht in das Weltbild der Aufklärung. In einem interessanten Prozess der Verdrängung taten die Aufklärer und ihre Erben so, als gäbe es sie nicht mehr.38
Der Historiker Wolfgang Behringer hat einen abschätzig-lakonischen Umgang von Publizisten der Aufklärung mit dem Thema Hexenverfolgung als Vorsicht gedeutet: Nicht ohne Grund gingen frühe Lexikographen wie Pierre Bayle (1647–1706) und sein deutscher Übersetzer Johann Christoph Gottsched (1700–1766) das heikle Thema vorsichtig an, die direkte Auseinandersetzung wurde vermieden und im Artikel ‚Magie‘ die Hinrichtung von Hexen nicht rundheraus abgelehnt. Denn die Gesetzgebung gegen Zauberei war in Kraft, wenn auch ihre Anwendung durch administrative Maßregeln eingeschränkt war. Nicht frontaler Angriff, sondern abschätzige Kommentare am Rande waren die Methode der Auseinandersetzung mit dem Hexenthema, wie sie auch in den Moralischen Wochenschriften, etwa Gottscheds seit 1725 erscheinenden Vernünftigen Tadlerinnen, angewandt wurde.39
Schon aus der frühen Zeit der Marlowschen Faustverarbeitung wird berichtet, dass Komisierung eine Schutzfunktion haben konnte. Sie war damals dringender nötig als zu Goethes Zeit, zeigt aber ebenso die Methode der Transformierung:
Wilson: Goethe-Tabu, S. 23. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 1. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 14.
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Neu waren bei Marlowe auch die komischen Szenen, die sich über die sonstigen Handlungen lustig machten. Diese Übernahmen aus dem volkstümlichen Theater schützten Marlowe vor dem Vorwurf, die faustischen Provokationen zu begrüßen. Er könnte damit gegenüber der Zensur ein Zugeständnis gemacht haben.40
Satirische Szenen werden auch als prägend für die „Historia von D. Johann Fausten“ diskutiert. Maria E. Müller vermutet in dieser Zeit intensiver Hexenverfolgungen eine entlastende Funktion der Komik: „Die Integration realiter folgenschwerer Anklagepunkte in satirische bzw. komische Schwankzusammenhänge ermöglichte dem Publikum Distanz und konnte wohl auch entlastend wirken.“41 Wie präsent später eine – spielerisch umkodierte – Teufels- und Hexenthematik für Goethe und seine Zeitgenossen war, zeigen nicht zuletzt private schriftliche Zeugnisse. Etwa benutzte Goethe in Briefen zwar mit ironischem Unterton, aber ganz selbstverständlich Anspielungen auf dämonologisches Wissen. Es war offensichtlich Gemeingut. 1769 schrieb er an eine Freundin, Friederike Oeser: Zwey Jahre beynahe, binn ich in Ihrem Hause herumgegangen, und ich habe Sie fast so selten gesehen, als ein Nachtforschender Magus einen Alraun pfeifen hört.42
Auch Zeitgenossen Goethes nahmen oft eine ironische Distanz zu den präsenten abergläubischen Vorstellungen ein, zeigten sich aber gleichwohl noch fasziniert. Sein späterer Schwager Christian August Vulpius zum Beispiel hatte 1788 eine Aphorismensammlung in Form eines satirisch gefärbten Wörterbuches mit dem Titel „Glossarium für das Achtzehnte Jahrhundert“ anonym veröffentlicht. Zum Stichwort „Hexe“ formuliert er die Definition: „eine weibliche Kreatur, welche man sonst auf den Scheiterhaufen brachte, jezt verehrt, und ihr zu Liebe, sich selbst von Flammen verzehren läst.“43 Vulpius arbeitete sich in die Materie der Hexenthematik, die er im Glossarium als Kuriosum darstellte, selbst tief ein. Er veröffentlichte 1797 eine literarische Präsentation dämonologischer Vorstellungen: „Hexenfahrten und Teufelskünste aus dem geheimen Archiv der WalpurgisNächte auf dem Blocksberg“. Diese Sammlung, „Geschrieben in der ersten der zwölf Nächte in der Stunde der Mitternacht im Jahre 1797“44, enthält mehrere Blockbergsschilderungen, die Vulpius mit Geschichten verwebt. Sie entsprechen in vielen Details dämonologischen Imaginationen des „Hexensabbats“. Unheimli-
Baron: Der Mythos des faustischen Teufelspakts, S. 263. Müller, Ma.: Poiesis und Hexerei, S. 61. Vgl. auch den Überblick zur Komik in Verarbeitungen des Faust-Stoffes vor Goethe und in Puppenspielen von Karin Vorderstemann: Komik. Goethe in einem Brief an Friederike Oeser vom 13. Februar 1769. Vgl. Fischer-Lamberg: Der junge Goethe, Bd. 1, S. 266. Vulpius: Glossarium, S. 32. „Vorbericht“ in Vulpius: Hexenfahrten und Teufelskünste, S. XII.
5.1 Ironisch-fasziniertes Spiel mit frühneuzeitlichen dämonologischen Vorstellungen
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che Bilder von besenreitenden Hexen auf dem Brocken, hexischen Tieren und einem präsidierenden schwarzen Bock zeugen von der Faszination, die diese Imaginationen auf Vulpius ausgeübt haben müssen. Missverständlich und nicht selten ist die verengte Verwendung der Bezeichnung „Aufklärung“ im Sinne eines von Goethe abgelehnten „Rationalismus“, wie sie etwa Staiger praktiziert. Auch diese Vereinfachung zeigt wieder die fehlende Definition des Begriffes „Aufklärung“: Der junge Goethe hat sich entschlossen gegen die Aufklärung gewandt. Jede Darstellung seines Werdens legt größten Wert auf diesen Vorgang; und deutsche Forscher betonen mit Grund, daß damit Kräfte an Boden gewannen, die lange zurückgedämmt worden waren und sich nur außerhalb der gültigen Literatur behauptet hatten: die pietistische Frömmigkeit, die Geheimwissenschaften des 16. und 17. Jahrhunderts, Mystik und Pansophie.45
Michael Schmidt hat eine ähnliche Beobachtung mit Blick auf einen Besucher der Walpurgisnacht, die Figur des Proktophantasmisten, differenzierter ausgedrückt: „Der Proktophantasmist steht nicht für eine Kritik der Aufklärung, sondern für eine dogmatische Spielart der Aufklärung, die Geist und Geister nach Regeln ‚exerzieren‘ will.“46 In der Tat machte Goethe diese Spielart kritisch zum Thema. Der Proktophantasmist, für dessen Namen Albrecht Schöne die Übersetzung „Arsch-Hirngespinstler“ vorschlägt, ist eine satirische Anspielung auf den Autor Christoph Friedrich Nicolai, einen Zeitgenossen Goethes, der als Therapie gegen Geistervisionen das Ansetzen von Blutegeln am Gesäß empfahl.47 Mephistopheles verhöhnt ihn: Er wird sich gleich in eine Pfütze setzen, Das ist die Art wie er sich soulagiert, Und wenn Blutegel sich an seinem Steiß ergetzen, Ist er von Geistern und von Geist kuriert. (4172–4175)
Alwin Binder stellte angesichts dieser Figur die Frage: „Ist die Illusion des Stücks nicht dahin, wenn ein identifizierbarer Zeitgenosse in ihm herumgeistert? Oder soll das nachdrücklich bestätigen, daß der ‚Faust‘ etwas mit der Zeit zu tun hat, in der er entstanden ist?“48 Goethes Proktophantasmist will die Hexen mit folgenden Worten verscheuchen:
Staiger: Goethe, Bd. 2, S. 320. Schmidt, M.: Genossin der Hexe, S. 159. Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 358. Binder: Faustische Welt, S. 392.
104
5 Ambivalenzen der „Aufklärung“ und die Peinlichkeit der Hexenverfolgung
Ihr seid noch immer da! Nein das ist unerhört! Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt! (4158 f.)
In der Forschung zu Goethes „Faust“ sind naheliegenderweise vieldiskutierte Themen die modernisierte Darstellung des Mephistopheles und des Pakts beziehungsweise die Wette zwischen ihm und Faust. Rüdiger Safranski resümiert mit Blick auf Faust: „Hat er nun die Wette verloren, oder rettet ihn der Konjunktiv? Darüber sind ganze Bibliotheken geschrieben worden.“49 Zwar stehen komische Elemente in der Darstellung des Teufels auf der Bühne in sehr alten Traditionen,50 die im Vergleich zum 16. Jahrhundert aber dennoch stark veränderten Teufelsvorstellungen in Goethes „Faust“ werden in der Sekundärliteratur vielfach und ausführlich beleuchtet. Zur Frage der Glaubwürdigkeit des Mephistopheles als Figur hat Hartmut Reinhardt prägnant festgestellt: „Das Problem verschwindet, wenn Leser und Zuschauer aufgeklärt genug sind, die Teufelsfigur stillschweigend recht zu verstehen: als Manifestation eines mit dem Menschen gesetzten Potentials“.51 Goethes Teufel dokumentiert an vielen Stellen ein Spiel des Dichters mit den noch vor kurzem höchst bedrohlichen dämonologischen Vorstellungen.52 Mephistopheles selbst will in der Szene Hexenküche nicht mehr Junker Satan (2504) genannt werden: Den Namen, Weib, verbitt’ ich mir! [...] Er ist schon lang’ in’s Fabelbuch geschrieben; Allein die Menschen sind nicht besser dran, Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben. (2505–2509)
Ironisch kommentiert Mephistopheles auch sein Erscheinungsbild: Auch die Kultur, die alle Welt beleckt, Hat auf den Teufel sich erstreckt; Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen, Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen? (2495–2498)
Safranski: Goethe, S. 621. Vgl. zu Mephistopheles ausführlich etwa Daur: Faust und der Teufel. Vgl. hierzu etwa Sagarra, Eda: Der literarische Teufel als ‚Komische Person‘. Reinhardt: Die kleine und die große Welt, S. 324. Max Morris zum Beispiel beschreibt das ironische Spiel „mit der überlieferten volksmäßigen Teufelsgestalt“. Morris: Mephistopheles, S. 171 f.
5.1 Ironisch-fasziniertes Spiel mit frühneuzeitlichen dämonologischen Vorstellungen
105
Dass der Teufel keine Hörner, Schweif und Klauen bei seinem Auftreten auf der Erde zeige, ist allerdings keine ausschließlich nachaufklärerische Sicht, wie in der Faust-Forschung bisweilen suggeriert wird. Auch in frühneuzeitlichen Hexenprozessen beschrieben ihn Angeklagte oft ähnlich wie Goethe Mephistopheles auftreten lässt: im feinen Gewand oder Junkerkleid, mit Feder am Hut. Die Historikerin Lyndal Roper hat gerade das Attribut der Feder in von ihr untersuchten Hexenprozessen gedeutet, ihre Interpretation verweist auf die schon lange vor Goethe symbolisch geprägten Darstellungen des Teufels: Die Feder, die so viele Teufel trugen, war nicht nur ein fescher Hutschmuck, sondern darüber hinaus ein Symbol für Doppelzüngigkeit und Betrügerei sowie eine sexuelle Anspielung auf den Penis.53
Angesichts der facettenreichen und in ihrem Status ungeklärten Figur54 des Mephistopheles und ihrer unzähligen Kommentierungen innerhalb der FaustForschung soll hier nur Folgendes festgehalten werden: Bei aller ironischen Distanz in Goethes Darstellung spiegelt die Teufelsfigur im Drama ein präsentes dämonologisches Wissen und dessen Faszination. Ein Wechselspiel zwischen Anziehung und Ablehnung kennzeichnet offensichtlich die Rezeption der Thematik zu Goethes Zeit. Thomas Mann hat Goethes Positionierung des Teufels in einer aufgeklärten Welt mit Blick auf die Szene Land Strase der frühen Fassung des „Faust“ vielleicht am treffendsten analysiert: Ich erinnere an die nur aus vier Versen bestehende Szene, wo Faust und Mephisto an einem Kruzifix vorüberkommen. „Mephisto, hast du Eil’?“, fragt Faust. „Was schlägst vorm Kreuz die Augen nieder?“ Und sein Begleiter antwortet: Ich weiß es wohl, es ist ein Vorurteil, Allein genug, mir ist’s einmal zuwider. Die Scheu vor dem Kreuz kennzeichnet den mittelalterlichen Teufel; daß er aber von Vorurteil spricht, ist gutes achtzehntes Jahrhundert, es ist der angepaßte, modernisierte Satan. Nun aber gilt seine Aufgeklärtheit nicht etwa der Religion, und nicht das Kreuz ist es, das er ein Vorurteil nennt, sondern seine überlieferte, mittelalterliche Abneigung dagegen behandelt er als ein solches und entschuldigt sich wie für eine Schrulle und Schwäche dafür, daß er trotz seiner modernen Bildung nicht darüber hinwegkommt. So spielt der Dichter mit seiner Figur, gibt ihr Augenblicke satirischer Selbst-Aufhebung und Einschränkung ihrer Wirklichkeit. Schließlich aber ist sie da – ein Teufel, dem mittelalterlichen DämonenZeremoniell unterworfen, der Beschwörung zugänglich.55
Roper: Hexenwahn, S. 124. Vgl. hierzu etwa Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 393. Mann: Über Goethe’s ‚Faust‘, S. 275 f.
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5 Ambivalenzen der „Aufklärung“ und die Peinlichkeit der Hexenverfolgung
Die Präsenz abergläubischer Vorstellungen und die gleichzeitige verbreitete Ironisierung derselben kennzeichnet Goethes Lebenszeit als noch sehr nah am Geschehen der Hexenverfolgung.
5.2 Debatten um die letzten Hexenprozesse und spätere Rückblicke Weit müßtet ihr nach solcher Kohle laufen; Sie kommt von einem Scheiterhaufen Den wir sonst emsiger angeschürt.56
Zwei gesellschaftlich bedeutende Diskurse illustrieren aufklärerisches Bemühen, das für Goethes „Faust“ von Bedeutung ist: die zu Goethes Zeit geführten Debatten um die späten Hexenprozesse sowie um das Thema „Kindsmord“; beide werden im Folgenden etwas genauer vorgestellt. Die späten Hexenprozesse auf europäischem Boden, die zu Goethes Zeit stattfanden, lösten durch aufklärerisches Gedankengut geprägte heftige Diskurse aus, galt doch die Überwindung des Hexenglaubens als eine der wichtigsten Aufgaben der Aufklärung.57 Noch aber agierten auch öffentlich vehemente Verfechter der Hexereivorstellungen.58 Der Historiker Wolfgang Petz spricht mit Blick auf die letzten Hexenprozesse treffend von einem „komplexen Nebeneinander von ‚Hexenwahn‘ und Aufklärung“.59 Anna Maria Schwägelin, gegen die 1775 ein Hexenprozess geführt wurde, gilt als letzte zum Tode Verurteilte der Hexenverfolgung auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, das Urteil gegen sie wurde nicht mehr vollstreckt, ihre Rettung beurteilt die Geschichtswissenschaft aber als „denkbar knapp“.60 Petz bemerkt zu diesem Prozess: Der Fall der stiftkemptischen Hexe Anna Maria Schwägelin steht weder zeitlich noch geographisch völlig isoliert, denn Oberschwaben war eines der Schwerpunktgebiete der letzten Verfolgungen. Hier fanden noch bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus Prozesse statt, die mit Todesurteilen endeten.61
Mephistopheles verteilt am Hof des Kaisers magische Mittel (6356–6358). Vgl. hierzu Pott: Aufklärung und Aberglaube, besonders S. 262–265. Vgl. Schild: Dimensionen, S. 65. Petz: Die letzte Hexe, S. 27. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 15. Petz: Die letzte Hexe, S. 27.
5.2 Debatten um die letzten Hexenprozesse und spätere Rückblicke
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1782, als Goethes schon eine frühe Fassung des „Faust“ geschrieben hatte, wurde im Schweizer Kanton Glarus die Magd Anna Göldi enthauptet.62 Sie war schon früher wegen Kindsmord angeklagt und dann später der Hexerei und Giftmischerei bezichtigt worden. Ihre Hinrichtung wird oft als letzte europäische Hinrichtung in einem Hexenprozess betrachtet.63 Sie löste heftige öffentliche Debatten aus. Der Historiker und Publizist August Ludwig Schlözer, „ein Protestant unter dem schützenden Schirm des Königs von England“64, nannte den Fall „Justizmord“65. Petz beschreibt diesen späten Prozess: Anders als im Fall ihrer Kemptener Leidensgenossin wurde das Urteil am 18. Juni 1782 auch wirklich vollstreckt. Nachdem die Geschichte bekannt geworden war, erregte Anna Göldis Schicksal europaweit die Gemüter. Der Göttinger Historiker, Statistiker und Publizist August Ludwig Schlözer (1735–1809) nahm es zum Anlass, den gerade neu geprägten Begriff „Justizmord“ für derartige willkürliche Rechtsverletzungen durch Justizbehörden zu propagieren.66
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der von Goethe als Philosophieprofessor in Jena empfohlen worden war, nahm in seinen späteren Berliner „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ auf den Hexenprozess in Glarus Bezug und bemerkte: „Die ganze Erscheinung ist an und für sich höchst wunderbar, wenn wir bemerken, wie es noch gar nicht lange ist, daß wir aus dieser furchtbaren Barbarei heraus sind [...].“67 Hegel erwähnt den Fauststoff an dieser Stelle ganz explizit im Zusammenhang mit der Realgeschichte der Hexereivorstellungen, als er über den „Gauben an das Böse“ schreibt: [...] so glaubte man nun, man könne für den Preis seiner Seligkeit durch einen mit dem Teufel gemachten Bund sich die Reichtümer der Welt und die Macht für seine Begierden und Leidenschaften erkaufen. So ist jene berühmte Geschichte von Faust entstanden, der sich aus Überdruß der theoretischen Wissenschaft in die Welt gestürzt und mit Verlust seiner Seligkeit alle Herrlichkeit derselben erkauft habe. Faust hätte dafür, nach dem Dichter, die Herrlichkeit der Welt genossen; aber jene armen Weiber, die man Hexen nannte, sollten nur die Befriedigung einer kleinen Rache an ihrer Nachbarin gehabt haben, wenn sie der Kuh die Milch versetzten oder das Kind krank machten. Man hat aber gegen sie nicht die Größe des Schadens beim Verderben der Milch oder Krankwerden des Kindes usf. in
Vgl. zum Prozess gegen Anna Göldi ausführlich Hauser: Justizmord sowie Kord: Ancient Fears and the New Order, besonders S. 65–70. Vergleiche hierzu relativierend die lange Liste später Hexenhinrichtungen bei Behringer: Letzte Hexenhinrichtungen 1700–1911. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 9. Vgl. etwa August Ludwig Schlözer: Abermaliger Justizmord in der Schweiz, in: Stats-Anzeigen, Vol. 2, 1782, S. 273–277. Vgl. zu Publikationen und Pressereaktionen auch: Hauser: Justizmord, S. 11–22 und 144–150. Petz: Die letzte Hexe, S. 174. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 507.
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5 Ambivalenzen der „Aufklärung“ und die Peinlichkeit der Hexenverfolgung
Anschlag gebracht, sondern hat abstrakt die Macht des Bösen in ihnen verfolgt. So sind denn in dem Glauben an diese abgetrennte, besondere Macht der Weltlichkeit, an den Teufel und dessen List in den katholischen sowohl wie in den protestantischen Ländern eine unendliche Menge von Hexenprozessen eingeleitet worden. [...]68
Hegel schildert anschließend die Verbreitung von Hexenprozessen und die unrechtmässige Tortur; er erwähnt den mutigen Einsatz Friedrich Spees gegen die Hexenverfolgung, der die „Fürchterlichkeit der Kriminaljustiz“69 überliefert habe, und den besonderen Einfluss des Christian Thomasius in der Bekämpfung des Aberglaubens. Die dezidierte Beschreibung Hegels bringt „Faust“ viel deutlicher in den Kontext des historischen Geschehens, als es in der allermeisten späteren Sekundärliteratur geschah. Sein Beispiel zeigt den Rückblick auf die Hexenverfolgung in einem Bewusstsein, dass diese noch nicht lange vorbei war. Nah am Geschehen wird auch der Fauststoff entsprechend historisch verortet. Dass im 19. Jahrhundert das Thema Hexenverfolgung auch verstärkt ein Gegenstand literarischer Verarbeitungen wurde, ist schon angesprochen worden. Felix Wiedemann vermutet mit Blick auf die Rezeption der Hexenverfolgung im 19. Jahrhundert: „Gerade in der bewussten Differenz bei gleichzeitiger örtlicher wie zeitlicher Nähe scheint folglich der Reiz des Themas für die nachfolgenden Generationen gelegen zu haben.“70 Zugleich spiegeln manche literarischen Rückblicke auf die Hexenverfolgung zu dieser Zeit noch Ängste einer Wiederkehr des Geschehenen. So spielt Ludwig Tiecks Novelle „Der Hexen-Sabbat“, zuerst erschienen in Goethes Todesjahr 1832, zwar im 15. Jahrhundert und beschreibt frühe Hexenprozesse in Arras. Doch thematisiert eine Protagonistin des Romans, Catharina, den nur scheinbaren Abstand noch ihrer Zeit zum Aberglauben. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass hier eine Furcht auch der Zeitgenossen Goethes durchscheint. Catharina fragt: „Und Ihr meint, sagte Catharina, jene schreckliche Finsternis, der wilde Aberglaube, die Verfolgungen und Martern, wovon wir mit Grausen lesen, wenn wir die alten Chroniken aufschlagen, könnten niemals wiederkehren?“71 Eben jene Figur Catharina wird später als Hexe verurteilt und verbrannt. Achim Hölter kommentiert das Geschehen in der Novelle: „Dies aber ist nur möglich, weil die aufgeklärte, humane Überzeugung nur bei den wenigsten wirklich Fuß gefaßt hat, und weil diese wenigen sich des Aberglaubens sogar zynisch bedienen [...].“72
Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 506. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 507. Wiedemann: Rassenmutter, S. 33. Tieck: Hexen-Sabbat, S. 48. Hölter: Nachwort, S. 265 f.
5.3 Diskurse um das Delikt „Kindsmord“
109
Goethes Zeit war, anders als es heute oft angenommen wird, noch nicht sehr weit entfernt von den traumatischen Erinnerungen an Wellen von Hexenverfolgungen. Davon zeugen auch die frühen literarischen Rückblicke auf die Prozesse, die eine Unsicherheit gegenüber jeder „Aufgeklärtheit“ erahnen lassen. Selbstverständlich gab es weiterhin Wissen um das frühneuzeitliche Geschehen, auch da dessen Ausläufer, die späten juristisch legalen Hinrichtungen angeblicher Hexen, noch Zeitgeschichte waren.73 Ironische Distanzierungen der Zeitgenossen muten vor diesem Hintergrund nicht zuletzt als eine Methode der Vergangenheitsbewältigung an.
5.3 Diskurse um das Delikt „Kindsmord“ Kindsmord erregte also [...] ein riesiges Interesse, so kann man abschließend festhalten, weil er vom gebildeten Bürgertum zur Diskussion seiner eigenen Probleme und Vorlieben umfunktioniert wurde.74
Die Debatte um das Delikt „Kindsmord“ und seine Verhinderung beziehungsweise Bestrafung wird in der Literaturwissenschaft immer wieder als ein prägnantes Geschehen der Aufklärung betrachtet, manche sehen in den entsprechenden Diskursen einen „zentralen Bestandteil der Spätaufklärung.“75 Otto Ulbricht hat sich mit dem Einfluss der Aufklärung auf die Debatte um Kindsmordprozesse beschäftigt. Er betont, „Aufklärung“ könne nicht nur als philosophisch-literarische Bewegung gesehen werden, sondern auch als „praxisorientierte, allgemeine Reformbewegung“.76 Immer wieder wird eine Beeinflussung des Strafrechts durch aufklärerische Vorstellungen beschrieben und auf die Bedeutung des Straftatbestands „Kindsmord“ verwiesen, die auch durch die zunehmende Häufigkeit seiner Verfolgung begründet war.77 Die frühere Zeit allerdings, in der Goethes Gretchentragödie spielt, sah zwar in normativen Rechtstexten für „Kindsmord“ drakonische Strafen vor, es gibt jedoch Hinweise darauf, dass in der historischen Wirklichkeit eine Duldung der Tötung von Neugeborenen nicht selten war.78
Auf die letzten Hexenprozesse verweist in aller Deutlichkeit Schöne: Götterzeichen, S. 186. Einige Fauststudien erwähnen immerhin knapp, dass es zu Goethes Lebzeiten noch Hexenprozesse gab, wenn auch meist keinerlei Schlüsse daraus gezogen werden. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 255. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 217. Vgl. hierzu auch Wilson: Goethe, His Duke and Infanticide, besonders S. 15–30. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 11. Van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 109. Vgl. hierzu Punkt 8.3.4 meiner Arbeit.
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5 Ambivalenzen der „Aufklärung“ und die Peinlichkeit der Hexenverfolgung
Klaus Kastner, der besonders rechtliche Aspekte des Delikts Kindsmord betrachtet, verweist darauf, dass das Thema in der Literatur lange Zeit keine Bedeutung hatte: Im Gegensatz zu vielen anderen, fast archetypischen Vorlagen, welche die Wirrnisse und die Verwicklungen des konkreten Lebens für literarisches Schaffen seit alters her abgaben – man denke an: Vatermord, Inzest, das Ödipusphänomen und vieles andere – taucht der Kindsmord als literarisches sujet im europäischen Kulturkreis weder bei Griechen noch bei Römern auf; Catull und Ovid besingen allenfalls die Klage der betrogenen Frau. Die Ursache dafür liegt nicht zuletzt wohl in den rechtlichen Gegebenheiten des gräko-römischen Kulturkreises, in dem Kindstötung kraft elterlichen Rechts ausgeübt wird. Auch die italienische und spanische Literatur des Mittelalters [...] befassen [sic] sich nicht mit der Thematik oder allenfalls am Rande. [...] Es gehört zu den epochalen Leistungen des „Sturm und Drang“, die Gestalt der Kindsmörderin literaturfähig gemacht zu haben.79
Klare Bezüge von Literatur zu realen rechtlichen Gegebenheiten und öffentlichem Bewusstsein werden in Kastners zusammenfassender Darstellung deutlich. Auch die gesellschaftliche Debatte um Kindsmorde zur Zeit des Sturm und Drang hat sicher zur Wahl des Motives durch manche Autoren und vielleicht auch durch Goethe beigetragen. Von Heinrich Leopold Wagners Drama „Die Kindermörderin“, das 1776 viel Aufmerksamkeit auf sich zog, wird noch die Rede sein. Das öffentliche Interesse manifestiert sich zum Beispiel in einer 1780 publizierten Frage, für deren beste Beantwortung ein Preis ausgesetzt war: „Welches sind die besten ausführbaren Mittel, dem Kindermorde Einhalt zu thun?“; es gingen etwa 400 Einsendungen ein.80 Viele literaturwissenschaftliche Studien beschäftigen sich mit dieser öffentlichen Ausschreibung.81 Der Initiator der vielbeachteten Diskussion war der Mannheimer Regierungsrat Ferdinand Adrian von Lamezan (1741–1817). Goethe hat die Abhandlung des Weimarer Regierungsmitglieds Christian Gottlob Voigt zu dieser Frage gelesen.82
Kastner: Kindsmord, S. 1 f. Otto Ulbricht berichtet über die Verbreitung des Themas im Umfeld der Mannheimer Preisfrage von 1780: „Dem Thema ‚Kindsmord‘ konnte der Zeitgenosse kaum entkommen: Antworten auf die Preisfrage erschienen beständig in separaten Schriften; Aufsätze darüber, Statistiken, Fallgeschichten und historische Behandlungen füllten die Blätter der Journale; es gab kaum eine in diesen Jahren neu erscheinende Zeitschrift, die sich dies Thema entgehen ließ.“ Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 247. Vgl. zum Beispiel Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 217–231. Vgl. hierzu auch Wächtershäuser: Das Verbrechen des Kindsmordes, S. 34–57, sowie van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 104–108. Sie findet sich kommentiert und im Zusammenhang mit anderen diesbezüglichen Quellen zu Voigt ediert bei Wahl: Sittlichkeitsdelikte und Kindsmord, S. 51–68.
5.3 Diskurse um das Delikt „Kindsmord“
111
Die plötzlich auftretenden zahlreichen literarischen Verarbeitungen des Motivs Kindsmord, in deren Kontext Goethes Gretchentragödie steht, zeugen von einem zeitlich auffällig konzentrierten Interesse an diesem Thema. Viele namhafte, aber auch wenig bekannte Dichter haben es behandelt; es gilt insbesondere als ein zentrales Motiv des „Sturm und Drang“.83 Mit Blick auf die Kindsmordthematik übertragen manche literaturwissenschaftlichen Interpretationen allerdings sehr moderne Perspektiven anachronistisch auf diese vermeintlich radikal aufklärerischen Autoren. Auch hier wirken offensichtlich stereotype Vorstellungen einer „aufgeklärten“ Goethezeit. So erläutert etwa Matthias Luserke die Beliebtheit des Themas Kindsmord in der Aufklärung wie folgt: Aus Angst vor Schande und Ächtung töten die Frauen die lebendigen Beweise ihres Begehrens, die Männer gehen frei aus. Das Thema Kindsmord offenbart die dunkle Seite der Aufklärung. Darin kann ein grundlegender Wandel vom aufgeklärten Bürgerlichen Trauerspiel zur Literatur des Sturm und Drang gesehen werden. Die Autoren des Sturm und Drang treiben die Aufklärung der Aufklärung radikal voran. Ihre Literatur zum Thema Kindsmord hebt den Zusammenhang von Vatergesellschaft, Männergewalt, Unterdrückung der Sexualität und Unterdrückung der Frauen erstmals ins öffentliche Bewußtsein.84
Als Hintergründe für die gesellschaftliche Debatte des Kindsmords im späten 18. Jahrhundert werden in der Forschung sehr verschiedene Motivationen diskutiert. Eine deutlich sichtbare Intention vieler Autoren dieser Zeit ist eine politisch motivierte Betrachtung der Ständegesellschaft. Sie hatte nicht selten klischeehafte Auch viele Historikerinnen und Historiker verweisen auf die literarischen Behandlungen des Themas Kindsmord, sie messen der Literatur damit realhistorische Bedeutung zu. Etwa vermerkt Richard van Dülmen: „Es gab kaum einen Vertreter des Sturm und Drang, der nicht in Form von Gedichten, Dramen und Erzählungen dieses Motiv aufgriff: Goethe behandelte das Thema in der Gretchentragödie seines ‚Faust‘ (1774 / 5); Friedrich Maximilian Klinger in seinem Faustroman ‚Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt‘ (1791); Jakob M. Reinhold Lenz in seiner Erzählung ‚Zerbin oder die neuere Philosophie‘ (1776); Friedrich Schiller in seinem Gedicht ‚Die Kindsmörderin‘ (1781). Das bekannteste Drama zu diesem Thema schuf Heinrich Leopold Wagner unter dem Titel ‚Die Kindsmörderin‘ (1776).“ Van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 103. Luserke: Sturm und Drang, S. 248 f. Rüdiger Scholz kommt nach dem Vergleich von literarischen Quellen mit historischen Gerichtsakten zu einem ähnlichen Ergebnis: „Die in der Literatur dargestellten Verhältnisse weichen so grundlegend von denen der Realität ab, daß man zu dem Schluß kommt: In der Literatur wird nicht das wirkliche gesellschaftliche Problem diskutiert. Zumindest verbietet es sich, von einer realistischen Darstellung zu sprechen. [...] Das Kindsmörderinmotiv wird ausgebeutet für andere Zielsetzungen, die nicht weniger gesellschaftspolitischer Natur sind. Als erstes wäre zu nennen der Kampf zwischen Adel und Bürgertum. Der Adel erscheint negativ als der unmoralische Stand, adlige Verführer kümmern sich nicht um die geschwängerte Frau, verlassen sie und lösen damit die Katastrophe aus. Neben dem Adel wird auch Kritik geübt an der zu harten Moral der patrizisch zunftbürgerlichen Gesellschaft.“ Scholz: Gewalt dichterischer Ideologie, S. 257 f.
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5 Ambivalenzen der „Aufklärung“ und die Peinlichkeit der Hexenverfolgung
Züge,85 was dann auch die Bedeutung dieser Literatur im Sinne einer Einfühlung in Lebensumstände verringern kann: In der Hand der Stürmer und Dränger wurde das Kindsmord-Motiv zu einer literarischen Waffe der historischen Auseinandersetzung zwischen dem geistig führenden, selbstbewußter gewordenen Bürgertum und dem politisch tonangebenden Adel. Die Wirklichkeit wurde umgeformt: Aus dem Knecht wurde in der Literatur der adlige Offizier, aus der Dienstmagd, die der ländlichen Unterschicht angehörte, die tugendhafte, wohlbehütete Bürgerstochter in der Stadt und somit aus einer Beziehung, die durch Gleichrangigkeit geprägt war, eine, deren Kennzeichen der Standesunterschied war. Die Behandlung des Themas hatte meist „etwas Schablonenhaftes“.86
In vielen literarischen Kindsmorddarstellungen ist das Motiv der „Ehre“ zentral, bürgerliche Moral wird dabei zur Projektion. In der historischen Wirklichkeit nämlich stammte die überwiegende Zahl der unverheirateten Mütter und Väter aus der Schicht der Knechte und Mägde, und auch die meisten Kindsmorde sind in diesem Milieu belegt.87 Ein „adliger Verführer“, wie er als literarische Figur beliebt war, ist in real dokumentierten Kindsmordfällen normalerweise nicht beteiligt.88 Für viele Dienstmägde haben Fragen einer „Ehre“ beziehungsweise „Schande“ gesellschaftlich eine untergeordnete Rolle gespielt.89 Historische Quellen dokumentieren unterschiedliche Tötungsmotive. Heute werden weder die Angst vor Ehrverlust noch ökonomische Schwierigkeiten allein als ausschlaggebend für Kindstötungen betrachtet. Die Motive gelten als soziokulturell komplex90 und psychologisch individuell.91 Goethe intendiert in seiner Gretchentragödie, anders als viele Autoren seiner Zeit, nicht vorrangig die Kritik einer Ständegesellschaft. Wohl ist Faust einer gebildeteren Schicht als Gretchen zuzurechnen, dieser Unterschied ist aber nicht
Auch wenn die Gretchentragödie für Schülerinnen und Schüler erläutert wird, werden diese Klischees manchmal reproduziert und nicht selten als historische Wirklichkeit dargestellt. So vermutet etwa Rüdiger Bernhardt zum Thema „Kindsmord“ und dessen realen juristischen Umständen: „das Problem entstand aus dem Zusammentreffen von Unterschicht und Aristokratie, Ritter und Magd, Offizier und Bürgermädchen, Offizier und Dorfmädchen, Faust und Gretchen.“ Bernhardt: Erläuterungen zu Johann Wolfgang von Goethe, S. 31. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 232 f. Van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 76. Vgl. auch Labouvie: Das Schweigen der Kindsmörderinnen, S. 435–438. Vgl. zur Diskrepanz von literarischen und echten Kindsmordfällen auch Habermas: Susanna Brandt, Gretchen und Goethe, S. 1939. Vgl. hierzu etwa van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 76. Vgl. zum Beispiel van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 8 f. Vgl. Habermas: Gretchen, S. 35–38.
5.3 Diskurse um das Delikt „Kindsmord“
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ausschlaggebend für das Schicksal der unehelichen Mutter.92 Ins Zentrum rückt bei Goethe auffallend die extreme Stigmatisierung Gretchens in einer angstbesetzten Umgebung. Uneheliche Kinder waren in der frühneuzeitlichen Realität allerdings sehr häufig.93 Die lebensbedrohliche Ausgrenzung, die etwa Valentin der unehelichen Mutter und ihren Angehörigen vorhersagt, entspricht keiner historischen Wahrscheinlichkeit des Geschehens. Diese Indizien spielen eine Rolle, wenn man die ursprüngliche Anlage eines Hexenprozesses gegen Gretchen in Betracht zieht. Sie sprechen dafür, dass Spuren einer intendierten Hexereianklage im Werk noch vorhanden sind. Weil Goethes Drama von typischen literarischen Kindsmord-Darstellungen seiner Zeit abweicht, ist eine simple Charakterisierung seiner Gretchentragödie als Ausdruck aufklärerischer Bemühungen des Sturm und Drang unzureichend. Diese Zuordnung wird jedoch nicht selten vorgenommen, daher gilt es auch hier das Drama von stereotypen Erklärungsmustern bezüglich seiner Prägung durch die „Aufklärung“ zu befreien. Dann wird der Blick für andere Spuren im Werk frei.
Wie es häufig geschieht, zählt zum Beispiel Rüdiger Scholz Goethes Faust dennoch mit anderen höhergestellten Vätern auf: „Die Verführer oder, wie bei Wagners Die Kindermörderin, die Vergewaltiger, sind sozial höher gestellt. Bei Wagner ist von Grönigseck ein Adliger; Faust gehört in das obere Bildungsbürgertum (Akademiker, Hochschullehrer), ebenso Zerbin in der Erzählung von Lenz. Junker von Falkenstein, der Verführer von Rosette, des Pfarrers Tochter von Taubenhain in Bürgers gleichnamiger Ballade, ist Adliger, sie Pastorentochter; bei Sprickmann ist der Verführer Humfried ein Ritter, Ida eine Nichtadlige.“ Scholz: Gewalt dichterischer Ideologie, S. 257. Georg Lukács hat angemerkt, Goethe habe im Vergleich zu den Kindsmordtragödien seiner Zeit „von Anfang an eine eigenartige Position und Fragestellung“, er gestalte „etwas Breiteres und Tieferes“. Lukács: Faust und Faustus, S. 180. Vgl. hierzu Punkt 8.3.2.
6 Dämonologie, Hexenverfolgung und Literatur Denn Erinnerung ist niemals Wiederherstellung von Vergangenheit, sondern immer nur eine Repräsentation derselben.1
Literarische Werke nehmen oft auf Magieglauben Bezug, seltener auch auf die reale Hexenverfolgung. Die Interpretationsgeschichte von Literatur, in der die Hexenthematik verarbeitet wird, zeigt über die Zeit der Werke hinausgehende Rezeptionsströme. Die literarischen Fiktionen können auch für die geschichtswissenschaftliche Hexenforschung von Bedeutung sein. Doch ist die literarische Rezeption von Hexenangst und Hexenverfolgung, wie schon beschrieben, noch nicht hinreichend erforscht.2 Ganz besonders gilt das für Literatur, die zeitlich vor den Hexenthematisierungen der Romantik liegt. Je näher aber literarische Werke dem realen Verfolgungsgeschehen sind, desto eher ermöglichen sie Einblicke in vergangene mentale Welten, die in der Realität auf furchtbare Weise wirksam wurden. Wilhelm Kühlmann hat als einer der wenigen Literaturwissenschaftler nach der „literarischen Signatur der Hexenangst in Deutschland“ gefragt.3 Er kommt zu folgendem Resümée: Sieht man ab von einigen Passagen beispielsweise in den Werken von Andreas Gryphius, Johann Michael Moscherosch, Jacob Balde S. J., Johannes Bisselius S. J., Daniel Czepko und Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, bleibt die Suche nach literarischen Darstellungen von Zauberei, Hexerei und deren Bekämpfung, erst recht die Suche nach Reflexen persönlicher Ängste und Erfahrungen allerdings merkwürdig ergebnislos.4
Dass die frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen und Hexenängste literarisch nicht häufiger dargestellt wurden, ist von manchen Forschern als erstaunlicher Befund hervorgehoben worden. Conrad Wiedemann nennt die barocke gelehrte Dichtung „selektiv und abstrakt“, er beschreibt sie als in weiten Teilen nicht mit der historischen Wirklichkeit befasst: „Geradezu tabuisiert erscheinen zwei Dinge, die man als Geißel der Zeit bezeichnen könnte: die großen Seuchen und die Hexenfrage.“5 Und auch Kühlmann stellt fest: „Die geläufigen literarischen Genera, vom humanistisch-gelehrten Paradigma geprägt, scheinen das Hexenthema mit einer gewis-
Assmann: Gedächtnis als Leitbegriff, S. 28. Vgl. die Bewertung dieses Forschungsdesiderates durch Burghart Schmidt: Einleitung, S. 14. Kühlmann: Poetische Hexenangst, S. 153. Kühlmann: Poetische Hexenangst, S. 159. Wiedemann: Barocksprache, S. 26.
https://doi.org/10.1515/9783111311258-006
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sen Scheu zu umgehen [...].“6 Grundsätzlich wird eine gewisse Ausblendung der Hexenverfolgung in der bedeutenden Dichtung des 16. und 17. Jahrhunderts konstatiert, „einer Ära massenhafter Hinrichtungen“.7 Allerdings verweist Kühlmann hinsichtlich der Barockliteratur zu Recht auf ein Forschungsdesiderat und die „notorischen Sichtverengungen des etablierten germanistischen Kanons“,8 die zu diesem Eindruck beitragen können. Es gibt zwar einige Untersuchungen, die berüchtigte dämonologische Traktate berücksichtigen und man beachtet auch einige verfolgungskritische Autoren, die hinsichtlich der Abschaffung der Hexenprozesse Einfluss hatten, zum Beispiel Friedrich Spee von Langenfeld, Johann Weyer, Hermann Löher und Christian Thomasius. Kühlmann vermutet hier eine „Pflege jener ‚Memoria‘, in der sich die liberale Gesellschaft von heute ihrer einsamen Protagonisten versichert.“ Jedoch fehlt die gebührende Aufmerksamkeit für Literatur, die außerhalb der genannten Felder liegt, die aber Hexenimaginationen stark prägte, etwa Flugschriften,9 illustrierte Einblattdrucke, Predigtliteratur, Teufelsbücher, Exempelsammlungen und andere christliche Erbauungsliteratur.10 Als eine Ausnahme kann man hier die Predigten des Johannes Geiler von Kaysersberg nennen, die gründlich untersucht worden sind. In diesen Studien kommt zum Teil auch die Hexenthematik zur Sprache.11 Wenn aber die offensichtliche literarische Thematisierung der Hexenangst und der Hexenverfolgung in deren zeitgenössischer Literatur eher selten sind, dann kann es umso aufschlussreicher sein, nach latenten Spuren dieser Themen zu suchen. Dämonologische Traktate umfassten in der frühen Neuzeit tausende Seiten über das Hexenwesen. Seit der Erfindung des Buchdrucks waren sie sehr stark verbreitet und geistlichen und weltlichen Führungsschichten weithin bekannt.
Kühlmann: Poetische Hexenangst, S. 159. Kühlmann: Poetische Hexenangst, S. 159. Kühlmann: Poetische Hexenangst, S. 159. Kühlmann stellt einige Beispiele frühneuzeitlicher Lyrik vor, die Hexenangst behandeln. Flugblätter und Flugschriften hatten eine hohe Attraktivität und wurden auch als Propagandainstrumente eingesetzt. Sie wurden allerdings nicht – wie es die Bezeichnung heute denken lässt – einfach verteilt, sondern verkauft. Ihre Käufer gehörten nach Harms und Schilling überwiegend der städtischen Mittelschicht, teilweise auch der Oberschicht an. Harms / Schilling, S. XII. Die Autoren beobachten gerade bei illustrierten Flugblättern eine „aufmerksamkeitssuchende Appellstruktur und die Dominanz der Glaubens- und Meinungsbeeinflussung“. Harms / Schilling, S. VII. Vgl. hierzu Brückner: Volkserzählung und Reformation. Vgl. Beispiele vor allem von „Newen Zeitungen“ bei Baron: Der Mythos des faustischen Teufelspakts, besonders S. 110–114. Vgl. zum Beispiel Bauer: Hexenpredigten und Voltmer: Wie der Wächter auf dem Turme, zusammenfassend zu dieser Frage S. 61–63.
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6 Dämonologie, Hexenverfolgung und Literatur
Diese „gelehrte“ Seite der frühneuzeitlichen Hexenvorstellungen, hier ist sich die Rezeptionsforschung einig, hatte starken Einfluss auf die literarischen Verarbeitungen des Hexenmotivs. Burghart Schmidt beschreibt die parallele Entwicklung wie folgt: „Mit der Verbreitung des Hexenwahns über Kanzeln, Traktate und bildliche Darstellungen gewann die literarische Umsetzung des Hexenmotivs seit Ende des 15. Jahrhunderts insgesamt gesehen [...] an Bedeutung.“12 Dämonologie, reale Hexenverfolgung und Literatur beeinflussten sich gegenseitig. Mit Blick auf den Fauststoff offenbaren sich diese Wechselwirkungen besonders deutlich, wie im Folgenden noch dargelegt wird. Der Historiker Wolfgang Behringer schildert das Eindringen des Hexenglaubens in ganz unterschiedliche Arten von Literatur. Zum Beispiel wurden Predigten und andere christliche Abhandlungen mit Hexenvorstellungen durchsetzt; auch Aufrufe zur Hexenverfolgung finden sich dort. 13 Diese Verzahnung von Dämonologie, Verfolgungspraxis und Literatur ist oft beschrieben worden. Auch Markus Kippel skizziert sie: Parallel zu der gelehrten Debatte verlief die literarische Verarbeitung des Themas. Es beschäftigte Volksliteraten wie Johannes Pauli, es war der Gegenstand der Schwankliteratur, des „Volksbuches“ von Till Eulenspiegel, des „Hexenspiegels“ von Thomas Birk sowie der mündlichen Tradition um Doktor Faustus, der im 16. Jahrhundert als halbgelehrter Quacksalber und Zauberer durch die Welt zog.14
Die explizite literarische Auseinandersetzung mit der realen Seite der frühneuzeitlichen Dämonologie, der praktizierten Hexenverfolgung, entwickelte sich vor allem im 19. Jahrhundert, sie ging einher mit den Anfängen der geschichtswissenschaftlichen Erforschung dieses Geschehens.15 Nicht umsonst verweist Burghart Schmidt darauf, dass die Hexenthematik auch in den im 19. Jahrhundert stark fokussierten Märchen und Sagen zwar eine „Umformung in das Wunderliche“ erfahren habe, „aber durchaus Reminiszenzen einer traumatischen und beklemmenden Vergangenheit beinhaltete“.16 Ob gerade diese Erinnerungen heute noch erkannt werden, ist zweifelhaft. Vielmehr haben sich die Hexenphantasien verselbständigt und leben losgelöst von ihren dämonologischen Quellen und ihrer realgeschichtlichen Seite als Faszinosum weiter. Dieser Befund manifestiert sich ganz besonders in der Rezeptionsgeschichte von Goethes „Faust“, was noch detailliert zu zeigen sein wird.
Schmidt, B.: Historische Hexenforschung im Spannungsfeld, S. 15. Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 404. Kippel: Stimme der Vernunft, S. 20. Vgl. Kippel: Stimme der Vernunft, S. 2. Vgl. zur literarischen Rezeption der Hexenverfolgung im 19. Jahrhundert auch Schmidt, B.: Ludwig Bechstein. Schmidt, B.: Historische Hexenforschung im Spannungsfeld, S. 16.
6.1 Die Hexenverfolgung und der Fauststoff
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Hinsichtlich der Hexenverfolgung verbanden sich im 19. Jahrhundert oft historiographische, quellengestützte Interessen mit aufklärerisch-literarischen. Schmidt beschreibt diesen Impetus der Autoren: „Das 19. Jahrhundert mit seinem historisch-antiquarischen Interesse brachte nicht nur erste Ansätze zur Erforschung des historischen Hexenwahns, sondern knüpfte auch in der literarischen Produktion an diese Thematik an.“17 Ein Beispiel hierfür ist der aus erfundenen Quellen erstellte Roman „Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe“, der 1843 erschien und im Folgenden noch mehrmals zur Sprache kommt. Heinrich Laube verarbeitete den Roman zu dem 1846 veröffentlichten Theaterstück „Die Bernsteinhexe“. Burghart Schmidt bemerkt zur Rezeption der Hexenthematik in der Literatur des 19. Jahrhunderts Folgendes: Zeichnete sich von Ludwig Tiecks „Hexen-Sabbath“ aus dem Jahre 1832 über Bechsteins „Hexengeschichten“, Wilhelm Raabes „Else von der Tanne“ und Wilhelm Heinrich Riehls Erzählung „Jörg Muckenhuber“ bis hin zu Theodor Storms Chroniknovelle „Renate“ und Theodor Fontanes Romanfragment um „Sidonia von Bork“ eine aufklärerisch-literarische Tendenz ab, die sich über weite Strecken des 19. Jahrhunderts hinzog und das elaborierte Hexenbild der Frühen Neuzeit auf der Basis kulturgeschichtlicher und regionaler Quellen und Chroniken hinterfragte, blieb auch die romantische Faszination für das Kuriose des Phänomens lange Zeit bestehen.18
Eine Faszination, die bisweilen zweifelhafte Facetten zeigt, hat das Thema immer noch. Seit dem späten 20. Jahrhundert bis heute beschäftigen sich viele historische Romane, auch aus dem Bereich der Jugendliteratur, mit der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung.
6.1 Die Hexenverfolgung und der Fauststoff Die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Hexenverfolgung und dem Fauststoff ist bis heute als Forschungsaufgabe nicht ernst genommen worden.19
Das Motiv des Teufelspaktes, das schon in biblischen Schriften Wurzeln hat und in der Literatur des Mittelalters vielfältig verarbeitet wurde,20 war in der Literatur der frühen Neuzeit stark verbreitet, vor allem auch in der volkssprachigen Schmidt, B.: Historische Hexenforschung im Spannungsfeld, S. 16. Schmidt, B.: Historische Hexenforschung im Spannungsfeld, S. 17. Baron: Hexenprozesse, S. 59. Vgl. zum Beispiel die Studie von Almut Neumann: Verträge und Pakte mit dem Teufel. Neumann untersucht die Entwicklung des Teufelspaktmotivs bis zum Ende des Mittelalters, sie nimmt dabei dämonologische und literarische Werke in den Blick. Vgl. auch Füssel, S.: Quellen, sowie Kretzenbacher: Teufelsbündner.
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Literatur.21 Die Gründe für die damalige Aktualität des Themas liegen angesichts der im 16. und 17. Jahrhundert intensiv stattfindenden Hexenverfolgungen auf der Hand. In den Zauberei- und Hexenprozessen war die Vorstellung des Teufelspaktes zentral. Der Glaube an Bündnisse mit dem Bösen hatte sich stark ausgeprägt, und man richtete unter Verweis auf dieses angebliche Delikt tausende Frauen und Männer hin.22 In vielen literarischen, bildnerischen, filmischen und musikalischen Bearbeitungen des Fauststoffes, frühneuzeitlichen und späteren, kommen Hexenverfolgungen und Zaubereiprozesse zur Sprache, explizit mit Bezug auf Faust (und in den nachgoethischen Werken auch auf Gretchen), oder als Zeitkolorit. Eine eigene Studie zu diesem großen Feld, das im Rahmen meiner Untersuchung nur beispielhaft behandelt werden kann, würde reiche Ergebnisse versprechen. Wenn nun im Folgenden Goethe-Forscherinnen und -Forscher zitiert werden, die das Geschehen der Hexenverfolgung nicht ignorieren, so ist zu berücksichtigen, dass, obwohl mit Blick auf den Fauststoff stets dessen frühneuzeitliche Wurzeln dargelegt werden, weit mehr Untersuchungen zu dem Thema schweigen. Sie alle aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Die folgenden Zitate sollen also nicht den trügerischen Eindruck erwecken, das Thema sei in der Forschung zu Goethes „Faust“ hinreichend beachtet worden. Mehr Aufmerksamkeit fand die Hexenverfolgung in einigen Studien, die sich speziell den frühen Faustverarbeitungen widmen; sie behandeln allerdings Goethes „Faust“ meistens nicht (vgl. hierzu Punkt 2.3.2). In bemerkenswerter Deutlichkeit hat sich Richard Friedenthal in seiner Goethe-Biographie zum Kontext des in der frühen Neuzeit populären Fauststoffes geäußert. Im Zusammenhang mit frühen Faustinszenierungen kommt er auf die Hexenverfolgung und den verfolgungseifrigen Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel zu sprechen. Die Opferzahlen werden von Friedenthal allerdings übertrieben, er hat sich offensichtlich an veralteter Literatur orientiert:23
Vgl. Adel: Historie, vor allem S. 67. Christoph Daxelmüller betrachtet in seiner Abhandlung zur Idee des Teufelspaktes die Frage nach der rechtlichen Bedeutung dieser Imaginationen: „Zieht man allerdings die Zahl der wegen des crimen magiae seit dem frühen 16. Jahrhundert verdächtigten und hingerichteten Malefizpersonen, der Hexen und Hexer in Betracht, dann müßten die in der höllischen Amtsstube bestätigten Teufelspakte die Akten der Untersuchungsbehörden bis zum Bersten füllen. [...] Der Teufelspakt mithin als elitäres Konstrukt oder als reale juristische Grundlage der Hexenprozesse?“ Daxelmüller: Teufelspakt, S. 11. Vgl. zum Problem der unkritischen Übernahme von Angaben aus frühneuzeitlichen Quellen zu Opferzahlen in Braunschweig-Wolfenbüttel durch die historische Forschung die Untersuchung von Gerhard Schormann: Hexenprozesse in Nordwestdeutschland, S. 47–58.
6.1 Die Hexenverfolgung und der Fauststoff
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Dr. Faustus war vor allem eine mimische Schau. Wir kennen diese ersten Stücke nicht, wir haben nur die Berichte der ehrbaren Magistrate, die das Schauspielergesindel immer wieder auswiesen und immer wieder zulassen mußten. An den Höfen fanden sie Protektion, in Braunschweig beim Herzog Heinrich Julius, der selber Stücke schrieb, im neusten Stil der Prosa, und der als Ratgeber am Hofe Rudolfs II. in Prag endete in jener seltsam faustischen Atmosphäre, die Kabbalistik, Zauberwesen, feinsten Kunstverstand und brutalen Aberglauben vermischte und zum Hexentanz des Dreißigjährigen Krieges überleitete. Ein großer Hexenverbrenner war schon dieser sonst so moderne Heinrich Julius gewesen; zu Hunderten standen die Pfähle mit den verkohlten Leichen um seine Residenz Wolfenbüttel. Denn jetzt erst begann die eigentliche große und blutige Zeit des Dämonenglaubens. Der Blocksberg, der Brocken, der braunschweigischen Residenz benachbart, wurde zum geheimen Sammelpunkt für alle Mären von Walpurgisnacht und Herrn Urian, der dort Hof hielt. Mit Behagen malte sich die vergiftete Sexualphantasie das wüste Treiben aus.24
André Dabezies beschreibt in seiner bekannten Untersuchung des Faustmythos immerhin knapp die Zeit der intensiven Hexenverfolgungen als Kontext des Stoffes: L’accusation de sorcellerie et de pacte avec le diable ne pouvait devenir que plus immédiate et plus plausible dans ce siècle obsédé pour ainsi dire par le démon, où surgissent de partout les manuels de démonologie et où se multiplient les procès de sorcellerie.25
Dabezies verweist hier unter anderem auf die Bedeutung dämonologischer Traktate. Er will sich dem Mythos Faust zwar explizit auch historisch nähern, allerdings nennt er im Literaturverzeichnis seiner Studie, wie schon unter Punkt 2.1.1 angemerkt, unkommentiert sehr fragwürdige Literatur zur Hexenthematik. Die Gestimmtheit der Zeit, die den Fauststoff hervorbrachte, hat Dabezies zu Recht als in vieler Hinsicht zerrissen beschrieben: Ce qui apparâit dans la légende, beaucoup plus que les éléments politiques ou les bouleversements sociaux, vite oubliés, c’est un univers déchiré entre la religion et la superstition, l’audace et l’angoisse, la sensation que tout se renouvelle et le poids écrasant des structures traditionelles.26
Es ist ein bekanntes Ergebnis geschichtswissenschaftlicher Forschung, dass sich eine multifaktoriell bedingte gesellschaftliche Verunsicherung, ein Klima der Krise,27 in Hexenphantasien Bahn brechen konnte. Die Faustsage ist somit auch ein Spiegel
Friedenthal: Goethe. Sein Leben, S. 590. Dabezies: Le myth de Faust, S. 258. Dabezies: Le myth de Faust, S. 258. Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, vor allem S. 10 f. Vgl. zur Krise als „erstes Stereotyp der Verfolgung“ mit Blick auf unterschiedliche historische Szenarien und Opfer Girard: Ausstoßung und Verfolgung, S. 26.
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von zeittypischen Ängsten,28 und der Fauststoff ist als Sujet und auch zeitlich mit der Dämonologie der frühen Neuzeit und der Hexenverfolgung engstens verbunden. Viele Verarbeitungen stammen – wie die oben genannte andere Literatur zu Teufelsbündnern – aus der Zeit der intensivsten Hexenverfolgungen, so auch die 1587 von Johann Spieß erstmals verlegte „Historia von D. Johann Fausten“.29 Sie wurde oft „Volksbuch“ genannt. Der Terminus ist jedoch umstritten und wird heute überwiegend vermieden, vor allem, da er – neben seiner Bedeutung einer allgemeinen Beliebtheit und weiten Verbreitung – auch eine Genese „aus dem Volk“ suggerieren kann.30 Der Verfasser der „Historia“ ist nicht bekannt. Die Geschichte des angeblichen Teufelsbündners Faust wurde von Autoren über Jahrhunderte weitergetragen. In Weimar beherbergt die Herzogin Anna Amalia Bibliothek heute eine Spezialsammlung zum Thema „Faust“ von über 21 000 Publikationen und Objekten: Sie dokumentiert die Geschichte des Fauststoffes und seine Erforschung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Das Feld der literarischen Verarbeitungen des Fauststoffes ist also ausgesprochen weit. Es wurde in der Literaturwissenschaft vielfach diskutiert. Gert Mattenklott etwa resümiert: Die Summe der nach Tausenden zählenden erwähnten oder nachgewiesenen Fausttexte vom 16. bis zum 20. Jahrhundert ergibt nicht das Ausmaß des Faust-Komplexes in der ‚intellectual history‘ Deutschlands im selben Zeitraum. Gewiß, unter ihren Autoren sind neben Minores, wie Maler Müller und Friedrich Maximilian Klinger, Klingemann und Lenau, auch Autoren von Rang, wie Lessing, Chamisso und Grabbe, Heine und Thomas Mann, von Goethes Faust-Dramen hier zu schweigen. Dazu kommen die zahlreichen Adaptionen durch Komponisten, von Spohr, Schubert, Schumann, Liszt und Wagner bis zu Mahler, Eisler und Busoni, Pousseur und Schnittke; kommt die reiche Bühnen-, Film- und Illustrationsgeschichte. All dies zusammen genommen ergibt zwar ein paar Kapitel Literatur-, Musik- und Kunstgeschichte, doch würden diese von der prägenden Kraft der Faust-Phantasmagorik schwerlich eine angemessene Vorstellung vermitteln. ‚Faust‘ ist der Inbegriff eines deutschen Mythos.31
Einen Einblick in die literarische Beliebtheit des Stoffes geben etwa die Untersuchung „Faust-Variationen“ von Hans Henning aus dem Jahr 1993, die vierbändige
„Mit dem Beginn der großen Hexenverfolgungen gewinnt das Thema auch für die Literatur wieder Bedeutung. Am Anfang steht 1587 das Volksbuch vom Doktor Faust, der als ausgesprochener Teufelsbündler [...] das männliche Pendant zu den Hexen darstellt und in vielfacher Hinsicht die Ängste und Sehnsüchte der Zeit widerspiegelt.“ Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 400. Zu literarischen und wissenschaftsgeschichtlichen Kontexten von frühen Faustverarbeitungen vgl. Müller, J.-D.: Ausverkauf menschlichen Wissens. Vgl. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 13 f., sowie zur Problematik der Bezeichnung „Volksbuch“ allgemein Kreutzer: Der Mythos vom Volksbuch, besonders S. 1–15. Mattenklott: Faust, S. 603 f.
6.1 Die Hexenverfolgung und der Fauststoff
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von Karl Georg Wendriner 1913 herausgegebene Textsammlung: „Die Faustdichtung vor, neben und nach Goethe“ oder die 1975 in Leipzig gedruckte zweibändige Faust-Anthologie, die Eike Middell und Hans Henning herausgaben. Diese versammelt sowohl Erwähnungen des historischen Faust wie auch literarische Verarbeitungen des Stoffes. Dasselbe gilt für die frühe umfassende Studie von Carl Kiesewetter aus dem Jahr 1893. Eine Sammlung digitalisierter Literatur ist unter dem Titel „Faust – Anthologie einer deutschen Legende“ aus dem Jahr 2008 verfügbar.32 Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek bietet auch eine große digitalisierte Sammlung online.33 Im Rahmen meiner Arbeit kann nur der bisher in der Goethe-Sekundärliteratur zuwenig und eher verstreut beachtete Zusammenhang des Fauststoffes mit der frühneuzeitlichen Dämonologie und besonders mit deren realer Seite, der Hexenverfolgung, angesprochen werden. Aufgrund der Fülle des Materials ist in diesem Rahmen keine erschöpfende Darstellung möglich. Die gegenseitige Beeinflussung von dämonologischen Traktaten, Hexenliteratur und Faustsage ist in der Forschung zu frühen Faustverarbeitungen bereits beschrieben worden. Frank Baron widmet sich dem Thema zusammenfassend in seiner 2019 erschienenen Monographie „Der Mythos des faustischen Teufelspakts“.34 Auch den Prozeß gegen Dietrich Flade, der in meiner Arbeit unter Punkt 6.2 mit Goethes Faustfigur verglichen wird, hat Baron, ebenso wie es einige historische Untersuchungen vor ihm lehrten, mit dem Faust-Mythos kontextualisiert.35 Zu nennen sind zu der Thematik insgesamt ebenfalls, neben den frühen Untersuchungen von Carl Kiesewetter und Robert Petsch, Arbeiten von Stephan Füssel und Hans Joachim Kreutzer, Gerhild Scholz Williams und Marina Münkler.36
Die von Nicola Uther erstellte Sammlung: „Faust. Anthologie einer deutschen Legende“ erschien in der Reihe „Digitale Bibliothek“. https://haab-digital.klassik-stiftung.de/viewer/Faustsammlung/ [Stand: Mai 2023]. Baron: Der Mythos des faustischen Teufelspakts, vgl. besonders S. 89–119 und S. 121–141. Vgl. auch Baron: Faustus on Trial und Baron: From Witchcraft to Doctor Faustus. Baron: Der Mythos des faustischen Teufelspakts, S. 121–141. Vgl. auch Baron: From Witchcraft to Doctor Faustus. Vgl. Kiesewetter: Faust in Geschichte und Tradition; Petsch: Faustsage und Faustdichtung; sowie zum Beispiel Füssel, S.: Quellen; Kreutzer / Füssel: Historia (zur Vertiefung weiterführend hier auch die Bibliographie); Baron: Hexenprozesse; Scholz Williams: Faust as Witch: Transformations of the Faust Legend in Early modern Texts. Marina Münkler plädiert, trotz vieler literarischer intertextueller Bezüge, die sie darlegt, in Abgrenzung zu Baron und Scholz Williams für eine stärkere Abstrahierung der frühen Faustdichtungen von der Realgeschichte. Hier könnte man aber durchaus stärkere Austauschbeziehungen vermuten. Münkler: Narrative Ambiguität. Die Faustbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts, vor allem S. 193–228.
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6 Dämonologie, Hexenverfolgung und Literatur
Auch der größeren Öffentlichkeit wird das literarische Umfeld des Fauststoffes manchmal präsentiert, so zum Beispiel im Ausstellungskatalog „Goethes ‚Faust‘. Verwandlungen eines ‚Hexenmeisters‘“. Petra Maisak erläutert hier einige Beispiele dämonologischer Literatur und verweist auf deren Einflüsse hinsichtlich des Faustmythos: Die Furcht vor Hexen und Zauberei nahm in weiten Teilen Europas um 1500 die Form einer Massenpsychose an, die zu brutalen Verfolgungen führte. Im selben Jahr wie Molitors Büchlein [De lamiis et phitonicis mulieribus, A. U.] erschien das berüchtigte Standardwerk des Hexenglaubens, der Malleus maleficarum oder Hexenhammer. Auf einem solchen Nährboden konnte sich der Mythos von Dr. Faustus, dem Teufelsbündner und Schwarzkünstler, mit Leichtigkeit entwickeln.37
Doch werden in wissenschaftlichen wie populärwissenschaftlichen Darstellungen nicht selten historische Analysen mit Imaginationen vermischt. Manche Formulierungen im zitierten Katalog zeigen dieses Problem beispielhaft. So heißt es etwa in einem Atemzug: „Die Zeit des historischen Dr. Faustus war eine Blütezeit des Hexenglaubens und der schwarzen Magie.“38 Zwar ist Hexenglauben ein reales Phänomen, schwarze Magie aber ist Phantasie und sollte mit dementsprechender Distanz in der Formulierung beschrieben werden. In vielen populärwissenschaftlichen Abhandlungen zur Hexenverfolgung wird jedoch suggeriert, was auch in dem Katalogtext anklingt: die Verfolgten hätten tatsächlich mit „schwarzer Magie“ experimentiert. Hierfür gibt es in den Quellen der allermeisten Fälle keine Belege. Ein Beispiel dafür, wie diese falsche Annahme auch mit dem historischen Faust in Zusammenhang gebracht wird, ist die frühe Darstellung von Robert Petsch. Er schreibt über den Schwarzkünstler: „Höchstwahrscheinlich hat er selbst an seine Zauberkunst geglaubt, gleich vielen der unglücklichen ‚Hexen‘, die von den schweren Nervenkrankheiten des aufgeregten Zeitalters erfaßt waren und ihren Tod auf dem Scheiterhaufen fanden.“39 Richtig ist: in Hochzeiten der Hexenverfolgung konnte durch aus der Luft gegriffene Unterstellungen „hexischen“ Treibens praktisch jeder willkürlich zum Opfer werden. Die sozialgeschichtliche Wirklichkeit der Hexenverfolgung ist für die Formierung des Faust-Stoffes und schon deshalb auch für Goethes Tragödie prägend gewesen. Während aber die alte Stoffgeschichte heute eher noch in dieser Richtung kontextualisiert wird, gilt dies für Goethes „Faust“ nicht. In Deutungen von Goethes „Faust“ wird der frühneuzeitliche Kontext des Stoffes oft sogar ganz ignoriert. Nur so ist etwa die knappe Verortung durch Michael Jaeger zu erklären: „In literaturge-
Maisak: Verwandlungen eines Hexenmeisters, S. 26. Maisak: Verwandlungen eines Hexenmeisters, S. 26. Petsch: Faustsage und Faustdichtung, S. 31.
6.1 Die Hexenverfolgung und der Fauststoff
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schichtlicher Perspektive wird man die Walpurgisnacht als Goethes Ausflug in die schwärzeste Romantik ansehen, in der bereits die ‚Blumen des Bösen‘ einer Ästhetik des Obszönen und Schrecklichen sprießen.“40 Sehr oft wird die Verbindung des Themas „Faust“ mit frühneuzeitlichen Hexenimaginationen sogar ganz explizit verneint oder zeitlich viel zu spät verortet, obwohl der Fauststoff schon immer mit diesen Imaginationen eng verwoben war. Fälschlicherweise heißt es in der Sekundärliteratur zu Goethes „Faust“ nicht selten, der Dichter sei der erste, der den Teufelsbündner so explizit mit dem Hexenwesen und der Walpurgisnacht in Verbindung bringe – abgesehen von einer einzigen Ausnahme, nämlich dem Dichter Johann Friedrich Löwen (in dessen 1756 erschienenem scherzhaften Versepos „Die Walpurgis Nacht“). Diese Fehlannahme hält sich hartnäckig und bei vielen Autoren bis heute,41 nur einige Beispiele können im Folgenden zitiert werden. Georg Witkowski verneint schon im Jahr 1894 eine Beziehung der Faustsage zum Hexenglauben: Der Glauben an die Hexen und die Schilderung ihres Treibens steht weder zu der Faustsage und ihren früheren Behandlungen, noch zu Goethes alter Faustdichtung in irgend einer Beziehung. Selbst wo naheliegende Analogieen [sic] bestehen, wie beim Teufelsbündnis und den Luftreisen, ist doch nirgend auf das Hexenwesen Bezug genommen. Erst im achtzehnten Jahrhundert, als die Gestalt des großen Zauberers von der Sage losgelöst und typisch gebraucht wurde, hatte Löwen in seiner süßlich witzelnden „Walpurgisnacht“ (1756) auch ihn unter den Gestalten des Blocksberges auftreten lassen.42
Immerhin hält Witkowski es für unwahrscheinlich, dass Goethe ausgerechnet durch Löwens Gedicht dazu angeregt worden sei, die Walpurgisnachtszene in seinen „Faust“ einzufügen.43 Friedrich Dennert vertritt 1951 im Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft ebenfalls die irrige Meinung: „Später als die Faust-Sagen entstanden die Hexensagen und Jaeger: Goethes „Faust“. Das Drama der Moderne, S. 77. Vgl. zum Beispiel: Düntzer: Goethes Faust. Erster Theil, S. 167; Witkowski: Walpurgisnacht, S. 6; Bartscherer: Paracelsus, S. 143; Trendelenburg: Goethes Faust, Bd. 1, S. 115; Dennert: Faust auf dem Brocken, S. 259; Binder: Faustische Welt, S. 358; Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 366; Schöne: Götterzeichen, S. 145 f.; Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 451, Hansen: Satanisches Gefild, S. 223; Knopper: Le motif de la sorcière, S. 103; Höffgen: Goethes Walpurgisnacht-Trilogie, S. 115. Witkowski: Walpurgisnacht, S. 6. Witkowski: Walpurgisnacht, S. 7. Goethe kannte wohl Löwens Gedicht, er nennt es in „Dichtung und Wahrheit“. Vgl. Münchner Ausgabe, Bd. 16, S. 262. Vgl. zu Löwens Text Rost: Hexenversammlung, S. 260–290. Rost verweist ungewöhnlicherweise und vorsichtig darauf, dass Löwen nicht der Erste sei, der Faust mit der Walpurgisnacht verbinde, er habe dies aber auf intensivere poetische Weise getan als die vorangehende Literatur und die Hexenversammlung, an der Faust teilnimmt, erstmals speziell auf dem Brocken platziert, vgl. S. 273 und 289.
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6 Dämonologie, Hexenverfolgung und Literatur
in ihnen die Verbindung mit dem Brocken-Blocksberge.“44 Und er bemerkt über das Gedicht Löwens: „Dieses Erscheinen Faustens in der Walpurgisnacht ist eine willkürliche Erfindung des Dichters [...]. Aber doch sollte dieser neue Einfall Löwens einen großen Abnehmer finden.“45 Gemeint war damit Goethe. Auch Hans Arens, der sich in anderen Zusammenhängen vielfach kritisch mit vermeintlichen Quellen Goethes und ihrer Behandlung in der Faust-Forschung auseinandersetzt, ist hier der falschen Ansicht: In der ganzen mannigfaltigen Faust-Überlieferung wird der große Magier niemals mit der Walpurgisnacht in Verbindung gebracht, für G[oethe] aber scheint es ziemlich früh festgestanden zu haben, daß auch F[aust] auf den Blocksberg geführt werden müsse. Nur ein Dichter war G[oethe] mit diesem Einfall vorangegangen: Johann Friedrich Löwen, geb. 1727 in Clausthal am Harz, hatte in seinem 1756 erschienenen epigonenhaften komischen Epos „Walpurgisnacht“ F[aust] bei einem Gelage mit Beelzebub auf dem Brocken dargestellt.46
Nicholas Boyle publizierte noch 1999: „Goethe nahm seine Zuflucht zu einem Thema, das bis dahin kaum mit der Geschichte Fausts verbunden worden war und im Urfaust fast völlig fehlte (Füssli und Lavater mögen ihn darauf gebracht haben): zu Hexen und Hexenwesen.“47 Anders, als es in diesen nur als Beispiele ausgewählten Zitaten suggeriert wird, ist Folgendes zu belegen: Der historische Faust wird schon sehr früh mit vermeintlichen Hexern und Hexen in Zusammenhang gebracht. Er war nicht nur ein überaus bekanntes Beispiel eines Zauberers, der in Luthers Tischgesprächen ebenso zur Sprache kam wie in den Gesprächen Philipp Melanchthons. Auch Grimmelshausen, den Goethe schätzte,48 lässt Simplicissimus vom „Hexensabbat“ sprechen. Er nennt Faust in unmittelbarer Nähe von Zauberern und „Hexen“, deren Verfolgung, etwa durch Nicolas Rémy,49 und deren Verbrennung erwähnt werden.50 Faust wird ebenfalls sehr häufig in dämonologischen Schriften genannt, deren Ziel die Verfolgung von „Hexern“ und „Hexen“ war. Goethe kannte etliche dieser Traktate, ihre Verfasser lebten zum Teil deutlich literarische Neigungen und Phantasien aus. Zudem gibt es separat erschienene Erzählungen, die Faust oder faustähnliche Figuren als Teil der Hexensekte beziehungsweise deren
Dennert: Faust auf dem Brocken, S. 259. Dennert: Faust auf dem Brocken, S. 261. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 366. Boyle: Goethe. Der Dichter in seiner Zeit, Bd. 1, S. 612. Vgl. etwa den Brief von Wilhelm Grimm an Achim von Arnim im Januar 1810. Bode: Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen, Bd. 2, S. 235. Grimmelshausen: Simplicissimus, S. 151. Grimmelshausen: Simplicissimus, S. 153.
6.1 Die Hexenverfolgung und der Fauststoff
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Anführer schildern.51 Nicht zuletzt spielte die Faustsage sogar in realen Hexenprozessen eine vielfältige Rolle, wie im Folgenden noch dargelegt wird (vgl. Punkt 6.1). Von Hexenprozessopfern wurde zum Beispiel eine faustähnliche Gestalt auf dem „Hexensabbat“ beschrieben, und diese hat man auch bildlich dargestellt (vgl. Punkt 7.2). Außerdem wurde Faust von frühneuzeitlichen Kämpfern gegen die Hexenverfolgung argumentativ angeführt, auch sie werden im Folgenden zur Sprache kommen. Alexander Tilles um 1900 angelegte, sehr bekannte Sammlung von Erwähnungen Fausts, sogenannte „Faustsplitter“,52 die später fortgeführt wurde, erweist sich hinsichtlich der frühen Quellen geradezu als ein Kompendium hexentheoretischer Literatur. Viele einflussreiche Dämonologen erwähnen einen Zauberer Faust, zum Beispiel Johannes Trithemius, Nicolas Rémy, Martin Del Rio und Benedict Carpzov. Auch verfolgungskritische Zeitgenossen der Hexenprozesse nahmen auf den legendenhaften Schwarzkünstler Bezug, etwa Johann Weyer, Hermann Witekind, Johann Georg Gödelmann, Anton Praetorius und Balthasar Bekker. Staunen weckt heute, dass auch diese Kritiker der Hexenverfolgung häufig innerhalb magiegläubiger Theorien argumentierten, beispielsweise von „Vorspiegelungen des Teufels“ ausgingen oder eben auch die Existenz von „Zauberern“ wie Faust annahmen. Viele Schriften von Verfolgungsgegnern beschreiben zauberische Kräfte durchaus nicht als unmöglich, und schon gar nicht wurde die Existenz eines Teufels infrage gestellt,53 bisweilen nicht einmal die einer Hexensekte. Wenn die Kritik an anderer Stelle ansetzte, zum Beispiel am prozessrechtlichen Vorgehen, konnte sie in ihrer Zeit jedoch sehr wirksam sein. Als früheste gedruckte Quelle zu Faust betrachtet die Forschung die „Epistolae familiares“ des Abtes Johannes Trithemius.54 Er charakterisiert den Schwarzkünstler. Nur selten wird aber darauf verwiesen, dass der bekannte Abt in seinem dämonologischen Traktat „Antipalus maleficiorum“ (1508) finsterste Hexenängste geschürt hat. Trithemius geriet übrigens zeitweise selbst in den Ruf, ein Zauberer zu sein, und verwahrte sich dagegen in Briefen und einer Rechtfertigungsschrift.55 Ein Beispiel für die Berücksichtigung des Themas ist die Darstellung von Willi Jasper aus dem Jahr
Vgl. hierzu Punkt 6.2. Tille: Faustsplitter. Beigebunden ist: Anton Kippenberg / Gerhard Stumme: Neue Faustsplitter. Vgl. zur Existenz von Hexen und Teufeln als heute überraschend „selbstverständliche Wahrheit“ auch bekannter Verfolgungsgegner etwa Bauer: Hexenpredigten, S. 156. Trithemius: Epistolae familiares (1536). Vgl. Auszüge bei Tille: Faustsplitter, S. 1–3. „Nepiachus“ (1507), vgl. Arnold: Johannes Trithemius, besonders S. 180–187, sowie Mahal: Spuren eines geheimnisvollen Lebens, zu Trithemius als Dämonologe und dessen eigenen magischen Praktiken vor allem S. 73–77. Vgl. auch Harmening: Faust und die Renaissance-Magie sowie Landes: Witekinds Schwarzkünstler (Trithemius und Agrippa) im Faustbuch.
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1998. Er verurteilt engagiert die dämonologischen Ausführungen des Trithemius. Leider geht Jasper dabei hinsichtlich einiger geschichtlicher Fakten in die Irre. Er hat – wie es in literaturwissenschaftlichen Abhandlungen auch späterer Zeit noch häufig zu bemängeln ist – die maßgebliche historische Forschungsliteratur nicht rezipiert: Aus dem humanistisch gebildeten Trithemius war ein vulgärer Hexenjäger geworden, der sich beim Markgrafen Joachim von Brandenburg mit einer eigenen Version des „Hexenhammers“ anzubiedern versuchte. Er trieb das päpstlich verordnete Kesseltreiben auf die Spitze und wollte in jedem Dorf eine Hexe aufspüren. Derjenige, der die päderastischen „Verfehlungen“ des Faust anprangerte, beschrieb selbst im wollüstigen Detail barbarische Hexenbäder und Exorzismen. Zur gleichen Zeit konnte ein einziger Triebtäter als Kirchenrichter 800 ‚Hexen‘ auf die Scheiterhaufen schleppen lassen. Auch eine Form des faustischen Strebens. Die Zahl der Todesopfer der Hexenprozesse lag in manchen Gegenden weit über der Opferzahl des Dreißigjährigen Krieges. Man schätzt, daß im Zeitraum vom 15. bis zum 17. Jahrhundert insgesamt über 500 000 Frauen verbrannt wurden.56
Hexentheoretische Schriften der frühen Neuzeit, in denen der legendenhafte Faust erwähnt wurde, beeinflussten vice versa die Faustsage. Hermann Witekind unter dem Pseudonym Augustin Lercheimer57 (1585) und Johann Weyer58 (1568) verknüpften sehr deutlich die Themen „Faust“ und „Hexerei“, worauf Frank Baron verweist; die Exempel der Autoren sollten ihre kritische Stellungnahme zur Frage der Hexenverfolgung stützen.59 Baron führt zu Weyers Schrift „De praestigiis daemonum“ folgendes aus: Im Gegensatz zu den Hexen, die unwissend und unschuldig waren, sah Weier die gelehrten Zauberer wie Faustus und Trithemius als die großen Sünder, die trotz ihres reichen Wissens sich der Hilfe des Teufels bedienten. Weil sie Männer waren, waren sie stärker als Frauen. Sie hätten also die große Gefahr erkennen müssen. Offensichtlich wollte Weier die Obrigkeit von der Verfolgung der sogenannten Hexen ablenken, um sie zum Kampf gegen eine kleinere Gruppe von Menschen anzuspornen, die meist im Schutze der Fürsten standen.60
Witekinds Argumentation geht in eine ähnliche Richtung, er hob allerdings im Gegensatz zu Weyer den Teufelspakt hervor. Baron diskutiert Witekinds Darstellung auch mit Blick auf den zeitgenössischen strafrechtlichen Kontext, in dem die
Jasper: Faust und die Deutschen, S. 45. Vgl. zur Anstachelung der Hexenverfolgungen durch Trithemius auch Mahal: Spuren eines geheimnisvollen Lebens, S. 73. Lercheimer: Christlich bedencken und erinnerung von Zauberey. Vgl. Auszüge bei Tille: Faustsplitter, S. 58–61. Weyer: De praestigiis daemonum. Vgl. Auszüge bei Tille: Faustsplitter, S. 21–23. Vgl. hierzu Baron: Entstehung des Faustbuchs, S. 65. Baron: Entstehung des Faustbuchs, S. 66 f.
6.1 Die Hexenverfolgung und der Fauststoff
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Vorstellung vom Teufelspakt eine so wichtige Rolle spielte.61 Immer wieder zeigt sich in der frühneuzeitlichen Rechtsgeschichte ihr enges Zusammenspiel mit dämonologischen Diskursen. Baron etwa verweist darauf, dass kurfürstliche Räte die Schrift Weyers „De praestigiis daemonum“ in den Debatten um die sächsische Kriminalordnung von 1572 diskutierten; diese sah als Strafe für einen Teufelspakt den Feuertod vor.62 Gerade mit Blick auf den Fauststoff offenbaren sich, wie gezeigt wurde, die Verbindung und die wechselseitige Beeinflussung nicht nur von dämonologischen Schriften untereinander, sondern auch von Dämonologie, praktizierter Hexenverfolgung und literarischen Verarbeitungen des Zauberei- und Hexenmotivs. Die „Historia“ von 1587 etwa verwendete als Quellen dämonologische Literatur und Schriften von Gegnern der Hexenverfolgung, die eben auch den Fauststoff behandelten. Umgekehrt wurde die „Historia“ in dämonologischer Literatur und in verfolgungskritischen Schriften erwähnt, zum Beispiel wird sie von Hermann Witekind in einer späteren Auflage seiner Schrift „Christlich bedencken und erinnerung von Zauberey“ scharf kritisiert.63 Gerhild Scholz Williams unterstreicht die Verflechtung frühneuzeitlicher Verarbeitungen des Fauststoffes von Widmann (1599) und Pfitzer (1674) mit der realen Hexenverfolgung: „Widman and Pfitzer draw on this canon of witch writings to give a vivid account that intertwines the Faust and the witch phenomenon in such as a way as to demonstrate the reality of the witch phenomenon and ultimately to justify witch executions.“64 Der Fauststoff hat in realen Hexenprozessen sogar eine ganz konkrete Rolle gespielt. Julius Schwering hat dies schon 1926 dargelegt: Das Reichsgesetz, die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 („Constitutio Criminalis Carolina“), nannte Indizien für Hexerei, welche die Folter rechtfertigten; nach verbreiteter Auslegung gehörte hierzu auch die Kenntnis von Büchern, die vermeintliches zauberisches Wissen enthielten. Zu den „verdachtlichen Dingen, die zauberey uff sich tragen“, zählten die Juristen des 16. und 17. Jahrhunderts auch die libri, ‚qui incantationem sapiunt‘, und in den Hexenprozessen spielen diese Zauberbücher eine unheimliche Rolle.65
Baron: Entstehung des Faustbuchs, S. 67 f. Baron: Entstehung des Faustbuchs, S. 67 f. Vgl. Hermann Witekind (Augustin Lercheimer): Christlich bedencken und erinnerung von Zauberey (letzte von Lercheimer selbst besorgte Ausgabe 1597). Auszug in: Füssel / Kreutzer: Historia, S. 297–299. Scholz Williams: Faust as Witch: Transformations of the Faust Legend in Early modern Texts, S. 216. Schwering: Amadis und Faustbuch in den Hexenprozessen, S. 106.
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Die „Historia“ wurde nicht selten zu diesen Büchern gerechnet. Auch Stephan Füssel beschreibt, dass die Faustsage als gefährlich dargestellt wurde: „Und die Theologen des 17. Jahrhunderts boten vielfach Beweise für ihre Auffassung von der Verderblichkeit des Fauststoffes, dessen Lektüre sogar die Anwendung der Folter in den Hexenprozessen rechtfertigte.“66 Die Kenntnis der „Historia“ konnte zu Ungunsten der Angeklagten ausgelegt werden, und es war eine Streitfrage unter namhaften Juristen, ob dieses literarische Wissen als Indiz für die peinliche Befragung zugelassen sei.67 Etwa diskutiert Johann Deckherr, Advokat beim Reichskammergericht in Speyer: „Subit omninò memoriam: an infamis Amadisi; & D. Fausti evidenter diabolicorum &c.lectio, juxta alia non atriciora, sufficiens sit ad torturam indicium?“68 In der Faust-Forschung wurden diese Quellen, obwohl einzelne Autoren früh auf sie verwiesen haben, noch kaum zur Kenntnis genommen. Im Folgenden wird die Rezeption eines bis heute berühmten und breit diskutierten Falles besprochen: Mit Blick auf den Prozess gegen Doktor Dietrich Flade, ehemals Schultheiß und Rektor der Universität Trier, kann man annehmen, dass es ein weiteres Beispiel ist, in dem das Schicksal des Angeklagten unmittelbar durch die verbreitete Faustsage beeinflusst wurde.69
6.2 Der Name „Faust“ als frühneuzeitliches Synonym für „Hexer“: Doktor Dietrich Flade, ein „zweiter Faust“ Though two centuries of witch-burning followed, Dietrich Flade remains to our day its most eminent victim in the land of its greatest thoroughness.70
Füssel, S.: Die literarischen Quellen der Historia, S. 35. Mit Blick auf verschiedene frühneuzeitliche Versuche, die Verbreitung der populären „Historia“ zu bekämpfen, vermutet Frank Baron, der irdische Lohn für den Teufelspakt und die Magie seien in der Historia zu attraktiv erschienen. Baron: Einleitung, S. 22 f. Baron berichtet an anderer Stelle vom Fall eines Tübinger Medizinstudenten, der einen Teufelspakt schriftlich aufgesetzt hatte. Ein Mitstudent hatte ihn, so gab er in einer Befragung an, nach der Lektüre über Faustus dazu angeregt. Beide Studenten entkamen nur knapp der Folter. Baron: Provozierende Elemente im Faustbuch, S. 26 f. Vgl. Schwering: Amadis und Faustbuch in den Hexenprozessen, S. 115 f. Vgl. auch Füssel, S.: Die literarischen Quellen der Historia, S. 35. Johann Deckherr: De scriptis adespotis, pseudepigraphis et suppositiis coniecturae. 3. Aufl. 1686. Sectio IX: De Scriptoribus Fabularum quas Romanas vocant; et de Maleficis. S. 238–252. Zitat hier S. 239. Auf Deckherrs Ausführungen verweist schon Schwering: Amadis und Faustbuch in den Hexenprozessen, S. 115. Burr: The Fate of Dietrich Flade, S. 46, Anm. 2. Burr: The Fate of Dietrich Flade, S. 3.
6.2 Der Name „Faust“ als frühneuzeitliches Synonym für „Hexer“
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Wie eng der Fauststoff mit der praktizierten Hexenverfolgung verflochten war, zeigt noch ein anderer Befund: Den Namen des legendenhaften Zauberers Faust benutzte man in der Beschreibung realer Hexenprozesse für angeblich besonders mächtige Hexer. So wurde das reichsweit bekannte Trierer Hexenprozessopfer Doktor Dietrich Flade als ein „zweiter Faust“71 bezeichnet. Der ehemalige Stadtschultheiß Flade war Rektor der Trierer Universität. Er wurde im Jahr 1589 als angeblicher Hexenmeister verurteilt, stranguliert und dann verbrannt. Walter Rummel verweist in seiner Untersuchung zu den berüchtigten Hexenverfolgungen im Kurfürstentum Trier darauf, „wieviel Publizität allein dieser Prominentenprozeß den kurtrierischen Verfolgungen damals eingetragen hat: In der Tat wurde neben dem Ausmaß der Verfolgungen besonders der Fall des Dr. Flade zum reichskhündig exempel [...]“.72 Die Tatsache, dass ein reicher73 und vornehmer Bürger der Stadt Trier als Hexer verbrannt wurde, machte den Prozess besonders bekannt. Bei den Trierern scheine der böse Geist seinen Sitz aufgeschlagen zu haben, so notierte der Kölner Kartäuserprior Johannes Reschenkel Ende des 16. Jahrhunderts: sogar im Alter ergraute, durch Bildung berühmte Männer habe er in jener Gegend verführt.74 Flade war nicht nur Schultheiß, Rektor der Universität und kurfürstlicher Rat, er war auch als Richter in Hexenprozessen beteiligt gewesen. Dass ein Hexenprozess über ständische Schranken hinweg geführt wurde, erregte Aufsehen. Dieser Aspekt gilt heute als ein wichtiger Faktor für die frühe Bekanntheit insgesamt der Hexenverfolgungen im Trierer Raum.75
Vgl. zum Beispiel die bei Fraikin wiedergegebene Quelle: Bibliothèque Royale de Bruxelles; Ms. 18662–3, Chronique liégeoise, S. 228. Fraikin: Hexerei in den Ardennen und im Moselraum, S. 431 sowie Anm. 24. Rummel: Phasen und Träger, S. 261. Wolfgang Behringer berichtet, wie der Fall Flade in dämonologischen Grundsatzdiskussionen herangezogen wurde: “Der spätere bayrische Hofratskanzler Dr. Wagnereckh gutachtete 1602 für Herzog Maximilian I. von Bayern folgendermaßen: ‘Zum dritten und letzten kann sein, das ein Unhold corporaliter zum Unholdentanz nit kompt, aber doch a Daemone erpraetendiert würde, als das Reichskhündig Exempel mit D. Fladen, gewesten Churf. Trierischen Rhat, Zuerkhennen gibt, und von Binsfeldio doctissime ausgefüeret würdet, das ex providentia Dei ordinaria allein die Schuldige von dem Bösen Geist erpraetendiert werden mögen ... ‘“. Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, S. 443f. Zu Flades Vermögen vgl. Laufner: Dr. Dietrich Flade, besonders S. 45–57. „Apud Trevirenses malignus spiritus sedem suam constituisse videtur, qui integros pagos in ea provincia seduxit, ipsos viros eosque senio confectos, eruditione spectabiles, mulieres et utriusque sexus homines, magica arte infecit ac dementavit, ut flammis exurendas animas infernali tradere demoni non vereantur.“ Heinz: Bericht des Kölner Kartäuserpriors, S. 553. Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, besonders S. 443.
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6 Dämonologie, Hexenverfolgung und Literatur
Am Beispiel des Trierer Gelehrten manifestiert sich wieder die Verwobenheit des Fauststoffes mit der realen Hexenverfolgung.76 In der historischen Forschung wird vermutet, Flades Schicksal sei beeinflusst gewesen von den zur Zeit seines Prozesses kursierenden literarischen Verarbeitungen des Fauststoffes, etwa der „Historia“ von 1587. Der bekannte amerikanische Historiker George Lincoln Burr verwies schon in seiner 1891 erschienenen Untersuchung des Prozesses gegen Flade auf diesen Zusammenhang: „It surely was not without its influence on Flade’s fate that it was just the years of his accusation and trial which saw the appearance of the Faust Volksbücher; and it is possible that his fate was not without its counterinfluence on the popular interest in the Faust story.“77 Aufgrund der überkommenen Prozessakten vermutet Rita Voltmer sogar eine direkte inhaltliche Beeinflussung der Befragungen Flades: „Vielleicht waren die in Trier inquirierenden Schöffen und kurfürstlichen Beamten durch die Kenntnisse der Faust-Legende zur Überzeugung gebracht worden, in Flade einen vergleichbaren Fall vor sich zu haben und hatten die Verhöre bereits in diese Richtung gelenkt.“78 Die Vorwürfe, die Flade im Prozess gemacht wurden, ähneln stark den Charakterisierungen der literarischen Faustfigur: Flade gestand unter der Folter angebliche Glaubenszweifel, die in einer melancholischen Verfassung aufgekommen seien, sowie Sünden, die ihn dem Teufel in die Hand gespielt hätten. Weiter bekannte er auf entsprechende Fragen Unkeuschheit, Gier nach zeitlichen Gütern, Wissbegierde und den Versuch, das Wissen anzuwenden.79 Die in den Akten protokollierte Aussage lautete: Hab innen darzu pracht, dass er in etlichen puncten deß glaubens haesitirt, in geilheit deß fleischs geratten, unnd unkeuschs worden, dass der geitz unnd begerligkeit zeitlicher gueter bei ime dominirt und geherschet. Auch sei er in solichen gedancken unnd eingeben in melancoley kommen, dass er curiositas sciendi und conatus ad effectum perducendi innen verfurt.80
Die angeblich sündhafte Wissbegier, die „curiositas sciendi“ Flades, ein wichtiges Motiv der Faustlegende81 und besonders auch des Goethe’schen „Faust“, wurde in
Vgl. hierzu Kierspel [Uhrmacher, A.]: Dämonologische Aspekte, S. 143 und Uhrmacher, A.: „Ich fürchte mich selbst davor!“, besonders S. 271 f. Burr: The Fate of Dietrich Flade, S. 46, Anm. 2. Voltmer: superhunt, S. 255. Emil Zenz hat Flades Fall ausführlich dargestellt; Zenz: Ein Opfer des Hexenwahns. Das Schicksal des Doktor Dietrich Flade aus Trier. Trier 1977. Voltmer: superhunt, S. 255, Anm. 137, sie transkribiert hier: Stadtbibliothek Trier Hs. 1533a / 171, fol. 119. Vgl. zum Prozess ausführlich auch Baron: Der Mythos des faustischen Teufelspakts, S. 121–141. Vgl. zum Motiv der „curiositas“ Baron: Der Mythos des faustischen Teufelspakts, besonders S. 208–212. Vgl. zur ambivalenten Semantik des Begriffs „curiositas“ sowie seiner Verarbeitung in den Faustbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts Münkler: Curiositas als identitäres Merkmal.
6.2 Der Name „Faust“ als frühneuzeitliches Synonym für „Hexer“
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der späteren Rezeption des Prozesses gegen Flade diskutiert, zum Beispiel durch den Trierer Jesuiten Jakob Masen in seiner 1676 veröffentlichten Schrift „Epitome Annalium Treverensium“.82 Der Vergleich Flades mit Faust war sehr verbreitet; er ist in Akten der späteren Prozesspraxis überliefert – und in literarischen Verarbeitungen.83 Dieser weite Kontext, der zum Teil auch Goethe nicht fremd war, soll im Folgenden kurz skizziert werden.84 George Lincoln Burr verweist in seiner Untersuchung des Falles Flade unter anderem auf eine 1594 gedruckte Erzählung in Reimen: “Drei Warhafftige Newe Zeitung [...] – Die ander, von vilen Hexen und Unholden, die man [...] im Trierischen Land, und andern Orten verbrendt hat [...]“.85
Masen, Jakob: Epitome Annalium Treverensium. Qva Antiquae Urbis Ac Dioecesis Trevericae, In Politico Et Ecclesiastico Regimine Exordia, Progressúsque, Ac Res Bello Ac Pace Administratae, Brevi Claroque Ordine digestae sunt, cum aliis Romani Imperii Gestis eidem conjunctis. Trier 1676, S. 691 f.: „Quando rursum domestica Magorum infamia Treviris, in præcipuæ etiam dignitatis persona, Theodorico reorum Judice atque urbis Prætore, ipso non diffitente, emanavit. Qui quidem, ut ex Actis Judicialibus notum, rudibus annis, curiositate libri, quo Dæmon, ad secretas artes tradendas evocabatur, ductus, cum legeret mox præsentem, honestâ viri specie, Dæmonem habuit. Qui ad studia, quorum amore tenebatur se eidem promotorem obtulit: nec quicquam postulavit obsequii, nisi, ut cum sermo ita ferret, diceret: Infernum non adeò esse calidum, nec Dæmonem tam nigrum esse, quàm vulgus fingeret.“ Volltext einsehbar unter: http://reader.digitalesammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10026111_00009.html [Stand: Mai 2023]. Vgl. auch Burr, S. 46, Anm. 1. Vgl. zu dieser Quelle auch Voltmer: superhunt, S. 254 f. Frank Baron bemerkt zur frühen Verarbeitung des Fauststoffes in der „Historia“ von 1587, die zwei Jahre vor Flades Prozess erschien: „Wenn man den Prozess gegen Flade mit dem Faustbuch vergleicht, fällt auf, dass Flade ausführlich über seine sexuellen Abenteuer erzählte und vielleicht darauf hoffte, das Interesse der Richter zu gewinnen und so von den gefährlicheren Sünden der Zauberei abzulenken. Er erzählte fantastische Geschichten. Der Autor des Faustbuchs meinte, dass seine Leser sich nicht in erster Linie für die bösen Taten der Hexen interessieren würden, sondern eher für die Freiheit, die der Pakt Faustus bietet, möglichst viele sexuelle Abenteuer zu erleben, wie in der zweiten Hälfte des Faustbuchs, worin er die fleischliche Lust mit den Frauen des Sultans, mit der schönen Helena Griechenlands und mit teuflischen succubas großzügig genoss.“ Baron: Der Mythos des faustischen Teufelspakts, S. 136 und S. 139. Die Skizze ist als Beitrag zu der Forderung des New Historicism zu verstehen, einzelne Fäden aus einem „aus Diskursfäden gesponnene[n] dichte[n] Gewebe der Kultur bzw. Geschichte“ zu betrachten. Vgl. Baßler: Einleitung, S. 15. Sie geht nach Burr, der eine Ausgabe in der Kantonal-Bibliothek im schweizerischen Aarau wiedergibt, wahrscheinlich auf eine Kölner Vorlage zurück, gedruckt 1589 von Nicolaus Schreiber: “Warhafftige und erschreckliche Beschreibung von vielen Zauberern oder Hexen, wie und warumb man sie hin und wider, verbrandt, in disem 1589. Jahre [...]“. Burr: The Fate of Dietrich Flade, S. 45 f., Anm. 2. Vgl. zu diesem Text mit ausführlicher Wiedergabe auch Baron: From Witchcraft to Doctor Faustus, Textwiedergabe S. 16–20, sowie Baron: Der Mythos des faustischen Teufelspakts, S. 138 f.
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6 Dämonologie, Hexenverfolgung und Literatur
Nun muss ich jetzund zeigen an, Sie hetten under in einen Hauptman, derselb ihr König ware, Ein fürtrefflicher gelehrter Mann, Doctor in der Astronomy schon, unnd aller Kunst erfahren, der hat mit seiner Zauberey, gross hertzen Leid gestifftet, vil Menschen unnd Vieh mancherley, gestorben und vergifftet, dem Doctor Fausto vergleichet er, von seiner Zaubereye, ein grosses Buch zu schreiben wer.
Die hier zitierte Anspielung auf Flades Fall zeigt, dass der Name „Faust“ eben nicht nur als dämonologisches Exempel, sondern als Bezeichnung für realiter verfolgte „Hexer“ diente. Man nannte Doktor Flade einen „anderen und schlimmeren Faust“, wie schon Burr berichtet: „[...] while the news-letters which scattered broadcast over the empire the tidings of the horrible confession and death of such a monster turned him outrigth into another and wickeder Faust“.86 Dass der Vergleich Flades mit Faust auch in der Prozesspraxis stattfand, ist überliefert. Jean Fraikin hat die Gleichsetzung der legendenhaften Faustgestalt mit dem realen Doktor Flade im Zusammenhang seiner Untersuchung von Hexereivorstellungen in den Ardennen und im Moselraum beleuchtet. Er schildert dabei vornehmlich den Prozess gegen einen 1597 wegen angeblicher Hexerei hingerichteten Mönch aus der Abtei Stablo, Jean del Vaulx. Fraikin berichtet über das Geständnis des Mönches: Diese frühe Verführung durch den Teufel, zusammen mit der Neigung des jungen del Vaulx zum Studium, hätten den „alten Mann“ dazu veranlaßt, seinen Schützling nach Trier zu bringen, in die „von den Hexen verdorbene und mit Zauberern gefüllte Stadt“, unter denen „der bekannteste, der Doktor Flade oder Faust, der Ratgeber des Erzbischofs und der Anführer der Hexengesellschaft (congregatio)“ gewesen sei.87
Burr: The Fate of Dietrich Flade, S. 45. Alexander Rost zieht unter anderem aus der Beschreibung des von Schreiber gedruckten Zeitungsliedes den moderat formulierten Schluss: „Zumindest für das nicht allzu gehobene literarische Denken ist die Assoziation zwischen Faust-Stoff und dämonischer Zusammenkunft also schon bald nach dem Erscheinen des Faust-Volksbuches nachweisbar.“ Rost: Hexenversammlung, S. 177. Fraikin: Hexerei in den Ardennen und im Moselraum, S. 420. Weiter heißt es: „Er gestand sogar, sich oft nach Trier begeben und dort die Gesellschaft, in der Dietrich Flade den ersten Rang innehatte, besucht zu haben.“ Fraikin: Hexerei in den Ardennen und im Moselraum, S. 423.
6.2 Der Name „Faust“ als frühneuzeitliches Synonym für „Hexer“
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Über das Geschehen in Stablo berichtet auch eine Lütticher Chronik, die wiederum den Namen Fausts als Bild für „Hexer“ verwendet. Fraikin schreibt über diese Quelle: Schließlich zeigt ein kurzer Absatz, der in einer Chronik von Lüttich aus dem 17. Jahrhundert entdeckt wurde, daß „mehrere Zauberer und Hexen, überführt durch handfeste Indizien, in Stablo hingerichtet wurden, wohin dieser Wahn hauptsächlich von der Stadt Trier aus, die stark damit verseucht war, gelangt war. Ein gewisser Doktor Flade – ein zweiter Faust – war dort der Oberste der vom Teufel Besessenen“.88
Auch in dämonologischen Abhandlungen, die Goethe kannte, spielte der Prozess gegen Flade eine wichtige Rolle. Er wurde als Beispiel in dämonologisch-juristischen Grundsatzdiskussionen herangezogen, etwa zur Frage der Gleichheit Armer und Reicher vor dem Gesetz oder zu Mutmaßungen darüber, ob der Teufel die Anwesenheit Unschuldiger beim „Hexensabbat“ vorspiegeln könne, was wiederum für die Glaubwürdigkeit von Denunziationen entscheidend war.89 Goethe nannte unmittelbar neben der späten Arbeit am „Faust“ in seinen Tagebüchern den Dämonologen Martin Del Rio;90 dieser wurde als mögliche Quelle Goethes in der Forschung noch kaum wahrgenommen. Del Rio hatte die berüchtigte und von 1599 / 1600 bis 1755 in über 20 Auflagen erschienene Abhandlung „Disquisitionum magicarum libri sex“91 verfasst. Belegt ist Goethes zweimalige Entleihung der Schrift (in der Auflage von 1624 oder 1679) aus der Weimarer Bibliothek in den Jahren 1827 / 28,92 was sein Interesse an Del Rio zeigt, das schon früher bestanden haben kann. Dieser nannte Dietrich Flade warnend als Exempel, er habe sich im Amt der Protektion von Hexen verschrieben.93 Del Rio wurde wiederum von dem Juristen und Dämonologen Benedict Carpzov als Grundlage seines einfluss-
Fraikin bezieht sich auf die Quelle: Bibliothèque Royale de Bruxelles; Ms. 18662–3, Chronique liégeoise, S. 228. Fraikin: Hexerei in den Ardennen und im Moselraum, S. 430 f. sowie Anm. 24. Vgl. die Beispiele bei Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, S. 443 f. Eintrag vom 12. September 1827. Weimarer Ausgabe, Abt. III, Bd. 11, S. 109. Martin Del Rio: Disquisitionum magicarum libri sex: quibus continetur accurata curiosarum artium, et vanarum superstitionum confutatio, utilis theologis, jurisconsultis, medicis, philologis. Vgl. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 290 und 296. Voltmer verweist in diesem Zusammenhang auf die sehr unterschiedliche Diskussion des Falls Flades speziell mit Blick auf seine vorherige Tätigkeit als Richter in Hexenprozessen. Del Rio warf Flade vor, in diesem Amt Hexen geschützt zu haben. In Wirklichkeit allerdings hatte sich Flade als strenger Hexenrichter erwiesen. Voltmer: superhunt, S. 254 und 257. Voltmer beschreibt die Rezeption des Falles Flade folgendermaßen: „Das prominenteste Opfer der stadttrierer Verfolgungen, Dr. Dietrich Flade, beförderte die Fama schon kurz nach seiner Hinrichtung 1589 zum größten Hexenmeister Deutschlands. Kaum zehn Jahre später stellte Martin Del Rio ihn in eine Reihe mit Johann Weyer sowie Cornelius Loos und diffamierte ihn als Hexenpatron.“ Voltmer: superhunt, S. 226.
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reichen Prozesskommentars rezipiert.94 Aus dessen Werk hat Goethe nachweislich dort zitierte Hexenprozessakten für seine Entwürfe zu „Faust“ exzerpiert. Auch Verfolgungsgegner wie Christian Thomasius rezipierten Del Rio und setzten sich kritisch mit ihm auseinander. Den berühmten Juristen Thomasius, von dem noch die Rede sein wird, schätzte Goethe außerordentlich, mehrmals erwähnte er ihn lobend.95 Der Dichter kann also auf vielfältige Weise auf die Verflochtenheit des Fauststoffes mit der Hexenverfolgung, die sich am Beispiel Flades besonders deutlich zeigt, aufmerksam geworden sein, nicht zuletzt während seiner Aufenthalte in Trier 1792, wo er lange Gespräche über die Geschichte der Stadt führte.96 Unter anderem sprach Goethe bei einem Diner in der Trierer Abtei St. Maximin, in der extreme Hexenverfolgungen stattgefunden hatten, über deren Geschichte. Hier war der berühmte Flade als Schöffe tätig gewesen, und hier wurde er nach Denunziationen und „Besagungen“97 in das berüchtigte Maximiner „Hexenregister“98 eingetragen. Der Historiker Wolfgang Behringer betont die „Vielzahl von Anspielungen“, in denen lange Zeit reichsweit immer wieder auf den Prozess gegen Flade verwiesen wurde;99 er nennt viele Beispiele. Noch von Juristen, die Zeitgenossen Goethes waren, wurde der Fall Flade diskutiert: Der aufgeklärte Trierer Jurist Georg Christoph Neller, der Freund und Mitstreiter Johann Nikolaus von Hontheims, ließ 1779 eine Dissertation verteidigen, in der behauptet wurde, daß Flade nach der Carolina zu Recht verurteilt worden sei, da er sich schuldig erkläret habe.100
Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, S. 445. Vgl. die bei Fischer-Lamberg belegten Notizen Goethes. Fischer-Lamberg: Der junge Goethe, Bd. 1, S. 434 sowie den Kommentar S. 513. Vgl. auch Brief an Schiller vom 29. Mai 1799. Münchner Ausgabe, Bd. 8.1, S. 696. Vgl. hierzu Punkt 7.2 meiner Arbeit. Neben freiwillig vorgebrachten Denunziationen oder Hexereibezichtigungen gab es auch „Besagungen“, die unter der Folter erzwungen wurden: von Hexereibeschuldigten wurden Namen von angeblichen Mittätern verlangt. Die Genannten wurden neue Opfer der Verfolgungen, so dass es zu Prozesswellen kommen konnte. Dieses Hexenregister des Claudius Musiel enthält 306 Namen von wegen Zauberei hingerichteten Frauen und Männern sowie die Namensangaben von deren angeblichen Komplizen, die meist durch Folter erzwungen wurden. Das Verzeichnis listet ingesamt mehr als 6.300 Namen auf. Es liegt als Edition vor, vgl. Voltmer / Weisenstein: Hexenregister. Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, S. 443. Franz: Hexenprozesse in der Stadt Trier, S. 346, besonders Anm. 23. Franz zitiert wie folgt den Text aus der Schrift: Georg Christoph Neller [Praes.] / Karl Joseph Embden [Resp.]: Conatus exegeticus in cap. Eam te 7. de Rescriptis. Trier 1779, S. 32–35. darin 33 f: „Ego, licet fatear, in Treviratu processum sagarum usque ad an. 1591, quo Princeps Elector Archiep. Joannes a Schönenberg tandem ei modum praescripsit satis fuisse popularum et tumultuarium; non adducor tamen eo, ut credam, fuisse egregium et innocentium, aut praecipiti justitia damnatum Fladtium; cum in
6.3 Bilder des historischen Faust als Teufelsbündner
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Die diachrone Prominenz des Flade-Prozesses und seine Nähe zur Faustlegende können als Indizien für ein mögliches Wissen Goethes über dieses Geschehen gewertet werden. Zumindest ist Goethe – losgelöst vom konkreten Flade-Prozess – mit der durch Flades Fall geprägten öffentlichen Erinnerung an einen als Teufelsbündner verbrannten Gelehrten in Kontakt gekommen. Dieses Bewusstsein spiegelt sich in Goethes Faust-Konzeption.
6.3 Bilder des historischen Faust als Teufelsbündner Eigentlich sind die wirklich großen Magier dieser Zeit, man denke an Agrippa oder an den durchaus historischen Faust, keinen lebensgefährlichen Verfolgungen ausgesetzt gewesen, auch wenn Binsfeld seinem furchtbaren Wort „In das Feuer mit den Hexern! In das Feuer mit den Hexen!“ noch ein drittes hinzugefügt hatte: „In das Feuer mit den Magiern!“101
Der Fauststoff entstammt einer Legende mit nicht genau bestimmbaren Wurzeln, die in der Literaturwissenschaft mit großer Mühe studiert wurde. Bemerkenswert ist, dass schon in manchen der frühesten Erwähnungen Fausts ideologische und politische Interessen eine Rolle spielten. Dies unterstreicht wieder die Verknüpfung des Fauststoffes mit frühneuzeitlichen Realitäten. Stephan Füssel und Hans Joachim Kreutzer sprechen hinsichtlich der frühen Nennungen eines Doktor Faust von einer „Grauzone vielfältiger Überlieferungsformen, in der sehr verschiedene Interessen einander überlagern. [...] Im diffusen Licht dieser älteren Überlieferung von einer oder mehreren realen Faust-Gestalten vollzieht sich eine Art Inkubationsphase des Faust-Mythos.“102 Auch der historische Faust ist heute Gegenstand umfangreicher Studien. Günther Mahal hat sich zum Beispiel ausführlich und ausschmückend mit den historischen Seiten der Faustgestalt beschäftigt.103 Die wirklich gültigen Zeugnisse über einen Faust sind jedoch überaus rar. Sein genauer Name und sein Geburtsort
prima inquisitione crimen confessus, et praescriptis salutaribus poenitentiae atque synaxeos sacrae remediis poena liberatus, dein relapsus, et cum esset torquendus, confessus, pie supplicium sustinuerit.“ Scholer: Der Hexer war’s, S. 178. Füssel / Kreutzer: Historia, S. 169. Vgl. zum Beispiel Mahal: Faust. Der Teufelsbündler. Vgl. auch Mahal: Vom historischen zum literarischen Faust; Mahal: Faust. Die Spuren eines geheimnisvollen Lebens; sowie den aus einem Symposium hervorgegangenen, von Mahal herausgegebenen Sammelband: Der historische Faust. Öfter wird Mahal, ehemals Leiter des Knittlinger Faust-Museums, mit der Kritik konfrontiert, Faust nicht neutral vorzustellen. Vgl. zum Beispiel Busch: Kniffliges aus Knittlingen, FAZ vom 22. Juli 1997; oder Fuchs, B.: Doctor Johann Faust und die Justiz um 1500, S. 53.
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6 Dämonologie, Hexenverfolgung und Literatur
sind umstritten.104 Man kann vermuten, dass er ungefähr gleichaltrig mit Luther war.105 Die Quellen geben je nach ihrer Auslegung Hinweise, dass er zwischen 1460 und 1470 oder um 1480 geboren wurde und um 1540 gestorben ist.106 Jedenfalls wurde ein Mann „in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts einige Male im südwest-, süd- und mitteldeutschen Raum unter dem Namen ‚Doctor Faustus‘ aktenkundig“.107 Als wahrscheinlicher Zeitgenosse auch des Paracelsus108 wurde Faust oft mit diesem in Zusammenhang gebracht, ebenso mit Agrippa von Nettesheim.109 Letzterem wurden Betrug und Ketzerei vorgeworfen; man schrieb ihm einen teuflischen schwarzen Hund zu und unterstellte ihm Zauberei. Derartige Vorwürfe publizierte, um nur ein Beispiel zu nennen, der in der Hexenverfolgung fatal einflussreiche Dämonologe Jean Bodin, einer der bekanntesten Juristen seiner Zeit.110 Oft verweist die Faust-Forschung auch auf Goethes Interesse an dem italienischen Hochstapler Guiseppe Balsamo alias Alexander Graf von Cagliostro,111 der im späten 18. Jahrhundert als Schwarzkünstler Erfolge feierte und freimaureri-
Vgl. zu beiden Punkten ausführlich Baron: Der Mythos des faustischen Teufelspakts. Füssel / Kreutzer: Historia, S. 334. Vgl. Hans Hennings zusammenfassende Darstellungen: Faust als historische Gestalt, in Henning: Faust-Variationen, S. 11–43, sowie Henning: Nach 500 Jahren – unsere Kenntnisse vom historischen Faust, in Henning: Faust-Variationen, S. 45–50. Eine gute, knappe Übersicht bietet Martin: Gattungs- und Mediengeschichte / Literatur. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 11. Vgl. die kritischen Bemerkungen von Füssel / Kreutzer: Historia, S. 334. Vgl. Henning: Nach 500 Jahren – unsere Kenntnisse vom historischen Faust, in: Henning: Faust-Variationen, S. 45–50. Martin: Gattungs- und Mediengeschichte / Literatur, S. 63. Will-Erich Peuckert hat in der Faustgestalt sehr enge Verbindungen zu Paracelsus vermutet. Vgl. Peuckert: Wende, S. 399 f. Vgl. auch die schon 1911 erschienene ausführliche Argumentation von Agnes Bartscherer: Paracelsus. Verschiedene historische Vorbilder neben Paracelsus diskutiert Petzsch: Christoph Wilhelm Hufeland, besonders S. 50 f. Vgl. zur Verbindung von Faust und Agrippa auch Keller, W.: Faust. Eine Tragödie (1808), S. 246. Mit Blick auf Goethes „Faust“ wurden als Bezüge zu Agrippa von Nettesheim etwa der Vorname Heinrich konstatiert – oder der Faust folgende Hund. Michael Kuper hat seiner Biographie über Agrippa von Nettesheim den Untertitel „Ein echter Faust“ gegeben. Vgl. auch etwa Jantz: Goethe’s Faust, S. 55. Vgl. mit Blick auf diese personenbezogenen Kontexte in der „Historia“ auch Landes: Witekinds Schwarzkünstler (Trithemius und Agrippa) im Faustbuch sowie Keefer: Cornelius Agrippa’s Double Presence. Gersmann / Moeller / Schmidt (Hg.): Agrippa von Nettesheim, Henricus Cornelius. Vgl. auch Gersmann / Moeller / Schmidt (Hg.): Bodin, Jean. Die Erinnerung an Bodin wird etwa durch die Publikationen der “Société Jean Bodin“ wachgehalten. Vgl. zu Bodins Verurteilung des Agrippa von Nettesheim auch Priesner: Entgrenzung oder Utopie?, S. 230f. sowie Keefer: Cornelius Agrippa’s Double Presence, S. 73 f. Vgl. zum Beispiel Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 3, S. 100 f.
6.3 Bilder des historischen Faust als Teufelsbündner
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sche Kontakte hatte. Er wurde von der Inquisition als Ketzer zum Tode verurteilt, dann hat man das Urteil aber zu lebenslanger Haft umgewandelt.112 Faust war ein Zeitgenosse der Hexenverfolgung, ein Zaubereiprozess gegen ihn ist allerdings nicht überliefert. Frank Baron fasst die vermuteten Lebensumstände Fausts wie folgt zusammen: Der historische Faust (in Wirklichkeit hieß er Faustus) nannte sich Philosoph, Astrolog, Alchemist und Magus. Obwohl er in Nürnberg und Ingolstadt einen ausgesprochen schlechten Ruf hatte und Nigromant und Zauberer genannt wurde, gibt es keine Quelle, in der er mit Hexerei in Verbindung gebracht wird. Die Geschichten, die in Wittenberg über ihn erzählt wurden, näherten sich dem Verdacht der Hexerei. Luther nannte Faustus einen Zauberer und sah ihn als „Schwager“ des Teufels. Johannes Manlius, ein Wittenberger Student und Schüler Philipp Melanchthons, hat dieses Bild weiter entwickelt und einen knappen Lebenslauf im Zusammenhang der Aussagen und Erzählungen seines Lehrers veröffentlicht (1562).113
Faust wurde wohl nicht als Hexer verfolgt, er soll anders gestorben sein. Diese Tatsache wird in der Forschungsliteratur öfter angemerkt. Allein die Tatsache, dass Faust, dessen Einschätzung als „Alchemist“114 in der Forschung sehr umfassend diskutiert wurde, als magiekundig galt, war nicht zwangsläufig gefährlich, sie konnte es aber werden. Denn in der frühen Neuzeit koexistierten die Vorstellungen von „weißer“ und „schwarzer“ Magie115, die auch die spätere Literaturgeschichte prägen. „Weiße Magie“ galt in manchen Teilen als zulässig, sie stand in der Nähe von Segen116 und mischte sich häufig mit christlichen Vorstellungen. Gerichte scheuten sich bisweilen nicht einmal, die Hilfe angeblicher Magier zum
Münchner Ausgabe, Bd. 4.1, Kommentar zum Lustspiel „Der Gross-Cophta“, S. 942. Vgl. zu Cagliostro die von Klaus H. Kiefer herausgegebene Textsammlung Cagliostro: Dokumente zu Aufklärung und Okkultismus; auch die Zeittafel S. 639 f. Baron: Hexenprozesse, S. 64. Vgl. hierzu zum Beispiel Bartscherer: Paracelsus. Vgl. etwa auch Mahal: Faust. Der Teufelsbündler, S. 59–67. Vgl. Irsigler: Hebammen, Heilerinnen und Hexen. Und zum Beispiel Müller-Jahncke: Astrologie und Magie. Vgl. auch das Beispiel des Abtes Johannes Trithemius. Der Abt, der den historischen Faust scharf verurteilte, prangerte das vermeintliche Treiben von „Hexen“ durch sein schon erwähntes Traktat „Antipalus maleficiorum“ (1508) an. Vgl. Arnold: Johannes Trithemius, S. 196–200. In einem Brief, der durch Zufall schon seinen Zeitgenossen öffentlich bekannt wurde, prahlte er jedoch selbst mit neuen Künsten, die es etwa ermöglichen sollten, dass ein ungelehrter Mann innerhalb von zwei Stunden lateinische Briefe lesen, schreiben und verstehen könne. Vgl. Arnold: Johannes Trithemius, S. 182 f. Vgl. auch Zambelli: White Magic, Black Magic in the European Renaissance. Zambelli behandelt auch ausführlich die Magievorstellungen des Trithemius. Vgl. als Beispiel etwa die Darstellung von Hexereiprozessen im Nassauer Land von Elmar M. Lorey: Vom Wolfssegner zum Werwolf. Hirten, die das Vieh gegen Schäden segneten – in einer rechtlichen Grauzone, aber dennoch häufig auf Wunsch der Bauern –, konnten leicht in den Verdacht der Hexerei geraten. Sie wurden in zahlreichen Nassauer Fällen als Werwölfe
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6 Dämonologie, Hexenverfolgung und Literatur
Aufspüren von „Hexen“ in Anspruch zu nehmen, und es waren zahlreiche magische Praktiken zur Abwehr von „Hexen“ im Alltag117 wie auch bei Gerichtsverfahren gängig. Während der Folterungen wurden die Körper der vermeintlichen Hexen oft mit Weihwasser behandelt, um mögliche Zauber zu brechen, auch die Foltergeräte selbst wurden „geweiht“. Ebenso kamen Amulette als Schutzzauber und Weihrauch als Abwehrmittel zur Anwendung.118 Jedoch waren die Grenzen zwischen „schwarzer“ und „weißer Magie“ oft fließend,119 und die Bestrafung von „Magiern“ war ein Thema in hexentheoretischer Literatur.120 Sie stand im Raume.121 Othon Scholer deutet etwa Aussagen des berüchtigten Dämonologen Peter Binsfeld: „Offensichtlich wünschte Binsfeldius auch noch den Magiern wie etwa Agrippa oder Faust den Feuertod.“122 Agrippa, der 1519 in Metz eine Frau in einem Hexenprozess verteidigte123 und viele Aspekte der Hexenverfolgung kritisierte, geriet in Gefahr, selbst als Teufelsbündner betrachtet zu werden und wurde, wie schon angesprochen, von Dämonologen wie
bezichtigt und hingerichtet. Oft hatten die Prozesse auch Bezüge zu sexuell deviantem Verhalten der Angeklagten. Vgl. Lorey: Wolfssegner. Vgl. etwa Beispiele bei Labouvie: Zauberei und Hexenwerk, S. 219–249. Vgl. zum Beispiel die Folteranleitung von Heinrich Schultheis, Köln 1634, Auszüge bei Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 301 f. Vgl. hierzu zum Beispiel Daxelmüller: Zauberpraktiken, besonders S. 29 f. und 218–222. Maria E. Müller benennt in ihrer Untersuchung der „Historia von D. Johann Fausten“ von 1587 zu Recht: „[...] die Diskussion von Schwarzkunst und Hexerei im späteren 16. Jahrhundert, mit der alle bedeutenden Juristen und Theologen, die Universitäten und jede (geistliche und weltliche) Obrigkeit unaufhörlich befaßt waren“. Müller, Ma.: Poiesis und Hexerei, S. 57. Sie führt zahlreiche gemeinsame Merkmale von vermeintlichen Hexen und Schwarzkünstlern an, was sie mit den Worten einleitet: „Lassen Sie mich die im Faustbuch angeführten, zeitgenössisch todbringenden Delikte aufzählen, deren Spuren unmittelbar, wie in der Forschung nachgewiesen, zu den Hexenpassagen der Teufelsliteratur zurückführen.“ Müller, Ma.: Poiesis und Hexerei, S. 59. Zur Bestrafung von Schwarzkünstlern als Thema der Predigten Geiler von Kaysersbergs, auf den sich zum Beispiel auch Hermann Witekind berief, vgl. etwa Bauer: Hexenpredigten, S. 154. Im Kommentar der Berliner Ausgabe 1965 wird der Verdacht des „Teufelswerks“ mit Blick auf Agrippa von Nettesheim und Paracelsus, wenn auch mit einseitig marxistisch interpretierenden Akzenten, immerhin kurz angedeutet: „Selbst hochangesehene Ärzte und Naturforscher wie Agrippa von Nettesheim und Paracelsus wurden übernatürlicher Beziehungen verdächtigt; denn was über das traditionelle, von der Kirche sanktionierte Wissen der Zeit hinausführte und womöglich die Existenz der bestehenden Feudalordnung anzweifelte, mußte Teufelswerk sein.“ Berliner Ausgabe, Bd. 8, S. 741. Scholer: Der Hexer war’s, S. 326, Anm. 605. Gersmann / Moeller / Schmidt (Hg.): Agrippa von Nettesheim, Henricus Cornelius. Michael Kuper hat der Rolle Agrippas in dem Metzer Hexenprozess eine eigenes Kapitel (und einen Roman) gewidmet. Kuper: Agrippa, S. 62–82.
6.3 Bilder des historischen Faust als Teufelsbündner
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Jean Bodin und Martin Del Rio diffamiert.124 Von Paracelsus, dem bestimmte magische Fähigkeiten unterstellt wurden, ist überliefert, dass er sich gegen Hexereivorwürfe wehrte.125 Manche Angeklagte in Hexereiprozessen versuchten, sich als Anwender „weißer Magie“ zu verteidigen. Die Verworrenheit der allgemeinen Imaginationen wird dabei deutlich. Der Kölner Ratsherr Hermann von Weinsberg berichtet 1589: [...] wie der von Schonenberg, churfurst von Treir, binnen und baussen Treir vil zeuber und zeuberschen, man und frauen, geistlichn und weltlichen, gefangen, verbrent und ertrenkt hett, dern etliche vorgeben, es were ein frihe, naturliche kunst, damit hoegelerten und prelaten umbgingen, filligt nicromantiam, die swarz kunst oder derenglichn meinent, wiewol dieselben auch alle verpotten sin.126
Günther Mahal beschreibt die historische Hexenverfolgung zwar auf der Basis fehlerhafter Annahmen über manche Fakten,127 er verweist aber zu Recht auf die Gefährlichkeit der Zeit, in der Faust als Magier auftrat: Faust hat es offenbar verstanden, auf der Trennlinie von weißer und schwarzer Magie zu agieren – denn sonst wäre kirchlicherseits rasch jenes Verfahren gegen ihn angestrengt worden, das auch einen Hexer nach Verhör und Tortur zum Geständnis und zur Hinrichtung gebracht hätte.128
Auch wenn keine Quellen eines Hexenprozesses gegen den historischen Faust überliefert sind, so finden sich doch gewichtige Hinweise darauf, dass er leicht in
Othon Scholer kommentiert die Aussagen Martin Del Rios ironisch: „Tatsächlich erzählt Del Rio auch einige Taten des ‚Ertzschwartzkünstlers‘, den er mit Agrippa über die schlechten, staubigen Straßen des Alten Römischen Reiches Teutscher Nation vagabundieren läßt, eine recht romantische Version des Lebens Agrippas. Ob Agrippa wohl Faust je begegnet ist? Höchst unwahrscheinlich ist jedenfalls, daß die beiden Kumpane, nachdem sie fleißig in Tavernen gezecht hatten, mit Goldstücken bezahlt haben, die sich nach ihrem Fortgang in Hornschnipsel oder Trödelkram verwandelten.“ Scholer: Der Hexer war’s, S. 160. Vgl. zu Agrippa und Faust etwa auch Neumann: De Fausto praestigiatore, S. 15–18. Paracelsus setzt sich mit Vorwürfen von Hexerei und Zauberei etwa deutlich auseinander in seinem „Liber V de Origine Morborum Invisibilium“. Volltext einsehbar unter: http://digitale.bib liothek.uni-halle.de/vd16/content/titleinfo/993606 [Stand: Mai 2023]. Er schreibt beispielsweise einleitend auf S. 236 f: „wo ist die thorheit? als allein bey denen / die in ihren weißheiten bleiben / vnd weiter in Gottes weißheit nit fahren. Und darumb so ein kunst geoffenbaret wirt / vnnd sie in ihrem dollen Schedel nit mag ergruendet werden / so muß es Teuffelisch vnnd Zauberisch sein.“ Weinsberg: Das Buch Weinsberg, Bd. 4, S. 68 f. Zum Beispiel irrt Mahal in der Angabe von „Millionen“ Todesopfern der Hexenverfolgung, vgl. Mahal: Spuren eines geheimnisvollen Lebens, S. 43. Mahal: Faust. Der Teufelsbündler, S. 20. Vgl. hierzu auch: Mahal: Vom historischen zum literarischen Faust, S. 43.
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6 Dämonologie, Hexenverfolgung und Literatur
die Gefahr einer juristisch relevanten Hexereibezichtigung hätte geraten können. Mehrere Quellen schreiben der historischen Faustgestalt sehr prägnant einen „unsittlichen Lebenswandel“ zu. Philipp Melanchthon soll den Schwarzkünstler, den er nach heute umstrittenen Aussagen seines Schülers Johannes Manlius gekannt haben soll, als „Idem Faustus magus, turpissima bestia, et cloaca multorum diabolorum“129 getadelt haben, was zeitgenössisch letztenteils etwa als „scheißhaus vieler teufel“130 übersetzt wurde. Goethe hat aus der Weimarer Bibliothek 1801 eine von Johann Georg Schelhorn erstellte Sammlung literarischer Auszüge entliehen, die den entsprechenden Passus enthält.131 Dämonologische Abhandlungen griffen die Bezeichnung auf, zum Beispiel veröffentlichte Henning Grosse im Jahr 1597 die fast gleiche Beschreibung: „JOHANNES FAVSTVS, turpissima bestia, et cloaca multorum Diabolorum, Cacodaemonem canis specie circumduxit.“132 Auch Hermann Witekind zitiert in seiner Schrift gegen die Hexenverfolgung das kraftvolle Bild seines Lehrers Melanchthon.133 In einer Verfügung des Nürnberger Rates heißt es 1532: „Doctor fausto, dem grossen Sodomitten und Nigromantico zu furr, glait ablainen. Burg[ermeister] Ju[ni]or.“134 Die hier genannte „Sodomie“, die man Faust zuschrieb, konnte zu
Johannes Manlius: Locorum Communium Collectanea. Auszug bei Tille: Faustsplitter, S. 14–16, hier S. 16. So zum Beispiel durch Hermann Witekind (Pseudonym Augustin Lercheimer): Christlich bedencken vnd erinnerung von Zauberey (1597) Auszug in: Füssel / Kreutzer: Historia. S. 297–299, hier S. 298. Johann Georg Schelhorn: Amoenitates literariae quibus variae observationes, scripta item quaedam anecdota & rariora opuscula exhibentur. Vgl. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 44. Henning Grosse: Magica. In: Tille: Faustsplitter, S. 49. Hervorhebungen von Tille nach dem Original. Hermann Witekind (Pseudonym Augustin Lercheimer): Christlich bedencken vnd erinnerung von Zauberey (1597). Auszug in: Füssel / Kreutzer: Historia. S. 297–299, hier S. 298. Eintrag abgebildet zum Beispiel in Mahal: Faust. Die Spuren eines geheimnisvollen Lebens, S. 142. Vgl. die Erläuterungen von Hans Henning: Faust als historische Gestalt, in: FaustVariationen, S. 13 f. Mahal beschränkt die Bedeutung des Wortes „Sodomit“ in seiner Erläuterung der Quelle fälschlicherweise auf die heutige Bedeutung „Unzucht mit Tieren“. Mahal: Faust. Die Spuren eines geheimnisvollen Lebens, S. 142. In anderer Weise kritisiert Bengt Fuchs die Deutung der Vorwürfe gegen Faust durch Günther Mahal: „Mahal, jederzeit um Wahrung der Integrität des historischen Faust bemüht, sah in den Bezeichnungen ‚Sodomit‘ und ‚Nicromant‘ lediglich Kraftausdrücke, ‚durch die beim Leser eine Ablehnung Fausts erreicht werden sollte‘. Eine stichhaltige Argumentation blieb Mahal in diesem Zusammenhang schuldig. [...] Die Vermutung, daß die Formulierung beim Leser negative Wirkung zu erzielen bestimmt war, widerspricht bereits der Rechtsnatur der Quelle. Immerhin handelt es sich um ein Protokollbuch des Rates, also ein behördeninternes Dokument, das nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt und ihr daher auch nicht zugänglich war.“ Fuchs, B.: Doctor Johann Faust und die Justiz um 1500, S. 53.
6.3 Bilder des historischen Faust als Teufelsbündner
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Beginn der frühen Neuzeit in einer weiten Bedeutung jede sexuelle Betätigung meinen, die nicht dem einzigen kirchlich akzeptierten (ehelichen) Beischlaf, bei welchem die Frau unter dem Mann liegt, entsprach.135 In engerem Sinne wurde die Bezeichnung „sodomie“ oft für homosexuellen Verkehr verwendet.136 Der Vorwurf der „sodomie“ war im Zusammenspiel mit Hexereibezichtigungen besonders gefährlich. Die lateinische Bezeichnung „negromantici“ wurde neben vielen anderen für „Hexer“ und Zauberer verwendet; zwar unterschied man in hexentheoretischer Literatur verschiedene Typen von „Hexerei“, aber einig war sich die Dämonologie über die Definitionen nicht.137 Marina Münkler stellt mit Blick auf frühneuzeitliche „Identitäre Semantiken“ klar: „Hexe ist keine Steigerung gegenüber Zauberer, es ist lediglich eine andere Denomination, die mit einer anderen geschlechtsspezifischen Zuschreibung einhergeht. Der Zauberer ist grundsätzlich ebenso des Teufels wie die Hexe.“138 Bengt Fuchs hat „Doctor Johann Faust und die Justiz um 1500“ untersucht und fasst 1996 die in der Forschung umstrittenen Anschuldigungen gegen den Magier zusammen: Die auf uns gekommenen Quellen berichten außer an der hier in Rede stehenden Stelle noch an zwei weiteren über nach zeitgenössischer Lesart unnatürliche Veranlagungen des Faust: Anfang des 16. Jahrhunderts soll Dr. Faust in seiner Eigenschaft als Schulmeister von Kreuznach mit ‚Knaben schändliche Unzucht‘ getrieben haben, worauf er sich der weiteren Verfolgung offenbar durch Flucht entziehen mußte. [...] Alle Berichte weisen unabhängig voneinander auf im weitesten Sinne als Sodomie beurteilbare Veranlagungen und Verhaltensweisen des Faust hin.139
Wenn Johannes Trithemius Faust der „Unzucht mit Knaben“ beschuldigt,140 war dies in Zeiten der Hexenverfolgung auch deshalb besonders bedeutsam, weil der Vorwurf des unsittlichen Lebenswandels und der sexuellen Vergehen häufig zu Hexereivorwürfen führte.141 Oft verwiesen geschichtswissenschaftliche Studien schon auf den Einfluss nachtridentinischer Sittenreformen und jesuitischer Sittenpropagie-
Vgl. Walter: Unkeuschheit, besonders S. 66–73. Walter: Unkeuschheit, S. 83. Vgl. zu den verschiedenen Bezeichnungen für „Hexen und / oder Zauberer“ Münkler: Narrative Ambiguität. Die Faustbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts, S. 206 f. Münkler: Narrative Ambiguität. Die Faustbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts, S. 217. Fuchs, B.: Doctor Johann Faust und die Justiz um 1500, S. 54. Trithemius: Epistolae familiares (1536), der entsprechende Auszug in Tille: Faustsplitter, Nr. 1507. Vgl. hierzu etwa Voltmer: Gegen die Unzucht, S. 491–506, zu „Sodomie“ auch im Sinne von „Bestialität“ besonders S. 504–506.
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rungen im 16. und 17. Jahrhundert, die durch die Aufmunterung zur Denunziation auch eine Zunahme von Hexereibezichtigungen bewirkten.142 Es gibt in manchen Prozessakten Hinweise darauf, dass bestimmte strafbare, aber schwierig nachzuweisende Handlungen, wie zum Beispiel Inzestfälle oder Konkubinate von Geistlichen, durch Hexereiprozesse geahndet wurden. Auf diese Weise entledigte man sich in manchen Fällen der Personen, deren wahre Taten schwer nachweisbar waren.143 Bengt Fuchs beleuchtet mit Blick auf den historischen Faust auch den Zaubereibegriff, den die Rechtswissenschaft Prozessen zugrunde legte: Daneben findet eine erstaunliche Verknüpfung von Zauberei- und Sexualdelikten statt. Gerade diese Verbindung findet sich auch in der Faust betreffenden Verfügung des Nürnberger Rates wieder. Die Bezeichnung könnte daher eher als juristische Paarformel denn als zwei isolierte Vorwürfe interpretiert werden. In Zeiten einer weitgehenden Mündlichkeit der juristischen Verhältnisse dienten Paarformeln in der Rechtssprache unter anderem als Mittel zur Erfassung abstrakter Begrifflichkeiten. „Sodomit v[n]d Nigromantico“ könnte mithin als definierende Paarformel der Zauberei im Sinne der Dogmatik Goblers erachtet werden, d. h. einer Überschneidung von crimen magiae und Unzucht.144
Es liegt also nicht nur aufgrund der angeblichen schwarzen Künste Fausts, sondern auch aufgrund dieser Umstände nahe, dass manche Studien zum historischen Faust die Abwesenheit eines Hexenprozesses zu erklären versuchen; die entsprechenden Zusammenhänge werden dabei allerdings nur sehr selten genannt. Auch Strategien Fausts gegen einen Hexereivorwurf werden erwogen. Ernst Beutler nimmt etwa an, Faust habe sich gehütet, sich als Teufelsbündner zu bezeichnen.145 Abweichend spekuliert Eduard Engel über eine Einschüchterung der Umgebung Fausts: „Eine andre Spur zeigt den fahrenden Scholaren an den Universitäten Heidelberg und Erfurt; hier soll er den Studenten Homerische Gestalten leibhaftig vorgeführt und sich seines Bündnisses mit dem Teufel gerühmt haben, ohne daß man ihn zu verbrennen wagte.“146
Vgl. zur nachtridentinischen Sittenreform und Verfolgung devianter Sexualität zum Beispiel Voltmer: Gegen die Unzucht, besonders S. 510 f. Vgl. Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 20. Fuchs, B.: Doctor Johann Faust und die Justiz um 1500, S. 54. Beutler schreibt: „Es ist auch selbstverständlich, daß Faust selber sich nie eines Bündnisses mit dem Teufel gerühmt hat. Folter und Scheiterhaufen wären ihm sofort sicher gewesen.“ Beutler: Faust und Urfaust, S. XVIII. Engel: Goethe, S. 234.
6.4 Die literarische Gestaltung des Fauststoffes: Fausts Tod
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6.4 Die literarische Gestaltung des Fauststoffes: Fausts Tod und die Absenz eines Hexenprozesses Wer auch jemals Historien gelesen / der wirt befinden / wenn gleich die Obrigkeit jr Ampt hierin nit gethan / daß doch der Teuffel selbst zum Hencker an den Schwartzkuenstlern worden.147
Mit Blick auf ausdrücklich literarische Verarbeitungen des Fauststoffes ist es erstaunlich, dass die Figur hier, anders als in dämonologischen Schriften, nur in wenigen Fällen deutlich mit der Hexenverfolgung verknüpft wird. Insbesondere frühneuzeitlichen Autoren hätte das Thema aufgrund ihrer Zeitgenossenschaft näher liegen können. Der Befund ist auffällig und wird in der Literaturwissenschaft unterschiedlich gedeutet. Obwohl zum Beispiel die von Spieß herausgegebene „Historia“ in einer der extremsten Hochphasen der Verfolgungen erschien, wird in dem Faustbuch die Hexenverfolgung nur am Rande erwähnt. Karl Heinrich Hucke unterstreicht diese Auffälligkeit, wenn er schreibt: Wer über den historischen Kontext der literarischen Figur Faust und der literarischen Figur des Erzählers [...] genauer nachdenkt, dem könnte nach der Lektüre der „Historia“ auffällig werden, daß sowohl der ‚geistliche‘ als auch der „weltliche Richter“ nebst deren Richtstätten ganz und gar ausgeblendet werden, wenn der Erzähler sein scheinbar so hartes und in den Interpretationen immer wieder beschworenes Verdammungsurteil spricht. [...] Die narrative Fabel wird ja gerade nicht aus den Akten der wie eine Seuche grassierenden Hexenprozesse gezogen [...].148
Hucke muss hier allerdings in einem Punkt widersprochen werden: „ganz und gar ausgeblendet“ werden die weltlichen Richter in der „Historia“ von 1587 nicht. In einer „Vorred an den Christlichen Leser“149 ist unter Verweis auf die Bibel vielmehr ganz explizit von einer Obrigkeit die Rede und von ihrer Aufgabe, Zauberer zu verfolgen: Es draewet auch Gott den Zauberern vnd Schwartzkuenstlern vnd jren Anhaengern die hoechste Straff / vnnd befilcht der Obrigkeit dieselbige an jnen zuexequirn, Leuit. 20. [...] Wer auch jemals Historien gelesen / der wirt befinden / wenn gleich die Obrigkeit jr Ampt hierin nit gethan / daß doch der Teuffel selbst zum Hencker an den Schwartzkuenstlern worden.150
„Vorred an den Christlichen Leser“ der „Historia von D. Johann Fausten“. Wiedergabe der historisch-kritischen Ausgabe der „Historia“ nach Füssel / Kreutzer: Historia, S. 10. Hucke: Figuren, S. 44. In einer älteren Version der Historia, einer Handschrift der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, fehlt diese Vorrede. Nach Füssel und Kreutzer besteht jedoch zwischen dieser Handschrift und der Drucküberlieferung „keine unmittelbare Verbindung“. Füssel / Kreutzer: Historia, S. 167. Wiedergabe der historisch-kritischen Ausgabe der Historia durch Füssel / Kreutzer: Historia, S. 10.
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6 Dämonologie, Hexenverfolgung und Literatur
Fausts schreckliches Ende, sein Körper wird vom Teufel zerschmettert, soll also nach Meinung dieses Autors einen Zaubereiprozess ersetzen.151 Wie nahe der Gedanke an eine Bestrafung Fausts offensichtlich lag, zeigt auch ein „Lied von Doctor Faust“, das in vielen Überlieferungen kursierte. 152 Hier ein Zitat nach einem Flugblattdruck aus dem steirischen Admont: Der böse Geist fing an zu mahlen, An dem heiligen Crucifix, That den Faustum scharf befragen, Ob er sein Punkten noch B’ständig [sic] ist, In thut er drauf gleich sagen, Mahl du mir nun dieses aus, nach Gott thu ich nichts fragen, weder um sein himmlisch Haus.153
Das Gedicht beschreibt eine in vielen Legenden ähnlich verbreitete Szene: Der Teufel selbst soll Jesus am Kreuz malen. Das Bild des Gemarterten mit Blut und Wunden wird im Lied als Schrecken Fausts beschrieben, das seine „Seel in Leib erzittern“154 lassen könne. Hier wird vordergründig eine Läuterung des Sünders durch den Anblick der Kreuzigung dargestellt, auffallend betont wird dessen Folterqual. Dies ist zwar in der christlichen Ikonographie nicht unüblich, aber ein Umstand fällt im Liedtext besonders auf: die Sprache hat deutliche Bezüge zu frühneuzeitlichen Folterungen. Ist es ein Zufall, dass sie zum Teil wortgleich realen Hexenprozessprotokollen entspricht, etwa wenn Faust „scharf befragt“
Auf diese deutliche Aussage verweist auch Frank Baron: „Fausts brutaler und grotesker Tod am Schluß, als er in den Händen des Teufels umkam, könnte als eine gerechtfertigte Bestrafung angesehen werden, in einem nachträglichen Prozeß sozusagen, den die Obrigkeit nicht ausgeführt hatte. Auf diese Bedeutung in jenem letzten Geschehen weist die Vorrede des Faustbuchs hin“. Baron: Hexenprozesse, S. 70 f. Der Chemiker Claus Priesner vermutet, wie es in der Faustforschung schon früher in Betracht gezogen wurde, als Todesursache des historischen Faust eine von ihm selbst verursachte Explosion. Priesner: Der junge Goethe (2019), S. 72. Vgl. etwa Mahal: Vom historischen zum literarischen Faust, S. 44. Vgl. Kretzenbacher: Teufelsbündner, S. 158. Die ursprüngliche Herkunft des Liedes ist ungeklärt. Abgedruckt bei Kretzenbacher: Teufelsbündner, S. 153–157, Zitat hier S. 157. Kretzenbacher zitiert das Lied nach einer Volksliedsammlung von Anton Schlossar: Deutsche Volkslieder aus Steiermark. Innsbruck 1881. Der Flugblattdruck aus Admont ist nach Kretzenbacher verschollen. Vgl. Abdruck bei Kretzenbacher: Teufelsbündner, S. 156.
6.4 Die literarische Gestaltung des Fauststoffes: Fausts Tod
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wird, ob er „in seinen Punkten noch beständig“ sei?155 Eine Folterung Fausts wird hier kontextuell und intertextuell assoziiert. Die Art und Weise, wie die von Spieß herausgegebene „Historia“ ihre Zeit verarbeitet hat, wird sehr unterschiedlich gedeutet. Karl Heinrich Hucke sieht in der Tatsache, dass die Hexenverfolgung nicht ausführlicher in der „Historia“ vorkommt, eine „uneingeschränkte Kontrafaktur [...], welche den Teufelspakt als Sujetdominante des literarischen Modells ins Gegenteil seiner zeitgenössischen Bedeutung verkehrt“.156 Auch spricht Hucke mit Blick auf die Historia von einem „geschützten literarischen Raum, wo der Protagonist sicher ist vor dem Zugriff des irdischen Henkers und seiner Knechte“.157 Andere Interpretationen der „Historia“ schildern den frühneuzeitlichen Kontext auffallend vage. Barbara Könneker zum Beispiel deutet die „Historia“ zwar ausdrücklich als „Zeitdichtung“,158 sie umschreibt die frühneuzeitlichen Gegebenheiten jedoch unscharf, wenn sie nur von „religiöser Unsicherheit und Angst“159 spricht; zu Fausts Schicksal meint Könneker: „Es ist ein eminent religiöses Thema, das sich der Verfasser des Volksbuches gewählt hat, und nur mit Hilfe religiöser Begriffe ist es zu deuten.“160 Die Autorin interpretiert die Zerrissenheit der Faustfigur der „Historia“ als Ausdruck „einer beginnenden Emanzipation von der religiös moralischen Gebundenheit“ der Kunst. Angesichts der in und kurz nach dieser Zeit massenhaften Hexenverfolgungen mutet es fast ungewollt ironisch an, wenn sie dann schreibt, man könne “durchaus sagen, daß der Volksbuchautor, was die Thematik seiner Dichtung betrifft, auf der Höhe der Zeit stand und, statt einseitig rückwärtsgewandt zu sein, aktiven Anteil hatte an den Tendenzen, die in die Zukunft wiesen [...]“.161 Das Beispiel von Könnekers Interpretation zeigt: Ignoriert man in einer Studie zur frühneuzeitlichen „Historia“ das Thema der Hexenprozesse, so fehlt eine wichtige Komponente der von ihr selbst im Faustbuch vermuteten „Zeitdeutung“.162
Vgl. als ein Beispiel etwa Carpzovs Bericht über „die gefangene G. L.“: „So hat wegen der dritten Tortur / weil die vorigen Indicia in der anderweit außgestandenen scharffen Frage purgiret worden seyn / nichts beständiges erkandt werden mögen.“ Carpzov: Practica, S. 341. Hucke: Figuren, S. 49. Hucke: Figuren, S. 51. Könneker: Faust-Konzeption, S. 211. Könneker: Faust-Konzeption, S. 212. Könneker: Faust-Konzeption, S. 194. Könneker: Faust-Konzeption, S. 198 f. Könneker: Faust-Konzeption, S. 211.
7 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen Je intensiver sich Goethe mit dem Hexen- und Ketzerwesen auseinandergesetzt hat, desto auffälliger ist es, daß in seinem Drama schließlich nur wenig davon übrigblieb.1
Im Jahr 1782 fand in Europa die letzte legale Hinrichtung nach einem Hexenprozess statt. Das Geschehen im protestantischen Schweizer Kanton Glarus löste in der Öffentlichkeit einen Sturm des Protestes aus.2 Zu dieser Zeit war der Jurist Goethe Anfang Dreißig. Zu Recht bezeichnet der Historiker Wolfgang Behringer Goethe als „Zeitgenossen der ausgehenden ‚Hexen Epoche‘“,3 der auch die große Hexendebatte der Aufklärer ab Mitte der 1760er Jahre und insbesondere die späteren Rückblicke auf diese „Kampfzeit“4 miterlebt hat. Behringer schildert den umstrittenen Schweizer Prozess im Kontext anderer später Hexenprozesse des 18. Jahrhunderts: „In der Fürstabtei Kempten verurteilte ein Bannrichter namens Treichlinger 1755 und noch einmal 1775 ohne erkennbares Zögern eine Frau zum Tod, als schon die Stücke Lessings und Goethes am Theater aufgeführt wurden.“5 Also ist die Sonderstellung des letzten europäischen Hexenprozesses zu relativieren: Immer noch verstarben manche der oft betagten Beschuldigten in Haft, immer noch wurde die Tortur angewandt, im Schweizer Kanton Graubünden zuletzt 1779 gegen Ursula Padrutt im rätischen Oberhalbstein. Vor diesem Hintergrund nimmt sich der Skandalprozeß gegen die Dienstmagd Anna Göldi (1734–1782), die am 18. Juni 1782 im reformierten Glarus hingerichtet wurde, weniger exotisch aus, als oft angenommen.6
Es ist heute kaum mehr im Bewusstsein, dass noch zu Goethes Zeit gegen angebliche Hexen juristisch vorgegangen wurde – wenn auch in Einzelfällen.7 Wer aber Goethes Wissen um die frühneuzeitliche Hexenverfolgung eruiert, muss diese historische Realität im Blick behalten. Der Jurist Goethe kannte strafrechtliche Entwicklungen, seine berufliche Tätigkeit, sein Studium und damit einhergehende
Binder: Faustische Welt, S. 353. Behringer: Hexenprozesse, S. 405; Petz: Die letzte Hexe, S. 174. Vgl. zum Beispiel die Stellungnahme von August Ludwig Schlözer: Abermaliger Justizmord in der Schweiz, in: Stats-Anzeigen, Vol. 2, 1782, S. 273–277. Behringer: Hexenprozesse, S. 408. Behringer: Hexenprozesse, S. 408. Vgl. zur Debatte um späte Hexenprozesse auch Punkt 5.2 meiner Arbeit. Behringer: Hexenprozesse, S. 405. Behringer: Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung, S. 86. Vgl. hierzu den umfassenden Sammelband von Behringer / Lorenz / Bauer: Späte Hexenprozesse. https://doi.org/10.1515/9783111311258-007
7 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen
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Lektüren sind bedeutsam für die Frage der Hexenthematik im „Faust“. Doch behandelt die Goethe-Forschung die juristische Prägung des Dichters meist nur am Rande.8 Die Schriften von Benedict Carpzov und Christian Thomasius etwa hatten Einfluss bis in die Goethezeit und waren dem Dichter gut bekannt. Hinsichtlich der Frage, wieviel Goethe von der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung gewusst hat, bietet es sich an, möglichst umfassend seine Bücher und Lektüren zu betrachten. Intertextuelle Zusammenhänge zeigen sich dabei mit Blick auf Berichte über bekannte Hexenverfolgungen, etwa aus dem Trierer Raum, und deren dämonologische und juristische Diskussion bis in das 18. Jahrhundert. Auch einige Bilder waren als Quellen für Goethe von Bedeutung. Belege für Goethes Quellen bieten etwa seine Tagebücher. Auch von ihm genutzte Bibliotheken und Entleihungen des Dichters wurden in der Goethe-Forschung untersucht und so gründlich wie möglich dokumentiert.9 Die Person Goethe ist wie kaum eine andere erforscht: Wahrscheinlich wissen wir über Goethe mehr als über irgendeinen anderen Menschen. Im ausgehenden Zeitalter der handschriftlichen Hinterlassenschaft erscheint Goethe als dessen vornehmster Zeuge. Er hat nicht nur mehr getan und gedacht als die meisten Menschen – es sind auch mehr schriftliche Spuren seines Wirkens auf uns gekommen.10
Goethes Familiengeschichte sowie die seines Umfeldes geben Hinweise auf tradiertes Wissen um die Hexenverfolgung. Ob über das zeitlich nahe Thema gesprochen wurde, muss zum Teil Vermutung bleiben. Biographische Umstände, die zum Wissen über Hexenverfolgung beigetragen haben können, werden im Folgenden dargelegt; eine Vollständigkeit ist dabei ausgeschlossen. Nicht zuletzt können Goethes Reisen ihn mit der Thematik konfrontiert haben. Welche Quellen des Fauststoffes Goethe kannte, ist trotz umfangreicher Bemühungen der Forschung nicht bis ins Letzte zu klären. Goethe selbst berichtet über ein Puppenspiel, das ihn als Kind beeindruckte.11 Auch die durch Pfitzer erweiterte Faustbeschreibung Widmanns, die Goethe in Weimar entlieh, wurde
In den Kapiteln 7.3–7.5 meiner Arbeit wird das Zusammenspiel von Dämonologie, Hexenverfolgung und Rechtssprechung beleuchtet sowie die Eingebundenheit bekannter Rechtstheoretiker des 17. und frühen 18. Jahrhunderts in diesen Diskurs. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek; Ruppert: Goethes Bibliothek; Götting: Die Bibliothek von Goethes Vater; Bulling: Goethe als Erneuerer und Benutzer der jenaischen Bibliotheken. Vgl. heute Goethe Bibliothek online. https://opac.lbs-weimar.gbv.de/DB=2.5/ [Stand: März 2023], dazu Höppner: Goethes Bibliothek, zur Datenbank besonders S. 237–250. Boyle: Goethe, Bd. 1, S. 7. Dichtung und Wahrheit. Münchner Ausgabe, Bd. 16, S. 445.
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7 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen
als seine Quelle früh beschrieben.12 Oft kursieren Spekulationen über die Frage, welche Bearbeitungen des Fauststoffes Goethe weiter beeinflusst haben.13 Darüber hinaus wurde speziell seinen dämonologischen Quellen in jüngerer Zeit einige Aufmerksamkeit zuteil, insbesondere durch Anne Bohnenkamps Untersuchung der Paralipomena zu Goethes „Faust“.14 Sie vergleicht mehrere Schriften, die als Quellen infrage kommen, und korrigiert manche irrtümliche Zuordnung. Zu Goethes Lebzeiten gab es eine geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der Hexenverfolgung noch kaum. Es hatten insbesondere seine dämonologischen Quellen und bestimmte Gegenschriften starken Einfluss auf die Hexenthematik im Werk insgesamt. Die frühneuzeitlichen Dämonologien stehen, wie oben gezeigt, in engem Zusammenhang mit der rechtsgeschichtlichen Realität der Verfolgungen. In den dämonologisch diskutierten Fällen und manchen zitierten „Geständnissen“ werden die Ängste und Phantasien sowie das Verfolgungsgeschehen dokumentiert. Dies lehrt etwa das bereits erwähnte Beispiel des bekannten Juristen Benedict Carpzov, von dem im Folgenden noch ausführlicher die Rede sein wird. Er hatte 1635 einen einflussreichen Kommentar zum inquisitorischen Verfahren veröffentlicht, der später immer wieder aufgelegt wurde: „Practica nova Imperialis Saxonica rerum criminalium“. In diesem Werk argumentierte er mit Blick auf das Delikt der „Hexerei“ auch dämonologisch für dessen Verfolgung und gab in seiner juristischen Abhandlung Akten realer Hexenprozesse wieder. Goethe bewahrte Exzerpte aus diesen protokollierten Aussagen von Hexenprozessopfern in seinen Entwürfen zu „Faust“ auf. Der Dichter hat seine rechtshistorischen Quellen zur Dämonologie nicht auf ihre imaginäre Seite, die Hexenphantasien, reduziert betrachtet. Dies geschah erst später in der Rezeption seines „Faust“. Goethe hingegen machte sich für „Faust“ im Zusammenhang mit seinen Exzerpten aus den bei Carpzov wiedergegebenen Hexenprozessen sogar Notizen zu einer so konkreten Frage wie der Bezahlung der Prozesskosten.15 Sowohl das historische Interesse des Dichters als auch seine juristische Ausbildung sprechen dafür, dass er dämonologische Quellen ebenso wie die von ihm exzerpierten Hexenprozessakten zu verorten wusste.
Widmann, Georg Rudolf: Das ärgerliche Leben und schreckliche Ende des viel berüchtigten ErtzSchwartzkünstlers D. Johannis Fausti [...] vermehrt durch Joh. Nicolaum Pfitzerum [...] Nürnberg 1674. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 44. Zum Beispiel fragt Helmut Häuser nach einer gemeinsamen Quelle zum Faustbuch von 1587 und zu Goethes Faust und vermutet sie aufgrund versteckter Hinweise in Goethes „Faust“ in den Schriften des Arztes Dr. Nikolaus Winckler (um 1529–1630). Vgl. Häuser: Quelle. Bohnenkamp: Paralipomena. Bezahlung der Inquisitions-Kosten in Criminalfällen wenn der Inquisite schuldig, unvermögend und kein Ankläger da ist. Goethe: Faust, Bd. I: Texte, S. 559.
7.1 Biographische Details I: Familiengeschichten
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7.1 Biographische Details I: Familiengeschichten Alle Juristen, die politisch im Land eine Rolle spielten, kannten die Folterverhöre der Hexenprozesse aus eigener Mitwirkung.16
Goethe selbst bezeugt sein Interesse an der Zeit der massenhaften Hexenprozesse in einem Brief an Charlotte von Stein: Wir haben die famose HexenEpoche in der Geschichte, die mir psychologisch noch lange nicht erklärt ist, diese hat mich aufmercksam und mir alles wunderbare verdächtig gemacht.17
Viele seiner Zeitgenossen haben die letzten Hexenprozesse noch miterlebt. Zwar lagen die massenhaften Verfolgungen länger zurück, doch hatten die zu Goethes Zeit noch gültige Gesellschaftsordnung und obrigkeitliche Kreise wie jene, in denen er sich bewegte, an den Hexenprozessen teilgehabt. Die tausendfachen Folterungen und Hinrichtungen waren nicht etwa verdeckt geschehen, allein durch ungebildete Handlanger und abseits der Öffentlichkeit. Vielmehr war eine Obrigkeit, die Verfolgungen duldete oder förderte, geradezu eine Bedingung für die Durchführung von Hexenverfolgungen.18 Erik Midelfort betont die heute frappierende gesellschaftliche Verankerung der Verfolgungen: [...] ein Hexenprozeß war ein rechtlich abgesicherter und quasi vernunftvoller Prozeß, der von führenden Schichten der abendländischen Gesellschaft unterstützt und geführt wurde. Die Hexenverfolgung beruhte auf rechtlichen und theologischen Traditionen, die seit Jahrhunderten die hochkultivierte Basis der westlichen Zivilisation bildeten [...].19
Die jüngere Geschichtswissenschaft hat sogar die herrschaftliche Instrumentalisierung von Hexenprozessen als wichtigen Faktor der massenhaften Hinrichtungen herausgearbeitet.20 Nicht zuletzt diese Umstände machten das Geschehen bedeutsam auch für eine nachgeborene Oberschicht. Wolfgang Behringer hat die gesellschaftliche Einbettung der Hexenprozesse prägnant beschrieben, etwa die Pflicht für Vertreter der Obrigkeit, bei Folterungen anwesend zu sein: Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 272. Brief an Charlotte von Stein vom 30. Juni 1787. Frankfurter Ausgabe, Abt. II, Bd. 3, S. 306 f., hier S. 306. Datierung und Adressatin des Briefes bezeichnet Hartmut Reinhardt als unsicher, er nennt den 4. August 1787. Münchner Ausgabe, Bd. 3.1, S. 1009. Vgl. Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 16–18. Immerhin knapp verweisen auf diese Tatsache mit Blick auf den Fauststoff Friedrich / Scheithauer: Kommentar zu Goethes Faust, S. 8. Midelfort: Geschichte der abendländischen Hexenverfolgung, S. 105. Vgl. zur herrschaftlichen Instrumentalisierung von Hexenverfolgungen zum Beispiel Voltmer: Hexenprozesse und Hochgerichte.
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7 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen
In den Reichsstädten, beispielsweise in Augsburg, wohnten Stadträte den Folterungen bei, in den Kleinterritorien die Regierungsräte und nicht selten die Reichsgrafen selbst, in den Großterritorien und in den Regierungsorten, beispielsweise in Bayern, Beamte im Ministerrang, und selbst hier mitunter Mitglieder der Fürstenfamilie, des hohen Landadels, des hohen Klerus. Alle Juristen, die politisch im Land eine Rolle spielten, kannten die Folterverhöre der Hexenprozesse aus eigener Mitwirkung. Alle Theologen von Bedeutung wurden im Verlauf ihrer Karriere mit der Gewissensproblematik der vermeintlichen Hexen konfrontiert – sei es als Beichtvater oder als Gutachter, als Ratgeber der Fürsten oder als Prediger und Schriftsteller. Alle deutschen Regierungen und alle Universitäten waren zwischen 1560 und 1660 unaufhörlich mit der Hexenproblematik beschäftigt.21
Goethes Familiengeschichte dokumentiert solche Eingebundenheit. Sein Ururgroßvater, der bekannte Jurist Johann Wolfgang Textor der Ältere (1638–1701), hatte in einem viel beachteten Hexenprozess 1672 gegen Anna Elisabeth Schmieg als Gutachter der Rechtsfakultät der Nürnberger Universität in Altdorf mitgewirkt. Der Fall wurde reichsweit von Juristen diskutiert.22 Die Rechtsauffassung Benedict Carpzovs bestimmte auch in diesem Fall den Prozess wesentlich; ohnehin spielte die Universität in Altdorf eine wichtige Rolle für die Rezeption von Carpzovs Ausführungen zum inquisitorischen Verfahren.23 Der Professor Johann Wolfgang Textor hatte „eine Schlüsselrolle“24 im Fall Schmieg inne. Er beauftragte anlässlich des Hexenprozesses einen seiner Studenten, Mauritius Hieronymus de Venne, mit einer Untersuchung (Abb. 1).25 Textor beschäftigte sich in diesem Zusammenhang unter anderem mit der Frage, welche Indizien hinreichend für die Anwendung der Folter seien.26 Nicht nur rechtswissenschaftliche Lektüren überlieferten derartige Auseinandersetzungen. Auch ist von einer gewissen oralen Tradierung innerhalb der Familien auszugehen, die allerdings in Goethes Fall Spekulation bleiben muss.27
Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 272. Der Historiker Thomas Robisheaux hat, ohne Bezug zu Goethe, die ambivalente Bedeutung Carpzovs als Prozessrechtler und Dämonologe für die Hexenprozesse untersucht. Robisheaux: Zur Rezeption Benedict Carpzovs im 17. Jahrhundert, zum hier genannten Fall S. 527. Robisheaux: Zur Rezeption Benedict Carpzovs im 17. Jahrhundert, S. 536. Robisheaux: Zur Rezeption Benedict Carpzovs im 17. Jahrhundert, S. 537. Robisheaux: Zur Rezeption Benedict Carpzovs im 17. Jahrhundert, S. 527, dort auch Anm. 1. Vgl.: Johann Wolfgang Textor / Mauritius Hieronymus de Venne: Disputatio Juridica De Corpore Delicti In Homicidio. Dissertation Universität Altdorf 1672. Vgl. Robisheaux: Last Witch, S. 238–243. Jan Assmann hat sich allgemein mit Formen der Tradierung beschäftigt und ein „informelles Alltagsgedächtnis“ beschrieben: „Unter dem Begriff des ‚kommunikativen Gedächtnisses‘ fassen wir jene Spielarten des kollektiven Gedächtnisses zusammen, die ausschließlich auf Alltagskommunikation beruhen. [...] Aus der Praxis der Oral History wissen wir heute Genaueres über die Eigenart dieser Alltagsform des kollektiven Gedächtnisses, die wir das ‚kommunikative Gedächtnis‘ nennen wollen (Niethammer 1985). Sein wichtigstes Merkmal ist der beschränkte Zeithorizont. Es reicht in der Regel – alle Untersuchungen der Oral History scheinen das zu bestätigen – nicht weiter zurück als 80 bis (allerhöchstens) 100 Jahre, also die biblischen 3–4 Generationen [...].“
7.1 Biographische Details I: Familiengeschichten
151
Abb. 1: Johann Wolfgang Textor / Mauritius Hieronymus de Venne: De corpore delicti in homicidio. Dissertation Universität Altdorf 1672.28
Aus der Oberschicht, die Goethe umgab, stammten in der frühen Neuzeit manche führenden Täter während der Hexenverfolgungen, aber auch Opfer von Hexerei-
Assmann: Kollektives Gedächtnis, S. 11. In diesem Zeitrahmen steht Goethes Vorfahre Textor. Es ist durchaus denkbar, dass in der Familie noch über die juristischen Ereignisse gesprochen wurde. Bild: Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie, Digital Libraries Connected (DLC), https://hdl.handle.net/21.11141/mpirg_sisis_236942 [Stand: Juni 2023].
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7 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen
bezichtigungen. Auf andere Art als die Familie Textor war zum Beispiel die Familie von Göchhausen tief in Hexenprozesse verstrickt, dies in mehrfacher Weise. Ihr entstammte die mit Goethe befreundete Hofdame Luise von Göchhausen (1752–1807), deren Niederschrift man die überkommene frühe Fassung des „Faust“ verdankt. Diese Fassung erlaubt Rückschlüsse auf ein ursprüngliches Manuskript Goethes, aus dem er bei Leseabenden vor einer kleinen Zuhörerschaft vortrug oder von dem er berichtete.29 Die Hofdame gehörte zu Goethes Kreis. Ihr überließ er öfter seine Manuskripte oder diktierte ihr. Vorfahren der Luise von Göchhausen stammten aus der Stadt Brakel, damals im Hochstift Paderborn gelegen. Die dortigen Hexenverfolgungen erregten überregional Aufsehen, da eine Welle vermeintlicher „teuflischer Besessenheit“ zu ihren Auslösern gehörte.30 Die Familie, unter der damaligen Namensform Goehausen, erlangte in der Geschichte der Hexenverfolgung Bekanntheit bis heute, ihre Eingebundenheit in die Prozesse hat Rainer Decker dargelegt.31 Hermann Goehausen (1593–1632), ein Vorfahre der Luise von Göchhausen, war Professor der Rechtswissenschaften an der protestantischen Universität in Rinteln. Er veröffentlichte zwar in manchen Punkten zur prozessualen Umsicht ratende, überwiegend aber befürwortende Schriften zur Hexenverfolgung, behandelte die Themen Wasserprobe und Folter. 1630 publizierte er eine Anleitung zur Durchführung von Hexenprozessen: „Processus Iuridicus contra sagas & veneficos, Das ist: Rechtlicher Proceß / Wie man gegen Unholdten und Zauberische Personen verfahren soll: Mit Erweglichen Exempeln und wunderbaren Geschichten / welche sich durch Hexerey zugetragen / außführlich erkläret“ (Abb. 2). Gegen dieses Buch wandte sich ein Jahr später Friedrich Spee in seiner berühmten Kritik der Hexenprozesse „Cautio Criminalis“.32 Mehrere Angehörige des Autors Hermann Goehausen gerieten paradoxerweise selbst in Hexereiverdacht: sein Bruder, Johann Georg Goehausen, Rat des Grafen Rietberg, wurde 1660 der Hexerei verdächtigt,33 1656 / 57 der Hermann Goehausen verschwägerte Rittmeister und Bürgermeister Heinrich Möhring.34 Eine Schwester Hermann Goehausens
Vgl. Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 81–83 und S. 827–830. Decker: Teuflische Besessenheit, S. 300. Decker: Hexen und ihre Henker, zur Familie Goehausen besonders S. 244–246. Herrn Dr. Decker danke ich für den Hinweis auf die Verwandtschaft dieser in Hexenprozesse verwickelten Familie mit Luise von Göchhausen. Vgl. Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Adeligen Häuser, Teil B, 28. Jahrgang, 1936, S. 222 f. Vgl. Spee: Cautio Criminalis, S. 157, 181 und 187. Decker: Teuflische Besessenheit, S. 307, vgl. den Auszug der Stammtafel der Familie Goehausen S. 308. Decker: Hexen und ihre Henker, S. 244–253.
7.1 Biographische Details I: Familiengeschichten
153
Abb. 2: Hermann Goehausen: Processus Iuridicus contra sagas & veneficos, Das ist: Rechtlicher Proceß / Wie man gegen Unholdten und Zauberische Personen verfahren soll. Mit Erweglichen Exempeln und wunderbaren Geschichten / welche sich durch Hexerey zugetragen / außführlich erkläret.35
wurde 1654 in Lemgo als Hexe hingerichtet: Katharina Cothmann, geborene Goehausen. Ihr Fall als vermeintliche Hexe galt als Beispiel dafür, „daß auch Bild: Universitätsbibliothek Paderborn, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:466:1-64982 [Stand: Juni 2023].
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7 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen
führende städtische Familien mit dem Teufel im Bunde sein und als solche verfolgt werden konnten.“36 Ein Vorfahre Luise von Göchhausens war auch der bis heute berüchtigte und touristisch vermarktete „Hexenbürgermeister“ der Stadt Lemgo, Hermann Cothmann, dessen Handeln der Stadt den späteren Beinamen „das Hexennest“ eintrug: Beiläufig sei erwähnt, daß der Sohn der hingerichteten „Hexe“ Katharina Cothmann, Hermann Cothmann (†1683), es in den 60er Jahren als ‚Hexenbürgermeister‘ in Lemgo zu einer traurigen Berühmtheit brachte. Unter seinem Regiment erlebte die Stadt mit 73 Prozessen zwischen 1663 und 1670 die schlimmste Verfolgungswelle ihrer Geschichte.37
Der stichprobenartige Blick auf die Familiengeschichten der Textors und der Vorfahren der Göchhausens zeigt, welche Bedeutung die Hexenverfolgung noch kurz vor Goethes Zeit auch für Mitglieder der Oberschicht haben konnte. Die familiengeschichtlichen Befunde geben Hinweise auf eine gedankliche Präsenz des realen Verfolgungsgeschehens in Goethes Familie und seinem Freundeskreis.
7.2 Biographische Details II: Goethes Reisen nach Trier und Luxemburg [...] die „Sattelzeit“ um 1800 steht nicht nur für eine Transformation von Wissensformen, für eine konsequente Historisierung des Wissens und eine Theoretisierung der Geschichte ein, sie begründet zugleich eine Bewegung, die in der Geschichte des Wissens stets eine kontingente Konstitutionsweise aktueller Gegenwart erschließt und den Beginn einer Historisierung unserer selbst anzeigt [...].38
Im Trierer und Luxemburger Land, beide hat Goethe bereist, verlief die Geschichte der Hexenverfolgung so ausgeprägt, dass sie noch im 18. und 19. Jahrhundert bekannt war. Schlussfolgerungen aus diesen Reisen Goethes sind spekulativ. Es lohnt sich aber, die historischen Hintergründe in einem Exkurs zu beleuchten, um sich der Frage nach der Präsenz des Themas Hexenverfolgung in Goethes Zeit anzunähern. 1792 reiste Goethe auf dem Weg nach Frankreich zweimal durch Trier und das Herzogtum Luxemburg. Über die Aufenthalte (Trier, das damals luxemburgische Igel, Grevenmacher, Stadt Luxemburg, das damals luxemburgische Arlon, Mertert
Decker: Hexen und ihre Henker, S. 246. Decker: Teuflische Besessenheit, S. 307 f. Vogl: Poetologien des Wissens um 1800, S. 10.
7.2 Biographische Details II: Goethes Reisen nach Trier und Luxemburg
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und Trarbach) berichtet Goethe in seiner 1822 erschienenen autobiographischen Schrift „Campagne in Frankreich“, in der er auch seine Kriegserinnerungen des Feldzuges gegen Frankreich schildert.39 Von den Begegnungen in Trier und Luxemburg hat er manches Detail festgehalten.40 Immer wieder kommt er auf die Vergangenheit dieser Region zu sprechen. Goethes geschichtliches Interesse und den historischen Kontext seiner Aufenthalte hat 1992 eine Ausstellung der Stadtbibliothek Trier und der Nationalbibliothek Luxemburg rekonstruiert. Der Trierer Raum, mit Herrschaftsgebieten des damaligen Herzogtums Luxemburg kleinräumig verzahnt, war eine Kernzone der europäischen Hexenverfolgung und wird geschichtswissenschaftlich in dieser Hinsicht intensiv untersucht:41 Die großen Hexenverfolgungen im Rhein-Maas-Moselraum gegen Ende des 16. und im Verlauf des 17. Jahrhunderts, von denen besonders die weltlichen Herzogtümer Lothringen und Luxemburg, das geistliche Kurfürstentum Trier, das Gebiet der Reichsabtei St. Maximin, der territorial zersplitterte Saarraum sowie die vielen kleinen Eifelherrschaften betroffen waren, erregten schon bei den Zeitgenossen staunende, von Angst und Abscheu geprägte Aufmerksamkeit [...].42
Wolfgang Behringer hat historische Faktoren analysiert, welche die Verfolgungen im Trierer Raum zu einem „paradigmatischen Vorgang“43 machten und ihre „herausragende Stellung“44 in der Reichsgeschichte erklären. Er betont die weite publizistische Verbreitung von Nachrichten über diese Verfolgungen45 und zitiert eine Vielzahl von Quellen, welche die Trierer Zustände schildern. Man sehe dort
Goethe: Campagne in Frankreich. Eine Zusammenstellung von Ausschnitten hat Wilhelm Bracht herausgegeben: Johann Wolfgang Goethe: Tagebuch aus Trier. Eine Ausstellung der Stadtbibliothek Trier und der Nationalbibliothek Luxemburg im Jahr 1992 hat diese Aufenthalte und ihren historischen Kontext dargestellt. Der begleitende umfangreiche Katalog hat den Titel: „Goethe in Trier und Luxemburg. 200 Jahre Campagne in Frankreich 1792.“ Vgl. auch Hein: 1792. Goethe in Luxemburg. Zu beachten ist die Schwierigkeit der Raumbezeichnungen, etwa der Unterschied zwischen dem Kurfürstentum Trier und dem Kurstaat Trier. Rita Voltmer verweist auf die komplizierte Nomenklatur bezüglich der Trierer Region und die Ungenauigkeit vieler Bezeichnungen in Quellen und auch in der Forschungsliteratur, vgl. Voltmer: superhunt, S. 227. Vgl. auch Kmec: Hexenprozesse im Herzogtum Luxemburg, besonders S. 89 f. Voltmer: zwischen Reich und Frankreich, S. 84. Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, S. 437. Vgl. zu den Faktoren auch S. 446 f., Behringer nennt neben dem publizistischen Aspekt auch, wie noch zur Sprache kommen wird, die Quantität der Verfolgungen, die Prominenz zahlreicher bezichtigter „Hexer“, die Bedeutung des Trierer Beispiels für durch Katholiken initiierte und dämonologisch begleitete Hexenverfolgungen und den bekannten Häresieprozess gegen Cornelius Loos. Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, S. 435. Vgl. Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, S. 440–444.
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7 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen
„fast mehr Brandpfähle von verbrannten Hexen als grüne Bäume“,46 berichtet ein Zeitzeuge 1591. In einer anderen Quelle, der süddeutschen Flugschrift „Erweytterten Unholden Zeyttung“ aus dem Jahr 1590, heißt es: „In dem Trierischen Churfürstenthumb hat man bey 250 hingerichtet. In einem Dorff bey Trier seind so viel der weiber verbrandt worden, das nit mehr als zwo, so fromb gewesen, uberblieben sein.“47 Dieses Bild des entvölkerten Dorfes war weit verbreitet und wurde lange tradiert.48 Nach Walter Rummel beruhte es „offenbar auf einer zutreffend kolportierten Tatsache.“49 Auch er unterstreicht in seiner geschichtswissenschaftlichen Untersuchung zu Kurtrier die diachrone Bekanntheit des Geschehens: „Die kurtrierischen Hexenverfolgungen haben die Zeitgenossen in einem kaum vorstellbaren Ausmaß bewegt. Noch bis in das 18. Jahrhundert läßt sich diese Wirkung literarisch feststellen [...]“.50 Goethe wurde in Trier von Johann Hugo Wyttenbach, Lehrer und Bibliothekar der Trierer Lesegesellschaft, durch die Stadt geführt. Wyttenbach, später Direktor des Trierer Gymnasiums und Begründer der Trierer Stadtbibliothek,51 gilt
Es handelt sich nach Behringers Angaben um Quirinus Leoninus, den Erzieher der jungen Prinzen Philipp und Ferdinand. Er schrieb an Herzog Wilhelm V. von Bayern. „Was wir hier von dem äußerst verderblichen Hexenvolk vernehmen, grenzt ans Unglaubliche. Überall in der Umgegend sieht man fast mehr Brandpfähle von verbrannten Hexen als grüne Bäume, so wachsen der Hydra gleich immer mehr Hexen nach.“ Zitiert nach Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, S. 438 f. Zitiert nach Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, S. 439. Die außergewöhnlich weit und lange stattfindende Rezeption der Hexenverfolgungen des Trierer Raumes beschreibt Behringer wie folgt: „Es sei hier nur erwähnt, daß der Topos des entvölkerten Dorfes sich durch die ganze spätere dämonologische Literatur verfolgen läßt. Die Jahresbriefe der Jesuiten berichten 1596 aus Trier von einem Ort außerhalb der Stadt, der verödet sei, weil die meisten seiner Einwohner innerhalb weniger Jahre verbrannt worden seien. In Adam Tanners Theologia scholastica von 1627 findet sich dieses Trierer Exempel ebenso wie 1630 in der dritten Auflage von Paul Laymanns Theologia Moralis oder 1631 in Friedrich Spees Cautio Criminalis, von wo es dann in die Literatur der Aufklärung fortgepflanzt wurde.“ Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, S. 439 f. Rummel: Phasen und Träger, S. 273. Rummel: Phasen und Träger, S. 257. In dieser Funktion beschäftigte sich Wyttenbach auch mit dem Fauststoff. Unter seiner Leitung gelangte 1806 die Trierer Theophilus-Handschrift aus der Bibliothek des Grafen von ManderscheidBlankenheim zur Trierer Bibliothek. Über die Handschrift äußerte sich Wyttenbach in einem Briefwechsel mit Jacob Grimm. Vgl. Jaehrling: Briefwechsel, besonders S. 289–294. Wyttenbach schilderte den Inhalt dieser frühen Teufelsbündnergeschichte und schrieb 1811: „Es ist eine Art von Faust unter dem Namen Theopholus. [...] Ein Faust vor dem Faust.“ Jaehrling: Briefwechsel, S. 289 f.
7.2 Biographische Details II: Goethes Reisen nach Trier und Luxemburg
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heute als ein wichtiger Impulsgeber der neueren Trierer Geschichtsforschung.52 Seine späteren Arbeiten zeugen von großem Interesse an der Hexenverfolgung. Er sammelte zu diesem Thema Quellen,53 aus denen er Auszüge veröffentlichte und über die er als einer der ersten historiographisch berichtete.54 Die Abhandlungen belegen die zu Goethes Zeit rückblickende Betrachtung der Hexenverfolgung und den damals präsenten Diskurs. Ausführlich stellte Wyttenbach etwa den Prozess gegen den ehemaligen Trierer Bürgermeister Niclas Fiedler dar und kommentiert ihn: Das menschliche Gefühl empört sich ganz eigens bey Lesung des besonders abscheulichen Ganges dieses Processes. Der Gegenstand desselben war Niklas Fiedler, Scheffen und Bürger zu Trier, ein Mann, der selbst mehrmalen bey diesen Gerichten gesessen hatte, und aus Bosheit, wie kurz vorher Doctor Flade, und der Rathsherr Peter Behr, von Angeklagten als Mitschuldiger bezeichnet geworden war. Dergleichen böse Dinge wurden damals bis zur Raserei getrieben. Unverstand und Aberglaube, Mißgunst und Bosheit sowohl des gemeinen Volks als der höheren Stände waren allerdings die Grundquellen des schrecklichen Wahns, der die Menschen jener Zeit befallen hatte, und welcher ärger, als Pest, Hunger und Krieg war.55
Auch in seinem 1810–1822 veröffentlichten „Versuch einer Geschichte der Stadt Trier“ geht Wyttenbach ausführlich auf die Hexenverfolgung ein. Über die niederen Motive der Verfolger urteilt er scharf: Von jenen Hexeninquisitionen, welche ganz vorzüglich unter der schwachen Regierung dieses Erzbischofs [Johann VII. von Schönenburg, A. U.] das ganze Land in Schrecken setzten, habe ich noch besonders zu sprechen. Unter allen Arten von ketzerischer Boßheit veranlaßte keine andere so viele schreckliche Inquisitionen, und so viele grausame Hinrichtungen unschuldiger Personen, als die vermeyntliche Zauberey. [...] Bey diesen Prozessen zeigten sich Dummheit, Aberglauben, Sucht nach Reichthümern und nach Rache, überhaupt alle Schlechtigkeiten im grellsten Lichte.56
Wyttenbach fügte seinen Ausführungen zur Hexenverfolgung lange Quellenzitate aus Prozessakten bei. Er hat sich intensiv und über eine längere Zeit mit der Materie beschäftigt. Goethe schrieb über seinen Austausch mit Wyttenbach: Franz: Goethe in Trier, S. 36, vgl. auch Franz: Goethes Besuche in Trier 1792 und Johann Hugo Wyttenbach; Hein: Goethe in Luxemburg, S. 206 f.; sowie Laufner: Johann Hugo Wyttenbach, S. 47 f. Vgl. Franz: Hexenprozesse in der Stadt Trier, S. 336 f., auf S. 336 führt Franz aus: „Akten zu den Hexenprozessen wurden Anfang des 19. Jahrhunderts von Stadtbibliothekar Johann Hugo Wyttenbach gesammelt und der Handschriftensammlung einverleibt.“ Vgl. Johann Hugo Wyttenbach: Noch ein höchst merkwürdiger Hexen-Proceß. In: Trierische Kronik 10, 1825, S. 196–209, 221–234, 245–257, sowie: Abermaliger Beitrag zur Geschichte der Hexenprozesse. In: Trierische Kronik 10, 1825, S. 108–116, 123–126. Wyttenbach: merkwürdiger Hexen = Proceß, S. 196. Wyttenbach: Geschichte von Trier, S. 102 und 106.
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Trier den 29. Oktober Mein junger Freund, mit dem ich gar manche angenehme wissenschaftliche und literarische Unterhaltung genoß, war auch im Geschichtlichen der Stadt und Umgebung gar wohl erfahren. Unsere Spaziergänge bei leidlichem Wetter waren deshalb immer belehrend und ich konnte mir das Allgemeinste merken.57
In den Jahren 1836–39 gab Wyttenbach mit dem Juristen Michael Franz Joseph Müller, der ebenfalls über Hexenprozesse und außerdem über die Geschichte der Folter forschte,58 die bekannte Stadtchronik „Gesta Trevirorum“ heraus. Auch in dieser Sammlung von Geschichten und Aufzeichnungen kommt die Hexenverfolgung nachdrücklich zur Sprache. Der Trierer Stiftsherr Johann Linden (gestorben nach 1627) schildert um 1620 die prägnante lokale Situation, die gegen Ende des 16. Jahrhunderts bestanden hatte. Kurz nach dieser Beschreibung, die bis heute immer wieder zitiert wird, setzte um 1629 / 30 eine neue Verfolgungswelle ein. Die Schilderung verweist auch auf den bereits unter Punkt 6.2 dargelegten Fall Flade, der schon von Zeitgenossen ausdrücklich mit Faust verglichen wurde. Er ist der erwähnte „Schultheiß“: Weil man allgemein glaubte, daß der durch viele Jahre anhaltende Mißwachs durch Hexen und Unholde aus teuflischem Haß verursacht werde, erhob sich das ganze Land zur Ausrottung der Hexen. Diese Bewegung unterstützten viele Amtspersonen, die sich aus den Verbrennungen dieser Art Gold und Reichtum erhofften. Daher traten in der ganzen Diözese, in Städten und Dörfern, bei den Gerichtshöfen ausgesuchte Ankläger auf, Untersuchungsrichter, Gerichtsboten und Schöffen, Richter und Henkersknechte, die Menschen beiderlei Geschlechts vor Gericht und zum Verhör schleppten und in großer Zahl verbrannten. Kaum einer von denen, die angeklagt wurden, entging der Hinrichtung. Auch die Vornehmen wurden in der Stadt Trier nicht verschont. Denn ein Schultheiß wurde mit zwei Bürgermeistern, einigen Ratsherren und Schöffen verbrannt. Kanoniker verschiedener Stifte, Pfarrer, Landdechanten verfielen derselben Verurteilung. Schließlich war die Unvernunft des wütenden Volkes und der Richter, die nach Blut und Beute lechzten, so ausgeartet, daß kaum einer gefunden werden konnte, der nicht von irgendeinem Makel dieses Verbrechens gekennzeichnet war. Inzwischen wurden die Notare, Schreiber und Schankwirte reich. Der Scharfrichter ritt auf einem edlen Pferd einher wie ein vornehmer Hofmann, in Gold und Silber gekleidet. Sein Weib wetteiferte im Kleiderluxus mit den Adligen. Die Kinder der Hingerichteten wanderten aus, ihr Besitz wurde eingezogen. Es fehlte an Bauern und Winzern, daher
Goethe: Campagne in Frankreich, S. 445. Vgl. Michael Franz Joseph Müller: Kleiner Beitrag zur Geschichte des Hexenwesens im XVI. Jahrhundert, aus authentischen Akten ausgehoben. Trier 1830. Vgl. auch ders.: Einige nachträgliche Worte über das Hexenwesen im Lande der Trierer. Trierisches Archiv 2, 1841, S. 51–55, sowie ders.: Über das Geschichtliche der Folter und derselben Gebrauch und Mißbrauch bei dem peinlichen Verfahren in dem Kurfürstenthum Trier im XVI, XVII und XVIII Jahrhundert, einige Worte. Trier 1831.
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kam der Mißwuchs. Kaum schlimmer kann die Pest oder ein überaus grausamer Feind im Trierer Land gewütet haben, als diese Art einer maßlosen Inquisition und Verfolgung. Es gab sehr viele Beweise dafür, dass nicht alle schuldig waren.59
Johann Hugo Wyttenbach, der diese Quelle später in seinem „Versuch einer Geschichte von Trier“ zitierte und dann auch herausgab, führte mit Goethe lange Gespräche über die Geschichte der Trierer Region. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dabei auch das Thema Hexenverfolgung zur Sprache kam. Als sich Goethe an die Gespräche mit Wyttenbach im Zusammenhang mit Kants „Kritik der Urteilskraft“ erinnerte, bemerkte er: „Es ist wundersam, wie eine jede Zeit Wahrheit und Irrtum aus dem kurz vergangenen, ja dem längst Vergangenen mit sich trägt und schleppt, muntere Geister jedoch sich auf neuer Bahn bewegen [...]“.60 Der Historiker Wolfgang Behringer nennt neben der publizistischen Verbreitung als weiteren Faktor für die Bekanntheit der Trierer Verfolgungen die Tatsache, dass Hexenprozesse in Trier früh soziale Schranken übersprangen.61 Sie richteten sich gegen reiche und prominente Bürger, nach Dietrich Flade etwa auch gegen drei ehemalige Bürgermeister von Trier: Niclas Fiedler wurde 1591 hingerichtet, Hans Reuland 1594, Peter Behr nahm sich 1590 im Gefängnis das Leben.62 Auch das Luxemburger Hexereiverfahren gegen den Bitburger Schöffen Johann Schweistal, das ungewöhnlich lange, von ca. 1590–1609, dauerte, betraf einen sehr reichen und einflussreichen Bürger. Die gegen Schweistal gerichteten Vorwürfe ähneln denen gegen Flade, dem oft mit Faust verglichenen angeblichen Anführer der „Hexen“.63
Übersetzung aus dem Lateinischen in: Emil Zenz (Hg.): Gesta Treverorum. VII. Band: Von Johann VII. bis zum Tode Karl Kaspars von der Leyen 1581–1676, S. 13 f. Vgl. Wyttenbach / Müller: Gesta Trevirorum, Volumen III, S. 53 f. Goethe: Campagne in Frankreich, S. 439. Vgl. Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, S. 443. Vgl. Voltmer: zwischen Reich und Frankreich, S. 85 f. Vgl. zu den Akten Weisenstein: Zaubereiprozesse, S. 482 f. Schweistals fast 20 Jahre währender Prozess wurde durch immer wiederkehrende Denunziationen genährt, sein Ausgang ist unbekannt. Wahrscheinlich starb Schweistal in hohem Alter eines natürlichen Todes. Zahlreiche vermeintliche Zeugen aus der weiteren Region nannten – oft durch die Folter erpresst – seinen Namen als Mittäter. Er wurde als König der Hexengesellschaft, „roi des sorciers“, bezeichnet und in den „Besagungen“ ähnlich Flade als Anführer beschrieben: Er sitze während des „Hexensabbats“ auf einem goldenen Sessel, erscheine dort in einer Kutsche etc. Fuge: Le roi des sorciers, hier S. 79 und 94.
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Die Verfolgungen der Trierer Region wurden nicht zuletzt durch einen dogmatisch bedeutsamen Musterprozess64 gegen den niederländischen Theologen Cornelius Loos bekannt. Er hatte sich in seiner berühmten Schrift „De vera et falsa magia“65 gegen Hexenverfolgungen ausgesprochen und auch das Motiv der Bereicherung durch Hexenprozesse angeprangert.66 Dieses hat Goethe im zweiten Teil des „Faust“ breit ausgestaltet.67 Im Jahr 1593 wurde Loos zu einem öffentlichen Widerruf im Kloster St. Maximin gezwungen, im Beisein des Weihbischofs und einflussreichen Dämonologen Peter Binsfeld. Der Widerruf wurde publiziert von dem Dämonologen Martin Del Rio, den Goethe in seinen späten Tagebüchern erwähnt und dessen dämonologische Schrift er zwei Mal aus der Weimarer Bibliothek entliehen hat. Del Rio trug auch nachhaltig zur Bekanntheit der Hexenverfolgungen im Trierer Raum bei.68 Behringer beschreibt die Diskussion des Trierer Geschehens in der dämonologischen Literatur: Hier war es die Autorität Martin Delrios, welche die Bedeutung der Trierer Verfolgung konservierte. Der Monarche (Thomasius) der deutschen Strafgesetzgebung, Benedikt Carpzov, verließ sich ganz auf Delrio, und alle Verfolgungsgegner von Adam Tanner bis Christian Thomasius und sogar dem Zedlerschen Universal-Lexicon in der Mitte des 18. Jahrhunderts hatten sich vornehmlich mit Binsfeld und Delrio auseinanderzusetzen.69
Wieder manifestieren sich die Querverbindungen dämonologischer Autoren, die Goethe kannte, wie etwa Del Rio und Thomasius, oder die er im Zusammenhang mit der Arbeit am „Faust“ für die Hexenthematik benutzte, wie etwa Carpzov.
Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, S. 444, er erläutert: „Schließlich spielte die Trierer Verfolgung auch in dogmatischer Hinsicht eine Rolle. In einem Musterprozeß gegen den katholischen Dissidenten Cornelius Loos wurde mit einem radikalen Schnitt die frühere dämonologische Diskussion beendet. Hatte man vor 1590 auf katholischer Seite noch ein ähnlich offenes Meinungsfeld wie bei den Protestanten gehabt, so wurden nun die Argumentationsmöglichkeiten entscheidend eingeengt.“ Van der Eerden verweist darauf, dass die Bedeutung dieser Schrift „jahrhundertelang mit Nachdruck unterstrichen“ worden sei. Van der Eerden: Cornelius Loos, S. 139. Der französische Aufklärer Pierre Bayle beispielsweise, ein von Goethe in seinen Tagebüchern oft erwähnter Autor, schätzte Loos sehr. Vgl. hierzu Van der Eerden, S. 139. Van der Eerden betont die Bekanntheit dieses Aspekts der Bereicherung, den Loos dargelegt hatte, Van der Eerden: Cornelius Loos, S. 139. Zum Thema der Bereicherung verweisen Rummel und Voltmer relativierend auf regionale Unterschiede im Umgang mit dem Vermögen von Hexenprozessopfern und auf hohe Prozesskosten, zu deren Deckung das Vermögen der Hingerichteten oft nicht ausreichte. Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 53. Vgl. hierzu Punkt 8.6.2 meiner Arbeit. Vgl. Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, S. 445. Behringer: Das „Reichskhündig Exempel“ von Trier, S. 445.
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Auch in frühen geschichtswissenschaftlichen Beschreibungen des Verfolgungsgeschehens wird Trier an erster Stelle genannt. So schätzte der berühmte französische Historiker Jules Michelet, ein Zeitgenosse Goethes, 1862 in seiner Darstellung „La Sorcière“ die Trierer Opferzahlen auf 7000 Hinrichtungen. Die wirklichen Opferzahlen für Kurtrier sind heute nicht mehr zu ermitteln, da aus keinem Amtsbezirk zusammenhängende Prozessakten überliefert sind. Walter Rummel vermutet eine absichtliche Vernichtung der „Masse der kurtrierischen Hexenprozeßakten“.70 Sie gelten als sehr zahlreich.71 Zwar geht Michelet sehr frei mit historischen Quellen um und berichtet aus einer stark antiklerikalen Einstellung heraus teilweise verzerrt. Doch sind seine Ausführungen ein Beleg für die internationale Bekanntheit der Geschichte der Trierer Hexenverfolgung noch in der Zeit nach Goethes Tod: Ohne von Spanien, dem klassischen Lande der Scheiterhaufen, zu reden, wo der Maure und der Jude nie ohne das Beiwort Hexe wandelten, verbrannte man 7000 in Trier und ich weiß nicht wieviel in Toulouse; in Genf 500 in drei Monaten des Jahres 1513, 800 in Würzburg fast auf ein und demselben Holzstoße, 1500 in Bamberg, zwei ganz kleinen Bistümern.72
Auch bildliche Darstellungen machten die Trierer Hexenthematik bekannt. Ein Flugblatt ungeklärter Herkunft, oft als Illustration des angeblichen „Trierer Hexentanzplatzes“ gedeutet, wurde zusammen mit einem Traktat von Thomas Sigfrid um 1593 und 1594 in Erfurt gedruckt und weit verbreitet (Abb. 3).73 Diese Illustration zeigt eine Faustgestalt und steht vermutlich in Verbindung zu einer späteren Darstellung des Nürnberger Malers und Stichvorzeichners Michael Herr, die oft als Bildquelle Goethes angenommen wird.
„Es kann als sicher gelten, daß dahinter der feste Wille zur Vernichtung einer unseligen Erbschaft stand, denn nur so ließ sich vermeiden, daß interessierte Gemeinden, Amtleute oder findige Notare sich unter Hinweis auf die in früheren Geständnissen enthaltenen Namen vermeintlicher Komplizen für weitere Prozesse stark machten.“ Rummel: Phasen und Träger, S. 287, vgl. S. 255 und 288. Rummel: Phasen und Träger, S. 287. In einer Schätzung nennt Johannes Dillinger 788 Verfahren, er muss sich aber auf unsichere Quellen stützen. Vgl. Dillinger: „Böse Leute“, zusammenfassend S. 100; vgl. zur Quellenbasis der Schätzung kritisch Rummel: Hexenverfolgungen Kurtrier. Michelet: Die Hexe, S. 21. Thomas Sigfrid: Richtige Antwort auff die Frage: Ob die Zeuberer vnd Zeuberin mit jhrem zauber Pulfer, Kranckheiten, oder den Todt selber beybringen können, was von jhrer Salben, Zusammenkunfft vnd Bekändtnuß zuhalten, Vnd ob jhm ein Bezauberter durch Zäuberey wider möge helffen lassen, Erffordt 1593, Bild fol. 35. https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00008914? page=76,77 [Stand: Juni 2023]. Vgl. zu diesem Bild ausführlich Rita Voltmer: Zur multimedialen Vermittlung, S. 111–163. Voltmer betont, dass zu den Rezipienten von Flugblättern und ähnlichem Schrifttum auch durchaus gebildete Kreise der Bevölkerung gehörten. Voltmer: Zur multimedialen Vermittlung, S. 91.
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Sigfrid beschreibt das Bild in seiner Abhandlung: „[...] wollen wir erzehlen / was sich diß Jahr im Bischoffthumb Trier / in der weitberuehmpten Stadt / mit den Zaeuberin zugetragen hat / vnd was ihr eigen Bekendtnis gewesen ist.“74 Unter anderem verweist er ausdrücklich auf einen „Doctor“. Dieser, im Vordergrund links an einem Schreibtisch sitzend, ähnelt als Gelehrtendarstellung der schon vorgestellten Flade- beziehungsweise Faustgestalt. Sigfrid schreibt: „Es sitzt auch ein Doctor / welcher inn der schwartzen Kunst oder Zaeuberey studieret und lernet / beym Buchstaben M.“75
Abb. 3: „Trierer Hexentanzplatz“, Erfurt 1593.76
Sigfrid: Richtige Antwort, S. 1v. Volltext einsehbar unter: https://mdz-nbn-resolving.de/urn: nbn:de:bvb:12-bsb00008914-4 [Stand: Juni 2023]. Sigfrid: Richtige Antwort, S. 2v. Volltext einsehbar unter: https://mdz-nbn-resolving.de/urn: nbn:de:bvb:12-bsb00008914-4 [Stand: Juni 2023]. Bild: Bayerische Staatsbibliothek, Signatur Res/4 Phys.m. 84, https://www.digitale-sammlun gen.de/view/bsb00008914?page=76,77 [Stand: Juni 2023].
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Auch die Figur des „Hexenkönigs“ mit Krone und Szepter am Tisch (linker Bildrand) sowie die Kutsche links im Hintergrund des Bildes korrespondieren mit Aussagen gegen Doktor Dietrich Flade.77 Einzelne Szenen der Hexenversammlung, die hier das hexische Treiben schildern,78 können an Foltermethoden erinnern, wie sie aus realen Hexenprozessen bekannt waren;79 dies zeigt wieder die frühneuzeitliche Verbindung von dämonologischer Phantasie und Realität. Sigfrid erläutert eine Szene, in der eine Frau unter den Armen angesengt wird: „Eine stehet / wirdt sehr gekrenckt / vnd mit brennenden Liechtern untern Armen versenget / beym Buchstaben N.“80 Rechts darüber werden einer Frau die Schamhaare abgeschnitten, was ebenfalls einer Praxis in Hexenprozessen entsprach.81 Der sogenannte „Trierer Hexentanzplatz“ ist eine wahrscheinliche Vorlage82 von Michael Herr für eine Walpurgisnachtszene, worauf prägnante Details verweisen, wie zum Beispiel die Fackeln in erhobenen Händen, ein Zeichen für hexische Brandstiftung. Goethe hat in den Paralipomena zu „Faust“ die Notiz Leuchtende Finger des Meph. konserviert, sie sind prägnant bei Herr dargestellt (Abb. 4).83 Die Walpurgisnachtszene nach Herr wurde 1626 von Matthäus Merian d. Ä. als Flugblatt verbreitet. Nach Achim Riether sind zwei Flugblatt-Exemplare bekannt: eines mit der Bezeichnung „Eigentlicher Entwurf und Abbildung deß Gottlosen und verfluchten Zauber Festes“ mit Versen von Johannes Klaj; das andere, „Zaubereÿ“ überschrieben, mit lateinischen Hexametern von Johann Ludwig Gottfried.84 Herrs Darstellungen von
Dieser Bezug wurde in der Forschung mehrfach vermutet. Vgl. Baron: From Witchcraft to Doctor Faustus, S. 9. Vgl. auch Voltmer: Zur multimedialen Vermittlung, S. 124–126. Voltmer verweist allerdings auch auf andere mögliche ikonographische Vorbilder. Voltmer deutet das Motiv der Haarentfernung innerhalb der Szene: fehlende Schambehaarung habe als Symbol für Wollust gegolten, in manchen Hexereiverfahren deshalb als Indiz für Hexerei; „[...] möglicherweise galt die Rasur daher als Initiationsritus vor der Teilnahme am Sabbat und an der Dämonenbuhlschaft.“ Voltmer: Zur multimedialen Vermittlung, S. 138. Vgl. zu Foltermethoden Behringer: Hexen und Hexenprozesse, besonders S. 270 f. Friedrich Spee berichtet von der Haarentfernung bei angeblichen Hexen, um das Verstecken von vermeintlichen Zaubermitteln zu verhindern. Es werde vom Henker teilweise durch Absengen der Haare vollzogen. Spee: Cautio Criminalis, S. 113–115 bzw. 332–334 (Übersetzung). Sigfrid: Richtige Antwort, S. 2v. Volltext einsehbar unter: https://mdz-nbn-resolving.de/urn: nbn:de:bvb:12-bsb00008914-4 [Stand: Juni 2023]. Vgl. zum Beispiel Spee: Cautio Criminalis, S. 113–115 bzw. 332–334 (Übersetzung). Voltmer: Zur multimedialen Vermittlung, S. 161. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 548. Hierauf verweisen zum Beispiel schon Morris: Walpurgisnacht, S. 685 und Witkowski in der Leidener Ausgabe, Bd. 2, S. 425. Riether: Michael Herr, Matthäus Merian und Rudolf Meyer, S. 37. Vgl. Gatenbröcker: Michael Herr, S. 606–609.
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Hexen und Zauberwesen waren schon zu seinen Lebzeiten berühmt.85 Die Walpurgisnachtdarstellung gilt als eine wahrscheinliche Quelle Goethes für die „Faust“Szenen Hexenküche und Walpurgisnacht.86
Abb. 4: Matthäus Merian d. Ä.: Einblattdruck, Nürnberg 1626 nach einer Radierung von Michael Herr mit dem Titel „Zaubereÿ“.87
Gatenbröcker: Katalog, S. 103. Es ist irreführend, wenn Gatenbröcker sich hier in verallgemeinernder Formulierung darüber wundert, dass Herr als protestantisch geprägter Künstler die Hexenthematik behandelte, Gatenbröcker: Katalog, S. 102. Nicht nur in katholischen, sondern auch in protestantischen Gebieten waren Hexenvorstellungen und Hexenverfolgung verbreitet. Zum Beispiel verweisen auf diese Möglichkeit schon Witkowski: Die Walpurgisnacht, S. 36, Morris: Walpurgisnacht, S. 687, ausführlich Trendelenburg: Goethes Faust, Bd. 1, S. 124–134, sowie Trendelenburg: Hexenbild, S. 5–20 [als fehlerhaft kritisierte Darstellung, vgl. Gatenbröcker: Michael Herr, S. 607], dann Schöne: Götterzeichen, S. 122–125, sowie Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 455 f. Bild: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Universitätsbibliothek, https://nbnresolving.org/urn:nbn:de:bvb:29-einblattdr-0050-0 [Stand: Juni 2023].
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Viele Details in dieser Radierung entsprechen Goethes Darstellung der Walpurgisnacht, etwa so signifikante Figuren wie die Trödelhexe (vgl. zur Beschreibung Punkt 8.4.2). In Anlehnung an einen Teil des Bildes war der Titelholzschnitt von Johannes Praetorius Hexenschilderung „Blockes-Berges Verrichtung“88 (Abb. 5) gestaltet, einer Quelle Goethes.89 Die Hexenverfolgungen in der Region des Trierer und Luxemburger Landes wurden auch international literarisch verarbeitet: Die Luxemburger Autorin Marie-Louise Tidick-Ulveling erinnert 1961 in ihrem Roman „Im Zeichen der Flamme“90 ebenso an die Verfolgungen in dieser europäischen Kernzone wie vor ihr der russische Autor Walerij Brjussow. Er hatte in seinem Roman „Der feurige Engel“ aus dem Jahr 1908, der eine Faustfigur in den Mittelpunkt der Geschichte stellt, die Hexenverfolgungen der Trierer und Luxemburger Region so authentisch beschrieben, dass die russische Herkunft des Romans bezweifelt wurde.91 Schon in der alten Faustsage spielt Trier eine Rolle: Faust bereist einige europäische Städte, zuerst Trier.92
Johannes Praetorius (Hans Schulz): Blockes-Berges Verrichtung / Oder Ausführlicher Geographischer Bericht / von den hohen trefflich alt- und berühmten Blockes-Berge: ingleichen von der Hexenfahrt / und Zauber-Sabbathe / so auff solchen Berge die Unholden aus gantz Teutschland / Jährlich den 1. Maij in Sanct-Walpurgis Nachte anstellen sollen; Nebst einen Appendice vom BlockesBerge / wie auch des Alten Reinsteins / und der Baumanns Höle am Hartz. Leipzig; Frankfurt a. M. 1668. Witkowski betont, man wisse nicht, ob Goethe die Abbildung nach Herr gekannt hat, vgl. Witkowski: Die Walpurgisnacht, S. 36. Witkowski bildet aber selbst einige Seiten vorher sowohl das Titelblatt zu Praetorius ab (S. 28), sowie auf Seite 33 einen Stich, der dem von Goethe aus der Weimarer Bibliothek entliehenen Traktat „Daemonolatria“ von Nicolas Rémy beigefügt war. Auch dieser ist eng an Herrs Abbildung angelehnt, was jedenfalls auf die Verbreitung der Vorlage Herrs hinweist. Vgl. auch Schöne: Götterzeichen, S. 124 f., Anm. 34. Tidick-Ulveling: Im Zeichen der Flamme. Der Roman erschien in Luxemburg und wurde 2010 mit Kommentar neu aufgelegt. Vgl. Scheck: Nachwort, S. 436. Der Roman, ursprünglich als Fortsetzungsroman einer Zeitschrift erschienen, wurde 1908 als Buch herausgegeben. Brjussow, der den Arbeitstitel „Die Hexe“ verwendet hatte, gab dem Roman den langen, an Bücher der Barockzeit erinnernden Titel: „Der feurige Engel oder eine wahrhaftige Erzählung [...] von der gottwidrigen Beschäftigung mit der Magie, der Astrologie, der Kabbalistik und Nekromantie, von der Verurteilung jener Jungfrau unter dem Vorsitze seiner Eminenz des Erzbischofs von Trier, gleicherweise von den Begegnungen und Gesprächen mit dem Ritter und dreifachen Doktor Agrippa von Nettesheim und mit dem Doktor Faust [...].“ Vgl. Füssel / Kreutzer: Historia, S. 60.
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Abb. 5: Titelholzschnitt zu Johannes Praetorius: Blockes-Berges Verrichtung, 1669.93
Hier abgebildete Ausgabe: Leipzig 1669. Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:32-1-10005693108 [Stand: Juni 2023].
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Vor dem Hintergrund der massiven und auch strukturell auffallenden Verfolgungen in der Region und ihrer dämonologischen, publizistischen und historiographischen Verbreitung sowie der schon damals vorhandenen künstlerischen Verarbeitungen ist es wahrscheinlich, dass der historisch interessierte Goethe auf seinen Reisen durch Trier und Luxemburg auch an diesen Teil der Landesgeschichte dachte und auf entsprechende Spuren stieß. Zwar spricht er in seinen Erinnerungen das Thema nicht explizit an, aber es ist zwischen den Zeilen präsent. Direkt im Anschluss an seine Erwähnung Wyttenbachs schildert Goethe seinen Eindruck der Stadt Trier, die damals zwischen 6500 und 7000 Einwohner hatte:94 Die Stadt an sich hat einen auffallenden Charakter, sie behauptet mehr geistliche Gebäude zu besitzen als irgend eine andere von gleichem Umfang und möchte ihr dieser Ruhm wohl kaum zu leugnen sein; denn sie ist innerhalb der Mauern von Kirchen, Kapellen, Klöstern, Konventen, Kollegien, Ritter- und Brüdergebäuden belastet, ja erdrückt; außerhalb von Abteien, Stiften, Karthausen blockiert, ja belagert.95
Goethes Vergleich mit einer Belagerung spiegelt einen Zustand, der für die besonders intensiven Hexenverfolgungen mit ausschlaggebend war. In engster Nachbarschaft befanden sich im Trierer und Luxemburger Raum manche strittigen Hochgerichtsrechte.96 Dies gilt zum Beispiel für die Abtei St. Maximin, in der Goethe später verweilte. Sie gehörte zu den bedeutendsten deutschen Klöstern und hatte großen Grundbesitz.97 Auf dem Gebiet der Abtei, die Trier unmittelbar benachbart war, hatten extrem viele Hexenverfolgungen stattgefunden. In einer ersten Prozesswelle wurden mindestens 400 Menschen verbrannt. Die exzessiven St. Maximiner Hexenverfolgungen fließen häufig in das Bild der kurtrierischen Hexenverfolgung ein, obwohl hier unterschiedliche Hochgerichtsherren agierten. „Trier“ wurde so schon im zeitgenössischen Diskurs zur Chiffre für exzessive Hexenjagden, auch wenn sich deren Sinnbilder – „entweibte“, später entvölkerte Dörfer und ein Wald an Hinrichtungspfählen – oft genug an den massiven Verfolgungen im Territorium der Reichsabtei St. Maximin orientierten, wo innerhalb von zehn Jahren (1586–1596) nahezu ein Fünftel aller Einwohner den Hexenjagden zum Opfer fielen.98
Die hohen Hinrichtungszahlen der Abtei St. Maximin sind unter anderem darauf zurückgeführt worden, dass sich die Obrigkeit der Abtei ihre Unabhängigkeit von Kurtrier sichern wollte und deshalb ihre Reichsunmittelbarkeit und eigene Hoch-
Vgl. Franz: Goethe in Trier, S. 26. Goethe: Campagne in Frankreich, S. 445. Vgl. zur Verarbeitung dieses Themas in Goethes „Faust“ Punkt 8.6.2. Franz: Goethe in Trier, S. 41. Voltmer: superhunt, S. 249 f.
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gerichtsbarkeit demonstrierte. Indem der Abt von St. Maximin angebliche „Hexen“ verbrennen ließ, zeigte er seine Hochgerichtsrechte und damit seine Unabhängigkeit.99 In manchen Dörfern, die zum Hochgericht St. Maximin gehörten, sind nahezu zwei Drittel der weiblichen Erwachsenen verbrannt worden.100 Über die Geschichte der Abtei sprach auch Goethe, als er sich in St. Maximin aufhielt. Dass er sich in historisch orientierten Gesprächen mit Hexenprozessen beschäftigte, ist durch seine Tagebücher belegt.101 Goethe berichtet: Den 30. Oktober gab unser Fürst große Tafel; drei der vornehmsten geistlichen Herren waren eingeladen [...]. Ich hatte mich, als ich nach Trierischer Geschichte in diesen Tagen forschte, notwendig auch um die Abtei St. Maximin bekümmern müssen: ich konnte daher mit meinem geistlichen Nachbar ein ganz auslangendes geschichtliches Gespräch führen. Das hohe Alter des Stifts ward vorausgesetzt; dann gedachte man seiner mannigfaltig wechselnden Schicksale, der nahen Lage des Stifts an der Stadt, beiden Teilen gleich gefährlich; wie es denn im Jahre 1674 niedergebrannt und völlig verwüstet wurde.102
Die drei Obersten der Abtei, die mit Goethe speisten, waren der Abt Willibrord Wittmann, Rektor der Universität Trier, Constantius Schmidt, Professor der Philosophischen Fakultät, Prior und ehemaliger Archivar der Abtei sowie der Subprior Gregorius Moskop.103 Gunther Franz bemerkt in seiner Darstellung von Goethes Aufenthalt in Trier: „Auf Fragen zur Geschichte der Abtei konnten diese Würdenträger Goethe ausreichende Antwort geben.“104 Ob sie es wollten, ist eine andere Frage. Zwar war diesen Ordens- und Universitätsangehörigen sicher nicht nur die extreme Hexenverfolgung in St. Maximin bekannt, sondern auch der berühmte Hexenprozess gegen den ehemaligen Rektor ihrer Universität, also einen Vorgänger Wittmanns im Amt, Doktor Dietrich Flade. Er war, wie bereits erwähnt, in St. Maximin als Schöffe tätig gewesen und wurde dort später nach Denunziatio-
„Die im Amt St. Maximin unter Abt Reiner Biewer geführten Hexenprozesse können in einem direkten Zusammenhang mit dem Konflikt um die Reichsunmittelbarkeit gesehen werden; denn sie boten dem Abt die Gelegenheit, seine Macht als alleiniger Hochgerichtsherr demonstrativ zu festigen.“ Voltmer: Einleitung, besonders S. 27–31, Zitat hier S. 27. Voltmer: superhunt, S. 243. Etwa notierte er über ein Gespräch am 26. Juni 1807 mit dem Oberhofprediger Reinhard: „Geschichte der Hexenprozesse u. s. w.“ Frankfurter Ausgabe, Abt. II, Bd. 6, S. 198. Goethe: Campagne in Frankreich, S. 449. Vgl. Franz: Goethe in Trier, S. 40. Franz: Goethe in Trier, S. 41.
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nen in das berüchtigte Maximiner „Hexenregister“105 eingetragen. Der Bericht Goethes nimmt jedoch eine merkwürdige Wendung: Bei Abwechselung des Gesprächs daher ging ich wieder ins Geschichtliche zurück; als ich aber der frühern Zeit erwähnte, wo das Stift sich dem Erzbischof gleich gesetzt und der Abt Reichsstand des Römisch-Deutschen Reichs gewesen, wich er lächelnd aus, als wenn er eine solche Erinnerung in der neusten Zeit für verfänglich halte.106
Goethe lässt offen, warum sein Gesprächspartner die umstrittenene Reichsunmittelbarkeit verfänglich zu finden schien. Jedoch war, wie bereits dargelegt, der Streit um die Reichsunmittelbarkeit der Abtei, die 1669 endgültig an Kurtrier fiel, eines der wichtigsten Momente für die dort so exzessiv geführten berüchtigten Hexenprozesse. Ob Goethes Bemerkung auf diese Zusammenhänge anspielt, muss mangels weiterer schriftlicher Zeugnisse Spekulation bleiben. Der historische Kontext lässt den Schluss zu. Abschließend ist ein Vergleich bemerkenswert: Goethes Hinweis zum Fall der 1772 in Frankfurt als Kindsmörderin verurteilten Susanna Margaretha Brandt in seinen autobiographischen Schriften ist kaum deutlicher als seine Notizen über Trier und St. Maximin und die dort naheliegenden Präsenzen des Thema Hexenverfolgung. Goethe erwähnt nicht einmal den Namen Brandt, er spricht nur von „verschiedenen Exekutionen“.107 Goethes Vater besaß Abschriften von Teilen der Prozessakten zum Fall Brandt, die Goethe kannte und die sich in bestimmten Details auch in seinem „Faust“ zu spiegeln scheinen.108 Dies zeigt ebenso wie seine Exzerpte aus den bei Carpzov zitierten Hexenprozessakten die Methode des Dichters, sich juristischer Quellen zu bedienen. Die Aktenabschriften aus der Bibliothek seines Vaters hat Goethe aber schon 1794 versteigern lassen, anstatt sie an sich zu nehmen.109
Vgl. zu diesem „Hexenregister“ des Claudius Musiel, das insgesamt mehr als 6.300 Namen von der Hexerei bezichtigten Männern und Frauen auflistet, die Edition von Voltmer / Weisenstein: Hexenregister. Goethe: Campagne in Frankreich, S. 449. Goethes vollständiges Zitat in „Dichtung und Wahrheit“, das zu vielen Untersuchungen Anlass gab, lautet lediglich: „So wurde ich denn als junger Bewohner einer großen Stadt von einem Gegenstand zum anderen hin und wieder geworfen, und es fehlte mitten in der bürgerlichen Ruhe und Sicherheit nicht an gräßlichen Auftritten. Bald weckte ein näherer oder entfernterer Brand uns aus unserem häuslichen Frieden, bald setzte ein entdecktes großes Verbrechen, dessen Untersuchung und Bestrafung die Stadt auf viele Wochen in Unruhe. Wir mußten Zeugen von verschiedenen Exekutionen sein [...].“ Münchner Ausgabe, Bd. 16, S. 164. Vgl. hierzu Beutler: Essays um Goethe, Die Kindsmörderin, S. 85. Vgl. relativierend Rölleke: Beiträge zur Goethe-Philologie und Bluhm: „Sie ist die erste nicht“. Franz Götting äußert in seiner Beschreibung der Bibliothek von Goethes Vater seine Verwunderung darüber: „Im Laufe der Jahre war auch alles mögliche andere, was den Rat interes-
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Trotz dieser Umstände wird der Hinrichtung – vielleicht zu Recht, aber oft apodiktisch – entscheidender Einfluss auf Goethes Gretchentragödie zugeschrieben.110 Die Hintergründe zum Fall Brandt hat man überaus gründlich untersucht,111 ganz im Gegensatz zu der hier betrachteten Hexenthematik. Auch diese gehört aber zu Goethes historischem Kontext und verdient wissenschaftliche Aufmerksamkeit.
7.3 Goethe als Jurist Das dunkle Zauber- und Hexenwesen reicht bis weit in seine [Goethes, A. U.] Lebenszeit hinein, und es ist nicht nur Buchwissen und Zitat oder entferntes „Mittelalter“ wie für die Romantik. Es ist noch Gerichtspraxis oder volkstümliche Justiz. Hexen werden noch verhört, ersäuft, verbrannt, nicht in Massen, aber doch mit Leib und Leben.112
Goethes Rolle als Rechtsgelehrter in verschiedenen Ämtern und die Prägung des Dichters durch diese Tätigkeiten sowie durch seine Ausbildung sind in der Faust-Forschung wenig beachtet worden. W. Daniel Wilson, der zwar manchen
sieren mochte, wie Prozeßberichte, Obduktionsbefunde, in die Sammlung eingegangen; u. a. fand sich dort der Bericht über den Kindsmord der Susanna Margarethe Brandt, deren Hinrichtung das entscheidende Erlebnis für den jungen Dichter zur Gestaltung der Gretchentragödie wurde. Seltsamerweise hat Goethe diese Bände versteigern lassen.“ Götting: Die Bibliothek von Goethes Vater, S. 29. Die kategorische Formulierung von Matthias Luserke-Jaqui aus dem Jahr 2021 ist typisch: „Der realhistorische Hintergrund der Gretchen-Geschichte und des Kindsmords ist gut dokumentiert. Es ist der Prozess gegen die Frankfurter Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt.“ LuserkeJaqui: Sichtung, S. 185. Oder Marita Metz-Becker schreibt: „Fest steht jedenfalls, dass die Tragödie um die Frankfurter Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt zum zentralen Motiv des Urfaust wurde.“ Metz-Becker: Gretchentragödien, S. 14. Klaus Kastner hat die folgende, begründete Warnung ausgesprochen: „Daß Goethes ‚Faust‘ in diesem Frankfurter Kindsmordprozeß (s)eine Wurzel hat, wird heutzutage allgemein angenommen. Eindeutig und einfach sind die Querverbindungen zwischen der Lebenswirklichkeit und Goethes Dichtung freilich nicht.“ Kastner: Kindsmord, S. 22. Dennoch werden diese Verbindungen oft als unbestreitbar dargestellt, etwa so: „Längst bekannt ist, dass vom Frankfurter Fall der Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt ein starker emotionaler Zwang ausging, der das Projekt Faust entscheidend in eine sachfremde Richtung gelenkt hat.“ Reed: Muttermord und Schwangerschaft, S. 87. Um nur einige Beispiele zu nennen sei auf folgende Autoren verwiesen: Die frühe Abhandlung von Beutler: Die Kindsmörderin, auf die sich die Sekundärliteratur immer wieder bezieht; die Darstellungen des Prozesses gegen Brandt von Birkner: Goethes Gretchen und Habermas: Susanna Brandt, sowie Habermas: Das Frankfurter Gretchen. Auch als Roman ist der Fall Brandt verarbeitet worden, wobei Goethes Kontakte zu dem Geschehen akzentuiert werden, vgl. Berger: Gretchen. Friedenthal: Goethe. Sein Leben, S. 690.
7.3 Goethe als Jurist
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Widerspruch erregte, aber auch als „ein Archivforscher allerersten Kalibers“113 gelobt wird, hat die Rechtssituation im klassischen Weimar kritisch fokussiert. Er konstatierte bis 1999 allgemein ein Desinteresse an Goethes beruflicher Tätigkeit und an entsprechenden Quellen.114 Erstaunlich, daß sich weder staatliche Behörden noch private Sponsoren für den Erstdruck der anderen wichtigen amtlichen Schriften Goethes und des dazugehörigen Apparates zu interessieren scheinen. Aber dieses Desinteresse entspricht der stiefmütterlichen Behandlung der Amtlichen Schriften durch die Goethe-Forschung [...].115
Erst 2011 erschien ein umfangreicher Kommentar zu Goethes amtlichen Schriften.116 Dies ist mit Blick auf unzählige akribische Studien zu seinen verschiedensten anderen Hinterlassenschaften in der Tat erstaunlich spät. Mit der Hexenthematik und mit Teufelspaktvorstellungen ist zu Goethes Zeit die juristische Realität noch eng verknüpft. Zwar liegt Goethes Arbeit als Jurist in Frankfurt und Wetzlar sowie als späteres Mitglied des Geheimen Consiliums und verschiedener Kommissionen in Weimar zeitlich später als die Hochphase der Hexenverfolgungen; Ausläufer der Prozesse gab es aber – wie schon beschrieben – noch, und das Geschehen wurde rechtswissenschaftlich diskutiert. Strafbestimmungen gegen Hexen hatten noch in fast ganz Europa bis ins frühe 19. Jahrhundert Geltung.117 Es ist wahrscheinlich, dass Goethe schon während seines Studiums in Leipzig und Straßburg die reale rechtliche Seite der Hexenthematik kennengelernt hat. Zwar wird Goethes juristische Prägung in literaturwissenschaftlichen Interpretationen des „Faust“ vernachlässigt, es existieren aber nicht wenige Abhandlungen zu Goethes Werk und insbesondere zu „Faust“, die rechtliche Gesichtspunkte isoliert in den Blick nehmen.118 Wenn Details des Dramas aus juristischer Sicht dargelegt werden, so kommt – was nicht verwunderlich ist – die in der frühen Neuzeit praktizierte Verfolgung vermeintlicher Teufelsbündner und ihrer angeblichen
Reinhardt: Der Ermittler, S. 198. Vgl. zur Kritik an Wilson ebd., S. 201–208. Wilson: Goethe-Tabu, besonders S. 33–38. Wilson: Goethe-Tabu, S. 37. Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Amtliche Schriften. Kommentar und Register (zu Band 26 und 27 der Frankfurter Ausgabe), hg. von Reinhard Kluge und Gerhard und Irmtraut Schmid. CD-ROM Berlin 2011. Behringer: Hexenprozesse, S. 406. In jüngerer Zeit wurden Goethe und sein Werk zum Beispiel in einem von Klaus Lüderssen herausgegebenen Sammelband explizit juristisch fokussiert. Lüderssen: Goethe und die Jurisprudenz. Auch wurde das Thema schon scherzhaft präsentiert: Gieschen / Meier: Strafakte Faust. Diese Abhandlung beschreibt Goethes „Faust“ mit Blick auf moderne juristische Tatbestände.
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7 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen
Hexereidelikte oft zur Sprache.119 Eine umfassende Untersuchung des Gerichtsrats Georg Müller betrachtete schon früh „Das Recht in Goethes Faust. Juristische Streifzüge durch das Land der Dichtung“. Die Distanz der Literaturwissenschaft zu Goethes juristischer Seite spiegelt sich in Müllers Vorwort, das wohl nicht nur zeitbedingt scheu formuliert ist. Dieser Autor geht 1912 davon aus, dass die Lebenswirklichkeit normalerweise nicht zum Thema der Literaturwissenschaft wird. Er fürchtet den Vorwurf „poesiemordender Sinnhuberei“ und dass durch seine Studie „wider das Sprichwort vom Schuster und seinem Leisten gesündigt ist“.120 Außerdem schreibt er: Sicherlich lohnt es, zu prüfen, ob der Dichter bewußt von gewissen Rechtsvorstellungen ausgegangen sei. Darüber hinaus aber gestattet der Dauerwert des Kunstwerks die Frage, was es, unabhängig von erweislicher Absicht des Schöpfers, an rechtsgeschichtlichen Anklängen und Überbleibseln birgt; ob Rechtsgedanken es wohl gar bestimmend durchwalten. – Dieser Aufgabe sind die folgenden Blätter gewidmet. Sie wenden sich an jeden Goethefreund. Den Nichtjuristen möchten sie das Weltgedicht von etlichen Seiten anschauen lassen, die er bisher weniger beachtet hat. Der Jurist möge zusehen, ob Unterhaltung im Bereiche seines Faches denn wirklich ausgeschlossen sei. Und sollte der eine oder andere Hinweis auch die Aufmerksamkeit des Forschers verdienen, – das Letzte wär’ das Höchsterrungene.121
Müller verweist in seiner Studie mehrmals auf die frühneuzeitliche Strafbarkeit von „Teufelspakt“ und „Zauberei“ und nennt hierzu Sekundärliteratur. Vermutlich wusste Goethe weitaus mehr von der strafrechtlichen Hexenverfolgung, ihren zugrunde liegenden Theorien, faktischen Umsetzungen und Instrumentalisierungen, als in der Literaturwissenschaft bisher beachtet und nachgewiesen worden ist. Dieses rechtsgeschichtliche Wissen ist in sein Werk eingeflossen, es ist zum Verständnis mancher Szenen und Details des „Faust“ wichtig. Die Sprache des Dramas ist nicht selten von juristischem Fachwissen über Hexenverfolgung geprägt, wie im Folgenden an verschiedenen Stellen gezeigt wird. Goethe setzte sich unter anderem mit berühmten Rechtstheoretikern auseinander: Benedict Carpzov,122 der zur Verfolgung des Hexereideliktes Anleitung gab, und Christian Thomasius, der ein wirkmächtiger Gegner der Hexenverfolgung war. Die Rezeption dieser Autoren des 17. und frühen 18. Jahrhunderts noch
Es gibt allerdings Gegenbeispiele. Selbst in manchen Abhandlungen zum Thema „Teufelspakt“ aus juristischer Sicht kommt die Hexenverfolgung nicht vor; vgl. zum Beispiel den im ersten Teil satirisch gefärbten Beitrag von Landsberg / Kohler: Fausts Pakt. Müller, G.: Das Recht in Goethes Faust, S. V. Müller, G.: Das Recht in Goethes Faust, S. V. Georg Witkowski hat immerhin in Betracht gezogen, dass Goethe „als Jurist durch die Sammlung der Hexenprozesse in Carpzovs berühmter Practica nova Imperialis Saxonica rerum criminalium“ mit Hexenvorstellungen bekannt geworden sei. Witkowski: Die Walpurgisnacht, S. 10.
7.3 Goethe als Jurist
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zur Goethezeit zeigt wieder die schon beschriebene Verflochtenheit der damaligen Rechtswissenschaft mit dämonologischen Fragestellungen. Wie wenig aber die Literaturwissenschaft Goethe als Juristen betrachtet, lässt beispielhaft eine Bemerkung Anne Bohnenkamps erahnen. Sie untersucht Carpzovs Werk „Practica nova Imperialis Saxonica rerum criminalium“ als in der Faust-Forschung schon lange bekannte Quelle Goethes für dessen Entwürfe und weist Carpzovs Text durch genauen Abgleich mit Goethes Exzerpten als Grundlage plausibel nach. Im Zusammenhang mit der germanistischen Diskussion um andere, Carpzov rezipierende Werke als mögliche Quellen Goethes bemerkt sie über Carpzovs Text: „Dieses Werk findet sich unter den von Goethe Anfang 1801 im Zusammenhang mit der Arbeit an der ‚Walpurgisnacht‘ ausgeliehenen Büchern zum Hexenwesen allerdings nicht“.123 Carpzovs Werk war aber eben nicht nur als dämonologische Abhandlung bekannt, sondern vor allem als juristisches Lehrwerk, das weit über seine Zeit hinaus großen Einfluss hatte. Es ist also sicher anzunehmen, dass Goethe Carpzovs „Practica nova“ nicht ausleihen musste, weil er das Werk schon durch sein Studium als wichtigen Impuls der Rechtsgeschichte kannte und im privaten oder beruflichen Umfeld greifbar hatte. Es galt im 17. Jahrhundert als „Standardwerk“, als „meisterhafte und praxisorientierte Synthese des zeitgenössischen römischen und kaiserlichen Rechts sowie der deutschen Territorialgesetzgebungen“124 und wirkte lange nach. Goethes Kollege im Geheimen Consilium, Christian Friedrich Schnauß, zitierte Carpzov125 etwa in seinem Votum zum Fall der als Kindsmörderin verurteilten Johanna Catharina Höhn, der schon vorgestellt wurde. Bis heute wird Carpzov als ein „Begründer der deutschen Strafrechtswissenschaft“ bezeichnet.126 Mit seinem Leitfaden und Kommentar zum inquisitorischen Verfahren hatte man sich auch in der traditionsreichen Juristenfamilie Goethes beschäftigt, so etwa der Vorfahre Johann Wolfgang Textor im Zusammenhang mit dem bekannten Hexenprozess gegen Anna Elisabeth Schmieg (vgl. Punkt 7.1). Der Rechtsgelehrte Christian Thomasius hatte 1694 noch selbst eine Folterung in einem Hexenprozess befürwortet, er änderte jedoch seine Meinung und wurde einer der wichtigsten Kämpfer gegen die Hexenverfolgung. Seine Schrift „De crimine magiae“ aus dem Jahr 1701 ist eine vernichtende Kritik der Teufelspaktvorstellungen und des Hexereideliktes.127 Thomasius wurde von Goethe zu
Bohnenkamp: Paralipomena, S. 162. Robisheaux: Zur Rezeption Benedict Carpzovs im 17. Jahrhundert, S. 527 f. Amtliche Schriften. Frankfurter Ausgabe, Abt. I, Bd. 26, S. 204. Decker: Hexen und ihre Henker, S. 269. Vgl. zur Kritik der Hexenprozesse durch Thomasius die diskursanalytische Darstellung von Pott: Aufklärung und Aberglaube, besonders S. 225–249. Vgl. zur Sicht des Teufels Viering: Konstruktionen des Bösen, S. 390.
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7 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen
einer Reihe „vorzüglicher Juristen“128 gezählt, als Quelle für Goethes Arbeit an der Hexenthematik des „Faust“ wurde Thomasius bisher jedoch fast nie in Betracht gezogen. Der berühmte Jurist soll hier als ein Beispiel für viele rechtswissenschaftliche Auseinandersetzungen um Hexenprozesse erwähnt werden. Goethe notierte sich schon im Jahr 1770 Verweise auf Thomasius im Kontext juristischer Texte zum Hexereidelikt.129 Er lobt ihn später auch in einem Brief an Schiller: „Was ich von Christian Thomasius kennen lernte hat mich stets interessiert. Sein heiteres und geistreiches Wesen ist sehr ansprechend.“130 In einer weiteren bedeutenden Schrift zum Ursprung der Hexenprozesse131 aus dem Jahr 1712 hat Thomasius aus rechtswissenschaftlicher Sicht die Entstehung und Entwicklung der Hexentheorie analysiert. Er setzt sich unter anderem mit Benedict Carpzov und einer Reihe von Hexenverfolgung propagierenden Juristen und Dämonologen auseinander, die Goethe ebenfalls nachweislich kannte.132 Sie alle hatten hohe Ämter inne, etwa Martin Del Rio, Rechtsberater Philipps II. und späterer Vizekanzler von Brabant sowie Generalprokurator, der berühmte Staatstheoretiker Jean Bodin und der lothringische Schöffe und spätere Generalprokurator Nicolas Rémy. Die wechselseitigen Bezugnahmen von Autoren innerhalb der hexentheoretischen Literatur werden hier deutlich,133 die reale juristische Seite der Hexenvorstellungen steht oft im Zentrum der dämonologischen Abhandlungen. Thomasius stützte seine Argumentation auf Kritiker der Hexenprozesse, hierunter auch Quellen Goethes. Thomasius prangerte unter anderem die Hexenlehre als betrügerische Inszenierung von Mönchen und Päpsten an.134 Dieser Aspekt ist nur eine von vielen Thematisierungen der Hexenprozesse durch verfolgungskritische Juristen, wie sie ähnlich in Goethes „Faust“ anklingen. Wissen des Dichters um Kritik der Hexenverfolgung, das wahrscheinlich von rechtswissenschaftlicher Literatur beeinflusst war, spiegelt sich etwa deutlich im zweiten Teil des Dramas, wenn eine Instrumentalisierung von Zauberei- und Hexenprozessen durch Kleriker vorgeführt wird. „Verschiednes über die Wirkung vorzüglicher Juristen auf die Wissenschaft. Thomasius, der alte Böhmer, Leiser, Hommel, Koch.“ Weimarer Ausgabe, Abt. III, Bd. 2, S. 212. Vgl. die bei Fischer-Lamberg belegten Notizen Goethes. Fischer-Lamberg: Der junge Goethe, Bd. 1, S. 434 sowie den Kommentar S. 513. Brief an Schiller vom 29. Mai 1799. Münchner Ausgabe, Bd. 8.1, S. 696. Disputatio Juris Canonici De Origine ac Progressu Processus Jnquisitorii, contra Sagas / Vom Ursprung und Fortgang Des INQUISITIONS PROCESSES Wieder die Hexen [...]. Halle 1712. Vgl. hierzu Punkt 7.4 meiner Arbeit: Goethes Quellen zur Hexenthematik. Vgl. zu dämonologischen Diskursen auch Scholz Williams: Hexen und Herrschaft. Thomasius spricht von „Hexenmachern“ / „sagifices“. Vgl. Thomasius: De Origine, § 30, S. 143 (dt.) bzw. 142–144 (lat.).
7.4 Goethes Quellen zur Hexenthematik
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7.4 Goethes Quellen zur Hexenthematik: selektive Wahrnehmung und Präsentation in der Faust-Forschung Hexengeständnisse lieferten Informationen, die in die dämonologischen Abhandlungen eingingen, wo sie eine ständige Rückkopplung erfuhren. Wer Hexen verhörte, musste immer mehr potentielle Gräueltaten von Hexen im Blick behalten. Es war ein dialogischer Prozess. Nicht wenige Autoren hängten an ihre Traktate Gerichtsprotokolle an, als ob sie in ihrer Streitschrift einen Dialog zwischen Theorie und Praxis eröffnen wollten.135
Goethe behandelt in seinem „Faust“ die Hexenthematik zentral: Faust nimmt sogar am „Hexensabbat“ teil. Die Darstellung des Hexenwesens in diesem literarischen Werk basiert auf frühneuzeitlichen Hexenvorstellungen, die auf tausenden Seiten dämonologischer Traktate beschrieben und publiziert wurden. Von einigen der berüchtigsten dieser Schriften ist bekannt, dass Goethe sie im Zusammenhang mit der Arbeit am „Faust“ rezipiert hat. Nur der Klarheit halber sei darauf verwiesen, dass es hier nicht um Goethes vielbeachtete Aussagen zur zwiespältigen Kategorie „Das Dämonische“136 geht, womit er verschiedentlich Anziehungskräfte im weiteren und nicht unbedingt negativen Sinne beschrieben hat. Vielmehr geht es hier um mittelalterliche und frühneuzeitliche Hexentheorien, die sogenannten Dämonologien, und um deren Infragestellung sowie kritische Gegenschriften. Diese relativierten Hexenvorstellungen oder lehnten sie zum Teil ab und kritisierten Hexenprozesse. Schon im Mittelalter hatte sich die Vorstellung einer dämonischen Gegenkirche mit dem Teufel als Herrscher über Hexen und Dämonen entwickelt. Diese angebliche Hexensekte machte man für vielerlei Schäden an Menschen, Vieh und Ernte verantwortlich. Es war die Meinung verbreitet, der Teufelspakt werde durch Geschlechtsverkehr der Hexen und Hexer mit männlichen oder weiblichen Dämonen vollzogen, die sogenannte Teufelsbuhlschaft. Seit dem 15. Jahrhundert bildete sich die Vorstellung eines „kumulativen Hexereideliktes“ heraus. Nach Ansicht vieler Dämonologen, meist Theologen oder Juristen, setzte sich das Delikt aus folgenden Bestandteilen zusammen: Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft, Luftfahrt, also Flug der Hexen, Teilnahme am „Hexensabbat“ und Schadenzauber. Bisweilen differierten – auch konfessionsgeprägt – die Meinungen hinsichtlich der Frage, welche Tatbestände als real zu werten seien und welche als Produkte der Phantasie oder Vorspiegelungen des Teufels.137
Roper: Hexenwahn, S. 151. Vgl. zum Beispiel „Dichtung und Wahrheit“. Münchner Ausgabe, Bd. 16, S. 821 f. Vgl. zusammenfassend Eiden: Vom Ketzer- zum Hexenprozeß, besonders S. 54 f. und Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 43 f.
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7 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen
Im späten Mittelalter und besonders in der frühen Neuzeit beschrieben viele Autoren das Hexenwesen; auch bildende Künstler widmeten sich dem Sujet. Die Phantasien wurden immer weiter ausgebaut und mit grotesken Details geschmückt. Besonders unheilvoll war die Abhandlung von Heinrich Kramer, dem nach heutigen Erkenntnissen wahrscheinlich alleinigen Autor des berüchtigten „Hexenhammer“.138 Der „Malleus Maleficarum“ erschien erstmals 1486 und dann in 29 Auflagen; er war bis in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts hinein „die verbreitetste systematische Dämonologie überhaupt“139 und beeinflusste viele spätere Dämonologien.140 Zahlreiche derartige Traktate blieben über Jahrhunderte bekannt.141 Sie prägen als Subtexte Goethes „Faust“ weit mehr, als bisher gesehen wurde. Das Drama enthält zugleich unzählige Abwandlungen und Brüche der früheren Hexenimaginationen. Viele werden in Kapitel 8 im Detail angesprochen. Drastische Ironisierungen und Modernisierungen dämonologischer Inhalte und Stereotype finden sich schon allein in der schillernden Gestalt des Mephistopheles.142 Gerade verschiedene Komisierungen der Magiethematik werden in der Forschung als Argument dafür angeführt, in der Tragödie auch Züge einer Komödie zu konstatieren.143 Goethes Variationen über das Hexenthema setzen aber Kenntnisse der Dämonologie bei seinen Rezipienten voraus. Diese brachten zur Goethezeit anderes Wissen mit als heute. Damals waren die dämonologischen Inhalte weit verbreitet. Auch Michael Schmidt verweist im Zusammenhang mit Goethes „Faust“ darauf, [...] daß die barocken Dämonologien zumindest in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch volksläufiger gewesen sein müssen, als man heute vielleicht annimmt. Zitate aus
Vgl. Jerouschek / Behringer: „Das unheilvollste Buch der Weltliteratur“?, S. 31–37. Jerouschek / Behringer: „Das unheilvollste Buch der Weltliteratur“?, S. 16. Françoise Knopper nennt den „Hexenhammer“ als eine Quelle Goethes, Knopper: Le motif de la sorcière, S. 101. Erich Trunz schätzt im Kommentar der Hamburger Ausgabe die literarische Bedeutung der Dämonologien gering, seine Beschreibung verhüllt aber den immensen Einfluss dieser Literatur: „Das sind Bücher von drittrangigen Autoren mit Kupferstichen von unbedeutenden Stechern, welche das Geschehen auf dem Blocksberg auf primitive Weise darstellen [...].“ Hamburger Ausgabe, Bd. 3, S. 567. Vgl. zum Beispiel zu Transformationen der Teufelsfigur in die Moderne Eggensperger: Überlegungen zu Mephistopheles. Vgl. auch Vaget: Fausts Gefährte sowie Keller, J.: Die Säkularisierung des Teufels in der Literatur um 1800, zu Goethes Faust S. 337–376. Etwas näher zu dämonologischen Aspekten vgl. etwa Durrani: The Character and Qualities of Mephistopheles. Vgl. etwa Wellnitz: Goethes Faust I – eine Tragödie, S. 30 und 39.
7.4 Goethes Quellen zur Hexenthematik
177
ihnen und Anspielungen auf sie dürften für die frühen Rezipienten des Faust I leichter, nämlich auch ohne wissenschaftliche Kommentare erkennbar gewesen sein.144
Eine besonders augenfällige Fülle dämonologischer Details enthalten die beiden Szenen Walpurgisnacht und Hexenküche. Und obwohl Hexenimaginationen hier in vieler Hinsicht neu interpretiert, ironisiert und gebrochen werden, entfaltet Goethe dennoch seine profunde Kenntnis dämonologischer Theorien, etwa mit Blick auf den Hexenflug, die Teufelsbuhlschaft, den Schadenzauber sowie die hexische Tierwelt. Wenn ein derartiges Spiel mit Subtexten Rezipienten amüsiert und fesselt, dann verweist dies auf deren Vertrautheit mit den Vorlagen. Auch dass Goethe in den beiden genannten Hexenszenen viele dämonologische Aspekte nur andeutet, lässt den Schluss zu, dass er bei den Rezipienten entsprechende Kenntnisse voraussetzt. Wenn diese aber vorhanden waren, dann dürften sie auch in Szenen mit weniger deutlichen dämonologischen Bezügen wirksam geworden sein. Zwar sind die Szenen Hexenküche und Walpurgisnacht mit Blick auf Goethes Quellen schon früh und oft untersucht worden. Die dämonologischen Elemente des „Faust“ wurden in der Forschung aber überwiegend nur dort betrachtet, wo sie – wie in diesen Szenen – direkt durch das Hexenthema freigelegt sind. Doch ist das gesamte Drama von dämonologischen Vorstellungen durchzogen, wie im Folgenden detailliert nachgewiesen wird.145 Hexentheorien und ihre Anwendungen sind in der dargestellten Menschenwelt ganz selbstverständlich präsent. Sie spiegeln sich in den Anlagen der Figuren Faust und Gretchen, sie durchziehen die Gespräche vieler Szenen, sind ebenso Bestandteil der dörflichen Alltagswelt wie der höfischen Szenen im zweiten Teil der Tragödie – und sie weisen als Indizien auf die reale Hexenverfolgung, die Goethes „Faust“ prägt, und die ebenfalls in beiden Teilen des Werkes zur Sprache kommt. Es besteht also ein zweifaches Forschungsdesiderat: nicht nur hinsichtlich der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung als Thema des „Faust“, sondern – damit eng verbunden – auch hinsichtlich der hexentheoretischen Subtexte vieler Szenen. Beide Aspekte werden in den folgenden Kapiteln behandelt. Vorab soll hier zusammenfassend die Frage beleuchtet werden, welche Seiten der Dämonologien wahrgenommen wurden und noch werden: von Zeitgenossen
Schmidt, M.: Genossin der Hexe, S. 162. Als einer der wenigen merkt Georg Witkowski an, dass hexentheoretische Literatur in das gesamte Werk eingeflossen ist: „Im Gegensatz dazu hat Goethe zur Walpurgisnacht die ganze ihm zugängliche Literatur über das Hexen- und Gespensterwesen herangezogen und sorgfältig gelesen, so daß er aus diesen Büchern nachträglich auch für andere Szenen einzelne Züge gewann.“ Leidener Ausgabe, Bd. 2, S. 268.
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7 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen
der Hexentheoretiker, von Goethe und wahrscheinlich auch seinen zeitgenössischen Rezipienten – und, im Kontrast dazu, von der späteren Literaturwissenschaft bis heute. Prägnante Beispiele zeigen, dass die Quellen hexentheoretischer Elemente in Goethes „Faust“ in späterer Zeit sehr selektiv, nämlich reduziert auf ihre imaginären Elemente, betrachtet wurden. In der Faust-Forschung sind einige teilweise gesicherte dämonologische Quellen Goethes, insbesondere mit Blick auf die Szene Walpurgisnacht schon früh untersucht worden. Die ersten Studien hierzu, auf die sich spätere Autoren immer wieder berufen, wurden im Literaturbericht dieser Arbeit genannt. Zum einen befanden sich hexentheoretische Schriften in Goethes privater Bibliothek146 beziehungsweise in der seines Vaters.147 Natürlich sind aber nicht alle Lektüren Goethes auf diese Weise dokumentiert: „Man muss sich [...] im Klaren sein, dass die Bibliothek nicht Goethes gesamten Buchbestand abbildet, sondern eine Momentaufnahme darstellt“.148 Zum anderen sind Entleihungen des Dichters aus der Weimarer Bibliothek durch Ausleihzettel belegt, die zumeist datiert sind und schon 1931 gesammelt als Nachschlagewerk herausgegeben wurden.149 Heute bietet eine Datenbank zu Goethes Bibliothek umfangreiche Recherchemöglichkeiten.150 Von manchen hexentheoretischen Schriften weiß man sicher, dass Goethe sie im Zusammenhang mit der Arbeit am „Faust“ benutzte. Siegfried Scheibe hat aus Goethes überlieferten Handschriften zur Szene Walpurgisnacht „Indizien zur Bestimmung ihrer Entwicklungsgeschichte“ herausgearbeitet. Er bemerkt mit Blick auf seine Datierungsvorschläge: Die von Goethe zur Bearbeitung der Walpurgisnacht benutzte Hexenliteratur müßte, nach der neuen Datierung vieler Szenenteile und Schemata der Walpurgisnacht in der vorliegenden Arbeit, erneut gründlich untersucht werden, da Witkowski in vielen Fällen davon ausging, Goethe habe die entsprechenden Motive schon verarbeitet, ehe er sich die Bücher aus der Bibliothek entlieh.151
Vgl. Ruppert: Goethes Bibliothek. Vgl. zur Schwierigkeit einer Definition dieser Sammlung und zu ihrer Geschichte Höppner: Goethes Bibliothek. Vgl. Götting, Franz: Die Bibliothek von Goethes Vater. Höppner / Trenkmann: Goethe Bibliothek Online S. 248. Vgl. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek. Zur Kritik an der Zuverlässigkeit dieser Quelle vgl. Höppner: Goethes Bibliothek, S. 243. Auch Goethes Entleihungen aus den Jenaischen Bibliotheken sind in Teilen dokumentiert, vgl. Bulling: Goethe als Erneuerer und Benutzer der Jenaischen Bibliotheken. Zu vermutlichen Lücken dieser Dokumentation vgl. Höppner: Goethes Bibliothek, S. 378. Goethe Bibliothek online. https://opac.lbs-weimar.gbv.de/DB=2.5/ [Stand: März 2023]. Vgl. Höppner: Goethes Bibliothek, zur Datenbank besonders S. 237–250. Scheibe: Zur Entstehungsgeschichte, S. 59, Anm. 67.
7.4 Goethes Quellen zur Hexenthematik
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Wenn Siegfried Scheibe hier zu Recht auf die Bedeutung einer zeitlichen Abfolge der belegten Entleihungen Goethes und der Verarbeitung von Details aus dieser Literatur verweist, so bleibt doch stets zu bedenken, dass die Entleihungen der Bücher nur zeitliche Anhaltspunkte für Goethes Interesse sein können.152 Sie sind kein Beweis dafür, dass er bestimmte Schriften oder deren Inhalte nicht schon zu anderen Zeitpunkten kannte. Auf diese Voraussetzung hat auch Schöne mit Blick auf die Ausleihbücher der Weimarer Bibliothek hingewiesen: Danach hat Goethe einiges an Literatur zum Hexenwesen, Sabbat und Satanskult (Meyfart, Goldschmid) schon Ende 1797 / 98, das meiste aber erst vom Februar bis Juni 1801 entliehen (Francisci, Bekker, Groß, Remigius, Bodinus). Daß er diese oder verwandte Schriften aber nicht schon viel früher gelesen hat und einiges davon 1801 nur noch einmal zur Hand nehmen wollte, wird durch die Angaben der Ausleihbücher ebensowenig ausgeschlossen wie die Möglichkeit weit älterer Pläne und Niederschriften durch Scheibes Datierung der überlieferten Handschriften auf die Jahre 1797 oder 1801.153
Agnes Bartscherer hat schon 1911 angemerkt, dass eine genaue Kenntnis aller Vorlagen Goethes und die Datierung ihrer Rezeption Spekulation bleiben wird – und somit auch ihr direkter Zusammenhang mit der Arbeit an einzelnen Szenen des „Faust“: Wieviel mag Goethe in den Jahren 1769–1775 von dieser Literatur dämonologischer Art durchstudiert haben? Wir wissen es nicht; wir wissen nicht, ob er die Werke des Bodinus, Praetorius und anderer, die er 1797–1801 durchforschte, etwa schon in der Jugend gekannt hat.154
Aus den Beschreibungen von Goethes Bibliotheken und seinen Entleihungen geht allerdings hervor, dass ihm eine Fülle an hexentheoretischen Schriften zur Verfügung stand. Auch das Spektrum dieser Lektüren ist sehr breit. Es enthält viele der wirkmächtigsten Abhandlungen, sowohl dämonologische Traktate wie auch Schriften von Gegnern der Hexenverfolgung. Zunächst seien die wichtigsten dämonologischen Traktate und – davon manchmal nicht leicht zu trennende – literarische Verarbeitungen dieser Hexenphantasien genannt, von denen heute bekannt ist, dass Goethe sich Zugang zu ihnen verschaffte. Sie sind mit Blick auf Goethes „Faust“ noch längst nicht hinreichend ausgewertet worden, auch dies wäre einer eigenen Studie wert. Dennoch ist der Umfang der bestehenden Forschungsaussagen und Vermutungen zu Goethes Quellen bereits
Witkowski verweist zum Beispiel darauf, dass der Einfluss Balthasar Bekkers schon vor der Entleihung des Buches bei Goethe sichtbar ist: in anderen Teilen des Werkes als der Walpurgisnacht. Witkoswki:Walpurgisnacht, S. 21. Schöne: Götterzeichen, S. 196 f. Bartscherer: Paracelsus, S. 79.
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7 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen
so groß, dass sie hier nicht vollständig, sondern nur knapp und ohne Wiedergabe aller verschiedenen Einzelmeinungen zusammengefasst werden können. Aus der schon erwähnten juristisch-dämonologischen Abhandlung „Practica nova Imperialis Saxonica rerum criminalium“ von Benedict Carpzov, erstmals erschienen 1635, notierte Goethe Exzerpte aus Hexenprozessen, sie werden unter Punkt 7.5 vorgestellt. Zwei Mal lieh Goethe sich in späteren Jahren (1827–1828) auch die berüchtigte Abhandlung „Disquisitionum magicarum libri sex“ des Dämonologen Martin Del Rio,155 der in der Faust-Forschung nur selten Beachtung fand. Die Abhandlung war 1599 / 1600 zum ersten Mal gedruckt worden und wurde bis zum Jahre 1755 in über 20 Auflagen nachgedruckt.156 Die fanatische und in ihrer Zeit sehr verbreitete, wirkmächtige Schrift „De la Démonomanie des Sorciers“ von Jean Bodin, erstmals gedruckt 1580, befand sich in der Ausgabe von 1598 schon in der Bibliothek von Goethes Vater,157 eine spätere Ausgabe entlieh Goethe wohl in der Weimarer Bibliothek.158 Die ebenfalls zur Hexenjagd aufstachelnde Schrift „Daemonolatria“ von Nicolas Rémy entlieh Goethe im Jahr 1801.159 Rémys Schrift war 1595 erstmals erschienen und erlebte dann zahlreiche Auflagen auch in deutscher Übersetzung.160 Einzelne Details der Hexenphantasien aus Goethes „Faust“ sind in der Literaturwissenschaft mit den Schriften der Dämonologen verglichen worden. Deren überaus folgenreiche Verstrickungen in die real praktizierte Hexenverfolgung wurden allerdings nur sehr selten erwähnt, einige besonders prägnante Beispiele werden im Folgenden aufgeführt. Die berüchtigten Autoren, die Goethe kannte, Rémy, Bodin, Carpzov und Del Rio, beschränken sich keineswegs auf die Schilderung
Del Rio, Martin Antoine: Disquisitionum Magicarum libri sex, quibus continetur accurata curiosarum artium, et vanarum superstitionum confutatio, utilis Theologis, Iurisconsultis, Medicis, Philologis. Mainz 1624 (nach Keudell handelte es sich bei Goethes Entleihung eventuell auch um die in Köln 1679 gedruckte Ausgabe). Vgl. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 290 bzw. S. 296. Gersmann / Moeller / Schmidt (Hg.): Del Rio, Martin Antoine. Vgl. Götting: Die Bibliothek von Goethes Vater, S. 39. Jean Bodin: De la Démonomanie des Sorciers. (4e éd.) Lyon 1598. Volltext einsehbar unter: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k83041x [Stand: Juni 2023]. Nach Witkowski: Walpurgisnacht, S. 31, war der von Goethe benutzten Ausgabe von Rémys „Daemonolatria“ eine deutsche Übersetzung von Bodins „Daemonomania“ angehängt. Nach Schöne wurde Bodin irrtümlich bei Keudell nicht verzeichnet. Schöne: Götterzeichen, S. 134 f., Anm. 54. Nicolai Remigii Daemonolatria, Oder: Beschreibung von Zauberern und Zauberinnen: Mit wunderl. Erzehlungen / vielen natürlichen Fragen und teuflis. Geheimnissen vermischet. Frankfurt a. M. / Leipzig / Hamburg 1693. Vgl. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 44. Biesel: Rémy, Nicolas.
7.4 Goethes Quellen zur Hexenthematik
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einer Phantasiewelt. Sie verbinden diese vielmehr mit konkreten Handlungsanweisungen zur Verfolgung vermeintlicher Hexen und Zauberer, zur Durchführung von Hexenprozessen und zur Anwendung der Folter. Viele Dämonologen hatten Erfahrungen in der realen Hexenverfolgung, sie brüsten sich zum Teil damit, etwa prahlt Rémy schon im Titel seines 1595 erschienenen Traktats „Daemonolatria“, er habe in 15 Jahren seiner Tätigkeit als Schöffe von Nancy 900 Hexen hinrichten lassen.161 In Weimar entlieh Goethe auch die Schrift „Höllischer Morpheus“162 aus dem Jahr 1698 von Peter Goldschmidt. Dieser Autor, der in der Faust-Forschung oft erwähnt, aber meist nicht vorgestellt wird, war ein besonders polemischer Verfechter des Hexenglaubens. Er hat den Verfolgungsgegner Balthasar Bekker, eine wichtige spätere Quelle Goethes, angegriffen und einige Jahre danach auch Christian Thomasius. Die eher als Unterhaltung intendierten Verarbeitungen von Hexenphantasien in den Sammlungen „Anthropodemus Plutonicus“163 und „Blockes-Berges Verrichtung“164 von Johannes Praetorius werden in der Faust-Forschung als Goethes Quellen – genau wie die dämonologischen Traktate – vor allem mit Blick auf groteske Details der Szene Walpurgisnacht, wie etwa ein aus dem Mund springendes Mäuschen, diskutiert. Den Autor Praetorius erwähnt Goethe in den Paralipomena zu „Faust“165 und auch in seinen Tagebüchern.166 Praetorius prä-
Biesel: Rémy, Nicolas. Goldschmidt, Peter: Petri Goldschmids Pastoris Sterupensis Höllischer Morpheus, Welcher kund wird Durch Die geschehene Erscheinungen Derer Gespenster und Polter-Geister So bißhero zum Theil von keinen eintzigen Scribenten angeführet und bemercket worden sind [...] Hamburg 1698. Vgl. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 45. Johannes Praetorius (Hans Schulz): Anthropodemus Plutonicus. Das ist Eine Neue Weltbeschreibung Von allerley Wunderbahren Menschen [...]. Magdeburg 1666 / 67. Goethe verweist 1805 in seinen Tagebüchern auf diese Sammlung, vgl. Berliner Ausgabe, Bd. 16, S. 169 f. Witkowski geht davon aus, Goethe habe selbst ein Exemplar des Buches besessen, vgl. Witkowski: Walpurgisnacht, S. 23. Johannes Praetorius (Hans Schulz): Blockes-Berges Verrichtung / Oder Ausführlicher Geographischer Bericht / von den hohen trefflich alt- und berühmten Blockes-Berge: ingleichen von der Hexenfahrt / und Zauber-Sabbathe / so auff solchen Berge die Unholden aus gantz Teutschland / Jährlich den 1. Maij in Sanct-Walpurgis Nachte anstellen sollen [...]. Leipzig / Frankfurt a. M. 1668. Schöne bemerkt zu den beiden Titeln des Praetorius, sie spiegelten die Lückenhaftigkeit der uns bekannten Angaben der Ausleihbücher zu Goethes Literatur: „Ganz gewiß bleiben diese Angaben lückenhaft, auch wenn man sie aufgrund von Tagebuchnotizen und Exzerpten ein wenig ergänzen kann [...]; von Praetorius’ ‚Antropodemvs Plvtonicvs‘ beispielsweise besaß Goethe selbst ein Exemplar; seine ‚Blockes-Berges Verrichtung‘ hat er ganz sicher benutzt, aber genannt wird diese wichtige Quelle doch nirgendwo.“ Schöne: Götterzeichen, S. 197, Anm. 215. Goethe notiert Praetorii übrige Werke. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 561. Berliner Ausgabe, Bd. 16, S. 169 f.
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sentiert in seinen Erzählungen allerdings keine rein literarischen Fiktionen, wie so mancher Kommentar zu Goethes „Faust“ suggeriert.167 Vielmehr zitiert Praetorius oft aus realen Hexenprozessen, zusammenfassend und auch wörtlich, zum Teil etwa nach Bodin und Carpzov. Auch spricht Praetorius häufig explizit von Prozessen und Hinrichtungen, oft unter Angabe von Namen, Orten und Jahreszahlen. Seine Literatur ist also eng an die Realität der Hexenverfolgung geknüpft. Zwar wurde der Bezug des Praetorius auf Carpzov in der FaustForschung manchmal beschrieben, allerdings geht es dabei nur am Rande um den Realitätsbezug der Hexenphantasien. Vielmehr beschränkt sich die Diskussion meist auf die Frage, ob Goethe Praetorius oder Carpzovs Originaltext als Quelle benutzt hat. Wenn die Literaturwissenschaft aber heute über Goethes Notizen brütet, etwa Juncker der böse Feind, Böse Dinger, Elben168 et cetera, dann sollte sie ins Bewusstsein der Leserschaft rücken, dass es sich bei diesen Exzerpten ursprünglich nicht um literarische Quellen handelt. Es sind vielmehr annähernd wörtliche Aussagen von in Hexenprozessen gefolterten realen Frauen und Männern, die zum Beispiel durch Carpzov dokumentiert wurden. Den Autor Erasmus Francisci erwähnte Goethe in seinen Tagebüchern mehrmals und auch in einer Zeit, als er an der Szene Walpurgisnacht arbeitete.169 In einem Brief an Schiller bezeichnet er Franciscis ehemals sehr populäres Buch „Neu-polierter Geschicht-, Kunst- und Sitten-Spiegel ausländischer Völcker [...]“ als „abgeschmackt“, es tauge aber als Stoffsammlung.170 Aus der Weimarer Biblio-
Als Beispiel sei hier die knappe Charakterisierung der Quelle Praetorius durch Hans Arens genannt. Er bewertet sie – andere Quellen Goethes unterschätzend – wie folgt: „Diese pedantische, scheinwissenschaftliche Kompilation der Meinungen und Histörchen bekannter Autoren über Hexen, Teufel und ihre Versammlungen, woraus sich die Ansicht des Verfassers nicht immer ersehen läßt, hätte als Quelle für fast alles von Goethe Verwertete ausgereicht, (abgesehen von der roten Maus aus dem Munde der Tänzerin [...] und der Erscheinung der Geköpften [...]).“ Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 367. Beispiele aus den Paralipomena, vgl. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 559–561. Es liegt etwa ein Eintrag vom Dezember 1800 vor. Vgl. Frankfurter Ausgabe, Abt. II, Bd. 5, S. 98. Vgl. zur Datierung der Szene ausführlich die schon erwähnte Arbeit von Scheibe: Zur Entstehungsgeschichte. „Das tolle philosophische Gespräch ist aus des Erasmus Franzisci neupolierten GeschichtKunst und Sittenspiegel einem abgeschmackten Buche, das aber manchen für uns brauchbaren Stoff enthält.“ Brief an Schiller vom 13. Januar 1798. Münchner Ausgabe, Bd. 8.1, S. 495.
7.4 Goethes Quellen zur Hexenthematik
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thek hatte er dieses entliehen,171 ebenso später „Der höllische Proteus [...]“172 desselben Autors. Die „Magica“ titulierten Geschichten von Henning Grosse werden als Quellen Goethes ebenfalls verschiedentlich genannt. Auch dieses Buch lieh er in der Weimarer Bibliothek aus.173 Nicht zuletzt enthält die von Goethe entliehene, durch Pfitzer erweiterte Faustbeschreibung174 Georg Rudolf Widmanns zahlreiche hexentheoretische Elemente, und sie begrüßt mehrmals und nachdrücklich die Verfolgung und Hinrichtung von „Hexen“ und „Zauberern“. Im ersten Kapitel der Faustbeschreibung wird etwa an die biblische Aufforderung erinnert, „Zauberer“ zu töten: Zum dritten / drohet GOtt der HErr in seinem Wort und Gesetze / den jenigen / die sich durch boese Gesellschaft / oder anderwaertige Verursachung / zur Zauberey und Segensprechen verfuehren lassen / beydes den zeitlichen und denn auch dem ewigen Todt. So viel den zeitlichen Todt betrifft / saget zwar die Heilige Schrifft an vielen Orten / daß man die Zauberer und Zauberinne solle toedten und ausrotten / als Exodi 22, Levitic. 20 und Michæ. im 5. zu lesen.175
Und die „Vorrede an den guenstigen Leser“ berichtet nach dem Ausruf „pfui der Schande!“ von zeitgenössischen Hinrichtungen: „viel / ach! sehr viel der
Franciscus, Erasmus: Neu-polierter Geschicht-, Kunst- und Sitten-Spiegel ausländischer Völcker [...] Dem Schau-begierigen Leser dargestellt. Nürnberg 1670. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 15. Erasmus Francisci: Der Höllische Proteus / oder Tausendkünstige Versteller / vermittelst Erzehlungder vielfältigen Bild-Verwechslungen Erscheinender Gespenster / Werffender und poltrender Geister / gespenstischer Vorzeichen der Todes-Fälle / Wie auch Andrer abentheurlicher Händel / arglistiger Possen / und seltsamer Aufzüge dieses verdammten Schauspielers / und / Von theils Gelehrten / für den menschlichen Lebens-Geist irrig-angesehenen Betriegers / (nebenst vorberichtlichem Grund-Beweis der Gewißheit / daß es würcklich Gespenster gebe). Nürnberg 1708. Vgl. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 43. Henning Grosse: Magica, Dasz ist: Wunderbarliche Historien Von Gespensten vnd mancherley Erscheinungen der Geister, von zauberische Beschwerungen, ... Jtem von Oraculis, Verkuendigungen vnd Weissagungen ... Aus bewerten vnd glaubwirdigen Historicis vnd andern Scribenten mit besonderm vleisz inn lateinischer Sprache zusammen getragen, Jtzo aber ... in die deutsche Sprache ... gebracht / Eisleben 1600. Vgl. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 44. Es war der Ausgabe von Rémys „Daemonolatria“ angehängt. Widmann, Georg Rudolf: Das ärgerliche Leben und schreckliche Ende des viel berüchtigten Ertz-Schwartzkünstlers D. Johannis Fausti [...] vermehrt durch Joh. Nicolaum Pfitzerum [...] Nürnberg 1674. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 44. Georg Rudolf Widmann: Das ärgerliche Leben und schreckliche Ende des viel berüchtigten ErtzSchwartzkünstlers D. Johannis Fausti [...] vermehrt durch Joh. Nicolaum Pfitzerum [...] Nürnberg 1674, S. 5. Volltext einsehbar unter: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:14-db-id3778435124 [Stand: Juni 2023].
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verfuehrten verstockten Leute / Zauberer / Hexen und Unholden / welche man ihrem Verdienst nach / meistentheils lebendig / verbrennet.“176 Die pietistisch-metaphysisch geprägte „Unpartheyische Kirchen- und KetzerHistorie“ des Theologen Gottfried Arnold befand sich schon in der Bibliothek von Goethes Vater.177 Arnold versucht „gute“ und „falsche“ Magie zu unterscheiden und verteidigt gelehrte Magie als natürliche Kunst. Um das Thema Hexenverfolgung geht es nur ganz am Rande. In der Faust-Forschung wird oft auf Arnolds Werk als Quelle Goethes verwiesen. Bestimmte Details im „Faust“ deuten auf Goethes Kenntnis von weiteren Quellen, die in der Forschung als möglich diskutiert werden. Dies gilt etwa für das dämonologische Compendium von Francesco Maria Guazzo: „Compendium maleficarum“178 und für das Traktat „Tableav de l’Inconstance des Mavvais Anges et Demons“ des französischen Richters Pierre de Lancre,179 der den „Hexensabbat“ unter anderem als eine Art Markttreiben schildert180 und den man deshalb zu Goethes Darstellung der Trödelhexe in der Szene Walpurgisnacht assoziieren kann. Auch die Vita dieses fanatischen Hexenverfolgers wird in der Faust-Forschung, wenn die Schrift als mögliche Quelle genannt wird, oft nicht erwähnt.181 De Lancre hat sich nicht etwa nur als Autor betätigt, sondern er war im Baskenland für zahlreiche Hinrichtungen, ja eine regelrechte Hexenpanik, mit verantwortlich.182
Georg Rudolf Widmann: Das ärgerliche Leben und schreckliche Ende des viel berüchtigten ErtzSchwartzkünstlers D. Johannis Fausti [...] vermehrt durch Joh. Nicolaum Pfitzerum [...] Nürnberg 1674, Vorrede. Volltext einsehbar unter: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:14-db-id3778435124 [Stand: Juni 2023]. Götting: Die Bibliothek von Goethes Vater, S. 37 nennt Arnold: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Th. 1–4, Frankfurt a. M. 1729. Francesco Maria Guazzo: Compendium maleficarum ex quo nefandissima in genus humanum opera venesica, ac ad illa vitanda remedia conspiciuntur. Mailand 1626. L’Ancre, Pierre de: Tableav de l’Inconstance des Mavvais Anges et Demons. Ov il est amplement traicté des Sorciers, et de la Sorcellerie. Livre tres-vtile et necessaire non seulement aux Iuges, mais à tous ceux qui viuent sous les loix Chrestiennes. Auec vn Discours contenant la Procedure faite par les Inquisiteurs d’Espagne et de Nauarre, à 53. Magiciens, Apostats, Iuifs et Sorciers, en la ville de Logrogne en Castille, le 9. Nouembre 1610. En laquelle on voit combien l’exercice de la Iustice en France, est plus iuridiquement traicté, et auec de plus belles formes qu’en tous autres Empires, Royaumes, Republiques et Estats. Par Pierre de Lancre, Conseiller du Roy au Parlement de Bordeaux. Maleficos non patieris viuere. Exod. 22. Paris 1612. Vgl. hierzu Roper: Hexenwahn, S. 161. Eine der wenigen Ausnahmen ist hier wieder Schöne: Götterzeichen, S. 139 u. 141 f. Vgl. Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 111 f. Vgl. zu de Lancres Haltung: Scholz Williams: Hexen und Herrschaft, S. 105–136.
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Goethe erwähnte in seinen Tagebüchern183 sowie in „Dichtung und Wahrheit“184 auch den berühmten spätmittelalterlichen Prediger Johannes Geiler von Kaysersberg. Dieser verarbeitete hexentheoretische Literatur in seinen Predigten und sprach auch über die Verfolgungen. Er spiegelte somit deren zeitgenössische Bedeutung. Ob Goethe diese Passagen aus dem Werk Geilers kannte, ist allerdings ungeklärt. Ebenso verweist Goethe in seinen späten Tagebüchern auf die zu seinen Zeitgenossen zählenden Autoren Walter Scott185 und Georg Conrad Horst, dessen „Mysteriosophie“ er nennt.186 Horst verfasste auch Abhandlungen über Hexerei und Hexenverfolgung.187 Goethe entlieh die von Johann Georg Schelhorn erstellte, periodisch erschienene Sammlung literarischer Hinweise und Auszüge: „Amoenitates literae quibus variae observationes, scripta item quaedam anecdota & rariora opuscula exhibentur“ aus dem Jahr 1726.188 Sie wird in der Faust-Forschung oft nicht oder nur ganz knapp mit ihrem Titel erwähnt. Die Sammlung enthält jedoch nicht nur Faustbeschreibungen, sondern auch mehrere Hinweise auf Literatur zur Hexenthematik und manche Auszüge aus dieser. Schelhorn verweist etwa auf Trithemius und auch auf das berühmte Werk „Cautio criminalis“ von Friedrich Spee. Ähnliches gilt für die in der Faust-Forschung wenig beachtete Abhandlung von Johann Georg Neumann, „Disquisitio historica de Fausto praestigiatore“, aus dem Jahr 1683. Goethe entlieh sie 1801 in Weimar.189 Johann Georg Neumann will Faust in einer „historischen Untersuchung“ vorstellen, er zeigt dabei wieder einmal die tiefe Verwurzelung der hexentheoretischen Diskurse im frühneuzeitlichen gelehrten Milieu. Neumann bezieht sich, wenngleich er auch manche Gegner der Hexenverfolgung anführt, vielfach auf Dämonologen wie Del Rio und Bodin. Über den verfolgungskritischen Autor Reginald Scot bemerkt Neumann, dass dieser „die Gewalt des Teufels
Nach der Weimarer Ausgabe im April 1818. Weimarer Ausgabe, Abt. III, Bd. 6, S. 202. Münchner Ausgabe, Bd. 16, S. 275. Über den 30. Dezember 1830 vermerkt Goethe: „Ich las Letters on Demonology and Witchcraft von Walter Scott, offenbar geschrieben, um den vorwaltenden Aberglauben zu beseitigen. Man blickt in die wunderbarsten Zustände, wenn man genau betrachtet, wogegen er ficht und mit was für Waffen.“ Frankfurter Ausgabe, Abt. II, Bd. 10, S. 350 f. Goethe verweist mehrmals auf dieses Werk. Weimarer Ausgabe, Abt. III, Bd. 5, S. 294. Vgl. Freytag: Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts. Johann Georg Schelhorn: Amoenitates literariae quibus variae observationes, scripta item quaedam anecdota & rariora opuscula exhibentur, Bd. 5. Frankfurt / Leipzig 1726. Vgl. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 44. Johann Georg Neumann / Carl Christian Kirchner: Disqvisitio historica prior de Fausto praestigiatore. Wittenberg 1683. Keudell nennt das Werk als Teil eines Sammelbandes. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 44.
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für nichts achtete, auch offen zugab, daß er die Magie für kein Verbrechen halte [...]“. Dann berichtet Neumann: „sein Buch ist in England jedoch aus dem Verkehr gezogen und verbrannt worden.“190 Auch dämonologisch geprägte Bildwerke kommen als Vorlagen Goethes in Betracht,191 vor allem die schon gezeigte Walpurgisnachtdarstellung in einem Kupferstich nach Michael Herr beziehungsweise dessen gröbere Nachbildung als Titelholzschnitt für die erwähnte „Blockes-Berges Verrichtung“ von Praetorius 1668, die Goethe kannte. Im Zusammenhang mit der Hexenthematik wurde bisher kaum beachtet, dass Goethe selbst einige Literatur zum Thema „Gifte“ besaß, das ihn offensichtlich interessierte. Hierzu zählt etwa die Abhandlung von Ferdinand Runge, den er 1819 persönlich getroffen hat.192 Dieser experimentierte vor den Augen Goethes mit Pflanzenextrakten, die in der frühen Neuzeit häufig der hexischen Verwendung zugeschrieben wurden. Sie sind im Titel des von Goethe besessenen Buches genannt: „De nova methodo veneficium Belladonnae, Daturae nec non Hyoscami explorandi“.193 Außerdem besaß Goethe eine Darstellung von Peter Joseph Schneider: „Ueber die Gifte in medicinisch-gerichtlicher und medicinisch-polizeylicher Beziehung.“194 Um Giftmischerei geht es auch in einer frühen Quelle; sie wird in der Faust-Forschung hin und wieder erwähnt und als Lektüre Goethes in Betracht gezogen: Das von dem Juristen Abraham Saur herausgegebene Kompendium verschiedener hexentheoretischer Texte „Theatrvm De Veneficis“195 nennt die Giftmischer schon im Titel.
Neumann: De Fausto praestigiatore, S. 47 f. Übersetzung aus dem Lateinischen durch Nicola Kaminski. Vgl. hierzu etwa das Kapitel „Gemälde und Bildwerke im Faust“ in Morris: Goethestudien, S. 114–152. Morris nennt hier auch viele Hexendarstellungen. Das Treffen fand am 3. Oktober 1819 statt. Frankfurter Ausgabe, Abt II., Bd. 8, S. 312. Vgl. Runges Bericht über die Begegnung in: Herwig / Biedermann: Goethes Gespräche, Bd. 3. Teil 1, Nr. 4728, S. 133–140. Vgl. das Verzeichnis von Ruppert: Goethes Bibliothek, S. 421: Ferdinand Runge: De nova methodo veneficium Belladonnae, Daturae nec non Hyoscami explorandi. Dissertatio inauguralis quam scripsit Ferdinandus Runge ... Jenae: imp. Bibliop. Croeckeriani 1819. Vgl. das Verzeichnis von Ruppert: Goethes Bibliothek, S. 422: Peter Joseph Schneider: Ueber die Gifte in medicinisch-gerichtlicher und medicinisch-polizeylicher Beziehung. Nebst e. Anh. von d. Behandlung d. Vergifteten in Allgemeinen. Mit e. Vorr. v. Thomas August Ruland. Würzburg: J. Stahel 1815. Theatrvm De Veneficis. Das ist: Von Teuffelsgespenst Zauberern vnd Gifftbereitern / Schwartzkünstlern / Hexen vnd Vnholden / vieler fürnemmen Historien und Exempel / bewärten / glaubwirdigen / Alten und Newen Scribenten / was von solchen jeder zeit disputiert vnd gehalten worden / mit sonderm fleiß (derer Verzeichnuß am folgenden blat zu finden) an Tag geben. Sampt etlicher hingerichten Zäuberischer Weiber gethaner Bekanntnuß / Examination, Prob /
7.4 Goethes Quellen zur Hexenthematik
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Vorwürfe des Giftmordes196 standen in der frühen Neuzeit in enger Verbindung zu Hexereivorwürfen, das lateinische Wort „veneficus“ bedeutete ‚Giftmischer‘ und ‚Zauberer‘.197 Im 18. Jahrhundert verhüllten Prozesse mit der Bezeichnung „Giftmischerei“ oft Hexenprozesse. Wolfgang Behringer beschreibt dieses Phänomen in seinen geschichtswissenschaftlichen Ausführungen zu späten Hexenprozessen als typisch für das Verhältnis der Aufklärung zur Hexenverfolgung, es sei geprägt von „Unsicherheit, Scheinheiligkeit und Heuchelei“.198 Er führt dazu folgendes aus: Aber auch die Hexenverfolger fühlten sich nicht wohl. Seit dem zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts sprachen sie immer weniger gerne von Hexerei, sondern verwendeten Euphemismen, traditionelle lateinische Begriffe wie maleficium und zuletzt veneficium (Giftmischerei), wie schon bei den Freisinger Prozessen um 1720 und noch 1782 in Glarus. Dass es sich bei diesen Strafverfahren um Hexenprozesse handelte, wurde begrifflich vertuscht und geht nur aus den Prozessakten hervor.199
Auch in Goethes „Faust“ ist das Thema „Gift“ durchgängig präsent. Die Trödelhexe der Szene Walpurgisnacht erwähnt es explizit: Kein Dolch ist hier, von dem nicht Blut geflossen, / Kein Kelch, aus dem sich nicht in ganz gesunden Leib, / Verzehrend heißes Gift ergossen [...]. (4104–4106) Faust spricht früh von seinen missglückten Heilungsversuchen: Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben (1053): dieses Versagen einer Arznei wurde Heilern zur Zeit der Hexenverfolgung nicht selten gefährlich.200 In der Gretchentragödie könnte, stellt man sich einen von Goethe geplanten Hexenprozess gegen Gretchen vor, die Vergiftung der Mutter als Hexenwerk gelten. Und auch im zweiten Teil des „Faust“ kommt die Nähe von Magie und Gift zur Sprache: Eine Dame, die von Mephistopheles ein Mittel zum Liebeszauber erhält, das sie verschlingen soll, erkundigt sich besorgt: Ist doch kein Gift? (6355). Zahlreiche giftige Pflanzen nennt Giovan Battista Della Porta, der in seinem frühneuzeitlichen Werk „Magia naturalis“ unter anderem „Hexensalbe“ beschreibt. Goethe schätzte den Autor, in seinen Schriften „Zur Farbenlehre“ widmete er ihm
Vrgicht vnd Straff / etc. Vieler vngleicher Frage vnd Meynung halben / so in dieser Materi fürfallen mögen / jetzt auffs neuw zusammen in ein Corpus bracht. Allen Vögten / Schuldtheissen / Amptleuthen deß Weltlichen Schwerdis / etc. sehr nützlich vnd dienstlich zu wissen / vnd keines wegs zu verachten. Abraham Saur: Theatrvm de Veneficis. Frankfurt a. M. 1586. Volltext einsehbar unter: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00039916-3 [Stand: Juni 2023]. Vgl. zum Vorwurf des Vergiftens als Stereotyp in vielen verschiedenen Verfolgungsszenarien Girard: Ausstoßung und Verfolgung, S. 29 f. Habel / Gröbel: Mittellateinisches Glossar, S. 419. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 13. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 13. Vgl. Irsigler: Hebammen, Heilerinnen und Hexen, S. 142–153.
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ein eigenes Kapitel.201 Auf das von Della Porta beschriebene Rezept der Hexensalbe wird auch in der Faust-Forschung bisweilen verwiesen,202 doch wieder einmal nicht auf den realen historischen Zusammenhang, in dem dieser Text stand. Die persönliche Bedrängung des Verfassers in der Zeit der Hexenverfolgung wird gewöhnlich außer Acht gelassen, obwohl diese unmittelbar mit seinen Aussagen in dem genannten Werk zusammenhing. Della Porta hatte die halluzinogene Wirkung von Pflanzen, die seiner Meinung nach für „Hexensalbe“ verwendet wurden, geschildert. Somit betrachtete er den „Hexenflug“ und die Teilnahme am „Hexensabbat“, die Hexenprozessopfern vorgeworfen wurden, als Einbildung. Er musste sich 1577 / 78 in einem Inquisitionsverfahren verteidigen.203 Seine naturwissenschaftlichen Argumente wurden Teil der dämonologischen Debatte. Der Verfolgungskritiker Johann Weyer etwa führte Della Porta als Gewährsmann an, von Jean Bodin und Martin Del Rio wurde Della Porta angegriffen; die Stellen aus Della Portas Werk, die Hexenverfolgern unangenehm werden konnten, wurden in späteren Ausgaben von der Zensur gestrichen.204 Goethe hat mehrere Ausgaben des Werkes „Magia naturalis“ in Weimar entliehen, vielleicht hat er die zensierten Stellen gesucht.205 Zwar geschah dies 1809, also nach dem Erscheinen der Szene Walpurgisnacht, in der die Hexensalbe erwähnt wird. Goethes Interesse an Della Portas Inhalten ist aber schon viel früher belegbar: Goethe erwähnt den Autor mehrmals in seinen Tagebüchern, auch schon im Dezember 1800, als er mit der Walpurgisnachtszene beschäftigt war.206
Vgl. Münchner Ausgabe, Bd. 10, vor allem S. 623–626. Witkowski nennte Della Portas Werk zum Beispiel knapp: „das alte alchymistische Receptbuch“, und führt wenig treffend weiter aus: „[...] indessen ist daraus für den Faust höchstens die Erwähnung der Hexensalbe (II, 26) benutzt worden, die auch in der gesamten übrigen Litteratur dieser Art ständige und vielfache Erwähnung findet.“ Witkowski: Walpurgisnacht, S. 23. Balbiani: Della Porta, Giovan Battista. In: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung. Vgl. auch Zambelli, deren Datierung abweicht: White Magic, Black Magic in the European Renaissance, S. 28: „From 1574 to 1580 Della Porta was repeatedly interrogated by inquisitors, and the publication of his writings was prohibited. Jean Bodin, in his Démonomanie des Sorciers (1580) accuses Della Porta of being a ‚poisonous sorcerer‘ [...].“ Balbiani: Della Porta, Giovan Battista. In: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung. Keudell macht folgende Titelangaben: „Dalla Portae, Joannis Baptistae: Magiae naturalis libri 20 [...] Jam de novo [...] in lucem prodierunt [...] Francofurti 1607 [!]“, „Dalla Portae, Joannes Baptista: Magiae naturalis sive de miraculis rerum naturalium libri 3 [...] Lugduni 1561“, sowie „Dalla Porta, Giovanni Battista: Magiae naturelle [...] Pouen 1668.“ Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 91. Frankfurter Ausgabe, Abt. II, Bd. 5, S. 99.
7.4 Goethes Quellen zur Hexenthematik
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Im Verzeichnis von Goethes Bibliothek findet sich auch eine der frühen historiographischen Abhandlungen zur Hexenverfolgung aus dem Jahr 1828.207 Sie stammt von dem ambitionierten Amsterdamer Stadtarchivar Jacobus Scheltema, der hinsichtlich der Zahlen von Verfolgungsopfern – bei Historikern dieser Zeit geschah das nicht selten – zu hoch griff.208 Zwar ist das Buch, wie etwa 10 % der Bücher in Goethes Bibliothek unaufgeschnitten,209 es enthält jedoch eine Widmung des Autors; vielleicht war der Inhalt Goethe durch andere Mitteilung nicht unbekannt. In seinen Briefen ist belegt, dass er sich nach dem Autor Scheltema erkundigte.210 In den Kommentaren und Interpretationen zur Hexenthematik des „Faust“ ist mir bisher keine Bemerkung zu diesem Buch bekannt. Es dokumentiert jedoch einen Diskurs in Goethes Zeit, der wiederum wahrscheinlich Einfluss auf hexenbezogene Aussagen im „Faust“ hatte. Goethe interessierte sich schon früh für im weiteren Sinne „magische“ Künste, etwa die Alchemie. Er beschäftigte sich in diesem Zusammenhang zum Beispiel mit Paracelsus und Agrippa von Nettesheim. Diese Interessen wurden in der Sekundärliteratur oft betont und in vielen Studien dargelegt, die schon unter Punkt 2.1.4 teilweise vorgestellt wurden. Immer wieder wird auf das alchemistische Vorstellungen ausbreitende Buch „Opus mago-cabbalisticum et theosophicum“ von Georg von Welling211 verwiesen, das sich in der Ausgabe von 1760 in
Ruppert: Goethes Bibliothek, S. 422 verzeichnet: Scheltema, Jacob[us]: Geschiedenis der heksenprocessen, eene bijdrage tot den roem des vaderlands. Haarlem: V. Loosjes 1828. 2 Bl., HVI, 313, 101S., 3 Bl. Kart. Mit hs. Widmung: „V.C.J.W. von Göthe m.a. JScheltema“ u.e. losen Octoavblatt hs. Zusätze. Unaufgeschnitten. Vgl. Behringer: Neun Millionen Hexen. Vgl. Höppner: Goethes Bibliothek, S. 255. Höppner betont ebenda, es dürfe mit Blick auf unaufgeschnittene Bände nicht einfach geschlossen werden, dass Goethe sie nicht gelesen habe: „Ebenso gut kann er sie in einem anderen Exemplar gelesen haben, das er aus der herzoglichen Bibliothek oder anderswo auslieh; es kann weitere, aufgeschnittene Exemplare gegeben haben, die nicht mehr erhalten sind [...]“. Vgl. Höppner / Trenkmann: Goethe Bibliothek Online S. 249: „Erst durch die gemeinsame Erschließung wird deutlich, dass Goethe einige Dutzend Bände sowohl selbst besaß als auch aus der herzoglichen Bibliothek auslieh; in manchen dieser Fälle ist das eigene Exemplar unaufgeschnitten. Das heißt, unaufgeschnittene Bände deuten nicht immer darauf hin, dass ein Buch bei Goethe auf Desinteresse stieß.“ Brief an Friedrich Wilhelm Riemer vom 13. Mai 1830. Weimarer Ausgabe, Abt. IV, Bd. 47, S. 60 f. Vgl. differenziert hierzu etwa Priesner: Alchemie (2010), S. 184–186.
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der Bibliothek von Goethes Vater befand212 und das Goethe in „Dichtung und Wahrheit“ als „dunkel und unverständlich“ bezeichnet.213 In der Sekundärliteratur fällt mit Blick auf Goethes Interesse an „magischen“ Wissenschaften insgesamt ein immenses Ungleichgewicht auf: als Theorien werden Magievorstellungen sehr häufig thematisiert, auch ihre antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wurzeln. Ganz anders die reale Seite dieser Vorstellungen: ihre strafrechtlichen Konsequenzen werden ebenso vernachlässigt214 wie der Kontext realer Zaubereiprozesse, in dem viele Autoren magiebezogener Literatur sich bewegten. Nicht lange vor Goethe war die Ausübung mancher magiegeprägter „Geheimwissenschaften“ noch mit der Todesstrafe bedroht. Dies galt durch die Gerichtsordnung Karls V., die „Constitutio Criminalis Carolina“ von 1532, die bis zum Ende des Alten Reiches, also bis in die Goethezeit, subsidiär gegenüber den einzelnen Landesrechten noch weitgehend gültig war, ohnehin für jede Art von vermeintlichem Schadenzauber.215 In der frühneuzeitlichen Strafrechtspraxis wurden aber von vielen Gerichten auch Todesurteile für „Zauberei“ ohne Schädigung anderer Personen ausgesprochen. Vermeintliche „weiße“ und „schwarze“ Magie gingen oft ineinander über; dies führte in vielen Zauberei- und Hexenprozessen zu Hinrichtungen. In der frühen Neuzeit waren auch bestimmte „magische“ Praktiken strafbar, etwa wurden „Wahrsagerei“ oder „Schatzsucherei“ vielerorts mit dem Tode bestraft. Deren Strafbarkeit galt noch lange über Goethes Zeit hinaus, wie der Historiker Wolfgang Behringer berichtet: Unterhalb der Vorwürfe von Hexerei oder Schadenzauber bereitete das weite Feld der Magie – vom Liebeszauber bis zur Wahrsagerei und der Anrufung von Geistern bis hin zum Auffinden verborgener Schätze – den Aufklärern Probleme. Denn in theologischer Hinsicht war Magie aufgrund der augustinischen Superstitionstheorie überhaupt nicht von Zauberei oder Hexerei zu unterscheiden: Alle drei beruhten auf einem Pakt mit dem Teufel und implizierten die Absage an Gott, also Apostasie.216
Georg von Welling: Opus mago-cabbalisticum et theosophicum. darin der Ursprung, Natur, Eigenschaften und Gebrauch des Salzes, Schwefels und Mercurii [...] beschrieben wird. Frankfurt 1760. Götting: Die Bibliothek von Goethes Vater, S. 39. Vgl. zum Beispiel Münchner Ausgabe, Bd. 16, S. 366. Der Wissenschaftshistoriker Claus Priesner verweist – als einer der wenigen – in einer Abhandlung zur Alchemie und Goethes „Faust“ immerhin knapp auf dämonologische Vorstellungen der frühen Neuzeit, die er aber wenig klar, und, wie er selbst einräumt, skizzenhaft präsentiert. Priesner: Alchemie (2010), S. 205–208. Viel deutlicher bringt er den sozialgeschichtlichen Kontext der Hexenverfolgung zur Sprache in seiner 2019 erschienenen Abhandlung „Entgrenzung oder Utopie? Zum Einfluss der Alchemie auf Goethes Interpretation des Faust-Mythos“. Hier nennt er diesen Kontext mit Blick etwa auf Albertus Magnus, Agrippa von Nettesheim und John Dee. Vgl. Eiden: Vom Ketzer- zum Hexenprozeß, S. 57. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 9.
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Diese historischen Umstände sind ein Teil der „magischen“ und „alchemistischen“ Traditionen, die Goethe interessierten217 und die er im „Faust“ verarbeitet. Wahrsagerei und ein magischer Kristall218 kommen in der Szene Vor dem Tor zur Sprache (876–880). Das Thema der Schatzsuche klingt in der Faustfabel traditionell an, etwa in Puppenspielen,219 auch die von Mephistopheles angekündigten Schatzsuchen in den Szenen Straße, Kaiserliche Pfalz, Saal des Thrones und Kaiserliche Pfalz, Lustgarten deuten in diese Richtung. Die Todesstrafe für „Schatzsucherei“, „Wahrsagerei“ und die „magische“ Benutzung von Kristallen wird zum Beispiel bei Carpzov thematisiert.220 Dies geschieht genau in dem Kapitel, aus dem, unmittelbar benachbart, Goethes Exzerpte aus realen Hexenprozessen in den Paralipomena zu „Faust“ stammen. Auch in der Druckfassung der Szene Walpurgisnacht hat Goethe ein Detail, nämlich ein rotes Schnürchen um Gretchens Hals (4203–4205), verwendet, das mit einem Todesurteil gegen einen angeblich teufelsbündnerischen Schatzsucher in Verbindung steht.221 Petra Maisak formuliert die Ansicht, dass Goethes frühe „Vertrautheit mit der ‚faustischen‘ Welt der Hermetik, Alchemie und Magie nicht unterschätzt werden
In seiner Ballade „Der Schatzgräber“ deutet Goethe magische Praktiken und auch einen Teufelspakt des Schatzsuchers an: „Und zu enden meine Schmerzen / Ging ich einen Schatz zu graben, / Meine Seele sollst du haben / Schrieb ich hin mit eignem Blut. / / Und so zog ich Kreis um Kreise, / Stellte wunderbare Flammen / Kraut und Knochenwerk zusammen, / Die Beschwörung war vollbracht [...]“. Münchner Ausgabe, Bd. 4.1, S. 863 f., Zitat hier S. 863. In der durch Pfitzer erweiterten Faustbeschreibung Widmanns, die Goethe in Weimar entliehen hat, wird die schwarzkünstlerische Anwendung von Kristallen ausführlich beschrieben: „Das fuenffte Capitel. / Wie D. Faustus von einem beruehmten Crystall = Seher / den Geist deß Crystalls ueberkommen / wormit [sic] er ihm viel Geld verdienen gemacht / ehe und bevor er noch zur endlichen Beschwoerung deß Satans getretten.“ Georg Rudolf Widmann: Das ärgerliche Leben und schreckliche Ende des viel berüchtigten Ertz-Schwartzkünstlers D. Johannis Fausti [...] vermehrt durch Joh. Nicolaum Pfitzerum [...] Nürnberg 1674, S. 32. Volltext einsehbar unter: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:14-db-id3778435124 [Stand: Juni 2023]. Vgl. zum Beispiel das ältere Literatur verarbeitende Puppenspiel „Doktor Johannes Faust“ von Karl Simrock. Simrock: Puppenspiel, S. 282. Vgl. zu Simrock kritisch Nikolas Immer: Theater, S. 155. Vgl. zum Beispiel Carpzov: Practica, S. 330. Das vermeintliche Teufelszeichen der roten Schnur wird in Franciscis „Höllischem Proteus“ beschrieben. Vgl. Francisci, Erasmus / Schurtz, Cornelius Nicolaus: Der Höllische Proteus / oder Tausendkünstige Versteller. Nürnberg 1690, S. 927. Volltext einsehbar unter: https://mdz-nbn-re solving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10132606-2 [Stand: Juni 2023]. Das entsprechende Kapitel bei Francisci heißt: „Der betriegliche Schatz-Zeiger“: Vgl. ebd., S. 924–927. Francisci verweist im Zusammenhang mit dem Schatzsucher mehrfach ausdrücklich auf Carpzov, in dessen „Practica“ der Fall vorgestellt wird. Vgl. Carpzov: Practica, S. 330.
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darf.“222 Und sie hat Goethes frühe tagebuchartige Aufzeichnungen zusammenfassend betrachtet: Die Ephemerides, die mehrsprachige Lesefrüchte, Exzerpte, Literaturhinweise und Zitate unterschiedlichster Herkunft enthalten, erwähnen u. a. Christian Adams ‚Wahrsagen aus der Hand‘. Daneben stehen Gedanken zur Signaturenlehre: jedes Wesen zeigt durch sein Aussehen an, wozu es zu gebrauchen ist; so verweisen Spinnen, die ein radförmiges Netz machen, auf Zauberei. Einem ausführlichen Paracelsus-Zitat aus De Pestilitate folgt dann der Hinweis auf den Mediziner und Chemiker Hermann Boerhave (1668–1748), der auch in der hermetischen Lehre bewandert war, und auf den alchemistischen Naturforscher Nicolas Léméry (1645–1715). Agrippa von Nettesheim findet Erwähnung, und schließlich vermerkt Goethe noch: „De Abraxis“; er interessiert sich also auch für Amulette mit magischen Zeichen zur Dämonenabwehr.223
Goethe rezipierte auch bedeutende Schriften frühneuzeitlicher Gegner der Hexenverfolgung, die im Folgenden vorgestellt werden. Zwar gibt es oft Grenzfälle in der hexentheoretischen Literatur, Autoren, deren Haltung zur Hexenverfolgung unklar bleibt.224 Aber selbstverständlich ist eine bestmögliche Differenzierung hier unerlässlich. Diese lassen wissenschaftliche Darstellungen von Goethes Quellen oft vermissen, wie nun an einigen Beispielen gezeigt wird. Franz Götting etwa hat die Bibliothek von Goethes Vater beschrieben und manche dort vertretenen Schriften unter „Occulta“ zusammengefasst. 225 Er bewertet sie in fragwürdiger Weise: Ein gewisser Hang für das Abnorme, Deformierte, der rationalen Ordnung sich Entziehende in der Natur und im Menschen ist bei Goethes Vater unverkennbar. Das ist die Kehrseite seiner aufgeklärten und rechnenden Hausväterlichkeit. [...] Aus dem gleichen Hang zum Abstoßenden ließ sich Rat Goethe den Auszug der Prozeßakten der Kindsmörderin Susanne Margarete [sic] Brandt anfertigen. Hinter der zur Schau getragenen Aufgeklärtheit steckt noch die barocke Vorstellungswelt, in der dämonische Kräfte ebenso existent sind wie Naturgesetze. Aus Ludw. T. Lavaters ‚De spectris et lemuribus‘ und Bodins ‚De la Démonomanie des sorciers‘ zog der Sohn noch seine Anregungen zur Faustdichtung. Diese gefährliche Neigung zur dämonisierten Natur finden wir also bereits beim Vater.226
Maisak: Verwandlungen, S. 168 f. Maisak: Verwandlungen, S. 168 f. Stuart Clark hat diese Uneindeutigkeit wie folgt beschrieben: „Wenn man erst anfängt, sich die Argumente näher anzusehen, dann wird es viel schwerer, den Glauben an die Hexerei und Skepsis ihr gegenüber als simple Alternativen zu betrachten oder gar einzelne Autoren mit Bestimmtheit als Gegner der Hexenverfolgung zu identifizieren.“ Clark: Glaube und Skepsis, S. 15. Götting: Bibliothek von Goethes Vater, S. 39. Götting: Bibliothek von Goethes Vater, S. 68.
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Götting schert hier die Autoren Ludwig Lavater und Jean Bodin über einen Kamm. Während Bodins Traktat jedoch, wie bereits erwähnt, fanatisch zur Hexenjagd aufstachelt, versuchte sein Zeitgenosse Lavater – wenn auch in konfessionell und zeitlich gebundener Weise – gegen manchen Aberglauben einzutreten.227 Die lapidare Nennung beider Werke in einem Atemzug zeigt schon in dieser frühen Darstellung beispielhaft, wie ungenau die dämonologischen Quellen Goethes charakterisiert wurden. Der Bezug zum Thema des „Okkulten“ fällt auch in der späteren Sekundärliteratur und oft bis heute so sehr ins Gewicht, dass eminente Unterschiede der Sichtweisen übersehen werden. Sogar manche eindeutigen Gegner der Hexenverfolgung werden in der Faust-Forschung nicht selten unkommentiert unter Goethes dämonologische Quellen subsumiert, obwohl sie eine ganz andere Intention haben als etwa die fanatischen Traktate von Bodin oder Rémy. Ebenso wie die meisten Dämonologen behandeln auch die Schriften frühneuzeitlicher Verfolgungsgegner, die Goethe rezipiert hat, keineswegs nur die imaginative, sondern natürlich auch die reale Seite der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung. Diese ist oft ihr Hauptthema, die Stoßrichtung ihrer Werke. Dass Goethe den aufklärerischen Juristen Christian Thomasius schätzte, wurde schon unter Punkt 7.3 erläutert. Eher selten wird der gegen Aberglauben und für eine kritische Geschichtsschreibung eintretende Aufklärer Pierre Bayle im Zusammenhang mit Goethes Blick auf die Hexenthematik beachtet; Goethe erwähnt Pierre Bayle häufig in seinen Tagebüchern. Der Jurist Heinrich von Bode, ein Kollege des Christian Thomasius an der Universität Halle, wird als Quelle Goethes von Faustforschern kaum in Betracht gezogen. Es ist zwar nicht belegt, dass Goethe dessen Schriften, die das Thema Hexenverfolgung behandeln, gelesen hat; Bode kritisiert vor allem bestimmte Anwendungen der Folter.228 In Weimar jedoch entlieh Goethe eine von Bodes juristischen Abhandlungen,229 er kannte den Autor also. Auch ist es zwar nicht belegt, aber dennoch nicht unwahrscheinlich, dass Goethe das Werk des namhaften und einflussreichen Juristen Johann Georg Gödelmann230 kannte. Dieser trat 1584 für die Beachtung mäßigender Rechtsvorschriften der „Carolina“ in Hexenprozessen ein und wurde von vielen späteren Kritikern
Moeller: Lavater, Ludwig. In: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung. Gawron: Bode, Heinrich. In: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung. Vgl. etwa Heinrich von Bode: Disputatio Iuridica, De Abusu Et Usu Torturae. Halle / Magdeburg 1697. Bodinus, Heinrich: Diss. inaug. iur. sistens quaestiones aliquot practicas circa ius salinarum Hallense notabilis. Halae Magdeburgica 1706. Vgl. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 22. Johann Georg Gödelmann: De Magis, veneficis et lamiis, recte cognoscendis et puniendis tractatus. Frankfurt a. M. 1584.
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der Hexenprozesse zitiert, die Goethe zum Teil rezipiert hat.231 Übrigens unterschied Gödelmann explizit zwischen „lamiae“, schwermütigen und geistesverwirrten Frauen, die seiner Meinung nach straffrei bleiben sollten, und „veneficae“, teufelsbündnerischen Giftmischerinnen.232 Aus der Weimarer Bibliothek entlieh Goethe die bekannte Schrift „Christliche Erinnerung / An Gewaltige Regenten / und Gewissenhaffte Praedicanten / wie das abschewliche Laster der Hexerey mit Ernst außzurotten / aber in Verfolgung desselbigen auff Cantzeln und in Gerichtsheusern sehr bescheidentlich zu handeln sey“ von Johann Matthäus Meyfart.233 Der Theologe und Rektor der Universität Erfurt hatte, wie viele Gegner der Hexenverfolgung, selbst Hexenprozesse miterlebt234 und schildert das grausame Vorgehen detailliert. Meyfart prangert unter anderem Bereicherung durch Prozesse an, die auch Goethe im „Faust“ als Motiv verarbeitet hat (zum Beispiel in den Versen 10977–11042). Gerade dass Meyfart die Verfolger und ihre Absichten besonders fokussiert, ist eine auffallende Perspektive in seiner Zeit.235 Zwar wird der Autor Meyfart in literaturwissenschaftlichen Aufzählungen von Goethes Quellen zu „Faust“ meist als Gegner der Hexenverfolgung gekennzeichnet,236 mit Blick auf seine Funktion als Quelle Goethes werden jedoch meist keine Rückschlüsse daraus gezogen. Auch Meyfarts Werk wird fast immer lediglich als Anregung für Effekte der Szene Walpurgisnacht betrachtet. Auch verfolgungskritische Schriften wie die Meyfarts setzten sich mit dämonologischen Details auseinander, was ein guter Ansatzpunkt für Kritik sein konnte. Die Argumentation vieler Gegner der Hexenverfolgung, die ebenso wie deren Befürworter oft aufeinander Bezug nahmen, bewegte sich überdies in vielen Fällen innerhalb eines magiegläubigen Weltbildes. Wie bereits angesprochen, wurden auch von manchen Gegnern der Hexenverfolgung weder die Existenz eines Teufels noch die von Hexen und Zauberern infrage gestellt. Vielleicht werden sie heute deshalb in der Faust-Forschung oft undifferenziert zusammen mit dämonologischen Traktaten aufgezählt. Dem Charakter dieser Quellen wird dies aber nicht gerecht. Lorenz / Scharschmidt: Gödelmann, Johann Georg. Vgl. Scholer: Der Hexer war’s, S. 27 f. Nach Keudell entlieh Goethe die Ausgabe Erfurt / Schleusingen 1635. Vgl. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 24. Hambrecht: Meyfart, Johann Matthäus. In: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung. Vgl. hierzu Lehmann: Johann Matthäus Meyfart warnt hexenverfolgende Obrigkeiten vor dem Jüngsten Gericht, besonders S. 229. Schon deutlich durch Witkowski: Walpurgisnacht, S. 29. Völlig undifferenziert aber zählt zum Beispiel Thomas Höffgen Goethes Quellen auf, in seiner rezenten und umfangreichen Dissertation zum Thema „Walpurgisnacht“, obwohl er Witkowski dazu zitiert. Höffgen: Goethes Walpurgisnacht-Trilogie, S. 108–111.
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Als Schwierigkeit mag hinzukommen, dass auch in der historischen Forschung der Widerstand gegen die Hexenverfolgung noch nicht sehr umfassend untersucht wurde.237 Der Kampf gegen die Hexenprozesse, der in manchen hexentheoretischen Quellen Goethes dokumentiert ist, bezog sich häufig auf die Gerichtspraxis. Man kritisierte die Massenhaftigkeit der Hinrichtungen und die Ermordung Unschuldiger im Zuge der Prozesslawinen. Es wurde auch Punkten der dämonologischen Inhalte widersprochen; zum Beispiel zogen manche Autoren die Möglichkeit des Hexenfluges in Zweifel oder diskutierten das Gewicht vermeintlicher Hexen, das in „Wasserproben“ eine Rolle spielte. Manche Verfolgungskritiker brachten aber auch Stützpfeiler des Hexenglaubens ins Wanken, so etwa Balthasar Bekker, der die Existenz von Hexen grundsätzlich infrage stellte.238 Dieser deutsch-niederländische Theologe kann als ein prägnantes Beispiel für die inadäquate Wahrnehmung und Präsentation der Quellen Goethes zur Hexenthematik in der Faust-Forschung dienen. Bekker ist eine oft genannte Quelle Goethes für die Arbeit an der Szene Walpurgisnacht des „Faust“. Goethe hat Bekkers Werk „Die Bezauberte Welt: Oder Eine gründliche Untersuchung Des Allgemeinen Aberglaubens [...]“,239 im Jahr 1693 als deutsche Übersetzung erschienen, aus der Weimarer Bibliothek entliehen.240 Der Dichter erwähnt Bekker auch in seinen Tagebüchern.241 Weil Bekker den Teufels- und Hexenglauben kritisierte, setzte er sich selbst kirchlichen Repressionen aus und wurde, weil er seine Thesen nicht widerrufen wollte, als Prediger abgesetzt. Auch dieser von Goethe rezipierte Autor war also beileibe nicht nur an dämonologischen Vorstellungen interessiert, sondern an der real praktizierten Hexenverfolgung, für deren Bekämpfung er persönliche Bedrängnis in Kauf nahm. Balthasar Bekker war ein wirkmächtiger Kritiker der Hexenprozesse. Auf ihn bezogen sich viele andere Gegner der Verfolgungen, auch
„Der Widerstand gegen die Hexenverfolgung ist praktisch nicht erforscht. Zu sehr hat die häufig nicht-universitären Forscher der Hexen-‚Wahn‘ fasziniert. [...] Auch Christian Thomasius’ Berühmtheit als zweiter großer deutscher Kämpfer gegen die Hexenprozesse ist kein Ergebnis der Forschung. Vielmehr ist er von der Aufklärung zum Überwinder der Hexenlehre hochstilisiert worden.“ Ulbricht, O.: Hermann Witekind, S. 99. Fix: Bekker, Balthasar. Vgl. auch Pott: Aufklärung und Aberglaube, besonders S. 213–217. Der gesamte Titel lautet: Balthasar Bekker: Die Bezauberte Welt: Oder Eine gründliche Untersuchung Des Allgemeinen Aberglaubens / Betreffend / die Arth und das Vermögen / Gewalt und Wirckung Des Satans und der bösen Geister über den Menschen / Und was diese durch derselben Krafft und Gemeinschafft thun: Nebenst des Authoris generale Vorrede über diese seine 4 Bücher ... Aus dem Holländischen nach der letzten vom Authore vermehrten Edition. In die Teutsche Sprache übersetzet. Amsterdam (von Dahlen) 1693. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 43. So im Dezember 1800. Frankfurter Ausgabe, Abt. II, Bd. 5, S. 98.
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zum Beispiel Christian Thomasius. Historiker nennen Bekker einen „gefeierten Anführer einer breiten Bewegung“242; es wird berichtet: „Sein vierbändiges Mammutwerk über Die bezauberte Welt wurde innerhalb weniger Jahre in die europäischen Hauptsprachen übersetzt und diente allen späteren Gegnern der Hexenverfolgungen als wichtigstes Referenzwerk.“243 In der Sekundärliteratur zu Goethes „Faust“ und seinen Paralipomena wird die Bedeutung Bekkers für den Kampf gegen Hexenverfolgung, die in Goethes Werk ja thematisiert wird, jedoch sehr selten erwähnt,244 fast durchgängig wird Bekker nur als Quelle für Hexenphantasien der Szene Walpurgisnacht genannt.245 Sein Werk wird außerdem oft nur mit dem abgekürzten Titel „Die bezauberte Welt“ angeführt, dadurch ist die Intention des Autors dann gänzlich unsichtbar. Der Forschungsstand mit Blick auf Goethes Quellen zur Hexenthematik lässt sich wie folgt resümieren: Mit Blick auf die hexentheoretischen Quellen Goethes widmete sich die Forschung zu Goethes „Faust“ bisher fast ausschließlich deren Phantasien und Ängsten. Einige dämonologische Details aus Goethes Werk wurden schon bestimmten Quellen zugeordnet, wenn auch hier noch Forschungsbedarf besteht. Aufgrund der gegenseitigen Zitierungen vieler frühneuzeitlicher Autoren untereinander werden sich viele Details allerdings nicht mit letzter Sicherheit Vorlagen zuordnen lassen. Man diskutierte in der Faust-Forschung etwa die Fragen: Wie läuft eine Walpurgisnacht ab? Welche Details, beispielsweise der Satanshuldigung, können bestimmten Quellen zugeordnet werden? Die Literaturwissenschaft blickte also aufmerksam auf die Phantasien der Dämonologen, die tatsächlich oft literarisch-ausschweifend gerieten. Allerdings blieben sie in der frühen Neuzeit nicht Phantasie, sie wurden in reale massenhafte Hexenverfolgungen umgesetzt und als solche beschrieben. Auch diese historische Wirklichkeit prägt Goethes „Faust“ und wird im Drama vielfach thematisiert, wie im Folgenden an vielen Beispielen deutlich werden wird. Die dämonologisch untermauerten Verfolgungen werden jedoch in der Forschung zu
Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 406. Behringer / Opitz-Belakhal: Hexenkinder – Kinderbanden – Straßenkinder, S. 33. Ausnahmen sind etwa die Darstellungen von Alwin Binder: Faustische Welt, S. 353–355, von Maximilian Bergengruen: Goethes und Fausts ‚Erste Walpurgisnacht‘, S. 286 f. und von Alexander Rost: Hexenversammlung, S. 138 f., der Bekker sogar als „Antidämonologe“ bezeichnet, ebd., S. 626. Georg Witkowski erwähnt immerhin Bekkers aufklärerische Haltung und sieht Einflüsse der Quelle vor allem mit Blick auf Details außerhalb der Szene Walpurgisnacht, allerdings geht es dabei nicht um das Thema der Hexenverfolgung. Vgl. Witkowski: Die Walpurgisnacht, S. 20–23. Beispielhaft für viele andere sei hier auf Ulrich Gaiers Kommentar verwiesen. Er bemerkt über Bekker in einem Atemzug mit dämonologischer Literatur, Goethe habe „ab Mitte Februar 1801 eine ganze Reihe solcher Werke ausgeliehen, um die dort gesammelten Scheußlichkeiten für seine satanische Herrlichkeit zu benutzen.“ Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 453.
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Goethes „Faust“ – mit wenigen Ausnahmen – nur selten und dann nur kurz angesprochen. Dämonologen waren, wie schon geschildert, oft persönlich in der realen Hexenverfolgung tätig. Schon durch diese Biographien erscheinen die theoretischen Hexereikonstrukte mit den Hexenprozessen eng verknüpft; ebenso durch die gängige Rechtspraxis: „Geständnisse“ angeblicher Hexen und Hexer wurden durch stereotype Abfragen meist unter der Folter erzwungen. Dabei legte man dämonologische Abhandlungen en detail zugrunde. Die erpressten Aussagen wiederum flossen in andere dämonologische Abhandlungen ein. Die „Geständnisse“ der angeblichen Hexer und Hexen verlas man vor den Hinrichtungen öffentlich, was zur Bekanntheit der dämonologischen Inhalte und zu deren vermeintlicher Bestätigung beitrug. Diese Verbreitung hexentheoretischer Kenntnisse ist noch für die Rezeption späterer Literatur wie Goethes „Faust“ von Bedeutung. Auch die Schriften der frühneuzeitlichen Verfolgungsgegner, die Goethe rezipiert hat, behandeln, wie gezeigt werden konnte, natürlich keineswegs nur die imaginäre, sondern auch die reale Seite der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung. Diese verfolgungskritischen Autoren sind in der Forschung jedoch oft lapidar unter Goethes dämonologische Quellen subsumiert worden. Ein Vergleich zur literaturwissenschaftlichen Untersuchung diverser jüngerer Verfolgungsszenarien drängt sich hier auf. Es ist in solchen anderen Zusammenhängen selbstverständlich als wichtig anerkannt, Literatur, die zu Verfolgungen aufstachelt, und hetzerische Propaganda von schriftlichen Quellen des Widerstands und wissenschaftlichen Analysen so differenziert wie möglich abzugrenzen, selbst wenn es sich um eine knappe Aufzählung handelt. Auch prägnante Viten bekannter Verfasser dieser Quellen gehören berücksichtigt. Mit Blick auf die frühneuzeitliche Hexenthematik wird man dieser wissenschaftlichen Verantwortung in der Goethe-Forschung nicht gerecht.246 Abschließend speziell zu diesem Kapitel stellt sich die Frage: Warum sind die Annäherungen an Goethes Quellen auch jenseits der Philologie wichtig? Sie sind ein Gedenkstein für die Opfer der Verbrechen aus „der Zeit der Verzweiflung“.247 Und ihre Untersuchung ist ein Memento gegen das Vergessen dieses spezifischen Grauens. Es war existent, es ist – bedenkt man zeitgenössische Hexenverfolgungen in vielen Teilen der Welt – in neuer Gestalt wieder existent und kann es immer wieder sein. Auch deshalb muss die alte Gestalt genau untersucht und beschrieben werden.
Ob hier nur der zeitliche Abstand zur Hexenverfolgung eine Rolle spielt oder auch Verdrängungsmechanismen, wird in den Kapiteln 10.2–10.3 erwogen. Michelet: Die Hexe, S. 23.
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7.5 Goethes Exzerpte aus Quellen zu realen Hexenprozessen Es häte der Teuffel nachfolgender Reden sich gegen ihr gebraucht / wann Sie sich gegen ihme mit ihrem Blute vorschreiben würde / alsdenn wolte er Sie holen / unnd in der Lufft herumb führen / ihr auch sechs Jahr lang gewesen / unnd was Sie begehren und fürnehmen würde / solte Sie alles erlangen / und ihr glücklichen fortgehen [...].248
Goethe hat für seine Arbeit am „Faust“ Aussagen von Hexenprozessopfern, viele unter der Folter erpresst, exzerpiert und in seinen Entwürfen konserviert. Diese Aussagen haben erstaunliche Parallelen zu vielen verschiedenen Szenen im Drama. Einige Entsprechungen werden in diesem Kapitel einleitend und resümierend vorgestellt, im Detail und themenbezogen dann in den Analysen in Kapitel 8. Benedict Carpzov, der als Quelle Goethes schon unter Punkt 7.3 vorgestellt wurde, hat die Aussagen von Hexenprozessopfern in seiner 1635 sowie in späteren Auflagen erschienenen Abhandlung „Practica nova Imperialis Saxonica rerum criminalium“249 (Abb. 6) wiedergegeben. Anne Bohnenkamp hat in ihrer Untersuchung der Paralipomena zu „Faust“ nachgewiesen, dass Goethes direkte Vorlage für seine Notizen die „Practica“ Carpzovs gewesen sein müssen, und nicht zum Beispiel die nach Carpzov zitierten Stellen bei Johannes Praetorius, wie vielfach angenommen wurde. Denn Goethes Exzerpte sind näher am Text Carpzovs. Die von Goethe rezipierten Akten entstammen einer relativ kleinen Auswahl von Carpzov, dieser hat sie auf wenigen Seiten seiner „Practica“ zitiert. Es ist anzunehmen, dass Goethe die überschaubare Passage ganz gelesen hat. Carpzov listet viele in Hexenprozessen stereotype Aussagen auf. Sie zeigen durch ihre zahlreichen Parallelstellen in Goethes Drama die Nähe des „Faust“ zur Thematik der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung. Man könnte natürlich auch Parallelen zu anderen Hexenprozessakten finden; die von Carpzov zitierten Aussagen sind allerdings aufgrund Goethes offensichtlicher Kenntnis der Texte besonders gewichtige Indizien für das Wissen des Dichters um die historische Hexenverfolgung. Zunächst seien Goethes Auszüge aus den Hexenprozessakten wiedergegeben, die er in den Entwürfen zu „Faust“ verwahrte:250
Von Carpzov wiedergegebene Aussage der als Hexe beschuldigten M. P., vgl. Carpzov: Practica, S. 342. Hier zitierte Ausgabe: Benedict Carpzov: Practica nova imperialis Saxonica rerum criminalium, Pars I. Frankfurt / Wittenberg 1652. Zu Carpzov als vermuteter Quelle Goethes vgl. schon den Kommentar von Erich Schmidt in der Weimarer Ausgabe, Abt. I, Bd. 14, S. 296–300. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 559 f.
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Abb. 6: Benedict Carpzov: Practica nova Imperialis Saxonica rerum criminalium, 1652. Bild: Universitätsbibliothek Trier (Foto A.U.)
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Juncker der böse Feind Weisse Würmer, schwarze Köpfe Schwarz Kleid rother Federbusch gelbe rothe Strümpf Eselsfus. Blauen Hut roth und weiss Strüpplen Im Thume Steht die Rosenblume Sie ist weder Braun noch fahl so müssen die Huffdinger verstauben und zerfahren Und kommen Margrethen ins Teufels nahmen an. 3 pf. Lohn. Böse Dinger Wolle er ihr den Hals brechen Begiessen, anspeyen, anblasen Die Pfoten Esels Pferde fus lange Nägel Rauhe Latschen Fahrt auf den Blocksberg Kuchen getanzt. Der Alf Hinckepinck. Tauft d. P. W. 33 bringt dessen Frau um. Die Elben zu bringen und abnehmen. Gar rauh und nicht gros ist Juncker, sein thun sehr kalt Werck Hadern Zaubrisch Geschoss von Gänsefedern u Stecknadeln in ein schwarzes Lederlein gebunden. / Weiser Dornbusch drey gelbe Stecknadeln. Du hast mich geschossen ich schiese dich wieder ins Teufels nahmen Pulver aus einem Todtenkopf und Erde aus dem Grabe. in die Häuser gestreut. Juncker als ein schwarzes Mängen wie ein Esel gros. Er habe ihr nichts gelernt als die Leute verderben Sein Thun währt eine halbe Stunde wohl ganze Stunde hat ein Ding wie ein esel gros auch wie ein kalt hörnchen Zwey Kinder gestaltet wie der böse Volant Wetter machen Die Leute blenden daß sie nicht in Verhafft genommen würden Elben gute Kinder reisende gute Kinder fahrende Dinger Gute Holden. Weisgelb ein Paar schwarze Flügel dazu
In der Faust-Forschung werden diese bei Carpzov exzerpierten Textstellen, falls sie überhaupt berücksichtigt sind, fast immer losgelöst von ihrem Kontext untersucht. Sichtbar wird dies schon dadurch, dass man die Vorlage zwar buchstabengenau mit Goethes Notizen abglich, dass aber wesentliche Teile der Prozessakten, aus
7.5 Goethes Exzerpte aus Quellen zu realen Hexenprozessen
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denen diese Auszüge stammen, weder wiedergegeben251 noch zu Faust-Studien hinzugezogen wurden – nur weil Goethe sie nicht abgeschrieben hat. Unmittelbar benachbart, manchmal sogar zwischen den von Goethe exzerpierten Stellen einer Seite (also sicher von ihm gelesen), finden sich in Carpzovs Vorlage Details, die Motiven in Goethes „Faust“ frappierend ähneln. Man lese als ein erstes Beispiel folgende Aussage eines der zitierten Hexenprozessopfer, die sofort an Faust denken lässt und unter Punkt 8.2.1 nochmal besprochen wird: So möchte er deßwegen daß er in Vorgessung seines Christlichen Glaubens mit dem Teuffel Vorbündenis auffgerichtet / sich mit seinem eigenen Blute gegen ihn vorschrieben / mit demselben umbgangen / ihn angeruffen / sich und seine Seele ihme ergeben / auch den Todtenkopff / den er in deß Teufels Nahmen an die Wand gehangen / und also durch Zauberey zu wege gebracht / daß viel Leute gestorben / auch durch das böse Pulver / so er Leuten vorsetzlichen eingegeben / etliche getödtet [...].252
Die mangelnde Beachtung der Carpzovschen „Practica“ durch die Forschung ist verblüffend. Vor allem dann, wenn man wieder das schon beschriebene Missverhältnis bedenkt: Im Gegensatz zu Carpzovs Abhandlung wurden viele andere Bücher, etwa aus dem „magisch-alchemistischen“ Bereich, in der Faust-Forschung gründlichst untersucht und als Quellen Goethes detailliert diskutiert – obwohl aus ihnen keine Exzerpte Goethes überliefert sind und sie nur vielleicht und unbeweisbar als Quellen für seinen „Faust“ infrage kommen. Goethes Notizen aus den Hexenprozessen sind nicht sicher datierbar, doch geht die Faust-Forschung überwiegend davon aus, dass Goethe sie im Zusammenhang mit der Arbeit an der Szene Walpurgisnacht erstellte.253 Diese Annahme wird kaum je in Frage gestellt, so schreibt zum Beispiel Bohnenkamp: „Die auf H P27 exzerpierten Notizen hat Goethe für die Ausführung der Szene schließlich nicht direkt herangezogen.“254 Die vielen anderen Parallelstellen in anderen Szenen des „Faust“ erwähnt sie nicht. Die Zusammenhänge, in denen Carpzovs Texte stehen, werden auch von fast allen ausführlichen Interpretationen ignoriert. Bohnenkamps folgende Einschätzung ist symptomatisch für den Blick der Faust-Forschung auf diese Quellen:
Diesen Missstand deutete Schöne schon 1982 knapp an, er verwies auf „die von Witkowski [...] notierten Titel und Parallelstellen, die sich freilich auf handfest wörtliche oder motivische Entsprechungen beschränken und, gut positivistisch, vieles Wichtige dabei übergehen.“ Schöne: Götterzeichen (1982): S. 125, Anm. 35. Bis heute sind diese Lücken in der Faust-Forschung nicht geschlossen worden. Carpzov: Practica, S. 341. Vgl. Bohnenkamp: Paralipomena, S. 162. Vgl. Bohnenkamp: Paralipomena, S. 164.
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Der Vergleich mit dem Quellentext läßt die von Goethe hier angewendeten Exzerptprinzipien erkennen: es geht ihm bei der Auswertung der Vorlage nicht darum, größere Zusammenhänge berichteter Fälle festzuhalten; er notiert sich aus dem Zusammenhang gerissene Details sowie einzelne sprachliche Wendungen.255
Die von Bohnenkamp genannten „Exzerptprinzipien“ belegen aber keinesfalls, dass Goethe die Zusammenhänge nicht interessierten und dass ihn nicht auch der Kontext der Notizen inspiriert hätte – durchaus nicht nur für die Gestaltung der Szene Walpurgisnacht, sondern für das gesamte Drama. Sogar Albrecht Schöne, der doch die Hexenverfolgung als Thema der Paralipomena deutlich herausgearbeitet hat, betrachtet Goethes Exzerpte nur als Details und nur mit Blick auf die Szene Walpurgisnacht: Er notiert sich hier Bruchstücke verschiedener Aussagen von ‚überführten‘ Delinquentinnen, interessiert sich dabei für isolierte Details und einzelne sprachliche Wendungen. Doch wurden die exzerpierten Notizen für die Walpurgisnacht-Szene nicht direkt herangezogen.256
Im Folgenden werden einleitend nur einige der Parallelen zwischen den Prozessakten und Goethes „Faust“ skizziert. In den folgenden Kapiteln sind weitere Vergleichsstellen aufgeführt. Alle in meiner Arbeit zitierten Aussagen von Hexenprozessopfern bei Carpzov sind in seiner Schrift innerhalb weniger Seiten wiedergegeben und stehen in unmittelbarer Nähe der von Goethe exzerpierten Stellen. Details der Szene Walpurgisnacht spielen natürlich auch in den Aussagen der Hexenprozessopfer eine Rolle. Dies ist im Falle stereotyper dämonologischer Aussagen nicht überraschend, und immerhin einige werden in Faustkommentaren erwähnt. Mehrmals wird bei Carpzov der Gebrauch von Hexensalbe beschrieben, ebenso der Schadenzauber, von dem auch Goethes Hexen singen. Das „Wetter machen“257 wird genannt und der „Blockersberge“.258 Und sogar der Tanz Mephistopheles und Fausts mit den Hexen ist bei Carpzov als ähnliche Szene nachzulesen (vgl. hierzu Punkt 8.4.2): [...] der alte A.S. wäre auch uffm Blockersberge gewesen / und mit der Teschin so krumb lahm wäre / getanzet und gesprungen / ingleichen auch M.VV. der auch ein Zauberer wäre / und hätte ein Fraw Teuffelin / die hübsch unnd schöne wäre [...].259
Vgl. Bohnenkamp: Paralipomena, S. 164 f. Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 942. Carpzov: Practica, S. 342. Carpzov: Practica, S. 340. Carpzov: Practica, S. 340.
7.5 Goethes Exzerpte aus Quellen zu realen Hexenprozessen
203
Aber selbst auf so prägnante Parallelen der Walpurgisnachtszene fehlt in der Faust-Forschung gewöhnlich dann jeder Hinweis, wenn Goethe nicht wörtliche Exzerpte hinterlassen hat. Mehrere der Hexenprozessopfer in Carpzovs Akten erwähnen, sie hätten Verträge mit dem Teufel mit ihrem Blut unterzeichnet. Dasselbe verlangt Mephistopheles von Faust in der Szene Studierzimmer (II) (vgl. 1714–1737).260 Auch vermerken Prozessakten immer wiederkehrende Teufelsattribute, die so ähnlich auch in Goethes „Faust“ angesprochen werden, zum Beispiel nennen viele Angeklagte die Feder an des Teufels Hut, die auch Mephistopheles in der Szene Studierzimmer (II) trägt (1538), oder das vom Teufel gegebene Geld, das wieder abhanden kommt (vgl. 1679 f.), nämlich „so wider zerschmolzen und wegkommen“.261 Die eher stereotypen imaginativen Details wurden in Hexenprozessen oft durch Fragenkataloge unter der Folter erpresst. Auch die bei Carpzov zitierten Akten dokumentieren die oft mehrmals wiederholte Tortur. Mehr individuelle Elemente enthalten die Schilderungen des Alltagslebens und der Situierung der „Hexen“ in den sozialen Szenerien. Und auch hier finden sich viele Parallelen zu Goethes Drama. So wie Faust durch die Melancholie zum Teufelspakt neigt, geben es ähnlich auch reale Angeklagte in Hexenprozessen zu Protokoll. Etwa berichtet eine Frau, dass „ihr Mann gestorben / unnd sie trawrig auff den Acker“262, woraufhin ihr dann der Teufel erschienen sei. Der Glaubensabfall als Voraussetzung für den Teufelspakt wird in Fausts Monologen zu Beginn des Dramas akzentuiert. Die Beschreibung eines Abfalls von Gott war in Zauberei- und Hexenprozessen üblich. Sie findet sich auch in den von Carpzov zitierten Akten, wo eine Frau etwa berichtet, „daß sie von unserm lieben HErrn Gott abgefallen“.263 Die Stimmung im Umfeld Gretchens ist, wie noch diskutiert werden wird, beherrscht von Angst, Neid, Missgunst, von Bigotterie und strenger sozialer Kon-
An dieser Stelle sind in manchen Faustkommentaren knappe Hinweise auf frühneuzeitliche Teufelspaktvorstellungen zu finden. Etwa bemerkt Alexander Hohlfeld: „Wie die Dinge liegen, hat Goethe hier en passant einer der altehrwürdigen Traditionen des Themas – wie an vielen anderen Stellen auch – seine Reverenz erwiesen.“ Hohlfeld: Pakt und Wette, S. 393. Der Bedeutung der alten Teufelspaktvorstellungen wird Hohlfeld hier aber nicht ausreichend gerecht. Vgl. ebenso das Thema aussparend Hermann J. Weigand: Wetten und Pakt, S. 410. Dass, wie Weigand bemerkt, „das Spiel um Fausts Seele“ zu „den reizvollsten Partien von Goethes ‚Faust‘-Dichtung gehört“, hat zwar mit Goethes neuer Auffassung des Teufelspaktes zu tun, aber dieser Reiz basiert eben auch auf den alten Paktvorstellungen und ihrer Bedrohlichkeit. Carpzov: Practica, S. 340. Carpzov: Practica, S. 339. Carpzov: Practica, S. 337.
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7 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen
trolle. Eine derartige krisenhafte Situation wird in ganz ähnlicher Weise auch immer wieder in Hexenprozessakten beschrieben. Ärger über die Nachbarn, zum Beispiel das Ablehnen einer Bitte, führt angeblich zu Verwünschungen und Schadenzauber. Auch in den bei Carpzov wiedergegebenen Hexenprozessen wurden geringste Anlässe beschrieben, etwa eine Verspätung: „unnd einer Frawen / die Franckelin genandt / welche ihr ein Schwein schlachten sollen / und nicht bald gekommen / darüber sie zornig worden / gewündschet unnd gefluchet / der Teuffel solte sie reissen und plagen“.264 In den von Carpzov gesammelten Prozessakten geht man hinsichtlich des gewünschten Schadenzaubers etwa davon aus, dass „Elben“ oder „fahrende Dinger“ in den Körper der Geschädigten eingebracht werden, die dort Krankheiten auslösen: Hat C. T. in scharffen Fragen bekandt / und außgesagt / daß sie mit dem bösen Feinde Gemeinschafft gehabt / unnd zu etlichen mahlen Unzucht getrieben. Item, daß sie vor dreyen Jahren Matthes Herman zwey paar gute Kinder / wie sie es nennet / oder Elben zugebracht / derowegen / daß er ihr einen Scheffel Korn vorweigert / auch ferner der Hantmanschin zu Denstadt / so ihr ein Schock Flachs versaget / drey paar weisse und schwarze / die reissende guten Kinder genandt / in die Augen gebracht [...].265
Der frühneuzeitliche Alltag ist von Aberglauben geprägt, so wie es auch in Gretchens Umfeld, zum Beispiel in der Szene Vor dem Tor, beschrieben wird. Man glaubt an Wahrsager, fürchtet sie aber als Hexen (877). Die schon beschriebene Nähe von weißer und schwarzer Magie zeigt sich auch in den Quellen Carpzovs, etwa in den Grenzverwischungen zwischen „Segen“ und „Schadenzauber“. Eine Angeklagte sagt aus, daß sie ungefehrlich vor 11. Jahren von einer Weibesperson / die Krauseköppische genandt / einen Segen / dadurch sie Menschen und Viehe die fahrenden Dinger zu und absegnen könte / gelernet.266
Gerade vermeintliche Heilkünste, die im Drama auch Faust durch einen alten Bauern zugeschrieben werden (995–1006), verwandelten sich bei Misserfolgen rasch in Schadenzaubervorwürfe. Faust gibt sich als erfolgloser Heiler für den Tod „Tausender“ die Schuld.267 Er habe ihnen Gift gegeben, wie er in der Szene Vor dem Tor beklagt (1053). Daran erinnert bei Carpzov die schon zitierte Schilde Carpzov: Practica, S. 335. Carpzov: Practica, S. 335. Der Historiker Ronald Füssel hat in seiner Untersuchung der Hexenverfolgung im Thüringer Raum die Imaginationen von „Elben“ und „bösen Dingern“ als typisch für den Norden Thüringens bezeichnet. Sie seien nach heutigem Kenntnisstand beschränkt auf Mitteldeutschland und das weitere Umland des Harzes. Füssel, R.: Von Elben und ‚Bösen Dingern‘. Carpzov: Practica, S. 336. Vgl. hierzu Punkt 8.2.1.
7.5 Goethes Exzerpte aus Quellen zu realen Hexenprozessen
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rung eines Mannes, der als Hexer angeklagt ist und, wie Faust, einen Totenkopf besitzt.268 Er habe zweierlei Pulver verteilt, „gutes“ und „böses“, dadurch habe er etliche getötet. Auch die Nähe von Schadenzauber und Giftmischerei kommt in den Akten zur Sprache, etwa die List, Quecksilber ins Trincken zu schütten.269 In einem Klima des Argwohns und der Denunziation, wie es Gretchens Nachbarin Marthe in der Szene Garten eigens beschreibt, war es lebenswichtig, seinen Ruf zu schützen. Das Thema des „Geredes“, der üblen Nachrede, das auch in der Gretchentragödie überaus bedeutsam ist, kommt in Hexenprozessen gängigerweise zur Sprache, so auch in den von Carpzov angeführten Fällen.270 Schon der Verdacht von deviantem, rufschädigendem Verhalten beeinträchtigte die Stellung einer Person vor Gericht entscheidend. Wenn Valentin also Gretchen in der Szene Nacht als Hur’ (3730) und Metze (3753) bezeichnet, handelt es sich nicht nur um eine private Beschimpfung, sondern um eine Ehrverletzung, die weitreichende Folgen haben konnte. Öffentliche Bezichtigungen als „Hexe“ waren vom Vorwurf normabweichenden Sexualverhaltens oft nicht weit entfernt. Auch die von Carpzov zitierten Aussagen belegen das, etwa wenn eine Angeklagte berichtet, man habe sie „eine alte Hure gescholten“.271 Derartige Beschimpfungen konnten in Hexenprozessen als Indiz gewertet werden. Sehr oft werden in den von Carpzov wiedergegebenen Akten auch Kindsmordvorwürfe und Abtreibungen erwähnt. Sie belegen, wie eng diese mit Hexereivorwürfen in realen Prozessen verknüpft waren.272 Man ging in vielen frühneuzeitlichen Dämonologien davon aus, dass der Teufel mit den Hexen Teufelskinder zeugen könne, die unterschiedlich beschrieben wurden. Bei Carpzov sprechen einige Angeklagte von den schon genannten „Elben“, die sie mit dem Teufel gezeugt hätten. Goethe hat auch aus diesen Passagen Notizen aufbewahrt. Eine Angeklagte schildert dort den angeblichen Verkehr mit dem Teufel: [...] seine Scham oder Glied sey hart unnd kalt gewesen / unnd habe von ihme nach 4. Wochen 5. par böser Dinger gezeuget und geboren / wären wie weisse Würmer gewesen / und hätten schwarze Köpffe gehabt [...].273
Die Frage, inwiefern Gretchens durch den Teufel bewirkte Liebschaft mit Faust Anklänge an eine „Teufelsbuhlschaft“ hat, wird unter Punkt 8.3.1 meiner Arbeit behandelt. Immerhin gab es in der Faust-Forschung schon – losgelöst von jeder Be-
Carpzov: Practica, S. 341. Carpzov: Practica, S. 338. Carpzov: Practica, S. 339. Carpzov: Practica, S. 345. Carpzov: Practica, S. 345. Vgl. hierzu auch Punkt 8.3.3 meiner Arbeit. Carpzov: Practica, S. 344.
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7 Goethes Wissen um die Hexenverfolgung und seine Quellen
zugnahme auf die frühneuzeitlichen Hexentheorien – die These, Gretchen sei, in einem „geistigen“ Sinne, von Mephistopheles schwanger.274 Auch die immer wieder betrachtete Doppelnatur Faust-Mephistopheles, die sich in Inszenierungen als Doppelrolle und in bildlichen Darstellungen etwa als Ähnlichkeit zeigen kann, lädt zu diesen Überlegungen ein. Jedenfalls wäre der Vorwurf einer Teufelsbuhlschaft, assoziiert man einen Hexenprozess gegen Gretchen, vor Gericht wahrscheinlich. Und auch die Art, wie Gretchen ihr Kind tötet, hat Parallelen in realen Hexenprozessen. Ähnlich wie die Dramenfigur sich anklagt: Mein Kind hab’ ich ertränkt. (4508), erscheinen in den Akten Carpzovs mehrmals Aussagen von gefolterten Frauen, sie hätten die mit dem Teufel gezeugten Kinder nach der Geburt ins Wasser geworfen. Zum Beispiel sagt eine der Hexerei Angeklagte, deren Aussagen Goethe zum Teil abgeschrieben hat: Sie haette auch zween Kinder von ihme gezeuget / welche wie der boese Volant gestalt gewesen / dieselbe haette sie auff einmahl zur Welt gebracht / waere aber kein Leben noch Menschliche Gestalt an ihnen zu spueren gewesen / derowegen sie dieselbe in das Wasser geworffen.275
Diese besonders auffällige Parallele wird, wie alle anderen, fast nie erwähnt. Sie wird vielmehr meistens und unbegreiflicherweise, wenn die Quellentexte Carpzovs wiedergegeben werden, mit Auslassungszeichen herausgekürzt. Eine Ausnahme ist der frühe Kommentar von Erich Schmidt in der Weimarer Ausgabe von 1887, der den Kontext der von Goethe exzerpierten Notizen an dieser Stelle nicht herausschneidet.276 Die Übereinstimmungen von Schilderungen aus Hexenprozessen mit Details und Motiven aus Goethes „Faust“ bedeuten natürlich nicht zwangsläufig, dass Goethe diese aus den Prozessakten übernommen hat. Wie sehr die Quellentexte als historische Kontexte aber unterschätzt wurden, zeigt eine Fehlannahme von Robert Petsch, die so ähnlich auch später immer wieder in der Forschung zu Goethes „Faust“ auftaucht: Die Hexenprozeßakten sind voll von anekdotenhaften Zügen über die Verführung und die Zauberkunststücke der unglücklichen Opfer, auch über ihren Pakt mit dem Bösen, aber ein eigentlich menschliches Interesse wohnt ihnen nicht inne, und so haben auch sie die Entwicklung der eigentlichen Magussage nur mittelbar beeinflußt. Immerhin wurde noch Goethes Phantasie bei der Dichtung der Walpurgisnacht dadurch befruchtet.277
Die insgesamt fragwürdige Abhandlung von Wolfgang Neubauer spricht von einer „mephistophelischen ‚Vaterschaft‘“. Neubauer: Das tragische Prisma des Irrtums, S. 67. Carpzov: Practica, S. 342. Vgl. Weimarer Ausgabe, Abt. I, Bd. 14, S. 300. Petsch: Faustsage und Faustdichtung, S. 28 f.
7.5 Goethes Exzerpte aus Quellen zu realen Hexenprozessen
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Die Verflochtenheit von realgeschichtlichen Hexereivorstellungen mit der Literatur wird hier übersehen. Während Petsch ein „menschliches Interesse“ als Thema der Quellen vermisst, wird ihnen heute von der Geschichtswissenschaft gerade ein außergewöhnliches Eindringen in das Denken und die Mentalität der Zeit bescheinigt,278 nicht zuletzt deshalb, weil sie umfangreiche Aussagen der nichtschriftkundigen Bevölkerungsschichten enthalten. Und im Gegensatz zu Petschs einseitiger Zuschreibung, die Hexenprozessakten seien in Goethes „Faust“ nur für die Walpurgisnacht relevant, ist es nachweisbar und wird im Folgenden vertiefend gezeigt, dass sich Goethes Kenntnis derartiger Quellen im gesamten Drama niedergeschlagen hat.
Vgl. zum Beispiel Behringer: Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung, S. 101.
8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung: neue Interpretationen von Goethes „Faust“ Die Betonung von historischer Unmittelbarkeit im Lesen von Stimmungen muss also gewiss nicht gleichgesetzt werden mit historischer, philosophischer oder politischer Naivität. Was das auf Stimmungen ausgerichtete Lesen unterscheidet, ist – in vielen Fällen jedenfalls – eine Ununterscheidbarkeit zwischen ästhetischer und historischer Erfahrung.1
Spuren der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung in Goethes „Faust“ verweisen weniger auf eindeutige Vorgänge als vielmehr auf eine Atmosphäre. Sie durchziehen, oft diffus, das ganze Stück. Das gleiche gilt für dämonologische Elemente, die bisweilen ironisch abgewandelt sind. Ängste und Verfolgungsszenarien wirken im Hintergrund vieler Szenen und tragen zur unheimlichen Faszination des Werkes bei. Ihre subkutane Präsenz gilt es aufzuzeigen, um zu neuen Interpretationen zu gelangen. Goethe selbst sprach von seinem „Faust“ als einem „Hexenproducte“.2 Gewöhnlich wird diese Aussage auf den langjährigen Entstehungsprozess des Werkes bezogen, die Wortwahl ist dennoch auffällig. Auch sprach Goethe von Faust als „Hexenmeister“,3 eine Bezeichnung, die der Dichter zwar in verschiedenen Bedeutungen gebrauchte, die aber mit Blick auf „Zauberer“ typischerweise in Hexenprozessen gegen Männer verwendet wurde. Auch im Drama wird das Wort im Zusammenhang mit Hexenfurcht ausgesprochen (4911 f.) Die Bezeichnungen „Hexenprodukt“ und „Hexenmeister“ spiegeln implizit die Nähe des Dramas zur Hexenthematik. Im Folgenden fokussiert meine Analyse bestimmte, bisher wenig beachtete dämonologische Elemente und meistens ignorierte Spuren der historischen Hexenverfolgung in Goethes „Faust“. Zunächst werden die zentralen Figuren Faust und Gretchen hinsichtlich ihrer Prädestination für den Hexereiverdacht betrachtet. Dann werden verschiedene Ebenen des Werkes nacheinander in den Blick genommen. Die Ebene der Phantasiewelten in den Szenen Hexenküche und Walpurgisnacht ist von den dargestellten Menschenwelten zu trennen, etwa von der Welt Gretchens oder dem Hof des Kaisers. Ein Vergleich der verschiedenen überlieferten
Gumbrecht: Stimmungen lesen, S. 27. Brief an den Verleger Johann Friedrich Cotta vom 2. Januar 1799. Vgl. Kuhn: Goethe und Cotta. Briefwechsel, S. 47 f., hier S. 48. Brief an den Verleger Johann Friedrich Cotta vom 25. November 1805. Vgl. Kuhn: Goethe und Cotta. Briefwechsel, S. 132 f., hier S. 133. https://doi.org/10.1515/9783111311258-008
8.1 Figuren im Spannungsfeld der Zeiten
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Fassungen des Dramas ergibt zusätzliche Hinweise auf die Hexenthematik und ihre allmähliche Eliminierung durch Goethe. Blickt man auf Goethes Paralipomena zu „Faust“, so wird, wie bereits erörtert, besonders deutlich, dass Gretchen als Opfer einer Hexenhinrichtung hätte dargestellt werden können. Das Bedrohungsszenario wurde vom Hexenprozess zum Kindsmordfall umkodiert – eine deutungsbedürftige Entscheidung Goethes. Soziale und politische Umstände, die Hexenverfolgungen zuließen oder förderten, spiegeln sich in Goethes „Faust“. Wenn auch die wohl wichtigste Szene der Hexenverbrennung in die Entwürfe verbannt wurde, sind die Spuren des Verfolgungsgeschehens im Werk doch noch prägend vorhanden und sollen im Folgenden vor dem Hintergrund neuerer Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft beleuchtet werden. Deutlich wird im Drama auch die alltägliche Präsenz der Hexenthematik in der frühneuzeitlichen Welt.
8.1 Figuren im Spannungsfeld der Zeiten Im 16. oder 17. Jahrhundert aber hätte man in Gretchens Fall, angesichts der Umstände beim Tod ihrer Mutter und ihres Bruders, entsprechend Artikel 44 der „Carolina“ zweifellos „Von zauberey gnugsam anzeygung“ unterstellt [...].4
Über die zeitliche Verortung von Goethes „Faust“, insbesondere des ersten Teils, ist oft diskutiert worden.5 Richard Friedenthal sah Goethes Drama als zeitgenössische Welt Goethes: „Die Welt seines Faust ist keine romantische Reminiszenz aus längst verschollenem Mittelalter, sondern die Welt, in der Goethe geboren und aufgewachsen ist.“6 Georg Pilz formuliert eine Datierung offener: Während sich Wagners ‚Kindermörderin‘, wie sich gezeigt hat, sowohl zeitlich als auch räumlich recht genau fixieren läßt, ist die Gretchentragödie nicht auf eine datierbare Zeit und einen auf der Landkarte auszumachenden Ort festgelegt. Der Fauststoff verweist auf die Zeit des Umbruchs zwischen Mittelalter und Neuzeit, die biographischen und teilweise auch die literarischen Einflüsse – und sie sind ja für die im Fauststoff nicht vorgebildete Gretchenhandlung von großer Bedeutung – weisen ins 18. Jahrhundert, und die symbolische Dimension des Dramas sperrt sich grundsätzlich gegen jede räumliche und zeitliche Festlegung.7
Schöne: Götterzeichen, S. 180. Vgl. zum Spannungsfeld der Zeiten etwa ausführlich Gaier: Goethes Faust-Dichtungen, Bd. 1: Urfaust, besonders S. 10–14. Friedenthal: Goethe. Sein Leben, S. 9. Pilz: Kindesmord-Tragödien, S. 50.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Die meisten Kommentare zu Goethes „Faust“ zeigen aber eine Einigkeit darüber, dass die Handlung des ersten Teils im sechzehnten Jahrhundert angesiedelt ist, was auch der Lebenszeit der historischen Faustgestalt entspricht. Im Drama markant plazierte Knittelverse weisen sprachlich in diese Zeit. Albert Bielschowsky behandelt zwar nicht das Thema Hexenverfolgung, er spricht aber den Zeitbezug klar aus: „Im sechzehnten Jahrhundert hat Faust gelebt und ist der ‚weitbeschreite‘ geworden, dort müssen also auch die Motive für die Fausttragödie zu finden sein.“8 Wenn auch überzeitliche Themen das Werk beherrschen, so haben doch Gretchens und Fausts Tragödien genaue Vorbilder in den frühneuzeitlichen Hexenprozessen. Dies ist kein Widerspruch. Denn Hexenprozesse zeigen diachron zu beobachtende Motive und Abläufe von Menschenverfolgungen. Der frühen Neuzeit zuzuordnen sind in Goethes „Faust“ die Elemente des schon vorgestellten „kumulativen Hexereideliktes“. Man definierte „Hexerei“ als aus mehreren Komponenten bestehend: Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft, Luftfahrt, Teilnahme am „Hexensabbat“ und Schadenzauber. Alle Elemente dieses rechtshistorisch wirksamen kumulativen Hexereideliktes sind im Drama vorhanden und prägen es. Dem Moment des Teufelspaktes zwischen Faust und Mephistopheles folgen der „Hexenflug“ und der „Hexensabbat“ auf dem Blocksberg. Hier wird der Beischlaf Fausts mit einer Hexe angedeutet, was der Teufelsbuhlschaft entspräche. Eine dämonisch erwirkte Buhlschaft wird von Faust auch mit Gretchen vollzogen. Daß Gretchens Mutter durch einen Schlaftrunk stirbt, ähnelt dem Motiv des Schadenzaubers.Der Kindsmord schließlich wird in der Dämonologie intensiv erörtert. Gerichtsverhandlungen um dieses Delikt konnten in einen Hexenprozess überführt werden. Hexen wurde zugeschrieben, sie würden Fehlgeburten herbeiführen; man verdächtigte sie, Kinder auszuwechseln oder sie zu stehlen, ebenso Kinderleichen. Diese würden etwa verzehrt, Dämonen geopfert, zu Salbe verarbeitet oder zu Schadenzaubern benutzt (vgl. zur dämonologischen Bedeutung ungetaufter Kinder auch Punkt 8.3.10). Die dämonologischen Theorien mündeten in Handlungsanweisungen zur realen Verfolgung. Beispielhaft zeigt sich die Umsetzung der Hexenphantasien in einem Fragenkatalog aus dem Jahr 1590, der in der Geschichtswissenschaft oft zitiert wird, zum Beispiel hat ihn Wolfgang Schild zusammengefasst: Dieser „elaborierte“ Hexereibegriff blieb nicht nur Theorie, sondern ging in das Frageschema ein, das den Verdächtig(t)en vorgehalten wurde und dessen Antworten erfoltert wurden. Bekannt ist das Fragstuckh auf alle Articul, in welchen Hexen vnd vnholden auf das allerbequemist möge Examinirt werden, das 1590 in Kelheim verwendet wurde. Es gab
Bielschowsky: Goethe, Bd. 2, S. 592.
8.2 Die Figur Faust
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Fragen „circa Confessionem“, „circa punctum malefactorum“, „circa sacrilegia“, „circa punctum: Ausfahren“, „circa puncta: Keller, Cammer vmd stell fahren“, „circa punctum: Khinder ausgraben“, „circa puncta: wetter, reiffen, vnd Nebel machen“, „adoratio Diaboli“, „mixtura carnalis“ (also über die Einzelheiten des geschlechtlichen Verkehrs mit dem Teufel), „morbi incurabilis“ (Krankheitszauber), „discordiua inter conjuges“ (Erzeugen von Ehestreitigkeiten). Zusätzlich wurde immer auch „circa Complices“ gefragt, was die Verfolgung erweiterte [...]. Die erfolterten Antworten – bis hin zur Eiseskälte des teuflischen Penis – verifizierten den Begriff und machten ihn glaubwürdig(er).9
Wie fasslich Goethes Drama diese Imaginationen und ihre Auswirkungen in Rechtspraxis und Alltagsleben zeigt, wird schon mit Blick auf die Figuren Faust und Gretchen klar.
8.2 Die Figur Faust Man spricht / Ein Vnhold vnnd Zauberer werden ein Jahr nicht vmb drey Heller reicher / das widerfuhr dem Doctori Fausto auch / die Verheissung war groß mit seinem Geist / aber viel erlogen ding [...].10
Die Bezüge der Dramenfigur Faust zur historischen Faustgestalt sowie Parallelen zu anderen historischen Personen, etwa Agrippa von Nettesheim oder Paracelsus, wurden bereits unter Punkt 6.3 angesprochen, auch die Verstrickung dieser historischen Personen, die sich der „magia naturalis“ widmeten, in Ketzerei- und Hexereivorwürfe. Diese belegen die Nähe von „weißer“ und „schwarzer Magie“ und deren schillernde Bewertungen in der Rechtspraxis, die durchaus gefährlich werden konnten. Heute werden die fließenden Grenzen zwischen damals erlaubter und verbotener „Magie“ oft übersehen oder sogar bestritten. Ulrich Gaiers Frage: „Was bringt Goethe dazu, der Magie in seiner Menschheitstragödie einen solchen Stellenwert beizumessen?“11 ist nicht allein durch die breit untersuchte Geistesgeschichte der abstrakten „Geheimwissenschaften“, der Astrologie, Esoterik, Alchemie oder eben Dämonologie, zu beantworten. Auch der konkrete historische Kontext
Schild: Dimensionen, S. 51. Kreutzer / Füssel: Historia, S. 84. Gaier: Magie, S. 6. Ähnliche Überraschung voraussetzend fragt Manfred Beetz: „Warum mutet Goethe einem Publikum nach 1800 noch abergläubische Denk- und Handlungsweisen zu, die historisch auf Weltbilder der Renaissance zurückgehen? Welches wissenschaftliche Interesse können wir den seltsamen Praktiken und Beschwörungen abgewinnen, die für uns heute wohl eher komisch als tragisch wirken? In welchen Erscheinungsformen und Denkmustern, Kontexten und Funktionen begegnen uns esoterische Elemente?“ Beetz: Magie und Esoterik in Goethes Faust I, S. 529.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
drängt in den Blick. Eine Person, die der Dramenfigur Faust ähnelte, wäre in der Realität des 16. Jahrhunderts durch zahlreiche Umstände prädestiniert, in einen Hexereiverdacht zu geraten und angeklagt zu werden. Der Historiker Rolf Schulte hat sich mit männlichen Hexenprozessopfern befasst und kommt zu dem Befund einer auch geschlechtsspezifischen Verdrängung der Erinnerung: Ein Blick auf die Rezeption der historischen Hexenverfolgung zeigt jedoch Erstaunliches: Für zahlreiche Autoren waren männliche Hexen lange Zeit ein bekanntes Phänomen und erst ab einem bestimmten Zeitpunkt verschwanden diese „Hexenmänner“ aus der bewussten Wahrnehmung und dem historiographischen Gedächtnis.12
Dieses Vergessen gilt auch für die literaturwissenschaftliche Wahrnehmung von „Hexenmeistern“ als realgeschichtlichem Phänomen, wie in der Faust-Forschung zu beobachten ist. Nach dämonologischer Vorstellung muss ein Christ gewisse Voraussetzungen haben, um den Teufelspakt einzugehen. Diese Prädisposition, die in Hexenprozessen abgefragt wurden, gibt Goethe seiner Figur Faust mit, wie im Folgenden gezeigt wird. Dass viele dämonologische Elemente im „Faust“ durch Goethe abgewandelt oder distanziert dargestellt sind, ändert nichts an ihrer Präsenz. Es hat in der Rezeption der Hexenthematik aber wahrscheinlich dazu beigetragen, den historischen Kontext zu verdrängen. Faust selbst schlägt den Teufelspakt in Form der in der Faust-Forschung oft interpretierten Wette vor: Werd’ ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! Dann magst Du mich in Fesseln schlagen, Dann will ich gern zu Grunde gehn!. (1699–1702)
Es wird hier deutlich, dass Faust dem Teufel nicht als reines Opfer entgegentritt. Auch die schillernde Gestalt des Mephistopheles hat unzählige neue Facetten. Diese Transformationen stellen große Unterschiede dar zu den Paktvorstellungen, die in Hexenprozessakten beschrieben werden.13 Doch ruht Goethes Variation frühneuzeitlicher Imaginationen eben auf dem Fundament derselben.
Schulte, Ro.: Hexenmeister, S. 214 f. Gerhild Scholz Williams und Alexander Schwarz haben dämonologische Teufelspaktvorstellungen mit literarischen Beispielen aus dem späten 14. bis zum frühen 17. Jahrhundert verglichen, unter anderem mit frühen Verarbeitungen des Fauststoffes. Die Verflochtenheit der Texte wird an den gewählten Beispielen sehr gut verdeutlicht. Vgl. Scholz Williams / Schwarz: Existentielle Vergeblichkeit, besonders S. 109–144.
8.2 Die Figur Faust
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Frank Baron hat die Umformung des Paktes zur Wette als Befreiung beschrieben: Der Pakt blieb im Hintergrund als das schlechte Gewissen der früheren Zeiten. Jahrzehnte nach dem Urfaust-Experiment ersetzte Goethe den Pakt deshalb durch eine Wette. Dieser Verzicht auf einen Pakt bedeutete, dass jene Gerichte und ihre Förderer, die vor dem Faustus des 16. Jahrhunderts warnten, ihn verfolgten und verurteilten, keine vorbestimmten Rahmen setzen könnten. Die Geschichte Fausts könnte nun auf einem freieren Boden entstehen.14
Ein Hexenprozess, der große Ähnlichkeit mit Fausts Verstrickung aufweist und den Goethe eventuell kannte, wurde schon unter Punkt 6.2 vorgestellt: der mit dem Fauststoff verbundene Trierer Prozess gegen Doktor Dietrich Flade. Der ehemalige Stadtschultheiß und Rektor der Trierer Universität, der selbst als Hexenrichter tätig gewesen war, gestand unter der Folter angebliche Glaubenszweifel und Sünden, die ihn dem Teufel ausgeliefert hätten. Weiter bekannte er auf entsprechende Fragen Unkeuschheit, Gier nach zeitlichen Gütern und Wissbegierde. Die Flade betreffenden Vorwürfe entsprechen genau dem Bild, das Goethe von seiner Figur Faust zeichnet: auch dieser hat Glaubenszweifel, ist melancholisch, wissbegierig, sündhaft und mit der Dämonologie vertraut. Die Parallelen Fausts zu dem Bild eines frühneuzeitlichen Hexenmeisters sind so auffällig, dass sie bisweilen losgelöst von konkreten Quellen – als Symbolik – unterstrichen wurden.15 Auch das Ende des Teufelsbündners Faust weckte manchmal Befremden, was wieder auf eine Präsenz dämonologischer Vorstellungen deutet. Teufelsbündnern, die wie Faust ohne Beichte starben, drohte nach dämonologischer Ansicht ein unerlöstes Dasein in der Hölle. Heinrich Heine mokiert sich in den Anmerkungen zu seinem Tanzpoem „Der Doktor Faust“ über das Ende von Goethes Faustfigur: In diesem zweiten Theile befreyt Goethe den Nekromanten aus den Krallen des Teufels, er schickt ihn nicht zur Hölle, sondern läßt ihn triumphirend einziehen ins Himmelreich, unter dem Geleite tanzender Englein, katholischer Amouretten, und das schauerliche Teufelsbündnis, das unsern Vätern so viel haarsträubendes Entsetzen einflößte, endigt wie eine frivole Farce, – ich hätte fast gesagt wie ein Ballet.16
Baron: Der Mythos des faustischen Teufelspakts, S. 278. Alwin Binder verweist zum Beispiel auf die Verbindungen der Faustgestalt zu Hexenimaginationen. Er will die Hexenthematik allerdings symbolisch deuten, interpretiert die historischen Hexenvorstellungen sehr frei und zum Teil anachronistisch. Vgl. etwa Binder: Faustische Welt, S. 374f. Heine: To Lumley, Esqre Director of the Theatre of Her Majesty the queen. Düsseldorfer Ausgabe, Bd. 9, S. 102.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Die Verstrickung der Dramenfigur Faust in die Hexenthematik ist so tief, dass, wie Heines Bemerkung zeigt, die traditionell damit verbundenen Höllenphantasien abgerufen werden.
8.2.1 Faust als Heiler und sein Pakt mit dem Teufel Fragstuckh auf alle Articul, in welchen die Hexen und vnholden auf das allerbequemist möge Examinirt werden [...] XI. morbi incurabiles Wie sie leithen Krankheiten zugesiegt, das sie nit wiederumben gesund sondern noch Krankher vnd Ihnen nimand helfen khönde?17
Faust war, wie schon sein Vater, als Heiler tätig. Er wird zwar deshalb vom Volk verehrt (995–1006), beklagt in der Szene Vor dem Tor aber die Erfolglosigkeit der Heilungsversuche: Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann, [...] Der, in Gesellschaft von Adepten, Sich in die schwarze Küche schloß, Und, nach unendlichen Rezepten, Das Widrige zusammengoß. [...] (1034–1041) Hier war die Arzenei, die Patienten starben, Und niemand fragte: wer genas? So haben wir, mit höllischen Latwergen, In diesen Tälern, diesen Bergen, Weit schlimmer als die Pest getobt. Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben. (1048–1053)
Die Pest ist hier als Bezeichnung verschiedener Seuchen zu verstehen,18 die Latwergen als eingekochte Mittel. Hans Petzsch vermutet in der Szene eine „höchst goethezeitgemäße, wenn auch verschleierte Auseinandersetzung des Dichters, der ja auch ein großer Naturforscher war, mit brennenden medizinischen und seuchentherapeutischen Fragen des ausklingenden 18. Jahrhunderts“.19 Blickt man jedoch in die Zeit der
Frageschema für Hexenprozesse. Der Kelheimer Hexenhammer, S. 57–63. Vgl. hierzu etwa Petzsch: Christoph Wilhelm Hufeland, S. 55 f. Petzsch: Christoph Wilhelm Hufeland, S. 57. Mit Blick auf die höllischen Latwergen verweist Hans Petzsch auf die am Ende des 18. Jahrhunderts aufkommende Kritik am oft lebensgefährlichen Einsatz von Quecksilber als Heilmittel. Petzsch: Christoph Wilhelm Hufeland, S. 55 f. Auch
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historischen Faustgestalt, so überliefern Quellen, wie hoch das Risiko war, nach erfolglosen Heilungsversuchen des Schadenzaubers verdächtigt zu werden. In der Realität der frühen Neuzeit konnten auch plötzliche Heilungen ein Indiz für Hexerei sein. Man ging nämlich davon aus, dass „angehexte“ Krankheiten durch die dafür Verantwortlichen wieder aufgehoben werden konnten. René Girard hat in seiner Studie „Ausstoßung und Verfolgung“ allgemein in derartigen Zuschreibungen eine kulturanthropologische Konstante beobachtet: Hinter den heilenden Göttern stehen immer die Opfer, und sie haben stets etwas Medizinisches an sich. Wie im Falle der Juden werden die Hexen von denen denunziert, die ihre Dienste in Anspruch nehmen. Alle Verfolger schreiben ihren Opfern eine Schädlichkeit zu, die sich ins Positive wenden kann und umgekehrt.20
Heiler befanden sich, ebenso wie Hebammen, in einer Nähe zu Krankheit und Tod. Leicht wurden missglückte Heilungsversuche als bewusste Schädigung ausgelegt.21 Auch Faust bezeichnet seine Arznei als Gift. Zwar mag hier auch die ursprüngliche Bedeutung ‚Gabe‘ als Konnotation anklingen, aber die Bedeutung des Schädlichen ist, auch durch den maskulinen Artikel,22 klarer. Gerade im Zusammenhang mit Zauberei- und Hexenprozessen wird in der Geschichtswissenschaft immer wieder darauf hingewiesen, welche gefährliche Rolle jede Art von Gaben in Zeiten der Hexereiverdächtigungen spielen konnten.23
diskutiert er die ersten Impfungsversuche gegen Pocken, die oft gefährlich verliefen, Petzsch: Christoph Wilhelm Hufeland, S. 54 f. Heinrich Rickert vermutet, wie auch viele spätere Interpreten, Faust spreche von Schäden durch die „alchymistischen Medizinen“, Rickert: Goethes Faust, S. 146. Dustin Lovett sieht Assoziationen eines medizinischen „Establishments“; er stellt in seiner Abhandlung aus dem Jahr 2022 Verbindungen der Geschichte von magischen Traditionen und Medizin dar und stellt Bezüge des Dramas zu Szenarien des Misstrauens gegenüber der Medizin her: „Faust’s snake-oil reproaches are his own, but they are not merely self-reproaches. Clearly, he includes his father among the ‚murderers,‘ but his mention of the ‚society of adepts‘ and description of alchemical procedures in a ‚black laboratory‘ using the mystic-metaphorical language of those adepts expresses an indictment of the whole opaque and magically-inflected medical establishment to which they were party.“ Lovett: Magical Medicin and the Faust Tadition, S. 132. Girard: Ausstoßung und Verfolgung, S. 73. Vgl. Irsigler: Hebammen, Heilerinnen und Hexen, S. 142–153. Vgl. den Kommentar von Erich Trunz: Hamburger Ausgabe, Bd. 3, S. 529. Auch Albrecht Schöne verweist darauf, dass die ursprüngliche Bedeutung von ‚Gabe‘ nicht in maskuliner Form belegt ist. Vgl. Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 239. Ein Beispiel für das Femininum Gift im Sinne von ‚Gabe‘ findet sich im zweiten Teil des „Faust“: Des Kaisers Wort ist groß und sichert jede Gift (10927). Vgl. zum Beispiel Kmec: Hexenprozesse im Herzogtum Luxemburg, S. 109. Vgl. auch Schild: Dimensionen, S. 10. Holger A. Pausch und Jacqueline Doig verweisen in ihrer ausführlichen Betrachtung zum Gretchen verführenden Schmuckkästchen in Goethes „Faust“ zwar nicht auf
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Dämonologische Literatur warnte vor hexischen Geschenken. Lyndal Roper bemerkt zu einem Nördlinger Hexenprozess: Das Wort „Gift“ war im älteren Deutsch wunderbar zweideutig, es bedeutete auch „Gabe“, abgeleitet vom Verb „geben“. [...] Vom Hof bis zum kleinsten Weiler waren Gaben die Währung, mit der Bündnisse geschlossen und Schutzmächte erworben wurden, denn sie verpflichteten den Empfänger und waren Ausdruck der Macht des Gebenden: Nur eine Gegengabe konnte Ausgleich schaffen. Geschenke waren also mehr als bloße Zuwendungen. Wie beim Trojanischen Pferd steckte der Geber in der Gabe und er konnte dem Geschenk eine gefährliche magische Kraft mitgeben.24
Eine Spur dieses Misstrauens gegenüber Geschenken findet sich auch in der Szene Spaziergang in Goethes „Faust“. Mephistopheles berichtet Faust, wie Gretchens Mutter das Schmuckkästchen betrachtet, das der Teufel heimlich in Gretchens Zimmer platziert hatte: Die Mutter kriegt das Ding zu schauen, Gleich fängt’s ihr heimlich an zu grauen: Die Frau hat gar einen feinen Geruch, Schnuffelt immer im Gebetbuch (2815–2818)
Gretchens Mutter übergibt den Schmuck der Kirche. Hexenprozessakten zeugen häufig davon, dass Geschenken schädliche Wirkungen zugeschrieben wurden. Verhexungsphantasien mischten sich dabei oft mit Vergiftungsvorwürfen. Die Nähe von vermeintlichem Schadenzauber und Giftmischerei kommt zum Beispiel auch in den von Carpzov gesammelten Hexenprozessakten zur Sprache, aus denen Goethe Teile exzerpiert hat. Eine wegen Hexerei angeklagte Frau berichtet, sie habe drei Bauern Quecksilber in deren Getränk gemischt: Hat die gefangene V. M. in guten bekandt unnd gestanden / daß sie sich mit ihrer Nachbarin einer mit nahmen Else verglichen / Joachim Vollraden und seinen beyden Söhnen / als sie uff Hansen Böttichers Hofe zu Bolsfeld in der Scheuren getroschen / der Ursachen halber / daß sie ihnen ein wenig Gersten versaget / Quecksilber ins Trincken zu schütten / inmassen auch geschehen / unnd sie das Trincken vor die Scheune gesetzt / dahero Vollrath unnd seine beyde Söhne grosse Leibes beschwerung uberkommen.25
dämonologische Bezüge, aber auf die immense Bedeutung von gefährlichen Geschenken in Märchen. Pausch / Doig: Gift und Gabe, S. 149. Roper: Hexenwahn, S. 17. Carpzov: Practica, S. 338.
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Vor allem gefährlich waren Tränke, die zur Heilung verhelfen sollten, oder auch mit abergläubischen Praktiken vermischte Segnungsversuche.26 Versagten die vermeintlichen Heilmethoden oder Schutzzauber, lag die Vermutung einer Schädlichkeit besonders nahe. In literarischen Verarbeitungen der Hexenverfolgung sind Heilungsversuche, die in Hexereibezichtigungen münden, ein verbreitetes Motiv. So schildert etwa Wilhelm Meinhold in seinem fiktiven Quellen nachempfundenen Roman „Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe“, wie Heilungsversuche an Tieren, die mit abergläubischen Praktiken verknüpft sind, Hexereivorwürfen vorangehen.27 Faust fühlt sich als erfolgloser Heiler für den Tod von „Tausenden“ verantwortlich, denen er das Gift gegeben habe (1053). Ein von Carpzov wiedergegebener Fall aus dem Kontext der Hexenprozesse, die Goethe exzerpiert hat, erinnert an die im Drama anklingende Nähe von Heilung und Vergiftung. Dort berichtet ein als Hexer angeklagter Mann von „gutem“ und „bösem“ Pulver: Er habe zweyerley Pulver zugerichtet / böses und gutes / weme er wol gewolt / habe er das gute gegeben / den andern das böse / er hätte eine böse Drüse vom schwarzten Greger / welcher der erste gewesen / so an der Pest gestorben / genommen unnd gepülvert / und dasselbe unter das böse Pulver gethan / solches mit Laub vermenget / daß es grün außgesehen / und den Leuten hernach eingegeben.28
Weiter schildert dieser Angeklagte, er habe einen Vertrag mit dem Teufel mit Blut unterzeichnet. In frühneuzeitlichen Fragenkatalogen zu Hexenprozessen sind dorthin führende Fragen überliefert: 9. Ob sie schreiben vnd lesen khinde, Vnd ob sie sich dem Teifel verschrieben habe, mit wheme? vnd ob er ihr mit die Hand gefireth und welche? 10. Was sie geschrieben vnd was die Dinten für ein Farb gehabt, wo sie solche genommen, vnd wer die Handschrifft habe?29
Nicht nur dieses übliche Detail, das auch in Carpzovs Akten mehrfach zur Sprache kommt, ähnelt Fausts Pakt (1714–1737). Zwei der angeblichen Hexer in Carpzovs Text geben auch an, einen Totenkopf zu besitzen, Goethe hat Aussagen des
Vgl. zum Beispiel die von Elmar Lorey untersuchten prägnanten Hexereiprozesse im Nassauer Land, in denen magische Praktiken und ihre zunehmende Verurteilung als Teufelsbündnerei eine wichtige Rolle spielten. Lorey: Vom Wolfssegner zum Werwolf. Meinhold: Bernsteinhexe, zum Beispiel S. 82–85. Carpzov: Practica, S. 341. Der Kelheimer Hexenhammer, S. 57. Vgl. etwa auch die Überlegungen zu „Blutunterschriften“ von Rainer Beck, die der Historiker – ausgehend von zahlreichen Verhörprotokollen im Kontext eines Freisinger Kinderhexenprozesses aus dem frühen 18. Jahrhundert – anstellt. Beck: Mäuselmacher, S. 619–637.
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einen exzepiert.30 Dasselbe gilt für Faust, wenn der Schädel hier auch zugleich als typisches Interieur eines Studierzimmers31 und Attribut eines Schwarzkünstlers gelten kann. Faust spricht in der Szene Nacht den Schädel an: Was grinsest du mir hohler Schädel her? (664). Bei Carpzov wird zum Beispiel, wie schon unter Punkt 7.5 zitiert, angegeben: So möchte er deßwegen daß er in Vorgessung seines Christlichen Glaubens mit dem Teuffel Vorbündenis auffgerichtet / sich mit seinem eigenen Blute gegen ihn vorschrieben / mit demselben umbgangen / ihn angeruffen / sich und seine Seele ihme ergeben / auch den Todtenkopff / den er in deß Teufels Nahmen an die Wand gehangen / und also durch Zauberey zu wege gebracht / daß viel Leute gestorben / auch durch das böse Pulver / so er Leuten vorsetzlichen eingegeben / etliche getödtet [...].32
Die Verse der Szene Vor dem Tor, die Faust als Heiler zeichnen, werden in den Faustkommentaren meist ausschließlich und detailliert hinsichtlich der anklingenden alchemistischen Rezepte beleuchtet,33 Fausts Rolle als erfolgloser Heiler wird aber nicht im Zusammenhang mit der Hexenthematik betrachtet. Symptomatisch ist, wie Agnes Bartscherer ganz beiläufig die Vorstellung von Schadenzauber, die mit dem Thema Krankheit eng verbunden war, erwähnt. Sie bringt Goethes Faustfigur mit Paracelsus in Verbindung und verweist auf eine Pestepidemie zu Paracelsus’ beziehungsweise auch des historischen Fausts Lebzeiten. Aber sie führt diesen Gedanken nicht weiter mit Blick auf eine Verstrickung Fausts in die Hexenthematik: Bei den zwei letzten Epidemien ist keine Jahreszahl angegeben; Goethe konnte sich die eine, bei der Zauberinnen viele Tausend Menschen getötet und auch das Vieh infiziert haben sollten, sehr wohl zu Lebzeiten von Hohenheims Vater eingetreten denken.34
Stärker als in der Literaturwissenschaft wurde das Motiv des erfolglosen Heilers von Friedrich Murnau in den Blick genommen. In seinem berühmten Film „Faust. Eine deutsche Volkssage“ aus dem Jahr 1926, der unter Punkt 9.3 vorgestellt wird, ist die Krisensituation während einer Seuche drastisch ausgemalt. Todesangst herrscht in der Bevölkerung. Faust ist vor allem deshalb verzweifelt, weil er als Heiler versagt. Seine Hoffnungslosigkeit wird in Goethes Drama wie in Murnaus
Pulver aus einem Todtenkopf und Erde aus dem Grabe. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 560. Vgl. Carpzov: Practica, S. 343. Vielfach wurde der Schädel als Vanitas-Symbol diskutiert. Valk nennt den Schädel ein Symbol der „Leblosigkeit“ in der von Zerfall gekennzeichneten Umgebung Fausts. Valk: Melancholie, S. 300. Carpzov: Practica, S. 341. Vgl. beispielhaft etwa Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 129–131. Bartscherer: Paracelsus, S. 286.
8.2 Die Figur Faust
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Film als entscheidendes Motiv für den Teufelspakt dargestellt. Goethes Faust berichtet, wie zur Zeit der Seuche aus Hoffnung Trostlosigkeit wird: An Hoffnung reich, im Glauben fest, Mit Tränen, Seufzen, Händeringen Dacht’ ich das Ende jener Pest Vom Herrn des Himmels zu erzwingen. (1026–1029)
Auch Murnaus Faust ringt am Totenbett seiner Patienten die Hände. Vielleicht betont die filmische Interpretation das Motiv des an einer Seuche verzweifelnden Heilers aufgrund seiner Darstellbarkeit im Medium Stummfilm. Murnau geht in den Parallelen zur frühneuzeitlichen Hexenverfolgung aber noch weiter als Goethe: Als Murnaus Faust mit teuflischer Hilfe einige Heilungen gelingen, macht ihn das im Volk verdächtig, er wird als Teufelsbündner bezichtigt und mit dem Tode bedroht.
8.2.2 Melancholie, Verzweiflung und Glaubensabfall als Voraussetzungen für den Teufelspakt Alle Werck der Zauberer haben jhre Krafft vnd Wuerckung / auß dem außtruecklichen oder stillschweigenden Versprechen mit dem laidigen Teuffel / daß der Zauberer allzeit / wann er wil etwas wuercken oder thun / den Teuffel außtruecklich oder stillschweigend zu huelff anruffe / daß er jhme zu solchem seinem Versprechen verholffen sey.35
Eine der Verzweiflung vorausgehende Prädisposition Fausts für den Teufelspakt ist seine Melancholie.36 Schon in frühen literarischen Faustverarbeitungen vor Goethe wird dieser Zusammenhang hergestellt. Melancholie ist nach christlichen Vorstellungen verbunden mit dem Laster der „acedia“,37 dem geistigen Überdruß, und steigert sich zur verzweifelten Hoffnungslosigkeit, der „desperatio“, nach theologischer und ehemals auch nach dämonologischer Vorstellung eine hochgefährliche Sünde. Denn diese Verzweiflung beinhaltet den Zweifel an Gott.
Peter Binsfeld: Tractatus de confessionibus maleficorum et sagarum. Trier 1589, fol. 4. Zu den kulturgeschichtlich weiten Theorien der Melancholie vgl. Georg Mein: Das Subjekt der Trauer. Mein verweist unter anderem auf die ästhetische Theorie von Karl Philipp Moritz, die sich mit der Melancholie beschäftigt: „Die Grundzüge seiner Ästhetik hat Moritz während seiner Italienreise 1786–88 im Beisein Goethes konzipiert, der davon nicht wenig profitiert hat. Die Freundschaft und der ständige Gedankenaustausch mit Goethe, dem er ‚wie ein jüngerer Bruder‘ erschien, bedeuteten zweifellos einen menschlichen und intellektuellen Höhepunkt in seinem aufs Ganze gerechnet doch recht traurigen Leben.“ Mein: Subjekt der Trauer, S. 171. Vgl. hierzu auch Mein: Subjekt der Trauer, S. 166–168 und Valk: Melancholie, S. 309.
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Die Melancholie als ein im 18. Jahrhundert verbreitetes Thema und auch in anderen Werken Goethes prominent38 ist nicht nur ein Interessengebiet der literarischen Anthropologie. Fausts Melancholie und ihr Bild als „Gelehrtenkrankheit“ gehören zu den in der Faust-Forschung am breitesten diskutierten Motiven.39 Melancholie wird auch mit Blick auf Theorien zum Teufelspakt diskutiert, allerdings nur selten im Zusammenhang mit der realen Hexer- und Hexenverfolgung. Vielmehr wird in der Faust-Forschung immer wieder allgemein auf Goethe bekannte „Melancholietraditionen“40 und christliche Theorien verwiesen. So formuliert etwa Jochen Schmidt: Nach dem in der christlichen Tradition und auch in der Faust-Tradition derart fest etablierten, aber nun psychologisch säkularisierten Muster verfällt Faust in dem Moment dem Teufel, in dem er mit seiner Fluchrede das Stadium nihilistischer Verzweiflung und damit den äußersten Grad der Melancholie erreicht hat: Alsbald kommt es zum Abschluß der Wette, durch die auch der Pakt in Kraft tritt.41
Thorsten Valk hat sich allgemein mit Melancholie im Werk Goethes befasst. Er deutet Fausts Verzweiflung wie Schmidt als modernisiertes Melancholiekonzept: Das alte Konzept der diabolischen Melancholie wird von Goethe übernommen, um in säkularisierter und psychologisierter Form Fausts Verbindung mit Mephisto zu motivieren. Daß es just in jenem Augenblick zu Pakt und Wette kommt, da Faust am Tiefpunkt seiner melancholischen (und freilich innerweltlichen) Verzweiflung angelangt ist, entspricht der überlieferten Vorstellung, daß der Teufel nach der Seele des Menschen greife, sobald dieser sein Vertrauen auf Gott verloren habe.42
Wie viele Autoren betont auch Valk die Verbindung der Themen Melancholie und Teufelspakt: Wie konstant über viele Jahrhunderte hinweg die Melancholie als „acedia“ und „tristia de spirituali bono“ mit der Sphäre des Teufels verknüpft, ja sogar als dessen ureigenstes
Thorsten Valk ist der Ansicht: „Goethes literarisches Œvre steht im Zeichen der Melancholie – wie kaum ein anderes Gesamtwerk ist es diesem Thema verpflichtet.“ Valk: Poetische Pathographie, S. 11; Valk untersucht in dieser Abhandlung: „Goethes Werther im Kontext zeitgenössischer Melancholie-Diskurse“. Vgl. zum Kontext goethezeitlicher Heilmethoden und etwa auch zu Goethes Festspiel „Lila“ Reuchlein: Die Heilung des Wahnsinns. Vgl. zur Bedeutung und zum Kontext verschiedener Formen der Melancholie in Goethes Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ Schößler: Lehr- und Wanderjahre, S. 110–131. Vgl. etwa Schmidt, J.: Faust als Melancholiker, S. 125–139. Vgl. auch den kurzen Forschungsüberblick bei Valk: Melancholie, S. 290–295. Zu theologischen Aspekten vgl. besonders Schings: Fausts Verzweiflung. Zum Beispiel Valk: Melancholie, S. 3 oder Schmidt, J.: Goethes Faust, S. 102 f. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 107. Valk: Melancholie, S. 292.
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Werkzeug zur Verführung des Menschen gedeutet wurde, belegt eine Vielzahl theologischer und religiös-therapeutischer Schriften. [...] Die enge Verflechtung der Melancholie mit dem diabolischen Einflußbereich bestimmt nicht nur das Menschenbild der spätantiken und mittelalterlichen Theologen, sondern auch den Gedankenkosmos der Geistlichen im 16. und 17. Jahrhundert.43
Valk erwähnt allerdings, wie es in der Literaturwissenschaft oft zu beobachten ist, nur ganz am Rande die dämonologische Debatte, obwohl die entsprechenden Schriften die am meisten gelesenen Theorien über Teufelsbündnerei beinhalten und in die Realität der Zauberei- und Hexenprozesse übertragen wurden. Auch von Kritikern der Hexenprozesse wurde die Melancholie diskutiert: als eine Konstitution, die abergläubische Einbildungen begünstige.44 Goethes Faustfigur beklagt, ihm sei alle Freud’ entrissen (370). Er will sich mit Gift umbringen, im letzten Moment hält ihn die sinnliche Präsenz der christlichen Kirche davon ab: Glockenklang und Chorgesänge. Gerade der Glockenklang ist nach dämonologischer Vorstellung ein Mittel des Banns gegen teuflische Mächte. Ein Selbstmord spielte nach damaliger Vorstellung die Seele in die Hand dieser Mächte. Der Glockenklang hat in Goethes Drama, wie auch später noch zur Sprache kommt, an vielen Stellen den Charakter des Abwehrzaubers. So gehört die akkustische Präsenz des christlichen Glaubens nicht nur zu den „klassischen Heilmitteln gegen die Melancholie“, als die etwa Jochen Schmidt „die biblische Verkündigung des Heils“ beschreibt,45 auch die „Macht der Musik“,46 „das Festgefühl der Kinderjahre“47 oder eine „Erweichung des Gefühls“48 sind nicht allein die Motive der Szene. Vielmehr spiegelt sich ebenfalls der dämonologische Kontext abergläubischer Rituale in Goethes Drama, auch in der Szene Nacht. Die Vermutung, der Teufel habe einen leichten Zugriff auf melancholische Menschen, ist in Hexenprozessakten oft überliefert,49 die Vorstellung wurde auch in dämonologischen Traktaten und in verfolgungskritischen Schriften diskutiert. Etwa führt Herman Witekind in seinem Buch gegen Hexenverfolgung „Christlich bedencken und erinnerung von Zauberey“50 folgendes aus: Valk: Melancholie, S. 309 f. Zum breiten Diskurs um Melancholie und Aberglauben vgl. Pott: Aufklärung und Aberglaube, S. 267–335. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 103 f. Valk: Melancholie, S. 304. Vischer: Göthe’s Faust, S. 306. Vgl. etwa auch Rickert: Goethes Faust, S. 140. Schings: Fausts Verzweiflung, S. 109. Vgl. hierzu zum Beispiel Behringer: Melancholie und Hexenverfolgung, S. 35–44. Der vollständige Titel des Buches lautet: Christlich bedencken und erinnerung von Zauberey / woher / was und wie vielfältig sie sey / wem sie schaden könne oder nicht: wie diesem laster zu wehren / und die / so damit behafft / zu bekehren / oder auch zu straffen seyn. Heidelberg 1585.
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Es sind nicht allerley Menschen zur zauberey / zu diesem teuffels bund vnd zunfft geschickt / vnd dern fehig [...] sondern er machet sich vnd setzet mit dieser versuchung insonderheit an die / vnd laßen sich damit am allermeist einnemmen die man Melancholicos nennt / das ist / die mit tieffen / schweren gedancken vmgehen / mit jrem stand / habe / vermoegen / gelegenheit nicht vernueget / auff alle wege hefftig trachten nach eim hoehern vnd beßern: oder wie sie sonst ir begirde erfüllen [...].51
So wie die Melancholie Faust erst anfällig für den Teufelspakt macht, schildern es auch reale Angeklagte in Hexenprozessen wie den bei Carpzov aufgeführten. Etwa geben die Hexereiverdächtigen an, dass sie in Trauer wegen eines verstorbenen Ehepartners gewesen seien, und dass ihnen daraufhin der Teufel erschienen sei: Hat die gefangene D. M. in scharffer Frage bekandt / unnd gestanden / daß vor 18. Jahren / wie ihr Mann gestorben / unnd sie trawrig auff den Acker / weil es damit ihrem Wundsch nach nicht forgehen wollen / herumb gangen / der böse Feind in einem schwartzen Kleide unnd rothen Hute zu ihr kommen / und ihr angemuthet / sie solte sich ihme ergeben52
Auch im Trierer Prozess gegen Doktor Dietrich Flade wurde der angebliche Teufelspakt dieses von Zeitgenossen oft mit Faust verglichenen Mannes unter anderem durch seine Trauer um die verstorbene Frau begründet. Er gab im Verhör sinngemäß an: „Als seine Frau und seine Familienangehörigen gestorben seien und er in Trübsal gelebt habe, da habe jemand ihm angeboten, ihn aus der Trübsal zu reißen. Er habe eingewilligt.“53 Lyndal Roper, die Hexenprozesse unter psychologischen Gesichtspunkten betrachtet hat, nennt andere Beispiele der Thematisierung von Verzweiflung als Voraussetzung für den Teufelspakt: „Häufig tritt der Teufel auf den Plan, wenn die Frau verzweifelt ist. Dilge Glaser aus Basel spricht er an, als sie über Selbstmord nachdenkt [...]. Der Ehefrau von Claus am Stein, Kethe, nähert er sich, als sie über ihrer Armut und ihrem Elend brütet [...].“54 Nach Ropers Ansicht spiegelt die damalige Bestrafung von Selbstmördern „eine kulturell stark verwurzelte Abwehrhaltung gegenüber depressiven Seelenzuständen wider. Wer sich in einer schlechten psychischen Verfassung befand, war ein gefundenes Fressen für den Teufel.“55 Mit der Verzweiflung geht nach dämonologischer Vorstellung der Glaubensabfall einher; eines der wichtigsten Motive in Goethes „Faust“. Faust hat seinen
Augustin Lercheimer von Steinfelden: Christlich bedencken vnd erjnnerung von Zauberey, Heidelberg 1585, fol. 5v-6. Volltext einsehbar unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:32-110002045568 [Stand: Juni 2023]. Carpzov: Practica, S. 339. Zenz: Opfer des Hexenwahns, S. 45. Roper: Hexenwahn, S. 133. Roper: Hexenwahn, S. 134.
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christlichen Glauben verloren, und diese Verfassung wiederum gilt nach dämonologischer Vorstellung als Prädestination für den Teufelspakt. Faust spricht in der ersten Szene Nacht diese kausale Abfolge von Verzweiflung und Verführung durch dunkle Mächte aus: Es möchte kein Hund so länger leben! Drum hab’ ich mich der Magie ergeben (376 f.)
Als Faust Kirchengesänge und Glocken hört, bemerkt er: Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube (765). Und auch Gretchen erkennt es klar: Denn du hast kein Christentum. (3468) Es gibt viele weitere Belegstellen, ihre Interpretationen sind zahlreich. Selten aber wird in der Faust-Forschung berücksichtigt, dass der Glaubensabfall als Voraussetzung für den Teufelspakt nicht allein ein theoretisches Konstrukt war. Er handelte sich vielmehr um einen höchst relevanten Vorwurf in der frühneuzeitlichen Rechtspraxis, die sich in Goethes Drama an vielen Stellen spiegelt. In Zauberei- und Hexenprozessen gehörte das Thema zum stereotypen Fragenkatalog. Auch in den von Carpzov zitierten Hexenprozessakten, die Goethe kannte, kommt er zur Sprache. Hat A. H. erstlichen in scharffer Frage / und hernach auch in guten bekandt und ausßgesagt / daß sie von unserm lieben HErrn Gott abgefallen / und nu ins dreysigste Jahr mit dem bösen Feind / so in Mannesgestalt zu ihr kommen / Gemeinschafft gehabt56
Zu Recht hat der Historiker Wolfgang Behringer in einer Abhandlung zum geschichtlichen Zusammenhang von Melancholie und Hexenverfolgung gefordert, diese Realität bei der Gelehrtendiskussion um die Melancholie in den Blick zu nehmen: Neben Kunst und Literatur gab es vielmehr immer auch noch das wirkliche Leben. Die Verhexung oder Besessenheit zahlreicher hochgestellter Personen bis hin zu Kaiser Rudolf II. und seinem Sohn, die Hexenprozesse gegen die Angehörigen Baldes und Keplers zeigen, daß die ganze Hexenthematik in der frühen Neuzeit brandgefährlich war. Das Ausmaß, in dem Juristen und Theologen seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert mit solchen Fragen konfrontiert waren, wird immer noch unterschätzt.57
Carpzov: Practica, S. 337. Behringer: Melancholie und Hexenverfolgung, S. 43.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
8.2.3 Fausts dämonologisches Wissen Nach dem Essen haetten sie mit einander, und zwar ein jeder mit seiner Liebhaberin getantzet, bald aber auf die Seite gegangen, und mit denen Teufeln als ihren vermeynten Liebhabern die Unzucht etiam inversa venere getrieben, in welcher schaendlichen Vermischung sie bald incubos bald succubos vertreten etc.58
Faust, der sich der Magie ergeben (377) hat, zeigt im Drama dämonologisches „Fachwissen“. So hat er Gespür für Geister und den Teufel. Während seinem Famulus Wagner nichts auffällt, ahnt Faust etwa in der Erscheinung des Mephistopheles als Pudel das Teuflische: Und irr’ ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel / Auf seinen Pfaden hinterdrein. (1154 f.) Goethes Bild des Pudels entspricht abergläubischen Vorstellungen. Pudel, früher noch häufig Jagdhunde, galten im Volksaberglauben wie schwarze Hunde überhaupt als Geistertiere und Erscheinungsbild des Teufels.59 Als Faust den Pudel verwandeln will, benutzt er dämonologisches „Fachvokabular“: INCUBUS! INCUBUS! (1290). Nach dämonologischer Vorstellung unterschied man mit den Bezeichnungen „incubi“ und „succubi“ die den Menschen sexuell beiwohnenden „Buhlteufel“ nach ihrer Position, durch den angeblichen Beischlaf mit diesen galt der Teufelspakt als vollzogen. Meist als männlich Gedachte, dem Wortsinn „incubi“ nach „Aufliegende“, besiegelten demnach den Teufelspakt mit Frauen; weibliche „succubi“, „Unterliegende“, vollzogen die Teufelsbuhlschaft mit Männern. In der „Historia von D. Johann Fausten“ begegnen Faust „siben Teuffelische Succubas / die er alle beschlieffe“.60 Der „Hexenhammer“ Heinrich Kramers widmet sich ausführlich diesen Sexualphantasien:61 Über die Weise, wie sie sich den Inkubus-Dämonen unterwerfen. Darin wird auch erörtert, wie sie [die Hexen] von diesen [den Dämonen] vermehrt werden; und ob der Inkubus sich immer mit Aussonderung von Samen der Hexe bemächtigt; und ob mehr zu der einen oder anderen Zeit oder in ähnlicher Weise bezüglich des Ortes; und ob sie sichtbar jene Schweinereien mit größerer oder kleinerer fleischlicher Freude treiben [...].62
Behringer führt dieses Exempel der Dämonologie auf: Theophil Spitzels „Die gebrochene Macht der Finsternüß“, Augsburg 1687. Der Zauberer-Jackl-Prozeß von 1678 bis 1680. Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 427. Vgl. Güntert: Art. Pudel, Sp. 381 f. im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Zur Kritik an dem bis heute umfassendsten Nachschlagewerk zu abergläubischen Vorstellungen vgl. das Vorwort zur 3. Auflage von Christoph Daxelmüller, sowie Behringer: Geschichte der Hexenforschung, S. 543 f. Füssel / Kreutzer: Historia, S. 109. Vgl. zum Einfluss des „Hexenhammers“ auf literarische Bilder von Sexualität Kemper: Zwischen schwarzer Magie und Vergötterung, besonders S. 143–148. Kramer: Hexenhammer, S. 126.
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Albrecht Schöne kritisiert zu Recht, dass als Begründung für den Anruf des Incubus in Goethes „Faust“ wohl kaum der „Reimzwang“ überzeugt.63 Er betont vielmehr die frühneuzeitlich relevante dämonologische Bedeutung des Wortes. Die Erklärungen des „Incubus“ in anderen Kommentaren sind lückenhaft, etwa als „Böser Geist, der sich nachts auf den schlafenden Menschen wälzt“,64 als „der quälende Elementargeist, der Alpträume verursacht“65 oder „Kobold, personifizierte erotische Traumgestalt, Nachtmahr“.66 Diese „Phantasiegestalt“ spielte als Konzept vielmehr eine entscheidende Rolle in realen Hexer- und Hexenprozessen. Sie wurde in verbreiteten dämonologischen Schriften diskutiert und war relevant für eine jahrhundertelange Rechtspraxis von Hinrichtungen. Diese prägnante Konnotation des Wortes „Incubus“ wird in Goethes Drama von manchen Forschern sogar als störend empfunden. Erich Trunz etwa, der „Incubus“ als „Kobold“ erklärt, deutet die naheliegende Dämonologie immerhin an. Sie erscheint ihm jedoch so fern, dass ihn Goethes Wortwahl irritiert: Wie aus den vorigen Versen hervorgeht, ist hier ein Geist der Erde angesprochen. In Vers 1276 heißt er Kobold, denn zum Element der Erde gehören die Kobolde, Zwerge, Wichtelmänner, die mitunter häusliche Hilfe bringen. Dazu paßt aber nicht das Wort Incubus, denn dieses bezeichnet in der Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts den Teufel, der eine Frau verführt, oder auch einen „Alp“ [...].67
Ulrich Gaier bleibt seiner magisch-phantastischen Deutung des Kontextes so verhaftet, dass er Fausts Zauberspruch sogar als „fehlerhaft“ beschreibt: Als Kobolde, die sich mühen, können oben allenfalls die Erd- und Bergmännlein angesprochen sein, die sich um Gesteine und Metalle mühen, nicht aber die Hausgeister, die ‚häusliche Hülfe‘ bringen und die wiederum mit dem höllischen Buhlteufel ‚Incubus‘ nichts zu tun haben. [...] Der zweite Spruch, verglichen mit den Vorgaben des ersten, ist also fehlerhaft und dokumentiert den Verlust der magischen Meisterschaft über die Elemente [...].68
Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 249 f. So vermutet zum Beispiel Heinrich Düntzer: „In der absichtlich leicht behandelten Beschwörungsformel steht das zweitemal des Reimes wegen statt Kobold incubus, mit welchem Namen (aufliegend) jedes männliche Teufelsgespenst, insbesondere der Alp, der Nachtmahr, bezeichnet wird.“ Düntzer: Goethes Faust. Erster Theil, S. 101, Anm. 1. Berliner Ausgabe, Bd. 8, S. 814. Analog erläutert Buchwald: Führer durch Goethes Faustdichtung, S. 345: „ein Geist, der sich im Schlaf auf den Menschen wälzt; Nachtmahr.“ Ganz ähnlich kommentiert Witkowski in der Leidener Ausgabe, Bd. 2, S. 214. Münchner Ausgabe, Bd. 6.1, S. 1006. Beutler: Faust und Urfaust, S. 544. An anderer Stelle kommentiert Beutler: „[...] im Incubus verschmelzen die Vorstellungen eines zwerghaften Erdkobolds mit dem Nachtmahr, der Gestalt des Albtraumes und der Traumerotik.“ Gedenkausgabe, Bd. 5, S. 760. Hamburger Ausgabe, Bd. 3, S. 532. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 216.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Offenbar stört hier den heutigen Betrachter Goethes Bezugnahme auf Begriffe der realgeschichtlich relevanten Dämonologie. Faust aber kennt nicht nur die dämonologischen Bezeichnungen. Er ist auch über den Teufel informiert und weiß zum Beispiel von seinen enttäuschenden Geschenken, die Faust in der Paktszene aufzählt. Sie kommen in verschiedenen Variationen auch in den überlieferten realen Hexenprozessen zur Sprache: Doch hast du Speise die nicht sättigt, hast Du rotes Gold, das ohne Rast, Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt, Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt, Ein Mädchen, das an meiner Brust Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet, Der Ehre schöne Götterlust, Die, wie ein Meteor, verschwindet. Zeig mir die Frucht die fault, eh’ man sie bricht, Und Bäume die sich täglich neu begrünen! (1678–1687)
Diese Zeilen werden in der Sekundärliteratur zu Faust umfangreich diskutiert, auch über einzelne Satzzeichen und ihre bedeutungsändernden Funktionen wurde debattiert. Oft wird allerdings übersehen, oder zumindest nicht erwähnt, dass Goethe diese Zeilen nur zum Teil selbst erfunden hat. Seine Schilderung entspricht nicht nur prägnanten dämonologischen Vorstellungen, sondern auch Details tausender Hexenprozessakten. Zu Recht ist in Interpretationen von einem „Paradoxienkatalog“69 die Rede. Paul Requadt diskutiert „das Paradoxe als Zielpunkt Fausts“,70 der „Zusammenfall der Gegensätze“71 wird beleuchtet. Viele ähnliche Interpretationen könnte man nennen.72 Hans-Jürgen Schings sieht eine „Serie von kopfzerbrecherischen
Radler: Goethes Faust I, S. 71. Werner Hamacher liest eine Substanzlosigkeit der Gaben abstrahierend heraus: Faust insistiere darauf, „daß die Gaben – und zwar nicht nur die des Teufels, sondern alle – substanzlos, scheinhaft, flüchtig, im strengen Sinne also gar keine Gaben und folglich auch nicht austauschfähig sind“. Hamacher, W.: Faust, Geld (Athenäum), S. 133. Requadt: Goethes „Faust I“, S. 153. Buchwald: Führer durch Goethes Faustdichtung, S. 65. Heinrich Rickert leitet aus Fausts Worten ab, dieser verweigere den Verkauf seiner Seele zugunsten irdischer Güter, und Rickert sieht hierin einen fundamentalen Unterschied zur Tradition der Faustsage. Rickert: Goethes Faust, S. 181 f. Auch an anderen Textstellen betont Rickert Fausts inneren Abstand zum traditionellen Teufelsbündner, muss dabei aber auf Widersprüche stoßen: „Daß trotzdem ein Pakt mit Blut unterzeichnet wird, darf uns nicht stören. Ähnliche Unstimmigkeiten finden wir in der ganzen Dichtung.“ Rickert: Goethes Faust, S. 188. Man kann
8.2 Die Figur Faust
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Paradoxa“73 und Victor Lange bemerkt im Kommentar der Münchner GoetheAusgabe: „Faust wünscht sich ein Leben in Paradoxien, den Genuß ständiger Begierde, nicht die Erfüllung. [...] Mephistopheles versteht Faust durchaus [... ]“.74 Doch weder Fausts Beschreibung noch des Teufels „Verstehen“ ist eine Überraschung oder bereitet in der frühen Neuzeit Kopfzerbrechen. Denn es handelt sich um jahrhundertelang überlieferte dämonologische Vorstellungen; dieser Hinweis fehlt in den Kommentaren. Speise die nicht sättigt ist nach dämonologischen Imaginationen Bestandteil des Mahls beim „Hexensabbat“. In den Fragenkatalogen zur Durchführung von Hexenprozessen sind dazu entsprechende Fragen vorgesehen: 9. Was für speisen vor den handt gewesen? 10. Ob sie auch broth vnd Salz gesechen? 11. Was sie zu trinkhen gehabt, vnd auß wem sie getrunkhen vnd in weme man es herfihre? [...] 23. Ob sie von Essennden speisen niehmalen was eingeschoben vnd was? Item, wie ihr die Speisen draußen geschmeckht haben [...]75
Durch die öffentliche Verlesung der erpressten Geständnisse angeblicher Hexer und Hexen wurden die erwarteten Antworten auf diese Fragen immer weiter verbreitet. Gold oder Geld, das in der Hand zerrinnt oder zu Kot wird, gehört nach dämonologischer Vorstellung zu den typischen Geschenken des Teufels. Unzählige der Hexerei Angeklagte haben dieses Phänomen in ihren Aussagen zu Protokoll gegeben. Auch in den von Carpzov zitierten Akten wird das zerrinnende Geld genannt: „[...] das erste mahl hätte er ihr einen Thaler gegeben / so wider zerschmolzen und wegkommen.“ Nach teuflischen Geschenken wurde in Hexenprozessen explizit gefragt: „Was ihr der teufel versprochen vnd was er ihr geben?“76 In derselben dämonologischen Tradition wie Fausts Beschreibung der teuflischen Geschenke steht die Tat des Mephistopheles im zweiten Teil des Dramas, als er wertloses Papiergeld in Umlauf bringt.77 Die Historikerin Lyndal Roper hat die von ihr betrachteten Aussagen in Hexenprozessen zu Versprechungen und Geschenken des Teufels wie folgt zusammengefasst: Rickert entgegenhalten: Dass die Faustfigur facettenreicher als jeder bis dahin beschriebene Teufelsbündner auftritt, ist eben kein Widerspruch zu ihrer dämonologischen Verwurzelung. Schings: Fausts Verzweiflung, S. 120. Münchner Ausgabe, Bd. 6.1, S. 1008. Der Kelheimer Hexenhammer, S. 59. Frageschema für Hexenprozesse. Der Kelheimer Hexenhammer, S. 57. Vgl. hierzu Kapitel 8.6.1.
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Doch die Schilderung lief immer auf dasselbe hinaus. Das Vergnügen endete mit Enttäuschung und Verlust. Der lustvollen Verführung durch den Teufel folgte ein schmerzhafter Geschlechtsverkehr, manchmal sogar eine Vergewaltigung; die Münze, die der Teufel der Hexe zum Ehepfand gab, verfiel zu Laub oder Mist; das Bankett, bei dem auf Silberplatten aufgetragen wurde, sättigte die Feiernden nicht, oder es verwandelte sich in ein abscheuliches kannibalisches Mahl. Der Tanz war wild, die Musik misstönend und schrill, und viele Hexen beschrieben sich selbst als gedemütigte Zuschauer, die zur Einsicht gezwungen waren, dass der Teufel jüngere, hübschere oder reichere Frauen bevorzugte. Ebenso wenig hielt der teuflische Geliebte sein Versprechen, sie aus dem Gefängnis zu befreien.78
Auch literarische Verarbeitungen der Hexenthematik beschreiben die Geschenke des Teufels. Wilhelm Meinhold etwa schildert in seinem Roman „Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe“: Dannenhero bat mein Töchterlein das Gericht mit gen Coserow zu kommen, wo sie annoch vielen Birnstein in ihrem Koffer hätte, so sie allhier gefunden. Denn wär es damit Teufelswerk, so würde selbiger auch wohl verwandelt sein, dieweil sie in Erfahrung gezogen, daß alle Geschenke so der Teufel denen Hexen zu verehren pflege, sich alsobald in Koth oder Kohlen umbwandelten.79
Dämonologische Vorstellungen, in deren Tradition Goethes Motive stehen, spielen auch bei den imaginierten Voraussetzungen des Teufelspaktes eine Rolle: Faust begeht Sünden und seine Teufelsbuhlschaft wird angedeutet.
8.2.4 Sündhaftigkeit und Teufelsbuhlschaft Natur und Geist! So spricht man nicht zu Christen. Deshalb verbrennt man Atheisten, Weil solche Reden höchst gefährlich sind. Natur ist Sünde, Geist ist Teufel, Sie hegen zwischen sich den Zweifel Ihr mißgestaltet Zwitterkind. (4897–4902)80
Dass man den historischen Faust der „Sodomie“ und der „Unzucht mit Knaben“ beschuldigte, woraufhin er wahrscheinlich geflohen ist, wurde unter Punkt 6.3 beschrieben, auch dass Vorwürfe sexueller Vergehen im Zusammenspiel mit
Roper: Hexenwahn, S. 172 f. Meinhold: Bernsteinhexe, S. 138. Rede des Kanzlers in der Szene Kaiserliche Pfalz. Saal des Thrones.
8.2 Die Figur Faust
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Hexereibezichtigungen besonders gefährlich werden konnten.81 Denn Sexual- und Zaubereidelikte wurden in der Vorstellung der frühen Neuzeit oft eng verknüpft. Auch in literarischen Verarbeitungen der Faustfigur spielen verschiedene Vorstellungen von Devianz und Kriminalität eine Rolle. Die Historikerin Lyndal Roper hat die frühe literarische Faustfigur gedeutet: Der Faust des 16. Jahrhunderts hat beträchtliche Ähnlichkeit mit den Teufeln in den Teufelsbüchern. Er hat sich der Todsünden schuldig gemacht: Er schlemmt, er befriedigt seine fleischliche Lust mit jeder Frau, an der er Gefallen findet (der Teufel macht ihn sogar liebenswürdig), und er lästert Gott. Als Gelehrter in Wittenberg angesiedelt, Luthers eigener Universität, ist er eine grauenhafte Warnung vor intellektuellem Hochmut und denjenigen, die aus Wissbegier ihre Seele dem Teufel verkaufen.82
In Goethes Drama werden neben den schon erläuterten Sünden der „desperatio“ und des Glaubensabfalls weitere „Todsünden“83 und „Sünden“ thematisiert. Faust begeht viele, jede einzelne liefert ihn nach dämonologischer Vorstellung dem Teufel aus. So verflucht Faust die christlichen Tugenden,84 begehrt übermenschliches Wissen85 durch „curiositas“ – und weltliche Güter.86 Später ist er bereit, ein falsches Zeugnis über den Tod von Marthes Ehemann abzulegen, er verführt Gretchen zur Unkeuschheit, vergiftet – zumindest versehentlich – ihre Mutter durch einen Schlaftrunk und tötet Valentin. Im „Hexenhammer“ Heinrich Kramers wird die Sündhaftigkeit als Vorausetzung für den Teufelspakt beschrieben: Alle, die so [vom Dämon, A. U.] getäuscht werden, werden als in Todsünden Stehende betrachtet. Er [Cassian] sagt nämlich, wie sich aus den Worten des Antonius ergibt, der Dämon könne keineswegs in die Seele oder den Körper irgendeines [Menschen] eindringen, habe auch keine Macht, sich ins Innerste einer beliebigen Seele einzudrängen, wenn er sie nicht zuerst allen heiligen Gedanken entfremdet, wie auch in geistiger Betrachtung entleert und arm zurückgelassen hat.87
Zu Sexualverbrechen als diachrone stereotype Vorwürfe bei kollektiven Verfolgungen vgl. Girard: Ausstoßung und Verfolgung, S. 27. Roper: Hexenwahn, S. 344. Birgit Stolt liest aus Goethes „Faust“ überzeugend „Goethes Vertrautheit mit der Todsündenlehre“. Stolt: Gretchen, S. 1. Fluch sei dem Balsamsaft der Trauben! / Fluch jener höchsten Liebeshuld! / Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben, / Und Fluch vor allen der Geduld! (1603–1606). Daß ich erkenne, was die Welt / Im Innersten zusammenhält, / Schau’ alle Wirkenskraft und Samen (382–384). Auch hab’ ich weder Gut noch Geld, / Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt; / Es möchte kein Hund so länger leben! (374–376). Kramer: Hexenhammer, S. 423 f.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
„Sünden“ als angebliche Folge des Glaubensabfalls kommen auch in Hexenprozessakten oft zur Sprache. Verwiesen sei hier beispielhaft noch einmal auf den Prozess gegen den als „anderer Faust“ bezeichneten Doktor Dietrich Flade, der unter der Folter sagte, [...] dass er in etlichen puncten deß glaubens haesitirt, in geilheit deß fleischs geratten, unnd unkeuschs worden, dass der geitz unnd begerligkeit zeitlicher gueter bei ime dominirt und geherschet. Auch sei er [...] in melancoley kommen, dass er curiositas sciendi und conatus ad effectum perducendi innen verfurt.88
Die dämonologisch schwerwiegendste Sünde, die „Teufelsbuhlschaft“, angebliche Besiegelung des Teufelspaktes, vollzieht Flade nach seinen erfolterten Angaben mit einer ihm erschienenen jungen Frau. In Goethes Werk bleibt die Teufelsbuhlschaft Fausts ungeklärt. Am deutlichsten wird sie in der Szene Walpurgisnacht assoziiert, als Faust mit der jungen Hexe tanzt.89 Nach Albrecht Schönes Auffassung wird der Vollzug durch Gretchens Erscheinung verhindert. Die Leidende, die Geopferte aber erscheint hier als die Rettende. Ihr Blut springt und löscht das Feuer (194). Und ihre geisterhafte Erscheinung löst Faust in der Walpurgisnacht-Szene aus den Armen der Buhlhexe, bevor die Sabbatrunde übergeht in die geschlechtliche Orgie, mit der man sich dem Satan zu eigen macht; im letzten Augenblick reißt sie den ins Reich des Bösen Eingetretenen dort vom Rand des Verderbens zurück.90
Ob der Beischlaf als vollzogen oder nicht vollzogen interpretiert wird, ändert nichts an der kontextuellen Präsenz dieser dämonologischen Imagination, die Fausts Nähe zum Bild des Hexenmeisters konstituiert. Nicht nur die junge Hexe der Walpurgisnachtszene deutet auf die dämonische Buhlschaft, auch alle anderen Kontakte Fausts zu Frauen91 sind dämonisch erwirkt. Lyndal Roper erwähnt in ihrer geschichtswissenschaftlichen Darstellung zur Hexenverfolgung die Faust-Legende als typisches Beispiel für die Erzählungen über die angebliche Teufelsbuhlschaft männlicher Hexenprozessopfer: Wenn Männer ihre Teufelsbuhlschaften schilderten, wichen sie häufig vom Schema dauerhafter heterosexueller Beziehungen ab. Sie gaben an, der Teufel sei ihnen in Gestalt einer bestimmten Frau aus ihrem Bekanntenkreis erschienen. Auch Frauen behaupteten dies,
Voltmer: superhunt, S. 255, Anm. 137, sie transkribiert hier: Stadtbibliothek Trier Hs. 1533a / 171, fol. 119. Vgl. hierzu Punkt 8.4.2. Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 940 f. Ulrich Port verweist etwa mit Blick auf die Helena-Figur und ihre Präsenz in älteren FaustDichtungen auf die Möglichkeit, sie als verhängnisvollen „succubus“ zu deuten. Port: Weibliche Schönheit als Phantasma, S. 158 f.
8.3 Die Figur Gretchen
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doch bei Männern war es weitaus üblicher. Ihre Schilderungen stimmten mit den Konventionen der Faust-Legende überein, in der Faust vom Dämon jede Frau zugeführt wird, auf die er gerade Lust hat, und sei es die trojanische Helena.92
So wie die Dramenfigur Faust dem hexentheoretischen Konstrukt eines „Hexenmeisters“ nahe steht, kann aus dämonologischer Sicht auch Fausts Einfluss auf Gretchen gedeutet werden. Fausts Vorausahnung, er reiße Gretchen mit in einen Abgrund, lässt jenseits vielfältiger psychologischer Deutungsmöglichkeiten auch die Interpretation zu, sie mit in einen Hexereiverdacht zu ziehen: Bin ich der Flüchtling nicht? der Unbehaus’te? Der Unmensch ohne Zweck und Ruh? Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen braus’te Begierig wütend nach dem Abgrund zu. Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen, Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld, Und all ihr häusliches Beginnen Umfangen in der kleinen Welt. Und ich, der Gottverhaßte, Hatte nicht genug, Daß ich die Felsen faßte Und sie zu Trümmern schlug! Sie, ihren Frieden mußt’ ich untergraben! Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben! Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen! Was muß geschehn, mag’s gleich geschehn! Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen Und sie mit mir zu Grunde gehn. (3348–3365)
Inwiefern auch die Gretchenfigur durch den Einfluss Fausts für einen Hexereiverdacht prädestiniert wäre, wird im folgenden Kapitel dargelegt.
8.3 Die Figur Gretchen Die ältere Forschung [...] hat mehrfach Zweifel geäußert, ob ein Faustdrama, das zur Gretchen-Tragödie geworden sei, seinen Namen überhaupt noch zu Recht führe.93
Roper: Hexenwahn, S. 131. Zimmermann: Weltbild, Bd. 2, S. 276. Vgl. hierzu auch Lukács: Faust und Faustus, S. 179, sowie Atkins: Neue Überlegungen, S. 496.
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Goethes Gretchentragödie94 prägt seinen „Faust“ stark – auch und gerade in der öffentlichen Wahrnehmung.95 Der Frauenfigur wird große Bedeutung für die Verbreitung des Fauststoffes zugeschrieben. Bisweilen wird in der Forschung ein Ungleichgewicht der Gretchentragödie innerhalb der Faust-Thematik als Problem beschrieben.96 Mit Blick auf die Hexenthematik stellt sich die Verbindung beider Schicksale jedoch keineswegs als überraschend dar. In musikalischen Verarbeitungen des Fauststoffes steht Gretchens Schicksal oft im Mittelpunkt,97 manchmal wurde Gretchen zur Titelgestalt, etwa in der deutschen Fassung der Oper „Faust“ von Charles Gounod mit dem Titel „Margarethe“. Auch in Verfilmungen des Fauststoffes wird Gretchens Schicksal oft breit ausgestaltet, nicht selten ist das Motiv der Stigmatisierung zentral und trägt Züge einer Hexenverfolgung.98 In Goethes Drama betrachtet Faust in der Szene Wald und Höhle, in der er sich vorwirft, Gretchens Frieden untergraben zu haben, das Mädchen als Opfer einer bösen Macht: Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben! (3361). Dies spricht er in der Druckfassung von 1808 schon vor der Vergiftung von Gretchens Mutter und lange vor Gretchens Verhaftung wegen Kindsmord aus. Gretchen ist von vielen Vorwürfen begleitet, die in Hexenprozessen stereotypisch erhoben wurden. Sie hat die normierte Sexualmoral übertreten und sich verführen lassen; sie steht „im Gerücht“ und ihr eigener Bruder beschimpft sie als Hur’ (3730) und Metze (3753). Derartige öffentliche Demütigungen gingen Hexereibezichtigungen in der frühen Neuzeit oft voraus.99 Gretchen verabreicht ihrer Mutter einen tödlichen Schlaftrunk; über die Ängste im Zusammenhang mit Tränken wurde schon unter Punkt 8.2.1 berichtet. Othon Scholer bringt in
Der Wechsel der Namen im Drama von Margarete zu Gretchen ist in der Faustforschung öfter besprochen worden. Vgl. hierzu entschieden für Margarete plädierend Böhme: Stimmung und Atmosphäre am Beispiel von Margarete in Goethes Faust, S. 156. Diese Tatsache beschreibt zum Beispiel Georg Lukács: „Der ‚Urfaust‘ und noch das Fragment von 1790 ist von der Gretchen-Tragödie beherrscht. Und sosehr die spätere Vollendung die Proportionen verschiebt, in der populären Vorstellung bleibt diese Präponderanz erhalten; in der breiten Massenwirkung des ‚Faust‘ dominiert auch heute die Gretchen-Tragödie neben der Tragödie des unmittelbaren Wissens und des Teufelspaktes. Mit weitgehender Berechtigung.“ Lukács: Faust und Faustus, S. 179. Terence James Reed etwa nennt die Dominanz der Kindsmordtragödie innerhalb der FaustThematik „das große irreparable Problem eines Dramas um Faust.“ Reed: Muttermord und Schwangerschaft, S. 87. Vgl. zum Beispiel den Überblick bei Fähnrich: Faust in Kantaten, Oratorien, symphonischen Dichtungen und symphonischen Kantaten, S. 152. Vgl. zu Verfilmungen des Fauststoffes Kapitel 9. Vgl. zum Beispiel entsprechende Berichte bei Carpzov: Practica, S. 345.
8.3 Die Figur Gretchen
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seiner geschichtswissenschaftlichen Untersuchung zur Hexenideologie nicht umsonst den Schlaftrunk Gretchens in Zusammenhang mit pflanzlichen Rauschmitteln, die auch in Hexereidiskursen eine Rolle spielten und die Gefahren der Vergiftung bergen.100 Schließlich wird Gretchen wegen Kindsmord verhaftet, ein Delikt, das, wie noch genauer dargelegt wird, in der frühen Neuzeit leicht in einen Hexenprozess führen konnte. Besonders die Stigmatisierung Gretchens und die in der Szene Kerker anklingenden Motive, etwa das der kannibalischen Mutter, haben deutliche Bezüge zu frühneuzeitlichen Hexenprozessen. Die Nähe von Kindsmord- und Hexenimaginationen ist ein Schlüssel zum Lesen der Spuren von Hexenverfolgung in Goethes Drama. Sie treten auch deutlich zutage, wenn man historische Hintergründe der Zeit, in der die Gretchentragödie spielt, mit der literarischen Fiktion Goethes vergleicht. Vielen Interpreten ist die eigenartig aussparende Darstellung Goethes aufgefallen.101 Ernst Beutler etwa hat sie wie folgt beschrieben: Es ist ein unvergleichlicher Kunstgriff Goethes gewesen, daß in seiner Dichtung die tragisch theatralischen Szenen im Leben Gretchens ausgelassen sind: der Tod der Mutter, das – im Irresein begangene – Vergehen an dem Kind, die Flucht, die Gefangennahme, das Verhör, die Verurteilung, die Hinrichtung. Gerade alles effektvoll Grausige des Geschehens, wie es Goethe in einem solchen Falle nahegetreten war, – der Dichter schiebt es beiseite und gibt nur die Erschütterungen des seelischen Zustandes: am Spinnrad, vor dem Bild der Gottesmutter im Zwinger, im Dom, im Kerker. Jedes andere Verfahren hätte die Gretchentragödie verselbständigt und das Faustdrama gesprengt.102
Die Konzentration auf Gretchens innere Verfassung, Angst und empfundene Ausgrenzung, verunklart das äußere Geschehen. Wegen der Leerstellen sind im Drama auch Spuren eines ursprünglich angelegten Hexenprozesses nicht direkt sichtbar. Sie sind dennoch vorhanden und entfalten ihre bedrohliche Wirkung – umso mehr, weil die Atmosphäre eben bedeutsamer als die Handlung ist. Die Diskrepanz zwischen der historischen Alltäglichkeit unehelicher Schwangerschaften und deren aufgebauschter literarischer Darstellung zur Zeit des Sturm und Drang ist in der Forschung zwar schon diskutiert worden, trotzdem wird die vielschichtige Gretchentragödie in Interpretationen oft reduziert auf das beliebte Sturm- und Drang-Thema der ledigen Mutter, die durch die bürgerliche
Scholer: Der Hexer war’s, S. 188. Gernot Böhme hat daraus zu Recht den Schluss gezogen: „Es geht nicht um Charakterbildung und das Drama vollzieht sich nicht durch Handlungen [...]. Vielmehr steht, was Margarete angeht, das Pathische im Vordergrund, das, was sie anmutet, ergreift, und wie sie Anmutungen und Ergriffenheit leiblich erfährt.“ Böhme: Stimmung und Atmosphäre am Beispiel von Margarete, S. 156. Beutler: Essays um Goethe, Die Kindsmörderin, S. 95. Vgl. zum Thema der Reduktion zum Beispiel auch Goetzinger: Männerphantasie, S. 273.
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Moral gebrochen wird. Beat Weber bemerkt in seiner Untersuchung: „Die Kindsmörderin im deutschen Schrifttum von 1770–1795“: Wenn die deutsche Literaturwissenschaft die literarische Gestalt der Kindsmörderin bespricht, verweist sie vor allem auf die Zeit des Sturm und Drangs und hier im besonderen auf Gretchen in Goethes Faust. Das geschieht in einem so ausschließlichen Sinn, dass Kindsmörderin und Gretchen beinahe als Synonyme erscheinen. Es stellt sich die Frage, ob das gerechtfertigt sei.103
In dieser Beobachtung spiegelt sich die auffallende Verengung der Perspektive auf Goethes Gretchen. Gerade für Frauenfiguren im bürgerlichen Trauerspiel ist eine Stilisierung oft diskutiert worden. Zu Recht hat allerdings Stuart Atkins betont, dass es häufig vorkomme, aber falsch sei, die Gretchenszenen in Goethes „Faust“ so zu lesen „als ob es ein bürgerliches Trauerspiel mit Gretchen als Hauptfigur wäre“.104 Stilisierung sollte erkannt werden. Germaine Goetzinger bemerkt über die Projektionen: „Evchen, Gretchen und all die andern sind nicht authentische Wiederspiegelung von Frauenrealität, sondern Repräsentantinnen des imaginierten und projizierten Weiblichen [...]“.105 Goetzinger vermutet in der männlichen Perspektive von Autoren des Sturm und Drang ein Hindernis, „Frauenwirklichkeit“ abzubilden: Die Männertexte erscheinen als Filtrat und als Transformat. Vieles, was Frauenwirklichkeit ist, läßt sich im literarischen Text der Zeit nicht sagen und bleibt ausgespart. Anderes wird verändert oder hinzugefügt. [...] Der Kindermord in den Texten der Stürmer und Dränger erscheint also, wie das Beispiel zeigt, nicht als Ganzheit, sondern als Sinnfragment, dem eine monolithische Hermeneutik nicht gerecht werden kann. Eine Vermehrung der Perspektiven, Parallellektüren sind notwendig. Das Andere und das Fremde müssen aufgespürt, das erzwungene Schweigen muß gebrochen werden.106
Viele Autorinnen und Autoren, die geschichtswissenschaftlich argumentieren, versuchen die literarische Interpretation des Themas Kindsmord, die von den historischen Fakten so stark abweicht, zu erklären. Zum Beispiel schreibt Regina Schulte: Die Kindsmörderin der Dichtung – Goethes, Schillers, Wagners, später Hauptmanns – ist das einfache, tugendhafte Bürgermädchen, das vom adligen Verführer im Stich gelassen und vom harten Vater und der Gesellschaft verstoßen, in Verzweiflung und Wahnsinn sein Kind gebiert und tötet. In der Interpretation des Kindsmordes als Produkt der Unzucht, als
Weber: Die Kindsmörderin, S. 1. Atkins: Neue Überlegungen, S. 496 f. Goetzinger: Männerphantasie, S. 267 f. Vgl. zu diesem Thema auch Madland: Infanticide as Fiction. Goetzinger: Männerphantasie, S. 280 f.
8.3 Die Figur Gretchen
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Ergebnis des moralisch verurteilten Geschlechtsverkehrs unter Ledigen, propagierte das selbstbewusst gewordene Bürgertum auch seine eigene Sexualmoral, die in der Keuschheit vor der Ehe, in der Jungfräulichkeit und in der Geschlechtsehre den höchsten Wert einer Frau sah.107
Goethes Gretchentragödie hat andere Akzente: Setzt man des Dichters oft gerühmtes historisches Gespür voraus, dann liegt es nahe, im Drama nicht nur bürgerliche Moralvorstellungen des 18. und 19. Jahrhunderts zu suchen, sondern auch die Wirklichkeit des 16. und 17. Jahrhunderts, die den Fauststoff prägt. Goethe hat mehr historische Wirklichkeit in sein Drama einfließen lassen, als im klischeehaften bürgerlichen Ehrbegriff vorhanden ist. In seiner Gretchentragödie ist es nicht eine literarisch überformte bürgerliche Moral, die packende Wirkung entfaltet. Vielmehr ist es die Atmosphäre108 einer existenziellen Bedrohung. Dies erklärt auch die diachrone Faszination der Gretchengeschichte.
8.3.1 Verführung und Assoziationen der Teufelsbuhlschaft Item so jemandt sich erbeut andere menschen zauberei zu lernen, oder jemands zu bezaubern bedrahet vnd dem bedraheten dergleichen beschicht, auch sonderlich gemeynschafft mit zaubern oder zauberin hat, oder mit solchen verdechtlichen dingen, geberden, worten und weisen, vmbgeht, die zauberey auf sich tragen, vnd die selbig person des selben sonst auch berüchtigt, das gibt eyn redlich anzeygung der zauberey, vnd gnugsam vrsach zu peinlicher frage.109
Gretchen wird von Mephistopheles zunächst als unschuldig beschrieben: Es ist ein gar unschuldig Ding, Das eben für nichts zur Beichte ging; Über die hab’ ich keine Gewalt! (2624–2626)
Manchen Dämonologen galten die „frömmeren Jungfrauen und jungen Mädchen“ als besonders reizvolle, da schwierige Herausforderung für den Teufel.110 Ein christlich-untadeliger Lebenswandel wird in Hexenprozessen oft zur Verteidigung der Angeklagten angeführt. In Goethes „Faust“ spricht der Teufel selbst von
Schulte, Re.: Lebenswirklichkeiten, S. 382 f. Gernot Böhme hat allgemein vorgeschlagen, „die Tragödie der Margarete als die Geschichte leiblicher Erfahrung von Gefühlen zu lesen“. Vgl. Böhme: Stimmung und Atmosphäre am Beispiel von Margarete in Goethes Faust, Zitat hier S. 156. Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, Art. 44: Von zauberey gnugsam anzeygung. Kramer: Hexenhammer, S. 366.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
dieser imaginativen Schutzwirkung. Christopher Marlowe ließ Mephistopheles in „The Tragical History of the Life and Death of Doctor Faustus“ ähnlich argumentieren, was die Verbreitung dieser Vorstellungen unterstreicht. Marlowes Faust will, dass der Teufel einen alten Mann, der ihn bekehren wollte, bestraft. Der Teufel sagt daraufhin: His faith is great, I cannot touch his soul; But what I may afflict his body with I will attempt, which is but little worth.111
Gretchens Verderben beginnt, als sie durch ihre Liebschaft mit Faust Moralvorstellungen durchbricht, also nach christlichen und dämonologischen Vorstellungen zur Sünderin wird.112 Ihr Untergang wird schon angedeutet, als Gretchen am Spinnrad in der Szene Gretchens Stube ihr Vergehen an den Küssen besingt: Ach dürft’ ich fassen Und halten ihn! Und küssen ihn So wie ich wollt’ An seinen Küssen Vergehen sollt’! (3408–3413)
Obwohl das Vergehen auch als Metapher der Verliebten zu verstehen ist, schwingt bei der ambivalenten Wortwahl mit, dass Gretchen die schrecklichen Folgen der teuflisch unterstützten Verführung ahnt. Vorbereitet wird diese Assoziation durch den Kontext der Wörter Grab, zerstückt, Seiner Augen Gewalt und die Bezeichnung von Fausts Rede als Zauberfluß: eine unabwendbare Gefahr bemächtigt sich Gretchens. Es ist typisch für die Schilderungen in Hexenprozessen, dass die Geschichte des Teufelspaktes mit einer Verführung beginnt. Die Historikerin Lyndal Roper hat mit Blick auf viele erzwungene Geständnisse in Hexenprozessen festgestellt: „Eingeleitet wurde die Teufelsgeschichte mit der Verführung; sie war, wie der erste sexuelle Fehltritt einer Jungfrau, der ‚Sündenfall‘, von dem man glaubte, er habe die Hexe auf den Weg der Verderbnis gebracht.“113 Auch in anderen literarischen Verarbeitungen der Hexenthematik wird der Zusammenhang zwischen „Unzucht“ und Hexereiverdacht hergestellt. Wilhelm Meinhold etwa lässt in seinem Roman
Marlowe: Tragical History, V. Akt, 14. Szene, S. 58. Vgl. zu diesem Thema auch Stolt: Gretchen und die Todsünden. Roper: Hexenwahn, S. 123.
8.3 Die Figur Gretchen
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„Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe“ den Vater eines als Hexe bezichtigten Mädchens zweifeln, ob sie das Keuschheitsgebot verletzt habe: Auf solch ihr Bekenntnüß wollte ich schier verzweiflen und schriee für Zorn: o du gottlos ungehorsamb Kind, also hastu doch einen Buhlen? Habe ich dir nicht verbotten des Nachts auf den Berg zu steigen? was hastu des Nachts auf den Berg zu thun? und hub an also zu klagen und zu winseln und meine Hände zu ringen, daß es Dn. Consulem selbsten erbarmete [...].114
Variantenreich schildern reale Hexenprozessopfer Verführungen vor angeblichen Teufelsbuhlschaften.115 Lyndal Roper deutet derartige Beschreibungen aus Nicolas Rémys „Daemonolatria“, die Goethe als Quelle benutzt hat, wie folgt: „Die Teufelsbuhlschaft der Hexe war beides: ein Axiom der dämonologischen Lehre und eine einfache Geschichte aus dem Volk, die sich aus den lokalen Traditionen, Alltagserlebnissen und Märchen speiste.“116 Auch die Geschichte der Verführung Gretchens enthält beide Komponenten. Gretchen wird von Faust durch die vielfältige Hilfe des Teufels verführt. Nahe liegt hier die Frage, ob eine Teufelsbuhlschaft assoziiert werden kann. Faust spricht das Mädchen in der Szene Straße an: Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen? (2605 f.)
Diese berühmte Anrede Gretchens, in der sie Faust als Fräulein betitelt, wird in Kommentaren immer wieder mit der Erklärung versehen, es handele sich um eine Anrede, die unverheirateten adligen Frauen vorbehalten gewesen sei.117 Gretchen lehnt sie ab: Bin weder Fräulein, weder schön, Kann ungeleitet nach Hause gehn. (2607 f.)
Auch in frühneuzeitlichen Hexenprozessprotokollen berichten angeklagte Frauen oft, der Teufel habe sie „Fräulein“ genannt. Lyndal Roper etwa zitiert die Angaben im Verhör einer wegen Hexerei angeklagten Frau aus Würzburg:
Meinhold: Bernsteinhexe, S. 133. Vgl. zum Beispiel Roper: Hexenwahn, S. 120–147. Roper: Hexenwahn, S. 122. Vgl. die Kommentare der Werkausgaben und zum Beispiel typisch auch Heller: Gretchen, S. 178 f., Matussek: Faust I, S. 378 oder Gimber: Margarete als Kontrastfigur, S. 142.
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Sie Angeredt. Wo hin mus fraülein, Vnd gefragt, ob sie kein Mann, hab sie geantwurt Nein [...], daruf er vermelt, sie soll In nemen.118
Fausts Anrede evoziert die oft umschriebene „Magie des sozialen Aufstiegs“.119 Doch gehört das Einschmeicheln durch die Anrede „Fräulein“ auch zu typisch frühneuzeitlichen Verführungsimaginationen durch den Teufel. Der Kontext ist vielfach belegt. Also kann schon ein gefährlicher Unterton mitschwingen. Goethe lässt Mephistopheles in der Szene Der Nachbarin Haus just die Bezeichnung schönes Fräulein (2981) als Umschreibung einer Prostituierten verwenden. Faust fordert nach seiner Begegnung mit Gretchen von Mephistopheles: Hör, du mußt mir die Dirne schaffen! (2619). Zwar wird die Bezeichnung „Dirne“ in Goethes Zeit noch nicht unbedingt als abwertend empfunden und kann auch bei Goethe einfach die Bedeutung ‚Mädchen‘ haben. Doch wurde sie etwa in dämonologischer Literatur, die der Dichter rezipierte, durchaus als zweischneidig beschrieben.120 In den „Faust“-Paralipomena wird die Dirne, neben dem Säufer, im Zusammenhang mit einer Hinrichtungsszene genannt, die Hexenverbrennungen unmittelbar assoziiert.121 Auch der Zecher Siebel in der Szene Auerbachs Keller spricht abfällig von einem Mädchen als Dirne (2116), der er aus Rache eine Teufelsbuhlschaft wünscht. Und Gretchen selbst verwendet das Wort in der Szene Garten im Kontext von „unanständig“, als sie sich an Fausts erste Ansprache auf der Straße erinnert: Ich war bestürzt, mir war das nie geschehn; Es konnte niemand von mir übels sagen. Ach, dacht’ ich, hat er in deinem Betragen was freches, unanständiges gesehn? Es schien ihn gleich nur anzuwandeln, Mit dieser Dirne g’rade hin zu handeln. (3169–3174)
Roper: Hexenwahn, S. 128. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 326. Erasmus Francisci gibt 1690 zur Erläuterung im Falle eines wegen Teufelsbündnerei hingerichteten Mannes an: „Durch eine Dirne wird in Sachsen / und Nider = Teutschland / gemeinlich eine ehrliche Jungfrau; in den Oberländern aber / hingegen eine liederliche und leichtfertige verstanden.“ Francisci, Erasmus / Schurtz, Cornelius Nicolaus: Der Höllische Proteus / oder Tausendkünstige Versteller. Nürnberg 1690, S. 926. Volltext einsehbar unter: https://mdz-nbnresolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10132606-2 [Stand: Juni 2023]. In der Ausgabe von 1708 war Francisci eine nachweisliche Quelle Goethes zur Szene Walpurgisnacht, vgl. hierzu auch Punkt 7.4. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 558. Vgl. hierzu auch Punkt 8.4.3.
8.3 Die Figur Gretchen
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Der Ton Fausts ist jedenfalls, als er nach der Dirne verlangt, auffallend grob.122 Auch diese Wechselhaftigkeit im Tonfall wird in Hexenprozessen als typisch für teuflische Verführungen geschildert. Viele Hexenprozessopfer berichten, der Teufel habe sie, nachdem er sich zunächst freundlich genähert habe, beschimpft oder auch geschlagen.123 Mephistopheles’ grober Umgang mit der Hexe in der Szene Hexenküche entspricht diesen Imaginationen. Die oft konstatierte und interpretierte Doppelnatur Faust-Mephistopheles macht die Assoziation einer Teufelsbuhlschaft in Goethes Gretchentragödie wahrscheinlich. In Inszenierungen erscheinen beide Figuren bisweilen als Doppelrolle. Goethe selbst hatte für einige Szenen im zweiten Teil des Dramas vorgesehen, dass Mephistopheles die Gestalt Fausts annimmt.124 In bildlichen Darstellungen werden beide Figuren manchmal signifikant ähnlich gezeigt. Eugène Delacroix zum Beispiel, der sich intensiv mit Goethes „Faust“125 sowie etwa auch mit „Götz von Berlichingen“ und „Torquato Tasso“ beschäftigt hat,126 nähert Faust und Mephistopheles einander optisch stark an. Besonders betont er die Ähnlichkeit in seiner Szene Straße (Abb. 7) aus dem Jahr 1828. Hartmut Reinhardt nennt diese Lithographie ein „großartiges Dokument für das Erfassen der Teilidentität Fausts und Mephistos“.127 Beide Figuren sind in Rückenansicht mit nackenlangem dunklen Haar gezeigt und wenden das Gesicht zurück, ihre Profile zeigen gleichartige Spitzbärte und schräge Augenpartien. Es wird betont, dass die Verführung Gretchens ein Gemeinschaftswerk ist. Die Darstellung von Delacroix zeigt, wie Bilder manche dämonologischen Inhalte des „Faust“ hervorheben. Auch in Verfilmungen des Fauststoffes erscheint nicht selten ein Doppelgängermotiv, dominant etwa im Film „Der Student von Prag“ (1913) von Hanns Heinz Ewers, der das Faustthema variiert. Und in René Clairs Film: „La beauté du diable“ (1949 / 50), in dem Hexereivorwürfe eine
Oft wird diese Tatsache als Ausdruck roher sexueller Begierde gedeutet, so etwa Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 260 f. Eiserhardt nennt den Ton „nieder, blind und roh“, Eiserhardt: Zur Funktion und Psychologie, S. 225. Auf die bei Goethe durchscheinende negative Konnotation der Bezeichnung Dirne verweisen etwa auch Friedrich / Scheithauer: Kommentar zu Goethes Faust, S. 294. Diese Aussagen werden auch in dämonologischer Literatur kolportiert, vgl. etwa Kramer: Hexenhammer, S. 167. Vgl. den wahrscheinlich Ende 1816 entstandenen, ursprünglich für „Dichtung und Wahrheit“ geplanten Bericht: Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 593–596, hier S. 594. 1825–27 entstand eine Folge von 18 Lithographien, die 1828 vollständig veröffentlicht wurde, vgl. Birus: Faust-Illustrationen von Cornelius bis Delacroix, S. 176. Vgl. etwa Stuffmann / Miller / Stierle: Eugene Delacroix. Spiegelungen. Tasso im Irrenhaus. Reinhardt: Die kleine und die große Welt, S. 324.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Abb. 7: Lithographie von Eugène Delacroix zur Szene Straße, veröffentlicht 1828. (Foto A.U.)
wichtige Rolle spielen, nimmt der Teufel des alten Faust Gestalt an, er wird dann von einer lynchwütigen Menge verfolgt. Der Vorwurf gegen Gretchen, eine Teufelsbuhlschaft eingegangen zu sein, wäre, wie schon beschrieben, in der von Goethe dargestellten Zeit der Gretchentragödie und angesichts eines ursprünglich im Drama angelegten Hexenprozesses naheliegend.
8.3 Die Figur Gretchen
241
Es kursiert in der Sekundärliteratur – losgelöst von jeder Bezugnahme auf die frühneuzeitlichen Hexentheorien – die These, Gretchen sei, in einem „geistigen“ Sinne, von Mephistopheles schwanger. Wolfgang Neubauer etwa nennt „Mephistos ‚Vaterschaft‘ in Goethes ‚Faust‘“ schon im Titel seines in einiger Hinsicht sonst fragwürdigen Buches.128 Daß Gretchen von Faust schwanger wird, was in der bisherigen Forschung als so sicher angenommen wird, ist dann folgendermaßen zu relativieren: Fausts „Liebe“ zu Gretchen ist „‘platoni(sti)scher“, nicht sexueller Natur, Faust „verführt“ Gretchen also nicht. [...] Goethes Faust ist vielmehr deshalb im wesentlichen eine „Tragödie“, weil Mephistopheles Gretchen (und damit Helena und „Frau Welt“) „schwängert“, so daß „das absolut Gute und Unschuldige“ („Gretchen“) unfreiwillig „das absolut Böse und Schuldige“ verbreiten helfen muß.129
Neubauer lässt in seiner Beschreibung außer Acht, dass eine Schwängerung durch den Teufel ein genuin dämonologisches Motiv ist. Zwar war unter Dämonologen umstritten, ob Dämonen Zeugungskraft besitzen, es wurden aber Begründungen angeboten, wie „Teufelskinder“ entstehen. Etwa schreibt Heinrich Kramer im „Hexenhammer“: Es wird also eine solche Abfolge sein, daß ein Dämon, ein Sukkubus, von einem verbrecherischen Mann Samen entnimmt. Wenn dieser [Dämon] eigens für jenen Mann abgestellt ist und sich bei der Hexe nicht zum Inkubus machen will, so übergibt er den Samen demjenigen Dämon, welcher der Frau oder der Hexe zugeordnet ist. Und jener wird unter einer bestimmten Konstellation, die ihm dienlich ist, zum Inkubus der Hexe werden, so daß ein solcher Gezeugter oder eine [solche] Gezeugte große Macht zur Ausführung von Schadenszauber behält.130
Beischlaf der Hexen mit dem Teufel kommt auch in Goethes „Faust“ zur Sprache. Imaginationen der vom Teufel gezeugten Kinder werden in den Paralipomena zu „Faust“ mehrmals erwähnt, auch wenn diese Spur in der Druckfassung unleserlich gemacht wurde. Etwa notierte Goethe eine Idee, wie Faust von Gretchens Schicksal erfahren könnte, nämlich: Geschwäz von Kielkröpfen / Dadurch Faust erfährt.131 Die Bezeichnung Kielkröpfe meint vom Teufel gezeugte Wesen. Dämonologien handeln oft von „Kielkröpfen“ beziehungsweise „Wechselbälgern“, etwa wird ihnen in der Beschreibung „Anthropodemus Plutonicus“ des Johannes Praetorius ein eigenes
Der Titel der 1986 erschienenen Abhandlung lautet: „Das tragische Prisma des Irrtums. Überlegungen zur Lösung des ‚Hexen-Einmal-Eins‘ und zu Mephistos ‚Vaterschaft‘ in Goethes ‚Faust‘.“ Neubauer: Das tragische Prisma des Irrtums, S. 28. Kramer: Hexenhammer, S. 405. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 559.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Kapitel gewidmet.132 Auf diese Quelle wurde in der Faust-Forschung schon früh und oft verwiesen.133 „Kiel-Kröpffe“ beschreibt Praetorius wie folgt: „Es sind aber Kiel-Köpffe [sic] solche Kinder / die der Teuffel selbst in der Hexen Leibe formiret / und sie solche läst gebehren / in welche er sich sebst setzet / und an statt der Seelen durch sie redet / ihren Leib beweget / etc. [...]“.134 Albrecht Schöne betonte, durch diese Kielkröpfe stelle Goethe die Verbindung des Hochgerichts über Gretchen zu einem Hexenprozess her.135 In den von Goethe exzerpierten Hexenprozessakten Carpzovs geben mehrere Frauen an, vom Teufel schwanger gewesen zu sein. Der Dichter konservierte prägnante Aussagen dieser Verhöre in den Entwürfen zu „Faust“, etwa die einer Frau, sie habe Weisse Würmer, schwarze Köpfe136 geboren. Ihre bei Carpzov zitierte Aussage lautet: [...] seine [des Teufels, A. U.] Scham oder Glied sey hart unnd kalt gewesen / unnd habe von ihme nach 4. Wochen 5. par böser Dinger gezeuget und geboren / wären wie weisse Würmer gewesen / und hätten schwarze Köpffe gehabt [...]137
Andere angeklagte Frauen machen im Verhör ähnliche Aussagen, sie werden bei Carpzov in unmittelbarer Nähe wiedergegeben: Wann sie mit ihrem Bulen zu schaffen gehabt, hätte sie weisse Elben, unnd derselben, allezeit zehen bekommen, so gelebet, spitzige Schnäbel, und schwartze Köpffe gehabt, und wie die jungen Raupen hin unnd wieder gekrochen, welche sie zur Zauberey gebraucht [...]. Ferner habe sie auch die weissen Elben mit schwartzen Köpffen in den Brantewein gethan, und darinnen zergehen lassen, dieselbe auch klein zerrieben, unnd in Kuchen gebacken, und solches uff ihres Buhlen Lucassen Befehl, welcher gesagt, wenn sie zu jemandts Feindtschafft hätte, solte sie demselben die Kuchen oder Brantewein beybringen, darauff er an Gliedern unnd Leibe ubel würde geplaget unnd gemartert werden.138
Das Kapitel heißt: „Von Kiel-Kröpffen / Wechselbalgen / außgetauschten Kindern / Moonsüchtigen / Freßbutten / Alp-Kindern / Campsionibus.“ In: Praetorius: Anthropodemus plutonicus. Volltext zum hier genannten Kapitel einsehbar unter: http://www.zeno.org/Literatur/M/Praeto rius,+Johannes/Prosa/Anthropodemus+plutonicus/Eine+Neue+Welt-beschreibung/10.+Von+KielKröpffen+%EF%BC%8F+Wechselbalgen+-+außgetauschten+Kindern [Stand: April 2023]. Vgl. zum Beispiel Morris: Goethe-Studien, S. 91. Vgl. auch Bohnenkamp: Paralipomena, S. 157, sowie Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 941. Praetorius, Johannes [Hans Schultze]: Anthropodemus plutonicus. Das ist eine neue Weltbeschreibung [...] 1–2, Magdeburg 1666 / 67, S. 438. Volltext einsehbar unter: http://www.zeno.org/ Literatur/M/Praetorius,+Johannes/Prosa/Anthropodemus+plutonicus [Stand: April 2023]. Schöne: Götterzeichen, S. 184. Vgl. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 559. Carpzov: Practica, S. 344. Carpzov: Practica, S. 338.
8.3 Die Figur Gretchen
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In der frühen Fassung des Dramas hat Goethe in der Szene Dom zwei auffallende Wortschöpfungen eingesetzt, die an diese Aussagen bei Carpzov erinnern. Ein Böser Geist flüstert Gretchen ein: – Und unter deinem Herzen, Schlägt da nicht quillend schon, Brandschande Maalgeburt! Und ängstet dich und sich Mit ahnde voller Gegenwart. (1324–1328)
In der 1808 erschienenen Fassung sind die sprechenden Bezeichnungen Brandschande Maalgeburt! eliminiert. Neben der möglichen Assoziation eines Brandzeichens der Schande139 ist in der frühen Fassung aber die Metaphorik des Feuers auch im Kontext der Feuerstrafe140 denkbar, die typisch für Ketzer- und Hexenprozesse war. Die Maalgeburt mag das „Mal“ im Sinne eines Brandmals enthalten, aber auch die Bezeichnung „Missgeburt“ kann assoziiert werden. Sie erinnert an die Schilderungen der Teufelskinder, die Goethe bei Carpzov exzerpierte. Oft verknüpften die dort zitierten Angeklagten ihre Beschreibung von „Teufelskindern“ mit einer angeblichen Vernichtung dieser Kinder. Goethe hat etwa Teile der folgenden Aussage bei Carpzov abgeschrieben: Sie haette auch zween Kinder von ihme gezeuget / welche wie der boese Volant gestalt gewesen / dieselbe haette sie auff einmahl zur Welt gebracht / waere aber kein Leben noch Menschliche Gestalt an ihnen zu spueren gewesen / derowegen sie dieselbe in das Wasser geworffen. [...]141
Eine benachbarte beispielhafte Aussage lautet in den von Carpzov zitierten Prozessakten: [...] sie hätte mit ihme böse Dinger oder Elben erzeuget / die sie in ein Töpfflein gesetzet unnd ihnen Brod zu essen gegeben / theils auch ins Wasser geworffen / daß sie weg geschwommen / weil sie dieselbe nicht allwege haben wollen [...]142
Im Goethe-Wörterbuch lautet die Erklärung entsprechend: „Kind mit dem Brandmal der Schande (einer unehelichen Geburt)“. Goethe-Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 854. Das Goethe-Wörterbuch erläutert die Bezeichnung „Brand“ bei Goethe an anderer Stelle auch mit Bezug auf einen „Holzstoß zur Verbrennung (als Opferfeuer)“. Goethe-Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 851. Carpzov: Practica, S. 342. Carpzov: Practica, S. 340.
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Dass die von Hexenprozessopfern oft genannte Tötungsart des Ertränkens mit Gretchens Aussagen in der Szene Kerker korrespondiert,143 wurde schon unter Punkt 7.5 dargelegt. Inwiefern die Thematik der Kindstötung beziehungsweise Abtreibung in der Rechtspraxis unmittelbar Kindsmordprozesse und Hexenprozesse verband, wird im Folgenden erläutert.
8.3.2 Stigmatisierung und Todesangst Der Richter möge beachten, daß er die folgenden Fragen nicht aufschiebe, sondern unverzüglich vorlege. Befragt, warum das gewöhnliche Volk sie fürchte, sagte sie [...]. Befragt, ob sie wüßte, daß sie in üblem Ruf stehe und daß sie verhaßt sei, sagte sie [...]144
Die Angst Gretchens vor Ausgrenzung ist ein zentrales Motiv ihrer Tragödie und wurde auch in bildlichen Darstellungen oft interpretiert. Schon die Szene Garten macht deutlich, dass im öffentlichen Leben der Welt Gretchens eine bedrückende soziale Kontrolle herrscht. Ihre Nachbarin Marthe beschreibt die angespannte Situation so ähnlich, wie sie in vielen Quellen als typisch für die Zeit der Hexenverfolgung belegt ist. Ein rigides Beobachten herrscht vor, man gafft auf des Nachbarn Schritt und Tritt und kommt in’s Gered’ (3198–3201). Das gegenseitige Bespitzeln bezieht sich durchaus nicht nur auf sittliches Verhalten. Vielmehr ist der gefährdete Leumund in Zeiten der Hexereianklagen ein wichtiges Indiz vor Gericht.145 Er konstituierte die Glaubwürdigkeit einer Person entscheidend. Nicht nur für das Kleinbürgertum und die Dorfoberschicht war der Ruf, wie zahllose Injurienklagen zeigen, von großer Bedeutung. Dasselbe galt auch für die Unterschicht. Für das Gesinde wurde der gute Leumund als wichtigster weltlicher Lohn treuen Dienens hingestellt, doch spielte er natürlich schon vorher eine große Rolle: durch ihn wurde der Platz
Praetorius präsentiert mehrere Geschichten von ertränkten „Kielkröpfen“ bzw. „Wechselbälgern“, in diesen Geschichten gilt das Ertränken als Mittel gegen die Teufelskinder. Vgl. Praetorius: Anthropodemus plutonicus. Volltext zum hier genannten Kapitel einsehbar unter: http://www. zeno.org/Literatur/M/Praetorius,+Johannes/Prosa/Anthropodemus+plutonicus/Eine+Neue+Weltbeschreibung/10.+Von+Kiel-Kröpffen+%EF%BC%8F+Wechselbalgen+-+außgetauschten+Kindern [Stand: April 2023]. Kramer: Hexenhammer, S. 646. Vgl. etwa die Differenzierungen in Kramers Hexenhammer durch die den Inhalt des Buches gliedernden Fragen: „Die fünfte: Wie über eine Beschuldigte und allgemein übel Beleumundete [ein Urteil] zu fällen ist? Die sechste: Wie über eine übel beleumundete Beschuldigte [und zwar] über eine den [peinlichen] Fragen und den Foltern auszusetzende [Person das Urteil zu fällen ist]?“ und so fort. Kramer: Hexenhammer, S. 133 f. Zur prozessrechtlichen Bedeutung der „fama“ vgl. Schubert: Verbrechen und Strafe im Mittelalter, besonders S. 159–161.
8.3 Die Figur Gretchen
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einer Person im mentalen Ordnungssystem von Hausgenossen und Nachbarn, in der Dorfgesellschaft überhaupt, bestimmt.146
Drastisch stellt Goethe das „im Gerücht Stehen“ in der Szene Am Brunnen dar. Vordergründig geht es hier um die uneheliche Schwangerschaft. Zugleich spiegelt die Szene aber die öffentliche Kommunikation und die rigorose soziale Kontrolle wider, die auch für Gretchens Schicksal entscheidend wird. Historikerinnen und Historiker schildern die Zeit des 16. Jahrhunderts, in der die Gretchentragödie spielt, als von Neid und sozialen Anspannungen geprägt. Extreme Klimaschwankungen bedingten vielerorts eine Krisensituation.147 Diese bildete unter anderem einen Nährboden für Hexereibezichtigungen, die meist mit anderen stigmatisierenden Vorwürfen einhergingen. Eine solche Atmosphäre des Misstrauens und der Denunziation ist auch in zahlreichen bildlichen Darstellungen zu Gretchens Umfeld beherrschend. Einige sollen hier ergänzend betrachtet werden. Die Szene Am Brunnen ist in der bildenden Kunst besonders deutlich als Stigmatisierungsgeschehen ausgestaltet worden. Während in Goethes Szene nur Gretchen und Lieschen auftreten, erscheinen in vielen Bildern zu Goethes „Faust“ zusätzliche Personen, die Feindseligkeit ausstrahlen. Im Gemälde „Gretchen am Brunnen“ von German von Bohn aus dem Jahr 1847 (Abb. 8) wird das Mädchen von hinterhältigen Blicken ganzer Gruppen von Frauen durchbohrt. Die meisten Frauen auf diesem Bild scheinen ihre Beschäftigungen nur vorzugeben, ihre lauernden Augen sind ganz auf das Gespräch des blassen Gretchens mit der Nachbarin konzentriert. Ähnliche Blicke treffen Gretchen auf einer Zeichnung von Ferdinand Fellner, der im 19. Jahrhundert über mehrere Jahrzehnte hinweg Szenen aus Goethes „Faust“ verarbeitete: „Gretchen und Lieschen am Brunnen“ (Abb. 9). Man glaubt das Raunen, hier sowohl von Männern als auch Frauen, zu hören. Vor allem eine links im Hintergrund stehende Dreiergruppe scheint im Schatten Gerüchte weiterzutragen. Die Körpersprache der Tuschelnden ist eindeutig, ihre Blickrichtung weist auf Gretchen. Volkmar Schauz zitiert hier, ohne auf die Bedrohlichkeit der Szene einzugehen, „die würdevoll einherschreitenden Bürger, die lustige Zechgesellschaft“ im Hintergrund; er bemerkt, das Interesse werde auf die Umgebung gelenkt, und sieht resümierend eine „anekdotisch genaue Schilderung der alten Zeit, nicht aber eine weitergehende Interpretation der Brunnenszene“.148 Hier kann man
Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 70 f. Vgl. Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 10 f. Schauz: Ferdinand Fellner, S. 112.
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Abb. 8: German von Bohn: Gretchen am Brunnen, 1843.149
anderer Meinung sein, da gerade die von Fellner erfundene Umgebung für die Stigmatisierung entscheidende Bedeutung hat. Der niederländisch-französische Maler Ary Scheffer malte 1858 dieselbe Szene (Abb. 10): Ein Mädchen raunt einem dritten etwas zu, diese blickt über ihre Schulter zu dem wasserholenden Gretchen. Das dunkle Auge der Rückwärtsgewandten
Bild in Franz Neubert: Vom Doctor Faustus zu Goethes Faust. Leipzig 1932, S. 178.
8.3 Die Figur Gretchen
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Abb. 9: Ferdinand Fellner: Gretchen und Lieschen am Brunnen, 1835–40.150
glüht aus dem Gesicht mit geröteten Wangen hervor, während Gretchen die Blicke in ihrem Rücken zu spüren scheint. Scheffer, der sich viele Jahre lang künstlerisch mit Goethes „Faust“ auseinandersetzte, hat in einem anderen Gemälde auch Gretchens Erscheinung in der Walpurgisnacht151 besonders drastisch dargestellt. Sie hält dort, halb entblößt und leichenblass, ihren Säugling, der schon wie tot erscheint und ihren Händen fast zu entgleiten droht. Ein Rabe zu ihren Füßen unterstreicht die Atmosphäre der Vernichtung. In der so oft bildlich interpretierten Szene Am Brunnen werden im Drama Lieschens aggressiver Neid und ihre Missgunst offenbar. Sie droht mit der öffentlichen Bloßstellung des schwangeren Bärbelchens im Falle einer Heirat: Kriegt sie ihn, soll’s ihr übel gehn. Das Kränzel reißen die Buben ihr, Und Häckerling streuen wir vor die Tür! (3574–3576)
Datierung nach Schauz: Ferdinand Fellner, S. 174. Bild in Franz Neubert: Vom Doctor Faustus zu Goethes Faust. Leipzig 1932, S. 196. Vgl. hierzu zum Beispiel Ewals: Ary Scheffer, S. 76.
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Abb. 10: Ary Scheffer, Ölgemälde 1858. Bild: ©The Wallace Collection, London, Inv: P284152
Tatsächlich berichtet die Geschichtswissenschaft von stigmatisierenden Bräuchen zur Bloßstellung vorehelicher Schwangerschaften. Inwieweit diese Bräuche, von denen in Goethes Szene die Rede ist, jedoch in der Realität vollzogen wurden, ist heute schwer zu überprüfen und umstritten. Dasselbe gilt auch für die theoretisch
https://wallacelive.wallacecollection.org/eMP/eMuseumPlus?service=ExternalInterface [Stand: Juni 2023].
8.3 Die Figur Gretchen
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mögliche strafrechtliche Verfolgung von „Unzuchtdelikten“153 durch kirchliche oder weltliche Obrigkeiten.154 Es gab enorm viele außereheliche Schwangerschaften, sie waren Normalität. Den historischen Kontext muss berücksichtigen, wer Gretchens Stigmatisierung deutet. Da diese nicht allein durch die uneheliche Schwangerschaft zu erklären ist, wie im Folgenden weiter ausgeführt wird, scheinen hier Hexereivorwürfe durch. Die Quellenlage zur Lebenssituation lediger Mütter zu Beginn der frühen Neuzeit ist dürftig.155 Die meisten Studien zu diesem Thema fokussieren spätere Zeiträume als das 16. Jahrhundert, in dem die Gretchentragödie spielt, auch weil, aufgrund der zunehmenden Anzeigen von Kindsmorddelikten, seit dem 17. Jahrhundert eine steigende Anzahl von Quellen zu dieser Thematik überliefert ist. Bestimmte Ergebnisse der Untersuchungen erlauben aber Rückschlüsse auf gesellschaftliche Einstellungen auch in früherer Zeit. Zwar differieren Ergebnisse verschiedener Studien stark, aber regionale Schätzungen mit unterschiedlichen zeitlichen Untersuchungsfeldern gehen zum Teil von über 30 Prozent außerehelicher Geburten aus.156 Geschichtswissenschaftliche Studien zeigen – dementsprechend – eine gewisse gesellschaftliche Tolerierung der Unehelichkeit. Die Historikerin Rebekka Habermas hat sich mit dem in der Literaturwissenschaft stark beachteten Fall der Susanna Margareta Brandt beschäftigt, dem Einfluss auf Goethes Gretchentragödie zugeschrieben wird. Habermas relativiert die Vorstellungen einer frühneuzeitlichen Realität, in der ein Kindsmord aufgrund verletzter Ehrvorstellungen einfach erklärbar sei. Andererseits sollten die Schwierigkeiten lediger Mütter nicht überschätzt werden: Faktisch wurden nur die wenigsten vorehelichen Schwängerungen strafrechtlich verfolgt – das wäre
Strafbar waren nicht nur Handlungen, die Rechte Dritter verletzten, etwa Gewaltausübung, sondern eben auch „Freiwillige, nicht auf Zwang oder Gewalt beruhende geschlechtliche Handlungen, die gegen religiöse oder moralische Sexualwerte verstießen.“ Hull: Sexualstrafrecht, S. 223. „Erst im Laufe des 15. Jahrhunderts übernahm die weltliche Obrigkeit die Kontrolle über Delikte wie Ehebruch. Diese Entwicklung führte erstaunlicherweise keineswegs zu Kompetenzstreitigkeiten, sondern zum Zusammenwirken von Kirche und Staat oder Kirche und Magistrat; insbesondere ‚freiwillige‘ geschlechtliche Übertretungen wurden zu Delikten ‚mixti fori‘, d. h., sie konnten entweder von den weltlichen oder geistlichen Gerichten oder von beiden geahndet werden. Diese unklare Teilung der Jurisdiktion spiegelte die unterschiedlichen, teils religiös, teils sozial begründeten Ziele der weltlichen Obrigkeit wider, da im späten Mittelalter und erst recht in der Reformation die religiös-sittliche Ordnung nicht einfach von der weltlichen zu trennen war.“ Hull: Sexualstrafrecht, S. 224. Kerstin Michalik verweist etwa auf den mangelhaften Forschungsstand zu dieser Thematik, Michalik: Kindsmord, S. 95. Habermas: Gretchen, S. 14, Anm. 18. Regina Schulte zum Beispiel berichtet: „[...] bis zu 25 % der oberbayerischen Kinder wurden unehelich geboren.“ Schulte, Re.: Lebenswirklichkeiten, S. 384.
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schon allein aufgrund der enorm hohen Anzahl von unehelichen Geburten kaum möglich gewesen.157
Habermas erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass Goethes eigene Biographie die Diskrepanz zwischen Vorschriften und praktizierten Verstößen gegen diese zeigt: Christiane Vulpius etwa gebar insgesamt fünf uneheliche Kinder, von denen vier kurz nach der Geburt gestorben waren, und lebte 18 Jahre lang mit dem Kindsvater, Johann Wolfgang Goethe, zusammen. Sie wurde weder strafrechtlich verfolgt, noch scheint die Schande der Unehelichkeit sie beziehungsweise Goethe so belastet zu haben, daß sich das Paar zur Heirat entschloß.158
Mephistopheles bemerkt über Gretchen zynisch: Sie ist die erste nicht. (13) Diese Formulierung wird auch in der aktuellen Faust-Forschung und erst recht in populärwissenschaftlichen Publikationen immer wieder einseitig auf Akten des Kindsmordprozesses gegen Susanna Margaretha Brandt zurückgeführt, in denen die Aussage wörtlich zu finden ist. Allerdings bezogen sich die Zeugen mit ihrer Bemerkung dort auf die als gewöhnlich betrachtete uneheliche Schwangerschaft Brandts, nicht auf die spätere Tötung des Kindes.159 In der Forschung wird – auf den Brandt-Prozess fixiert – meist Folgendes nicht zur Kenntnis genommen: Heinz Rölleke hat schon im Jahr 1998 nachgewiesen, dass es sich bei der Redewendung „Sie ist die Erste nicht“ um eine weit verbreitete formelhafte Wendung angesichts unehelicher Schwangerschaften handelt, sowohl im Volksmund als auch in der Literatur. Etwa zitiert Rölleke verschiedene Varianten bei Andreas Gryphius, Grimmelshausen und Christoph Martin Wieland.160 Die Wendung ist besonders oft im 17. und 18. Jahrhundert belegt und war vermutlich sowohl Goethe als auch den zitierten Frauen im Prozess gegen Brandt geläufig. An Rölleke anknüpfend hat Lothar Bluhm 2015 die lange Tradition der Formulierung in literarischen
Habermas: Susanna Brandt, S. 39. In der aktuellen Faustforschung wird inzwischen manchmal mit Verweis auf Habermas auf diese Tatsachen hingewiesen, ohne dass weitergehende Schlüsse für die Deutung der Gretchentragödie daraus gezogen werden. Vgl. Luserke-Jaqui: Sichtung, S. 186. Habermas: Susanna Brandt, S. 39. Luserke-Jaqui greift diesen Gedanken auf und vermutet Goethes privilegierte Stellung als Ursache. Vgl. Luserke-Jaqui: Sichtung, S. 190. Eine mit Brandt zusammen tätige Dienstmagd berichtet etwa, sie habe zu der Schwangeren gesagt: „[...] sie wäre ja nicht die erste und würde auch nicht die letzte seyn [...]“, Birkner: Goethes Gretchen, S. 31. Brandt sagt aus: „[...] ihre Schwestern sie scharf befragt, sie sollte es gestehen, wann sie schwanger seye, sie wäre ja nicht die erste und würde auch nicht die letzte seyn [...].“, Birkner: Goethes Gretchen, S. 52. Rölleke: Beiträge zur Goethe-Philologie. Auch internationale Beispiele kann Rölleke anführen, etwa Molière, vgl. S. 126.
8.3 Die Figur Gretchen
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und trivialliterarischen Werken nochmal ausführlich ergänzend belegt. Bluhm sieht die Redewendung zu Recht als „Hinweis auf eine gewisse Gängigkeit“, und er schreibt mit Blick auf Unehelichkeit: „Die Normativität des Faktischen wird über die Verbindlichkeit des Normativen gesetzt.“161 Es ist auch bemerkenswert, dass in der Literatur bis zum 18. Jahrhundert Verführung und uneheliche Schwangerschaft oft humorvoll behandelt werden, worauf Susanne Kord verweist: In dieser Tradition, die sich vom 13. bis zum 18. Jahrhundert zieht, verliert die Verführte ihre Jungfernschaft durch schiere Naivität; die Geschichte feiert entweder den Witz und die Gerissenheit des Verführers oder die Eltern des verführten Mädchens lassen sich erweichen und geben ihre Erlaubnis zu der Hochzeit, die alles wieder ins Lot bringt. Ungewollte Schwangerschaften sind selten in dieser Tradition, aber auch dort, wo sie vorkommen, ändern sie nichts an dem humorigen Ton der Erzählung.162
Gerade Rechtsvorschriften bezüglich der „Unzuchtsdelikte“ propagierten oft moralische Wertungen, die auch der Abschreckung dienen sollten.163 Sie dürfen nicht mit gängiger Rechtspraxis gleichgesetzt werden. Ein Unterschied zwischen einer theoretisch möglichen Strafe und dem praktischen Vollzug derselben wird in der Geschichtswissenschaft zum Beispiel auch für die oft diskutierten „Kirchenbußen“ beschrieben. Auf diese rechtlich geregelte öffentliche Herabsetzung, die unverheirateten Müttern drohen konnte, verweist in Goethes Szene Am Brunnen die Figur Lieschen voller Genugtuung: Da mag sie denn sich ducken nun, Im Sünderhemdchen Kirchbuß’ tun! (3568 f.)
Unter der „Kirchenbuße“ verstand man eine Zurschaustellung der „Sünderin“ im Büßergewand während der Messe, die „Buße“ konnte auch darin bestehen, vom Geistlichen gerügt und bloßgestellt zu werden. Die Angst vor der Kirchenbuße wurde zu Goethes Zeit als Ursache von Kindsmorden diskutiert und diese Strafe
Bluhm: „Sie ist die erste nicht“, 184. Er verweist auch darauf, dass sich die Wendung in ähnlichem Sinne in Heinrich Leopold Wagners Drama „Die Kindermörderin“ findet. Der Vergewaltiger von Gröningseck sagt dort: „Ums Himmelswillen, so komm doch zu dir! – du bist ja nicht die erste. – / Evchen. Die du zu Fall gebracht hast? – bin ichs nicht – nicht die erste? o sag mirs noch einmal. / v. Gröningseck. Nicht die erste, sag ich, die Frau wurde, eh sie getraut war.“ Wagner: Kindermörderin, I. Akt, S. 17. Kord: Etikette oder Theater?, S. 298 f. Vgl. zur Strafandrohung für Unzuchtsdelikte auch die ältere und teilweise überholte Abhandlung von Wächtershäuser: Das Verbrechen des Kindesmordes, S. 125–137.
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vielerorts abgeschafft, in Preußen schon in den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts.164 Goethe war ein Gegner der Kirchenbuße und als Minister mit ihrer Abschaffung in Sachsen-Weimar befasst.165 Eine Abhandlung Goethes aus dem Jahr 1780 legt seine Ablehnung der Kirchenbuße dar.166 Diese historischen Umstände sind in der FaustForschung breit und oft mit Verve diskutiert worden. Wolfgang Wittkowski etwa echauffiert sich, Goethes Engagement für die Abschaffung der Kirchenbuße werde mit Blick auf seine vermeintlich harte Haltung im Fall der als Kindsmörderin verurteilten Johanna Catharina Höhn zuwenig gewürdigt.167 Auch Michael Schmidt hat Goethes Sicht der Kirchenbuße ausführlich behandelt. Er vergleicht die Prozedur mit Schauprozessen: Die Kirchenbuße des 18. Jahrhunderts hatte in ihrem Charakter wie in ihren Folgen einige Ähnlichkeit mit den Prozeduren, denen totalitäre Systeme des 20. Jahrhunderts Dissidenten aussetzten und aussetzen. Wie diese war sie institutioneller Terror und zielte auf die Erzeugung von sozialer Angst [...]168
Ohne Zweifel spielt die Angst vor öffentlicher Demütigung auch in Goethes Gretchentragödie eine Rolle. Viele heutige Interpreten setzen allerdings bei der Deutung des Motivs der ledigen Mutterschaft die überlieferten normativen Rechtsvorschriften, eben zum Beispiel bezüglich der erwähnten Kirchenbuße, mit der Realität gleich. Goethe bleibt in seiner Gretchentragödie näher an der historischen Wirklichkeit. Heinrich Düntzer glaubt, Gretchens Kirchenbesuch erklären zu müssen: „Daß Gretchens Schande im Volke bekannt sei, wird hier nicht angenommen, schon weil sonst der allgemeinen Verachtung und der Kirchenbuße gedacht sein müßte, welche Valentin voraussagt.“169 Auch Ulrich Gaier beschreibt Gretchen als verführtes Mädchen, „das nun der blinden und mechanischen Bestrafung durch die Gesellschaft ausgesetzt ist.“ 170 Robert Petsch vermutet einen Widerspruch zwischen der Thematisierung von Strafen im Drama und der dargestellten Wirklichkeit: Eine weitere Unangemessenheit besteht freilich darin, daß Gretchen trotz der Enthüllung des Bruders über ihren Zustand an der Kirchenfeier ohne äußere Demütigung teilnehmen darf.
Vgl. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 278–283 sowie 318. Vgl. Schmidt, M.: Genossin der Hexe, S. 108–111. Vgl. Suphan: Goethe im Conseil. Suphan druckt Goethes Stellungnahme ab; eine Paraphrase findet sich bei Frede: Kindesmord und Kirchenbuße bei Goethe, S. 429 f. Vgl. auch Schmidt, M.: Genossin der Hexe, S. 108–111. Wittkowski: Hexenjagd auf Goethe, S. 100; vgl. hierzu Punkt 7.3 meiner Arbeit. Schmidt, M.: Genossin der Hexe, S. 107. Vgl. zum Thema Kirchenkritik in der Gretchentragödie pointiert etwa auch Marache: Le problème social, besonders S. 60–63. Düntzer: Goethes Faust. Erster Theil, S. 165. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 437.
8.3 Die Figur Gretchen
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Aber Goethe hat sich kaum den Kopf zerbrochen über die polizeilichen Konsequenzen eines dramatischen Motivs.171
Man könnte hier das Gegenteil annehmen: die späteren Interpreten orientieren ihre Sicht der frühneuzeitlichen Realität fälschlicherweise an normativen Rechten, die im Drama an anderer Stelle zur Sprache kommen. Goethe tat dies nicht, und seine Darstellung entspricht damit eher dem frühneuzeitlichen Alltagsleben. Es irritiert deshalb umso mehr, dass andere Inhalte von einer historischen Wahrscheinlichkeit des Geschehens stark abweichen. Zu nennen ist hier etwa die extreme Angst des Bruders Valentin, der die uneheliche Schwangerschaft seiner Schwester als existenzbedrohend empfindet. Diese Hinweise sind von Bedeutung, wenn man eine ehemals intendierte Anlage eines Hexenprozesses gegen Gretchen annimmt. Sie zeigen Spuren des ursprünglichen Plans, die im Drama noch lesbar sind. Mit dem Thema der öffentlichen Anprangerung von „Unzucht“ ist die Hexenverfolgung in Goethes „Faust“ wie in der historischen Wirklichkeit eng verknüpft. Eine seit dem 16. Jahrhundert zunehmend geforderte soziale Kontrolle wird in der Hexenforschung heute als ein Faktor für die Zunahme von Hexenverfolgungen betrachtet. Denn die Verschärfung öffentlicher Wachsamkeit und die Förderung einer Denunziationsbereitschaft hatten Auswirkungen auf die Strafrechtspraxis. Richard van Dülmen fragt mit Blick auf die Zeit seit dem späten 16. Jahrhundert nach Gründen für die vermeintliche Zunahme von Kindstötungen im Verlauf der frühen Neuzeit: [...] ob die Zahl der Kindstötungen entsprechend den Bestrafungsfällen tatsächlich zugenommen hat, wie die Juristen und Obrigkeiten meinten, oder ob die Zahl der Kindstötungen konstant blieb und die verschärfte Abstrafung das Produkt einer neuen Wahrnehmung war. Möglich wäre immerhin auch, daß die wirklich ansteigende Zahl von Kindstötungen, nicht nur der registrierten Kindsmordfälle, die Folge einer rigiden Bekämpfung bzw. einer zunehmenden Kriminalisierung sittlich-moralischen Verhaltens war.172
Van Dülmen vermutet die Gründe für diese zunehmende „Kriminalisierung sittlichen Verhaltens“ sowohl in der reformatorisch-puritanischen Bewegung als auch in der Gegenreformation und dem Jesuitismus.173 Otto Ulbricht hat diese Annahme relativierend in Zweifel gezogen.174
Petsch: Faustsage und Faustdichtung, S. 150, Anm. 1. Van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 8. Van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 74. „Für das folgende Jahrhundert ist die These aufgestellt worden, dass die Zahl der Kindsmorde nicht nur angestiegen sei, sondern die Häufigkeit in den Jahren zwischen 1680 und 1710 auch ihren Höhepunkt in der Frühen Neuzeit erreicht habe. Als Erklärung wird auf eine gestiegene Denunziationsbereitschaft hingewiesen, die auch mit dem wachsenden staatlichen Zugriff zusammenhinge, auf die neue Situation lediger Mütter und auf die puritanische Bewegung. Aus
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Mit Blick auf die frühneuzeitliche Hexenverfolgung wurde eine steigende Verfolgungsbereitschaft unter anderem auf derartige Einflüsse zurückgeführt. Dämonologische Vorstellungen schürten Angst, sie wurden zum Beispiel durch gegenreformatorische Predigten verbreitet und zur sozial-religiösen Disziplinierung der Bevölkerung benutzt.175 Die Aufforderung zu strenger sozialer Kontrolle trug zu Hexereibezichtigungen bei.176 Diese gesellschaftliche Atmosphäre spielt in Goethes „Faust“ für Gretchens Schicksal eine wichtige Rolle. Die lebensbedrohlichen Stigmatisierungen, wie sie in der Gretchentragödie etwa von Valentin befürchtet werden, trafen in der historischen Realität wahrscheinlich eher selten uneheliche Mütter, schon weil es so viele gab. Viel wahrscheinlicher führte die Furcht vor Hexen zu vehementen Ausgrenzungen.177 Denn Hexenangst hatte eine starke gesellschaftliche Dynamik, nicht zuletzt durch die Möglichkeit, Hexenprozesse für eigene Interessen zu instrumentalisieren. Gretchens Gebet vor der Mater dolorosa in der Szene Zwinger spiegelt große Angst vor Stigmatisierung und Verfolgung. Rüdiger Radler interpretiert die Szene als eine „Schuldverweigerung“ Gretchens: „Ihre äußere und innere Situation ist offensichtlich noch bedrückender, quälender, schmerzender geworden. [...]. Hier schildert sie der Mater dolorosa [...] ihre unsäglichen Leiden und bittet um Erlösung von dieser Not“.178 Er betont, dass Gretchen „[...] sich nicht den weltlichen und kirchlichen Gesetzen in schuldbewußter Büßerhaltung fügt, sondern daß sie ganz im Gegenteil um Schutz vor den Praktiken der Gesellschaft und der Kirche bittet.“179 Der Maler Wilhelm Kaulbach gestaltete um 1859 die Szene Zwinger ebenfalls als Stigmatisierungsszene (Abb. 11): auf die verzweifelt Betende wird im Hintergrund mit Fingern gezeigt.
einer Reihe von Gründen – so sind sowohl die Zahlenbasis wie auch die Hauptargumente nicht über jeden Zweifel erhaben – muß dahingestellt bleiben, ob diese Interpretation zutreffend ist.“ Ulbricht, O.: Kindsmord in der Frühen Neuzeit, S. 242. Vgl. Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 14. Vgl. zu diesem Thema zum Beispiel die Ausführungen des Historikers Rainer Walz: Das Hexengerücht im Dorf und bei den Gebildeten, S. 315–334. In expliziten literarischen Verarbeitungen von Hexenverfolgung wird die Stigmatisierung oft drastisch geschildert, etwa von Meinhold: „[...] daß alle Leute im Dorfe vor ihr gelaufen [...]. Item hätten die kleinen Kinder geschrieen, so sie in der Schulen gehabt, und sich vor ihr verkrochen, auch hätte ihr Niemand nit ein Wörtlein geantwortet, sondern wie die Magd vor ihr ausgespieen.“ Meinhold: Bernsteinhexe, S. 113. Radler: Goethes „Faust I“, S. 137. Radler: Goethes „Faust I“, S. 138.
8.3 Die Figur Gretchen
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Abb. 11: Wilhelm Kaulbach: Gretchen, um 1859.180
Bild hier: München um 1880. Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. https://haab-digital.klassik-stiftung.de/viewer/image/1182319262/2/LOG_0000/ [Stand: Juni 2023].
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Was fällt insgesamt auf, wenn man die visuellen Darstellungen von Stigmatisierung mit historischen Gegebenheiten vergleicht? Wie schon dargelegt, vermuten Historikerinnen und Historiker einen in weiten Teilen der frühneuzeitlichen Gesellschaft eher gelassenen Umgang mit den allgegenwärtigen außerehelichen Schwangerschaften. Marita Metz-Becker zitiert in ihrer kulturgeschichtlichen Untersuchung von Kindsmordfällen beispielhaft für unterschiedliche, die uneheliche Mutterschaft tolerierende Ehrvorstellungen etwa aus der Akte der wegen Kindsmord verurteilten Marburgerin Katharina Elisabeth Bötzel: „30 Jahre alt, ledig, von geringem Vermögen, Mutter zweier unehelicher Kinder und bisher guten Rufes [...]“.181 Vermeintliche „Hexen“ hingegen wurden überaus argwöhnisch betrachtet und oft öffentlich beschimpft. Ihre Denunziation wurde in vielen Gebieten von Obrigkeiten und beteiligten Juristen gefördert und nicht selten auch aus egoistischen Motiven betrieben.182 Franz Irsigler hat vielfältige Möglichkeiten der Instrumentalisierung von Hexenprozessen genannt: Scheidung per Hexenprozeß, frühe Verfügung über Erbteil und Besitz per Hexenprozeß, Besitzerwerb vom Nachbarn per Hexenprozeß, Erfüllung persönlicher Rachegefühle, Ausschaltung von Konkurrenten um Wirtschaftsmonopolrechte oder Sühne von nicht verfolgbaren, aber allgemein bekannten Verbrechen (Inzest, Sodomie, Unterschlagung, Mord und Totschlag).183
Die gesellschaftliche Sprengkraft der Hexenprozesse überstieg die der unehelichen Schwangerschaften bei weitem. Hexenverfolgungen erzeugten unvergleichlich viel mehr Angst, Misstrauen und Ausgrenzung, eben jene Gefühle, die sich auch in Goethes „Faust“ spiegeln und die in bildlichen Darstellungen zur Gretchentragödie oft besonders betont wurden. Einiges spricht dafür, dass sich die bildenden Künstler mit Blick auf die Figur Gretchen in diese frühneuzeitlichen Ängste und Stigmatisierungen hineingedacht haben. Ein Verfolgungsszenario spricht in Goethes „Faust“ offensichtlich aus Gretchens Not. Es ist auffällig, dass sie schon in der Szene Zwinger explizit den Tod fürchtet: Hilf! rette mich von Schmach und Tod! Ach neige, Du Schmerzensreiche, Dein Antlitz gnädig meiner Not! (3616–3619)
Metz-Becker: Gretchentragödien, S. 191. Vgl. hierzu Rummel: Zur sozialen Motivation und Nutzung von Hexereianklagen. Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 19 f.
8.3 Die Figur Gretchen
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Das Gebet findet vor der Kindstötung Gretchens statt, die hierfür übliche Todesstrafe hat sie also in dieser Szene noch nicht zu befürchten. Eher kann ihre Todesangst als Hinweis auf einen sich anbahnenden Hexenprozess gegen das Mädchen gelesen werden. Auch eine „drohende Todesstrafe für die Ermordung der Mutter durch die Überdosis (?) des Schlaftrunks“,184 die etwa Ulrich Gaier vermutet, wäre in der Zeit des 16. Jahrhunderts als Anklage wegen Giftmischerei Hexereivorwürfen eng verbunden. Ein Tod durch Armut, eine ebenfalls mögliche Deutung, wäre dagegen in Gretchens Fall unwahrscheinlich, denn ihre Familie besitzt, wie sie in der Szene Garten sagt, einen finanziellen Rückhalt. Sie berichtet über ihre Mutter: Nicht daß sie just so sehr sich einzuschränken hat; Wir könnten uns weit eh’r als andre regen: Mein Vater hinterließ ein hübsch Vermögen, Ein Häuschen und ein Gärtchen vor der Stadt. (3115–3118)
Zwar konnte in extremen Fällen von Armut ein uneheliches Kind existenzbedrohend werden, doch war dies eher selten.185 Otto Ulbricht etwa relativiert die Lage lediger Mütter, die seiner Ansicht nach „von Moralisten und von Sozialreformern“186 teilweise in düstersten Farben geschildert wurde. Er verweist auf verschiedene Lösungsmöglichkeiten zur Versorgung eines unehelichen Kindes und auf die durchaus noch vorhandenen Heiratsmöglichkeiten der ledigen Mütter.187 Kerstin Michalik beschreibt in ihrer Studie zur Sozial- und Rechtsgeschichte der Kindstötung im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert am Beispiel Preußen die stark differierenden Bewertungen außerehelicher Beziehungen und der „Schande“ unehelicher Schwangerschaft in verschiedenen Bevölkerungsschichten.188 Die in der Literatur verbreitete Vorstellung des Ehrverlustes muss in der historischen Realität je nach ständischer Zugehörigkeit der Frauen differenziert betrachtet werden. Michalik sieht Hinweise darauf, dass „die strenge obrigkeitliche Bewertung von
Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 436. Vgl. zu solchen Fällen Metz-Becker: Die anderen Gretchen. Kindsmörderinnen im 19. Jahrhundert. Die zuspitzende und verallgemeinernde Beschreibung der historischen Umstände lediger Mütter durch Jochen Schmidt ist typisch für die Literaturwissenschaft, wäre aber durch geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse zu relativieren. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 180. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 108. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 110. Vgl. hierzu auch van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 84. Michalik: Kindsmord, besonders S. 94–109.
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‚Unzucht‘ also nicht durchgängig von allen städtischen Bevölkerungsschichten geteilt wurde“.189 Und weiter schildert sie: Nichtehelichkeit war in der ländlichen Gesellschaft grundsätzlich akzeptiert und stand nicht in Konflikt mit traditionellen Normen. Für das ländliche Preußen gibt es keinen Hinweis darauf, daß die ledige Mutterschaft als solche moralisch verurteilt wurde, und dies galt sowohl für Frauen aus der bäuerlichen Oberschicht als auch für die Töchter der Dorfarmut.190
Setzt man ein Geschichtsbewusstsein Goethes voraus, das ihm oft zugeschrieben wird, so ist anzunehmen, dass er die gesellschaftliche Realität in seinem Drama nicht völlig außer Acht ließ oder durch konstruierte Moralvorstellungen verzerrte. Es stellt sich vor diesem Hintergrund wieder die Frage: Was bedingt in erster Linie Gretchens extreme Verzweiflung? Verschiedene Interpretationen geben Hinweise auf die Deutungsbedürftigkeit der dargestellten Not. Heinz Hamm etwa interpretierte Goethes Kindsmordgeschichte unter marxistischen Vorzeichen wie folgt: Zwar braucht auch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit des 18. Jahrhunderts eine uneheliche Schwangerschaft für das Mädchen nicht den Untergang zu bedeuten. Doch Goethe will die Gegensätze nicht verniedlichen, sondern ihre Härte zeigen. Er will zeigen, daß der Konflikt zwischen dem Anspruch auf freie Liebe, von bürgerlichen Ideologen als Naturrecht proklamiert, und der gesellschaftlich notwendigen Forderung, Liebe an die Ehe zu binden, für die Frau nicht auflösbar ist, daß sie in diesem Konflikt – im Gegensatz zum Mann – auf der Strecke bleibt. [...]191
Diese Deutung zeigt, wie erklärungsbedürftig Gretchens Verfassung offensichtlich ist. Spuren einer Hexereianklage bieten eine mögliche Erklärung. Sie wurden in der Faust-Forschung mit Blick auf die Gretchentragödie aber praktisch ignoriert. Dabei spiegeln sich reale frühneuzeitliche Bedrohungsszenarien auch in der Sprache Goethes. Die Szene Dom zeigt die extreme psychische Bedrängung des Mädchens.192 Ähnlich wie es für die Figur Faust gilt, wird im Drama auch Gretchens „Sündhaftig-
Michalik: Kindsmord, S. 95. Michalik: Kindsmord, S. 103. Hamm: Faust, S. 58. Der Historiker Otto Ulbricht hat dem Thema des Kirchenbesuchs von ledigen Schwangeren ein eigenes Kapitel gewidmet, er betont den Charakter des Kirchenraums als Ort der sozialen Kontrolle: „Der Öffentlichkeits- und damit Kontrollcharakter des Kirchgangs stellte die ledige Schwangere vor besondere Probleme, und auch die Predigt konnte besondere (aber kaum erforschbare) Wirkungen auf ihren psychischen Zustand haben.“ Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 62–66.
8.3 Die Figur Gretchen
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keit“ beleuchtet.193 Ein Böser Geist, oft als Personifikation des Gewissens,194 manchmal als dämonische Macht195 gedeutet, quält sie. Seine Einflüsterungen beschwören Gretchens vermeintliche Schuld: Wie anders, Gretchen, war dir’s, Als du noch voll Unschuld Hier zum Altar trat’st. [...] In deinem Herzen, Welche Missetat? Bet’st du für deiner Mutter Seele, die Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief? Auf deiner Schwelle wessen Blut? (3776–3789)
Explizit prophezeit der Geist einen der Mutter drohenden langen Aufenthalt im „Fegefeuer“, weil sie ohne letzte Beichte und andere Sakramente starb. Diese theologischen Hintergründe werden in Kommentaren zu „Faust“ stets dargelegt. Nicht erläutert wird dagegen, wieso sich das angedeutete Blut des Bruders Valentin auf der Schwelle von Gretchens Haus befindet, obwohl sein tödlich endender Fechtkampf mit Faust und Mephistopheles auf der Straße vor Gretchens Türe stattfand. Abgesehen von der symbolischen Bedeutung der Schwelle als Nähe zu Gretchens unmittelbarem Lebensbereich ist zu berücksichtigen, dass Türschwellen nach dämonologischer Vorstellung eine immense Bedeutung zukam. Nach den Hexentheorien waren Schwellen Eintrittspforten für Dämonen und Orte, an denen sich der hexische Schadenzauber entfaltete. Die Gretchenfigur wird auch in der Szene Kerker von diesen Vorstellungen beherrscht: Sieh! unter diesen Stufen, Unter der Schwelle Siedet die Hölle! Der Böse, Mit furchtbarem Grimme, Macht ein Getöse! (4454–4459)
Birgit Stolt hat Gretchens Schicksal mit Blick auf theologische Vorstellungen von „Todsünden“ untersucht, die durch Literatur und Predigten verbreitet waren. Stolt unterstreicht das Problem der Zeitebenen in aller Deutlichkeit: „Naht man sich der Gretchentragödie von der Literatur des 16. Jahrhunderts aus, ist der Eindruck ein anderer als aus der Perspektive der Nachaufklärungszeit.“ Stolt: Gretchen, S. 29. So etwa schon Düntzer: Goethes Faust. Erster Theil, S. 166; Berliner Ausgabe, Bd. 8, S. 832. Heinrich Rickert deutet den Geist als „Verkörperung der inneren Qualen, die Gretchen durchmacht“. Rickert: Goethes Faust, S. 259. Dafür plädiert zum Beispiel Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 360 f.
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Dämonologien wie die von Goethe rezipierten verbreiteten die Vorstellung, Hexen würden Schwellen von Häusern präparieren, etwa indem sie dort schädliche Gegenstände vergrüben. Man versuchte in der frühen Neuzeit durch zahlreiche vermeintliche Schutzzauber die Schwellen von Häusern zu schützen.196 Die meisten dieser Imaginationen hingen mit dem Thema Tod zusammen, Überreste von Toten oder tote Tiere wurden für magische Praktiken verwendet.197 Reste dieser Vorstellungen existieren bis heute. Die dämonologischen Assoziationen sind zu Goethes Zeit198 mit dem Bild der Schwelle noch eng verknüpft und erklären die Brisanz seiner Wortwahl. Schon in der Szene Studierzimmer (I) hat Goethe das Bild der Schwelle betont. Mephistopheles ist durch einen Drudenfuß auf der Schwelle gefangen: Gesteh’ ich’s nur! Daß ich hinauspaziere / Verbietet mir ein kleines Hindernis, / Der Drudenfuß auf eurer Schwelle – (1393–1395). Später gelingt es ihm dieser Schwelle Zauber zu zerspalten (1512). Gretchen wird durch den bösen Geist an die Vorstellungen eines „Jüngsten Gerichts“ erinnert: Grimm faßt dich! Die Posaune tönt! Die Gräber beben! Und dein Herz, Aus Aschenruh’
Die Luxemburger Ausstellung „Incubi. Succubi. Hexen und ihre Henker bis heute“ (vgl. hierzu Punkt 2.3.4) präsentierte zahlreiche überkommene Gegenstände, die mit Schwellenzauber im Zusammenhang standen. Türschwellen der Ausstellungsräume waren frühneuzeitlichen Ängsten entsprechend sichtbar und hörbar präpariert. Othon Scholer hat Schutzbriefe und magische Schutzartikel mit Segen und Exorzismen gegen Hexerei untersucht, sogenannte „Teufelsgeißeln“, die oft in noch erhaltenen geschmückten Stoffhüllen steckten. Er bemerkt zu dämonischen Paktzeichen, gegen die jene Schutzmittel helfen sollten: „Die Zeichen werden in unmittelbarer Nähe des präsumptiven Opfers der Operation angebracht, z. B. unter der Schwelle des Hauses; solange es nicht gefunden und beseitigt worden ist, bleibt die Gefahr bestehen.“ Scholer: Lateinische Segenssprüche, S. 661, Anm. 1. Vgl. auch die Beschreibungen und Abbildungen bei Koch: Teufelsgeißeln. Zufällig wurde etwa auch in dem Haus in Knittlingen, das als mögliches Geburtshaus des historischen Faust in Betracht gezogen wird und das heute als „Faust-Museum“ dient, ein Ledersäckchen mit einem Abwehrzauber in einem Astloch der Türschwelle gefunden. Mahal: Faust und Alchemie, S. 53 f. Vgl. die umfangreiche Sammlung von Belegen im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Weiser-Aall: Art. Schwelle, Sp. 1509–1543. Vgl. zum Beispiel auch zahlreiche Ausführungen in Kramer: Hexenhammer. „Der todbringende Glaube an das Maleficium sowie die Überzeugung von der unheimlichen Macht der Malefizleute, Besessenheit auszulösen oder mit Hilfe des Dämons Krankheit und Tod zu bringen, ist im 17. und 18. Jahrhundert sehr lebendig geblieben, davon zeugen unter anderem die Teufelsgeißeln [...].“ Scholer: Lateinische Segenssprüche, S. 681.
8.3 Die Figur Gretchen
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Zu Flammenqualen Wieder aufgeschaffen, Bebt auf! (3800–3807)
Zu Recht weist Ulrich Gaier darauf hin, dass Gretchen durch den bösen Geist zur Sünde der desperatio, der Verzweiflung ohne Hoffnung, verleitet werden könne. Sie erleichtert nach theologischer Vorstellung dem Teufel in besonderer Weise einen Zugriff auf die Seele199 und spielt, wie schon beschrieben, auch in der Anlage der Faustfigur eine wichtige Rolle. Feuermetaphorik wie in den Worten des bösen Geistes wird mit Blick auf Goethes gesamtes Werk als bedeutsam diskutiert. Auch in der Domzene ist sie prägnant. Auf den ersten Blick handelt es sich hier, wie auch Faustkommentare erläutern, um die Bildlichkeit eines auf Bibelstellen gestützten mittelalterlichen Hymnus, der in der römischen Liturgie als Sequenz der Totenmesse gesungen wurde. Er beschreibt das „Jüngste Gericht“ als DIES IRAE, DIES ILLA / SOLVET SAECLUM IN FAVILLA. (3798 f.), als „Tag des Zornes“, der die Welt in Asche auflösen wird. Das Bild, dass Gretchens Herz Aus Aschenruh’ / Zu Flammenqualen auferstehen wird, kann über die Vorstellung des zu Asche verwesten Körpers hinaus auch die Assoziation einer Verbrennung wecken, wie sie in Hexenprozessen üblich war. „Ungeständigen“ Hexen wurden anschließende Höllenqualen vorhergesagt. Diese Deutung korrespondiert mit der Verbrennungsszene Gretchens in Goethes Paralipomena zu „Faust“.200 Schließlich redet der böse Geist Gretchen ein: Ihr Antlitz wenden Verklärte von dir ab. Die Hände dir zu reichen, Schauert’s den Reinen. Weh! (3828–3832)
Faustkommentare erläutern hier durchgängig die Bezüge zur Frage des Elenden im Hymnus „Dies irae“, wen er als Fürsprecher anflehen könne: QUID SUM MISER TUNC DICTURUS? QUEM PATRONUM ROGATURUS? CUM VIX JUSTUS SIT SECURUS. (3825–3827)
Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 448. Vgl. hierzu Punkt 8.3.6.
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Unter den „Verklärten“, die der böse Geist erwähnt, werden in diesem Kontext die Heiligen verstanden. Auch können die maniriert anmutenden Bezeichnungen der „Verklärten“ und „Reinen“ als Hinweis auf eine bigotte, sich selbst verklärende Gesellschaft gedeutet werden, wie es in manchen Faustinterpretationen geschieht.201 Aus den Zeilen klingt die Maxime, sich von „Sündern“ fernzuhalten. Zugleich spielen hier aber deutlich tiefere Ängste eine Rolle, die in der frühen Neuzeit weniger durch unverheiratete Mütter ausgelöst wurden; vielmehr durch Frauen, denen man Hexerei nachsagte. Die Vorstellung vom „bösen Blick“ getroffen zu werden, legte es nahe, den Blick, also das Antlitz von vermeintlichen Hexen abzuwenden. Dämonologien wie die von Goethe rezipierten belegen den breiten Diskurs über diese Imagination. Berührungen mit angeblichen Hexen galten als besonders gefährlich. Zwei der zahlreichen Belegstellen für diese dämonologischen Vorstellungen seien genannt. Heinrich Kramer empfiehlt in seinem „Hexenhammer“ Vorsichtsmaßnahmen, wie sich die Richter in Hexenprozessen vor Schadenzauber schützen könnten. Um dem Blick der angeblichen Hexe zu entgehen, rät er: [...] wenn es umstandslos geschehen kann, werde sie [die Hexe] rückwärts hereingeführt, indem sie den Rücken zu den Richtern und Beisitzern wendet.202
Auch vor Berührungen warnt Kramer das Gericht: Die zweite Vorsichtsmaßregel ist [...] jederzeit vom Richter und allen Beisitzern zu beachten: daß sie nicht zulassen, daß sie von ihr körperlich berührt werden, besonders an der nackten Verbindungsstelle von Händen und Armen.203
Goethes körperbetonte Formulierung Die Hände dir zu reichen, / Schauert’s den Reinen, spricht im Bild des „Schauerns“ von Ängsten, die nicht, wie etwa Moralvorstellungen, vom Verstand kontrolliert wurden. Man kann sie als Hexenangst verstehen.
Thomas Zabka sieht hier beispielsweise „den Umschlag einer Moral in Bosheit“. Zabka: Dialektik des Bösen, S. 208. Kramer: Hexenhammer, S. 681. Kramer: Hexenhammer, S. 680.
8.3 Die Figur Gretchen
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8.3.3 Die Nähe von Kindsmord- und Hexenprozessen The god thou servest is thine own appetite, Wherein is fixed the love of Beelzebub: To him I’ll build an altar and a church And offer lukewarm blood of new-born babes.204
Auf die Nähe von Kindsmordvorwürfen zu Hexereivorstellungen wird auch in der Faust-Forschung manchmal hingewiesen.205 Allerdings beschränkt sich die Diskussion, wie schon angesprochen, meist auf den theoretischen, dämonologischen Vorwurf der Kindstötung durch „Hexen“, etwa für kannibalische Handlungen. In der frühen Neuzeit jedoch wurden reale Kindsmordprozesse vor Gericht mit Hexenprozessen verknüpft oder durch diese ersetzt. In literarischen Verarbeitungen des Kindsmordmotivs ist die Nähe zu Hexereivorwürfen oft präsent. Dieses Forschungsfeld wurde noch kaum untersucht, es verspräche aufschlussreiche Ergebnisse. Es liegt die Frage nahe: Mischen sich in die literarische Darstellung der Stigmatisierung lediger Mütter, die von der historischen Wirklichkeit vielfach stark abweicht, vielleicht öfter Hexenassoziationen? Wird auf diese Weise das Thema „Hexenverfolgung“ verdeckt verarbeitet? Nur einzelne, sehr verschiedene Beispiele können hier genannt werden. Etwa in Gottfried August Bürgers Ballade „Des Pfarrers Tochter von Taubenhain“, die erstmals 1782 erschien,206 ist ein dämonologisches Detail prominent plaziert. Dort, wo die Kindsmörderin ihr Kind vergraben hat, leuchtet ein unlöschbares Flämmchen. Dass Kinderleichen oder Teile davon leuchten, ist keine Erfindung Bürgers und auch nicht irgendein „Spuk- und Gespenster(un-)wesen“,207 sondern ein in dämonologischer Literatur weit verbreitetes Bild. Martin Del Rio beschreibt hexische Kerzen, die aus Nabelschnüren von Kindern gemacht seien.208 Oft berichten erfolterte Geständnisse von Kinderhänden oder Füßen, die angeblich
Christopher Marlowes Faustus spricht in seinem Studierzimmer zu sich selbst. Marlowe: Tragical History, II. Akt, 5. Szene, S. 13. Adolf Seebass übersetzt die Stelle wie folgt: „Der Gott, dem du dienst, ist die eigene Begierde, die fest an Satan, ihrem Ursprung hängt. Ihm will ich Kirche und Altar errichten, ihm warmes Blut von Neugebornen opfern!“ Marlowe: Faustus, S. 19. Auf die Nähe der Verfolgung von Kindsmord- und Hexereidelikten verweist kurz zum Beispiel Jochen Schmidt: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 200. Michael Schmidt stellt im einleitenden Teil seiner Monographie einige Bezüge zwischen den Deliktvorstellungen her, zieht aber für Goethes Gretchentragödie keine weiterführenden Schlüsse daraus. Vgl. Schmidt, M.: Genossin der Hexe, besonders S. 11–29. Vgl. Kemper: Deutsche Lyrik, Bd. 6/III, S. 238. Vgl. Kemper: Deutsche Lyrik, Bd. 6/III, S. 243. Vgl. Martin Del Rio: Disquisitionum magicarum libri sex: quibus continetur accurata curiosarum artium, et vanarum superstitionum confutatio: utilis theologis, jurisconsultis, medicis,
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als Kerzen dienten.209 In Frageschemata für Hexenprozesse fragte man genau nach der Art der Leuchter beim „Hexensabbat“: „Was sie für leichter [Leuchter] gehabt, vnd ob nit etliche uf eine sonderbare Manier leichten miessen, ob sie auch geleicht?“210 Wie Hexenprozesse wurden auch Kindsmordprozesse in Flugblättern dargestellt. In diesen populären Schilderungen und Illustrationen wird die Nähe beider Deliktvorstellungen besonders deutlich. Die Historikerin Joy Wiltenburg gibt an, häufig sei „das Bild einer vollkommen lasterhaften Frau, die ganz bewußt eine Reihe von Kindsmorden begeht, um der Lust frönen zu können.“211 Weiter schildert Wiltenburg, dass in den Geschichten Kindsmorde oft mit der Zerstörung ganzer Familien und der Ermordung weiterer Familienmitglieder kombiniert wurden: Die Mörder wurden als vom Teufel angetrieben wahrgenommen, sie schlugen nicht gegen ein einzelnes Individuum, sondern gegen einen ganzen Haushalt los. [...] Die Darstellungen über den Familienmord stimmen mit denen der Mörderbanden und Hexen überein, in der Chronologie wie auch in den kulturellen Ängsten, die sie reflektieren.212
Diese Ausführungen erinnern auch an die Auslöschung der Familie von Goethes Gretchen, ihre Mutter wird getötet und ihr Bruder, der seinen Untergang vorhersieht, wird erstochen. Nicht unerheblich ist – assoziiert man einen Hexenprozess gegen Gretchen – ein weiterer im Drama beschriebener Umstand: Die Figur Gretchen schildert ausführlich, dass ihre Schwester als Kind unter ihrer Obhut starb (3121–3143). In nicht wenigen Fällen wurden Frauen, die mit Kinderpflege betraut waren, der Hexerei bezichtigt, wenn ein Kind krank wurde oder starb,213 nicht selten erhob man vor Gericht derartige Vorwürfe noch Jahre oder Jahrzehnte später.214 Wenn Bezüge des Kindsmorddeliktes zum Hexereidelikt in der Faust-Forschung gesehen werden, so geschieht dies bemerkenswert häufig unter Verweis auf den Frankfurter Kindsmordprozess gegen Susanna Margaretha Brandt, die 1772 hingerichtet wurde, aber selten mit Blick auf die eigentliche Hochphase der Hexenpro-
philologis. Libri II, Quaestio XVI. Mainz 1617. S. 172. Volltext einsehbar unter: https://gallica.bnf.fr/ ark:/12148/bpt6k512583 [Stand: Juni 2023]. Vgl. zur Verwendung von aus Kinderleichen hergestellten Kerzen auch Müller-Bergström: Art. Dieb, Diebstahl, besonders Sp. 229–234. Der Kelheimer Hexenhammer, S. 59. Wiltenburg: Flugschriften, S. 219. Wiltenburg: Flugschriften, S. 221–225. Vgl. Irsigler: Hebammen, Heilerinnen und Hexen, S. 142–153 und Roper: Hexenwahn, S. 115 f. Etwa war die 1782 nach einem vielbeachteten späten Hexenprozess (vgl. Punkt 5.2) hingerichtete Anna Göldi bereits früher wegen Kindsmord verurteilt worden. Vgl. zum Prozess gegen Anna Göldi ausführlich Hauser: Justizmord.
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zesse im 16. Jahrhundert, in dem auch die Gretchentragödie spielt. Susanna Brandts Schicksal wurde literarisch verarbeitet, und hier wird ebenfalls eine Nähe zu Hexereibezichtigungen hergestellt. Ruth Berger schildert in ihrem eng an die historischen Quellen angelehnten Roman „Gretchen“, wie man Susanna auf dem Weg zur Hinrichtung als „Teufelin“ und „Hexe“ beschimpft.215 Anne Bohnenkamp verweist am Beispiel des Falles Brandt kurz auf den Zusammenhang von Kindsmord- und Hexenprozessen: Und vom Kindsmord-Motiv aus gesehen ist ein Scharnier zum Fauststoff durch die Bezüge zum Teufels- und Hexenwesen gegeben: in zahllosen Verhören geständiger Kindsmörderinnen, auch in denjenigen der Susanna Margaretha Brandt, wird die Motivation zur Tötung des eigenen Kindes mit Einflüsterungen des Teufels begründet, und auch die Behandlung der Delinquentin weist verschiedene Parallelen zu den Verfahren der Hexenprozesse auf.216
Den Prozess gegen Brandt hat Goethe, wie schon erwähnt, gekannt. Ernst Beutler hat dargelegt, dass zahlreiche Bekannte und Verwandte des Dichters im Prozessgeschehen mitwirkten.217 Der Fall wurde als Vorlage für Goethes Gretchentragödie sehr breit diskutiert. Besonders augenfällig ist tatsächlich, was man in der FaustForschung oft beschrieben hat: die Prozessakten vermerken viele Aussagen der Angeklagten, in denen sie behauptet, der Teufel habe ihr die Tat eingegeben.218 Eine der zahlreichen derartigen Aussagen lautet: Der Satan habe sie verblendet und ihr gleichsam das Maul zugehalten [...]. Sie könne nicht läugnen, daß [...] der Satan ihr in den Sinn gegeben habe, daß sie in dem großen Hauß leicht heimlich gebähren, das Kind umbringen, verbergen und vorgeben könne, daß sie ihre Ordinaire wieder bekommen.219
Berger: Gretchen, S. 436. Bohnenkamp: Blicke in Goethes „Faust“-Werkstatt, S. 13. „Der Oheim, Johann Jost Textor, der Freund, Mitanwalt und spätere Schwager Schlosser, der Hauslehrer Thym, die beiden Hausärzte Metz und Burggrave, der Haussekretär Liebhold, selbst der Vater Johann Caspar Goethe, ein Lindheimer, ein Willemer, das sind die Namen der beteiligten oder Anteil nehmenden Personen, alles Menschen, die zu dem jungen Dichter in enger und engster Beziehung standen. Ja, selbst der Obristrichter, der, mit allen Insignien seiner reichsstädtischen Würde bekleidet, das kleine rote Stäbchen brach, war dem jungen Goethe nur zu wohl bekannt [...]“. Beutler: Essays um Goethe, Die Kindsmörderin, S. 92. Vgl. hierzu etwa Beutler: Essays um Goethe, Die Kindsmörderin, S. 88. Birkner: Goethes Gretchen, S. 51. Weitere Aussagen Brandts lauten etwa: „[...] da ihr der Teufel in den Sinn gegeben, Hand an ihr eigen Fleisch und Blut zu legen und das Kind umzubringen.“, Birkner: Goethes Gretchen, S. 54. „[...] weilen ihr der Satan dieses das alles so in den Sinn gegeben habe.“, Birkner: Goethes Gretchen, S. 61. „Sie habe die Absicht gehabt, dasselbe [ihr Kind] umzubringen, als wozu sie der Teufel verblendet.“, Birkner: Goethes Gretchen, S. 44. „Sie hätte nicht ruffen können, weilen sie schon von dem Satan verblendet gewesen und er ihr in den
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Solche Angaben waren in der Tat nicht außergewöhnlich, sie sind ähnlich auch aus vielen anderen Kindsmordprozessen überliefert.220 Petra Maisak mutmaßt: „Wegen solcher Ausreden standen uneheliche Mütter lange im Verdacht der Hexerei und Teufelsbuhlschaft.“221 Diese Schlussfolgerung ist zu einseitig. Doch untersuchenswert sind die Verknüpfungen von abergläubischen Vorstellungen, die noch zu Goethes Zeit herrschten, Erwartungshaltungen im Verhör, suggestiven Fragen und – teils erzwungenen – Aussagen. Ernst Beutler sieht in Brandts Verweisen auf den Teufel ein „Bindeglied“222 zu Goethes Drama, in dem der Teufel als Versucher das ganze Stück dominiere. Beutler hat jedoch in der früheren Faust-Forschung eine Scheu beobachtet, den Fall Brandt mit Goethes Werk in Verbindung zu bringen.223 Davon kann in jüngerer Zeit keine Rede mehr sein. Zwar wurde bisweilen in der älteren Forschung behauptet, Hexenprozesse seien von Kindsmordprozessen klar zu trennen.224 Quellenstudien haben dies aber widerlegt. Franz Irsigler hat zum Beispiel den gut dokumentierten Fall der Zeihen Eva aus Kenn analysiert.225 Sie wurde zunächst wegen des Verdachts auf Abtreibung oder Kindsmord verhaftet. Nach und nach berührten die Fragen vor Gericht, zum Teil unter der Folter, auch Hexereivorstellungen. Man fragte, ob sie einen abtreibenden Trank eingenommen habe; nach ihrer Aussage, der Teufel habe sie zum Kindsmord veranlasst, ging die Untersuchung in einen Hexenprozess über.
Sinn gegeben habe, daß sie ihr Kind umbringen solle, zu welchem Ende sie auch die Thür in der Waschküche hinter sich zugemacht.“, Birkner: Goethes Gretchen, S. 64. Richard van Dülmen etwa verweist in seiner geschichtswissenschaftlichen Untersuchung auf den Fall der Susanna Margaretha Brandt und auf die Verbreitung ihrer Argumentation: „Auf die richterliche Frage, warum sie ihr Kind getötet hätten, gaben viele Kindsmörderinnen an, daß der böse Feind, d. h. der Satan sie dazu verführt bzw. ihnen derartige Gedanken eingegeben hätte. Diesen Hinweis finden wir nicht nur in den Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts, als die Verbreitung der Hexerei auf den sich ausbreitenden Einfluß des Satans zurückgeführt wurde, sondern noch im 18. Jahrhundert wird ganz selbstverständlich auf den ‚bösen Feind‘ verwiesen.“ Van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 85. Maisak: Verwandlungen, S. 146. Beutler: Essays um Goethe, Die Kindsmörderin, S. 96 f. „Die Akten über diese Vorgänge waren nicht unbekannt, aber nicht beachtet, ja man hat sich gescheut, sie mit der Fausttragödie in Verbindung zu bringen. Man wollte Goethes Dichtung allein literarisch aus der allgemeinen Teilnahme einer Zeit erklären, in der die Frage nach der Schuld der Kindsmörderin juristisch und dichterisch sehr viel behandelt wurde.“ Beutler: Essays um Goethe, Die Kindsmörderin, S. 90. So zum Beispiel van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 87. Van Dülmen widerlegt die von ihm angenommene klare Trennung zwischen Kindsmord- und Hexenprozessen selbst, wenn er etwa einen Prozess gegen Anna Klein aus Ensisheim (1621) zitiert, in dem Kindsmord- und Hexenprozess eng verwoben waren. Vgl. van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 86 f. Irsigler: Information oder Fiktion, S. 9–19.
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Eva gestand Liebes- und Schadenzauber sowie die Teilnahme am „Hexensabbat“ und sie nannte angebliche Mittäterinnen und Mittäter. Einige der Genannten wurden später, wie Eva selbst, verbrannt.226 Der Prozess ist ein Beispiel dafür, dass das Kindsmorddelikt manchmal, auch wegen fehlender medizinischer Kenntnisse, schwer zu beweisen war: Handelte es sich um eine Fehlgeburt oder eine Abtreibung? Um einen Kindsmord oder eine Totgeburt? Schon Erik Midelfort hat darauf verwiesen, dass unter Hexenprozesse bisweilen andere Delikte, etwa Abtreibungen, subsumiert wurden: It is sometimes asserted that witchcraft was a Modeverbrechen, a fashionable crime under which many old-fashioned, genuine crimes were subsumed. There can be no doubt that in the many small, isolated witchcraft trials what went on throughout the sixteenth and seventeenth centuries, many crimes like fornication, abortion, infanticide and poisoning were connected to witchcraft.227
Viele spätere Untersuchungen haben diese Einschätzung bestätigt und eine Instrumentalisierung von Hexenprozessen zur Ahndung anderer Delikte beschrieben.228 Otto Ulbricht berichtet explizit von dem Forschungsproblem, dass, wenn Kindsmordprozesse mit Hexenprozessen verbunden waren, heutige Bearbeiter nun Schwierigkeiten haben, die Prozessarten zu unterscheiden.229 Es ist dann die Frage, unter welchem Titel das Urteil gefällt wurde und heute in geschichtswissenschaftliche Statistiken eingeht. Auch die von Goethe rezipierten Hexenprozessakten dokumentieren erzwungene Geständnisse von Abtreibungen und Kindstötungen,230 und manche Akten geben Hinweise auf die subsumierende Funktion von Hexenprozessen. Carpzov zitiert etwa die Begründung eines Todesurteils gegen eine Frau: Ob nun wol wegen Abtreibung und Tödtung der lebendigen Leibesfrüchte / und deß begangenen Ehebruchs keine Erkundigung bey den Acten vorhanden / Dieweil man aber dennoch der zauberey gewiß ist [...].231
Auch die Kindsmordthematik der Gretchentragödie zeigt beispielhaft diese enge Verwobenheit der Deliktvorstellungen von Kindsmord und Hexerei. Nicht wenige
Irsigler: Information oder Fiktion, S. 13–16. Midelfort: Witch Hunting, S. 187. Ebenso erklärt etwa Otto Ulbricht zum Thema Kindsmord: „Einige Taten wurden im 16. und auch im folgenden Jahrhundert nicht in Kindsmord-, sondern in Hexereiprozessen verfolgt [...].“ Ulbricht, O.: Kindsmord in der Frühen Neuzeit, S. 242. Vgl. zum Beispiel auch Jerouschek: Die juristische Konstruktion des Abtreibungsverbots, S. 256. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 194. Vgl. zum Beispiel Carpzov: Practica, S. 345. Carpzov: Practica, S. 345.
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Details im Drama deuten sogar eher auf einen Hexenprozess hin als auf einen Kindsmordprozess, wie nun weiter dargelegt wird.
8.3.4 Verfolgungswillen Ohne ihren eigenen freiwilligen Gang zum Untersuchungsrichter wäre die Magd Therese möglicherweise auch nicht verurteilt worden. Es hätte keine rechtliche Öffentlichkeit für den Fall gegeben, und die Schwangerschaft hätte den Raum der sehenden und wissenden Frauen nicht verlassen – wäre ein Gegenstand ihres ‚Redens‘, schließlich des Verschweigens geblieben. Der Vergleich mit anderen Fällen legt diesen Schluß nahe.232
Die gesellschaftliche Bewertung von Kindsmorddelikten in der frühen Neuzeit wird von der Geschichtswissenschaft als milder eingeschätzt, als es normative Vorschriften der Obrigkeit und darin vorgesehene drastische Strafen suggerieren. Historische Quellen belegen eine Differenz zwischen der obrigkeitlichen Verurteilung von Kindsmorden und ihrer gesellschaftlichen Hinnahme. Kerstin Michalik etwa verweist auf eine hohe Dunkelziffer von Kindstötungen, die nicht vor Gericht gebracht wurden: In der Forschung wird davon ausgegangen, daß die hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit in Europa – rund 25% der Kinder starben innerhalb des ersten Lebensjahres, weitere 25% vor Erreichen des Erwachsenenalters – nicht allein auf das Konto einer natürlichen Sterblichkeit ging, sondern zu einem bestimmten Teil das Ergebnis elterlicher Strategien zur Regulierung der Familiengröße war. Der Tod im Säuglingsalter, der ab einer bestimmten Kinderzahl bevorzugt die Zuletztgeborenen dahinraffte, vollzog sich in aller Stille, in einem diffusen Spektrum, das von ‚sterblichkeitserhöhenden Praktiken‘ oder ‚weichen Formen‘ der Kindstötung wie der bewußten Vernachlässigung durch mangelhafte Ernährung und Pflege über den ‚fahrlässigen‘ Unfalltod bis hin zur Tötung durch direkte Einwirkungen reichte.233
Michalik geht davon aus, dass ein von unserem heutigen abweichendes Moralempfinden vorherrschte: Die geringe Neigung der Bevölkerung, Kindstötungen den Obrigkeiten anzuzeigen, weist auf bestimmte mentale Voraussetzungen hin, in die das Delikt eingebunden war. Hier wird deutlich, daß nicht nur das ‚Himmeln‘ von Kleinkindern als Praxis postnataler Geburtenkontrolle von Gemeinschaftsseite stillschweigend toleriert wurde, sondern auch bei der
Regina Schulte beschreibt die Möglichkeit, dass unerwünschte Schwangerschaften und Kindsmorde durch Mitwisser(innen) gedeckt wurden. Schulte, Re.: Dorf im Verhör, S. 175 f. Michalik: Kindsmord, S. 35 f.
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Tötung nichtehelicher Neugeborener ein gewisser Kontrast zwischen volkstümlichem Moral- und Rechtsempfinden und obrigkeitlichen Normen bestand.234
Die Denunziationen angeblicher Hexen wurden, wie schon beschrieben, durch bestimmte sittenreformatorische Bestrebungen angeheizt; ob dies auch für Kindsmorddelikte galt, wird in der Forschung kontrovers diskutiert.235 Eine strafrechtliche Entwicklung, die eigentlich Kindstötungen vorbeugen sollte, bestand vielerorts darin, dass die Verheimlichung von unehelichen Schwangerschaften und Geburten strafbar wurde; jedermann war verpflichtet, uneheliche schwangere Frauen der Obrigkeit zu melden.236 Die von Denunziation geprägte Atmosphäre, die in Goethes Gretchentragödie zur Sprache kommt, wird in der Faust-Forschung oft auf diese historischen Umstände zurückgeführt. Doch ist eine Denunziationsbereitschaft der Umgebung in der frühen Neuzeit eher für Hexereiverdächtigungen typisch als für Kindsmordverdächtigungen. Anzeigen von Kindsmorddelikten durch Privatpersonen waren im Gegensatz zu Hexereibezichtigungen eher selten. Kerstin Michalik gibt an, nur für 6–7% der von ihr untersuchten Fälle seien Denunziationen von Kindsmörderinnen durch Privatpersonen dokumentiert.237 Auch hinsichtlich Tötungen ehelich geborener Kinder beschreibt Michalik eine geringe Denunziationsbereitschaft.238 Ulbricht berichtet, auffällig vielen des Kindsmords verdächtigten Frauen sei zur Flucht verholfen worden.239 Diese Beschreibungen stehen im Kontrast zur dargestellten feindseligen Umgebung der Gretchenfigur. Im Kerker spricht die Gefangene auffallend oft im Plural: sie fühlt sich von einer Menge verfolgt.240 Sie kommen. Bittrer Tod! (4423) meint sie, als sie Fausts Kommen hört, aber den Henker erwartet. Sie sieht sich von falschen Beschuldigungen bedroht und sagt über ihr Kind:
Michalik: Kindsmord, S. 149. Vgl. hierzu auch: Labouvie: Das Schweigen der Kindsmörderinnen, S. 435 sowie Metz-Becker: Die anderen Gretchen. Kindsmörderinnen im 19. Jahrhundert. Vgl. Ulbricht, O.: Kindsmord in der Frühen Neuzeit, S. 242. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 403. Vgl. auch van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 110 f. und Hull: Sexualstrafrecht, S. 223. Michalik: Kindsmord, S. 150. „Daß die Tötung ehelicher Neugeborener kaum Spuren in den Gerichtsakten hinterlassen hat, sagt noch nichts über das mögliche Vorkommen des elterlichen Infantizids aus. Denn wenn einerseits der eheliche Rahmen Schutz vor obrigkeitlichen Verdächtigungen und Nachforschungen bot, so war andererseits wahrscheinlich auch die Nachbarschaft selten geneigt, bei einem Verdacht Anzeige zu erstatten.“ Michalik: Kindsmord, S. 37 f. Ulbricht, O.: Kindsmord in der Frühen Neuzeit, S. 239 f. Weisinger beobachtet – ohne Bezug zur Hexenverfolgung – an dieser Stelle treffend „some nameless group of people“, und er bemerkt: „It seems as though the entire world outside the prison wants her blood, and, interestingly enough, it is this same anonymous ‚they‘ who are already at work translating the living Margarete into literature – ‚Sie singen Lieder auf mich!‘“ Weisinger: The classical facade, S. 99.
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Sie nahmen mir’s um mich zu kränken Und sagen nun, ich hätt’ es umgebracht. (4445 f.)
Weiter beschreibt Gretchen ihre Ausgrenzung in der Öffentlichkeit: Sie singen Lieder auf mich! Es ist bös von den Leuten! (4448) und Verfolgungszenarien: Was hilft es fliehn? Sie lauern doch mir auf. [...] Und sie werden mich doch ergreifen! (4545–4549). In der frühen Fassung sagt Gretchen sogar explizit: Sie lauren auf mich an der Strase am Wald. (74) In Hexenprozessen spielte ein Verfolgungsdruck „von unten“ oft eine wichtige Rolle.241 Nicht wenige territoriale Obrigkeiten ließen sich durch das Verlangen ihrer Untertanen nach Hexenverfolgungen beeinflussen. Wolfgang Behringer etwa berichtet, wie Untertanen „Ausschüsse“ bildeten, um Hexenverfolgungen zu forcieren: „Die Entdeckung dieser frühneuzeitlichen ‚Bürgerinitiativen‘ verändert zunehmend unseren Blick auf die Hexenverfolgungen. So schrecklich diese Erkenntnis ist: Hexenverfolgungen waren populär. Bei den großen Verfolgungen war die Bevölkerung die treibende Kraft.“242 Öffentliche Verfolgungswut wurde durch die erzwungenen, vor der Hinrichtung der Opfer öffentlich verlesenen Geständnisse bereits verurteilter „Hexen“ noch genährt. Die in Goethes Drama dargestellte panische Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung und Verfolgung, die etwa die Figuren Gretchen und Valentin prägt, spricht für eine ausgesprochen feindlich gesonnene Umgebung. Die Gretchentragödie rückt auch vor diesem Hintergrund näher an einen eventuell früher angelegten Hexenprozess.
8.3.5 das Schicksal von Tausenden Die symbolische Bedeutung des Kindsmordes und damit der Debatte für die Aufklärung wird klar, wenn man bedenkt, wie selten das Verbrechen war. Der Kindsmord war kein Massendelikt, sondern auf ca. 100000 Personen kam in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts pro Jahr 1 Kindsmord.243
Faust wirft Mephistopheles angesichts von Gretchens Kerkerhaft wütend vor: du grinsest gelassen über das Schicksal von Tausenden hin! (27 f.) Diese Massenhaftig-
Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 10. Vgl. zum Beispiel Rummel: Zur sozialen Motivation und Nutzung von Hexereianklagen. Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 189. Ulbricht, O.: Kindsmord in der Frühen Neuzeit, S. 246.
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keit, die Faust betont, erinnert eher an die Wellen von Hexenprozessen244 als an die einzeln vorkommenden Kindsmordprozesse. Wie schon dargelegt, geht die geschichtswissenschaftliche Forschung davon aus, dass nur wenige Kindstötungen angezeigt wurden. Van Dülmen hat die Seltenheit der Kindsmordprozesse bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts beschrieben, also noch zu der Zeit, in der die Gretchentragödie wahrscheinlich spielt.245 Aber auch Zeitgenossen Goethes haben Kindsmorde als Ausnahmeverbrechen empfunden, etwa äusserte dies sinngemäß einer der Gutachter im Fall der Johanna Catharina Höhn, zu dem auch Goethes Votum eingeholt wurde, Jacob Friedrich Freiherr von Fritsch. Er verwies 1783 auf die Seltenheit des Delikts und schilderte seine [...] Erfahrung, nach welcher in Verhältnis der vielen unehelichen Gebuhrten, so alljährlich auch nur in den hiesigen Landen vorkommen, die Fälle von Kinder-Morden – Dank sey es der Vorsehung! – äußerst selten sich ergeben. In meinen nunmehro beynahe 30jährigen hiesigen Diensten habe deren nur 4 erlebet, und man höret doch auch aus den benachbarten Landen nur sehr selten von etwas dergleichen.246
Otto Ulbricht hat vor dem Hintergrund des keineswegs alltäglichen Verbrechens den erregten Diskurs um das Kindsmorddelikt als symbolisch beschrieben: [...] nicht die Häufigkeit war das wirkliche Problem, sondern der barbarische Charakter des Kindsmords, seine Existenz an sich, die einer aufgeklärten Gesellschaft widersprach, und die Bestrafung, die Kennzeichen für eine barbarische Gesellschaft war: Den Kindsmord auszurotten hieß, einen Schritt auf eine aufgeklärte Gesellschaft hin zu tun.247
Wie Susanna Margaretha Brandt waren die meisten der in der Realität als Kindsmörderinnen verurteilten Frauen besitzlose Dienstmägde.248 Gretchens Familie dagegen hat ein hübsch Vermögen (3117), was auch für viele Hexenprozessopfer Hierauf geht auch Schöne ausführlich ein. Schöne: Götterzeichen, S. 188 f. Van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 109. Votum vom 25. Oktober 1783. Abgedruckt in der Quellenedition von Wahl: Sittlichkeitsdelikte und Kindsmord, S. 102. Ulbricht, O.: Kindsmord in der Frühen Neuzeit, S. 246. Richard van Dülmen hat hierzu ausgeführt: „[...] daß vorrangig Dienstmägde und Bauernmägde des Kindsmordes angeklagt wurden, d. h. Frauen, die wir weitgehend zur Unterschicht zählen und die also eigentlich eine Ehre im ständischen Sinne nicht zu verlieren hatten. Dies trifft nicht nur für die ländliche Gesellschaft zu, über die wir allerdings nur wenig Information besitzen, sondern auch für die städtische, die wir näher kennen. Entweder konnten sich ehrbare Stände gegen den Zugriff richterlicher Obrigkeit besser abschirmen – manches spricht dafür –, oder sie erfüllten die von der christlichen Herrschaft abverlangten Normen.“ Van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 76. Zum Anteil der Dienstmägde an den wegen Kindsmord Verurteilten vgl. auch Labouvie: Das Schweigen der Kindsmörderinnen, S. 435–438. Labouvie setzt die Zahlen
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galt. Nicht selten provozierte – auch bescheidener – Wohlstand Hexereibezichtigungen durch wirtschaftlich unterlegene Neider.249 Ob es überhaupt im 17. und 18. Jahrhundert zu einem Anstieg der Kindstötungen gekommen war, wie in der damaligen Öffentlichkeit, aber auch in der späteren Forschung oft angenommen wurde, wird, wie schon beschrieben, von der Geschichtswissenschaft heute bezweifelt.250 Ulbricht hat die Schwierigkeit, für die frühe Neuzeit mit Kriminalstatistiken operieren zu wollen, erläutert. Die überlieferte Datenbasis sei im Allgemeinen viel zu schmal und zu ungesichert.251 Dennoch wird die Zahl der Kindsmorddelikte mit denen der wegen Hexerei verurteilten Frauen oft hinsichtlich ihrer Häufigkeit verglichen. Zwar war die Zahl der Kindsmordprozesse in manchen Gegenden insgesamt den Zahlen der Hexenprozesse vergleichbar, doch ergibt sich dies nur aus den oft große Zeiträume zusammenfassenden, rückblickenden Statistiken. Kindsmorde wurden relativ selten und eher gleichmäßig häufig vor Gericht verhandelt. Hexenprozesse dagegen wurden in vielen Regionen phasenweise geführt, sie konnten jedoch eine ungeheuere Dynamik entwickeln und ernorme Anzahlen von Folgeprozessen nach sich ziehen. Es gibt Herrschaftsgebiete, in denen innerhalb weniger Jahre 20 Prozent der Einwohner wegen angeblicher Hexerei hingerichtet wurden.252 Diese Massenhaftigkeit, die in Goethes „Faust“ mehrfach anklingt, ergab sich in der Realität aus den vorgesehenen Fragen nach Komplizen, deren Angabe auch unter der Folter erzwungen wurde.253 Prozessakten und auch von Goethe rezipierte Dämonologien bezeugen massenhafte
in Relation zum Anteil der Dienstmägde an der Gesamtbevölkerung und sie vergleicht die Ergebnisse verschiedener Studien. Walter Rummel hat die Rolle der Bereicherung durch Hexenprozesse prägnant dargestellt, sie gaben „Gelegenheit zur Kompensation“. Vgl. Rummel: Zur sozialen Motivation und Nutzung von Hexereianklagen, besonders S. 214–223, hier S. 223. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 188–208. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 175. Vgl. zum Problem der Quellenauswertung zu Kindsmordfällen und insbesondere zum Problem der Quantifizierung auch Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung, besonders S. 54–71. Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 76. Vgl. Lorenz: Der Hexenprozeß, S. 137 f.: „Von ganz besonderer Bedeutung ist hier der umfangreiche Artikel 31, der das Problem der Besagung, der Angabe des oder der Mittäter durch den meist der Folter unterworfenen Beklagten zu regeln sucht; eine folgenschwere Bestimmung für den auf der Grundlage der neuen Sekten- und Sabbatvorstellung geführten Hexenprozeß, denn die Besagungen haben oft in einer Art von Kettenreaktion ganze Serien von weiteren Verfahren hervorgerufen.“ Lorenz verweist darauf, dass die von der Carolina im Zusammenhang mit den Bezichtigungen aufgestellten Hürden, etwa das Verbot von Suggestivfragen oder der Ausschluss einer vorliegenden persönlichen Feindschaft, in vielen Hexenprozessen umgangen wurden. Lorenz: Der Hexenprozeß, S. 138.
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Verfolgungen aufgrund dieser „Besagungen“. Besonders deutlich werden sie in einem Bild, das Goethe in die Entwürfe verbannt hat. Sein Entwurf einer Hochgerichtserscheinung wurde oft auf die Szene Nacht. Offen Feld254 und nicht zuletzt wegen der von Goethe hinzugesetzten Abkürzung G. plausibler Weise auf Gretchen bezogen.255 Goethe schließt die Beschreibung einer angedeuteten Menschenverbrennung mit den Worten: Ein BlutQuell rieselt nie allein Es laufen andre Bächlein drein Sie wälzen sich von Ort zu Ort Es reisst der Strom die Ströme fort.256
Blutquellen, die zu einem Strom anschwellen, passen als Assoziation nicht zu Kindsmordprozessen ohne Hexereiverdächtigungen. In Hexenprozessen aber konnte eine Hinrichtung einen ganzen Strom weiterer nach sich ziehen.257 Dies wurde auch in der Faust-Forschung manchmal angemerkt. Jochen Schmidt etwa hat Goethes Bild der Hochgerichtserscheinung und des Blutstroms zu Recht sehr nachdrücklich auf die Hexenverfolgung bezogen: Den Blutdurst der Hexenverfolger, die nichtigen Anlässe, die sie zur Verdächtigung zu nutzen wußten und das ungeheuer anwachsende Verderben, wenn die Verhöre und Folterungen einmal in Gang gesetzt waren – das alles hat Goethe mit großer Genauigkeit zum Ausdruck gebracht.258
8.3.6 Die Todesstrafe Zwar galt der Kindsmord seit je als schweres Malefizvergehen, das die Todesstrafe verdiente, vor der Mitte des 16. Jahrhunderts wurden jedoch von seiten der Obrigkeit wenige Kindstötungen registriert und dementsprechend abgestraft. Dies änderte sich seit dieser Zeit grundlegend.259
So zum Beispiel auch von Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 1217. Vgl. Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 940. Gaier ist der Ansicht, es ließe sich nicht entscheiden, ob das G. für Gretchen oder, wie es in der Weimarer Ausgabe von Erich Schmidt angenommen wird, für „Gesang“ steht. Weimarer Ausgabe, Abt. I, Bd. 14, S. 311. Vgl. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 1217. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 558. Vgl. auch Schöne: Götterzeichen, S. 188 f. Vgl. hierzu auch Schöne: Götterzeichen, S. 188 f. Schönes Wiedergabe der geschätzten Prozesszahlen „von mehreren Hunderttausend bis zu einigen Millionen“ entsprechen allerdings nicht dem heutigen Forschungsstand. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 199 f. Van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 109.
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Faust sieht Gretchen Gefangen! Im unwiederbringlichen Elend! (8) Er erwähnt den Grund für die Gefangennahme nicht. Hans Arens hat diese Tatsache wie folgt interpretiert: Das Kindsmörderinmotiv, das G[oethe] seit seinen eigenen Erfahrungen mit dem Frankfurter Prozeß der Susanna Brandt 1771/2 und so manchen seiner dichtenden Zeitgenossen so bewegte, war ihm so selbstverständlich, daß die Tat selbst in dieser Szene gar nicht genannt wird.260
Man kann die Leerstelle im Text aber auch anders deuten, nämlich, gerade im Kontext anderer Indizien, wieder als Hinweis auf einen Hexenprozess. Faust beklagt, Gretchen sei der richtenden gefühllosen Menschheit übergeben und müsse hülflos verderben. (9–12) Die Chance, einen Hexenprozess zu überleben, war in den meisten Fällen außerordentlich gering. Gretchens Todesangst schon vor ihrem Kindsmord spricht vielleicht hiervon. Eine Todesstrafe für Kindsmord war dagegen zwar wahrscheinlich, aber nicht zwangsläufig sicher. Otto Ulbricht berichtet: Die Betrachtung des Zeitraums vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis ca. 1770 hat gezeigt, daß die Todesstrafe für Kindsmord zwar vorherrschend, jedoch nicht alles beherrschend war. Verurteilungen zur Landesverweisung und zur Zuchthausstrafe sind in einer gewissen Zahl festzustellen.261
Auch in Weimar zu Goethes Zeit sind Abmilderungen der Strafen für Kindsmörderinnen überliefert.262 Über das 16. Jahrhundert bemerkt Ernst Schubert: „Selten wurde das Delikt überhaupt verfolgt, in München zum Beispiel sind im 16. Jahrhundert keine Kindsmörderinnen bestraft worden.“ Er nennt diese Zeit „[...] eine Übergangszeit, was die Durchsetzung der neuen Sittlichkeit angeht. Noch immer waren Begnadigungen der Kindsmörderin möglich.“ Erst nach und nach habe sich die Bestrafung der Mütter wegen Kindsmord verschärft.263 Susanne Kord resümiert: „Thus, the death penalty for infanticide became consistently more rare as the century wore on; punishment for infanticide, depending on the severity of the case, ranged from six months to life in prison.“264 Nicht nur vor einem Gericht sieht Faust Gretchen stehen, sondern: Bösen Geistern übergeben (8 f.). Zwar kann man dies als Metapher für Gewissensqualen
Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 434. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 403. Vgl. Frede: Kindesmord und Kirchenbuße bei Goethe, S. 425 f. Schubert: Verbrechen und Strafe im Mittelalter, S. 227. Kord: Women as Children, S. 451.
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verstehen, aber auffällig ist das Bild doch. Es wird in Faustkommentaren meist nicht näher erläutert. Die von Goethe genannten bösen Geister können aber unter anderem an eine gerichtsrelevante dämonologische Vorstellung erinnern. Man ging in Hexenprozessen oft davon aus, dass bereits verhaftete „Hexen“ im Kerker Kontakt zum Teufel beziehungsweise zu Dämonen hätten, die sie mit einem Schweigezauber belegten oder zum Selbstmord antrieben. Dämonologien enthalten Ratschläge, wie diesem Problem zu begegnen sei.265 Friedrich Spee, der als Beichtvater viele Hexenprozessopfer begleitet hat, behandelt im Zusammenhang mit seiner Kritik an gewalttätigen Übergriffen auf inhaftierte Hexereiverdächtigte die Frage „Was soll man von denen halten vnnd vermuthen / welche im Gefaengnuß Todt gefunden werden?“266 Er demaskiert die gängige Erklärung, diese seien vom Teufel umgebracht worden. In der Walpurgisnacht erscheint Gretchen als nackte Gefesselte. Faust schaudert angesichts der Erscheinung: Wie sonderbar muß diesen schönen Hals Ein einzig rotes Schnürchen schmücken, Nicht breiter als ein Messerrücken! (4203–4205)267
Gretchens spätere Hinrichtung wird vorausgesehen, ihr Hals ist schon abgetrennt. Mephistopheles will Faust durch einen Hinweis auf die Perseus-Sage ablenken und behauptet, die Erscheinung sei Medusa, der Perseus das Haupt abgeschlagen habe (4194 und 4207 f.). Albrecht Schöne verweist in diesem Zusammenhang auf eine Quelle Goethes, die schon in Georg Witkowskis früher Erläuterung268 zitiert wird: Erasmus Franciscis „Höllischer Proteus“. Dort wird von einem Hexenprozess gegen einen Mann berichtet. Nachdem der Teufel zur Hilfe bei Schatzsucherei angerufen worden sei, habe er dem Mann eine „rote Korallen-Schnur von Blut um den Hals zuwege gebracht“.269 Schöne betont zu Recht, dass auch dieser Hinweis auf einen
Vgl. zum Beispiel Kramer: Hexenhammer, S. 677. Der Hexenhammer Kramers behandelt ausführlich die Frage, wie der „Schweigezauber“ zu brechen sei, damit die Folter Geständnisse erbringe. Vgl. zum Beispiel Kramer: Hexenhammer, S. 678–686. Vgl. Spee: Cautio Criminalis. Die XLI. Frage und Die XLII. Frage, S. 145–149 bzw. 371–376 (Übersetzung). Hier ist die 1649 erschienene Übersetzung von Hermann Schmidt wiedergegeben. Stefan Bub hat literaturvergleichende Überlegungen zur Wirkungsgeschichte dieses Bildmotivs nach Goethe angestellt. Vgl. Bub: Ein einzig rotes Schnürchen. Arnd Bohm sieht Bezüge zur biblischen Gestalt Rahab. Bohm: Margarete’s Thin Red Line. Witkowski: Die Walpurgisnacht, S. 20. Vgl. Leidener Ausgabe, Bd. 2, S. 276. Vgl. Francisci, Erasmus / Schurtz, Cornelius Nicolaus: Der Höllische Proteus / oder Tausendkünstige Versteller. Nürnberg 1690, S. 927. Volltext einsehbar unter: https://mdz-nbn-resolving.de/ urn:nbn:de:bvb:12-bsb10132606-2 [Stand: Juni 2023]. Francisci verweist im Zusammenhang mit
276
8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Hexenprozess, der die Erscheinung Gretchens kennzeichnet, in der Forschung nicht weiter erläutert, also ignoriert wurde: Doch blieb unbemerkt oder wurde nicht bedacht, daß der Blutstreif, der um Gretchens Hals sich zieht, schon durch Goethes Gewährsmann ausdrücklich zum Teufelszeichen erklärt und in unmittelbaren Zusammenhang gebracht wird mit dem Hexenwesen. Das aber ist von ganz erheblicher Bedeutung. Denn andere Indizien weisen in gleiche Richtung: Gretchen selber, die Rettende, scheint zugleich doch viel tiefer verstrickt in den Hexensabbat und Satanskult, als die Oberfläche des kanonisierten Dramentextes (noch) erkennen läßt.270
Es war vielerorts üblich, dass der Henker verurteilte „Hexen“ vor der Verbrennung erdrosselte. Auch hieran kann der rote Ring um den Hals erinnern, ebenso wie an eine Enthauptung.
8.3.7 Verbrennung In Glut soll Blut vergossen seyn.271
Besonders deutlich werden die Assoziationen einer Hexenhinrichtung in Goethes Entwürfen. In den Paralipomena notierte Goethe die Hochgerichtserscheinung, die wahrscheinlich auf Gretchen zu beziehen ist. Jene wird ebenso als Idol bezeichnet wie die Erscheinung Gretchens in der Walpurgisnacht272 von Mephistopheles (4190). Ein Chor spricht die folgenden Verse: Wo fließet heißes Menschen Blut Der Dunst ist allem Zauber gut Die grau und schwarze Brüderschaft
dem Schatzsucher mehrfach ausdrücklich auf Carpzov, in dessen „Practica“ der Fall vorgestellt wird. Vgl. Carpzov: Practica, S. 330. Die enge Verknüpfung dämonologischer Literatur mit realem Verfolgungsgeschehen, das in juristische Lehrwerke Eingang fand, wird hier wieder einmal deutlich. In der Faust-Forschung werden Autoren wie Francisci aber oft als rein literarische Quellen dargestellt. Schöne: Götterzeichen, S. 177. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 558. Gaiers Widerspruch gegen diese Annahme ist nicht überzeugend, da Mephistopheles Faust ablenken will und Gretchens Bild deshalb als Medusa erklärt. Die Worte des Mephistopheles sind also nicht als Wahrheit zu verstehen. Gaier jedoch meint hinsichtlich des in den Paralipomena genannten Idols: „Auch ob ‚das Idol‘ mit dem in Walpurgisnacht V. 4190 genannten Idol identisch sein sollte, ist nicht auszumachen. Wenn ja, ist ‚das Idol‘ hier ebensowenig Gretchen wie dort, denn nach Mephistos Erklärung ist es die durch Perseus enthauptete Gorgo Medusa (V. 4194, 4207 f.), die jedem ‚wie sein Liebchen‘ vorkommt (V. 4200) und ihm die Freuden der Walpurgisnacht vergällt.“ Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 1217.
8.3 Die Figur Gretchen
277
Sie schöpft zu neuen Wercken Kraft Was deutet auf Blut ist uns genehm, Was Blut vergießt ist uns bequem. Um Glut und Blut umkreißt den Reihn In Glut soll Blut vergossen seyn.273
Diese Zeilen wurden in der Faust-Forschung schon früh auf die Inquisition bezogen.274 Wahrscheinlich Gretchen wird als Opfer der grau- und schwarzen Brüderschaft gezeigt. Vermutlich sind die inquisitorisch tätigen Mönche der Dominikanerund Franziskanerorden gemeint, aus deren Reihen geistige Brandstifter der Hexenverfolgung wie beispielsweise Heinrich Kramer hervorgingen.275 Albrecht Schöne sieht in ihnen explizit Anspielungen auf die historische Hexenverfolgung und ist der Ansicht: „Gretchens Blut fließt in dieser Schreckensvision.“276 Die Verse stehen heute oft im Fokus, wenn das Thema Hexenverfolgung in Deutungen zu Goethes „Faust“ denn überhaupt erwähnt wird. Schönes These eines ursprünglich geplanten Hexenprozesses gegen Gretchen hat seit ihrem Erscheinen im Jahr 1982 heftigen, oft schlecht begründeten Widerspruch ausgelöst, wie unter Punkt 3.2 schon dargelegt wurde. Die grau und schwarze Brüderschaft sind aber keine „Hexenmeister“,277 wie Ulrich Gaier meint, wenn auch
Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 558. Vgl. etwa schon Strehlke: Paralipomena, S. 41. Ketzerverfolgungen gelten als Keimzellen für die späteren Vorstellungen des „Hexensabbats“. Herbert Eiden fasst zusammen, wie man kirchlicherseits die Gefährlichkeit der Ketzer ausmalte: „So unterstellte man ihnen magische Praktiken, Teufelsanbetung, Opferung von Neugeborenen und wollüstige Ausschweifungen. All dies geschehe in nächtlichen Versammlungen, auf denen der Teufel in Menschen- oder Tiergestalt erscheine.“ Eiden: Vom Ketzer- zum Hexenprozeß, S. 54. Die Mönche sind in Faustkommentaren schon früh erwähnt, aber nicht weiter interpretiert worden, zum Beispiel von Strehlke: Paralipomena, S. 41. Vgl. hierzu ausführlich Schöne: Götterzeichen, S. 184–186. Auch in literarischen Verarbeitungen der Hexenverfolgung werden Dominikaner in ihrer Bedeutung für die Hexenverfolgung nicht selten genannt, zum Beispiel von der luxemburgischen Autorin Marie-Louise Tidick-Ulveling. Vgl. Tidick-Ulveling: Im Zeichen der Flamme: S. 92. Schöne: Götterzeichen, S. 184. Osman Durrani greift als einer der wenigen Schönes These des ehemals geplanten Hexenprozesses gegen Gretchen zustimmend auf, wenn er mit Verweis auf Schöne knapp bemerkt: „The frenetic, hysterical goings-on on the Brocken anticipate aspects of Gretchen’s trial on charges of infanticide and, most probably, witchcraft“. Durrani: The Character and Qualities of Mephistopheles, S. 86. Durrani sieht hier im Thema der Walpurgisnacht auch Bezüge zu der von Aberglauben und Bigotterie geprägten Welt Gretchens. „Die den Chor singende ‚grau und schwarze Brüderschaft‘ sind keinesfalls Mönche der Inquisition, wie Schöne meint [...], sondern Hexenmeister, denen der Blutdurst für ihren ‚Zauber‘ zugute kommt und die alles begrüßen, was Blut vergießt, weil es ihnen ‚zu neuen Werken Kraft‘ gibt, so z. B. auch den Mord des durch die Dirne durch Wink und Blick aufgestachelten Säufers [...].“ Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 1217. Auch an anderer Stelle meint Gaier zur Hochgerichtserscheinung
278
8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
ihr Tun als dem Hexenwerk ebenbürtig erscheint. Auch ein „Ritualmord“ ist unwahrscheinlich, den Hans Arens vermutet.278 Wenn Goethe unmittelbar nach dem Stichwort Hochgerichtserscheinung schreibt, dass Blut in Glut vergossen wird, ist es naheliegend, eine Menschenverbrennung als Hinrichtung zu assoziieren. Bei realen Exekutionen tötete man die Verurteilten oft vor dem Verbrennen, man strangulierte oder köpfte sie.279 Für Ketzer- und später für Hexenprozesse war die Verbrennung typisch, für Kindsmordprozesse war sie unüblich. Weiter hat Goethe in den Paralipomena notiert: Auf glühndem Boden Nackt das Idol Die Hände auf dem Rücken Bedeckt nicht das Gesicht u nicht die Scham Gesang Der Kopf fällt ab Das Blut springt u löscht das Feuer280
Das prägnant eingesetzte Wortfeld des Feuers rückt eine Verbrennung ins Zentrum des Bildes. Visuelle Darstellungen der Hinrichtung Gretchens oder ihrer Erscheinung auf der Walpurgisnacht zeigen sie oft auf einem Scheiterhaufen. Einige Bilder sollen hier ergänzend als Interpretationen betrachtet werden. Nicht selten stellen die teilweise sehr bekannten Bilder zur Szene Walpurgisnacht Gretchen in einem Feuer dar, obwohl die Druckfassung des „Faust“ kein Feuer erwähnt. Es ist möglich, dass Goethes Paralipomena, die einen Feuertod beschreiben, in manchen Fällen eine Rolle spielten. Es kann aber ebenso sein, dass man die Spuren der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung in der Druckfassung des Dramas herausgelesen hat. Möglich ist auch, dass das prägnante Bild einer Verbrennung per se seinen Reiz hatte, ohne dass allen dies darstellenden Künstlern die historische Bedeutung der Feuerstrafe als spezifische Vernichtungsmethode für Ketzer und „Hexen“ bekannt war. 1923 erschienen 20 textbegleitende Holzschnitte Ernst Barlachs zur Walpurgisnacht. Er drückt in ganz besonderer Weise Ängste und Bedrückungen aus, die in Goethes Werk vorherrschen. Einer der Holzschnitte mit dem Titel „Erscheiausdrücklich: „Die Szene ist also mehrfach deutbar, wenn auch nicht als Hinrichtung einer Hexe.“ Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 464. „Die grausige Hochgerichtsszene, in deren Mitte das nackte Idol steht, dessen Kopf abfällt, scheint auf eine Art blutspendenden und unheilstiftenden Ritualmord zu deuten.“ Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 410. Im Kommentar der Berliner Ausgabe wird vermutet, das Blut lösche „die Hexenfeuer“. Vgl. Berliner Ausgabe, Bd. 8, S. 839. Vgl. Rummel / Voltmer: Hexenverfolgung, S. 51. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 558 f.
8.3 Die Figur Gretchen
279
nung Gretchens“ (Abb. 12) zeigt die Figur mit durchtrenntem Hals während der Walpurgisnacht übergroß die Bildmitte einnehmend.
Abb. 12: Ernst Barlach: Holzschnitt, erschienen in Berlin 1923 mit dem Text der Szene Walpurgisnacht.281
Der Boden, auf dem sie steht, assoziiert eine Verbrennungsszene: Holzscheite scheinen unter ihren im hellsten Bereich stehenden Füßen angeordnet zu sein. Deren Struktur führt optisch zu den Falten von Gretchens Kleid, die hoch aufzüngelnden
Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Goethe,Barlach,Walpurgisnacht,_Gretchen.jpg [Stand: Juni 2023].
280
8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Flammen ähneln. Barlach hat sich sowohl mit Hexenphantasien in vielen Werken beschäftigt, als auch mehrfach mit der Hexenverfolgung.282 Sein Gretchen hat große Ähnlichkeit mit seiner Skulptur „Die gefesselte Hexe“ (Abb. 13) und auch mit seinem Relief „Die Hexe auf den Scheitern“.
Abb. 13: Ernst Barlach: Gefesselte Hexe, 1926. Gertrudenkapelle Güstrow, Barlachsammlung. (Foto: Wolfgang Sauber)283
Hexenfiguren als Chiffre im Werk von Barlach untersucht Andrea Rudolph: Die Hexe als Mythos. Vgl. zu Barlachs Holzschnitten zur Walpurgisnacht: Augat: Fest der Hexen. https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=36031834 [Stand: Juni 2023].
8.3 Die Figur Gretchen
281
In dem Relief „Die gemarterte Menschheit“ hat Barlach die Foltermethode des „Aufziehens“ an den hinter dem Rücken gefesselten Armen abgebildet – und damit seine Kenntnis realen historischen Geschehens dokumentiert; denn das „Aufziehen“ war eine vielerorts vorherrschende Methode in Hexenprozessen.284 Die ebenso simple wie brutale Technik wurde aber später in populären Darstellungen, etwa inszenierten „Folterkammern“, weniger oft gezeigt als Phantasien über spezifische Foltergeräte, die im 19. Jahrhundert als Schauerszenarien erfunden wurden. Ein Ölgemälde von Pascal-Adolphe-Jean Dagnan-Bouveret aus dem Jahr 1910 zeigt Gretchen drastisch und expressiv mit ihrem toten Kind im Arm. Hinter Gretchen lodert ein Feuer hoch auf, es scheint sie beinahe zu erfassen (Abb. 14). Das Beispiel zeigt wieder, dass eine Assoziation des Verbrennens von Gretchen als Exekution naheliegt. Dies belegen auch Verfilmungen des Fauststoffes. Dagnan-Bouverets Bildgestaltung ähnelt der Ästhetik, in der frühe Filmstars öffentlich inszeniert wurden. Auch Friedrich Wilhelm Murnau, von dem unter Punkt 9.3 noch die Rede sein wird, hat in seinem Faustfilm 1926 eine Hinrichtung Gretchens auf dem Scheiterhaufen in Szene gesetzt. Sehr deutlich wird der Feuertod auch in einer Radierung zu Goethes „Faust“ von Oskar Graf (Abb. 15), entstanden Anfang der 1920er Jahre. Besucher der Walpurgisnacht sind um ein Feuer versammelt, viele in wilde Umarmungen versunken. In dem hell aufflammenden Rauch erscheint Gretchen. Sie ist nackt und wirkt gefesselt. Im Feuerschein sticht ihr an einen Schnitt erinnernder Ring um den Hals hervor. Dieser bildet Fausts schon beschriebene Beobachtung in der Druckfassung der Walpurgisnacht ab, ein rotes Schnürchen um den Hals der Erscheinung Gretchens, das aus verschiedenen Gründen auch an Hexenhinrichtungen denken lässt. Goethes Entwürfe werden assoziiert: Der Kopf fällt ab / Das Blut springt u löscht das Feuer285. Selbst wenn Hexenprozessopfer enthauptet wurden, verbrannte man gewöhnlich ihre Körper als Symbol einer vermeintlichen „Reinigung“. Mit hingerichteten Kindsmörderinnen geschah dies in der Regel nicht. Die bildlichen Darstellungen haben also schon durch das Feuer eine Nähe zur Hexenthematik. Anfang der 1920er Jahre entstand eine Radierung von Willy Jaeckel, die 1925 erschien.286 Sie zeigt Gretchen als nackte, überlebensgroße Gestalt zwischen hell aufleuchtenden Baumstämmen stehend (Abb. 16).
Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 49. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 559. 1925 erschienen 26 Graphiken von Willy Jaeckel zum 1. und 2. Teil des „Faust“. Vgl. Stadel: Graphik, S. 117, zu Jaeckels „Faust“-Zyklus vgl. vor allem S. 106–184.
282
8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Abb. 14: Pascal-Adolphe-Jean Dagnan-Bouveret: Marguerite au sabbat (1911). Musée des beaux-arts de Cognac, 949.2.1.287
Gretchens Hals weist hier ebenfalls den dünnen Schnitt auf, ihre geschlossene Beinhaltung lässt an die von Goethe umschriebenen gefesselten Füße denken. Im unteren Bildteil lauern zwei Gestalten wie Zuschauer, die eine Hinrichtung erwarten. Auch dieses expressionistisch geprägte Bild kann an – viel ältere – Darstellungen von Hexenprozessopfern erinnern. Neben Verbrennungshütten aus Stroh gab es bei realen Hexenverbrennungen auch Reisig-Scheiterhaufen; sie wurden um einen Fesselpfahl herum errichtet, an dem man die Opfer mit aufgerichtetem
Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pascal_Dagnan-Bouveret_-_Marguerite_au_ sabbat.png [Stand: Juni 2023].
8.3 Die Figur Gretchen
283
Oberkörper verbrannte, wie im Beispiel einer Hexenverbrennungsszene aus dem Jahr 1587 (Abb. 17).
Abb. 15: Oskar Graf: Radierung, erschienen 1923.288
Und auch in jüngerer Zeit ist das Verbrennungsmotiv aufgegriffen worden, bisweilen unter anderen, grauenvollen Vorzeichen. Anselm Kiefer transfomierte es in einer Bildserie der frühen 1980er Jahre, die den Holocaust thematisiert: „Margarethe“ und
Bild in Hans Henning: Illustrationen, S. 319.
284
8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Abb. 16: Willy Jaeckel, Illustration zur Szene Walpurgisnacht, erschienen in Berlin 1925.289
„Sulamith“. Er kombiniert den Namen „Margarethe“, Paul Celans „Todesfuge“ zitierend, in verschiedenen Formen mit Stroh290 auf Leinwand (Abb. 18). Das Erinnern an die NS-Verbrechen, das explizit Goethes „Faust“ reminisziert und kontrapunktiert, steht in der intertextuellen Auseinandersetzung des Künstlers
Bild: Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. https://nbnresol ving.org/urn:nbn:de:gbv:32-1-10000481391 [Stand: Juni 2023]. Claudia Keller verweist mit Blick auf Kiefers Visualisierung brennenden Strohs auf alchemistische Traditionen, zwar mit Bezug auf Beuys, der an anderer Stelle gegeben sein mag, doch ist diese Interpretation hier zumindest fragwürdig: „Beuys’ archaische Materialien und die (alchemistische) Transformation kehren hier wieder im brennenden Stroh des ‚goldene[n] Haar[s]‘ von Margarethe (Dein goldenes Haar Margarethe, 1981) auf der einen und im zu Asche gewordenen Haar Shulamiths auf der anderen Seite.“ Keller: Bildende Kunst, S. 470.
8.3 Die Figur Gretchen
285
Abb. 17: Darstellung einer Hexenverbrennung von Johann Jakob Wick, Zürich 1587.291
mit Celan eindeutig im Vordergrund.292 Kiefers Bildserie kann aber mehrere Erinnerungsschichten berühren, wenn man die Hexenverfolgung als Spur in Goethes „Faust“ gelesen hat. Es kann dann subjektiv auch eine unheilvolle Steigerung assoziiert werden. Denn obwohl Goethes Werk in der NS-Zeit instrumentalisiert wurde (vgl. hierzu Punkt 10.2.1), wird es in manchem heutigen Holocaust-Gedenken als geeignet empfunden zur Kontrastierung mit den Massenmorden der NS-Zeit –
Johann Jakob Wick: Sammlung von Nachrichten zur Zeitgeschichte aus den Jahren 1560–87 (mit älteren Stücken), Bd. 25, fol. 338r. Zentralbibliothek Zürich, Ms F 35. Public Domain Mark. Einsehbar unter https://doi.org/10.7891/e-manuscripta-17729 [Stand: Juni 2023]. Vgl. zu dieser Bildserie allgemein die Gedanken von Lisa Saltzman zu Adornos Auseinandersetzung mit Schweigen und Zeugenschaft. Sie bezeichnet die Serie Kiefers in diesem Zusammenhang auch als „palimpsest“: wir lesen durch Kiefers Bilder Celan und auch Adorno. Saltzman: Anselm Kiefer and Art after Auschwitz, besonders S. 26–32, hier S. 31.
286
8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Abb. 18: Anselm Kiefer: Margarethe, 1981 (Copyright © Anselm Kiefer).293
gerade ob der Symbolisierung einer vermeintlich noch ungetrübten „deutschen Kultur“ durch Goethe. So werden etwa die einander nahen Orte „Weimar und Buchenwald“ schon seit der frühen Nachkriegszeit294 mahnend gemeinsam genannt: als Ausdruck der Nachbarschaft von höchster Kultur und schlimmster Barbarei. Goethes Werk, und gerade sein „Faust“, enthalten aber durch die Hexenthematik, sieht man genau hin, selbst Spuren früherer Gräueltaten, die verdrängt werden – schon vor den späteren Maximalverbrechen der NS-Zeit. Eine Lektüre des „Faust“, die historische Kontexte mitliest, verändert, wie man am Beispiel von Kiefers Bildserie sehen kann, zugleich den Blick auf Verarbeitungen des Werkes in der bildenden Kunst und auf seine symbolische Verwendung.
Oil, acrylic, emulsion and straw on canvas, 280 × 400 × 15,3 cm. Provenance: The Doris and Donald Fisher Collection at the San Francisco Museum of Modern Art. Bekannt ist Richard Alewyns Formulierung aus dem Jahr 1949: „Zwischen uns und Weimar liegt Buchenwald. [...] Es gibt nur Goethe und Hitler, die Humanität und die Bestialität.“ Alewyn: Goethe als Alibi?, S. 335 [Kursivierung im Original].
8.3 Die Figur Gretchen
287
8.3.8 zu entsetzlichen Qualen eingesperrt Die Folter war die Seele des Hexenprozesses. Da das Hexereidelikt in wesentlichen Teilen imaginär war, gestanden die meisten Menschen diese Teile des Delikts – anders als einfache abergläubische Handlungen – oft erst unter extremer Gewalteinwirkung.295
Hexenprozesse boten sich auch deswegen zur Verfolgung anderer Delikte an, weil sie es erleichterten, ein Geständnis durch Folter zu erzwingen. Zwar galten auch für Hexenprozesse Regeln. Mit dem Argument, Hexerei sei ein „crimen exceptum“, wurden aber die nach der Carolina gültigen Reglementierungen der Folter in vielen Territorien ignoriert. Ernst Schubert schildert diese Entwicklung: Hexenprozesse und entstehende Willkür und Brutalisierung der Folter hängen zusammen. In den Hexenprozessen galt nicht, daß Alte, Schwangere, Kranke und Minderjährige dem Ius Commune zufolge nicht gefoltert werden durften. [...] In den neuzeitlichen Hexenprozessen wurde üblich, was die Carolina verboten hatte: die Befragung während der Folter.296
Folterungen in Hexenprozessen waren meist willkürlicher und exzessiver als in anderen Prozessen.297 Wolfgang Behringer hat das widerrechtliche Vorgehen wie folgt beschrieben: Deshalb wurde eine Art Notstandsrecht konstruiert, nach welchem das Hexereiverbrechen zum crimen exceptum erklärt wurde, für das die normalen Prozeßbedingungen nicht galten: Im Extremfall sollte bloßer Verdacht zur Verhaftung führen und als Legitimation zur Folteranwendung gelten. Die Folter sollte so lange, so oft und mit solchen Mitteln ausgeübt werden können, daß ein Geständnis unweigerlich erzielt werden konnte. Bereits der ‚Hexenhammer‘ gab im Wissen um die Widerrechtlichkeit dieses Vorgehens weltlichen Richtern den Rat, die Wiederholung der Tortur als ‚Fortsetzung‘ zu bezeichnen – eine klare Anweisung zur Sprachmanipulation aus dem späten 15. Jahrhundert.298
Auch die von Goethe rezipierten Hexenprozessakten Carpzovs dokumentieren die vielfache Tortur.299 In der auf die Walpurgisnacht folgenden Prosa-Szene Trüber Tag / Feld sagt Faust über Gretchen: Als Missetäterin im Kerker zu entsetzlichen
Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 270. Schubert: Verbrechen und Strafe im Mittelalter, S. 166. Zur Anwendung der Folter in Hexenprozessen vgl. Lorenz: Der Hexenprozeß, S. 145. Zur Entwicklung der Folter und ihrer Beeinflussung beziehungsweise Verschärfung durch die Hexenprozesse vgl. Schubert: Verbrechen und Strafe im Mittelalter, besonders S. 158–169. Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 270. Carpzov zitiert zum Beispiel den Bericht über „die gefangene G. L.“: „So hat wegen der dritten Tortur / weil die vorigen Indicia in der anderweit außgestandenen scharffen Frage purgiret worden seyn / nichts beständiges erkandt werden mögen.“ Carpzov: Practica, S. 341.
288
8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Qualen eingesperrt (2 f.). Im Kontext aller bisher genannten Indizien ist es naheliegend, dass Faust hier nicht nur seelische Qualen meint. Wie es auch von Albrecht Schöne als Interpretation vorgeschlagen und später manchmal aufgegriffen wurde,300 lässt Fausts Aussage an exzessive Folter denken. In Kindsmordprozessen aber wurde die Folter nur selten und vergleichsweise gemäßigt angewendet. Richard van Dülmen berichtet: „Obwohl man seit dem Ende des 16. Jahrhunderts eher bereit war, die Folter im Kindsmordfalle anzuwenden als früher, wurden Kindsmörderinnen insgesamt doch nur selten gefoltert; zumeist reichte die Androhung bzw. das Anlegen von Schrauben.“301 Auch Kerstin Michalik beschreibt die Anwendung der Folter in Kindsmordprozessen als relativ gemäßigt: Für das ausgehende 17. und das erste Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts gibt es keine Angaben zur Art der Tortur; für den späteren Zeitraum läßt sich den Akten jedoch entnehmen, daß regelmäßig nur bis zum zweiten Grad der Folter geschritten und es beim Vorführen der Folterinstrumente und dem Anlegen von Daumenschrauben belassen wurde.302
Die von Faust erahnten entsetzlichen Qualen erinnern also eher an die Folter in Hexenprozessen. Auch der Zustand der Figur Gretchen in der Szene Kerker und ihre wahnhaften Phantasien können auf vorangegangene schwere Misshandlungen hindeuten. Jan Philipp Reemtsma hat in eigentlich sozialwissenschaftlichen Studien zum Thema „Folter“ überraschenderweise auf Goethes „Faust“ Bezug genommen und als einer der wenigen Wissenschaftler auf Schönes These vom Hexenprozess zustimmend hingewiesen: „Ist aber Gretchen als Hexe angeklagt, so ist die Folter Teil des Prozesses. Und dann ist die Geistesverwirrung in der letzten Szene (‚Kerker‘) vor allem eines: Resultat der Folter. Goethe ist davor zurückgeschreckt, dieses Motiv wirklich auszuführen [...].“303 Die spätere Tilgung dieses Schreckens durch Goethe beschreibt Reemtsma aus soziologischer Sicht als typische Auswirkung von Terror, die auch in anderen historischen Situationen zu beobachten ist. In bildlichen Darstellungen der Szene Kerker werden Misshandlungen oft assoziiert. Etwa zeigt eine Radierung von Willy Jaeckel (Abb. 19), erschienen im Jahr 1925, Gretchen als Gefangene, am Boden liegend, mit kurz geschnittenem
Schöne: Götterzeichen, S. 178–181 und S. 186 f. Auch Jochen Schmidt, der seine Erläuterungen zur Hexenverfolgung eigentlich auf den ursprünglich geplanten Schluss der Walpurgisnacht beschränkt, verweist darauf, „daß sogar die Druckfassung noch Reflexe der Folterung und Hinrichtung Gretchens als Hexe enthält.“ Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 200. Arnd Bohm vermutet Folter in einem Kindsmordprozess, Bohm: Margarete’s Innocence and the Guilt of Faust, S. 227. Van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 39. Michalik: Kindsmord, S. 198. Reemtsma: Skizze eines Forschungsprogramms, S. 11.
8.3 Die Figur Gretchen
289
Haar und einem notdürftig um die Hüften geschlungenen Tuch. Ihre Nackheit präsentiert sich dem Betrachter hier als Perspektive auf die Seite und den Rücken der mit dem Gesicht zum Boden Liegenden. Ihr Kopf weist in Richtung des Betrachters, der Körper ist abgemagert, die Rippen zeichnen sich ab. Die Perspektive zwingt den Blick auf einen offensichtlich geschundenen Körper. Goethes Text lässt diese Deutung zu.
Abb. 19: Willy Jaeckel, Illustration zur Szene Kerker, erschienen in Berlin 1925.304
Bild: Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. https://nbnresolving.org/urn:nbn:de:gbv:32-1-10000481453 [Stand: Juni 2023].
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
8.3.9 Entblößung Nackt das Idol305
In bildlichen Darstellungen der Szene Kerker manifestieren sich hinsichtlich der Hexenthematik weitere Parallelen. Sehr häufig ist Gretchen nackt oder halbnackt gezeigt, durch ihre Entblößung wirkt sie zerbrechlich und gequält. In Goethes Szene Kerker gibt es keine Hinweise auf eine Entkleidung Gretchens. Höchstens ihr wahnhafter Wunsch Laß mich nur erst das Kind noch tränken. (4443) könnte entfernt in diese Richtung deuten. Jedoch beschrieb der Dichter die Erscheinung der Hingerichteten in seinen Entwürfen zur Walpurgisnacht als nackt. Auf glühndem Boden Nackt das Idol Die Hände auf dem Rücken Bedeckt nicht das Gesicht u nicht die Scham306
Als künstlerisches Mittel zeigt die Nacktheit in der Darstellung Gretchens im Kerker Verletztheit und Verletzlichkeit, Demütigung und Scham – nicht selten auch unter voyeuristischen Vorzeichen.307 Nacktheit läßt den Körper der Gefangenen sprechen: Er ist manchmal ausgemergelt dargestellt oder trägt Spuren von Folter. In Details wie den häufig gezeigten Ketten, die auch in Goethes Text mehrfach erwähnt sind, oder dem „Stock“ als Fesselinstrument spiegeln viele Bilder tatsächliche frühneuzeitliche Haftbedingungen wider, die allerdings von Ort zu Ort unterschiedlich waren.308 Obwohl Quellen zu diesem Thema selten sind,309 gehen geschichtswissenschaftliche Studien davon aus, dass die Haftbedingungen „mehr einer Körperstrafe denn einer Freiheitsstrafe“310 entsprachen. Trotz dieser Implikationen ist die sehr
Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 558. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 558. Vgl. Schade: Vom Umgang mit Hexen-Bildern, S. 201–209. Ludwig: Untersuchungshaft im Strafverfahren. In: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung. Ludwig: Untersuchungshaft im Strafverfahren. In: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung. Schubert: Verbrechen und Strafe im Mittelalter, S. 138. Vgl. zu mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Haftbedingungen vor allem auch S. 132–153. Thomas Krause berichtet über frühe Gefängnisse: „Aus zahlreichen Berichten, Beschreibungen und Abbildungen solcher Gefängnisse wird deutlich, daß die Gefangenen dort unter – jedenfalls nach heutigen Vorstellungen – qualvollen Bedingungen gehalten wurden. Sie waren in der Regel entweder angekettet oder in einen sog. Block oder Stock eingespannt und erhielten als Verpflegung vielfach nur Wasser und Brot.“ Krause: Geschichte des Strafvollzugs, S. 18. Vgl. zu Haftbedingungen auch van Dülmen: Theater des Schreckens, besonders S. 20–23.
8.3 Die Figur Gretchen
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häufige und betont dargestellte Entblößung Gretchens im Kerker auffällig. Denn in der frühen Neuzeit hatte die Entkleidung von Gefangenen spezifische Funktionen: gerade in Hexenprozessen kam ihr ganz besondere Bedeutung zu. Man vermutete, dass vermeintliche Hexen und Hexer „Zaubermittel“ in ihren Kleidern versteckt halten könnten. Auch wurden sie entblößt, um nach „Hexenmalen“ zu suchen, in die zur Probe mit einer Nadel gestochen wurde; aus demselben Grund entfernte man oft die Haare, bevor man den Gefangenen einen „Marterkittel“, ein einfaches, grobes Hemd anlegte. Kramers „Hexenhammer“ gibt die Anleitung: Als dritte Vorsichtsmaßregel [...] ist zu beachten, daß die Haare von jedem Teil des Körpers geschoren werden. Und dabei gilt derselbe Grund, wie oben für das Ausziehen der Kleider. Sie haben nämlich bisweilen für den Schweigezauber irgendwelche abergläubische Amulette von bestimmten Dingen, sei es in den Kleidern, sei es in den Haaren des Körpers und bisweilen an den geheimsten, nicht zu benennenden Orten.311
Der überkommene Bericht eines Scharfrichtergehilfen schildert prägnant ein derartiges Vorgehen während der heftigen Verfolgungen im Fürstbistum Eichstätt: Dann wann ein trudt [‚Hexe‘, A. U. ] in die gefengknus kombt, so mus sie sich nackendt ausziehen, alsdann sein maister ihr des geweihten salz in den mundt, soviel als er zwischen zwaien fingern halten kann und ein trunck geweiheten wassers und ein trunck taufwassers. Hernach suche er ihr das zaichen, welches ein flecklein ist, als wann es geritzt were, wann ers dann gefunden, so sticht er mit einer schnaidenden nadel hinein, do es dann ein trudt ist, so gibt es kain blud, auch verregt sie sich nicht.312
In etlichen bildlichen Darstellungen von Hexenprozessen werden entblößte Frauen inszeniert. Der Umgang mit den voyeuristischen Seiten dieser Darstellungen ist ein eigenes Thema in der Forschung.313 Als ein Beispiel sei hier auf den bekannten Holzstich nach einer Zeichnung von Ferdinand Piloty (Abb. 20) aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verwiesen. Einer Frau im Verhör wird vor zahlreichen Männern das Gewand herabgerissen, es liegen Marterinstrumente bereit. Die Entblößung wird in dieser Darstellung des 19. Jahrhunderts, die auf die Zeit der Hexenprozesse zurückblickt, als Teil der Folter gezeigt. Auffallend ähnlich gestaltet Alexander Liezen-Mayer Gretchens Nacktheit und ihre Abwehrhaltung in einer Illustration zu Goethes „Faust“ (Abb. 21). Auch hier gibt ein Tuchgewand den Oberkörper des Opfers frei. Nur Gretchens Arme bedecken ihre Brüste, ebenso wie in Pilotys Darstellung des Verhörs. Kramer: Hexenhammer, S. 681 f. Wolfgang Behringer gibt diesen Bericht aus Nürnberg im Jahr 1590 wieder. Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 212. Vgl. zum Beispiel Schade: Vom Umgang mit Hexen-Bildern.
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Abb. 20: Ferdinand Piloty: Gerichtsszene mit der Bildunterschrift: „Du sollst so dünn gefoltert werden, daß die Sonne durch dich scheint!“.314
Heute zeigen Ausstellungen zu Hexenverfolgungen die geweihten groben Gewänder, die Hexereiverdächtigte in der frühen Neuzeit beim Verhör und bis zur Hinrichtung tragen mussten.315 Goethes Gretchen wurde – wie im eben genannten Beispiel – von vielen Künstlern ähnlich schlicht bedeckt dargestellt. Auf zahlreichen Bildern ist ihr Gewand zerrissen. Jean Paul Laurens etwa, Illustrator einer von Albert Stapfer in Französische übersetzten „Faust“-Ausgabe von 1885, betont Gretchens nackten Oberkörper durch den Lichteinfall (Abb. 22). Ein schlichtes Gewand kann in Bildern antikisierend eingesetzt sein oder einfach Entbehrung beziehungsweise Buße symbolisieren. Dass aber Bildwerke Gretchens Entblößung so häufig zeigen und so stark betonen, legt wieder den Verdacht nahe, dass die Künstler – eventuell unbewusst – Wissen um die
Bild in Johannes Scherr: Germania. Zwei Jahrtausende deutschen Lebens. Kulturgeschichtlich geschildert. Stuttgart 1878. Bildtafel zwischen S. 226 und 227. „Bei den sogenannten Folterhemden oder Marterkitteln handelte es sich entweder um komplette Gewänder oder lediglich um eine Art Schürze.“ Hexen. Mythos und Wirklichkeit, S. 149.
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Abb. 21: Alexander Liezen-Mayer: Gretchen im Kerker, um 1880.316
Hexenverfolgung abrufen. Auch jüngere Darstellungen der Kerkerszene rücken eine Nacktheit der Gefangenen bisweilen drastisch ins Bild, etwa ein Holzschnitt von Hans Wildermann, erschienen im Jahr 1919 (Abb. 23). Gretchens Kerker ist hier ein enger, dunkler Winkel mit schmalem Fensterschlitz. Die Gefangene, auf einem kleinen Eckbrett sitzend, ist an eine dicke Eisenkette gefesselt, die Gretchens zarte Gliedmaße im Kontrast noch zerbrechlicher aussehen lässt. Ein simples Tuch gibt den Rumpf des Mädchens fast vollständig frei. Ihr ausgemergelter Körper wirkt Bild in Hans Henning: Illustrationen, S. 383.
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Abb. 22: Jean Paul Laurens: The Prison, hier die Illustration einer englischen Ausgabe aus dem Jahr 1887.317
gequält und von Schmerz gezeichnet, das Gesicht mit den geschlossenen Augen spricht von totaler Erschöpfung. Schon eine der bekannten Lithographien von Delacroix aus dem Jahr 1828 zeigt Gretchen im Kerker mit entblößten Brüsten auf einer Holzbank sitzend (Abb. 24).
Bild in The first part of Goethe’s Faust. From the German by John Anster. With an introduction by Henry Morley. Illustrations by J.-P. Laurens. (The Henry Irving Edition), London / New York 1887, Bildtafel zwischen S. 248 und 249.
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Abb. 23: Hans Wildermann: Gretchen im Kerker, Holzschnitt 1919.318
Delacroix hat das Mädchen in einer anderen Lithographie als Erscheinung auf der Walpurgisnacht ebenso halbnackt dargestellt (Abb. 25). Ihr Kopf wird von einem Teufel an den Haaren emporgezogen, und ihr Hals weist einen Schnitt auf. Der Körper ist tot, er liegt bleich und erschlafft, wird nur von den Dämonen aufgerichtet. In Delacroix’ Kerkerszene ist die Nacktheit sehr zentral im Bild. Die Art, wie sich Faust als Retter zu Gretchen beugt, erscheint fast wie ein sexueller Übergriff, nicht zuletzt durch sein nach frühneuzeitlicher Mode betontes Gemächt und den Bild in Hans Henning: Illustrationen, S. 385.
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Abb. 24: Lithographie von Eugène Delacroix zur Szene Kerker, veröffentlicht 1828. (Foto A.U.)
phallisch hervorragenden Schwertgriff. In Hexenprozessen waren sexuelle Übergriffe besonders naheliegend. Friedrich Spee etwa warnt in seiner Schrift „Cautio Criminalis“ vor Übergriffen und Vergewaltigungen, wenn den angeblichen Hexen durch den Henker die Körperhaare entfernt würden und wenn er ihre Körper nach „Hexenmalen“ absuche.319 Nur wenn man die Assoziationen eines Hexenprozesses nicht für wahrscheinlich hält, dann mag Gretchens Nacktheit hier
Spee: Cautio Criminalis. Die XXXI. Frage, S. 113–115 bzw. S. 332–334 (Übersetzung) und: Die XLIII. Frage, 150 bzw. 377 (Übersetzung).
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Abb. 25: Lithographie von Eugène Delacroix zur Szene Walpurgisnacht, veröffentlicht 1828. (Foto A.U.).
unmotiviert erscheinen. Vielleicht ist dies der Grund, dass etwa Franz Neubert 1932 mit Blick auf einige Teile des „Faust“-Zyklus von Delacroix allgemein ein „Halbwelt-Gretchen“320 bemäkelte – ein vielsagendes Missverständnis. Von Goethe berichtet Eckermann, er habe Delacroix in mancher Hinsicht explizit gelobt: Herr Delacroix, sagte Goethe, ist ein großes Talent, das gerade am Faust die rechte Nahrung gefunden hat. Die Franzosen tadeln an ihm seine Wildheit, allein hier kommt sie ihm recht zu Statten. Er wird, wie man hofft, den ganzen Faust durchführen, und ich freue mich besonders auf die Hexenküche und die Brockenszenen. [...]‚ Ich machte bemerklich, daß solche Bilder zum besseren Verstehen des Gedichts sehr viel beitrügen. ‘Das ist keine Frage, sagte Goethe, denn die vollkommnere Einbildungskraft eines solchen Künstlers zwingt uns, die Situationen so gut zu denken, wie er sie selber gedacht hat. Und wenn ich nun gestehen muß, daß Herr Delacroix meine eigene Vorstellung bei Szenen übertroffen hat, die ich
„Und sollten Goethe vielleicht das Halbwelt-Gretchen und der reizlose Faust gefallen, der Gretchen gleich bei der ersten Begegnung den Arm um die Hüfte legt?“ Neubert: Doctor Faustus, S. 244.
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selber gemacht habe, um wie viel mehr werden nicht die Leser alles lebendig und über ihre Imagination hinausgehend finden!321
Zwar erinnern diese Aussagen daran, dass bildliche Interpretationen von Goethes Text als eigenständige Kunstwerke gelten müssen. Nichtsdestoweniger handelt es sich bei den Darstellungen um Lesarten, die Goethes Werk provoziert und – auch nach Meinung seines Autors – zulässt.
8.3.10 Wahnsinn und Imaginationen des Kannibalismus Was sie mit diesem khindt gethan, ob sie es kocht, was gestalten, gesoten oder gebraten, vnd wo sie es verzährt haben, wer den verzehren beigewohnt, ob es ihnen wohlgeschmeckht habe?322
Kindsmordphantasien haben eine lange, bis in die Antike reichende Tradition und wurden im Laufe der Zeit zu verschiedenen Stigmatisierungen benutzt.323 Schon die hexentheoretische Literatur der frühen Neuzeit verweist häufig auf antike Quellen zu Hexenvorstellungen. Auch in Goethes Drama sind biblische und griechisch Gespräch mit Eckermann am 29. November 1826. Münchner Ausgabe, Bd. 19, S. 165–168, hier S. 167 f. An diesem Tag zeigte Goethe Eckermann zwei Lithographien von Delacroix, die Clemens Wenzeslaus Coudray aus Paris mitgebracht hatte: die Szenen „Nacht, offen Feld“ und „Auerbachs Keller“. Vgl. ebd., S. 166 f. Frédéric Soret berichtet dann vom 22. März 1828, dass Goethe die französische Übersetzung des „Faust“ (von Albert Stapfer) mit Lithographien von Delacroix erhalten hatte. Goethe habe diesen viel Interesse und an einigen Stellen Lob entgegenbracht, wegen der Kühnheit und Teufelei des Entwurfs („pour la hardiesse et la diablerie de la conception“). Goethe habe gesagt, er sei oft von dem Künstler verstanden worden: „Le poète disait avoir été souvent compris par l’artiste.“ Herwig / Biedermann: Goethes Gespräche, Bd. 3, Teil 2, Nr. 6124, S. 258. Der Kelheimer Hexenhammer, S. 61. Der Historiker Otto Ulbricht verweist auf eine Instrumentalisierung von Kannibalismusvorstellungen: „Betrachtet man das Hoch- und Spätmittelalter sowie die Frühe Neuzeit unter diesem Aspekt, so fällt auf, daß die Greueltat des Kindsmordes zu jenen Zeiten gerade den beiden Gruppen zugeschrieben wurde, die als die ärgsten Feinde des Christentums betrachtet wurden: den Juden, denen immer wieder Ritualmorde an christlichen Kindern unterstellt wurden, und den Hexen, die häufig für den Tod von Säuglingen und kleinen Kindern verantwortlich gemacht wurden. Der unchristliche Charakter der Tat – in Kombination mit ihren anderen Eigenschaften zugeschriebener Art – machte das Verbrechen zu einer geeigneten Waffe im ideologischen Kampf.“ Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 22. Vgl. zum Bild der „Kinderfresserin“ auch: Ahrendt-Schulte: Weise Frauen, S. 55–61. Antike Bezüge vieler dämonologischer Vorstellungen und auch der Imaginationen des kannibalischen Kindsmordes hat Norman Cohn untersucht. Cohn: Europe’s Inner Demons. Er erwägt auch psychologische Ursachen dieser Vorstellungen. Heute wird von Vorwürfen des Kannibalismus und des rituellen Kindermordes gegen Hexereiverdächtigte in Afrika berichtet. Schulte, Ro.: Hexenverfolgungen, S. 244.
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römische Hexenvorstellungen präsent. Sie werden in der Faust-Forschung verhältnismäßig oft betrachtet. Die Rolle aber, die frühneuzeitliche Dämonologien für die Verbreitung von Hexenvorstellungen spielen, wird in der Literaturwissenschaft meist unterschätzt. Ein Beispiel für diese ungleiche Gewichtung von Quellen ist folgende Aussage von Barbara Becker-Cantarino: Weiter wird zu zeigen sein, wie Goethe einerseits an atavistische Vorstellungen von Hexenzauber, Kindestötung und Kannibalismus, wie sie auch im Medea-Mythos europäisches Gemeingut geworden sind, erinnert und zum anderen ein damals sensationelles, soziales Phänomen aufgreift und literarisiert: die Prozesse gegen Kindsmörderinnen.324
Viel volksläufiger als durch den Medea-Mythos wurden Kindsmordphantasien durch die dämonologischen Imaginationen der frühen Neuzeit und ihre reale Umsetzung in Hexenprozesse. Als „atavistisch“ kann man diese Vorstellungen zu Goethes Zeit noch nicht bezeichnen, denn sie waren noch nicht durchgängig gebrochen, sondern sogar zum Teil noch strafrechtlich relevant. Auch Denise Blondeau nennt dämonologische Vorstellungen „archaisch“, das 18. Jahrhundert wisse es besser, nämlich, so deutet sie anachronistisch, dass diese Bilder Ängste eine patriarchalischen und von der Kirche beherrschten Gesellschaft gewesen seien: Dans l’imaginaire populaire, les sorcières sont des créatures mauvaises, qui dévoient les jeunes filles et les jeunes hommes, forniquent avec le diable lors d’orgies sexuelles et criminelles et tuent les enfants. Cette imagerie archaïque est conservée dans Faust, mais le XVIIIe siècle „éclairé“, ou en voie de l’être, sait que ce sont les peurs et les jugements d’une société patriarcale dominée par l’Eglise qui créent le personnage de la sorcière, comme incarnation d’une féminité et d’une sexualité dangereuses, à exclure de l’ordre moral et social.325
In Wirklichkeit wird die Präsenz der Hexenimaginationen auch daran deutlich, dass Details der in frühneuzeitlichen Dämonologien verbreiteten Kindsmordphantasien in literarischen Verarbeitungen aufgegriffen wurden. Eine in den Kopf gestochene Nadel – eine in der Literatur des Sturm und Drang bisweilen dargestellte Mordmethode – findet sich etwa ebenso in Kramers „Hexenhammer“: In der Diözese Basel, in der Stadt Dann, hatte eine Eingeäscherte gestanden, mehr als vierzig Kinder dergestalt getötet zu haben, daß sie ihnen, sobald sie aus dem Mutterleib hervorkamen, eine Nadel in die Köpfe durch den Scheitel bis ins Gehirn stach.326
Becker-Cantarino: Die Kindsmörderin, S. 109. Blondeau: Walpugisnacht, S. 255. Kramer: Hexenhammer, S. 474.
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Heinrich Leopold Wagners Kindermörderin Evchen glaubt, nachdem sie ihr Kind mit einer in den Kopf gestoßenen Nadel erstochen hat, das Blut des Kindes zu trinken. Sie entspricht auch damit dem Bild der Kinderblut verzehrenden Hexe. Ha! ein Blutstropfen ! den muß ich wegküssen, – noch einer! – auch den! (küßt das Kind an dem verwundeten Schlaf.) – Was ist das? – süß! sehr süß! aber hinten nach bitter – ha, jetzt merk ichs – Blut meines eignen Kinds! – und das trink ich? – (wirfts Kind aufs Bett)327
In der Zeit des Sturm und Drang konnten Hexenassoziationen angesichts solcher intertextuellen Bezüge sicher nicht ausgeblendet werden.328 Über die Frage, ob die Gretchenfigur eine schuldhafte Tötung ihres Kindes zu verantworten hat, oder ob sie im Wahnsinn gehandelt hat, wurde oft spekuliert. In Goethes Szene Kerker wird dargestellt, dass Gretchen wahnsinnig geworden ist. Sie nimmt die Welt nur bruchstückhaft wahr. Dies zeigt sich zum Beispiel, wenn sie den Tod ihres Kindes ausblendet und sagt: Laß mich nur erst das Kind noch tränken. (4443) Paul Requadt ist – wie viele andere Interpreten – der Ansicht: „Der Wahnsinn entlastet Gretchen (das ist seine reale Funktion); denn er läßt die Vermutung zu, daß sie den Kindsmord im Zustand geistiger Verwirrung begangen hat.“329 Der in der NS-Zeit in leitender Position tätige „Rassenhygieniker“ und „SSSturmmann“ Horst Geyer wird in der Faust-Forschung bis heute sehr oft, an prominenter Stelle und ohne Hinweis auf diese Vergangenheit zitiert.330 Er spricht in einer fragwürdigen Abhandlung, die sich vielfach auf NS-Literatur stützt, verengend von einer „deliranten Psychose“ Gretchens.331 Wahnsinn ist in Goethes Zeit ein beliebtes Thema der Kunst, aber es hat auch in den dämonologischen Diskursen, die Goethe kannte, eine wichtige Rolle gespielt. In hexentheoretischen Schriften wurde insbesondere die psychisch oft instabile Konstitution von Wöchnerinnen breit diskutiert, sie kann auch hinsichtlich der Gretchenfigur assoziiert werden. Frauen im Kindbett galten als besonders gefährdete Opfer von hexischem Schadenzauber.332 Vielen der Hexerei bezichtigten Frauen wurden aber auch Geständnisse abgezwungen, sie hätten direkt nach der Geburt selbst hexereibezogene Verbrechen begangen: sie hätten etwa Kontakt zu Dämonen gehabt, Wagner: Kindermörderin, VI. Akt, S. 80. So ist der Monolog nicht einfach als Zeichen von Evchens „Unzurechnungsfähigkeit“ zu sehen, wie etwa Harald Neumeyer schreibt. Neumeyer: Psychenproduktion, S. 57. Requadt: Goethes „Faust I“, S. 333. Etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, von Peter Matussek im Goethe Handbuch Bd. 2, S. 380. Geyer: Dichter des Wahnsinns, S. 160. Geyer führte unter anderem Lehrgänge für SS-Ärzte über „Geisteskrankheiten“ durch. Zur NS-Vergangenheit Geyers vgl. Schnitzler: Soziologie im Nationalsozialismus, S. 171 und Klee: Personenlexikon, S. 182. Vgl. hierzu Labouvie: Gefährliche Zeiten – gefährdete Kinder, zu magischen Abwehrpraktiken gegen Hexen rund um die Geburt, besonders S. 60–67.
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ihre Kinder ungetauft getötet und dem Teufel übergeben, beziehungsweise die Leichen für hexischen Schadenzauber benutzt. Die Historikerin Lyndal Roper hat einige dieser Vorstellungen zusammengefasst: Die Verbindung zwischen Hexerei und Kindbett hatte eine lange Geschichte. Um Schwangerschaft und Kindbett rankten sich schon immer Mythen über Zauberei und Gefahren, häufig musste die werdende Mutter geweihte Gürtel um den Bauch tragen, oder es wurden Kerzen zum Schutz des Kindes angezündet. Wie der Priester Johannes Geiler von Kaysersberg 1508 in einer offenbar zweifelnden Predigt bemerkte, waren unter den Hexen mehr Frauen als Männer, und wie ihm schien, drohten Frauen die Gefahren der Hexerei besonders während des Kindbetts, wenn Feuchtigkeit in ihre Köpfe stieg, die böse Gedanken und – eine interessante Verwendung des Wortes in diesem Zusammenhang – ‚Fantaseien‘ erzeugte.333
Wöchnerinnen wurden auch von manchen Kritikern der Hexenverfolgung als Produzentinnen von Hexenimaginationen beschrieben. Johann Weyer, einer der wirkmächtigsten Gegner der Hexenverfolgung, vertrat in seiner Schrift „De praestigiis daemonum“ die Ansicht, Hexenvorstellungen seien Blendwerke von Dämonen, die vor allem alte, kranke und schwache Frauen beträfen.334 Auch aus Goethes Gretchen sprechen im Kerker dämonologische Vorstellungen. Vor allem in ihrem Lied verarbeitet sie Hexenmotive. Sie identifiziert sich mit ihrem getöteten Kind: Meine Mutter, die Hur, Die mich umgebracht hat! Mein Vater, der Schelm, Der mich gessen hat! (4412–4415)
Diese Sätze stammen aus dem Märchen „Von dem Machandelboom“.335 In diesem Text ermordet eine Stiefmutter ihren Sohn und setzt ihn dem Vater als Blutsuppe vor. Die intertextuellen Bezüge zu dem Märchen werden in der Faust-Forschung Roper: Hexenwahn, S. 25. Sie betont: „Die Bedrohungen, Ängste und Abhängigkeiten, die das Kindsbett mit sich brachte, bilden den Kern des Hexenwahns.“ Roper: Hexenwahn, S. 177. Vgl. Geiler von Kaysersberg: Die Emeis. Straßburg 1517. fol. 47 https://www.digitale-sammlungen. de/de/view/bsb10813359?page=87 [Stand: Mai 2023]. Wier [Weyer], Johannes / Füglin, Johann [Übers.]: De Praestigiis (Band 1): Von den Teuffeln, Zaubrern, Schwartzkünstlern, Teuffels beschwerern, Hexen oder Vnholden vnd Gifftbereitern. Frankfurt am Main, 1575. Volltext einsehbar unter: https://doi.org/10.11588/diglit.1965 [Stand: Juni 2023]. Einen knappen Hinweis auf Weyer gibt im Zusammenhang mit Goethes Kerkerszene auch Michael Schmidt; vgl. Schmidt, M.: Genossin der Hexe, S. 177. Vgl. zur Überlieferung des Märchens Hans-Jörg Uther: Handbuch zu den „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm, S. 110–114.
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angesprochen, nicht dagegen die offensichtlichen dämonologischen Parallelen, die Goethe hier sicher nicht zufällig aufgreift.336 Schon das Märchen selbst enthält zahlreiche Hexenassoziationen.337 Der bösen Stiefmutter stehen kurz vor ihrer Bestrafung die Haare wie Feuerflammen zu Berge, ähnlich wurden „Hexen“ auf verbreiteten Darstellungen des 16. Jahrhunderts gezeigt.338 Nachdem die böse Frau von einem Mühlstein erschlagen wird, steigen Dampf, Flammen und Feuer auf. Durch dieses Feuer ist das Hexenwerk offensichtlich zerstört und der ermordete Junge ist wieder lebendig.339 Wenn Gretchen phantasiert, sie habe sich in ein Waldvögelein (4419) verwandelt, so entspricht dies einerseits den Märchenmotiven, aber es klingen andererseits hexentypische Tierverwandlungen an. Burghart Schmidt hat allgemein darauf verwiesen, dass in der Hexenthematik von Märchen auch „Reminiszenzen einer traumatischen und beklemmenden Vergangenheit“340 zu finden sind. Im Kerkerlied bezeichnet Gretchen die Mutter, und damit sich selbst, als Hur. Dies ging dem fiktiven Schicksal ihrer Figur und auch vielen realen Hexereibezichtigungen voraus. Den Vater nennt Gretchen Schelm, was hier der Bedeutung eines ‚seiner Verbrechen wegen ehrlos gemachten Menschen‘341 entspricht, dies weicht von der Vaterfigur des Märchens ab. Gretchens Lied deutet einen gemeinsam begangenen Kindsmord der Eltern an, wie er in erfolterten Geständnissen echter Hexenprozesse zu finden ist. Wie im Märchen erwähnt Gretchen dann kannibalische
Vgl. beispielhaft für diese Auslassung etwa Ammerlahn: Goethe und Gretchens Lied vom Machandelboom; Arfaoui: Gretchens Lied oder Renftle: Gretchens Kerkerlied; sowie die Kommentare der historisch-kritischen Ausgaben. Völlig unzureichend spricht Geyer (vgl. zur NS-Vergangenheit dieses Autors Anm. 331 in diesem Kapitel meiner Arbeit) lediglich von „unsinnigem Inhalt“ und „Singsang“, Geyer: Dichter des Wahnsinns, S. 158 f. Es sind internationale Varianten des Märchens überliefert, in denen ebenfalls deutliche Hinweise auf Hexereivorstellungen zu finden sind. Johannes Bolte und Georg Polívka zitieren eine „Erzählung der Osttscheremissen“, in der Verse des ermordeten Kindes, das in einen Vogel verwandelt wurde, folgenden Inhalt aufweisen: „Mein Vater hat mich geschlachtet / Meine Stiefmutter, die Hexe, hat mich gefressen“. Vgl. Bolte / Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, Bd. 1, S. 420. Vgl. etwa Abb. 3 „Trierer Hexentanzplatz“ unter Punkt 7.2. “‚Ne,‘ säd de Fru, un sprüng up, un de Hoor stünnen ehr to Baarg as Führsflammen, ‚my is as schull de Welt ünnergahn, ik will ook henuut, of my lichter warden schull.‘ Un as se uut de Döhr köhm, bratsch! smeet ehr de Vagel den Mählensteen up den Kopp, dat se ganß tomatscht wurr. De Vader un Marleenken höörden dat un güngen henuut, do güng en Damp un Flamm un Führ up von der Städ, un as dat vorby wöör, do stünn de lütje Broder door, un he nöhm synen Vader un Marleenken by der Hand, un wören all dree so recht vergnöögt, un gungen in dat Huus by Disch, un eeten.“ Kinder- und Hausmärchen, S. 304. Schmidt, B.: Historische Hexenforschung im Spannungsfeld, S. 16. Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1410.
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Handlungen.342 Das Verspeisen von Kinderleichen gehörte auch in frühneuzeitlichen Hexenprozessen zu den stereotypen Vorwürfen. Von Goethe selbst ist eine Zeichnung von Hexen überliefert (Abb. 26), die diese Imagination wiedergibt: sie werfen einen Säugling in ihren Topf.343
Abb. 26: Johann Wolfgang Goethe: Beschwörungsszene der Hexen bei Vollmond, Federzeichnung um 1776 / 79.344
Arnd Bohm vermutet einen Bezug der Kindstötung zum verjüngenden Trank der Hexe, den Faust eingenommen hat. Er deutet die Hochgerichtserscheinung in den Paralipomena als Hinweis auf die Herstellung des Trankes aus Blut. Ausgehend von dieser Deutung, die ja bedenkenswerte dämonologische Bezüge herstellt, wiederholt er dann aber mehrfach die übliche unsinnige Kritik an der missverstandenen Deutung Schönes („Schöne’s claim that Margarete is a witch“), weil dieser, eben anders als Bohm, im erwähnten Blut die Hinrichung Gretchens angedeutet sieht (vgl. Punkt 3.1 meiner Arbeit). Bohm: Margarete’s Innocence and the Guilt of Faust, besonders S. 234f. Vgl. zum Beispiel schon den Hinweis von Trendelenburg: Goethes Faust, Bd. 1, S. 134. Petra Maisak bemerkt zu Goethes Zeichnung: „Die unheimlichen Motive, die Goethe in ironischer Brechung einsetzt, waren ihm aus dem seinerzeit noch lebendigen Hexenglauben und aus seiner Beschäftigung mit magischer Literatur im Umfeld des Faust vertraut.“ Maisak: Verwandlungen, S. 10. Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum: Sammlung der Zeichnungen & Aquarelle, Inventar Nummer III-02800. https://goethehaus.museum-digital.de/object/39409 [Stand: Juni 2023].
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Dass die Gretchenfigur in der Kerkerszene dämonologische Phantasien entwickelt, erinnert auch an die realen Opfer von Hexenprozessen. Von ihnen überliefern manche Quellen individuelle hexenbezogene Imaginationen. Traumatisierung durch Haft und Folter hat in vielen Fällen sicher eine Rolle gespielt. Es wird in den Prozessakten nicht selten zwischen den Zeilen der notierten Aussagen deutlich, dass die Angst vor weiterer Folter nicht nur die wiederholte Bestätigung der angeblichen Taten bewirkte, so wie es der Prozessablauf erforderte. Manche Hexenphantasien scheinen sich wahnhaft verfestigt zu haben und wurden selbständig ausgeschmückt. Fausts auffällige Bemerkung: Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn! (4408) kann – neben anderen möglichen Interpretationen, etwa eines „Liebeswahns“ – auch als Hinweis auf selbstanklagende Phantasien Gretchens gedeutet werden. Das Delikt des Kindsmordes ist in der frühen Neuzeit nicht zuletzt deshalb mit Hexereivorwürfen eng verbunden, weil Kinderleichen angeblich dem hexischen Schadenzauber dienten. Goethes Hexen der Szene Walpurgisnacht spielen auf Schadenzauber im Umfeld von Schwangerschaft und Geburt an. Es kursierte in der frühen Neuzeit die Vorstellung, Neugeborene oder bereits im Mutterleib getötete, ungetaufte Kinder seien besonders begehrte Opfer von Hexen, weil ihre Leichen zu weiterem Schadenzauber dienen würden. Goethes Hexen singen: Die Gabel sticht, der Besen kratzt, Das Kind erstickt, die Mutter platzt. (3976 f.)
Hans Arens deutet unter Verweis auf Praetorius die Verse wie folgt: „[...] da sich aber nun die Massen alle auf einen Punkt konzentrieren, gibt es dennoch ein großes Gedränge [...], ein so wüstes, daß den schwangeren Hexen das Kind im Leibe erstickt, ja ihnen der Leib birst.“345 Ähnlich vermutet Albrecht Schöne: „Oft schon hochschwanger (wie wohl die Nackte in Herrs Kupferstich [...]) bringen die Hexen im Gedränge ihres Rittes auf Gabel oder Besen Totgeburten zur Welt.“346 Nahe liegt hier aber vor allem, was etwa Albert Fuchs knapp als „destruction de la vie naissante“347 angedeutet hat, die frühneuzeitlichen Imaginationen hexischen Schadenzaubers, die sich in den Versen spiegeln. Der Dämonologe Martin Del Rio zum
Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 386. Düntzer verweist lediglich darauf „daß man glaubte, Hexen nähmen auch ihre Kinder mit auf den Blocksberg“. Düntzer: Goethes Faust. Erster Theil, S. 171, Anm. 1. Unwahrscheinlich ist auch die Deutung Resenhöffts: „Die alten Hexen empfehlen ihnen kurzerhand die Abtreibung, wenn diese auch gefährlich ist [...].“ Resenhöfft: Goethes „Faust“, S. 72. Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 350. Fuchs, A.: Faust sur le Brocken, S. 31.
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Beispiel, den Goethe in seinen späten Tagebüchern erwähnt, propagierte diese Ängste: Die kleinsten Kinder ersticken sie in der Nacht, indem sie die Matratze auf sie drücken; oder sie töten sie, indem sie ihnen hinter dem Ohr eine Nadel in den Kopf stechen [...]. Sie reißen Kinder aus der Wiege und zerstückeln sie; oder sie verwenden sie zur Herstellung ihrer Salben [...] oder essen sie, ein Mahl, das ihnen sehr mundet [...]348
Derartige Phantasien waren nicht nur in Dämonologien verbreitet, sondern Teil realer Prozesse, Grund für Folterungen und Hinrichtungen. Sie sind heute in den Protokollen nachzulesen oder in Frageanleitungen für Verhöre: VI. Circa punctum: khinder ausgraben 1. Wie offt sie zur nachts und auf was freithofen khumen vnd khinder ausgraben helfen? [...] 4. Was sie mit diesem khindt gethan, ob sie es kocht, was gestalten, gesoten oder gebraten, vnd wo sie es verzährt haben, wer den verzehren beigewohnt, ob es ihnen wohlgeschmeckht habe? 5. Was die mit dem vberbliebenen fleisch und painern angefangen oder darauß gemacht haben? 6. Zue wehme sie darauß gemachte Materialia gebraucht vnd verwendt haben?349
In der Faust-Forschung wurden die dämonologischen Bezüge der Szene Kerker oft völlig ignoriert.350 Etwa fragt Rudolf Renftle, der Gretchens Kerkerlied eine ganze Monographie gewidmet hat, blauäugig: Und Goethe selbst? Wie sah er das Lied? Als ein undeutbares Produkt der Phantasie? Als ein schauerliches Raunen aus der Brust einer gemarterten Kreatur? Als ein romantischpoetisches Versatz- und Schauerstück? Als ein Rätsel vom Rang eines ‚Urphänomens‘, vor dem zu resignieren nach Goethes eigener Auskunft keine Schande sei?351
Übersetzung von Lyndal Roper: Hexenwahn, S. 24 f. Vgl. Martin Del Rio: Disquisitionum magicarum libri sex: quibus continetur accurata curiosarum artium, et vanarum superstitionum confutatio: utilis theologis, jurisconsultis, medicis, philologis. Libri III, Pars I, Quaestio I. Mainz 1617. S. 353–356. Volltext einsehbar unter: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k512583 [Stand: Juni 2023]. Der Kelheimer Hexenhammer, S. 61. Vgl. zur Vorstellung des Ausgrabens ungetaufter Kinder auch Labouvie: Gefährliche Zeiten – gefährdete Kinder, besonders S. 54–56. Vgl. etwa Müller, C.: „Gretchen als Hexe“?, S. 354. Renftle: Gretchens Kerkerlied, S. 43.
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8.4 Die Ebene der Phantasiewelten Warum werden die Hexen auf der Walpurgisnacht nicht verhaftet?352
Goethes „Faust“ bietet mit Blick auf dämonologische Imaginationen eine besondere Herausforderung: Im Drama gibt es einerseits real denkbare Menschenwelten, in denen dämonologische Vorstellungen herrschen und in denen auch Zauberei- und Hexenverfolgung zur Sprache kommt. Andererseits sind Phantasiewelten dargestellt, in denen Hexen und Hexenmeister als Figuren agieren. Die Szenen Hexenküche und Walpurgisnacht zeigen diese phantastischen Welten. Faust, Mephistopheles und ein Irrlicht benennen in einem Wechselgesang der Szene Walpurgisnacht die der Wirklichkeit enthobene Ebene: In die Traum- und Zaubersphäre / Sind wir, scheint es, eingegangen. (3871 f.) Faust, der eigentlich der Menschenwelt zuzurechnen ist, durchreist die Phantasiewelten und nimmt an ihnen teil. Er ist damit ein Bindeglied zwischen angstbesetzten Phantasien mit höllischem Personal und der dargestellten Wirklichkeit. Ab und zu wird in der Sekundärliteratur zum Fauststoff angemerkt, es sei erstaunlich, dass Goethe Handlungen der Hexen, die sonst nur in Hexenprozessen unter der Folter abgefragt wurden, auf der Bühne wirklich stattfinden lässt. In der Gedächtnisforschung wird mit Blick auf Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses von „fiktionalen Privilegien“ gesprochen, die „Imagination alternativer Wirklichkeiten“ gehöre zu den „Privilegien der symbolischen Form ‚Literatur‘“.353 Manche heutigen Interpreten irritiert die in Goethes „Faust“ dargestellte Verschmelzung von Hexenphantasien und Menschenwelt. Sie hat dazu beigetragen, dass die Interpretation der Hexenthematik oft unscharf und falsch geriet. Zum Beispiel wurden in Diskursen der Faust-Forschung nicht selten Hexenfiguren der Walpurgisnacht mit Hexenprozessopfern der frühen Neuzeit verglichen, gleichgesetzt oder sogar verwechselt.354 Die Verschmelzung von Phantasie und Wirklichkeit, wie sie Faust im Drama erlebt, war jedoch in der frühen Neuzeit gängige Denkart. Sie manifestiert sich in der hexentheoretischen Literatur, die Goethe rezipiert hat. Hexenimaginationen wurden von den frühneuzeitlichen Dämonologen in konkrete Handlungsanweisungen überführt, etwa Anleitungen zum Schutz vor Hexerei und zur Bestrafung vermeintlicher Hexer und Hexen.
Frage eines Literaturwissenschaftlers aus dem Plenum, nachdem das Thema der hier vorliegenden Studie mündlich vorgestellt wurde. Erll: Kollektives Gedächtnis, 2. Aufl., S. 178. Vgl. zum Beispiel Müller, C.: „Gretchen als Hexe?“, vor allem S. 351–354; Borchmeyer: Die geheimgehaltenen Dichtungen, S. 105. Vgl., Müller widersprüchlich zustimmend, Delvaux: Hexenglaube, S. 601 f. Vgl. auch den Forschungsstand betrachtend Wittkowski: Gretchen. S. 304–309.
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Die Szenen Hexenküche und Walpurgisnacht enthalten eine solche Fülle von dämonologischen Details, dass es eine eigene Untersuchung erforderte, diese alle aufzuzählen und ihren möglichen Ursprüngen zuzuordnen. Im Gegensatz zu den dämonologischen Inhalten aller anderen Szenen des Dramas sind viele namentlich bekannte Hexenfiguren und magische Requisiten der Phantasiewelten in der Faust-Forschung gründlich kommentiert worden. Auch satirische Abwandlungen und Brüche, die Goethe vornimmt, wurden beschrieben. In den folgenden beiden Kapiteln zu den Szenen Hexenküche und Walpurgisnacht wird ein knappes Resümee gezogen. Lücken finden sich in den Kommentaren und Interpretationen meistens wieder dort, wo im Drama realgeschichtlich relevante Hexenvorstellungen der frühen Neuzeit vorkommen.
8.4.1 Die Szene Hexenküche Mögen sie auch nach dem Eingehen des ausdrücklichen Dämonenpaktes nicht mehr ihre Freiheit besitzen, wie wir ihren Geständnissen entnommen haben – und zwar spreche ich von den verbrannten Frauen –, und gezwungen sein, bei den meisten Zaubereien mitzuwirken, wenn sie die Schläge der Dämonen vermeiden wollen, so bleiben sie [doch] durch das erste Versprechen, mit dem sie sich freiwillig den Dämonen unterworfen haben, gebunden.355
Der Szene Hexenküche entstammen einige Verse, die überaus intensiv diskutiert wurden. Nicht umsonst listet Gero von Wilpert in seinem augenzwinkernd konzipierten Band „Die 101 wichtigsten Fragen – Goethe“ auch die Folgende auf: „Was bedeutet das Hexeneinmaleins?“ Er antwortet: „Haben sich nicht Generationen von Philologen bemüht, den Sinn im Unsinn zu finden, [...] und sind damit gescheitert?“356 Bis heute hat der verjüngende Zauberspruch der Hexe nichts von seinem Reiz verloren. Auch in Feuilletons wird er diskutiert.357 Der immense
Kramer: Hexenhammer, S. 167. Von Wilpert: Fragen, S. 164. Eine kritische Zusammenfassung von Deutungen sowie eine eigene bietet Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 249–251. Vgl. aktuell auch etwa StörmerCaysa: Über das Hexeneinmaleins und Adam: Faust-Konzeption, S. 122 f. John Williams resümiert wie folgt: „The Witch’s riddle or ‚one-times table‘ has attracted a mass of exegetical literature, explaining it by means of arcane numerological squares, tables, or sequences, alternatively as a parody of Newtonian optics, of the trinity, of the ten commandments, or simply of any form of mystical mumbo-jumbo.“ Williams: Goethe’s Faust, S. 96. Vgl. etwa die seitenfüllende Abhandlung in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von Heinrich Detering: Aus Eins mach Zehn?, S. 56 und 59. Detering betont die Funktion des Gedichtes als Nonsenspoesie im Sinne einer „Erschütterung der kulturellen Ordnungen“, es werde der Charakter der Sprache als Spielmaterial gezeigt. Detering: Aus Eins mach Zehn?, S. 59.
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Aufwand, der hinsichtlich einer Deutung des Hexen-Einmal-Eins (2540–2552) betrieben wurde, steht in eklatantem Widerspruch zu Goethes eigener Aussage über diese Verse, er hat ihnen jeden tieferen Sinn abgesprochen.358 Heinrich Detering fasst die Diskussion um das Hexen-Einmal-Eins treffend zusammen: Das Hexeneinmaleins ist zwar bei weitem nicht die einzige Gedicht- oder Liedeinlage in Goethes Weltgedicht, nicht einmal die einzige in der komisch opernhaften Hexenküche selbst. Aber wenige haben den Deutungswillen eines Goethe-Dechiffrier-Syndikats so mächtig aufgeregt wie diese. Zwei Jahrhunderte lang haben professionelle Philologen und begeisterte Dilettanten sich an den Hexenversen die Zähne ausgebissen. Ihre Geschichte liest sich wie ein Lehrstück über eine Goethe-Deutung, die den Tiefsinn des Textes zuverlässig stets dort suchte, wo er am wenigsten zu finden war.359
Der ausufernde Diskurs um das Hexen-Einmal-Eins zeigt vor allem die Diskrepanz zu der ungleich geringeren Mühe, die auf eine Einordnung der Hexenthematik im Drama verwandt wurde. Die magischen Requisiten der Hexenküche werden in Faustdeutungen und Kommentaren überwiegend dann erläutert, wenn ihre Zuschreibungen bis heute bekannt oder etwa im „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ nachzulesen sind. Dies gilt zum Beispiel für die magischen Attribuierungen des Siebes, des Kessels, des Kamins, des Spiegels oder der Tiere. Zugleich lebt Goethes Szene aber von Hexenimaginationen, die der Realität der Hexenprozesse entstammen. Diese den frühneuzeitlichen Vorstellungen entsprechenden charakteristischen Aussagen und Verhaltenweisen von Goethes Hexenfiguren und dem Teufel wurden in der Faust-Forschung meistens übergangen, geschweige denn auf ihre möglichen Quellen zurückgeführt. In der Szene Hexenküche verarbeitet der Dichter nonchalant zahlreiche dämonologische Details, er spielt mit ihnen und transformiert sie zum Teil in eine grotesk-ironische Überblendung. Sie sind Reminiszenzen, die in Goethes Variationen manchmal noch an Unheimlichkeit gewinnen. Werner Keller ist zuzustimmen, wenn er bemerkt, dass die Szene grotesk komische Züge hat.360 Widersprechen muss man ihm aber, wenn er behauptet, „[...] daß sie sich völlig freihält vom
Goethe bemerkte über seine Zeitgenossen: „Eben so quälen sie sich und mich mit den Weissagungen des Bakis, früher mit dem Hexen Einmaleins und so manchem andern Unsinn, den man dem schlichten Menschenverstande anzueignen gedenkt.“ Goethe: Brief an Carl Friedrich Zelter vom 4. Dezember 1827. Münchner Ausgabe, Bd. 20.1, S. 1086–1088, hier S. 1087 f. Auch im Drama selbst erzeugt Goethe Distanz zu dem Zauberspruch, etwa durch den berühmten Satz des Mephistopheles: Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, / Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen. (2565 f.) Detering, Heinrich: Aus Eins mach Zehn?, S. 56. Keller, W.: Faust. Eine Tragödie (1808), S. 270.
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Hexenwahn des Spätmittelalters, der aus der Hexenbulle Innozenz‚ VIII. (1484) und dem ‚Hexenhammer‘ der Dominikaner hervorging.“361 Vielmehr wird in der Szene die Bekanntheit derartiger Subtexte vorausgesetzt. Wolfgang Adam vermutet: „Das Kokettieren mit dem Gedanken, dass auch die Hölle ihre Gesetze habe, gehört zu den in dieser Textpassage immer wieder eingestreuten absurden Kapriolen, mit denen in der Hexenküche gespielt wird.“362 In der Dämonologie, die Goethe verarbeitet, wurden Gesetze der Dämonenwelt aber ausführlich diskutiert, es handelt sich also keineswegs um „absurde Kapriolen“ Goethes. Eine allgemeine Charakterisierung des „Grotesken“ von Wolfgang Kayser trifft hier in potenzierter Weise zu: „das Groteske ist die entfremdete Welt“,363 es habe „etwas Beklemmendes, Unheimliches angesichts einer Welt, in der die Ordnungen unserer Wirklichkeit aufgehoben“ seien.364 Bekannte Hexenimaginationen werden in der Hexenküche wiederum in vielfältiger Weise transformiert; das Spiel mit deren Ordnung belegt eine Vertrautheit Goethes mit der Dämonologie – und das Wissen seiner Rezipienten um die Hexenvorstellungen, da das Spiel unterhaltsam ist. Heinrich Düntzer interpretiert einseitig, wenn er die Szene als „schärfsten Spott gegen die Tollheit des Hexen- und Zauberglaubens“365 auslegt. Zwar ist zur Goethezeit davon auszugehen, dass viele Rezipienten Hexenvorstellungen als Aberglauben einordnen, dennoch sind die dämonologischen Elemente der Szene präsent. Sie entfalten ihre Wirkung und machen den Reiz der Hexenküche aus. Ähnlich Düntzer beschreibt auch Jochen Schmidt die Szene als durchgehende Satire,366 er nennt sie „große Nonsens-Revue“367 und meint, Goethe leiste „eine kritische Aufarbeitung des Irrationalismus, die ihn nun als Erben der Aufklärung zeigt“.368 Diese Deutung beachtet die wohlkalkulierte Wirksamkeit der Hexenphantasien zu wenig. Ihre Faszination erklärt sich nicht aus einer Distanz, wie sie die Satire erzeugt. Vielmehr übt das Abgründige selbst starke Anziehungskräfte aus. Georg Mein hat den Reiz monströser Imaginationen beschrieben, sie treffen auch auf die Hexenbilder in Goethes „Faust“ zu:
Keller, W.: Faust. Eine Tragödie (1808), S. 270. Adam: Faust-Konzeption, S. 121. Kayser: Das Groteske in Malerei und Dichtung, S. 136. Kayser: Das Groteske in Malerei und Dichtung, S. 15. Düntzer: Goethes Faust. Erster Theil, S. 127. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 149. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 157. Adam etwa spricht ähnlich von „Gedankenpotpourri“, Adam: Faust-Konzeption, S. 116. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 150.
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Das Monster ist seit jeher ein Schwellenwesen, das zwischen den Ordnungen situiert ist. Seine anomalische Devianz leitet sich gerade aus dem prekären Status des Zwischens, des Übergangs her, durch den es zugleich an beiden Ordnungen partizipiert und so die jeweils andere überschreitet. Die Inkommensurabilität des Monsters ist Signum einer Hybridität, die nicht ausschließlich bedrohlich gedacht werden muss. Als spezifische Form der Entgrenzung erzählt das Monströse zwar zum einen von den Anstrengungen, die geleistet werden mussten, um die bestehende Ordnung aufzurichten; zugleich aber lassen seine raunenden Einflüsterungen eine Ahnung des abgründigen Lustversprechens aufblitzen, das mit der Überwindung eben dieser Ordnung einherginge.369
Die Faszination der Hexenimaginationen, der Rezipienten des „Faust“ erliegen, bildet ein entlarvendes Wechselspiel mit den dunklen, beziehungsweise verwischten Spuren der Hexenverfolgung im Drama. Auffallend ist, dass sich Faust von der Hexe unbeeindruckt zeigt. Dies lässt aber nicht darauf schließen, dass die Hexe von Goethe nicht als unheimlich konzipiert ist – trotz ihrer ironischen Kommentierung. Faust kann durch seinen Teufelspakt in dieser Szene schon als Teil der dämonischen Welt aufgefasst werden; zudem ist der Teufelsbündner von ungewöhnlich furchtloser Konstitution, wie er bereits in der Szene Nacht darlegt: Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel – (369). Das dunkle Wesen der Hexe, ihr schockierendes Gebaren und ihre monströse Beziehung zu Mephistopheles sind abstoßend und fesselnd zugleich gestaltet. Auch wenn in der Faust-Forschung zu dieser Szene manchmal betont wird, Faust trete hier als „der aufgeklärte Denker“370 auf, so ist zu Goethes Zeit doch von einem noch recht geringen zeitlichen Abstand der Rezipienten auch zur Hexenfurcht auszugehen. Die Hexe wird gleich bei ihrem Erscheinen in der Hexenküche durch das Feuer versengt. Sie stößt dabei Schmerzensschreie aus und flucht furchterregend. Hans Arens deutet den auffällig repetierten und im Reim betonten Laut „au“ wie folgt: „der stumpfe au-Reim, ganz besonders in offener Silbe“371 sei in Goethes Sprache der Hexen ein Zeichen für Vulgarität.
Mein: Monströse Instituierung, S. 165. So argumentiert etwa Jutta Schmidt: Sinn und Funktion der Hexenküchenszene, S. 22. Wenn sie direkt anschließend ebenda bemerkt, Faust stehe „so ganz unter dem Eindruck der Aufklärung und deren Kampf gegen den mittelalterlichen Aberglauben“ so manifestiert sich hier wieder eine Überschätzung der frühneuzeitlichen „Aufgeklärtheit“ (vgl. hierzu Kapitel 5 meiner Arbeit). Massenhaft praktizierte, auf Aberglauben fußende Hexenverfolgung war überwiegend ein Phänomen nicht des Mittelalters, sondern der frühen Neuzeit. Auch Knopper spricht mit Blick auf die Hexe in dieser Szene von „l’anachronisme“ in Goethes Zeit, obwohl sie selbst darauf verweist, dass in der Öffentlichkeit noch Fälle von Aberglauben Debatten nährten, vgl. Knopper: le motif de la sorcière, S. 101–102. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 385. Vgl. zum Missklang etwa schon Erich Schmidts Anmerkungen in der Jubiläumsausgabe Cotta, Bd. 13, S. 306.
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Au! Au! Au! Au! Verdammtes Tier! verfluchte Sau! Versäumst den Kessel, versengst die Frau! Verfluchtes Tier! (2465–2468)
Nicht weit entfernt liegt die Assoziation, dass Feuer auf der Grundlage dämonologischer Vorstellungen gegen Hexen eingesetzt wurde. Es galt als Mittel der „Reinigung“,372 als geeignete Hinrichtungsmethode für Hexer und Hexen und wurde argumentativ auch mit höllischem Feuer in Verbindung gebracht.373 Die Hexe ihrerseits wünscht in Goethes Szene den zunächst unerkannten Eindringlingen Faust und Mephistopheles: Die Feuerpein / Euch in’s Gebein! (2473 f.) Die aus Hexenprozessen überlieferten Schilderungen vermeintlich angehexter Schmerzen dokumentieren oft eine vergleichbare Feuermetaphorik.374 Aus den bei Carpzov wiedergegebenen Hexenprozessakten exzerpierte Goethe: Begiessen, anspeyen, anblasen.375 Hier fasste er verschiedene Beschreibungen von Schadenzauberei in Carpzovs Quellen zusammen. Die Verben zeigen das imaginierte bedrohliche Gebaren vermeintlicher Hexen. Auch Faust spricht angesichts der Hexe in der Hexenküche von rasenden Gebärden (2533). In die Zeit der Hexenverfolgung gehört auch das Motiv der von Dominanz und Demütigung geprägten Beziehung zwischen Teufel und Hexe. Mephistopheles rät Faust ausdrücklich: Mein Freund, das lerne wohl verstehn! Dies ist die Art mit Hexen umzugehn. (2516 f.) Albrecht Schöne spricht knapp von einem „mit Flüchen und Zoten gepfefferten Theater des Grotesken und Absurden“.376 Goethe erfindet den die Szene beherrschenden Ton aber nicht selbst. Dieser entspricht vielmehr den Aussagen zahlloser realer Hexenprozessopfer, die eine Grobheit des teuflischen Buhlen aus angeblich eigener Erfahrung schildern. Goethe hat auch dementsprechende Aussagen bei Carpzov exzerpiert. Er notierte etwa die angebliche Ankündigung des Teufels gegenüber einer vermeintlichen Hexe: Wolle er ihr den Hals brechen377 – wenn die Zeit des Bündnisses vorbei sei.378 Die Formulierung spricht von der offenen Brutalität, die dem Teufel als Gefährten oft zugeschrieben wurde.
Dämonische Kräfte galten als durch Feuer zerstörbar, es konnte etwa vermeintlichen Schadenzauber aufheben, vgl. zum Beispiel Kramer: Hexenhammer, S. 466. Zur Verbrennungsstrafe vgl. Rummel / Voltmer: Hexenverfolgung, S. 51 f. Vgl. etwa Kramer: Hexenhammer, S. 319. Vgl. zum Beispiel Kramer: Hexenhammer, S. 465. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 560. Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 283. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 560. Vgl. Carpzov: Practica, S. 345.
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In frühneuzeitlichen Frageschemata wurde explizit nach dem teuflischen Beischlaf gefragt. Goethe notierte sich zusammenfassend die bei Carpzov zitierte Aussage: Gar rauh und nicht gros ist Juncker, sein thun sehr kalt.379 Viele der Hexerei Angeklagte gaben zu Protokoll, der Teufel habe sie, nach der zunächst werbenden Verführung, immer wieder beschimpft. Auch körperliche Gewalt von Dämonen gegen die angeblichen Hexen wird oft beschrieben.380 Nicht selten scheinen aus den Schilderungen reale Konflikterfahrungen zu sprechen. Mephistopheles grobe Rede an die Hexe in der Szene Hexenküche entspricht diesen Imaginationen. Er beschimpft sie als du Aas (2479) und droht ihr: Erkennst du mich? Gerippe! Scheusal du! Erkennst du deinen Herrn und Meister? Was hält mich ab, so schlag’ ich zu, Zerschmettre dich und deine Katzen-Geister! (2481–2484)
Oft wird die schillernde Hexenszene heute ohne Berücksichtigung der frühneuzeitlichen Hexenvorstellungen beschrieben. Ulrich Gaier etwa bezieht das Unterdrückungsverhältnis zwischen der Hexe und Mephistopheles ausschließlich auf die Zeit Goethes. Er erläutert die Beziehung: „Diese weist auf die durch das Geld gestifteten gesellschaftlichen Verhältnisse im 1. Akt des Zweiten Teils voraus (V. 5709–5986).“381 Hans Arens deutet Mephistopheles’ Art mit Hexen umzugehn (2517) als Anspielung auf den französischen König vor seiner Entmachtung.382 Barbara Becker-Cantarino erwähnt immerhin die noch zeitnahe Hexenverfolgung. Sie interpretiert die Hexe aber anachronistisch: Die burleske Szenerie der „Hexenküche“ trivialisiert die gefürchtete Hexe der kaum überwundenen Hexenverfolgungen, indem sie die Hexe in der traditionell der Frau zugeordneten Sphäre des Haushalts, der Küche, zeigt und sie somit den weiblichen Aufgaben des Hegens und Pflegens zuordnet.383
Becker-Cantarino irrt, wenn sie die traditionell von Frauen bewältigten Aufgaben als Trivialisierung der Hexe deutet. Gerade in den lebenswichtigen Bereichen der Nahrungszubereitung, der Viehversorgung, der Kranken-, Wöchnerinnen- und
Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 560. Vgl. Carpzov: Practica, S. 343. Vgl. entsprechende Schilderungen etwa bei Kramer: Hexenhammer, S. 167. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 299. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 246. Becker-Cantarino: Die Kindsmörderin, S. 113.
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Kinderpflege war die Furcht vor Schadenzauber groß; diese Arbeitsfelder waren durch die Nähe von Krankheit und Tod mit Hexereivorstellungen eng verknüpft.384 Die meisten Deutungen der Szene Hexenküche fokussieren mögliche zeitliche Überblendungen Goethes, die Verarbeitung zeitgenössischen wissenschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Geschehens, etwa im Umfeld der Französischen Revolution. Ulrich Gaier, der die Szene sehr umfangreich kommentiert, konzentriert sich so sehr auf diesen Kontext, dass er andere Möglichkeiten einer zeitlichen Situierung der Szene im Drama außer Acht lässt. Zum Beispiel beschreibt er die von der Hexe verwendete Bezeichnung Junker Satan (2504) als eine „veraltete, noch vorabsolutistische, ins 16. Jh. zurückweisende Anrede“.385 Zwar mag Mephistopheles’ Bemerkung, der Name Junker Satan sei schon lang’ in’s Fabelbuch geschrieben (2507), diese Deutung veranlasst haben. Die Zuschreibung „veraltet“ zeigt aber, dass Gaier die Szene nicht jener Zeit zuordnet, in der die Fausthandlung des ersten Teils überwiegend spielt und in der auch die meisten Hexenphantasien entfaltet und in die Realität übertragen wurden. Goethe selbst hat die Bezeichnung Juncker für den Teufel mehrfach aus den bei Carpzov wiedergegebenen Hexenprozessakten des 16. und 17. Jahrhunderts exzerpiert und in den Entwürfen zu „Faust“ konserviert, etwa Juncker der böse Feind386 sowie Juncker als ein schwarzes Mängen wie ein Esel gros387. Auch Mephistopheles sagt in der Szene Walpurgisnacht über sich selbst Junker Voland kommt. (4023). Man kann Gaier entgegenhalten: die Anrede weist nicht zurück, sondern die im 16. Jahrhundert spielende Szene Hexenküche verweist durch Goethes kalkulierte Brechungen vielfach in die Zukunft.388 Immerhin werden in Faustdeutungen oft bildliche Vorlagen Goethes diskutiert, die aus der Zeit der wirkmächtigen frühneuzeitlichen Dämonologien stammen. Die bekannte Walpurgisnachtszene nach Michael Herr, die 1626 von Matthäus Merian d. Ä. als Flugblatt verbreitet wurde, gilt nicht nur für die Szene Walpurgisnacht als wahrscheinliche Vorlage, sondern auch für die Szene Hexenküche.389
Vgl. Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 6. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 311. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 559. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 560. Mit Blick auf den in der Szene Walpurgisnacht gebrauchten Namen „Voland“ beschreibt Gaier selbst die verschiedenen Zeitstufen, die gleichzeitig dargestellt sind. Vgl. Gaier: FaustDichtungen, Bd. 2, S. 467. Vgl. Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 284. Vgl. auch zum Beispiel Binder: Faustische Welt, S. 359 und Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, besonders S. 455–460. (Vgl. hierzu Punkt 7.2 meiner Arbeit.)
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8.4.2 Die Szene Walpurgisnacht Was ist das Sakrale? Wer definiert es und wer bewacht seine Grenzen? Wie kann eine Gesellschaft zwischen der legitimen und illegitimen Inanspruchnahme sakraler Autorität unterscheiden?390
Goethes bekannteste Hexenszene im ersten Teil des „Faust“ ist die Walpurgisnacht. Sie wurde auch in der bildenden Kunst vielfach verarbeitet. Diese facettenreiche und lange Szene wird, ähnlich wie die Hexenküche, immer wieder mit historischen Ereignissen aus Goethes Zeit in Verbindung gebracht. Sie wird somit oft im Sinne von Transformationen gedeutet, zum Beispiel mit Blick auf die Französische Revolution391 und viele andere, der Moderne zugeschriebene Aspekte, zum Beispiel naturwissenschaftliche Thesen.392 Die zeitsatirischen Inhalte sind in der Faust-Forschung ausführlich kommentiert worden, ebenso die Entstehungsgeschichte und der Aufbau der Szene sowie die ursprünglichen Entwürfe Goethes. Insbesondere Siegfried Scheibe hat sich intensiv mit der Entstehung und Datierung der Walpurgisnachtszene sowie der Paralipomena beschäftigt und die handschriftlichen Zeugnisse Goethes ausgewertet.393 Es führt hier nicht weiter, die bereits vorliegenden, ausführlichen und sich widersprechenden Analysen alle wiederzugeben. Auch die Rekonstruktion der Anordnung von Szenenteilen nach Goethes früheren Plänen ist zwar interessant, die verschiedenen Lösungsvorschläge hierzu ändern aber an der Hexenthematik der Szene und ihrer Aussagekraft für das gesamte Drama wenig.394 Ob Goethe etwa die in den Paralipomena überlieferte Satanshuldigung vor oder nach dem Walpurgisnachtstraum vorgese-
Greenblatt: Verhandlungen mit Shakespeare, S. 126. Vgl. zum Beispiel Boyle: Goethe. Der Dichter in seiner Zeit, Bd. 2, S. 941 f. Vgl. hierzu etwa Blondeau: Walpurgisnacht. Zusammenfassend formuliert sie die Ansicht, Goethe verwandele die Hexen, die sie – historische Gegebenheiten in Goethes Zeit allerdings missdeutend – als „archaische Folklore“ bezeichnet, in die „theatralische Moderne“: „En faisant ainsi des sorcières et du diable les acteurs d’un mauvais théâtre, illusionniste et cruel, Goethe transforme un folklore archaïque en une avancée vers la modernité théâtrale.“ Blondeau: Walpurgisnacht, S. 264. Vgl. Scheibe: Zur Entstehungsgeschichte. Eine Zusammenfassung und Kommentierung der Thesen von Georg Witkowski, Max Morris und der umfangreichen Studie von Siegfried Scheibe zur Entstehung der Walpurgisnacht gibt Schöne: Götterzeichen, S. 189–200. Bezüge zur Szene Klassische Walpurgisnacht im zweiten Teil des „Faust“ untersuchen etwa Barker Fairley: The two Walpurgisnachts; sowie Alexander Honold: Elementartheater. Ulrich Port nennt die Szene Klassische Walpurgisnacht ein „paganantikes Gegenstück zur nordeuropäischen ‚Walpurgisnacht‘ auf dem Brocken“, Port: Goethe und die Eumeniden, S. 193.
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hen hatte oder stattdessen, wird unterschiedlich betrachtet.395 Im Folgenden sind nur ausgewählte Deutungen der Szene Walpurgisnacht zusammengestellt, die Hinweise zur Hexenthematik und ihrer Rezeption geben, sowie beispielhafte Verse und Motive dieser Szene mit Bezügen zu frühneuzeitlichen Hexenvorstellungen und ihrem realgeschichtlichen Kontext. Emil Staiger bemerkt zu der detailreichen Walpurgisnacht, sie sei „ein wilder Spaß“, und er führt aus: „Alle diese Motive sind nur aus einer riesigen Vorratskammer nach Belieben aufgerafft, damit das Ganze möglichst toll sei. Sobald man es mit Tiefsinn auslegt, entsteht eine quälende Disharmonie.“396 Ganz beliebig ist die Komposition der Szene jedoch nicht. Auch reine „Tollheit“ liegt den Phantasien nicht zugrunde. Sie entsprechen vielmehr einem Schema: stereotypen dämonologischen Vorstellungen, die einer angeblichen oder vermeintlichen Logik folgten. Die schon vorgestellte Walpurgisnachtdarstellung nach Michael Herr (vgl. Punkt 7.2) wurde als Quelle Goethes für die Szene Walpurgisnacht in der Faust-Forschung gründlich betrachtet.397 Tatsächlich enthält das Bild auffallende Ähnlichkeiten zu Goethes Darstellung. Die Imaginationen eines „Hexensabbats“ werden von Goethe zwar stellenweise ironisch konterkariert, seine Darstellung basiert aber auf tradierten frühneuzeitlichen Schilderungen. Ein angedeuteter Flug führt Faust und Mephistopheles ins Harzgebirge: Es trägt der Besen, trägt der Stock, / Die Gabel trägt, es trägt der Bock (4000 f.). Natur und Tierwelt verschmelzen hier mit dem hexischen Treiben: Uhu, Kauz, Schlangen, Schwein und Mäuse sind etwa Tiere, denen man eine dämonische Aura zuschreibt. Goethe gestaltet die Hexenwelt lautmalerisch und sinnesbetont: Das drängt und stößt, das ruscht und klappert! Das zischt und quirlt, das zieht und plappert! Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt! Ein wahres Hexenelement! (4016–4019)
Zum Beispiel argumentieren hier differierend Albrecht Schöne und Jochen Schmidt. Schmidt betont eine Funktion der Szene Walpurgisnachtstraum als Intermezzo, als Zäsur vor den Satansszenen, die seiner Meinung nach den Höhepunkt des „Hexensabbats“ darstellten. In der Druckfassung entfällt diese Bedeutung des Intermezzos. Vgl. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 192–197. Anders als Schmidt positioniert Schöne die Satanshuldigung vor dem Hexentanz, vgl. Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 938 sowie Schönes Vorschlag für eine Bühnenfassung; Schöne: Götterzeichen, S. 217–230. Staiger: Goethe, Bd. 2, S. 362. Zum Beispiel verweisen auf diese mögliche Quelle schon Witkowski: Die Walpurgisnacht, S. 36; Morris: Walpurgisnacht, S. 687; Trendelenburg: Hexenbild, S. 5–20, dann ausführlich Schöne: Götterzeichen, S. 122–125, sowie Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 455 f.
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Feuer brennen, Hexensalbe wird angewandt,398 Hexer und Hexen erheben sich in die Luft, Schadenzauber wird angedeutet, und es wird aufgezählt: Man tanzt, man schwatzt, man kocht, man trinkt, man liebt (4058). Einzelne Details der Hexenphantasien hat man in der Faust-Forschung breit diskutiert, etwa ein aus dem Mund einer Hexe springendes rotes Mäuschen. Goethe exzerpierte in den Paralipomena die Rothe Maus aus dem Munde aus Johannes Praetorius’ „Anthropodemus Plutonicus“.399 Derartige Bilder sind zugleich Beispiele für die Multiplikatorrolle, die Goethes „Faust“ im Transfer dämonologischer Vorstellungen spielt. Auch Historikerinnen und Historiker verweisen häufig auf die prägnanten von Goethe verarbeiteten Motive, so etwa Wolfgang Schild: Zu erwähnen ist noch, dass oft die Maus als die in ein Tier verwandelte Seele des Menschen angesehen wurde, die aus dem Mund des bewegungslos am Boden liegenden Körpers herauskommen und ihre Reise unternehmen konnte, nach der sie wieder zurück in den Körper gehen musste, da ansonsten der Betreffende nicht mehr zum Leben erwachte. An diese Vorstellung knüpfte im übrigen noch Goethe an, wenn er in der Walpurgisnacht Faust berichten lässt, dass aus dem Mund der mit ihm lasziv tanzenden jungen Hexe eine Maus gesprungen sei [...].400
Mephistopheles wählt einen ähnlichen Vergleich nach Fausts Tod. Ironisch eingeleitet durch eine Klage über verlorenes altes Recht, sagt Mephistopheles über die Seele: Sonst mit dem letzten Atem fuhr sie aus, Ich paßt ihr auf und, wie die schnellste Maus, Schnapps! hielt ich sie in fest verschloßnen Klauen. (11623–11625)
In der Faust-Forschung wird auf die Popularität solcher Imaginationen eher in den sehr frühen Studien hingewiesen. Heinrich Düntzer etwa bemerkt 1882 noch: „Zuerst entsetzt er [Faust] sich über das rothe Mäuschen, das aus dem Munde der Hexe herausspringt, wie es der Aberglaube von schlafenden Hexen behauptete [...].“401 Spätere Kommentare beschränken sich oft auf die Diskussion konkret fassbarer Quellen Goethes. Ein allmählicher Schwund der Kenntnis abergläubischer Vorstellungen deutet sich hier an.402
An dieser Stelle verweist Düntzer auf Hexenprozesse als Quellen derartiger Imaginationen. Düntzer: Goethes Faust. Erster Theil, S. 172, Anm. 2. Bohnenkamp: Paralipomena, S. 168–170. Schild: Dimensionen, S. 13. Düntzer: Goethes Faust. Erster Theil, S. 176. Ein Gegenbeispiel ist Hans Arens, der sich mit abergläubischen Vorstellungen vielfach beschäftigt, vgl. zu Vers 4178 f. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 406 f.
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Goethe selbst hat die dämonologisch-phantastischen Details der Walpurgisnacht nicht sonderlich ernst genommen, was nicht mit einer Geringschätzung seiner Szene als Ganzes gleichzusetzen ist. Er spricht despektiertlich von den „Besenstielen des Blocksberges“. Im Gespräch mit Johannes Falk soll Goethe bemerkt haben: Dreißig Jahre haben sie sich nun fast mit den Besenstielen des Blocksberges und den Katzengesprächen in der Hexenküche, die im ‚Faust‘ vorkommen, herumgeplagt, und es hat mit dem Interpretieren und dem Allegorisieren dieses dramatisch-humoristischen Unsinns nie so recht fortgewollt. Wahrlich, man sollte sich in seiner Jugend öfter den Spaß machen und ihnen solche Brocken, wie den Brocken, hinwerfen.403
Wenn sich die Forschung überhaupt mit der Hexenthematik in Goethes „Faust“ beschäftigte, dann fast nur mit Blick auf die in dieser Hinsicht deutlichste Szene, die Walpurgisnacht und ihre Paralipomena. Auch Goethes hexentheoretische Quellen wurden meist nur im Zusammenhang mit dieser Szene erörtert. Man fokussiert eine Auswahl von Hexenphantasien und dämonologischen Details, etwa den Hexenflug, die hexischen Tiere, die Satanshuldigung etc. Diese Elemente diskutiert man zwar auch unter Berücksichtigung frühneuzeitlicher Traktate, mit größerer Vorliebe aber hinsichtlich antiker Hexenimaginationen und biblischmythologischer Gestalten – obwohl diese den Fauststoff weit weniger prägen. Im Fokus von Faustinterpretationen stehen zum Beispiel hexisch attribuierte Figuren wie Baubo, Medusa, Medea und insbesondere Lilith. Die meisten Autorinnen und Autoren erwähnen frühneuzeitliche Hexenimaginationen und deren enge Verflechtungen mit der Realität der Hexenverfolgung nur am Rande.404 Wie schon besprochen hat sich nur Albrecht Schöne mit dem realgeschichtlichen Kontext der Walpurgisnacht ausführlich beschäftigt; spätere Autoren haben das Thema kaum weiterverfolgt, geschweige denn vertieft.
Gespräch mit Johannes Falk, nicht sicher datiert. Vgl. Herwig / Biedermann: Goethes Gespräche, Bd. 5, Nr. 7228, S. 92. Zur unsicheren Datierung vgl. den Kommentar S. 277. Vgl. Gräf: Goethe über seine Dichtungen. Teil II, Bd. 2, S. 226, Gräf nennt den 21. Juni 1816 als mögliche Datierung. Abweichend vermutet Schöne, das Gespräch habe im Jahr 1808 stattgefunden. Schöne: Götterzeichen, S. 109, Anm. 1. Auf die widersprüchliche Datierung Falks verweist auch Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 227, er sieht dadurch den Aussagewert des Textes beeinträchtigt. Siehe beispielhaft für viele andere Kommentare die Andeutungen von Hans Arens, der sich ausführlich mit der Szene Walpurgisnacht beschäftigt, die historische Hexenverfolgung aber nur knapp erwähnt. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 390. Requadt beschränkt sich auf diffuse Hinweise zu einem „Komplex des ‚Nordischen‘“, der die Walpurgisnacht grundiere, Requadt: Goethes „Faust I“, S. 282 f. Auch etwa Ulrich Gaiers Verweis auf die „Geschichtlichkeit der Satans-, Hexen-, Teufelsvorstellungen“ fällt in seinen Anmerkungen zur Szene Walpurgisnacht äußerst knapp aus, vgl. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 466 f. Jochen Schmidt geht kurz auf die frühneuzeitliche Hexenthematik ein und nimmt Bezug auf Albrecht Schöne. Vgl. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., besonders S. 186–203.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Die Szene Walpurgisnacht zeigt Goethes profunde Kenntnis frühneuzeitlicher dämonologischer Theorien und entsprechender Quellen. Ein Vergleich dämonologischer Beschreibungen des „Hexensabbats“ mit Goethes Szene405 führt deren Kontext klar vor Augen. Eine typische Schilderung des „Hexensabbats“ hat etwa der einflussreiche, Hexenverfolgung propagierende Dämonologe Martin Del Rio hinterlassen, den Goethe 1827 unmittelbar neben der Arbeit am zweiten Teil des „Faust“ in seinen Tagebüchern erwähnt:406 So pflegen also die Hexen, sobald sie sich mit ihren Salben eingerieben haben, auf Stöcken, Gabeln oder Holzscheiten zum Sabbat zu gehen, indem sie entweder einen Fuß darauf stützen und auch auf Besen oder Schilfrohren reiten, oder indem sie von entsprechenden Tieren, männlichen Ziegenböcken oder Hunden, getragen werden ... Sie kommen zum Spiel der guten Gesellschaft (wie man es in Italien nennt), wo der Teufel, erleuchtet vom Feuer, schrecklich und ernst auf einem Thron präsidiert, meistens in Gestalt eines Ziegenbockes oder Hundes. Sie nähern sich ihm, um ihn anzubeten, aber immer auf verschiedene Weise ... Danach reichen sie ihm Kerzen, die aus Pech oder Nabelschnüren von Kindern gemacht sind, und küssen ihn zum Zeichen der Huldigung auf das Hinterteil. Und um das Verbrechen vollkommen zu machen, zelebrieren sie eine Scheinmesse, wobei sie geweihtes Wasser benützen und dem katholischen Ritus folgen ... Dem Teufel zu Ehren töten sie in grausamer und schändlicher Weise die eigenen und fremden Kinder und überreichen sie ihm ... [...].407
Auf ähnliche, Hexenverfolgung propagierende Dämonologien bezieht sich Goethe, zum Beispiel, wenn die Hexenmeister singen: Wir schleichen wie die Schneck’ im Haus, Die Weiber alle sind voraus. Denn, geht es zu des Bösen Haus, Das Weib hat tausend Schritt voraus. (3978–3981)
Die Hexen antworten: Wir nehmen das nicht so genau, Mit tausend Schritten macht’s die Frau;
Schon Schöne hat verschiedene Beschreibungen des „Hexensabbats“ aus dämonologischen Schriften und auch Auszüge aus Prozessakten der Ketzer- und Hexenverfolgung mit Goethes Walpurgisnacht konfrontiert. Vgl. Schöne: Götterzeichen, zu Schilderungen des „Hexensabbats“ besonders S. 128–132 und 147 f. Eintrag vom 12. September 1827. Weimarer Ausgabe, Abt. III, Bd. 11, S. 109. Vgl. Martin Del Rio: Disquisitionum magicarum libri sex: quibus continetur accurata curiosarum artium, et vanarum superstitionum confutatio: utilis theologis, jurisconsultis, medicis, philologis. Libri II, Quaestio XVI. Mainz 1617. S. 172 f. Volltext einsehbar unter: https://gallica.bnf. fr/ark:/12148/bpt6k512583 [Stand: Juni 2023]. Übersetzung von Schild: Dimensionen, S. 47.
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Doch, wie sie auch sich eilen kann, Mit einem Sprunge macht’s der Mann. (3982–3985)
Goethe bricht das Bild der verrufenen Frau durch die Antwort der Hexen schlagfertig auf. Dies ändert aber nichts an den Assoziationen, die er hervorruft. Es geht hier wohl nicht um „die Beziehungen zwischen Mann und Frau“,408 wie Binder meint, vielmehr geht es um das Bild der Frau als Teufelsbündnerin. Kaum ein Zitat aus Kramers „Hexenhammer“ ist noch heute bekannter als die Erläuterung, warum Frauen angeblich dem Teufel leichter verfallen.409 [...] es heißt nämlich femina [Frau] von fe und minus, weil sie immer geringeren Glauben hat und wahrt, und zwar von Natur aus [...]. Schlecht also ist die Frau von Natur aus, da sie schneller am Glauben zweifelt, auch schneller den Glauben ableugnet. Das ist die Grundlage für die Hexen.410
Diese Vorstellungen durchziehen auch die später als Kramer erschienenen Dämonologien, die Goethe rezipiert hat. Andere dämonologische Imaginationen der Walpurgisnacht hat der Dichter in der Druckfassung des „Faust“ eliminiert, diese Paralipomena werden von späteren Interpreten manchmal verkannt. Aus den in den Paralipomena erhaltenen unheimlichen Versen Die Saat ist gelb die Stoppel grün,411 wurde etwa in der Druckfassung Die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün. (3957). Hier handelt es sich in den Paralipomena nicht um einen ursprünglichen „kleinen Flüchtigkeitsfehler“ Goethes, wie Max Morris annimmt,412 wahrscheinlich auch nicht um ein „Herbstbild“, das Goethe dem „Frühlingsbild“ entgegenstellt, wie Gaier vermutet.413 Vielmehr gehört die verdrehte Natur zu den frühneuzeitlichen Imaginationen des
Binder: Faustische Welt, S. 377. Schöne vergleicht die bei Goethe anklingenden dämonologischen Frauenbilder mit anderen Zitaten des Hexenhammers. Vgl. Schöne: Götterzeichen, S. 134 f. Kramer: Hexenhammer, S. 231. Die Herausgeber Jerouschek und Behringer erläutern „Fe“ hier als „Abkürzung von fides (Glauben)“. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 556. Morris: Goethe-Studien, S. 87 f. Ohne Verweis auf die Dämonologie widerspricht schon Siegfried Scheibe Morris wie folgt: „[...] diese Farbvertauschung ist sicher kein Flüchtigkeitsfehler Goethes, sondern er hat den Vers in dieser Form bewußt niedergeschrieben; darauf deutet auch, daß er durch den folgenden Vers Zum Schlusse nimmts kein Mensch genau in seiner Falschheit gerechtfertigt wird.“ Scheibe: Zur Entstehungsgeschichte, S. 58, Anm. 58. „Diesem Frühlingsbild hat Goethe in den fragmentarischen Walpurgis-Szenen offenbar eine Art Herbstbild, jedenfalls eine Umkehrung gegenübergestellt: ‚Die Saat ist gelb, die Stoppel grün‘ [...]. Vielleicht sollte damit die lange Zeit angedeutet sein, die Faust von Margarete entfernt ist.“ Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 474 f.
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„Hexensabbats“. Sie entspricht den dämonologischen Vorstellungen der gänzlich verkehrten Welt.414 Diese hat etwa der Rechtshistoriker Wolfgang Schild beschrieben: „Selbst Unsinn bekam durch den Hinweis auf die ‚verkehrte Welt‘ dieses Sabbats Sinn, wie z. B. das Tanzen Rücken an Rücken und mit verdrehtem Schrittwechsel [...]“.415 Orgiastische Wollust ist das zentrale Element der Szene Walpurgisnacht, besonders in den ihr zugehörigen Paralipomena. In vielen frühneuzeitlichen Schilderungen des „Hexensabbats“ sind sexuell ausschweifende Phantasien nachzulesen. Auch in Goethes Walpurgisnacht entsteht der Reiz der Szene wesentlich aus den unheimlichen, erotischen und obszönen Hexenphantasien. Ihnen wurde eine solche Wirkkraft unterstellt, dass man schon in der von Goethe autorisierten Druckfassung der Walpurgisnacht und in vielen späteren, zum Teil auch in wissenschaftlichen Ausgaben, manche Ausdrücke durch „Anstandsstriche“ oder Auslassungspunkte ersetzte. Die Faszination der wüsten Orgie ist eng mit Assoziationen der frühneuzeitlichen Realgeschichte verknüpft. Schilderungen des vermeintlichen „Hexensabbats“ wurden Frauen und Männern in Verhören, meist unter der Folter, abgepresst. Man malte die obszönen Details immer weiter aus und ließ sie sich wieder und wieder bestätigen. Einzelne Details der Szene Walpurgisnacht kommen in den stereotypen Aussagen der echten Hexenprozessopfer zur Sprache, die Goethe bei Carpzov rezipierte, etwa der Gebrauch von Hexensalbe, die wilde Zusammenkunft der Hexer und Hexen und ihr Schadenzauber, wie der im Zusammenhang mit Geburten. Diesen besingen auch Goethes Hexen: Die Gabel sticht, der Besen kratzt, / Das Kind erstickt, die Mutter platzt. (3976 f.)416 Hans Arens hat die Sprache der Hexen charakterisiert und die auffallend kurzen Wörter und Satzeinheiten mit dem Stichwort „Primitivität“ beschrieben.417 Tatsächlich wirken die kurzen Sätze durch ihre Schlagkraft aber auch besonders bedrohlich.
Auch Schöne verweist auf eine „verkehrte Welt“: „Dagegen zeigen die nur im Paralipomenon 50 gegebenen Heimflug-Verse der schadensmächtigen Hexen mit ihren umgewendeten Bezügen offenbar die entstellte Natur und ‚verkehrte Welt‘ [...].“ Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 349. Ungewöhnlich klar beschreibt die Imagination einer Gegenwelt Detering: Zur Dialektik des Grotesken, S. 208. Schild: Dimensionen, S. 46. Das Bild dieses Schadenzaubers ist, wie schon beschrieben, sehr typisch in der frühneuzeitlichen Dämonologie und kann hier nicht ausschließlich auf antike Vorbilder bezogen werden, wie es etwa Carsten Rohde vorschlägt: „Die durchsichtige Metapher für Abtreibungen bezieht sich auf antike Abbildungen der – hier auf einem Mutterschwein reitenden – Baubo, die als Amme der Demeter die um ihre von Hades geraubte Tochter Persephone Trauernde durch das Aufdecken ihrer Vulva erheitert haben soll.“ Rohde: Gender, S. 555. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 384 f.
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Auch manche Motive, die über die stereotypen Schilderungen eines „Hexensabbats“ hinausgehen, wie etwa der Tanz Mephistopheles’ und Fausts mit den Hexen, finden sich bei Carpzov: [...] der alte A.S. wäre auch uffm Blockersberge gewesen / und mit der Teschin so krumb lahm wäre / getanzet und gesprungen / ingleichen auch M.VV. der auch ein Zauberer wäre / und hätte ein Fraw Teuffelin / die hübsch unnd schöne wäre [...]418
Oft wurde in der Faust-Forschung die Frage diskutiert, ob Faust in der Tanzszene der Walpurgisnacht den Beischlaf mit einer Hexe vollzieht.419 Dies wäre aus dämonologischer Sicht nicht unerheblich, denn durch die „Teufelsbuhlschaft“ galt ein Teufelspakt als vollzogen. Diese Besiegelung gehörte in der frühen Neuzeit zu den zentralen dämonologischen Vorstellungen. Michael Schmidts Formulierung: „Andererseits ist Fausts Tanz mit der Schönen eingestandenermaßen ‚erst‘ aufgrund der Kommentierung Schönes als Beinahe-Buhlschaft erkennbar“,420 mag zeigen, wie wenig dämonologische Inhalte heute als bekannt vorausgesetzt werden. Die ältere Forschung umschreibt den Geschlechtsakt oft verhalten. Heinrich Rickert bewertet die Szene wie folgt: „Die Hauptsache ist: die Handlung führt uns auf den Gipfel der Schamlosigkeit. Faust tanzt in einem Reigen bedenklichster Art.“421 Vorsichtig formuliert Paul Requadt seine Ansicht: „Die geläufige Vorstellung, daß Faust sich im Tanz mit der jungen Hexe am tiefsten in Teuflisches verstrickt, ist nicht ohne nähere Prüfung zu übernehmen. Der Vorgang im ganzen spricht dafür [...]“.422 Heinz Hamm dagegen erscheint die Szene eindeutig: „Der Tanz beider ist nichts anderes als ein Beischlaf.“423 Ulrich Gaier beschreibt die Gefahr, die Faust im Tanz mit der Hexe drohe, nur als „geistigen Selbstmord“.424 Albert Fuchs nennt den Tanz konkreter auf die hexische Gefahr bezogen „nullement moins dangereuse que Lilith“.425 Mephistopheles erwarte dadurch seinen Sieg: „Il pense avoir le droit de croire à son prochain triomphe complet.“426 Jedoch wird, etwa nach Albrecht Schönes Auffassung, der Vollzug der Teufelsbuhlschaft durch Gretchens Erscheinung verhindert.
Carpzov: Practica, S. 340. Vgl. hierzu auch Punkt 8.2.4. Schmidt, M.: Genossin der Hexe, S. 141. Vgl. Schönes deutlichen Kommentar zur Besiegelung des Teufelspaktes, Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 356. Rickert: Goethes Faust, S. 270. Requadt: Goethes „Faust I“, S. 300. Hamm: Faust, S. 110. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 463. Fuchs, A.: Faust sur le Brocken, S. 31. Fuchs, A.: Faust sur le Brocken, S. 31.
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In dem Augenblick aber, wo der Tanz in die Orgie mündet, Faust der Satanspredigt folgt, der Versuchung erliegt und im Geschlechtsakt sich verliert, eingeht (heißt das) in die satanische Welt, welche in der lieblos-puren Geschlechtlichkeit sich versinnbildlicht – da, im letzten Augenblick, reißt die Erscheinung Gretchens ihn aus dem Tanz.427
Welcher Meinung man sich auch anschließen mag, entscheidend ist, dass die dämonologische Vorstellung der Teufelsbuhlschaft in der Szene präsent ist und dass sie, ebenso wie die Teilnahme am „Hexensabbat“, die Verbindung Fausts zum frühneuzeitlich imaginierten Hexereidelikt vervollständigt. In der Faust-Forschung wurde indessen diese konzeptuelle Bedeutung der Szene ignoriert und sogar diskutiert, ob die Walpurgisnacht zur Einheit der dramatischen Handlung gehöre oder ob sie diese störe. Robert Petsch hat hierzu folgendes ausgeführt: So viel heißes Bemühen in den letzten Jahrzehnten auf die Durchforschung der Entstehungsgeschichte, der Quellenverhältnisse, der Komposition, der Bedeutung einzelner Figuren und Anschauungen in der ‚Walpurgisnacht‘ verwendet worden ist, so wenig haben alle diese Arbeiten die Allgemeinheit von der Berechtigung dieser Szenenreihe innerhalb des Gesamtgefüges des ‚Faust‘ überzeugen können, wie schon die Tatsache beweist, daß die Szene bei der Aufführung nicht nur energisch gekürzt, sondern geradezu gestrichen zu werden pflegt.428
Nimmt man die Hexenthematik in Goethes gesamtem „Faust“ jedoch wahr und ernst, so muss man Petsch widersprechen. Die Szene gehört genuin zum Ablauf des Dramas. Sie vervollständigt die frühneuzeitlich imaginierte Teufelsbündnerei der Figur Faust, die alle Elemente des kumulativen Hexereideliktes beinhaltet. Nicht nur die Figurenanlage des Teufelsbündners Faust erfordert seine Teilnahme an der Walpurgisnacht. In der dämonischen Gegenwelt werden auch starke Bezüge zur Figur Gretchen hergestellt. Sie erscheint auf dem „Hexensabbat“. Ihre angedeutete Hinrichtung hat, wie schon beschrieben, deutliche Züge einer Hexenverbrennung, wenn man die Hochgerichtserscheinung in den Paralipomena vergleichend berücksichtigt. Schon vor Gretchens Erscheinung nennt Goethe alle Delikte, die auch in ihrer Tragödie entscheidend sind, was die Faust-Forschung mit Blick auf die Trödelhexe vielfach festgestellt hat. In einem Hexereiverfahren würden diese Delikte ins Gewicht fallen, hierauf verweist schon Schöne.429 Neben dem bereits erwähnten Kindsmord, der in den Hexenversen zur Sprache kommt, geht es um Kuppelei, Verführung sowie Tod durch Gift und Schwert. Vor allem die Trödelhexe, die beim „Hexensabbat“ ihre Waren anbietet, stellt diese Bezüge zur
Schöne: Faust, Paralip. 50, S. 193. Vgl. die Erläuterungen Schönes im Kommentarband, Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 944. Petsch: Faustsage und Faustdichtung, S. 146. Schöne: Götterzeichen, S. 178.
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Gretchentragödie her: Sie nennt den Schmuck, mit dem Mephistopheles Gretchen zu Beginn der Verführung lockte, das Gift, das sie ihrer Mutter gab, in dem Glauben, es sei ein Schlaftrunk, und das Schwert, mit dem Faust durch des Teufels Schwertführung Gretchens Bruder Valentin ersticht: Kein Dolch ist hier, von dem nicht Blut geflossen, Kein Kelch, aus dem sich nicht in ganz gesunden Leib Verzehrend heißes Gift ergossen, Kein Schmuck, der nicht ein liebenswürdig Weib Verführt, kein Schwert das nicht den Bund gebrochen, Nicht etwa hinterrücks den Gegenmann durchstochen. (4104–4109)
Jochen Schmidt nennt die Trödelhexe treffend „Instanz der Erinnerung“.430 Nicht selten wird mit Blick auf diese Figur als eine mögliche Quelle Goethes auf das Traktat „Tableav de l’Inconstance des Mavvais Anges et Demons“ von Pierre de Lancre verwiesen, ein französischer Richter und fanatischer Hexenverfolger,431 der den „Hexensabbat“ unter anderem als eine Art Markttreiben schildert.432 Die Verflechtung der Gretchentragödie mit der Walpurgisnacht ist jedenfalls ein gewichtiges Indiz für einen ursprünglichen Plan Goethes, Gretchen als Opfer eines Hexenprozesses anzulegen. Es wurde unter Punkt 6.1 schon gezeigt, dass Goethe – anders als es in der Faust-Forschung oft behauptet wird433 – keineswegs der erste ist, der Faust mit dem Hexenwesen und der Walpurgisnacht in Verbindung bringt. Faust wurde schon in frühesten Quellen mit der vermeintlichen Hexensekte und auch dem „Hexensabbat“ assoziiert: in dämonologischen Quellen, in Aussagen von Hexenprozessopfern und
Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 190. De Lancre war im Baskenland für zahlreiche Hinrichtungen verantwortlich. Vgl. Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 111 f. Die als Quelle in Betracht kommende Abhandlung heißt: Tableav de l’Inconstance des Mavvais Anges et Demons. Ov il est amplement traicté des Sorciers, et de la Sorcellerie. Livre tres-vtile et necessaire non seulement aux Iuges, mais à tous ceux qui viuent sous les loix Chrestiennes. Auec vn Discours contenant la Procedure faite par les Inquisiteurs d’Espagne et de Nauarre, à 53. Magiciens, Apostats, Iuifs et Sorciers, en la ville de Logrogne en Castille, le 9. Nouembre 1610. En laquelle on voit combien l’exercice de la Iustice en France, est plus iuridiquement traicté, et auec de plus belles formes qu’en tous autres Empires, Royaumes, Republiques et Estats. Par Pierre de Lancre, Conseiller du Roy au Parlement de Bordeaux. Maleficos non patieris viuere. Exod. 22. Paris 1612. Vgl. hierzu auch Roper: Hexenwahn, S. 161. Vgl. zum Beispiel Witkowski: Walpurgisnacht, S. 6; Düntzer: Goethes Faust. Erster Theil, S. 167; Bartscherer: Paracelsus, S. 143; Dennert: Faust auf dem Brocken, S. 259; Binder: Faustische Welt, S. 358; Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 366; Schöne: Götterzeichen, S. 145 f.; Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 451.
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in literarischen Verarbeitungen. Dass Goethe die Walpurgisnacht auf einem Blocksberg (4221) stattfinden lässt, entspricht den tradierten dämonologischen Vorstellungen und ist keine neue Idee des Dichters. Die Bezeichnung „Blocksberg“ konnte, was in der Faust-Forschung nur manchmal erwähnt wird,434 in der frühen Neuzeit verschiedene Berge meinen und viele Hexenprozessopfer gaben an, den „Hexensabbat“ auf einem Blocksberg gefeiert zu haben. Goethe selbst hat die Fahrt auf den Blocksberg435 aus den bei Carpzov zitierten Hexenprozessakten exzerpiert.436 Auch der Titel „Blockes-Berges Verrichtung“437 von Johannes Praetorius, einer bekannten Quelle Goethes, belegt dies. Bemerkenswert ist allenfalls, dass der Berg bei Goethe geographisch eindeutig im Harz verortet ist und dass er mehrfach den Brocken nennt (3956, 4032). In einem Brief an Zelter sprach Goethe allerdings über die Tradition dieser Vorstellung: „die Hexen- und Teufelsfahrt des Brockengebirgs, mit der man sich in Deutschland seit undenklichen Zeiten trägt“.438 Er verweist in diesem Brief auf seine Ballade „Die erste Walpurgisnacht“ aus dem Jahr 1799. Sie handelt von einer Druidenfeier, die durch Christen gestört wird. Die Druiden und ihre Wächter verjagen ihre abergläubischen Verfolger, indem sie ihnen Hexen- und Teufelsfurcht einflößen. Diese dumpfen Pfaffenchristen, Laßt uns keck sie überlisten! Mit dem Teufel, den sie fabeln, Wollen wir sie selbst erschrecken.439
Diese Ballade wurde schon oft mit der Walpurgisnacht des „Faust“ in Verbindung gebracht, etwa von Hans Arens, Ulrich Gaier und ausführlich von Maximilian Bergengruen und Thomas Höffgen.440 Goethes Ballade kann jedoch, auch wenn sie
Etwa verweist hierauf Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 366. Vgl. zu „Blocksbergen“ in Europa resümierend Rost: Hexenversammlung, S. 65. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 560. Vgl. Carpzov: Practica, S. 340. Johannes Praetorius (Hans Schulz): Blockes-Berges Verrichtung / Oder Ausführlicher Geographischer Bericht / von den hohen trefflich alt- und berühmten Blockes-Berge: ingleichen von der Hexenfahrt / und Zauber-Sabbathe / so auff solchen Berge die Unholden aus gantz Teutschland / Jährlich den 1. Maij in Sanct-Walpurgis Nachte anstellen sollen [...]. Leipzig; Frankfurt a. M. 1668. Goethe: Brief an Carl Friedrich Zelter vom 3. Dezember 1812. Münchner Ausgabe, Bd. 20.1, S. 294–304, hier S. 303. Goethe: Sämtliche Werke. Münchner Ausgabe, Bd. 6.1, S. 40–43, Zitat hier S. 42. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 366. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 452f. Bergengruen: Goethes und Fausts ‚Erste Walpurgisnacht‘, Höffgen: Goethes Walpurgisnacht-Trilogie. Vgl. zum Beispiel auch Requadt: Goethes „Faust I“, S. 282 f., Binder: Faustische Welt, S. 360 f. und Ilgner: Ketzermythologie, S. 58 f.
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im Titel eine „Walpurgisnacht“ nennt und beide Texte zeitlich nah entstanden, keinesfalls mit der Walpurgisnacht im Drama gleichgesetzt werden. Bilder vom „Hexensabbat“,441 wie er in Goethes hexentheoretischen Quellen zu „Faust“ beschrieben wird und wie er Goethes Schilderung im „Faust“ zugrunde liegt, wurden Hexenprozessopfern in erzwungenen Geständnissen abgepresst. Diese Imaginationen haben mit real denkbaren naturreligiösen Feiern nicht viel zu tun. Goethe selbst hat in dem erwähnten Brief an Zelter festgestellt, unter den Geschichtsforschern gebe es welche, „die zu jeder Fabel, jeder Tradition, sie sei so phantastisch, so absurd als sie wolle, einen realen Grund suchen, und unter der Märchenhülle jederzeit einen faktischen Kern zu finden glauben.“442 Aus dem „Hexensabbat“, der Hexenprozessopfern unterstellt wurde, kann nicht auf irgendwelche zugrundeliegenden Aktivitäten geschlossen werden. Schon Jules Michelet allerdings trug im Bild der Hexe als einer Art „Ärztin des Volkes“ zu dieser Annahme bei; sie beeinflusste unter anderem feministische Diskurse der 70er und 80er Jahre.443 Sie wurde und wird innerhalb der Hexenforschung, nicht selten unter ideologischen Vorzeichen, oft vertreten,444 etwa auch in antichristlichen Stoßrichtungen der NS-Hexenforschung. Die Vorstellung, das Christentum hätte alte Volkskulte und -religionen durch Hexenverfolgung unterdrückt und ausgerottet, kam dieser Ideologie gelegen. Wahrscheinlich entbehren die Walpurgisnachtsschilderungen der allermeisten Hexenprozessopfer jeder realen Grundlage, sie sind überwiegend ein Produkt gezielter Fragen unter der Folter. Falsche Ansichten zur historischen Hexenverfolgung sind jedoch früh in die Faustdeutung eingegangen und halten sich bis
In der Ballade stellt Goethe Hexenimaginationen als Täuschung dar. Die erschreckten Verfolger der Druiden glauben irrtümlicherweise „Menschen-Wölf’ und Drachen-Weiber“ zu sehen, also Werwölfe oder hexische Drachen. Letztere waren eine häufige Imagination in thüringischen Hexenprozessen, vgl. hierzu etwa Füssel, R.: Die thüringischen Hexenprozesse, S. 133. Goethe: Brief an Carl Friedrich Zelter vom 3. Dezember 1812. Münchner Ausgabe, Bd. 20.1, S. 294–304, hier S. 303. Goethe beschreibt die „Einbildungskraft“ dieser Forscher zwar als anregend, dennoch bringt er die Willkür ihres Tuns klar zum Ausdruck. Bergengruen hat in diesem Zusammenhang auf den Altertumsforscher Johann Peter Christian Decker als mögliche Quelle Goethes verwiesen. Jener hatte 1752 die später weitergetragene Theorie publiziert, Sachsen hätten sich vor der Christianisierung ins Harzgebirge zurückgezogen und sich verkleidet und vermummt, um ihre Verfolger abzuwehren. Dadurch sei es zu den auf den Brocken bezogenen Hexenimaginationen gekommen. Bergengruen: Goethes und Fausts ‚Erste Walpurgisnacht‘, S. 273–275. Wiedemann, F.: Rassenmutter, S. 262 f. Vgl. dazu etwa die Abhandlung von Silvia Bovenschen: Die aktuelle Hexe, besonders S. 286 f. Sie argumentiert allerdings hinsichtlich eines Wahrheitsgehaltes der erfolterten Aussagen frühneuzeitlicher Hexenprozessopfer differenziert, vgl. ebd., S. 285. Daniela Müller hat sich mit mythischen Frauenbildern und ihrer Verwendung in feministischer Rhetorik beschäftigt: Müller, D.: „Ich bin eine Hexe“.
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heute. Silvia Bovenschen hat einen „fatalen Glamour“ des Themas angemerkt.445 Ein prägnantes Beispiel für die beiläufige und falsche Erwähnung der Hexenverfolgung ist die auch insgesamt fragwürdige, anthroposophisch gefärbte Abhandlung von Rudolf Eppelsheimer. Dort heißt es: Die schroffe kirchliche Ablehnung der heidnischen Naturgeistigkeit, ihre Verteufelung, hatte auch negative Folgen. [...] Das hat zu den Verirrungen der Hexenverfolgung und -verbrennung geführt, mit Geständniserpressung in grausamer Folter – eines der schmachvollsten Kapitel christlich abendländischer Kultur. Dadurch wurde eine verfemte Minderheit erst recht auf die schiefe Bahn eines antichristlichen Satanskultes und seiner Magie abgedrängt.446
Auch Alexander Honolds abgewogenere Argumentation zeigt beispielsweise noch mehrfach Tendenzen in diese argumentative Richtung, etwa wenn er behauptet: „Die Inkriminierung von ‚Hexen‘ ist ihrerseits nichts anderes als ein Reflex der Ablösung paganer und regionaler Kultformen durch das Vordringen des auf eine gewisse theologische Kohärenz orientierten Christentums.“447 Der Verweis auf reale Kultformen ist mit Blick auf frühneuzeitliche Vorwürfe gegen angebliche Hexen sehr leicht irreführend. Die Frage liegt nahe, ob die Hexenthematik zu Goethes Zeit schon als ein Objekt der Ästhetik, etwa im Sinne einer Unterhaltsamkeit, betrachtet werden konnte. Obwohl im Drama Anzeichen einer Ästhetisierung der Hexenthematik vorliegen, nicht zuletzt im Abschluss der Szene durch den ins Spielerische gleitenden Walpurgisnachtstraum, ist der Charakter der Walpurgisnacht noch stark durch die frühneuzeitlichen Ängste und ihren Realitätsbezug geprägt. Richard Friedenthal hat deren Faszination nachempfunden: Das „häßliche Teufels- und Hexenwesen“, wie Goethe es dann abwehrend im Alter nennt, hat dennoch auch auf ihn eine große Gewalt ausgeübt. Es war häßlich genug. Mit Salbe aus dem Fett ermordeter Neugeborener schmieren sich die Weiber ein, auf Ofengabeln, Besen, Zubern reiten sie zum Kamin hinaus [...] zum Blocksberg. Da sind Lichter, Fackeln, unzähliges Volk, auch große Herren, Kavaliere, Offiziere, wie in Goethes Walpurgisnacht, Geistliche, Gelehrte, Bauern. Die Hexen haben sich dem Satan zu präsentieren, der als Bock in der Mitte thront, und ihm zur Anbetung den Hintern zu küssen.448
Goethes Drama markiert eine Schnittstelle zwischen der noch frühneuzeitlich geprägten Sicht der Hexenthematik und der dann später folgenden romantischen
Bovenschen: Die aktuelle Hexe, S. 259. Eppelsheimer: Goethes Faust, S. 148. Honold: Elementartheater, S. 148; vgl. auch andere derartige Argumente Honolds, besonders S. 147–151. Friedenthal: Goethe. Sein Leben, S. 689 f.
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Rezeption, die etwa der bekannte Historiker und Kulturwissenschaftler Carlo Ginzburg beobachtet hat: „Die große Dichtung und Philologie der deutschen Romantik machten den Sabbat zu einem Thema, das der Imagination von Gelehrten und Dichtern auf lange Zeit Nahrung geben sollte.“449 Emil Staiger geht zwar zu weit, wenn er die Wahrnehmung dämonologischer Vorstellungen zu Goethes Zeit als „Kuriosität“ bezeichnet. Er warnt aber zu Recht davor, Goethes Walpurgisnacht im „Faust“ mit den späteren Hexenthematisierungen der Romantik gleichzusetzen: Goethe hat viele Motive seiner Walpurgisnacht in Büchern des 16. und 17. Jahrhunderts gefunden. [...] was man einst als Aufschluß über hochgefährliche Zonen nahm, kommt nur noch als Kuriosität in Betracht. Ebensowenig dürfen wir um 1800 bereits an die tiefe und unheimliche Sympathie für das Grausige und Dämonische, die ächzende niedere Kreatur, die elementare Witterung denken, die Dichtern wie E.T.A. Hoffmann oder Annette von Droste-Hülshoff eignet. Wer unter solchen Voraussetzungen an die „Walpurgisnacht“ herantritt, erliegt einem spätromantischen Mißverständnis und findet sich nie zurecht.450
Ein Blick auf Goethes ursprüngliche Entwürfe zur Walpurgisnacht, in der Druckfassung eliminiert, macht einen Umbruch, eine Entschärfung in seiner Rezeption des „Hexensabbats“ deutlich.
8.4.3 Eliminierte Hexenszenen der Paralipomena Denn was Goethe hinterlassen hat mit diesen unterdrückten Texten, ist nichts weniger doch als eine in das ‚Faust‘-Drama integrierte poetische Summe des Ketzer- und Hexenwesens.451
Die Paralipomena zu Goethes „Faust“ beschreibt Anne Bohnenkamp als Texte „sehr unterschiedlichen Umfangs und Charakters“, nämlich „Schemata, Skizzen, Vorarbeiten und Zusammenfassungen sowie ausgeschiedene Versbruchstücke und Szenenfragmente zu Goethes ‚Faust‘“.452 Es ist nicht endgültig zu klären, welche Paralipomena genau zur Szene Walpurgisnacht gehörten. Bei manchen Textstücken erscheint die Zuordnung eindeutig, bei anderen bleibt sie Spekula-
Ginzburg: Hexensabbat, S. 143. Staiger: Goethe, Bd. 2, S. 359 f. Schöne: Faust, Paralip. 50, S. 182. Bohnenkamp: Paralipomena, S. 8. Vgl. zur Verwendung der Bezeichnung auch S. 57–66. Vgl. allgemein zum Phänomen der Auslassung: Adamowsky / Matussek: Leerstellen als Movens der Kulturwissenschaft. Die Herausgeber resümieren im Sammelband vertretene Perspektiven der Kulturwissenschaft: „Leerstellen sind [...] nicht ein zu Beseitigendes, sondern ein zu Beachtendes – ein Motiv und Movens forschender Neugier, da sie Anlaß geben, das Ausgelassene sowie den Prozeß der Auslassung selbst in den Blick zu nehmen.“ Ebd., S. 13.
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tion. Einige der prägnanten Bezüge zur Hexenthematik wurden schon mit Blick auf die Druckfassung des Dramas vorgestellt. Im Folgenden wird die Bedeutung der Paralipomena für die Hexenthematik im „Faust“ fokussiert und ihre Rezeption beleuchtet. Goethe bewahrte die Entwürfe zur Walpurgisnacht in einem damals üblichen Papiersack zur Aufnahme von Dokumenten auf. Er hat sie in einem Gespräch mit Johannes Falk als „Walpurgissack“ bezeichnet, der sich nach seinem Tod zum Entsetzen der Deutschen einmal öffnen werde: Der Walpurgissack [...] ist eine Art von infernalischem Schlauch, Behältnis, Sack, oder wie Ihr’s sonst nennen wollt, ursprünglich zur Aufnahme einiger Gedichte bestimmt, die auf Hexenszenen im „Faust“, wo nicht auf den Blocksberg selbst, einen nähern Bezug hatten. [...] bei meinem Eid, was da unten steckt, das steckt unten und kommt nicht wieder an den Tag, und wenn ich es selbst wäre! So streng, sollt Ihr wissen, halte ich über meinen Walpurgissack und die höllische Konstitution, die ich ihm gegeben habe. Es brennt da unten ein unverlöschliches Fegefeuer, was, wenn es um sich greift, weder Freund noch Feind verschont. Ich wenigstens will niemand rathen, ihm allzunahe zu kommen. Ich fürchte mich selbst davor!453
Es ist auffällig, dass Goethe im Plural von „Hexenszenen im ‚Faust‘“ außerhalb des Blocksberggeschehens spricht. Offensichtlich meint er mehr als nur die Hexenküche. Seine in den Paralipomena überlieferten Exzerpte aus realen Hexenprozessen, die zu vielen anderen Szenen Bezüge aufweisen, wurden schon unter Punkt 7.5 meiner Arbeit erläutert. Die besonders prägnante Hochgerichtserscheinung, die eine Menschenverbrennung beschreibt, wurde hinsichtlich der Frage behandelt, ob Goethe ursprünglich einen Hexenprozess gegen die Figur Gretchen angelegt hatte. Auch wurde schon beschrieben, dass in seinen Entwürfen eine Massenhaftigkeit von Hinrichtungen geschildert wird, was ebenfalls auf Hexenprozesse deutet. Mit seiner Bemerkung zum „Walpurgissack“, er fürchte sich selbst davor, kann Goethe zum einen schlicht das furchterregende und obszöne Phantasien einschließende Thema der Hexenangst und Hexenverfolgung gemeint haben. Darüber hinaus kann er – impliziert seine Aussage doch die Furcht anderer – auf die Virulenz dieser Themen für die Rezipienten seines „Faust“ angespielt haben, auch auf Probleme der kollektiven Erinnerung an das historische Geschehen.454 Albrecht Schöne hat auf die besondere Sorgfalt verwiesen, mit der Goethe speziell die Paralipomena zur Walpurgisnacht behandelte:
Gespräch mit Johannes Falk, nicht sicher datiert. Vgl. Herwig / Biedermann: Goethes Gespräche, Bd. 5, Nr. 7228, S. 93. Zur unsicheren Datierung vgl. den Kommentar S. 277. Vgl. hierzu Kapitel 10.
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Goethe hat sie in eigenhändig-sorgfältiger Reinschrift hinterlassen [...], und die augenfällige Sorgfalt, die er darauf verwandte, läßt schließen, daß hier keineswegs nur Hobelspäne aufbewahrt worden sind und ein (wie immer aufschlußreicher und interessanter) Abfall, sondern beiseitegestellte Textstücke, die Goethe erhalten wissen wollte [...].455
Viele Autoren haben die Bedeutung der Entwürfe unterschätzt, so etwa Julius Frankenberger: Die wissenschaftliche Arbeit an der Walpurgisnacht ist das Musterbeispiel für den hoffnungslosen Irrweg, in den man sich verliert, wenn man die Lücken im Verständnis der endgültigen Gestalt mit den vom Dichter aufgegebenen früheren Plänen und Entwürfen auffüllen will.456
Anders als Frankenberger vermutet, tragen die getilgten Verse sehr wohl zur Interpretation der Druckfassung des Dramas Entscheidendes bei. Als erhellend gilt heute schon der Entstehungsprozess des Werkes. Goethe selbst hat ihn als bedeutsam für das Verständnis erachtet, was er in einem berühmten Satz formulierte: „Natur- und Kunstwerke lernt man nicht kennen, wenn sie fertig sind; man muß sie im Entstehen aufhaschen, um sie einigermaßen zu begreifen.“457 Nachdem Schöne die Hochgerichtserscheinung als Hexenhinrichtung gedeutet hat, sind später immerhin einzelne Paralipomena vor diesem Hintergrund betrachtet worden, zum Beispiel die unmittelbar auf die Verbrennungsbeschreibung folgende zweite Strophe desselben Chors: Die Dirne winckt es ist schon gut Der Säufer trinckt es deutet auf Blut Der Blick der Tranck er feuert an Der Dolch ist blanck es ist gethan.458
Jochen Schmidt bezieht diese Verse ausdrücklich auf das historische Geschehen der Hexenverfolgung: Schlechthin alles, ein Wink, ein Trank kann schon Anlaß zur Verdächtigung werden, es kommt nur auf die Auslegung an. „Der Blick der Tranck er feuert an“, in der negativen Deutungsobsession der Hexenverfolger nämlich zu Hexen- und Teufelswerken. „Der Dolch ist blanck es ist gethan“: Den Inquisitoren reicht es schon, daß ein Dolch blank ist, um eine damit begangene Mordtat zu unterstellen.459
Schöne: Götterzeichen, S. 149. Frankenberger: Walpurgis, S. 103. Brief an Carl Friedrich Zelter vom 4. August 1803. Münchner Ausgabe, Bd. 20.1, S. 43–45, hier S. 43. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 558. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 200.
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Erkennt man in der Hinrichtungsszene die naheliegenden Indizien der Hexenverfolgung, so fällt auf, dass der Chor in dieser zweiten Strophe mit Dirne und Säufer randständige Figuren der Gesellschaft nennt.460 Ähnlich gehörten zu Beginn von Hexenverfolgungen die Opfer noch relativ oft zu gesellschaftlich Ausgegrenzten.461 Allerdings ist, gerade in Hochphasen der Verfolgungen, nicht von stereotypen Opfermustern auszugehen. Vor allem wenn Kettenprozesse überwiegend aus erfolterten Bezichtigungen resultierten, konnte praktisch jeder von Hexereivorwürfen betroffen werden.462 Schmidt spricht angesichts der zitierten Verse des Chors treffend von einer „geradezu universalen Verdächtigungsmanie“.463 Die Atmosphäre des Misstrauens, der Ausgrenzung, der Stigmatisierung und der Denunziation spielt auch in den Szenen der Gretchentragödie eine wichtige Rolle. Diese Paralipomena zeigen: Das ursprünglich angelegte Thema der Hexenverfolgung ist auch nach seiner Begrenzung noch in der Druckfassung zu erkennen. Höchst selten wird aber in Faustkommentaren erwogen, wie die Hexenthematik der expliziten Hexenszenen mit anderen Ebenen des Dramas zusammenhängt.464 Goethe hatte ursprünglich geplant, die Walpurgisnacht in einer Satanshuldigung mit dem in der frühen Neuzeit üblicherweise imaginierten Kuss auf dessen Hintern gipfeln zu lassen. Ein Wechselgesang von Satan und Chor entstellt die biblische Metaphorik des „Jüngsten Gerichts“.465 Goethe entsprach damit typischen Bildern der Dämonologie, die propagierte, Hexen würden christliche Rituale systematisch verunstalten. Auch Heinrich Heine hat für sein Tanzpoem „Der Doktor Faust“ 1846/47 einen „Hexensabbat“ entworfen. In dessen Mittelpunkt steht ein schwarzer Bock, dem durch das Homagium des rückwärtigen Kusses gehuldigt wird, später verbrennt er während der Satansmesse.466 Ähnlichkeiten zu Goethes Entwürfen der Walpurgisnacht sind deutlich. Heine kannte aber die Faust-Paralipomena
Vgl. Irsigler / Lasotta: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Vgl. Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 273. Vgl. Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 80. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 200. Beispielhaft für viele andere Studien kann hier die in Dialogform verfasste Interpretation von Alwin Binder genannt werden. Sie beschäftigt sich ausführlich mit den Szenen Hexenküche und Walpurgisnacht. Die Thesen Albrecht Schönes zur ehemals angelegten Hexenthematik werden kurz erwähnt und Binder überlegt, warum die frühere Konzeption der Walpurgisnacht nicht beibehalten wurde. Auf die Bedeutung dieser Entwürfe für das Drama geht er jedoch nicht weiter ein. Vielmehr diskutiert er die Hexenthematik unter dem Blickwinkel ihrer symbolischen Bedeutung für andere Themen in Goethes „Faust“, etwa die „Naturbeherrschung“ und die „Moderne“. Binder: Faustische Welt, S. 352–430. Zur Pervertierung von Messriten vgl. auch Schöne: Götterzeichen, besonders S. 158–166. Vgl. Heine: Der Doktor Faust. Ein Tanzpoem. Düsseldorfer Ausgabe, Bd. 9, S. 83–97, hier S. 90–93.
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wahrscheinlich nicht.467 Dass Heine und Goethe ähnliche Szenen erdachten, zeigt, wie bekannt frühneuzeitliche Vorstellungen des „Hexensabbats“ zu ihrer Zeit noch waren. Heine hat zum Teil die gleiche hexentheoretische Literatur wie Goethe benutzt.468 In Goethes Entwürfen preisen Satan und ein Chor aus Böcken und Ziegen in einer perversen Hymne Gold, Schoos und Schwanz, wie hier in Auszügen zitiert sei: Die Böcke zur rechten, Die Ziegen zur lincken Die Ziegen sie riechen wincken Die Böcke sie stincken fechten Und wenn auch die Böcke Noch stinckiger wären So kann doch die Ziege Des Bocks nicht enbehren. Chor. Aufs Angesicht nieder Verehret den Herrn Er lehret die Völcker Und lehret sie gern Vernehmet die Worte Er zeigt euch die Spur Des ewigen Lebens Der tiefsten Natur. Satan rechts gewendet. Euch giebt es zwey Dinge So herrlich und groß Das glänzende Gold Und der weibliche Schoos. Das eine verschaffet Das andre verschlingt Drum glücklich wer beyde Zusammen erringt.
Vgl. Heine: Erläuterungen. Düsseldorfer Ausgabe, Bd. 9, S. 791. Vgl. Heine: Erläuterungen. Düsseldorfer Ausgabe, Bd. 9, S. 791. Es ist irreführend, die dämonologischen Imaginationen schlicht als „Volksüberlieferung“ zu bezeichnen, wie es im Kommentar der Düsseldorfer Ausgabe mit Blick auf die „Blockes-Berges Verrichtung“ des Johannes Praetorius geschieht. Vgl. Heine: Erläuterungen. Düsseldorfer Ausgabe, Bd. 9, S. 684 f. Vielmehr waren die Schilderungen vor allem auch Teil der „gelehrten“ Dämonologien hochrangiger Theologen und Juristen, die die strafrechtliche Verfolgung vermeintlicher Hexer und Hexen beeinflussten. Diese kommen in derselben Ausgabe im nachfolgenden Zeilenkommentar zu Heines Tanzpoem auch ausführlich zur Sprache.
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[...] Satan lincks gewendet. Für euch sind zwey Dinge Von köstlichem Glanz Das leuchtende Gold Und ein glänzender Schwanz Drum wißt euch ihr Weiber Am Gold zu ergötzen Und mehr als das Gold Noch die Schwänze zu schätzen. Chor Aufs Angesicht nieder Am heiligen Ort. O glücklich wer nah steht Und höret das Wort.469
Der Satan schließt seine Ansprache mit den Versen: Seyd reinlich bei Tage Und säuisch bey Nacht So habt ihrs auf Erden Am weitsten gebracht.470
Inzwischen sind gerade diese Verse aus den Paralipomena sehr bekannt. Sie werden oft zitiert, Anspielungen auf sie kursieren etwa als Titel erotischer Anthologien,471 auch wurden sie literarisch weiterverarbeitet.472 Heute wird in der Rezeption der Paralipomena gerne ihr provokatives Potential fokussiert. Goethes Entwürfe werden bisweilen auch als skandalträchtig präsentiert. So schreibt etwa Stefan Primbs in der populärwissenschaftlichen Zeitschrift „P. M. History“: Doch zu Lebzeiten Goethes unveröffentlichte Handschriften zeigen, dass der Geheimrat noch Schärferes auf Lager hatte: eine regelrechte Satansmesse mit Ausdrücken, die man eher an den Wänden verwahrloster Bahnhofstoiletten als zwischen den edlen Buchdeckeln einer Klassikerausgabe vermuten würde.473
Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 552–554. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 555. Vgl. zum Beispiel die Zitierung der Verse durch Gerd Haffmans Anthologien: „Die klassische Sau. Das Handbuch der literarischen Hocherotik“ sowie „Die neue klassische Sau“, vgl. dazu Schaefer: Gespräch mit Gerd Haffmans, S. 135. Zum Beispiel hat Irmtraud Morgner wörtliche Zitate der Satansszenen und Hinrichtungsnotizen in ihrem so benannten „Hexenroman“ mit dem Titel „Amanda“ zitiert. Vgl. Morgner: Amanda, S. 416 f. und 425. Primbs: Ausflug, S. 49.
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Zensierende Auslassungen, wie in vielen Ausgaben der Druckfassung des „Faust“ praktiziert, waren auch in Wiedergaben der Paralipomena verbreitet.474 Lange Zeit übergingen viele Interpreten die Paralipomena zur Walpurgisnacht mit knappen Andeutungen. Frühe Studien tadeln die Verse nicht selten. Albert Bielschowsky etwa äußert 1916 die Ansicht: Wir haben Stücke aus dieser Rede Satans in den Paralipomena; aber die ganze Szene ist mit so ‚frevelhafter Verwegenheit‘ ausgeführt, die Rede ist so gemein – Goethe wetteifert hier mit Aristophanes in Obscönitäten -, daß er mit Recht Bedenken trug, sie in den Text aufzunehmen; und so fiel sie weg.475
Heinrich Düntzer vertritt 1882 eine ähnliche Meinung: „Goethe hatte früher eine ganz andere Darstellung der Brockenszene entworfen, wovon ein paar sehr derbe Stellen ausgeführt sind, die jetzt unter den Paralipomena zu Faust stehen. Mit unserer jetzigen Brockenszene war diese unmöglich zu verbinden.“476 Reinhard Buchwald urteilt: „[...] es ist bewußt die Grenze des Erträglichen überschritten.“477 Erich Schmidt beschreibt die Satansmesse immerhin anerkennend als „[...] die schmutzigste Sinnlichkeit, die der Dichter mit genialen verwegenen Strichen so grotesk wie möglich entwirft.“478 Oft wurde über Goethes Streichung der prägnanten Entwürfe zur Walpurgisnacht spekuliert. Mit Blick auf das Drama sind viele dramaturgische und inhaltliche Gründe, etwa die Gewichtung von Szenen, diskutiert worden.479 Zum Beispiel wurde die Frage beleuchtet, ob die ursprünglichen Szenen aufgrund ihrer dominanten Wirkung vom eigentlichen Faustdrama abgelenkt hätten.480 Rolf-Peter Janz nimmt an, Goethe habe die Schwarze Messe als Ausdruck des unkontrollierbaren Bösen aus der Druckfassung ausgeschlossen, damit das Böse eher als inte-
Zur Editionsgeschichte der Paralipomena vgl. Bohnenkamp: Paralipomena, S. 13–38. Bielschowsky: Goethe, Bd. 2, S. 618. Düntzer: Goethes Faust. Erster Theil, S. 184. Buchwald: Führer durch Goethes Faustdichtung, S. 103. Ähnlich Oberkogler: Faust, 1. Teil, S. 329 f. Jubiläumsausgabe Cotta: Bd. 13, S. XXVI. Eine kommentierte Zusammenfassung bietet Schöne: Götterzeichen, S. 201–204. Mit einer Dialektik von Gut und Böse rechtfertigt – sich von Schöne abgrenzend – etwa Thomas Zabka ausführlich Goethes Streichungen. Zabka: Dialektik des Bösen. Die „skeptische Grundposition der Mephisto-Figur“ vermutet Michelsen als Goethes Motiv für die Auslassung. Michelsen: Vom Bösen, S. 246. Verschiedene Erklärungen der Sekundärliteratur betrachtet auch Delvaux: Hexenglaube, besonders S. 603–610. Dies vermutet zum Beispiel Alwin Binder, er äußert die Ansicht: „Wenn die ‚Walpurgisnacht‘ nun weitgehend von Satans-Messe und Hexen-Sabbat ‚befreit‘ ist, müßte sich besser erkennen lassen, was Hexenwesen und Faustisches verbindet.“ Binder: Faustische Welt, S. 355.
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grativer Bestandteil des menschlichen Lebens erscheine.481 Meistens wird die Tilgung der Verse durch Goethe aber als Selbstzensur interpretiert, da viele Stellen zu anstößig für das damalige Publikum gewesen seien.482 Hartmut Reinhardt formuliert moderater eine „Dezenzwahrung“, die Goethe „mit größter Bestimmtheit“ verfolgt habe.483 Andererseits gibt es Zweifel an diesem Beweggrund, da auch in der Druckfassung derbe Details verblieben sind.484 Hans Arens etwa verneint einen Wegfall der Satansszenen aus Gründen der Obszönität. Er vermutet jene vielmehr in der Darstellung des Satans: „Die geplante große Szene ‚Nach dem Intermezzo‘ (Par. 50) hätte enthüllt, daß der Böse kein Horrendum, keine schreckliche Majestät ist, sondern ein obszöne Scherze treibender Herr, der nicht schockiert, nur amüsiert hätte.“485 Manche Autoren sind der Ansicht, Goethe hätte die eliminierten Verse abmildern können, wie er es auch an anderen Stellen getan hat.486 Wahrscheinlich haben Goethe noch andere Gründe bewogen, auf die verschiedenen hexenthematisch bedeutsamen Verse zu verzichten. Spekulationen über mögliche, auf das historische Geschehen bezogene Motive werden im Folgenden noch angestellt.
Janz: Mephisto and the modernization of evil, S. 37 f. Schöne hat zeitgenössische Urteile zu Goethes „Faust“ vorgestellt, welche schon angesichts der „bereinigten“ Fassung die – zumindest öffentlich betonte – Empfindlichkeit des damaligen Publikums zeigen, vgl. Schöne: Götterzeichen, S. 211 f. Reinhardt: Die kleine und die große Welt, S. 311. Goethes von Eckermann überlieferte Bemerkungen zu seinem zu Lebzeiten unveröffentlichten Gedicht „Das Tagebuch“ etwa schildern diese Zurückhaltung, vgl. Goethe: Das Tagebuch. Münchner Ausgabe, Bd. 9, S. 37–43 und die Anmerkungen im Kommentar S. 1093 f. Auf diese Aussagen Goethes verweist zum Beispiel Borchmeyer: Die geheimgehaltenen Dichtungen, S. 101 f. Das Gedicht „Das Tagebuch“ beschreibt die plötzliche Impotenz eines der Untreue versuchten Reisenden. Nebenbei bemerkt: Auch dieses Gedicht verweist auf die Bekanntheit dämonologischer Imaginationen in Goethes Zeit. Es erwähnt eine mit dem Thema Sexualität verbundene alte Vorstellung von Schadenzauber, das „Nestelknüpfen“, das dem Aberglauben nach Impotenz verursachen soll und typischerweise auch der Hexerei Verdächtigten vorgeworfen wurde. Vgl. zum Aberglauben bezüglich Impotenz die Ausführungen im „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ von Aly: Art. Nestelknüpfen, Sp. 1014–1016. Vgl. zum Beispiel Weisinger: The classical facade, S. 91. Vgl. auch Breuer: Die Szene „Walpurgisnacht“, besonders S. 61–64. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 394. Heinrich Rickert führt hinsichtlich des Satans in den Paralipomena und des Mephistopheles zu Recht aus: „Offenbar haben wir es mit zwei verschiedenen Personen zu tun. Der Satan, der hier residiert, ist nicht Mephistopheles. Aber darauf, was er dann ist, kommt es nicht an. Das Geisterreich bedarf keiner konsequenten Ausgestaltung. Es genügt, wenn wir wissen: Mephistopheles ist ein Teufel aus der Hölle. Ob er nur einen Teufel neben anderen darstellt, und welche Stellung ihm in der infernalischen Hierarchie zukommt, bleibt gleichgültig.“ Rickert: Goethes Faust, S. 265. So argumentiert zum Beispiel Binder: Faustische Welt, S. 352 f.
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8.4.4 Der Walpurgisnachtstraum als irritierend schwacher Abschluss der Walpurgisnacht Seit dem Erscheinen von F[aust] I ist diese Szene den Lesern ein Stein des Anstoßes gewesen und ist ihre Einfügung in das Drama und an dieser Stelle mehr oder minder scharf verurteilt worden.487
Immer wieder bedauern Faustinterpreten, dass Goethe die ursprünglichen Entwürfe der Walpurgisnacht nicht in die Druckfassung übernommen hat.488 Spürbar fehlt ihnen die Satansmesse und geradezu ärgerlich erscheint vielen der Abschluss des „Hexensabbats“ mit dem unerheblichen Walpurgisnachtstraum, die wohl deutlichste Verschmelzung von Zeitebenen in der Tragödie. Diese Unzufriedenheit in der Rezeption spricht für die Wichtigkeit der Hexenthematik im Drama. Für Richard Friedenthal war die Satanshuldigung „der konsequente Gipfel des Hexenreigens, mit Bocksgesang und Bocksgestank.“489 Oft verweisen Kritiker auf die Lücke, die durch den Verzicht auf die Entwürfe entstanden ist. Schon Georg Witkowski betont, „wie sehr Goethe der Dichtung im ganzen wie der ‚Walpurgisnacht‘ im besondern geschadet hat, als er sich durch Unlust oder moralische Bedenklichkeit bestimmen ließ, seine Conception zu verstümmeln.“490 In Bühnenfassungen des Werkes griff man schon früh auf manche hexenthematisch bedeutsamen Verse der Paralipomena zurück,491 bis heute werden sie oft in Inszenierungen eingefügt.492 Albrecht Schöne hat eine derartige Bühnenfassung vorgeschlagen, welche die Paralipomena mit der Druckfassung der Szenen Walpurgisnacht und Nacht, offen Feld verschmilzt.493 Er bemerkt zu den Entwürfen Goethes: Der Ausschluß dieser Texte aus der endgültigen Fassung des Stückes hat nicht nur Verse von gewaltiger sprachlicher Kraft, gedanklicher Kühnheit und dramatischer Energie für das
Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 412. Vgl. zum Beispiel schon Morris: Goethe-Studien, S. 83; Trendelenburg: Goethes Faust, Bd. 1, S. 122; mehrfach Witkowski: Leidener Ausgabe, Bd. 2, S. 267–277 sowie Witkowski: Walpurgisnacht, S. 64; Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 368. Friedenthal: Goethe. Sein Leben, S. 690. Witkowski: Walpurgisnacht, S. 64. Etwa berichtet Anne Bohnenkamp über die erste Aufführung beider Teile des „Faust“ 1876 in Weimar nach der Bearbeitung von Otto Devrient. Dieser hatte den Chor, der die Menschenverbrennung feiert (vgl. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 558), in den Text der Aufführung einbezogen. Bohnenkamp: Paralipomena, S. 54. Vgl. etwa Bohnenkamp: Paralipomena, S. 54 und S. 56. Schöne: Götterzeichen, S. 217–230. Die Fassung wurde auch auf Bühnen realisiert, vgl. hierzu etwa Bohnenkamp: Paralipomena, S. 56, Anm. 91.
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Faust-Drama verloren gegeben. Aus dem Sinnzusammenhang des Ganzen ist damit das Kernstück der „Walpurgisnacht“ herausgebrochen worden.494
Viele Interpreten tadeln nun den Walpurgisnachtstraum, oft wird er als überflüssiges Anhängsel beschrieben.495 Einen Teil der Verse hatte Goethe ursprünglich als satirischen Beitrag für Schillers „Musenalmanach“ gedacht. Und sie missfielen schon manchen Zeitgenossen Goethes: Nur das Intermezzo gegen den Schluß des Ganzen scheint mir, aller hübschen Einfälle ungeachtet, Goethes oder wenigstens dieses Platzes unwert; zu geschweigen, daß man die meisten Beziehungen desselben nach wenigen Jahren nicht einmal mehr verstehen wird. Auch zerreißt es die tragischen Szenen viel zu sehr und, bei seiner Länge, sogar widrig.496
Albert Bielschowsky bemerkt dieser Prophezeiung entsprechend schon 1916: „Es sind literarische und politische Satiren auf Zeitgenossen und Zeiterscheinungen, die mit Faust absolut nichts zu tun haben und um ihrer Zeittendenz willen durchaus vergänglicher Natur sind; um sie zu verstehen, brauchen wir heute bereits einen Kommentar.“497 Goethes Transformation des Hexengeschehens ist nun wiederum von Vorwissen abhängig, um entschlüsselt zu werden. Hans Arens nennt den Walpurgisnachtstraum einen „trockenen Spruchbeutel“498 und ist der Ansicht: „Daß dieser Text weder treffend satirisch noch wirklich geistreich, witzig oder humorvoll ist, braucht man nicht zu beweisen, man braucht ihn nur mit dem Niveau der andern Teile des F[aust] zu vergleichen, um es zu wissen.“499 Emil Staiger vermutet, Goethe habe „die Geduld verloren und mit groben Stichen einige Reste und Fetzen zusammengenäht. Man gebe das unumwunden zu und suche die mißliche Sache nicht durch vage, jeder Stütze im Text entbehrende Konstruktionen zu retten.“500 Staiger nennt die durch das Intermezzo entstehenden Übergänge im Drama: „Quälend und selbst für die liebevollste Bemühung um sachgerechte Deutung unzugänglich und unbegreiflich [...]“.501 Heinrich Detering schlägt unverdrossen vor, die Verse gerade aufgrund des Läppischen als
Schöne: Faust, Paralip. 50, S. 189. Es gibt auch entsprechend vehemente Verteidigungsversuche, zum Beispiel Requadt: Goethes „Faust I“, besonders S. 307; Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 3, S. 187 f., Anm. 11. Brief von Johann Friedrich Rochlitz, Schriftsteller und weimarischer Rat an Karl August Böttiger, Redakteur, vom 22. Juni 1808. Bode: Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen, Bd. 2, S. 162. Bielschowsky: Goethe, Bd. 2, S. 619. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 418. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 418 f. Staiger: Goethe, Bd. 2, S. 362. Staiger: Goethe, Bd. 2, S. 362.
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eine absichtliche ästhetische Provokation zu begreifen, da die obszöne Walpurgisnacht durch diese „Selbstparodie“502 konterkariert werde. Viele Kritiker vermissen beim Walpurgisnachtstraum vor allem einen Bezug zur Haupthandlung.503 Erich Trunz etwa vermutet: „Bei Goethe selbst war anscheinend mehr der Wunsch, das kleine Werk irgendwo unterzubringen, maßgebend als das Gefühl der inneren Zugehörigkeit zu Faust.“504 Schon Julius Frankenberger hat die verbreitete Unzufriedenheit zusammengefasst: Wer heute eine Rettung der Walpurgis-Szenen im Ersten Teile von Goethes Faust unternimmt, setzt sich dem Lächeln der Kenner aus. Die Walpurgisnacht gilt als Trümmer eines imposanten Planes, der Walpurgisnachtstraum als gewaltsamer und grilliger Einschub einer satirischen Nichtigkeit an einer Stelle, die eine Unterbrechung der Handlungsspannung am wenigsten vertrage.505
Vielfach wird der Walpurgisnachtstraum also als nachhaltig irritierend, sogar als Störung der Haupthandlung empfunden. Sein Einschub erzeugt in der Tat manche Widersprüche. Schöne verweist auf das unglaubhafte Verhalten der Figur Faust, der sich von Mephistopheles rasch ablenken lässt, als er bereits die Hinrichtung Gretchens vorausgesehen hat: Nicht als den Ablenkbaren, Verführbaren, Gewissenlosen (als der er nicht nur hier erschiene) zeigt dies Zwischenspiel den Faust, sondern Verhaltensweisen unterstellt es ihm, deren Unvereinbarkeit die personale Glaubwürdigkeit der Zentralfigur aufhebt. Einen Sprung gibt es zu erkennen im Gefüge des dramatischen Kunstwerks, den man wohl leicht überlesen kann und gewiß überspielen, nicht aber argumentativ beseitigen kann.506
Die scharfe Kritik der Szene Walpurgisnachtstraum fällt bei einem sonst als sakrosankt verehrten Werk aus dem Rahmen. Sie spricht für die subkutan empfundene und argumentativ verteidigte Bedeutung der Hexenthematik im Drama. Wohl deshalb hat viele geschmerzt, dass Goethe seine prägnantesten Bilder im „Walpurgissack“ verbarg. Nicht nur hätte eine Satanshuldigung in der Walpurgisnacht,
„Aber was könnte in größerem, grellerem Gegensatz zum Vorausgegangenen stehen als eben das Läppische, der matte Scherz?“ Detering: Zur Dialektik des Grotesken, S. 209. Durrani vermutet in Goethes Darstellung von Halbherzigkeit, Mittelmäßigkeit und Dilettantismus auf dem Brocken „the true evil in life“. Durrani: The Character and Qualities of Mephistopheles, S. 85. Etwa formuliert dies vehement Rickert: Goethes Faust, S. 263 f. Hamburger Ausgabe, Bd. 3, S. 573. Die Hamburger Ausgabe gibt auch zum Beispiel in der Auflage von 1986 die eliminierten Verse der Walpurgisnacht nicht wieder, obwohl sie im Kommentar behandelt werden und ihre herausragende Bedeutung innerhalb der Paralipomena augenfällig erscheint. Vgl. ebd., S. 567 f. Frankenberger: Walpurgis, S. 5. Schöne: Faust, Paralip. 50, S. 181.
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ihren frühneuzeitlichen imaginativen Vorbildern entsprechend, zur Hexenszene selbst und zur Teufelsbündnerei des Faust gehört. Mit den gestrichenen Versen ging dramatische Stringenz verloren. Auch Goethes Notizen aus Hexenprozessen und die Hinrichtungsszene, die einen Hexenprozess gegen Gretchen assoziiert, hätten manchen anderen Szenen des „Faust“ einen Sinn gegeben, den die Druckfassung verunklart. Die Analyse der Fiktionsebene der Phantasiewelten in den Szenen Hexenküche und Walpurgisnacht hat gezeigt, dass diese Szenen innerhalb der FaustForschung verständlicherweise als Mittelpunkt der Hexenthematik verhandelt wurden. Die vielen dämonologischen Motive, die schon seit der Romantik als schauerlich-reizvolles Material betrachtet werden, mögen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass, wie schon anhand einiger Szenen gezeigt wurde, auch auf der Fiktionsebene der Menschenwelt Hexenangst und Hexenverfolgung sehr präsent sind. Eine besondere Verbindung zwischen Phantasie- und Menschenwelt stellt Goethes Szene Nacht, offen Feld dar, die im Folgenden betrachtet wird.
8.4.5 Hexen- und Menschenwelt: die Hinrichtungsstätte Rabenstein Aus welcher Zeit datiert die Hexe? Ich sage es ohne Zögern: „Aus der Zeit der Verzweiflung“.507
Die sehr kurze Szene Nacht, offen Feld, in der Faust und Mephistopheles nach der Walpurgisnacht an einer Hinrichtungsstätte vorbeireiten, kann als Übergang zurück in die Menschenwelt gesehen werden.508 Auf dieser Rückkehr in die Welt Gretchens sehen die beiden allerdings noch Eine Hexenzunft (4402) und Faust fragt: Was weben die dort um den Rabenstein? (4399) Die dämonologische Bedeutung dieser Szene wurde in auffallend vielen bildlichen Darstellungen verdeutlicht und ausgeschmückt. Diese visuellen Interpretationen lassen die Verbreitung des dämonologischen Wissens bei Goethes Zeitgenossen erkennen. Auf eine Hinrichtungsstätte verweist Goethe durch das Wort Rabenstein, es bezeichnet ein gemauertes Podest, das Hinrichtungen weithin sichtbar machte: „Diese erhöhten Schauplattformen wurden für ein weites Spektrum der Körperund Todesstrafen genutzt; von der Enthauptung über die Räderung bis hin zu den diversen verstümmelnden Strafen. Selbst Verbrennungen wurden auf Raben-
Michelet: Die Hexe, S. 23. Manchmal wird sie auch zur Szene Walpurgisnacht hinzugedacht, etwa in Schönes anregendem Vorschlag für eine Bühnenfassung. Und auch bildliche Darstellungen verschmelzen bisweilen Elemente der beiden Szenen.
8.4 Die Ebene der Phantasiewelten
339
steinen durchgeführt.“509 Verschiedene Strafen bei einer Richtstätte zeigt beispielhaft eine Illustration aus der Luzerner Bilderchronik von Diebold Schilling (Abb. 27):
Abb. 27: Richtstätte zu Luzern 1495. Aus der Luzerner Chronik von Diebold Schilling.510
Hinrichtungsstätten waren im Mittelalter und in der frühen Neuzeit ein verbreitetes Bildmotiv – und sie wurden imaginiert als mit hexischem Treiben eng verbunden. Der Archäologe Thies Evers hat Bildquellen zu Richtstätten unter besonderer Berücksichtigung topografischer Fragen untersucht. „Für die Epoche der Frühen Neuzeit liegt umfangreiches Bildquellenmaterial vor, da Motive von spektakulären
Evers: Richtstätten, S. 454. Separatdruck zur Luzerner Chronik, Ciba-Geigy 1 / 1973. https://commons.wikimedia.org/ wiki/File:Richtplatz_Luzern.jpg [Stand: Juni 2023]. Vgl. zum Beispiel die 1932 gedruckte Ausgabe Diebold Schilling: Luzerner Bilderchronik, S. 221.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Hinrichtungen ein beliebtes Thema von Flugschriften waren, die über Druckereien vervielfältigt wurden und entsprechend eine weite Verbreitung erfuhren.“511 Die Darstellung von Richtstätten hatte eine wichtige symbolische Funktion: sie zeigten das Herrenrecht der Blutgerichtsbarkeit an und demonstrierten somit Territorialansprüche.512 Die gute Sichtbarkeit war ein Kriterium für die Standortwahl einer Richtstätte; meist lagen sie außerhalb von Siedlungen an wichtigen Verkehrswegen.513 Diese frühneuzeitlichen Verhältnisse werden in vielen bildlichen Darstellungen zu Faust exakt wiedergegeben. Die realen Hinrichtungsstätten wurden mit dämonologischen Imaginationen eng verknüpft. Man vermutete, die Leichen Hingerichteter würden Hexen anziehen, was auch in Goethes „Faust“ geschildert wird. In manchen frühneuzeitlichen Hexendarstellungen sind Hinrichtungsstätten deshalb prägnant platziert, zum Beispiel in Michael Herrs Entwurfsskizze „Zauberkreis mit allerlei phantastischen Figuren“ (vor 1626, wahrscheinlich 1621)514 oder in seiner Ideenskizze (Abb. 28), die ein Vorläufer zu den schon vorgestellten Flugblatt-Exemplaren von Matthäus Merian d. Ä. ist: „Zauberey“ beziehungsweise „Eigentlicher Entwurf und Abbildung deß Gottlosen und verfluchten Zauber Festes“.515 Dieses gilt, wie schon unter Punkt 7.2 beschrieben, als eine Vorlage Goethes, insbesondere für die Szene Walpurgisnacht. Vor der Hochgerichtsstätte ist in Herrs Ideenskizze im Vordergrund ein großer Kessel zentral gezeichnet, vor dem Knochen und Schädel liegen. Im Dampf des Kessels erscheinen Kröten, die im späteren Flugblatt noch klarer ausgeführt sind. Sie deuten den Schadenzauber an, der mit den verkochten Leichenteilen angerichtet wird. Auch Goethe lässt in der Szene Nacht, offen Feld Mephistopheles bemerken, dass Hexen kochen und schaffen (4400). Nach verbreiteter Vorstellung konnten sie aus den Körperteilen Hingerichteter und aus Materialien, die mit Hinrichtungen zu tun hatten, besondere Zauberkräfte ziehen. Diese entfalteten ihre angebliche Wirkung
Evers: Richtstätten, S. 444. Evers führt zur symbolischen Bedeutung der Hinrichtungsstätten aus: „Als beeindruckende Zeichen der Blutgerichtsbarkeit kamen vor allem die hoch aufragenden Galgen und weiterhin die baulich ebenfalls signifikanten Rabensteine in Betracht.“ Evers: Richtstätten, S. 448. Evers: Richtstätten, S. 458. Auch „Rabenberg“ wurden manche Richtstätten genannt. Der französische Dichter François Villon wurde wahrscheinlich unter anderem François de Montcorbier („Rabenberg“) genannt, nach seiner Herkunft nahe einem Hinrichtungsberg von Paris, wo sein Vater möglicherweise Henker war. Pater Guillaume de Villon war der geistliche Erzieher, der François den Besuch der Universität ermöglichte. Für diesen Hinweis danke ich Franz Irsigler. Vgl. Zech: François Villon, S. 118 und S. 124 f. Vgl. Abb. zum Beispiel bei Gatenbröcker: Michael Herr, Anhang Z. 47, zur Datierung ebd., S. 342. Siehe Abb. 4 unter Punkt 7.2 meiner Arbeit. Vgl. Gatenbröcker: Michael Herr, S. 606–609.
8.4 Die Ebene der Phantasiewelten
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Abb. 28: Michael Herr: Ideenskizze zum Flugblatt „Zaubereÿ“. (Sacramento, E.B. Crocker Art Gallery)516
etwa in Hexensalben oder -tränken.517 Derartiger Aberglaube manifestierte sich in vielen Facetten. Die Bezeichnung Rabenstein meint über die Bedeutung ‚Hinrichtungsstätte‘ hinaus auch angeblich zauberkräftige Steine, die unsichtbar machen sollen. Nach regionalen Vorstellungen erwachsen sie aus den Augen gehängter Diebe.518 Auch Goethe verarbeitet leichenbezogene Phantasien nach Hinrichtun-
Vgl. Abb. 4 meiner Arbeit. Abbildung hier in Riether: Michael Herr, Matthäus Merian und Rudolf Meyer, S. 39. Vgl. zu dieser Vorstellung Nowosadtko: Scharfrichter, S. 168–171 und 178–194. Stuart Atkins vermutet in den von Faust wahrgenommenen Gestalten „Engel“, was sehr unwahrscheinlich ist. Atkins: Neue Überlegungen, S. 516. Olbrich: Art. Rabenstein, Sp. 458. Auch zum Beispiel die vermeintlichen Zauberpflanzen „Alraunen“ sollten nach abergläubischer Vorstellung unter Galgen ausgegraben werden, um nach bestimmten Ritualen mit ihnen als „Galgen-Männlin“ Geld zu vermehren. Dies war eine Vorstellung, die etwa auch Grimmelshausen beschrieben hat. Vgl. hierzu Kühlmann: Alltagsmagie zwischen Verlockung und Verbot, S. 89.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
gen, wenn Mephistopheles im zweiten Teil des Dramas Liebeszauber (6348–6354) mittels Kohle vom Scheiterhaufen empfiehlt.519 Viele bildende Künstler haben die Hinrichtungsstätte der Szene Nacht, offen Feld sehr detailreich ausgeführt, sie nähren derartige Hexenphantasien. Johann Heinrich Ramberg zeichnete Faust, sich umwendend zu Hexen, die einen Galgen links im Hintergrund umfliegen (Abb. 29). Es ist der in der frühen Neuzeit verbreitete Typ eines dreischläfrigen, das heißt auf drei Stützen stehenden Galgens. Eine der Hexen reißt gerade das Bein eines Gehängten ab. Eugène Delacroix zeigt in seiner berühmten Lithographie aus dem Jahr 1828 Faust und Mephistopheles auf nächtlichem Ritt vorbei an einem prägnanten einschläfrigen Galgen rechts im Hintergrund (Abb. 30). Diese Illustration des Künstlers hat Goethe besonders gelobt.520 Man erkennt rechts im Hintergrund den schwarzen Umriss eines Gehängten, schattenhafte Gestalten umkreisen ihn. Am linken unteren Bildrand sieht man den Oberkörper einer Frau, die, auf ihre Ellbogen gestützt, zu Faust und Mephistopheles emporblickt. Sie kann durch ihr Kopftuch, ihre grob hervortretenden Gesichtszüge und hängenden Brüste ikonographisch als alte Frau mit hexenhaften Kennzeichen gedeutet werden. Auf einer Zeichnung zu der Szene Nacht, offen Feld von Gustav Schlick (Abb. 31) wird die obere Bildhälfte von einem dreischläfrigen Galgen beherrscht. An ihm hängt ein Leichnam, rechts daneben ragt ein Rad auf. Typisch für die Darstellung von Richtstätten ist die Kombination der verschiedenen Hinrichtungsinstrumente und das hohe, gemauerte Fundament des Galgens, das wieder auf die demonstrative Funktion der Richtstätten verweist. Ein Kreis von Hexen umtanzt die Stätte, sich an den Händen haltend und mit wehenden Haaren. Links neben dem Galgen hält eine Hexe einen Säugling im Arm. Sie will ihn in einen Topf werfen; darunter lodert bereits ein Feuer. Die Vorstellung der zauberisch wirksamen Körper von Hingerichteten wird hier mit der von Kinderleichen verbunden, denen Dämonologen ebenfalls magische Kräfte zuschrieben. Dieser Aberglaube wurde, wie unter Punkt 8.3.3 beschrieben, zum fatalen Argument, wenn man Kindsmordprozesse mit Hexenprozessen verknüpfte. In einer Zeichnung von Moritz Retzsch (Abb. 32), dessen Arbeiten Goethe schätzte, ist zu erkennen, wie Hexen und Geister die Hinrichtungsstätte umkreisen und einander Knochen zurollen. Auch hier scheinen die Skelette am Galgen und auf dem Rad lebendig zu werden, sie fliegen mit den Hexen um den Rabenstein.
Vgl. hierzu Punkt 8.6.1. Gespräch mit Eckermann am 29. November 1826. Münchner Ausgabe, Bd. 19, S. 165–168, hier S.166 f. Vgl. Schuchardt: Goethe’s Kunstsammlungen, Bd. 1, S. 200. Stuart Atkins vermutet im Lob von Delacroix einen „ironischen Ton“ Goethes. Atkins: Neue Überlegungen, S. 516.
8.4 Die Ebene der Phantasiewelten
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Abb. 29: Zeichnung von Johann Heinrich Ramberg, 1826.521
Angesichts der Tatsache, dass Retzsch in der Sekundärliteratur entschieden bezeichnet wird als „Illustrator, der das Primat des Wortes nicht antastet“,522 ist die Hexenphantasie hier auffallend ausgeschmückt.
Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum (CC BY-NC-SA). https://hessen. museum-digital.de/object/2465 [Stand: Juni 2023]. Krüger: Bilder zu Goethes „Faust“, S. 45.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Abb. 30: Lithographie von Eugène Delacroix zur Szene Nacht, offen Feld, veröffentlicht 1828. (Foto A.U.)
Das furchterregende Detail des Rades dominiert in einer Zeichnung von Peter Cornelius um 1810/11 (Abb. 33), veröffentlicht als Kupferstich im Jahr 1816,523 von dem Schlick wahrscheinlich beeinflusst wurde. Dort wird, wie es in Bildern von Hinrichtungsstätten häufig vorkommt, ein halbskelettierter Leichnam unter seinem mittig aufgespießten Kopf ausgestellt. Teufelsähnliche Gestalten in kirchlichen Gewändern steigen rechts im Hintergrund auf eine gemauerte Plattform. Faust wendet sich im Reiten zurück und zeigt auf eine junge Frau unter ihnen, wahrscheinlich Gretchen assoziierend, die sich von den Teufeln abhebt und ein Kreuz in den Händen hält. Sie scheint zur Hinrichtung geführt zu werden. Die Erscheinung Gretchens in der Walpurgisnacht wird hier deutlich mit dem Rabenstein verbunden. Die Verwobenheit von dämonologischen Imaginationen mit der realen Welt, hier Hinrichtungsstätten, ist, wie es auch in Goethes „Faust“ angeregt wird, in all Vgl. zur Datierung Büttner: Peter Cornelius, S. 26 f.
8.4 Die Ebene der Phantasiewelten
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Abb. 31: Zeichnung von Gustav Schlick: Nacht, offen Feld, Mitte des 19. Jh.524
diesen Bildern prägnant. Dies gibt Hinweise zu der Frage, wie die in Kunst und Literatur dargestellten alternativen Wirklichkeiten mit dem Gedächtnis an reale Gegebenheiten verschmelzen.
Bild in Hans Henning: Illustrationen, S. 353.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Abb. 32: Moritz Retzsch: Umrisse zu Goethe’s Faust, Tafel 24; veröffentlicht Stuttgart und Tübingen 1816.525
8.5 Die Ebene der Welt Gretchens Drey Stände: Heilige Ritter Hexenmeister.526
Die historische Faustgestalt lebte im 16. Jahrhundert und Goethe siedelt große Teile seines Dramas in dieser Zeit an. Georg Lukács hat die Szenen als besonders authentisch empfunden: „Im ersten Teil haben wir – trotz der Rolle des
Universitätsbibliothek Heidelberg / Heidelberger historische Bestände – digital. https://doi. org/10.11588/diglit.7591#0040 [Stand: Juni 2023]. Schemastichworte aus den Paralipomena zu Faust II, Erster Akt. Vgl. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 598.
8.5 Die Ebene der Welt Gretchens
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Abb. 33: Peter Cornelius: Kupferstich zur Szene Nacht, offen Feld.527
Mephistopheles – eine ganz geschlossene, historisch echte Welt der Wirklichkeit vor uns [...].“528 Lukács behauptet sogar, der „naive Historismus“ des ersten Teils schlage im zweiten Teil um in einen „reflektierten Historismus, die unmittelbare Geschichte in eine erlebte Geschichtsphilosophie“.529 Aus kulturwissenschaftlicher Rückschau wird das 16. Jahrhundert nicht selten auf bestimmte Schlagworte reduziert und verklärt. Albert Bielschowsky beispielsweise ist der Ansicht: „Von zwei mächtigen Tendenzen ist jenes Jahrhundert bewegt und erfüllt gewesen, Renaissance und Reformation waren die beiden
Der hier gezeigte Stich stammt aus dem Jahr 1825. Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum, https://hessen.museum-digital.de/object/2867 [Stand: Juni 2023]. Lukács: Faust und Faustus, S. 150. Lukács: Faust und Faustus, S. 151.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
großen Mächte der Zeit.“530 Etwas weiter deutet Lukács die Zeit in seiner marxistisch geprägten Analyse: Große vollendete Werke entstehen, keineswegs zufällig, aus den beiden Ausnahmen, die nicht allgemein-europäisch, sondern spezifisch deutsch sind: aus „Götz“ und „Faust“. [...] Goethe greift in den beiden großen Jugendentwürfen, die er wirklich ausgeführt hat, vielmehr auf die ersten (und letzten) großen Kämpfe zurück, in denen sich Deutschland aus dem Mittelalter herauszulösen trachtet: auf Reformation, deutsche Renaissance, auf den Kampf zwischen Kleinfürstentum und Adel, auf den Bauernkrieg.531
Ihr Alltagsleben sahen die meisten Menschen dieses Jahrhunderts allerdings wohl auch durch andere Mächte bestimmt. Allgegenwärtig war etwa in der Zeit der Hexenverfolgung der Glaube an magische Kräfte. Er durchdringt auch alle Ebenen von Goethes „Faust“. Besonders in der Welt Gretchens sind Magie- und Hexenvorstellungen ganz selbstverständlich präsent. Goethe zeigt diese Mädchenfigur und deren Umwelt von Ängsten und Aberglauben geprägt; er präsentiert frühneuzeitliches Alltagsleben in Familie, Nachbarschaft, Wirtshaus und auf öffentlichen Plätzen. Die Historikerin Lyndal Roper plädiert dafür, sich in die abergläubischen Dimensionen der frühneuzeitlichen Vorstellungswelt hineinzuversetzen: Wir müssen uns in die alptraumhafte Welt derer begeben, die an Hexerei glaubten, und derer, die plötzlich der Hexerei angeklagt wurden. Wenn wir herausfinden wollen, warum diese besondere Vorstellungswelt in ihrer Zeit so wirkungsvoll und überzeugend sein konnte, müssen wir zumindest vorübergehend die beruhigende Rationalität einer Gesellschaft beiseitelassen, die für sich beansprucht, nicht mehr an Hexen zu glauben, und uns auf die verwirrende Welt der Erzählungen von Hexen einlassen.532
Gerade wenig schreibkundige und schreibunkundige Schichten sind, wie schon angesprochen, in historischen Quellen gewöhnlich unterrepräsentiert. Hexenprozessakten erlauben jedoch verhältnismäßig viele Einblicke auch in Mentalitäten dieser Schichten. Der Historiker Carlo Ginzburg hat das Problem beschrieben.
Bielschowsky: Goethe, Bd. 2, S. 592. Auch Erich Schmidt betont zum Beispiel bestimmte Schlagworte: „Für die Faustsage und Faustdichtung ergeben sich der historischen Prüfung drei grosse Momente: Ansätze in den Simon-Magusmären des Urchristenthums, neue schöpferische Ausbildung mit Übertragung auf eine geschichtliche Figur in den Tagen des Humanismus und der Reformation, höchste poetische Verklärung durch Goethe im Zeitalter der Humanität.“ Schmidt, E.: Faust und das sechzehnte Jahrhundert, S. 77. Schmidt kommt in dieser Abhandlung aber mehrfach noch wenigstens kurz auf Hexenglauben, Dämonologie und Hexenprozesse zu sprechen. Harold Jantz hat Goethes Faust ausführlich im Kontext verschiedener Geistesströmungen der Renaissance untersucht. Vgl. Jantz: Goethe’s Faust. Lukács: Faust und Faustus, S. 131. Roper: Hexenwahn, S. 24.
8.5 Die Ebene der Welt Gretchens
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Noch heute ist die Kultur der Unterschichten (und in noch größerem Maß war sie es in den vergangenen Jahrhunderten) größtenteils eine mündliche Kultur. [...] Die Gedanken, die Glaubensformen und die Hoffnungen der Bauern und Handwerker der Vergangenheit erreichen uns also fast immer durch Filter und verzerrende Mittelsleute (wenn sie uns überhaupt erreichen).533
Die Glaubwürdigkeit der Dramenfiguren gerade in den dörflichen Szenen ist ein Hinweis auf Goethes oft beschriebenes Geschichtsbewusstsein. Er zeigt in der Alltagswelt Gretchens, die ihr zum Verhängnis wird, den durchgängig vorhandenen Magieglauben. Dieser ist, wie es der frühneuzeitlichen Realität entsprach, eng verbunden mit der Hexenverfolgung. Schon in der Szene Vor dem Tor wird eine Alte als Hexe beschimpft. Elmar Buck hat die Darstellung von derartiger Randständigkeit im Theater der Goethezeit als selten und als typisch für Nebenparte beschrieben: Das Theater der Aufklärung bot wenig Platz für existentielle Außenseiter oder Grenzgänger jeglicher Art. [...] Selbst die Faust-Dramen des ausgehenden 18. Jahrhunderts sind kein Gegenbeweis. [...] Das Publikum der Aufklärung – ganz in der Auseinandersetzung zwischen Feudalsystem und Bürgertum gefangen – wollte im allgemeinen nicht Magier oder Teufel auf der Bühne sehen, sondern Bürger.534
In manchen bildlichen Darstellungen zu Goethes „Faust“ wird die Alte mit „hexischen“ Attributen versehen: Ein Schattenbild von Paul Konewka (Abb. 34), veröffentlicht im Jahr 1865, zeigt zum Beispiel eine gebeugte alte Frau mit Kopftuch, spitzem Kinn und langer Nase, sie greift mit gekrümmten Fingern nach den Bürgermädchen. Diese betrachten sie zwar neugierig, sehen sich dabei aber ängstlich um. In Goethes Szene bietet die Alte magische Dienstleistungen an und nähert sich den Bürgermädchen mit den Worten: Und was ihr wünscht das wüßt’ ich wohl zu schaffen. (875) Die Mädchen fürchten sich, ihr Interesse öffentlich zu zeigen. Agathe fort! ich nehme mich in Acht Mit solchen Hexen öffentlich zu gehen; Sie ließ mich zwar, in Sankt Andreas Nacht, Den künft’gen Liebsten leiblich sehen. DIE ANDRE Mir zeigte sie ihn im Kristall [...] (876–880)
Ginzburg: Die Welt eines Müllers um 1600, S. 8 f. Buck, E.: Außenseiter auf der Bühne, S. 25 f.
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Abb. 34: Auszug aus einem Bilderbogen von Paul Konewka zum Osterspaziergang, 1865.535
Magische Praktiken gehörten in der frühen Neuzeit zum alltäglichen Leben.536 Sie waren fester Bestandteil des Denkens und Handelns und mischten sich oft mit christlichen Ritualen. Allerdings wurden sie, wie schon beschrieben, oft in der Nähe „schwarzer Magie“ angesiedelt und waren zum Teil verboten, in Zeiten der Hexenverfolgung konnten sie gefährlich werden. „Wahrsagerei“ und die „magische“ Benutzung von Kristallen,537 die Goethes Figur der alten Frau anbietet, werden etwa bei Benedict Carpzov beschrieben: als mit dem Tode zu Bild hier: 12 Blätter zu Goethe’s Faust nach Silhouetten von Paul Konewka. Neue Ausgabe, zweite Auflage mit der Sonderbeilage „Osterspaziergang“. Stuttgart, Anfang des 20. Jahrhunderts (Foto A. U.). Vgl. hierzu etwa Irsigler / Lasotta: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker, besonders S. 145–166; Chmielewski-Hagius: Wider alle Hexerei, S. 171 und Labouvie: Zauberei und Hexenwerk, S. 219–249. Vgl. zu „wahrsagenden“ historischen Randgruppen den Abschnitt: „Mit Kristall und Sieb: der Blick in die Zukunft.“ bei Irsigler / Lasotta: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. S. 158. KlausMichael Bogdal hat Zuschreibungen magischer Fähigkeiten mit Blick auf „Zigeuner“ beschrieben. Sie wurden als literarische Figuren oft durch Hexenimaginationen geprägt. Bogdal: Europa erfindet die Zigeuner, besonders S. 68–86.
8.5 Die Ebene der Welt Gretchens
351
strafende Delikte. 538 Die entsprechende Passage bei Carpzov befindet sich genau in dem Kapitel, aus dem auch Goethes Exzerpte aus realen Hexenprozessen in den Faust-Paralipomena stammen. In bildlichen Darstellungen zu Goethes „Faust“ wird diese Angst sehr deutlich. Misstrauische und ängstliche Blicke zeichnete Johann Heinrich Ramberg zur Szene Vor dem Tor (Abb. 35). Hier verdrehen viele Leute ihre Köpfe nach der in Goethes Szene so bezeichneten Alten. Auch wenn bei Ramberg oft eine Überzeichnung mit satirischen Anklängen ins Spiel kommt: Hier wird doch die Angst der Bürgermädchen, sich mit solchen Hexen (876 f.) sehen zu lassen, in ihrer Körpersprache offensichtlich. Der Volksaberglaube verband Weissagungen mit dem Apostel Andreas – ein Beispiel für die Verwobenheit christlicher und magiebezogener Vorstellungen. Mit der Andreasnacht zum 30. November verknüpfte man unter anderem die Imagination, zukünftige Geliebte erblicken können,539 so wie es das Bürgermädchen im „Faust“ berichtet. In Goethes Entwürfen wird Gretchen in die magischen Imaginationen zur Andreasnacht einbezogen. Es findet sich der knapp notierte Plan einer Doppel = Scene, die in der Andreas Nacht im Mondschein spielen sollte. Faust wird unter der Beschreibung Feld u. Wiesen genannt sowie Gretchen unter Vorstadt oeder Platz.540 Diese Szene wird in der Faust-Forschung manchmal so gedeutet, dass die beiden Figuren sich als Geliebte voraussehen sollten.541 Agnes Bartscherer hat die Figur der „Alten“ mit Goethes Lektüre „Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie“ von Gottfried Arnold in Verbindung gebracht. Hier findet sich in Bartscherers Untersuchung und auch im von ihr zitierten Werk Arnolds einer der wenigen Hinweise auf die historische Hexenverfolgung: Und nun die alte Hexe, die den heiratslustigen Mädchen ihre Dienste anbietet! Auch für sie fehlt in der Sittenschilderung Arnolds das Vorbild nicht. Derselbe schreibt [U. K.- u. K.-H., 2. Teil, 190]: „So sind auch so unzehliche exempel der zauberey, aberglaubens und teuffelskünste aus dem vorigen seculo bekannt, die hin und wieder zu lesen stehen, wie auch die häuffigen executiones, so deswegen ergangen.“ Nichts lag näher, als bei diesen Worten an Hexen zu denken und eine alte Hexe als eine charakteristische Figur dem Volksbilde einzufügen. Wenn Goethe ferner in einer von Arnold zitierten Verordnung las [ U. K.u. K.-H., 2. Teil, 190]: „Es werde gantz gemein erfahren zauberey, drachen halten, segen sprechen und diesen abgöttischen künstlern und verführern ohne einige straffe anhangen und zulauffen“, so konnte er das unheimliche Weib auch am hellen Tage furchtlos unter
Carpzov: Practica, S. 330. Sartori: Art. Andreas, Sp. 398–401. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 580. Zum Beispiel Resenhöfft: Goethes Rätseldichtungen, S. 95 f.
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Abb. 35: Johann Heinrich Ramberg: Osterspaziergang, um 1829.542 der Menge auftauchen lassen, wo allerdings die Bürgermädchen doch ängstlich zurückweichen und ihre Bekanntschaft mit der Wahrsagerin gern verleugnen möchten.543
Goethe war der Ansicht, das „häßliche Teufels- und Hexenwesen“ habe „nur in düsteren ängstlichen Zeitläuften aus verworrener Einbildungskraft sich entwickeln und in der Hefe menschlicher Natur seine Nahrung finden“ können.544 Auch in der Geschichtswissenschaft werden oft frühneuzeitliche, beängstigende
Bild: Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. https://nbnresolving.org/urn:nbn:de:gbv:32-1-10016302488 [Stand: Juni 2023]. Bartscherer: Paracelsus, S. 260 f. Goethe: Bemerkung des Übersetzers. Frankfurter Ausgabe, Abt. I, Bd. 12, S. 528–530, hier S. 529.
8.5 Die Ebene der Welt Gretchens
353
Krisen geschildert: extreme Klimaschwankungen führten zu Missernten, Hungersnöten und Seuchen; vielerorts herrschten Neid und soziale Anspannungen. Aus dieser Situation resultierten auch Hexenverfolgungen.545 Franz Irsigler hat an Prozessbeispielen die nervöse Anspannung in krisengeschüttelten Dorfgemeinschaften verdeutlicht. Ein vermuteter Diebstahl einer Zwiebel oder das Eindringen von Enten in den Nachbarsgarten konnten Streit auslösen, der in tödlichen Hexenprozessen endete.546 Auch in den bei Carpzov wiedergegebenen Hexenprozessen wurden nichtige Anlässe geschildert: Hat die Nimansche in scharffer Frage bekandt / daß sie 16. Jahr mit dem bösen Feinde umbgangen / drey Jahr mit ihm gebulet / unnd einer Frawen / die Franckelin genandt / welche ihr ein Schwein schlachten sollen / und nicht bald gekommen / darüber sie zornig worden / gewündschet unnd gefluchet / der Teuffel solte sie reissen und plagen.547
Vor Gericht protokollierte man derartige kleine Ärgernisse offensichtlich als plausible Beweggründe für hexische Untaten. Auch die verbreitete Furcht vor Schadenzauber wird in Prozessakten immer wieder deutlich.548 Aus Not entstehende Angst, Gereiztheit und Missgunst, gerade auch in Nachbarschaften, werden in der Geschichtswissenschaft immer wieder als Faktoren von Hexereibezichtigungen geschildert. „Jeder noch so kleine wirtschaftliche oder soziale Zugewinn wurde mit neidischen Augen registriert, denn laut der Vorstellung von einer begrenzten, nicht zu vergrößernden Menge an Ressourcen musste der Vorteil des einen den Nachteil für den anderen bedeuten.“549 Goethes Gretchenszenen spiegeln vielfach die Bedrohlichkeit von Neid und Missgunst, die gesellschaftlich ausgelebt wurden. Dass sich diese Gefühle in Hexenprozessen Bahn brachen, wurde schon von deren Zeitgenossen beobachtet. Der Kölner Ratsherr Hermann Weinsberg bemerkte in seinen Aufzeichnungen 1589 über Hexenverfolgungen: „Man kann der alter weiber und verhaster leut nit balder quidt werden, dan auf sulche weis und manier.“550 Auch bei Hexereibezichtigungen innerhalb der Oberschicht wurden Neid und Hass vor Gericht als Ursachen benannt, etwa werden in Supplikationen und Verteidigungsschriften „haß neydt unnd unwillen“ der Gegner angeführt.551
Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 10 f. Irsigler: Information oder Fiktion, besonders S. 10 f. Carpzov: Practica, S. 335. Vgl. zu Vorstellungen von Schadenzauber und ihrer Verankerung in der frühneuzeitlichen Lebenswelt auch zum Beispiel Ahrendt-Schulte: Weise Frauen, S. 29–66. Voltmer: Wissen, S. 56 f. Weinsberg: Das Buch Weinsberg, Bd. 4, S. 69. Fuge: Le roi des sorciers, S. 75.
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Dämonologisch genährte Ängste, zum Beispiel durch die gegenreformatorische Predigt552 oder das öffentliche Verlesen der erzwungenen Geständnisse von Hexenprozessopfern, wurden benutzt, um die Bevölkerung in sozial-religiöser Hinsicht zu disziplinieren. Eine rigorose soziale Kontrolle spielte auch in Hexenprozessen eine wichtige Rolle.553 Sie wird für Gretchens Schicksal entscheidend. In der Szene Am Brunnen hat Goethe die Atmosphäre der Beobachtung, Ausgrenzung und Denunziation eingefangen. Die Figur Lieschen lästert über das unverheiratete schwangere Bärbelchen: So ist’s ihr endlich recht ergangen. Wie lange hat sie an dem Kerl gehangen! Das war ein Spazieren, Auf Dorf und Tanzplatz Führen, Mußt’ überall die erste sein, Kurtesiert’ ihr immer mit Pastetchen und Wein; Bild’t sich was auf ihre Schönheit ein, War doch so ehrlos sich nicht zu schämen Geschenke von ihm anzunehmen. War ein Gekos’ und ein Geschleck’; Da ist denn auch das Blümchen weg! (3551–3561)
Lieschens hämische Rede zeigt Neid auf den Buhlen (3565), die Liebschaft und seine Geschenke, die, wie schon beschrieben, in Zeiten der Hexenverfolgung generell argwöhnisch betrachtet wurden. Lyndal Roper hat sich speziell mit den typischen Neidvorwürfen gegen angebliche Hexen auseinandergesetzt: Die tatsächlichen treibenden Kräfte hinter den Anklagen wegen Hexerei kamen gerade von entgegengesetzter Seite. In Wirklichkeit waren die Ankläger und Richter von Zorn und Feindschaft gegen die Hexe geleitet und trachteten ihr nach dem Leben. Sie wussten, dass eine erfolgreiche strafrechtliche Verfolgung die Beschlagnahmung eines Teils oder des gesamten Hab und Guts der Verurteilten einschließlich ihrer Tiere und ihres Landbesitzes bedeutete. In vielen Fällen ist offenkundig, dass die angeblich von Neid erfüllte Frau selbst beneidet wurde. [...] Vorwürfe wegen Hexerei waren ein Spiegelkabinett, in dem Nachbarn ihre eigene Angst und Gier in der Gestalt der Hexe erblickten.554
Als wie bedrohlich Neid empfunden wurde, zeigt die Tatsache, dass viele Versuche von Abwehrzauber gegen Neider belegt sind.555 Auch in literarischen Verarbeitungen der Hexenthematik ist Neid oft ein wichtiges Motiv. Wilhelm Meinhold
Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 14. Vgl. zum Beispiel Walz: Das Hexengerücht im Dorf und bei den Gebildeten. Roper: Hexenwahn, S. 94. Vgl. Chmielewski-Hagius: Wider alle Hexerei, S. 161 und 167.
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etwa stellt in seinem Roman „Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe“ ein Verhör in einem Hexenprozess nach. Er versucht dabei archaisierend den Ton früherer Zeit zu imitieren, wie er etwa in Prozessakten überliefert ist: „Möchte dahero anzeigen, wie sie benebst ihrem Vater plötzlich zu solchem Reichthumb gelanget, daß sie in seidinen Kleidern einherstolzire, da sie vorhero doch ganz arm gewest?“556 Ludwig Tieck beschreibt in seiner Novelle „Der Hexen-Sabbat“ ebenfalls Neid als Motiv für Hexenverfolgungen: „Da geht wohl auch ein Gast des Scheiterhaufens! mußte mancher würdige Mann hinter sich her sagen hören, wenn einen vom Pöbel sein Halsschmuck, oder die seidne, schmucke Kleidung geärgert hatte.“557
8.5.1 Die Nachbarschaft Aber ich bin überzeugt davon, dass im Kern der Sache eine emotionale Dynamik von Neid, Abhängigkeit und Angst gewirkt haben muss [...].558
Goethe macht auch in der Szene Garten deutlich, dass im alltäglichen Leben Angst herrscht. Gretchens Nachbarin Marthe beschreibt eine Stimmung, die nebulos bleibt, wenn man die historische Atmosphäre der Hexenverfolgung ignoriert. Marthe sagt zu Mephistopheles: Ich bät’ euch länger hier zu bleiben, Allein es ist ein gar zu böser Ort. Es ist als hätte niemand nichts zu treiben Und nichts zu schaffen, Als auf des Nachbarn Schritt und Tritt zu gaffen, Und man kommt in’s Gered’, wie man sich immer stellt. (3196–3201)
Eine derartige Sphäre des Belauerns ist in vielen Quellen während Phasen von Hexenverfolgungen belegt. Der Ruf einer Person war vor Gericht ein entscheidendes Indiz, gerade auch in Hexenprozessen, in denen es selten konkrete „Beweismittel“ gab. Wegen „Zauberei“ im Gerücht zu stehen, gab in Kombination mit anderen Indizien „eyn redlich anzeygung der zauberey, vnd gnugsam vrsach zu peinlicher frage.“559 Die von Goethes Figur Marthe geschilderte Atmosphäre des
Meinhold: Bernsteinhexe, S. 129. Tieck: Hexen-Sabbat, S. 213. Roper: Hexenwahn, S. 10. Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, Art. 44: Von zauberey gnugsam anzeygung. Der Historiker Sönke Lorenz erläutert diesen Abschnitt: „[...] fünftens musste die verdächtige Person bereits im Gerücht (böser Leumund) der Zauberei stehen. Das fünfte Indiz war
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Misstrauens und der Denunziation wird oft in bildlichen Darstellungen zu Goethes „Faust“ aufgegriffen, etwa wenn die Szene Am Brunnen gezeigt wird. Das Thema Leumund wird in literarischen Verarbeitungen der Hexenthematik häufig fokussiert. In Ludwig Tiecks Novelle „Der Hexen-Sabbat“ wird die später als Hexe verfolgte Catharina früh von einem Freund gewarnt, man knüpfe Verleumdung an ihren Namen. 560 Wilhelm Meinhold beschreibt in seinem Roman „Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe“ eine Frau mit hexenähnlichen Merkmalen auch mit Blick auf ihren Ruf: „angesehen sie im gemeinen Geschrei war, daß sie lange mit Wittich Appelmann in Unzucht gelebet, welcher von jeher ein rechter Erzschalk und auch absonderlich ein hitziger – – – Jäger gewest, denn so etwas gesegnet der Herre nicht.“561 Als die Protagonistin Maria verhaftet wird, betont Meinhold, ähnlich wie in Hexenprozessprotokollen, das Gerücht um die bezichtigte Frau. Er schildert aus Sicht deren Vaters, wie die Büttel in die Stube treten: „[...] und geben mir ein offen Schreiben von dem Amtshaubtmann, daß mein Töchterlein, so als eine gottlose Hexe im gemeinen Geschrei stünde, vom peinlichen Rechts wegen sölle eingehohlet und inquiriret werden.“562 Auch moderne literarische Verarbeitungen der Hexenverfolgung beziehen die Bedeutung des Rufes einer Person und ihrer Familie ein; etwa der an historischen Quellen der Nördlinger Hexenverfolgungen orientierte Jugendroman „Teufelstanz“ von Ulrike Haß.563 Immer wieder ist Goethes Figur Marthe in der Forschung als dem Teufel ebenbürtige „Kupplerin“ beschrieben worden. Albert Bielschowsky etwa bemerkt: „Und nun die beiden Kuppler, der Teufel und Frau Marthe, die dem Teufel fast noch über ist. Doch wir stutzen. Wie kann Gretchen diese Frau zu ihrer Vertrauten machen? Sie durchschaut ja gleich nachher Mephistopheles, warum nicht auch Frau Marthe?“564 Barbara Becker-Cantarino nennt Marthe eine „weltliche Hexe“, ohne diese Bezeichnung hinsichtlich historischer Aspekte näher zu verfolgen: „In ähnlicher Weise erscheint die Nachbarin Frau Marthe als eine Art weltliche Hexe; sie ist nicht die dienende oder freundschaftlich zugetane Begleiterin, sondern eine Kupplerin, die Gretchens Sexualität ausnutzt.“565
folglich die notwendige Bedingung, um in Kombination mit einem der vier anderen Indizien die rechtliche Grundlage für die Anwendung der Tortur zu liefern [...].“ Lorenz: Der Hexenprozeß, S. 137. Tieck: Hexen-Sabbat, S. 43. Meinhold: Bernsteinhexe, S. 17. Meinhold: Bernsteinhexe, S. 114. Vgl. Haß: Teufelstanz, S. 10 f. Bielschowsky: Goethe, Bd. 2, S. 609. Becker-Cantarino: Die Kindsmörderin, S. 113 f.
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Die Figur Marthe entspricht stereotypen Hexenbildern: sie ist gekennzeichnet durch ihren dürren Leib (3766), ihre Habgier und Aufdringlichkeit – und sie führt Gretchen zur Sünde. Gretchens Bruder Valentin vermutet in der Auslöschung Marthes ein gottgefälliges Werk. Könnt’ ich dir nur an den dürren Leib, Du schändlich kupplerisches Weib! Da hofft’ ich aller meiner Sünden Vergebung reiche Maß zu finden. (3766–3769)
Der Einfluss einer Kupplerin gehört zu den typischen Schilderungen in Hexenprozessen und konnte sogar der Verteidigung dienen.566 Nicht selten haben Hexenprozessopfer diese Rolle der eigenen Mutter zugeschrieben. So hat es etwa Lyndal Roper in einem Marchtaler Prozess gegen Anna Moll beobachtet, die ihre bereits einige Jahre vorher hingerichtete Mutter beschuldigte: Wie eine Kupplerin hatte sie die Tochter dem Teufel übergeben. Auch diese Konstellation übertrug die Schuld auf andere, in diesem Fall auf eine Frau, die älter war. Wie die zwielichtige Gestalt der Kupplerin, die den Verführer und die Prostituierte entlastete – er folgte lediglich seinem Trieb, sie wurde durch eine herzlose alte Frau auf Abwege gebracht –, entpuppte sich auch die ‚Lehrmeisterin‘ als die wahre Schurkin.567
Von Karin Heyde stammt ein triviales Theaterstück mit dem Titel „Faustine“ aus dem Jahr 1983. Sie stellt Gretchen als Lesbierin dar und bringt das Hexenwesen mit der Befreiung der unterdrückten Frau in Verbindung. Hier spiegelt sich eine ideologische Umdeutung der historischen Hexenverfolgung in mancher sich als „feministisch“ bezeichnender Literatur. Marthe wird von Heyde als positive, selbstbestimmte Figur gezeichnet, später wird sie als Hexe verbrannt. Auch Gretchen wird in diesem Theaterstück von Valentin beschuldigt, sich mit Hexen eingelassen zu haben. Im Kerker klagt sie: Schon schüren sie den Scheiterhaufen, sieh, wie die Leute zusammenlaufen, ja, kommt alle herbei, heut gibt’s einen Hexenbrand, seht, schon fängt Feuer das Gewand, schon brennen und knistern die Haare, ach, daß noch ein Windstoß in die Flammen fahre und hellauflodernd ist der Spuk bald vorbei, aber noch immer höre ich das schreckliche Geschrei!
Vgl. zur Vorstellung der Kupplerin Ahrendt-Schulte: Weise Frauen, S. 65 f. und Roper: Hexenwahn, S. 138 f. Roper: Hexenwahn, S. 139.
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Rief sie nicht Gretchen, war mir die Stimme nicht bekannt, weh, weh, sie haben die Nachbarin Marthe verbrannt! Dabei sollt doch das Gretchen selbst in den Flammen stehn und mit ihren bösen Taten darin vergehn.568
Auch in derartiger Trivialliteratur wurde, ebenso wie in Visualisierungen des Fauststoffes, die Verbindung zur Hexenverfolgung hergestellt; Goethes Vorlage legt die Zuschreibung von Hexereivorwürfen gegen Gretchen und Marthe offensichtlich vielen Autorinnen und Autoren nahe.
8.5.2 Das Wirtshaus Auerbachs Keller in Leipzig Drey Teufel! ruht! und singt runda!569
In Auerbachs Keller sind Teufels- und Magievorstellungen selbstverständlicher Teil der Gespräche – ebenso wie deren Umsetzung in Verfolgungen. Besonders deutliche Bezüge zur Hexenthematik weist Goethes frühe Fassung dieser Szene auf, die im Folgenden vergleichend zu den späteren Fassungen betrachtet wird. Der Zecher Siebel verflucht im Gelage eine Frau, die ihn enttäuscht hat, und wünscht ihr zur Strafe eine Teufelsbuhlschaft: Zum Liebsten sei ein Kobold ihr beschert! Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern; Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt, Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern! Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut Ist für die Dirne viel zu gut. Ich will von keinem Gruße wissen, Als ihr die Fenster eingeschmissen! (2111–2118)
Die Teufelsbuhlschaft wird in Siebels Rachephantasie mit einer Strafe verbunden, die reale Menschen vollziehen: dem Einwerfen der Fenster. Diese Tat ist ein Bild für anonym ausgeführte Stigmatisierung und Bedrohungen, wie sie auch typischerweise gegen Hexenprozessopfer ausgeübt wurden und wie sie in vielen literarischen Verarbeitungen der Hexenverfolgung dargestellt werden. In der frühen Fassung des „Faust“ formuliert Siebel seine Strafgelüste anders. Auch hier verknüpft er sie aber mit dämonologischen Phantasien und Drohungen:
Heyde: Faustine, o.S. Der Zecher Siebel spricht in der Frühen Fassung der Szene Auerbachs Keller seine Kumpane an. Goethe: Faust, Bd. I: Texte, S. 484.
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Siebel Wetter und Todt. Grüs mein Liebgen! – Eine Hammelmauspastete mit gestopften dürren Eichenblättern vom Blocksberg, durch einen geschundnen Haasen mit dem Hahnenkopf überschickt, und keinen Grus von der Nachtigall. Hatt sie mich nicht – Meinen Stuz bart und alle Appartinenzien hinter die Thüre geworfen wie einen stumpfen Besen, und das um – drey Teufel! Keinen Grus sag ich als die Fenster eingeschmissen! (14–21)
Rolf Christian Zimmermann deutet die Bilder zu harmlos, wenn er Siebels Rachephantasie als „Spottgruß“ wie folgt umschreibt: „Gleich zu Anfang der Szene brüstet sich Siebel als ein verschmähter Liebhaber, der seinem Liebchen als Spottgruß eine (sicher obszön gemeinte) ‚Hammelmauspastete mit gestopften dürren Eichenblättern‘ übersenden will.“570 Es ist aber viel mehr als nur Spott, was Siebel der Verhassten wünscht: sie soll mit Hexenwerk in Kontakt kommen. Ob zunächst als Opfer von Schadenzauber oder dann selbst als Teufelsbündnerin, wie es Goethe in den späteren Fassungen andeutet, bleibt hier noch offen. Zimmermann ignoriert diesen Kontext der Worte Siebels auch, wenn er zu der Hammelmauspastete bemerkt, sie sei: „Übrigens vom Blocksberg! Sollte der junge Goethe bereits den Hexensabbat von Faust I geplant haben?“571 Die Assoziation der Walpurgisnacht liegt in Siebels Drohung auch unabhängig von Goethes späterer Fassung des „Faust“ nahe, galt der „Hexensabbat“ auf einem „Blocksberg“ doch als zentraler Versammlungsort des Bösen und war in der frühen Neuzeit gefürchtet als Ausgangspunkt von Schadenzauber. Das häßliche Rattenlied (2126–2149) des Zechers Brander vergleicht Liebe mit Rattengift. Zwar setzen die Zecher in dieser Szene die Ratte dem wütenden Siebel gleich (2154–2157), das Lied scheint aber auch Gretchens zukünftiges Schicksal in gemeiner Weise anzudeuten.572 Siebel spricht in der Druckfassung des „Faust“ von der Teufelsbuhlschaft, diese Imagination ist auch hinsichtlich der Gretchentragödie von Bedeutung. Brander besingt unmittelbar danach eine vergiftete Ratte, der es
Zimmermann: Weltbild, Bd. 2, S. 268. Vgl. zur abergläubischen Bedeutung des „Hasen“ und der „Eichenblätter“ sowie zur Bezeichnung „Hammelmaus“ Rost: Hexenversammlung, S. 328–332. Rost nennt zu „Hammelmaus“ neben der Bedeutung „Grille“ auch die Bedeutung „Schmeichelwort für Kinder“. Er legt die semantische Unterdeterminiertheit des Kompositums mit Blick auf diese Bedeutung aber verharmlosend aus, wenn er „eine Pastete für Hammelmäuse“ assoziiert, ebd., S. 328 f. Vielmehr könnte man dann an die dämonologisch imaginierte Verarbeitung von Kinderfleisch denken, also „eine Pastete aus Hammelmaus“. Wenn auch die Insekten als Zutat hier wahrscheinlicher gemeint sind, so verstärkt gerade die verunklarende Wortwahl das Unheimliche der Hexenspeise. Zimmermann: Weltbild, Bd. 2, S. 268. Auch auf Faust wird das Lied manchmal bezogen, Arnd Bohm etwa sieht darin sowohl „an allegory of human history“ als auch „the story of Faust’s life in miniature“; seiner Ansicht nach repräsentiert das Lied zudem das Thema Syphilis, wie er ausführlich darlegt. Bohm: History in the „Rattenlied“, S. 69.
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eng [...] in der Welt wird, die manchen Ängstesprung tut und die auf dem letzten Loch pfeift – darauf folgt jeweils der Vergleich: Als hätte sie Lieb’ im Leibe.573 In der frühen Fassung des Dramas wird das Sterben der Ratte deutlich bejubelt. Goethe gab hier die Anweisung: Chorus iauchzend / Als hett sie Lieb im Leibe. (32 f.) Nicht fern liegt die Assoziation einer Lynchjustiz, passend zum Namen des Sängers Brander, in dem der „Brand“ steckt. Die Liebe steht im Lied für etwas Böses, das sich im Leib festsetzt, mit Gift vergleichbar. Und das Rattenlied selbst hat in seiner Gemeinheit vergiftende Wirkung: es strahlt im Drama auf spätere Szenen destruktiv aus. Gretchens Liebschaft mit Faust durchbricht, den herrschenden Moralvorstellungen nach, ihre Unschuld und somit ihren Schutz vor dem Teufel (vgl. 2624–2626). Durch das vorangegangene Rattenlied sind die tödlichen Gefahren der Liebe präsent. Sie führt Gretchen ins Verderben, das deutet sich schon an, als sie am Spinnrad ihr Vergehen an den Küssen besingt. Voller Liebeskummer klagt das Mädchen in diesem Lied: Die ganze Welt / Ist mir vergällt. (3380 f.) Gretchens Beschreibung ihrer Unruhe erinnert trotz des gänzlich anderen Tons574 an das pervertierte Liebesmotiv im Rattenlied: Meine Ruh’ ist hin, Mein Herz ist schwer; Ich finde sie nimmer Und nimmermehr. [...] Mein armer Kopf Ist mir verrückt, Mein armer Sinn Ist mir zerstückt. (3374–3385)
Goethe hat dieses Bild der Ratte in einem Brief auf sich selbst als Verliebten bezogen: „Mir wars in all dem wie einer Ratte die Gift gefressen hat, sie läuft in alle Löcher, schlurpft alle Feuchtigkeit, verschlingt alles Essbaare das ihr in Weeg kommt und ihr innerstes glüht von unauslöschlich verderblichem Feuer.“ Brief an Auguste Gräfin zu Stolberg vom 17. September 1775. Frankfurter Ausgabe, Abt. II, Bd. 1, S. 479. Vgl. hierzu etwa schon Düntzer: Goethes Faust. Erster Theil, S. 26, sowie zum Beispiel die Anmerkung von Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 216 und Beutler: Essays um Goethe, „Der König in Thule“ und die Dichtungen von der Lorelay, S. 322. John Williams etwa fasst die poetische Gegensätzlichkeit der beiden Lieder zusammen: „Brander’s song of the rat is a course and ribald counterpart to the emotional intensity of Gretchen’s later song at the spinning-wheel [...]“. Williams: Goethe’s Faust, S. 94.
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Branders Rattenlied beschreibt das vergiftete Tier als rasend: Sie fuhr herum, sie fuhr heraus, Und soff aus allen Pfützen, Zernagt’, zerkratzt’ das ganze Haus, Wollte nichts ihr Wüten nützen; Sie tät gar manchen Ängstesprung, Bald hatte das arme Tier genung, Als hätt’ es Lieb’ im Leibe. (2134–2140)
In der Szene Dom entspricht Gretchens Wortwahl sogar genau dem Rattenlied. Sie empfindet ihre Not als Enge: Mir wird so eng’! Die Mauern-Pfeiler Befangen mich! Das Gewölbe Drängt mich! – Luft! (3816–3820)
Über die Ratte hatte Brander vorher gesungen: Da ward’s so eng’ ihr in der Welt, Als hätte sie Lieb’ im Leibe. (2130–2133)
Der Tierleib quillt durch Gift und Verwesung auf, der Zecher Altmayer spricht von der geschwollnen Ratte. Wenn in der Szene Dom der böse Geist auf das Kind in Gretchens Leib weist, erinnert seine Wortwahl quillend an das Rattenlied, das Gift im Leib und an den grob repetierten Refrain Als hätte sie Lieb’ im Leibe. - Und unter deinem Herzen Regt sich’s nicht quillend schon, Und ängstet dich und sich Mit ahnungsvoller Gegenwart? (3790–3793)
Auch die Kupplerin Marthe, der die Forschung immer wieder diabolische und hexische Züge attestierte, kann im Rattenlied erahnt werden. Denn die Ratte erliegt einer Verderberin: Die Köchin hatt’ ihr Gift gestellt (2130). Dass vermeintliche Hexen oft mit Giftmischerinnen, mit „veneficae“, gleichgesetzt wurden, ist unter Punkt 7.4 schon dargelegt worden. Goethe nennt die Köchin auch Vergifterin (2146). Gretchens Bruder Valentin verflucht später Mephistopheles: Vermaledeiter Rattenfänger! (3699). Immer wieder kommt im „Faust“ die Ratte als hexisch attri-
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buiertes Tier zur Sprache.575 Oft zählt sie im Drama zum teuflischen „Gefolge“, zu dem in der frühen Neuzeit auch die vom Teufel verführten Hexer und Hexen gerechnet wurden. Mephistopheles bezeichnet sich als Herr der Ratten (1516), er bedient sich ihrer Hilfe, etwa um den Drudenfuß auf Fausts Schwelle zu zernagen (1393–1395, 1512–1524). Dementsprechend beschimpfen sich die Zecher in Auerbachs Keller. Brander nennt Siebel in der frühen Fassung ausdrücklich Selbst Ratte! (52). In Goethes späterer Fassung geschieht dies umschreibend, dort sagt der Zecher Altmayer über Siebel: Er sieht in der geschwollnen Ratte / Sein ganz natürlich Ebenbild (2156 f.). In ihrer gesamten Bestialität (2297), die Mephistopheles konstatiert, erscheinen die Zecher schon als Teil einer diabolischen Welt, sie stehen dem Gefolge des Teufels sehr nahe. Nicht nur im Bild der Ratte deutet sich dies an, es gibt viele weitere Hinweise. In der frühen Fassung spricht Siebel seine Kumpane sogar als Drey Teufel! ruht! und singt runda! (1) an. Zwar kann Drey Teufel! auch als Kollokation, als derber Ausruf, gedeutet werden. Dass er gleichzeitig als Anrede aufgefasst werden kann, ist aber eine vielsagende Doppeldeutigkeit, die sich in der Szene wiederholt. Als der teuflische Wein zur Flamme wird, ruft Siebel in der frühen Fassung Mephistopheles als Herr und Satan! an. Auch hier bleibt offen, ob es sich nur um einen Ausruf handelt oder ob schon die Anrede eines Gebieters anklingt: Herr und Satan! – Meynt er, er dürft in ehrliche Gesellschafft sich machen und sein Höllisches Hokuspokus treiben. (173 f.) In den späteren Druckfassungen ist Siebels Verweis auf den Teufel gestrichen: Was Herr? Er will sich unterstehn, / Und hier sein Hokuspokus treiben? (2306 f.) Mephistopheles unterstreicht gegenüber Faust, wie nah er den Zechern kommen kann. In der frühen Fassung sagt er: Merks! den Teufel vermuthen die Kerls nie so nah er ihnen immer ist. (62 f.) Diese Aussage hat Goethe in der späteren Bearbeitung ausnahmsweise noch enger auf dämonologische Vorstellungen bezogen. Hier erklärt Mephistopheles, dass er leichten Zugriff auf die Kumpane hätte: Den Teufel spürt das Völkchen nie, Und wenn er sie bei’m Kragen hätte. (2181 f.)
Immerhin bemerkt Siebel aber nach der Regieanweisung: Leise, Mephistopheles von der Seite ansehend über den Teufel: Was hinkt der Kerl auf Einem Fuß? (2184). Der Zecher ist also mit Teufelsbildern vertraut.576
Morphologische Aspekte der mit Mephistopheles verbundenen Tiere erörtert Ilse Graham: Mephistos Zoo. Vgl. zu diesen Attributen die viele Faust-Kommentare kritisch kommentierenden Ausführungen und Kontextualisierungen von Heinz Rölleke: Von Mephistos falschen Waden und schwarzen Raben. Rölleke ordnet die Teufelsattribute in Traditionen des Aberglaubens ein, die er, hier ist ihm zuzustimmen, in der Faust-Forschung zuwenig berücksichtigt sieht.
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8.5.3 Der Weinzauber Und indem sie ein Messer oder irgendein Werkzeug in die Wand oder in einen Pfosten stecken und die Hände [wie] zum Melken anlegen, rufen sie ihren Teufel an [...]. Dann nimmt der Teufel [...] die Milch und bringt sie an den Ort, wo die Hexe sitzt, so daß sie gleichsam aus dem Werkzeug fließt.577
Ein prägnantes Beispiel für ein heute vielfach übersehenes dämonologisches Motiv ist in Auerbachs Keller der Weinzauber. Mephistopheles lässt Weinströme aus einem Tisch fließen. Er hat diesen dazu angebohrt und spricht: Der Wein ist saftig, Holz die Reben, / Der hölzerne Tisch kann Wein auch geben. (2286 f.) In der frühen Fassung führt Faust den Weinzauber aus, und Goethe lässt den Zecher Alten angesichts des Weinzaubers sagen: Mir wirds unheimlich. Der hat den Teufel (159). Hans Arens bemerkt zu der Abwandlung Goethes: „Die wesentlichste Änderung ist aber die, daß F[aust] seine Funktion als Gaukler und Zauberer genommen und auf M[ephistopheles] übertragen wurde, während F[aust] nur noch Zuschauer ist, der zweimal fünf Worte spricht (im U[rfaust] 129).“578 Die Abschwächung der Zaubererrolle Fausts ist tatsächlich eine der auffälligen Eliminierungen der Teufelsbündnerthematik in der Entwicklung von Goethes „Faust“. Immerhin tritt Faust aber in den späteren Fassungen noch in der verdächtigen Gesellschaft des zaubernden Mephistopheles auf. Die Szene des Weinzaubers wird in der Forschung oft isoliert von ihren historischen Kontexten behandelt. Sie hat aber nahe Vorbilder in der sehr verbreiteten frühneuzeitlichen Imagination des hexischen Milchdiebstahls.579 Viele dämonologische Quellen beschreiben, wie Hexen mit Hilfe des Teufels aus in Holz geschlagenen Werkzeugen Milch strömen lassen. Sie wird von anderen Orten entwendet, was in Zeiten großer Armut höchst bedrohlich erschien. Es handelt sich also durchaus um Imaginationen von Schadenzauber. Dieser wird mit Blick auf Faust in der Sekundärliteratur manchmal als nicht vorhanden beschrieben, zu Unrecht, wie schon der Weinzauber zeigt. In Kramers „Hexenhammer“ wird der Vorgang erläutert: Und indem sie ein Messer oder irgendein Werkzeug in die Wand oder in einen Pfosten stecken und die Hände [wie] zum Melken anlegen, rufen sie ihren Teufel an, der ihnen immer bei allem hilft. Und [die betreffende Person] schlägt ihm vor, daß sie von der und
Kramer: Hexenhammer, S. 484. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 213. In manchen Quellen schrieb man Hexen auch das Zapfen von Wein aus Holz zu. Hierauf verweist, anders als die meisten Kommentare, schon Witkowski: Leidener Ausgabe, Bd. 2, S. 234.
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der Kuh aus dem und dem Haus, die besonders gesund ist und eher Milch im Überfluß hat, zu melken wünscht. Dann nimmt der Teufel plötzlich aus den Zitzen jener Kuh die Milch und bringt sie an den Ort, wo die Hexe sitzt, so daß sie gleichsam aus dem Werkzeug fließt.580
Diese Phantasie war in der frühen Neuzeit überaus bekannt. Oft fragten Ankläger in Hexenprozessen danach, in manchen Gegenden war „Milchdiebin“ sogar ein gängiges Synonym für „Hexe“. Im „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ nimmt der „Milchzauber“581 den Raum von fast 60 Spalten ein. Der Artikel versammelt zahlreiche Belege, welche die Bedeutung und frühe sowie weite Verbreitung dieser Imagination vor Augen führen. Goethes Weinzaubermotiv hat Vorläufer in älteren Verarbeitungen des Fauststoffes.582 Mit Blick auf diese frühen Faustdichtungen hat Marina Münkler berechtigterweise Folgendes klargestellt: Deshalb bedürfen die in den Faustbüchern angeführten Zauberexempel einer dichten Beschreibung, um zu klären, ob der erste Eindruck zutrifft, dass Faustus so gut wie keinen Schadenszauber ausübt und dadurch eher harmlos wirkt. [...] Die Frage des Schadenszaubers ist daher insgesamt sehr viel komplexer, als es zunächst scheint. Prinzipiell ist festzuhalten, dass verschiedene von Fausts harmlos wirkenden Streichen in einem Hexen- oder Zaubererprozess völlig hinreichend gewesen wären, um den Delinquenten zu verurteilen. So galt das Stehlen von Speisen und Getränken mit Hilfe von zauberischen Mitteln als durchaus nicht gering zu veranschlagendes Delikt. Während man Hexen bevorzugt vorwarf, sie würden Milch stehlen [...], wurden Zauberer häufiger als Diebe anspruchsvollerer Speisen und Getränke von den Tischen der Reichen und Mächtigen beschrieben.583
In der Forschung zu Goethes „Faust“ werden diese alten Kontexte übersehen, wenn etwa, wie es auch hier manchmal geschieht, vermutet wird, Faust verübe keinen Schadenzauber. In visuellen Darstellungen zu Goethes „Faust“ ist der Weinzauber ein beliebtes Motiv. Seine Nähe zu den dämonologischen Vorstellungen wird durch einen Vergleich von Bildern verschiedener Zeiten besonders klar: Bilder des hexischen Diebstahls in Form des Holzmelkens aus dem 16. Jahrhundert, der Zeit der Faustsage, ähneln den späteren Darstellungen des Weinzaubers aus dem Holztisch in Auerbachs Keller, den zeitgenössische Künstler Goethes zeigen. Dargestellt ist das Anzapfen von Holz durch Hexen beispielweise in einem Holzschnitt, der 1516 einem Straßburger Druck der Predigten von Johannes Geiler von Kaysersberg beigegeben war (Abb. 36).
Kramer: Hexenhammer, S. 484. Eckstein: Art. Milchhexe, Sp. 293–352. Vgl. zum Beispiel Füssel / Kreutzer: Historia, S. 158. Münkler: Narrative Ambiguität. Die Faustbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts, S. 218 f.
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Abb. 36: Imagination des Axtmelkens bei Johannes Geiler von Kaysersberg: Die Emeis. Straßburg 1516.584
Eine Wandmalerei im nördlichen Portalbogen der Pfarrkirche „Unsere Liebe Frau“ in Eppingen (Baden-Württemberg) zeigt die hexische Handlung unter Mitwirkung des Teufels (Abb. 37). In diesen Beispielen wird eine Axt als Zapfinstrument benutzt, aber auch viele andere Gegenstände taugten nach dämonologischer Vorstellung zum Anzapfen des Holzes, etwa Messer, Pflöcke oder eben auch ein Bohrer, wie ihn Mephistopheles in Auerbachs Keller benutzt.585 Ein Vergleich mit Darstellungen des Weinzaubers in Goethes „Faust“ führt die Nähe der Motive vor Augen. Moritz Retzsch zeigte den Weinzauber 1816 in einer Zeichnung (Abb. 38). Die Szene ähnelt deutlich der Vorstellung des hexischen Nahrungsdiebstahls. Eugène Delacroix hat in einer berühmten Lithographie, die Goethe selbst besaß,586 dargestellt, wie der Wein aus dem Holztisch strömt und zur Flamme wird (Abb. 39). Während die Zecher bei Retzsch das Geschehen eher gelas-
Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier, Signatur XY 458 4’, Seite LIIII, Foto A. U. Vgl. zur von Geiler ausgeführten Vorstellung des Axtmelkens auch Bauer: Hexenpredigten, S. 144. Vgl. Eckstein: Art. Milchhexe, bes. Sp. 298–308. Vgl. Schuchardt: Goethe’s Kunstsammlungen, Bd. 1, S. 200.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Abb. 37: Milchdiebstahl, Wandmalerei im nördlichen Portalbogen der Kirche „Unsere Liebe Frau“ in Eppingen, frühes 16. Jahrhundert. (Foto: Peter Schmelzle)587
sen hinnehmen, sind sie bei Delacroix durch das Feuer, das ihre Gesichter von unten erhellt, beeindruckt und erschrocken. In Goethes Szene Auerbachs Keller hat es einen klaren Hintergrund, wenn sie dann Mephistopheles Zauberei! vorwerfen und seine rechtliche Situation als vogelfrei! (2312 f.) bezeichnen. Als der Wein, den Faust beziehungsweise Mephistopheles aus dem Tisch haben strömen lassen, zur Stichflamme wird, sprechen alle Fassungen des „Faust“ von teuflisch bewirkter Zauberei. In der frühen Fassung ruft der Zecher Siebel: Hölle und Teufel! und Brander: Zauberey! Zauberey! (169 f.) Im 1790 veröffentlichen Faustfragment ließ Goethe Siebel rufen: Helft! Feuer! helft! Die Hölle brennt! (778). Und nach der Regieanweisung die Flamme besprechend sagt Mephistopheles: Sei ruhig, freundlich Element! (779). Dann erklärt er Siebel: Für diesmal war es nur ein Tropfen Fegefeuer (780). In der Druckfassung von 1808 erschrickt zunächst der Zecher Altmayer: Ich brenne! ich brenne! (2311) und Siebel ruft: Zauberei! (2312).
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Eppingen-kathprkrch-milchhexe.jpg#/media/File: Eppingen-kathprkrch-milchhexe.jpg [Stand: Juni 2023].
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Abb. 38: Moritz Retzsch: Umrisse zu Goethe’s Faust, Tafel 05; veröffentlicht Stuttgart und Tübingen 1816.588
Ein Vergleich der späteren Druckfassungen mit der frühen Fassung des „Faust“ offenbart in den darauffolgenden Versen, wie greifbar die Hexenverfolgung in der Szene Auerbachs Keller ist. Deutlich führt die frühe Fassung noch die Deliktvorstellung der Zauberei und die Folgen für den Delinquenten aus. Der Zecher Siebel fordert seine Kumpane auf: Brüder! Schlagt ihn zusammen! Stost ihn nieder! /: sie ziehn die Messer: / Ein Zauberer ist Vogelfrey! Nach den Reichsgesetzen Vogelfrey! (176–178). Und der Zecher Frosch schlägt etwas später vor: Kommt wir wecken die Häscher unterm Rathaus, für ein Trinckgeld thun die wohl ihre Schuldigkeit. Fort! (192 f.) In der frühen Fassung erwähnt Goethe also noch explizit das Reichsgesetz, die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V., als Verfolgungsgrundlage für das
Universitätsbibliothek Heidelberg / Heidelberger historische Bestände – digital. https://doi. org/10.11588/diglit.7591#0021 [Stand: Juni 2023].
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Abb. 39: Lithographie von Eugène Delacroix zur Szene Auerbachs Keller, veröffentlicht 1828. (Foto A.U.)
Delikt „Zauberei“.589 Dies zeigt, wie konkret er die juristische Seite der Hexenthematik vor Augen hatte. In den späteren Fassungen des „Faust“ hat Goethe die
Vgl. zur Bedeutung der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. („Constitutio Criminalis Carolina“) für Hexenprozesse: Lorenz: Hexenprozeß, S. 133. Hans Arens verweist an dieser Stelle darauf, dass die Bezeichnung „vogelfrei“ in ihrer besonderen rechtlichen Bedeutung von Strafen für das Delikt „Zauberei“ zu unterscheiden war, vgl. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 221 f. Die Aussage Siebels kann man aber, unabhängig von einer juristischen Definition, als Umschrei-
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Erwähnung des Reichsgesetzes gestrichen. Sicher wusste der Jurist Goethe, dass Vorschriften dieses Gesetzes in frühneuzeitlichen Zauberei- und Hexenprozessen vieler Territorien gebrochen wurden. Oder der Dichter berücksichtigte im Sinne einer Aktualisierung der Szene die sich verändernde Rechtslage seiner eigenen Zeit.590 Das Reichsgesetz hatte mehr und mehr an Bedeutung eingebüßt. Durch die Justizreformen des Kaisers Joseph II., Sohn von Maria Theresia, wurde es teilweise revidiert. Jedenfalls zeigt die Szene Auerbachs Keller, dass reales strafrechtliches Wissen in Goethes Drama eingeflossen ist. Die Parallelen von Goethes Weinzaubermotiv zu dem weit verbreiteten Bestandteil des frühneuzeitlichen Aberglaubens sind unübersehbar. Allerdings bedürfte der dämonologische Aspekt heute einer Erläuterung. Eine solche aber fehlt in den Faust-Kommentaren der großen kritischen Werkausgaben und in umfangreichen Gesamtkommentaren normalerweise.591 Oft wird Mephistopheles’ Handlung gar nicht erklärt, oder der Kommentar erschöpft sich in dürftigen Hinweisen wie etwa: „Der Zauber des Weinabzapfens aus dem angebohrten Tisch ist alte Überlieferung und wird schon im Erfurter ‚Faust-Buch‘ von 1589 berichtet.“592 Eine „blasphemische Kontrafaktur des Weinwunders Jesu bei der Hochzeit zu Kana (Johannes 2,1–11)“,593 die Albrecht Schöne zur Diskussion stellt, kann man wohl ebenfalls aus Mephistopheles‘ Worten herauslesen: Hier ist ein Wunder, glaubet nur! (2289). Aber diese Anspielung ist nicht deutlicher als die dämonologische Parallele. Und auch wenn der Weinzauber weitergehend transformiert interpretiert wird, wie etwa von Jochen Schmidt als „Chiffre sozialer Wohltat“594, so wäre es doch hilfreich, die Tradition des Hexereimotivs zu kennen und einordnen zu können.
bung der rechtlich legitimierten Verfolgung von „Zauberern“ deuten, die sich regional unterschiedlich gestaltete und sich oft außerhalb des rechtlichen Rahmens der Carolina bewegte. Tatsächlich mochten Opfer der Zauberei- und Hexenprozesse ihren Zeitgenossen mancherorts praktisch rechtlos erscheinen. Vgl. zum Spannungsfeld der Zeiten im Drama Punkt 8.1. Bezeichnend für die geringe Beachtung der frühen und weit verbreiteten dämonologischen Imaginationen, die Goethes Weinzauber vorangehen, ist auch der ältere Bericht von Richard G. Salomon. Er verweist darauf, dass der Traubenzauber in Auerbachs Keller „bis zu Augustin Lercheimers (= Hermann Witekinds) ‚Christlich Bedencken und Erinnerung von Zauberey‘ (1585) zurückverfolgt“ worden sei. Dann berichtet er über eine aus dem 14. Jahrhundert stammende Geschichte aus Avignon von einem „Traubenzauber“. Den Fund kommentiert Salomon abschließend wie folgt: „Die Geschichte muß schon lange vor Lercheimer verbreitet gewesen sein, und es wäre nicht überraschend, wenn weitere ältere Versionen [...] auftauchten.“ Salomon: Traubenzauber, S. 284. Münchner Ausgabe, Bd. 6.1, S. 1012. Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 280. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 147.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
8.5.4 Die Angst des Bruders Valentin Valentin: Margarete! Sei verflucht! Stirb du den Tod, der dir gebührt! Ich, ich sterbe durch dich, sterbe schuldlos durch dich.595
In der Druckfassung von 1808 ersticht Faust in der Szene Nacht Gretchens Bruder Valentin, Mephistopheles führt Fausts Schwert und lähmt Valentins Hand (3704–3710). Diese Tötung ist in den vorigen Fassungen des „Faust“ nicht als Szene ausgeführt. In der frühen Fassung wird sie nur angedeutet, als Gretchen im Kerker vom Grab des Bruders spricht. Valentin beschimpft in seinem Sterbemonolog die Schwester als Hur’ (3730) und Metze (3753). Er selbst schädigt Gretchens Ruf. Zwar vertritt er vordergründig die soziale Ächtung einer unverheirateten Mutter, die in Interpretationen immer wieder herausgestellt wird. Jedoch liegt aus verschiedenen Gründen eine Verbindung zu einem Hexenprozess nahe, wie er von Goethe wahrscheinlich ursprünglich gegen Gretchen angelegt war. Valentins Wut über die Liebschaft der Schwester wirkt übertrieben, sie zeigt extreme Angst. Er prophezeit Gretchen eine Zukunft als gesellschaftlich Ausgestoßene und vergleicht sie mit einer angesteckten Leichen (3752). Theaterregisseure versuchen oft, seinem Auftreten eine zusätzliche psychologische Plausibilität zu verleihen, zum Beispiel durch das Andeuten einer inzestuös gefärbten Eifersucht. Wenn man sich Valentin in der Situation real vorstellt, ist es tatsächlich nicht überzeugend, dass er allein wegen des Sittenverstoßes seiner Schwester so überaus verzweifelt ist. Wie alltäglich uneheliche Schwangerschaften in der frühen Neuzeit waren, wurde schon unter Punkt 8.3.2 dargelegt, auch dass umfassende existenzbedrohende Strafen schon wegen der Anzahl der Betroffenen kaum möglich waren. Goethe hat in seinem Gedicht „Vor Gericht“ das selbstbewußte Auftreten einer ledigen Mutter gezeigt,596 die den Vater ihres Kindes nicht nennen will.
Aus der an Charles Gounods Oper „Faust“ orientierten Szenenfolge des Films „Damnation Du Docteur Faust, ou Faust et Marguerite“ von Georges Méliès (1904), 12. Sequenz: Valentins Tod. Prodolliet: Faust, S. 19. Georg Lukács hat die Mutter in diesem Gedicht, anachronistisch zuspitzend, als Vertreterin eines „plebejischen“ Mutes gedeutet: „Während die Mädchen aus den oberen Schichten des Bürgertums nur unschuldig verwelkende Opfer der Liebeskatastrophen sein konnten, haben die plebejischen Mädchen den Mut, die Liebe in all ihrer Ungewißheit, Ungebundenheit, mit all ihren sozialen und seelischen Konsequenzen auf sich zu nehmen, den Vorurteilen der bürgerlichen Gesellschaft stolz zu trotzen [...].“ Lukács: Faust und Faustus, S. 183.
8.5 Die Ebene der Welt Gretchens
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Ihr Bild steht in krassem Gegensatz zur Gretchenfigur insgesamt und auch zur Szene Nacht, wenn Valentin Gretchen mit Blick auf ihre Umgebung verflucht: Dir soll das Herz im Leib verzagen, / Wenn sie dir in die Augen sehn! (3754 f.) Im Gedicht „Vor Gericht“ zeigt sich die Mutter wenig eingeschüchtert: Herr Pfarrer und Herr Amtmann ihr Ich bitt laßt mich in Ruh, Es ist mein Kind und bleibt mein Kind, Ihr gebt mir ja nichts dazu.597
Die Geschichtswissenschaft hat auch rekonstruiert, dass der dramatische Ehrverlust eine Vorstellung ist, die mit Blick auf die historische Realität differenziert werden muss. Die Figur Valentin wird von Goethe als ein einfacher Soldat angelegt. Soldaten wurden oft als Väter unehelicher Kinder angegeben.598 Ebenfalls Soldat war der Bruder der wegen Kindsmord hingerichteten Susanna Margaretha Brandt, deren Schicksal immer wieder mit der Gretchentragödie in Zusammenhang gebracht wird. Einfache Soldaten hatten im 16. Jahrhundert geringes Ansehen,599 das gleiche gilt für Dienstmägde, die den größten Anteil der ledigen Mütter ausmachten.600 Je niedriger aber der soziale Status einer Person war, desto weniger spielte ihre auf Sittlichkeitsvorstellungen bezogene „Ehre“ eine gesellschaftliche Rolle. Es wirft also Fragen auf, dass Goethes Figur Valentin im Drama die Stigmatisierung seiner Familie so vehement und öffentlich beschwört. Vor den historischen Hintergründen erscheint eine bedrohte Familienehre als alleiniges Motiv für den extrem hass- und angsterfüllten Monolog der Figur Valentin nicht plausibel. Legt man aber einen Hexenprozess gegen Gretchen zugrunde, wird die Reaktion ihres Bruders, ebenso wie manch andere Szene der Gretchentragödie, plötzlich verständlich. Eine Stigmatisierung der Schwester gefährdet in Zeiten der Hexenverfolgung nicht allein die Ehre der Familie. Sie kann für ihre Angehörigen schnell lebensgefährlich werden. Denn war man mit einer wegen Hexerei verurteilten Person verwandt, konnte das als Indiz gewertet werden, selbst Hexer zu sein.601 Man ging davon aus, dass die Neigung zu Hexerei vererbt oder von Vorbildern erlernt wurde,602 der Verdacht wurde rasch auf Verwandte ausgeweitet.
Münchner Ausgabe, Bd. 2.1, S. 32. Vgl. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 80. Vgl. Ulbricht, O.: Kindsmord und Aufklärung, S. 78. Vgl. hierzu etwa van Dülmen: Frauen vor Gericht, S. 76. Vgl. zum Beispiel Ahrendt-Schulte: Hexenprozesse, S. 211. Voltmer: Wissen, S. 61.
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Lyndal Roper hat angemerkt, dass auffällig viele männliche Angeklagte mit vermeintlichen Hexen verheiratet oder verwandt waren: „Diese Männer scheinen in die Sache hineingezogen worden zu sein, weil ihre weiblichen, wegen Hexerei verbrannten Verwandten einen Schatten auf die ganze Familie warfen.“603 Zwar gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass Angehörige Hexereibezichtigte unterstützten, viele andere Quellen belegen aber auch, dass sich Familien von Opfern der Hexenverfolgung distanzierten.604 Rainer Walz hat in seinen historischen Untersuchungen von drastischen Reaktionen mancher Verwandten berichtet. Einige glaubten etwa, wenn sie sich von ihren Angehörigen besonders harsch distanzierten, könnten sie sich selbst von Gerüchten reinwaschen, was meistens nicht funktionierte.605 Valentins Verhalten erinnert an dieses Geschehen. Sogar als er den Tod schon vor Augen hat (3722 f.), ist er von der Stigmatisierung Gretchens besessen. Nachdem er seine Schwester bezichtigt hat: Du bist doch nun einmal eine Hur’ (3730), steigert er sich in die Vorwürfe noch hinein: Du fingst mit Einem heimlich an, Bald kommen ihrer mehre dran, Und wenn dich erst ein Dutzend hat, So hat dich auch die ganze Stadt. (3736–3739).
Schon diese Worte Valentins legen eine Verbindung zum Bedrohungsszenario der Hexenverfolgung nahe. Denn, wie schon dargelegt, folgte auf den Vorwurf eines unsittlichen Lebenswandels, der als Prädisposition für die Verführbarkeit durch den Teufel galt,606 nicht selten eine Hexereibezichtigung. Zahlreiche
Roper: Hexenwahn, S. 53. Vgl. zum Beispiel Moeller: Verhaltensstrategien Angehöriger. Walz: Hexenglaube, besonders S. 369–372. Zum Beispiel gibt er den Bericht über eine Frau wieder, die nach einer für sie ungünstig ausgegangenen „Hexenprobe“ ihre Töchter bat, ihr einen Bürgen zu beschaffen: „da haben beede tochter, iedoch nacheinander, ihr solches rotunde verweigert, insonderheit die elteste tochter, welches woll zu mercken, etliche mahl mit einer dicken faust in die ander handt geschlagen vnd zu ihr etzliche mahl ins gesicht gesagt, daß sie eine hexe were [...]. Welches alles die andere tochter Ilsche, wie auch zum theill der schwieger sohn Hanß Tegeler, so endtlich darzu kommen, applaudiret. Worüber inquisita gantz erbleichet vnd sich im gesichte sehr verendert, daß auch die jüngste tochter zu der eltesten dieße formalia gesprochen, siehe, wie sie nun außsiehet.“ Ebd., S. 370. „Da der Teufel einen besonders leichten Zugriff auf in Sünde verstrickte Menschen hatte, worunter die Unzucht nahezu an erster Stelle rangierte, lag es ebenfalls nahe, Frauen und Männer, die sich nicht an einen im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts strenger werdenden moralischsittlichen Kodex hielten, zu verdächtigen. Männlichen wie weiblichen Ehebrechern, Konkubinen katholischer Priester, ledigen Frauen, Witwen und Witwern mit sogenanntem leichtfertigen
8.5 Die Ebene der Welt Gretchens
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Beispiele belegen die Nähe eines schlechten Rufes zu Hexereiverdächtigungen.607 So beschreibt eine Angeklagte in den von Carpzov angeführten Hexenprozessen, die Goethe kannte, ihre vorangegangene Bloßstellung: [...] die ursach / warumb sie den Förster und seine Kuhe bezaubert / sey diese / daß er sie vor der Zeit [...] eine alte Hure gescholten [...].608
Wilhelm Resenhöfft schildert Gretchen in seiner wenig überzeugenden Darstellung „Existenzerhellung des Hexentums in Goethes ‚Faust‘“ als „Hexe“ im Sinne einer Verkörperung des Triebhaften. Die Bezeichnung „Hexe“ meint in seiner Untersuchung also nicht „Hexenprozessopfer“, sondern ist ein Symbol dunkler Triebe.609 Vor diesem wirr konstruierten Hintergrund gelangt er zu der richtigen Aussage: „Valentins Sterbeworte sind nichts anderes als ein Erguß über Gretchen als Hexe“.610 Dass Resenhöfft das Thema Hexenverfolgung dennoch ignoriert, sogar in dieser Szene Nacht, ist umso bezeichnender für seine Ausblendung historischer Wirklichkeit. Valentin beschimpft Gretchen als Hur’611 und Metze. Beide Wörter wurden in der frühen Neuzeit auch im Sinne von „Hexe“ oder eng mit dieser Vorstellung verknüpft verwendet. Gretchen nennt sich im Kerker selbst Hur (4412), als sie sich im Lied mit dem getöteten Kind identifiziert. Requadt vermutet hier einen „Reflex
Lebenswandel ebenso wie unverheirateten Müttern ließ sich leicht auch der Umgang mit einem dämonischen Geliebten unterstellen.“ Voltmer: Wissen, S. 60. Vgl. zum Beispiel Schulte, Re.: Dorf im Verhör, S. 174. Carpzov: Practica, S. 345. Resenhöfft rückt mit seiner Argumentation in die Nähe ideologisch gefärbter Fehldeutungen der historischen Hexenverfolgung: „Hexen sind in der W[alpurgisnacht] und im weiteren Bereich des ‚Faust‘ nicht Wesen einer zauberhaften nichtmenschlichen Sphäre, sondern es sind ganz einfach Menschen oder deren Regungen in einer besonderen Perspektive, nämlich der des Unpersönlich-Triebhaften, das etwas Untermenschliches an sich hat.“ Resenhöfft: Existenzerhellung des Hexentums, S. 60. Resenhöfft vermutet Parallelen zwischen Gretchen und Lilith, bzw. behauptet mit Blick auf seine These, alle Figuren der Szene Walpurgisnacht hätten ihre Entsprechung: „Lilith ist Gretchen.“, Resenhöfft: Existenzerhellung des Hexentums, S. 117. Der Autor bemerkt mit Blick auf den Entstehungsprozess von Goethes Drama: „Daß Faust in Gretchen eine Zeitlang eine ‚Hexe‘ sehen sollte, war eine außerordentlich bedeutsame Neuerung. Sie bedingte die endgültige Ausgestaltung der Valentin-Szene. Dort ist Faust völlig von diesem Bewußtsein ausgefüllt, und Valentins Sterbeworte sind nichts anderes als ein Erguß über Gretchen als Hexe, allerdings so massiv, daß sie bei den Zuhörern, besonders bei denen auf der Bühne, ihre Wirkung verfehlen.“ Resenhöfft: Existenzerhellung des Hexentums, S. 114 f. Über die Bezeichnung „Hure“ schreibt Peter Keller mit Blick auf frühneuzeitliche Moralvorstellungen immerhin zu recht, sie sei „ein unklarer, dehnbarer Begriff“. Keller, P.: Gretchen, S. 181.
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der Beschuldigungen Valentins“.612 Das Goethe-Wörterbuch aber verweist mit Blick auf die Kerkerszene und Gretchens Selbstbezeichnung als Hur vergleichend auf die Bezeichnung „Hexe“ als Schimpfwort.613 Das Schimpfwort Metze bedeutet zwar ‚Hure‘, wird aber etwa in Zedlers Universallexikon aus dem Jahr 1746 mit „Vettel“ erklärt.614 Und „Vettel“ wiederum kann beides bedeuten, ‚Hure‘ und ‚Hexe‘.615 Umgekehrt bringt die Szene Walpurgisnacht die tanzenden Hexen in die Nähe von Huren, so wie es auch in Schilderungen während realer Hexenprozesse vorkam.616 Mephistopheles sagt zu Faust: Ich bin der Werber und du bist der Freier. (4071) Die Bezeichnung Freier hat in diesem Kontext durchaus schon pejorative Bedeutung. Dass Valentin seine Schwester im Sterben bezichtigt, wäre in einem Hexenprozess ein besonders gewichtiges Indiz, da eine falsche Beschuldigung als eine den Weg zu Gott behindernde Sünde galt. Gunther Franz etwa berichtet über diese frühneuzeitliche Sicht: Als besonders beweiskräftig galt, daß eine Beschuldigung vom Opfer im Angesicht des Todes „vor der Hütten“ [Verbrennungshütte aus Stroh, A.U.] nicht widerrufen wurde. Man behauptete, daß die Opfer bei drohenden Höllenstrafen nicht die Sünde auf sich laden würden, jemand anderen falsch zu beschuldigen; dabei hatte man sie vorher selber erst so weit gebracht.617
Die Warnung der Nachbarin Marthe an den sterbenden Valentin: Befehlt eure Seele Gott zu Gnaden! / Wollt Ihr noch Lästrung auf euch laden? (3764 f.) bezieht sich auf diese Vorstellung. Valentin sieht zu Beginn der Szene voraus, wie sich das Gerede bei einem Gelag (3620) verbreitet. Er hat offensichtlich große Angst: Soll wie ein böser Schuldner sitzen, / Bei jedem Zufallswörtchen schwitzen! (3642 f.) Das Gelag, vermutlich im Wirtshaus, erinnert an die dominante Hexenthematik in der Szene Auerbachs Keller. Wirtshäuser waren „Knotenpunkte“618 der Kommunikation, auch der Hexereibezichtigungen. In manchen Regionen wurden die Gerüchte von sogenannten „Hexenausschüssen“ gesammelt, um sie vor Gericht zu bringen.619 Walter Rummel hat Gelage
Requadt: Goethes „Faust I“, S. 334. Goethe-Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1446. Art. „Metze“, in: Zedlers Universal-Lexikon, Bd. 20, Sp. 1408 [erschienen ca. 1739]. Art. „Vettel“, in: Zedlers Universal-Lexikon, Bd. 48, Sp. 373 [erschienen 1746]. Vgl. Fraikin: Hexerei in den Ardennen und im Moselraum, S. 423. Franz: Hexenprozesse in der Stadt Trier, S. 345. Zur Organisation von Hexenverfolgern und ihrer Kommunikation vgl. Voltmer: Monopole, Ausschüsse, Formalparteien, S. 42. Vgl. hierzu zum Beispiel: Labouvie: Zauberei und Hexenwerk, S. 82–95 und Rummel: Bauern, Herren und Hexen, besonders S. 26–38.
8.5 Die Ebene der Welt Gretchens
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und gerade auch Geselligkeiten auf Kosten der Angeklagten als integrale Bestandteile von Hexenverfolgung beschrieben.620 Er schildert eine markante Szene, überliefert aus dem Jahr 1630, in der eine Gruppe Mädchen die Verabredung zur Hexenverfolgung nachspielt. Sie hätten einem Beobachter zufolge: ein meßer uff den tisch gesteckt undt zu den andren gesagt, sie wollten thun, wie die bauren zu thun pflegen, und sich mit einander vereinigen, und alle an daß meßer greiffen, daß sie ein glach [Gelage, A.U.] druff anstellen und halten wolten, die jenige / welche under ihnen am ersten wurdt verbrendt werden, die solte daß glach bezahlen.621
Der bereits erwähnte Trierer Stiftsherr Johann Linden, der die ausgeprägten lokalen Verfolgungen im Trierer Raum gegen Ende des 16. Jahrhunderts beschreibt, zählt die Schankwirte ausdrücklich zu den Gewinnern der Situation.622 Auch Ludwig Tieck hat in seiner Novelle „Der Hexen-Sabbat“ das Wirtshaus als angstbesetzten Raum benannt: So war Furcht in jeder Familie, und keiner wagte mehr, unbefangen seinen Geschäften nachzugehen, oder seine Freunde zu besuchen, noch weniger aber, wie sonst oft geschah, beim Gastwirt Josset mit andern Fröhlichen ein heiteres Gelag in dessen großen Sälen zu feiern.623
Auch in modernen literarischen Darstellungen der Hexenthematik wird die bedrohliche Funktion der Wirtshäuser betont. So schildert etwa Ulrike Haß, wie ein Rechtsgelehrter im Wirtshaus für die Hexenverfolgung wirbt.624 Und weitere Details aus Valentins Monolog erinnern an Verfolgungsängste, hier ausgedrückt in einem bürgerlich verbrämten Ton.625 Er vergleicht seine Schwester mit einer ansteckenden Bedrohung: Ich seh’ wahrhaftig schon die Zeit, Daß alle brave Bürgersleut’, Wie von einer angesteckten Leichen, Von dir, du Metze! seitab weichen. (3750–3753)
Rummel: Bauern, Herren und Hexen, besonders S. 183–187. Rummel: Bauern, Herren und Hexen, S. 184. Vgl. zu dieser Quelle Punkt 7.2. Tieck: Hexen-Sabbat, S. 213. Haß: Teufelstanz, S. 82–91. Harald Neumeyer hat Ehrvorstellungen um 1800 als System beschrieben und mit Vorbehalt bemerkt, man könne „dieses System nun selbst als ein bürgerliches bezeichnen“; er will jedoch in den Blick nehmen, welche „gesamtkulturelle Funktion“ diesem System zukam. Neumeyer: Psychenproduktion, S. 59.
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Die Prophezeiung des Bruders wird in der folgenden Szene Dom variiert, wenn der böse Geist Gretchen einflüstert: Die Hände dir zu reichen, Schauert’s den Reinen. (3830 f.) Auch hier gibt es literarische Parallelen. In Tiecks Novelle „Der HexenSabbat“ stachelt ein Bischof im Predigerton zur Tötung angeblicher Hexen auf. Auch er stellt – ähnlich wie es Valentin im „Faust“ mit Blick auf Gretchens „Schande“ tut – Hexerei als ansteckende Krankheit dar. Denn wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, unendlich viele sind von diesem Gift, von dieser Krankheit angesteckt, und ich sehe im Geiste voraus, daß künftig in allen Ländern diese Schandtaten sich entdecken werden.626
Der hier beispielhaft erwähnte literarische Kontext kann dazu beitragen, Valentins Sterbeszene zu situieren: ihre Anklänge an die frühneuzeitliche Hexenverfolgung sind deutlich. Goethes Bruderfigur wird in der Faust-Forschung sehr verschieden beurteilt. Manche frühen Interpreten sahen ihn als Vertreter bürgerlicher Tugenden. Albert Bielschowsky etwa spricht 1916 von der „Charakterfigur dieses biederen, ehrlichen Landsknechts“.627 Er schreibt über die Szene Nacht: „Inhaltlich soll sie die Tragik vertiefen: die ganze Familie wird durch Gretchen zu Grunde gerichtet, selbst ihr unschuldiger, braver Bruder wird ein Opfer ihrer unseligen Liebe“.628 Im Lauf der Zeit wurde aber die zwielichtige Rolle der Figur stärker wahrgenommen. Ernst Beutler etwa kommentiert 1940: Im Tod brandmarkt er – bei weitem nicht so ehrenwert wie er glaubt, daß er sei, – die eigene Schwester gegen Wahrheit und Wissen vor den Mitbürgern als öffentliche Dirne und stößt sie durch diesen Verrat noch tiefer ins Unglück. Gretchen ist allein, verfemt, allem und jedem preisgegeben.629
Dass manche frühen Deutungen Valentin als moralischen Menschen lobten, löste in der späteren Forschung Unverständnis aus. Hans Arens bemerkt 1982 insbesondere mit Blick auf die unbeholfene Sprache Valentins, die geistigen „Tiefstand“ ausdrücke: „Man kann nur staunen über die bieder-anerkennenden Urteile hochbürgerlicher Philologen über Valentin [...]“,630 und er resümiert prägnante Forschungsmeinungen zu dieser Figur.631 Arens sieht in Valentins Verhalten Rache: „Nun will er ihr heimzahlen, und in der brutalsten Form, was sie ihm angetan hat. Nichts als verletzte
Tieck: Hexen-Sabbat, S. 225. Bielschowsky: Goethe, Bd. 2, S. 616. Bielschowsky: Goethe, Bd. 2, S. 615. Beutler: Faust und Urfaust, S. 553. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 346. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 359.
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Eigenliebe, zerstörtes Selbstbewußtsein sprechen hier, aber kein Gefühl für die Schwester [...]“.632 Die Härte des Bruders nennt Arens „exzessiv und barbarisch“.633 In Goethes Szene sieht er: eine weitere und noch heftigere Anprangerung der Bürgermoral, wie sie hier von Valentin vertreten wird, von so krasser Lieblosigkeit, daß die Anklage sich in Wahrheit gegen die Ankläger selber richtet und die Gesellschaft selbst am Pranger steht, Gr[etchen] aber immer deutlicher zum hilflosen Opfer wird.634
Rüdiger Radler urteilt 1995 ebenfalls, Valentins Verhalten werde „zur Schande einer Gesellschaft, die kein Erbarmen kennt, die ihrem Opfer ‚Höllenpein‚ (3770) bereitet, die einen Menschen vernichtet und sich so selbst der Anklage preisgibt.“635 Radler sieht in der Figur Valentin sadistische Züge. Zu den Beschimpfungen Gretchens als Hur‘ durch den Bruder meint er: „So wie er Gretchens hohe Würdigung genossen hat, so genießt er jetzt deren totale Entwürdigung.“636 Radler spricht von einer „Phase dieses Genusses der Qualen Gretchens sowie eines Selbstgenusses in der Rolle des Gerechten“. Warum ein derart verachtenswerter Bruder unvermittelt im Drama auftaucht, wird in dieser Beurteilung allerdings nicht klar. Zwar thematisiert die Forschung manchmal die deutungsbedürftige Darstellung des Bruders, bringt sie aber nicht mit einem ursprünglich angelegten Hexenprozess gegen Gretchen in Verbindung.637 Michael Schmidt zum Beispiel beschäftigt sich in seiner Untersuchung zur Gretchentragödie mit dem Titel „Genossin der Hexe“ sehr ausführlich mit Valentin und dem Thema „Stigma“. Auf die frühneuzeitliche Hexenverfolgung geht er in diesem Zusammenhang nicht ein, lediglich auf die mangelnde Plausibilität der Szene: „Tatsächlich stehen Valentins Prophezeihungen nicht im Einklang mit der bis dahin stattgefundenen dramatischen Entwicklung“.638
Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 356. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 358. Arens: Kommentar zu Goethes Faust I, S. 346. Radler: Goethes „Faust I“, S. 147. Radler: Goethes „Faust I“, S. 145. Auch in aktuellen zusammenfassenden Darstellungen zur Gretchenfigur fehlt die Dimension der Hexenthematik oft auffallend, trotz der inzwischen vorliegenden wissenschaftlichen Anstöße etwa durch Schöne, vgl. beispielhaft die Überblicksdarstellung von Gesa von Essen im FaustHandbuch aus dem Jahr 2018, Von Essen: Gretchen. Zwar beobachtet man „unmenschlichen ‚Terror‘“ (ebd., S. 246) in der frühneuzeitlichen Welt Gretchens, erklärt sich diesen aber nach wie vor ausschließlich mit der Kontrolle des sittlichen Verhaltens. Auch beim Thema der „GretchenIkonographien“ bleiben die doch deutlich zu beobachtenden Assoziationen von Hexenangst und Hexenverfolgung unbeachtet (ebd., S. 247–251). Schmidt, M.: Genossin der Hexe, S. 99.
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Die Interpretationen des Valentin reichen also vom ehrlichen Anstandswärter über den dummen Trottel bis hin zum Sadisten und Bruder, der die Schwester inzestuös begehrt. Die wechselhaften Deutungen verraten Hilflosigkeit bei der Suche nach einem plausiblen Motiv. Valentins verzweifelte Reaktionen erscheinen übertrieben, lässt man die Hexenthematik im „Faust“ außer Acht.
8.6 Die Ebene der höfischen Welt Wie tobts in diesen wilden Tagen! / Ein jeder schlägt und wird erschlagen [...]639
Es gibt zahlreiche Untersuchungen zu den geschichtlichen Epochen, die in Goethes „Faust“ anklingen und die besonders im zweiten Teil des Dramas unterschiedlich interpretiert werden können.640 Jochen Schmidt beobachtet eine „epochendiagnostische Funktion“ des zweiten Teils, Goethe schreite „zu einer systematischen und kategorial durchdringenden Geschichtsreflexion fort, um die Neuzeit im ganzen zu erfassen.“641 Da im zweiten Teil des Dramas viele Szenen mit der antiken Sagenwelt verknüpft sind und Goethe den frühneuzeitlichen Hexenvorstellungen hier weniger Raum gibt, wird diese Hexenthematik in der Sekundärliteratur fast überhaupt nicht mehr behandelt. Dennoch sind auch in diesem Teil, speziell auf der Ebene der höfischen Welt, wichtige Aussagen zu magiebezogenen Imaginationen und zur Hexenverfolgung enthalten, zu Hexenängsten, zu politischen Umständen, die Verfolgungen förderten, und zur Instrumentalisierung von Zauberei- und Hexenprozessen. Denn ebenso selbstverständlich wie in Gretchens Welt herrschen auch am Hof des Kaisers Magievorstellungen, und Hexenprozesse werden thematisiert. Der Kaiser ist im Drama keine genau bestimmbare historische Person, sondern ein Typus des scheiternden, am Genuß642 orientierten Herrschers. Ursprünglich hatte Goethe wohl Maximilian I. vor Augen,643 vieles spricht auch dafür, Karl V. als
Der Heermeister am Hof des Kaisers beschreibt kriegerisches Geschehen im Land (4812 f.). Eine Übersicht über verschiedene Forschungsmeinungen hierzu gibt John R. Williams. Er spricht von einem „Kompositbild“ im ersten Akt des „Faust II“, einem Bild der alten europäischen Ordnung, die von einer schweren Krise bedroht werde. Williams: Die Deutung geschichtlicher Epochen, S. 95. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 217. Vgl. hierzu etwa Lohmeyer: Faust und die Welt, S. 74 f. Vgl. den ursprünglich für „Dichtung und Wahrheit“ geplanten Bericht: Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 593–596, hier S. 593.
8.6 Die Ebene der höfischen Welt
379
Vorlage in Betracht zu ziehen.644 Gernot Böhme hat die Bedeutung der unbenannten Figuren als Funktionsträger unterstrichen: Im Faust II wird das Zeremonielle des kaiserlichen Hofes dadurch besonders deutlich, dass die Personen nicht mit Namen erscheinen, sondern nur mit Funktionen: Der Kaiser, der Hofmarschall, der Mundschenk usw. Keine einzige Figur mit Namen. Das ist auffällig, wenn man bedenkt, dass Goethe Tragödien mit historischem Hintergrund gedichtet hat, in denen die vornehmen Figuren darin sehr wohl gerade Personen und Namensträger sind. [...] Hier im Faust II erscheinen alle Figuren namenlos, als pure Funktion.645
Mephistopheles verschafft dem Kaiser wertloses Geld, ein Bild, das eine Vielzahl von Untersuchungen zu Wirtschaft und Formen der Wertschöpfung nach sich gezogen hat, das aber durchaus auch eine typische dämonologische Imagination ist, wie im Folgenden dargelegt wird. Mephistopheles und Faust werden dann von Hofleuten um Liebes- und Heilzauber gebeten. In dieser Szene manifestieren sich frühneuzeitliche Magievorstellungen. Auch die Hexenverfolgung wird am Hof thematisiert, hier aus Sicht einer Obrigkeit. Goethes historisches Wissen enthüllt sich dabei mit Blick auf präzise Details des Verfolgungsgeschehens. Besonders aufschlussreich ist die dargestellte Instrumentalisierung von Zauberei- und Hexenprozessen, sie wird unter Punkt 8.6.2 behandelt. Goethe führt die Instrumentalisierung szenisch vor Augen, als der Erzbischof den Kaiser erpresst (10977–11042). Sie klingt auch in der Klage des Kanzlers über Missstände im Reich (4791–4802) an.
8.6.1 Magievorstellungen Nehmt Froschlaich, Krötenzungen, kohobiert, Im vollsten Mondlicht sorglich distilliert; Und, wenn er abnimmt, reinlich aufgestrichen, Der Frühling kommt, die Tupfen sind entwichen. (6325–6328)646
Zahlreiche frühneuzeitliche Quellen belegen, wie stark auch gesellschaftliche Schichten mit höherer Bildung von Magie- und Hexenvorstellungen durchdrungen waren. Magische Praktiken in Gerichtsverfahren sind ein Beispiel dafür. Und der Aberglau Vgl. etwa Requadt: Die Figur des Kaisers, S. 158. Faust-Kommentare verweisen auf verschiedene Herrscher, die in früheren Faust-Dichtungen genannt werden. Vgl. etwa Arens: Kommentar zu Goethes Faust II, S. 54; Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 397 f. und 413 f., sowie Gaier: Faust-Dichtungen, S. 420 f. Hartmut Reinhardt bezeichnet den anonymisierten Kaiser als „Typus einer restaurativen Konstellation“, Reinhardt: Fabrikant und Kolonisator, S. 552. Böhme: Goethes Faust als philosophischer Text, S. 180. Mephistopheles empfiehlt einer Hofdame ein Mittel gegen Sommersprossen.
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ben einflussreicher Personen hatte oft unmittelbare Auswirkungen: Wenn Amtsträger oder sogar Landesherren von Hexenangst beherrscht waren, so konnte dies Hexenverfolgungen verschärfen.647 Der Historiker Burghart Schmidt hat den in allen Ständen vertretenen Aberglauben wie folgt beschrieben: Die von Geistlichen entwickelte dämonologische Lehre und das kumulative Hexenbild des Malleus maleficarum wurden schichtenübergreifend rezipiert und akzeptiert. Die Überzeugung, dass magische Mittel, Praktiken und Rituale wirksam wären, dass der Teufel leibhaftig umhergehen könne und seine Verbündeten unter den Menschen suche, dass Dämonen und Hexen ihr Unwesen treiben könnten, war für einfache wie für gebildete Zeitgenossen Bestandteil ihrer Lebenswirklichkeit.648
Goethe hat diese Gegebenheiten in seinem „Faust“ dargestellt. Die Szenen am Hof des Kaisers ergänzen somit die Hexenthematisierungen in den Gretchenszenen. Zunächst verschafft Mephistopheles dem Kaiser wertloses Papiergeld, das er mit erlogenen Schätzen rechtfertigt. Immer wieder wird Mephistopheles’ Handeln in der Faust-Forschung ausführlich mit der in der Szene präsenten Alchemie und deren Versuchen, Gold herzustellen (besonders Vers 4955–4970), in Verbindung gebracht.649 Das trügerische Geld selbst steht aber auch schon im alten Kontext dämonologischer Vorstellungen, was in der Faust-Forschung ignoriert wird. Wie unter Punkt 8.2.3 dargelegt, ist das Geld, das in der Hand zerrinnt oder sich in Dreck verwandelt, ein stereotyp imaginiertes Geschenk des Teufels, in Hexenprozessen wurde danach gefragt. Faust selbst beschreibt es in der Szene Studierzimmer (II): Doch [...] hast / Du rotes Gold, das ohne Rast, / Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt, / Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt (1678–1681). Häufig verwandelte sich nach Aussagen von Hexenprozessopfern das vom Teufel gegebene Geld oder Gold auch in Kot. Georg Mein hat den Zusammenhang zwischen Gold und Kot kulturgeschichtlich beleuchtet: Zwischen Gold und Kot herrscht seit jeher ein dunkler Zusammenhang, den Freud schon durch den allgemeinen Sprachgebrauch sowie durch charakteristische Motive in Mythen und Märchen bestätigt sieht – erwähnt sei nur die Figur des ‚Dukatenscheißers‘ oder Begriffe wie ‚stinkreich‘, ‚einen Haufen Gold‘, ‚das Geschäft erledigen‘ usw.650
Die Mummenschanz-Szene am Kaiserhof unterbricht als ausgedehntes Zwischenspiel den Betrug des Mephistopheles. Der Knabe Lenker spiegelt – jenseits aller alle Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 17 f. Schmidt, B.: Historische Hexenforschung im Spannungsfeld, S. 21. Vgl. etwa Lohmeyer: Faust und die Welt, S. 76–78; und Michelsen: Der Rat des Narren, S. 115–129. Mein: Ligaturen, S. 38.
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gorischen Deutungsmöglichkeiten651 – hier auch besonders deutlich das Verschenken zerrinnenden Reichtums, wie ihn die Dämonologie kennt. Der Knabe verteilt Kleinode (5592), Schmuck und Gold, die sich in Ungeziefer verwandeln: Was einer noch so emsig griffe Des hat er wirklich schlechten Lohn, Die Gabe flattert ihm davon. Es löst sich auf das Perlenband, Ihm krabbeln Käfer in der Hand, Er wirft sie weg, der arme Tropf, Und sie umsummen ihm den Kopf. (5595–5601)
Auch diese dämonologische Parallele wird in der Faust-Forschung nicht beschrieben, nur immer wieder der Reichtum als „Schein“,652 ein Aspekt, unter dem die Gaben des Knaben Lenker oft auf das Papiergeld bezogen werden. Der Papiergeldbetrug des Mephistopheles ist in der Faust-Forschung so umfangreich gedeutet worden, dass hier nur einige typische Beispiele genannt werden können. Offensichtlich wird an diesem Motiv, wie Goethe dämonologische Imaginationen transformiert und in andere Zeiten verschoben hat.653 Goethes „Faust“ erkläre „die Wirtschaft als alchemistischen Prozeß, als die Suche nach dem künstlichen Gold“,654 meint Hans Christoph Binswanger, und daran anschließend „die schnelle, mühelose und grenzenlose Bildung von Mehrwerten“655. Jochen Schmidt schließt, Goethes Interesse gelte „der anthropologischen Bedingtheit ökonomischen Verhaltens“656, Werner Hamacher vermutet
Vgl. zur Deutung des Knaben als Verkörperung der Kunst und Poesie etwa Anderegg: Knabe Lenker; Schlaffer: Der Aufzug der Allegorien; Reichstein: Die Mummenschanz; sowie Mattenklott: Das Monströse und das Schöne. So betont zum Beispiel Heinz Schlaffer mit Blick auf den „Schein des Geldes“, die Erfindung des Papiergeldes weise auf die Mummenschanz zurück. Schlaffer: Faust zweiter Teil, S. 94. Vgl. etwa auch Lohmeyer: Faust und die Welt, S. 108 f. und Jannidis: Mephistos Papiergeldschwindel, S. 60. Johannes Anderegg bemerkt immerhin, die Künste des Knaben Lenker muteten „magisch“ an, Anderegg: Knabe Lenker, S. 103 f. Gert Mattenklott beschreibt den Knaben zwar knapp als „dämonische Gestalt“, begründet dies aber nicht näher, sondern vergleicht ihn mit einem „Disco-Gigolo“, Mattenklott: Das Monströse und das Schöne, S. 326. Zur Verarbeitung und zu Einflüssen wirtschaftlicher Entwicklungen in Goethes Zeit im Drama Faust II vgl. Schößler: Geld, Kredit und Wechsel. Binswanger: Geld und Magie, S. 9. Vgl. auch zusammenfassend Binswanger: Magie des Geldes und Binswanger: Papiergeldszenen. Binswanger: Goethes Faust und die Magie der Entgrenzung, S. 57. Schmidt, J.: Faust am Kaiserhof, S. 443. Zum Kontext in der Mummenschanz angedeuteter ökonomischer Prozesse und künstlich erzeugter Bedürfnisse vgl. Schößler: Lehr- und Wanderjahre, S. 225–230. Fotis Jannidis warnt davor, die Papiergeldbeschaffung als „Analyse des moder-
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eine „Urphantasie des Kapitalismus“.657 Johannes Anderegg sieht das Papiergeld als „Bild für die Entwicklung des modernen Wirtschaftssystems“.658 Mag auch das wertlose Papiergeld als „Eindringen des modernen Geldwesens in die auf Grundbesitz beruhenden und schon morschen feudalen Strukturen“659 interpretiert werden, als Reminiszenz an das „Experiment mit fortgesetzter Geldvermehrung“660 des John Law 1716 in Frankreich, als Verarbeitung der „französischen AssignatenInflation von 1790–1797“,661 als Anspielung auf „drei spektakuläre wirtschaftsgeschichtliche Affären“,662 als System der kollektiven Täuschung und Selbsttäuschung“663 oder schlicht als „Unfug, Trug, Betrug?“664 und „das schiere Nichts“,665 so ist doch ebenso die dämonologische Wurzel des Bildes von Bedeutung. Sie wird in den Faustkommentaren aber fast nie erwähnt. Ulrich Gaier nennt das Gold der Magier immerhin ein „höllisches Instrument“,666 Rüdiger Safranski spricht knapp von der „modernen Zauberei“667 und Werner Hamacher erinnert implizit an die von Faust angeprangerten Versprechungen des Mephistopheles im ersten Teil, wenn er schreibt: „Fausts Formulierung von der ‚Frucht die fault, eh‚ man sie bricht‘ (Vers 1686) hat sich im universal-ökonomischen Maßstab erfüllt.“668 In Goethes Drama stellen die Figuren aber durchaus eine Nähe der Geldbeschaffung zu dämonologischen Vorstellungen her. Der Kanzler warnt vor den Reichtümern, von denen Mephistopheles spricht: Der Satan legt euch goldgewirkte Schlingen: / Es geht nicht zu mit frommen, rechten Dingen. (4941 f.)669 Der Schatz-
nen Wirtschaftssystems“ zu deuten, wie es nicht selten tatsächlich geschieht. Es gehe vielmehr „um die Darstellung einer allgemein-menschlich gedachten Gier nach Reichtum“, Jannidis: Mephistos Papiergeldschwindel, S. 58 f., vgl. ähnlich auch schon Lohmeyer: Faust und die Welt, S. 108. Hamacher, W.: Faust, Geld (Athenäum), S. 160. Anderegg: Goethes Faust lesen, S. 106. Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 221. Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 455. Petzsch: Christoph Wilhelm Hufeland, S. 48; zum Beispiel verweisen darauf auch schon Düntzer: Goethes Faust. Zweiter Theil, S. 91 f.; Erich Schmidt im Kommentar der Jubiläumsausgabe Cotta, Bd. 14, S. 318; sowie später Böhme: Goethes Faust als philosophischer Text, S. 186 f. Borchmeyer: Globalisierung, S. 87. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 627. Böhme: Goethes Faust als philosophischer Text, S. 185. Jaeger: Fausts Ökonomie, S. 52. Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 2, S. 627. Safranski: Goethe, S. 615. Hamacher, W.: Faust, Geld, S. 47. Peter Michelsen bemerkt, der Kanzler zeige eine “über die ihm zugängliche Einsicht [...] hinausgehende Kenntnis der Zusammenhänge“. Michelsen: Der Rat des Narren, S. 110. Vor dem
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meister sieht die Erfindung des Papiergeldes als Werk eines Zauberers:670 Soll zwischen uns kein fernster Zwist sich regen, / Ich liebe mir den Zaubrer zum Kollegen. (6141 f.) Und der Narr bezeichnet das Papiergeld als Zauber-Blätter (6157). In Goethes Paralipomena zum ersten Akt des Faust II sind Bezüge der Szene zur zauberischen Schatzsucherei überliefert. Sie galt in der frühneuzeitlichen Rechtsprechung vielerorts als ein die Todesstrafe rechtfertigendes Delikt.671 Verborgene Schätze sollen in der Szene Kaiserliche Pfalz / Lustgarten den Gegenwert zum Papiergeld bilden. Nach Andeutungen auf die verborgenen Schätze notierte Goethe hier: Man entgegnet aus Furcht vor Zauberey. Auch eine Wünschelruthe erwähnt er.672 Magievorstellungen und Hexenverfolgung sind präsente Themen am Hof. Mephistopheles registriert, dass man von den magisch besetzten Alraunen spricht und hexisch attribuierte Tiere wie den schwarzen Hund kennt. Zaubereianklagen kommen unmittelbar benachbart zur Sprache: Da stehen sie umher und staunen Vertrauen nicht dem hohen Fund, Der eine faselt von Alraunen Der andre von dem schwarzen Hund. Was soll es daß der eine witzelt, Ein andrer Zauberei verklagt, Wenn ihm doch auch einmal die Sohle kitzelt Wenn ihm der sichre Schritt versagt. (4977–4984)
Nach der Geldbeschaffung wird Mephistopheles von den Hofleuten um verschiedene Zauber ersucht. Er beschreibt ein magiegestütztes Mittel gegen Sommersprossen, dann will er einen kranken Fuß durch einen Tritt kurieren. Schließlich werden Liebeszauber verlangt. Einer Dame, die ihren treulosen Liebhaber zurückgewinnen will, rät Mephistopheles:
Hintergrund der frühneuzeitlichen Dämonologie überrascht die Angst des Kanzlers vor dem Teufel jedoch keineswegs. Hans Arens bemerkt zum darauffolgenden Abgang des Schatzmeisters mit Faust: „[...] von Anfang an gilt Faust als der Zauberer und Mephisto nur als sein Adlatus.“ Arens: Kommentar zu Goethes Faust II, S. 203. „Magische“ Praktiken werden von heutigen Faust-Interpreten, wie schon beschrieben, nur noch selten mit der frühneuzeitlichen Dämonologie assoziiert, obwohl hier eine sehr enge, manchmal sogar lebensbedrohliche Verbindung bestand. Dies offenbart sich etwa, wenn Michelsen völlig anders akzentuierend schreibt: „Auch daß Mephisto in naturmagischen Bereichen zu Hause ist und deren Praktiken kennt, hat nichts Überraschendes. Mephisto gehört zu den Natur-Geistern.“ Michelsen: Der Rat des Narren, S. 116. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 598.
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Nimm diese Kohle, streich ihm einen Strich Auf Ärmel, Mantel, Schulter wie sichs macht: Er fühlt im Herzen holden Reuestich. Die Kohle doch mußt du sogleich verschlingen, Nicht Wein, nicht Wasser an die Lippen bringen: Er seufzt vor deiner Tür noch heute Nacht. DAME Ist doch kein Gift? MEPHISTOPHELES entrüstet Respekt wo sichs gebührt! Weit müßtet ihr nach solcher Kohle laufen; Sie kommt von einem Scheiterhaufen Den wir sonst emsiger angeschürt. (6349–6358)
Mephistopheles gibt also Kohle von einem Scheiterhaufen als magisches Mittel aus. Auch diese Vorstellung hat abergläubische Tradition. Man maß Leichenteilen von Hingerichteten zauberische Wirkung bei. Das gleiche galt für Gegenstände und Materialien, die für Hinrichtungen benutzt wurden, etwa eine Speiche von einem Hinrichtungsrad oder ein Stück Marterseil.673 Dass Mephistopheles gerade auf Scheiterhaufen zu sprechen kommt, assoziiert wieder Ketzer- und Hexenverbrennungen,674 denn für deren Bestrafung war die Verbrennung typisch. Es ist anzunehmen, dass die dämonologischen Hintergründe dem zeitgenössischen Publikum Goethes geläufig waren. Auch in der Szene Nacht, offen Feld im ersten Teil des Dramas verweist Goethe auf diese Imaginationen, wenn die Hexen am Rabenstein, dem Hinrichtungsort, kochen und schaffen (4399 f.), einer beliebten Szene in der bildenden Kunst (vgl. dazu Punkt 8.4.5).
Vgl. zu diesen Imaginationen Punkt 8.4.5 meiner Arbeit sowie ausführlich Nowosadtko: Scharfrichter, S. 178–194. Wilhelm Meinhold hat in seinem Roman „Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe“ den über der Angeklagten zerbrochenen Stab als Objekt dieses abergläubischen Begehrens geschildert. Er beschreibt die Urteilsverkündung gegen die „Bernsteinhexe“ aus der Sicht ihres Vaters: „Als er das letzte Wort ausgesprochen, zerbrach er seinen Stab und warf meinem unschuldigen Lämmelein die Stücken vor ihre Füße, indem er zu dem Büttel sprach: jetzt thut Eure Schuldigkeit! Aber es stürzeten so viel Menschen beides Männer und Weiber auf die Erde, um die Stücken des Stabs zu greifen (dieweil es gut sein soll vor die reißende Gicht item vor das Vieh wenn es Läuse hat), daß der Büttel über ein Weibsbild zu Boden fiel, so vor ihm auf den Knieen lag, und ihm also auch von dem gerechten Gott sein naher Tod vorgebildet wurde.“ Meinhold: Bernsteinhexe, S. 207. Vgl. etwa schon Erich Schmidt im Kommentar der Jubiläumsausgabe Cotta, Bd. 14, S. 323, er verweist auf die „Verbrennung von Hexen und Zauberern“; auch Arens: Kommentar zu Goethes Faust II, S. 257.
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8.6.2 Instrumentalisierung von Hexenprozessen Das leidige Zaubervolk bringt mich in harten Schaden. (11034)675
Goethe hat im zweiten Teil des „Faust“ mehrfach die Instrumentalisierung von Hexenprozessen angedeutet und auch konkret dargestellt. In der ihm bekannten verfolgungskritischen Literatur der frühen Neuzeit wurden derartige Instrumentalisierungen angeprangert, sie waren schon Zeitgenossen der Hexenverfolgung bewusst. Die kaiserlichen Amtsträger sprechen in der Szene Kaiserliche Pfalz, Saal des Thrones über den Zerfall des Reiches und krisenhafte Zustände,676 die auch Hexenverfolgungen begünstigen. Der Heermeister schildert eine überall herrschende unkontrollierte Gewalt677 und bemerkt über das Reich: Es liegt geplündert und verheert. (4826) Der Kanzler beklagt das im Land herrschende Unrecht, vielfache Missstände und Irrglauben: Doch ach! Was hilft dem Menschengeist Verstand, Dem Herzen Güte, Willigkeit der Hand, Wenns fieberhaft durchaus im Staate wütet, Und Übel sich in Übeln überbrütet. Wer schaut hinab von diesem hohen Raum Ins weite Reich, ihm scheint’s ein schwerer Traum; Wo Mißgestalt in Mißgestalten schaltet, Das Ungesetz gesetzlich überwaltet, Und eine Welt des Irrtums sich entfaltet. (4778–4786)
Ausdrücklich erwähnt der Kanzler Ketzer und Hexenmeister als Schuldige: Die Ketzer sind’s! die Hexenmeister! Und sie verderben Stadt und Land. (4911 f.)
Der Kaiser realisiert, wie man ihn mit dem gefährlichen Thema der Hexenverfolgung unter Druck setzt. Ein Beispiel für die Übertragung der geschilderten Probleme des Reiches auf Goethes Zeit liefert Rudolf Bach: Die Kronratsszene in Faust II. Anachronistisch wird die Perspektive Michael Jaegers, wenn er in dieser Szene eine „hoffnungslos antiquierte Warnung vor Magie, Scharlatanerie und Betrügerei vermeintlicher Teufelsbündner“ konstatiert. Jaeger: Fausts Ökonomie, S. 53. Hans Arens bezeichnet sie als „Gewalttätigkeit auf eigene Faust“. Arens: Kommentar zu Goethes Faust II, S. 59. Dorothea Lohmeyer spricht von der „Auflösung der Gesellschaft in ihren unsozialen Elementarzustand“. Lohmeyer: Faust und die Welt, S. 73.
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Für den Kanzler ist dies kein Widerspruch zu seiner Kritik an Unrecht und Irrglauben.678 Auch Kritiker der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung stellten die Existenz von Hexen und Zauberern oft nicht gänzlich infrage, wie etwa unter Punkt 7.4 schon beschrieben wurde, doch warnten sie davor, statt der wahren Täter Unschuldige zu bestrafen. Die Szene ist keine reine Erfindung Goethes. Tatsächlich wurde Kaiser Maximilian I. von einem Zeitgenossen Fausts, der zeitweise selbst in den Ruf eines Zauberers geriet, vor Hexen und Teufelsbündnern im Reich gewarnt: Johannes Trithemius hielt dem Kaiser deren angeblich gottgewollte Vernichtung vor Augen.679 In einem von dem Juristen Abraham Saur herausgegebenen Kompendium verschiedener hexentheoretischer Texte „Theatrvm De Veneficis“, einer möglichen Quelle Goethes, findet sich der Text in Übersetzung aus dem Lateinischen: Die ersten und schaedlichsten sind die Hexen und Unholden / welche buendtnuß mit den Teuffeln machen [...]. Was aber diese schaedliche leut / aller weisester Keyser in deinem reich fuer groß vnglueck anrichten / kan kein mensch gnugsam außsprechen. [...] Derhalben sie auch nirgend zu dulten / sonder an allen orten vnd enden gar außzureuten wie dann Gott der schoepffer aller ding solchs befohlen / da er spricht: Die Zaeuberin soltu nicht Leben lassen.680
Der Schatzmeister des Hofes in Goethes „Faust“ beschreibt die Unabhängigkeitsbestrebungen von kleinen Herrschaften und die Herrschaftszersplitterung681 im Reich als Ausgangspunkt für Unfrieden: Auch Herr, in deinen weiten Staaten An wen ist der Besitz geraten?
Hans Arens hat die Möglichkeit erwogen, eine Welt des Irrtums auf Reformation und Glaubensspaltung zu beziehen, zugleich bezeichnet er diesen Hinweis als schwach und schließt daraus: „Das Religiöse scheint vom Dichter ausgeklammert zu sein.“ Arens: Kommentar zu Goethes Faust II, S. 58. Johannes Trithemius: Liber octo quaestionum ad Maximilianum Caesarem de fide et intellectu (1515). Volltext einsehbar unter: http://www.literature.at/alo?objid=11936 [Stand: Juni 2023]. Abraham Saur: Theatrvm de Veneficis. Frankfurt a. M. 1586, S. 357. Volltext einsehbar unter: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00039916-3 [Stand: Juni 2023]. Auflösungsprozesse der Reichsgewalt sind ein vielschichtiger und langwieriger Prozess, der in der frühen Neuzeit andauerte. Zu knapp ist deshalb Ulrich Gaiers Erläuterung: „Nachdem im Kurverein von Rense 1338 die deutschen Kurfürsten beschlossen hatten, daß der von ihnen mehrheitlich Gewählte keine Zustimmung des Papstes mehr braucht, um die Rechte des deutschen Reiches oder den Königstitel zu übernehmen [...] wurde Macht und Besitz der deutschen Kurfürsten in der Goldenen Bulle 1356 festgelegt, was zugleich die Reichsregierung entscheidend schwächte. Diesen Vorgang des Ausverkaufs der kaiserlichen Macht und der Zersplitterung des Reiches stellt Goethe am Ende des 4. Akts im Faust II nach.“ Gaier: Faust-Dichtungen, Bd. 3, S. 420.
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Wohin man kommt da hält ein Neuer Haus; Und unabhängig will er leben, Zusehen muß man wie er’s treibt; Wir haben soviel Rechte hingegeben, Daß uns auf nichts ein Recht mehr übrig bleibt. (4834–4840)
Wenn später der Kaiser Besitz an Fürsten verleiht, nimmt er auf die Zersplitterung des Reiches Bezug und verfügt die Unteilbarkeit der Besitztümer (10967–10970). Die Kleinräumigkeit von Herrschaften war ein Faktor, der Hexenverfolgung oft begünstigte.682 Bei konkurrierenden Landesherren spielte die Frage der Hochgerichtsbarkeit eine entscheidende Rolle. Das Recht, Hinrichtungen durchzuführen, dokumentierte höchste Herrenrechte. Streitigkeiten um diese Rechte sind neuerdings verstärkt als ein Faktor für Hexenverfolgungen untersucht worden. Quellen belegen, dass gerade in Territorien mit strittigen Hochgerichtsrechten manche Hexenprozesse das Gewaltmonopol demonstrieren sollten. Das heißt, manche Landesherren richteten, von Zentralgewalten nicht ausreichend kontrolliert, angebliche Hexen schlicht zum Beweis ihrer Unabhängigkeit hin.683 Eine ungerechte, prunkende Justiz enthüllt Goethe in der Klage des Kanzlers: Jetzt drängen Kläger sich zur Halle, Der Richter prunkt auf hohem Pfühl, Indessen wogt, in grimmigem Schwalle, Des Aufruhrs wachsendes Gewühl. Der darf auf Schand und Frevel pochen, Der auf Mitschuldigste sich stützt, Und: Schuldig! hörst du ausgesprochen, Wo Unschuld nur sich selber schützt. So will sich alle Welt zerstückeln, Vernichtigen was sich gebührt; Wie soll sich da der Sinn entwickeln Der einzig uns zum Rechten führt. (4791–4802)
Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 17. So hat es zum Beispiel Rita Voltmer für den Rhein-Maas-Moselraum nachgewiesen, vgl. Voltmer, Hochgerichte. Vgl. die „herrschaftlich-politische Nutzung der Handlungsoption ‚Hexenverfolgung‘“ zusammenfassend auch Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 105–110. Auch in anderen literarischen Verarbeitungen der Hexenverfolgung werden verschiedenartige herrschaftliche Instrumentalisierungen von Hexenprozessen thematisiert, etwa benutzt Ludwig Tieck die Bezeichnung „Bluthandel“, er beschreibt in diesem Zusammenhang unter anderem die Güterkonfiskation von Hexenprozessopfern. Tieck: Hexen-Sabbat, S. 229 (vgl. zu Tiecks Novelle Punkt 11.1).
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Die Schwäche oder das gänzliche Fehlen zentraler staatlicher Gewalt gilt auch heute noch als ein Faktor für Hexenangst.684 Goethe soll im Gespräch mit Eckermann zu dieser Szene bemerkt haben: „Das Land ist ohne Recht und Gerechtigkeit, der Richter selber mitschuldig und auf der Seite der Verbrecher, die unerhörtesten Frevel geschehen ungehindert und ungestraft.“685 Auffallend ist in Goethes Text, neben der gesamten Unrechtssituation, dass ein Verfolgungsdruck „von unten“686 anklingt. Eines Aufruhrs wachsendes Gewühl wird geschildert, wie es auch Hexenprozesse vielfach forcierten. Wolfgang Behringer hat den Druck beschrieben, den ein in der Bevölkerung verbreitetes Verlangen nach Hexenverfolgung auslösen konnte: Ausschlaggebend für den Beginn von Hexenverfolgungen war nicht selten die Stimmung in der Bevölkerung. Das mag manchen überraschen, der sich von ‚vordemokratischen‘ Zeiten, die in der Geschichtsschreibung nicht selten unter Begriffen wie ‚Feudalismus‘ oder ‚Absolutismus‘ abgehandelt werden, ein anderes Bild gemacht hatte. Tatsächlich aber waren die Obrigkeiten in hohem Maße von der Stimmung in der Bevölkerung abhängig. Besonders in Krisenzeiten wurden sie regelrecht unter Druck gesetzt durch Petitionen [...] oder sogar durch die Androhung direkter Rebellion [...] durch die ‚Untertanen‘.687
Auch der Kaiser selbst wird in Goethes „Faust“ im Zusammenhang mit der Hexenverfolgung erpresst, allerdings durch einen Vertreter der Kirche. Der Kaiser hat einen vermeintlichen Zauberer,688 den „Negromant von Norcia“, von einem bereits brennenden Scheiterhaufen gerettet und von seinem Recht zur Begnadigung Gebrauch gemacht.689 Hier entstehen assoziativ auch Bezüge zu Faust, denn er
Aus politikwissenschaftlichen und ethnologischen Untersuchungen berichtet Johannes Harnischfeger: „Der Vergleich mit dem zeitgenössischen Afrika ist hier interessant, denn er lässt erkennen, was passiert, wenn der umgekehrte Prozess einsetzt und staatliche Autorität sich zurückbildet. Da staatliche Behörden nicht mehr in der Lage sind, Rechtsverhältnisse zu garantieren, verfallen viele moderne Institutionen, die den Menschen Sicherheit gaben, und es breitet sich auch in den großen Städten panische Angst vor unsichtbaren Kräften aus.“ Harnischfeger: Hexerei, S. 98. Gräf: Goethe über seine Dichtungen, Teil II, Bd. 2, S. 415. Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 10. Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 268. Johannes Hartlieb beschreibt in seinem „Buch aller verbotenenen Kunst“ aus dem Jahr 1465 diese schwarze Kunst wie folgt: „Nygramancia ist die erst verboten kunst und haisst man sy die schwartzen kunst. Die kunst ist die aller böst wann sy gat zu mit dem opffer und dienst den man den teuffeln tun muß. Wer in der kunst arbaiten will der muß den teuffeln manigerhand opffer geben auch mit den teuffeln gelübt und verpintnuß machen“, fol. 13r-13v. Volltext einsehbar unter: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg478/0001 [Stand: Mai 2023]. Zum Recht der Begnadigung vgl. Müller, G.: Das Recht in Goethes Faust, S. 86–90. Max Morris nennt „die Nekromanten und als deren Feind die Inquisition mit dem Scheiterhaufen“ ein über-
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wird in vielen Faustdichtungen als Anhänger nekromantischer Kunst benannt,690 und frühe Quellen zur historischen Faustgestalt überliefern, dass er mit entsprechenden Bezeichnungen attribuiert wurde.691 In Goethes „Faust“ wird die Begnadigung des Zauberers durch den Kaiser schon in der Szene Auf dem Vorgebirg mehrfach erwähnt, zunächst erinnert Faust an das Geschehen (vgl. auch 10606–10619): Der Negromant von Norcia, der Sabiner, Ist dein getreuer ehrenhafter Diener. Welch gräulich Schicksal droht’ ihm ungeheuer, Das Reisig prasselte, schon züngelte das Feuer; Die trocknen Scheite, rings umher verschränkt, Mit Pech und Schwefelruten untermengt; Nicht Mensch, noch Gott, noch Teufel konnte retten, Die Majestät zersprengte glühende Ketten. (10439–10446)
In der Szene Des Gegenkaisers Zelt, Thron wirft der Erzbischof692 dem Kaiser vor, am Tag seiner Krönung diesen Zauberer befreit zu haben. Er droht dem Kaiser, um eine reiche Sühneleistung zu erlangen: Mit welchem bittern Schmerz find ich, in dieser Stunde, Dein hochgeheiligt Haupt mit Satanas im Bunde. Zwar, wie es scheinen will, gesichert auf dem Thron, Doch leider! Gott dem Herrn, dem Vater Papst zum Hohn. (10981–10984)
raschendes Element in der Szene, vgl. Morris: Goethe-Studien, S. 111. Dieser Ansicht kann man widersprechen, wenn man die vielen anderen Bezüge zur Zauberer- und Hexenverfolgung im „Faust“ berücksichtigt. Vgl. zum Beispiel Simrock: Puppenspiel, S. 274, 279. Unter Punkt 6.3 schon erwähnt wurde etwa die Verfügung des Nürnberger Rates aus dem Jahr 1532: „Doctor fausto, dem grossen Sodomitten und Nigromantico zu furr, glait ablainen. Burg[ermeister] Ju[ni]or.“ Abgebildet zum Beispiel in Mahal: Faust. Die Spuren eines geheimnisvollen Lebens, S. 142. Vgl. die Erläuterungen von Hans Henning zu Faust als historischer Gestalt in Henning: Faust-Variationen, S. 13 f. Hans Arens charakterisiert die Figur drastisch: „Dieser Erzbischofkanzler ist die übelste Figur im ganzen ‚Faust‘“, Arens: Kommentar zu Goethes Faust II, S. 822. Arens nimmt ihr dadurch allerdings die Funktion, die generelle Instrumentalisierbarkeit von Zauberei- und Hexenprozessen darzustellen. Missverständlich formuliert ist die Deutung von Gert Mattenklott: „[...] ein Erpressungsakt, denn der Kaiser hat sich selbst mit dem Teufel persönlich verbündet, um seine Herrschaft zu stabilisieren. Umso dringender ist er eben nun auf die geistliche Legitimation angewiesen.“ Mattenklott, Gert: Faust II, S. 458. Es bleibt unklar, auf welche Handlung Mattenklott das Bündnis mit dem Teufel hier genau bezieht.
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Der Erzbischof kündigt päpstlichen Zorn an: Denn noch vergaß er nicht wie du, zur höchsten Zeit, / An Deinem Krönungstag den Zauberer befreit. (10987 f.) Er verknüpft die Drohungen mit Forderungen: Doch schlag an Deine Brust und gib, vom frevlen Glück, / Ein mäßig Scherflein, gleich dem Heiligtum zurück. (10991 f.) Es folgt eine lange Wunschliste: Ländereien, Rechte und Zahlungen. Die Erpressung gelingt; der Kaiser überschreibt einen reichen Landesteil mit Steuerrechten (11021 f.). Schließlich fordert der Erzbischof noch Geld und Material für den Bau einer Kirche sowie dauerhaft zusätzliche Zahlungen. Und er kündigt zukünftige rechtlich abgesicherte Annexionen an: Wer’s Recht hat und Geduld für den kommt auch die Zeit, / Für uns mög Euer Wort in seinen Kräften bleiben! Der Kaiser bemerkt daraufhin: So könnt’ ich wohl zunächst das ganze Reich verschreiben. (11040–11042). Goethe hat das verschlagene Handeln des Erzbischofs detailreich über 75 Verse ausgestaltet (10977– 11042). Der Kaiser kommentiert die Erpressung: Das leidige Zaubervolk bringt mich in harten Schaden. (11034) Der auffallenden metrischen Form des – absichtlich fehlerhaften – Alexandriners in der Szene Des Gegenkaisers Zelt, Thron kam in der Faust-Forschung besondere Aufmerksamkeit zu. Albrecht Schöne spricht mit Blick auf die Betonungen von „Mißverhältnissen“ und „Entgleisungen“.693 Schon Julius Frankenberger sah in der Sprache „das Ganze dieses Reiches [...] als nichtig“ dargestellt.694 Hartmut Reinhardt charakterisiert „das Hohle und Tönende, das Brüchige und Holperige dieser Verse“.695 Es macht deren eigentlich repräsentativen Ton des Barock zum Missklang. In Goethes Szenen der höfischen Welt wird angedeutet, wie vielfältig Hexenangst und Hexenprozesse instrumentalisiert werden konnten. Ähnliche Möglichkeiten der Instrumentalisierung werden mehr und mehr auch als treibende Kräfte der realen Hexenverfolgung erkannt.
8.7 Das Motiv der Glocke Ferner bekannt, wie sie einen Anschlag mit obgenannten Weibern daselbst gemacht, daß das Wetter das Dorf mitsammt allen Sachen darum gelegen, in den Grund zerschlagen und verderben solle, aber allweg auf die große Glocke zu Völs Sorg’ gehabt [...].696
Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 691. Frankenberger: Walpurgis, S. 113. Reinhardt: Die kleine und die große Welt, S. 363. Geständnis der Katharina Moserin, Südtirol 1506. Quelle zitiert bei Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 112. Vgl. auch Irsigler: Hexenfurcht, S. 116 f.
8.7 Das Motiv der Glocke
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Glockenläuten durchzieht alle Fassungen und Teile von Goethes „Faust“. Goethe schreibt dem Klang im Drama so starke Wirkung zu, dass die Nähe zu dämonologischen Vorstellungen, wie sie etwa Kramers „Hexenhammer“ verbreitete,697 unübersehbar ist. Immer wieder werden die Mächte des Bösen im „Faust“ durch Glockenklang gestört. Schon vor dem Teufelspakt bewahren Glocken in der Szene Nacht Faust vor dem Selbstmord. Dieser war nach frühneuzeitlicher Vorstellung eine schwere Sünde, die den Täter der Hölle auslieferte. Der Gifttrunk wird durch die akustische Präsenz der Kirche von Fausts Mund weggezogen. Zwar spielt hier auch seine Jugenderinnerung an des Glockentones Fülle (773) eine Rolle.698 Die Macht des Klangs, seine Gewalt, geht aber über bloße Reminiszenzen hinaus. Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton, Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde? Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon Des Osterfestes erste Feierstunde? (742–745)
In späteren Szenen des Dramas verstärkt sich noch der Charakter des Glockenklangs als Abwehrzauber. So beeinflusst Glockenläuten in der Szene Kerker das Kräftespiel zwischen Mephistopheles und der christlich geprägten Gefangenen. In der frühen Fassung des „Faust“ sagt Gretchen: Hörst du! Kein lautes Wort. Die Glocke ruft! – Krack das Stäbgen bricht! – Es zuckt in iedem Nacken die Schärfe die nach meinem zuckt! – Die Glocke hör. (90–93)
Zum einen klingt hier an, welche Bedeutung Glocken im Strafrecht hatten.699 Sie wurden mit dem Strafvollzug ähnlich zeichenhaft verbunden wie andere markante Symbole, etwa das Stabbrechen. Dies wird zum Beispiel auch in den Prozessakten zum Fall der Susanna Margaretha Brandt dokumentiert.700 Zugleich aber
Kramer: Hexenhammer, S. 589 f. Vgl. zu Aspekten, die die Faust-Forschung betont hat, Punkt 8.2.2. Vgl. Müller, G.: Das Recht in Goethes Faust, S. 178–179. Der Obrist-Richter Johannes Raab berichtet über die Hinrichtung der Susanna Margaretha Brandt am 14. Januar 1772: „Um halb zehen Uhr erschiene der Stöcker und zeigte an, daß währendem Läuten der Vater = Unser Glock in der Barfüßer Kirche die Sturm Glocke zum ersten – eine viertel Stunde hernach zum zweyten – und abermal nach Verlauf einer viertel Stunde zum dritten mal durch ihn angeschlagen worden, auf welche Anzeige dann alles zum Ausführen veranstaltet [...]“; Birkner: Goethes Gretchen, S. 109. Auch das Symbol des zerbrochenen Stabes wird in den Berichten vielfach betont: „[...] hat der Herr Obrist = Richter den kleinen rothen Staab unter dem Mantel mit den Worten vorgezogen: Auf Befehl Eines HochEdlen Raths breche ich euch
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
beschwört Gretchen im Kerker die bannende Macht der Glocke. In der Druckfassung von 1808 hat Goethe die Stelle abgeschwächt: Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht (4590). Gretchen bittet Faust aber mit Verweis auf die Hölle, die unter der Schwelle siede und in der der Böse lauere, um eine andere Schutzmaßnahme: O laß uns knien die Heil’gen anzurufen! (4453). Schließlich unterliegt Mephistopheles: Gretchens Seele Ist gerettet! (4612). Auch im zweiten Teil des Dramas sind Glocken präsent. Der Erzbischof fordert in der Szene Des Gegenkaisers Zelt, Thron den schon erwähnten Kirchenbau, den der Kaiser finanzieren soll. Im Sprachgebrauch des Erzbischofs stehen Glocken symbolisch für den Einfluss der Kirche: Der erste Glockenruf erscholl durch Berg und Tal, Von hohen Türmen tönt’s wie sie zum Himmel streben, Der Büßer kommt heran, zu neugeschaffnem Leben. (11012–11014)
In den Paralipomena hat Goethe die Macht der Glocken noch deutlicher gezeichnet: Von dort her werden volle Glocken Die Gegend zum Gebete locken So weit man diese Glocken hört So weit verehrest du das Land dem Stift701
Anders als die frommen Büßer, die zur Kirche streben, werden Teufelsbündner im „Faust“ durch die Glocken gequält – ebenso dem Teufel nahestehende Menschen. Fausts ehemaliger Famulus etwa, der zweifelhafte Wagner, hasst den Klang: WAGNER am Herde Die Glocke tönt, die fürchterliche Durchschauert die berußten Mauern. (6819 f.)
Brandtin also hiermit den Staab und übergebe euch dem Nachrichter Hofmann, daß er das Urthel auf vorgeschriebene Art vollziehen möge; sogleich den kleinen rothen Staab gebrochen und solchen der Maleficantin vor die Füße geworfen, den der Richter Kolb aufgehoben und dem Herrn Obristrichter dem Vernehmen nach behändiget haben soll, wobey Maleficantin dergestalten erschrocken, daß ihr einige Minuten alle Glieder gezittert und sie hierauf dem hinter den Ofen gestandenen Nachrichter übergeben [...].“; Birkner: Goethes Gretchen, S. 113. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 719.
8.7 Das Motiv der Glocke
393
Viele Interpreten deuten die Glocke hier als Mephistopheles’ Läuten an der Tür, das Wagner störe.702 Türen galten in besonderer Weise als Einfallstore des Bösen und wurden durch verschiedene Abwehrzauber geschützt.703 Faust fühlt sich durch Glockenläuten geradezu körperlich verletzt: Verdammtes Läuten! Allzuschändlich Verwundets, wie ein tückischer Schuß (11151 f.)
Der Grund hierfür wird oft in der psychischen Verfassung des alten Faust und dem Zustand seines Gewissens gesucht. Michael Jaeger spricht von einer „Glockentonphobie“704, die „zunächst bizarr anmutende Glockentonwut Fausts“ sieht er im Zusammenhang mit der „Kirchenpolemik der Saint-Simonisten“ auch als „Abwehr des vermeintlichen Aberglaubens“.705 Hans Arens fragt, ob Faust kindisch geworden sei, sich und sein Werk durch das Läuten ignoriert fühle; er konstatiert in Fausts Worten „Maßlosigkeit“ und „Emotionalität“.706 Aber schon nach dämonologischer Vorstellung bedeutet der Klang von Glocken einen Machtverlust und eine massive Störung der Teufelsbündner. Die Imagination ihrer Abscheu und auch ihrer physischen Beeinträchtigung ist also althergebracht. Sie zeigt sich etwa in der Vorstellung, Hexen würden bei Glockenklang aus der Luft herabstürzen oder wie gelähmt innehalten;707 auch in der häufig überlieferten Beschreibung von Glocken als „bellenden Hunden“.708 Das alte Paar Philemon und Baucis, dessen vielschichtige Bedeutung hier nicht weitergehend behandelt werden kann, ist durch Fausts Landgewinnungspläne bedroht, es vertraut auf Glockenläuten. Gerade dieses aber wird ihnen später zum Verhängnis, denn es reizt Faust. Philemon schlägt in der Szene Offene Gegend vor: Laßt uns zur Kapelle treten! Letzten Sonnenblick zu schaun. Laßt uns läuten, knien, beten!
Arens etwa geht davon aus, es sei an dieser Stelle „Mephistos mauerndurchschauernder Glockenton“. Arens: Kommentar zu Goethes Faust II, S. 366. Schöne verweist auf den als gellend beschriebenen Türglockenton, der schon vorher in der Szene Hochgewölbtes, enges, gotisches Zimmer beschrieben wird. Goethe: Faust, Bd. 2: Kommentare, S. 508. Vgl. Weiser-Aall: Art. Tür, besonders Sp. 1199–1204. Jaeger: Fausts Kolonie, zum Beispiel S. 398. Jaeger: Des Menschengeistes Meisterstück, S. 48. Arens: Kommentar zu Goethes Faust II, S. 849 f. Perkmann: Art. läuten, Sp. 939. Irsigler: Hexenfurcht, S. 119.
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8 Dämonologische Elemente, Hexenangst und Spuren der Hexenverfolgung
Und dem alten Gott vertraun. (11139–11142)
Faust sinnt in der daran anschließenden Szene Palast auf eine Ausschaltung des Glockenklangs: Wie schaff ich mir es vom Gemüte! / Das Glöcklein läutet und ich wüte. (11257 f.) Er beschließt, Philemon und Baucis aus dem Weg räumen zu lassen. Wenn er dabei auch einen Tausch des Landes und nicht die spätere Tötung der Alten durch Mephistopheles und dessen Helfer vorsieht, so lautet Fausts Anweisung doch klar: So geht und schafft sie mir zur Seite! – (11275). Mephistopheles bestärkt Faust in seiner Abneigung gegen den Glockenklang. Er schildert einen wahrhaft teuflischen Ekel: Wer leugnets! Jedem edlen Ohr Kommt das Geklingel widrig vor. Und das verfluchte Bim-Baum-Bimmel Umnebelnd heitern Abendhimmel, Mischt sich in jegliches Begebnis, Vom ersten Bad bis zum Begräbnis, Als wäre, zwischen Bimm und Baum, Das Leben ein verschollner Traum. (11261–11268)
Glocken begleiteten dominant den frühneuzeitlichen Alltag der Menschen. Im Volksglauben und in der Dämonologie galten sie als ein sehr wirksames Mittel im Kampf gegen Hexen und den Teufel. Kramers „Hexenhammer“ etwa erläutert unter Bezug auf den Dominikaner Johannes Nider Umstände, die „Hexen“ in ihrem Tun behindern: Daher sagt auch Nider [...]: Aus diesem Grunde werden im ganzen Land oder in der Gemeinde die Glocken in der Kirche gegen das Wetter geläutet, einmal, damit die Dämonen wie vor den Gott geweihten Posaunen [fliehen und] von ihren Schadenzaubern abstehen, dann auch, damit das Volk angeregt werde und Gott gegen das Gewitter anrufe.709
Derartige magische Praktiken sind vielfach überliefert. Anita Chmielewski-Hagius berichtet in einer Untersuchung zur Alltagsgeschichte über das „Wetterläuten“: Das sogenannte Wetterläuten der Kirchenglocken sollte die Gläubigen nicht nur vor einem herausziehenden Unwetter warnen, sondern dieses auch vertreiben. Das akustische Signal der geweihten Glocken richtete sich gegen die dämonischen Mächte, die als Verursacher des Unwetters vertrieben werden sollten.710
Kramer: Hexenhammer, S. 589 f. Chmielewski-Hagius: Wider alle Hexerei, S. 169.
8.7 Das Motiv der Glocke
395
Glocken wurden nicht nur gegen Unwetter eingesetzt, sondern auch, um insgesamt die Macht der teufelsbündnerischen „Hexer“ und „Hexen“ zu bannen. Zum Beispiel läutete man im Trierer Land im Mai jede Nacht von Sonnenuntergang bis zum Morgengrauen,711 ein Brauch, der stellenweise bis in die Goethezeit hinein betrieben wurde.712 Der Mai galt als Monat, der mit der Walpurgisnacht begann und in dem „Hexen“ besonders aktiv waren.713 Gunther Franz beschreibt das Mailäuten: Es ist ein alter Glaube, daß die geweihten Glocken apotropäische, abwehrende Wirkung gegen Dämonen haben und als ‚bellende Hunde‘ den Anschlägen der Hexen hinderlich seien. Peter Binsfeld hat das Glockenläuten mit theologischen und naturwissenschaftlichen Argumenten befürwortet. Den ganzen Mai hindurch wurden jede Nacht die Glocken geläutet. In Trier lösten sich die Kirchen von 9 Uhr abends bis 4 Uhr morgens ab, beginnend mit der großen Domglocke. [...] Zwar sollte 1736 an die Stelle des Mailäutens eine Andacht treten, aber erst 1783 verbot Kurfürst Clemens Wenzeslaus das Wetterläuten und im folgenden Jahr das Mailäuten.714
In der frühen Neuzeit, die Goethe in seinem „Faust“ vielfach abbildet, war es in Zeiten der Hexenverfolgung nicht freigestellt, an christliche Magie zu glauben. Vielmehr wurde mancher Aberglaube mit Gewalt durchgesetzt. Nicht nur betrieb man exzessiv magische Praktiken; auch war eine Kritik daran höchst gefährlich. Stefan Schneider aus Pellingen etwa kostete seine Kritik am Mailäuten das Leben.715 Gunther Franz bemerkt zu diesem Fall: Wir wissen nicht, wer sich in Trier alles gegen die Hexenprozesse aussprach oder innerliche Zweifel hatte. Von einem Dorfbewohner ist als schweres Verdachtsmoment erwähnt, daß er sich öffentlich gegen das Hexenläuten ausgesprochen und dieses als Unsinn bezeichnet habe.716
Die Faust-Forschung verweist allenfalls knapp auf den abergläubischen Kontext des Motivs „Glocke“, auf Magievorstellungen in der Theorie. Historische Quellen aber belegen, wie stark magische Imaginationen auch die frühneuzeitliche Wirklichkeit bestimmten. Goethes „Faust“ spricht vielstimmig von dieser Realität.
Irsigler: Hexenfurcht, S. 124. Vgl. etwa auch Michael Franz Joseph Müller: Auszug aus der von M. F. J. Müller in Trier geschriebenen, bisher noch ungedruckten Abhandlung über die Glocken. In: Treviris oder Trierisches Archiv, Bd. 1, 1840, S. 1–18, hier S. 14 f. Irsigler: Hexenfurcht, S. 124. Vgl. Sartori: Art. Maitag, besonders Sp. 1545–1548. Franz: Hexenprozesse in der Stadt Trier, S. 342. Er wurde 1587 wegen „Hexerei“ verbrannt. Vgl. Rummel: Bauern, Herren und Hexen, S. 218, sowie Irsigler: Hexenfurcht, S. 124. Franz: Hexenprozesse in der Stadt Trier, S. 347.
9 Die Hexenthematik in Verfilmungen des Fauststoffes Aus allem Vorangegangenen geht hervor, daß das kollektive Gedächtnis nicht mit der Geschichte zu verwechseln ist, und daß der Ausdruck ‚historisches Gedächtnis‘ nicht sehr glücklich gewählt ist, da er zwei Glieder verbindet, die sich in mehr als einem Punkt widersprechen.1
Der Fauststoff gilt als einer der literarischen Stoffe, die am öftesten verfilmt wurden: „Die Faustfigur ist nicht nur ein literarischer Mythos. Auch ein filmischer. Und ebensowenig wie die literarische Figur, hielt sich die Filmfigur an nationale Grenzen.“2 So beschreibt Hauke Lange-Fuchs die Materie in einer kleinen Dokumentation aus dem Jahr 1985. Sie verzeichnet über hundert Faustfilme, wobei auf die Schwierigkeit hingewiesen wird, diese zu definieren. Das weite Feld der Verfilmungen ist in der Forschung bisher noch nicht so breit untersucht worden3 wie etwa Faust-Illustrationen oder musikalische Verarbeitungen. Filme stellen aber einen populären und wegen der Wirkmacht dieses Mediums nicht zu unterschätzenden Bereich der Rezeptionsgeschichte dar. Es ist anzunehmen, dass sich kaum ein Regisseur ganz unbeeinflusst von Goethes „Faust“ und dessen Rezeptionsgeschichte dem legendären Stoff widmen kann, schon allein deshalb, weil auch viele Zuschauer an das Drama denken dürften. Faust-Verfilmungen rücken die Gretchentragödie, die ja in dieser Form nicht im älteren Fauststoff vorhanden war, sondern von Goethe geschaffen wurde, oft auffallend stark ins Zentrum. Sie entsprechen damit anderen Faust-Adaptionen nach Goethe, etwa werden in vielen musikalischen Bühnenwerken und Romanen Gretchen oder Gretchen ähnliche Frauenfiguren fokussiert. Nicht wenige Drehbuchschreiber und Regisseure verarbeiten, gerade mit Blick auf das stigmatisierte Mädchen, Motive, welche die frühneuzeitliche Hexenverfolgung reminiszieren. Indizien für dieses historische Geschehen, zum Beispiel eine ausgeprägte Darstel-
Halbwachs: Das kollektive Gedächtnis, S. 66. Lange-Fuchs: Zaubermantel, S. 10. Vgl. schon die ungewohnt überschaubare Abteilung „Verfilmungen“ bei Seifert: GoetheBibliographie 1950–1990, Bd. 3, S. 1172 f. Eine deskriptive Übersicht über Verfilmungen des FaustStoffes bieten Ernest Prodolliet: Faust im Kino; sowie Hauke Lange-Fuchs: Zaubermantel. Stefan Keppler-Tasaki hat in seinem Überblick über frühe Faustfilme Ressentiments gegenüber Verfilmungen des Fauststoffes beschrieben und eine von deren Gegnern behauptete „grundsätzliche Unwürdigkeit des Kinos, an höhere und höchste Kulturwerte zu tasten.“ Keppler-Tasaki: Die faustische Leinwand, S. 260. https://doi.org/10.1515/9783111311258-009
9.1 Probleme der Forschung zu Faustfilmen
397
lung von Scheiterhaufen, treten in den Filmen bisweilen noch deutlicher als in literarischen Verarbeitungen des Fauststoffes zutage. Mit Blick auf Spuren der Hexenverfolgung in Faustfilmen können im Rahmen meiner Untersuchung nur wenige Beispiele aus dem umfangreichen Material herausgegriffen werden. Es würden sich eigene, weiterführende Analysen empfehlen und lohnen, so wie es hinsichtlich der Hexenthematik auch für Vertonungen und Illustrationen gilt. Es stellt sich die Frage, welche Potentiale das Thema Hexenverfolgung in filmischen Darstellungen entfaltet. Seine bildliche Inszenierung hat zum einen spezielle Reize für das Medium Film; zum anderen belegen ausgewählte Beispiele, dass hinsichtlich frühneuzeitlicher Verfolgungsszenarien in Filmen ähnlich bemerkenswerte Akzente gesetzt wurden wie in der bildenden Kunst.
9.1 Probleme der Forschung zu Faustfilmen In einer Filmografie der ‚Faust‘-Verfilmungen Vollständigkeit zu erreichen, ist unmöglich [...].4
Es ist nicht einfach, die Kategorie „Faustfilme“ abzugrenzen. Hauke Lange-Fuchs verweist in diesem Zusammenhang auf die vielen Variationen des Fauststoffes und beschreibt die „mannigfache Verkleidung, in der er auf der Leinwand erscheint.“5 Was ist ein „Faust“-Film? Diese Frage läßt sich selbst bei den Filmen nicht eindeutig beantworten, deren literarische Bezüge offen zutage liegen: denn den (wenigen) Verfilmungen der ‚klassischen‘, also goetheschen oder marloweschen Bearbeitungen des Stoffes, stehen die zahlreichen Verfilmungen von literarischen Vorlagen gegenüber, deren Zuordnung zu „Faust“ schon unter Literaturhistorikern umstritten ist. Beim Film kommen die „freien Bearbeitungen“ hinzu, die sich nur auf einzelne Motive stützen oder gar nur den Titel verwenden.6
Insbesondere das Teufelspaktmotiv wurde filmisch sehr frei und in großer Vielfalt bearbeitet.7 Neben der Schwierigkeit zu entscheiden, welche Filme explizit dem Fauststoff zuzurechnen sind, steht die Filmforschung überdies vor einer schwierigen Quellenlage: „[...] weil viele frühe Filme verschollen sind, und [...] wegen der ‚weißen Flecke‘ in der filmhistorischen Forschung, die durch die manchmal dürftige Quellenlage und den späten Beginn filmarchivarischer Tätig-
Lange-Fuchs: Zaubermantel, S. 22. Lange-Fuchs: Zaubermantel, S. 22. Lange-Fuchs: Zaubermantel, S. 22. Vgl. hierzu Strobel: Faust im Film, S. 42.
398
9 Die Hexenthematik in Verfilmungen des Fauststoffes
keit bedingt sind.“8 Diese Gegebenheiten erklären auch, warum die Zahlenangaben zu Faustfilmen in Überblicksdarstellungen sehr verschieden ausfallen. Zudem erwuchsen viele Filme aus der Kompilation ganz verschiedener literarischer Quellen. Zwar gilt dies etwa auch für Opernlibretti, aber aufgrund der besonders freien Gestaltung von Drehbüchern für Filme ist gerade hier oft schwer zu erkennen, welche Quellen ihnen zugrunde liegen. Auch musikalische Werke wurden häufig zu Drehbüchern verarbeitet, etwa die Oper „Faust“ von Charles Gounod, deren deutscher Titel „Margarethe“ lautet, „La Damnation de Faust“ von Hector Berlioz, oder „Mefistofele“ von Arrigo Boito.9 Verfilmungen von Opern waren gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts generell beliebt.10 Stummfilme sind ein besonders reiches Feld der Faustadaption. Hier kann man sogar ein bemerkenswertes Ungleichgewicht konstatieren: „So sehr das Spektakuläre am ‚Faust‘ die Pioniere des Stummfilms gereizt hatte, so wenig schien sich der sprechende Film für das Wortdrama zu interessieren. So sehen wir ‚Faust‘ im Tonfilm erst spät, und zunächst in vielerlei Verkleidung.“11 Da sich der Stummfilm auf das Visuelle konzentriert, erklärt dies in mancher Hinsicht eine Affinität zu den einprägsamen Bildern der Hexenthematik. Am Beispiel des berühmten Stummfilms „Faust. Eine deutsche Volkssage“ von Friedrich Wilhelm Murnau soll dies später unter Punkt 9.3 gezeigt werden.
9.2 Hexenverfolgung als Motiv im Film Hexen und ihre Henker bis heute.12
Gerade in jüngerer Zeit beleuchten wieder sehr markante Beispiele der filmkünstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema Hexenverfolgung nicht nur deren herkömmlich vorgeführte visuelle Dimensionen, sondern viele Facetten: ein inneres Geschehen, physische und psychische Umstände der menschlichen Existenz und ihrer Vernichtung. Die wohl bemerkenswertesten Beispiele sind Werke des bekannten Regisseurs Lars von Trier. Er hat sich schon 1996 mit seinem Film „Breaking the
Lange-Fuchs: Zaubermantel, S. 22. In seine Filmografie nahm Lange-Fuchs nach eigenen Angaben ebd., auf: „Filme, die selbst den Anspruch erheben, sich auf ‚Faust‘ zu beziehen (im Titel, im Drehbuch) und Filme, die von der Kritik als ‚Faust‘-Filme rezipiert bzw. in den filmografischen Standardwerken als solche registriert sind.“ Vgl. zum Beispiel die Auflistung literarischer und musikalischer Vorlagen für Faustverfilmungen bei Lange-Fuchs: Zaubermantel, S. 20 f. Vgl. Lange-Fuchs: Zaubermantel, S. 13. Lange-Fuchs: Zaubermantel, S. 15. Untertitel der Luxemburger Ausstellung „Incubi. Succubi“ im Jahr 2000.
9.2 Hexenverfolgung als Motiv im Film
399
Waves“ in eine Nähe zum Thema der Hexenverfolgung begeben, indem er die brutale Stigmatisierung einer Frau zeigt, die sexuelle Normen bricht. Ausschnitte dieses Films präsentierte die Luxemburger Ausstellung „incubi succubi. Hexen und ihre Henker bis heute.“13 Sehr radikal und zugleich subtil verarbeitete Lars von Trier das Thema dann 2009 in seinem dem Genre „Horrorfilm“ nahen Werk „Antichrist“. In diesem Film ebnet einer Frau, die ihr Kind verloren hat, das Forschungsthema „Hexenverfolgung“ den Weg in Brutalität und Wahnsinn. Sexualisierte Gewaltdarstellungen verarbeiten hier sowohl dämonologische Phantasien wie etwa Kastrationsängste als auch überlieferte Folterszenarien für Hexenprozessopfer. Wenn Lars von Trier sogar die frühneuzeitlichen Beinschrauben nachempfindet oder das Begraben eines Lebendigen zeigt, so sind diese Folterszenen auch eine Darstellung dessen, was Menschen anderen Menschen als Strafe innerhalb eines Rechtssystems angetan haben. Die sich in ihrer Depression immer mehr als „Hexe“ empfindende und dann wirklich als „böse“ entlarvende Protagonistin des Films wird schließlich von ihrem Ehemann erwürgt und verbrannt. Die Bildsprache Lars von Triers setzt aber nicht nur Gewalt, sondern auch naturmagische Ängste faszinierend ins Bild, sie ist kunstvoll und schwer erträglich zugleich. Zwar widmet sie sich nicht dem Fauststoff, zeigt aber die großen Potentiale dämonologischer Inhalte für das Medium Film, die auch in FaustVerfilmungen eine wichtige Rolle spielen. Schon Lange-Fuchs verweist auf das Gewicht der dunklen Phantasien in diesem Medium: „Beim Teufelspakt tritt das Interesse am ‚Faustischen‘ meist in den Hintergrund, zugunsten des Phantastischen, des Verführerischen, des Korrumpierenden.“14 Derartige visuelle Interpretationen können heute auf die Rezeption des Fauststoffes und der Gretchentragödie zurückwirken. Die Nähe des Fauststoffes zu den Hexenverfolgungen haben nicht wenige namhafte Regisseure, sei es bewusst oder unbewusst, in Bilder umgesetzt: Verschiedene Faustfilme zeigen deutliche Anklänge an das Thema Hexenverfolgung. Sie manifestieren sich besonders durch einen spezifischen Bilderkanon, zum Beispiel in Stigmatisierungsszenen, einer Menschenverbrennung oder einer lynchwütigen Menge. Spektakulär schaurige Bilder wie Scheiterhaufen machen den Rückgriff auf die frühneuzeitliche Hexenverfolgung für das Medium Film reizvoll, auch sie bedienen, wie Illustrationen, nicht selten eine voyeuristische Schaulust inbesondere auf Frauenkörper. Vielleicht erschien Hauke Lange-Fuchs im Jahr 1985 auch deshalb folgende Beobachtung bemerkenswert: „Und es gibt noch keine wirklich erschreckende Darstellung von Hexensabbat und satanischer Finsternis, wie Goethe
Vgl. zu dieser Ausstellung Punkt 2.3.4. Lange-Fuchs: Zaubermantel, S. 18.
400
9 Die Hexenthematik in Verfilmungen des Fauststoffes
sie sich eigentlich dachte (aber nicht auszuführen wagte) [...].“15 Offensichtlich haben sich Regisseure aber mit den realen Folgen der dämonologischen Imaginationen auseinandergesetzt. Einige Beispiele und Indizien für diese Vermutung sollen im Folgenden skizziert werden. Klare Bezüge zur Hexenverfolgung stellte etwa der bekannte französische Regisseur René Clair her. Er inzenierte eine abgewandelte Faust-Geschichte in seinem Film: „La beauté du diable“ (1949 / 50). Der Film versetzt das Motiv der Hexenverfolgung in einen jüngeren historischen Kontext, die Ausstattung assoziiert etwa eine Zeit ab dem Ende des 18. Jahrhunderts. Faust wird hier von Mephistopheles in den jungen Henri verwandelt, der Teufel nimmt die Gestalt des alten Faust an. Henri verliebt sich in die als „Zigeunermädchen“ dargestellte Marguerite. Mit teuflischer Magie stellt Faust für den Fürsten aus Sand Gold her, das sich später wieder in Sand verwandelt. Mehrfach ist das Zerrinnen in der Hand, das in Hexenprozessen mit Blick auf teuflische Geschenke so oft thematisiert wurde, in Szene gesetzt. Daraufhin entstehen Unruhen, Marguerite wird bezichtigt, Henri verhext zu haben. Man nimmt sie gefangen, um sie auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Mephistopheles bedrängt sie, ebenfalls einen Pakt mit ihm zu schließen. Wieder greift der Film hier gängige frühneuzeitliche Vorstellungen auf: die „Ansteckung“ neuer Opfer des Teufels durch bereits ihm ergebene Hexer und Hexen. Diese Imagination spielt auch eine Rolle, wenn man Goethes Gretchen als Opfer eines Hexenprozesses betrachtet. In René Clairs Film ist es ebenfalls die Liebschaft zu dem Teufelsbündner Henri, die Marguerite in die Nähe des Teufels bringt. Schließlich verfolgt eine lynchwütige Meute Mephistopheles in des alten Fausts Gestalt. Dieser fürchtet die Folter und sagt mehrfach im Film, die Hexenverfolgung betreibenden Menschen seien schlimmer als die Dämonen der Hölle. Die Stigmatisierung und Ausgrenzung Gretchens wird in Filmen oft mit deutlichen Bezügen zur Hexenverfolgung in Szene gesetzt. Wenn sie in manchen Verfilmungen auf einem Scheiterhaufen verbrannt wird, erleidet sie die typische Hinrichtungsmethode für vermeintliche Hexen und Ketzer. Bisweilen verbrennt Faust mit ihr zusammen, dies geschieht etwa im erwähnten Film Murnaus. Nicht selten stirbt in Filmen Gretchens Kind ohne ihre Schuld, so dass sie ganz zu Unrecht verfolgt wird, ähnlich wie es auch mit Hexenprozessopfern geschah, denen Kindsmorde unterstellt wurden. Schon mit Blick auf Goethes „Faust“ wird eine Schuld Gretchens unter Berücksichtigung ihres Wahnsinns kontrovers diskutiert.16 Auch in der an Gounods Oper „Faust“ angelehnten Filmoper „La leggenda di Lange-Fuchs: Zaubermantel, S. 19. Dass Gretchen keinen Kindsmord verübt habe, ist auch in der germanistischen Betrachtung von Goethes „Faust“ als These vorgetragen worden. Hartmut M. Kaiser hält die Geburt eines Kindes schon durch die in der Faust-Forschung oft diskutierten zeitlichen Unstimmigkeiten im Drama für
9.2 Hexenverfolgung als Motiv im Film
401
Faust“ (Italien 1948 / 50) wird Marguerite wegen einer nur vermeintlichen Kindstötung unschuldig zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Regisseur Carmine Gallone setzte eine haßerfüllte Menge in Szene, die Marguerites Hinrichtung erwartet.17 Die Verfolgung Gretchens oder Fausts durch lychnwütige Menschenmengen wird in Filmen öfter dargestellt. Man kann hier wieder mit guten Gründen annehmen, dass Assoziationen der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung in die Drehbücher eingeflossen sind. Denn die in vielen Faust-Adaptionen vordergründig dargestellte Geschichte der unehelich geschwängerten Mutter, die ihr Kind tötet, passt nicht zur Darstellung einer Lynchjustiz – jedenfalls dann nicht, wenn man sich historische Quellen vor Augen führt, die, wie schon beschrieben, eine eher geringe Verfolgungsbereitschaft seitens der Bevölkerung dokumentieren. Wieder einmal steht man hier vor der Frage, ob literarische Fiktionen zur Kindsmordthematik sich als vermeintliche Realität einer früheren Zeit in den Köpfen von Kunstschaffenden etablieren konnten und dann ein Wissen um reale historische Gegebenheiten überlagerten. Oder haben sich die Regisseure, die eine Lynchjustiz inszenierten, doch an echte historische Szenarien erinnert, die Verfolgungswut erzeugten, eben zum Beispiel die Hexenprozesse? In Zauberei- und Hexenprozessen spielte, wie schon erläutert, ein Verlangen der Bevölkerung nach Verfolgung eine wichtige Rolle,18 häufig beeinflusste es das Handeln von Obrigkeiten. Besonderen Zorn erregte angeblicher Schadenzauber, vor allem wenn man glaubte, dass die Gemeinschaft geschädigt worden sei. Krisen wie Seuchen und Hungersnöte, die Gesellschaften zerrütten und die Suche nach Sündenböcken zeitigen,19 werden in manchen Faustfilmen ausdrücklich thematisiert, zum Beispiel im Film von Friedrich Wilhelm Murnau, der nun genauer betrachtet werden soll.
unwahrscheinlich; er schreibt die Thematisierung der Kindstötung im Kerker Gretchens Wahnsinn zu. Vgl. Kaiser: Ist Gretchen eine Kindsmörderin?, besonders S. 30–33 und S. 35. Er nimmt stattdessen an, sie sei wegen ihrer Liebschaft, der Vergiftung ihrer Mutter und dem Tod des Bruders vor Gericht. Zu zeitlichen Widersprüchen vgl. auch Reed: Muttermord und Schwangerschaft. Vgl. Prodolliet: Faust, S. 61. Vgl. Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 10. Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 189. Zur Aktualität dieser Zusammenhänge vgl. zum Beispiel zahlreiche zeitgenössische Berichte aus dem afrikanischen Raum oder – ein viel beachtetes Beispiel – die tödliche Lynchjustiz gegenüber vermeintlichen Hexen in Haiti, die angeblich mit Magie eine Cholera-Epidemie bewirkt hätten. „Mehrere Menschen als Hexer gelyncht“ In: https://www.spiegel.de/panorama/justiz/haitimehrere-menschen-als-hexer-gelyncht-a-732595.html [Stand: Juni 2023].
402
9 Die Hexenthematik in Verfilmungen des Fauststoffes
9.3 „Faust. Eine deutsche Volkssage“ von Friedrich Wilhelm Murnau Zu spät! Man rüstet deiner Buhle schon den Scheiterhaufen.20
Eine der bekanntesten Verfilmungen des Fauststoffes erschien 1926 unter dem Titel „Faust. Eine deutsche Volkssage“. Die Regie führte Friedrich Wilhelm Murnau (1888–1931). In der Sekundärliteratur wurde der Film außergewöhnlich stark beachtet, er gilt als ein wichtiges Werk des deutschen Stummfilms und verarbeitet Faust-Motive verschiedener Quellen. Gerhart Hauptmann hatte Texte für die Zwischentitel verfasst, die man für die Kinofassung dann doch nicht verwendete, sondern durch wenige andere Zwischentitel ersetzte.21 Der Film enthält besonders prägnante Hinweise auf die Hexenthematik. Murnaus Film vertieft die Rolle Fausts als des erfolglosen Heilers, wie schon dargelegt eine typische Ausgangssituation für Hexereiverdächtigungen. Faust verzweifelt angesichts einer drastisch gezeigten Seuche und des mit ihr einhergehenden Elends. Die Hilflosigkeit des Doktors ist hier eine starke Triebkraft, die ihn zum Pakt mit dem Bösen bewegt. Durch Zutun des Teufels kann Faust später einige Pestkranke heilen, er wird dann bedroht und flieht. Dieses Geschehen erinnert an die realen frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen: beim Sammeln von „Beweisen“ gegen Verdächtigte wurde oft angeführt, dass vermeintlich angehexte Krankheiten durch die dafür verantwortlichen Hexer und Hexen wieder aufgehoben worden seien. Plötzliche Heilungen konnten also ebenso verdächtig sein wie plötzliche Krankheiten. In Murnaus Film beschuldigt eine Frau den Doktor Faust als Teufelsbündner und fordert seine Hinrichtung: Er kann das heilige Kreuz nicht sehen! [...] Der Teufel ist mit ihm im Bund! Steiniget ihn! Steiniget ihn!22
Wie viele Regisseure inszenierte auch Murnau die Gretchentragödie als zentrales Element seines Films: Das verlassene Mädchen wird mit ihrem Kind ins Elend gestoßen und unbarmherzig von allen abgewiesen, die sie um Hilfe bittet. Ihr Kind stirbt, als sie selbst fast erfriert. In der Kälte halluzinierend legt sie es in den Schnee, wo sie eine Wiege vermutet. Dann wird sie unschuldig wegen Kindsmords zum Tode verurteilt. Zwischentitel im Film „Faust. Eine deutsche Volkssage“ von Friedrich Wilhelm Murnau. Vgl. hierzu Keppler-Tasaki: Die faustische Leinwand, S. 288 f. Einen Vergleich verschiedener Kopien des Films bietet das szenische Protokoll bei Rohmer: Murnaus Faustfilm.
9.3 „Faust. Eine deutsche Volkssage“ von Friedrich Wilhelm Murnau
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Murnau wählte – ähnlich wie es viele bildende Künstler taten – mit der Verbrennung eine spezifische Strafe für Hexerei, nicht für Kindsmord (Abb. 40). Als Faust den Teufel auffordert: „Rette, rette Gretchen!“, anwortet dieser: „Zu spät! Man rüstet deiner Buhle schon den Scheiterhaufen.“23 Murnau inszeniert das Errichten dieses Scheiterhaufens durch das Zusammentragen einzelner Holzscheite sehr betont: immer wieder werden einzelne Hölzer und schließlich Reisig in Detailaufnahmen ins Bild gerückt. Wie wichtig dem Regisseur die Scheiterhaufen-Szene war, belegen Berichte über die Dreharbeiten. Camilla Horn, Gretchen-Darstellerin in Murnaus Film, beklagte sich über die Anstrengungen des Drehens und besonders über die „Tortur des Scheiterhaufens“: „Stundenlang mußte sie auf dem Holzstoß am Pfahl gebunden stehen, während ringsum aus mehr als zwanzig Lykopodium-Pfannen das Feuer aufschlug. Als sie dann ohnmächtig zusammensank, war die Ermattung nicht mehr Spiel, sondern echt.“24 Am Ende des Films drängt sich Faust zu seiner Geliebten auf den Scheiterhaufen und verbrennt mit Gretchen zusammen. Beide empfängt ein strahlendes Licht,25 denn die Macht des Teufels wurde gebrochen. Auch wenn im Film die Macht der Liebe beschworen wird, so setzt er doch auf eine „reinigende“ Kraft des Feuers gegen den Dämon. Noch 1926 wurde eine klassische dämonologische Vorstellung assoziiert. Murnaus Film gilt als künstlerisch wertvoll; er war ein internationaler Erfolg und wird bis heute öffentlich aufgeführt.26 Trotzdem erregte er manche Kritik,
Auch wenn Keppler-Tasaki sich auf ein Zitat Murnaus bezieht, ist es trotzdem irreführend, einen „mittelalterlichen Scheiterhaufen“ angesichts der inzenierten Hexenverbrennung zu assoziieren (Keppler-Tasaki: Film, S. 323); denn wie bereits beschrieben fanden Hexenverfolgungen überwiegend in der frühen Neuzeit statt. Der Film reminisziert, unabhängig von Aussagen des Regisseurs, vor allem frühneuzeitliche Szenarien. Die folgende Beschreibung von KepplerTasaki zeigt, dass er kein geschichtsbezogenes Wissen in seine Analyse einbringt; er blendet die frühneuzeitlichen Wurzeln des Fauststoffes aus und stellt die Motivgeschichte auf den Kopf, wenn er schreibt: „Gleichwohl bleibt es eine Tatsache der kulturellen Praxis, dass der relativ junge Faust-Mythos eine verzweigte Verwandtschaft von Teufeln und ihren Sympathisanten samt des Motivbestandes allfälliger Welt-, Himmels- und Höllenfahrten, schwarzer Hunde, unschuldiger Opfer und Hexensabbate zu absorbieren und homogenisieren neigt. Die Dynamik des Faust-Mythos geht mithin über Repräsentationen des Leibhaftigen hinaus und schaltet sich auch in säkulare Filmmythologien wie um Dr. Mabuse und Paracelsus ein.“ Keppler-Tasaki: Film, S. 317. Vgl. Herlth: Dreharbeiten mit Murnau, S. 103 f. Vgl. zur Bedeutung des Lichts in Murnaus Film die Abhandlung von Ute Holl: Strahlen. „Der hohe künstlerische Wert von Murnaus Faustfilm ist und bleibt unbestritten. Dies hat auch die Filmgeschichte anerkannt.“ Prodolliet: Faust, S. 52.
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9 Die Hexenthematik in Verfilmungen des Fauststoffes
Abb. 40: Camilla Horn als Gretchen auf dem Scheiterhaufen. Szene aus dem Film: „Faust. Eine deutsche Volkssage“ von Friedrich Wilhelm Murnau.27
seine frühe Rezeption in Deutschland dokumentiert wenig Begeisterung.28 Ein zeitgenössischer Rezensent bemängelt Elemente des Films, die von den literarischen Vorlagen abweichen oder im Verhältnis zu ihnen stark betont wurden. Nach Ansicht des Kritikers verstehen die Zuschauer des Jahres 1926 diese Interpretationen nicht: Man ging ins Theater, um Faust, eine deutsche Volkssage, zu sehen. Man sah eine Illustration zu dem Werk Goethes mit einer Reihe von Abänderungen, welche ein Regisseur unbekümmert vorgenommen hatte. Wußte Herr Murnau nicht, daß in der Volkssage vom Faust kein Wort von Gretchen steht, das eine ureigene Erfindung Goethes ist? Er tat von Goethe weg, was er nicht verstand, und fügte aus eigenem hinzu, was kein Zuschauer begreift. [...]. Wer ist dieser Faust? Zuerst ein Arzt, der nichts kann und sich deswegen dem Teufel ver-
Bild: Screenshot youtube, https://www.youtube.com/watch?v=dByxZNDgcLQ [Stand: Mai 2023]. Maik Bozza resümiert die damalige deutsche Kritik: „Beinahe durchweg charakterisiert sie den Film als unsymphatisch, befremdlich und dumm und mißt ihn unabdingbar an Goethe“. Bozza, Maik: Metaphysik und Romanze. Murnaus Faust, S. 87. Keppler-Tasaki resümiert den Film als „von der deutschen Kritik vernichtet, von der ausländischen verehrt“, Keppler-Tasaki: Film, S. 316.
9.3 „Faust. Eine deutsche Volkssage“ von Friedrich Wilhelm Murnau
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schreibt; dann ein Jüngling, der dem Bräutigam die Braut stiehlt, der Jungfrau die Ehre, und Unglück anrichtet, wohin er kommt.29
Gerade in den hier kritisierten Akzenten Murnaus finden sich frühneuzeitliche Spezifika, die auf den „Hexer“ Faust verweisen. Lange-Fuchs beschreibt einen mangelnden Erfolg dieses Filmes in Deutschland: Aber trotz des namhaften Regisseurs, eines begabten Kameramanns (Carl Hoffmann) und der caligaristisch inspririerten Filmarchitektur (von Robert Herlth und Walther Röhrig) liebten die Deutschen diesen Film zunächst nicht: allzu leichtfertig, so meinten viele, waren Murnau und sein Drehbuchautor Hans Kyser mit dem hehren Stoff umgegangen.30
Auch Siegfried Kracauer, der den Film selbst sehr scharf kritisiert,31 berichtet von einer bemerkenswert verhaltenen Aufnahme des Werkes in Deutschland: Während der Film beträchtlichen Erfolg im Ausland hatte, stieß er in Deutschland auf Gleichgültigkeit. Die Deutschen jener Zeit fanden keinen Gefallen an faustischen Problemen und nahmen überdies jede Störung ihres traditionellen Klassikerbildes übel.32
Spekulation muss die Frage bleiben, ob ein Unbehagen der deutschen Zuschauer wirklich nur durch die Abweichungen von den Vorlagen ausgelöst wurde. Ein freier Umgang mit literarischen Stoffen ist für Verfilmungen alles andere als ungewöhnlich. Murnau aber erinnert mit Anklängen an die Hexenverfolgung an ein dunkles Kapitel gerade der deutschen Geschichte. Das mochte deutsche Zuschauer unangenehm berühren, zumal im Zusammenhang mit Goethes sakrosanktem Drama. Auch mit Blick auf die Rezeptionsgeschichte von Goethes „Faust“ selbst und die weitgehende Ausblendung der frühneuzeitlichen Hexenthematik kann diese Vermutung aufkommen. Sie soll im Folgenden vertiefend überdacht werden.
Kritik zur Premiere des Films in Berlin von Bernard von Brentano: Der Film vom „Faust“, Frankfurter Zeitung vom 18. Oktober 1926. Lange-Fuchs: Zaubermantel, S. 14. „Aber weder die Achterbahn noch Gerhart Hauptmann konnten die Sinnlosigkeit eines Films wettmachen, der alle entscheidenden Motive, die seinem Thema eigneten, entstellt darstellte, wenn nicht überging. [...] FAUST war weniger ein Kulturdenkmal als eine monumentale Demonstration von Kunstgriffen, die aus dem Prestige einer nationalen Kultur Kapital schlug.“ Kracauer: Von Caligari bis Hitler, S. 181. Kracauer: Von Caligari bis Hitler, S. 181.
10 Die Deutung verschwiegener Spuren in der Literatur: das beredte Schweigen über Hexenverfolgung Nationale Identität beruht mindestens ebenso sehr auf dem kulturellen Vergessen wie auf dem kulturellen Gedächtnis.1
Die Analyse einzelner Figurenanlagen und Szenen von Goethes „Faust“ hat gezeigt, dass die frühneuzeitliche Hexenverfolgung sehr präsent ist, obwohl der Dichter sie nicht unmittelbar vorführt: Diffuse Ängste durchziehen das Werk, es herrscht eine Atmosphäre der Bedrohung. Diese Stimmung kann durch die Erinnerung an historisches Geschehen verständlich werden; das Gedächtnis wird aber in der Faust-Forschung nicht wirksam. Welche Konsequenzen hat nun die (Re)lektüre der Hexenthematik? Das prominente Beispiel des „Faust“ lässt als Präzedenzfall Rückschlüsse zu auf den Umgang eines kollektiven Gedächtnisses mit der Hexenverfolgung. Und gerade deshalb ist die Analyse des so berühmten Werkes wichtig. Denn die Ergebnisse führen zu folgender, über philologische Interessen an Goethes „Faust“ hinausweisenden Frage: Wenn die Literaturwissenschaft das historische Geschehen größtenteils ausblendet und dies so konsequent geschieht, dass es sich um beredte Leerstellen handelt, was sind die Gründe dafür? Drei Fragen sollen nun der Analyse von verschwiegenen Spuren der Hexenverfolgung in Goethes „Faust“ folgen. Erstens: Wieso hat Goethe die in seinem Drama latent nachwirkende Hexenverfolgung nicht deutlicher hervortreten lassen, so wie er es ursprünglich angelegt hatte? Zweitens: Bedingt auch die Rolle seines „Faust“ als Nationalmythos diverser Vereinnahmer die einseitige Rezeption der im Drama enthaltenen Hexenthematik und die nahezu gänzliche Ausblendung der Hexenverfolgung? Und schließlich drittens: Welche Aufgaben hat Literaturwissenschaft im Sinne einer „Gedächtniswissenschaft“?2 Rüdiger Scholz sieht in der Faust-Forschung allgemein Desiderate. Sie werden aber speziell hinsichtlich der Hexenthematik offenbar: Die Funktion des „Faust“ als Drama bürgerlicher Weltanschauung und Leitbild des DDRSozialismus, als Dichtung nationaler Identifikation und männlicher Herrschaft über Frauen, über Völker und über die Natur ist die politische Ursache dafür, daß der endlose Redestrom über „Faust“ ängstlich das Flußbett verbirgt, auf dem er fließt, und die Herkunft und die Be-
Mecke: Vergessen, S. 138. Erll: Kollektives Gedächtnis, S. 71. https://doi.org/10.1515/9783111311258-010
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schaffenheit dessen, von dem er spricht, nicht preisgibt. Der historischen Gesellschaftlichkeit des Dramas entrinnt dennoch kein Interpret. [...] Die Phantasien eines so ausschweifenden Dramas wie Goethes „Faust“ in ihren Bildern, Personen und Strukturen als künstlerische Phantasie über historische Realität zu begreifen, ist im Grunde eine selbstverständliche Aufgabe.3
Die hier beschriebene Forschungsaufgabe zu „Faust“ wurde von der Literaturwissenschaft nicht aureichend erfüllt. Das vorliegende Versagen eines kollektiven Gedächtnisses mit Blick auf die Hexenverfolgung ist aber nur ein Beispiel unter vielen. In der folkloristischen Auffassung des Themas „Hexenverfolgung“ und in seiner touristischen Vermarktung4 etwa tradiert und pflegt man Hexenphantasien, die hinsichtlich der historischen Realitäten oft irreführend sind. Das Thema Hexen wird zudem auffallend oft für verschiedene wirtschaftliche und ideologische Interessen instrumentalisiert.5 Das hat die wissenschaftliche Aufarbeitung des Geschehens in vielfältiger Weise behindert: hartnäckig halten sich Fehlurteile, die auch in die Literaturwissenschaft eingedrungen sind. Manche Forscher meiden das Thema „Hexenverfolgung“ womöglich auch, um nicht mit dessen populistischem Missbrauch in Verbindung gebracht zu werden. Dennoch sind Parallelen gerade zu populären Annäherungen an das Hexenthema in der Literaturwissenschaft unübersehbar. Im volkstümelnden Umgang mit der Hexenverfolgung ist eine „Tendenz zur Enthistorisierung des Hexenthemas“6 zu beobachten. Wenn etwa Verbrennungen von „Hexen“ folkloristisch nachgespielt werden, so sind diese Spektakel Symptome einer willkommenen Überlagerung des Schreckens. Dass sich auch die Literaturwissenschaft an einer Enthistorisierung beteiligt, zeigt beispielhaft die Rezeption der Hexenthematik in Goethes „Faust“: Überwiegend wird nicht die Realgeschichte als Kontext berücksichtigt, sondern es werden nur phantastische Konstrukte fokussiert. Wenn literarische Thematisierungen von „Hexen“ aber nur als Imaginationen gesehen werden, reißt man sie aus dem historischen Zusammenhang, auch aus dem Humus des Werkes. Ist das Wissen um die Hexenthematik in der Rezeptionsgeschichte wirklich verloren gegangen? Oder wollte man bestimmte Spuren, speziell bei diesem bedrückenden Thema, lieber nicht mehr lesen? Diese Fragen werden als Abschluss der Untersuchung behandelt. Vielleicht weisen erkenntniskritische Fragen brisan-
Scholz: Die beschädigte Seele, S. 2. Vgl. hierzu Rudolph: Bräuche und Traditionen rund um Hexen; Scheffler: Hexenbilder im Tourismus; sowie Scheffler: Hexenverfolgung und lokale Erinnerungskultur. Vgl. die prägnante Darstellung dieses Phänomens bei Behringer: Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung. Scheffler: Hexenverfolgung und lokale Erinnerungskultur, S. 321.
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ter Weise noch weiter. Denn es ist naheliegend, dass es noch andere kollektivtraumatische Erfahrungen gibt, die man als Wissen der Literatur ignoriert hat.
10.1 Goethes Schweigen: seine literarische Umkodierung der Hexenverfolgung Goethe entzieht sich der Tradition, indem er sie in einem metaphorischen Verfahren verdeckt; er rettet und zerstört, modernisiert und restauriert sie zugleich.7
Thomas Mann hat bemerkt: „Niemand fand weniger Lust daran als Goethe, die Menschen oder, was noch gefährlicher ist, die eigene Nation vor den Kopf zu stoßen; auch schweigend, fand er, mache ein höherer Mensch sich Feinde genug [...]“.8 Vielleicht erschien es schon zu Goethes Zeit angenehmer, mit den dunklen Erinnerungen an Hexenverfolgung abzuschließen und sich einem vermeintlich aufgeklärteren Zeitalter zuzuwenden. Nicht umsonst nennt der Historiker Behringer die Hexenverfolgung, wie schon dargelegt, einen „Pfahl im Fleisch der Aufklärung“.9 Die Frage stellt sich vor allem, wenn man überlegt, warum Goethe das Thema Hexenverfolgung nicht, wie einst wahrscheinlich von ihm vorgesehen, deutlicher in seinem Drama belassen hat. Zudem kann man Goethes Entscheidung durchdenken im Hinblick auf die Wahrnehmung von Hexenverfolgung als einem auf deutschem Gebiet besonders ausgeprägten Problem – und dies angesichts des zunehmenden Ideals einer weltweit rezipierbaren Literatur. Goethe beschrieb die von ihm eliminierten Entwürfe zur Szene „Walpurgisnacht“ in einem Gespräch mit Johannes Falk ausdrücklich als einen Schrecken der Deutschen, der nach seinem Tod einmal zutage treten werde: Ja, wenn ich es nur je dahin noch bringen könnte, daß ich ein Werk verfaßte – aber ich bin zu alt dazu – daß die Deutschen mich so ein fünfzig oder hundert Jahre hintereinander recht gründlich verwünschten und aller Orten und Enden mir nichts als Übels nachsagten; das sollte mich außer Maßen ergetzen. [...] Sie mögen mich nicht! Das matte Wort! Ich mag sie auch nicht! Ich habe es ihnen nie recht zu Danke gemacht! Vollends, wenn mein Walpurgissack nach meinem Tode sich einmal eröffnen und alle bis dahin verschlossenen, stygischen Plagegeister, wie sie mich geplagt, so auch zur Plage für andere wieder loslassen sollte; [...] das, denke ich doch, vergeben sie mir sobald nicht!10
Schanze: Goethes Dramatik, S. 166. Mann: Über Goethe’s ‚Faust‘, S. 253. So im Titel seiner Einleitung zum Band „Späte Hexenprozesse“. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 1. Gespräch mit Johannes Falk, vgl. Herwig / Biedermann: Goethes Gespräche, Bd. 5, Nr. 7228, S. 91 f. Zur unsicheren Datierung vgl. den Kommentar S. 277.
10.1 Goethes Schweigen: seine literarische Umkodierung der Hexenverfolgung
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Mögliche konzeptionelle, ästhetische, zeit- und nationenbezogene Motive für ein Umkodieren der Hexenverfolgung in Goethes „Faust“ müssen genauer erwogen werden.
10.1.1 Ästhetische und zeitgebundene Gründe Was immer die Ästhetik davon halten und darüber sagen mag: es scheint, daß die Kunst im modernen, auf ‚schöne Künste‘ beschränkten Sinne darauf in einer sehr spezifischen Weise reagiert. Sie muß ihren Weltbezug reformulieren und sich damit, aber auch nur damit, der Gegebenheit moderner Gesellschaft anpassen.11
Goethes Umkodierung der Hexenverfolgung zum Kindsmordmotiv, eine poetischrhetorische Transformation, lenkt den Blick zunächst nochmal auf die Rezeption dieser Themen in seiner Zeit. Ein Artikel der französischen Zeitung „Le Globe“ beschäftigt sich 1825 mit der Bedeutung von Mythologie und Hexenvorstellungen. Goethe übersetzte den Artikel, dieser gilt als bedeutsam für sein Konzept von Weltliteratur.12 Den „nations germaines“ schreibt der Artikel die „sorciers“ als typisch zu, Goethe übersetzte die Stelle wie folgt: „So haben die Griechen ihre Hölle gehabt, ihren Olymp, ihre Eumeniden und die Verwandlungen ihrer Götter; die Orientalen hatten ihre Genien und Talismanne; die Deutschen ihre Bezauberungen und Hexenmeister.“13 Weiter plädiert der französische Artikel für eine wertneutrale Betrachtung überlieferter abergläubischer Geschichten als Teil von Traditionen, er nimmt auch auf Goethes „Faust“ Bezug, was Goethe so übersetzte: [...] das Vorurteil, das wir bestreiten, umfaßt viel bedeutendere Werke, und ein Erzeugnis des menschlichen Geistes wie Goethe’s Faust kann ihm nicht entgehen. Gibt es nicht viele Menschen, welche bei dem Gedanken: eines Bündnisses mit dem Teufel, gefühllos werden für die Schönheiten dieser erhabenen Produktion. Sie begreifen nicht, wie man über eine solche Unwahrscheinlichkeit hinauskommen könne. Und doch sind es dieselbigen, welche seit ihrer Jugend den Agamemnon seine Tochter opfern gesehen, um Fahrwind zu erlangen;
Luhmann: Weltkunst, S. 9. Vgl. Frankfurter Ausgabe, Abt. I, Bd. 12, S. 1464. Zur Offenheit des Begriffs „Weltliteratur“ bei Goethe und zur Abweichung von heutigen Bedeutungen vgl. Bohnenkamp: Rezeption der Rezeption, S. 200. Sie beschreibt Goethes Verwendung des Begriffs im Sinne „wiederholter – gespiegelter und gesteigerter – Aufnahmeprozesse.“ Ebd., S. 187. „Ainsi, les Grecs ont eu leur enfer, leur olympe, leurs eunémides, les métamorphoses de leurs dieux; les Orientaux, leurs génies et leurs talismans; les nations germaines, leurs enchantements et leurs sorciers“. Frankfurter Ausgabe, Abt. I, Bd. 12, S. 526 und französisches Original S. 1460.
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auch Medeen, wie sie auf geflügeltem Wagen nach den allerschrecklichsten Beschwörungen davonfliegt. Glauben sie denn mehr an das Eine als an das Andere?14
Goethe hielt diesen Ausführungen entgegen, die griechische Mythologie als „Verkörperung der tüchtigsten reinsten Menschheit“ sei mehr zu empfehlen als das häßliche Teufels- und Hexenwesen, das nur in düstern ängstlichen Zeitläufen aus verworrener Einbildungskraft sich entwickeln und in der Hefe menschlicher Natur seine Nahrung finden konnte. Freilich muß es dem Dichter erlaubt sein, auch aus einem solchen Element Stoff zu seinen Schöpfungen zu nehmen, welches Recht er sich auf keine Weise wird verkümmern lassen.15
Ein ästhetisch begründeter Widerwille bricht sich in diesen bereits zitierten Sätzen Bahn. Der Zeitgeist, der im Artikel des „Globe“ diskutiert wird und der ebenfalls aus Goethes Worten spricht, zeigt eine Abneigung gegenüber der damals jungen, noch kaum aufgearbeiteten Vergangenheit. Der Kindsmorddiskurs war im ausgehenden 18. Jahrhundert besonders präsent und dauerhaft öffentlich, mehr noch als die historische Hexenverfolgung, die eher phasenweise, etwa im Zusammenhang mit den letzten legalen europäischen Prozessen, ein aufflammendes Interesse in Publikationen erfuhr. 1776 hatte Heinrich Leopold Wagner mit seinem Drama „Die Kindermörderin“ großes Aufsehen erregt.16 Goethe kannte Wagner und dessen Erfolg und unterstellte ihm „Gedankenraub“: Er hieß Wagner, erst ein Glied der Straßburger, dann der Frankfurter Gesellschaft; nicht ohne Geist, Talent und Unterricht. Er zeigte sich als ein Strebender, und so war er willkommen. Auch hielt er treulich an mir, und weil ich aus allem was ich vorhatte kein Geheimnis machte, so erzählte ich ihm wie andern meine Absicht mit Faust, besonders die Katastrophe von Gretchen. Er faßte das Sujet auf, und benutzte es für ein Trauerspiel, die Kindesmörderin. Es war das erste Mal, daß mir Jemand etwas von meinen Vorsätzen wegschnappte; es verdroß mich, ohne daß ich’s ihm nachgetragen hätte. Ich habe dergleichen Gedankenraub und Vorwegnah-
Goethe: Aus dem Französischen des Globe. Frankfurter Ausgabe, Abt. I, Bd. 12, S. 526–528, hier S. 527 f. Goethe: Bemerkung des Übersetzers. Frankfurter Ausgabe, Abt. I, Bd. 12, S. 528–530, hier S. 529. Oft wird vergleichend zur Gretchentragödie auf Wagners Drama verwiesen, die Unterschiede der beiden Verführungen werden aber betont, vgl. etwa Williams: Goethe’s Faust, S. 99: „What is also striking in Goethe’s characterization of Gretchen is that he does not present her as an entirely naïve figure who is the passive object of Faust’s seduction or of Mephisto’s manipulation; she is not, for example, comparable with H. L. Wagner’s heroine Evchen Humbrecht, who is the passive victim of near-rape, malicious intrigue and arbitrary accident.“
10.1 Goethes Schweigen: seine literarische Umkodierung der Hexenverfolgung
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men nachher noch oft genug erlebt, und hatte mich, bei meinem Zaudern und Beschwätzen so manches Vorgesetzten und Eingebildeten, nicht mit Recht zu beschweren.17
Der Erfolg Wagners mag Goethe in der Ausarbeitung des Themas beeinflusst haben. Eine Vorliebe der Dichter des Sturm und Drang für das Thema Kindsmord ist unübersehbar; Jan Matthias Rameckers vermutet, es habe zur packenden Dramatisierung eingeladen, zudem sieht er eine symbolische Funktion hinsichtlich gesellschaftlicher Missstände: „An keinem anderen Verbrechen konnten sie die Rückständigkeit der Gesetze und die Grausamkeit der damaligen Strafjustiz so überzeugend dartun [...].“18 Den Reiz des Themas, den Rameckers gerade mit Blick auf juristisch gebildete Dichter vermutet,19 empfand wahrscheinlich auch Goethe. Unter Punkt 5.3 wurde schon skizziert, welche weiten gesellschaftlichen Kreise die Kindsmorddebatte und die Frage nach einer gerechten Bestrafung zogen. Der Diskurs scheint dabei eine Stellvertreterfunktion auch für andere Aspekte des gesellschaftlichen Wandels innegehabt zu haben. Indem Goethe prägnante Bilder der ursprünglichen Walpurgisnacht in der Druckfassung wegließ und nur als Entwürfe verwahrte, sind gerade auch mit den Notizen aus Hexenprozessen und der Hinrichtungsszene, die einen Hexenprozess gegen Gretchen andeutet, wichtige Hinweise für das gesamte Drama eliminiert worden. Neben einer Selbstzensur sowie dramaturgischen und inhaltlichen Gründen für den Wegfall der ursprünglichen Walpurgisnachtszene wurde Goethes Entscheidung nicht zuletzt unter ästhetischen Gesichtspunkten diskutiert. Max Morris20 und später Christoph Müller vermuten mit Blick auf die Eliminierung der Hochgerichtsszene, Goethe habe eine „Milderung“ angestrebt, die zum einen die Darstellung einer blutigen Hinrichtung umgehe, zum anderen dem „Vermeiden des Tragischen“ entspreche.21 Müller verweist in diesem Zusammenhang auf Goethes Bekenntnis: Ich bin nicht zum tragischen Dichter geboren, da meine Natur konziliant ist: daher kann der rein tragische Fall mich nicht interessieren, welcher eigentlich von Haus aus unversöhnlich sein muß, und, in dieser, übrigens so äußerst platten Welt kommt mir das Unversöhnliche ganz absurd vor.22
Münchner Ausgabe, Bd. 16, S. 636. Rameckers: Kindsmord in der Literatur der Sturm-und-Drang-Periode, S. 150. Rameckers: Kindsmord in der Literatur der Sturm-und-Drang-Periode, S. 103. Morris: Goethe-Studien, S. 94. Müller, C.: „Gretchen als Hexe?“, S. 361. Vgl. Morris: Goethe-Studien, S. 94. Brief an Carl Friedrich Zelter vom 31. Oktober 1831. Münchner Ausgabe, Bd. 20.2, S. 1563–1565, hier S. 1564.
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Auch ein Schutz vor dem Grauen der Hexenverfolgung mag psychologisch eine Rolle spielen beim Schweigen über diese Vergangenheit und bei ihrer Überführung in den anderen Themenkomplex, der ja durchaus ebenfalls eine Tragödie Gretchens ergibt. Moderne soziologische Untersuchungen berichten von ähnlichen Abwehrhaltungen. Erstaunlicherweise hat die These von Gretchens Hexenprozess, wie schon angesprochen, eine der deutlichsten Zustimmungen in einer fachfremden Publikation gefunden: dem sozialwissenschaftlichen Sammelband des Hamburger Instituts für Sozialforschung zum Thema „Folter“. Hier stellt Jan Philipp Reemtsma in seiner Einleitung fest: „Doch stimmt es nachdenklich genug, daß in diesem berühmtesten Stück der deutschen Literatur Hexenverfolgung und Folter zentrale Motive sein sollten – und getilgt wurden. Terror oder seine Drohung bewirken selbst dieses Phänomen des Wegsehens.“23 Helmut Schanze hat in seiner Studie „Goethes Dramatik. Theater der Erinnerung“ den Entwürfen zur Szene Walpurgisnacht, wie schon erwähnt, ein ganzes Kapitel gewidmet.24 Obwohl er trotz seines Forschungsziels auf das Thema der Hexenverfolgung nicht eingeht, spekuliert er doch wie viele andere über die Umgestaltung der Szene. Auch ihm scheint die Frage wichtig, auch er vermutet ästhetische Gründe. Goethes Ziel sei die leise Andeutung, die wahre Hölle sei auf dem Theater nicht darzustellen: „An die Stelle des Unortes tritt Vordergründiges, Distanzschaffendes, Hindeutung, ‚leiser Wink‘. Sinnlich vordrängen soll sich der Unort nicht. Faust wird von der ‚Hölle‘ abgelenkt; würde er ihr verfallen, wäre keine ‚Erlösung‘ mehr.“25 Schanze spricht mit Blick auf den Walpurgisnachtstraum, der die ursprüngliche Satansmesse ersetzt, von einem „metaphorischen Verfahren“ Goethes: „Goethe entzieht sich der Tradition, indem er sie in einem metaphorischen Verfahren verdeckt; er rettet und zerstört, modernisiert und restauriert sie zugleich.“26 Dieses Verfahren lässt sich auch für das Thema der Hexenverfolgung beobachten. Wieso aber bevorzugte Goethe hier die metaphorische Ersetzung? Aus einem Gespräch mit Goethe, über das Schiller berichtet, wird ein Unbehagen der Dichter angesichts der hexentheoretischen Literatur deutlich. Schiller schreibt im Sommer 1800: Das Mädchen von Orleans ist der Stoff, den ich bearbeite. [...] Auf das Hexenwesen werde ich mich nur wenig einlassen, und soweit ich es brauche, hoffe ich mit meiner eigenen
Reemtsma: Skizze eines Forschungsprogramms, S. 11. Schanze: Goethes Dramatik, S. 161–171. Schanze: Goethes Dramatik, S. 165. Schanze: Goethes Dramatik, S. 166.
10.1 Goethes Schweigen: seine literarische Umkodierung der Hexenverfolgung
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Phantasie auszureichen. In Schriften findet man beinah gar nichts, was nur irgend poetisch wäre, auch Goethe sagt mir, daß er zu seinem Faust gar keinen Trost in Büchern gefunden hätte. Es ist derselbe Fall mit der Astrologie: man erstaunt, wie platt und gemein diese Fratzen sind, womit sich die Menschen so lange beschäftigen konnten.27
Es ist denkbar, dass unter anderem die von Goethe rezipierten dämonologischen Schriften ihn dazu bewogen, das Thema teilweise zu verschleiern. Das bezeichnende Bild des „Flors“, das Goethe gegenüber Schiller mit Blick auf „Faust“ und die Reimform heranzog, wurde schon angesprochen. Durch den Flor scheine die Idee hindurch, es werde „die unmittelbare Wirkung des ungeheuern Stoffes aber gedämpft.“28 Vor allem die literarische Aufstachelung fanatischer Hexenverfolger, viele davon Kleriker, mag bei Goethe eine Abscheu provoziert haben, schrieb er später doch mit Blick auf griechische und römische Literatur, wir verdankten ihr „die Befreiung aus mönchischer Barbarei zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert“.29 Die Aussage erinnert an Verse, die Goethe in den Paralipomena zu Faust II unter der Überschrift Schluß hinterlassen hat: Und so geschlossen sey der Barbareyen / Beschränckter Kreis mit seinen Zaubereyen.30 Im Konzept eines Briefes, das in der Weimarer Ausgabe auf den 30. Januar 1798 datiert wird, bemerkt Goethe, er wünsche seinen „Faust zu endigen, mich aber auch zugleich von aller nordischen Barbarey loszusagen“.31 Zugleich mag der Widerwillen, der sich in der Bezeichnung „Barbarey“ spiegelt, Goethes Lust an der Verrätselung, die in vielen verschiedenen Gesprächen und Briefen dokumentiert ist, auch hinsichtlich des Themas Hexenverfolgung geweckt haben. Der Dichter bezeichnete seinen „Faust“ als „ganz etwas Inkommensurabeles“ und bemerkte, alle Versuche, ihn dem Verstand näher zu bringen, seien vergeblich: „Auch muß man bedenken, daß der Erste Teil aus einem etwas dunkelen Zustand des Individuums hervorgegangen. Aber eben dieses Dunkel reizt die Menschen, und sie mühen sich daran ab, wie an allen unauflösbaren Problemen.“32 Den zweiten Teil des „Faust“ nannte Goethe sogar ein „offenbares Rätsel“, das „die Menschen fort und fort ergötze und ihnen zu schaffen
Brief Schillers an Christian Gottfried Körner vom 28. Juli 1800. Frankfurter Ausgabe, II. Abt., Bd. 5, S. 56. Brief an Friedrich Schiller vom 5. Mai 1798. Münchner Ausgabe, Bd. 8.1, S. 569–571, hier S. 570. Brief an Carl Jacob Ludwig Iken vom 27. September 1827. Frankfurter Ausgabe, Abt. II, Bd. 10, S. 546–549, hier S. 547. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 730. Konzept eines Briefes an Aloys Hirt vom 30. Januar 1798. Weimarer Ausgabe, Abt. IV, Bd. 13, S. 44–46, hier S. 46. Gespräch mit Eckermann am 3. Januar 1830. Münchner Ausgabe, Bd. 19, S. 347. Vgl. Gespräch mit Eckermann am 13. Feb. 1831, S. 403–407, hier S. 404.
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mache.“33 An Sulpiz Boisserée schrieb Goethe ebenfalls Bezeichnendes über den zweiten Teil seines Dramas: „Und, wenn es noch Probleme genug enthält, keineswegs jede Aufklärung darbietet, so wird es doch denjenigen erfreuen, der sich auf Miene, Wink und leise Hindeutung versteht. Er wird sogar mehr finden als ich geben konnte.“34 Goethes Verrätselung übt ihre Reizwirkung seit Generationen aus, was schon 1855 Jacob Burckhardt zu der Bemerkung veranlasste, es sei das Schicksal der gebildeten deutschen Jugend, „daß sie in einem bestimmten Lebensalter am Faust bohre und grüble“.35 Es ist jedoch zu hoffen, dass Goethes Verschleierung nicht weiterhin zur Verkennung der Hexenthematik im „Faust“ führt. Der Dichter scheint diese Gefahr geahnt zu haben, wenn er in einer Bemerkung zu seinen Walpurgisnacht-Entwürfen die folgende außergewöhnliche Metapher wählte: „Jedes Papier, das in meinen Walpurgissack herunterfällt, fällt in die Hölle; und aus der Hölle, wie Ihr wißt, gibt es keine Erlösung.“36 Ein unwiederbringlicher Verlust wird so umschrieben. Helmut Schanze hat hier von einer „Memorialtopik“ gesprochen und bemerkt: „Auch ‚Hölle‘ ist ein Ort, ein Ort allerdings der Nicht-Erinnerung.“37
10.1.2 Goethes Vorstellung einer weltweit wahrgenommenen Literatur Das Teufels- und Hexen-Wesen machte ich nur einmal; ich war froh mein nordisches Erbteil verzehrt zu haben und wandte mich zu den Tischen der Griechen.38
Goethes Vorstellung von „Weltliteratur“,39 überkommen in einzelnen Äußerungen aus den späten Lebensjahren, ist ein eigenes Forschungsfeld, das in seiner Komplexität und Umstrittenheit hier nicht dargelegt werden kann. Thomas Mann bemerkte dazu, Goethe stelle das Wort „als Tatsache halb, halb als Forderung in die Zeit.“40 Es
Brief an Carl Friedrich Zelter vom 1. Juni 1831. Münchner Ausgabe, Bd. 20.2, S. 1477–1479, hier S. 1477. Brief an Sulpiz Boisserée vom 8. September 1831. Frankfurter Ausgabe II. Abt., Bd. 11, S. 459–461, hier S. 460. Brief an Albert Brenner vom 11. November 1855. Burckhardt: Briefe, S. 191. Gespräch mit Johannes Falk, vgl. Herwig / Biedermann: Goethes Gespräche, Bd. 5, Nr. 7228, S. 93. Zur unsicheren Datierung vgl. den Kommentar S. 277. Schanze: Goethes Dramatik, S. 165. Gespräch mit Eckermann am 16. Februar 1826. Münchner Ausgabe, Bd. 19, S. 158–160, hier S. 160. Vgl. zu dieser Bezeichnung etwa Borchmeyer: Globalisierung, S. 80. Mann: Goethe als Repräsentant, S. 174.
10.1 Goethes Schweigen: seine literarische Umkodierung der Hexenverfolgung
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wird angenommen, dass das Anliegen einer weltweit anerkannten Literatur Goethe schon früh beeinflusst hat. Zwar ist seine explizite Verwendung des Ausdrucks „Weltliteratur“ erst ab 1827 überliefert, aber Anne Bohnenkamp bemerkt: „Die Wurzeln der Goetheschen Idee einer ‚Weltliteratur‘ reichen weit zurück“.41 Die Vorstellung einer internationalen Rezipierbarkeit von Literatur kann möglicherweise einer der Beweggründe sein, die Goethe schon früher zur Umkodierung der Hexenthematik in seinem „Faust“ motiviert haben, beziehungsweise kann es ihn im zweiten Teil des Dramas bewogen haben, sich auf Andeutungen zu beschränken. Denn Hexenverfolgung als ein auf deutschem Gebiet besonders ausgeprägtes Problem hätte diese Wahrnehmung in seinen Augen vielleicht beeinflusst, wenn sie als Dramenthema dominiert hätte. Die Faust-Illustrationen von Peter Cornelius soll Goethe im Alter als „zu altdeutsch“42 getadelt haben. Hat sich eine Abwehrhaltung gegen etwas spezifisch „Altdeutsches“, was das Thema Hexenverfolgung einschlösse, eventuell allmählich verstärkt? Bekannt ist Goethes von Eckermann überlieferte Aussage: „National-Literatur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Welt-Literatur ist an der Zeit und jeder muß jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen.“43 Die „weltweite Rezipierbarkeit“44 wird ein entscheidendes Definitionskriterium für Goethes Vorstellung von Weltliteratur. Viele Rezipienten nahmen jedoch die Zeit und die Welt der Gretchenhandlung als „spezifisch deutsch“45 wahr. Goethe selbst soll nach Eckermann das „Teufels- und Hexen-Wesen“ sein „nordisches Erbteil“ genannt haben.46 Thomas Mann etwa zählte
Vgl. etwa Bohnenkamp: Weltliteratur, S. 947. Goethe soll 1828 im Gespräch mit Joseph Stieler gesagt haben: „Er möge den Corneliusschen ‚Faust‘ nicht leiden, versicherte er; er trete nicht auseinander, er sei ihm zu altdeutsch.“ Gräf: Goethe über seine Dichtungen, Teil II, Bd. 2, S. 456. Cornelius selbst wird in mancher Sekundärliteratur zum Künstler auffallend stark nationalistisch verklärt, was seine Rezeption als „typisch deutsch“ belegt, vgl. etwa die Studie von David Koch aus dem Jahr 1905, Koch: Peter Cornelius. Auch gilt Cornelius als ein willkommenes Objekt späterer nationalistischer Rezeption von Goethes „Faust“, vgl. Büttner: Peter Cornelius, S. 36. Vgl. zu Goethes Bewertung von Cornelius etwa Birus: FaustIllustrationen von Cornelius bis Delacroix, S. 172–175. Gespräch mit Eckermann am 31. Januar 1827. Münchner Ausgabe, Bd. 19, S. 205–210, hier S. 207. Matussek: Zwischen den Kulturen, S. 53. Dies betont zum Beispiel Requadt: Goethes „Faust I“, S. 217. Vgl. etwa auch Borchmeyer: Globalisierung, S. 86, der von einer „provinziell beschränkten altdeutschen Welt“ spricht. Gespräch mit Eckermann am 16. Februar 1826. Münchner Ausgabe, Bd. 19, S. 158–160, hier S. 160. In einem Brief an Schiller vom 5. Juli 1797 sprach Goethe mit Blick auf die Welt des „Faust“ über „die nordischen Phantome“. Frankfurter Ausgabe, II. Abt., Bd. 4, S. 362–364, hier S. 362. In einem anderen Brief an Schiller vom 28. April 1798 schrieb Goethe von der „nordischen Natur“ seines „Faust“. Frankfurter Ausgabe, II. Abt., Bd. 4, S. 527–529, hier S. 528.
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10 Die Deutung verschwiegener Spuren in der Literatur
den ersten Teil des „Faust“ zu den Werken Goethes, die „das exemplarisch Nordische und Deutsche“ darstellten.47 Und Peter Matussek fragt: „Ist denn nicht gerade der ‚Faust‘ ein viel zu spezifisch deutsches Drama, um polyglott zu wirken?“48 Wenn nun Gretchen explizit als Opfer eines Hexenprozesses dargestellt worden wäre, hätte sich dieser Eindruck des „Deutschen“ womöglich verstärkt. Heinrich Laube etwa bemerkt 1846 einleitend zu seinem Theaterstück „Die Bernsteinhexe“, dieses sei ein Theaterstück, „welches ein tief nationales Thema deutschen Lebens zur Anschauung bringt, und welches auf eine ungeschminkte Schilderung historischen Lebens Anspruch machen kann.“49 Zwar gab es Hexenprozesse in vielen Ländern Europas, die meisten Verfolgungen haben aber auf deutschem Gebiet stattgefunden, was schon Zeitgenossen der massenhaften Prozesse beschrieben. Friedrich Spee mahnte in seiner 1631 erschienenen Schrift „Cautio Criminalis“: „O du liebes Teutschland / daß du so viel Zauberer und Zauberinnen gezeugt hast“.50 Er notiert die Frage: „Obs in Teutschland mehr Zauberer / Hexen / vnd Unholden gebe / alß anderstwo?“,51 und antwortet: Man meinet vnd helts einmahl darvor / daß in Teutschlandt mehr Zauberer seyen alß anderstwo. Ursach ist diese. Es rauchet ja in Teutschlandt fast allenthalben? Wovon vnd warumb? Darumb weil man in Arbeit ist / die Zauberer und Zauberschen zuverbrennen vnd außzurotten.52
Noch lange blieb deutsches und deutschsprachiges zentraleuropäisches Gebiet als Kernzone der Hexenverfolgung53 im Gedächtnis. Goethes Zeitgenosse und Trierer Gesprächspartner Johann Hugo Wyttenbach etwa zitiert in seinen Abhandlungen über Hexenprozesse 1817 ausführlich Spees Blick auf Deutschland und schreibt:
Mann: Goethe als Repräsentant, S. 175. Matussek: Zwischen den Kulturen, S. 54. Laube: Die Bernsteinhexe, S. 26. „Et ecce Germania / tot Sagarum Mater“. Spee: Cautio Criminalis. Die XXI. Frage, S. 82 bzw. S. 294 (Übersetzung). „Dubium II. / Pluresne Sagae seu malefici in Germania sint ac alibi?“ Spee: Cautio Criminalis. Die II. Frage, S. 20 bzw. S. 218 (Übersetzung). “Nam imprimis constat in Germania passim fumare omnia incendiis, quae hanc luem depascant [...]“. Spee: Cautio Criminalis. Die II. Frage, S. 20 bzw. S. 218 (Übersetzung). Vgl. etwa Petz: Die letzte Hexe, S. 18: „Das heutige Deutschland bildet mit vermutlich 20.000 bis 40.000 Hinrichtungen das Kerngebiet der europäischen Hexenverfolgung.“ Vgl. Voltmer / Irsigler: Die europäische Hexenverfolgung, S. 34: „Ganz gewiss lag das Zentrum der Hexenverfolgungen im Deutschen Reich und seinen nur noch formal dazugehörigen beziehungsweise später abgetrennten Gebieten im Westen (die Schweiz sowie die Herzogtümer Lothringen und Luxemburg).“
10.1 Goethes Schweigen: seine literarische Umkodierung der Hexenverfolgung
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Vorzüglich in Deutschland war diese Wuth einheimisch. [...] Es ist höchst traurig, aber gewiß, daß Deutschland, und vorzüglich die genannten Gegenden auch in dieser Periode dasjenige Land blieb, in welchem das Unwesen der Hexenprozesse am meisten und längsten wüthete, und unser trefliche [sic] Jesuit Friederich Spee, dieser wohl unterrichtete unerschrockene Verfechter der Wahrheit und Tugend, [...] bezeuget, daß unser Vaterland durch die vielen Hunderte von rauchenden Scheiterhaufen bey allen übrigen Völkern stinkend geworden sey.54
Goethe empfand die Hexenthematik als ein bezeichnendes Thema. Auch wenn er die Verarbeitung nationaler Besonderheiten durchaus nicht im Widerspruch zu einer interkulturellen Bedeutung sah,55 so bezweifelte er vielleicht doch eine internationale Verständlichkeit, Gültigkeit oder Akzeptanz der Hexenthematik. Auch in seinem frühen Drama „Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand“ hat Goethe Hinweise auf die Hexenthematik kurze Zeit später eliminiert. In seinem Entwurf, geschrieben im Jahr 1771, erhält die intrigante Adelhaid von Weislingen ein Mittel von der Magie kundigen „Zigeunern“. Sie lässt damit ihren Mann umbringen. Adelhaid sagt selbst, sie habe gelernt „durch geheime Künste meinen Feind vom Erdboden weghauchen“56 und spricht von ihren „Zaubermitteln“57 sowie „Zauber-Gift“.58 Über den Tod des ermordeten Adelbert von Weislingen wird dann berichtet: Es ist mehr als das. Eine weise Frau aus dem Dorfe die ich herauf rief, Beteuerte seine Lebenskräfte seien mit schröcklichen Zauberformeln mit der Verwesung gepaart, er müsse sich verzehren und sterben. –59
In einem geheimen Gericht konfrontiert ein Kläger die Mörderin mit Vorwürfen, die die magischen Vorstellungen beinhalten: „Ich klag an auf Strang und Schwerdt Adelhaiden von Weislingen. Sie hat Ehebruchs sich schuldig gemacht, und ihren Mann samt seinem Knaben durch geheime verzehrende Mittel zum Tode gesaugt. Der Mann ist Tot, der Knab stirbt.“60
Wyttenbach: Geschichte von Trier, S. 105 f. Vgl. hierzu die Ausführungen von Matussek: Zwischen den Kulturen, S. 56. Goethe: Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand. Münchner Ausgabe, Bd. 1.1, S. 387–509, hier S. 494. Goethe: Geschichte Gottfriedens von Berlichingen. Münchner Ausgabe, Bd. 1.1, S. 387–509, hier S. 497. Goethe: Geschichte Gottfriedens von Berlichingen. Münchner Ausgabe, Bd. 1.1, S. 387–509, hier S. 500. Goethe: Geschichte Gottfriedens von Berlichingen. Münchner Ausgabe, Bd. 1.1, S. 387–509, hier S. 502. Goethe: Geschichte Gottfriedens von Berlichingen. Münchner Ausgabe, Bd. 1.1, S. 387–509, hier S. 504 f.
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10 Die Deutung verschwiegener Spuren in der Literatur
In seiner späteren Fassung des Dramas 1773, nach der auch noch mehrere Bühnenfassungen entstanden, hat Goethe zahlreiche Stellen von der Hexenthematik bereinigt – eine auffallende Parallele zu seiner Eliminierung hexenthematisch bedeutsamer Entwürfe zu „Faust“. In der späteren Fassung wird der Giftmord allein betont – über die frühneuzeitliche Verhüllung von Hexenprozessen durch Giftmordvorwürfe wurde schon unter Punkt 7.4 meiner Arbeit berichtet. Wie viele andere Hinweise entfällt etwa auch das erstgenannte Zitat zum Tod Weislingens, und der Kläger des Geheimen Gerichts sagt nun: „Klage an auf Strang und Schwert Adelheiden von Weislingen. Sie hat Ehebruchs sich schuldig gemacht, ihren Mann vergiftet durch ihren Knaben. Der Knab hat sich selbst gerichtet, der Mann ist tot.“61 Nach Ansicht des älteren Goethe, so formulierte es Thomas Mann, war die Zeit gekommen, „wo nur noch das Weltfähige eigentlich an der Tagesordnung sei und in Betracht komme: die Tage des nur in seiner Entstehungssphäre Gültigen seien vorüber.“62 Eine Präsentation der unrühmlichen Geschichte der Hexenverfolgung ist international heikel, gerade auch angesichts der Vorstellung, die Deutschen hätten eine „schöne Rolle“63 innerhalb der Weltliteratur, wie Goethe 1827 im Konzept eines Briefes an Adolph Friedrich Carl Streckfuß schrieb. In der von Goethe herausgegebenen Zeitschrift „Kunst und Altertum“ bemerkte er, in der Weltliteratur sei „uns Deutschen eine ehrenvolle Rolle vorbehalten“.64 In den Paralipomena sind einige Verse überliefert, die das Hexenthema auffällig verorten: Dem Ruß den Hexen zu entgehen, Muß unser Wimpel südwärts wehen;
Goethe: Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand. Münchner Ausgabe, Bd. 1.1, S. 549–653, hier 649. Mann: Goethe als Repräsentant, S. 174. Auch weitere Überarbeitungen durch Goethe können unter anderem als Hinweise in diese Richtung gelesen werden, etwa die Tilgung lokalspezifischer Aspekte. Zum Beispiel zeigt die zweite Fassung seines 1774 erschienenen Romans „Die Leiden des jungen Werthers“ in der 1787 veröffentlichten Fassung prägnant die Eliminierung bestimmter mundartlicher Färbungen. „Ich bin überzeugt daß eine Weltliteratur sich bilde, daß alle Nationen dazu geneigt sind und deshalb freundliche Schritte tun. Der Deutsche kann und soll hier am meisten wirken, er wird eine schöne Rolle bei diesem großen Zusammentreten zu spielen haben.“ Konzept eines Briefes an Adolph Friedrich Carl Streckfuß vom 23. Januar 1827. Frankfurter Ausgabe, Abt. II, Bd. 10, S. 443–446, hier S. 443. Goethe: Le Tasse. In: Über Kunst und Altertum VI, 1 (1827). Frankfurter Ausgabe, Abt. I, Bd. 22, S. 353–357, hier S. 356. Heute wird Goethes „Faust“ von manchen Forscherinnen zum Beispiel gelesen „as an extended mediation on Germany’s place in the European tradition“. Jane K. Brown: History and Historicity, S. 69.
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Doch dort bequeme dich zu wohnen Bey Pfaffen und bey Scorpionen.65
Der Ruß assoziiert nicht nur die Walpurgisnachtfeuer, sondern auch die Verbrennungen der direkt danach genannten Hexen. Spielt Goethe nur auf Hexenphantasien an, oder womöglich auch darauf, dass in den südeuropäischen Ländern Italien, Spanien und Portugal vergleichsweise viel weniger Hexenverfolgungen stattgefunden haben?66 Als ein Grund dafür gilt ein mäßigender Einfluss der Inquisition auf Hexenverfolgungen.67 Auf die regionalen Unterschiede hat ebenfalls schon Friedrich Spee hingewiesen: Jedenfalls sehen die Italiener und Spanier, die anscheinend von Natur aus mehr dazu veranlagt sind, diese Dinge zu bedenken und zu überlegen, deutlich, welch unzählbare Menge Unschuldiger sie hinrichten müßten, wenn sie die Deutschen nachahmen wollten. Darum lassen sie es mit Recht sein und überlassen dies Geschäft, Hexen zu verbrennen, uns allein [...].68
Auch Goethe bezeichnet in der Druckfassung des „Faust“ das Hexenthema als nordisch. In der Hexenküche nennt Mephistopheles die althergebrachte Teufelsvorstellung das „nordische Phantom“: Auch die Kultur, die alle Welt beleckt, Hat auf den Teufel sich erstreckt; Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen, Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen? Und was den Fuß betrifft, den ich nicht missen kann, Der würde mir bei Leuten schaden; Darum bedien’ ich mich, wie mancher junge Mann, Seit vielen Jahren falscher Waden (2495–2502)
Unter der Frage „Was ist deutsch?“ reiht Hans-Dieter Gelfert die Faustgestalt in das Kapitel „Deutsche Mythen“ ein. Er nennt es kurios, „dass der Faust-Stoff, den die Deutschen als ihr kulturelles Nationaleigentum empfinden, zuerst durch einen Engländer, nämlich Christopher Marlowe, in die hohe Literatur eingeführt wurde.“69 Es ist allerdings nicht überraschend, dass eine Teufelsbündnergeschichte auch außerhalb des deutschen Raumes Interesse fand. Imaginationen von Hexen und Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 556. Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 189–191. Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 189 f. An dieser Stelle ist aus Gründen der Verständlichkeit die jüngere Übersetzung von JoachimFriedrich Ritter wiedergegeben. Spee: Rechtliches Bedenken, S. 50. Vgl. Spee: Cautio Criminalis, Die XV. Frage, S. 50 bzw. 38 (Übersetzung). Gelfert: Was ist deutsch?, S. 85.
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10 Die Deutung verschwiegener Spuren in der Literatur
Zauberern waren schließlich ein europaweites Phänomen, wenn sie auch zu regional unterschiedlichen Verfolgungen führten. Anne Bohnenkamp hat zu Recht festgestellt, die Auseinandersetzung mit dem Faust-Stoff impliziere „aus europäischer Perspektive keineswegs notwendigerweise auch eine Auseinandersetzung mit ‚dem Deutschen‘.“70 Goethes „Faust“, besonders der erste Teil, ist nun ein Werk, das als Synonym für Weltliteratur stehen könnte.71 Die Vielzahl seiner Übersetzungen wird ebenso immer wieder untersucht wie seine internationale Wirkung. Noch Goethe selbst erlebte, „wie die Welt, zumindest deren europäischer Teil, seine Werke mit steigender Anteilnahme und Begeisterung aufnahm [...]“.72 Die internationale Goethe-Rezeption weckte stets hohe Erwartungen. Claudia Liebrand berichtet etwa über Versuche nach dem Zweiten Weltkrieg, Weltliteratur aus deutscher Sicht „als Vehikel moralischer Wiederaufrüstung“73 zu betrachten und Goethe dabei als „Stiftungsfigur einer Aussöhnung der Völker“.74 Hans Ulrich Gumbrecht hat Gründe für eine spezifische interkulturelle Eignung von Literatur angedeutet, er betont hier wieder die „Stimmungen“ und „die Ununterscheidbarkeit zwischen ästhetischer und historischer Erfahrung“:75 Und solange uns Stimmungen physisch und affektiv erreichen, ist es auch ganz überflüssig, den Nachweis antreten zu wollen, dass unsere Sprachen Wirklichkeiten außerhalb ihrer selbst erreichen können. Denn die Skepsis des ‚Konstruktivismus‘ und des ‚Linguistic turn‘ betrifft nur solche Ontologien der Literatur, die auf dem Paradigma der Weltrepräsentation beruhen. Für das Lesen von Stimmungen trifft das gerade nicht zu – sie gehören zur Wirklichkeit der Welt.76
Die Frage, was an „Faust“ distinktiv „deutsch“ ist, wurde vielfältig zu erklären versucht; sie steht noch im Raum. Die Atmosphäre der Tragödie, die „deutsch“ erscheint, ist aber jedenfalls international lesbar und losgelöst von konkreten historischen Ereignissen weltweit rezipierbar. Peter Matussek nennt „Faust“ sogar ein „interkulturelles Drama“, seine Beschreibung hätte Goethe vielleicht erfreut:
Bohnenkamp: Paralipomena, S. 97. Die Bekanntheit des Dramas wird auch zum Träger interkultureller Schauspielprojekte. Vgl. etwa „Faust 2.0. Nach Johann Wolfgang von Goethe“ von Tomo Mirko Pavlovic, zum Beispiel 2013 im Théâtre National du Luxembourg aufgeführt. Dahnke: „Faust“ in der europäischen Literatur des 19. Jahrhunderts, S. 17. Liebrand: Goethes Konzept von Weltliteratur, S. 20. Liebrand: Goethes Konzept von Weltliteratur, S. 21. Gumbrecht: Stimmungen lesen, S. 27. Gumbrecht: Stimmungen lesen, S. 33 f.
10.2 Das Schweigen der anderen: Goethes „Faust“ als „Nationalheiligtum“
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Goethes „Faust“ bringt nicht nur anhand der eigenen Kultur eine grundsätzliche Problematik zum Ausdruck, sondern er macht die Dialektik von Selbstheit und Fremdheit, Identität und Alterität selbstreflexiv zum Thema. Kurz: Er ist nicht nur der Form seines dramatischen Konflikts nach, sondern auch als Forum der Reflexion dieses Konflikts ein interkulturelles Drama.77
Ein deutlicheres Belassen des Themas Hexenverfolgung im „Faust“ hätte – aus heutiger Sicht – diese Verdienste sicher nicht geschmälert. Zu Goethes Zeit, mit wenig Kenntnis über die europäischen Ausmaße der Hexenverfolgung und nah am Geschehen, mag man dies anders empfunden haben.
10.2 Das Schweigen der anderen: Goethes „Faust“ als „Nationalheiligtum“ Die Leugnung des Fortschritts und die Darstellung der deutschen Geschichte als eine ununterbrochene Misere ist eine reaktionäre und antinationale Konzeption.78
Hexenprozesse sind zum „sprichwörtlichen Inbegriff des Unrechts und der Unmenschlichkeit“79 geworden. Franz Neubert, der das Thema als einer der wenigen Faustforscher früh streifte, schrieb 1932: „Zu den allerschlimmsten Auswüchsen, zu einer entsetzlichen Kulturschande wuchs sich der Glaube an Hexen aus.“80 Diese Wortwahl zeigt beispielhaft, dass die vorrangige Beteiligung deutscher Vorfahren an diesem Unrecht Scham auslöst – als ein trauriger Teil der Geschichte mit vielen schmutzigen Facetten. Demgegenüber stehen Goethes „Faust“ als ein „Zentralheiligtum der deutschen Nationalliteratur“81 sowie sein Dichter, der nach herrschender Meinung „Inbegriff unseres kulturellen Gedächtnisses“82 ist und dessen Name „im Ausland die deutsche Kultur repräsentieren kann“.83 Goethe Matussek: Zwischen den Kulturen, S. 58. Redaktionskollegium „Neues Deutschland“. Das „Faust“-Problem und die deutsche Geschichte. Bemerkungen aus Anlaß des Erscheinens des Operntextes „Johann Faustus“ von Hanns Eisler. 1953. In: Bunge: Debatte, S. 91. Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 271. Neubert: Doctor Faustus, S. XI. Schöne: Götterzeichen, S. 153. Vgl. zum Thema der nationalen Identifikation mit Goethes „Faust“ knapp zusammenfassend zum Beispiel Schmidt, J.: Goethes Faust, 4. Aufl., S. 305–319 sowie Gille: „Faust“ als nationaler Mythos. Vgl. auch sehr anschauliche Überblicksdarstellungen zu Einzelaspekten des Themas im Sammelband Möbus / Schmidt-Möbus / Unverfehrt: Faust: Annäherung an einen Mythos. Göttingen 1995, besonders die Beiträge von Sagarra, Zabka und Ehrlich. Matussek: Faust II – die Tragödie der Gedächtniskultur, S. 296. Hamacher, B.: Entwürfe, S. 7.
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10 Die Deutung verschwiegener Spuren in der Literatur
wird noch heute in der Öffentlichkeit als „unser Nationaldichter“ gehandelt.84 Sein „Faust“ – und sogar, obwohl international viel bearbeitet, der Fauststoff – wurden über viele Epochen hinweg als nationales Symbol empfunden; zahllose Beispiele und Belege ließen sich hier anführen.85 Anne Bohnenkamp, die sich mit europäischen Verarbeitungen des Faust-Stoffes beschäftigt hat, resümiert: „Die Verbindung zwischen dem Teufelsbündner und seiner Nationalität wurde vor allem von deutscher Seite immer wieder als eine notwendige betrachtet. Nicht nur von den Faschisten wurde Faust als ein in emphatischem Sinne deutscher Mythos in Anspruch genommen.“86 Man schrieb Faust dabei, je nach Couleur der Vereinnahmenden, unterschiedliche Tugenden und Ziele zu. Schon Heinrich Heine erwähnte, wenn auch in ironisch gebrochenem Kontext, „die große, mystische, deutsche Nazionaltragödie vom Doctor Faust“.87 Quirin Engasser fragt 1949: „Ist ‚Faust‘ das heilige Buch der Deutschen?“88 Heiligkeit ist mit Ehrfurcht und auch Furcht verbunden. Treffend erscheint deshalb die Formulierung von Cyrus Hamlin aus dem Jahr 2003: „Goethes ‚Faust‘ gilt wohl immer noch als heiliges Territorium der Germanistik, ein Gebiet, das selbst die Engel fürchten müßten [...]“.89 In religiöser Passion erging sich, um nur ein Beispiel zu zitieren, 1916 Albert Bielschowsky folgendermaßen: So ist der Faust schließlich doch ein tief sittliches Werk, das uns schützt gegen allerlei böse Geister und uns jenen sittlichen Idealismus erschließt, der es lernt und lernen muß, festen Fuß zu fassen auf dem realen Boden der diesseitigen Welt und in ihr unsere Aufgaben und Pflichten, unsere Leiden und Freuden zu finden, das Evangelium der Versöhnung des modernen Menschen und seiner Kulturarbeit mit dem Leben auf Erden und mit dem Göttlichen, das sich darin offenbart, das optimistische Glaubensbekenntnis von der Überwindung der Schuld und von der Erlösung vom Bösen, von dem endlichen Sieg des Reiches Gottes auf Erden.90
Zu derartiger Erhabenheit in der Rezeption Goethes allerdings passt das anrüchige Thema Hexenverfolgung kaum. Dass eine interpretative Verbindung der beiden
Vgl. unter zahlreichen Beispielen etwa http://www.kino-zeit.de/filme/trailer/goethe [Stand: Juni 2023] oder http://www.tvspielfilm.de/news-und-specials/interviews/talk-alexander-fehling-mi riam-stein-philipp-stoelzl-goethe-in-love,4300538,ApplicationArticle.html [Stand: Juni 2023]. Vgl. zum Beispiel eine Auswahl an Belegen bei Sagarra, Zabka und Ehrlich im Sammelband von Möbus / Schmidt-Möbus / Unverfehrt: Faust. Annäherung an einen Mythos. Jane Brown bemerkt zusammenfassend: „Germany has defined itself as a nation in terms of Goethe’s text in many different – and always disturbing – ways over the last century“. Brown: Theater of the world, S. 7. Bohnenkamp: „Faust“ in Europa, S. 97. Heine: Die Harzreise. Düsseldorfer Ausgabe, Bd. 6, S. 116. Engasser: Der faustische Mythos. Ist „Faust“ das heilige Buch der Deutschen? Hamlin: Faust und der Erdgeist, S. 95. Bielschowsky: Goethe, Bd. 2, S. 674.
10.2 Das Schweigen der anderen: Goethes „Faust“ als „Nationalheiligtum“
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Komplexe Unbehagen auslösen kann, liegt auf der Hand. Schon mit anderen brisanten Beobachtungen, etwa zur politischen Situation in Weimar, sind Forscher auf vehemente Ablehnung in der Goethe-Forschung gestoßen und haben Vorwürfe gegen diese erhoben, zum Beispiel, wie schon dargelegt, den einer „apologetischen Goethe-Forschung“91 und der Tabuisierung bestimmter Themen angesichts der „Ikone Goethe“.92 Ganz offensichtlich war es der Goethe-Forschung auch lange unangenehm, das Thema „Hexenverfolgung“ mit einem von ihr als sakrosankt empfundenen „Faust“ in Verbindung zu bringen. Es ist eine vieldiskutierte These in der Gedächtnisforschung, dass kollektives Erinnern weniger auf die Vergangenheit ausgerichtet ist, „als auf gegenwärtige Bedürfnisse, Belange und Herausforderungslagen von sozialen Gruppen oder Gesellschaften.“93 Martin Zierold definiert gesellschaftliche Erinnerung als „stets gegenwartsbezogene, aktuelle Konstruktionen“, die für die Identitätsbildung wichtig seien.94 Dementsprechend zerstörerisch kann manche historische Wahrheit wirken.95 Goethe selbst hat seine das Hexenthema vertiefenden Paralipomena zur Walpurgisnacht zu Recht als Schrecken der Deutschen beschrieben; Schöne nennt die Entwürfe die „großen Prankenschläge der Kunst“, die scharf und schmerzhaft treffen könnten.96 Nicht zuletzt ist Goethes „Faust“ von vielen Seiten ideologisch vereinnahmt worden – ein eigenes großes Forschungsfeld, das hier ob seines Umfangs nur gestreift werden kann.97 Solche Instrumentalisierungen schließen einen offenen Blick auf das Werk aus. Wie man das Drama schon im deutschen Kaiserreich für das Streben nach „Weltmacht“ missbrauchte, hat Peter Matussek resümiert: „Faust wurde bei diesem ehrgeizigen Projekt zur wichtigsten Ikone imperialistischer Abgrenzung und kultureller Überlegenheit instrumentalisiert.“98 Herman Grimm betrachtete in seinen 1877 veröffentlichten Goethe-Vorlesungen „Faust innerhalb der Weltliteratur“99
Scholz: Johanna Catharina Höhn, S. 55. Wilson: Goethe-Tabu, S. 13. Vgl. zum Beispiel auch die Vorwürfe einer fehlenden Diskurskultur von Ettore Ghibellino, in: Der Spiegel, 21. Juli 2008, Nr. 30, S. 140. Erll: Medium, S. 4. Zierold: Gesellschaftliche Erinnerung, S. 51. Die Erinnerung an Hexenverfolgungen kann nicht nur deutschen Nationalstolz empfindlich treffen. Einen Konflikt hinsichtlich der Konstruktion von Nationalgefühl konstatiert zum Beispiel auch Heike Hartrath in ihrer Untersuchung früher amerikanischer Romane. Darin werde die Verarbeitung der Salemer Hexenverfolgung oft „zu einem Stolperstein für ein Nationalempfinden“. Hartrath: Fiktionalisierungen der Salemer Hexenverfolgung, S. 11 f. Schöne: Faust, Paralip. 50, S. 178. Als umfangreiche Darstellung der deutschen Rezeptionsgeschichte empfiehlt sich nach wie vor Mandelkow: Goethe in Deutschland, Bd. 1 und 2. Matussek: Zwischen den Kulturen, S. 55. Vgl. hierzu auch Anglet: Faust-Rezeption, S. 485 f. Grimm: Goethe, Bd. 2, S. 263.
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10 Die Deutung verschwiegener Spuren in der Literatur
und „Faust und Gretchen und Deutschland“.100 Er verstieg sich zu Behauptungen, die aufgrund ihrer Vermessenheit noch heute sehr bekannt sind, zum Beispiel: „Dadurch daß wir Faust und Gretchen besitzen, stehen die Deutschen in der Dichtkunst aller Zeiten und Nationen an erster Stelle. Auch wird dies neidlos zugegeben.“101 Grimm betonte das vermeintlich „Deutsche“ der Faustgestalt: „Fausts Person erscheint uns heute als ein natürliches, unentbehrliches Product des Deutschen Lebens.“102 Und dann wählte er folgendes vielsagende Bild: „Faust ist für uns Deutsche der Herrscher unter den übrigen Figuren der gesammten europäischen Dichtung.“103 Zu derartig nationalstolzen Faustbetrachtungen passt weder, die historische Hexenverfolgung als ein Geschehen besonders der deutschen Geschichte zu fokussieren, das gerade mit einer Teufelsbündnergestalt untrennbar verknüpft ist, noch Gretchen als von ihren Landsleuten hingerichtetes Hexenprozessopfer zu sehen. Karl Robert Mandelkow hat Herman Grimm als „Goethes Reichsstatthalter“ apostrophiert. Grimms anmaßende Bemerkungen sieht Mandelkow als Vorläufer, sie hätten „vierzig Jahre später ihr vielfältiges chauvinistisches Echo“ gefunden.104
10.2.1 Einfluss der NS-Vergangenheit [...] weil dieses Unkraut nunmehr aller Orten auszurotten angefangen wird [...] nicht weniger unsere Kinder und Nachkommen durch Austilgung dieses Unkrautes davon ganz befreiet haben möchten [...]105
Auch in der NS-Zeit mangelte es nicht an Versuchen der offiziösen Faust-Rezeption, das weltberühmte Stück, „unser größtes deutsches [...] Gedicht“,106 ideologisch zu vereinnahmen. Dass namhafte Germanisten dazu beitrugen, ist bekannt: „In 1933, numerous respected Germanists pledged their cooperation with the cultural goals of the National Socialists.“107 Zum geflügelten Wort innerhalb der heutigen Forschungsliteratur zu diesem Thema wurde der an Dumpfheit kaum zu überbietende Titel „Faust im Braunhemd“ (1933), einer mit Goethe-Zitaten gespickten Kampfschrift von Kurt Engelbrecht. Ihm stehen die Faustvereinahmungen anderer NS-
Grimm: Goethe, Bd. 2, S. 267. Grimm: Goethe, Bd. 2, S. 267. Grimm: Goethe, Bd. 2, S. 263. Grimm: Goethe, Bd. 2, S. 263. Mandelkow: Goethe, Bd. 1, S. 246. Behringer: Untertanen bitten um Hexenverfolgung, S. 276. Grützmacher: Ein deutscher Mythus, Bd. 1, S. 5. Belgum / Kirst-Gundersen / Levesque: Germanistik and Fascism, S. 166.
10.2 Das Schweigen der anderen: Goethes „Faust“ als „Nationalheiligtum“
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Ideologen in nichts nach.108 Beliebte Themen der NS-gefärbten Interpretationen waren etwa der „faustische Mensch“109 und seine „nordisch-deutsche Persönlichkeitsentfaltung“110, „der Genius des nordischen Voluntarismus, welcher sich die Welt unterwerfen will“,111 „die Gestalt des faustischen Führers“,112 „Volkwerdung unter einem wahrhaften Führer“113 sowie ganz besonders das Motiv „beglückender Landgewinnung“.114 Georg Schott etwa, der schon 1924 eine Art Biographie Hitlers unter dem Titel „Das Volksbuch vom Hitler“ verfasst hatte, instrumentalisiert Goethes Drama 1940 mit unverblümtem Bezug auf die verbrecherische NS-Politik. Er bemerkt zum Tod von Philemon und Baucis: Engstirnig-gesetzliche Denkart sieht darin nichts anderes als Unrecht. Nur wer sich zu amoralischer Betrachtungsweise aufzuschwingen vermag, kommt hier weiter. Und wer es nicht vermag, auch die faustische Geschichte von heute unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten, wird nie in ihren letzten Sinn eindringen.115
Betont werkimmanente Interpretationen der NS-Zeit, die mit der offiziell verordneten Ideologie nicht in Konflikt kommen sollten,116 vermieden sozialgeschichtliche Deutungen. Sie postulierten vielmehr ein Herausgehobensein des Werkes „aus allen sozialen Determinanten“.117 Diese Haltung bewertet Mandelkow plausibel als „Folge der totalen Abkopplung der deutschen Literaturwissenschaft insgesamt von den Erfahrungen der Moderne [...]“.118 Hermann Glaser hat die Entwicklung der nationalistischen Faust-Vereinahmungen zugespitzt beschrieben: Faust war ein Deutscher: er erschien im Wodansmantel, im Siegfriedgewand; Faust war Arier, Bismarckgermane; Faust zog schließlich das Braunhemd an – das waren Etappen dieser (freilich nicht nur derart linear verlaufenden) Fehlentwicklung. Die Komplexität des Goethischen Werkes wurde über den nationalen Leisten geschlagen; die ideologische Ver-
Vgl. als knappe Überblicksdarstellungen mit zahlreichen Belegstellen zu NS-gefärbten Interpretationen zum Beispiel Zabka: „Faust“-Aneignungen im nationalsozialistischen Deutschland oder Belgum / Kirst-Gundersen / Levesque: Germanistik and Fascism sowie Scholz: Die Geschichte der Faust-Forschung, S. 299–325. Kindermann: Persönlichkeit und Gemeinschaft, S. 112. Kindermann: Persönlichkeit und Gemeinschaft, S. 112. Grützmacher: Ein deutscher Mythus, Bd. 1, S. 33. Schott: Goethes Faust, S. 8. Gabler: Faust-Mephisto, S. 78. Kindermann: Persönlichkeit und Gemeinschaft, S. 114. Schott: Goethes Faust, S. 17 f. Schott: Goethes Faust, S. 17 f. Vgl. hierzu Zabka: „Faust“-Aneignungen im nationalsozialistischen Deutschland, S. 322. Mandelkow: Goethe, Bd. 2, S. 89. Mandelkow: Goethe, Bd. 2, S. 89.
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10 Die Deutung verschwiegener Spuren in der Literatur
einfachung ergab in Faust einen Mann, der mit zielbewußter Handlungsweise, nicht aufgehalten durch ‚kleinliche moralische Bedenken‘, seinen Weg ging, der zur Urbarmachung von Boden und zu einer Art großdeutschem Reich führte.119
Das Werk als „renommiertester Aktivposten weltliterarischen Ansehens“120 war zu Propogandazwecken überaus attraktiv und wurde als der „Deutschen deutscheste Dichtung“121 reklamiert. Es gab jedoch, wie bei Goethe überhaupt,122 auch bei „Faust“ einige Schwierigkeiten, das Drama für die NS-Ideologie zu instrumentalisieren. Dies schildert zum Beispiel Günther Mahal: Manches, vieles sogar, war schlichtweg ‚unbrauchbar‘, unvereinbar mit der herrschenden Doktrin, die Gretchen-Tragödie etwa, deren Protagonistin allzu gut ins Bild vom blonden deutschen Mädel paßte, als daß nicht ihr trauriges Ende am Schluß von ‚Faust I‘ eine gewisse Peinlichkeit erbracht hätte, über die man nur äußerst mühsam hinwegzukommen strebte.123
Schon dass Gretchen im „Faust“ als Kindsmörderin endet, konnte der NS-Rezeption peinlich sein,124 hier handelte es sich aber wenigstens um das Verbrechen einer einzelnen Person. Vermutlich hätte es der nationalsozialistischen Ideologie erst recht Probleme bereitet, Gretchen als ein deutsches Hexenprozessopfer dargestellt zu sehen. Nicht zu vergessen ist dabei, dass das Thema Hexenverfolgung in der NSZeit auf ein diffuses Interesse stieß und ideologisch verzerrt wurde – etwa in antichristlicher Stoßrichtung.125 Ein Umgang mit dieser Thematik war also besonders heikel. Die NS-linientreue Interpretation von Richard Grützmacher etwa betont in einem kurzen Exkurs über frühneuzeitliche Hexenverfolgungen, den er den Aus-
Glaser: Spießer-Ideologie, S. 132 f. Mahal: Rezeption als Anmaßung, S. 184. Engelbrecht: Faust im Braunhemd, S. 3. Vgl. hierzu etwa die prägnante Zusammenfassung von Zabka: „Faust“-Aneignungen im nationalsozialistischen Deutschland, S. 313 f. Vgl. zur dennoch sehr intensiven NS-Goethe-Instrumentalisierung, etwa mit Blick auf die Aufführungspraxis, Bomski / Oesterhelt: Nazifizierung. Mahal: Rezeption als Anmaßung, S. 191. Vgl. zur Stilisierung Gretchens als blondes „deutsches Mädel“ die kunstgeschichtlichen Beispiele in der Abhandlung von Gesa von Essen: Margarete alias Gretchen, S. 102. Von Essen verweist hier auch auf die Brechung des Bildes in der Kunst nach 1945, etwa in einer Bildserie von Anselm Kiefer aus dem Jahr 1981, der das Zitat „dein goldenes Haar Margarete“ aus Celans „Todesfuge“ visuell umsetzt (vgl. hierzu Punkt 8.3.7 meiner Arbeit). Vgl. zur ambivalenten Haltung der NS-Ideologen gegenüber der Erforschung der Hexenverfolgung und zu ihren propagandistischen Absichten den von Sönke Lorenz u. a. herausgegebenen Sammelband: Himmlers Hexenkartothek sowie darin die Abhandlung zu “Hexenwahn-Interpretationen im ‚Dritten Reich‘“ von Barbara Schier. Vgl. auch die umfangreiche Studie von Katarzyna Leszczyńska: „Hexen und Germanen. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Geschichte der Hexenverfolgung“, die 2009 in Bielefeld erschien.
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führungen zur Szene Hexenküche beifügt, wie Volksglaube „jedoch erst in der Verbindung mit dem Christentum und seinem Teufelsglauben“126 zu den spezifisch dämonologischen Vorstellungen führte, er postuliert eine „Befreiung durch den Geist der neuen faustischen Kultur“.127 Näher geht er auf Bezüge des Dramas zur Hexenverfolgung nicht ein. Dasselbe gilt für Schott, der zu Goethes Gedicht „Die erste Walpurgisnacht“ bemerkt: „Und zwar läßt Goethe dabei die sittliche Größe des vielgeschmähten Heidentums im Gegensatz zur Angstreligion des Christentums im hellsten Licht erscheinen.“128 NS-Deutungen des „Faust“ sind, wie auch die anderen ideologischen Vereinnahmungen, heute ein eigenes Forschungsfeld. Paul Requadt sieht eine Zäsur durch Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“, erschienen im Jahr 1947. Requadt verallgemeinert: „Seitdem gibt man sich Rechenschaft über die nationalistische Verzerrung der Faustgestalt“.129 Einsichten in den Missbrauch des Dramas haben jedenfalls spätere Sichtweisen beeinflusst und Faust als Ikone beschädigt. Gelfert beschreibt den identifikatorischen Bruch durch die NS-Vergangenheit wie folgt: „Zu sehr ist das faustische Streben durch den Sündenfall der faustischen Nation diskreditiert, als dass man die Figur noch zur nationalen Identifikation anbieten könnte.“130 Die NS-Zeit hat womöglich auch in anderer Hinsicht die Wahrnehmung des Themas Hexenverfolgung im „Faust“ ausgebremst. Ein Blick auf die reale frühneuzeitliche Geschichte kann nämlich düstere Reminiszenzen an NS-Verbrechen wecken. Zu allem Übel, das der Geschichte des deutschen Faustmythos den Nimbus schädigend anhängt, kämen diese noch hinzu, wenn man die Hexenverfolgung als Perspektive auf das Drama einbezöge. Zwar betont der Historiker Wolfgang Behringer zu Recht, jede Parallelisierung der Hexenverfolgung mit den systematischen Vernichtungsprogrammen der NS-Zeit sei unhaltbar.131 Die schreckliche Dimension der frühneuzeitlichen Menschenvernichtung, ihre systematische Durchführung und die ideologische Verblendung ihrer Vordenker rufen dennoch Erinnerungen an die jüngere Vergangenheit wach. Auch wenn sich eine Gleichsetzung verbietet, so un Grützmacher: Ein deutscher Mythus, Bd. 1, S. 71. Grützmacher: Ein deutscher Mythus, Bd. 1, S. 72. Ein literarisches Beispiel für eine ähnliche Instrumentalisierung der Hexenthematik ist etwa der Roman „Faust – ein Buch von deutschem Geist“, eine 1932 zuerst erschienene Verarbeitung des Fauststoffes durch den österreichischen Autor Ernst Kratzmann. Kratzmann schwelgt in wüsten Hexenphantasien und Verfolgungsszenarien. Faust wird in diesem Roman unter anderem als Führer gegen verkommene Religionsvertreter dargestellt. In der NS-Zeit wurde das Buch goutiert und mehrmals wieder aufgelegt. Schott: Goethes Faust, S. 41. Requadt: Goethes „Faust I“, S. 13. Gelfert: Was ist deutsch?, S. 86. Behringer: Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung, S. 100.
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terstreicht diese Beobachtung doch die Dringlichkeit historischer – und auch literaturwissenschaftlicher – Analyse. Behringer fasst das heutige Grauen angesichts der Hexenverfolgung so zusammen: Die Hexenverfolgungen erschrecken uns in vielerlei Hinsicht, nicht nur durch die Macht der zutagetretenden Vorurteile über bestimmte Personen oder Personengruppen und die Grausamkeit und Unrechtmäßigkeit des justiziellen Vorgehens. Bestürzend ist auch die Rationalisierung der Hinrichtungen dort, wo man von Einzelhinrichtungen zu Massenprozessen überging. In der Bischofsstadt Bamberg beispielsweise wurden die Todesurteile während der großen Verfolgungswelle von 1626 bis 1630 derart standardisiert, daß für die einzelnen Verurteilten nur noch Nummern eingesetzt wurden [...]. Die Hexenhinrichtungen [...] waren erstrangige Demonstrationsmöglichkeiten der Obrigkeit: Hier wurden „Gerechtigkeit“ und hartes Durchgreifen gegenüber „Volksschädlingen“ zelebriert.132
Auch die Gründe für Hexenverfolgungen, die Behringer aus langjährigen historischen Forschungen ableitet, erscheinen in unheimlicher Weise aus der jüngeren Vergangenheit bekannt: Ideologischer Fanatismus, die Höherbewertung abstrakter Prinzipien („Rettung der Ehre Gottes“), der praktische Gesichtspunkt der Abwendung von Unwetter- und Ernteschäden, die psychische Disposition der autoritären Charakterstruktur und ihrer Neigung zu radikalen Ausrottungslösungen („das Ungeziefer ausrotten“) haben jedoch an einzelnen Orten immer wieder zu exzessiven Hexenverfolgungen geführt.133
Bedrohliche Wiederholungen in der Geschichte und eine „entsetzliche Gleichheit“ in der „Menschennatur“134 haben Dichter schon zu Goethes Zeit geschildert. Auch Goethes Geschichtsbilder sind breit diskutiert worden. Immer wieder geht es dabei um das Bild einer Kreisbewegung. Angelika Groth nennt es einen „Kernpunkt der Goetheschen Geschichtsauffassung“, dass sich die Geschichte “trotz der fortlaufenden Veränderung auf bestimmte allgemeine „Grundformen und Grundgegebenheiten zurückführen“ lasse.135 Eines der meistbeachteten Zitate Goethes in seiner Abhandlung „Zur Farbenlehre“ beschreibt geschichtliche Abläufe wie folgt: Der Kreis, den die Menschheit auszulaufen hat, ist bestimmt genug, und ungeachtet des großen Stillstandes, den die Barbarei machte, hat sie ihre Laufbahn schon mehr als einmal zurückgelegt. Will man ihr auch eine Spiralbewegung zuschreiben, so kehrt sie doch immer
Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 275. Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 272 f. Georg Büchner in einem Brief an Wilhelmine Jaeglé, Mitte / Ende Januar 1834. Büchner: Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 377–378, hier S. 377. Groth: Goethe als Wissenschaftshistoriker, S. 9.
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wieder in jene Gegend, wo sie schon einmal durchgegangen. Auf diesem Wege wiederholen sich alle wahren Ansichten und alle Irrtümer.136
10.2.2 „Faust“-Vereinnahmung in der DDR Denn für jede Diktatur sind Einsichten in die geschichtlichen Zusammenhänge gefährlich – aber nicht nur für eine Diktatur sind sie unbequem, auch für bürgerliche Identifikationshorizonte, welche zu repräsentativen Zwecken in allen Teilen die „edle Größe“ sehen wollen statt Widersprüche, Aporien und Heterogenes im Ganzen.137
Goethes „Faust“ war auch in der DDR mancher „rigider politischer Instrumentalisierung“138 ausgesetzt. Dem Werk kam früh eine ganz besondere Rolle zu, wie etwa Lothar Ehrlich ausführt: Seit Gründung der DDR war die Auseinandersetzung mit dem Faust-Motiv eine politische und ideologische Frage allerersten Ranges, und von der offiziellen, durch [...] die Parteibeschlüsse vorgegebenen Linie abweichende Versionen wurden von höchsten Parteigremien attackiert.139
Man konzentrierte sich im Umgang mit dem Faust-Stoff auf Goethes Drama: „Auffällig war nicht nur ein ‚Goethe-Zentrismus‘, sondern sogar ein ‚Faust-Zentrismus‘, und zwar in allen gesellschaftlichen Bereichen“.140 Hartmut Reinhardt konstatiert eine „perfektibilistische Hochwertung der Faustfigur“.141 Dementsprechend streng wurde eine Interpretationshoheit der Kulturpolitiker über „Faust“ erzwungen und bewacht. Man deutete Goethes „Faust“ etwa als antikapitalistische Vision vom „freien Volk auf freiem Grund“. Walter Ulbricht verglich die BRD mit dem Sumpf,
Münchner Ausgabe, Bd. 10, S. 475. Hucke: Faust, S. 247. Ehrlich: „Faust“ im DDR-Sozialimus, S. 334. Vgl. hierzu auch den Überblick von Anglet: Faust-Rezeption, S. 496–498. Ehrlich: „Faust“ im DDR-Sozialimus, S. 333. Stefan Höppner berichtet über einen allmählich möglichen „etwas freieren Umgang mit dem ‚kulturellen Erbe‘ der Klassik“ in der späteren Zeit unter Erich Honecker. Höppner: Goethes Bibliothek, S. 234. Ehrlich: „Faust“ im DDR-Sozialimus, S. 332. Zu dennoch vorhandenem Facettenreichtum in der sozialistischen Rezeption sowie zum Forschungsstand vgl. den weitere Erforschung anregenden, reichhaltigen Überblick von Stefan Elit: Der sozialistische Faust. Reinhardt: Die kleine und die große Welt, S. 299.
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den Faust im Drama trockenlegen will, sie sei ein „Sumpf kapitalistischer Ausbeutung“,142 der an die Grenzen der DDR reiche: Ein Sumpf zieht am Gebirge hin, Verpestet alles schon Errungene; Den faulen Pfuhl auch abzuziehn Das Letzte wär das Höchsterrungene. (11559–11562)
Die große Aufgeregtheit im Umgang mit dem Fauststoff zeigt schlaglichtartig die bekannte Diskussion um eine von Hanns Eisler geplante Oper, „Johann Faustus“, zu der 1952 sein Libretto erschien.143 Darüber entbrannte eine heftige Debatte, in die sich auch Bertolt Brecht, Eisler verteidigend und vermittelnd, einschaltete.144 Eisler wurde so stark angegriffen – er sprach von einer „Faustus-Attacke“145 –, dass er schließlich dieses Kompositionsvorhaben aufgab. Hans Bunge nennt das Geschehen ein Beispiel dafür, dass „dogmatische Eingriffe“ in die Kunst „unersetzbare Verluste verursacht und manchmal nie wieder gut zu machende Schäden angerichtet haben“.146 Eisler hatte vorwiegend den alten Fauststoff frei, teilweise volkstümlich-derb, und mit Blick auf die Thematik des Bauernkrieges verarbeitet. Auch Folter kommt dabei in Andeutungen und explizit zur Sprache.147 Nach Ansicht von Funktionären der SED war seine Darstellung des Gelehrten, ein Bauernsohn, der die Bauern verrät, nicht heroisch genug. Man warf Eisler vor, er habe „Genuß am Wühlen im Dreck“.148 Walter Besenbruch ließ in der Debatte durchblicken, es sei besser, dunkle Erinnerungen nicht zu wecken:
Ulbricht, W.: An alle Bürger, S. 5. Vgl. zur Rezeption von Goethes „Faust“ in der DDR auch Lützeler, Paul Michael: Goethes Faust und der Sozialismus. Lützeler blickt vergleichend auch auf andere Verarbeitungen des Fauststoffes. Eine Inhaltsbeschreibung mit zahlreichen Querverweisen auf andere Faustverarbeitungen und Literaturhinweisen bietet Meier: Faustlibretti, S. 551–570. Vgl. die Edition des Librettos von Jürgen Schebera mit einer Erläuterung der damaligen Vorgänge in der DDR; Hanns Eisler: Johann Faustus. Leipzig 1996. Maren Köster spricht von einer „legendären Debatte“, deren Hintergründe sie auch wissenschaftskritisch erläutert. Köster: Negative und positive Helden?, S. 95. Vgl. dazu die Dokumentation der Debatte anhand von Kritiken, Briefwechseln und Diskussionsprotokollen durch Hans Bunge 1991, Bunge: Debatte. Eisler: Brief an das Zentralkomitee der SED vom 30. Oktober 1953. In: Bunge: Debatte, S. 263. Bunge: Vorwort. In: Bunge: Debatte, S. 1. Vgl. Eisler: Johann Faustus, S. 94, 98 f., 113. Die Platzierung Fausts in Bauernkriegsszenarien hat verschiedene literarische Vorläufer, vgl. hierzu Meier: Faustlibretti, S. 561 f. Stenografisches Protokoll: Mittwochsgesellschaft. Zusammenkunft am 10. Juni 1953 im Hause der Akademie der Künste. Fortsetzung der Diskussion über Hanns Eislers Textbuch zu einer Oper „Johann Faustus“. In: Bunge: Debatte, S. 208.
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Wir können dadurch, daß wir im Dreck wühlen, nur im Dreck wühlen, die erzieherische Wirkung nicht erzielen, die wir heute brauchen, wo es gilt, dem deutschen Volke Mut und Kraft einzuflößen, indem wir es lehren, sich auf die positiven Kräfte in seiner Geschichte zu besinnen.149
Eislers unheroische Geschichtsdarstellung wurde als „antinational“ bewertet: „Die Leugnung des Fortschritts und die Darstellung der deutschen Geschichte als eine ununterbrochene Misere ist eine reaktionäre und antinationale Konzeption.“150 Nimmt man diese Argumentation zur Kenntnis, so liegt der Verdacht nahe, dass auch die historische Hexenverfolgung, die mit dem Fauststoff insgesamt verknüpft ist, als Misere der deutschen Geschichte aus Sicht der SED kein willkommenes Thema war. Tatsächlich lag die Erforschung der historischen Hexenverfolgung in der DDR praktisch brach. Ronald Füssel bemerkt noch im Jahr 2003: „Das gesamte Gebiet der ehemaligen DDR hat dagegen in der modernen Hexenforschung bis vor einigen Jahren kaum Berücksichtigung gefunden“.151 Füssel wundert sich über diese Tatsache, da Veröffentlichungen in diesem Bereich in der DDR prinzipiell möglich waren.152 Aber auch in Geschichtsbüchern des DDR-Schulunterrichts wurde das Thema noch rigider ausgelassen, als es in den Schulbüchern der BRD bis zur Mitte der 80er Jahre festzustellen ist, Thomas Lange hat dies durch systematische Auswertungen belegt.153 Eine Rolle für diese Ignoranz und die Forschungsversäumnisse hat auch gespielt, dass landesgeschichtliche Forschung, die im Zusammenhang mit der Hexenverfolgung bedeutsam ist, in der DDR über lange Zeit hinweg abgelehnt wurde. Werner Buchholz hat in einer wissenschaftsgeschichtlichen Abhandlung zur Vergleichenden Landesgeschichte diese Aversion ausführlich dargestellt: Dem neuen zentralistischen Aufbau der DDR entsprechend sollte Geschichte ausschließlich als „Nationalgeschichte“ betrieben werden. Die zentralistische Republik galt als die der ‚Diktatur des Proletariats‘ gemäße Staatsform; dagegen erschienen Föderalismus, Dezentralisierung und somit auch die Länder als Organisationsformen bürgerlicher Herrschaft, deren
Stenografisches Protokoll: Mittwochsgesellschaft. Zusammenkunft am 10. Juni 1953 im Hause der Akademie der Künste. Fortsetzung der Diskussion über Hanns Eislers Textbuch zu einer Oper „Johann Faustus“. In: Bunge: Debatte, S. 208. Redaktionskollegium „Neues Deutschland“. Das „Faust“-Problem und die deutsche Geschichte. Bemerkungen aus Anlaß des Erscheinens des Operntextes „Johann Faustus“ von Hanns Eisler. 1953. In: Bunge: Debatte, S. 91. Ein 1952 publizierter, Eisler lobender Artikel von Ernst Fischer hatte die Bezeichnung „Misere“ verwendet und die Diskussion angefacht. Vgl. etwa Meier: Faustlibretti, S. 563 f. Füssel, R.: Hexenverfolgungen im Thüringer Raum, S. 35. Füssel, R.: Hexenverfolgungen im Thüringer Raum, S. 36. Vgl. hierzu etwa Lange: Hexenverfolgung als Unterrichtsthema.
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Wiedererstarken man durch die Pflege von Landesgeschichte, Mundart und lokalem Brauchtum befürchtete.154
Buchholz belegt, dass in der Wissenschaftspolitik der DDR seit Anfang der 1950er Jahre die Maxime „Nationalgeschichte statt Landesgeschichte“155 galt. Ab 1980 gab es dann eine abrupte Kehrtwende in der Haltung der SED zur Landesgeschichte, die jahrzehntelangen Versäumnisse in der Forschung waren aber kaum aufzuholen.156 Will man eine heroische Volksgeschichte erzählen, dann ist es überdies eine unangenehme Tatsache, dass Hexenverfolgungen häufig und in vielen Gebieten von Untertanen verlangt und forciert wurden,157 wie Beispiele im Folgenden zeigen.158 Diese Tatsache passt nicht zu einseitigen Schuldzuweisungen an die herrschende Klasse, sie habe durch Hexenverfolgungen das Volk unterdrücken wollen, wie sie in den wenigen überhaupt existierenden Abhandlungen aus DDR-Zeiten enthalten sind.159 Zwar wurden in der internationalen Hexenforschung die sozialen Aspekte innerhalb der dörflichen und städtischen Gemeinschaften, die etwa auch in Goethes Gretchentragödie anklingen, überwiegend erst seit den 1970er Jahren ins Zentrum von Studien gerückt.160 Doch die Arbeit mit Quellen konfrontiert Forscher zu jeder Zeit mit Details der Verfolgungsbegehren und Denunziationen, man kann sie kaum ignorieren. Dazu passt, dass Buchholz in seiner Darstellung mancher absurden Auswüchse der staatlich gelenkten Geschichtsschreibung allgemein eine „argwöhnische Furcht der SED-Führung vor der historischen Tatsachenfülle“161 benennt – und vor sprechenden Fakten. Der Historiker Walter Rummel resümiert den neueren Forschungsstand zur Rolle der Bevölkerung in der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung: In weiten Teilen des Alten Reiches [...] standen Prozeßwünsche der Bevölkerung am Anfang, bestimmten ihre Anklagen und Aussagen aber auch den Fortgang der Verfolgungen. [...] Das breite Spektrum an Techniken, welche Gemeinden bzw. bestimmte Gruppen im Namen der Gemeinden verfolgten, um ihre Obrigkeiten zu bewegen, ihnen ein Mandat zur Anklage von Hexen auszustellen, ist mittlerweile gut bekannt, desgleichen die Einbrüche, die der obrig-
Buchholz: Vergleichende Landesgeschichte, S. 21 f. Buchholz: Vergleichende Landesgeschichte, S. 22. Vgl. Buchholz: Vergleichende Landesgeschichte, besonders S. 42–47. Vgl. etwa Rummel: Zur sozialen Motivation und Nutzung von Hexereianklagen. Vgl. zum Beispiel auch Behringer: Untertanen bitten um Hexenverfolgung, S. 276. Vgl. hierzu gesammelte Belege bei Füssel, R.: Hexenverfolgungen im Thüringer Raum, S. 36 f., besonders Anm. 92. Rummel: Zur sozialen Motivation und Nutzung von Hexereianklagen, S. 209. Buchholz: Vergleichende Landesgeschichte, S. 45.
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keitliche Rechtsvollzug durch die Beteiligung der dörflichen Hexenjäger [...] zu verzeichnen hatte. Die Verkehrung der Rollen ist unübersehbar.162
Stereotype Rollenverteilungen einer sozialistischen Geschichtsschreibung werden durch derartige Erkenntnisse gestört. Auch stehen historische Fakten im Widerspruch zur Glorifizierung einer Geschichte des deutschen Volkes mit Hilfe eines Faustbildes nach SED-Linie. In sozialistischer Interpretation ist eine Umkehrung von Machtverhältnissen innerhalb einer ständisch geprägten Gesellschaft, der Sturz einer Obrigkeit durch untere Schichten, ein positiv besetzter Vorgang. Hexenprozesse waren alles andere als ein gerechtes Anliegen, sie konnten aber lokal einen derartigen Umsturz von Machtverhältnissen bewirken. Dieser konnte verschiedene Ebenen betreffen: soziale, wirtschaftliche, generationenbezogene.163 Rummel beschreibt beispielhaft die Situation Anfang der 1590er Jahre in der kurtrierischen Amtsstadt Cochem als Aufstand von „Winzern und Vertretern dazugehöriger Gewerke gegen die den Rat dominierende Kaufmannsschicht“, dieser Aufstand habe „im Gewande der Hexenverfolgung“ stattgefunden – zur „Kompensation von sozialer Unterlegenheit, zur Vergeltung für Demütigungen und zur Realisierung individueller Vorteile“164 – die revolutionsähnlichen Zustände wären ein für die DDR-Geschichtsschreibung brisantes Thema. Ein Ausschuss zur Hexenverfolgung, gebildet von den „neuen Herren“, machte sich damals breit: Der Ausschuß setzte den Rat faktisch ab, indem er sich selbst im Rathaus niederließ, einen eigenen Schreiber und einen eigenen Boten ernannte. Die Ratsschicht war wie paralysiert, weil sich die Verfolgung gegen Frauen ihrer Schicht richtete. Die dabei entstehenden pogromartigen Formen lassen die Umkehrung der Machtverhältnisse erkennen: Auf der Straße wurden verdächtigen Frauen von den selbsternannten Hexenjägern der Schleier vom Kopf gerisssen und der Hexereivorwurf ins Gesicht geschrien – nach damaligen Kategorien der völlige Ehrverlust. Verhaftungen fanden in der Form statt, daß die Ausschußgruppe bewaffnet in die Häuser eindrang und die Frauen an den Haaren durch die Straßen zur Burg zog, von den gräßlichen Folterungen gar nicht zu sprechen. Gerichtlicher Vertreter des Ausschusses war eine Figur, die man unter normalen Umständen als „verkrachte Existenz“ bezeichnen würde, in dieser Situation sich jedoch zum offiziellen gerichtlichen Repräsentanten (‚Prokurator‘) des Ausschusses aufschwingen konnte.165
Das umstürzlerische Szenario verfolgte keine hehren oder auch nur berechtigten Ziele, es handelte sich um Vorteilsnahmen und Rache durch Hinrichtungen. Der
Rummel: Zur sozialen Motivation und Nutzung von Hexereianklagen, S. 212 f. Vgl. Rummel: Zur sozialen Motivation und Nutzung von Hexereianklagen, besonders S. 221–224. Rummel: Zur sozialen Motivation und Nutzung von Hexereianklagen, S. 223. Rummel: Zur sozialen Motivation und Nutzung von Hexereianklagen, S. 224.
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alten ungerechten Ordnung folgte eine noch stärkere Entrechtung, und nun kam im Zuge der Umwälzungen phasenweise jede Rechtssicherheit abhanden. Goethe hat im zweiten Teil seines „Faust“ ähnliche Zustände in der Szene Kaiserliche Pfalz, Saal des Thrones zur Sprache gebracht, die schon unter Punkt 8.6.2 beschrieben wurden. Der Kanzler, der Ketzer und Hexenmeister als Landesverderber nennt (4911 f.), schildert die Situation Wenns fieberhaft durchaus im Staate wütet (4780): Wo Mißgestalt in Mißgestalten schaltet, Das Ungesetz gesetzlich überwaltet, Und eine Welt des Irrtums sich entfaltet. (4784–4786)
Es erscheint auch mit Blick auf die sozialgeschichtlichen Aspekte der Hexenverfolgung klar, dass dieses Thema als Beitrag zu einer Faustinterpretation SEDFunktionären nicht willkommen sein konnte. Herbert Marcuse hat mit Blick auf sprachkritische Beobachtungen einen „Kampf gegen die Geschichte“ beobachtet. Er fragt: Gehört dieser Kampf gegen die Geschichte dem Kampf gegen eine Dimension des Geistes an, in der sich zentrifugale Anlagen und Kräfte entwickeln könnten – Anlagen und Kräfte, welche die totale Gleichschaltung des Individuums mit der Gesellschaft verhindern könnten? Die Erinnerung an die Vergangenheit kann gefährliche Einsichten aufkommen lassen, und die etablierte Gesellschaft scheint die subversiven Inhalte des Gedächtnisses zu fürchten.166
Goethes „Faust“ wurde in der DDR schlicht für unantastbar erklärt. Walter Ulbricht bezog sich in einer Ansprache auf einer Konferenz „der Angehörigen der Intelligenz“ im Mai 1953 auch auf Eislers Faustlibretto, als er sagte: „Unseren Kampf führen wir [...] auch um die Erhaltung und Pflege unseres großen deutschen Kulturerbes. Sie sehen, daß wir uns nicht nur über wissenschaftliche Fragen streiten, sondern neuerdings auch über eine ganze Reihe Fragen der Kultur, indem wir nicht zulassen, daß eines der bedeutendsten Werke unseres großen deutschen Dichters Goethe formalistisch verunstaltet wird [...].“ 167 Kurios aber bezeichnend für die Sakrosanktheit des „Faust“ ist der – zunächst satirische – damalige Vorschlag Arnold Zweigs, Eislers Protagonisten statt Faust „Knaust“ zu nennen. Später dann folgte seine Idee, Eislers Faust durch Agrippa von Nettesheim zu ersetzen.168
Marcuse: Der eindimensionale Mensch, S. 117. Ulbricht, W.: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 4, S. 604. Vgl. Meier: Faustlibretti, S. 565 f.
10.3 Die Bedeutung des Vergessens bewusst machen
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Eisler selbst hat seinen Johann Faustus eine Erkenntnis ausrufen lassen, die später die fatale Rezeption seines Librettos charakterisiert: „Hoch und gering braucht Helden und bewundert sie.“169
10.3 Die Bedeutung des Vergessens bewusst machen: Bedingung für das Lesen von Spuren in der Literatur Aber alle Beobachtung von Welt ist nur als Beobachtung in der Welt möglich, und letztlich: als Beobachtung von Beobachtern. Es kommt darauf an, welche Differenz es macht, wenn Welt beobachtet wird; und das kann man nicht an der Welt, sondern nur an Beobachtern beobachten.170
Dass die Leerstelle „Zauberei- und Hexenprozesse“ in der Faust-Forschung nur auf mangelnden Kenntnissen der historischen Tatsachen beruht, ist wenig wahrscheinlich. Die Rezeptionsgeschichte von Goethes „Faust“ lässt eher vermuten, dass hier über Epochen hinweg ein weiteres Tabu vorlag. Die Motive und auch die politischen Gründe sind dabei diachron sehr verschieden. Zu vielfältig und zu breit untersucht sind Deutungen, die Goethes „Faust“ vereinnahmen, um sie hier alle aufführen zu können. André Dabezies etwa blickt resümierend auf einige: „On a voulu naguère voir en lui l’incarnation même de l’esprit allemand dans la fièvre et l’instabilité du XVIe siècle, plus récemment le symbole de l’intellectuel progressiste, prenant parti pour le peuple et pour la science contre l’Eglise et les autorités“.171 Wunschbilder, wie das einer vernunftgeleiteten Gesellschaft, können durch die Erinnerung an Hexenprozesse getrübt werden und deshalb zur Verdrängung des Themas führen. Das haben wieder in diesem Thema führende Geschichtswissenschaftler, gerade mit Blick auf die späten Hexenprozesse, prägnant beschrieben: Die späten Hexenprozesse, wir mögen sie nicht. Sie passen nicht in unser Selbstverständnis, demzufolge der Spuk durch das gleißende Licht der Aufklärung verschwunden sei. Das Ende der Hexenprozesse, darüber waren wir uns doch einig, liegt irgendwo in der Barockzeit.172
Dass Hexenprozesse in der Faustforschung fast ausschließlich von denjenigen, die frühe Faustdichtungen wie die „Historia“ untersuchen, wahrgenommen wurden, scheint diese Einschätzung zu bestätigen.
Eisler: Johann Faustus, S. 50. Luhmann: Weltkunst, S. 8. Dabezies: Le mythe de Faust, S. 12. Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 1.
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Die frühneuzeitliche Hexenangst und die Hexenverfolgung wurden nicht nur in der Literaturwissenschaft oft ignoriert. Wenn aber ein allgemeines gesellschaftliches Verdrängen des Themas politisch angeprangert wurde, so geschah es oft einseitig oder unter ideologischen Vorzeichen; etwa im Kontext der in den 1970er und 1980er Jahren intensiven feministischen Auseinandersetzung mit der Hexenthematik,173 die „Hexen“ vielfach als Symbole der Rebellion stilisierte.174 Auch dies ist in der Forschung zu Goethes „Faust“ bis heute wiederzufinden. Jochen Mecke hat Funktionen des Vergessens analysiert, das er als „staatstragend und -bildend“ beschreibt.175 Er spricht von einer „Vergessenskultur“,176 von vollständiger Erinnerung gehe eine Bedrohung aus.177 Und nach dem Hinweis auf traumatische Ereignisse in der Geschichte verschiedener Staaten resümiert er: „Nationale Identität beruht mindestens ebenso sehr auf dem kulturellen Vergessen wie auf dem kulturellen Gedächtnis.“178 Um so dringlicher erscheint der von Niklas Luhmann postulierte Grundsatz, sich der „Beobachtung von Beobachtern“179 bewusst zu sein. Denn erinnert sei an die eingangs zitierte Erkenntnis von Walter Benjamin, welche das ambivalente Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit beschreibt: „Man weicht der Welt nicht
Zwar war der feministische Anstoß zur Beschäftigung mit der Hexenverfolgung sinnvoll und genderspezifische Betrachtungen, etwa der misogynen dämonologischen Texte, sind naheliegend. Doch wurde das Thema in vielen Fällen agitatorisch instrumentalisiert sowie ahistorisch betrachtet. Ein Beispiel ist die 1986 erstmals erschienene, an vielen Stellen fragwürdige, kämpferische Abhandlung von Erika Wisselinck mit dem Titel „Hexen. Warum wir so wenig von ihrer Geschichte erfahren und was davon auch noch falsch ist. Analyse einer Verdrängung.“ Eine umfassende Darlegung der vielen verschiedenen feministischen Hexenbilder ist in meiner Arbeit nicht möglich. Vgl. zu diesen und der Instrumentalisierung der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung zusammenfassend Wiedemann: Rassenmutter, S. 255–334. Er untersucht politische Hexenbezüge, Feministische Theologie, spirituelle Frauenbewegungen, „Die Neuen Hexen“ sowie die Literarisierung des feministischen Hexenmythos, etwa bei Irmtraud Morgner oder Marion Zimmer Bradley. Auch in manchen feministischen Betrachtungen wird dies kritisch gesehen, etwa schreibt Silvia Bovenschen 1977: „Die historische Hexe post festum zu einem Urbild weiblicher Freiheit und Kampfkraft zu erheben, wäre ein Zynismus angesichts ihres millionenfachen [sic] Leidens, für das die Vorstellungskraft wohl kaum ausreicht. Andererseits steht die Aktualität des Hexenbildes für eine heutige Möglichkeit des Widerstands, die der historischen Hexe versagt war.“ Bovenschen: Die aktuelle Hexe, S. 265. Mecke: Vergessen, S. 137. Mecke: Vergessen, S. 125. Mecke: Vergessen, S. 140. Mecke: Vergessen, S. 138. Luhmann: Weltkunst, S. 8.
10.3 Die Bedeutung des Vergessens bewusst machen
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sicherer aus als durch die Kunst, und man verknüpft sich nicht sicherer mit ihr als durch die Kunst.“180 Adornos bekannte Formulierung vom „Schreckbild einer Menschheit ohne Erinnerung“181 kommt in den Sinn, wenn man die lückenhafte Rezeption der Hexenthematik in Goethes „Faust“ über Generationen hinweg betrachtet. Dass die bekannte Untersuchung „Faust und das Faustische. Ein Kapitel deutscher Ideologie“ ausgerechnet von dem Germanisten Hans Ernst Schneider stammt, hat etwas Symbolisches für die Schwierigkeit eines Umgangs mit Vergangenheit. Die Verleugnung seiner Vergehen als NS-Täter in hohen Positionen, die Schneider durch eine falsche Identität als „Hans Schwerte“ lange Zeit gelang, wird seit seiner mühsam durchgesetzten öffentlichen Enttarnung die Untersuchung zum „Faustischen“182 immer assoziativ begleiten. Jan Assmann hat allgemein die gestaltende Rolle der Gegenwart im kulturellen Gedächtnis betrachtet: Das kulturelle Gedächtnis verfährt rekonstruktiv, d. h., es bezieht sein Wissen immer auf eine aktuell gegenwärtige Situation. Es ist zwar fixiert auf unverrückbare Erinnerungsfiguren und Wissensbestände, aber jede Gegenwart setzt sich dazu in aneignende, auseinandersetzende, bewahrende und verändernde Beziehung.183
Im Jahr 2003 zurückblickend konstatiert die Historikerin Erika Münster-Schröer aus guten Gründen: „Was das Erinnern an die Hexenverfolgung angeht, gibt es dafür weder einen nationalen geschweige denn einen internationalen gesellschaftlichen Konsens.“184 Eine Offenheit für Spuren des Geschehens in der Literatur sollte das Erinnern bereichern, den Blick weiten – und Wachsamkeit erzeugen. Auch dies kann eine Konsequenz der (Re)lektüre der Hexenthematik in Goethes „Faust“ sein. Ein meine Untersuchung abschließender Ausblick auf Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien will anhand ausgewählter Beispiele einen Anstoß dazu geben.
Goethe: Maximen und Reflexionen, S. 725. Adorno: Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit? Erzieherkonferenz, S. 14. Vgl. Hans Schwerte [Hans Ernst Schneider]: Faust und das Faustische. Ein Kapitel deutscher Ideologie. Stuttgart 1962. Assmann: Kollektives Gedächtnis, S. 13. Münster-Schröer: Erinnerung und Gedenken, S. 305.
11 Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien Was Wunder, daß Literatur ihrerseits sich als Anthropologie sui generis versteht, nämlich als einen authentischen, durch Selbsterfahrung und Selbstreflexion gewonnenen Aufschluß über die Natur des Menschen?1
Eine Neuinterpretation vieler Figuren, Szenen und Stimmungen in Goethes „Faust“ ist das Ergebnis, wenn man das Werk vor dem Hintergrund historischer Hexenangst und Hexenverfolgung ausleuchtet. Dies schärft den Blick auch für die literarische Verarbeitung des historischen Geschehens in anderen Werken: Wie werden die sozialgeschichtlichen Szenarien literarisch reinszeniert und transformiert? Vice versa bestätigen Parallelen in der Literaturgeschichte die Bedeutung der Ängste und der Bedrohungsszenarien in Goethes „Faust“. Manche Verbindungen zu anderen literarischen Manifestationen der Hexenthematik wurden in meiner Studie schon gezeigt. Ausgehend vom Präzedenzfall Goethes „Faust“ bieten sich für zukünftige Forschungen zum Vergleich literarischer Bedrohungsszenarien folgende Felder besonders an: 1. Explizite literarische Verarbeitungen von Hexenangst und Hexenverfolgung 2. Implizite Verarbeitungen der Hexenthematik 3. Bedrohungsszenarien in Bearbeitungen des Fauststoffes 4. Bedrohungsszenarien in Bearbeitungen des Kindsmordmotivs 5. Bedrohungsszenarien anderer literarischer Kontexte Es eröffnet sich hier ein weites Feld. Die fünf literarischen Bereiche werden im Folgenden als Forschungsausblick vorgestellt. Prägnante Beispiele aus den fünf Feldern werden angeführt, sie differieren zeitlich und thematisch stark. Exemplarisch kann man Querverbindungen zu Goethes „Faust“ ziehen. Konstanten und Variationen literarischer Bedrohungsszenarien treten anhand dieser ausgewählten Einzelbeispiele schon hervor, sie könnten durch größere Untersuchungen bestätigt und ergänzt werden. Die literarischen Darstellungen bilden immer wieder sechs Elemente ab, die Franz Irsigler wie folgt als konstitutiv für reale Hexenverfolgungen beschrieben hat:
Pfotenhauer: Literarische Anthropologie, S. 1. https://doi.org/10.1515/9783111311258-011
11 Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien
1. 2. 3. 4. 5. 6.
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eine allgemeine Krisensituation, die von einer Mehrheit als akute Bedrohung von Leben, Besitz, Gesundheit und Seelenheil empfunden wurde die weite Verbreitung der dämonologischen Lehre Verfolgungsbegehren aus der Bevölkerung Förderung oder Duldung von Hexenverfolgung durch Obrigkeiten der Einfluss „furchtbarer Juristen“2 die Möglichkeit der Instrumentalisierung3
Auch zeitlich vor den Hexenverfolgungen liegende Pogrome waren durch ähnliche Elemente gekennzeichnet.4 In literarischen Bedrohungsszenarien manifestieren sich die von Irsigler beschriebenen Faktoren durch einige besonders prägnante Motive: Zur Krisensituation kommt die Verbreitung von Angst und die Propagierung imaginativer Feindbilder, wie sie in der Dämonologie par excellence vorgeführt wurden.5 Das Verfolgungsbegehren, das die Bevölkerung aus Angst oder anderen Gründen mitträgt, zeigt sich literarisch wirkungsvoll etwa in der Stigmatisierung der Opfer. Ihr geht eine Zerstörung des Rufes voraus, der durch einen Bruch von Normen provoziert sein kann. Als Konsequenz zeitigt die gesellschaftliche Ausgrenzung den Verrat und die Auflösung tradierter Systeme wie Familien. Obrigkeiten, die Verfolgungen fördern, sind in der Literatur vielfach dokumentiert; ebenso Juristen als Ausführer und Anstifter von Verfolgungen mit Verhaftung, Folter und Hinrichtung, literarisch oft repräsentiert durch Symbole. Nicht zuletzt ist die Möglichkeit der Instrumentalisierung ein Thema der Literatur, als Motive erscheinen zum Beispiel Neid, Bosheit, Vorteilsnahmen und Bereicherung. Alle diese Elemente werden in unterschiedlichsten literarischen Bedrohungsszenarien konstant wiedergegeben, zeitgebunden variiert und ergänzt. Immer wieder zeigen sich Autorinnen und Autoren durch eigene Erfahrungen von gesellschaftlicher Bedrohung geprägt; oft ziehen sie selbst in ihren Werken Vergleiche oder benennen in Aussagen dazu diachrone Parallelen von Verfolgungen. Irsigler verwendet hier den zum geflügelten Wort gewordenen Titel der Studie von Ingo Müller: Furchtbare Juristen, die sich mit der Justiz des NS-Regimes und ihren ungesühnten Verbrechen beschäftigt. Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 9–20. Irsiglers Aufzählung wird hier zusammenfassend leicht gekürzt zitiert. Martin Uhrmacher hat Franz Irsiglers Analyse mit Verfolgungen von Leprosen in Frankreich im Jahr 1320 / 21 verglichen, die mit Verbrennungen endeten. Sie waren mit antijüdischen Haltungen verbunden und die Vorwürfe, etwa der Brunnenvergiftung mittels Exkrementen und Hostien, enthielten auch Magievorstellungen. Uhrmacher, M.: Lepra und Leprosorien im rheinischen Raum, S. 47–56. Vgl. zu „Stereotypen der Verfolgung“ auch René Girards kulturanthropologische Beschreibung, in der Hexenverfolgungen vielfach als Beispiele analysiert werden, Girard: Ausstoßung und Verfolgung, besonders S. 23–37. Vgl. Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, besonders S. 12–14.
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11 Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien
Aldous Huxley, von dessen literarischer Verarbeitung der Hexenverfolgung noch die Rede sein wird, hat die beängstigende Zeitgebundenheit der menschlichen Erkenntnis als Konstante beobachtet. Zwar identifiziere man sich mit der Menschheit früherer Zeiten, manche Gewissheit jedoch, die uns als selbstverständlich gelte, sei in einer anderen Zeit selbst für kühne Denker unvorstellbar gewesen: The charm of history and its enigmatic lesson consist in the fact that, from age to age, nothing changes and yet everything is completely different. In the personages of other times and alien cultures we recognize our all too human selves and yet are aware, as we do so, that the frame of reference within which we do our living has changed, since their day, out of all recognition, that propositions which seemed axiomatic then are now untenable and that what we regard as the most self-evident postulates could not, at an ealier period, find entrance into even the most boldly speculative mind.6
11.1 Explizite literarische Verarbeitungen von Hexenangst und Hexenverfolgung Und Belzebub Verheißt dem Trupp Der Tanzenden Gaben auf Gaben; Sie sollen schön In Seide gehn, Und Töpfe voll Goldes sich graben.7
Über das erste Feld, explizite literarische Verarbeitungen von Hexenangst und Hexenverfolgung, wurde schon unter Punkt 2.3.2 berichtet. Einigermaßen umfassende Überblicksdarstellungen über diese Literatur sind, wie bereits dargelegt, noch die Ausnahme.8 Aus der Zeit der intensiven Hexenverfolgungen sind überraschend wenige explizite Verarbeitungen bekannt. Allerdings gewinnt das Thema in der frühen Neuzeit langsam an Bedeutung und es durchzieht allmählich ein breites Repertoire von Literatur. Zu Goethes Zeit und kurz nach Goethes Tod wächst das historische Interesse am Thema „Hexenverfolgung“,9 einige Werke des 19. Jahrhunderts behandeln es explizit; teilweise verarbeiten sie einzelne reale Hexenprozesse. Als Beispiele nennen kann man hier etwa die bereits zitierte Novelle „Der Hexen-Sabbat“ von Ludwig Tieck aus dem Jahr 1832, die „Hexengeschichten“ Ludwig Bechsteins, erschienen 1854, die Novelle „Jörg Muckenhuber“ von Wilhelm Heinrich Riehl (1860), die
Huxley: The devils of Loudun, S. 300. Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Hexenlied. In: Ders. Sämtliche Werke, Bd. 1, S. 207 f. Vgl. zum Beispiel Kippel: Stimme der Vernunft, zusammenfassend S. 20–25. Schmidt, B.: Historische Hexenforschung im Spannungsfeld, S. 16.
11.1 Explizite literarische Verarbeitungen von Hexenangst und Hexenverfolgung
441
Novelle „Else von der Tanne“ von Wilhelm Raabe (1865), die chronikalisch angelegte Novelle „Renate“ von Theodor Storm (1878), Theodor Fontanes Novelle „Grete Minde“ (1879) und sein Romanfragment „Sidonie von Borcke“, das zwischen 1879 und 1882 entstand, sowie Wilhelm Meinholds chronikalisch erzählter Roman „Sidonia von Bork, die Klosterhexe“ (1847).10 Auch dessen ebenfalls bereits erwähnter, 1843 erschienener Roman „Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe“, aus erfundenen Quellen erstellt, bietet einige Vergleichsmöglichkeiten zu Goethes Gretchentragödie. Gerade die allmähliche Ausgrenzung und immer stärkere Stigmatisierung der später als Hexe verunglimpften Protagonistin zeigt deutliche Parallelen. Es gäbe außer den hier genannten und im Folgenden betrachteten viele weitere Werke der internationalen Literatur zum Thema Hexenverfolgung, die Konstanten in der Darstellung von Bedrohungsszenarien aufweisen, auch zum Beispiel zeitgenössische populäre Literatur wie historische Romane und Jugendliteratur. Nicht zuletzt die heute wieder massenhaft stattfindende Hexenverfolgung wäre auch als Gegenstand der Literatur ein wichtiges internationales Untersuchungsfeld. Die Hexenverfolgungen in Nigeria beschreibt etwa Joana Adesuwa Reiterer in einer autobiographischen, nicht literarisch, aber inhaltlich bedeutenden Geschichte mit dem Titel „Hexenkind“ aus dem Jahr 2013. Sie behandelt die gesellschaftliche Krisensituation, Reiterer spricht von einer afrikanischen „MultiKrise“,11 die Hexereibezichtigungen von Familienmitgliedern untereinander, das Thema Fruchtbarkeit, um das Hexereivorwürfe häufig kreisen. Neid als Auslöser von Anklagen kommt ebenso zur Sprache wie hysterische und brutale Exorzismen sowie Obrigkeiten, die Hexenverfolgung zum Teil rechtlich absichern, gegen Lynchjustiz nicht ausreichend einschreiten und Gegner der Hexenverfolgung bedrohen. Reiterer benennt auch Bereicherung durch Hexenglauben: „das Geschäft mit der Hexenverfolgung“.12 Sie beschreibt zum Beispiel teure Reinigungsrituale, die Beschuldigte ruinieren können. Als wohl bedrückendstes Thema berichtet sie über als Hexen gefolterte und verstoßene Kinder, die in manchen afrikanischen Regionen zu Tausenden als Straßenkinder überleben müssen. Auch aus Europa sind in der frühen Neuzeit viele Hexenprozesse gegen Kinder bekannt.13 Es lassen sich aus Reiterers Bericht, der teilweise romanhaft ausgestaltet ist, – trotz natürlich vorhandener kultureller Differenzen – zahlreiche, auch psychologische Parallelen zu frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen entnehmen.
Zur Rezeption der Hexenprozesse in allen diesen Beispielen vgl. ausführlich Kippel: Stimme der Vernunft. Reiterer: Hexenkind, S. 169. Reiterer: Hexenkind, S. 172. Vgl. hierzu etwa Behringer / Opitz-Belakhal: Hexenkinder – Kinderbanden – Straßenkinder.
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11 Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien
Manche Ethnologen warnen, durch Vergleiche die Verschiedenartigkeit des Hexenglaubens zu vernachlässigen, sowohl mit Blick auf Europa und Afrika wie auch hinsichtlich Afrikas selbst.14 Vorsicht ist hier sicher berechtigt, doch können nicht wenige Parallelen15 historischer und aktueller Szenarien erhellend sein, um das Phänomen der Hexenverfolgung zu begreifen und ihm möglichst entgegenzuwirken. Manche realen frühneuzeitlichen Prozesse haben verstärkt literarische Aufmerksamkeit gefunden, hier kann man als ein Beispiel unter vielen den Prozess gegen den französischen Priester Urbain Grandier anführen. Er wurde 1634 wegen Hexerei verurteilt und in Loudun verbrannt. Unter zahlreichen anderen Autoren beschrieb Aldous Huxley diesen Fall in seiner romanähnlichen Studie: „The Devils of Loudun“, erschienen im Jahr 1952. Huxley bringt Grandier mit Faust in Verbindung, er schreibt Grandier „nachfaustische Augen“ zu und vergleicht sein Äußeres mit Mephistopheles im Kostüm eines Pfarrers: „To post-Faustian eyes his portrait suggests an fleshier, not unamiable and only slightly less intelligent Mephistopheles in clerical fancy dress.“16 Der katholische Priester Urbain Grandier war wegen sexueller Beziehungen ins Gerede gekommen. Diese Konstellation ist aus frühneuzeitlichen Hexenprozessen bekannt: manche Gemeinden entledigten sich ihrer unliebsam gewordenen Geistlichen mittels einer Anklage wegen Hexerei.17 Huxley resümiert die Strategie gegen Grandier, der zumindest in seinem Ruf ruiniert werden soll, oder sogar auf dem Scheiterhaufen verbrannt: „The strategy of the new campaign against the parson stood clearly revealed. He was to be accused of sorcery and magic, brought to trial and, if acquitted, ruined in reputation, if condemned, sent to the stake.“18 Die Absicht, den Anstoß erregenden Pfarrer durch einen Hexenprozess loszuwerden, ist
Vgl. etwa Schönhuth: Theorien zu Hexerei in Afrika, besonders S. 13–15. Vgl. zu anthropologischen Relativierungen kritisch Behringer: Pfahl im Fleisch der Aufklärung, S. 16–20. Vgl. etwa die 1992 erschienene ausführliche Studie von Michael Schönhuth: Das Einsetzen der Nacht in die Rechte des Tages. Hexerei im symbolischen Kontext afrikanischer und europäischer Weltbilder. Nicht nur die von Schönhuth geschilderten afrikanischen hexentheoretischen Beschreibungen, etwa bezüglich der Prädestination vermeintlicher Hexen und Hexer und ihrer „Taten“, sind teilweise von großer Ähnlichkeit zu europäischen Hexenbildern, auch gesellschaftliche Verfolgungsszenarien und die Auswahl der Verfolgungsopfer zeigen Entsprechungen. Nicht zuletzt das psychologische Kräftespiel, das Schönhuth an anderer Stelle schildert, erscheint, nicht nur, aus frühneuzeitlichen Quellenstudien vertraut: „Neid, Missgunst, Selbstsüchtigkeit, Eifersucht, Ausgrenzung, Verdächtigung, üble Nachrede, blanker Machthunger und enttäuschte Hoffnungen“, Schönhuth: Hexerei im modernen Afrika, S. 259. Huxley: The devils of Loudun, S. 7. Vgl. Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 20. Vgl. zum Beispiel auch Kettel: Kleriker im Hexenprozeß. Huxley: The devils of Loudun, S. 138.
11.1 Explizite literarische Verarbeitungen von Hexenangst und Hexenverfolgung
443
eine Instrumentalisierung der Hexenverfolgung. Derartige Instrumentalisierbarkeit rückt als eine Konstante von Bedrohungsszenarien auch anderer historischer Kontexte immer mehr ins Bewusstsein. Und weitere Instrumentalisierungen des Teufels- und Hexenglaubens arbeitet Huxley heraus: Grandier war vor allem von Nonnen des Konvents der Ursulinen beschuldigt worden, Huxley beschreibt die Einnahmen, welche die vermeintlichen Besessenheitsfälle erzielten, etwa durch Schaulustige, die Exorzismen beiwohnen wollten. Gasthäuser, Karmeliter und Ursulinen wurden reich wie zu Zeiten der großen Wallfahrten: From every province of France and even from abroad, sightseers came flocking to the working Notre-Dame de Recouvrance, Loudun had lost almost the whole of its tourist trade. Now, thanks to the devils, all and more than all was restored. The inns and the lodginghouses were filled to capacity, and the good Carmelites, who had a monopoly of the lay demoniacs (for the hysterical infection had spread beyond the convent walls), were now as prosperous as in the best of the good old days of the pilgrimages. Meanwhile the Ursulines were growing positively rich.19
Auch Ludwig Tieck unterstreicht in seiner Novelle „Der Hexen-Sabbat“ die Instrumentalisierung von Hexenprozessen, zum Beispiel zu wirtschaftlichen Zwecken. Sie werden als „Bluthandel“ bezeichnet, wenn von Güterkonfiskation der Prozessopfer die Rede ist: Beaufort war sehr nachdenkend geworden. Freilich, sagte der endlich, fällt unter diesen Umständen diese Hexengeschichte wie eine plötzliche große Erbschaft vor die Füße dieses Grafen nieder; meines Freundes, wie er sich so oft nannte. Soll es nun einmal ein Bluthandel werden, so bedinge ich mir aber auch das Leben meines Sohnes mit ein [...]20
Auch Tiecks Protagonistin, die als Hexe verfolgte Catharina, wird Opfer einer Instrumentalisierung, in ihrem Fall dient die Hexereibezichtigung der Rache. Sie wird von einem enttäuschten Verehrer angezeigt. Niedertracht, Missgunst und Neid als Ursache für üble Nachrede sind auch in Goethes Gretchentragödie präsent. Sie wurden in Kapitel 8.5 beschrieben, ebenso die Belegbarkeit dieser Motive in historischen Quellen zur Hexenverfolgung: vor Gericht waren persönliche Ressentiments von Anklägern ein Thema und sie wurden von kritischen Zeitgenossen der Hexenverfolgung auch klar benannt. Vielfältige psychologische Motive für die Verfolgung stellt auch Tieck dar: Denn eben so, ja schlimmer noch, wird Euer Geschlecht, die Frau so wie das Mädchen, von Vorurteilen und Aberglauben umgarnt und umstellt. Argwohn, Eifersucht, Lästerung stehen
Huxley: The devils of Loudun, S. 174. Tieck: Hexen-Sabbat, S. 229.
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11 Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien
Wache, und senden die Bosheit, wie eine verzehrende Flamme, durch die Welt, um Spott und Schmach, Verfolgung, Schande, ja Einkerkerung und Tod, auf jene herabzuziehen, die die Satzung verletzten und dem Triebe des Herzens oder der Natur folgten, oder die selbst ganz unschuldig sich nur der Heiterkeit, dem Scherz und Lachen auf Stunden hingaben.21
Tieck hat ebenso wie Goethe die Rolle der Wirtshäuser als Orte der Angst beschrieben und auch die Imagination von Hexerei als einer ansteckenden Krankheit. Besagungen, die sich potenzierenden Hexereibezichtigungen, die in Goethes Paralipomena zu „Faust“ als schwellende Blutströme anklingen, bringt Tieck zur Sprache. Es wird über einen Schulzen gesagt: Er hört nämlich die Wahnwitzigen an, und sie dürfen diese und jene nennen, welche sie ebenfalls auf dem Hexen-Sabbat wollen gesehen haben, und da dieser Traum, oder die Einbildung bei dem Richter für Wahrheit gilt, so ist es nicht unmöglich, daß er sein ganzes Dorf nach und nach, so wie die Bauern der benachbarten Örter in die Gefängnisse steckt.22
Die völlige Willkür, die jeden zum Opfer der Hexenverfolgung machen konnte, ist bei Tieck dargestellt. Ein Zeuge der Hexenverfolgung berichtet in der Novelle: Jetzt, sagte er zu dem Jüngling, kann es kaum einer mehr wagen, ihm zu widersprechen, wenn er nicht sogleich Gefahr laufen will, auch als Zauberer dem Gefängnis überliefert zu werden. Das gräßlichste Unheil schwebt uns allen über den Häuptern; denn da er keinen Anstand genommen hat, den wackern Taket, welchen die ganze Stadt ehrt und liebt, unter diesem Vorwand gefangen zu nehmen, so wird er nicht zaudern, auch den Vornehmsten und Frömmsten zu bezüchtigen. Es ist furchtbar und entsetzlich, daß aus einem so unscheinbaren Funken sich so plötzlich diese Flamme hat entzünden können.23
An Szenarien wie diesem ist abzulesen, wie eine nebulose Bedrohung die aktivste Form der Machtausübung erzielt. Tieck hat eine diachrone Gefahr von Massenängsten betont, das Wiederkehren vermeintlich vergangenen Grauens.24 Achim Hölter äußert in seinem Kommentar zu Tiecks Novelle die Ansicht, wenn Tieck am Schluss auf die neuere Zeit verweise, so werde er didaktisch: „[...] das scheinbare Ende des Spuks ist in Wahrheit erst der Anfang: die bestürzende Radikalität der Ausschreitung nur ein ‚Vorgeschmack‘.“25 Hölter konstatiert mit Blick auf die Rezeption der Tieckschen Novelle eine bemerkenswerte Ignoranz: „Die Übertragbarkeit von Tiecks Gesamtbild des Massenwahns ist so schlagend, so im Detail prüfbar, so schmerzlich erinnernd, daß es beinahe
Tieck: Hexen-Sabbat, S. 56. Tieck: Hexen-Sabbat, S. 137. Tieck: Hexen-Sabbat, S. 171. Tieck: Hexen-Sabbat, S. 48. Hölter: Nachwort, S. 277.
11.2 Implizite Verarbeitungen der Hexenthematik
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wieder begreiflich wird, warum der Text in Deutschland bisher fast ungelesen blieb.“26 Nicht zuletzt diese Verweigerung einer Wahrnehmung des Geschehens erinnert an die mangelhafte Rezeption der Hexenthematik in Goethes „Faust“ – und gehört zu den Konstanten des gesellschaftlichen Umgangs mit Verfolgung.
11.2 Implizite Verarbeitungen der Hexenthematik Mein Mann der schoß ein’ Katz am Zaun, War Anne der Nachbarin schwarze liebe Katz. Da kamen des Nachts sieben Werwölf zu mir, Warn sieben sieben Weiber vom Dorf.27
Zum zweiten Feld, implizite Verarbeitungen der Hexenthematik, muss einschränkend gesagt werden, dass eine Grenzziehung zur expliziten Verarbeitung zwangsläufig subjektiv geschieht. In der Zeit der realen Hexenprozesse und ihnen nachfolgend, finden sich implizite Spuren des Geschehens in unzähligen literarischen Werken. Gerade diese subkutanen Prägungen wurden, wie bereits dargelegt, von der Literaturwissenschaft bisher entschieden zu wenig erforscht. Natürlich bietet es sich an, vergleichend zu „Faust“ auch andere Werke Goethes auf Spuren der Hexenthematik zu untersuchen. Aber auch viele andere Autoren und verschiedenste literarische Stoffe kommen in Betracht. Ein ergiebiges Feld für das Studium von Bedrohungsszenarien sind, um ein Beispiel herauszugreifen, Bearbeitungen des populären Stoffes „Agnes Bernauer“. In ihnen wurde der Kontext der Hexenverfolgung mehr und mehr sichtbar; manchmal explizit, oft auch implizit. Im Zusammenhang mit der Hinrichtung der historischen Augsburgerin 1435 ist aber ein offizieller Hexenprozess nicht belegt, aus zeitlichen und dokumentarischen Gründen sogar eher unwahrscheinlich. Hermann Glaser kommt mit Blick auf die historischen Quellen zu dem Schluss: Es ist nicht anzunehmen, daß ein Gerichtsverfahren stattfand; die Zeit hierfür war nicht gegeben; auch hätte dann Ernst bei seiner Botschaft an den Kaiser Sigismund sicher darauf Bezug genommen, d. h. sich juristisch gerechtfertigt.28
Hölter: Nachwort, S. 266. Goethe: Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand. Münchner Ausgabe, Bd. 1.1, S. 387–509, hier S. 478. Glaser: Agnes Bernauer, S. 84. Eine andere Meinung vertritt Christa Tuczay, die eine förmliche Verurteilung für wahrscheinlich hält, vgl. Tuczay: Hebbels „Agnes Bernauer“, S. 77.
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11 Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien
Die in der Literatur stattfindende Übertragung der Hexenthematik auf einen Fall ungeklärter Verfolgung zeigt die Präsenz der frühneuzeitlichen Verfolgungspraxis im literarischen Gedächtnis. Als Indiz für einen Hexereivorwurf gegen Agnes Bernauer gibt es lediglich einen Hinweis in einem Brief des Herzogs Ernst an Kaiser Sigismund, in dem er die Hinrichtung rechtfertigt und erklärt „daz sein sun beladen sey gewesen mit einem poesn weyb“.29 Die Bezeichnung „böses Weib“ kann in dieser Zeit eine „Hexe“ meinen.30 Herzog Ernst nennt auch einen vermuteten Giftmordversuch und deutet an, Agnes habe dafür gesorgt, dass sein Sohn der Melancholie verfalle. Es verdichtete sich in der Literatur das Bild eines Hexenprozessopfers: Man habe Agnes Bernauer vorgeworfen, Herzog Albrecht durch Liebeszauber an sich gebunden und einen – mit dem Vergiftungsvorwurf verknüpften – Schadenzauber gegen seine Verwandten verübt zu haben. Dann sei sie auf Betreiben des herzoglichen Vaters als „Hexe“ hingerichtet worden. Das Töten durch Ertränken in der Donau wird – ohne dass es Belege dafür gibt – oftmals als „Wasserprobe“ gedeutet.31 Diese bis heute öffentlich bekannte Ausprägung der Hexenverfolgung war in bestimmten Regionen zeitweise verbreitet: Der Scharfrichter warf der Hexerei bezichtigte Personen mit kreuzweise gebundenen Händen und Füßen ins Wasser. Schwammen die Gefesselten oben, so galten sie als schuldig, ihr Körper als durch den Teufelspakt ätherisch leicht; gingen sie dagegen unter, galten sie als unschuldig.32 Man imaginierte Agnes Bernauer später sogar fälschlicherweise als in einem Turm gefangen,33 der erst lange nach ihrem Tod überhaupt gebaut wurde. Hier spielt die Vorstellung eines „Hexenturms“ hinein.34 Nicht selten wird Agnes Bernauer mit Johanna von Orléans verglichen.35 Die eigenmächtigen Konstruktionen sind bemerkenswert, sowohl bei der Analyse von historischen Quellen als auch in der literarischen Verarbeitung des Stoffes.36 Auffällig ist, dass in manchen Adaptionen das Hexenthema geradezu for-
Vgl. die Dokumentation der historischen Quellen bei Glaser: Agnes Bernauer, S. 88. Vgl. hierzu auch Tuczay: Hebbels „Agnes Bernauer“, S. 78 f. Vgl. zum Beispiel Glaser: Agnes Bernauer, S. 84. Vgl. zur dämonologischen Diskussion um dieses Vorgehen etwa Gudrun Gersmann: Wasserproben und Hexenprozesse. Ansichten der Hexenverfolgung im Fürstbistum Münster. Vgl. hierzu etwa Panzer: Agnes Bernauer, S. 79. Schäfer: Agnes Bernauer und ihre Zeit, S. 194. Huber: Agnes Bernauer im Spiegel der Quellen, S. 130. Harald Neumeyer hat die Wertschätzung von Literatur in anderem Zusammenhang beschrieben als Resultat „aus den methodischen Prämissen einer geistesgeschichtlich ausgerichteten und an der Einflußforschung orientierten Literaturwissenschaft. Gemäß dieser Prämissen werden höchstens inhaltliche Gemeinsamkeiten aufgelistet und fungieren die sogenannten Quellentexte meist als Kontrastfolien, von denen sich die Literatur kritisch abhebt. Unberücksichtigt bleibt dabei, daß Literatur und Wissenschaft an einem gemeinsamen Set von Figuren und Problem-
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ciert wurde. Und auch in der Sekundärliteratur wurde es herausgestellt. Offensichtlich fällt die Erinnerung an die Hexenverfolgung bei einem weitgehend volkstümlichen Stoff leichter als bei einem nationalen Mythos wie Goethes „Faust“. Erweist sich Populärkultur im Vergleich zu wissenschaftlicher Kultur hier eventuell sogar als sensibler? Werner Schäfer deutet in seiner Darstellung zur Geschichte der Agnes Bernauer die bei Hexenprozessen naheliegende Frage der Instrumentalisierung an: „Die Verbindung von Politik und Zaubereiverdacht war nicht neu“.37 Weiter führt er aus: Eine nähere Betrachtung der herzoglichen Unterweisung deckt also eine hochinteressante Konstruktion von Delikten auf. Eine Frage allerdings bleibt im Dunkel dieser besonderen Quellensorte: Ließ Herzog Ernst die Bernauerin schlicht und einfach ermorden, ohne Federlesen beseitigen, oder wurde eine wie auch immer geartete Verfahrensweise gewahrt? Die Antwort ist in der Bernauerforschung umstritten.38
Auch wenn Schäfer keine Belege für seine vermutete Instrumentalisierung des Hexereiverdachts im Fall Agnes Bernauer hat, so zeigt doch die spätere Deutung der Tötung als Hexenhinrichtung, dass ein derartiger Missbrauch noch lange im Gedächtnis war. Auch Friedrich Hebbel verarbeitete den Stoff unter dem Titel: „Agnes Bernauer. Ein deutsches Trauerspiel in fünf Aufzügen“, das 1852 uraufgeführt wurde. Er baut magische Vorstellungen in sein Stück ein. Der Vater von Agnes, Caspar Bernauer, empfiehlt in einer der ersten Szenen als „Bader und Chirurgus“ ein magisches Mittel zur Identifikation eines Toten.39 Er ist als „Hexenmeister“ im Gerede.40 Wie seine Untertanen hegt ebenso der Landesherr, Herzog Ernst, dämonologische Vorstellungen, spricht vom „Hexenvolk“ und der Walpurgisnacht.41 Auch Hebbel betont eine Konstante von Verfolgungen, die vorausgehenden Bezichtigungen der Opfer. Von der als „Augsburger Hexe“42 bezeichneten Agnes kursieren Gerüchte. Sie, vielbeneidet wegen ihrer Schönheit, wird durch den Hinweis auf eine andere, als Zauberin verbrannte Mätresse gewarnt.43 Bei ihrer Fest-
lagen arbeiten und mit Hilfe ähnlicher Strategien gesamtkulturelle Wahrnehmungsmuster konstruieren.“ Neumeyer: Psychenproduktion, S. 54 f. Schäfer: Geschichte, Dichtung, Bild, S. 83. Schäfer: Geschichte, Dichtung, Bild, S. 84. Hebbel: Agnes Bernauer, S. 13 f. (I. Akt, 9. Szene). Hebbel: Agnes Bernauer, S. 61 (IV. Akt, 10. Szene). Hebbel: Agnes Bernauer, S. 38 (III. Akt, 6. Szene). Hebbel: Agnes Bernauer, S. 51 (IV. Akt, 2. Szene). Hebbel: Agnes Bernauer, S. 28 (II. Akt, 6. Szene).
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11 Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien
nahme wird Agnes als Hexe beschimpft, man unterstellt ihr Zauberkünste.44 Der für ihre Verhaftung verantwortliche Herzog hält in ihrem Fall die Hexengerüchte für Unsinn; er deutet somit implizit eine Instrumentalisierung des Hexereiverdachts an: „Es ist töricht, mit den gemeinen Leuten von Zauberei zu reden, wo ein Gesicht, das unser Herrgott zweimal angestrichen hat, alles erklärt [...].“45 In einem Brief 1851 schrieb Hebbel über „Agnes Bernauer“: „Ich hoffe, dem Werk mit Recht den Namen einer Deutschen Tragödie beilegen zu dürfen und glaube sogar, daß es ohne Anstand überall gespielt werden wird, denn das alte Deutsche Reich wird in voller Kraft und Herrlichkeit den Hintergrund bilden [...]“.46 Hebbel hebt vermutlich darauf ab, dass er in seinem Trauerspiel die Entscheidung des Herzogs Ernst von München-Bayern als Staatsräson deutet. Das Hexenthema fließt jedoch als prägnanter Kontext deutscher Geschichte ein. Carl Orff verarbeitete den Stoff als Musiktheater mit dem Titel „Die Bernauerin“ in prägnant nachempfundenem altbayerischen Dialekt. Das Werk wurde 1947 uraufgeführt. „Hat s’di verhext?“47 – auch Orff lässt die Freunde Herzog Albrechts von Liebeszauber reden: „Verschrien und verrufn“48 wird Agnes genannt, sie selbst fragt später: „Ham s’gsagt, / daß i a Hex bin – / ham s’ des wieder gsagt?“49 Dem voraus geht eine Szene, die in besonderer Weise das Streuen des Hexengerüchts und seine Verknüpfung mit Ängsten zeigt. Hier hat Orff ein wichtiges Element der Hexenverfolgung aufgegriffen: die Verbreitung der dämonologischen Grundlagen. Einen Mönch lässt er zunächst unter Verwendung biblisch-apokalyptischer Drohbilder Angst schüren: Vier Reiter habe Gott aus Zorn ausgesandt, Pest, Krieg, Hunger und Tod, weil man „dem höllischn Treibn“ nicht wehre und „d’Hex umgeht“.50 Er schildert bildreich: „Wie d’Trud si nachtens / auf’s Roß legt und’s druckt, / so liegt itzt die Hex / auf’m ganzn Land, / Und wia s’na scho ghaust hat.“51 Weiter hetzt er speziell gegen Agnes: „Gift, / Gift hat s’ ihm gmischt, / die greislig Unholdin [...]“.52 Ein Gegner der Agitation bemerkt treffend: „Des giftige Unkraut, / des wo der ausgeworfn hat, / des geht auf.“53 Mit Blick auf Orffs Text sind in der Sekundärliteratur manche Parallelen zu Goethes „Faust“ gezogen und bei Aufführungen betont worden, etwa hinsichtlich
Hebbel: Agnes Bernauer, S. 63 (IV. Akt, 12. Szene). Hebbel: Agnes Bernauer, S. 70 (V. Akt, 6. Szene). Brief an H. Th. Rötscher, 6. Oktober 1851. Hebbel: Agnes Bernauer, S. 172. Orff: Bernauerin, S. 13 (Erster Teil, 2. Szene). Orff: Bernauerin, S. 17 (Erster Teil, 3. Szene). Orff: Bernauerin, S. 48 (Zweiter Teil, 5. Szene). Orff: Bernauerin, S. 41 f. (Zweiter Teil, 4. Szene). Orff: Bernauerin, S. 42 (Zweiter Teil, 4. Szene). Orff: Bernauerin, S. 43 (Zweiter Teil, 4. Szene). Orff: Bernauerin, S. 46 (Zweiter Teil, 4. Szene).
11.2 Implizite Verarbeitungen der Hexenthematik
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der Beziehung zwischen Albrecht und Agnes.54 Auch Agnes fleht im Gebet Maria um Hilfe an,55 so wie Gretchen in der Szene Zwinger. Besonders drastisch manifestiert sich in Orffs Text eine weitere Konstante literarischer Verfolgungsszenarien: die Stigmatisierung der Opfer. Carl Orff gibt den Beschimpfungen Agnes Bernauers breiten Raum. Der Mönch ruft: „die ausgschamte Badhur, / die Satans Elln, / die Teiflsduchessa.“56 und „Verflucht und zum abern / verflucht sei die Hex!“57 sowie schließlich „Brennen soll d’Hex! Nieder mit der Bernauerin!“58 Sogar ihren Richter lässt Orff diesen Ton aufgreifen: Absagung der Agnes Bernauerin, Baderstochter zu Augsburg und reuig Bekenntnus allsamter Meintaten deren gottsschändig sie schuldig is wordn, als Schlafweib und Bulerin, als Kupplerin, hechsische Hexinn, an Albrechten, Pfalzgrafen bei Rhein, Herzog in Baiern und Grafen zu Voheburg.59
Schließlich legt Orff die Beschimpfungen einem Hexenchor in den Mund: „Abgrittne, / abgfeimte, / bübische / Böswichtin. / Z’rissne, / durchtriebne, / grundlos, / hurisch, / inbrünstige / Kotz!“60 Diese Liste setzt sich lange fort: „Trostlose / Verschmachterin, / elende / heimliche / Blutvergießerin. / Quastenbinderin! / Schinderhaarige / immerwährnde / Zageltasch.“61 und so fort. Beschuldigungen als „Hure“ mischen sich mit sexuell ausschweifenden Imaginationen, alles wird mit zahlreichen dämonologischen Details durchsetzt. Orff kehrt in einem Kunstgriff die Rollen um: die Verfolger werden zum Hexenchor. Dies erinnert an Goethes Entwurf der Hochgerichtserscheinung, als Mönche im Hexentreiben der Walpurgisnacht auftreten und eine Menschenverbrennung durchführen. Orffs Hexenchor berichtet über die Hinrichtung von Agnes Bernauer, wie sie ins Wasser gestoßen und mit einer Stange unter Wasser gedrückt wird, bis sie nicht mehr auftaucht.62 Übrigens zeigt Max Denglers Kommentar der noch heute gängigen Textausgabe von Orffs Stück, dass falsch akzentuierte Hexenthematik in der Sekundärliteratur kein Einzelfall ist. Dengler schreibt zum Thema Hexenverfolgung: “Die Hexensache ist ein besonders finsteres Kapitel der Geschichte des Mittelalters. Weiber, die Schadenzauber zu üben vermögen – seien es häßlich-krumme Gestal-
Vgl. zum Beispiel Prütting: Herzogssohn, S. 18. Orff: Bernauerin, S. 53 f. (Zweiter Teil, 5. Szene). Orff: Bernauerin, S. 45 (Zweiter Teil, 4. Szene). Orff: Bernauerin, S. 45 (Zweiter Teil, 4. Szene). Orff: Bernauerin, S. 42 (Zweiter Teil, 4. Szene). Orff: Bernauerin, S. 51 (Zweiter Teil, 5. Szene). Orff: Bernauerin, S. 55 (Zweiter Teil, 6. Szene). Orff: Bernauerin, S. 61 (Zweiter Teil, 6. Szene). Orff: Bernauerin, S. 57–61 (Zweiter Teil, 6. Szene).
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11 Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien
ten, seiens verführerisch schöne, junge Menschenkinder – wurden verfolgt, verurteilt und auf verschiedene Weise zu Tode gefoltert. Der Fluch lastet auf ihnen.“63 Ähnlich offensichtliche Vermischung von Dämonologie und Historiografie findet man, wie zu zeigen war, auch in der Sekundärliteratur zu Goethes „Faust“. Auch im Genre Trivialroman ist das Hexenmotiv verbreitet. Zum Beispiel stellt Manfred Böckl es 1996 schon im Titel in den Vordergrund: „Agnes Bernauer. Hetäre, Hexe, Herzogin“. Er lässt den Herzog sagen: „Der Prozeß gegen die Metze, Zauberin und Hexe ist eröffnet!“64 Im Prozess werden in der Darstellung Böckls die typischen Vorwürfe erhoben, die Baderstochter habe den Herzog durch Zauberkraft zu der unstandesgemäßen Verbindung verführt. Agnes Bernauer wird explizit als Buhlteufelin bezeichnet: Durch teuflische Zauberkünste, daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben, hast du ihn blind gegenüber deinen Ränken gemacht! Als Succuba oder Incuba hast du ihm beigewohnt, bis er dir völlig und vollständig hörig geworden war und du die abscheuliche Krönung deines satanischen Anschlages ins Werk zu setzen vermochtest!65
Böckl hat sich mit Hexenbezeichnungen beschäftigt und dichtet Schimpftiraden, ähnlich denen in Orffs Libretto: „Eine Lamie bist du“, fauchte der Kleriker die Blonde an, „eine Stryge, eine Sortiaria, eine Hexe, eine Alraune, eine Fee, eine Drutte, eine Säge, ein böses Weib, eine Zäubersche, eine Nachtfrau, eine Nebelhexe, eine Galsterweib, eine Feldfrau, eine Menschendiebin, eine Milchdiebin, eine Gabelreiterin, ein Schnürvogel, eine Besenreiterin, ein Schmalzflügel, eine Bockreiterin, eine Teufelsbuhlin, eine Teufelsbraut und allgemein eine Unholde [...]“.66
Die Stigmatisierung von Verfolgungsopfern, von Orff und später Böckl exzesshaft dargestellt, ist literarisch wirkungsvoll und eine markante Konstante in der Darstellung von Bedrohung.
11.3 Bedrohungsszenarien in Bearbeitungen des Fauststoffes „Mehr denn tausend Leute versammeln sich, man tauft gestohlene Säuglinge, feiert Hochzeiten oder hält Totenschmaus! Das ist lustig! Wir tanzen, singen küssen! Da gibt es Wölfe, mit denen kann sich kein Mann messen! Und zum Mahle kochen wir mitunter Kinderfleisch in Milch!“ Bei diesen Worten blitzten Sarraskas weiße und scharfe Zähne auf.67
Dengler: Zur Sprache und Geschichte der „Bernauerin“, S. 77. Böckl: Agnes Bernauer, S. 265. Böckl: Agnes Bernauer, S. 266. Böckl: Agnes Bernauer, S. 267. Brjussow: Der feurige Engel, S. 115.
11.3 Bedrohungsszenarien in Bearbeitungen des Fauststoffes
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Will man Bedrohungsszenarien in Bearbeitungen des Fauststoffes untersuchen, dem dritten hier vorgeschlagenen Bereich, bewegt man sich wieder in einem unüberschaubar großen Feld. Dies wird schon durch speziell hierzu erstellte Bibliographien und Anthologien deutlich. In nicht wenigen Bearbeitungen des Fauststoffes, literarischen, musikalischen und bildnerischen, herrscht eine große Nähe zum Thema Hexenangst und Hexenverfolgung. Ein vielversprechendes Untersuchungsfeld wäre in dieser Hinsicht auch die Bühnengeschichte von Goethes „Faust“: Inszenierungen greifen – nicht selten betont – die Hexenthematik auf, gerne auch Goethes eliminierte Walpurgisnachtszenen.68 Ein prägnantes Beispiel für eine Dominanz des Themas Hexenverfolgung in Faust-bezogener Literatur ist der Roman des russischen Autors Walerij Brjussow „Der feurige Engel“ aus den Jahren 1907 / 08, der den Arbeitstitel „Die Hexe“ trug.69 Der Roman wird dem russischen Symbolismus zugerechnet70 und wurde vielfach übersetzt; Sergej Prokofjew verarbeitete ihn in seiner gleichnamigen Oper. Brjussow verwendet Elemente des Fauststoffes frei. Seine Geschichte fokussiert einen Hexenprozess und spielt vor allem im alten Trierer und Luxemburger Land. Der Erzähler Ruprecht trifft 1534 die an „Besessenheit“ leidende Renata. Es finden unter anderem Begegnungen mit Johann Weyer statt, mit Agrippa von Nettesheim und schließlich mit Faust und Mephistopheles, in deren Gesellschaft Ruprecht nach Trier reist. Brjussow hat Goethes „Faust“ ins Russische übersetzt.71 Er hat manche Elemente der von Johann Spieß verlegten „Historia von D. Johann Fausten“ und „The Tragical History of the Life and Death of Doctor Faustus“ von Christopher Marlowe verarbeitet,72 aber Brjussow nimmt in seinem Roman auch Bezug auf Motive Goethes, gerade die hexenbezogenen Schilderungen weisen spezifische
Vgl. etwa Bohnenkamp: Paralipomena, S. 56. Scheck: Nachwort, S. 436. Der gesamte Titel ist angelehnt an lange frühneuzeitliche Buchtitel und lautet: „Der feurige Engel oder eine wahrhaftige Erzählung, in welcher berichtet wird vom Teufel, der mehr denn einmal einer Jungfrau in Gestalt eines lichten Geistes erschien und sie zu mannigfachen sündhaften Handlungen verleitete, von der gottwidrigen Beschäftigung mit der Magie, der Astrologie, der Kabbalistik und Nekromantie, von der Verurteilung jener Jungfrau unter dem Vorsitze seiner Eminenz des Erzbischofs von Trier, gleicherweise von den Begegnungen und Gesprächen mit dem Ritter und dreifachen Doktor Agrippa von Nettesheim und mit dem Doktor Faust; verfaßt von einem Augenzeugen.“ Flickinger: Valerij Brjusov, S. 8. Flickinger: Valerij Brjusov, S. 85. Vgl. hierzu Flickinger: Valerij Brjusov, S. 80–85.
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11 Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien
Details auf. Brjussows Ausarbeitung enthält zugleich, wie Goethes „Faust“, Konstanten von Bedrohungsszenarien. Ebenso wie Goethe hat sich Brjussow mit hexentheoretischen Quellen des 16. Jahrhunderts beschäftigt,73 was sich im Roman in zahlreichen dämonologischen Details niederschlägt. Auch zitiert der Autor etwa im Verhör Renatas einen Fragenkatalog, wie er ähnlich in realen Hexenprozessen verwendet wurde. Und ebenso wie bei Goethe spiegeln sich auch bei Brjussow Faktoren, die in der Realgeschichte häufig zu Verfolgungsszenarien geführt haben, zum Beispiel eine allgemeine Krisensituation, die Goethe am Hof des Kaisers zum Thema macht. Bei Brjussow wird darüber in einem Wirtshaus berichtet: [...] daß die Macht des Schmalkaldischen Bundes der Protestanten, der jetzt fast mächtiger sei im deutschen Reiche als der Kaiser selber, zunähme, daß der englische König sich erkühnte, sich selber an Stelle des Papstes zum heiligen Haupte der Kirche zu erklären, daß die Könige von Schweden und Dänemark den geistlichen Herren erfolgreich den weltlichen Besitz wegnähmen, daß der neue Prophet Johann Bockelson in Münster dem katholischen Heere hartnäckigen Widerstand leistete.74
Brussow vertieft dämonologische Szenarien, seine Romanwelt ist beherrscht von diesem Thema. Zugleich wird die weite Verbreitung der Dämonologie deutlich, die im Roman allerdings keinesfalls nur Imagination bleibt. Ruprecht und Renata versuchen sich in magischen Experimenten, mit denen sie erschreckende Effekte provozieren, ähnlich Goethes Faust, der den Erdgeist ruft. Sie besuchen eine Wahrsagerin, eine Szene, deren Ausgestaltung stark an Goethes Szene Hexenküche erinnert. Ruprecht fühlt sich von der „Todsünde Neugier“75 getrieben und nimmt am „Hexensabbat“76 teil. Die Beschreibung der dortigen Satanshuldigung ähnelt Goethes in den Paralipomena überliefertem Bild von des Teufels Arsch77, den der Huldigende als Mund beschreibt: Was duftet aus dem kolossalen Mund!78 Brjussows Erzähler berichtet: „[...] ich spielte meine Rolle bis zu Ende, beugte mich vor und küßte den Hintern des Bockes. Er war schwarz, und ihm entströmte ein widerwärtiger Gestank, doch erinnerte er merkwürdig an das Gesicht eines Menschen.“79 Schließlich, als Ruprecht sich der Buhlschaft mit einer Hexe hingibt, erscheint ihm die nackte Renata und veranlasst ihn, das Fest abrupt zu verlassen, ähnlich wie Gretchens Erscheinung Faust aus dem Hexentanz reißt:
Vgl. Flickinger: Valerij Brjusov, S. 136. Brjussow: Der feurige Engel, S. 301 f. Brjussow: Der feurige Engel, S. 104 f. Brjussow: Der feurige Engel, S. 89. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 556. Goethe: Faust, Bd. 1: Texte, S. 555. Brjussow: Der feurige Engel, S. 110.
11.3 Bedrohungsszenarien in Bearbeitungen des Fauststoffes
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Mit ihrem warmen Körper entflammte Sarraska meinen Leib, und widerstandslos ließ ich mich führen. Unter den Ästen eines dichten Haselnußstrauches ließen wir uns auf einer kleinen Moosinsel zu Boden gleiten; in jenen Augenblicken gedachte ich weder meiner Schwüre noch meiner Liebe, ich ergab mich allein der Begierde, welche die Sinne umnebelt und den Willen tötet. Doch plötzlich, noch völlig diesen Gefühlen erlegen, erblickte ich dicht vor mir, zwischen dem grünen Blätterwerke, Renatas Antlitz; blitzschnell kam ich wieder zu mir, und Reue und Eifersucht marterten mich entsetzlich. Renata war nackt, wie die meisten Festteilnehmer [...].80
Auch Brjussows Mephistopheles, der explizit auf seinen zurückliegenden Streich in „Auerbachs Keller zu Leipzig“81 verweist, zaubert in einem Wirtshaus Trauben herbei, die plötzlich verschwinden. Die Äußerungen der übertölpelten Trinker erinnern an Goethes Studenten in Auerbachs Keller. Die „Hilfe dunkler Kräfte“82 wird argwöhnisch vermutet: „Ein betrunkener Bauer ging sogar mit geballten Fäusten auf Mephistopheles los und forderte schimpfend, er solle auf der Stelle das Kreuz küssen [...]“.83 Brjussow zeigt hier, ähnlich wie Goethe in der Szene Auerbachs Keller in Leipzig das Verfolgungsbegehren aus dem Volk, das zu den Konstanten breiter gesellschaftlicher Verfolgungsszenarien gehört. Und er breitete den Saum seines Mantels über die Schüsseln, als er ihn zurücknahm, waren die Trauben verschwunden. Jedermann konnte glauben, nur in seiner Einbildung hätte er sie gesehen und von ihnen gekostet. Ein wüster Lärm erhob sich, denn alle gerieten mit einem Male in Wut und stürzten sich auf uns drei, um uns zu schlagen. Man brüllte uns ins Gesicht, wir seien Gauner und müßten den städtischen Gewalten übergeben werden, drohend reckten sich über unseren Köpfen die Fäuste, und die ganze Sache hätte uns teuer zu stehen kommen können, zumal wir in eine Ecke gedrängt wurden.84
Schließlich ist Renata Novizin in einem Kloster, sie wird durch den Erzbischof von Trier einem Inquisitionsverfahren unterworfen, gefoltert und als Hexe verurteilt. Ruprecht will sie aus dem Kerker retten: „Meine Geliebte! Ich bringe dir Rettung und Freiheit, die Tür ist geöffnet, wir werden von hier fliehen, die Pferde stehen bereit. [...] Wir müssen eilen.“85 Renata aber wehrt sich, sie will ihre Hinrichtung. Als Ruprecht sie schließlich mit Gewalt aus dem Kerker tragen will, ruft sie, von der Folter gezeichnet und wahnsinnig, nach dem ihr erschienenen Engel: „Madiel! Madiel! Schütze mich, rette mich!“,86 dann stirbt sie.
Brjussow: Der feurige Engel, S. 117. Brjussow: Der feurige Engel, S. 296. Brjussow: Der feurige Engel, S. 294. Brjussow: Der feurige Engel, S. 294. Brjussow: Der feurige Engel, S. 295. Brjussow: Der feurige Engel, S. 409 f. Brjussow: Der feurige Engel, S. 412.
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11 Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien
Diese Kerkerszene adaptiert Gretchens Kerkerszene, ist allerdings als Hexenprozess ausgestaltet. Was das Beispiel Brjussows besonders deutlich zeigt, gilt auch für viele andere Bearbeitungen des Fauststoffes: dessen Nähe zur Hexenthematik wird oft frei herausgearbeitet – und nicht wenige Szenen beziehen sich dabei auch auf Goethes „Faust“.
11.4 Bedrohungsszenarien in Bearbeitungen des Kindsmordmotivs Ich sagte ja schon, daß die Theologie ihrer Natur nach dazu neigt und unter bestimmten Umständen jederzeit dazu neigen muß, zur Dämonologie zu werden.87
Ebenfalls groß ist das vierte Feld, das sich zur Beobachtung von Bedrohungsszenarien besonders eignet: das Kindsmordmotiv. Es ist, wie dargelegt, der Hexenthematik durch dämonologische Imaginationen verwandt, was sich in der Literatur immer wieder zeigt. Das literarische Motiv Kindsmord wurde, anders als die Themen Hexenangst und Hexenverfolgung, vielfach und sehr breit untersucht. Deutlich enthüllt sich die Nähe zur Hexenthematik etwa im hier beispielhaft ausgewählten und bereits zitierten Drama „Die Kindermörderin“ von Heinrich Leopold Wagner aus dem Jahr 1776, das Goethe kannte. In Wagners Drama enthält die Verführung des Mädchens Evchen, die mit Gewalt verbunden ist, typische Elemente sowohl verbotener Liebschaften als auch, damit assoziativ verknüpft, von Teufelsbuhlschaften. Evchens Mutter wird von ihrem Mann die Rolle der Kupplerin zugeschrieben, die in Goethes Gretchentragödie die Nachbarin Marthe innehat. Der Vater vergleicht die Mutter mit dem Teufel: „Bestie! den Hals dreh ich dir um – [...] Jetzt gehen mir auf einmal die Augen auf: hats mir doch immer vom Teufel geträumt! – der verfluchte Ball – Bestie, vermaledeite Bestie! hast deine Tochter zur Hure gemacht!“88 Elemente eines Teufelspaktes werden angedeutet, wenn Evchen sagt, ihr Schicksal sei „mit Blut geschrieben“. Ihr Verführer nennt ihre Melancholie als Voraussetzung dafür, er entspricht damit traditionellen dämonologischen Vorstellungen, die auch in Goethes Darstellung des verzweifelten Faust ausgeführt sind.
Mann: Doktor Faustus, S. 147. Wagner: Kindermörderin, V. Akt, S. 69.
11.5 Bedrohungsszenarien weiterer literarischer Kontexte
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Evchen: Sagt ich nicht, Gröningseck! mein Schicksal wäre mit Blut geschrieben? – v. Gröningseck: Es wärs nicht, wenn du mir getraut, deiner Melancholie dich weniger überlassen, etwas mehr an die Tugend geglaubt hättest – oder ich etwas weniger.89
Evchen vergleicht ihren Verführer ausdrücklich mit dem Teufel: „Ja, wie ich den Satan liebe! hab mich vor beyden gehütet, und von beyden schon anführen laßen.“ Auch ein Schlaftrunk spielt bei der Verführung eine Rolle, ebenso wie in Gretchens Tragödie, die Assoziation von Gift liegt hier jeweils nahe. Eine kannibalische Annäherung an den getöteten Säugling, ein prägnantes dämonologisches Motiv, wurde schon unter Punkt 8.3.10 besprochen: Evchen glaubt, das Blut ihres Kindes zu trinken.90 Die diachron bedeutendste Konstante der Verfolgung ist jedoch die in Wagners Drama übermächtige Rolle der Öffentlichkeit und das angstbesetzte Thema des Leumunds. Evchen fürchtet ihre Nachbarn, ebenso wie es in Gretchens Umfeld zur Sprache kommt: „Jetzt gehn sie; die Nachbarn sinds nicht gewohnt, so lange Licht bei mir zu sehen.“91 Die Worte des Majors Lindsthal: „Lieber das Leben als die Ehre verloren!“92 spiegeln die (Über)lebenswichtigkeit des öffentlichen Ansehens, um die es auch im Folgenden geht.
11.5 Bedrohungsszenarien weiterer literarischer Kontexte Wozu nicht alles hat in unseren Tagen die Polizei stillgehalten – wiederum im Einverständnis mit der Zeit, die nachgerade dergleichen sehr wohl wieder zuläßt.93
Das fünfte Feld, Bedrohungsszenarien anderer literarischer Kontexte, ist naturgemäß offen und kann ganz verschiedene Zeiten und anthropologische Betrachtungen einbeziehen. Die Fülle der Literatur zu NS-Verbrechen bietet sich etwa an, Konstanten des Empfindens von Bedrohung abzulesen; trotz aller Gefahren von Analogiebildungen wagen viele Autoren mit Blick auf die Hexenverfolgung Vergleiche zur NS-Zeit und zu anderen Bedrohungsszenarien des 20. Jahrhunderts. Gerade auch der stalinistische Terror hat vielfach den Vergleich mit Hexenprozessen herausgefordert, unter anderem, weil er – eine Parallele – über einen längeren Zeitraum hinweg verschiedene Verfolgungswellen zeitigte. Der Historiker Robert Thurston etwa hat beide Themen untersucht und Parallelen gesehen.
Wagner: Kindermörderin, VI. Akt, S. 85. Wagner: Kindermörderin, VI. Akt, S. 80. Wagner: Kindermörderin, IV. Akt, S. 54. Wagner: Kindermörderin, III. Akt, S. 42. Mann: Doktor Faustus, S. 58.
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11 Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien
Über die Hexenverfolgung bemerkt er: „Since that time, more than a few years ago, I have read steadily about the hunts. Finally it dawned on me, as I was writing a book about the Stalinist terror in the Soviet Union, that there were many useful comparisons with soviet history [...].“94 Lyndal Roper vergleicht Probleme der Quellenauswertung, die sich mit Blick auf beide Bedrohungsszenarien ähneln. In ihrer Studie zur Hexenverfolgung schreibt sie: Die Schwierigkeiten, vor denen Historiker bei der Auswertung solcher Quellen stehen, erinnern an die Probleme der Geschichtswissenschaften mit den „Geständnissen“ aus den stalinistischen Schauprozessen. So überzeugend und ausführlich die dort gegebenen Schilderungen sein mögen, sie waren eindeutig das Ergebnis psychologischer und körperlicher Folter. Sie beruhten auf der Herabsetzung der Angeklagten zu Unpersonen und Volksfeinden, als Belege für ‚echte‘ Verschwörungen gegen Stalin taugten sie nicht.95
Auseinandersetzungen mit dem Stalinismus können wiederum Parallelen zu Details aus Goethes „Faust“ zeigen. Als Beispiel sei ein historiografisches Gesellschaftsporträt genannt: „Die Flüsterer. Leben in Stalins Russland“ des Historikers Orlando Figes, das zuerst 2007 erschien, in deutscher Übersetzung 2008. Anders als in früheren Darstellungen, die oft das politische System fokussieren, konzentriert sich Figes auf gesellschaftliche Innenwelten im Unterdrückungssystem unter Stalin. Es schlug sich in einem von Misstrauen und Angst regierten Alltag nieder. Die Furcht, innerhalb der Gesellschaft aufzufallen,96 die auch als Motiv Goethes so prägnant ist, zeigt sich etwa in Marthes Beschreibung der Nachbarschaft und weiteren Dorfszenen. Eine der von Figes zitierten Zeitzeuginnen berichtet über ihr Leben unter Stalin ganz ähnlich: „Wir hatten unser ganzes Leben lang Angst, den Mund aufzumachen. Unsere Mutter sagte immer, jeder andere sei ein Spitzel. Wir fürchteten uns vor unseren Nachbarn [...].“97 Nachfühlbar gemacht hat derartige Ängste der Ausstellungsmacher Volker Geissler in der Luxemburger Ausstellung „Incubi. Succubi. Hexen und ihre Henker bis heute“. Er gestaltete einen schon erwähnten „Gerüchteraum“: die Stimmen der Besucher wurden beim Betreten des Raumes unsichtbar aufgenommen und als Geflüster einige Schritte weiter wieder eingespielt. Das Flüstern spiegelt als akustisches Signal Angst und Denunziation zugleich. Es ist Symbol für das Verfolgungsbegehren aus der Bevölkerung, das gesellschaftliche Verfolgungen als diachrone
Thurston: The witch hunts, S. 288. Roper: Hexenwahn, S. 72. Zu stereotypen Merkmalen der Opfer von Verfolgungen und ihrer Funktion als Sündenböcke vgl. Girard: Ausstoßung und Verfolgung, besonders S. 26–35. Figes: Die Flüsterer, S. 29.
11.6 Ein Fazit zum Verhältnis von Literatur und Gedächtnis
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Konstante stützt. Figes vermutet, dass sich die Erfahrung der Bespitzelung in der Sowjetunion sogar im Wortschatz niederschlug: „Die russische Sprache kennt zwei Worte für einen „Flüsterer“: scheptschuschtschi für jemanden, der aus Furcht, belauscht zu werden, sehr leise spricht, und scheptun für jemanden, der den Behörden etwas über andere zuflüstert, das heißt sie anschwärzt. Die Unterscheidung geht auf die Redeweise der Stalinjahre zurück, als die gesamte Sowjetgesellschaft aus Flüsterern der einen oder der anderen Art bestand. 98
Mit Blick auf die Innenwelten der sowjetischen Gesellschaft unter Stalin betrachtet Figes vor allem Familien. Die Tochter eines als „Volksfeind“ Verhafteten berichtet über Nachbarn und ehemalige Freunde: „Alle hatten Angst vor uns. Sie wollten nicht mit uns sprechen oder uns auch nur nahe kommen, als hätten wir die Pest und könnten sie anstecken.“99 Unter anderem auf der Grundlage von Interviews mit Zeitzeugen beschreibt Figes auch das Verhalten von Angehörigen, die sich von ihren beschuldigten Verwandten distanzierten: „Manche entfernten die Fotos von Freunden und Verwandten, die verschwunden waren, und rissen sogar auf Familienporträts Gesichter heraus oder machten sie durch Gekritzel unkenntlich.“100 Diese Schilderungen erinnern an Goethes Figur des Bruders Valentin. Denn eine der erschütterndsten Parallelen von Bedrohungsszenarien in angstdurchsetzten Gesellschaften ist die Aufkündigung familiären Zusammenhalts, die Goethes Gretchen in ihrer ganzen Bitterkeit erfährt.
11.6 Diachrone Konstanten von Bedrohung: ein Fazit zum Verhältnis von Literatur und Gedächtnis Man kann deshalb Kunst als Sichtbarmachen des Unsichtbaren auffassen, allerdings mit der Maßgabe, daß das Unsichtbare erhalten bleibt. [...] Die Magie der Dinge – daß sie sind, wie sie sind – wird auf diese Weise gebrochen. Der Beobachter gewinnt Distanz. Er gewinnt die versprochenen neuen Möglichkeiten des Sehens.101
Viele Autoren, die sich mit Hexenverfolgung beschäftigen, stellen Bezüge zu anderen Zeiten her, beschreiben Analogien oder haben selbst Verfolgung erfahren. Auch heute, so empfiehlt Heinz Bude in seiner Abhandlung „Gesellschaft der
Figes: Die Flüsterer, S. 29 f. Figes: Die Flüsterer, S. 424. Figes: Die Flüsterer, S. 421. Luhmann: Weltkunst, S. 14.
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11 Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien
Angst“, müsse die Soziologie, die ihre Gesellschaft verstehen wolle, die „Gesellschaft der Angst“ betrachten.102 Eine der bedeutendsten literarischen Verarbeitungen von Hexenverfolgung behandelt die späten Salemer Hexenprozesse im Jahr 1692. Arthur Miller schuf das Schaupiel „The Crucible“, uraufgeführt im Jahr 1953, vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen der Kommunistenjagd unter dem amerikanischen Senator McCarthy. Auch für unbekanntere Literatur gelten oft derartige Parallelen. Ein Beispiel ist der 1961 erschienene Roman der luxemburgischen Autorin MarieLouise Tidick-Ulveling, „Im Zeichen der Flamme“, der dem Genre „historischer Roman“ zugerechnet werden kann. Die Autorin hat sich mit Verfahrensabläufen und Schriften von Gegnern der Hexenverfolgung beschäftigt. Ihr Roman ist zugleich geprägt durch ihre Erfahrungen von Bedrohung in der NS-Zeit, als ihre im luxemburgischen Widerstand engagierte Tochter unter Todesgefahr in Deutschland inhaftiert war. Der Historiker Robert Thurston vergleicht diverse andere Zeiten mit frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen: Lynching in the American South; Soviet Terror; Nazi attempts to exterminate Jews, homosexuals, Romany, Sinti and other groups; and McCarthism in America all basically relied on images of pure evil embodied in certain secretive, powerful beings who were out to destroy the good society.103
Die literarischen Darstellungen sehr verschiedener Bedrohungsszenarien bilden die in meiner Arbeit abschließend beschriebenen konstanten Elemente von Verfolgungen ab. Sie entsprechen mit zeitgebundenen Variationen den Faktoren, die Franz Irsigler als konstitutiv für Hexenverfolgung beschrieben hat.104 Der kurze Forschungsausblick auf fünf literarische Felder und ihre Verbindungen zu Goethes „Faust“ hat gezeigt: Die Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien manifestieren sich schon mit Blick auf stichprobenartige Beispiele. Weitere Untersuchungen könnten sie bestätigen und differenzieren. Daraus würde sich auch ein Instrumentarium ergeben, mit dessen Hilfe unterschwellige Hinweise auf bestimmte Verfolgungen leichter wahrnehmbar wären. Literaturwissenschaftliche Meinungen zur Erinnerungsfunktion von Goethes „Faust“ wurden bereits vorgestellt, ebenso seine Einordnung als „Gedächtnisort“. Auch die kulturwissenschaftliche Kontroverse, wie viel Historizität mit Blick auf ein Kunstwerk angenommen werden darf, wurde eingangs behandelt. Die Rezeptionsgeschichte von Goethes „Faust“ bietet zudem exemplarisch Einsichten für
Bude: Gesellschaft der Angst, S. 10. Thurston: The witch hunts, S. 274. Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert, S. 9–20.
11.6 Ein Fazit zum Verhältnis von Literatur und Gedächtnis
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die interdisziplinäre Gedächtnisforschung. Ein Blick auf ausgewählte Thesen dieser Forschungsrichtung ergänzt abschließend die Überlegungen zum Schweigen über Hexenverfolgung. Ausdrücklich wird in die Gedächtnisforschung heute die Literaturwissenschaft einbezogen. Astrid Erll spitzt diese Beobachtung zu: Die Literaturwissenschaft ist eine Gedächtniswissenschaft. Die Mechanismen und die vielfältigen gesellschaftlichen Funktionen des literaturwissenschaftlichen Bezugs auf Vergangenheit sind erst in den letzten Jahrzehnten deutlich ins Bewusstsein ihrer Vertreter gerückt.105
Die Ergebnisse meiner Studie zu Goethes „Faust“ können die Aussage Erlls zum einen infrage stellen, zum anderen aber ein Beitrag zu der von ihr beschriebenen Tendenz sein. Einzelne literarische Werke als Medien des Tradierens sind immer öfter Untersuchungsgegenstände der Gedächtnisforschung. Obwohl Literatur aber als ein „machtvolles Instrument des kollektiven Gedächtnisses“106 gilt, ist ihre Rolle noch keineswegs hinreichend untersucht. Astrid Erll und Ansgar Nünning machen folgende interessante Beobachtung: „Kaum mehr zu überblicken scheint die Fülle der literaturwissenschaftlichen Studien, die den Gedächtnis-Begriff im Titel führen.“107 Dennoch nennt Erll Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses ein „noch viel zu unterbelichtetes Thema.“108 Diese Beobachtung trifft auch auf die FaustForschung zu. Immer wieder wird – auch in populären Darstellungen – der Wert von Goethes Drama als Dokument einer kulturellen Erinnerung betont. Man tituliert das Werk beispielsweise als „Theatrum Memoriae“109 oder „Erinnerungssystem“.110 Prägnante historische Spuren und Atmosphären im Drama werden aber ignoriert. Helmut Schanze hat Recht, wenn er auf folgenden Widerspruch hinweist: Mnemosyne, die Göttin des Gedächtnisses ist, der antiken Mythologie entsprechend, die Mutter der Musen. Gedächtnis, Erinnerung und Vergegenwärtigung sind die Grundfunktionen aller Künste. Noch ungeschrieben ist die Geschichte des Erinnerungsvermögens aus poetologischer Perspektive.111
Es wurde oft festgestellt, dass in Goethes „Faust“ selbst das Gedächtnis und das Vergessen zum Motiv werden, wie etwa im Zwiegespräch Fausts mit Helena:
Erll: Kollektives Gedächtnis, S. 71. Erll: Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses, S. 271. Erll / Nünning: Literaturwissenschaftliche Konzepte von Gedächtnis, S. 1. Erll: Kollektives Gedächtnis, S. 74. Schanze: Goethes Dramatik, S. 5. Schwanitz: Bildung, S. 303. Schanze: Goethes Dramatik, S. 2.
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11 Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien
FAUST Nun schaut der Geist nicht vorwärts nicht zurück, Die Gegenwart allein – HELENA: Ist unser Glück. (9381–9383)
Peter Matussek hat Faust II somit treffend eine „Tragödie der Gedächtniskultur“ genannt, denn das Drama zeige den „paradoxen Zusammenhang“112 von Erinnern und Vergessen: Dreitausend Jahre Kulturgeschichte – vom trojanischen Krieg bis zur industriellen Revolution – läßt Goethe in seinem ‚Faust II‘ Revue passieren, doch der Protagonist durchläuft dieses Panorama der Denkwürdigkeiten nicht als Erinnernder, sondern als Vergessender.113
Welche Bedeutung hat die Erinnerung an historisches Geschehen für die Literatur sowie für die literaturwissenschaftliche Forschung und umgekehrt? Und wieso funktioniert die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Literaturwissenschaft mit der Geschichtswissenschaft kaum? Mit Goethes „Faust“ wurde ein besonders aussagekräftiges Exempel untersucht: eines der am umfassendsten erforschten literarischen Werke. Seine Interpretationsgeschichte ermöglicht auch Historikerinnen und Historikern Einblicke in die mangelhafte Rezeption ihrer Forschung. Die Hexenthematik als ein prägendes Motiv in Goethes „Faust“ hat sich als ein ebenso heikles wie oft ignoriertes Thema herausgestellt. Neben einer Nachlässigkeit oder Scheu in den geschichtsbezogenen Recherchen von Literaturwissenschaftlern und daraus resultierender Unkenntnis beziehungsweise Fehlinformation war in der Literaturgeschichtsschreibung auch bewusste Ablehnung des Themas zu beobachten bis hin zum Leugnen desselben, etwa aus ästhetischen, nationalistischen oder ideologischen Gründen; eventuell spielen auch unbewusste Verdrängungsmechanismen eine Rolle. Dass literarische Werke als wichtige Gedächtnisträger fungieren können, hat schon Pierre Nora unterstrichen, der die Legitimität literarischer Erinnerung betont: „Stets hat das Gedächtnis nur zwei Formen der Legitimität besessen, entweder eine historische oder eine literarische. Bis heute haben sie sich auf parallelen, doch getrennten Wegen entwickelt.“114 Das Gedächtnis, das sich im konkreten Werk manifestiert, zu enthüllen und freizulegen, ist eine Aufgabe der literarischen Analyse.
Matussek: Faust II – die Tragödie der Gedächtniskultur, S. 291. Matussek: Faust II – die Tragödie der Gedächtniskultur, S. 291. Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 33.
11.6 Ein Fazit zum Verhältnis von Literatur und Gedächtnis
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Dabei ist der konstruktive Prozess der Erinnerung, den Ernst Cassirer beschrieben hat, in der Literatur besonders ausgeprägt und wirksam: Für den Menschen ist die Erinnerung nicht einfache Rückkehr zu einem Ereignis, das schwache Bild oder der Abglanz früherer Eindrücke. Sie ist keine bloße Wiederholung, sondern eine Wiedergeburt der Vergangenheit; sie ist verbunden mit einem schöpferischen, konstruktiven Prozeß. Es genügt nicht, isolierte Daten aus vergangener Erfahrung herauszugreifen; wir müssen sie wirklich er-innern, neu zusammenstellen, organisieren und synthetisieren und sie zu einem Gedanken verdichten.115
Viele weitere komplexe kulturwissenschaftliche Positionen erhellen den Blick auf die historische Hexenverfolgung als Wissen der Literatur. Dass Goethes „Faust“ ein Präzedenzfall ist, wird auch durch diese Perspektiven klar – und dessen andauernde gesellschaftliche Bedeutung. Thomas Mann betont in seinem Roman „Doktor Faustus“ mehrfach die Wiederholbarkeit von Bedrohungsszenarien wie der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung, und er zieht auch Parallelen zum NS-Terror. Sein Erzähler spürt noch etwas von der „Hysterie des ausgehenden Mittelalters“ in seiner Heimatstadt: Diese Zeit neigt ja selbst, heimlich, oder auch nichts weniger als heimlich, sondern sehr bewußt, mit sonderbar selbstgefälliger Bewußtheit, die an der Echtheit und Einfalt des Lebens zweifeln läßt und vielleicht eine ganz falsche, unselige Geschichtlichkeit produziert, – sie neigt, sage ich, selbst in jene Epochen zurück und wiederholt mit Enthusiasmus symbolische Handlungen, die etwas Finsteres und dem Geiste der Neuzeit ins Gesicht Schlagendes an sich haben, wie Bücherverbrennungen und anderes, woran ich lieber mit Worten nicht rühren will.116
Manns Erzähler schätzt dann, das griechische Ideal des „schönen und guten“ Menschen variierend, die Rolle der Literatur im Prozess einer humanen Bildung und fortschreitenden Sicherung der Menschlichkeit als entscheidend ein: Tatsache nun aber ist, daß wirklich Volk immer Volk bleibt, wenigstens in einer bestimmten Schicht seines Wesens, eben der archaischen [...] – Ich spreche vom Volk, aber die altertümlich-volkstümliche Schicht gibt es in uns allen, und, um ganz zu reden, wie ich denke: ich halte die Religion nicht für das adäquate Mittel, sie unter sicherem Verschluß zu halten. Dazu hilft nach meiner Meinung allein die Literatur, die humanistische Wissenschaft, das Ideal des freien und schönen Menschen.117
Das verbreitete Schweigen über wichtige Teile der Hexenthematik in Goethes „Faust“, das in meiner Untersuchung nachgewiesen wurde, lässt zwar einer-
Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 85 f. Mann: Doktor Faustus, S. 58. Mann: Doktor Faustus, S. 59 f.
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11 Ausblick: Konstanten literarischer Bedrohungsszenarien
seits Zweifel an der Wirksamkeit der von Mann genannten „humanistischen Wissenschaft“ aufkommen – und ausgehend von dem Präzedenzfall „Faust“ ist zu befürchten, dass dieses Schweigen noch viel weitergehend die Rezeption von Literatur prägt. Doch zieht man die Hexenthematik ans Licht, so erklärt sie andererseits eine spezifische Faszination, die von literarischer Aufklärung, auch von einer nur erahnten, ausgeht. Dabei sind über die expliziten Verarbeitungen der Hexenverfolgung hinaus die verdeckteren Spuren des Geschehens, die hier in Goethes berühmtestem Drama freigelegt wurden, durch ihre Reichweite vielleicht noch bedeutsamer. Mit Blick auf die Tragödie um Faust und Gretchen wird nämlich deutlich: Große Figuren der Literatur überdauern, wenn ihr Thema überzeitliche Gültigkeit hat. Eines dieser gültigen Themen – hier im Kontext von Hexenangst und Hexenverfolgung – sind Konstanten des Erlebens von Bedrohung und ihrer sozialen Resonanz. Sie könnten als Wissen der Literatur nicht nur Teil der Memoria bleiben, sondern auch Beitrag zu einer zukünftigen Wachsamkeit und Aufklärung werden.
12 Literatur 12.1 Primärliteratur 12.1.1 Goethe Werkausgaben, Tagebücher, Briefe, Gespräche Goethe: Faust = Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Bd. 1: Texte; Bd. 2: Kommentare. Hg. von Albrecht Schöne. 2. Aufl. Berlin 2019. Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Bd. 1: Texte; Bd. 2: Kommentare. Hg. von Albrecht Schöne. Frankfurt a. M. / Leipzig 2003. Frankfurter Ausgabe = Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Vierzig Bände. Frankfurt a. M. 1985 ff. Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Amtliche Schriften. Kommentar und Register (zu Band 26 und 27 der Frankfurter Ausgabe) Hg. von Reinhard Kluge und Gerhard und Irmtraut Schmid. CD-ROM Berlin 2011. Münchner Ausgabe = Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Hg. von Karl Richter u. a. München 2006. Weimarer Ausgabe = Goethe, Johann Wolfgang: Goethes Werke. Hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar 1887–1919. Nachdruck Tübingen 1975. Berliner Ausgabe = Goethe, Johann Wolfgang: Berliner Ausgabe. Bd. 8: Poetische Werke. Dramatische Dichtungen IV. Faust. Bearb. von Gotthard Erler. Berlin / Weimar 1965. Bd. 16: Poetische Werke. Autobiographische Schriften IV. Berlin / Weimar 1964. Jubiläumsausgabe Cotta = Goethes Sämtliche Werke. Jubiläums-Ausgabe. Hg. von Eduard von der Hellen. Bd. 13 und 14: Faust. Mit Einleitungen und Anmerkungen von Erich Schmidt. Erster Teil, Stuttgart / Berlin 1903. Zweiter Teil. Stuttgart / Berlin 1906. Hamburger Ausgabe = Goethe, Johann Wolfgang von: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Bd. 3: Dramatische Dichtungen I. Textkritisch durchgesehen und kommentiert von Erich Trunz. München 1998. Leidener Faust-Ausgabe = Goethes Faust. Hg. von Georg Witkowski. 10. Aufl. Bd. 1 Leiden 1949. Bd. 2 Leiden 1950. Hucke, Karl Heinrich: Goethe: Faust. Eine Tragödie [1808]. Historisch-kritisch ediert und kommentiert. Münster 2008. Keller: Paralleldruck = von Goethe, Johann Wolfgang: Urfaust; Faust. Ein Fragment; Faust. Eine Tragödie. Paralleldruck der drei Fassungen. Hg. von Werner Keller. 2 Bde. Frankfurt a. M. 1985. Kuhn, Dorothea (Hg.): Goethe und Cotta. Briefwechsel 1797–1832. Textkritische und kommentierte Ausgabe in drei Bänden. Bd. 1: Briefe 1797–1815. Stuttgart 1979. (Veröffentlichungen der deutschen Schillergesellschaft; 31). Gedenkausgabe = Johann Wolfgang Goethe: Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Hg. von Ernst Beutler. Bd. 5: Die Faustdichtungen. 3. Aufl. Zürich / München 1977. Goethe’s Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. Bd. 12. Stuttgart / Tübingen 1828. Biedermann / Herwig: Goethes Gespräche = Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und hg. von Wolfgang Herwig. München 1998. Riemer, Friedrich Wilhelm (Hg.): Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter in den Jahren 1796 bis 1832. Berlin 1834. Goethe, Johann Wolfgang: Tagebuch aus Trier. Hg. von Wilhelm Bracht. Trier 1960. https://doi.org/10.1515/9783111311258-012
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12 Literatur
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12.2 Sekundärliteratur, Illustrationen und Nachschlagewerke
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12 Literatur
Weigand, Hermann J.: Wetten und Pakt in Goethes ‚Faust‘. In: Aufsätze zu Goethes ‚Faust I‘. Hg. von Werner Keller. Darmstadt 1974 (Wege der Forschung; 145), S. 410–427. Weinrich, Harald: Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens. München 1997. Weinrich, Harald: Dante und Faust. In: Vom Nutzen des Vergessens. Hg. von Gary Smith und Hinderk M. Emrich. Berlin 1996, S. 105–131. Weisenstein, Karl: Zaubereiprozesse in der Stadt Trier. In: Hexenglaube und Hexenprozesse im Raum Rhein-Mosel-Saar. Hg. von Gunther Franz und Franz Irsigler. 2. Aufl. Trier 1996 (Trierer Hexenprozesse; 1), S. 469–484. Weiser-Aall, Lily: Art. Schwelle. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hg. von Hanns Bächthold-Stäubli unter Mitwirkung von Eduard Hoffmann-Krayer. 3. Aufl., Bd. 7. Berlin / New York 2000, Sp. 1509–1543. Weiser-Aall, Lily: Art. Tür. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hg. von Hanns Bächthold-Stäubli unter Mitwirkung von Eduard Hoffmann-Krayer. 3. Aufl., Bd. 8. Berlin / New York 2000, Sp. 1185–1209. Weisinger, Kenneth D.: The classical facade. A nonclassical reading of Goethe’s classicism. The Pennsylvania State University. University Park and London 1988. Wellerby, David E.: „Faust“ und die Dialektik der Moderne. In: Eine neue Geschichte der deutschen Literatur. Hg. von David E. Wellerby u. a. Berlin 2007, S. 688–694. Wellnitz, Philippe: Goethes Faust I zwischen Tradition und Modernität. Le premier Faust de Goethe entre tradition et modernité. Strasbourg 2010. Wellnitz, Philippe: Goethes Faust I – eine Tragödie oder ein Stück zwischen Tragödie und Komödie? In: Goethes Faust I zwischen Tradition und Modernität. Le premier Faust de Goethe entre tradition et modernité. Hg. von Philippe Wellnitz. Strasbourg 2010, S. 29–40. Wendriner, Karl Georg (Hg.): Die Faustdichtung vor, neben und nach Goethe. Bd I-IV. Darmstadt 1969. Wiedemann, Conrad: Barocksprache, Systemdenken, Staatsmentalität. Perspektiven der Forschung nach Barners “Barockrhetorik. In: Internationaler Arbeitskreis für deutsche Barockliteratur. Erstes Jahrestreffen in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 27. bis 31. August 1973. 2. Aufl. Hamburg 1976 (Dokumente des Internationalen Arbeitskreises für deutsche Barockliteratur; 1), S. 21–51. Wiedemann, Felix: Rassenmutter und Rebellin. Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus. Würzburg 2007. Williams, John R.: Die Deutung geschichtlicher Epochen im zweiten Teil des „Faust“. In: GoetheJahrbuch 110, 1993, S. 89–103. Williams, John R.: Goethe’s Faust. London u. a. 1987. Wilpert, Gero von: Die 101 wichtigsten Fragen – Goethe. München 2007. Wilpert, Gero von: Goethe-Lexikon. Stuttgart 1998. Wilson, W. Daniel: Das Goethe-Tabu. Protest und Menschenrechte im klassischen Weimar. München 1999. Wilson, W. Daniel: Goethe, His Duke and Infanticide: New Documents and Reflections on a Controversial Execution. In: German Life and Letters, 61:1, 2008, S. 7–32. Wilson, W. Daniel: The ‚Halsgericht‘ for the Execution of Johanna Höhn in Weimar, 28. November 1783. In: German Life and Letters, 61:1, 2008, S. 33–45. Wiltenburg, Joy: Weibliche Kriminalität in popularen Flugschriften 1550–1650. In: Von Huren und Rabenmüttern. Weibliche Kriminalität in der Frühen Neuzeit. Hg. von Otto Ulbricht. Köln / Weimar / Wien 1995.
12.2 Sekundärliteratur, Illustrationen und Nachschlagewerke
505
Wisselinck, Erika: Hexen. Warum wir so wenig von ihrer Geschichte erfahren und was davon auch noch falsch ist. Analyse einer Verdrängung. 3. Aufl. München 1989. Witkowski, Georg: Die Walpurgisnacht im ersten Teile von Goethes Faust. Leipzig 1894. Wittkowski, Wolfgang: Gretchen, Gretchen-Interpretation und neuer Hexenhaß. In: Kritische Fragen an die Tradition. Festschrift für Claus Träger. Hg. von Marion Marquardt u. a. Stuttgart 1997, S. 287–309. Wittkowski, Wolfgang: Hexenjagd auf Goethe. November 1783: Hinrichtung einer Kindsmörderin und ‚Das Göttliche‘. In: Oxford German Studies 31, 2002, S. 63–102. Wittstock, Antje: Melancholie. In: Faust-Handbuch. Konstellationen – Diskurse – Medien. Hg. von Carsten Rohde, Thorsten Valk und Mathias Mayer. Stuttgart 2018, S. 113–120. Wrede, Charlotte: Der ‚deutsche Faust‘ – für immer gestorben? In: Steinbruch deutsche Erinnerungsorte. Annäherung an eine deutsche Gedächtnisgeschichte. Mit einem Vorwort von Hagen Schulze und Etienne François. Hg. von Constanze Carcenac-Lecomte u. a. Frankfurt a. M. u. a. 2000, S. 99–114. Zabka, Thomas: Dialektik des Bösen. Warum es in Goethes ‚Walpurgisnacht‘ keinen Satan gibt. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 72, 1998, S. 201–226. Zabka, Thomas: Vom „deutschen Mythus“ zum „Kriegshilfsdienst“: „Faust“-Aneignungen im nationalsozialistischen Deutschland. In: Faust. Annäherung an einen Mythos. Hg. von Frank Möbus, Friederike Schmidt-Möbus und Gerd Unverfehrt. Göttingen 1995, S. 313–331. Zagolla, Robert: Die Folter: Mythos und Realität eines rechtsgeschichtlichen Phänomens. In: Realität und Mythos. Hexenverfolgung und Rezeptionsgeschichte. Hg. von Katrin Moeller und Burghardt Schmidt. Hamburg 2003, S. 122–149. Zambelli, Paola: White Magic, Black Magic in the European Renaissance. From Ficino, Pico, Della Porta to Trithemius, Agrippa, Bruno. Leiden / Boston 2007 (Studies in Medieval and Reformation Traditions; 125). Zech, Paul: Das Leben des François Villon. In: Die lasterhaften Balladen und Lieder des François Villon. Nachdichtung von Paul Zech. 29. Aufl. München 2012, S. 115–177. Zenz, Emil: Ein Opfer des Hexenwahns. Das Schicksal des Doktor Dietrich Flade aus Trier, Trier 1977. Zierold, Martin: Gesellschaftliche Erinnerung. Eine medienkulturwissenschaftliche Perspektive. Berlin / New York 2006 (Medien und kulturelle Erinnerung; 5). Zimmermann, Rolf Christian: Das Weltbild des jungen Goethe. Studien zur hermetischen Tradition des deutschen 18. Jahrhunderts. Bd. 1: Elemente und Fundamente. 2. Aufl. München 2002. Bd. 2: Interpretation und Dokumentation. München 1979.
Abbildungsverzeichnis Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 4
Abb. 5
Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10
Abb. 11
Abb. 12
Abb. 13
Abb. 14
Abb. 15
Johann Wolfgang Textor / Mauritius Hieronymus de Venne: De corpore delicti in homicidio. Dissertation Universität Altdorf 1672 (Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie, Digital Libraries Connected [DLC], https://hdl. handle.net/21.11141/mpirg_sisis_236942 [Stand: Juni 2023]) 151 Hermann Goehausen: Processus Iuridicus contra sagas & veneficos, Das ist: Rechtlicher Proceß / Wie man gegen Unholdten und Zauberische Personen verfahren soll. Mit Erweglichen Exempeln und wunderbaren Geschichten / welche sich durch Hexerey zugetragen / außführlich erkläret (Universitätsbibliothek Paderborn, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:466:1-64982 [Stand: Juni 2023]) 153 “Trierer Hexentanzplatz”, Erfurt 1593 (Bayerische Staatsbibliothek, Signatur Res/4 Phys.m. 84, https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00008914?page=76,77 [Stand: Juni 2023]) 162 Matthäus Merian d. Ä.: Einblattdruck, Nürnberg 1626 nach einer Radierung von Michael Herr mit dem Titel “Zaubereÿ” (Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg, Universitätsbibliothek, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:29einblattdr-0050-0 [Stand: Juni 2023]) 164 Titelholzschnitt zu Johannes Praetorius: Blockes-Berges Verrichtung, 1669 (Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. https://nbnresolving.org/urn:nbn:de:gbv:32-1-10005693108 [Stand: Juni 2023]) 166 Benedict Carpzov: Practica nova Imperialis Saxonica rerum criminalium, 1652. (Universitätsbibliothek Trier, Foto A.U.) 199 Lithographie von Eugène Delacroix zur Szene Straße, veröffentlicht 1828 (Foto A.U.) 240 German von Bohn: Gretchen am Brunnen, 1843 (in Neubert: Vom Doctor Faustus zu Goethes Faust. Leipzig 1932, S. 178) 246 Ferdinand Fellner: Gretchen und Lieschen am Brunnen, 1835–40 (in Neubert: Vom Doctor Faustus zu Goethes Faust. Leipzig 1932, S. 196) 247 Ary Scheffer, Ölgemälde 1858. Bild: ©The Wallace Collection, London, Inv: P284 (https://wallacelive.wallacecollection.org/eMP/eMuseumPlus?service=ExternalInter face [Stand: Juni 2023]) 248 Wilhelm Kaulbach: Gretchen, um 1859 (Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. https://haab-digital.klassik-stiftung.de/ viewer/image/1182319262/2/LOG_0000/ [Stand: Juni 2023]) 255 Ernst Barlach: Holzschnitt, erschienen in Berlin 1923 mit dem Text der Szene Walpurgisnacht (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Goethe,Barlach,Walpur gisnacht,_Gretchen.jpg [Stand: Juni 2023]) 279 Ernst Barlach: Gefesselte Hexe, 1926. Gertrudenkapelle Güstrow, Barlachsammlung. Foto: Wolfgang Sauber. (https://commons.wikimedia.org/w/ index.php?curid=36031834 [Stand: Juni 2023]) 280 Pascal-Adolphe-Jean Dagnan-Bouveret: Marguerite au sabbat (1911). Musée beauxarts de Cognac, 949.2.1 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pascal_DagnanBouveret_-_Marguerite_au_sabbat.png [Stand: Juni 2023]) 282 Oskar Graf: Radierung, erschienen 1923 (in Henning: Illustrationen, S. 319) 283
https://doi.org/10.1515/9783111311258-013
508
Abbildungsverzeichnis
Abb. 16 Willy Jaeckel, Illustration zur Szene Walpurgisnacht, erschienen in Berlin 1925 (Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. https://nbnresolving.org/urn:nbn:de:gbv:32-1-10000481391 [Stand: Juni 2023]) 284 Abb. 17 Darstellung einer Hexenverbrennung von Johann Jakob Wick, Zürich 1587 (Johann Jakob Wick: Sammlung von Nachrichten zur Zeitgeschichte aus den Jahren 1560–87 (mit älteren Stücken). Bd. 25, fol. 338r. Zentralbibliothek Zürich, Ms F 35 https://doi. org/10.7891/e-manuscripta-17729/ Public Domain Mark, [Stand: Juni 2023]) 285 Abb. 18 Anselm Kiefer: Margarethe, 1981 (Copyright © Anselm Kiefer). Oil, acrylic, emulsion and straw on canvas, 280 × 400 × 15,3 cm. (Provenance: The Doris and Donald Fisher Collection at the San Francisco Museum of Modern Art) 286 Abb. 19 Willy Jaeckel, Illustration zur Szene Kerker, erschienen in Berlin 1925 (Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. https://nbn-resolving. org/urn:nbn:de:gbv:32-1-10000481453 [Stand: Juni 2023]) 289 Abb. 20 Ferdinand Piloty: Gerichtsszene mit der Bildunterschrift: „Du sollst so dünn gefoltert werden, daß die Sonne durch dich scheint!” (in Johannes Scherr: Germania. Zwei Jahrtausende deutschen Lebens. Kulturgeschichtlich geschildert. Stuttgart 1878. Bildtafel zwischen S. 226 und 227) 292 Abb. 21 Alexander Liezen-Mayer: Gretchen im Kerker, um 1880 (in Henning: Illustrationen, S. 383) 293 Abb. 22 Jean Paul Laurens: The Prison, hier die Illustration einer englischen Ausgabe aus dem Jahr 1887 (in: The first part of Goethe’s Faust. From the German by John Anster. With an introduction by Henry Morley. Illustrations by J.-P. Laurens. [The Henry Irving Edition], London / New York 1887, Bildtafel zwischen S. 248 und 249) 294 Abb. 23 Hans Wildermann: Gretchen im Kerker, Holzschnitt 1919 (in Henning: Illustrationen, S. 385) 295 Abb. 24 Lithographie von Eugène Delacroix zur Szene Kerker, veröffentlicht 1828 (Foto A.U.) 296 Abb. 25 Lithographie von Eugène Delacroix zur Szene Walpurgisnacht, veröffentlicht 1828 (Foto A.U.) 297 Abb. 26 Johann Wolfgang Goethe: Beschwörungsszene der Hexen bei Vollmond, Federzeichnung um 1776 / 79 (Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter GoetheMuseum: Sammlung der Zeichnungen & Aquarelle, Inventar Nummer III-02800. https://goethehaus.museum-digital.de/object/39409 [Stand: Juni 2023]) 303 Abb. 27 Richtstätte zu Luzern 1495. Aus der Luzerner Chronik von Diebold Schilling (Separatdruck zur Luzerner Chronik, Ciba-Geigy 1/1973. https://commons.wikime dia.org/wiki/File:Richtplatz_Luzern.jpg [Stand: Juni 2023]) 339 Abb. 28 Michael Herr: Ideenskizze zum Flugblatt „Zaubereÿ” (Sacramento, E.B. Crocker Art Gallery, in Riether: Michael Herr, Matthäus Merian und Rudolf Meyer, S. 39) 341 Abb. 29 Zeichnung von Johann Heinrich Ramberg, 1826 (Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum [CC BY-NC-SA]. https://hessen.museum-digital.de/ob ject/2465 [Stand: Juni 2023]) 343 Abb. 30 Lithographie von Eugène Delacroix zur Szene Nacht, offen Feld, veröffentlicht 1828 (Foto A.U.) 344 Abb. 31 Zeichnung von Gustav Schlick: Nacht, offen Feld, Mitte des 19. Jh. (in Henning: Illustrationen, S. 353) 345
Abbildungsverzeichnis
Abb. 32 Moritz Retzsch: Umrisse zu Goethe’s Faust, Tafel 24; veröffentlicht Stuttgart und Tübingen 1816 (Universitätsbibliothek Heidelberg / Heidelberger historische Bestände – digital. https://doi.org/10.11588/diglit.7591#0040 [Stand: Juni 2023]) 346 Abb. 33 Peter Cornelius: Kupferstich zur Szene Nacht, offen Feld (Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum, https://hessen.museum-digital.de/object/ 2867 [Stand: Juni 2023]) 347 Abb. 34 Auszug aus einem Bilderbogen von Paul Konewka zum Osterspaziergang, 1865 (12 Blätter zu Goethe’s Faust nach Silhouetten von Paul Konewka. Neue Ausgabe, zweite Auflage mit der Sonderbeilage “Osterspaziergang”. Stuttgart, Anfang des 20. Jahrhunderts, Foto A. U.) 350 Abb. 35 Johann Heinrich Ramberg: Osterspaziergang, um 1829 (Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de: gbv:32-1-10016302488 [Stand: Juni 2023]) 352 Abb. 36 Imagination des Axtmelkens bei Johannes Geiler von Kaysersberg: Die Emeis. Straßburg 1516 (Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier, Signatur XY 458 4’, Seite LIIII, Foto A. U.) 365 Abb. 37 Milchdiebstahl, Wandmalerei im nördlichen Portalbogen der Kirche “Unsere Liebe Frau” in Eppingen, frühes 16. Jahrhundert. Foto: Peter Schmelzle. https://commons. wikimedia.org/wiki/File:Eppingen-kathprkrch-milchhexe.jpg#/media/File:Eppingenkathprkrch-milchhexe.jpg [Stand: Juni 2023]) 366 Abb. 38 Moritz Retzsch: Umrisse zu Goethe’s Faust, Tafel 05; veröffentlicht Stuttgart und Tübingen 1816 (Universitätsbibliothek Heidelberg / Heidelberger historische Bestände – digital. https://doi.org/10.11588/diglit.7591#0021 [Stand: Juni 2023]) 367 Abb. 39 Lithographie von Eugène Delacroix zur Szene Auerbachs Keller, veröffentlicht 1828 (Foto A.U.) 368 Abb. 40 Camilla Horn als Gretchen auf dem Scheiterhaufen. Szene aus dem Film: „Faust. Eine deutsche Volkssage” von Friedrich Wilhelm Murnau (Screenshot youtube https://www.youtube.com/watch?v=dByxZNDgcLQ [Stand: Mai 2023]) 404
509
Namensregister Aufgrund zu vieler Nennungen sind folgende Namen im Register ausgelassen: Goethe, Faust, Gretchen, Mephistopheles. Auch auf manche nur am Rande erwähnte Namen wurde im Register verzichtet. Namen in den Fußnoten sind ebenfalls ausgelassen, wenn die Autorinnen und Autoren nicht im beschreibenden Text genannt werden. Adam, Wolfgang 98, 309 Adamowsky, Natascha 327 Adorno, Theodor W. 285, 437 Agrippa von Nettesheim 33–34, 44, 125, 135–136, 138–139, 165, 189–190, 192, 211, 434, 451 Ahrendt-Schulte, Ingrid 298, 353, 357, 371 Alewyn, Richard 286 Alt, Peter-André 99 Alten 363 Altmayer 361–362, 366 Aly, Wolfgang 334 Anderegg, Johannes 80, 85–86, 381–382 Andreas, Apostel 351 Anglet, Andreas 423, 429 Arens, Hans 24, 29, 105, 123–124, 182, 218, 239, 259, 274, 278, 304, 307, 310, 312, 316–317, 320, 323–324, 334–336, 360, 363, 368, 376–377, 379, 383–386, 389, 393 Ariel 81 Arnold, Gottfried 184, 351 Assmann, Aleida 51–52, 114 Assmann, Jan 150, 437 Atkins, Stuart 231, 234, 341–342 Bach, Rudolf 385 Bärbelchen 247, 354 Barlach, Ernst 278–281, 507 Baron, Frank 9, 43–44, 64, 102, 115, 117, 121, 126–128, 130–131, 136–137, 144, 163, 213 Bartscherer, Agnes 31–32, 97, 123, 136–137, 179, 218, 323, 351–352 Baßler, Moritz 11, 68–69, 75–77, 131 Baubo 317, 320 Baucis 393–394, 425 Bauer, Dieter R. 40 Bauer, Gerhard 115, 125, 138, 365 Bayern-München, Ernst von, Herzog 448 Bayle, Pierre 101, 160, 193 https://doi.org/10.1515/9783111311258-014
Bechstein, Ludwig 1, 43, 116–117, 440 Beck, Rainer 217 Becker-Cantarino, Barbara 22–23, 299, 312, 356 Beetz, Manfred 14, 33–34, 97–98, 211 Behr, Peter 157, 159 Behringer, Wolfgang 1, 3–4, 5, 20, 36–37, 39–40, 46, 59, 76, 93–96, 101, 106–107, 116, 120, 129, 133–134, 138, 146, 149–150, 155–156, 159–160, 163, 171, 176, 187, 189–190, 196, 207, 221, 223–224, 270, 287, 291, 319, 330, 388, 390, 401, 407–408, 419, 421, 424, 427–428, 432, 435, 441–442 Bekker, Balthasar 33–34, 125, 179, 181, 195–196 Benjamin, Walter 1, 436 Bergengruen, Maximilian 44, 196, 324–325 Berger, Ruth 170, 265 Berghahn, Klaus 14 Berlichingen, Götz von 84–85, 239, 348, 417–418, 445 Berlioz, Hector 398 Bernauer, Agnes 86, 445–450 Bernauer, Caspar 447 Bernhardt, Rüdiger 112 Besenbruch, Walter 430 Beutler, Ernst 142, 169–170, 225, 233, 265–266, 360, 376 Bielschowsky, Albert 39, 210, 333, 336, 347–348, 356, 376, 422 Binder, Alwin 98, 103, 123, 146, 196, 213, 313, 319, 323–324, 330, 333–334 Binsfeld, Peter 135, 138, 160, 219, 395 Binswanger, Hans Christoph 381 Birkner, Siegfried 49, 170, 250, 265–266, 391–392 Birus, Hendrik 92, 239, 415 Blondeau, Denise 98, 299, 314 Bluhm, Lothar 250–251 Böckl, Manfred 450 Bode, Heinrich von 193
512
Namensregister
Bodin, Jean 136, 139, 174, 179–180, 182, 185, 188, 192–193 Boerhave, Hermann 192 Bogdal, Klaus-Michael 350 Bohm, Arnd 275, 288, 303, 359 Böhme; Gernot 32, 72, 83, 232–233, 235, 379, 382 Bohn, German von 245 Bohnenkamp, Anne 8, 18, 26, 65, 148, 173, 198, 201–202, 242, 265, 316, 327, 333, 335, 409, 415, 420, 422, 451 Boisserée, Sulpiz 414 Boito, Arrigo 398 Bolte, Johannes 302 Bomski, Franziska 426 Borchmeyer, Dieter 59–60, 81–82, 85, 306, 334, 382, 414–415 Bovenschen, Sivia 325–326, 436 Boyle, Nicholas 124, 147, 314 Bozza, Maik 404 Bracht, Wilhelm 155 Brander 359–362, 366 Brandt, Susanna Margaretha 49, 58, 112, 169–170, 192, 249–250, 264–266, 271, 274, 371, 391 Braunschweig-Wolfenbüttel, Heinrich Julius, Herzog von 118–119 Brecht, Bertolt 430 Breuer, Dieter 59, 61, 334 Brion, Friederike 49 Brjussow, Walerij 39, 165, 450–454 Brown, Jane K. 32, 418, 422 Bruno, Giordano 33 Bub, Stefan 60, 275 Buchholz, Werner 431–432 Büchner, Georg 428 Buchwald, Reinhard 225–226, 333 Buck, Elmar 349 Bude, Heinz 457–458 Bulling, Karl 147, 178 Bunge, Hans 421, 430–431 Burckhardt, Jacob 414 Bürger, Gottfried August 263 Burkhardt, Margit-Ute 43 Burr, George Lincoln 64, 128, 130–132 Büttner, Frank 344, 415
Cagliostro, Alexander Graf von (Guiseppe Balsamo) 136–137 Carcenac-Lecomte, Constanze 52 Carpzov, Benedict 2, 36–37, 38, 125, 133, 145, 147–148, 150, 160, 169, 172–174, 180, 182, 191, 198–206, 216–218, 222–223, 227, 232, 242–243, 267, 276, 287, 311–313, 320–321, 324, 350–351, 353, 373, 507 Cassirer, Ernst 11, 85–86, 461 Catharina 356, 443 Celan, Paul 284–285, 426 Chmielewski-Hagius, Anita 350, 354, 394 Clair, René 239, 400 Clark, Stuart 192 Clemens Wenzeslaus. Siehe Sachsen 395 Cohn, Norman 298 Cornelius, Peter 92, 344, 347, 415, 509 Cothmann, Hermann 154 Cothmann, Katharina, geb. Goehausen 153–154 Cotta, Friedrich Wilhelm von 17, 28, 92, 208, 310, 333, 382, 384 Dabezies, André 25, 119, 435 Dagnan-Bouveret, Pascal-AdolpheJean 281–282, 507 Daxelmüller, Christoph 118, 138, 224 Decker, Rainer 152, 154, 173, 325 Deckherr, Johann 128 Del Rio, Martin 30, 35, 125, 133–134, 139, 160, 174, 180, 185, 188, 263, 304–305, 318 Del Vaulx, Jean 132 Delacroix, Eugène 91–92, 239–240, 294–298, 342, 344, 365–366, 368, 415, 507–509 Della Porta, Giovan Battista 33, 187–188 Delvaux, Peter 29, 306, 333 Dengler, Max 449–450 Dennert, Friedrich 123–124, 323 Detering, Heinrich 46, 307–308, 320, 336–337 Dillinger, Johannes 161 Doig, Jacqueline 215 Dülmen, Richard van 109–112, 253, 257, 266, 269, 271, 273, 288, 290, 371 Düntzer, Heinrich 29, 123, 225, 252, 259, 304, 309, 316, 323, 333, 360, 382 Durrani, Osman 57, 176, 277, 337
Namensregister
Eckermann, Johann Peter 71, 297–298, 334, 342, 388, 413–415 Eerden, P.C. van der 35, 160 Eggensperger, Klaus 35, 97, 176 Ehrlich, Lothar 421–422, 429 Eickmeyer, Jost 31 Eiden, Herbert 40, 46, 175, 190, 277 Eiserhardt, Ewald 239 Eisler, Hanns 120, 421, 430–431, 434–435 Elit, Stefan 429 Emrich, Wilhelm 67, 80, 83 Engasser, Quirin 422 Engel, Eduard 142 Engelbrecht, Kurt 424, 426 Eppelsheimer, Rudolf 326 Erll, Astrid 7, 13, 51–52, 63, 70, 80, 82, 306, 406, 423, 459 Essen, Gesa von 377, 426 Evchen 234, 251, 300, 410, 454–455 Evers, Thies 339–340 Ewers, Hanns Heinz 239 Fähnrich, Hermann 90, 232 Fairley, Barker 314 Falk, Johannes 317, 328, 408, 414 Fellner, Ferdinand 245–247, 507 Fiedler, Niclas 157, 159 Figes, Orlando 456–457 Flade, Dietrich 64, 121, 128–135, 157–159, 162–163, 168, 213, 222, 230 Fontane, Theodor 117, 441 Foucault, Michel 86 Fraikin, Jean 129, 132–133, 374 Francisci, Erasmus 179, 182–183, 191, 238, 275–276 François, Etienne 52–53 Frankenberger, Julius 329, 337, 390 Franz, Gunther 40, 134, 157, 167–168, 374, 395 Frede, Lothar 88, 252, 274 Freytag, Nils 93–94, 185 Friedenthal, Richard 118–119, 170, 209, 326, 335 Friedrich, Theodor 29 Friedrich Wilhelm I. Siehe Hohenzollern 96 Fritsch, Jacob Friedrich von 271 Frosch 367 Fuchs, Albert 304, 321 Fuchs, Bengt 135, 140–142
513
Fuge, Boris 159, 353 Füssel, Ronald 204, 325, 431–432 Füssel, Stephan 37, 64, 117, 121, 127–128, 135–136, 140, 143, 165, 211, 224, 364 Füssli, Johann Heinrich 124 Gaier, Ulrich 3, 16, 27–29, 64, 71, 97, 123, 136, 164, 196, 209, 211, 225, 238, 252, 257, 261, 273, 276–278, 312–313, 315, 317, 319, 321, 323–324, 336, 379, 382, 386 Gallone, Carmine 401 Gantenbein, Urs Leo 32 Gatenbröcker, Silke 163–164, 340 Geiler von Kaysersberg, Johannes 115, 138, 185, 301, 364–365, 509 Geisenhanslüke, Achim 12, 17, 53, 55, 66–67 Geissler, Volker 50, 456 Gelfert, Hans-Dieter 419, 427 Gerhard, Ute 49 Gerlach, Hildegard 34 Gersmann, Gudrun 40, 136, 138, 180, 446 Geyer, Horst 300, 302 Giesen, Sebastian 91 Ginzburg, Carlo 79, 327, 348–349 Girard, René 119, 187, 215, 229, 439, 456 Glaser, Hermann 222, 425–426, 445–446 Göchhausen, Luise von 38, 65, 152, 154 Gödelmann, Johann Georg 125, 193–194 Goehausen, Hermann 152–153, 507 Goehausen, Johann Georg 152 Goetzinger, Germaine 233–234 Göldi, Anna 107, 146, 264 Goldschmidt, Peter 179, 181 Gottfried, Johann Ludwig 163 Götting, Franz 147, 169–170, 178, 180, 184, 190, 192–193 Gottsched, Johann Christoph 99, 101 Gounod, Charles 232, 370, 398, 400 Gräf, Hans Gerhard 71, 92, 317, 388, 415 Graf, Oskar 281, 283, 507 Grandier, Urbain 442–443 Greenblatt, Stephen 68–70, 75–78, 90, 314 Grimm, Herman 423–424 Grimm, Jacob 156 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von 27, 114, 124, 250, 341 Grosse, Henning 140, 179, 183
514
Namensregister
Groth, Angelika 99, 428 Grützmacher, Richard 424–427 Gryphius, Andreas 114, 250 Guazzo, Francesco Maria 184 Gumbrecht, Hans Ulrich 71–72, 208, 420 Günther, Vincent J. 76 Habermas, Rebekka 49, 112, 170, 249–250 Habsburg, Joseph II. von, Kaiser 369 Habsburg, Karl V. von, Kaiser 127, 190, 235, 355, 367–368, 378 Habsburg, Maria Theresia von, Kaiserin 96 Habsburg, Maximilian I. von, Kaiser 129, 378, 386 Habsburg, Philipp II. von, König von Spanien 174 Halbwachs, Maurice 52, 396 Hamacher, Werner 226, 381–382 Hamlin, Cyrus 24, 422 Hamm, Heinz 258, 321 Hansen, Volkmar 61 Harms, Wolfgang 115 Harnischfeger, Johannes 388 Hartlieb, Johannes 388 Hartrath; Heike 44–45, 423 Haß, Ulrike 356, 375 Hauptmann, Gerhart 47, 234, 402, 405 Häuser, Helmut 148 Hebbel, Friedrich 47, 86, 445–448 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 24, 107–108 Hein, Nikolaus 155, 157 Heine, Heinrich 120, 213–214, 330–331, 422 Heinsohn, Gunnar 20 Helena 131, 230–231 Henke, Silke 65 Henning, Hans 11, 14, 83, 120–121, 136, 140, 283, 293, 295, 345, 389, 507–508 Herborn, Wolfgang 80 Herder, Johann Gottfried von 3, 84, 100 Herr, Michael 161, 163–165, 186, 304, 313, 315, 340–341, 507–508 Herzog Ernst, Herzog von BayernMünchen 445–447 Herzog Karl August. Siehe Sachsen-WeimarEisenach 87 Heyde, Karin 357 Himmler, Heinrich 46, 426
Hitler, Adolf 425 Höffgen, Thomas 20–21, 61, 123, 194, 324 Hohenheim, Theophrastus Bombast von. Siehe Paracelsus 218 Hohenzollern, Friedrich Wilhelm I. von, König von Preußen 96 Hohlfeld, Alexander 203 Höhn, Johanna Catharina 87–89, 173, 252, 271, 423 Holl, Ute 403 Hölter, Achim 108, 444–445 Hölty, Ludwig Christoph Heinrich 440 Hommen, Tanja 49 Honold, Alexander 314, 326 Hontheim Johann Nikolaus von 134 Höppner, Stefan 147, 178, 189, 429 Horn, Camilla 403–404, 509 Horst, Georg Conrad 185 Huber, Martin 73 Hucke, Karl Heinrich 28, 58, 98, 143, 145, 429 Hufeland, Christoph Wilhelm 136, 214–215, 382 Hull, Isabel V. 249, 269 Humboldt, Wilhelm von 84 Huxley, Aldous 440, 442–443 Immer, Nikolas 191 Innozenz VIII., Papst 309 Irsigler, Franz 9, 38, 40, 49–50, 60, 75, 78–79, 119, 137, 142, 149, 187, 215, 245, 254, 256, 264, 266–267, 270, 313, 330, 340, 350, 353–354, 380, 387–388, 390, 393, 395, 401, 416, 438–439, 442, 458 Jaeckel, Willy 281, 284, 288–289, 508 Jaeger, Michael 74, 122–123, 382, 385, 393 Jannidis, Fotis 65, 381–382 Jantz, Harold 29, 136, 348 Janz, Rolf-Peter 35, 333–334 Jasper, Willi 125–126 Jerouschek, Günter 1, 37, 87, 176, 267, 319 Johannes XXII., Papst 29 Joseph II. Siehe Habsburg 369 Kaiser, Hartmut M. 61, 400 Kant, Immanuel 94–95, 159 Karl V. Siehe Habsburg 127 Kastner, Klaus 49, 87, 110, 170
Namensregister
Kaulbach, Wilhelm 254–255, 507 Kayser, Wolfgang 309 Keller, Claudia 284 Keller, Jost 35–36, 97, 176 Keller, Peter 373 Keller, Werner 29, 65, 83, 97, 136, 308–309 Kemper, Hans-Georg 224, 263 Kepler, Johannes 33, 223 Keppler-Tasaki, Stefan 396, 402–404 Keudell, Elise von 133, 140, 147–148, 178, 180–181, 183, 185, 188, 193–195 Kiefer, Anselm 283, 285–286, 426, 508 Kiefer, Klaus H. 31, 99, 137 Kiesewetter, Carl 121 Kilian, Heinke 43 Kinzler, Sonja 44 Kippel, Markus 1, 42, 55, 116, 440–441 Klaj, Joachim 163 Kluge, Ingeborg 99 Kmec, Sonja 82, 155, 215 Knabe Lenker 380–381 Knebel, Karl Ludwig von 26 Knopper, Françoise 123, 176, 310 Kogishi, Akira 58 Konewka, Paul 349–350, 509 Könneker, Barbara 145 Koopmann, Helmut 95 Kord, Susanne 3, 48, 88, 107, 251, 274 Köster, Maren 430 Kracauer, Siegfried 405 Kramer, Heinrich 37, 78, 176, 224, 229, 235, 239, 241, 244, 260, 262, 275, 277, 291, 299, 307, 311–312, 319, 363–364, 391, 394 Kratzmann, Ernst 427 Krause, Thomas 290 Kretzenbacher, Leopold 117, 144 Kreutzer, Hans Joachim 37, 120–121, 127, 135–136, 140, 143, 165, 211, 224, 364 Krüger, Eva 92, 343 Kühlmann, Wilhelm 27, 42, 114–115, 341 Kuper, Michael 136, 138 Kyser, Hans 405 Labouvie, Eva 112, 138, 269, 271, 300, 305, 350, 374 Lamezan, Ferdinand Adrian von 46, 110 Lancre, Pierre de 184, 323
515
Lange, Thomas 431 Lange, Victor 74, 227 Lange-Fuchs, Hauke 396–400, 405 Laube, Heinrich 117, 416 Lauer, Gerhard 73 Laufner, Richard 129, 157 Laurens, Jean Paul 292, 294, 508 Lavater, Ludwig 124, 192–193 Lehmann, Hartmut 41 Léméry, Nicolas 192 Lercheimer, Augustin. Siehe Witekind, Hermann 126 Lessing, Gotthold Ephraim 120, 146 Leszczyńska, Katarzyna 46, 426 Leyen, Carl Caspar von der 96, 159 Liebrand, Claudia 420 Lieschen 245, 247, 251, 354, 507 Liezen-Mayer, Alexander 291, 293, 508 Lilith 22, 317, 321, 373 Linden, Johann 158, 375 Löher, Hermann 115 Lohmeyer, Dorothea 378, 380–382, 385 Loos, Cornelius 30, 35, 133, 155, 160 Lorenz, Sönke 40, 46, 146, 194, 272, 287, 355–356, 368, 426 Lorey, Elmar M. 137–138, 217 Lovett, Dustin 215 Löwen, Johann Friedrich 123–124 Ludwig XIV., König von Frankreich 96 Luhmann, Niklas 409, 435–436, 457 Lukács, Georg 113, 231–232, 346–348, 370 Luserke, Matthias 111, 170, 250 Luther, Martin 84, 124, 136–137, 229 Lützeler, Paul Michael 430 Mabee, Barbara 20, 46 Macha, Jürgen 80 Mahal, Günther 125–126, 135, 137, 139–140, 144, 260, 389, 426 Maisak, Petra 34, 122, 191–192, 266, 303 Mandelkow, Karl Robert 57–58, 423–425 Manlius, Johannes 137, 140 Mann, Thomas 86–87, 105, 120, 408, 414–415, 418, 427, 454–455, 461 Marache, Maurice 252 Marcuse, Herbert 434 Margue, Michel 82
516
Namensregister
Maria Schweidler 117, 217, 228, 237, 355–356, 384, 441 Maria Theresia. Siehe Habsburg 369 Marlowe, Christopher 97, 101–102, 236, 263, 419, 451 Marthe 9, 205, 229, 244, 355–358, 361, 374, 454, 456 Martin, Dieter 7, 136 Masen, Jakob 131 Mattenklott, Gert 53, 120, 381, 389 Matussek, Peter 8–9, 66, 68, 95, 237, 300, 327, 415–417, 420–421, 423, 460 Maximilian I. Siehe Habsburg 378 Mayer, Mathias 25 Mecke, Jochen 406, 436 Medea 61, 299, 317, 410 Medusa 275–276, 317 Meier, Andreas 91, 171, 430–431, 434 Mein, Georg 17, 219, 309–310, 380 Meinhold, Wilhelm 217, 228, 236–237, 254, 354–356, 384, 441 Melanchthon, Philipp 124, 137, 140 Merian, Matthäus d. Ä. 163, 313, 340–341, 508 Metz-Becker, Marita 170, 256–257, 269 Meyfart, Johann Matthäus 179, 194 Michalik, Kerstin 47, 249, 257–258, 268–269, 288 Michelet, Jules 161, 197, 325, 338 Michelsen, Peter 4, 61–62, 333, 380, 382–383 Middell, Eike 121 Midelfort, Erik 20, 149, 267 Miller, Arthur 458 Milton, John 17 Moeller, Katrin 40, 43, 45, 136, 138, 180, 193, 372 Möhring, Heinrich 152 Molitor, Ulrich 122 Montrose, Louis 68, 74–75 Morgner, Irmtraud 45, 332, 436 Morris, Max 17, 104, 163–164, 186, 242, 314–315, 319, 335, 388–389, 411 Moskop, Gregorius 168 Müller, Christoph 59–60, 305–306, 411 Müller, Daniela 325 Müller, Georg 172, 388, 391 Müller, Jan-Dirk 44, 120 Müller, Maria E. 43, 102, 138 Müller, Michael Franz Joseph 158, 395
Müller-Bergström, Walther 264 Müller-Dietz, Heiner 88 Münkler, Marina 44, 121, 130, 141, 364 Münster-Schröer, Erika 437 Murnau, Friedrich Wilhelm 218–219, 281, 398, 400–405, 509 Musiel, Claudius 134, 169 Negromant von Norcia 388, 389 Neller, Georg Christoph 134 Nettesheim, Agrippa von. Siehe Agrippa von Nettesheim 33 Neubauer, Wolfgang 206, 241 Neubert, Franz 36, 42, 77, 91, 246–247, 297, 421, 507 Neubuhr, Elfriede 86 Neumann, Almut 117 Neumann, Johann Georg 185–186 Neumeyer, Harald 48, 300, 375, 446–447 Nicolai, Christoph Friedrich 103 Nider, Johannes 394 Niebuhr, Barthold Georg 84 Nora, Pierre 52, 82, 460 Nowosadtko, Jutta 341, 384 Nünning, Ansgar 51, 459 Oergel, Maike 59 Oeser, Friederike 102 Oesterhelt, Anja 426 Orff, Carl 448–450 Ott, Michael R. 44, 69 Padrutt, Ursula 146 Paracelsus (Theophrastus Bombast von Hohenheim) 31–32, 33, 44, 97, 123, 136–139, 179, 189, 192, 211, 218, 323, 352, 403 Pausch, Holger A. 215 Perseus 275–276 Peters, Kirsten 47 Petsch, Robert 17, 121–122, 206–207, 252–253, 322 Petz, Wolfgang 106–107, 146, 416 Petzsch, Hans 136, 214–215, 382 Peuckert, Will-Erich 136 Pfitzer, Johann Nikolaus 44, 127, 147, 183, 191 Philemon 393–394, 425
Namensregister
Philipp II. Siehe Habsburg 174 Piloty, Ferdinand 291 Pilz, Georg 47, 209 Polívka, Georg 302 Port, Ulrich 230, 314 Pott, Martin 94, 106, 173, 195, 221 Praetorius, Anton 125 Praetorius, Johannes 101, 165–166, 179, 181, 186, 198, 241–242, 244, 316, 324, 331, 507 Priesner, Claus 32, 34–35, 136, 144, 189–190 Primbs, Stefan 332 Prodolliet, Ernest 370, 396, 401, 403 Prokofjew, Sergej 451 Prokop, Ulrike 47 Raabe, Wilhelm 117, 441 Radler, Rüdiger 226, 254, 377 Ramberg, Johann Heinrich 342–343, 351–352, 508–509 Rameckers, Jan Matthias 47, 411 Reed, Terence James 170, 232, 401 Reemtsma, Jan Philipp 288, 412 Reiche, Johann 41 Reinhardt, Hartmut 14, 80, 99, 104, 149, 171, 239, 334, 379, 390, 429 Reiss, Hanns 56, 61–62 Reiterer, Joana Adesuwa 441 Rémy, Nicolas 124–125, 165, 174, 179–181, 183, 193, 237 Renftle, Rudolf 302, 305 Requadt, Paul 24, 29, 32, 63, 85, 226, 300, 317, 321, 324, 336, 373–374, 379, 415, 427 Reschenkel, Johannes 129 Resenhöfft, Wilhelm 20, 304, 351, 373 Retzsch, Moritz 92, 342–343, 346, 365, 367, 509 Reuland, Hans 159 Rickert, Heinrich 29, 215, 221, 226–227, 259, 321, 334, 337 Riehl, Wilhelm Heinrich 117, 440 Riemer, Friedrich Wilhelm 11, 189 Riether, Achim 163, 341, 508 Robisheaux, Thomas 150, 173 Rohde, Carsten 20, 25, 46, 91, 320 Rölleke, Heinz 250, 362 Roper, Lyndal 6, 41–42, 105, 175, 184, 216, 222, 227–231, 236–238, 264, 301, 305, 323, 348, 354–355, 357, 372, 456
517
Rost, Alexander 21, 64, 123, 132, 196, 324, 359 Roth, Denise 31 Rott, Hanns 53 Rudolph, Andrea 45, 280, 407 Rummel, Walter 1, 40, 129, 156, 160–161, 175, 184, 256, 270, 272, 278, 281, 311, 323, 330, 374–375, 387, 395, 432–433 Runge, Ferdinand 186 Sachsen, Clemens Wenzeslaus von, Kurfürst 298, 395 Sachsen-Weimar-Eisenach, Herzog Carl August 87–88, 100 Safranski, Rüdiger 81, 104, 382 Sagarra, Eda 104, 421–422 Salomon, Richard G. 369 Saltzman, Lisa 285 Saur, Abraham 186–187, 386 Schade, Sigrid 290–291 Schäfer, Werner 446–447 Schanze, Helmut 13, 53, 57–58, 80, 408, 412, 414, 459 Schauz, Volkmar 245, 247 Schebera, Jürgen 430 Scheffer, Ary 246–248, 507 Scheffler, Jürgen 45, 407 Scheibe, Siegfried 178–179, 182, 314, 319 Scheithauer, Lothar J. 29, 149, 239 Schelhorn, Johann Georg 140, 185 Scheltema, Jacobus 189 Schild, Wolfgang 106, 210–211, 215, 316, 318, 320 Schiller, Friedrich von 85, 100, 111, 134, 174, 182, 234, 336, 412–413, 415 Schilling, Diebold 339, 508 Schilling, Michael 115 Schings, Hans-Jürgen 36, 220–221, 226–227 Schlaffer, Heinz 381 Schlick, Gustav 342, 344–345, 508 Schlözer, August Ludwig 107, 146 Schmidt, Burghart 1, 5, 39, 43, 45, 55, 114, 116–117, 302, 380, 440 Schmidt, Constantius 168 Schmidt, Erich 17, 198, 206, 273, 333, 348, 382, 384 Schmidt, Jochen 16, 19, 29–30, 57, 61, 66, 120, 136, 220–221, 257, 263, 273, 288, 309, 315, 317, 323, 329–330, 369, 378, 381–382, 421
518
Namensregister
Schmidt, Jürgen Michael 40 Schmidt, Jutta 310 Schmidt, Michael 21–22, 103, 176–177, 252, 263, 301, 321, 377 Schmieg, Anna Elisabeth 150, 173 Schnauß, Christian Friedrich 173 Schneider, Hans Ernst (Hans Schwerte) 437 Schneider, Peter Joseph 186 Schnitzler, Sonja 300 Scholer, Othon 135, 138–139, 194, 232–233, 260 Scholz, Rüdiger 16, 24–25, 57–58, 87, 89, 111, 113, 406–407, 425 Scholz Williams, Gerhild 44, 121, 127, 174, 184, 212 Schöne, Albrecht 3–4, 8, 16–18, 21–22, 24, 26–29, 35, 56–62, 65, 81, 88–89, 103, 109, 123, 164–165, 179–181, 184, 201–202, 209, 215, 225, 230, 242, 271, 273, 275–277, 288, 303–304, 311, 314–315, 317–323, 327–330, 333–338, 369, 377, 381, 390, 393, 421, 423 Schönenburg, Johann VII. von 157 Schönhuth, Michael 4, 442 Schormann, Gerhard 20, 118 Schößler, Franziska 51–52, 54, 68–71, 74, 77–78, 220, 381 Schott, Georg 425, 427 Schreiber, Nicolaus 131 Schröder, Jürgen 86 Schubert, Ernst 244, 274, 287, 290 Schulte, Regina 234–235, 249, 268, 373 Schulte, Rolf 5, 212, 298 Schulz, Monika 5 Schulze, Hagen 52–53 Schwägelin, Anna Maria 106 Schwarz, Alexander 212 Schweistal, Johann 159 Schwerhoff, Gerd 272 Schwering, Julius 64, 127–128 Schwerte, Hans (Hans Ernst Schneider) 437 Scot, Reginald 185 Scott, Walter 185 Seifert, Siegfried 19, 396 Siebel 238, 358–359, 362, 366, 367, 368 Sigfrid, Thomas 161–163 Simplicissimus 124 Simrock, Karl 191, 389
Spee von Langenfeld, Friedrich 41, 108, 115, 152, 156, 163, 185, 275, 296, 416–417, 419 Spieß, Johann 7, 120, 143, 145, 451 Stadel, Stefanie 281 Staiger, Emil 67–68, 103, 315, 327, 336 Stalin, Josef 456–457 Stapfer, Albert 92, 292, 298 Steiger, Otto 20 Stein, Charlotte von 149 Stolt, Birgit 229, 236, 259 Storm, Theodor 117, 441 Störmer-Caysa, Uta 307 Streckfuß, Adolph Friedrich Carl von 418 Strehlke, Friedrich 277 Summers, Montague 25 Suphan, Bernhard 252 Tanner, Adam 160 Textor, Johann Wolfgang d. Ä. 38, 150–152, 173, 265, 507 Thomasius, Christian 108, 115, 134, 147, 160, 172–174, 181, 193, 195–196 Thurston, Robert 455–456, 458 Tidick-Ulveling, Marie-Louise 165, 277, 458 Tieck, Ludwig 108, 117, 355–356, 375–376, 387, 440, 443–444 Tille, Alexander 7, 125–126, 140–141 Trendelenburg, Adolf 27, 29, 123, 164, 303, 315, 335 Trier, Lars von 398–399 Trithemius, Johannes 32, 44, 125–126, 136–137, 141, 185, 386 Trödelhexe 165, 184, 187, 322–323 Trunz, Erich 176, 215, 225, 337 Tuczay, Christa 445–446 Uhrmacher, Anne 9, 17, 130 Uhrmacher, Martin 439 Ulbricht, Otto 9, 41, 46, 48, 109–110, 112, 195, 245, 252–254, 257–258, 267, 269–272, 274, 298, 371 Ulbricht, Walter 429–430, 434 Vaget, Hans Rudolf 35, 176 Valentin 9, 66, 78, 113, 205, 229, 252–254, 259, 270, 323, 357, 361, 370–378, 457 Valentin, Veit 18
Namensregister
Valk, Thorsten 14, 25, 218–221 Venne, Mauritius Hieronymus de 150–151, 507 Viering, Aneka 57, 95, 97, 173 Villon, François 340 Vogl, Joseph 12, 53–54, 154 Voigt, Christian Gottlob 110 Volkmann, Laurenz 69–70 Voltmer, Rita 1, 40, 50, 75, 115, 130–131, 133–134, 141–142, 149, 155, 159–161, 163, 167–169, 175, 184, 230, 272, 278, 281, 311, 323, 330, 353, 371, 373–374, 387, 416 Vorderstemann, Karin 102 Vulpius, Christian August 102–103 Wachsmuth, Andreas B. 32 Wächtershäuser, Wilhelm 87, 110, 251 Wagner 83, 224, 392–393, 454 Wagner, Heinrich Leopold 47, 110–111, 113, 209, 234, 251, 300, 410–411, 454–455 Wahl, Volker 87–88, 100, 110, 271 Walz, Rainer 41, 254, 354, 372 Weber, Beat 47, 234 Wehling, Peter 12, 53 Weigand, Hermann J. 203 Weinrich, Harald 80, 83 Weinsberg, Hermann von 139, 353 Weisinger, Kenneth D. 60, 269, 334 Weislingen, Adelbert von 417–418 Weislingen, Adelhaid von 417–418 Welling, Georg von 189–190 Wendriner, Karl Georg 121 Werther 220, 418 Werveke, Nicolas van 38 Weyer, Johann 41, 115, 125–127, 133, 188, 301, 451 Wick, Johann Jakob 285, 508
519
Widmann, Georg Rudolf 43–44, 127, 147–148, 183–184, 191 Wiedemann, Conrad 114 Wiedemann, Felix 1, 6, 20, 45, 55, 108, 325, 436 Wieland, Christoph Martin 100, 250 Wildermann, Hans 293, 295, 508 Williams, John R. 307, 360, 378, 410 Wilpert, Gero von 307 Wilson, W. Daniel 48, 87–89, 100–101, 109, 170–171, 423 Wiltenburg, Joy 264 Wisselinck, Erika 436 Witekind, Hermann (Augustin Lercheimer) 44, 77, 125–127, 136, 138, 140, 195, 221–222, 369 Witkowski, Georg 17–18, 123, 163–165, 172, 177–181, 188, 194, 196, 201, 225, 275, 314–315, 323, 335, 363 Wittkowski, Wolfgang 23–24, 60, 89–90, 252, 306 Wittmann, Willibrord 168 Wittstock, Antje 36 Wyttenbach, Johann Hugo 38, 156–159, 167, 416–417 Zabka, Thomas 262, 333, 421–422, 425–426 Zambelli, Paola 137, 188 Zedler, Johann Heinrich 93–94, 160, 374 Zeihen, Eva 60, 266–267 Zelter, Carl Friedrich 19, 76, 308, 324–325, 329, 411, 414 Zenz, Emil 130, 159, 222 Zierold, Martin 51, 423 Zimmer Bradley, Marion 45, 436 Zimmermann, Rolf Christian 32–33, 231, 359 Zweig, Arnold 434