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German Pages 204 Year 2014
Werner Rügemer »Heuschrecken« im öffentlichen Raum
Werner Rügemer
»Heuschrecken« im öffentlichen Raum Public Private Partnership – Anatomie eines globalen Finanzinstruments (2., aktualisierte und erweiterte Auflage)
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© 2011 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Kai Reinhardt, Bielefeld Korrektorat: Kirsten Hellmich, Bielefeld Satz: Jörg Burkhard, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1741-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt Neuer »Sachzwang« und neuer Widerstand. Vorwort zur 2. Auflage | 7 I.
Einleitung | 11
II. Der englische Lügner | 17 III. Metro London: Aufstieg und Fall des größten PPP-Projekts | 29 IV. Schulen, Krankenhäuser und Gefängnisse in Großbritannien | 37 V.
Sichere Gewinne mit öffentlicher Infrastruktur | 49
VI. »Entwicklungsland« Deutschland | 59 VII. Erfahrungen mit PPP-Projekten in Deutschland | 73 Die Geheimverträge: Frankfurt a.M. I | 74 Der Wirtschaftlichkeitsvergleich: Frankfurt a.M. II | 86 Softkosten: Messehallen Köln | 91 Teurer Leuchtturm: Landkreis Offenbach | 108 Forfaitierung mit Einredeverzicht: Mülheim an der Ruhr | 116 Black Box der Demokratie: Toll Collect | 122 Fehlprognosen: Trave- und Warnow-Tunnel | 132 Bürgerdaten: Bertelsmann scheitert in Würzburg | 137 Lebensgefährlich – Autobahn A 1 Bremen–Hamburg | 143 VIII. Der Wirtschaftlichkeitsvergleich | 153 IX. Die Effizienzvorteile des Investors | 159 X.
Keine Partnerschaft | 167
XI. Flucht in die neue Verschuldung | 175 XII. Die Zerstörung der eigentumslosen Privatheit | 181 XIII. Zurück zum Staat? | 185 XIV. Gescheiterte Projekte | 191 Ausgewählte Literatur | 197
Neuer »Sachzwang« und neuer Widerstand. Vorwort zur 2. Auflage
Es ist gespenstisch: Die Privatwirtschaft, angeführt von den Banken und anderen Finanzakteuren, hat die größte Krise ihrer Geschichte hingelegt, hat die Existenz der »westlichen« Volkswirtschaften bedroht, wurde von den Staaten vor dem Bankrott gerettet – und (scheinbar) völlig ungerührt heißt es, als wäre nichts geschehen: »Private wirtschaften besser als der Staat, sie dürfen weitermachen wie bisher und sie sollen immer mehr öffentliche Aufgaben übernehmen!« Gespenstisch. Absurd. Zynisch. Rechtswidrig. Dämlich. Eine Beleidigung der menschlichen Vernunft. Gemeingefährlich. Die »westliche Wertegemeinschaft« ist im Kern getroffen, moralisch tot – und macht (scheinbar) ungerührt weiter. Die »Finanzkrise« zeigt seit 2008: Gerade das Wirtschaftsmodell, das alle Lösungen und Segnungen von der Privatwirtschaft erwartet, ist gescheitert. In der gesamten »westlichen Wertegemeinschaft« konnte nur der Staat die bankrotte Avantgarde der neoliberalen Ökonomie – die Banken – vor dem Untergang retten. Dagegen wäre der Untergang in Gestalt einer geordneten Insolvenz die richtige und reinigende Antwort gewesen, sie würde dem geltenden Recht und der Theorie der Marktwirtschaft entsprechen.1 Doch es zeigt sich, dass wir gar nicht in der vielbeschworenen Marktwirtschaft und auch nicht in der dazu behaupteten Demokratie leben: Der Staat fördert die Spekulation, nimmt den privaten Eigentümern die Risiken ab und garantiert ihnen auf Kosten der Mehrheit der Bürger Gewinn und asoziale Freiheit. Die wesentlichen Entscheidungen werden außerhalb der Öffentlichkeit und der gewählten Parlamente getroffen. Damit zeigt sich im großen Stil, was ich schon in der 1. Auflage dieses Buches über Public Private Partnership (PPP) an zahlreichen Beispielen 1 | Werner Rügemer: Die Brandstifter als Feuerwehr. »Systemische« Bedeutung haben bankrotte Banken allein für die Finanzakteure. Für die Realökonomie sind sie eine große Gefahr und müssen deshalb in die geordnete Insolvenz geführt werden, junge welt 23.4.2009.
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belegt habe: Der Staat übernimmt die Risiken und garantiert die Gewinne der Privaten, PPP ist ungleich teurer als die traditionelle staatliche Erledigung, die Staatsverschuldung wird beschleunigt. Staat, Bundesländer und Kommunen werden erpressbar – und werden erpresst –, es herrscht Geheimhaltung, die Demokratie wird ausgehöhlt. Nach der Bankenrettung und nach der »Rettung« des Euro und einzelner EU-Mitgliedsstaaten – auch hier geht es im Kern um ungerechtfertigte Bankenrettung2 – ist der Staat noch mehr verschuldet als zuvor. Deshalb forcieren Regierungen und private Investoren PPP weiter als Heilmittel – trotz aller gegenteiligen Erfahrungen. Die Bankenretter und Staatsverschulder haben 2010 eine »Schuldenbremse« in das Grundgesetz aufgenommen und verstärken den »Sachzwang« hin zu PPP. »In der Finanzkrise: PPP als Chance nutzen!«, lautet das Motto der Lobbyisten.3 EU und Weltbank gehen ohnehin in dieselbe Richtung. Die großen Finanzakteure wie Deutsche Bank, Goldmann Sachs, Allianz und Macquarie legen globale Infrastrukturfonds auf. Sie wollen langfristig Eigentum und Betrieb von öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen, von Leitungs-, Energie- und Transportnetzen, von Straßen, Krankenhäusern usw. übernehmen. Hier sind die risikoarmen und langfristig stabilen Geldflüsse das Objekt der Begierde, die im unsicheren »freien« Markt nirgends zu haben sind. Die weltweit bei der PPP-Vertragsgestaltung führende Wirtschaftskanzlei Freshfields spricht Klartext: Die Finanzkrise ist die Gelegenheit zum »permanenten Transfer öffentlicher Infrastruktur an den privaten Sektor«4 . Der »schleichende Putsch« der Finanzakteure soll also weitergehen. Die Bundesrepublik Deutschland ist wie beim »Cross Border Leasing«5 auch bei PPP der europäische Musterschüler, an zweiter Stelle nach dem noch mehr überschuldeten Großbritannien, wo das Heilmittel Ende der 1990er Jahre erfunden wurde. Etwa 160 Projekte wurden seit 2003 von Bund, Bundesländern und vor allem Kommunen begonnen, weitere 120 sind in Planung. Die Erfahrungen – wie die Beispiele in diesem Buch dokumentieren – sind schon in den ersten Jahren der meist auf drei Jahrzehnte angelegten Vertragslaufzeit negativ, jedenfalls für Bürger und öffentliche Haushalte. Schon in den ersten Jahren zeigen 2 | Ders.: Die »Rettung« Griechenlands und des Euro als Fluch der bösen Tat, in: Das Argument Nr. 287/2010; ders.: Dead End der Europäischen Union. Irland retten heißt die Deutsche Bank retten, junge welt 16.12.2009. 3 | Motto des PPP-Führungskräfte-Forums am 18.11.2009 in Wiesbaden, http:// www.rrc-congress.de; vgl. Henry Teitelbaum: PPP – Challenge and Opportunity after the Financial Crisis, London 2009. 4 | Freshfields Bruckhaus Deringer: Outlook for Infrastructure and Beyond, London Juni 2009; die Kanzlei hat auch maßgeblich an den Gesetzen zur Bankenrettung in Deutschland mitgewirkt. 5 | Vgl. Werner Rügemer: Cross Border Leasing. Ein Lehrstück zur globalen Enteignung der Städte, Münster 2005 (2. Auflage).
N euer »S achzwang « und neuer W iderstand
sich Schlechtleistungen und Nachforderungen der Investoren, teure Insolvenzen mehren sich. Skepsis und Kritik in der Bevölkerung und bei den gewählten Mitgliedern der parlamentarischen Entscheidungsgremien sind gewachsen. Bürgerinitiativen, Gewerkschaften und neue parlamentarische Mehrheiten kippen PPP-Projekte. Auch die anfänglich unentschiedenen Gewerkschaften sind auf die Seite der Kritiker gewechselt.6 Handwerkskammern äußern ihre schon lange gehegte Kritik nun verstärkt öffentlich.7 Eine erste systematische Bilanz von PPP-Projekten weltweit fällt vernichtend aus.8 Aus Attac Deutschland heraus hat sich eine Dauer-Kampagne gegen PPP gegründet, die Daten sammelt, Analysen veröffentlicht und örtliche Initiativen unterstützt.9 Da bekommt es die scheinbar mächtige PPP-Lobby schon mit der Angst zu tun. »Ablehnung eskaliert zum offenen Widerstand«, so wird die gewiss noch zarte Gegenbewegung bereits hysterisch charakterisiert.10 Um der »Eintrübung des Meinungsumfeldes« zu begegnen, veröffentlichte die Lobby der Baukonzerne schnell ein holperiges Positionspapier, um »Vorurteile« zu widerlegen.11 Die Lobby fördert Befragungen zur »Kundenzufriedenheit«: Schüler, Eltern und Lehrer antworten brav, dass ihre mithilfe von PPP sanierte Schule nun endlich in neuem Glanz erstrahlt.12 Das ist methodisch mehr als fragwürdig, denn die Befragten wären genauso zufrieden, wenn ihre Schulen nach traditioneller Weise saniert worden wären. Genauso hektisch versucht die Lobby, PPP nicht als eine Form der diskreditierten Privatisierung erscheinen zu lassen, sondern als »alternative Beschaffungsvariante« zu verharmlosen.
6 | European Federation of Public Service Unions (EPSU): Critique of PPP’s, Greenwich October 2008; ver.di: Sachstandsbericht Partnerschaften Deutschland, Berlin 2008; ver.di: Öffentlich ist wesentlich. Für eine soziale Gesellschaft und gute Arbeit, Berlin 2009. 7 | Verband baugewerblicher Unternehmer Hessen, Hauptgeschäftsführer Rainer von Borstel: Schreiben an Lothar Reininger, Fraktionsvorsitzender Die Linke, Stadtverordnetenversammlung Frankfurt a.M. 4.5.2010 (Preisdumping der Generalunternehmer, Mittelstand wird ausgeschlossen); Bayerische Handwerkskammer: Gefängnisbauten beweisen, dass PPP in die Irre führt, Pressemitteilung 16.10.2009. 8 | Dexter Whitfield: Global Auction of Public Assets, Nottingham 2010. 9 | http://www.ppp-irrweg.de 21.11.2010. 10 | Börsenzeitung 28.8.2009. 11 | Hauptverband der Deutschen Bauindustrie: Positionspapier. Öffentlich Private Partnerschaften im Hochbau: Argumente gegen Vorurteile, Berlin 2010. 12 | Andreas Pfnür (Hg.): Empirische Untersuchung der Nutzenwirkungen von PPP-Projekten auf den Schulbetrieb am Beispiel der Schulen im Kreis Offenbach, TU Darmstadt Juni 2009. Professor Pfnür ist im Vorstand der Lobbyorganisation Bundesverband Public Private Partnership (BPPP).
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Die Alternative zu PPP kann natürlich nicht nur darin bestehen, dass »der Staat« und »die Kommunen« es wieder selbst so machen wie vor PPP. Der öffentliche Dienst muss politisch aufgewertet, personell ausgebaut und wesentlich besser qualifiziert werden. Dem Heer der zugleich als Konzern- und Bankenlobby auftretenden Berater muss endlich der Laufpass gegeben werden. Es muss mit der Mär gebrochen werden, dass die Lösung nur im »Sparen« bestünde: Die wesentliche Lösung besteht darin, die Einnahmen zugunsten öffentlicher Daseinsvorsorge zu erhöhen, indem der vorhandene Reichtum in Gestalt von Vermögen, Gewinnen und Einkommen in die Pflicht genommen und besteuert wird. Wo in der Privatwirtschaft sinnvolle Methoden entwickelt werden, sind sie zum Nutzen der Gemeinschaft heranzuziehen. Rückverstaatlichung und Rekommunalisierung haben nur dann Sinn, wenn sie nicht zum vorherigen Zustand zurückführen,13 sondern mit Demokratisierung und Achtung von Menschenwürde, Sozial- und Arbeitsrechten verbunden sind.14 In die Neuauflage des Buches habe ich die wichtigsten Entwicklungen und Erfahrungen der letzten drei Jahre aufgenommen – durch die Bankenrettung trat die in PPP angelegte Logik noch schärfer hervor. Neu eingefügt habe ich zwei Kapitel: erstens über das größte Bundesprojekt, die Autobahn A 1 Bremen–Hamburg (in Kap. VII), und zweitens über gescheiterte Projekte (Kap. XIV). Auch musste nach der staatlichen Bankenrettung genauer gefragt werden, welchen Staat wir wollen, wenn es um Rückverstaatlichung und Rekommunalisierung geht. Köln, im Dezember 2010
13 | Vgl. http://www.ppp-irrweg.de 21.11.2010. 14 | Vgl. Werner Rügemer (Hg.): ArbeitsUnrecht. Anklagen und Alternativen, Münster 2009.
I. Einleitung
»Der Markt richtet es«: Dieser globale Glaubenssatz der letzten Jahrzehnte wird nicht mehr geglaubt. Jedenfalls nicht mehr von der Mehrheit der Bürger. Ein richtiger Glaube, eine Überzeugung, war es ohnehin nicht. Hat »der Markt« für mehr, für bessere, für besser bezahlte Arbeitsplätze gesorgt? (Wobei mit »mehr« Arbeitsplätze nicht die Neuverteilung des Arbeitsvolumens auf viele neue Billigarbeitsplätze gemeint ist, sondern die Vermehrung des volkswirtschaftlichen Arbeitsvolumens.) Versorgt »der Markt« die Bevölkerung mit gesundem Fleisch und qualitativ hochwertigeren Lebensmitteln? Sorgt »der Markt« für Wettbewerb und niedrigere Preise bei Strom, Bahnfahrten? Für menschenwürdige Betreuung in Altenheimen? Für mehr Transparenz bei Schadstoffen, für besseren Service und Kundenfreundlichkeit? Für weniger Korruption der »Verantwortlichen«? Für sichere Lebens-, Klima- und Weltverhältnisse? Die Erfahrungen sind eindeutig. Die »Deregulierung« des Finanzsystems sowie der Arbeits- und Sozialverhältnisse hat das Leben und Arbeiten für die Mehrheit der Bürger noch ungerechter und unsicherer gemacht, die öffentliche Verschuldung ist noch höher. Auch das andere zentrale Heilmittel der neoliberalen Ökonomie, die Privatisierung, hat seine Versprechen nicht erfüllt, im Gegenteil.1 Die Bundes- und Landesregierungen forcieren weiter den Verkauf von Staatseigentum und die Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen. Dabei stoßen sie zunehmend auf Widerstände und Widersprüche. In den Kommunen, so stellen die Fundamentalisten seit einigen Jahren zerknirscht fest, werden sogar einzelne Privatisierungen zurückgenommen.2 Große Sorge treibt die Privatisierer um, denn sie müssen mit ansehen, dass der geschmähte Staat die Aufgaben inzwischen mindestens ebenso gut erledigen kann: »Wir sehen diesen Trend zur Rekommunalisie1 | Vgl. Werner Rügemer: Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz, Münster 2008. 2 | Ernst & Young: Privatisierungen und ÖPP als Ausweg? Kommunalfinanzen unter Druck – Handlungsoptionen für Kommunen, Stuttgart 2007, S. 18.
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rung mit großer Sorge [
]. Die Kommunen haben das lukrative Geschäft mit dem Müll wieder entdeckt und wollen sich die Einkommensquellen sichern«, erklärte der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft.3 Auch deshalb wird seit 2003 eine neue Variante der Privatisierung in Mode gebracht: Public Private Partnership, kurz: PPP. Sie kommt aus England, doch auch hier holt der Musterschüler Deutschland auf. Verschiedentlich wird der Begriff ins Deutsche übersetzt: Öffentlich-Private Partnerschaft (ÖPP); die deutsche Version klingt freilich etwas bieder und setzt sich nicht so richtig durch. Wenn die Lemminge heute ökonomische Kompetenz darstellen wollen, übernehmen sie doch lieber den englischen Slang. »Partnership« und »Partnerschaft« klingt viel besser, freundlicher, ungefährlicher als »sale« und »Verkauf«. PPP wird mit dem Argument angepriesen, hier werde nichts verkauft, der Staat behalte Eigentum und Kontrolle, PPP sei keine Privatisierung. Doch dieses Argument, das der gewachsenen Privatisierungs-Skepsis entgegenwirken soll, ist vordergründige Kosmetik, genauer: Es ist Demagogie. PPP, das wird in diesem Buch in allen sonst verschwiegenen Einzelheiten enthüllt, ist eine Mogelpackung, ein großangelegtes Täuschungsmanöver. Dass die gegenwärtigen Regierungen der »westlichen Wertegemeinschaft« bei der Begründung von Kriegen (Irak, Afghanistan usw.) lügen, ist allgemein bekannt. Doch daraus werden bisher keine Konsequenzen gezogen. Die Regierungen werden nicht abgewählt und nicht abgesetzt, die Verantwortlichen werden nicht bestraft. Nein, die Kriege werden verbissen weiter gerechtfertigt und fortgesetzt. Auch aus den großen Medien und aus den Vorstandsetagen der Wirtschaft kommt keine Kritik, im Gegenteil. Dasselbe gilt für die angeblichen Segnungen von Privatisierung und PPP. Ökonomische Lügen werden heute ebenso professionell produziert wie militärische. Nicht harte Fakten sollen heute den Markt, die Aktionäre, die Konsumenten, die Öffentlichkeit, die Arbeitslosen und Nochnicht-Arbeitslosen überzeugen, sondern: Eine ansprechende Story steht für Erfolg und Gewinn. Während in früheren Zeiten (angeblich, teilweise) das ökonomisch Erreichte zählte oder jedenfalls zählen sollte, so reicht heute das Erzählte. Public Private Partnership ist eine solche Story, eine solche Erzählung, ein solches modernes Märchen.4 Warum machen Politiker das mit? So wird häufig gefragt. In diesem Buch wird zunächst nach Folgendem gefragt: Warum machen Banken, Investoren, Bauunternehmen, Anwälte, Berater das? Wie sieht die PPPBranche mit ihren parasitären Mitverdienern und Märchenerzählern aus?
3 | Handelsblatt 18.10.2006. 4 | Vgl. Marlene Poschner-Lansch: Story Telling – Story Selling. Märchen und Märchenerzähler in der Wirtschaft, Köln 2007.
I. E inleitung
Danach ist auch die Frage nach den Politikern zu beantworten: Politiker im Amt unterscheiden sich heutzutage oft nach Sprache, Überzeugung und Programm gar nicht mehr von Bankern, Investoren, Unternehmensberatern. Ohne Lern- und Übungsphase wechseln sie deshalb scharenweise aus dem politischen Amt in privatwirtschaftliche Führungspositionen. Sie wechseln nicht die Seiten, sie waren schon auf der anderen Seite. Ihre Namen sind Legion: Lothar Späth, Volker Rühe, Martin Bangemann, Hans-Dietrich Genscher, Theodor Waigel, Anette Fugmann-Heesing, Walter Riester, Peer Steinbrück, Marianne Tritz, Hans-Martin Bury, Florian Gerster, Gerhard Schröder, Josef Fischer, Michaele Hustedt, Gunda Röstel, Wolfgang Clement und viele, viele andere. Ob CDU, CSU, SPD, FDP oder Grüne – alle können es, und zwar insbesondere in den Parteien, die sich als die Alleinvertreter der Demokratie aufspielen.5 Ein Exparteivorsitzender wie Rudolf Scharping kann sofort nach seinem Ausscheiden aus der Politik eine PPP-Beratungsfirma aufmachen, ein Ministerpräsident wie Roland Koch kann übergangslos als Vorstandsvorsitzender zum Baukonzern Bilfinger Berger wechseln, der den Geschäftsbereich PPP ausweiten will.6 Das ist die eine Antwort auf die Frage »Warum machen Politiker bei PPP mit?«. Die andere Antwort: PPP ist ein »Rundum-sorglos-Paket« nach dem touristischen Muster »all-inclusive«. Die private Seite nimmt den Politikern, die sich gern als »die Verantwortlichen« bezeichnen, alle Sorgen bzw. Aufgaben ab. Die Politiker können sich trotz »leerer Kassen« als »handlungsfähig« präsentieren. Dass sie den Staat und die Gemeinschaft auf längere Sicht ruinieren, kann eine gewisse Zeit, so lange die medial produzierte Desinformation wirkt, verheimlicht werden – das hoffen sie jedenfalls. So erweist sich PPP als ein neuer Strohhalm für abgewirtschaftete politische Parteien, die Mitglieder und Wählerzustimmung verlieren und nur noch mit Zustimmung der Finanzakteure und durch offene und geheime Griffe in die Steuerkasse ihr Überleben sichern wollen. Privatisierung und PPP zerstören den öffentlichen Raum. Mit »öffentlicher Raum« ist jedoch hier nicht nur das gemeint, was in der liberalen Szene der Kulturkritiker und Städteplaner seit Jahrzehnten damit bezeichnet wird. Sie sehen öffentliche Plätze in Anlehnung an die griechische »Agora« und das römische »Forum« als Orte der Demokratie. Ihre Inbesitznahme durch private Geschäftsleute wird von Richard Sennett, Jürgen Habermas und anderen als Krise der Demokratie beklagt.7 Doch neben dieser mit einfachem Auge sichtbaren geht eine weniger wahrgenommene, aber tiefer gehende Inbesitznahme einher: Privatisierung und PPP machen die demokratischen Institutionen, die Parlamente sowie den Rechts- und Sozialstaat von innen heraus zur Farce. 5 | Vgl. http://www.lobbycontrol.de 6.12.2010. 6 | Wirtschaftswoche 8.11.2010, S. 107. 7 | Andrian Kreye: Wenn der städtische Raum von der Wirtschaft gestaltet wird, verliert er seinen demokratischen Charakter, Süddeutsche Zeitung 2.11.2007.
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Die Auseinandersetzung mit PPP wird in diesem Buch vor allem auf der Grundlage von Projekten geführt, die seit Jahren laufen und bereits klare Ergebnisse zeigen. Zunächst geht es um Projekte in England, wo PPP unter der Regierung Tony Blair erfunden wurde. Danach geht es um ausgewählte Projekte in Deutschland: Schulen, Messehallen, Autobahnmaut und Autobahnbetrieb, Tunnels, eGovernment. Da PPP-Projekte aus der öffentlichen in eine privatwirtschaftliche Logik eintreten, sind sie entgegen einer weit verbreiteten Meinung nie abgeschlossen. Deshalb kann die oft gestellte Frage »Gibt es denn nicht wenigstens einige PPP-Projekte mit gutem Ergebnis?« gegenwärtig schon deshalb nicht beantwortet werden, weil noch kein einziges Projekt seine vereinbarte Laufzeit hinter sich hat. Die realkapitalistischen Mechanismen unterwerfen die Projekte ständigen Veränderungen. Deshalb sind die hier versammelten Daten und Analysen eine Untersuchung am lebenden Objekt, eine Vivisektion. Obwohl der Autor mit zahlreichen Angestellten des öffentlichen Dienstes, Lehrern, Hausmeistern, Anwälten, Beschäftigten der privaten Investoren und Arbeitern auf Baustellen gesprochen hat, verzichtet er auf Anraten seiner Gesprächspartner, sie zu zitieren. Unter dem PPP-Reglement herrschen Geheimhaltung, Vorsicht, Katzbuckelei, Schönrednerei, Unehrlichkeit, Angst und Schweigen.
Die große Erzählung vom guten PPP Mithilfe von Public Private Partnership, abgekürzt PPP, könne die »öffentliche Hand« trotz leerer Kassen wieder investieren und den schon lange bestehenden Investitionsstau in der öffentlichen Infrastruktur auflösen und damit »die Zukunft sichern«. »Zukunftsfähigkeit unserer Städte«, »Investitionen für die nachfolgenden Generationen« – das soll nun alles doch möglich werden. Die Zukunft war verbaut – mit dem guten PPP öffnet sie sich wieder. Public Private Partnership wird ins Deutsche als Öffentlich-Private Partnerschaft, ÖPP, übersetzt. Die offizielle Definition lautet sehr trocken und weniger visionär: »ÖPP ist eine langfristige, vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft zur wirtschaftlicheren Erfüllung öffentlicher Aufgaben über den gesamten Lebenszyklus (Planen, Bauen, Finanzieren, Betreiben und Verwerten) eines Projekts. Die erforderlichen Ressourcen (Knowhow, Betriebsmittel, Kapital, Personal etc.) werden von den Partnern in einem gemeinsamen Organisationsmodell zusammengeführt und vorhandene Projektrisiken entsprechend der jeweiligen Managementkompetenzen der Partner verteilt.«8
8 | Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Erfahrungsbericht Öffentlich-Private Partnerschaften in Deutschland, Berlin 2007, S. 4.
I. E inleitung
Man kann es auch so sagen: Die sogenannte »öffentliche Hand« – eine Stadt, ein Landkreis, ein Bundesland, der Bund, eine öffentliche Körperschaft, eine Behörde der Europäischen Union u.Ä. – schließt mit einem Privatunternehmen einen Vertrag. Gegenstand ist Bau, Sanierung/Modernisierung, Planung, Finanzierung und langfristiger Betrieb einer öffentlichen Einrichtung oder Dienstleistung. Die Vertragsdauer liegt zwischen 15 und 50 Jahren, die Regel sind 30 Jahre. Betroffene Einrichtungen können sein: Schulen, Verwaltungs- und Justizgebäude, Sport-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Krankenhäuser, Altersheime, Kindergärten, Gefängnisse, Rathäuser, Messehallen, Konzertsäle, Straßen, Tunnels, Bundeswehrkasernen, aber auch öffentliche Dienstleistungen (Bearbeitung von Anträgen, Bürgerkontakte, Logistik u.Ä.). Die traditionelle Herangehensweise besteht darin, dass die »öffentliche Hand« die Aufgabe und den Bedarf definiert, die Planung und die Bauaufsicht übernimmt, einen Kredit aufnimmt und ein Privatunternehmen mit dem Bau beauftragt. Das Besondere von PPP besteht darin, dass das Privatunternehmen bereits in die Aufgabendefinition eingreift, die Planung, das Controlling, den Betrieb und vor allem auch die Finanzierung übernimmt. Damit, so wird erzählt, entstehen »Synergieeffekte«. Deshalb bringe PPP im Vergleich zur traditionellen öffentlichen Erledigung »Effizienzvorteile«. Die Erzählung besagt, sie lägen zwischen 5 und 25 Prozent. Der Begriff PPP entstand in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde im Bereich der Stadterneuerung verwandt. In Deutschland wird er seit Ende der 1980er Jahre für sogenanntes »Energie-Contracting« verwandt. Dabei fehlen aber Merkmale, die das hier gemeinte PPP prägen und die in England unter Tony Blair seit 1997 entwickelt wurden. Verschiedentlich wird ein besonders »breiter« Begriff von PPP verwandt, der für jede Form der Zusammenarbeit von staatlichen Stellen und Privatunternehmen gilt. Die Initiative »Unternehmen Schule« (UnS) etwa versteht PPP als einen Prozess, in dem einem Privatunternehmen »geholfen« wird, »sich einer benachbarten Schule anzunähern und diese darin zu unterstützen, ihren Unterricht praxisnäher auf Wirtschaft und Beruf auszurichten (http://www.bildungsserver.de). Im Buch wird nur der »enge« Begriff zugrunde gelegt, der durch die Merkmale der »strukturierten Finanzierung« geprägt ist (komplexes Vertragswerk, Einschaltung von Projektgesellschaften, Subunternehmern und außerbörslichen Anlegern, Steuergestaltung für die Investoren, Forderungsverkauf, Geheimhaltung etc.).
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II. Der englische Lügner
Das Konstrukt Public Private Partnership wurde während der Regierungszeit von Tony Blair entwickelt. Blairs »New Labour« war in der Opposition und dann im entscheidenden Wahlkampf 1997 mit den katastrophalen Ergebnissen der rabiaten Privatisierungen seiner Tory-Vorgänger Margaret Thatcher und John Major konfrontiert. Marode Schienennetze, Wasserwerke und Kanalisationen waren von den »Konservativen« an private Investoren verkauft worden. Die Begründung hatte gelautet: Der Staat ist erstens pleite, zweitens unfähig; nötig sei die »Mobilisierung privaten Kapitals« und von privatem Know-how, Private könnten alles Wirtschaftliche ohnehin besser. Doch die Privaten schöpften nach dem Kauf der staatlichen Unternehmen hohe Gewinne ab und investierten möglichst wenig, entließen Personal. Als die 1996 privatisierte Schienengesellschaft Railtrack keine Staatskredite mehr bekam, ging sie in die Insolvenz. Wegen Unfällen und ständiger Verspätungen und wegen der nicht nachlassenden Bürgerproteste musste der Staat unter Blair die Bahnanlagen teilweise zurückkaufen, die Schulden übernehmen und mit hohen Zuschüssen selbst für die Reparaturen einstehen.1 Die Bahn in Großbritannien ist inzwischen die teuerste und unpünktlichste in Europa; mit ständig überbesetzten Waggons, Callcentern in Indien und verspäteten Reparaturen erschließen die Bahnunternehmen hohe Einsparpotenziale und zahlen hohe Gewinne aus.2 RWE kaufte im Jahre 2000 die Wasser- und Abwasseranlagen von London, Thames Water, das umsatzstärkste Wasserunternehmen der Welt, erhöhte die Preise, schöpfte hohe Gewinne ab, leitete ungeklärtes Abwasser in die Themse, ließ die marode Kanalisation und die Wasserleitungen noch stärker verfallen. Deshalb musste die Regierung aufgrund von dauerhaften Bürgerprotesten entgegen ihrer marktradikalen Überzeugung Investitionsauflagen machen; RWE verkaufte daraufhin Ende 1 | Vgl. Christian Wolmar: Broken Rails, London 2001. 2 | Georges Waser: Der öffentliche Verkehr in Großbritannien liegt darnieder, Neue Zürcher Zeitung 22.10.2007.
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2006 Thames Water an die australische Bank Macquarie weiter – mit ungewissem Ausgang.3
V on P rivate F inance I nitiative (PFI) zu P ublic P rivate P artnership Bei den Privatisierungen der zentralen staatlichen Unternehmen hatten die Regierungen Thatcher und Major wegen der extremen Begünstigung der Investoren nur geringe Erlöse erzielt. Die staatlichen Unternehmen wurden nicht verkauft, sondern verschleudert. Die Steuereinnahmen des Staates gingen zurück, weil die Kaufpreise steuerlich begünstigt und die Steuern auf Kapitalgewinne und hohe Einkommen ohnehin stark reduziert wurden. Deshalb wollte die konservative Regierung für den Bau und die Sanierung und den langfristigen Betrieb von Schulen, Krankenhäusern, Gefängnissen u.Ä. weiter privates Kapital »mobilisieren«, aber mit einer neuen Methode. Trotz der gegenteiligen Erfahrungen bei Bahn und Wasser wiederholte die Regierung allerdings hier ihr Glaubensbekenntnis: Private können es besser und billiger. So entwickelte sie in einer zweiten Phase der Privatisierung ab 1992 das Konzept »Private Finance Initiative« (PFI).4 Bei PFI finanziert der Investor das Projekt vor, die öffentliche Hand zahlt eine regelmäßige Miete. So sollte die formelle Kreditaufnahme des überschuldeten Staates umgangen werden. Die Tory-Regierung wollte damit blenden, auf diesem Umweg eines ihrer elementaren Ziele erreichen, nämlich den Haushalt zu sanieren. Die Initiative griff jedoch kaum, selbst in der Tory-Partei und im Ministerium des Schatzkanzlers gab es Vorbehalte gegen diesen Haushaltstrick. Lediglich einige Gefängnisse wurden so finanziert. Die Labour-Partei unter Tony Blair opponierte zunächst grundsätzlich gegen PFI. Blair hatte angesichts der Bahn-Katastrophe und steigender Wasserpreise leichtes Spiel. Er wandte sich gegen das primitive Klassenkampfdenken der Konservativen und gegen deren fundamentale Entgegensetzung von »Staat gegen Privat«. Blair plädierte im Wahlkampf 1997 für Partnerschaft zwischen Staat und Privat. Er ersetzte »Initiative« durch »Partnership«. Und er wertete das öffentliche Interesse auf, zumindest rhetorisch – er ersetzte den Begriff »Finance«, der unverrückbar mit der angemaßten Kompetenz der Konservativen konnotiert war, durch »Public«: Public Private Partnership war geboren.
3 | Werner Rügemer: Marode Leitungen als Renditeobjekt, junge welt 19.12.2005. 4 | Die zeitlich letzte Fassung stammt aus dem letzten Regierungsjahr der Torys: Treasury Taskforce Private Finance: Partnerships for Prosperity – the Private Finance Initiative, 1997.
II. D er englische L ügner
Bei PPP, so das Argument, werde nichts verkauft. »Wir verkaufen nichts, es ist keine Privatisierung«, so umwarb Blair mit Engelszungen die Parteibasis. Vielmehr treten, so die Theorie, öffentliche Hand und privater Investor als gleichberechtigte Partner auf. Beide sollen ihre jeweiligen Stärken einbringen, beide sollen die Risiken übernehmen, die sie am besten beherrschen. Am Buchhaltungstrick, dass die finanzielle Belastung der öffentlichen Hand nicht als Kreditaufnahme gestaltet wird, sondern »nur« als langfristige Miete, hatte sich dabei nichts geändert. Aber die Verpackung war für die umworbenen Labour-Mitglieder- und Wähler wesentlich gefälliger. Auch an PPP zeigte sich: Blair, wegen seiner Lügen zugunsten des Irak-Krieges volkstümlich Bliar genannt (to lie = lügen, Blair der Lügner), verdient diesen Titel mindestens genauso wegen seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dabei konnten sich Blair & Brown auf eine Praxis stützen, die für die Wirtschaft Großbritanniens durch die Dominanz der City of London ohnehin seit langem gilt: Englische Privathaushalte und Privatunternehmen sind die weitaus am höchsten verschuldeten im Vergleich zu denen in allen anderen »entwickelten« Staaten. England ist die SchuldenmacherNation Nummer eins in der Welt, selbst noch vor den USA. Die Schulden der Bürger übersteigen den Wert der Wirtschaft. »Jetzt kaufen, später zahlen« heißt das Motto.5 Blair & Brown übernahmen von den Tories einen überschuldeten Staat, wollten die Gewinnsteuern nicht erhöhen, sondern senken, aber sie versprachen: Ihr könnt weiter über eure Verhältnisse leben. Wir machen jetzt Schulen, Krankenhäuser und Gefängnisse neu, bezahlen werden wir später. So wurde – und davon »lernten« inzwischen andere Staaten wie Deutschland – die Fiktion aufrechterhalten, man lebe in einer »leistungsfähigen« Wirtschaft. Zu ihr bzw. zu dieser Fiktion gehören nach offizieller Statistik in Großbritannien 1,65 Millionen Arbeitslose, in Wirklichkeit sind es aber knapp 8 Millionen. Dazu gehört, dass britische Kinder auf der Rangliste der physischen und psychischen Gesundheit in den reichsten Ländern der Welt an letzter Stelle stehen. Unicef hat festgestellt, dass britische Kinder mehr Alkohol trinken, mehr sonstige Drogen nehmen, häufiger als Minderjährige Sex haben, öfter in der Schule scheitern und mehr Gewalt und Mobbing erleben und praktizieren als ihre Altersgenossen in den 21 anderen reichen Nationen der Erde.6 Trotzdem berichteten die großen Medien unbeirrt über die vorbildlich restrukturierte Wirtschaft Großbritanniens und über die endlos wiederkehrenden Sex- und Intrigenspiele im hochalimentierten parasitären Königshaus. PPP gehört zu diesem Verschuldens- und Täuschungsmechanismus.
5 | Jack Williamson: Großbritannien versinkt im Schuldenmeer, http://www.nrhz. de Nr. 120 7.11.2007. 6 | Ebd.
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»N e w L abour « und die C it y of L ondon Nach dem spektakulären Wahlsieg Blairs wurden diejenigen aktiv, die in der politischen Auseinandersetzung nicht sichtbar waren: die Berater. Sie kamen aus der City of London. Mit ihnen hatte die ehemals trotzkistischjungsozialistische Führungsspitze von »New Labour« – neben Blair insbesondere Gordon Brown und Peter Mandelson, die in der neuen Regierung Finanz- bzw. Handelsminister wurden – enge Beziehungen geknüpft. Sie hatten »New Labour« nicht nur programmatisch abgekoppelt von den Interessen der abhängig Beschäftigten. Sie schwenkten auch bei der Finanzierung der Partei und der Wahlkämpfe um. Die traditionelle Finanzierung von Labour durch die Gewerkschaften fiel weg, Blair warb Spenden praktisch nur noch bei Privatunternehmen ein. Dadurch entstand so ganz nebenbei ein korruptiver Interessenfilz – einen solchen hatte man zu Recht den Konservativen vorgeworfen. Blairs wichtigster Sammler von Wirtschaftsspenden, Lord Levy, Musikunternehmer und Großbritanniens einflussreichster Israel-Lobbyist, bekam nach der erfolgreichen ersten Wahl 1997 den Titel des Baron of Mill Hill, wurde Mitglied des House of Lords und auch Sonderbeauftragter für Israel und den Nahen Osten. Weitere Spender wurden auf Vorschlag Blairs ebenfalls geadelt.7 »New Labour« hing am Tropf von Unternehmensspenden. Der Immobilieninvestor David Abrahams etwa benutzte dabei zwei seiner Angestellten als Strohmänner und bespendete die Partei mit 550.000 Euro. Dies darf symbolisch für die Lügenpolitik dieser Partei des »dritten Weges« genommen werden: Der Hauptspender, ein Bauarbeiter – er interessiert sich nach eigenem Bekunden nicht für Politik und hasst die Labour Party – tritt als Spender auf, das Geld kommt in Wirklichkeit vom Unternehmer, und in dessen Interesse wird die Politik gemacht.8 Der Immobilienhändler, der sich als Investor bezeichnete und von »New Labour« auch so bezeichnet wurde, rechtfertigte sich auch nachträglich, seine Absicht, sich »außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung halten« zu wollen, sei »vollkommen legal«; auch Labour-Justizminister Jack Straw sah die Spendenoperation »innerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten«.9 Vielen Bürgern in Europa und der Welt ist nicht klar, was die »City of London« eigentlich ist. Die meisten denken entlang der medialen Klischees: Königsfamilie und höfische Intrigen, Buckingham Palace, Big Ben, Downing Street Number 10. Die City of London ist jedoch ein genau abgegrenztes eigenes Territorium im alten Zentrum der Stadt, das der 7 | Vgl. Baron Levy, http://www.wikipedia.org/wiki/Lord_Levy 5.10.2007. 8 | He doesn’t vote. He hates politicians, Guardian 26.11.2007. Nach seiner Spende erhielt Abrahams eine Baugenehmigung, die vorher abgelehnt worden war. 9 | Ebd.
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Hoheit und Verwaltung der Stadt London entzogen ist. Die City of London ist eine eigene Ministadt, ja ein Staat im Staat, mit eigenem Bürgermeister, eigener Polizei und eigenen Gesetzen.10 Hier besteht auf engstem Raum die weltweit größte Konzentration von Banken, Finanzakteuren und Finanzberatern der verschiedensten Art, Versicherungen, Wirtschaftsprüfern, Wirtschaftsanwälten. Sie stehen in osmotischer Beziehung zum weltweit größten Kranz von Finanzoasen: den englischen Kanalinseln Sark, Guernsey, Jersey, der Isle of Man, dann Gibraltar und den entfernteren Inseln der Karibik (Cayman Islands), den Virgin Islands und den Bermudas. Diese Finanzoasen sind wirtschaftlich und steuerrechtlich selbständig, gehören aber zum britischen Commonwealth. Gegenüber der Europäischen Union kann jede englische Regierung darauf verweisen, dass das Wirtschafts- und Steuerrecht dieser Territorien leider, leider nicht dem Einfluss der britischen Regierung unterliege, während sie in Wirklichkeit ein ausgelagerter Arm der City of London sind. Natürlich sind auch die Beziehungen zu den anderen wichtigen Finanzoasen wie der Schweiz und den Bahamas gut entwickelt.11 Die ohnehin großzügige Finanzaufsicht im Vereinigten Königreich ist für die City of London noch weiter eingeschränkt. Mit der vergleichsweise strengen Finanzaufsicht in den USA (Security Exchange Commission, SEC) ist sie schon gar nicht vergleichbar. »Außerbilanzielle« Transaktionen sind hier besonders leicht. Nach der Deregulierung des Finanzsystems unter Thatcher in den 1980er Jahren entwickelte sich deshalb hier eine verschärfte Konzentration der neoliberalen Finanzakteure und ihrer Instrumente. Die City of London ist heute das konzeptionelle Zentrum der neoliberal globalisierten Welt, nachdem sie schon traditionell, hervorgehend aus ihrer Funktion im englischen Kolonialsystem, immer eine »Bastion des Widerstands gegen jegliche Form des regulierten Kapitalismus« war.12 Die gewagtesten Transaktionen, die in Kontinentaleuropa nicht möglich, jedenfalls gesetzlich verboten sind, haben Banken wie die Westdeutsche Landesbank (WestLB) hier abgewickelt. Manager von Hedgefonds, Private Equity u.Ä. verlegten ihren Sitz von New York in die City of London. Hier werden die meisten Firmenübernahmen in Europa vorbereitet und finanziert.13 Schon Thatchers Privatisierungspolitik hatte die wichtigsten US-Banken wie die Citibank und Morgan Stanley nach London 10 | Werner Rügemer: Das Finanzparadies, junge welt 3.7.2008. 11 | Vgl. Arnaud Montebourg/Vincent Peillon: La Cité de Londres, Gibraltar et les Dépendances de la Couronne: des centres offshore, sanctuaire de l’ argent sale, Paris 2001. Es handelt sich um den Bericht der Geldwäsche-Kommission der französischen Nationalversammlung. 12 | David Harvey: A Brief History of Neoliberalism, Oxford/New York 2005, S. 56. 13 | Vergiss New York, jetzt kommt London, Euro am Sonntag 10.6.2007; Deutsche Bank spielt von London aus um die Weltherrschaft, Financial Times Deutsch-
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gebracht, nach den Terroranschlägen von New York 2001 und den Restriktionen des USA PATRIOT Act laufen die Geldanlagen der arabischen Ölverkäufer nicht mehr über New York, sondern fast ausschließlich über London.14 Oligarchen aus Russland und Israel finden in London willkommene Aufnahme. Milliardäre aller Länder können sich mit einem mehr oder weniger fiktiven Wohnsitz in London der Besteuerung in ihrem Heimatland entziehen. Die englischen Regierungen Ihrer Majestät, gleich von welcher Partei geführt, wehren sich gegen die Kontrolle der Londoner Finanzakteure und verweigern hartnäckig die Zusammenarbeit mit den europäischen Steuer- und Justizbehörden, etwa wenn es um Geldwäsche und Steuerhinterziehung geht.15 Dasselbe gilt für die Versuche der Europäischen Union nach der Finanzkrise, den Bankensektor einigen zaghaften Regulierungen zu unterwerfen. Genauso wehren sich alle englischen Regierungen gegen die Charta der europäischen Bürgerrechte. Diese Haltung wird als Verteidigung der nationalen Souveränität begründet, während es in Wirklichkeit um den Schutz der in der City of London geübten Praktiken geht. Das Finanzzentrum, in dem so gut wie niemand wohnt und das abends menschenleer ist, hat etwa 300.000 Beschäftigte. Zu den Praktiken gehört die exzessive Selbstbedienung der Topmanager. Nirgendwo verdienen sie so viel wie hier, und nirgendwo müssen sie so wenig Steuern zahlen wie hier; selbst die New Yorker Wall Street kann hier nicht mithalten. 2006 hatten die oberen Gruppen der Finanzmanager eine durchschnittliche Einkommenssteigerung von 18 Prozent. Die Prämien machen den Hauptteil ihres Einkommens aus. Im Jahr 2006 erhielten 4200 Manager Prämien von jeweils über 1,5 Millionen Euro. Der extreme Autoritarismus dieser Männerwelt, in die allmählich auch einige Frauen aufsteigen, zeigt sich in der Hierarchie innerhalb dieser Topverdiener. So verdiente Roger Jenkins, Head of Principal Investing and Private Equity bei der Barclays Bank, 4,9 Millionen Euro – pro Monat. Jenkins ist auch deshalb so bekannt – jedenfalls in gewissen Kreisen, die sehr, sehr wichtig sind –, weil, so die einschlägige Presse, seine reichlich jüngere Frau sich besonders gern, angetan mit einem Nerz-Poncho im Wert von 10.000 Euro, auf den Stufen des paareigenen Privatjets der Presse zeigt. Auch sogenannte renommierte und seriöse Wirtschaftsmedien halten das für bewunderns- und berichtenswert. Jenkins und sein Team werden deshalb so hoch bezahlt – wesentlich höher als der hochbezahlte Vorstand seiner Bank –, weil er für »Structured Finance« zuständig ist: Er entwickelt komplexe Finanzierungsstruktuland 18.1.2006; London boomt stärker als in der Euphorie der New Economy, Süddeutsche Zeitung 28.3.2006. 14 | Wheeling and Dealing, Newsweek 23.1.2006. 15 | EU-Vertrag: In Brüssel wächst die Angst vor einer neuen Volksabstimmung, Die Welt 11.9.2007.
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ren, die sicherstellen sollen, dass bei Fusionen, Unternehmensaufkäufen und Privatisierungen möglichst keine Steuern an den Staat fällig werden und die Investoren möglichst wenig eigenes Geld mitbringen müssen.16 Blair & Brown, gestützt auf die Praktiken und die Privilegierung der City of London, waren und blieben extreme Vertreter der Auffassung, dass ein gutgehendes Finanzzentrum das Herz und der Kopf einer erfolgreichen Wirtschaft ist. Wegen der katastrophalen Ergebnisse ihrer Politik wurden sie 2010 abgewählt, aber die neue konservativ-liberale Regierung unter David Cameron setzt den seit Thatcher eingeschlagenen Weg fort. Die Wahl des konservativen Aufsteigers wurde als Erfolg der weltweit ersten Gesichtstransplantation bezeichnet: Aus Blair wurde Cameron.17 Zwar betont er einige »grüne« Themen, die auch von anderen europäischen Konservativen neuerdings entdeckt wurden (Anerkennung der Homosexualität, Umwelt), aber die Wirtschafts- und Finanzpolitik bleibt gleich. Der Staat ist nach der teuren Bankenrettung noch wesentlich mehr verschuldet, Sozialausgaben werden rigoros gekürzt. Aber Camerons Regierung kombiniert die gescheiterten Methoden Thatchers und Blairs: Erstens wird verschärft öffentliches Eigentum verkauft, so die einzige Hochgeschwindigkeitsstrecke des Landes (High Speed 1 zwischen London und dem Eurotunnel) an einen kanadischen Investor.18 Zweitens wird PPP weiter gefördert.
PPP – eine » struk turierte F inanzierung « Das Zauberwort von Finanzartisten wie Roger Jenkins ist »strukturierte Finanzierung«. Einschlägige »Finanzprodukte«, die wesentlich zur »Finanzkrise« geführt haben, sind etwa Cross Border Leasing,19 Asset Backed Securities, Private Equity20 – und Public Private Partnership. Gemeinsam ist ihnen die enorme rechtliche, finanzielle und steuerliche Komplexität, die Geheimhaltung und die extreme Begünstigung der Kapitaleigentümer und ihrer Tophelfer wie Jenkins. Wegen dieser komplexen Strukturen wurde auch PPP zum »Bonanza der Berater«21 . Zu diesen Beratern gehören Wirtschaftsprüfer (die sehr 16 | Die großen Finanziers: Barclays-Mann Roger Jenkins zählt zu den Topverdienern der City, Handelsblatt 2.8.2007. 17 | Private Eye Nr. 1147. 18 | London verkauft High Speed 1, Neue Zürcher Zeitung 8.11.2010. 19 | Vgl. Werner Rügemer: Cross Border Leasing. Ein Lehrstück zur globalen Enteignung der Städte, Münster 2005, 2. Auflage. 20 | Vgl. Werner Rügemer: Investitionen ohne Arbeitsplätze, in: WSI-Mitteilungen 1/2005, S. 49ff. 21 | Christian Wolmar: Down the Tube, London 2002, S. 102. Ich folge weitgehend dieser Quelle, die die ausführlichste und detailreichste zu London Underground ist.
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viel mehr und anderes tun als Bilanzen zu prüfen), Anwälte, Steuerberater, Anlageberater, Banker, Notare. Sie müssen nicht nur die Verträge zwischen dem Investor und der öffentlichen Hand vorbereiten. Statt der so lautstark kritisierten »staatlichen Bürokratie«, die unternehmerische Vorgänge kompliziert, langatmig und intransparent mache, etablieren die Berater eine neue private Bürokratie, die alles in den Schatten stellt, was bisher von staatlichen Behörden an guten und fragwürdigen Strukturen entstanden ist. Die Berater nehmen die Problemdefinition in die Hand. Sie organisieren die Ausschreibungsunterlagen und die Ausschreibungsprozedur. Sie müssen die Beziehungen innerhalb der Kunstfigur »Investor« regeln, denn der besteht auch bei PPP in aller Regel aus einem Konsortium mehrerer Unternehmen. Jedes dieser Unternehmen bringt natürlich seine eigenen Berater mit. Für jedes PPP-Projekt wird mindestens eine eigene Projektgesellschaft gegründet, innerhalb derer die Beziehungen zwischen der öffentlichen Hand, so sie denn darin vertreten ist, und dem Konsortium geregelt werden müssen. Weiter muss geregelt werden, zu welchen Zeitpunkten und Bedingungen die staatlichen Vertreter Zugang zum Objekt und zu Unterlagen des Investors haben. Weiter muss die Finanzierung geregelt werden: Zu welchen Bedingungen nimmt der »Investor« die Kredite auf, unter welchen Bedingungen kann er die im PPP-Vertrag vereinbarten Mietzahlungen der öffentlichen Hand an eine Bank weiterverkaufen – auch auf diesen bei PPP üblichen Forderungsverkauf (»Forfaitierung mit Einredeverzicht«) werden wir noch genauer eingehen. Die neoliberal durchgestylte Wirtschaft erfordert weiter die Regelung der wichtigen Frage, in welchem Staat bzw. welcher Finanzoase der rechtliche Sitz verschiedener beteiligter Firmen anzusiedeln ist, wie die Steuerzahlung des Investors bzw. der von ihm einbezogenen Geldgeber und Anleger sich mit rechtlicher Sicherheit möglichst gegen null bewegt. Zentral für PPP ist die dem »Investor« zu gewährende Renditegarantie. Des Weiteren müssen die Leistungskriterien und die Bewertung der Leistung in einem Bonus-Malus-System geregelt werden. Dann ist u.a. schließlich die Geheimhaltung zu regeln: Wer darf das komplizierte Vertragswerk überhaupt sehen, wie werden die Betriebsgeheimnisse der beteiligten Firmen geschützt? Welche Teile des Vertragswerks sollen den politischen Beschlussgremien vorgelegt werden, welche Strafe fällt bei Bruch der Geheimhaltung an? Das sind die Gründe, warum die Berater und Finanzingenieure bei PPP eine so entscheidende Rolle spielen und warum ihre Honorare einen wesentlichen Teil ausmachen (Soft- oder Transaktionskosten). Selbstverständlich gehen diese Kosten in die Mieten ein, die die öffentliche Hand schließlich zahlen muss. Es ist unbestritten, dass der britische Staat sein Gesundheitswesen, die Schulen, die gesamte Infrastruktur seit langer Zeit vernachlässigt hat. Die Gesellschaft wurde insgesamt reicher, doch die besonders vom Reich-
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tum Profitierenden und die politisch Verantwortlichen haben die gesamte Infrastruktur verkommen lassen. Das ist in den westlichen kapitalistischen Demokratien für den Zeitraum des letzten halben Jahrhunderts zunächst nichts Besonderes. Freilich ist dieser Zustand in England mit Her Majesty’s parlamentarischer Puppenstube besonders ausgeprägt. Nur: Wo kommt nun das Geld her, wenn der Staat es nicht hat oder für einen herbeigelogenen Krieg braucht oder/und von den Unternehmen und gerade von den besonders Vermögenden keine Steuern eintreibt? Das wichtigste neue Element bei PPP ist, dass Privatunternehmen auch die Finanzierung übernehmen. So heißt es jedenfalls. Es handelt sich aber, genauer besehen, nur um eine Vorfinanzierung. Durch die langfristigen regelmäßigen Entgelte und durch die Zusatzzahlungen finanziert letztlich kein anderer als der Staat das ganze Abenteuer. Es ist ein Abenteuer, denn die Finanzierung bewegt sich in einem Dschungel, der im Unterschied zu einem natürlichen Dschungel ein hochprofessionell hergestellter, künstlicher Dschungel ist. Die arroganten, hochbezahlten Profis der City of London können nur sehr wenig, aber solche Dschungel zu arrangieren – das können sie. Die sogenannten Politiker (sogenannt, weil »Politiker« eigentlich bedeutet: wer den Staat gestaltet) verirren sich darin erfolgreich. Dass es bei Privatisierungen nicht um das geht, was öffentlich behauptet wird, sondern um eine andere, staatliche Absicherung der privaten Rendite, geht auch aus Folgendem hervor: Die Regierung Brown setzte 2008 einen dreistelligen Milliardenbetrag ein, um die wichtigsten englischen Banken zu verstaatlichen bzw. retten, die sich durch exzessive Spekulation in den Bankrott manövriert hatten. Gerade die allerärgsten Privatisierungs-Fundamentalisten haben nämlich gar nichts gegen Verstaatlichung! Wie jaulen die Hüter der Marktwirtschafts-Moral auf, wenn in derselben Situation »Linke« nach Verstaatlichung rufen!
Partnerships UK Die Regierung Blair/Brown machte aus der zentralen PFI-Taskforce der Vorgängerregierung zunächst eine staatliche PPP-Taskforce. Diese wurde dann im Jahre 2000 in ein privatrechtliches Unternehmen umgegründet, genannt »Partnerships United Kingdom« (PUK). 51 Prozent der Anteile verkaufte die Labour-Regierung an Banken, Versicherungen und Baukonzerne.22
22 | Zur detaillierten Darstellung der hochbürokratischen Unternehmensstruktur vgl. Sebastian Schilling: Partnership UK – Vorbild für die Partnerschaft Deutschland Gesellschaft (PDG)?, Präsentation vor dem Bundesverband Public Private Partnership e.V. 14.9.2007.
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Die Aktionäre von Partnerships UK Prozent 44,6 Schatzamt Ihrer Majestät Schottische Regierung 4,4 Uberior Infrastructure Investment 8,8 Prudential Assurance 8,8 Abbey National Treasury Services 6,7 Sun Life Assurance 6,7 Barclays Industrial Investments 6,1 Royal Bank of Scotland 6,1 Serco (Baukonzern) 3,3 GSL Joint Ventures 2,2 Boldswitch The British Land Company 2,2 So wurde aus einer Behörde ein Privatunternehmen der City of London – mit Staatsbeteiligung. So brachte »New Labour« die Private Finance Initiative der Tories unter dem neuen Etikett Public Private Partnership erst richtig zur Entfaltung. Nach dem PPP-Muster und unter Direktion der privaten PUK-Bürokratie – das Unternehmen hat immerhin 60 Beschäftigte – wird seitdem in England bei mehr als 900 Projekten verfahren, beim Bau, Sanieren und Betreiben von Schulen, Krankenhäusern, Gesundheitszentren, Gefängnissen, Straßen, Verkehrssystemen, Stadtverwaltungen und bei der Londoner U-Bahn.23
E in globales M odell Der Industrieverband Confederation of British Industry (CBI) rühmte bereits nach wenigen Jahren, das Vereinigte Königreich habe mit PPP die Weltführerschaft bei neuen Finanzierungsmethoden errungen. Englische Unternehmen, Berater und Banken betrachten PPP weltweit als Exportprodukt.24 PPP wird inzwischen in den Staaten der Europäischen Union und insgesamt in über 60 überschuldeten Staaten nachgeahmt und häufig unter Mitwirkung britischer Firmen durchgeführt.25 Der in drei Schichten rund um die Uhr von deutscher Polizei bewachte königlich-bri23 | Vgl. den Rechenschaftsbericht über die ersten fünf Jahre 2002-2007: Partnerships United Kingdom 5 Year Review. State of the Market, London 2007. 24 | Stephen Harris: PPP – ein britisches Modell erobert den Weltmarkt, in: Detlef Knop (Hg.): Public Private Partnership Jahrbuch 2005, Frankfurt a.M. 2005, S. 123ff. 25 | Simon Kendall: Eine erste Bilanz: Wie hat sich PFI in Großbritannien entwickelt?, in: Detlef Knop (Hg.): Public Private Partnership Jahrbuch 2007, Frankfurt a.M. 2007, S. 184ff.; Dexter Whitfield: Global Auction of Public Assets, Nottingham 2010.
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tische Generalkonsul in Düsseldorf, Peter Tibber, ist das ganze Jahr über als PPP-Botschafter unterwegs.26 Aber auch schnell lernende Zauberlehrlinge haben die Idee weltweit übernommen und führen sie selbständig fort. Die Idee liegt in der Logik derer, die auf der politischen Seite die alte Staatsverschuldung in neuen Schläuchen präsentieren und damit politisch überleben wollen, und ebenso auf der Seite der Banken und Investoren und Baukonzerne, die sich neue, großvolumige und zugleich langfristig sichere Geschäfte mit staatlicher Rückendeckung erschließen wollen. Begeisterte Berichte kamen schon frühzeitig aus Österreich, wo Autobahnen, Schnellstraßen, der Brenner-Tunnel, der Bahnhof Wien/Europa Mitte, Krankenhäuser, Schulen und Gebäude der öffentlichen Verwaltung nach PPP-Muster vorangetrieben werden, ebenso Gerichtsgebäude, Eisenbahnstrecken und LKW-Mautsysteme in Tschechien, in der Slowakei und in Ungarn.27 Die EU forciert PPP auch in den »Entwicklungsländern«, um westlichen Unternehmen Aufträge zu verschaffen.28 Die Europäische Investitionsbank (EIB) vergibt günstige Förderkredite, um PPP-Projekten zu einem günstigen Start zu verhelfen. In den neuen Mitgliedsstaaten Mittel- und Osteuropas fördern der EU-Strukturfonds und der EU-Kohäsionsfonds PPP mit bis zu 75 Prozent der entstehenden Kosten. Die Parlamente dieser Staaten haben schnell PPP-Gesetze beschlossen, um standardisierte Verfahren nach westeuropäischem Vorbild einzuführen und an die EU-Fördermittel zu kommen. Im Auftrag der niederländischen Regierung und in Abstimmung mit der Europäischen Kommission haben die Wirtschaftsprüfer und PPP-Lobbyisten von KPMG in einer Studie schon bald festgestellt, dass die bisherigen Fördermittel der EU in den alten Mitgliedsstaaten zu niedrig sind und erhöht werden sollen.29 Als Reaktion auf die »Finanzkrise« und die staatlichen Bankenrettungen veröffentlichte die EU-Kommission einen Maßnahmeplan zur Stärkung von PPP; insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Verkehr und Energieeffizienz solle PPP dazu beitragen, die »durch die Finanzkrise angeschlagenen öffentlichen Haushalte nachhaltig zu ent-
26 | Z.B. Workshop »PPP-Betriebskonzepte« zusammen mit dem englischen Baukonzern Serco in der Britischen Botschaft Berlin, 12.9.2007; Regionalkonferenz 2007 in Hessen, 4.12.2007; Facility Management Nutzerkongress, 15.–17.5.2007. 27 | Jens Kaden u.a.: Erfahrungen mit PPP in Österreich und den angrenzenden osteuropäischen Ländern, in: Detlef Knop (Hg.): PPP Jahrbuch 2006, Frankfurt a.M. 2006, S. 143ff. 28 | Uwe Hoering: Zauberformel PPP. Entwicklungspartnerschaften mit der Privatwirtschaft. Ausmaß, Risiken, Konsequenzen, Bonn/Berlin 2003. 29 | Kaden a.a.O., S. 146.
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lasten«30. Die Weltbank in Washington hat eine neue Abteilung »Public Private Infrastructure Advisory Facility« (PPIAF) eingerichtet.
30 | Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mobilisierung privater und öffentlicher Investitionen zur Förderung der Konjunktur und eines langfristigen Strukturwandels – Ausbau öffentlich-privater Partnerschaften, Brüssel 19.11.2009.
III. Metro London: Aufstieg und Fall des größten PPP-Projekts
Das Projekt der Londoner U-Bahn wird hier ausführlich dargestellt, weil es die wesentlichen Merkmale von PPP zeigt, die sich auch bei PPP-Projekten in Deutschland wiederfinden. Es ist auch deshalb exemplarisch und aussagekräftig, weil es das bisher größte PPP-Projekt der Welt ist und die »renommiertesten« Akteure daran beteiligt sind. In einem Regierungsbericht zum Metro-Projekt findet sich übrigens folgender Satz: »PPP-Projekte haben einen Effizienzvorteil von 17 Prozent gegenüber der öffentlichen Erledigung erbracht.«1 Diese Behauptung aus dem Jahre 2001 wird in den vielen Projektbeschreibungen und Beschlussvorlagen auch in Deutschland immer noch ungeprüft nachgebetet, allerdings ohne Quellenangabe. So kann das Ergebnis einer einzelnen, längst widerlegten Auftragsberatung zur globalen Wahrheit aufsteigen.2 Nach seinem Wahlsieg 1997 setzte Blair eine geheime Arbeitsgruppe ein, die das PPP-Pilotprojekt Londoner U-Bahn vorbereitete. Mitglieder waren Malcolm Bates, schon unter Thatcher ein führender PFI-Manager, John Roques, der vom Wirtschaftsprüfer Deloitte & Touche kam, Graham Hearne von Enterprise Oil und Ed Wallace von PowerGen. Erst fünf Jahre nach der Einsetzung, als 2002 die PPP-Verträge für die Metro praktisch fertig waren, wurde die Existenz der Arbeitsgruppe öffentlich eingestanden.3 Blair & Brown paukten die Vorschläge der Arbeitsgruppe und der von ihr herangezogenen Berater gegen alle politischen Widerstände durch. Das voluminöse Projekt sollte das global bewunderte Vorzeigeprojekt sein und viele Folgeprojekte anstoßen. Ein weiteres Argument war, dass die Metropole London im Jahre 2012 wegen der Olympischen Spiele im 1 | Department of the Environment, Transport and the Regions: London Underground – Public Private Partnership – The Offer to Londoners 10.4.2001. 2 | Wolmar a.a.O., S. 110. 3 | Ebd., S. 181f.
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Blickpunkt der Welt stehe; eine moderne und funktionsfähige Metro sei entscheidend für den Transport der Zuschauer und das Ansehen des Vereinigten Königreichs in der Welt. Eine staatliche Stelle könne solchen Anforderungen niemals gerecht werden. Blair & Brown folgten verbissen der Behauptung der Wirtschaftsprüfer von Price Waterhouse Coopers (PWC), die als die eigentlichen »Erfinder« von PPP gelten. Sie hatten den schon zitierten »Effizienzvorteil von 17 Prozent« in die Welt gesetzt und »errechneten« ihn für das Metroprojekt auf gut 7 Milliarden Euro. Selbst der Rechnungshof National Audit Office machte darauf aufmerksam, dass unter vertraglichen Regelungen dieser Art und für einen 30-Jahres-Zeitraum überhaupt keine annähernd klare Schätzung der Gesamtkosten möglich sei. Doch die Regierung wischte die Analyse des eigenen Rechnungshofes vom Tisch. Die ehemaligen Linksradikalen Blair/Brown/Mandelson konnten sich darauf stützen, dass schon die Regierung Thatcher die Kommunen entmachtet hatte. Das im englischen Parlament im Jahre 2000 beschlossene U-Bahn-Gesetz »Greater London Authority Bill« ist mit 277 Paragraphen auf 28.000 Seiten das längste und komplizierteste Gesetz der englischen Parlamentsgeschichte seit dem »Government of India Act«, das die Verwaltung und Ausbeutung der Kolonie Indien regeln sollte. Offensichtlich ist die Verwaltung und Ausbeutung der Hauptstadt eines entwickelten kapitalistischen Staates heute eine ebenso große und ertragreiche Aufgabe. Das Gesetz machte PPP für die Londoner U-Bahn verbindlich und legte fest, dass die Regierung Ihrer Majestät die Verträge allein aushandelt. Die gezielt desinformierten Parlamentsmitglieder auch der zunächst skeptischen Labour-Partei zogen mit, weil Blair & Brown ihr Zaubersprüchlein wiederholten, PPP sei »keine Privatisierung«, sondern ein »radikaler dritter Weg«. Die Londoner Stadtverwaltung unter Bürgermeister Ken Livingstone wehrte sich mit allen Kräften gegen das PPP-Projekt, letztlich jedoch erfolglos. Livingstone war auch aufgrund seiner grundsätzlichen Gegnerschaft zu PPP gewählt worden. Übrigens war die öffentliche Ablehnung so allgemein, dass auch die Oberbürgermeister-Kandidaten der Liberalen und der Tory-Partei ihren Wahlkampf mit der Gegnerschaft zum PPP-Projekt bestritten. Livingstone wollte die U-Bahn in kommunaler Regie, mit traditioneller Finanzierung und möglichst mit eigenen Mitteln sanieren. Er rechnete vor, dass PPP riskant ist und teurer wird. Er ging gegen seine Regierung vor Gericht, verlor aber. Blair hatte auch Her Majesty’s Justiz im Griff – den Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith hatte er selbst berufen und der Queen zur Adelung vorgeschlagen.
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D as V ertr agswerk Die Verträge für das Londoner U-Bahn-PPP sind nicht nur das umfangreichste und komplizierteste Vertragswerk, das im Vereinigten Königreich jemals von einer öffentlichen Stelle gebilligt wurde – es wächst auch noch immer weiter. Die 28.000 Seiten werden durch Nachträge laufend ergänzt. Die Sanierung und Instandhaltung der Londoner U-Bahn wurde nach über zweijährigen Verhandlungen im April 2002 auf drei Verträge mit zwei Konsortien aufgeteilt. Die Laufzeit beträgt bzw. betrug jeweils 30 Jahre, also bis 2032. Es wird nichts verkauft, die Stadtverwaltung, Abteilung Transport for London (TfL) und London Underground, bleibt Eigentümer der Anlagen. Die Verträge gingen an zwei eigens für das Projekt gegründete Konsortien. Das eine Konsortium ist Tube Lines, das vom spanischen Konzern Ferrovial geführt wird und zu dem neben dem US-Baukonzern Bechtel die englischen Unternehmen Jarvis und Amey gehören. Der größere Teil ging mit zwei Verträgen an das Konsortium Metronet. Es bestand aus fünf Unternehmen: dem weltgrößten Waggon- und Lokhersteller Bombardier, dem privatisierten Londoner Wasser- und Abwasserunternehmen Thames Water, dem größten europäischen Energiekonzern Electricité de France (EdF), dem Baukonzern Balfour Beatty und dem Ingenieursunternehmen WS Atkins. Das sind allesamt Global Player , die in ihrer Branche zu den größten Unternehmen der Welt gehören. Einige dieser Unternehmen waren bei Privatisierungen einschlägig aufgefallen. So hatte Balfour Beatty drei der privatisierten Eisenbahnlinien gekauft und musste wegen schwerer Verstöße gegen die Verkehrssicherheit hohe Strafen zahlen. Jarvis, das vom ehemaligen Tory-Verkehrsminister Steve Norris geleitet wurde, hatte als Bahnprivatisierer ebenfalls hohe Strafen wegen Gesundheits- und Sicherheitsverstößen zahlen müssen; bei einem Unfall waren fünf Fahrgäste tödlich verunglückt.4 Es wurde vereinbart, dass die beiden Firmengruppen die 275 Stationen, das Streckennetz, die Tunnels, Depots, Signal- und Gleisanlagen erneuern und bis 2032 in Schuss halten. Das reguläre Gesamtentgelt der Stadt, zu zahlen in monatlichen Raten an die beiden Konsortien, sollte während der 30 Jahre etwa 45 Milliarden Euro betragen. Davon bekäme Tube Lines etwa 19 Milliarden Euro, Metronet etwa 26 Milliarden Euro. Für Metronet waren das während des Jahres 2005 jeweils etwa 72 Millionen Euro pro Monat. Das sind die Zahlen, die öffentlich bekannt gegeben wurden. Aber das »etwa« hat es in sich, denn so eindeutig und einfach sind die vereinbarten Zahlungen keineswegs. Die Feinheiten wurden großenteils erst bekannt, als das Konsortium Metronet im Juli 2007 in Insolvenz ging. 4 | The Guardian http://www.guardian.co.uk/transport/story/0.1594718,00. html 28.8.2007.
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So gibt es in Wirklichkeit gar kein feststehendes Entgelt. Es errechnet sich variabel mithilfe eines Bonus-Malus-Systems. Es basiert auf »Output«-Kriterien; das ist typisch für PPP. Das bedeutet beispielsweise: Die U-Bahn muss auf der Linie Waterloo & City zwischen neun und zehn Uhr morgens eine bestimmte Zahl Fahrgäste transportieren; wie Metronet das schafft, ist egal, es kommt auf den Fahrgast-Output an. Wenn wegen Verspätung o.Ä. soundso viel Fahrgäste weniger und mit soundso viel Minuten Verspätung transportiert werden, muss Metronet pro verlorener Fahrgaststunde einen Malus zahlen, der neun Euro beträgt, während bei vollständiger Erfüllung Metronet einen Bonus von 4,5 Euro erhält. Allein für die rechtliche Regelung dieses hochkomplizierten Verrechnungssystems wurden hunderte von Vertragsseiten nötig. In der Praxis ergibt das selbst bei erheblicher Minderleistung noch eine Zusatzzahlung der Stadt an den Investor. Das kommt auch daher, dass die privaten Investoren ihre Leistung selbst bewerten. Wenn die Stadtverwaltung bzw. die Abteilung Transport for London ihre Ingenieure zur Kontrolle dorthin schicken will, wo der Investor bzw. eines seiner Unternehmen gerade arbeitet, müssen umständliche Anträge gestellt werden. Die müssen dann von den eigenen Anwälten mit den Anwälten der Gegenseite verhandelt werden. Es liegt auf der Hand, dass bei durchschnittlich etwa 1000 Leistungsunterbrechungen pro Woche, und wie sie zu erfassen und zu bewerten sind, ein hohes Konfliktpotenzial liegt, verbunden mit Verzögerungen und Kosten, die die neue intransparente PPP-Bürokratie mit sich bringt. Das ist besonders brisant, wenn dadurch Hilfsmaßnahmen bei Unfällen und Terroranschlägen verzögert werden.5 Das größte Risiko liegt in Folgendem: Sobald die Kosten – aus welchen Gründen auch immer – steigen und die geringen Konsortialeinlagen der fünf Unternehmen von etwa 500 Millionen Euro aufgebraucht sind, muss der Staat für 95 Prozent der neuen Verpflichtungen aufkommen. Der Staat muss zusätzlich auch dann zahlen, wenn die Kosten »unvorhergesehen« steigen. Ein zentraler Begriff bei PPP ist der »Lebenszyklus«. Es heißt, PPP sei auch deshalb kostengünstiger, weil der Investor für den »gesamten Lebenszyklus«, also hier für die Vertragszeit von 30 Jahren, die Verantwortung trage. Deshalb werde er ganz natürlich darauf achten, dass er immer auf einer hohen Qualitätsstufe arbeite, weil er ja für die Folgen einstehen müsse. Auch diese Argumentation mag zunächst plausibel klingen, aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Erstens kann der Investor »unvorhergesehene« Kosten auf den Staat abwälzen. Zweitens: Der »Lebenszyklus« der U-Bahn und ihrer verschiedenen Komponenten – Züge, Schienen, Sig-
5 | Dan Milmo: Partnership Leaves Taxpayer Liable for 95 % of Bill, The Guardian 17.7.2007.
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nalanlagen usw. – endet ja gerade nicht am Ende der Vertragslaufzeit im Jahre 2032. Da endet aber die Verantwortung des Investors. Auch die Europäische Union half mit: Die Berater hatten erreicht, dass die Europäische Entwicklungsbank (EIB) Metronet einen günstigen 900-Millionen-Euro-Kredit gewährte.
730 M illionen E uro für die B er ater Das umfangreiche Vertragswerk wurde nicht von irgendwelchen Winkeladvokaten ausgearbeitet, denen schon mal »handwerkliche Fehler« unterlaufen. Vielmehr war hier mit den US-Wirtschaftsprüfern Price Waterhouse Coopers (PWC), Ernst & Young, KPMG und Deloitte & Touche, dem Ingenieur-Unternehmen Ove Arup sowie der US-Wirtschaftskanzlei Freshfields die Berater-Weltliga vertreten. Selbstverständlich waren es dieselben, die schon von der Tory-Regierung für deren Privatisierungen beauftragt worden waren. Freshfields hatte 24 Anwälte abgestellt. Ob die alle nötig waren und ob sie substanziell gearbeitet haben, blieb der Öffentlichkeit unbekannt. Bei der Unterzeichnung der etwa 100 Einzelverträge waren 80 Berater anwesend. Die Berater berechneten und erhielten jedenfalls allein für die Vorbereitung 92 Millionen Pfund,6 für die Organisation der Ausschreibung bis zum Vertragsschluss etwa 400 Millionen Pfund und für die weitere Begleitung bis Mitte 2007 etwa 100 Millionen, sodass die Honorare insgesamt 500 Millionen Pfund betragen – bisher.7 Das sind 730 Millionen Euro. 730 Millionen Euro nur für Berater-Honorare. Weitere Beraterhonorare fallen während der Vertragszeit aufgrund des hohen Konfliktpotenzials an. Weiter sind in Abständen von 7,5 Jahren Überprüfungen des Vertragswerks und Korrekturen bis hin zur Neufassung angesetzt, also dreimal während der 30-jährigen Laufzeit. Die Berater, wie schon die zu Beginn von Blair & Brown eingesetzte geheime Beratergruppe demonstrierte, vertreten einseitig die Interessen der privaten Seite. Das zeigt sich nicht nur in den Vertragsinhalten, sondern schon im Vorfeld. So legten die Berater beim Wirtschaftlichkeitsvergleich nicht die Kosten zugrunde, die die Stadtverwaltung ausgerechnet hatte für den Fall, dass sie selbst das Projekt durchführen würde, sondern sie nahmen eigenmächtig sehr viel höhere Kosten an. Der privaten Seite unterstellten sie dagegen, dass alle »unvorhergesehenen« Kosten, die sie später im Vertrag zugunsten des Investors absicherten, nicht eintreten würden.
6 | Independent 1.12.2000. 7 | Dan Milmo: Livingstone Steps in as Metronet Faces Financial Collapse, The Guardian 17.7.2007. Zur Insolvenz von Metronet folge ich weitgehend diesem Artikel und der intensiven Berichterstattung in The Guardian.
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Die Berater stimmten zwar mit der Regierung die Unterlagen für die öffentliche Ausschreibung des Projekts ab. Jedoch unterstützten sie die »Preferred Bidder« (die Unternehmen, die sich bei der Ausschreibung durchgesetzt haben) im Wunsch, die Ausschreibungsbedingungen zu verändern. Das betraf etwa so zentrale Punkte wie die Höhe der Entgelte, die Höhe der Gewinngarantie, den Leistungsumfang sowie die Risikoverteilung.8 »Es ist doch erstaunlich, dass keiner der hochbezahlten Berater, die das umfangreiche Vertragswerk ausgearbeitet haben, eine solche Situation vorhergesehen hat.« So ließ sich Tony Travers von der bekannten London School of Economics nach der Insolvenz von Metronet zitieren.9 Dieses Erstaunen über die Berater zeugt von Unkenntnis über deren Praktiken. Denn nach ihrem Selbstverständnis besteht die Aufgabe dieser Art Berater darin, im Interesse der Investoren genau eine solche Situation vorauszusehen und das Risiko der Investoren hochprofessionell und rechtssicher auf die öffentliche Hand abzuwälzen. Ihre Kompetenz besteht ganz offensichtlich darin, die Interessen der Privatunternehmen durchzusetzen und sich dafür sehr hoch honorieren zu lassen.10
D ie I nsolvenz des I nvestors Seit der Privatisierung ist nichts besser, vieles ist schlechter geworden. Metronet war im Juli 2005 mit den meisten Arbeiten schon ein Jahr im Rückstand, während die Stadt die vollen Entgelte zahlte.11 Die U-Bahn wurde unpünktlicher als vorher, die Fahrpreise sind in die Höhe geschnellt: London Underground wurde die bei weitem teuerste U-Bahn der Welt. Für eine einfache Fahrt müssen knapp 6 Euro bezahlt werden. Signale fielen aus, Weichen klemmten, die Motoren der Züge sprangen oft nicht an. Fahrer streikten, weil sie mit unsicheren Zügen nicht fahren wollten. Unfälle, Entgleisungen und Stopps häuften sich. 2005 wurde eine der meistbefahrenen Linien, Northern Line, vier Tage lang ganz stillgelegt. Sicherheitsbremsen setzten aus. Am 5. Juli 2007 sprang zwischen den Stationen Mile End und Bethna Green um neun Uhr morgens ein Zug aus dem Gleis. Die Linie war blockiert. Anderthalb Stunden danach begann die Evakuierung der 700 Fahrgäste, 37 waren verletzt. »Entgleiste Züge, kaputte Bremsen und defekte Signale legen die U-Bahn regelmäßig
8 | Wolmar a.a.O., S. 216. 9 | The Guardian 17.7.2007. 10 | Vgl. Werner Rügemer: Die Berater. Ihr Wirken in Staat und Gesellschaft, Bielefeld 2004. 11 | Polly Toynbee: Brown Must Rid the Tube of These Calamitous Contracts, The Guardian 18.10.2005.
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lahm«, mussten selbst wirtschaftsfreundliche Medien berichten, die den PPP-Deal zuvor als vorbildlich gelobt hatten.12 Metronet stellte im November 2006 fest, dass bis 2010 zusätzlich 3,3 Milliarden Euro notwendig sind, um die vereinbarten Aufgaben zu erledigen. Der Grund seien »unvorhergesehen gestiegene Kosten«. Deshalb stellte Metronet an die Verkehrsbehörde Transport for London (TfL) zunächst den Antrag auf eine zusätzliche Zahlung von 820 Millionen Euro. Der TfL-Schiedsmann Christ Bolt bewilligte aber nur 180 Millionen. Da sich die Lage trotz dieser Zusatzzahlung weiter verschlechterte und die Banken sich weigerten, weitere Kredite zu geben, stellte Metronet am 16. Juli 2007 schließlich Antrag auf Insolvenz. Das wäre nicht nötig gewesen, wenn die fünf Konzerne, die das Konsortium bilden, Kredite aufgenommen hätten. Doch das taten sie nicht. Laut Vertrag sind sie dazu nicht verpflichtet. Ihre Haftung ist auf ihre anfängliche Einlage von jeweils 100 Millionen Euro beschränkt, insgesamt also auf 500 Millionen. Der Staat muss sogar die Schulden des Konsortiums übernehmen und dessen Kredite zurückzahlen, wenn es in Insolvenz geht. Diese Kredite betragen 2,8 Milliarden Euro. Ein besonderer Witz dabei ist: Die fünf Konsortialmitglieder sind zugleich diejenigen, die sich die wesentlichen Metronet-Aufträge selbst zugeschustert hatten; sie sind somit für die »unvorhergesehen gestiegenen Kosten« wesentlich selbst verantwortlich. Sie können den Wert der Aufträge ohne Ausschreibung selbst festlegen und damit ihre Gewinne steigern. Sie hatten Anspruch darauf, dass ihr Konsortium Metronet mithilfe der staatlichen Zuschüsse ihre überhöhten Rechnungen begleicht. Und die Metronet-Gesellschafter haben trotz – oder vielleicht auch wegen – der absehbaren Insolvenz noch schnell 75 Millionen Euro Gewinn an sich selbst ausgeschüttet. Der damalige Schatzkanzler Brown, danach Premierminister als Nachfolger von Blair, setzte als zuständiger Vertreter der Regierung die Wirtschaftsprüfer Ernst & Young als Konkursverwalter ein, also die Berater, die für das Malheur mitverantwortlich waren. Als einen der ersten Schritte wollte der Konkursverwalter möglichst viele der bisher 3000 Angestellten von Metronet entlassen.13 Die Bank Rothschild, ein von den Regierungen Blair/Brown gern beauftragter Berater und einseitiger Befürworter aller Formen von Privatisierung, wurde beauftragt, den nunmehrigen Wert der von Metronet betriebenen U-Bahn gutachterlich festzustellen.14 Die Lösung bestand schließlich darin, dass die Stadt selbst die Aufgabe übernahm. Für diese Lösung sprach alles, damit die Wartungsarbeiten überhaupt einigermaßen geordnet weitergehen konnten und nicht zusätzliche Gefahren entstanden. Ende Oktober 2007 gab die Verkehrs-
12 | Londons Kampf im Untergrund, Financial Times Deutschland 1.11.2007. 13 | Untergrund wird wieder städtisch, die tageszeitung 29.8.2007. 14 | Blow to Livingstone’s Metronet Takeover Plan, The Guardian 22.9.2007.
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behörde Transport for London ihr Übernahmegebot ab.15 Metronet ging unbeschadet in die Insolvenz, der Staat übernahm die Verpflichtungen der Bankrotteure in Höhe von zwei Milliarden Euro und ist wieder selbst der Betreiber für zwei Drittel der Londoner Metro. Das zweite PPP-Konsortium, Tube Lines, steuert ebenfalls auf eine Insolvenz zu. Wie Metronet erhebt Tube Lines zusätzliche Forderungen von bisher mehr als zwei Milliarden Euro bis 2017, weil das vereinbarte Entgelt nicht ausreiche. Transport for London will auch hier den Vertrag rückabwickeln, um endlich in Ruhe die Aufgaben selbst zu übernehmen.16 Der 2009 gewählte Bürgermeister Boris Johnson, ein Konservativer, der das Konzept PPP eigentlich unterstützt, fasste nach einem Amtsjahr seine Erfahrungen so zusammen: »Wir sollen einen Blankoscheck zugunsten von Tube Lines unterschreiben. In anderen Ländern nennt man das Diebstahl, hier heißt es Public Private Partnership.«17 Die Insolvenz des größten Investors und die drohende Insolvenz des zweiten Investors bei der Londoner U-Bahn ermöglichen es, Einblicke in die ansonsten geheimen Strukturen von PPP zu gewinnen. »Je mehr Erfahrungen wir mit PPP machen, desto klarer zeigt sich die Verrücktheit (craziness) und der teuflische Charakter (diabolic nature) der Verträge«, resümierte Tim O’Toole, der Chefmanager von Transport for London.18 Doch die deutschen Nachahmer und PPP-Musterschüler wollen davon, jedenfalls in der Öffentlichkeit, nichts wissen. In deutschen Medien taucht die Londoner U-Bahn vor allem dann auf, wenn es um tatsächliche oder vermeintliche Terroristenanschläge geht. Dass die Privatisierung nach dem PPP-Muster einen Dauer-Anschlag auf die Sicherheit und die Brieftaschen von Millionen Fahrgästen darstellt – darüber herrscht verbissenes Schweigen. Auch in den Veröffentlichungen der deutschen PPPSzene findet sich kein Hinweis auf die Erfahrungen bei der Londoner U-Bahn.
15 | Financial Times Deutschland a.a.O., ebd. 16 | Dan Milmo: How Boris Johnson is Pushing Brown’s Pet Project off the Rails. Funding Battle with Tory Administration may Finish off Underground’s PPP, The Guardian 5.1.2010. 17 | Mayor Threatens Tube Legal Action over £4,4bn Ruling, BBC 10.3.2010. 18 | The Guardian 31.10.2008.
IV. Schulen, Krankenhäuser und Gefängnisse in Großbritannien
Dass die Privatisierungen in Form von Unternehmensverkäufen in England bei Bahn, Wasser, Abwasser und Elektrizität für die Bevölkerung, die Beschäftigten und den Staat Verluste und Gefahren gebracht haben, ist inzwischen weithin bekannt. Weniger bekannt sind ähnliche Erfahrungen mit PPP. Nach der Londoner U-Bahn soll auf Schulen, Krankenhäuser und Gefängnisse eingegangen werden. Aus Platzgründen wird auf die Darstellung von Straßenprojekten verzichtet.1 Wer sich mit PPP-Schulprojekten in Deutschland beschäftigt, wird so manche Ähnlichkeiten feststellen.
S chulen Bereits 2003 hat die britische Gewerkschaft UNISON die Verhältnisse in 103 PPP-Schulprojekten in England, Schottland und Wales untersuchen lassen. Dabei geht es um den Bau, die Sanierung, den Betrieb, Reinigung, Grundstückwartung und in vielen Fällen auch um Catering in etwa 500 Schulgebäuden verschiedener Art und Größe, von einzelnen kleinen Grundschulen bis zu großen Schulzentren. Die Verträge werden zwischen der lokalen Schulbehörde Local Education Agency (LEA) und dem Investor abgeschlossen, laufen zwischen 25 und 35 Jahren und umfassen insgesamt ein finanzielles Volumen von 4,5 Milliarden Euro. UNISON bezieht die Erkenntnisse anderer Gewerkschaften ein, vor allem der National Union of Teachers (NUT). Die Erkenntnisse decken 1 | Jean Shaoul/Anne Stafford/Pamela Stapleton: Evidence-Based Policies and the Meaning of Success: The Case of a Road Built under Design Build Finance and Operate (DBFO), Evidence and Policy 2/2007, S. 159–179. Die Autorinnen kommen zu dem Schluss, dass der von den Investoren und der Regierung gelobte Erfolg lediglich an der technischen Durchführung orientiert ist, Risiken und Kosten aber ungleich zu Lasten des Staates verteilt sind.
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sich zudem weitgehend mit denen der zwei Rechnungshöfe im Vereinigten Königreich. Zeitgleich verglich erstens der Rechnungshof für England und Wales 12 neue, traditionell finanzierte mit 17 PPP-finanzierten Schulen.2 Der Rechnungshof für Schottland untersuchte 12 Schulprojekte mit 65 Gebäuden.3
Billigbau mit elementaren Mängeln Die Feststellungen betreffen zunächst einmal das äußerliche Erscheinungsbild. Häufig sind Klassenräume kleiner als vereinbart oder vorgeschrieben. Diese Art des »Sparens« auf Seiten des Investors zeigt sich in vielen weiteren »Kleinigkeiten«, z.B. bei schlechter Wasserableitung vom Dach. Das Design ist lieblos wie bei Kasernen, die Ausgaben für Architekten tendieren gegen null. Richard Feilden, der für die Staatliche Commission for Architecture and the Built Environment (CABE) ebenfalls PPPSchulen begutachtet hat, charakterisierte mehrere Gebäude als »bessere landwirtschaftliche Schuppen mit Fenstern«4 . Manche Mängel müssen auf Kosten der öffentlichen Hand beseitigt werden, z.B. wenn übliche Kabel nicht eingebaut wurden. Entweder ist »vergessen« worden, die entsprechende Leistung in den PPP-Vertrag aufzunehmen, oder es erscheint der LEA zu zeitraubend, sich mit den Anwälten des Investors auseinanderzusetzen. Nicht selten verwendet der Investor Baumaterialien minderer Qualität. Die Rechnungshöfe melden einstürzende Decken und Dächer. Bei der Ventilation wird gespart; so hat etwa der Stadtrat von Glasgow beschlossen, in der neu errichteten Rosshall Academy die Luftqualität messen zu lassen, weil Lehrer und Schüler über Kopf- und Augenschmerzen klagen.
Zeitliche Verzögerungen durch Subunternehmen Der oft gerühmte Vorteil von PPP, die anstehenden Arbeiten würden schneller als unter staatlicher Regie erledigt, tritt eher nicht ein. Das hat u.a. damit zu tun, dass PPP-Investoren ihre »Effizienzgewinne« dadurch »erwirtschaften«, dass sie Subunternehmen beauftragen, deren Werklohn gedrückt wird und die zudem nicht selten in Insolvenz gehen. Die zeit-
2 | Audit Commission: PFI in Schools, in: http://www.audit-commission.gov.uk, Bericht vom Januar 2003, 23.8.2007. 3 | Audit Scotland: Taking the Initiative. Using PFI Contracts to Renew Council Schools, in: http://www.audit-scotland.gov.uk, Bericht vom Juni 2002, 23.8.2007. 4 | Zitiert nach UNISON: What is Wrong with PFI in Schools? A PFI Report for Unison, London 2003, S. 8. Aus diesem Bericht wird im Folgenden referiert. Die Gewerkschaft ver.di, Abteilung Gemeinden, hat eine deutsche Übersetzung der UNISON-Studie herausgebracht: »Was ist falsch bei PFI an Schulen?«.
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liche Verzögerung von Arbeiten führte an mehreren Schulen dazu, dass die Ferien bzw. die schulfreie Zeit ausgedehnt werden musste. Die Beseitigung von Mängeln dauert häufig besonders lange, weil ein von der Schulleitung festgestellter Mangel erst zu LEA geht, von dort zur Projektgesellschaft oder zur Leitung des Firmenkonsortiums, von dort zum Subunternehmer (der gerade auf einer weit entfernten Baustelle beschäftigt ist) und von dort zum Sub-Subunternehmer (der gerade pleite gegangen ist).
Niedrige Löhne, trotzdem höhere Betriebskosten Die Beschäftigten der beauftragten Subunternehmen werden außertariflich niedrig bezahlt. Das betrifft nicht nur den Bau, sondern auch den 25- bis 35-jährigen Betrieb der Gebäude, z.B. die Hausmeister und die Reinigungskräfte. Allerdings haben in manchen Städten die Gewerkschaften gegen den Willen der Investoren durchsetzen können, dass diese Beschäftigten kommunal bleiben.5 Allgemein stellen die Rechnungshöfe wie auch die Gewerkschaften fest, dass die zusätzlichen Transaktionskosten bei PPP (für Berater, Kreditvermittlung etc.) die Gesamtkosten stark beeinflussen; der Rechnungshof für Schottland schätzt, dass dies zehn Prozent ausmacht. Häufig setzen die Investoren in den endgültigen Verträgen Mieten durch, die wesentlich höher liegen als in den ursprünglichen Angeboten. Vor allem die Betriebskosten erweisen sich häufig höher als in den investorenfreundlichen Wirtschaftlichkeitsvergleichen angenommen wurde. Als Investoren treten die Unternehmen Jarvis, Serco, Mitie, WS Atkins, 3ED und Interserve auf,6 wobei die größten und international tätigen Unternehmen, Jarvis und Serco, die meisten Aufträge bekommen haben. Für jedes Projekt wird entweder eigens eine Projektgesellschaft gegründet bzw. bei größeren ein Konsortium: Sie zeichnen sich wie bei der Londoner Metro durch ein sehr geringes Eigenkapital aus. Deshalb verlangen sie, weil sie keine hohen Kredite bekommen und die Muttergesellschaften nichts zuschießen müssen, nach einigen Jahren regelmäßig zusätzliche staatliche Zuschüsse.
Betriebsgeheimnisse Die Demokratie ist stark eingeschränkt bzw. nicht vorhanden. Schulleitungen, Schulbeiräte, Lehrer und Lehrergewerkschaften dürfen an der Vorbereitung, der Vertragsgestaltung und an der Bauabnahme nicht teilnehmen. Sie erhalten nur bruchstückhafte und unwichtige Informatio5 | Über die Arbeitsbedingungen und Bezahlung in PPP-Projekten hat UNISON eigene Berichte veröffentlicht, z.B. The PFI Experience: Voices from the Frontline, März 2003. 6 | UNISON a.a.O., S. 12.
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nen; der Schutz von Betriebsgeheimnissen ist dafür das wiederkehrende Argument. Die langlaufenden PPP-Verpflichtungen stellen einen erheblichen Anteil der jeweiligen Schuletats dar. Dadurch werden die finanziellen Spielräume für die lokalen Bildungsbedarfe stark eingeschränkt bzw. ganz abgeschafft. Den Stadträten sind über Jahrzehnte die Hände gebunden. Auf die Schulverwaltung kommt durch PPP zudem erhebliche Mehrarbeit zu. Die aufgelisteten Mängel kommen natürlich nicht alle in jedem Projekt gleichzeitig vor. Die Tendenz ist jedoch eindeutig. Wenn Stadträte, Stadtverwaltungen, Gewerkschaften sich selbstbewusst einmischen, können sie in Einzelpunkten Verbesserungen erreichen, wie etwa bei den Gehältern der Hausmeister und Reinigungskräfte. Aber das bleibt unter den in Großbritannien vorherrschenden Verhältnissen die Ausnahme und ist das Ergebnis von Anstrengungen, die gegen den PPP-Trend gehen und von den PPP-Akteuren als Störung betrachtet und diskriminiert werden. Die Berichte von UNISON und der Rechnungshöfe wurden 2002 und 2003 veröffentlicht. Die deutsche PPP-Szene, die sich in hündischer Gläubigkeit auf das englische Vorbild beruft, setzt sich nirgends mit diesen empirischen Befunden auseinander.7 Man hat offensichtlich Angst vor der Wirklichkeit.
K r ankenhäuser Für Krankenhäuser und Gesundheitszentren wurde eine eigene PPP-Variante entwickelt. Sie heißt Local Improvement Finance Trust Company, LIFTCo. Die LIFTCos bestehen in 26 der 28 englischen Gesundheitsregionen. Sie wurden zunächst zentral angeleitet und gesteuert durch »Partnerships for Health« (PfH), ein privatrechtliches PPP-Unternehmen. PfH wurde 2001 unter Blair & Brown durch »Partnerships UK« und das Department of Health (Gesundheitsministerium) gegründet und später in Community Health Partnerships (CHP) umbenannt. Als Ziel wird verkündet, das Gesundheitswesen mit privatem Kapital auszustatten, zu modernisieren und lokal zu verankern. 2005 gab PfH bekannt, dass das LIFT-Programm auch in Schottland und Nordirland anlaufen soll. Möglichst alle »weichen Dienstleistungen« wie Reinigung, Verpflegung, Betreuung, Sicherheit, Abfallentsorgung, Empfang u.Ä. sollen ausgelagert und privatisiert werden.8 Inzwischen stehen solche Gesundheitszentren für die Hälfte der Bevölkerung zur Verfügung.
7 | Vgl. etwa die jährlich stattfindenden PPP-Konferenzen und die darauf fußenden Protokollbände Public Private Partnership Jahrbuch 2005, 2006, 2007, 2008, 2009. 8 | Vgl. die von PfH durchgeführte Konferenz »Taking the LIFT Concept Forward« vom 3.3.2005. http://www.partnershipuk.org.ik/newsAttachments/documents
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Die empirische Basis für eine Zwischenbilanz ist also vorhanden. Die Regierung, der National Health Service und Community Health Partner ships scheuen aber eine umfassende Überprüfung der bisherigen Ergebnisse, sie drängen vielmehr auf eine möglichst schnelle Ausweitung. Zwar beauftragte das Rechnungsprüfungs-Komitee (Public Accounts Committee) des Parlaments den Rechnungshof National Audit Office (NAO) 2005 mit einem Bericht. Er enthält jedoch keine fundierte Auswertung, sondern primitive Regierungspropaganda. Die beamteten Prüfer untersuchten nur die nach ihrer Meinung sechs besten Projekte. Sie befragten nur die beteiligten Privatunternehmen und die LIFT-Direktoren; Patienten, Krankenschwestern, Ärzte und nicht-leitendes Personal wurden nicht befragt. Beschwerden aus der Bevölkerung, die brieflich oder mündlich eingingen, wurden nicht berücksichtigt bzw. nicht weiterverfolgt. Die kritischen Anmerkungen von lokalen Gesundheitsbehörden, psychiatrischen Einrichtungen und Pharmazeuten wurden zwar registriert, aber nicht vertieft und nicht bewertet. Qualität und soziale Struktur der medizinischen Versorgung blieben außer Betracht. Bewertet wurde lediglich die finanzielle Performance der sechs ausgewählten Projekte; genau ermittelt wurde die jährliche Rendite für die Investoren, sie beträgt immerhin zwischen 14,3 und 15,9 Prozent.9 Übrigens sahen die Prüfer Ihrer Majestät davon ab, LIFTCo-Projekte mit öffentlich finanzierten Gesundheitszentren zu vergleichen. So zeigen etwa das Greenwich’s Fairfield Grove Health Center und das North Croydon Medical Center, beide in London und von der Fachwelt gelobt, dass auch der öffentliche Dienst lern- und innovationsfähig ist. Doch das ist eine Möglichkeit, die die PPP-Fundamentalisten nicht wahrnehmen. Der Rundfunksender BBC berichtete im Jahre 2010, dass die Investoren der Gesundheitszentren durch Nachforderungen für Reparaturen, Reinigung und Catering die Mieten verdoppeln. Der Chefökonom des Gesundheits-Think-Tank-King’s-Fund, Professor John Appleby, wird so zitiert, dass die Gesundheitszentren einfach nicht die Einnahmen haben (auch angesichts der krisenbedingten Verarmung), die für die ursprünglich vereinbarten Mieten notwendig wären.10
Ein privates Bürokratie-Monster LIFTCo ist ein jeweils eigens gegründetes lokales, privatrechtliches Unternehmen. Die Unternehmensanteile gehören zu 20 Prozent der lokalen öffentlichen Gesundheitsbehörde, zu 20 Prozent dem staatlichen Zentral-
9 | The National Audit Office, Audit Commission: Financial Management in the NHS, London 2006. http://www.nao.org.uk/about/role.htm 25.8.2007; vgl. Dexter Whitfield: Global Auction of Public Assets, Nottingham 2010, S. 151. 10 | NHS Faces £65bn Bill for Private Finance Schemes, The Independent 13.8.2010.
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unternehmen Community Health Partnerships und zu 60 Prozent den beteiligten Privatunternehmen. Jedes LIFTCo hat eine eigene Geschäftsführung und eine Art Aufsichtsrat oder Beirat, Strategic Partnering Board. Darin sind auch leitende Ärzte vertreten, deshalb hat dieser Board nur beratende Funktion. Ein LIFTCo unterscheidet sich also von einem Konsortium, das bei der Londoner U-Bahn und den Schulen jeweils zu 100 Prozent den beteiligten Unternehmen gehört. Jedes LIFTCo gründet wiederum eine eigene Projektgesellschaft, ein sogenanntes »Special Purpose Vehicle« (»Vehikel für besondere Zwecke«), genannt LIFTCo I. LIFTCo I wird von den LIFTCo-Eigentümern nur mit dem geringstmöglichen Eigenkapital ausgestattet. Deshalb nimmt LIFTCo I für den Kauf von Grundstücken und für die Bezahlung der beauftragten Subunternehmen (die meist identisch sind mit den privaten Aktionären von LIFTCo) Kredite auf, vermietet das Krankenhaus, das Gesundheitszentrum, Arztpraxen, Apotheken usw. an die jeweiligen Betreiber (z.B. an die Gesundheitsbehörde), nimmt dafür die Mieten ein und überweist die Gewinne an LIFTCo, die die Gewinne an die Aktionäre ausschüttet. Aus LIFTCo I heraus werden zahlreiche weitere Tochtergesellschaften gegründet, FundCos genannt, und zwar möglichst für jedes einzelne Teilprojekt. Jedes FundCo seinerseits nimmt Kredite auf, um ein Grundstück zu kaufen, seine Subunternehmen zu bezahlen … Der Vertrag zwischen den LIFTCo-Aktionären läuft 20 bis 30 Jahre. Während dieser Zeit hat LIFTCo das exklusive Recht, auf seinem Territorium Gesundheitseinrichtungen zu betreiben. Am Ende der Vertragslaufzeit können die Aktionäre vereinbaren, das Unternehmen weiterzuführen, außer wenn die lokale Gesundheitsbehörde, eine Filiale des National Health Service (NHS, Nationaler Gesundheitsdienst), beschließt, das Unternehmen aufzukaufen. Freilich ist nach der eingeschlagenen Logik die Frage, ob es im Jahre 2020 oder 2035 überhaupt noch einen staatlichen Gesundheitsdienst gibt und wie viel Geld er haben wird. Was anhand der juristisch-organisatorischen LIFT-Struktur vermutet werden darf, erweist sich bei der empirischen Überprüfung als zutreffend: Die neue privatrechtliche Bürokratie ist intransparent und für Stadträte, Bürger und Medien undurchdringlich.11 Was bei einer staatlichen Verwaltung zumindest gesetzlich möglich ist, nämlich Mitbestimmung und die Anwendung aller neueren Informations-Freiheits-Rechte, ob national oder etwa der Europäischen Union (Freedom of Information Act), greift hier nicht: Entscheidungen und Dokumente privater Unternehmen sind davon ausgenommen.
11 | Rachel Aldred: In the Interests of Profit, at the Expense of Patients. An Examination of the NHS Local Improvement Finance Trust (LIFT) Model. Report for UNISON, Januar 2006, S. 6. Die folgende Darstellung folgt weitgehend diesem Bericht.
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Profitorientierte Manager, die entsprechend der Höhe des Profits prämiert werden, fällen im Schutz ihres rechtlich geschützten Privatdschungels die Entscheidungen. Sie verfahren nach einem »Strategic Service Development Plan«, der in keinem politisch gewählten Gremium zur Diskussion gestellt wird. Diese autoritäre »Top-Down«-Struktur etabliert eine praktisch undurchdringliche Wand zwischen LIFT einerseits und Patienten, lokalem Politikprozess und Öffentlichkeit. Das vollmundige Versprechen, durch LIFT werde das kommunale Leben wiederbelebt und die lokale Wirtschaft erlebe einen Aufschwung, bewahrheitet sich nicht. Bürgerinitiativen und Patientenforen werden als Störfaktor betrachtet. Bei der Vorbereitung und bei der Gestaltung von Gesundheitszentren bleiben sie außen vor. Beim Bau, der Modernisierung und beim Betrieb dominieren multinationale Unternehmen. Diese beauftragen billige ausländische Subunternehmen und beziehen ihre Materialien irgendwoher, jedenfalls nicht aus der lokalen Wirtschaft. Sie richten überregionale Callcenter mit Billiglöhnern ein und bauen Service-Personal vor Ort ab. Die LIFT-Logik führt dazu, dass dezentrale Gesundheitszentren nicht modernisiert, sondern geschlossen werden. Für die Investoren lohnen sich nur Großprojekte. Deshalb werden wie in Oxford neue Großkliniken in der Stadtmitte errichtet. Patienten und ihren Angehörigen, die in Vorstädten und kleinen Orten leben, wird der Zugang erschwert oder praktisch verwehrt.
Junk-Food Schon in den wenigen Jahren, in denen Krankenhäuser unter LIFT-Bedingungen betrieben werden, zeigen sich heftige strukturelle Mängel. So werden die Häuser ohne eigene Küche gebaut, denn zu den Investoren zählen Fast-Food-Ketten: Sie wollen und sollen die Mahlzeiten für Patienten und auch für das Personal besonders billig liefern. Die Erfahrung zeigt, dass dies auf »Junk-Food« hinausläuft. Die Mahlzeiten sind tiefgefrorene Massenware und werden kurzfristig vor Ort und möglichst schnell aufgetaut. Den Lieferanten ist es wichtig, dass die Essensbestandteile, z.B. Möhren und Tomaten, irgendwie farblich und der Form nach wie Möhren und Tomaten aussehen. Woher sie kommen, wo und wie und von wem sie gekocht wurden und wie sie genau schmecken, was sie beinhalten, welche Qualität und welchen langfristigen Ernährungs- und Gesundheitseffekt sie haben, ist nebensächlich. Sie müssen billig sein und oberflächlich an das erinnern, was sie eigentlich sein sollen. Übrigens wird in Krankenhäusern dieselbe Erfahrung wie in PPPSchulen gemacht. Wer mit der lieb- und geschmacklosen Billigware nicht zufrieden ist, kann sich etwas Besseres bestellen – das kostet aber einen erheblichen Aufschlag. Die Essensqualität leidet unter einem Vorteil, der allein bei den Lieferunternehmen zu Buche schlägt: Sie bzw. ihr LIFTCo I oder die Toch-
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tergesellschaft LIFTCo Ia haben einen 30-Jahres-Vertrag. Welcher Käufer würde sich schon darauf festlegen, 30 Jahre im selben Supermarkt einzukaufen? Das wissen natürlich auch die an LIFT beteiligten Unternehmen. Sie rechnen nicht unbedingt damit, dass sie ihren Vertrag wirklich 30 Jahre lang erfüllen werden. Wahrscheinlich werden die meisten dieser Unternehmen ohnehin nicht so lange existieren. Aber wenn man die Verträge über 30 Jahre abschließt, dann kann man Entschädigungen herausschlagen, wenn ein Vertrag vorzeitig beendet werden soll.
Unvorhergesehene Kosten Solche vorzeitigen Vertragsbeendigungen gehören in der »freien Wirtschaft« zur Normalität. Sie kosten unter den Bedingungen, die bei LIFT herrschen, viel zusätzliches Geld. Denn das theoretische LIFT-Modell geht davon aus, dass es keine solchen Beendigungen gibt. Für die privaten Investoren ist LIFT ein günstiger Rahmen für Flexibilität. »Flexibilität« gilt heute als etwas Gutes, und mit Flexibilität wird für Privatisierung und PPP und LIFT geworben. Ausgeblendet wird dabei ein Problem: Für den Vertragspartner Staat, für Patienten, Pflegekräfte, Ärzte, Lehrer und Schüler bedeutet dies das Gegenteil: Inflexibilität. »Wenn ein Aspekt des Krankenhausgebäudes – ob dies die Befestigung von Bildern an der Wand oder feuerfeste Türen oder die Materialien einer Röntgenkabine betrifft – im Vertrag nicht mit allen Einzelheiten geregelt wurde, dann stehen langwierige Verhandlungen der Gesundheitsbehörde mit LIFTCo an.«12 Da LIFTCo eine Monopolstellung hat und sich auf den Vertrag beruft, kann die den Gewinnvorgaben seiner Aktionäre verpflichtete Geschäftsführung darauf hinweisen, dass »Sonderwünsche« viel kosten. Dies ist auch dann der Fall, wenn die »Sonderwünsche« ganz einfach daraus resultieren, dass es einen technisch-medizinischen Fortschritt gibt. Wenn die Krankenhausbetreiber die zusätzlichen hohen Kosten nicht aufbringen können, gibt es keine Bilder an der kahlen Wand und kein neues Röntgengerät. So zeigt sich, dass gerade das, was mit Privatisierung und PPP und LIFT befördert werden soll, verhindert wird: Qualität, Innovation, Kostensenkung.13
Windfall Profits Die Kalkulationen der Konsortien und LIFTCos beinhalten eine bestimmte Zinsrate, mit der sie die für das Projekt aufgenommenen Kredite zurückzahlen müssen. Das scheint einsichtig. Die Zinsen sind zu Beginn eines PPP-Projekts relativ hoch, nicht nur deshalb, weil Private einen höheren Zins zahlen müssen als der Staat, sondern auch, weil das Kranken12 | Ebd., S. 8. 13 | Whitfield a.a.O., S. 254.
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haus, die Schule, das Gesundheitszentrum noch gar nicht gebaut oder noch nicht saniert ist und das Konsortium oder ein beteiligtes Unternehmen schon mal in Insolvenz gehen kann. Die kreditgebende Bank verlangt für diese Risiken einen erhöhten Zins. Nun ist es aber in der Regel so, dass nach ein bis zwei Jahren das Krankenhaus, die Schule und das Gesundheitszentrum fertig gebaut oder saniert sind. Jetzt hat die Bank eine Sicherheit. Das Konsortium und sein Bauunternehmen verhandeln deshalb den Kredit mit der Bank neu, sie erhalten bessere Konditionen, der Zins wird gesenkt, sagen wir von 6,5 auf 4,5 Prozent: Schön für das Konsortium. Aber der Staat zahlt weiter seine Entgelte auf der Basis der anfänglichen, höheren Zinsen. Das Konsortium und sein Bauunternehmen vereinnahmen somit still und leise über den vertraglich garantierten Gewinn hinaus einen weiteren Gewinn. In der Bankersprache heißt er »Windfall Profit«. Er beträgt bei den Laufzeiten zwischen 20 und 30 Jahren und den hier üblichen Summen sehr schnell mehrere Millionen Euro. So hat das Konsortium Pentland, das aus den Unternehmen Carillion, United Medical Enterprises und dem Investmentfonds Innisfree besteht, etwa 190 Millionen Euro für den Bau des 423-Betten-Krankenhauses von Dartfond und Gravesham vorfinanziert: Der Windfall Profit beträgt hier immerhin knapp 30 Millionen Euro. Das Konsortium Octagon Healthcare, das etwa 330 Millionen Euro in das Krankenhaus von Norfolk und Norwich investiert, könnte auf einen Windfall Profit von etwa 100 Millionen kommen. Darüber freuen sich die Unternehmen, die das Octagon-Konsortium bilden: Dazu gehören Barclays Capital, ein Tochterunternehmen der Bank Barclays, der Finanzinvestor (»Heuschrecke«) 3i und der globale Baukonzern Serco. Wenn man wie die genannten Unternehmen die öffentliche Hand bei mehreren solcher Projekte erfolgreich über den Tisch gezogen hat, kommt einiges zusammen. Und die Nachteile für den Gesamtstaat, alle derartigen PPP-Projekte zusammengerechnet, können sich auf einen Milliardenbetrag aufsummieren.14 Eine besondere Pointe besteht darin, dass der Windfall Profit für den Investor in allen untersuchten Fällen höher ist als der Einsparvorteil für die öffentliche Hand, der aus dem Wirtschaftlichkeitsvergleich hervorging. Im geschilderten Fall des Krankenhauses von Dartfond und Gravesham besagte der Vergleich: Die PPP-Variante ist 25 Millionen Euro billiger als die traditionelle staatliche Variante. Das war die Grundlage dafür, dass die Entscheidung für die PPP-Variante fiel. Im Vergleich fehlte der Hinweis auf den Windfall Profit. Würde er an die öffentliche Seite weitergegeben werden, erwiese sich die PPP-Variante als 5 Millionen Euro teurer.15
14 | Alle Angaben aus UNISON: Refinancing. Profiteering from Public Services, Bericht November 2001, S. 4, 7 und 8. 15 | Ebd. S. 7.
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In den meisten PPP-Verträgen, so stellte sich heraus, gibt es keine Klausel, dass der Windfall Profit geteilt oder an die öffentliche Seite weitergegeben wird. Parlamentarische Anfragen im August 2000 ergaben, dass nur in 15 von 82 PPP-Verträgen eine Klausel enthalten war, den Windfall Profit zu teilen. In keinem dieser 15 Verträge hieß es übrigens, dass der Windfall Profit ganz an den staatlichen Vertragspartner weiterzugeben sei. Die Labour-Regierung wusste das nicht nur, sie förderte es. Im Handbuch zur Standardisierung von PPP heißt es: »Es sollte berücksichtigt werden, dass der Gewinn aus Refinanzierungen nur eintritt, wenn das Projekt erfolgreich ist. Dieser Gewinn kann deshalb als eine geeignete Belohnung für die erfolgreiche Implementierung des Projekts angesehen werden.«16
G efängnisse Die englische Gefängnisverwaltung (Prison Service) begann bereits unter der Regierung Major 1995 mit zwei Gefängnis-Projekten nach einem experimentellen PPP-Muster: Der Investor des Gefängnisses Fazakerley in Liverpool ist ein Konsortium aus den beiden Unternehmen Group 4 Justice Services und Tarmac. Nach Fertigstellung des Gebäudes hat Tarmac seinen Anteil am Konsortium an den Baukonzern Carillion weiterverkauft. Der Vertrag über Bau und Betrieb des Gefängnisses Bridgend in South Wales ging 1996 an dasselbe Konsortium. Inzwischen werden 11 der insgesamt 132 Gefängnisse unter dem PPP-Regime betrieben. Investor ist hier vor allem der bei PPP in Großbritannien insgesamt führende Baukonzern Serco. Die Verträge laufen 25 Jahre. Die Königliche Gefängnisverwaltung ließ sich hochkarätig und teuer beraten. Die beiden Privatbanken Lazard (Paris) und Rothschild (London), die ohne Ausschreibung zu ihrem Auftrag kamen, berechneten dafür 2,4 Millionen Euro. Dafür gerieten die Verträge besonders investorenfreundlich. Eigentlich sollten die Verträge an getrennte Investoren gehen, aber der Einfachheit halber bekam der Gewinner des ersten Auftrags auch den zweiten.17 Allein der Windfall Profit für Group 4/Carillion beläuft sich bei Fazakerley auf etwa 15 Millionen Euro. Auf diese Weise erhöht sich der vertraglich vereinbarte Gewinn auf das eingesetzte Kapital von 13 Prozent erheblich. Bei Bridgend liegt er etwas niedriger. Fünf Projekte werden vom Konsortium Premier Prison betrieben. Es besteht aus dem englischen Bauunternehmen Serco und dem führenden US-Gefängnisbetreiber Wackenhut. Die Tatsache, dass Wackenhut in 16 | Treasury Taskforce Private Finance Initiative: Standardisation of PFI Contracts, July 1999. 17 | UNISON: Refinancing a.a.O., S. 6f.
IV. S chulen , K rankenhäuser und G efängnisse in G rossbritannien
Großbritannien tätig werden konnte, bedeutet eine klare Richtungsanzeige: vollständiger Rückzug des Staates aus dem Justizvollzug, Ausweitung des Gefängnissystems, ökonomische Ausbeutung der Gefangenen.18 Die Privaten übernehmen nach US-Vorbild den gesamten Gefängnisbetrieb. Es wird also keine Trennung in hoheitliche Aufgaben (Handlungen mit Eingriffscharakter hinsichtlich der Häftlinge) und technisch-kaufmännischem Betrieb (Verpflegung, Werkstätten etc.) vorgenommen, wie sie beispielsweise bei Gefängnis-PPP in Deutschland (noch) vorgenommen wird. Die Häftlinge müssen für gefängniseigene Niedriglohnfirmen zur Verfügung stehen, etwa in Callcentern. Der größte Teil des Lohns wird den Häftlingen nicht ausbezahlt, sondern gehört zur »günstigen« Finanzierung der Gefängnisse. Der Staat bezahlt den privaten Betreiber nach bereitgestellten Haftplätzen, unabhängig davon, ob sie belegt sind. Allerdings kann es nach einem Malus-System Abzüge geben, etwa wegen eingeschmuggelter Gegenstände, Tätlichkeiten gegenüber Häftlingen oder Gefängniswärtern, mangelhafter Reinigung, Fluchtversuchen u.Ä. Allerdings dürfen die Abzüge fünf Prozent nicht überschreiten. Außerdem hat die staatliche Gefängnisverwaltung kaum die Möglichkeit, selbst diese Mängel zu erheben und zu bewerten.19 Die Investoren sind folglich auch hier in einer sehr komfortablen Situation, obgleich eine Untersuchung der Regierung selbst belegt, dass sie eine wesentlich schlechtere Leistung bringen als die staatlichen Gefängnisse. In den elf PPP-Gefängnissen waren 2009 zum Zeitpunkt des Tests 9100 der 83.000 Häftlinge untergebracht. Ein Team des TV-Senders More4News gelangte mithilfe des Freedom of Information Act an die Ergebnisse des Tests, der sich auf den von der Regierung selbst erstellten Katalog »Prison Performance Assessment Tool« (PPAT) stützt. Die Kriterien sind u.a. Fluchtversuche, Angriffe auf das Personal, Beschwerden der Häftlinge, Durchführung von Rehabilitations-Maßnahmen. Die PPP-Gefängnisse schneiden schlecht ab. Z.B. beschweren sich die Häftlinge hier doppelt so häufig wie in staatlichen Gefängnissen. Trotzdem wollen sowohl Investoren wie die beiden sich abwechselnden Regierungsparteien – gleich ob sie »sozialistisch« oder »konservativ« sind – noch mehr PPP-Projekte, bis 2014 sollen fünf hinzukommen.20 Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass beide Regierungen scharfe Strafgesetze befürworten und immer mehr Kleinkriminelle wie Drogenkonsumenten ins Gefängnis stecken wollen, damit Straßen und Plätze »sauber« bleiben.
18 | Harald Neuber: Ein fesselndes Geschäft, Telepolis 1.5.2006. 19 | Michael Korn/Christoph Winter: Britische Erfahrungen mit PFI bei Gefängnissen, in: Detlef Knop (Hg.): PPP Jahrbuch 2006, Frankfurt 2006, S. 140. 20 | Robert Verkaik: Private Prisons Performing Worse than State-Run Jails, The Independent 29.6.2009.
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V. Sichere Gewinne mit öffentlicher Infrastruktur
»Shareholder-Value-Kapitalismus« gilt manchen immer noch als Anklage oder auch als positive Kennzeichnung des gegenwärtigen Wirtschaftssystems: Alles sei an den Interessen der Shareholder, also der Aktionäre, ausgerichtet, und das sei schlecht – oder auch gut. Doch wenn sich die Banken- und Unternehmensführungen tatsächlich an den Interessen von Aktionären ausrichten würden, wäre der Kapitalismus gemütlicher, als er ist, folglich, aus den beiden genannten Perspektiven gesehen, viel weniger schlecht bzw. viel weniger gut. Der Shareholder-Value-Kapitalismus ist das Ergebnis eines regulierten Kapitalismus. Die Regulierungen (Aktiengesetz, Publizitätspflichten, Börsen- und Kartellaufsicht) sind gewiss ambivalent, nicht einmal halbherzig und gewiss einseitig kapitalfreundlich. Aber die heute vorherrschenden Formen unsozialer oder auch erfolgreicher Gewinnmaximierung haben selbst mit diesen Regulierungen und mit Aktien und Aktionären und Börse nur in zweiter Linie zu tun. Die neuen Formen heißen vielmehr Mergers & Aquisitions (Fusionen und Aufkäufe von Unternehmen), Private Equity, Hedgefonds, Asset Backed Security – und eben auch Privatisierung und Public Private Partnership. Sie stellen die bisherigen Regulationen infrage, unterlaufen sie, sind von ihnen gar nicht betroffen. Der bisherige regulierte Kapitalismus hat nicht nur in der »Dritten Welt« Zonen von Verwüstung und Unterentwicklung hervorgebracht. Auch in seinen eigenen, reichen Staaten breiten sich Zonen der Unterentwicklung aus. Wir sprechen jetzt nicht von den Millionen Menschen, die vorübergehend oder dauerhaft in Armut leben.1 Wir sprechen von der Infrastruktur, die für ein ziviles, sicheres Leben der Gesamtbevölkerung
1 | Zum Begriff der Armut, der im »entwickelten« Kapitalismus immer mehr auch die Menschen erfasst, die »Arbeit« haben, vgl. Werner Rügemer: arm und reich, Bielefeld 2003, 2. Auflage.
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notwendig ist: allgemeinbildende Schulen, flächendeckende Verkehrssysteme, Wasser-, Abwasser- und Energienetze, Abfallentsorgung. Eine solche Infrastruktur gehört seit der Großen Französischen Revolution vor über zwei Jahrhunderten unbestritten zur »modernen«, demokratischen Wohlstandsgesellschaft. Eine solche Infrastruktur wurde insbesondere seit der weiteren Ausbreitung der kapitalistischen Demokratie und des Sozialismus nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg in zahlreichen Staaten rund um den Erdball, allerdings auch mit großen Unterschieden, mehr oder weniger gut ausgebaut. Zumindest war dieser Anspruch öffentlich anerkannt. Doch seit einigen Jahrzehnten bereits wurden Ausbau und Erhaltung vernachlässigt. Die vorherrschende Ökonomie lebt von der Substanz. Man weiß seit Jahrzehnten, dass die Kanalisationen unter den Städten, auch unter den Metropolen der mächtigsten Staaten, undicht sind, Schadstoffe in den Boden versickern lassen, dass die Wasserleitungen ständig Millionen Kubikmeter des »kostbaren Nasses« verlieren. Die Regierungen wussten es, sie ließen kundige Ingenieure und Wissenschaftler genau ausrechnen, wie viele Schulgebäude marode und wie viele Straßenbrücken brüchig sind und erneuert werden müssten und wie viel Geld es kosten würde, diesen »Investitionsstau« aufzulösen.
D er S ta at hat kein G eld , aber die P rivaten haben es Aber die Regierungen der kapitalistischen Demokratien sagen, und sie sagen überall gleichlautend dasselbe, in Washington und London und Bonn und Berlin und Paris und Rom und Budapest, und (fast) alle Bürgermeister in vielen tausend großen und kleinen Städten wiederholen es: Wir sind überschuldet, wir haben kein Geld. Die großen Unternehmen und die Banken und die Versicherungen und die Vermögensberater der Vermögenden weisen immer nachdrücklicher und mahnend darauf hin: Der Staat hat abgewirtschaftet, er lässt die Infrastruktur verfallen, er hat kein Geld, und für so eine schwierige Aufgabe sei er sowieso nicht geeignet. So dürfe es nicht weitergehen! Aber sie ließen es bei dieser Kritik nicht bewenden, sondern sie fügten hinzu: Wir haben das Geld. Wir helfen euch. Wir nehmen die Infrastruktur nun selbst in die Hand. Neben dem direkten Kauf von Stadt- und Wasserwerken durch einzelne Konzerne wie RWE, Eon, Vattenfall, EnBW, Veolia usw. hat die Finanzwelt inzwischen eine genauer ausgearbeitete Strategie entwickelt: Infrastrukturfonds. Großaktionäre, Unternehmer, Topmanager, Pensionsfonds, Versicherungen »schwimmen im Geld und suchen neue Anlageziele«2 . Dabei erweist sich das traditionelle kapitalistische Geschäft 2 | Um das Milliardengeschäft mit Infrastruktur entbrennt zwischen Banken und Finanzinvestoren ein heißer Kampf, Wirtschaftswoche 11.6.2007, S. 72.
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als zunehmend riskant. Die öffentliche Infrastruktur erweist sich als eine neue Alternative. Ein scheinbarer Widerspruch tut sich auf: Die Privatisierungs-Fundamentalisten haben für sich die Vorzüge des Öffentlichen und der Nachhaltigkeit entdeckt. Deshalb kann es übrigens auch nicht überraschen, dass die Banken, die sich in der »westlichen Wertegesellschaft« in einen flächendeckenden Bankrott hineinspekuliert haben, sich ohne ideologische Verrenkungen vom Staat haben retten lassen. Der Staatseingriff zugunsten privater Gewinne gehört – entgegen des öffentlich zuvor verkündeten Glaubensbekenntnisses – zum Wesen des deregulierten Kapitalismus.3
K ein W e t tbe werb , stabile E innahmen Warum ist ein Unternehmen der öffentlichen Infrastruktur so interessant? »Weil es eine essentiell wichtige Dienstleistung für die Kommune bereitstellt, weil es vor dem Wettbewerb geschützt ist und weil es stabile und nachhaltige Erträge über einen langen Zeithorizont erwirtschaftet«,4 sagt John Craig, der Europachef der australischen Bank Macquarie. Diese Bank ist neben Banken wie Barclays, Goldman Sachs und Deutsche Bank einer der Pioniere für Infrastrukturfonds. Halten wir fest, was Mr. Craig aus Australien in seiner Europa-Zentrale in der City of London so schätzt: Kommunale Dienstleistungen sind essenziell, sie sind vor dem Wettbewerb geschützt, und sie bringen langfristig sichere Erträge. Wer hätte das, wenn er naiv denkt, gedacht: Die Avantgarde des Post-Shareholder-Value-Kapitalismus hat die Vorzüge der heftig gescholtenen Staatswirtschaft entdeckt. Natürlich wäre dies eine sehr oberflächliche Feststellung. In Wirklichkeit ist es anders. Das zeigte sich schon seit über einem Jahrzehnt bei einer anderen »strukturierten Finanzierung«, beim Cross Border Leasing. Auch dabei beruht der von den großen US-Investoren, Banken und Beratern geschätzte und ausgebeutete Vorteil der damals gekauften Kanalisationen, Wasserleitungen, Schienen- und Energienetze und Briefsortieranlagen der Post sowie der nationalen Flugsicherungen und weiterer Systeme der Infrastruktur auf denselben Merkmalen: Notwendig für den Zusammenhalt einer Gesellschaft, Monopolstellung, risikolose, langfristig stabile Erträge.5 Dass richtige kapitalistische Unternehmen nicht wirklich das wollen, was sie so heftig propagieren, nämlich Wettbewerb und Risiko, das ist eigentlich eine banale Tatsache. Damit es nicht so aussieht, als stehe Mr. Craig aus dem fernen Australien alleine da, hören wir einen weiteren Aktivisten: »Infrastrukturfonds 3 | Werner Rügemer: Privatisierung in Deutschland. Von der Treuhand zu Public Private Partnership. Eine Bilanz, Münster 2008, S. 68ff. 4 | Wirtschaftswoche a.a.O., S. 74. 5 | Werner Rügemer: Cross Border Leasing, a.a.O., S. 27f.
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investieren in quasimonopolistische Projekte, die öffentlich-rechtlich reguliert sind und laufende, langfristig gesicherte Erträge abwerfen.« Das schreibt in der Zeitung des (angeblich) klugen, umsichtigen Kapitalismus, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Rechtsanwalt Kornelius Kleinlein.6 Kleinlein ist Mitinhaber der großen US-Wirtschaftskanzlei Hogan & Hartson Raue. Der unamerikanische Namenszusatz »Raue« weist darauf hin, dass sich Hogan & Hartson wie andere US-Kanzleien vor einigen Jahren kurzerhand in der deutschen Hauptstadt eine bestehende deutsche Anwaltskanzlei gekauft hat und damit in Berlin eine Niederlassung in einem neuen Land ihrer Träume eröffnen konnte. Deutsche Kanzleien brennen übrigens darauf, von US-Kanzleien gekauft zu werden.7 Anwalt Kleinlein ist Spezialist für die Privatisierung öffentlicher Unternehmen und für Public Private Partnership. Er wurde einschlägig bekannt, weil er zu den Lobbyisten und zugleich den Verfassern des Gesetzes zur Beschleunigung Öffentlich-Privater Partnerschaften (ÖPPBeschleunigungsgesetz) gehört, das 2005 vom Deutschen Bundestag durchgewinkt wurde. Aufschlussreich ist auch, dass, wie die FAZ wahrheitsgemäß berichtet, Kleinlein nicht nur Unternehmen, sondern auch die öffentliche Hand berät bzw. Aufträge für beide ausführt. Kleinleins Mitautor Steininger, ebenfalls Mitinhaber der Kanzlei, ist Spezialist für Steuern, Private Equity und »alternative Investments«. Diese Fähigkeiten haben mit elementaren Merkmalen der Infrastrukturfonds zu tun: Sie werden als alternative Investments bezeichnet (alternativ z.B. zu herkömmlichen Aktien), die auch für Private Equity interessant sind und mit deren Hilfe man z.B. möglichst viele Steuern nicht zahlt.
D ie zukünf tigen G ebühren je t z t verk aufen Die Attraktivität der stabilen, langfristig sicheren und risikolosen Erträge aus der Infrastruktur sind nicht etwa, wie der naive Staatsbürger denken könnte, deshalb interessant, weil sie den Investoren ein gutes Einkommen garantieren. Weit gefehlt! Die Attraktivität liegt in Folgendem: Die Fonds sind auf Laufzeiten um die 20 Jahre angelegt. Statt auf die Erträge zu warten, die die jeweiligen Wasserbezieher, Straßenbenutzer und sonstigen Gebührenzahler im Laufe dieser unendlich langen zwei Jahrzehnte entrichten (unendlich lange 6 | Uwe Steininger/Kornelius Kleinlein: Infrastrukturfonds in Deutschland ohne Dynamik, international ein großer Wachstumsmarkt, Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.6.2007. 7 | 2010 fusionierte Hogan & Hartson mit der US-Wirtschaftskanzlei Lovells; 40 Anwälte setzten sich ab, kamen auf die deutsche Tradition und den deutschen Namen zurück und gründeten die Kanzlei Raue Rechtsanwälte (»Full ServiceKanzlei für Unternehmen, Verbände und Politik«).
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aus der Perspektive von prämienabhängigen Managern, renditehungrigen Anlegern, provisionsbegierigen Vermittlern, zinsgebenden Banken usw.), haben diese stabilen, langfristig sicheren, risikolosen Einnahmen den Vorzug, am ersten Tag vollständig verkauft beziehungsweise beliehen werden zu können! Oder anders gesagt: Wegen der extrem hohen Sicherheit kann der Investor die jeweiligen Infrastrukturunternehmen fast ausschließlich mit geliehenem Geld kaufen. In der Regel bekommt er damit am Anfang sogar mehr heraus als das Unternehmen selbst kostet. Dabei bleibt es nicht. Die Infrastrukturfonds können in spezialisierte Einzelfonds aufgespalten und für die Anleger gegen hohe Gebühren gemanagt werden. Und die Einzelfonds können beispielsweise nach einer gewissen Zeit als Aktiengesellschaft an die Börse gebracht werden. Das sind Zusatzeinnahmen für die Investoren. Aus den Infrastrukturunternehmen werden Infrastrukturfonds. Aus den Infrastrukturfonds werden Spezialfonds. Aus den Spezialfonds werden Aktiengesellschaften usw. Aus PPP-Verträgen werden Finanzprodukte. Und all diese Finanzprodukte werden von Managern geleitet, deren Gewinnbeteiligung bei 20 Prozent liegt. Und damit alles glatt über die Bühne geht, machen Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, gegen ein gewisses Honorar, aus den Anlegern Kommanditisten, die ihren juristischen Steuersitz auf einer schönen Insel haben, die z.B. auch Luxemburg heißen kann. Die Bank Macquarie, die Anfang 2007 z.B. von RWE die Londoner Wasser- und Abwasserwerke Thames Water gekauft hat, hat nach eigenen Angaben bisher mit ihren seit 1996 gegründeten Infrastrukturfonds eine Rendite von 20 Prozent erzielt.8 Auch wenn in Zukunft eine so hohe Rendite wahrscheinlich nicht mehr allgemein möglich sein wird, brauchen die Investoren nicht zu darben. Die Anwälte Kleinlein und Steininger von Hogan & Hartson Raue loben die Renditen, auch wenn sie nur 12 bis 15 Prozent jährlich betragen. Das sei zwar »bescheiden« im Vergleich zu den Private-Equity-Fonds, die beim kurzfristigen Verwertungszyklus von drei bis fünf Jahren durch Kauf, Restrukturierung und Weiterverkauf von Unternehmen üblicherweise eine Rendite von mindestens 25 Prozent »erwirtschaften«. Aber für die wesentlich größere Sicherheit und für die 25 Jahre risikolos laufende Rendite bei den Infrastrukturfonds lohne sich die Bescheidenheit allemal. Jetzt geht es nur noch darum, den Speck für die armen staatlichen Mäuse auszulegen. Kleinlein und Steininger stellen fest, dass überall in der kapitalistischen Welt »die öffentliche Hand angesichts ihrer klammen Haushaltslage die privaten Investitionen benötigt«. Dieser Speck ist für die Regierungen und Bürgermeister umso verführerischer, als sie es ja selbst sind oder ihre jeweiligen Parteifreunde, die die staatliche Verschuldung herbeigeführt haben.
8 | Wirtschaftswoche a.a.O., S. 72.
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Steininger und Kleinlein loben, dass die Regierungen in England, Australien, Kanada und den USA das schon lange eingesehen bzw. den Speck schon gierig verschlungen haben. Deshalb gebe es in diesen Ländern mit ihrer »entwickelten Privatisierungskultur« gesetzlich privilegierte Infrastrukturfonds, die inzwischen auch in PPP-Projekte investieren dürfen. Das müsse doch auch in allen anderen Staaten möglich sein.
V ernachl ässigte I nfr astruk tur In den reichen Staaten geht es vor allem um Schulen, Stadtwerke, Wasserwerke, Häfen und Flughäfen, nationale Flugsicherungssysteme, Krankenhäuser, Straßen, Autobahnen, Parkhäuser, Tankstellenketten. Im Mittleren Osten geht es beispielsweise auch um Entsalzungsanlagen, Solaranlagen und Universitäten, in Indien um neue Strom- und Gasnetze. Nach Schätzungen der Bank Macquarie haben Infrastrukturfonds allein im Jahre 2006 weltweit 20 Milliarden Euro bei privaten und institutionellen Anlegern für PPP-Projekte in solchen Bereichen eingesammelt. Auch die besonders renditeorientierten Finanzinvestoren (»Heuschrecken«) stürzen sich auf die Infrastrukturfonds.9 Als »besonders lukrativ« gelten solche Fonds in den aufstrebenden »Schwellenländern«. Die Weltbank sieht dort einen aktuellen »privaten Beteiligungsbedarf« von 1,36 Billionen US-Dollar, und zwar bei der Wasser- und Energieversorgung, im Abwassersektor, bei Straßen, Schienennetzen, Flug- und Seehäfen.10 Die US-Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton sieht etwas weiter und mehr: Bis zum Jahre 2030 bestehe ein Bedarf von 41 Billionen US-Dollar.11 Die beiden australischen Banken Macquarie und Babcock & Brown gelten als die Pioniere. Mitte der 1990er Jahre haben sie mit Infrastrukturfonds begonnen, zunächst in Australien bei privatisierten Kraftwerken und Telefonanlagen, dann setzten sie dies in England und Europa fort. Seit den 1990er Jahren sind die Australier auch bei anderen »strukturierten Finanzierungen« aktiv. Z.B. sind sie, um im deutschsprachigen Raum zu bleiben, über Cross Border Leasing an folgenden Objekten beteiligt: Abwasserentsorgung von Mannheim, Wuppertal, Nürnberg, Innsbruck, Wien, Lutherstadt Wittenberg; Messehallen Köln, Hannover; Westfalenhalle Dortmund, Abfallgesellschaft Ruhrgebiet/Müllverbrennung Herten, Kraftwerk Innsbruck, Telefonnetz Telekom Austria, Züge der Österreichischen Bundesbahnen u.a. Diese Verträge laufen trotz krisenbedingter Teilkündigungen bis in die 30er Jahre des 21. Jahrhunderts.12 9 | Financial Times Deutschland 2.3.2007. 10 | Finanzinvestoren stürzen sich auf Indien, Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.4.2007. 11 | Wirtschaftswoche a.a.O., S. 74. 12 | Werner Rügemer: Cross Border Leasing, a.a.O., S. 183ff.
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Für die Beteiligung an PPP-Projekten in Europa und Deutschland haben die beiden agilen australischen Akteure von London aus ebenfalls schon Infrastrukturfonds aufgelegt. Der Fonds Babcock & Brown Public Partnerships beteiligt sich an Schulen und Krankenhäusern vor allem in England.13 Beim Macquarie European Infrastructure Fonds II können auch »Kleinanleger« mit einem Betrag ab 20.000 Euro Anteile kaufen. Ihnen wird für zehn Jahre eine jährliche Vorsteuerrendite von 11,3 Prozent versprochen. Sie erwerben über eine Beteiligungsgesellschaft Genussrechte an dem Fonds. Der finanziert PPP quer durch Europa in den Bereichen Wasserversorgung, Mautstraßen, Gas- und Stromnetze. Um die Anleger am Ende der Laufzeit auszuzahlen, bringt Macquarie den Infrastrukturfonds dann an die Börse.14 Privatbanken wie Delbrück Bethmann Maffei verkaufen Anteile am Fonds und verdienen dabei fünf Prozent der Anlagesumme als Provision.15 Auch Ratingagenturen, Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftskanzleien erkunden immer neue Möglichkeiten für Infrastrukturfonds. Gleichzeitig sind sie als Lobbyisten tätig, um in den einzelnen Staaten die passende Gesetzgebung auf den Weg zu bringen. Sie taten dies bereits vor der Finanzkrise – und nach der Finanzkrise finden sie angesichts der noch weiter verschuldeten Staaten weitere Begründungen. So lobt die Ratingagentur Fitch die Renditeaussichten bei Mautstraßen in Südamerika.16 Die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young sehen Infrastrukturfonds als neue Anlageklasse.17 Die Ratingagenturen Standard & Poor’s und Moody’s veröffentlichen regelmäßig Infrastrukturindexe und öffnen damit die Fonds für den spekulativen Zweithandel. Die Wirtschaftskanzlei CMS Hasche Sigle beobachtet, wie die Mitgliedsstaaten der EU und die wichtigsten außereuropäischen Staaten ihre Gesetzgebung zugunsten von PPP anpassen.18 Die Wirtschaftsprüfer von Deloitte Touche Tomatsu machen Vorschläge, wie im Bereich Militär, Gefängnisse, Stadtentwicklung, medizinische Behandlung und Schulbildung der Investitionsstau mithilfe von PPP aufgelöst werden könne.19 Auch die Finanzierung von PPP-Projekten wurde gezielt für Infrastrukturfonds geöffnet. 2007 änderte die Bundestagsmehrheit das Investmentgesetz. Damit gelten Fonds für Öffentlich-Private Partnerschaften 13 | Financial Times 12.10.2006. 14 | Morgan Stanley: private wealth 3/2006, S. 86ff. 15 | Delbrück Bethmann Maffei ABN AMRO: Investition in Infrastrukturanlagen, Emissionsunterlagen Macquarie European Infrastructure Funds II, 2006. 16 | Fitch Ratings: Latin America Toll Roads. Global Credit Crisis Causes Bumpy Road Ahead, Juni 2009. 17 | Ernst & Young: Investing in Global Infrastructure: An Emerging Asset Class, 2007. 18 | CMS Hasche Sigle: PPP in Europe, April 2009. 19 | Deloitte: Closing the Infrastructure Gap: The Role of Public Private Partnerships, Zürich 2006.
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(ÖPP-Fonds) als »neue Investmentvehikel« und als Infrastruktursondervermögen. Sie werden auch steuerlich gefördert. So wirbt seitdem etwa die Tochtergesellschaft der Hessischen Landesbank, Hannover-Leasing, bei Kleinanlegern: Sie können nun Beträge ab 15.000 Euro in das PPPProjekt »Schule des lebenslangen Lernens« in Dreieich bei Offenbach steuerbegünstigt investieren.20 Die Verursacher der Finanzkrise machen aus ihr das nächste Geschäft und bereiten die nächste Krise vor.
Die größten Infrastrukturinvestoren Die US-Investmentbank Morgan Stanley, die selbst für mehrere eigene Infrastrukturfonds Geld bei Anlegern eingesammelt hat und im Auftrag der Bundesregierung u.a. den Börsengang der Deutschen Bahn vorbereitete, hat 2006 eine Übersicht der größten Investoren erstellt. Sie betreiben jeweils mehrere Infrastrukturfonds. Ihr Eigenkapital beträgt damit insgesamt 137 Milliarden US-Dollar. Da sie bei Investitionen höchstens 20 Prozent Eigenkapital einsetzen und mindestens 80 Prozent durch Kredite aufbringen, beträgt die »Finanzkraft« der Fonds mindestens 700 Milliarden US-Dollar.21 Die Aufstellung scheint keineswegs vollständig zu sein. So tauchen hier beispielsweise der gemeinsam von Blackstone und Citigroup aufgelegte Fonds mit fünf Milliarden US-Dollar22 und der von der Deutschen Bank und ihrer Tochter Structured Capital Markets Group (SCM) mit zwei Milliarden Euro aufgelegte Fonds23 nicht auf. Hauptsitz Eigenkapital Investor in Milliarden Macquarie (Bank) Australien 15,0 FCC (Baukonzern) Spanien 13,7 Ferrovial (Baukonzern) Spanien 11,0 Abertis (Autobahnbetreiber) Spanien 10,2 Borealis (Pensionsfonds) Kanada 10,0 Sacyr (Baukonzern) Spanien 8,8 CKI (Fonds) Hongkong 7,0 Goldman Sachs (Bank) New York 6,5 Cintra (Betreiber) Spanien 6,3 Caisse de Depot (Bank) Kanada 5,0 Merrill Lynch (Bank) USA 5,0 Terra Firma (Private Equity) Großbritannien 5,0 20 | Fonds-Check Substanzwerte Deutschland 3: Lebenslanges Lernen zahlt sich aus, Financial Times Deutschland 13.11.2007. 21 | Morgan Stanley: Private Wealth, a.a.O., S. 76; alle Geldangaben in US-Dollar. 22 | Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.4.07. 23 | Frankfurter Rundschau 23.9.2006.
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AIG (Versicherung) Carlyle (Private Equity) Morgan Stanley (Bank) DB Breef (Immobilien) 3i (Private Equity) JP Morgan (Bank) Hochtief (Baukonzern) Babcock & Brown (Bank)
USA USA USA Australien Großbritannien USA Deutschland Australien
3,0 3,0 3,0 3,0 2,0 2,0 2,0 1,7
An dieser Aufstellung von 2006 hat sich inzwischen nur wenig geändert. Macquarie führt weiter die Liste an. Hinzugekommen sind u.a. die US-Fonds Global Infrastructure Partners, Alinda Partners, American International Group (AIG), der britische Fonds Innisfree und die Deutsche Bank über ihre Tochtergesellschaft RREEF.24 Babcock & Brown ging in Konkurs.
24 | Whitfield a.a.O., S. 117.
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VI. »Entwicklungsland« Deutschland
Die Lobbyisten-Anwälte Kleinlein und Steininger und ihre Mittäter beklagen, dass Deutschland in Sachen Infrastrukturfonds noch ein Entwicklungsland sei. Solche Fonds müssten bisher ein »Stiefmütterchendasein« fristen, obwohl »Untersuchungen des britischen Rechnungshofes« gezeigt hätten, wie hoch die »Kosteneinsparung« sei. In Großbritannien würden schon 15 Prozent der öffentlichen Investitionen durch PPP erledigt, in Deutschland erst 4 Prozent. Die Lobbyisten-Anwälte und ihre Freunde führen auch für Deutschland gewaltige Zahlen auf, die den Investitionsstau bzw. den Entwicklungsrückstand beweisen. Allein für die soziale Infrastruktur – Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten – und Verwaltungsgebäude betrage er 150 Milliarden Euro.1 Die Landesbank Hessen-Thüringen ging wie andere Banken mit Berufung auf das Deutsche Institut für Urbanistik allein in den Kommunen von 2005 bis 2009 sogar von 686 Milliarden Euro aus.2 Die Lobbyisten, die zugleich ihre eigenen Geschäftsfelder erweitern wollen, haben auch schon, so die US-Kanzlei Norton Rose, die Notwendigkeit von Kirchlich-Privaten Partnerschaften (KPR) aufgespürt, vor allem im Bereich kirchlicher Krankenhäuser.3 Nachdem die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder 2000/2001 mit den erheblichen Steuersenkungen für Kapitalgewinne und für Erlöse bei Unternehmensverkäufen sowie dann mit der Agenda 2010 (Leiharbeit, Niedriglohn, »Hartz IV«) die grundsätzlichen Wünsche der deutschen und der US-Unternehmenslobby erfüllt hatte,4
1 | HSH Nordbank: Deutsche PPP Holding GmbH, April 2007, S. 9. 2 | Helaba Landesbank Hessen-Thüringen: PPP-Finanzierungen, Präsentation beim Kommunalforum der TaunusSparkasse, Bad Homburg 18.5.2005, S. 4. 3 | PPP-Spektrum wird größer, Immobilienzeitung 15.11.2007. 4 | Schröder wirbt in New York um Vertrauen für Deutschland, Abendblatt 22.11.2003; Werner Rügemer: Warum Bundeskanzler Schröder an der Wall Street für die Agenda 2010 warb, junge welt 9.1.2004.
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waren Privatisierung und PPP nächste wichtige Schritte. Schröder orientierte sich dabei eng am bewunderten Vorbild Tony Blair. Das Großprojekt Toll Collect (»Maut einziehen«) war 2003 der PPPEinstieg auf Bundesebene. Es ist für die deutsche Regierung ähnlich bedeutsam wie die Londoner U-Bahn für die Regierung Blair & Brown. Toll Collect ist ein typisches PPP-Projekt: Die Autobahnen werden nicht verkauft, sondern für Aufbau und Betrieb des LKW-Maut-Erfassungssystems zahlt der Staat dem privaten Konsortium aus DaimlerChrysler/Telekom/ Vinci bis 2014 ein regelmäßiges Entgelt. Typische PPP-Merkmale prägen das Projekt: »strukturierte Finanzierung«, Geheimhaltung der Verträge, Beraterabhängigkeit, Privatisierung der Justiz, einseitige Bevorteilung des Konsortiums u.Ä. (vgl. S. 122). Die erste Initiative für PPP ging jedoch nicht von der Bundesregierung aus. Die 1999 gegründete und wesentlich von der Bertelsmann Stiftung getragene Initiative D21 hatte die »Modernisierung des Staates« auf ihre Fahnen geschrieben. (D steht für Deutschland, 21 für das 21. Jahrhundert.) Ihr PPP-Arbeitskreis veröffentlichte bereits 2002 zusammen mit Bertelsmann und der deutschen Filiale der US-Kanzlei Clifford Chance einen PPP-Leitfaden.5 Nach dem »Branchendialog« der Bauwirtschaft mit dem Ministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen richtete Bundeskanzler Schröder Ende 2001 einen Lenkungsausschuss ein, um »die Auswirkungen von Private Public Partnership auf die deutsche Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Vergleich« zu untersuchen. Beauftragt wurden die USWirtschaftsprüfer Price Waterhouse Coopers, die US-Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer und Alfen Consult. 2003 erschien ihr Gutachten »Public Private Partnership/Öffentlich Private Partnerschaft im öffentlichen Hochbau«. Es unterschied sich kaum vom Leitfaden der Konkurrenz.6 Die neu eingefügte Übersetzung »ÖPP« dürfte die einzig originäre, von der Sozialdemokratie eingebrachte Besonderheit dieses Gutachtens sein. Zeitgleich und folgsam beschloss der SPD-Parteitag 2003 ohne Diskussion im Leitantrag des Parteivorstandes »Unser Weg in die Zukunft«: PPP sei geeignet, moderne Infrastrukturen zu entwickeln, ohne die zukünftigen Generationen weiter zu belasten. Weiter wurde selbstsicher nachgeplappert: »Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) sind ein neuer Weg zur Bereitstellung öffentlicher Leistungen und ein wichtiger Baustein bei der Modernisierung unseres Staatswesens. Mit ÖPP können öf-
5 | Bertelsmann Stiftung/Clifford Chance Pünder/Initiative D21 (Hg.): Prozessleitfaden Public Private Partnership, Berlin 2002. 6 | Price Waterhouse Coopers, Freshfields Bruckhaus Deringer, Alfen Consult: PPP und ÖPP im öffentlichen Hochbau, hg. vom Bundesministerium für Bau, Verkehr und Wohnungswesen, Berlin 2003.
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fentliche Leistungen nicht nur mit geringeren Kosten schneller und früher, sondern auch in höherer Qualität bereitgestellt werden.«7 Führende Sozialdemokraten hatten mit Blick auf Tony Blairs »Dritten Weg« ohnehin in dieselbe Richtung gedacht. Vor allem solche, die aus »verantwortlichen« Funktionen ausschieden, fühlten sich offensichtlich befreit und wurden schnell zu PPP-Beratern.
Porträt: Rudolf Scharping Strategie Beratung Kommunikation (RSBK) Die ehemalige Berliner Finanzsenatorin Anette Fugmann-Hesing, die beim Ausverkauf des öffentlichen Vermögens im Land Berlin gebremst wurde, arbeitet seit ihrem Ausscheiden als PPP-Expertin in den Berliner Beratungsdiensten (BBD). BBD berät die öffentliche und gleichzeitig auch die private Seite.8 Der ehemalige Monheimer Stadtdirektor Hans-Joachim Wegner wurde PPP-Experte bei WestKC, einem Tochterunternehmen für Kommunalberatung der Westdeutschen Landesbank (KC = Kommunal Consult). Der ehemalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping gründete das Beratungsunternehmen RSBK GmbH (Rudolf Scharping Strategie Beratung Kommunikation). Er hatte sich in den 1990er Jahren als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion gegen die Beschlusslage seiner Partei für die Privatisierung der Post eingesetzt. Kurz vor der Bundestagswahl 1998 richtete die Bank Oppenheim ein Vermögens-Depot für ihn ein, als Verteidigungsminister beauftragte er dann die Bank mit der Privatisierung von Bundeswehr-Immobilien. Das einfache PPP-Einmaleins mit wenigen Formeln befähigt wendige Politiker, schnell zum PPP-Experten zu werden. Was Scharping & Genossen zu Geld machen, sind vor allem ihre politischen Beziehungen, ihre Eigenschaft als Türöffner. In PPP-Seminaren führt er »hochkarätige Vertreter aus Politik und Wirtschaft und kommunale Entscheidungsträger« zusammen. Scharping referiert bei zahlreichen PPP-Konferenzen, bei der EURO Finance Week, bei KOPRA (Kommunale Praxis) u.Ä. Zusammen mit Roland Berger Strategy Consultants, Ernst & Young, Landesbanken und Finanzinvestoren organisiert RSBK die Kongresse »Public Infrastructure«. Scharping berät den US-Finanzinvestor Cerberus und z.B. das Unternehmen s.a.b. GmbH & Co, das Bäder im PPPRegime betreibt. RSBK gibt in Zusammenarbeit mit dem »Behördenspiegel« den monatlichen Newsletter »PPP-Kompakt« heraus. Die konzeptionellen Profis sind andere. Man trifft sie parteiübergreifend in den Arbeits- und Beratergruppen und Konferenzen der Bertelsmann Stiftung, der SPD, der CDU, der FDP, der Grünen. Deshalb brauchen 7 | SPD-Parteitag 2003, Leitantrag. 8 | Klamme Kassen, pralle Aufträge, impulse juni 2005, S. 50.
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wir, um die wiederkehrenden Namen zu nennen, nur die Referentenliste der PPP-Konferenz durchzugehen, zu der die Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK) am 22.4.2005 einlud: Vertreter von Landesbanken wie WestLB und Helaba, der Großbanken wie Hypovereinsbank, der US-Kanzleien wie Hartson & Hogan und Linklaters Oppenhoff & Rädler, der Wirtschaftsprüfer wie KPMG und Ernst & Young, der Baukonzerne wie Hochtief und Bilfinger Berger, von Planungsbüros wie Professor Weiss & Partner.9 Der Gerechtigkeit halber sollen einige der besonders wichtigen PPPAkteure, die hier (zufällig) nicht vertreten waren, genannt werden: die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), die NordLB und die HSH Nordbank; die Landesbanken wie die privaten Banken haben sich spezialisierte Tochtergesellschaften für »strukturierte Finanzierungen« und für PPP geschaffen, beispielsweise die Deutsche PPP Holding GmbH der HSH Nordbank und die Südleasing GmbH der LBBW. Mit dem Private EquityInvestor JC Flowers betreiben HSH Nordbank, NordLB und WestLB ein Gemeinschaftsunternehmen für »strukturierte Finanzierungen«.10 Bei den Kanzleien dominieren die US-amerikanischen wie Clifford Chance, Freshfields und Hartson & Hogan; allerdings haben inzwischen auch deutsche Kanzleien sich die angelsächsischen Weisheiten angeeignet und kommen bei kleineren Projekten zum Zuge, so z.B. Rödl & Partner und Heuking Kühn Lüer Wojtek & Partner. Bei den Wirtschaftsprüfern dominieren die »großen Vier« der US-Szene, nämlich Price Waterhouse Coopers, KPMG, Ernst & Young und Deloitte & Touche. Sie seien hier genannt, weil sie nicht nur als tendenziöse Sachberater bei einzelnen Projekten auftauchen, sondern auch als politische Lobbyisten. Die Lobbyisten haben zusätzlich den Bundesverband Public Private Partnership (BPPP) gegründet. Er dient der Selbstverständigung der Branche, aber auch der öffentlichen Propaganda und scheint über viel Geld zu verfügen. Der BPPP vergibt seit 2005 gemeinsam mit der Zeitung »Behördenspiegel« jährlich den »Innovationspreis PPP«. Ähnlich wie Bertelsmann sucht BPPP die Kooperation mit staatlichen Stellen. Für die Preisvergaben werden gern Bundesverkehrsminister als Schirmherren gewonnen, 2007 war es beispielsweise Wolfgang Tiefensee. Im Rahmen der Veranstaltung »Effizienter Staat« 2007 z.B. wurde der Preis in vier Kategorien vergeben: Justizzentrum Chemnitz (Hochbau), Business Development District »Neuer Wall« (Kunst- und Wirtschaftsförderung), »Würzburg integriert!« (eGovernment) und Osttangente Marienfeld/Harsewinkel (öffentliche Infrastruktur). Daneben wurden drei Sonderpreise vergeben: Elbphilharmonie Hamburg, Westdeutsches Protonentherapiezentrum Essen, Kreishaus Unna.11 9 | http://www.bundes-sgk.de 28.8.2007. 10 | US-Investoren steigen bei HSH Nordbank ein, Financial Times Deutschland 31.8.2007. 11 | http://www.bppp.de./bppp.php/aid/54/cat/4 5.11.2007.
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D ie PPP-G ese t ze Die Lobby stellt fest, dass dank lernwilliger Bundesregierungen »Deutschland« dabei sei, den Entwicklungsrückstand aufzuholen. Es gehe allerdings ziemlich langsam. Auf der Entwicklungskurve der »PPP-Marktreife« stand Deutschland 2006 noch weit hinter den führenden Staaten Großbritannien, Australien und Irland, und auch im Mittelfeld lag Deutschland noch weit hinter Neuseeland, Kanada, den USA, Spanien, Italien, Japan, Frankreich, Portugal und den Niederlanden, urteilte der Deutschland-Geschäftsführer des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Deloitte.12 Doch das sollte sich ändern: Am 4.7.2003 stellten die Regierungsparteien SPD und Grüne im Bundestag den Antrag »Öffentlich-Private Partnerschaften«.13 Im Oktober 2004 berief die SPD-Bundestagsfraktion eine Arbeitsgruppe »ÖPP-Beschleunigungsgesetz« ein und veröffentlichte eine Werbebroschüre, die unter Mitwirkung der US-Berater Linklaters, KPMG, Bearing Point sowie der Deutschen Bank, der Westdeutschen Kommunal Consult (WestLB), des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie u.a. erstellt worden war.14 Schon im Januar 2004 hatte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine Arbeitsgruppe Public Private Partnership gegründet. Die FDP hatte sogar schon vor der SPD eine solche Arbeitsgruppe. Der Bundestag beschloss am 30.6.2005 vor seiner vorzeitigen Auflösung das »PPP-Beschleunigungsgesetz«. CDU und FDP enthielten sich, aber nur deshalb, weil ihnen das Gesetz nicht weit genug ging.15 »Die Linke« war noch nicht vertreten, nur eine Handvoll grüne Abgeordnete bemängelten die hastige, ohne Anhörung im Ausschuss durchgepeitschte Beschlussfassung. Der Bundesrat stimmte am 8.7.2005 einstimmig zu. So sind nach dem Beschleunigungsgesetz Investoren jetzt von der Grundsteuer befreit, wenn sie für den Bau einer Schule oder eines Rathauses wie üblicherweise das Grundstück kaufen. Die Investoren müssen nicht mehr als das gesetzlich vorgeschriebene Eigenkapital vorweisen. Nur der Vertrag mit dem Generalunternehmer muss öffentlich ausgeschrieben werden, während er alle Subunternehmer selbst auswählen kann. Trotz der grundsätzlichen Übereinstimmung wurde zum Fenster hinaus von den Oppositionsparteien einiges kritisiert. Die FDP bemängelte bei aller Sympathie, dass PPP »keine echte Privatisierung« sei, der Staat 12 | Thomas Northoff: PPP im internationalen Vergleich, in: Detlef Knop (Hg.): Public Private Partnership Jahrbuch 2007, Frankfurt a.M. 2007, S. 196. 13 | Bundestagsdrucksache 15/1400 vom 4.7.2003. 14 | SPD-Bundestagesfraktion: Öffentlich-Private Partnerschaften. Ein Wegweiser für Kommunen, Berlin 2004. 15 | Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften vom 1.9.2005, Bundesgesetzblatt 2005 Teil I Nr. 56 vom 7.9.2005, S. 2676ff.
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habe immer noch etwas zu sagen.16 Für die FDP kommt nur der Verkauf von Staatseigentum in Frage. Dass bei PPP der Staat noch Wichtiges zu sagen habe, ist allerdings rein theoretisch. Substanzieller hörte sich zunächst die Kritik der CDU/CSU an. Sie bemängelte am Regierungsentwurf die zu geringe Berücksichtigung des Mittelstands und mahnte wegen der schlechten Erfahrungen mit Toll Collect ein verbessertes Controlling an.17 Das waren und sind sehr berechtigte Kritikpunkte. Allerdings waren und sind die beiden christlichen Kapitalparteien hier wenig glaubwürdig. Denn zur Kontrolle der Toll-Collect-Konsorten hätten sie parlamentarisch seitdem mehr tun können, haben aber nichts getan; so wurde ein von einigen CDU-Abgeordneten vorgeschlagener Untersuchungsausschuss vom Fraktionsvorstand untergebügelt. Und wo hätten diese Parteien jemals irgendetwas zur stärkeren Kontrolle von Konzernen wie DaimlerChrysler, Telekom und Vinci verlangt oder gar getan? Und überall da, wo die CDU in den Städten »Verantwortung trägt« und PPP-Verträgen zustimmt, etwa in Frankfurt a.M. und Offenbach und Köln und Hamburg, sind die Vertragspartner nicht Mittelstandsfirmen, sondern Global Player: Nicht nur die beiden führenden Unternehmen für Bau und Facility Management in Deutschland, nämlich Hochtief und Bilfinger Berger, erhielten die Aufträge, sondern auch die internationalen Konzerne Serco (England), Royal BAM Group (Niederlande) und SKE/ Vinci (Frankreich). Sogleich nach der Bundestagswahl im Herbst 2005 nahmen sich die neuen Regierungsparteien SPD und CDU/CSU weitere gesetzliche Initiativen vor: Vordringlich sei für neue Infrastrukturfonds »die Beseitigung der Diskriminierung von PPP zum Beispiel im Krankenhaus-Finanzierungs- und im Sozialhilfegesetz, im Investmentgesetz und im Fernstraßenbau-Privatfinanzierungsgesetz«, schrieben sie in der Koalitionsvereinbarung; der Verkehrswegebau solle nach dem Vorbild von Toll Collect stärker mit PPP finanziert und betrieben werden, als »internationales PPP-Referenzvorhaben« solle die Fehmarn-Belt-Querung realisiert werden, die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Arbeit der bestehenden PPP Taskforce sollten verbessert werden.18 Sofort nach dem Beschleunigungsgesetz brachte die Lobby ihre Wünsche für ein PPP-Vereinfachungsgesetz vor. Die Parlamentsfraktionen von SPD und CDU/CSU beriefen zusammen mit Anwaltskanzleien, Wirtschaftsprüfern, Banken und dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie sieben »Kompetenzarbeitsgruppen« ein. Sie haben in den Bereichen Vergaberecht, Bundeswehr, Haushalts- und Förderrecht, Gesund16 | FDP-Antrag »Privatisierung und Öffentlich-Private Partnerschaften, BTDrucksache 15/2601, 3.3.2004. 17 | Vgl. Voraussetzungen für PPP in Deutschland verbessern, hg. vom Parlamentskreis Mittelstand der CDU/CSU Bundestagsfraktion 22.8.2005. 18 | Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Berlin 2005, S. 16, 46f. und 53.
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heitswesen, Verkehr, Steuern und soziale Infrastruktur ihre Wünsche formuliert. Hauptziel: Noch bestehende »Diskriminierungen« der Privatindustrie sollen beseitigt werden. Die Privatindustrie hat also auch hier gelernt, bürgerrechtliche, demokratische Strategien umzufunktionieren: Man stellt sich als verfolgte Unschuld dar, »Diskriminierungen« sollen endlich aufgehoben werden. Die Wünsche sind auf gutem Weg: Mit der Novellierung des Investmentgesetzes sollen zukünftig »Infrastruktur-Sondervermögen« geschaffen werden. Damit soll die »Beimischung von PPP-Beteiligungen in bestehende Immobilienfonds« möglich sein.19 Gewinne sollen möglichst nicht besteuert werden: Der »Finanzierungskreislauf« von PPP soll »dem Zugriff des Fiskus entzogen« werden.20 Die Bundesregierungen kamen und kommen diesen Wünschen weit entgegen. Versicherungen, Pensionsfonds, Finanzinvestoren (»Heuschrecken«) können sich nun an PPP-Projekten beteiligen, insbesondere in der Bauphase. An der »risikoärmeren« Betriebsphase können auch individuelle Anleger Anteile erwerben.21 In dieselbe Richtung geht das 2007 beschlossene Gesetz zu den Real Estate Investment Trusts (REIT): Investoren können, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, in steuerbefreite Immobilienfonds auch aufgekaufte öffentliche Wohnungen einbringen.22 Auch weitere Einzelgesetze sollen geändert werden, so die Bundeshaushaltsordnung, die Gemeindeordnungen der Bundesländer, das Krankenhaus-Entgeltgesetz, das Steuergesetz. Auch PPP-Projekte sollen staatliche Zuschüsse bekommen können. Die private Seite soll, wie der Staat und die Kommunen, von der Mehrwertsteuer befreit werden. Die Branche ist es zudem leid, wie bisher sich vor allem mit Schulgebäuden herumschlagen zu müssen. Krankenhäuser, Bundeswehr, Straßen: Das Spektrum der möglichen Projekte soll ausgeweitet werden. Der Staat, so der Wunsch, darf und soll zwar Zuschüsse und Sicherheiten bieten, sich aber ansonsten heraushalten. Die private Selbststeuerung soll zur Norm werden. Man möchte wie in England eine »Beweislastumkehr«: Der Staat soll nachweisen, dass er ein Projekt günstiger erledigen kann, sonst greift automatisch PPP.23 Diese Wünsche der Investoren sind bisher allerdings nicht in Erfüllung gegangen. 19 | Herbert Bodner: PPP-Vereinfachungsgesetz: positive Entwicklung fördern und Barrieren beseitigen, in: Detlef Knop (Hg.): PPP-Jahrbuch 2007, Frankfurt a.M. 2007, S. 8; Bodner ist Vorstandssprecher von Bilfinger Berger und Vorsitzender des Arbeitskreises Private Finanzierung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. 20 | Ebd., S. 9. 21 | Investmentänderungsgesetz, Bundesratsdrucksache 274/07, vgl. S. 165f. 22 | Vgl. Werner Rügemer: Stellungnahme zum Gesetzentwurf »Real Estate Investment Trusts (REIT)«, Deutscher Bundestag, Finanzausschuss, Protokoll Nr. 16/48, Öffentliche Anhörung 28.2.2007, S. 353. 23 | Vgl. Fußnote 19.
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D ie PPP-L obby Die Privatwirtschaft möchte selbst regieren. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie delegierte bereits eine Angestellte als Leihmanagerin in das Bauministerium.24 Weiter wünscht die Baulobby eine »Kompetenzgruppe außerhalb ministerieller Strukturen«.25 Dem ist die Bundesregierung in mehrfacher Hinsicht nachgekommen. Auf Initiative von 13 Banken, darunter Deutsche Bank, Commerzbank, Helaba und HSH Nordbank, wurde nach dem englischen Vorbild Partnerships UK ein gemeinsames Privatunternehmen gegründet: Partnerschaft Deutschland AG (PD AG). Es fördert PPP, stellt Kapital bereit, macht mit einem Expertenpool Projekte ausfindig und bietet Beratungsleistungen an. Die Aktien gehören zu 50,1 Prozent dem Bund und zu 49,9 Prozent den Privatakteuren. Auch die Zielsetzung ist sklavisch vom britischen Vorbild übernommen: In Deutschland soll wie in England der PPPAnteil an öffentlichen Investitionen zunächst auf 15 Prozent ansteigen, nachdem er gegenwärtig nur 4 Prozent betrage.26 Andere Lobbyisten wie der Bundesverband PPP sind über die neue PD AG allerdings »nicht begeistert«, obwohl – oder weil – die Ziele und erhofften Aufträge gleich sind.27 Der Bundesverband kritisiert, dass es schon ein Überangebot an PPP-Kompetenzen gebe und die PD durch die enge Verzahnung von Staat und Privatunternehmen den Wettbewerb der Anbieter verzerre (»politisch bevorzugte Beratungsleistung der PDG«). Außerdem würden »zusätzliche Schnittstellen« entstehen.28 Daneben haben Bundesregierung und Landesregierungen ein bundesweites PPP-Taskforce-Netzwerk aufgebaut. Die PD AG koordiniert PPP-Taskforces bzw. PPP-Kompetenzzentren in allen Landesregierungen. Sie entwickeln teilweise unabhängig voneinander Richtlinien und Handreichungen. Die Landesregierungen unterhalten teilweise nicht nur ihre PPPTaskforce im zuständigen Finanz- oder Wirtschaftsministerium, sondern bauen wie die privaten Bauunternehmen und Berater eine weitergehende Bürokratie auf. So gründete die Hessische Landesregierung unter dem PPP-Befürworter Roland Koch auch einen aufwendig besetzten PPP-Beirat mit Vertretern von Industrie- und Handelskammern, Unternehmer24 | Bundesregierung: Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Brüderle u.a. 13.11.2006, Bundestagsdrucksache 16/3395 und Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beck u.a. 4.12.2006, Bundestagsdrucksache 16/3727. 25 | Bodner a.a.O., S. 11. 26 | http://www.partnerschaftendeutschland.de 20.09.2010. 27 | http://www.bppp.de 10.3.2010. 28 | Markus Vogel, Arbeitskreis Finanzierung im Bundesverband PPP: Kommentierung des Konzepts »Partnerschaft Deutschland Gesellschaft (PDG)«, Präsentation 14.9.2007.
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verbänden, Bauindustrie, Anwaltskammer, Bankenverband usw. Geleitet wird er von Staatssekretär Walter Arnold. Außerdem wurde der Verein »PPP in Hessen« gegründet; er soll eine »Plattform für Dritte« sein. Dem Vorstand gehören u.a. der Exlandrat von Offenbach an, der das bisher größte PPP-Schul-Projekt in Deutschland angestoßen hat, die Hessische Landesbank und das Bauunternehmen Bilfinger Berger, führend bei PPP. Zwischen dem Beirat und dem Verein gibt es zahlreiche Überschneidungen. Geschäftsführer ist Gerrit Kaiser, Geschäftsführer des Hessischen Landkreistages. So ist innerhalb weniger Jahre eine neue PPP-Bürokratie entstanden. Sie kann es mit jeder Karikatur staatlicher Bürokratie, die intransparent, mehrfach besetzt, mit sich selbst beschäftigt und überdimensioniert sei, allemal aufnehmen.
Porträt: Bertelsmann Der Bertelsmann-Konzern, der größte Medienkonzern Europas und der sechstgrößte der Welt, operiert weltweit mit etwa 800 Tochterunternehmen (TV, Radio, Druckereien, Buchverlage, Zeitungen, Zeitschriften, Musik, Datenaufbereitung und -handel, Dienstleistungen für Unternehmen und Behörden). In Finanzoasen wie Wilmington (Delaware, USA) und Curaçao (Niederländische Antillen) werden Briefkastenfirmen unterhalten. In der Bundesrepublik Deutschland hat Bertelsmann die Bresche für die Privatisierung geschlagen. Was Konrad Adenauer und der CDU mit dem BDI in den 1950er Jahren nicht gelang, schaffte Bertelsmann: die Privatisierung von Rundfunk und Fernsehen. Dafür kooperierte Bertelsmann als erster Großkonzern auch mit der SPD, insbesondere mit Johannes Rau, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, der sich als bibelfester Christ gerierte (»Bruder Johannes«) und den Konsens aller kapitalfrommen Kräfte beschwor (»Versöhnen statt spalten«). Rau stellte ab 1984 NRW als erstes Sendegebiet für RTL zur Verfügung.29 Im Nationalsozialismus begann der globale Aufstieg. Lüge, Betrug und Opportunismus halfen nach 1945 beim »Neuanfang«.30 Technischer Modernismus und autokratische Menschenorganisation – dazu gehört wesentlich die Manipulation durch professionell produzierte Massenunterhaltung – bilden für den Konzern seit jeher eine Einheit. Er produziert(e) gute Laune für krisengeplagte Bevölkerungen, für die Armen der industriellen Frühgeschichte, für Wehrmachtssoldaten im Auftrag der NS-Regierung, im Wirtschaftswunderland mit dem Buchclub ebenso wie heute mit TV-Programmen. Gegen die von Arbeitslosigkeit und Unsicherheit hervorgerufenen Ängste entwickelte Bertels29 | Vgl. Werner Rügemer: Privatisierung in Deutschland, a.a.O., S. 28ff. 30 | Vgl. Frank Böckelmann/Hersch Fischler: Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums, Frankfurt a.M. 2004, S. 69ff.
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mann 2005 mit 30 Millionen Euro die Gute-Laune-Kampagne »Du bist Deutschland«. Der Konzern verwirklicht bei sich selbst eine autokratische, patriarchalische, neofeudalistische Organisationsform. Selbst die »Aktionärs-Demokratie« ist deshalb verpönt. Der dienstälteste Aufsichtsrat bei Bertelsmann, Michael Hoffmann-Becking, hat dem »Squeeze Out«, also dem Recht von Großaktionären, Kleinaktionäre »herauszuquetschen«, juristische Form gegeben. Schon eine Aktiengesellschaft ist für Bertelsmann zu demokratisch und zu transparent. Die Bertelsmann-Aktien werden nicht an der Börse gehandelt. Die Bertelsmann Stiftung, gegründet 1977, ist mit 75 Prozent der Hauptaktionär des Bertelsmann-Konzerns. Die steuerbegünstigte Stiftung spart für den Konzern erhebliche Steuern und betreibt mit einem jährlichen Etat von ca. 75 Millionen Euro bisher rund 500 Projekte. Dazu gehören das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), das Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) und das Kompetenzzentrum Kommunen und Regionen (KKR). Die ideologischen Verbindungen reichen von liberal-kritisch-konservativ (Die Zeit, Der Spiegel) in extrem rechte Kreise; so ist der langjährige Vorsitzende der Stiftung, Professor Weidenfeld, auch Vorsitzender des Abt-Herwegen-Instituts am Kloster Maria Laach: Der Abt war einflussreicher Feind der Weimarer Republik und NS-Sympathisant.31 Die Stiftung arbeitet mithilfe zahlreicher Kooperationen ideologisch flexibel, mit der Hochschulrektorenkonferenz, mit der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung (Die Grünen), bis vor kurzem auch mit ver.di. Zu den Buchverlagen, zusammengefasst unter dem Dach von Random House, gehören in Deutschland anspruchsvolle literarische Verlage wie Luchterhand ebenso wie populistische Trash-Verlage, die etwa die Biografie des RTLVorzeigemoderators Dieter Bohlen verbreiten. Die Stiftung ist an Programmen des Sozial- und Rechteabbaus beteiligt (Hartz I bis IV, Studien- und Bildungsgebühren, Bildungsfinanzierung durch Unternehmen etc.) und organisiert die Demontage des bisherigen Arbeitsrechts.32 Gleichzeitig werden kritische Konzepte aufgegriffen und umdefiniert, z.B. »Bürgerhaushalt«. Ebenso geschieht dies mit Begriffen wie Transparenz, Selbständigkeit, Partizipation, Bürgerbeteiligung, Demokratie. 2008 organisierte die Stiftung als Partner der Leipziger Buchmesse den Kongress »Kinder früher fördern«.
31 | Vgl. Artikel »Herwegen, Ildefons«, in: http://www.wikipedia.de 30.10.2007. 32 | Martin Henssler/Ulrich Preiss: Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes, Gütersloh 2006, erstellt im Auftrag der Bertelsmann Stiftung; vgl. dazu Michael Schubert: Der Bertelsmann-Entwurf zum Arbeitsvertragsgesetz, in: Werner Rügemer (Hg.): ArbeitsUnrecht. Anklagen und Alternativen, Münster 2009, S. 70–78.
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Die Stiftung hat in den bundesrepublikanischen Eliten eine Meinungsführerschaft erreicht und mit Medien anderer Konzerne, Institutionen und Initiativen (Neue Soziale Marktwirtschaft u.a.) ein dichtes Netzwerk aufgebaut. Einbezogen sind Entscheidungsträger aller »reformwilligen« politischen Parteien, Gewerkschaften, der Europäischen Kommission, des Kanzleramts, der Bundes- und Landesministerien, der Kommunen, der Gesellschaft für Auswärtige Politik und viele andere. In der Stiftung entwickelt Bertelsmann mit den diversen Elitegruppen – Manager, Berater, Wissenschaftler, Politiker, Staats- und Kommunalbeamte, auch Gewerkschafter – Konzepte für den modernautokratischen Umbau des Staates, orientiert am Modell eines mitbestimmungsfreien Privatunternehmens. Leistungen der öffentlichen Verwaltung werden als »Produkte« definiert, die sich am Markt und durch Bezahlbarkeit bewähren müssen. Grundrechte werden unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Arbeit, Bildung, Gesundheit, Pressefreiheit, Lernmittelfreiheit: Aus Grundrechten werden Produkte, Waren. Das soll zur privatrechtlichen Transformation des Staates führen, nicht nur in Deutschland. Die Stiftung will die umfassende Deregulierung des Arbeitsmarktes in Europa und darüber hinaus. Der Bertelsmann Transformation Index (BTI) erstellt regelmäßig ein Ranking von 119 Staaten nach ihrer »Reformwilligkeit«. Die Stiftung arbeitet auf hohem intellektuellen Niveau, wenn wir uns bei diesem Urteil jedenfalls an der Art Intellektualität orientieren, die die gegenwärtig dominierenden Elitegruppen zu bieten haben. Über die hier entwickelten und propagierten Konzepte – »Selbstbeteiligung« der Bürger bei allen bisher kollektiven Versicherungs- und staatlichen Leistungen, Bildungsfinanzierung durch Studiengebühren, selbständige Schule, Budgetierung, Bürgerhaushalt, Ranking von Kommunen, Schulen, Universitäten nach »best practice«, eGovernment, Public Private Partnership usw. – diskutiert dann die etablierte Öffentlichkeit. Gleichzeitig jedoch produziert der Konzern Massenunterhaltung ganz anderer Art und auf einem qualitativ niedrigeren Niveau (wenn auch nicht anderen Inhalts). Konzeptionelle Elitediskussion mit wissenschaftlichem Anspruch in der Stiftung und Massenunterhaltung im Medienkonzern gehören zusammen. Die Stiftung konzipiert den Sozialabbau und die moralische Degradierung der abhängig Beschäftigten, der Arbeitslosen, Niedriglöhner und Transferempfänger, während der Konzern in seinen TV-Programmen für dieselben Zielgruppen die gute Laune produziert. Bertelsmann vergibt seit 2004 in Zusammenarbeit mit der Initiative D21 und dem »Behördenspiegel« den »Public Private Partnership Award«. Die Jury ist »hochkarätig« besetzt, etwa durch den ehemaligen Staatssekretär Göttrik Wewer und den titelmäßig aufgemotzten Unternehmensberater Professor h.c. Roland Berger.
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Zu den ausgewählten Projekten gehörte bibweb, ein Bibliotheksdienst, der vom Preisgeber Bertelsmann selbst zusammen mit dem ekz.bibliotheksservice betrieben wird.33
D ie »M a astricht -K riterien « z wingen zu PPP PPP ist ein Beispiel dafür, dass entgegen einer weit verbreiteten Auffassung die neoliberalen Anstöße nicht unbedingt von der Europäischen Union oder Kommission kommen. Auch hier hat die EU-Bürokratie nur das übernommen, was anderswo entwickelt wurde, in diesem Fall in England. Dies wird dann europaweit gefördert. Die »Lissabon-Agenda« (die EU bis 2010 als wettbewerbsfähigster Wirtschaftsraum der Welt) soll mit PPP beflügelt werden, so beschloss der Europäische Rat im Oktober 2003. Deshalb erstellte die Kommission ein Grünbuch zu PPP.34 Das wesentliche Instrument zur Förderung von PPP ist die Europäische Investitionsbank (EIB). Bei ihr wurde das European PPP Expertise Centre (EPEC) eingerichtet. Es soll u.a. »Best Practice«-Analysen erstellen. Die EIB unterstützt PPP-Projekte mit günstigen Krediten und verschafft ihnen so einen Wettbewerbsvorteil vor staatlich finanzierten Projekten, nicht nur in den EU-Mitgliedsstaaten, sondern überall in der Welt, wo Unternehmen aus der EU an derartige Aufträge kommen, etwa in Asien und Afrika. Die EIB bezeichnet sich selbst als »wichtigsten Darlehensgeber für PPP«.35 Zu den besonders geförderten Bereichen gehören die »Transeuropäischen Verkehrsnetze« (TEN-V), also Autobahnen, Straßen und Tunnels, für die durch PPP 600 Milliarden Euro »mobilisiert« werden sollen. So gab die EIB dem Konsortium Metronet für das dann gescheiterte Projekt U-Bahn London einen Kredit von 900 Millionen Euro. Aber auch Bau und Betrieb von Krankenhäusern, Schulen, Trinkwasseranlagen werden gefördert. Bereits Ende 2003 summierten sich die ausgereichten PPPKredite europaweit auf 15 Milliarden Euro.36 In Deutschland werden u.a. die PPP-Schulprojekte des Landkreises Offenbach und der Stadt Monheim gefördert. Die jährliche Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte der EUMitgliedsstaaten darf nach den »Maastricht-Kriterien« 3 Prozent des 33 | http://www.bertelsmann-stiftung.de 15.10.2007. 34 | Europäische Kommission: Grünbuch zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen, Brüssel 2004; vgl. European Commission: Guidelines for Successful Public Private Partnerships, Brüssel 2003. 35 | Tom Barrett/Peggy Nylund-Green: Europaweiter PPP-Erfahrungsaustausch durch das European PPP Expertise Centre (EPEC) bei der EIB, in: Detlef Knop (Hg.): PPP Jahrbuch 2006, Frankfurt 2006, S. 125. 36 | Ebd., S. 124ff.
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Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten, die Gesamtverschuldung darf nicht höher sein als 60 Prozent. Mit PPP fördert die EU aber die Umgehung dieser geheiligten »Haushaltsdisziplin«, die als eine Art Grundgesetz der EU gilt: Das Statistische Amt der EU, Eurostat, hat zwar erklärt, dass die finanziellen Verpflichtungen bei PPP nur dann nicht als öffentliche Verschuldung bilanziert werden, wenn der Investor das Hauptrisiko trägt;37 andererseits übernimmt Eurostat die statistische Selbstdarstellung der Mitgliedsstaaten, und in Deutschland werden die Mieten und Entgelte bei PPP grundsätzlich nicht zur Staatsverschuldung gezählt. Um der geheiligten Kuh »Maastricht-Kriterien« zu opfern, drängen die Bundes- und Landesregierungen sowie die jeweilige Kommunalaufsicht auf PPP, koste es was es wolle. Da stört es nach dem Verständnis dieser Art EU-Befürworter auch nicht, dass nach den staatlichen Bankenrettungen und den EU-»Rettungspaketen« für den Euro für überschuldete Einzelstaaten wie Ungarn, Lettland, Griechenland, Irland usw. die »Maastricht-Kriterien« reihenweise sanktionslos verletzt werden. Im Gegenteil: Die EU-Kommission nahm die nach der ersten Welle der Bankenrettung verschuldeten Haushalte der Mitgliedsstaaten zum Anlass, um nachdrücklich auf die verstärkte Nutzung von PPP zu drängen.38 Zugunsten von PPP ist den Privatisierungs-Fundamentalisten eben jedes Argument recht.
37 | Eurostat: Entscheidung über Defizit und Schuldenstand, Behandlung öffentlich-privater Partnerschaften, Pressemitteilung 18/2004, Luxemburg. 38 | Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mobilisierung privater und öffentlicher Investitionen zur Förderung der Konjunktur und eines langfristigen Strukturwandels – Ausbau öffentlicher-privater Partnerschaften, Brüssel 19.11.2009.
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VII. Erfahrungen mit PPP-Projekten in Deutschland
Die PPP-Erzählung ist wie alle neoliberalen Erzählungen ein faktenresistentes Glaubensbekenntnis. Es ist eine Art Berufsgebet, eine Erkennungsmelodie, eine Beschwörungsformel, die von den Mitgliedern der PPP-Sekte rituell und ohne Nachdenken hergebetet, vorgesungen, gemurmelt und wiederholt wird, wenn man sich trifft, zu Konferenzen, zu Gesprächen mit Oberbürgermeistern, Kämmerern, Fraktionsvorsitzenden, und wenn man, was man allerdings überhaupt nicht so gerne tut, in öffentlichen Diskussionsveranstaltungen auftreten muss. PPP ist in Deutschland eine noch junge Erzählung. Der »Effizienzvorteil« wird von hochrangigen Experten genau bis hinters Komma ausgerechnet und als sicher ausgegeben. Nach einer Aufstellung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung lautete er beispielsweise für das Bildungszentrum Ostend in Frankfurt 25 Prozent, für den Landkreis Offenbach Los West 19,3 Prozent, für Los Ost 18,1 Prozent usw.1 Doch es ist unseriös, bei solchen komplexen Vorhaben, zu denen nicht nur der Bau, sondern auch der jahrzehntelange Betrieb gehört, solche Prognosen mit einer Exaktheit bis hinters Komma abzugeben. Eine seriöse Bilanz lässt sich ohnehin erst nach Projektende ziehen. Aber so lange brauchen wir nicht zu warten. Schon jetzt, wenige Jahre nach Beginn der ersten Projekte, zeigt sich, dass diese Prognosen Schall und Rauch, ja Lug und Trug sind. Was die Mitglieder der PPP-Sekte nicht mögen, sind Fakten. Wenn die Mitglieder doch einmal öffentlich mit Fakten konfrontiert werden, dann reagieren sie auf zweierlei Art: Entweder sind die Fakten eine bedauerliche Abweichung von dem, was eigentlich gewollt sei; ein Einzelfall; da sei sicher schlecht verhandelt worden; schließlich gebe es Anlaufschwierig1 | Matthias von Randow: Zwischenbilanz und neue Ziele des PPP-Bundeskompetenzzentrums, in: Detlef Knop (Hg.): PPP Jahrbuch 2007, Frankfurt a.M. 2007, S. 21.
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keiten; auch Ausnahmen gebe es immer, Sie wissen schon: »der menschliche Faktor«, ein Projekt könne auch mal schiefgehen, wie überall – gehe denn unter staatlicher Regie alles gut? Oder, zweite Möglichkeit: Die Fakten stimmen nicht! Woher wollen Sie das überhaupt wissen? Wer hat Ihnen das gesagt? Lassen wir also die Fakten sprechen, die in laufenden Projekten bisher zutage gefördert werden konnten.
D ie G eheimvertr äge : F r ankfurt a .M. I Am 4. Juli 2003 unterzeichneten Frankfurts Oberbürgermeisterin und die Projektgesellschaft THEO Grundstücksverwaltung GmbH die Verträge über Bau, Finanzierung, Planung und Betrieb des Bildungszentrums Ostend (BZO). Zum BZO gehören eine Musikschule (Hoch’s Konservatorium), zwei Abendgymnasien, eine Volkshochschule, eine Berufsschule (Bethmannschule) und eine Bankakademie. Die Stadt mietet seit 2005 die fertiggestellten Gebäude von THEO für 20 Jahre.
»Effizienzvorteil 25 Prozent« Die Miete betrug im ersten Jahr 3,9 Millionen Euro und steigt jährlich um 1,5 Prozent bis auf 5,62 Millionen im Jahre 2025. In diesem letzten Jahr muss die Stadt die Gebäude für die doppelte Jahresmiete, also für 11,24 Millionen, zurückkaufen. Die Stadt zahlt also insgesamt 102 Millionen an Miete, während die Investition der Privaten 54,6 Millionen beträgt, hieß es. Dieses PPP-Verfahren bringe der Stadt Einsparungen von ca. 25 Prozent gegenüber einer konventionellen Beschaffung, so die Behauptung von Oberbürgermeisterin Petra Roth und ihrer schwarz-grünen Rathauskoalition. Das BZO sei ein erfolgreiches Vorbild, Frankfurt werde auch bei anderen Projekten so verfahren. In den meisten Städten lassen Lehrer und Stadtverwaltung die PPPProjekte über sich ergehen. Nicht so in Frankfurt. Der Kreisverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) organisierte im Vorfeld ein Hearing zu den Tücken und Hintergründen von PPP. Lehrer nahmen nach dem Einzug Meterstab und Bleistift in die Hand und stellten die Raumgrößen fest, besorgten sich Fluchtpläne und Brandschutzvorschriften. Die Lehrer dokumentierten ihre Ergebnisse laufend gegenüber der Stadtverwaltung und den Medien. Auch das städtische Revisionsamt schaltete sich ein. Die Revisoren, die von Amts wegen die ordentliche und sparsame Verwendung der städtischen Gelder überprüfen sollen, verschafften sich Einblick in die Vertragsunterlagen und überprüften die Bauqualität der Schulgebäude vor Ort. Am 12. Januar 2006 schickten sie ihren Revisionsbericht an den
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Kämmerer. Der Bericht mit 75 Seiten ist minutiös und informativ.2 Wohl gerade deshalb wird er geheim gehalten. Nicht einmal die Ratsmitglieder bekamen ihn offen ausgehändigt. So kamen durch die Lehrer, das Revisionsamt und durch Anfragen der kleinen Fraktion PDS, bzw. später »Die Linke«,3 Informationen zusammen, die sonst der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Daraus lässt sich die exemplarische Anatomie eines PPP-Projekts erstellen, wie sie sonst kaum möglich ist. Das Ergebnis, bezogen auf die, wie sich zeigt, frei erfundenen Versprechungen der Oberbürgermeisterin und ihres Kämmerers, ist vernichtend. Dabei soll nicht behauptet werden, die nun referierten Informationen seien vollständig.
Geheim, ungenau, rechtsunsicher THEO als Bauherr ist die eigens für das BZO gegründete Projektgesellschaft der Südleasing GmbH und des Bauunternehmens Müller-Altvatter GmbH. Südleasing ist wiederum eine Tochtergesellschaft der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), Müller-Altvatter eine Tochtergesellschaft des niederländischen Baukonzerns Royal BAM Group. THEO als Konsortium schloss mit den beiden Konsortialmitgliedern Verträge ab: LBBW bringt durch individuelle Anleger und Kredite das Kapital auf. Müller-Altvatter Bauunternehmung ist als Generalunternehmer für Bau, Betrieb und Unterhaltung des Bildungszentrums zuständig. Das Vertragswerk zwischen Stadt und THEO besteht erstens aus dem Vertrag über den Verkauf des städtischen Grundstücks an THEO und dem Mietvertrag, zweitens aus drei »Nachträgen« mit zahlreichen Anlagen und drittens aus dem erst ein Jahr später geschlossenen Gebäude-Management-Vertrag. Allein Letzterer ist 250 Seiten dick und soll die Bedingungen regeln, zu denen Müller-Altvatter während der 20 Jahre die Gebäude und die umgebenden Flächen kaufmännisch und technisch betreibt. Ursprünglich war der Vertrag für Bau und Betrieb gemeinsam ausgeschrieben worden. Als Müller-Altvatter den Zuschlag für den Bau erhalten hatte, wurde der Betreiber-Vertrag nicht weiterverfolgt. Er wurde ein Jahr später abgeschlossen, diesmal allerdings ohne öffentliche Ausschreibung. Müller-Altvatter bekam den Vertrag ohne Wettbewerb. »Nach Aktenlage fehlt ein Dokument, in dem begründet wird, weshalb der Betrieb nicht weiter verhandelt wurde. Außerdem ist nicht erkennbar, dass die anderen Bieter darüber schriftlich in Kenntnis gesetzt wurden. Dies ist umso erstaunlicher, weil gerade die gemeinsame Vergabe von Investition und 2 | Revisionsamt der Stadt Frankfurt a.M.: Wirtschaftlichkeit alternativer Bau-/ Betreibermodelle am Beispiel Bildungszentrum Ostend, Revisionsbericht 03/ 2005 vom 12.1.2006 – 14.21. Hl, rh/14.31 Ap. Mit »alternativ« ist PPP gemeint. Der Bericht wurde dem Autor zugespielt. 3 | Anfrage A 746 vom 23.8.2005 und Antrag NR 2176 vom 9.1.2006.
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Betrieb die Grundidee der PPP-Projekte für wirtschaftliches Bauen darstellt«, merken die Revisoren an. Die Verfahren und Verträge sind geheim. Schulvertreter erhielten kein Exemplar des Bauantrags. Sie durften an der Planung und der Gebäudeübergabe nicht teilnehmen. Die Stadtverordneten beschlossen zwar das Projekt im Grundsatz, bekamen die Verträge aber nicht zu sehen. Selbst den Revisoren legte der Kämmerer nicht alle Unterlagen vor, so beispielsweise das Originalangebot des erfolgreichen Bieter-Konsortiums Müller-Altvatter/Südleasing. Die Kommunalaufsicht genehmigte das Vertragswerk; aber, so die Revisoren: Es »ist nicht zweifelsfrei erkennbar, welche Unterlagen und Informationen der Aufsichtsbehörde zugeleitet worden waren.« Obwohl (oder weil?) die renommierte und hochbezahlte Kanzlei Clifford Chance Pünder bei der Vertragsgestaltung beriet, bestehen erhebliche Rechtsunsicherheiten. So wird etwa der Betreiber-Vertrag als LoseblattSammlung geführt, »wodurch Seiten ohne Schwierigkeiten ausgetauscht werden könnten. Dies halten wir im Interesse der Rechtssicherheit für problematisch«, so die Revisoren.
Porträt: Clifford Chance »Juristisch einwandfreie und ausgewogene Vertragsgestaltung von PPP-Projekten« verspricht die Wirtschaftskanzlei Clifford Chance Pünder.4 Beim Frankfurter BZO zeigt sich allerdings eine juristisch unklare und unausgewogene Vertragsgestaltung, die einseitig die Risiken auf die öffentliche Hand verschiebt und die Investoren begünstigt. Dies geht freilich nicht auf »handwerkliche Fehler« zurück, sondern auf gezielte, professionelle Arbeit. Die Kanzlei mit mehr als 3600 Rechtsberatern wurde 1949 in den USA gegründet und hat inzwischen, meist durch Aufkauf einheimischer Kanzleien, Niederlassungen in 25 wirtschaftlich bedeutsamen Staaten, in Deutschland sind dies Frankfurt, Düsseldorf und München. Die Kanzlei beschäftigt nach US-Muster nicht nur Anwälte, sondern auch Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, in Deutschland insgesamt 350. Clifford Chance ist seit Beginn bei allen Formen von PFI/PPP engagiert. In Deutschland fasste sie durch den Aufkauf einer Kanzlei Fuß und firmiert unter Clifford Chance Pünder. Die Kanzlei gründete mit der Bertelsmann Stiftung die Initiative D 21, entwickelte Musterverträge für das Ministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen, beriet bei folgenden PPP-Projekten: BZO und vier städtische Schulen in Frankfurt, Fürst-Wrede-Kaserne München, Justizvollzugsanstalten Hünfeld und Burg, Schulen in Köln, Monheim und Offenbach, Finanzzentrum Kassel Altmarkt, Warnow- und Herrentunnel. Außerdem be- 4 | Clifford Chance: Selbstdarstellung, PPP-Jahrbuch 2007, A 29.
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rät die Kanzlei die Privatisierungsagentur g.e.b.b. der Bundeswehr. Internationale Projekte in Europa sind die Privatisierung des Flughafens Istanbul und des türkischen TÜV, die Autobahn M6 in Ungarn, die Mautstrecke Zagreb-Macelj in Kroatien u.a. Die vielen unklaren Vertragsbestimmungen in den BZO-Verträgen, die fehlenden Angaben zu Qualitätsstandards etwa bei Dämmstoffen, Fensterverglasung, Wasserspararmaturen, Energieeinsparung und sonstigen technischen Ausrüstungen ermöglichen es dem Investor ohne große Mühe, »von der stadtseits üblichen Bauqualität im eigenen wirtschaftlichen Interesse abzuweichen« und zum Beispiel »die Frankfurter Standards zur Energieeinsparung nicht zu erreichen«, stellen die Revisoren fest. Diese Möglichkeiten haben die Investoren denn auch ausgiebig zu ihrem Vorteil und zum Nachteil der Stadt genutzt.
Mindere Bauqualität, enge Räume Bei PPP wird nach dem »Lebenszyklusansatz« verfahren. Das bedeutet, dass der Investor nicht nur die Gebäude erstellt oder saniert, sondern sie danach auch während der gesamten Mietzeit betreibt. Deshalb, so das Argument, baut er von Anfang an in hoher Qualität, weil er ja im eigenen Interesse teure Folgekosten minderer Bauqualität selbst tragen müsste. Doch die Revisoren weisen auf Tatsachen hin, die diesem plausibel scheinenden Wunschbild widersprechen. Der BZO-Vertrag läuft 20 Jahre. »Nach dieser Zeitspanne hat der Investor kaum noch Interesse an der Höhe der Folgekosten, was den Schluss nahelegt, dass Bauqualität und Ausstattung lediglich diesen Zeitraum ›aushalten‹ muss«, so die Revisoren. »Wenn das Gebäude dann älter wird und demzufolge dann kostenintensiver ist, liegt das finanzielle Risiko wieder komplett bei der Stadt.«5 Ein Gebäude dieser Art muss mindestens 80 Jahre lang halten, wenn es sich lohnen soll. Im Vertrag ist auch nicht festgelegt, dass der Investor technisch überholte Anlagen und Ausstattungsgegenstände während oder zum Ende der Mietzeit austauschen muss. Abgesehen von diesem langfristigen Risiko wurde die vertraglich ermöglichte Billigbauweise schon nach kurzer Zeit im täglichen Schulbetrieb sichtbar. Schule wird zum lieblosen Durchlaufraum, aus dem man möglichst schnell herauskommen will. In Fluren und Klassenräumen waren die weiß gestrichenen Seitenwände schon zweieinhalb Jahre nach Einzug mit Sohlenabdrücken und sonstigen Verschmutzungen übersät. Der Investor hat sich nämlich den üblichen abwaschbaren Lackanstrich bis Hüfthöhe gespart, der für Schulen klassischer Standard ist.6 Die Flure sind eng. Nirgendwo, auch nicht in den schmucklosen Eingangsbereichen, gibt es eine Sitzgelegenheit. Ebenso gibt es keine Gemein5 | Revisionsamt a.a.O., S. 44. 6 | Frankfurter Rundschau online 16.3.2007.
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schaftsräume. Schüler können sich bestenfalls auf Heizkörpern ausruhen, deren Befestigung sich deshalb allmählich lockert. Es gibt eine Cafeteria, in der allerdings zu Gastronomiepreisen konsumiert werden müsste. Für die Cafeteria ließ sich allerdings in den ersten Jahren noch kein Pächter finden, der sie zu den vom Investor gewünschten Bedingungen betreibt. Wie die Lehrer ausgemessen haben, sind die meisten Klassenräume zu klein. 60 Quadratmeter sind die Standardgröße. Doch die Fläche der als Standardräume ausgewiesenen Klassenräume beginnt bei 41 Quadratmetern (Raum 1057 der Bethmannschule). So sparte der Investor über 1000 Quadratmeter ein, »technische Gründe« lassen sich als Begründung finden, die Stadt zahlt aber auch für die nicht gebauten Flächen. Die Bauaufsicht verordnete bei der Bauabnahme 2005 zwei zusätzliche Fluchttreppen. Sie sind vorgeschrieben, der Investor hatte sie aber nicht eingebaut. Er sagte zu, sie nachträglich einzubauen, das dauerte zwei Jahre, der Investor behauptete »Materialengpässe im Baugewerbe«. Laut Vertrag kann die Stadt auch in diesem Fall eine Mietminderung nicht vornehmen.7 Das widerspricht einem als wesentlich gerühmten Vorteil bei PPP, dass nämlich der private Investor bei Mängeln schneller reagieren könne als die umständliche Bürokratie des Staates. Lehrer dokumentierten in mehreren offenen und vertraulichen Briefen gegenüber der Öffentlichkeit und dem Schulamt offenliegende Kabel, über die die Schüler stolpern. Weil nur ein Drittel der Fenster mit Außenjalousien ausgerüstet sei, werde es im Sommer in den Klassenräumen unerträglich heiß. Es gebe für viele Räume keine Klimaanlage, sondern nur Ventilatoren. Wenn die Fenster geöffnet werden, wird es an der vielbefahrenen Sonnemannstraße zu laut; das hat sogar der arbeitsmedizinische Dienst festgestellt. Eine Turnhalle ist nicht vorhanden, deshalb müssen drei verschiedene auswärtige Turnhallen genutzt werden, was zusätzliche Zeit und Kosten erfordert.
Risiken einseitig zulasten der Stadt Der Öffentlichkeit und den Abgeordneten wurde lediglich mitgeteilt, dass die Stadt die genannte Miete zahlt. Zusätzlich aber muss die Stadt einen Zuschuss zur Bauunterhaltung zahlen, wie die Revisoren herausfanden. Er beträgt im ersten Jahr 90.000 Euro und erhöht sich wie die Miete jährlich um 1,5 Prozent. Das hört sich nach wenig an, aber weitere Kosten kommen hinzu. Ausgenommen von der Bauunterhaltung sind nämlich alle Leuchtmittel, alle »Schönheitsreparaturen« und alle Schäden, die durch »Dritte« verursacht werden. Da muss sich dann die Stadt mit den US-Anwälten des Investors über jeden Kratzer streiten: Wurde er von »Dritten« verursacht? Von wem genau? Gehört die Beseitigung der Fußabdrücke an den Flur- und Klassenraumwänden zur Bauunterhaltung oder doch eher zur 7 | Frankfurter Rundschau Lokalausgabe 23.1.2007.
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Schönheitsreparatur? Da fallen zusätzliche Kosten für die Stadt an, die nicht durch die Pauschale von 90.000 Euro abgedeckt sind. Der Investor achtet peinlich darauf, dass er nicht einen Cent zu viel ausgibt. Schaukästen, Informationstafeln, Wegweiser: »Dafür sind wir laut Vertrag nicht zuständig.« Verkabelung für Deckenbeamer in den EDV-Fachräumen: »Nicht zuständig.« Papierkörbe: »Nicht zuständig.« Nachdem die meisten Plastik-Türstopper (Preis pro Stück fünf Cent), die man nicht einmal in einem deutschen Baumarkt kaufen kann, gebrochen sind: »Für die Ersatzbeschaffung sind wir nicht zuständig.« Soll sich das Schulamt für jeden Plastik-Türstopper, jeden Wegweiser, jeden Papierkorb mit den Anwälten des Investors auseinandersetzen, ob der nicht doch dafür zuständig ist, wenn man den Vertrag richtig interpretiert? Die Stadt steht dann vor der Wahl: Zahle ich zusätzlich, wegen der Rechtsunsicherheit und um mir zusätzlichen Ärger, Anwaltskosten und Zeitverzögerungen zu ersparen – oder lasse ich die Reparaturen einfach liegen? Die Revisoren stellten fest, dass der Investor möglichst billige Materialien verbaut hat. Er habe kein Interesse daran, Strom-, Heiz- und Wasserkosten zu sparen, da sie in diesem Fall der Mieter, also die Stadtverwaltung zahlt. »Mit geringem Mehraufwand, z.B. mit einer dickeren Wärmedämmung der Dachfläche und effizienteren Verglasungen hätte der Primärenergieverbrauch um 30 Prozent reduziert werden können.« Billige Bauweise – 30 Prozent mehr Heizkosten, die zusätzlich jahrzehntelang aus dem städtischen Haushalt bezahlt werden müssen! Der Investor hat es sich auch erspart, Bewegungsmelder und Wasserstoppuhren einzubauen. Deshalb bleiben Toiletten und Flure oft die ganze Nacht hell erleuchtet – Strom wird verschwendet. Die fehlenden Wasserstopper, die selbst in alten Frankfurter Schulen Standard sind, fehlen im BZO – Wasser wird verschwendet. Auch diese Kosten, die die Stadt tragen muss, werden bei der Behauptung, das PPP-Modell sei um 25 Prozent günstiger, ausgeblendet. Die Leitung von Hoch’s Konservatorium, das im BZO seine Räume hat, hat wegen häufiger Krankheitsbeschwerden von Lehrern und Schülern (Kopfschmerz, tränende Augen etc.) ein unabhängiges medizinisches Gutachten gefordert. Der Investor hatte die Anfrage der Schulleitung nach den verwendeten Baumaterialien nur oberflächlich beantwortet – kein Interesse an Aufklärung. Die Stadtverwaltung hat allerdings von sich aus einen Gutachter bestimmt, der nach ihrem bisherigen Vorgehen nicht unbedingt Unabhängigkeit vermuten ließ.
E xtra-Profite für den Investor Die Oberbürgermeisterin und ihr Kämmerer haben auch weitere »Nebenkosten« verschwiegen. So hat die Stadtverwaltung ihre eigenen Ämter für inkompetent erklärt und zur »Verfahrensunterstützung« mehrere private Beratungsfirmen beauftragt: MAIB Consulting für die Raumbedarfsplanung, die Anwaltskanzlei Clifford Chance Pünder für Rechtsberatung
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und Vertragsgestaltung, das Ingenieurbüro Drees & Sommer für die Investorenauswahl und das Bau-Controlling, das Büro DS-Plan für Facility Management usw. Dafür zahlte die Stadt vor Projektbeginn 1,46 Millionen Euro an Honoraren, wobei insbesondere die Honorare für Clifford Chance Pünder mit 432.000 Euro und für Drees & Sommer mit 646.000 Euro hervorstechen. Der Investor hat diese Ausgaben der Stadt zwar ersetzt, der Form nach, aber er rechnet sie in seine Investitionssumme ein, auf der wiederum die Höhe der Miete beruht. Der Investor hat vertragsgemäß 1,2 Millionen Euro für den Bau von 170 Autostellplätzen investiert. Sie werden aber nicht von der Schulverwaltung vergeben oder vermietet, sondern der Investor vermietet sie 20 Jahre lang selbst. Er behält die Mieteinnahmen für sich, rechnet aber die 1,2 Millionen ebenfalls in die Investitionssumme ein, die die Grundlage für die Miete der Stadt bilden!8 Wenn der Investor »unvorhergesehene« Mehrkosten für Bauunterhaltung nachweist, muss der städtische Zuschuss angepasst werden, so heißt es im Gebäude-Management-Vertrag. Wenn der Investor aber z.B. durch Billiglöhner und billiges Material seine Kosten senkt, muss er sie erst ab vier Prozent Einsparung an die Stadt weitergeben. Ob der Investor der Stadt eine solche Einsparung aber überhaupt mitteilen würde, ist wenig wahrscheinlich. Bei Konzernen ist es heute üblich, Billiglöhner zu beauftragen, den Kunden aber Facharbeiterlöhne in Rechnung zu stellen. Das ist alles selbstverständlich »ganz legal«, es wurde »frei« vertraglich ausgehandelt.
Zweimal Grundsteuer Die THEO Grundstücksverwaltungs-GmbH hat von der Stadt die Grundstücke gekauft. Das wäre nicht nötig gewesen, wenn die Stadt selbst Bauherr wäre, die Grundstücke gehörten ihr ja schon. Der Kauf wurde aber nötig, damit die Anleger und Geldgeber als Bauherren auftreten können. Nur so können sie ihre Investition möglichst weitgehend steuermindernd auf ihre sonstigen Gewinne anrechnen lassen. THEO musste nicht nur den Kaufpreis von 11 Millionen Euro aufbringen, sondern noch 380.000 Euro für die Grunderwerbsteuer. Sie zählt zu den Investitionskosten und wird ebenfalls in die Miete eingerechnet. Diese übliche PPP-Finanzierungsmethode führt zu Steuerverlusten für den Staat: Die privaten Anleger verkürzen an ihren jeweiligen Wohnund Firmensitzen ihre Steuerzahlung. Die Steuereinnahmen des Staates Bundesrepublik Deutschland sinken. Jedes PPP-Projekt nagt an den Steuereinnahmen der überschuldeten Bundesrepublik und untergräbt damit auch die Finanzmittel, die den Kommunen zur Verfügung stehen.
8 | Revisionsamt a.a.O., S. 27.
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Die Investoren freut das, denn sie produzieren damit selbst die »leeren öffentlichen Kassen«, die als Sachzwang-Argument zugunsten von PPP herangezogen werden. Damit aber nicht genug: Wenn die Stadt nach 20 Jahren die Gebäude kauft, muss sie ebenfalls Grunderwerbsteuer bezahlen. Sie kommt zum Kaufpreis hinzu. Ebenso kommen die Nebenkosten eines Grunderwerbs zweimal hinzu, so die Kosten für den Notar und die Grundbucheinträge.9 Schließlich steigen die Mieten und Betreiberkosten für die Billig-Bauten noch dadurch, dass alle Leistungen des privaten Investors der Mehrwertsteuer unterliegen, »was bei einer Eigenbaumaßnahme zumindest für die Leistungserbringung durch eigenes Personal nicht der Fall wäre«, stellen die Revisoren fest. Bei Vertragsschluss betrug die Mehrwertsteuer 16 Prozent. Man kann sich vorstellen, wie viel der Investor sparen oder an Tricks aufwenden muss, um den Nachteil, wegen der Mehrwertsteuer 16 Prozent teurer zu sein als die öffentliche Hand, nicht nur auszugleichen, sondern sogar (angeblich) billiger zu sein (oder zu scheinen)! Inzwischen wurde die Mehrwertsteuer um 3 auf 19 Prozent erhöht. Die Betreiber- und Instandhaltungs-Leistungen des privaten Konsortiums werden also allein dadurch um drei Prozent teurer, weil solche gesetzlichen Veränderungen laut Vertrag zulasten des Mieters gehen.
Parkgebühren für Schüler und Lehrer Für die etwa 500 Lehrer und 2000 Schüler stellt der private Parkplatzbetreiber nur 24 kostenlose Parkplätze zur Verfügung. Ansonsten verlangt er pro angefangene Stunde einen Euro, der sich bei Nutzung einer Prepaid-Karte auf 50 Cent ermäßigt. So kommen für Schüler wie Lehrer leicht 120 bzw. 60 Euro pro Monat allein an zusätzlichen Parkgebühren zusammen. Dies liegt in der PPP-Logik. Diese und ähnliche Kosten gehen aber nicht in den Vergleich zwischen staatlicher und privater Erledigung ein. Denn was kümmert es einen »verantwortungsvollen« Kämmerer oder eine »erfolgreiche« Oberbürgermeisterin, was die Bürger, hier die Lehrer und Schüler und Hausmeister und Sekretärinnen, sonst noch unter der PPP-Regie zahlen müssen? Genauso wie erhöhte Heiz- und Stromkosten außerhalb des PPPVertrags auf den Stadthaushalt abgewälzt werden, werden Kosten auch auf Schüler und Lehrer abgewälzt: PPP ist günstiger für den öffentlichen Haushalt (was im Falle des BZO aber gar nicht der Fall ist), aber die Bürger zahlen mehr.
9 | Laut PPP/ÖPP-Beschleunigungsgesetz sind Investoren und öffentliche Stellen von der Grundsteuer befreit, das gilt allerdings nur für Verträge, die nach August 2005 abgeschlossen wurden.
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Die PPP-Lösung ist teurer und schlechter Auch die städtischen Revisoren, die einen engeren, haushaltsbezogenen Blick haben und z.B. die Parkgebühren und die Steuerverluste des Staates nicht einbeziehen, stellen der Oberbürgermeisterin ein vernichtendes Zeugnis aus: Der behauptete 25-Prozent-Vorteil für die PPP-Version sei unseriös. Risiken und Nebenkosten blieben unberücksichtigt, es habe keine »betriebswirtschaftliche Gesamtbetrachtung« stattgefunden. Die Investorenlösung sei deshalb beim Bau um 4,3 Millionen Euro teurer, also um 6,45 Prozent, so die Schlussbewertung der Revisoren.10 Wenn man die geschätzten Mehrkosten für Strom und Heizung dazurechnet, komme man auf weitere 2,2 Millionen, die das PPP-Modell die Stadt teurer zu stehen komme. Dann müsse man noch die zweimal zu zahlende Grundsteuer hinzurechnen, ebenso noch die 1,8 Millionen Euro für die 170 Stellplätze, die der Investor in die Miete für die Stadt einrechnet, während er aber die Stellplätze selbst vermietet … Die möglichen Risiken bei Reparaturen, die die Stadt schließlich doch selbst bezahlen muss, die Risiken nach Ende der Mietzeit – sie kommen dazu, sind aber für die zwei Jahrzehnte des Miet- und Betreibervertrags und danach nicht bezifferbar, so die Revisoren. Eine fundierte Bilanz eines solchen Projekts ist bei den vertraglichen Bedingungen, den ungleichen Kräfteverhältnissen und der eingebauten Risiken wegen erst am Ende, also im Jahre 2025 und eigentlich erst lange danach, möglich. Es ist zu vermuten: Die Infrastruktur, die mit PPP entsteht, wird noch viel schneller und tiefergehend als bisher zu einem neuen Verfall, zu einem neuen Sanierungs- und Investitionsstau führen.
Porträt: Royal BAM Group Das beim Frankfurter Bildungszentrum Ostend beauftragte Bauunternehmen heißt Müller-Altvatter. Dieser Name wurde öffentlich immer wieder genannt. Er klingt doppelt urdeutsch und altväterlich, mittelständisch. Doch der Schein trügt, soll trügen. Der scheinbare Mittelständler gehört zur Royal BAM Group, dem größten niederländischen Baukonzern. Das weiß in der breiteren Öffentlichkeit so gut wie niemand. Der öffentliche Investitionsstau kann »trotz leerer Kassen abgebaut« werden, PPP kann »Ihren Haushalt spürbar entlasten« – so umwirbt BAM staatliche Entscheidungsträger. Mit einem Jahresumsatz von acht Milliarden Euro realisiert der Konzern PPP-Projekte mit Schulen, Sportstätten, Krankenhäusern, Justizgebäuden und Verkehrswegen nicht nur in seinem »Heimatstaat« Niederlande, sondern auch in Deutschland, England und Belgien. BAM baut und betreibt für 30 Jahre z.B. die Autobahn A 8 zwischen Augsburg und München. 2005 gründete der Konzern nach dem Frankfurter BZO-Auftrag die BAM 10 | Revisionsamt a.a.O., S. 6.
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Public Private Partnership Deutschland GmbH mit Sitz in Frankfurt. Hier arbeiten lediglich 60 Beschäftigte. Die ausführenden Aufträge gehen an aufgekaufte Unternehmen wie Müller-Altvatter. BAM hat auch das »traditionsreiche deutsche« Bauunternehmen Wayss & Freytag aufgekauft; von den ehemals vielen tausend Beschäftigten sind nur 544 übriggeblieben. Müller-Altvatter, Wayss & Freytag usw. vergeben kleinere Aufträge wiederum weitgehend an Subunternehmen, die wiederum weitere Subunternehmen beauftragen. Eng verbunden mit BAM ist auch das Ingenieurbüro Drees & Sommer, das die Planung und die Bauaufsicht beim BZO unter sich hatte. Die Frankfurter Handwerkskammer beschwerte sich, dass regionale Unternehmen bei PPP keine Aufträge bekommen. Die Kritik, geäußert von Peter Mensinger, Seniorchef eines Frankfurter Malerbetriebs, bleibt freilich schon im Ansatz stecken. Mensinger ist zugleich Stadtverordneter. Aber er ist auch zugleich, wie es sich für Handwerksmeister in Deutschland gehört, Mitglied der CDU. Der gequälte Mittelständler ist Kummer gewöhnt. Aber als politischer Christ hält er sich mit Kritik an seinen Hirten und Hirtinnen und theoretisch möglichen Auftraggebern zurück.11
Akteneinsichts-Ausschuss ohne Einsicht Weil Ergebnisse des geheim gehaltenen Berichts des städtischen Revisionsamtes dann doch irgendwie den Weg in die Öffentlichkeit fanden, wurden die Parteien, die dem PPP-Pionierprojekt unbesehen zugestimmt hatten, unruhig. Stimmte das, was aus dem Bericht in der Presse zitiert wurde?12 Die einzige Sorge der Oberbürgermeisterin war übrigens: Wo ist die undichte Stelle? Wer ist der untreue städtische Mitarbeiter (der in Wirklichkeit derjenige war, der in Übereinstimmung mit dem Beamtengesetz bemüht war, Schaden vom Staat abzuwenden)? Nach heftigem Ringen rang sich die Stadtverordneten-Versammlung im Frankfurter Römer zu folgendem Beschluss durch: Es wird ein Akteneinsichts-Ausschuss gegründet. Damit er ordentlich arbeitet, wurde als Vorsitzende eine Abgeordnete der Oberbürgermeisterin-Partei gewählt, die das Projekt blind verteidigte und sich gegen die Veröffentlichung des Revisorenberichts wehrte. Es ist die Partei, die prinzipiell nicht wissen will, was private Investoren machen, weil sie in ihrer christlich pervertierten Gläubigkeit daran glaubt, dass Investoren immer gut, ehrlich, vertragstreu, staatsförderlich und gottesfürchtig sind. In einem eigenen Aktenraum durften die 17 nach Parteienproporz in den Ausschuss entsandten Abgeordneten ab Juli 2006 sich die Vertragsunterlagen und den Revisorenbericht ansehen, durften aber keine Kopien 11 | Privatisierung bringt Handwerk auf, Frankfurter Rundschau 21.5.2007. 12 | Vgl. Werner Rügemer: Primat des Profits. Bildungszentrum Ostend in Frankfurt a.M., junge welt 19.4.2006.
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machen und waren und sind weiter der Geheimhaltung unterworfen. Das war aber eigentlich gar nicht nötig, denn wie sich herausstellte, wurden ihnen die entscheidenden Unterlagen nicht vorgelegt. »Die CD mit dem Anhang zur Anpassungsklausel bei den Betriebskosten ist gerade in einer anderen Abteilung«, war eine der Begründungen der Kämmerei-Mitarbeiter. »Die Akten sind unvollständig. Ausgerechnet die Berechnungen der Wirtschaftlichkeit und die Ausschreibungsunterlagen fehlen«, stellte der SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Oesterling nach seiner Akteneinsicht fest.13 Dass das so kommen würde, hätte er gleich zu Beginn in der Zeitung lesen können. Das ergebnislose Verfahren entsprach genau dem Plan der Stadtspitze. Sie beschloss, dass der Ausschuss die vollständige Einsicht nicht haben darf. Die Kämmerei hat vor der ersten Sitzung des Ausschusses die vorzulegenden Akten gezielt danach ausgewählt, ob sie »das Geschäftsgeheimnis privater Dritter« berühren oder nicht. Das stand umgehend und bereits vor Beginn der Ausschussarbeit im bürgerlichen Frankfurter Zentralorgan.14 Gleichzeitig gaben die Oberbürgermeisterin und ihr Kämmerer zum geheim gehaltenen Revisionsbericht ein Gegengutachten in Auftrag. Ein renommierter Gutachter sollte nachprüfen, ob der Effizienzvorteil von 25 Prozent zu Recht behauptet wurde. Den Auftrag erhielt Hans Wilhelm Alfen, Professor an der Bauhaus-Universität Weimar. Er fand wissenschaftlich und auftragsgemäß heraus, dass die PPP-Version für das Bildungszentrum einen erheblichen Effizienzvorteil bringe. Er betrage zwar nicht ganz 25 Prozent, aber immerhin und ganz genau 16,9 Prozent. Genaueres weiß die Öffentlichkeit und wissen die Abgeordneten bis heute nicht. Denn das Gegengutachten blieb ebenfalls geheim.15 Wir dürfen annehmen, dass der »renommierte« Professor nach PPPArt keine gesamtwirtschaftliche Betrachtung angestellt und alle Risiken und Zusatzkosten bei Leuchtmitteln, Türstoppern, Heizung, Wasser, Schönheitsreparaturen, Vandalismusschäden ebenso wie durch Mehrwertsteuererhöhungen, Anpassungsklauseln, Rechtsberatung, PPP-Verteidigungskosten usw. nicht berücksichtigt hat, von den Parkgebühren und Grundsteuern und Notarkosten und internen Effizienzgewinnen des Investors und den Steuerverlusten des Staates Bundesrepublik Deutschland usw. einmal abgesehen. Bekannt wurde nur, dass das Honorar von etwa 50.000 Euro nicht an die Bauhausuniversität Weimar ging, sondern an das Alfen-Privatunternehmen Alfen Consult GmbH. Und auch diese PPP-Verteidigungskosten
13 | Martin Müller-Bialon: Bildungszentrum Ostend: Kämmerei hält Akten zurück, Frankfurter Rundschau Lokalausgabe 30.9.2006. 14 | Akteneinsichtsausschuss berät über Bildungszentrum Ostend, Frankfurter Allgemeine Zeitung 12.7.06. 15 | Dünne Akten, viel Geld, Frankfurter Allgemeine Zeitung 4.1.2007.
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gehen nicht in den Vergleich zwischen staatlicher und privater Erledigung ein, sondern wurden direkt aus dem städtischen Haushalt bezahlt.
Porträt: Alfen Consult GmbH/Professor Hans Wilhelm Alfen Professor Dr. Hans Wilhelm Alfen ist zugleich Lobbyist und Gutachter, Staatsprofessor und Privatunternehmer. Er firmiert mit dem Zusatz »Bauhaus-Universität Weimar« neben Price Waterhouse Coopers und Freshfields als Mitverfasser des 2003 von der Bundesregierung veröffentlichten Gutachtens »PPP/ÖPP im öffentlichen Hochbau«, das als eigentliche PPP-Gründungsurkunde für Deutschland gilt. Im Jahr darauf gründete der Lehrstuhlinhaber das private Unternehmen Alfen Consult GmbH. Bis 2000 war Alfen Projektentwickler beim Baukonzern Hochtief, dann wurde er Professor in Weimar. Hochtief finanzierte verschiedene PPP-Forschungsprojekte für Alfen, Alfen wiederum macht die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen bei PPP-Projekten, an denen auch Hochtief interessiert ist, zuletzt für den Autobahnabschnitt zwischen Ulm und Augsburg.16 Einmal als staatlicher Beamter und ein andermal als privater Unternehmer übernimmt er PPP-Aufträge von Unternehmen, Unternehmerverbänden, Bundes- und Landesministerien sowie von Städten. Der Baukonzern Hochtief und das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung finanzierten für die »Forschungsinitiative Zukunft Bau« Alfens Forschungsprojekt »Lebenszyklusorientiertes Management von Hochschulliegenschaften«, in dem PPP-Modellstrukturen entwickelt wurden; Hochschulen aus sieben Bundesländern waren einbezogen. Im Auftrag des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie kam er zum gewünschten Ergebnis, dass zur Finanzierung des gesamten Straßensystems der Umstieg auf die PKW-Maut nötig sei.17 Für die Privatisierungsagentur g.e.b.b. konzipierte er das erste PPP-Projekt der Bundeswehr (Fürst Wrede-Kaserne, München). Im Auftrag der Dexia Bank untersuchte der beamtete Multiunternehmer das Marktpotenzial von PPP bis 2015 in Deutschland. Für die Regierung von Saudi-Arabien entwickelte er ein Konzept zum Straßen-PPP. Er gutachtete für die beiden PPP-Tunnels in Rostock und Lübeck (vgl. S. 132). Im Auftrag der Frankfurter Oberbürgermeisterin Roth erstellte er das Gegengutachten zum PPP-Projekt »Bildungszentrum Ostend«, um die Kritik des städtischen Revisionsamts zu widerlegen (vgl. oben, S. 84). Alfen ist Mitglied zahlreicher PPP-Gremien, z.B. des Expertenbeirats der PPP-Initiative des NRW-Finanzministers (http://www.alfen-consult.de). Er gibt die 2006 gegründete Zeitschrift European Public Private Partnership Law heraus. Lehrstuhlinhaber Alfen macht wie viele seiner heutigen 16 | Der Spiegel 51/2010, S. 84. 17 | Handelsblatt 7.11.2005.
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Privatisierungs-Kollegen private Neben- bzw. Hauptgeschäfte über ein eigenes Privatunternehmen. Professorengehalt und Unternehmensgewinn ergänzen sich. Die Tätigkeit als Hochschullehrer hat zugleich die Funktion der Geschäftsfelderschließung und Auftragsakquise. Er nutzt das verbliebene Renommee der Wissenschaft und ver-wirtschaftet sie zur Liebesdienerin des gemeinschaftsschädlichen Profits. Je mehr er den Staat, der ihn als Beamten mit Gehalt und Pension absichert, schlecht macht, desto höher ist seine Rendite als Unternehmer. Vom öffentlichen Dienst privilegiert und bezahlt, arbeitet er parasitär und profitabel an dessen Abschaffung. Nach dem Muster »Beamteter Lehrstuhlinhaber mit privater Beratungsfirma« arbeiten inzwischen mehrere PPP-Professoren, vorzugsweise an Fachhochschulen, z.B. Professor Frank Riemenschneider (Fachhochschule Münster und Institut für Site und Facility Management GmbH).18
D er W irtschaf tlichkeitsvergleich : F r ankfurt a .M. II Nun könnte man mit dem gegenwärtigen Meinungs-Mainstream sagen, der sich gegen das sozialistische oder kommunistische Menschenbild so wohltuend absetzen will: Wir sind doch alle nur Menschen. Wir alle können irren, wir können Fehler begehen. Das könnte man präzisieren: Auch christliche Politiker wie die Frankfurter Oberbürgermeisterin und ihre Parteisoldaten und -soldatinnen sind Menschen, also können auch sie irren. Und sie können, besonders wenn sie einer rechtgläubigen christlichen Kirche angehören, ihre Fehler einsehen und sich bessern. Aber taten sie das? Sie taten es nicht. Obwohl nicht geklärt wurde und auch gar nicht geklärt werden durfte, ob das erste Frankfurter PPP-Projekt nun günstiger als eine eigene kommunale Erledigung ist, beschlossen die christlichen PPP-Blindgänger mit der Oberbürgermeisterin an der Spitze und ihren ebenso wenig der Selbstkritik zugänglichen grünen Anhängseln im Eilverfahren das nächste, noch viel größere Projekt. Es wurde zu dem Zeitpunkt durchgepeitscht, als der BZO-Akteneinsichtsausschuss seine unvollendete Akteneinsicht beendete. Zwei Tage vor der entscheidenden Magistratssitzung im Mai 2007 legte die Oberbürgermeisterin den Eilantrag für das neue PPP-Projekt vor. Auch hier merkte danach das Revisionsamt pflichtgemäß kritisch an, dieses Vorgehen führe dazu, »Projekte mit erheblicher finanzieller Tragweite der grundsätzlich notwendigen Prüfung durch Zentralämter zu entziehen«,
18 | Zum Typ »Privatisierungsprofessor« vgl. Werner Rügemer: Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz, Münster 2008, S. 116ff.
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die Datengrundlage sei für »einen belastbaren Nachweis über die Wirtschaftlichkeit des Projekts« ungenügend.19
Unter Zeitdruck … Das Rechtsamt stellte fest, dass ihm das Projekt erstmalig am Freitagnachmittag, dem 4.5.2007 vor der am Montag, dem 7.5.2007 erfolgenden Magistratssitzung präsentiert worden sei. »Unterlagen, die eine Beurteilung des gewählten Vergabeverfahrens und dessen Verlauf beinhalten, liegen ebenso wenig vor wie unterschriftsreife Vertragswerke.«20 Die Stadtspitze schaltete somit auch hier die eigenen Ämter gezielt aus: Rechtsamt, Revisionsamt, Hochbauamt, Schulamt. So nickte unter Zeitdruck (»damit wir noch in diesen Ferien anfangen können«) die schwarz-grüne Mehrheit in der Stadtverordneten-Versammlung das Projekt folgsam ab. Übrigens sind solche Eilentscheidungen, zielsicher vor die Sommerferien gelegt, typisch für Privatisierungs- und PPP-Projekte. So hatte diesmal nach ebenfalls europaweiter Ausschreibung und nach zweijährigen Verhandlungen schließlich der Baukonzern Hochtief den Auftrag erhalten, vier Schulen teilweise abzureißen, neu zu bauen bzw. zu modernisieren, 20 Jahre lang zu betreiben und das Ganze zu finanzieren. Es geht um die tatsächlich sehr sanierungsbedürftige Freiherr-vom-Stein-Schule, die Carl-von-Weinberg-Schule, die Heinrich-Kleyer-Schule und das Bildungs- und Kulturzentrum Höchst. Dass vier Schulen in einem PPP-Projekt zusammengefasst wurden, geht auf den Wunsch der Investoren zurück. Sie wollen möglichst nicht mehr mit finanziell so kleinen Projekten wie dem BZO belästigt werden. Zusammen kommen die vier Schulen auf »eine PPP-geeignete Größenordnung«21 . Die Stadt zahlt demnach ab Fertigstellung der Gebäude 20 Jahre lang an die Projektgesellschaft des Investors eine Jahresrate, die im ersten Jahr 12,2 Millionen Euro beträgt, wobei sich der Anteil für die Betriebsführung jährlich um 2,11 Prozent erhöht. Ein bisschen hat man aus dem BZO-Projekt gelernt: In dem Entgelt sind ein »kalkulatorischer Aufschlag für bei der Stadt verbleibende Risiken« enthalten, ebenso für »städtische Transaktionskosten« (Honorare an Rechtsanwälte und andere private Berater) in Höhe von einer Million Euro. Der Investor ist im Unterschied zum BZO auch für die Energiekosten zuständig. Bei »Schlechtleistung« kann die Stadt »Malus-Beträge«, also eine Art Bußgeld, vom Entgelt abziehen. Es bleibt aber unklar, wer 19 | Revisionsamt an Magistrat, Frankfurt a.M. 10.5.2007; vgl. auch Wieder Ärger um öffentlich-private Partnerschaft, Frankfurter Allgemeine Zeitung 12.5. 2007. 20 | Rechtsamt an Magistrat, Frankfurt a.M. 7.5.2007. 21 | Der Magistrat der Stadt Frankfurt a.M., Vortrag an die Stadtverordnetenversammlung 10.5.2007, S. 2.
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die »Schlechtleistung« feststellt – in der Regel macht das die private Seite selbst. Die Stadtverwaltung hat in solchen Fällen ohnehin einen schweren Stand, weil bei PPP nicht städtische Angestellte in den Gebäuden sind, sondern die von Hochtief und vor allem dessen Subunternehmer. Außerdem sind die Malus-Beträge »auf maximal 5 Prozent begrenzt«, bezogen auf die Betriebsleistungen.22 Trotz dieser Unwägbarkeiten soll der Effizienzvorteil »gegenüber der von der Stadt ursprünglich angestrebten reinen Sanierung« genau 19,1 Prozent betragen.23 Die Stadtverordneten hatten noch weniger als die städtischen Ämter eine Möglichkeit, hier nachzuhaken. Selbst das Revisionsamt hatte für sich feststellen müssen: »Vertragsbedingungen, die die Stadt Frankfurt als Auftraggeber verpflichten bzw. belasten, sind […] nicht aufgezeigt.«24 Die Verträge sind und bleiben für die »zuständigen« Ämter und für die Mitglieder der politischen Beschlussgremien nicht nachprüfbar.
Wer macht den Wirtschaftlichkeitsvergleich? Während der Effizienzvorteil von 25 Prozent beim BZO lediglich auf einer luftigen Schätzung der PPP-Gläubigen beruhte, ließ die Stadtspitze diesmal einen »Wirtschaftlichkeitsvergleich« erstellen. Er wurde von der darauf spezialisierten Berliner Beratungsfirma Private Sector Participation Consult (PSPC) erstellt. Sie errechnete für das Angebot von Hochtief einen Vorteil von 13,2 Millionen Euro bzw. 6,39 Prozent.25 Der von der Stadt genannte Vorteil von 19,1 Prozent bezog sich auf eine frühere Kalkulation, die zum Zeitpunkt des Beschlusses schon überholt war. Man sieht, wie hier »auf Teufel komm raus« Vorteile herbeigeredet werden. Entscheidend bei einem solchen Vergleich ist: Wer macht den Vergleich, und auf welche Daten stützt er sich? »Die Betriebskosten der Eigenrealisierung beruhen größtenteils auf einer Aufnahme der Firma Assmann des Jahres 2005«, schreibt PSPC in einem etwas unbeholfenen, aber typischen Beraterdeutsch.26 Das bedeutet: PSPC stützt sich wiederum auf eine andere private Beraterfirma, die zuvor im Auftrag der Stadt die Kosten der Eigenrealisierung feststellen sollte. Die zuständigen Fachämter jedenfalls durften nicht berechnen, was die öffentliche Realisierung kosten würde. Sie sind auch beim zweiten Frankfurter PPP-Projekt ausgeschaltet. Das ist keine Frankfurter Besonderheit. Daraus schöpft eine Beraterfirma wie PSPC ihre Geschäftsgrundlage. 22 | Der Magistrat, S. 5. 23 | Ebd., S. 4. 24 | Revisionsamt an Magistrat a.a.O., ebd. 25 | Private Sector Participation Consult: PPP-Projekt »Städtische Schulen Frankfurt a.M.«, Wirtschaftlichkeitsnachweis, Stand 2.5.2007, S. 3. 26 | PSPC, S. 6.
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PSPC gibt zwar zu, dass die Berechnung mit »Unsicherheiten behaftet« sei, empfiehlt aber zum Schluss die Annahme des Hochtief-Angebots.27 Die Betriebsgeheimnisse und daraus resultierenden Risiken legt PSPC nicht offen. Trotzdem sind aus dem Gutachten wichtige Daten zu entnehmen, die eigentlich die gegenteilige Empfehlung begründen. So beträgt der Kapitaldienst 124,7 Millionen bei einer Gesamtinvestition von 192,2 Millionen.28 Der Kapitaldienst29 beträgt also etwa 60 Prozent. Ein Betrag, dessen Höhe doch wohl erstaunen sollte! Die reale Investition in Bau, Unterhaltung und Betrieb der Gebäude beträgt folglich nur 67,5 Millionen. PSPC im Wirtschaftlichkeitsvergleich und die Stadtverwaltung in der Beschlussvorlage für die Stadtverordneten klären über die Gründe für dieses Verhältnis nicht auf – die Art und Weise der Finanzierung gehört zu den Betriebsgeheimnissen. Wir werden beim PPP-Projekt der Kölner Messehallen darauf zurückkommen, da dort mehr Informationen vorliegen. Einige weitere Andeutungen sind den spärlichen Unterlagen dennoch zu entnehmen. Der Bauherr im juristischen Sinne ist eine von Hochtief gegründete Projektgesellschaft. Sie gehört in diesem Falle nicht einem Konsortium, sondern zu 100 Prozent der Hochtief-Tochter Hochtief PPP Solutions GmbH. Die ist verpflichtet, in die Projektgesellschaft lediglich zehn Prozent Eigenkapital einzuzahlen, und »später« – wobei dieses »später« zeitlich undefiniert bleibt und sich wohl auf den Zeitraum nach der Fertigstellung der Gebäude und auf den Beginn der reinen Betriebsphase bezieht – kann sie diese zehn Prozent weiter reduzieren, wenn auch gegen eine »Patronatserklärung« von Hochtief PPP Solutions.30 Weiter hat der »Fremdkapitalgeber« das Recht, »im Rahmen der Projektfinanzierung ein Unternehmen zu benennen, das das Projekt zu den selben Bedingungen übernimmt (Vertragsübernahmeverfahren)«. Dieses Verfahren, so werden die Abgeordneten belehrt, falls sie noch nicht Bescheid wissen, heißt »lender step in«.31 Das bedeutet: Eine andere Bank, ein anderer Finanzinvestor, ein Infrastrukturfonds, eine »Heuschrecke« oder wer immer möchte, kann an die Stelle des Finanziers treten, der anfangs der Projektgesellschaft die 90 Prozent Kredite gibt, damit diese überhaupt mit dem Bauen anfangen kann. Aufschlussreich ist zudem: Der Name des jetzigen Finanziers wird nicht genannt.
27 | PSPC, S. 29. 28 | PSPC, S. 19. 29 | In Wirklichkeit stellen sich beide Beträge am Ende im Jahre 2029 natürlich wesentlich höher dar, sie sind hier nach der Barwertmethode auf den Diskontierungszeitpunkt 2009 mit Abschlägen versehen und abgezinst. 30 | Der Magistrat der Stadt Frankfurt a.M.: Zusammenfassende Darstellung des Vertragswerks a.a.O., S. 1. 31 | Der Magistrat ebd., S. 2.
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»Vertragsübernahmeverfahren« Wie sieht dieses »Vertragsübernahmeverfahren« aus? Kann es ein Forderungsverkauf mit Einredeverzicht sein, zum Beispiel? Auch dazu kein Wort. In welcher Situation kann der neue »lender« einsteppen? Dazu gibt es einen kleinen Hinweis: »[…] falls eine Kündigungsmöglichkeit für den Auftraggeber besteht und wenn die Projektgesellschaft nicht mehr finanziert werden kann oder deren wirtschaftliche Schieflage durch Wirtschaftsprüfer festgestellt wurde.«32 Ob der Auftraggeber, sprich die Stadt, überhaupt ein Kündigungsrecht hat und zu welchen Bedingungen, wird nicht gesagt. Das »Nicht-mehrfinanzieren-Können« der Projektgesellschaft oder deren »Schieflage« ist ebenfalls nicht genau definiert; es muss nicht bedeuten, dass der Mutterkonzern Hochtief in Insolvenz geht. Es kann theoretisch auch dann sein, wenn ein neuer Hochtief-Mehrheitsaktionär oder Aufkäufer von Hochtief diese Projektgesellschaft nicht mitkaufen will. Aufschlussreich ist ein weiterer Umstand: »Vereinbarung eines Schiedsverfahrens bei schiedsfähigen Streitigkeiten unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges.«33 Das bedeutet: Bei größeren Streitigkeiten benennen beide Seiten gleich viele Vertreter in ein Schiedsgericht, dazu müssen sich beide Seiten noch auf einen »neutralen« Dritten einigen. Dieses Schiedsgericht ist privat, der öffentliche Rechtsweg ist ausgeschlossen. Nicht unabhängige Richter entscheiden in öffentlicher Verhandlung, sondern Privatleute, die keine Richter sind, sondern erfahrungsgemäß Wirtschaftsvertreter, und sie entscheiden im Geheimen. Solche Risiken und möglichen Kostenfaktoren werden von PSPC und Stadtverwaltung nicht offen dargelegt, höchstens kann ein schon sehr Kundiger sie erahnen. Ob im Jahre 2029 der erhoffte, herbeispekulierte Effizienzvorteil von 6,39 Prozent das Risiko wert gewesen sein wird? Eigentlich kann man aus dem PSPC-Gutachten auch die gegenteilige Konsequenz ziehen. »Die Vorteilhaftigkeiten des PPP-Modells beruhen im Wesentlichen auf dem baulichen Sektor. Die Barwerte der Betriebskosten liegen bei allen Schulen dicht beieinander. Die fehlende Vorteilhaftigkeit im betrieblichen Bereich begründet sich unter anderem durch die in der Entgeltermittlung des Bieters angesetzte Umsatzsteuer von 19 Prozent.«34 Das bedeutet: Die Stadt könnte aufgrund des Hochtief-Angebots die vier Schulen viel billiger neu bauen, modernisieren und betreiben als mit PPP. Sie könnte nämlich, würde sie kostenbewusst handeln, den Teil des Angebots, der sich auf den Bau bezieht, annehmen. Dann würde sie wesentlich billiger bauen als bisher. Dagegen könnte sie den Teil ablehnen, der sich auf Unterhaltung und Betrieb bezieht, denn hier bringt PPP, 32 | Der Magistrat ebd., S. 2. 33 | Der Magistrat ebd., S. 2. 34 | Der Magistrat ebd., S. 28.
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jedenfalls in diesem Fall, keinen Vorteil, denn der Investor muss erst einmal die 19 Prozent Umsatzsteuer ausgleichen, die bei städtischer Erledigung nicht anfiele. Bei städtischer Erledigung bräuchte die Stadt zudem keine bisherigen Angestellten entlassen, was dagegen auf die Dauer unter PPP-Regie üblich ist.
Abfindung für den Mitbewerber Der folgende finanzielle Kollateralschaden ist gegenwärtig bei PPP-Projekten nicht selten: Ein Mitbewerber klagt wegen Benachteiligung. Das kostet die Stadt weitere »PPP-Verteidigungskosten« aus dem allgemeinen Haushalt. Zunächst hatte die Stadtverwaltung den Baukonzern Züblin favorisiert, Züblin war der »Preferred Bidder«, also der Bieter, der in der Endauswahl zwischen drei Unternehmen den Vorzug erhalten hatte. Die Verhandlungen mit Züblin dauerten über ein Jahr, bevor die Stadtverwaltung im März 2007 plötzlich verlauten ließ: Wir verhandeln jetzt nur noch mit Hochtief. Hochtief bekam schnell den Zuschlag. Wie es zu diesem plötzlichen Meinungsumschwung kam, ist eine Frage, die bisher (öffentlich) nicht beantwortet werden kann. Züblin ging mit einer Klage vor die Vergabekammer beim Regierungspräsidium Darmstadt. Da eine solche Klage aufschiebende Wirkung hat und den Weg durch die Instanzen gehen kann, hätte sie den Beginn der Arbeiten durch Hochtief in den Sommerferien verhindern können. Züblin hatte der Vergabekammer einen Verlust von vier Millionen Euro vorgerechnet. Der Frankfurter Kämmerer Uwe Becker von der Roth-Partei gab bekannt, dass man mit Züblin »in großem Einvernehmen zu einer Einigung gekommen« sei. Ob die Stadt an Züblin eine Million Euro Ausgleichszahlung geleistet hat oder mehr, wollte er »nicht kommentieren«.35 Solche Verteidigungskosten sind für PPP-Fundis offensichtlich Kollateralschäden, die irgendwie dazugehören und der Öffentlichkeit möglichst nicht mitgeteilt werden. Die Züblin-Klage war den Stadtverordneten während der Diskussion über das Projekt verheimlicht worden.
S of tkosten : M essehallen K öln Wenn es nach den Vorstellungen der Akteure gegangen wäre, wäre wie in Frankfurt auch in Köln über wichtige Einzelheiten des größten kommunalen PPP-Projekts nichts bekannt geworden. Die Kölner Messehallen sind übrigens das größte derartige Projekt nicht nur in Deutschland, sondern in Europa. Vorgewarnt war ein Teil der Kölner Öffentlichkeit durch das vergleichbare Vorgängerprojekt »Kölnarena/Technisches Rathaus«, das von 1998
35 | Poker um die PPP-Projekte, Frankfurter Neue Presse 7.7.2007.
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bis 2028 läuft.36 Nur durch die bis heute andauernde öffentliche Auseinandersetzung, in die sich Medien, Bürgerinitiativen, kleine Ratsfraktionen, Staatsanwaltschaft und auch die Europäische Kommission eingeschaltet haben, wurden gegen den Willen der Akteure wesentliche Fakten aus beiden Projekten bekannt. Der Stadtrat von Köln beauftragte 2003/2004 die Esch-OppenheimImmobilienholding, vier Messehallen zu errichten und zu finanzieren. Die Bauten wurden 2005 fertig. Die Stadt muss dafür ab 2006 über 30 Jahre eine jährliche Miete zahlen. Sie beginnt bei 20,7 Millionen Euro. Sie ist zusätzlich »inflationsindexiert«, wird also nach einer bestimmten Formel darüber hinaus noch den steigenden Lebenshaltungskosten angepasst, wenn diese über zwei Prozent liegen.37 Wie viel dabei am Ende herauskommt, ist unklar. Weitere Kosten wurden in der Öffentlichkeit höchstens nebenbei genannt. Eine Gesamtberechnung wurde vom Oberbürgermeister und den Ratsfraktionen der Volksparteien nicht angestellt. Rechnen wir also anstelle der eigentlich »Verantwortlichen« hier einmal nach.
Keine Ausschreibung … Es gab keine öffentliche Ausschreibung, sondern nur »eine Art Ausschreibung«:38 Der Oberbürgermeister berief sich darauf, dass laut Gutachten der Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young schon zuvor beim Verkauf der alten Messehallen im Rahmen des »Cross Border Leasing« keine Ausschreibungspflicht bestanden habe, denn die Koelnmesse GmbH sei ein privates Unternehmen, auch wenn es der öffentlichen Hand gehöre.39 Die Koelnmesse GmbH ließ über Ernst & Young eine »Marktabfrage« machen und bei bekannten Investoren Angebote einholen, so bei Babcock & Brown, Commerzleasing, Hannover Leasing, Europhypo, auch bei der Oppenheim-Esch Holding. Dann wurden dieselben Wirtschaftsprüfer mit der »Sichtung« der Angebote beauftragt. Warum gerade Ernst & Young? Offensichtlich, weil sie die Gewähr bieten, jederzeit die Interessen der privaten Auftraggeber zu wahren. Auch hier zeigte sich: Die Stadt hat von Anfang an das Heft aus 36 | Vgl. Werner Rügemer: Colonia Corrupta. Globalisierung, Privatisierung und Korruption im Schatten des Kölner Klüngels, Münster 2010, 6. aktualisierte Auflage, S. 70ff. 37 | Stadt Köln, »Steigt der Lebenshaltungskostenindex um 10 % gegenüber der Basis, werden 50 % der Erhöhung weitergegeben«, Ratsbeschluss vom 18.12.2003. 38 | Geschäftsführer Lothar Ruschmeier, Kölner Stadt-Anzeiger 9.7.2005. Ruschmeier ist Geschäftsführer des Oppenheim-Esch-Immobilienfonds, der den Zuschlag bekam. 39 | Stadt Köln, Der Oberbürgermeister, Schreiben an Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Neubau der Messe-Nordhallen, 6.9.2005.
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der Hand und an Ernst & Young übergeben. Die Vertreter des Wettbewerbs lieben nicht den Wettbewerb, sondern den Klüngel, die profitable Seilschaft. Eine Niederlassung der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young residiert an derselben Adresse wie die Oppenheim-Esch-Holding im rheinischen Troisdorf. Das mag Zufall sein. Aber mit der Bank Oppenheim gibt es besonders enge Beziehungen. Die Wirtschaftsprüfer sind über ihre Tochtergesellschaft Professor Weiss & Partner, die selbst wieder eine Tochtergesellschaft von Ernst & Young Real Estate GmbH ist, an verschiedenen Immobilienprojekten der Oppenheim-Esch Holding beteiligt. Auch beim Bau der Messehallen erhielten sie den Auftrag für die Projektsteuerung.40 Die Bank Oppenheim kaufte 2005 die Schweizer Abteilung für Vermögensverwaltung und Firmenfusionen von Ernst & Young. Die Wirtschaftsprüfer, die die gesamte Ausschreibungsprozedur in der Hand haben, sind somit zugleich Auftragnehmer im selben Projekt.
Porträt: Ernst & Young Ernst & Young Global Limited (EYG) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach britischem Recht. Die nationalen Tochterunternehmen sind rechtlich selbständig und haften nicht gegenseitig. Der Weltkonzern hat 114.000 Beschäftigte, davon in Deutschland 6250. Wie andere »Wirtschaftsprüfer« ist E&Y nicht nur Wirtschaftsprüfer, sondern auch als Steuerberater, Unternehmensberatung, Unternehmenslobby und als eigenes Bau-, Finanz- und Immobilienunternehmen tätig. Bei Falschtestaten haften »Wirtschaftsprüfer« bis höchstens vier Millionen Euro, aber auch nur, wenn sie nachweisbar »vorsätzlich« gehandelt haben. E&Y in Deutschland teilt sich in vier Unternehmensgruppen auf: Erstens E&Y AG (Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung), zweitens E&Y Real Estate GmbH (Immobilienfinanzierung und Baubetreuung) mit wiederum drei Tochterunternehmen: Corporate Real Estate, Real Estate Corporate Finance und Real Estate Management & Development (Prof. Weiss & Partner), drittens E&Y Corporate Finance Beratung GmbH (Risikomanagement bei Outsourcing, Fusionen und PPP-Finanzierungen), viertens Luther Menold Rechtsanwalts GmbH. In Deutschland werden Büros in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln, Düsseldorf, München und Stuttgart unterhalten. Am Standort des Oppenheim-Esch-Immobilienfonds in Troisdorf (bei Köln) besteht wegen der engen Zusammenarbeit eine Niederlassung E&Y sowie von Professor Weiss & Partner. E&Y operiert ohne Skrupel in rechtlichen Grauzonen bzw. gestaltet sie mit. So übernahm E&Y zahlreiche Mitarbeiter und die Abteilung 40 | Kölns dubiose Messegeschäfte, Monitor 21.7.2005.
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Real Estate von Arthur Andersen, als diese »Wirtschaftsprüfer« wegen betrügerischer Mitwirkung bei Aufstieg und Absturz von Enron41 in Konkurs gingen. E&Y testierte die Bilanzen des Unternehmens Phoenix, das tausende Anleger um mindestens 300 Millionen Euro betrog u.Ä. E&Y testiert auch die CDU-Rechenschaftsberichte, die sich hinsichtlich der Spenden nicht immer als korrekt erweisen. E&Y gehört zur politischen Lobby »Privat vor Staat«. Seit einem Jahrzehnt ist E&Y wie die anderen US-Wirtschaftsprüfer KPMG, Price Waterhouse Coopers und Deloitte & Touche bei Privatisierungen und PPP für Staat und Kommunen tätig, so etwa in England bei der Londoner U-Bahn. Mit der 2007 veröffentlichten Studie »Privatisierung und ÖPP als Ausweg?« tritt E&Y in Deutschland dem Trend entgegen, dass zahlreiche Kommunen bisherige Privatisierungen rückgängig machen wollen. Dagegen soll sich der Anteil der Kommunen, die ÖPP-Projekte durchführen, bis 2013 auf 40 Prozent erhöhen.42 E&Y unterhält ein interdisziplinäres Team für PPP-Projekte aus Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Immobilien- und Finanzierungsexperten. Durch Tochter- bzw. assoziierte Unternehmen wie E&Y Real Estate, EY Law Luther Menold (Rechtsanwälte) und Professor Weiss & Partner (Projektsteuerung) beteiligt sich E&Y auch mit weiteren Unternehmen in Projekten wie den Kölner Messehallen, bei denen E&Y die Ausschreibung organisiert bzw. die Angebote bewertet hat. E&Y ist bzw. war mit Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsstudien, Ausschreibungsorganisation, Marktabfrage, Bieterverhandlungen und Projektsteuerung an folgenden PPP-Projekten in Deutschland beteiligt: Köln: Messehallen, Rhein-Erft-Kreis: Sonderschule für geistig Behinderte und Dreifachsporthalle, Gladbeck: Rathaus, Bedburg: Hauptschule, Tübingen: Landratsamt, Freiburg: zehn Schulen und Feuerwache, Leverkusen: zwei Berufsschulen, Kreis Düren: drei Berufsschulen, Lohmar: zwei Schulen, Burg (Thüringen) und Düsseldorf: Justizvollzugsanstalten, Köln: mehrere Schulen und Kindertagesstätten, Witten: Gymnasium und Realschule, Stuttgart: Robert-Bosch-Halle und Gottlieb-Daimler-Stadion, Unna: Kreishaus, Potsdam: Stadtschloss, Berlin: Olympiastadion. Oppenheim-Esch durfte als einziger Anbieter nachverhandeln und so sein Angebot im eigenen Interesse nachbessern. Auch hier mag es Zufall sein, dass Alfred Freiherr von Oppenheim, der damalige Seniorchef der Bank, Vizechef des Messe-Aufsichtsrats war. Jedenfalls nahm die Stadt das nachgebesserte Angebot von Oppenheim-Esch an. Oberbürgermeister Schramma, Vorsitzender des Messe-Aufsichtsrats, fand die neue Wort41 | Vgl. Malcolm Gladwell: Enron – eine Fallanalyse, Business Crime 4/2007, S. 21ff. 42 | Ernst & Young: Privatisierungen und ÖPP als Ausweg? Kommunalfinanzen unter Druck – Handlungsoptionen für Kommunen, Frankfurt a.M. 2007, S. 34.
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kreation, das Angebot sei das »vorzugswürdigste« gewesen. Was offensichtlich nicht heißen muss, dass es das günstigste für die Stadt war. Oppenheim-Esch wurde zusätzlich begünstigt. So hatte der Stadtrat am 18.12.2003 beschlossen, dass der Investor der Messehallen die Kosten der Altlastensanierung trägt. »Die Altlastensanierung soll für die zur Bebauung heranzuziehenden Flächen und Nebenflächen vom Investor auf dessen Kosten durchgeführt werden.«43 Im endgültigen Vertrag mit Oppenheim-Esch steht aber das Gegenteil: Die Stadt zahlt die immerhin zehn Millionen selbst. Davon übernahm die Kölner Stadtsparkasse dann 2,4 Millionen, aus Gründen, auf die wir noch kommen werden.
Finanzierungskosten höher als Baukosten Im Unterschied zur traditionellen Erledigung übernimmt bei PPP bekanntlich der Investor auch die Planung, die Projektsteuerung und die Finanzierung.44 Und das kann wesentlich mehr kosten, als der »normale« Bürger oder Politiker glaubt. Die ausführende Baufirma Hochtief nennt Baukosten von 140 Millionen Euro.45 Oppenheim-Esch legt jedoch 330 Millionen Projektkosten zugrunde. Der Unterschied von 190 Millionen ergibt sich vor allem durch die zusätzlichen »Softkosten«, bei denen wiederum die Finanzierungskosten den größten Teil ausmachen: 56 Millionen Euro; • Projektentwicklung • Eigenkapitalbeschaffung 19,8 Millionen; • Geschäftsführung durch den Holding-Miteigentümer Josef Esch 2,4 Millionen; • Geschäftsführung Oppenheim Immobilientreuhand 0,8 Millionen; • Projektsteuerung/Bauüberwachung 6,6 Millionen; • Vermittlung Endfinanzierung 5,6 Millionen; • Steuerberatung 2,4 Millionen; • Mietervermittlung 7 Millionen; • Sonstige Nebenkosten 7,1 Millionen.46 Zur Erklärung: Mit Projektentwicklung ist die architektonische, technische, finanzielle, organisatorische usw. Vorbereitung gemeint. Das machen traditionellerweise die jeweiligen Ämter der Stadt. Diese Arbeit muss gemacht werden; aber 56 Millionen bei einer Bausumme von 140 Millionen 43 | Stadt Köln, Beschluß des Rates vom 18.12.2003, Drucksache 1727/003. 44 | Abweichend vom PPP-Standard hat in diesem Fall der Investor den Betrieb nicht übernommen. 45 | Ingolf Gritschneder/Georg Wellmann: Das Milliarden-Monopoly. Die Kölner Geschäfte des Esch-Oppenheim-Immobilienfonds, die story, WDR 4.7.2005. 46 | Die Abgreifer von Köln, manager magazin 11/2005, S. 11.
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ist ungewöhnlich viel! Hinzu kommen noch die 2,4 Millionen für die »Geschäftsführung« durch den Holding-Miteigentümer Josef Esch und 0,8 Millionen für die »Geschäftsführung« von Oppenheim. Projektsteuerung: Da hat der Investor ziemlich freie Hand, denn da setzt er ein Unternehmen ein, mit dem er und die befreundeten Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young geschäftlich eng verbunden sind: Professor Weiss & Partner, eine Tochtergesellschaft von Ernst & Young, also des Wirtschaftsprüfungsunternehmens, das die Ausschreibung des Projekts in der Hand hat. Eigenkapitalbeschaffung: Die 19,8 Millionen sind Provisionen für die Bank Oppenheim. Sie hat dafür nichts anderes getan, als 27 ihrer insgesamt 7000 Kunden und Freunde zu finden, die eine bestimmte Summe im Fonds der Kölner Messehallen anlegen wollen. Da muss die Bank nicht lange gesucht haben, denn erstens gehören schon 8 der 27 Anleger zu den damaligen Eigentümerfamilien der Bank Oppenheim (von Oppenheim und von Ullmann/von Krockow), zweitens gehören zu den Anlegern eine Tochtergesellschaft des Immobilienfonds-Miteigentümers Esch, drittens sind dabei noch Herr Esch persönlich und seine Ehefrau. Die übrigen 16 Anleger sind gute Kunden der Bank Oppenheim, deren Vermögen sie betreut und deren Verhältnisse sie gut kennt. Ein paar Telefonate, so mögen wir uns vorstellen (»Ich sehe, da sind bei Ihnen gerade fünf Millionen nicht so gut angelegt, wir haben da den geschlossenen Immobilienfonds Kölner Messehallen, wollen Sie?«), und schon sind 19,8 Millionen verdient. Vermittlung Endfinanzierung: Die 5,6 Millionen sind die Provisionen für die eingeschaltete Kölner Stadtsparkasse. Das ist der Lohn u.a. dafür, dass sie mitgeholfen hat, dem Oppenheim-Esch Fonds die Kosten der Altlastensanierung abzunehmen. Die Sparkasse darf den 27 von der Bank Oppenheim ausgesuchten Anlegern die Kredite geben. Denn ein renditebewusster Großanleger zahlt nicht die ganze Summe, die er anlegen will, aus der eigenen Tasche, sondern zahlt beispielsweise fünf Millionen ein und nimmt zehn Millionen an Kredit auf, sodass er auf seinen Fondsanteil von 15 Millionen kommt. Dadurch wird ein »Hebeleffekt« erreicht: Die Ausschüttung an den Anleger berechnet sich dann auf die 15 Millionen, nicht auf die fünf Millionen. Dies lohnt sich dann, wenn die Rendite aus den Messehallen höher ist als der Zins, der für den Kredit an die Kölner Stadtsparkasse zu entrichten ist. Und der »Hebeleffekt« wirkt sich auch bei den Steuervorteilen aus, die mit der Beteiligung an dem Fonds verbunden sind. In den 5,6 Millionen sind natürlich die Gewinne für die Sparkasse aus der Kreditvergabe noch nicht enthalten. Steuerberatung: Die Rendite der Anleger fließt aus zwei Quellen: einmal aus der Ausschüttung des Messehallen-Fonds; sie wird aus den Mietzahlungen der Stadt gespeist. Zweitens kommt die Steuerersparnis hinzu: Die Anleger können und wollen einen möglichst hohen Anteil ihrer Fondseinlage als Verlustzuweisung gestalten, sodass sie die Steuern auf ihre sonstigen Einkommen vermindern können. Damit wird für diese
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Fonds geworben. Damit das gut funktioniert, werden Steuerberater beigezogen. Außerdem will der Messehallen-Fonds als selbständige rechtliche Einheit ebenfalls möglichst wenig Steuern bezahlen. Ob die Steuerberater wirklich die 2,4 Millionen gekostet haben, sei einmal dahingestellt. Sie berechnen bekanntlich hohe Honorare, aber andererseits hat OppenheimEsch auf diesem Gebiet Erfahrung, das Messehallen-Projekt ist nur eines von vielen. Mietervermittlung: Dieser Posten ist besonders aufschlussreich. Die Messehallen wurden nach den Vorgaben der Kölnmesse gebaut (Zahl, Größe, Ausstattung etc.). Als einziger Mieter stand von vornherein die Kölnmesse fest. Die Einschaltung des Maklers war also in keiner Hinsicht nötig. Es ist auch nicht bekannt geworden, dass er für die sieben Millionen Euro irgendetwas getan hätte. Die sieben Millionen sind sozusagen PPP-Klimpergeld. Sonstige Nebenkosten: Die Freiheit des Investors, seine Kosten bis zur Willkür aufzublähen, zeigt sich auch hier: noch einmal 7,1 Millionen Euro. So kommen wir auf insgesamt 107,7 Millionen typische PPP-Kosten. Selbst in der unternehmensfreundlichen Presse werden sie als »grotesk aufgeblähter Aufwand« und als »gigantische Abkassiermaschine« bezeichnet.47 Wenn wir die 107 Millionen Softkosten mit den 148,8 Millionen Baukosten addieren,48 kommen wir auf 256,5 Millionen. Wie kommt der Investor aber auf die 330 Millionen, mit denen er kalkuliert? Sie ergeben sich aus einem Grund, der zu den »Finanzierungskosten« gehört und schon beim Frankfurter Bildungszentrum Ostend dargestellt wurde. Der Investor bzw. der geschlossene Immobilienfonds, den Oppenheim-Esch für die 27 Anleger gebildet hat, hat für 73,5 Millionen Euro das Grundstück gekauft,49 auf denen die Messehallen errichtet wurden. Der Grundstückskauf wäre eigentlich nicht nötig, da der Stadt das Grundstück bereits gehört. Aber damit die 27 Anleger ihre jeweilige Fondseinlage steuerlich möglichst weitgehend ausschöpfen können (Einkommensteuergesetz Artikel »6b-Abschreibung«), müssen sie (Mit-) Eigentümer des Grundstücks sein. Dann sind sie »richtige« Investoren. So können sie ihre Geldanlage bzw. einen Teil ihrer durchschnittlich zwölf Millionen Euro als Verlustzuweisung mit Gewinnen aus ihren »eigentlichen« Geschäften bei Karstadt, LTU, Oppenheim, Esch usw. steuermindernd absetzen, je nachdem, wie ihre steuerliche Lage oder 47 | Ebd. 48 | Esch-Oppenheim veranschlagt 148,8 Mio. im Unterschied zu den 140 Mio. von Hochtief; der Unterschied liegt darin begründet, dass Oppenheim-Esch zwischen sich als Bauherr und Hochtief eine Tochterfirma als Generalübernehmer zwischenschaltet, die die Differenz als Prämie kassiert; Die Abgreifer von Köln a.a.O., S. 12. 49 | Die Abgreifer von Köln a.a.O., ebd.
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wie die »Steuergestaltung« durch die Steuerberater ausfällt.50 Es steht zu vermuten, dass mithilfe der aufwendigen Steuerberatung und der globalen Strukturen der Bank Oppenheim (»Wir sind diskret, geheimer als geheim«)51 die Verlustabschreibung bei Projekten wie Kölnarena/Rathaus und Messehallen bis zu 100 Prozent möglich ist. Dies ist auch die Meinung des Deutsche-Bank-Immobilienfachmanns Professor Klaus Feinen.52
Die 27 Eigentümer der Kölner Messehallen* • Josef Esch, Troisdorf, Baufinanzier, Initiator und Miteigentümer der Oppenheim-Esch Immobilienholding • Josef Esch Fonds-Projekt GmbH, Unternehmen der Esch-Gruppe • Oppenheim Immobilientreuhand GmbH, Tochtergesellschaft der Bank Oppenheim • Andreas Kohm, Joachim Kohm, Geschäftsführende Gesellschafter des Versandhauses Robert Klingel, Pforzheim, Aufsichtsrat der Schlottgruppe und der Weisse Arena AG, Graubünden/Schweiz; die Bank Oppenheim brachte die Aktien der Schlottgruppe an die Börse. • Grundstücksgemeinschaft Bernhard A. Schmidt Erben GbR, Hamburg • Josef H. Boquoi, Straelen, Unternehmen Bofrost • Madeleine Schickedanz, Fürth u.a. Hauptaktionärin von Karstadt/ Quelle • Holger Lampatz, Gladbeck, Vorstandsvorsitzender von Maxdata • Baronin Corinna von Ullmann, Köln, Mitglied der Eigentümerfamilie von Ullmann der Bank Oppenheim • Hubertus Benteler, Bad Driburg, Benteler AG (Autozulieferer) • Hans Weisser, Hamburg • Vera Conle-Kalinowski, Essen, Miteigentümerin der Fluggesellschaft LTU • Dr. Heinz-Horst Deichmann, Essen, Schuhhandelskette Deichmann • Heinrich Otto Deichmann, Essen, Schuhhandelskette Deichmann • Walterscheid-Müller Immobilien-Verwaltungsgesellschaft bR, Lohmar • Dr. Thomas Middelhoff, Bielefeld, Vorstandsvorsitzender von Karstadt/Quelle, Miteigentümer von mehreren Karstadt/Quelle-Kaufhäusern, die wie die Kölner Messehallen vom Esch-Oppenheim-Immobilienfonds verwaltet werden 50 | Vgl. »In großer Sorge«, Wirtschaftswoche 39/2005, S. 74ff. 51 | Vgl. Werner Rügemer: Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred Freiherr von Oppenheim, 3. geschwärzte Auflage, Frankfurt a.M. 2006, S. 18ff. 52 | Prof. Klaus Feinen: Schreiben an NRW-Innenminister Wolf, NRW-Finanzminister Linssen und an den Kölner Regierungspräsidenten Lindlar vom 22.2.2006.
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• Baronin Karin von Ullmann, Köln, Mitglied der Eigentümerfamilie von Ullmann der Bank Oppenheim • Ilona Gräfin von Krockow, Köln, Tochter von Karin von Ullmann, Mitglied der Eigentümerfamilie von Ullmann der Bank Oppenheim • Matthias Graf von Krockow, Köln u.a., Sprecher der persönlich haftenden Gesellschafter der Bank Oppenheim • Baron Georg von Ullmann, Köln, Sohn von Karin von Ullmann, Aufsichtsratsvorsitzender der Bank Oppenheim • Baron Dr. h.c. Alfred von Oppenheim, Köln, Seniorchef der Bank Oppenheim (gest. 2005) • Baron Christopher von Oppenheim, Köln, Sohn von Baron Alfred von Oppenheim, persönlich haftender Gesellschafter der Bank Oppenheim • Irma Esch, Troisdorf, Ehefrau von Josef Esch • Baron Nicolaus von Oppenheim, Berlin, Mitglied der Eigentümerfamilie der Bank Oppenheim * Die Liste gibt den Stand zu Beginn des Projekts 2003 an. Die angegebenen Funktionen sind nur ein Ausschnitt der jeweiligen finanziellen und unternehmerischen Aktivitäten.
Kommune und Staat haften Die Hallen wurden für die Koelnmesse GmbH gebaut. Um sich abzusichern, setzte der Investor aber durch, dass die Stadt formell als Mieter auftritt, die an die Kölnmesse untervermietet. Somit übernimmt die Stadt eine Mietgarantie: Sie muss auf jeden Fall die Miete an den Investor zahlen, auch wenn der Untermieter Kölnmesse nicht zahlen kann. Die Kölnmesse müsste nämlich im unsicheren Messegeschäft zukünftig 20,7 Millionen jährlich mehr verdienen als bisher (einschließlich der vereinbarten Mietsteigerungen), um damit die Miete zahlen zu können. Gelingt das nicht, muss die Stadt mit ihrem überschuldeten Haushalt einspringen. Das ist eine übliche Fußangel bei Privatisierungen: Öffentlich werden die Vorzüge der freien Marktwirtschaft und die Risikofreude der Investoren gelobt, im Kleingedruckten der Verträge wird aber regelmäßig die öffentliche Hand verpflichtet, den Gewinn des Investors notfalls mithilfe von Steuergeldern zu finanzieren. Oberbürgermeister Schramma hatte zunächst die Mietgarantie geleugnet. Eine Anfrage der kleinen Ratsfraktion Kölner Bürger Bündnis (KBB), ob es richtig sei, dass die Stadt eine Bürgschaft für die Miete übernommen habe, beantwortete der Oberbürgermeister: »Die Aussage ist falsch. Im Zusammenhang mit der Errichtung der Messehallen hat die Stadt Köln weder gegenüber der KölnMesse, dem Investor oder einem
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Kreditinstitut eine Bürgschaft übernommen.«53 Formaljuristisch war dies zutreffend, da es sich nicht um eine Bürgschaft handelt. Der Sache nach ist aber diese Art Mietgarantie eine viel stärkere Verpflichtung als eine Bürgschaft. Die Mietgarantie erwähnte Schramma aber mit keinem Wort.
Porträt: Oppenheim-Esch-Holding Die Oppenheim-Esch-Holding GbR gehörte bis 2009 zu je 50 Prozent dem Bauunternehmer Josef Esch und der Bank Oppenheim. Zu den einträglichsten Geschäften der Bank Oppenheim gehörte dieses Gemeinschaftsunternehmen mit dem Troisdorfer Baulöwen Josef Esch, »meinem Freund Josef«, wie von Krockow gern sagt.54 Von Krockow war bis 2009 der Sprecher der Bank Oppenheim. Die Holding wurde Mitte der 1990er Jahre gegründet. Eines der ersten großen Projekte war Kölnarena/Technisches Rathaus: Von 1998 bis 2028 mietet die Stadt Köln das neue Rathaus. Über den für sie ungünstigen Mietvertrag subventioniert sie die Erträge der Anleger und die Veranstaltungshalle Kölnarena (inzwischen umbenannt in Lanxess Arena), die von einer Tochterfirma von Oppenheim-Esch geführt wird. Kölnarena/Rathaus gehört 77 vermögenden Anlegern aus der Kölner High Society,55 die Messehallen gehören 27 Anlegern aus der ganzen Bundesrepublik. »Seit Beginn der 90er Jahre initiieren Esch und Oppenheim Immobilienfonds. Als Zeichner kassieren die Oppenheim-Familie und die besten Kunden der Bank zweistellige Nachsteuerrenditen.«56 Die Rendite ist zweistellig, und es ist eine Nachsteuerrendite. Die Fonds »erwirtschaften« ihre Rendite einmal aus den Mieten, die z.B. die Stadt Köln für das Rathaus und die Messehallen zahlt, und weiter damit, dass die Anleger Steuern sparen können. Die Fonds sind ein Steuersparmodell, das privilegierten Kunden und den Eigentümern der Holding zugänglich ist. Die Holding in der Rechtsform GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) unterliegt keiner Publizitätspflicht. Den Einstieg in das kommunale PPP-Geschäft fand die Holding über den damaligen Kölner Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier, der den Vertrag über Kölnarena/Rathaus aushandelte; unmittelbar danach wurde er Geschäftsführer des Fonds Kölnarena/Rathaus und anderer solcher Projekte. Die Holding initiierte bis 2009 etwa 70 Projekte, darunter das Bezirksrathaus Köln-Nippes, mehrere Karstadt-Kaufhäuser, das Medienzentrum »Coloneum«, 53 | Bild, Ausgabe Köln, 26.7.2005. 54 | Reinhard Hönighaus: Matthias Graf von Krockow. Der XXL-Banker, in: Steffen Klusmann (Hg.): 101 Haudegen der deutschen Wirtschaft, München 2006, S. 249. Als »Zeichner« sind hier diejenigen gemeint, die Anteile an einem Immobilienfonds gekauft haben. 55 | Vgl. Werner Rügemer: Colonia Corrupta, Münster 2010, 5. Auflage, S. 70ff. 56 | Hönighaus ebd.
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die Einkaufspassage »DuMont-Carré«, beide in Köln. Der ehemalige Karstadt-Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff ist nicht nur als Anleger an den Kölner Messehallen beteiligt, sondern auch an einigen Karstadt-Kaufhäusern, sodass er an deren Profit zulasten des von ihm geleiteten Unternehmens interessiert war. Die Bank Oppenheim, bis zu ihrem Bankrott im Jahre 2009 größte Privatbank Europas, betreute zu diesem Zeitpunkt als Vermögensverwalter von ca. 8000 Kunden der High Society 150 Milliarden Euro. Sie verlagerte 2007 den juristischen Sitz nach Luxemburg, wo es keine Erbschaftssteuer gibt, das Bankgeheimnis Staatsraison und die Bankenaufsicht minimal ist und verschwiegenen Finanztransaktionen ein »freundlicher« Rahmen geboten wird. Auch damit dokumentierte die Bank, dass für sie und ihre Kunden sogar die inzwischen sehr investorenfreundliche Gesetzgebung in Deutschland schon zu streng war. Nach ihrem Bankrott 2009 wurde die Bank Oppenheim von der Deutschen Bank aufgekauft57 und zog sich aus der anrüchig gewordenen Esch Oppenheim Immobilien Holding zurück. Es stellte sich auch heraus, dass Esch Oppenheim durch ihre Sicherheitsfirma Consulting Plus vier Journalisten des WDR und des manager magazins hatte überwachen lassen, die immer wieder über das Projekt Kölner Messehallen berichtet hatten.58 Es bahnte sich frühzeitig an, dass die Stadt ihre Mietgarantie ausüben muss. Die Messegesellschaft rechnete im Jahre 2007 schon für 2011 mit einem Verlust von etwa 40 Millionen Euro – wesentlich wegen der bis dahin fälligen Hallenmieten von zusammen 130 Millionen. Ab 2012 werde die Messe die Miete nicht zahlen können. Der Konkurrenzkampf mit anderen und neuen Messen in Europa und Asien sei zudem stärker geworden.59 2009 bereits betrug der Verlust 20 Millionen, 2010 bahnt sich ein Verlust von 30 Millionen an.60 Der Investor hat über die Grundstücksgesellschaft Kölnmesse 15-18 GbR die Grundstücke für 70 Millionen gekauft. Die Ratsmitglieder wurden von Oberbürgermeister Schramma und seiner christlichen Fraktion im Glauben gelassen, dass die Stadt nach 30 Jahren das Grundstück zurückkaufen kann. In Wirklichkeit hat sie nur ein »Vorkaufsrecht«. Das ist aber wertlos, denn der Investor darf gar nicht verkaufen wollen: »Das hätte die gesamte steuerliche Konstruktion und damit die Rendite für die Anleger gefährdet.«61 Es ist übrigens aufschlussreich, wie leicht man Ratsmitglieder einer Millionenstadt durch das Jonglieren mit den ähnlich 57 | Werner Rügemer: Bereicherung bis zum Untergang, Ossietzky 17/2009, S. 617. 58 | Kommando Partnerschutz, Der Spiegel 51/2010, S. 82. 59 | Turbulente Zeiten für die Kölner Messe, Kölnische Rundschau 22.6. 2007. 60 | Kölner Stadt-Anzeiger 2.7.2010. 61 | In großer Sorge, Wirtschaftswoche 22.9.2005, S. 76.
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klingenden Begriffen »Vorkaufsrecht« und »Rückkaufsrecht« an der Nase herumführen kann.
Reale Bausumme nicht ermittelbar Bei diesem Projekt wird besonders klar, dass unter PPP-Bedingungen die wirkliche Bau- und Investitionssumme nicht ermittelbar ist, jedenfalls nicht für die politisch Verantwortlichen und für die Öffentlichkeit. Wie viel der Investor tatsächlich investiert, wird von ihm verheimlicht, ganz legal, es gehört zum Betriebsgeheimnis. »Wir bieten einen Mietvertrag an. Die Investitionssumme hat mit der Miete gar nichts zu tun«, so die wiederholte Redewendung. In der öffentlichen Kritik wurde demgegenüber gezielt eine falsche Fährte gelegt. Es wurde lediglich um die Frage gerungen, ob die öffentliche Ausschreibung juristisch erforderlich gewesen sei oder nicht. So hat sich die Kommunalaufsicht nach der öffentlichen Diskussion mit dem Projekt befasst. Der Kölner Regierungspräsident wollte nachträglich das prüfen, was er schon im Beschlussstadium hätte prüfen müssen. Während der fraglichen Zeit gehörte der Regierungspräsident der SPD an. Danach hat die seit Juni 2005 amtierende, CDU-geführte Landesregierung den SPD-Regierungspräsidenten abgelöst und durch einen Regierungspräsidenten mit dem nunmehr richtigen Parteibuch ersetzt. Dass dieser das Verhalten seines Parteifreundes Schramma schärfer prüfen würde als es schon sein SPD-Vorgänger (nicht) getan hat, war nicht wahrscheinlich. Zumindest wurde bei dieser Gelegenheit klar, dass die Stadt Köln die Kommunalaufsicht gar nicht gefragt hatte, ob sie die Messehallen in Eigenregie mit einem wesentlich günstigeren Kommunalkredit hätte bauen dürfen. Auch die Stadt Köln hat ein Rechnungsprüfungsamt (RPA). Auch der Kölner Oberbürgermeister misstraute, wie seine angesehene Frankfurter Kollegin, dem eigenen Prüfungsamt. Er wollte eine große Anwaltskanzlei mit einem Gutachten beauftragen, um sich zu entlasten. Da dies 126.000 Euro gekostet hätte, brachte er den Beschluss im Rat nicht durch. Einen Antrag der kleinen PDS-Fraktion, doch die Experten des eigenen RPA zu beauftragen, was zudem nichts kosten würde, lehnten die beiden Volksparteien zunächst ab. Erst als der öffentliche Druck größer wurde, durfte das RPA doch prüfen. Sein Bericht bescheinigt dem Oberbürgermeister ehrliches Bemühen, das Beste für die Stadt herauszuholen. Doch die städtischen Prüfer, die keinen Zugang zu Unterlagen des Investors hatten – dieser betrachtet sie als Betriebsgeheimnisse –, konnten nach eigenem Eingeständnis die Hauptfrage nicht beantworten: Wie viel hat der Bau der Hallen eigentlich gekostet? Wie hoch ist die Bausumme? Ist also das Angebot von Oppenheim-Esch zu teuer?62 62 | Messehallen-Affäre. Wirtschaftlichkeit bleibt ungeklärt, Rathaus Ratlos Nr. 183, Köln, Ausgabe 05/2007, S. 3.
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Schließlich setzte der Oberbürgermeister zusammen mit dem Regierungspräsidenten, der nun das richtige Parteibuch hatte, doch noch durch, dass »unabhängige« Wirtschaftsprüfer ein Gutachten erstellten. Abgesehen von der Frage, ob Bachem Fervers Janssen Mehrhoff (BFJM) unabhängig ist, wofür es keine Anzeichen gibt, bekam BFJM aber nicht den Auftrag, herauszufinden, wie viel die Messehallen gekostet haben und ob die Miete »angemessen« ist, sondern ob die Finanzierung günstig war.63 Mit BFJM wurde ein Wirtschaftsprüfer beauftragt, der mit dem Messehallen-Komplex schon aufs engste verknüpft war. BMJF prüft die Bilanzen des »Veranstaltungszentrum Köln GmbH«. Dieser städtische Betrieb mietet namens der Stadt vom Investor die neuen Messehallen und vermietet sie an die Kölnmesse weiter. BFJM unterhielt zudem direkte Beziehungen zur Bank Oppenheim. Die Schwerpunkte der Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater von BFJM überschnitten sich ohnehin weitgehend mit den Aktivitäten der Bank: Betreuung von vermögenden Privatpersonen und Familienunternehmen, Börsengänge, Kapitalbeteiligungen. So prüfte BFJM beim Immobilienunternehmen Vivacon AG die Bilanz, während die Bank Oppenheim als »Selling Agent« und »Designated Sponsor« die Platzierung von Aktien vornahm und Vivacon laufend durch seine Aktienanalysten beriet. Beim Börsengang des Solarzellenherstellers Ersol waren BFJM und Oppenheim gleichzeitig Berater. Ausgabe, Kauf und Verkauf von Aktien sind eng mit der Bilanzierung verknüpft. Im Aufsichtsrat der Content Management AG ging es ganz familiär zu. Da trafen sich regelmäßig Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Jörg Nickel, Partner von BFJM, und Friedrich Janssen, bis 2009 persönlich haftender Gesellschafter der Bank Oppenheim. Sie haben die Content AG, die weltweit Bankdienstleistungen verkauft, 1999 gemeinsam gegründet. Für die Begutachtung des Messehallen-Deals gab es folglich kaum einen Gutachter, der weniger unabhängig war als BFJM. So wundert es nicht, dass diese Gutachter auf den zehn Seiten, die mit 40.000 Euro honoriert wurden, vorsichtig, aber eindeutig zu dem gewünschten Ergebnis kamen, dass nämlich die »Eigeninvestition mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit nachteilig gegenüber dem Investorenmodell hätte ausfallen können«64 . Außerdem ist die Christenpartei von OB Schramma dem Bankhaus Oppenheim sehr zugeneigt. Zum erfolgreichen Wahlkampf 1999, mit dem in Köln die jahrzehntelange SPD-Herrschaft abgelöst wurde, hatte die Bank eine Spende von 100.000 Euro beigesteuert.65 In seiner Trauer63 | BFJM: Vergleichende Darstellung der Kosten für die Erstellung und Zurverfügungstellung der Messehallen durch den Oppenheim-Esch-Fonds mit den Kosten der Eigendurchführung, November 2006. 64 | Ebd., S. 10. 65 | Rechenschaftsbericht der CDU 1999, Bundestagsdrucksache 14/5050.
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rede im Dom für den Anfang des Jahres 2005 verstorbenen Bankchef Alfred von Oppenheim hatte Schramma sich zudem noch in aller Unschuld seiner engen Beziehungen zum Bankier gerühmt, von dem er »gerne einen Rat angenommen« habe und in dessen Privathaus er noch kurz zuvor zum Abendessen geladen gewesen sei.66 Welchen »Rat« mag er bezüglich der Messehallen angenommen haben? Seit 1999 hatte die CDU mit Oppenheim- und FDP-Hilfe die Mehrheit und wollte offenbar beweisen, dass sie nach dem lange kritisierten »roten Genossen-Filz« in der Lage ist, einen »schwarzen Christen-Filz« zu etablieren. Die Staatsanwaltschaft ermittelte aufgrund mehrerer Strafanzeigen gegen den Oberbürgermeister wegen Untreue. Als gleichzeitiger Aufsichtsratsvorsitzender der Koelnmesse GmbH war er an der Auftragsvergabe besonders eng beteiligt. Zunächst verbreitete Schramma selbst seinen Freispruch. Das Presseamt der Stadt verschickte einen Brief seines Rechtsanwaltes Professor Norbert Gatzweiler, der durch die melodramatische Vertretung des korrupten Müllunternehmers Trienekens (»er war immer ein guter Familienvater und hat sich um seine Belegschaft gekümmert«) bekannt wurde. Gatzweiler bescheinigte seinem Mandanten, dass dieser bei den Messehallen »eine ausschließlich am Wohle der Stadt orientierte Entscheidung getroffen« habe. Schramma könne deshalb mit seiner »vollständigen Entlastung« rechnen.67 Das hat sich leider bewahrheitet. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen eingestellt: Schramma sei kein persönlicher Vorteil zugeflossen. Es hätten sich auch »keine zureichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass vorsätzlich gegenüber der Stadt Köln bestehende Vermögensbetreuungspflicht verletzt und dieser dadurch ein Schaden zugefügt wurde«68. »Vorsätzlich« wird der OB seine Stadt nicht geschädigt haben. Aber geschädigt hat er sie, dazu braucht es keinen Vorsatz. Dazu braucht es nur die Investorenhörigkeit eines christlichen Politikers, ohne dass er etwas in die Tasche gesteckt bekommen haben muss. Und es braucht die gerissene Verhandlungsführung der Wiederholungstäter von Oppenheim-Esch. Doch vor diesem komplexen Sachverhalt versagt eine deutsche Staatsanwaltschaft.
66 | Werner Rügemer: Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred Freiherr von Oppenheim, 3. geschwärzte Ausgabe, Frankfurt a.M. 2006, S. 53. 67 | Stadt Köln, Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: »Ermittlungen führen zu Ihrer vollständigen Entlastung«, Brief des Rechtsanwalts Prof. Norbert Gatzweiler, 26.8.2005. 68 | Wirtschaftlichkeit bleibt ungeklärt, Rathaus Ratlos Nr. 183, Köln 05/2007, S. 3.
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Rechtlich nicht greifbar? Mehrere Bürger in Köln überlegten: Sollen wir eine Strafanzeige gegen den Oppenheim-Esch-Fonds erstatten? Sind nicht die sieben Millionen Euro für »Mietervermittlung« ein Betrug, weil doch der Mieter nicht nur von vorneherein feststand, sondern auch nach seinen Wünschen gebaut wurde? Und weil diese sieben Millionen als Teil der Investition sich 30 Jahre lang in der höheren Miete niederschlagen und damit zu einem weiteren Schaden der Stadt führen? Die potenziellen Anzeigeerstatter mussten sich von Rechtskundigen belehren lassen, dass es sich nicht um Betrug handle, denn die Stadt habe ja zugestimmt. Aber dieser Teil der Kalkulation wie auch die anderen »Softkosten« sind doch dem Kämmerer und dem Oberbürgermeister und den Mitgliedern des Finanzausschusses des Rates zum Zeitpunkt der Beschlüsse unbekannt gewesen? Ja, aber sie haben auch nicht danach gefragt. Aber es ist doch objektiv ein Betrug? Vielleicht, aber wenn es keine Täter mit subjektiver Betrugsabsicht gibt, dann gibt es auch keinen Betrug. So bleiben die Strippenzieher und Hauptprofiteure aus der Bank Oppenheim und der Esch-Gruppe und ihresgleichen für immer unbestraft? Nach gegenwärtigem irdisch-deutschen Recht muss diese Frage mit einem eindeutigen Ja beantwortet werden. Auf Initiative eines einzelnen Bürgers, Professor Klaus Feinen, ehemaliger Immobilienspezialist der Deutschen Bank, schaltete sich die Europäische Kommission ein. Sie monierte drei fragwürdige Umstände: Erstens stelle die Mietgarantie der Stadt eine unerlaubte staatliche Subvention dar, die mit dem freien Markt nicht vereinbar ist. Zweitens handle es sich nicht um einen Mietvertrag, sondern um einen Bauauftrag, da der Investor nach genauen Vorgaben der Stadt gebaut habe. Drittens hätte das Projekt deshalb öffentlich ausgeschrieben werden müssen.69 Die Kommission wandte sich an die Bundesregierung, da diese europarechtlich zuständig ist, und verlangte die Herausgabe der Unterlagen zum Messehallen-Projekt. Die Bundesregierung wollte lange Zeit die Verträge nicht herausgeben. »Normalerweise sind Mitgliedsstaaten interessiert, Verdachtsmomente auszuräumen durch vollständige Informationen. Das ist in diesem Fall nicht geschehen«, beklagte sich ein Sprecher der Kommission, die deshalb ein weiteres Verfahren wegen Verletzung der Kooperationspflicht gegen die Bundesrepublik einleitete.70 Vielleicht spielt hier eine Rolle, dass die Bank Oppenheim im Jahre 2005, als die öffentliche Diskussion über die Messehallen begann, 250.000 Euro für
69 | Europäische Kommission: Kommission verklagt Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof wegen des Baus von zwei neuen Messehallen in Köln, Pressemitteilung IP/07/917, Brüssel 27.6.2007; irrtümlich spricht die Kommission von zwei statt von vier Hallen. 70 | Kölner Messe, der endlose Skandal, Monitor 7.9.2006.
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den Wahlkampf der jetzigen Bundeskanzlerin Angela Merkel gespendet hat und damit übrigens der größte Spender überhaupt gewesen ist.71 Schließlich musste die Bundesregierung die Verträge herausgeben. Die EU beschloss die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens gegen die Bundesrepublik wegen Verletzung der EU-Ausschreibungs-Richtlinien. So erklärte schließlich der Europäische Gerichtshof den Messehallen-Vertrag für ungültig.72 Der Kölner Stadtrat brauchte fast ein Jahr, um den Vertrag zu kündigen, verbunden mit der Absicht, die Messehallen zu deren wirklichem Preis zu kaufen und selbst an die Koelnmesse GmbH zu vermieten. Die Anleger des Esch-Oppenheim-Fonds hatten das abgelehnt und dagegen angedroht, die Schlösser auszutauschen und der Kölnmesse die weitere Benutzung der Hallen zu versagen. Sie argumentierten, der Kaufpreis dürfe sich nicht nur auf den Wert der Messehallen beziehen, sondern müsse »extrem hoch ausfallen«: Der Kaufpreis müsse nämlich die in den verbleibenden 25 Jahren ausfallenden Steuervorteile enthalten sowie die Steuer, die die Anleger auf den Kaufpreis zahlen müssten.73 Das ist reichlich dreist für verurteilte Rechtsbrecher. Inzwischen zahlt die Stadt keine Miete mehr, sondern eine auf etwa eine Million Euro halbierte Benutzungsgebühr.
Die Gesamtkosten für Stadt und Staat Rechnen wir also zusammen, was die vollständige Erfüllung des PPPVertrags in den 30 Jahren bis 2035 gekostet hätte. Da ist zunächst die Inflationsindexierung. Natürlich kann gerade ein abgebrühter Banker nicht voraussagen, welche Inflationsraten die kapitalistische Welt in den nächsten drei Jahrzehnten hervorbringen wird. Selbst bei einer Inflation, die im Durchschnitt nur ein halbes Prozent über den gegenwärtigen zwei Prozent liegt, würden im Jahre 2036 insgesamt 746,81 Millionen an Miete zusammengekommen sein. Im zehnten Jahr läge die Miete bei 23,07 Millionen, im 20. Jahr bei 26,12 Millionen und im 30. Jahr bei 29,5 Millionen. So könnten es insgesamt vielleicht auch 800 Millionen werden. Dies ist übrigens eine Schätzung, die das Berliner Landgericht als zulässig erklärte und deshalb eine einstweilige Verfügung aufhob, die die Bank Oppenheim erwirkt hatte: Sie hatte vorgebracht, die Inflationsrate der nächsten 30 Jahre sei genauso wie in den letzten 20 Jahren anzunehmen, nämlich unter zwei Prozent, und der Gesamtbetrag der Mieten bleibe deshalb unter 700 Millionen.74 Vieles spricht allerdings dafür, dass die
71 | Der Spiegel 42/2005, S. 17; manager-magazin 9/2005, S. 18. 72 | Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 29.10.2009, Az. C-536/07. 73 | Streit um die Kölner Messehallen spitzt sich zu, Frankfurter Allgemeine Zeitung 9.7.2010. 74 | Landgericht Berlin, Urteil vom 23.1.2007, Az. 27 O 996/06. Das Urteil bezieht sich auf die Einstweilige Verfügung, die die Bank Oppenheim gegen das Buch
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vergleichsweise »gemütlichen« Jahre des Kapitalismus vorbei sind und die Inflation höher sein wird als in den vergangenen Jahrzehnten. Es kommen aber noch vier weitere Täuschungs- bzw. Kostenfaktoren hinzu. Erstens ist laut Mietvertrag der Vermieter nur für »Dach und Fach« zuständig. Das mag einem normal desinformierten deutschen Kommunalpolitiker als nebensächlich erscheinen. Aber diese Regelung hat es in sich: Demnach ist der Vermieter nur für die Reparatur und Instandhaltung der tragenden Teile zuständig: Grundmauern, Außenwände, Betondecken etc. Für Heizungsanlage, Heizkörper, Fenster, Türen, Wasserleitungen, Abwasseranlagen, Aufzüge usw. ist, abweichend von der normalen Regelung, der Mieter zuständig. Das bedeutet, dass die öffentlich genannte ortsübliche Miete nur einen Teil der Nutzungskosten abdeckt, denn es kommen drei Jahrzehnte lang die Reparaturen und Instandhaltungen hinzu, die normalerweise der Vermieter übernimmt. Um wie viel werden also die Mietkosten höher sein? 100 Millionen? 200 Millionen? Zweitens sah sich die Stadt bereits zwei Jahre nach Eröffnung der Hallen gezwungen, auf Behebung von Baumängeln zu klagen75 – ein Hinweis darauf, dass die Bauqualität nicht die beste ist. Das verursacht zusätzliche Kosten, für die Mängelbeseitigung selbst, für Anwälte und für die städtische Verwaltung. Der dritte Kosten- bzw. Täuschungsfaktor besteht in Folgendem: Nach dem Ende der Mietzeit, so wurde ja angenommen, braucht die Stadt weiter Messehallen. Sie gehören aber Oppenheim-Esch. Die Stadt bzw. die Messegesellschaft müsste die Hallen zurückkaufen. Dafür sind 70 Millionen angesetzt – die kommen also auch noch hinzu. So könnten die Messehallen der Stadt am Ende also ungefähr eine Milliarde Euro kosten. Demgegenüber würden die Hallen bei einer traditionellen Auftragsvergabe und Finanzierung mithilfe eines günstigen Kommunalkredits – er war zur Bauzeit für vier Prozent zu bekommen – weniger als die Hälfte kosten. Somit würden mehr als 500 Millionen Euro an private Investoren verschenkt worden sein – obwohl der Investor ja gerade deshalb eingeschaltet wurde, um den überschuldeten öffentlichen Haushalt zu entlasten. Professor Feinen hat ausgerechnet, dass die konsequente Kündigung des Vertrags, verbunden mit dem Rückkauf der Messehallen zu ihrem
»Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred von Oppenheim« von Werner Rügemer erwirkt hatte. Das Buch erscheint immer noch in 3. geschwärzter Ausgabe. 75 | Stadt bereitet Prozess gegen Esch-Fonds vor, Kölner Stadt-Anzeiger 16.6.2007. Der Kölner Stadt-Anzeiger, dessen Verleger Alfred Neven DuMont selbst Anteilseigner des Oppenheim-Esch-Fonds für die Kölnarena und für das Kölner Rathaus ist, lässt im Namen des Fonds, wenn man denn schon über ihn berichten muss, gern den Namensteil »Oppenheim« heraus und schreibt nur vom »Esch«-Fonds.
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wirklichen Wert, der Stadt mindestens 300 Millionen Euro ersparen würde.76 Doch damit sind wir keineswegs am Ende der Gesamtrechnung. Betrachten wir das Projekt gesamtstaatlich, dann kommt ein vierter Kostenfaktor hinzu. Die Messehallen sind ein Steuerspar-Projekt. Die 27 Anleger, auf die sich die 330 Millionen Euro des Messehallen-Fonds verteilen, erwarten dafür Steuerersparnisse. Wie hoch würden sie sein während der 30 Jahre Laufzeit des Vertrages? Würde der Staat Bundesrepublik Deutschland zusätzlich 100 Millionen an Steuern einbüßen, 200 Millionen, 330 Millionen? Gesamtwirtschaftlich betrachtet wäre die Erfüllung des PPP-Messe hallen-Vertrags um das Drei- bis Vierfache teurer als eine traditionelle Erledigung.
Teurer L eucht turm : L andkreis O ffenbach Peter Walter, Exlandrat von Offenbach, CDU, ist ein Prophet. Er reist auch nach dem Ende seiner Amtszeit durch die Lande und verkündet, mit PPP werde der Staat aus seinem schuldenbedingten Schlaf erlöst, und übrigens sei er, der Offenbacher Landrat bzw. Exlandrat, der Initiator des größten PPP-Projekts in Europa. So etwas zu sein, verschafft offensichtlich in bestimmten Kreisen hohes Ansehen. Selbst wenn es gar nicht stimmt. Das weitaus größte PPP-Projekt in Europa ist die Londoner U-Bahn, in Deutschland ist es Toll Collect. Dann kommt die Autobahn A 1 zwischen Hamburg und Bremen. Dann kommt lange nichts. Dann kommt das zweitgrößte PPP-Projekt in Deutschland: Die vier Kölner Messehallen. Dann kommt die Hamburger Elbphilharmonie. Dann kommt der Landrat. Seine prophetische Erzählung lautet: Die beiden Bauunternehmen Hochtief und SKE sanieren und betreiben über PPP-Verträge von 2005 bis 2020 alle 90 Schulen des Landkreises Offenbach. Dafür bringt der Landkreis insgesamt 780 Millionen Euro auf, die Eigenerledigung hätte 960 Millionen gekostet, die PPP-Lösung ist also 18,5 Prozent günstiger. PPP ermögliche den Schülern und Lehrern und Eltern »Bildung in Freiheit«: Bildung werde entbürokratisiert, dem Wettbewerb geöffnet, damit werde Bildung »in die Freiheit entlassen«, und überhaupt werde der »Bildungsstandort Deutschland gestärkt«. Es werde ein »Lernumfeld geschaffen, das den Anforderungen der Bildung für die Zukunft gerecht wird«.77 Der Landrat, gestützt auf seine CDU-Fraktion und keineswegs behindert von den anderen »Volks-« und Gutverdienerparteien – nur die Grünen lehnten PPP hier ab –, will seit langem den Staat in seiner Offenba76 | »Köln kann 300 Millionen Euro sparen«, junge welt 10.10.2010. 77 | Kreis Offenbach: Landrat Peter Walter zieht positive Zwischenbilanz zum europaweit größten PPP-Projekt, Pressemitteilung 12.6.2007.
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cher Landkreisgestalt kleinkriegen. Alles bisher Öffentliche soll privaten Unternehmen überantwortet werden. 2002 verkaufte Walter die Kreiskrankenhäuser Langen-Seligenstadt, nachdem sie 1998 in eine GmbH umgewandelt worden waren, an die private Krankenhauskette Asklepios. Damit wurden etwa 800 Beschäftigte aus der Kreisverwaltung ausgegliedert. Der Landkreis unter Walters Führung organisiert weitere PPP-Projekte wie das »Haus des lebenslangen Lernens« in Dreieich. Es wird mithilfe eines 30-Jahres-Infrastrukturfonds der Hannover Leasing finanziert, mit einer 7-Prozent-Rendite und einer steuerlichen Verlustverrechnung für die Anleger, die sich ab 15.000 Euro beteiligen können. Der Verkauf der Anteile hat Ende 2007 begonnen.78
4000 Seiten Verträge Die Vertragswerke mit jeweils insgesamt etwa 4000 Seiten in 24 A4-Ordnern für die 90 Schulen sind geheim. Das Vertragswerk für das Los West besteht beispielsweise aus 11 Grundverträgen (Rahmenvereinbarung, Sanierung, Facility Management, Personalüberleitung, Personalüberlassung und Personalbeistellung, Zusatzvereinbarung sowie 5 »sonstige Vereinbarungen«) und 113 Anlagen. »Ein Inventar aller Verträge oder aller Vertragsanlagen bestand nicht. Es gestaltete sich schwierig, einen Eindruck von der Vollständigkeit des sehr komplexen und umfangreichen Vertragswerkes zu erlangen«, stellte der Hessische Landesrechnungshof fest.79 Im folgenden Puzzle sind die bruchstückhaften Kenntnisse, die dennoch an die Öffentlichkeit gedrungen sind, zusammenfasst. So unvollständig das Puzzle ist, erlaubt es klare Schlussfolgerungen. Die 90 Schulen sind in zwei Lose aufgeteilt, Los West mit 41 Schulen und Los Ost mit 49 Schulen. Los West fiel an SKE, Los Ost an Hochtief. Nehmen wir das Los Ost. Landkreis und Hochtief gründeten dafür die Projektgesellschaft Hochtief PPP Schulpartner GmbH mit drei Gesellschaftern: Hochtief Projektentwicklung GmbH und Hochtief Facility Management GmbH mit je 47,45 Prozent Anteilen und die Kreisversorgungsbeteiligungsgesellschaft (KVB GmbH) des Landkreises mit 5,1 Prozent. Diese Projektgesellschaft hat drei Geschäftsführer, zwei von Hochtief und einen vom Landkreis, wobei Letzterer in gleicher Funktion und gleichzeitig auch Geschäftsführer in der entsprechenden Projektgesellschaft ist, die für das Los West mit SKE gegründet wurde. Weiterhin hat die Projektgesellschaft einen Beirat. Die Projektgesellschaft schloss mit verschiedenen Unternehmen Verträge: mit Hochtief Construction für Bau und Sanierung, mit WISAG Service Holding für Facility Management, mit EVO Energie und Services für 78 | Lebenslanges Lernen zahlt sich aus, Financial Times Deutschland 13.11.2007. 79 | Hessischer Landesrechnungshof: Jahresbericht 2008, S. 153.
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Energieversorgung; ebenso mit den drei beteiligten Banken: Landesbank Hessen-Thüringen, Westdeutsche Landesbank,80 ein gesonderter Vertrag wurde mit der Europäischen Investitionsbank geschlossen, die einen verbilligten Kredit von 94 Millionen Euro gewährte.81 Die Projektgesellschaft als Generalunternehmer kann ohne weitere Ausschreibung diese Verträge abschließen. Eine ähnliche Bürokratie wurde im Los West mit SKE aufgebaut. Hochtief und SKE sanieren und betreiben die 90 Schulen 15 Jahre lang. Dafür zahlt der Landkreis jährliche Mieten, die im ersten Jahr 52 Millionen Euro betrugen und jährlich ansteigen, sodass Hochtief am Ende 412 Millionen und SKE 370 Millionen erhalten haben wird, insgesamt also 781 Millionen Euro. Soweit die Theorie.
30 Millionen Euro für Berater? Der Kreistag hatte 2001 einen Grundsatzbeschluss gefasst. Danach wurden verschiedene Beraterfirmen mit der Vorbereitung beauftragt. Ende 2004 und Anfang 2005 wurden die Verträge mit SKE und Hochtief unterschrieben. Die lange Dauer bis zur Unterschriftsreife zeigt, dass der vielgerühmte Vorteil, mit PPP gehe alles viel unbürokratischer und schneller, keineswegs zutrifft. Man kann sich leicht vorstellen, dass die zahlreichen Beratungen und die umfangreichen Vertragswerke und der Aufbau der neuen Bürokratie viel Zeit erfordern. Die Berliner Beratungsdienste BBD erhielten den Auftrag, die Vorteilhaftigkeit der PPP-Version zu ermitteln und die Marktabfrage zu organisieren. Die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young wurden eingeschaltet, die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer erstellte das Vertragswerk. Nach unwidersprochenen Berichten gab der Landkreis für sie 30 Millionen Euro an Honoraren aus.82 Die Landkreisverwaltung teilte auf die individuelle Anfrage eines Bürgers mit, es seien »nur« 7,4 Millionen gewesen.83 Die FDP hat nach Durchforsten der Haushalte des Landkreises und verschiedener seiner Beteiligungsfirmen herausgefunden, dass ins-
80 | Vgl. Hochtief PPP Schulpartner GmbH: Projekt Schulen Kreis Offenbach – Los Ost, Präsentation 17.3.2005 und Helaba Landesbank Hessen-Thüringen: PPP-Finanzierungen, Präsentation Kommunalforum TaunusSparkasse, Bad Homburg 18.5.2005. 81 | Tom Barrett/Peggy Nylund-Green: Europaweiter PPP-Erfahrungsaustausch durch das European PPP Expertise Centre (EPEC) bei der EIB, in: Detlef Knop (Hg.): PPP Jahrbuch 2006, Frankfurt a.M. 2006, S. 125. 82 | Oliver Weiland: Privatisierung macht Schule, Deutschlandradio Länderreport 4.1.2005. 83 | Mitteilung des Leiters des Landratsbüros Offenbach vom 13.11.2007 an Gert Flegelskamp; der Betrag bezieht sich allerdings auf den Zeitraum bis März 2004, als die Vorbereitungen noch nicht abgeschlossen waren.
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gesamt 16,7 Millionen für Berater ausgegeben worden sein müssen.84 Diese Zahl ist sicher zu niedrig, denn allein die Anwälte, vor allem Freshfields, erhielten 7,3 Millionen Euro an Honorar.85 Die verschiedenen Darstellungen hängen somit unverbunden und ungeklärt in der Luft. Höchstens nachträglich kann etwas aufgeklärt werden, wenn die Entscheidungen längst gefallen sind. Deutlich wird damit jedenfalls, unabhängig vom tatsächlichen Betrag, dass für die Berater hohe Honorare ausgegeben werden und dass sie in die Vergleichsrechnung für die Vorteilhaftigkeit der PPP-Version nicht eingehen. Mit aller Macht wird verhindert, dass Öffentlichkeit und die eigentlich »verantwortlichen« Abgeordneten sich ein wahrheitsgemäßes Bild machen können. Mit Geheimhaltung und hohen Kosten wird die Vorteilhaftigkeit von PPP herbeimanipuliert. Für BBD wurde Annette Fugmann-Heesing aktiv, die ehemalige Berliner Finanzsenatorin, die sich durch den Verkauf von Landeseigentum hervorgetan hatte (Berliner Wasserbetriebe, Wohnungen etc.). Da sie der SPD angehört und aus Hessen kommt, konnte sie in Offenbach auch erfolgreich diese Partei in das Projekt einbinden. Landrat Walter ließ nicht die eigene Kreisverwaltung ausrechnen, was die Sanierung und der Betrieb der 90 Schulen kosten würde, wenn der Landkreis dies in traditioneller Weise selbst erledigen würde. Vielmehr überließ Walter es BBD, die Kosten der Eigenrealisierung auszurechnen. Mit dieser Methode eines »virtuellen Angebots«, erstellt durch die Gegenseite, kommt man am besten zu dem »Beweis«, dass die Eigenrealisierung teurer und die PPP-Version günstiger ist. So auch in Offenbach. BBD kam zu dem Ergebnis: Das Los West etwa würde in traditioneller Weise durch den Landkreis 458 Millionen kosten, durch SKE nur 370 Millionen: 19 Prozent günstiger!86 Ernst & Young und Freshfields gestalteten das Vertragswerk. Dazu gehören die Verträge zwischen der Projektgesellschaft und den zahlreichen Subunternehmen. Dazu gehören die Verträge mit den Banken Helaba, WestLB und Depfa-Bank mit Sitz in Dublin, die das Geld privater Investoren beibringen bzw. die Mietforderungen aufkaufen. Dazu gehören die Verträge mit dem Landkreis. Sie sind deshalb so umfangreich, so der Freshfields-Anwalt Christian Bunsen, weil so viele Risiken genau geregelt werden müssen, und dies über einen Zeitraum von 15 Jahren: Termin-, Preis-, Umwelt-, Steueränderungs-, Gesetzgebungs-, Zins-, Kalkulationsrisiken »undsoweiter und so
84 | FDP Kreis Offenbach: Landrat Walter (CDU) bleibt Antwort schuldig, Pressemitteilung vom 2.11.2007. 85 | Hessischer Landesrechnungshof a.a.O., S. 156. 86 | BBD Berliner Beratungsdienste: Ergebnisse der Prüfung alternativer Organisations- und Finanzierungsmöglichkeiten für die Bereitstellung und Bewirtschaftung von Schulimmobilien des Kreises Offenbach 28.4.2004, S. 12.
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fort«87. Diese Risiken sollen möglichst wenig zulasten der privaten Seite ausfallen. So soll der private Betreiber nicht alle Vandalismusschäden auf eigene Kosten beseitigen, sondern nur innerhalb eines bestimmten Budgets. Sachbeschädigungen durch Dritte soll der Betreiber nur im Rahmen von Versicherungen und innerhalb von Höchstgrenzen selbst reparieren. Die Reaktionszeiten bei unterschiedlichen Schäden sind genau auf die Stunde geregelt, ebenso die Malus-Zahlungen, wenn die Reaktionszeiten nicht eingehalten werden; ebenso müssen die Modalitäten geregelt werden, wer die Reaktionszeiten misst und bewertet.
Auslieferung an die Bank, laufende Mieterhöhung Ein eigener, verhandlungsintensiver Vertragsteil ist auch in Offenbach die »Forfaitierung mit Einredeverzicht«. Der Landrat stimmte zu, ohne die Öffentlichkeit zu informieren, dass die beiden Projektgesellschaften von Hochtief und SKE den Teil der finanziellen Verpflichtungen des Landkreises, die sich auf die Sanierung beziehen, z.B. an die Helaba und die WestLB verkaufen können, dass der Landkreis die Mieten dann an die Bank entrichtet und sich verpflichtet, keine Einrede bei Mängeln zu üben und die Miete in jedem Fall vollständig und pünktlich zu bezahlen. So zeigt sich auch hier, dass die Versprechen, PPP sei eine Partnerschaft und die Risiken seien gleichmäßig verteilt, ins Reich der Märchen gehört. Das gilt auch für ein anderes wesentliches PPP-Versprechen: Die öffentliche Hand habe Planungssicherheit wegen der feststehenden Miete (»Festpreisgarantie«). Die Miete in Offenbach steht keineswegs fest, sondern wird laufend erhöht, und zwar vertragsgetreu. Die anfangs verkündeten Jahresmieten an beide Investoren betrugen insgesamt 52 Millionen. Das war 2005. Im folgenden Jahr betrugen sie bereits 56,9 Millionen. Da wirken sich Anpassungsklauseln aus, von denen vorher öffentlich nicht die Rede war. Ab 2007 wurde die Mehrwertsteuer um drei Prozent erhöht – allein dies bedingt seitdem eine jährliche Mieterhöhung um 0,965 Millionen Euro. Der Landrat zeigt auch Verständnis dafür, dass Erhöhungen bei den »Materialkosten, insbesondere beim Stahlpreis« zulasten der öffentlichen Hand gehen.88 So betrugen die Jahresmieten im Jahre 2007 insgesamt bereits 59 Millionen. Im Jahre 2010 betrugen sie bereits 73 Millionen.89 Wenn man diese erhebliche Mietsteigerung hochrechnet – und von keinen weiteren ausgeht –, wird das anfangs genannte Gesamtvolumen der PPP-Mieten von 781 Millionen also jetzt schon wesentlich überschritten: auf 1,3 Milliarden Euro. Das ist eine Steigerung um 62,5 Prozent! Trotzdem predigte der Landrat weiter seine ursprüngliche Behauptung 87 | Weiland ebd. 88 | Der Landrat, Haushaltsrede im Kreistag am 14.2.2007, S. 10. 89 | PPP in Offenbach – Umstrittene Schulsanierung, Frankfurter Rundschau 27.5.2010.
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vom 19-Prozent-Effizienzvorteil. Auch das Bundesbauministerium verkündete in seiner PPP-Statistik verbissen weiter diese Behauptung.90 Der Landesrechnungshof legte weitere geheim gehaltene Kosten offen: Um die vereinbarten Mieten zu zahlen, muss der überschuldete Landkreis bis Vertragsende 184 Millionen Euro an Krediten aufnehmen. Der Zinsdienst dafür beträgt 112 Millionen Euro. Während der PPP-Vertrag 2020 endet, erstreckt sich die Zinszahlung des Landes noch 15 Jahre länger, nämlich bis 2035!91 Dabei konnte der Rechnungshof die nach 2008 eingetretenen Mietsteigerungen noch gar nicht berücksichtigen! Wenn man noch die Risiken bei den Schäden dazunimmt, deren Behebung nicht von den beiden Investoren übernommen wird, und wenn man das erhöhte Risiko dazunimmt, das aus dem relativ kurzen »Lebenszyklus« von 15 Jahren resultiert (die Gebäude müssen aus Perspektive der Investoren nur 15 Jahre aushalten), dann wird der Landkreis Offenbach nach Ende der Vertragslaufzeiten weit über eine Milliarde Euro bezahlt haben müssen, also das Doppelte der vertraglich vereinbarten Gesamtsumme – wenn er dann überhaupt noch zahlungsfähig ist. An diesem Beispiel wird die fantastische und staatszerstörende Milchmädchenrechnung deutlich, mit der die PPP-Akteure in ihrer demokratischen Dunkelkammer hantieren. So genau soll aber gar nicht gerechnet und hingeschaut werden. Denn PPP ist eine »Philosophie«, wie Landrat Walter landauf, landab als »King of PPP« bei seinen zahlreichen Werbevorträgen verkündete – und dies auch nach seiner Pensionierung tut: »PPP ist für uns eine Philosophie. Und bei den Vorträgen, die ich halte, gehe ich gar nicht auf Preise und Kalkulationen ein, sondern ich gehe auf die Philosophie ein.«92 So tief kann Philosophie am Ausgang des christlich-neoliberalen Abendlandes sinken!
Personalabbau, Mittelkürzung Die PPP-Manie führt zur weiteren Überschuldung des Landkreises. Das Argument für PPP hatte gelautet: Trotz leerer Kasse können die Schulen kurzfristig und billig saniert und dann betrieben werden. Vor PPP gab der Landkreis etwa 30 Millionen Euro pro Jahr für die Schulen aus. Mit PPP gibt er gegenwärtig mehr als das Doppelte aus, mit steigender Tendenz. Die Verschuldung des Landkreises galoppiert: 2003 betrug sie 16,9 Millionen, 2006 bereits 57 Millionen. Die Verschuldung fällt weniger dramatisch aus, als sie müsste, weil gleichzeitig Stellen in der Kreisverwaltung abgebaut werden. Nach dem Verkauf der Krankenhäuser hatte sie noch 1200 Beschäftigte. Im Dezember 2006 teilten sich 1100 Beschäftigte 750 Stellen. Davon wurden in den 90 | Detlef Knop (Hg.): PPP Jahrbuch 2007, Frankfurt a.M. 2007, S. 21. 91 | Hessischer Landesrechnungshof a.a.O., S. 165 und 172. 92 | PPP-Schulprivatisierung im Landkreis Offenbach a.a.O.
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folgenden Jahren weitere 250 abgebaut.93 In den genannten, noch vorhandenen Stellen sind zudem die 125 Stellen enthalten, die mit PPP an SKE und Hochtief übergeleitet wurden und auf Dauer nicht gesichert sind. Hochtief hatte die Überleitung mit einer Antrittsprämie von 1000 Euro schmackhaft gemacht. Die Hausmeister z.B. erhielten aber nur eine Bestandsgarantie für fünf Jahre, eine Rückübernahme nach dem PPP-Ende oder bei Insolvenz der Privaten wollten der Investor und die Landkreismehrheit nicht. Um die heilige Kuh PPP zu ernähren, wurde zusätzlich eine Haushaltssperre verfügt. Das liegt konzeptionell nahe, denn der Landrat setzt gute »Bildung« identisch mit neuen Schulgebäuden, alles andere ist unwichtig. So musste jede Schule zunächst zwischen 10 und 20 Prozent ihrer bisherigen Mittel einsparen. Die Mittel für den Schülertransport wurden gesenkt. Gleichzeitig wurden Förderstufen an drei Schulen und fünf Schulen ganz geschlossen. Diese Kürzungen minderten für Landrat Walter nicht den strahlenden Bildungsstandort Offenbach. Gleichzeitig war ihm das Aufhängen des Porträts des Bundespräsidenten und der Deutschlandfahne bereits in den Kindertagesstätten wichtig.94 Offensichtlich besteht die PPP-Pädagogik darin, die zweifelnde Schulgemeinschaft eisern und patriotisch um den wachsenden Mangel zusammenzuschmieden. Während der Landrat in der Kreisverwaltung so viele Arbeitsplätze abbaute wie möglich, versprach er neue Arbeitsplätze durch PPP. Bei »künftigen Aufträgen«, also solchen, die in einer zweiten Runde durch die beiden Projektgesellschaften vergeben werden können, sollen Unternehmen aus dem Kreisgebiet »besonders berücksichtigt« werden. Offensichtlich sind sie in der ersten Runde nicht »besonders berücksichtigt« worden. Allerdings gibt es eine kleine Einschränkung: »im Rahmen des Wettbewerbsrechts«.95 Die Finanziers äußern sich ebenfalls zurückhaltend: »Integration der lokalen Handwerkerschaft ist möglich«, merkt die Helaba an.96 Die Kreishandwerkerschaft Offenbach bilanzierte 2010 aus ihrer Sicht: Geschäftsführer Helmut Geyer gibt dem Projekt nicht einmal die Note »ausreichend«. Bei den Mitgliedsfirmen habe es nicht zu vollen Auftragsbüchern geführt.97 Das theoretisch Mögliche, das die Hessische Landesbank ins Feld führt, schrumpft in der Realität allerdings gegen null. Einheimische Mittelständler können mit den ausländischen »Billigheimern«, die von SKE und Hochtief beauftragt werden, nicht konkurrieren. Einheimische Firmen haben es deshalb frühzeitig aufgegeben, sich überhaupt um Aufträ93 | Mitteilung des Personalrats der Kreisverwaltung an den Autor. 94 | Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW, Kreisverband OffenbachLand, Flugblatt 15.10.2006. 95 | BBD a.a.O., S. 20. 96 | Helaba a.a.O., S. 9. 97 | Frankfurter Rundschau s. Fußnote 89.
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ge zu bemühen.98 Das mit dem Schulbetrieb beauftragte Unternehmen WISAG ist mit 22.000 Beschäftigten in Deutschland auch kein Mittelständler aus der Region. Die Landkreisverwaltung behauptet unverdrossen, dass SKE und Hochtief Subunternehmen aus der Region beauftragen, muss aber auf Nachfrage eingestehen, kein einziges derartiges Unternehmen nennen zu können, da ja nicht der Landkreis, sondern SKE und Hochtief diese Aufträge vergeben. »Uns liegt keine Auflistung über die jeweiligen Firmen für Subaufträge vor.«99
Porträt: SKE SKE International LLC mit Sitz in London gehört zum weltgrößten Baukonzern, Vinci S.A. (Hauptsitz Paris), der mit 2500 Tochterfirmen und 142.000 Beschäftigten in über 100 Ländern tätig ist. Vinci betreibt nach dem PPP-Muster 17 Flughäfen, Mautstraßen, Mautbrücken und Veranstaltungshallen wie das Stade de France in Paris, baut und betreibt industrielle Großanlagen, entwickelt neue Stadtteile. Vinci erhielt über die Tochterfirma Eurovia den Zuschlag für den Flughafen Berlin-Brandenburg. Unter PPP-Regime baut und betreibt Vinci verschiedene Maut-Autobahnabschnitte in zahlreichen Ländern, darunter auch in Deutschland. Ähnlich wie Bertelsmann unterhält Vinci eine Stiftung: »L’Entreprise et la Cité« (Unternehmen und Stadt). Das Tochterunternehmen Cofiroute betreibt private Autobahnen in Frankreich und gehört mit Daimler und Telekom zum Toll-Collect-Konsortium in Deutschland. Aktionäre sind vor allem institutionelle Investoren aus den USA, Frankreich und dem arabischen Raum. Das Tochterunternehmen SKE Deutschland GmbH hat seinen Sitz in Mannheim. SKE ist auf langfristiges Facility Management orientiert. Auf der SKE-Referenzliste für Deutschland stehen vor allem Truppen- und Familienunterkünfte der US-Army (Ansbach, Heidelberg, Wiesbaden, Frankfurt a.M., Mannheim-Seckenheim, Darmstadt), Walmart-Kaufhäuser und Bundeswehrunterkünfte.100 In England betreibt SKE fünf Gefängnisse, orientiert am Vorbild des US-Unternehmens Wackenhut. Das wollte SKE auch in Deutschland durchsetzen,101 kam aber noch nicht zum Zuge. Für Schulprojekte in Deutschland wurde SKE Schul-Facility-Management GmbH gegründet; bisherige Projekte befinden sich in Lohmar und Bedburg (NRW), Kirchseeon (Bayern) und im Landkreis Offenbach (Hessen); in Mülheim an der Ruhr erhielt SKE den PPP-Vertrag für ein Medienhaus. 98 | Frankfurter Neue Presse 1.12.2004; Main-Echo 25.6.2005; Frankfurter Allgemeine Zeitung 7.9.2005. 99 | Mitteilung des Leiters des Büros des Landrats ebd. 100 | http://www.ske-gmbh.de/referenzen 6.11.2007. 101 | Vinci will in Deutschland Gefängnisse privat betreiben, Die Welt 15.11.2004.
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F orfaitierung mit E inrede verzicht : M ülheim an der R uhr In Mülheim an der Ruhr bildeten CDU und Bündnis 90/Grüne nach den Kommunalwahlen 1999 die erste schwarz-grüne Rathauskoalition in einer deutschen Großstadt. Die beiden Parteien einigten sich darauf, den städtischen Haushalt durch Privatisierung zu »sanieren«. So wurden in der Eile und ersten Begeisterung die Rheinischen Wasserwerke (RWW) unter Preis an RWE verkauft, ebenfalls die Abfallentsorgung, die Energieversorgung usw. Auch SPD und FDP stimmten dafür. Als unsichtbare, aber nichtsdestoweniger leitende Hand bei diesen Verkäufen erwies sich Dr. Ute Jasper von der »renommierten« Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek & Partner. Jasper ist die Star-Privatisiererin dieser Kanzlei, sie beriet damals das Land Hamburg bei der Privatisierung der Landeskliniken, sie beriet die NRW-Landesregierung beim Großprojekt Transrapid, sie beriet die Städte Halle, Essen, Münster und andere bei Privatisierungsprojekten. Ein Glanz umstrahlte sie: Sie musste in einer Stadt nur das Rathaus betreten und schon gingen die Stadtoberen mit Privatisierungen schwanger. In Mülheim hatte sie ohne Ratsbeschluss vom CDU-Oberbürgermeister Dr. Jens Baganz die Funktion einer exklusiven Dauerberaterin bei allen zwölf Privatisierungen der Stadt bekommen und konnte ohne genaue Nachweise ein Gesamthonorar von über einer Million Euro einstreichen.102
Weil der Verkauf der städtischen Unternehmen doch nichts brachte … Weil die Beraterin während dieser Zeit selbst schwanger wurde, und zwar durch den beratenen christlichen Oberbürgermeister, flog die unsaubere Verbindung auf. Das Paar trat 2002 von seinen gewählten und ungewählten Funktionen zurück. Es gab – wegen der außerehelichen Beziehung – einen großen Skandal, deshalb wurde eine neue Oberbürgermeisterin gewählt, die der anderen Volkspartei angehörte. Die Preise für Wasser, Abwasser, Müllentsorgung, Energie stiegen entgegen den Versprechungen schneller als vor der Privatisierung. Die privatisierten Unternehmen, an denen die Stadt weiter beteiligt ist, bauten Personal ab und nahmen neue Kredite auf. Die SPD musste nach einigen Jahren feststellen, dass die Stadt immer noch oder schon wieder überschuldet ist, wobei dies nicht zu den notwendigen Einsichten und Konsequenzen führte, da die SPD ja allen Verkäufen des städtischen Eigentums zugestimmt hatte.103 Aber zahlreiche Schulen müssen dringend saniert werden, die Stadt braucht auch neue Verwaltungsgebäude. Woher das Geld nehmen? Die 102 | Werner Rügemer: Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz, Münster 2008, S. 95ff. 103 | Ebd.
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nun regierende SPD konnte nichts mehr verkaufen, selbst wenn sie gewollt hätte. Aber inzwischen gibt es PPP. »Bei PPP wird nichts verkauft«, argumentiert nun die SPD mit dem längst abgetretenen Tony Blair, um sich von den katastrophalen Privatisierungen aus der CDU-Zeit abzusetzen und um PPP zu rechtfertigen. Vor allem zum Sanieren und Betreiben von Schulen wird PPP nun eingesetzt.104 Hier wiederholen die beiden Mülheimer Volksparteien das, was in England die Regierungen Thatcher und Blair vorgemacht haben.105 So beschloss der Stadtrat zunächst, dass der Investor SKE für 25 Jahre ein neues Medienhaus baut und betreibt, die Stadt zahlt dafür 25 Jahre lang eine Miete. Die Stadtratsmehrheit hat wie üblich den Vertrag in nichtöffentlicher Sitzung abgenickt, ohne ihn zu kennen. Im Stadtrat sitzt jedoch seit einiger Zeit die Fraktion Mülheimer Bürgerinitiativen, MBI. Die scherte aus der Gemeinschaft der Geheim-Demokraten aus und wollte den Vertrag sehen, bevor abgestimmt wurde. Insbesondere wollte sie die sogenannte Vereinbarung über die Forfaitierung mit Einredeverzicht sehen, von der irgendwie undeutlich die Rede war. Die Oberbürgermeisterin, der »nebenbei« im Aufsichtsrat von RWE jährlich 116.000 Euro und aus einigen weiteren Aufsichtsratsmandaten einige weitere 10.000 Euro zustehen,106 hatte die Unterlagen aber gerade nicht da. Den Volks- und Besserverdiener-Parteien war das egal. Weil die MBI so nachdrücklich nachhakte, bekamen die Stadträte die Vereinbarung nach der Sitzung immerhin nachgereicht.
Eine kleine Ratsfraktion fragt nach … Seitdem wissen die Abweichler, was Forfaitierung mit Einredeverzicht ist. Sie dürfen aber öffentlich nichts sagen. Die Oberbürgermeisterin hat ihnen eingeschärft, dass hier absolute Geheimhaltung herrscht.107 Besonders der Investor könnte mit einer Klage wegen Verrats von Betriebsgeheimnissen und wegen Geschäftsschädigung vor Gericht gehen. Aber wir brauchen die Mülheimer Vereinbarung mit dem französischen Großinvestor SKE Facility Management gar nicht. Denn die Standardformulierungen der hochbezahlten Anwälte sind überall gleich. Forfaitierung mit Einredeverzicht geht so: Mit der Unterschrift der Oberbürgermeisterin – sie ist die Chefin der Verwaltung – und nach Ab104 | SPD Mülheim an der Ruhr: Ideologie gegen Wirklichkeit 30.8.2007. 105 | Auch die Beraterin Jasper hat sich flexibel auf PPP eingestellt und berät nun u.a. das Land Hamburg beim PPP-Projekt Philharmonie und den Landkreis Lippe beim ersten PPP für alle Straßen eines Landkreises. 106 | Peter Kleinert: Wo blieben die RWE-Tantiemen?, http://www.nrhz.de Nr. 104 18.7.2007. 107 | Vgl. http://www.mbi.de 15.11.2007; Werner Rügemer: Wie die Banken nach der Immobilien-Spekulation auf Kosten der Gemeinschaft gerettet werden, BIG Business Crime 4/2007, S. 30ff.
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nahme der Bau- und Sanierungsleistung geht der Investor mit dem Mietvertrag zu seiner Bank und verkauft ihr die Mietforderungen. Die Bank schätzt den Gesamtwert der Mieten für die betreffende Laufzeit. Die Bank zahlt dann an SKE Facility Management den Gesamtbetrag sofort aus, mit gewissen Abzügen und abgezinst auf den Gegenwartswert. Das ist die Forfaitierung (von französisch forfait = Pauschale). Im Gegenzug zahlt die Stadt Mülheim die Miete nicht an den Investor, wie im Stadtrat beschlossen, sondern an die Bank. Die Stadt verpflichtet sich dabei, pünktlich immer die volle Miete zu zahlen, unabhängig davon, ob der Investor mangelhaft gearbeitet hat oder ob er pleite geht. Die Stadt verzichtet auf ihre normalen Rechte als Mieter, z.B. auf Mietkürzung bei Schlechtleistung. Das ist der Einredeverzicht. Die Stadt nimmt somit formal nicht selbst einen Kredit auf. Sie verkauft zwar zunächst tatsächlich nichts, aber der Investor verkauft die Mietforderungen. Deshalb zahlt die öffentliche Hand dann real doch einen Kredit zurück, nämlich den, den der Investor aufgenommen hat. Die langjährige Zahlungsverpflichtung verwandelt sich so in eine verdeckte Kreditaufnahme. Die öffentliche Hand verschuldet sich also auf diesem Umweg doch, und sie verschuldet sich noch viel mehr, als wenn sie selbst in bisheriger Weise einen günstigen Kommunalkredit aufnehmen würde. Und sie übernimmt zusätzlich alle wichtigen Risiken des Investors bis hin zu dessen Insolvenz. Das führt zu weiteren Kosten, selbst wenn der Worst Case, die Insolvenz, nicht eintritt. Zum Einredeverzicht gehört auch, dass die Bank den Vertrag an andere Finanzinstitute weiterverkaufen kann. So werden aus Mietverträgen Finanzprodukte. Mit PPP-Verträgen geht es in der Finanzwelt also nicht anders als mit den ebenso verbrieften, schneeballartig weiterverkauften Häuslebauer-Krediten in den USA, was bekanntlich 2007 ein Auslöser der »Finanzkrise« war. Die Bundesregierungen haben sich seit 2000 für diesen Forderungsverkauf – auch Verbriefung genannt – nach dem Vorbild der US-Investmentbanken eingesetzt und diesen über die staatseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Deutschland selbst angekurbelt. Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen plädierte 2006 dafür, »die Verbriefung öffentlicher Forderungen zu beschleunigen«, und zwar auch durch die Einbeziehung von Public Private Partnership.108 Hier erschließt sich der Sinn von PPP: Damit wird nicht, wie öffentlich versprochen, »privates Kapital mobilisiert«, um trotz leerer Kassen öffentliche Aufgaben zu erledigen. Mit PPP schöpft vielmehr der Investor neues Kapital für sich selbst und kann damit z.B. auf globale Einkaufstour gehen. Die Bank ihrerseits kann solche Verträge als Finanzprodukte auf den Markt werfen, damit ebenfalls Geld schöpfen und neue Kredite vergeben. Natürlich können deshalb auch PPP-Verträge zu neuen Finanzkrisen beitragen, wenn die Kommunen, Bundesländer und Staaten immer mehr 108 | Jörg Asmussen: Verbriefungen aus Sicht des Bundesfinanzministeriums, Zeitschrift für das Kreditwesen 19/2006, S. 11.
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solche Verträge machen und irgendwann die Miete nicht mehr bezahlen können.
Finanzierung der Unternehmen durch Forderungsverkäufe Eine neue Form für Unternehmen, um an Geld zu kommen, stellt der Verkauf von Forderungen dar, auch Verbriefung genannt oder am besten Englisch: Asset Backed Securitisation (ABS). Dabei verkauft ein Unternehmen einen Pool möglichst gleichartiger Forderungen an eine Finanzierungsgesellschaft und erhält dafür bares Geld. Den Kaufpreis refinanziert die kaufende Gesellschaft durch den Weiterverkauf oder durch die Ausgabe von Wertpapieren wie festverzinsliche Anleihen, die institutionellen Investoren angeboten werden. Der Forderungsverkäufer nimmt einen Abschlag von der Gesamtsumme hin, der sich je nach dem Ausfallrisiko bemisst und mit dem Käufer ausgehandelt wird. Der Forderungsverkäufer ist damit die ganze Arbeit mit dem Eintreiben der Forderungen und das Ausfallrisiko los. ABS-Transaktionen beziehen sich auf einen Forderungspool und eignen sich erst ab einem Volumen von rund 25 Millionen Euro. Das verkaufende Unternehmen besorgt sich auf diesem Wege neue Liquidität, für die weder Zins noch Tilgung bezahlt werden muss. Außerdem lässt sich die Bilanzstruktur des Unternehmens verbessern, die Eigenkapitalquote erhöhen. Das wirkt sich auch bei Rankings positiv aus. Das war beispielsweise mit den Mietverträgen privater Häuslekäufer in den USA der Fall. Die Kreditverträge, insbesondere solche, bei denen die Rückzahlung nicht sicher war, wurden gebündelt und mit einem Risikoabschlag weiterverkauft. Natürlich lässt sich eine Situation vorstellen, dass auch die Verträge wie in Mülheim und Offenbach zu einer Finanzkrise führen, wenn in vielleicht 10 oder 20 Jahren die Städte ihre vielen PPPMieten nicht mehr bezahlen können, was nach der begonnenen Logik nicht ganz unwahrscheinlich ist. Mit dieser Möglichkeit rechnen die Kreditgeber. Dann muss doch wieder, so verlangen die Finanzakteure, der Staat einspringen. Der Weiterverkauf von Forderungen an weitere Banken ist in Deutschland üblich geworden und wurde nun auch rechtlich abgesegnet. Das Oberlandesgericht Schleswig wies mehrere Kreditnehmer ab, die gegen die Sparkasse Wedel (Kreis Itzehoe) geklagt hatten. Die Sparkasse hatte Kredite der Kunden an andere Finanzinstitute im In- und Ausland weiterverkauft. Der Weiterverkauf sei rechtmäßig, der freie Kapitalverkehr in der EU dürfe nicht behindert werden, heißt es im Urteil. Auch die Verletzung des Bankgeheimnisses, jahrzehntelang wie eine Art Grundgesetz der Finanzwelt angesehen, ist laut dieser Auffassung rechtmäßig. Bei solchen Forderungsverkäufen werden Kundendaten mitverkauft, die »eigentlich«
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unter das Bankgeheimnis fallen. Die Abtretung der Forderungen ist auch bei einem unterstellten Verstoß gegen das Bankgeheimnis wirksam, so das Gericht.109 Forfaitierung mit Einredeverzicht ist bei PPP die Regel und wird u.a. bei folgenden Projekten praktiziert: Landkreis Offenbach (Schulen), Hamburg (Schulen), Braunschweig (Abwasserentsorgung), Thüringen (Fachhochschule Schmalkalden), Monheim (Schulen), Rhein-Erft-Kreis/ Frechen (Sonderschule und Sporthalle), Witten (Schulen), Gütersloh (Sonderschule), Bedburg (Schulen), Leverkusen (Berufsschulzentrum), Münster (Sporthallen), Gladbeck (Rathaus), Hannover (Miesburger Bad). Es können hier nur die Projekte genannte werden, bei denen die Forfaitierung bekannt wurde; in der Regel wird dieser Vertragsbestandteil den Mitgliedern der Stadträte, der Landtage und des Bundestages nicht mitgeteilt.
Porträt: Hochtief Der Konzern Hochtief AG wandelt sich vom deutschen Bauunternehmen zum globalen Investor und Betreiber großer Immobilien: Umbau von Krankenhäusern zu Seniorenresidenzen110, Bau und Betrieb von Schulen, Mautstraßen und -tunnels. Hochtief übernimmt das Facility Management so unterschiedlicher Gebäudekomplexe wie Autostadt Wolfsburg, Messe Berlin, Philharmonie Essen, Justizvollzugsanstalt Stammheim und Städtisches Klinikum Braunschweig. 2007 kaufte Hochtief zusammen mit dem US-Beteiligungsfonds Redwood Grove die Bahntochter Aurelis mit 1495 innerstädtischen Grundstücken und Immobilien zur weiteren Verwertung, z.B. zum Bau und Weiterverkauf von Hotels und zur Entwicklung ganzer Stadtteile.111 Der gegenwärtig profitabelste Bereich sind Aktivitäten in Australien, Asien und der Golfregion sowie Bau und Betrieb von Flughäfen, an denen Hochtief Miteigentümer ist: Düsseldorf, Sydney, Athen, Warschau, Tirana, Dschiddah, Budapest. Mit dem Bau von Krankenhäusern und Army-Stützpunkten sucht Hochtief die Expansion in den USA.112 Für den langjährigen Vorstandssprecher Hans-Peter Keitel, Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, ist der Transrapid eine »deutsche Frage«.113 Der Hochtief-Hauptaktionär ist allerdings ACS, der größte spanische Baukonzern. Zeitweise war der Finanzinvestor
109 | Sparkasse Wedel darf faule Kredite ins Ausland verkaufen, Die Welt 20.10.2007. 110 | Wohnen im Krankenhaus, Süddeutsche Zeitung 14.9.2007. 111 | Hochtief will Bahnflächen rasch bebauen, Financial Times Deutschland 6.9.2007. 112 | Hochtief zieht US-Aufträge an Land, Handelsblatt News 10.10.2007. 113 | Leuchtturm Transrapid, Welt am Sonntag 14.10.2007.
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Oleg Deripaska, der »Aluminiumkönig« Russlands, zweitwichtigster Aktionär. Auch Hedgefonds haben Anteile erworben.114 2005 gründete der Konzern die Tochtergesellschaft Hochtief PPP Solutions GmbH. Die großen Projekte sind Mautstraßen und -tunnels in Israel, Kanada, Australien, Südafrika, Argentinien und Chile, in Deutschland bisher der gescheiterte Herrentunnel in Lübeck, ein 40-Kilometer-Abschnitt der Autobahn 4 in Thüringen, ein 52-Kilometer-Abschnitt der Autobahn 5 in Österreich. Hochtief baut und betreibt zusammen mit Barclays Private Equity eine Musikschule in Cork/Irland und ein Sportcollege in Manchester. PPP-Schulprojekte in Deutschland u.a.: Köln: 7 Schulen, Offenbach: 49 Schulen, Frankfurt a.M.: 4 Schulen, Hamburg: Elbphilharmonie, Leverkusen: 3 berufsbildende Schulen. »Wir konzentrieren uns auf Bereiche, die renditestärker sind als der Bau, also öffentlich-private Partnerschaften wie die Sanierung und der Betrieb von Schulen und Autobahnen.«115 Hochtief schließt PPP-Verträge nur dann, wenn sie Preisgleitklauseln enthalten. Baumaterialien werden verstärkt in China eingekauft, weil sie dort billiger sind; dafür hat Hochtief mit dem chinesischen Handelsunternehmen B.S.C. Industries eine Tochtergesellschaft gegründet.116 Lohnarbeit von Bauarbeitern, Hausmeistern, Handwerkern usw. wird über Werkverträge an zahlreiche Subunternehmer vergeben. Durch diese heute übliche Methode entsteht folgende typische Struktur: Die Hochtief AG hat für PPP die Tochtergesellschaft Hochtief PPP Solutions GmbH gegründet. Diese gründet z.B. für das PPP-Projekt der sieben Kölner Schulen die Projektgesellschaft Hochtief PPP Schulpartner Köln P1 GmbH & Co. KG. Diese wiederum beauftragt eine andere Hochtief-Tochtergesellschaft, nämlich die Hochtief Construction AG, die »komplette Bauausführung« für die sieben Kölner Schulen zu übernehmen. Gleichzeitig gibt Hochtief AG bekannt, dass »94 Prozent der Aufträge im Baubereich an kleinere und mittlere Unternehmen vergeben« werden.117 Wie erklärt sich dieser Widerspruch zwischen »komplette Bauausführung« an Hochtief Construction vergeben und »94 Prozent der Aufträge an kleinere und mittlere Unternehmen« vergeben? Hochtief Construction ist nämlich wiederum der Generalunternehmer für die nachgeordneten Subunternehmer, z.B. ein mittelständi- 114 | Ohne Privatisierung der Autobahnen wird es nicht gehen, Die Welt 1.11. 2005. 115 | Wie der neue Hochtief-Vorstandschef Herbert Lütkestratkötter Deutschlands größten Baukonzern noch profitabler machen will, Wirtschaftswoche 15.11. 2007. 116 | Kölner Stadt-Anzeiger 28.8.2007. 117 | Hochtief PPP Solutions: Projekte von Hochtief PPP Solutions (8), Schulen Köln, Essen o.J., S. 2.
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sches Bauunternehmen aus Pulheim oder Münstereifel, das aber wiederum seine Bauleistung an einen türkischen Subunternehmer vergibt. Ähnlich ist es beim 25 Jahre dauernden Betrieb und der Instandhaltung der sieben Schulen. Dafür beauftragt Hochtief PPP Solutions Schulpartner P1 GmbH & Co. KG die Arbeitsgemeinschaft (Arge) CIS+abacus. Nach der Verdreifachung der Kosten beim PPPProjekt der Hamburger Elbphilharmonie wurde der Investor Hochtief als »große Anwaltskanzlei mit angeschlossener Bauabteilung« bezeichnet, da die Rechtsabteilung des Konzerns sich als Teil der Value Chain (Wertschöpfungskette) definiert und entsprechend mit großem Aufwand und bisher mit großem Erfolg ständig auf der Suche nach Möglichkeiten für Nachforderungen ist und den Gewinn des Konzerns mehrt. Zur Finanzierung tut sich PPP Solutions mit Finanzakteuren wie der Luxemburger Privatbank Sal. Oppenheim und The PFI Infrastructure Company (PFI Co), die an der Börse London notiert ist, zusammen. Damit sollen »effiziente langfristige Finanzierungsstrukturen sowohl mit Projektfinanzierung als auch mit Forfaitierungsfinanzierung (kommunalkreditähnliche Finanzierung)« entwickelt werden.118 Hochtief verkauft wie andere derartige Investoren die vereinbarten Mietforderungen aus einem PPP-Vertrag üblicherweise als Asset Backed Securities (ABS) an Banken. Was Hochtief in Deutschland bisher nicht verwirklichen konnte, ist in England schon möglich. Sechs PPP-Projekte in England und Irland (Manchester, Salford, North und East Ayrshire, Bangor und Cork) wurden im Unternehmen Hochtief PPP Schools Capital Ltd. zusammengefasst, davon wurden 49 Prozent an das PPP-Dachunternehmen PFI Co verkauft. PFI Co soll »sowohl in primäres wie sekundäres PFI-Eigenkapital investieren«119 . Das soll heißen: Bei primären Investitionen gibt PFI Co Kapital an das PPP-Konsortium, also auch an die HochtiefProjektgesellschaft, bei sekundären Investitionen kauft PFI Co die bisherigen Investoren auf. Dass PPP-Projekte zum handelbaren Spekulationsobjekt werden, soll durch das geplante PPP-Vereinfachungsgesetz auch in Deutschland möglich werden.
B l ack B ox der D emokr atie : Toll C ollect 1994 beschloss der Bundestag mit dem »Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz«, dass private Investoren Straßen, Tunnels, Autobahnen, Brücken und übrigens auch Schienenwege bauen, finanzieren und betreiben können. 118 | Jahrbuch 2007, S. 8. 119 | Hochtief AG: Hochtief öffnet PPP-Schulportfolio für Investoren, Pressemitteilung 18.1.2007.
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Neben dem Bund wollen auch einzelne Bundesländer, Landkreise und Kommunen PPP-Projekte für Landes-, Kreis- und kommunale Straßen.120 Im Folgenden werden die Pilotprojekte Toll Collect, die beiden Tunnels Lübeck/Trave und Rostock/Warnow und die Bundesautobahn A1 zwischen Bremen und Hamburg vorgestellt, weil sie bereits seit einigen Jahren realisiert werden und aussagekräftige Erfahrungen bieten.
Der 17.000-Seiten-Vertrag Am 20. September 2002 schloss die Bundesregierung, vertreten durch das Verkehrsministerium, mit dem Konsortium aus Telekom, DaimlerChrysler Services (heute Daimler Financial Services) und Cofiroute (Compagnie Financière et Industrielle des Autoroutes, französischer Mautstraßenbetreiber) den Toll-Collect-Vertrag: Die Projektgesellschaft Toll Collect GmbH sollte zum 31.8.2003 auf den deutschen Autobahnen ein digitales System zur Erfassung und Einkassierung von entfernungsabhängigen Mautgebühren für LKWs installieren und 12 Jahre lang betreiben. Dafür zahlt das Verkehrsministerium ein monatliches Entgelt aus den Mauteinnahmen. Das ist der dürftige Vertragsinhalt, der öffentlich bekannt gegeben wurde. Der damalige Verkehrsminister Bodewig unterzeichnete den Vertrag zwei Tage vor der Bundestagswahl 2002; die Regierung wollte einen abstimmungsförderlichen Erfolg präsentieren. Eine parlamentarische Kontrolle fand nicht statt. Was wirklich in dem Vertragswerk mit seinen immerhin 17.000 Seiten steht, ist für die Öffentlichkeit, aber auch für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages bis heute eine Black Box. Durch die Konflikte um die verzögerte Einführung des Systems und durch besondere Begleitumstände schälen sich jedoch einige Sachverhalte deutlich heraus.121
Die Auftragsvergabe Der 31. August 2003 als Starttermin des Mautsystems stand bereits seit einem knappen Jahrzehnt fest, nämlich in dem schon erwähnten Privatstraßenfinanzierungsgesetz von 1994. Die zeitbezogene Autobahnbenutzungsgebühr für LKWs (Eurovignette) als Zwischenlösung war gesetzlich bis zum 31. August 2003 begrenzt. Am Tag danach sollte die streckenbezogene LKW-Abgabe, also das Mautsystem, beginnen. Auf dieses Datum konnten sich also alle Beteiligten langfristig einstellen.
120 | Vgl. PPP-Jahrbuch 2007, Frankfurt a.M. 2007, S. 166ff. 121 | Vgl. Werner Rügemer: Maut und Mehr, Blätter für deutsche und internationale Politik 4/2004, S. 415ff.; 2009 wurde ein Teil des Vertragswerks von wikileaks veröffentlicht; das Magazin stern veröffentlichte ebenfalls einige Details (stern 49/2009, S. 34f.).
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Die von der rot-grünen Bundesregierung 1999 durchgeführte Auftragsvergabe geriet zur Farce. Es bewarben sich drei Anbieter: die Schweizer Fela Management AG, die Arbeitsgemeinschaft Mautsystem (AGES) und die Bietergemeinschaft Electronic Toll Collect Deutschland. Zunächst schloss das Verkehrsministerium die Fela AG aus, obwohl diese das bei weitem kostengünstigste Angebot abgegeben und das Schweizer Mautsystem (Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe, LSVA) in der Alpenrepublik erfolgreich installiert hatte. Der Ausschluss wurde damit begründet, dass Fela die hohe Ausfallzahlung im Falle einer Verzögerung nicht akzeptieren wolle und auch nicht genügend finanzielle Sicherheiten bieten könne. Fela erhob Widerspruch vor dem Bundeskartellamt, wurde aber offensichtlich ohne ernsthafte Prüfung abgewiesen. Danach wurde auch AGES aus dem Verfahren ausgeschlossen; AGES bestand aus dem Mobilfunkkonzern Mannesmann (seit 2000: Vodafone), Siemens/VDO und vier weiteren Unternehmen. Die Ausschlussbegründung lautete auch hier: Mangelnde Bereitschaft für die Übernahme von Ausfallzahlungen und nicht vorhandene Bürgschaften.122 So blieb ohne Leistungsvergleich nur Toll Collect übrig. Damit setzte sich die Linie des Bundeskanzlers Gerhard Schröder durch. DaimlerChrysler und Telekom sind mit je 45 Prozent die Haupteigentümer von Toll Collect, 10 Prozent gehört Cofiroute. Schröder hatte nach seiner Wahl 1998 Hilmar Kopper, Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank und zugleich von DaimlerChrysler, zum Bundesbeauftragten für Investitionen ernannt.123 Als Mehrheitseigner der Deutschen Telekom war die Bundesregierung an der bevorzugten Behandlung auch dieses Konzerns interessiert. Gegen die Auftragserteilung an Toll Collect legte AGES beim Bundeskartellamt Widerspruch ein, mit der Begründung, das Angebot von Toll Collect, das Mautsystem innerhalb eines knappen Jahres zu installieren, sei unseriös und nicht realisierbar. Das Bundeskartellamt wies den Widerspruch ab. Gründe, die zum Ausschluss von Fela und AGES geführt hatten, nämlich die späteren Starttermine des Mautsystems und die Weigerung, die geforderten Ausfallzahlungen von 2,8 Milliarden Euro pro Jahr zu garantieren, spielten dann gegenüber Toll Collect keine Rolle mehr. Dem Konsortium wurde die in der Ausschreibung festgelegte Ausfallzahlung bei Terminverzögerung von 7,5 Millionen Euro pro Tag (= 2,8 Milliarden pro Jahr) auf 7,5 Millionen pro Monat ermäßigt – also auf ein Dreißigstel. Das Konsortium setzte eine Klausel für seinen schadlosen, einseitigen Ausstieg durch, ebenso den Ausschluss einer verschuldensabhängigen 122 | Jan Gall: Toll Collect. Pleiten, Pech & Public Private Partnership, RWTH Aachen 2003. 123 | Werner Rügemer: Warum Investitionen keine Arbeitsplätze schaffen. Die Bilanz des Bundesbeauftragten für Auslandsinvestitionen, Hilmar Kopper, Business Crime 3/2003, S. 16.
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Haftung. Dagegen wurde dem Konsortium großzügig ein Entgelt von 20 Prozent der Mauteinnahmen zugestanden; das sind bei jährlichen 3,46 bis 4,87 Milliarden Euro etwa 675 bis 974 Millionen.124 Das ist im Verhältnis mehr als doppelt so viel wie bei den Mautsystemen in Österreich und der Schweiz. Im Rückblick wird klar, dass Bundesregierung und DaimlerChrysler/ Telekom/Cofiroute erst einmal ein Etappenziel erreichen wollten: Bundeskanzler Schröder und die rot-grüne Koalition organisierten sich mit dem größten jemals in der Bundesrepublik vergebenen zivilen Auftrag im Schnellverfahren einen »Erfolg« vor der Bundestagswahl. Das Konsortium seinerseits erreichte den Ausschluss der Konkurrenz und günstige Bedingungen zulasten des Staates. Doch dahinter werden allmählich weitere Ziele sichtbar. Sie reichen weit über ein LKW-Mautsystem in Deutschland hinaus. Unter dem Schutz eines geheim gehaltenen PPP-Vertrages sollen sie verwirklicht werden.
Eintritt in die generelle internationale Straßenmaut Für den gesetzlichen Zweck der LKW-Maut wäre kein digitales System erforderlich. Die bewährten und billigeren Systeme der Schweizer und österreichischen Maut hätten genügt. Toll Collect betrifft gegenwärtig LKWs ab zwölf Tonnen125 , die Maut gilt nur auf Autobahnen, die Gebühren sind im europäischen Vergleich extrem niedrig.126 In Deutschland beträgt die höchste Gebühr für die schwersten und umweltschädlichsten LKWs 14 Cent pro Kilometer, in der Schweiz 45 Cent. Durch die gleichzeitige Senkung der Kfz-Steuer für LKWs wird im deutschen Autoland zudem eine weitgehende finanzielle Neutralisierung der Mautgebühren erreicht; die gesamtstaatliche Bilanz ist also gleich null. So geschieht letztlich das Gegenteil dessen, was einmal als vernünftige Begründung für ein Mautsystem entwickelt worden war: zusätzliche staatliche Einnahmen durch die Heranziehung der LKWs zur Finanzierung der Straßenkosten und gleichzeitige Förderung des Schienenverkehrs. Diese klammheimliche Pervertierung der Mautidee spiegelt freilich nur einen Teil der Toll-Collect-Interessen wider. Sie gehen in viele Bereiche jenseits der Maut und weit in die Zukunft. Klaus Mangold vom Daimler-Chrysler-Vorstand, der erste Aufsichtsratsvorsitzende von Toll Collect, 124 | Lizenz zum Gelddrucken, stern 49/2009, S. 36; Ramsauer muss Loch bei Maut-Einnahmen stopfen, Fincancial Times Deutschland 28.12.2010. 125 | Nach EU-Kriterien wird ein Transportfahrzeug ab 3,5 Tonnen als LKW eingestuft. 126 | Verordnung zur Festsetzung der Höhe der Autobahnmaut für schwere Nutzfahrzeuge (MautHV) vom 24.6.2003, Bundesgesetzblatt I/2003, S. 1001; Verordnung zur Erhebung, zum Nachweis der ordnungsgemäßen Entrichtung und zur Erstattung der Maut vom 24.6.2003, Bundesgesetzblatt I/2003, S. 1003.
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auch Vorsitzender des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, hat immer wieder betont, wie wichtig die internationale Erschließung des Transportmarktes durch Private sei. Das bezieht sich nicht nur auf die geplante Einführung der Maut in der gesamten EU und damit auch in den neuen Beitrittsländern Osteuropas, ebenso nicht nur auf die »Sekundärstaaten« Russland und die Türkei; für den Global Player Daimler sind China und Asien selbstverständliche Objekte der Begierde. Das deutsche Mautsystem gehört für Daimler zu zwei Geschäftsbereichen: »Global Toll Services« und »Mobile Application Services«. Die operative Basis dafür sind 100 Tochterunternehmen in 38 Staaten.127 Es ist eine ähnliche Situation wie beim Projekt »Transrapid«: Die in Deutschland hochsubventionierte Realisierung hat vor allem die Funktion eines vorzeigbaren Prototyps für die eigentlich anvisierten Märkte. Wenn hier Daimler gesagt wird, so geht es genauer um die Tochtergesellschaft Daimler Financial Services. Aus der ehemaligen Daimler-Tochtergesellschaft debis hervorgegangen, hat sich DaimlerChrysler Services, danach Daimler Financial Services, zur Finanzzentrale des Weltkonzerns entwickelt. Hier ging es zunächst um Fahrzeugfinanzierung und -leasing, bis auch Schiffs- und Flugzeugleasing hinzukam. Mit der Entwicklung zum Global Player geht es auch um globale Steuergestaltung für den Gesamtkonzern, der an traditionellen Produktionsstandorten wie Stuttgart keine Gewerbesteuer mehr zahlt. Dann wurde eine eigene Bank gegründet, DaimlerChrysler Bank, sodass Daimler Financial Services mit 10.000 Mitarbeitern weltweit und »mit einem Portfolio von 130 Milliarden Euro zu den weltweit führenden Finanzdienstleistern« gehört. Diese Unternehmensgruppe ist die gewinnträchtigste im Weltkonzern.128 Zu den Dienstleistungen gehörte u.a. das »Cross Border Leasing«, also der fiktive Verkauf von städtischen Anlagen in Europa (Kanalnetze, Trinkwasseranlagen, Messehallen etc.) an US-Investoren mit gleichzeitiger Rückmietung durch die Städte. Der Mutterkonzern DaimlerChrysler beteiligte sich dabei auch selbst an solchen in den USA begünstigten »Investitionen«, so z.B. am Kanalnetz der Stadt Düsseldorf. Auch die Deutsche Telekom hat ähnliche Interessen. Über das Mautsystem werden nicht nur LKW-Daten zur Berechnung der Mautgebühr erhoben, sondern auch Daten zum Verkehrsfluss, zu Umleitungen, Anschlüssen an andere Transportsysteme (Bahn, Flugzeug, Schiff usw.). Darüber hinaus werden Daten zu den Inhalten, Start- und Zielorten der Ladungen, zu Spritverbrauch, Reparaturen, Unfällen, Diebstählen, Lieferverzögerungen, Auftragsveränderungen u.Ä. erfasst, um sie zu Dienst-
127 | DaimlerChrysler Services: Pressemitteilung 1.2.2002: Italienischer Leasing- und Finanzierungsmarkt bietet großes Potential. 128 | Kreditgeschäft hilft DaimlerChrysler ins Ziel, Financial Times Deutschland 4.2.2004.
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leistungen an die Spediteure und Kunden zu bündeln, z.B. für Abrechnungen, Zahlungsverkehr, Lagerhaltung, Fahrereinsatz. In einem Strategiepapier der Deutschen Telekom, die sich in die Telekommunikationsnetze west- und osteuropäischer Netze einkauft, heißt es: »Ziel der Deutschen Telekom ist es, europaweit die Führungsrolle im Bereich Maut und Verkehrstelematik zu erreichen.« Ein elektronisches Mautsystem sei »der Enabler für die breite Penetration von Telematikdiensten«.129 Das deckt sich mit DaimlerChrysler: »Mit dem integrierten Konzept ›Maut und Mehr‹ bietet DaimlerChrysler Services Transportunternehmen die Möglichkeit, über die reine Mautzahlung hinaus zusätzliche Telematikdienste zur Optimierung der Geschäftsabläufe in Anspruch zu nehmen, von der Frachtverfolgung bis hin zum Flottenmanagement.«130 Die Maut selbst ist somit das Eintrittsticket in ein viel umfangreicheres Geschäftsfeld, das mit dem gesetzlichen Auftrag zur Einführung des Mautsystems nichts zu tun hat. Das zeigt sich auch beim dritten Gesellschafter des Toll-Collect-Konsortiums: Mit zehn Prozent ist das französische Unternehmen Cofiroute beteiligt. Dieses Unternehmen spielt in der öffentlichen Darstellung des Mautprojekts so gut wie keine Rolle, obwohl es eine zentrale Perspektive repräsentiert. Cofiroute, Tochtergesellschaft des Baukonzerns Vinci, hat in Frankreich eine 900 Kilometer lange Mautautobahn (A 86 West) privat finanziert und gebaut und betreibt sie. In den USA installierte Cofiroute das automatische Mautsystem auf dem ersten privat finanzierten Highway. Cofiroute hat vorgeschlagen, das gesamte Autobahnnetz in Deutschland privaten Betreibern zu überlassen und Maut auch von PKWs zu erheben.131 Auch die organisierte Baulobby tritt für eine Ausweitung der Maut ein. Im Auftrag des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie kam der wichtigste deutsche PPP-Lobbyist Professor Hans-Wilhelm Alfen zu dem Ergebnis: Zur langfristigen Finanzierung des gesamten Straßensystems ist der Umstieg auf die PKW-Maut nötig. Dann würden Infrastrukturfonds Interesse am Autobahnnetz haben; die Einnahmen aus der LKW-Maut, die der privatrechtlichen Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft (VIFG) des Bundes zufließen, sollten der politischen Einflussnahme entzogen werden.132 Die Bundesvereinigung Logistik (BVL) forderte schon kurz nach dem Start von Toll Collect, dass für alle Nutzer der Autobahn, also auch für die LKWs unter zwölf Tonnen Gewicht und vor allem für alle PKWs, eine 129 | Süddeutsche Zeitung 15.10.2003. 130 | DaimlerChrysler Services: Mit innovativen Mobilitäts- und Telematikdiensten auf der CeBIT 2002, Pressemitteilung 13.2.2002. 131 | Vinci wittert gute Geschäfte, Kölner Stadt-Anzeiger 25.6.2005. 132 | Forscher fordern: Maut für Straßenbau nutzen, Handelsblatt 7.11.2005. Die »Forschung« wurde u.a. vom Baukonzern Hochtief AG finanziert.
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Maut fällig wird, außerdem solle die Mauterhebung auch auf Bundesstraßen ausgedehnt werden. Im Gegenzug solle der Staat die Ökosteuer streichen und die Mineralölsteuer »erheblich senken«.133
Dreifache Geheimhaltung Es muss vermutet werden, dass die über das Mautsystem weit hinausgehenden Interessen im Vertrag ihren Niederschlag finden. Ebenso müssen nach aller Erfahrung darin auch die Verwertungsrechte (Verkauf des in Deutschland entwickelten Prototyps in andere Staaten) nach dem Ende der zwölfjährigen Vertragslaufzeit geregelt worden sein. Dies betrifft auch die mögliche Einbeziehung von Überwachungs- und Fahndungsprojekten des Innenministeriums und des Bundeskriminalamts (»Verfolgung von Terroristen«), die periodisch bekannt und milde dementiert werden.134 Die Geheimhaltung des Toll-Collect-Vertragswerks wird vielfach abgesichert. In einer Nacht- und Nebelaktion musste der Präsident des Bundesamtes für Güterverkehr am 19. September 2002 den Transport der 17.000 Seiten in die Schweizer Finanzoase Zug organisieren. Dort wurde der Vertrag vor einem Notar unterschrieben. Begründung: In der Schweiz seien die Gebühren niedriger; Schweizer Notare seien nicht verpflichtet, die Verträge daraufhin zu prüfen, ob sie anderen Gesetzen widersprechen; die Fristen seien deshalb kürzer. Am nächsten Tag prosteten in Berlin Verkehrsminister Bodewig und Toll-Collect-Chef Mangold in die Fernsehkameras und besiegelten den erfolgreichen Vertragsabschluss. Der hatte aber gar nicht rechtskräftig stattgefunden, denn der Vertrag musste noch zweimal neu unterzeichnet werden, diesmal beim Notar in Basel, bevor er den ohnehin großzügigen Schweizer Vorschriften genügte.135 Vorbereitet und arrangiert wurde die Prozedur von Price Waterhouse Coopers (PWC), KPMG und der Kanzlei Freshfields, die den Vertrag verfasst hatte. PWC und Freshfields hatten im Auftrag des Verkehrsministeriums auch das Gutachten »PPP im öffentlichen Hochbau« verfasst, Professor Alfen war Mitverfasser (vgl. S. 85). Die von der Bundesregierung engagierten Toll-Collect-Berater erhielten von 1999 bis 2003 nach bisheriger Kenntnis 15,6 Millionen Euro Honorar, was zudem gegenüber den anfänglich vereinbarten 8,2 Millionen Euro einer Überschreitung um 90 Prozent entspricht.136 Die Berater setzten US-Besonderheiten durch, so die extremen Verpflichtungen zur Vertraulichkeit und die sanktionsbewehrten »NonDisclosure Agreements« (Vereinbarungen zur Nichtveröffentlichung der 133 | Maut für alle Autos noch nicht möglich, Frankfurter Allgemeine Zeitung 20.10.2005. 134 | Vgl. Die Welt 29.12.2003. 135 | Berliner Toll-Haus, Der Spiegel 10/2004, S. 22ff. 136 | Teure »Fehlentwicklungen«. Rechnungshof prüft die externen Beraterverträge der Bundesregierung, Berliner Morgenpost 3.2.2004.
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Vertragsinhalte). Dies ist seit dem Wirken der Treuhandanstalt und seit Cross Border Leasing auch in Deutschland typisch für Privatisierungsverträge.137 Auch die als Merkmal staatlicher Unternehmen kritisierte Klientelwirtschaft nimmt bei PPP eher zu als ab. Verkehrsminister Bodewig, der den Toll-Collect-Vertrag politisch verantwortete, wechselte anschließend – neben seinem Bundestagsmandat – als »Senior Adviser« zum Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG, das zur Toll-Collect-Beratergruppe gehörte.138 Wegen des verzögerten Beginns und der im Bundeshaushalt bereits verplanten Mauteinnahmen forderten einige Bundestagsabgeordnete Einsicht in den Vertrag. Sie wollten wissen, wie die Schadensersatzregelung aussieht. Der Bodewig-Nachfolger, Verkehrsminister Stolpe, sagte die Offenlegung auf dem Höhepunkt der öffentlichen Auseinandersetzung zunächst zu. Klaus Mangold, der Aufsichtsratsvorsitzende von Toll Collect, erklärte auf den öffentlichen Druck hin in den ARD-Tagesthemen: »Wir haben dem Bundesverkehrsminister Anfang September angeboten, dass er diese Verträge in den jeweiligen Ausschüssen des Bundestages offenlegen kann. Dazu stehen wir, und damit hat das Parlament alle Kontrollrechte, die es gerne wahrnehmen möchte.« Dazu stand Mangold aber keineswegs. Er bot schließlich zwei Varianten an: entweder ein »mündlicher Vortrag«, bei dem die Abgeordneten keine Notizen machen dürften, oder die Einstufung als Geheimsache und Auslegung in einem Datenraum. Diese populistisch nur kurzzeitig verbrämte, direkte Form der Informationsverweigerung war nicht durchhaltbar. Deshalb wurden den Mitgliedern des Haushaltsausschusses des Bundestages 190 Seiten »Zusammenfassung« vorgelegt. Von Freshfields erarbeitet, bot sie die vertragsgemäße Gewähr für Unvollständigkeit hinsichtlich der wesentlichen Inhalte, die als Betriebsgeheimnisse gelten. Brisante Passagen, die mit Betriebs-, Patent- und Steuergeheimnissen in Verbindung gebracht werden konnten, ebenso mit der Ausweitung auf die PKW-Maut und mit der internationalen Verwertung, fehlten.139 Auch das am 1.1.2006 in Kraft getretene Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG) konnte und sollte keine Abhilfe schaffen. Militärische und Betriebsgeheimnisse sind von der Offenlegung ausgenommen. Die Regierung beschied den sich auf das neue Gesetz berufenden Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss (SPD), die Offenlegung des Vertrags könne »Toll Collect im Wettbewerb schaden und die Sicherheit des Systems gefährden«. Auch sei im Ministerium nicht genügend Sachverstand vorhan-
137 | Werner Rügemer: Geheimnisverrat ist Bürgerpflicht, junge welt 24.4.2010. 138 | Rechnungshof will Beraterverträge überprüfen, Frankfurter Allgemeine Zeitung 6.2.2004. 139 | Toll Collect agiert weiter im Geheimen, Süddeutsche Zeitung 9.10.2003.
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den, um geheimhaltungsbedürftige Passagen rechtssicher zu schwärzen und andere freizugeben.140 Tauss klagte vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen diesen Bescheid. Das Gericht schloss sich der Argumentation des Verkehrsministeriums an und wies die Klage im Jahre 2008 endgültig ab. Das Gericht fügte auf Antrag des Toll-Collect-Konsortiums eine weitere Begründung hinzu: Da es zwei laufende Schiedsverfahren zwischen dem Konsortium und dem Ministerium gebe (Schadensersatz wegen verspäteter Einführung der Maut; Höhe der Maut), würde eine Veröffentlichung die Verfahren beeinträchtigen. Die Entscheidung ist rechtskräftig.141 Diese Logik läuft auf das absurde Ergebnis hinaus, dass nur ein vollständig geschwärzter Vertrag eine rechtssichere Veröffentlichung gewährleisten würde. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit kam drei Jahre später zum Ergebnis, der Vertrag sei im Kernbereich offenzulegen. Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen erlaube lediglich die Schwärzung konkreter Passagen wie die Betreiberentgelte und die Schadensersatzhöhe. Auch die Vertraulichkeitsvereinbarung zwischen der Regierung und dem Konsortium könne nicht den Informationsanspruch der Öffentlichkeit zunichtemachen. Trotzdem weigern sich die Regierungen weiter, selbst diese abgeschwächte Offenlegung zu vollziehen.142 Die Geheimhaltung ist auch unternehmensrechtlich doppelt abgesichert. Der Vertrag ist zwischen dem Verkehrsministerium und der Toll Collect GmbH abgeschlossen. Diese Projektgesellschaft gilt rechtlich als das mit einer hoheitlichen Aufgabe »beliehene« Privatunternehmen. Allerdings übertrugen die Konsorten Telekom, DaimlerChrysler und Cofiroute die Ausführung des Vertrages einer eigens gegründeten Tochtergesellschaft der Toll Collect GmbH, nämlich der Toll Collect GbR. GbR heißt Gesellschaft bürgerlichen Rechts und ist als allerprivateste Unternehmensverfassung zu keinerlei Offenlegung verpflichtet. So konnte die Bundesregierung argumentieren: Der »eigentliche Auftragnehmer« sei die GbR; selbst wenn man also bereit wäre, den Vertrag mit der GmbH offenzulegen, »bliebe davon der umfassende Vertraulichkeitsanspruch der Toll Collect GbR unberührt, die als Auftragnehmer ebenfalls Vertragspartner des Maut-Betreibervertrages ist, im Gegensatz zur Projektgesellschaft Toll Collect GmbH jedoch nicht mit hoheitlichen Aufgaben beliehen ist«.143 Hier zeigt sich die findige Arbeit der Kanzlei Freshfields, die nach US-Vorbild eine demokratiefeindliche Praxis in ein teures juristisches Ge140 | Frankfurter Allgemeine Zeitung 22.5.2006. 141 | Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 11.6.2008, Az. VG 2 A 69.07. 142 | »Maut-Vertrag offenlegen«, Frankfurter Allgemeine Zeitung 27.4.2007. 143 | Antwort der Bundesregierung, Deutscher Bundestag, Drucksache 16/2168 vom 7.7.2006.
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wand hüllt: Die »hoheitliche« Aufgabe wird einem Rechtskonstrukt zugewiesen, das nur eine demokratische Hülle darstellt, während die eigentliche Durchführungsaufgabe einem unzugänglichen Rechtskonstrukt zugewiesen wird, in dem aber die gesamte ökonomische und finanzielle Kompetenz enthalten ist.
Privatisierung der Justiz Weil der gesetzlich festgelegte Starttermin des Mautsystems um 16 Monate überschritten wurde, entgingen dem Bund etwa 3,5 Milliarden Euro. Toll Collect leistete lediglich den vertraglich vereinbarten Schadensersatz von 15 Millionen pro Monat. Dagegen erhob Verkehrsminister Stolpe 2005 eine Klage. Die Kritik der ausgeschlossenen Anbieter Fela und AGES an dem unseriösen Angebot von DaimlerChrysler/Telekom hatte sich ja als zutreffend erwiesen. Die Verantwortlichen von Toll Collect haben gezielt die Unwahrheit verbreitet. Zur Unterzeichnung des Vertrages hatten sie am 20.9.2002 erklärt: »Die dafür notwendige Technik existiert bereits und wurde in dieser Kombination eigens für Toll Collect in einem mehrjährigen Probelauf erfolgreich eingesetzt und getestet. Das System ist jederzeit und überall einsatzbereit.«144 Diese sehr einfach nachweisbare Vorspiegelung falscher Tatsachen ist bei einem nach geltenden Gesetzen abgeschlossenen Vertrag und nach dem in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Bürgerlichen Gesetzbuch als unsittlich und als arglistige Täuschung einzustufen und damit ein einfacher Grund für die Ungültigkeit des Vertrages, für Kündigung und vollen Schadensersatz. Deswegen fordert die Regierung in ihrer 500 Seiten umfassenden Klagebegründung für die mehrmonatig verspätete Einführung des Mautsystems 5,1 Milliarden Euro: 3,5 Milliarden an Einnahmeausfällen für 16 Monate und 1,6 Milliarden an Vertragsstrafen. Das Ministerium konzediert, dass laut Vertrag nur »eine minimale Vertragsstrafe« anfalle. In dieser Bestimmung habe das Konsortium aber offensichtlich »einen Freibrief für beliebige Vertragsverletzungen« gesehen. Da das Konsortium die Regierung arglistig mit Terminzusagen getäuscht habe, sei ein Schadensersatz nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches möglich.145 Es steht allerdings zu befürchten, dass die Klage eher zur Beruhigung der Öffentlichkeit angestrengt wurde und nicht ernsthaft verfolgt wird bzw. gar nicht erfolgreich sein kann. Außerdem ist das Konsortium zum 144 | DaimlerChrysler Services: Wir sind die Partner der Transportwirtschaft, Pressemitteilung 20.9.2002; dies wiederholte sich mit der Erklärung vom 29.8.2003: Das von Toll Collect am 27.8.2002 vorgelegte Gutachten bestätige, dass »die gebührenfreie Einführungsphase des neuen LKW-Mautsystems […] am 31.8.2003 beginnen« könne. 145 | Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen: LKW-Maut: Bund fordert vom Konsortium über 5,1 Mrd. Euro, Pressemitteilung 29.7.2005.
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Gegenangriff übergegangen und klagt mit Verweis auf den Vertrag gegen die Kürzung des Betreiberentgelts.146 Das Bürgerliche Gesetzbuch soll hier aber ohnehin nicht greifen. Der Vertrag sieht für den Konfliktfall nämlich vor, dass die Parteien nicht vor ein ordentliches Gericht gehen, sondern vor ein privates Schiedsgericht. Die beiden Seiten haben dafür je einen Vertreter zu benennen und sich auf einen »neutralen Dritten« zu einigen. Mit dieser Privatisierung der Justiz ist es noch unwahrscheinlicher, dass die öffentliche Hand zu dem kommt, was der Bürger nostalgisch und zu Unrecht noch als »das Recht« vermutet. Das US-Rechtsparadigma ist nach dem Willen der Akteure und ohne öffentliche Diskussion an die Stelle des Bürgerlichen Gesetzbuches getreten. Nach jahrelangem Ringen einigten sich die beiden Seiten auf die Zusammensetzung des Schiedsgerichts; Vorsitzender ist der ehemalige Verfassungsrichter Gunter Hirsch, Professor Horst Eidenmüller vertritt das Verkehrsministerium, Professor Claus-Wilhelm Canaris vertritt Toll Collect. Es hat aber auch fünf Jahre nach Erstellung der Klage noch kein einziger Verhandlungstermin stattgefunden. Da ein Schiedsgericht nicht auf Sachermittlung ausgerichtet ist, sondern auf einen Vergleich, hat es hier keine Chance, denn Toll Collect will keinen Vergleich und ließ den bisher einzig angesetzten Verhandlungstermin im Oktober 2009 platzen.147 Bleibt noch nachzutragen: Die juristischen Kosten für die Black Box sind hoch. Für Anwälte, Berater und Gutachter zahlte die Bundesregierung bis Ende 2009 insgesamt rund 60 Millionen Euro.148
F ehlprognosen : Tr ave - und W arnow -Tunnel Schon bevor die Bundesregierung und die »Volksparteien« PPP zu ihrem Programm machten, schritten die führenden Baukonzerne nach englischem Vorbild auch in Deutschland zur Tat. Im März 1999 stimmte die CDU-geführte Mehrheit der Lübecker Bürgerschaft dem PPP-Vertrag mit dem Konsortium aus den beiden Baukonzernen Hochtief und Bilfinger Berger zu: Sie sollten einen 830 Meter langen Straßentunnel unter dem Fluss Trave bauen, finanzieren und betreiben. Die Kredite kamen von der HSH Nordbank, der Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein. Die Investoren rechneten mit einer Rendite von 12 bis 15 Prozent.149 Die Projektgesellschaft Herrentunnel Lübeck GmbH & Co. KG sollte im Gegenzug das Recht haben, 30 Jahre lang eine Maut zu erheben, danach werde der Tunnel der Stadt »geschenkt«. 146 | Financial Times Deutschland 5.8.2007. 147 | Berliner Blockade, wirtschaftswoche 40/2009, S. 65; Mautprellerei ohne Konsequenzen, die tageszeitung 12.6.2009. 148 | Rechtsstreit kostet Bundesregierung Millionen, Spiegel online 24.11.2009. 149 | Megamarkt mit Minirenditen, manager magazin 4.9.2007.
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Natürlich stimmten auch die Lübecker Volksvertreter nicht »dem Vertrag« zu, denn sie bekamen ihn bis heute nicht zu sehen. Sie stimmten lediglich einem allgemeinen Grundsatzbeschluss zu und überließen der Verwaltung die Aushandlung des Vertrags. Die alte Herrenbrücke, über die der Verkehr zwischen Lübeck und dem Ortsteil Travemünde jahrzehntelang geleitet wurde, war unzweifelhaft baufällig geworden. Außerdem entstanden regelmäßige Staus dadurch, dass die Brücke hochgeklappt werden musste, wenn auf der Trave Schiffe durchfuhren. Die Hansestadt war verschuldet, das Land Schleswig-Holstein ebenfalls. PPP schien also die Lösung zu sein. Der Bund hätte 90 Millionen Euro für eine neue Klappbrücke zur Verfügung gestellt, aber die schien der örtlichen Wirtschaft zu altbacken. Man wolle ein »Projekt des 21. Jahrhunderts«, das Lübeck für »die Globalisierung öffne«, so schwärmte der damalige Bürgermeister Bouteiller (SPD) zusammen mit den Wirtschaftsjunioren, und ein Tunnel, zudem realisiert nach der neuen PPP-Methode, schien dieses anspruchsvolle, wenn auch inhaltsleere Ziel zu verwirklichen. Dass die Bürger eine Maut bezahlen sollten, klang dagegen nicht so gut, aber das »21. Jahrhundert« und »die Globalisierung« ließen eine schönere Zukunft aufleuchten, und die 51 Cent (eine D-Mark) je PKW-Durchfahrt erschienen versöhnlich niedrig. Den letzten Anstoß gab schließlich die rot-grüne Bundesregierung, die im Zuge ihres Umschwenkens auf PPP ihre Meinung änderte, den Tunnel zum PPP-Pilotprojekt erklärte und eine Anschubfinanzierung von 77 Millionen Euro beisteuerte – fast die Hälfte der 176 Millionen Baukosten.150 Allerdings war inzwischen auch ein Autobahnanschluss fertig geworden und sorgte für ungeplante Entlastung des Tunnels. Dass dieser Anschluss gebaut wird, war beim Tunnelbeschluss längst bekannt. Nicht wenige Bürger nahmen zudem lieber fünf Kilometer Umweg in Kauf. Statt der »prognostizierten« 43.000 täglichen Durchfahrten ergaben sich nur 18.000.151 Auch die verzweifelten Anstrengungen der Stadtverwaltung, durch neue aufdringliche Verkehrsschilder zumindest ortsunkundige PKW-Fahrer in den Tunnel zu lotsen, brachten kein nennenswertes Ergebnis. Die alte Brücke hatten täglich 43.000 PKWs überquert, deshalb rechneten die PPP-Macher mit derselben Zahl. Sie berücksichtigten nicht, dass es außer der finanziellen noch andere Logiken gibt. Jetzt ist die Stadt überfüllt durch PKWs und LKWs, die den Tunnel meiden.152 Den Investoren, die weltweit Erfahrungen mit Mautstraßen haben, darf hier eine bewusst beschönigende Prognose unterstellt werden. 150 | Thorsten Beckers: Die Realisierung von Projekten nach dem PPP-Ansatz bei Bundesfernstraßen, Diss. TU Berlin 2005, S. 164; Minister baggerte erste Grube für Herrentunnel, Die Welt 16.10.2001. 151 | Tunnelflop bringt Maut-Fans in Bedrängnis, Spiegel online 4.10.2007. 152 | junge welt 14.9.2006.
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Jedenfalls kam eine widersprüchliche, allerdings auch logische Entwicklung in Gang: Die Zahl der Durchfahrten nahm ab, die Gebühr stieg jährlich an. 51 Cent für eine Durchfahrt waren versprochen. Aber schon beim Start 2005 waren es 90 Cent, 2006 waren es 1,10 Euro, 2008 waren es 1,20 Euro, 2009 waren es 1,30 Euro für eine einzelne PKW- und Motorrad-Durchfahrt. Für Pendler kostet eine Durchfahrt 0,65 Euro, freilich muss dafür eine monatliche Grundgebühr von 8,90 Euro bezahlt werden: Das kann bei heutigen Niedriglöhnen kräftig am Einkommen zehren. Kleinlaster und Kleinbusse zahlen 2,40 Euro, Busse und Lastwagen 6,30 Euro, Lastwagen mit Anhänger 10 Euro.153 Außerdem berechnen die Investoren seit 2006 der Stadt eine monatliche Mautgebühr für Linienbusse in fünfstelliger Höhe. Die Anschubfinanzierung des Bundes war auch damit begründet worden, dass der Öffentliche Nahverkehr mautfrei bleiben kann. Die Stadtverwaltung kürzte den Betrag, die Investoren gingen dagegen vor Gericht. Nachdem das Verwaltungsgericht Lübeck der Stadt recht gegeben hatte, gingen die Investoren in Berufung. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein gab ihnen recht. Der Lübecker Oberbürgermeister legte Revision ein, doch das Bundesverwaltungsgericht ließ sie nicht zu.154 Somit muss die Stadt einen Millionenbetrag nachzahlen, der jährliche Mautbetrag für die Linienbusse beläuft sich auf 300.000 Euro. Außerdem wollen die Investoren den bisher kostenlosen Shuttle für Radfahrer und Fußgänger abschaffen. So ist »die Globalisierung« in Lübeck voll angekommen. Aber das 21. Jahrhundert sieht für den Herrentunnel nicht gut aus. Die HerrentunnelProjektgesellschaft kommt aus der Verlustzone nicht heraus. Aus Partnern sind Prozesshanseln geworden. Als »Lösung« neben der ständigen Erhöhung der Maut wurde in Aussicht genommen, die Konzession von 30 auf 40 Jahre zu verlängern, wobei die rechtliche Festlegung erst nach 20 Jahren getroffen werden soll, aber: »Aus heutiger Sicht wird die Konzession insgesamt für 40 Jahre gelten«, lautet die Sprachregelung.155 Dadurch kann sich am zu niedrigen Verkehrsaufkommen zwar nichts ändern. Die Investoren denken aber PPP-logisch: Sie könnten die erhofften Einnahmen aus den zusätzlichen zwei Jahrzehnten wieder durch einen Forderungsverkauf zu Geld machen, wenn denn eine Bank sich auf dieses unsichere Geschäft einlässt. Und die Bürger und die Stadt zahlen zehn Jahre länger. Das für das Jahr 2035 versprochene »Geschenk« an die Bürger rückt damit in noch weitere Ferne. Ohnehin regt sich Kritik, denn viele Bürger halten es für Zynismus, wenn sie den Tunnel zunächst 50 Jahre lang finanzieren und ihn dann als »Geschenk« erhalten sollen. Die SPD, die ursprünglich wie ein Tiger für PPP eintrat, hat sich mittlerweile auf die Seite der Bürgerinitiative »Weg mit der Maut« geschla153 | http://www.herrentunnel.de 20.12.2010. 154 | Bundesverwaltungsgericht, Urteil 10.5.2009 Az. BVerwG 98 81.09. 155 | Mitteilung der Projektgesellschaft vom 28.12.2010.
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gen. Sie fordert einen staatlichen Rettungsfonds wie für die bankrotten Banken.156 Auch die PPP-Befürworter aus der CDU in der Lübecker Bürgerschaft haben eine Kehrtwende vollzogen und verlangen, dass der Bund den Tunnel übernimmt und dass überhaupt keine Maut mehr bezahlt werden muss. Die naheliegende Forderung, dass die Privaten für ihre Fehlkalkulation einstehen, wird in diesen Kreisen nicht erhoben. Die PPP-Überzeugung ist schnell ins Gegenteil umgekippt – durchaus nicht unlogisch. Verluste der gelobten und umworbenen Privatinvestoren soll dann doch der Staat übernehmen – dass das letzten Endes aber doch wieder nur die Bürger sind, das vergessen und verdrängen diese Art Politiker der »Volksparteien«.
Der Warnow-Tunnel Das vergleichbare PPP-Projekt zur Unterquerung des Flusses Warnow bei Rostock kann kurz abgehandelt werden. Es wurde nach dem Muster von Lübeck konzipiert und bringt auch ein ähnliches Ergebnis hervor. Es wurde einem hochrangigen internationalen Konsortium anvertraut. Die australische Bank Macquarie, spezialisiert auf Infrastrukturfonds, und der größte französische Baukonzern Bouygues sollten den 790 Meter langen Tunnel bauen und wie in Lübeck bis 2035 betreiben. Zum Konsortium der Banken, die den Kredit für die 220 Millionen Euro der Anfangsinvestition geben, gehören noch die Deutsche Bank, die HSH Nordbank und die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW); die Europäische Investitionsbank (EIB) gab einen vergünstigten Kredit, die Bundesregierung gewährte auch hier eine Anschubfinanzierung. Doch auch in Rostock haben sich die Investoren verspekuliert. Der Tunnel nahm 2003 seinen Betrieb auf. Statt der »prognostizierten« 20.000 täglichen Durchfahrten wurde schon im ersten Jahr nach der Eröffnung klar: Es sind nur 11.000.157 In ihrer staatlich subventionierten Gier haben die Investoren auch hier so manches übersehen bzw. schöngerechnet, was mit offenem Auge erkennbar war, z.B. dass gleichzeitig südlich von Rostock die Autobahn A 20 fertiggestellt wurde, auf der keine PKW-Maut fällig ist (zumindest bisher). Auch für den Rostocker Tunnel erhöhte die Projektgesellschaft Warnowquerung GmbH & Co KG ständig die Maut. Seit November 2010 liegt sie für die Einzeldurchfahrt von PKW, Motorrad, Kleintransporter und Kleinbus bei 2,50 Euro. Für Transporter und Van sind 3 Euro zu zahlen, für LKW je nach Tonnage zwischen 7 und 12,70 Euro, für Busse ab 16 Sitze ebenfalls 12,70 Euro. Bei elektronischer Bezahlung verringert sich die Maut jeweils um etwa zehn Prozent.158 156 | Die Maut muss weg, Lübeck Stadtzeitung 27.10.2009. 157 | Ostsee-Zeitung 21.10.2009. 158 | http://www.warnowquerung.de/Tarife 20.12.2010.
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Als das Bankenkonsortium die Zahlungsunfähigkeit der Projektgesellschaft voraussah, übte sie Druck auf Stadtrat und Stadtverwaltung aus und erreichte, dass wie in Lübeck die Laufzeit des Vertrags auf 50 Jahre verlängert wurde.
Berater haften nicht Die beiden Projekte sind aus Sicht der Bürger und des Staates (wenn man ihn als Treuhänder der Bürger ansieht) gescheitert. Doch hier hat der Staat die ansonsten propagierten heiligen Gesetze des Marktes außer Kraft gesetzt und subventioniert die privaten Unternehmen Hochtief, Bilfinger Berger, Bouygues und Macquarie. In dieser staatlichen Hängematte brauchen sie sich um die Folgen ihrer profitgierigen Bedarfsprognosen keine Sorgen zu machen. Dabei wird auch ein anderer Aspekt deutlich: Berater geben den Projekten ihren wissenschaftlichen Segen und müssen ebenfalls keine Konsequenzen tragen. Der Professor Hans Wilhelm Alfen (vgl. S. 85) war in der entscheidenden Phase von 1996 bis 2000 »Federführer« des Betreiberkonsortiums in Lübeck und Vorsitzender der Projektgesellschaft Herrentunnel Lübeck GmbH & Co. KG. Für das Projekt in Rostock hat er im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums den Antrag der Mautverordnung geprüft.159 Auch Berater haben sich abgesichert, und der Staat stützt dies zu seinem eigenen Schaden: Berater sind nur für »vorsätzliche« Falschberatung haftbar.160 Seine folgenreiche Falschberatung hat dem Renommee des deutschen PPP-Gurus Alfen keinen Abbruch getan, man könnte fast vom Gegenteil sprechen. Die Bundesregierungen ihrerseits setzen weiter auf diesen Berater. Und sie halten ihre Scheuklappen mit beiden Händen fest vor das Gesicht und erklären: »Gescheiterte PPP-Projekte sind der Bundesregierung nicht bekannt.«161
159 | http://www.alfen-consult.de: Darstellung ausgewählter Referenzen, Projektliste, Stand Juni 2006; darin werden sowohl die Aufträge an den Lehrstuhl wie an die Alfen Consult GmbH aufgelistet. 160 | Konflikt der Interessen, Wirtschaftswoche 19.11.2007, S. 112. 161 | Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage »Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) im Verkehrs- und Bauwesen, Bundestagsdrucksache 16/4356 vom 20.2.2007, S. 6; ähnlich der Verkehrsminister der Nachfolgeregierung, Peter Ramsauer: Wer die Globalisierung will, braucht Verkehrswege, Süddeutsche Zeitung 24.12.2009.
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B ürgerdaten : B ertelsmann scheitert in W ürzburg Mehrere Unternehmen bieten dem Staat »elektronische Verwaltung« (eGovernment) an. Accenture etwa hat in der Bundesagentur für Arbeit den »virtuellen Arbeitsmarkt« eingerichtet.162 Für die Stadt Erlangen hat Accenture einen Vorschlag erarbeitet, wonach durch Verringerung von Behördengängen und Personal jährlich mehrere Millionen Euro eingespart werden sollen.163 In den Behörden werden einzelne Bereiche schrittweise auf eGovernment umgestellt (Wohngeld online, Steuererklärung online u.Ä.).164 Die Bertelsmann Stiftung wirbt für die digitale Bürgerverwaltung mithilfe von PPP. 2003 veröffentlichte sie die Studie Public Private Partnership und eGovernment.165 Auch hier ist die Bertelsmann Stiftung als Agentur zur Markterschließung für den Bertelsmann-Konzern tätig. Für die Umsetzung im Konzern ist die Arvato AG bzw. Arvato Government Services zuständig.
Europäisches Pilotprojekt East Riding In England betreibt Arvato das Pilotprojekt, das die Türen in die europäischen Verwaltungen öffnen soll. Trotz intensiver Suche hat Arvato vor Würzburg weltweit nur diese eine Behörde für ein Verwaltungs-PPP finden können, den Council East Riding in Yorkshire. Im Oktober 2005 hat hier Arvato Government Services 516 der insgesamt 17.000 Beschäftigten der Kreisverwaltung arbeitsvertraglich übernommen.166 Acht Jahre lang vollziehen sie einfache Verwaltungsarbeiten: Sie ziehen die Hunde- und Grundsteuern ein, machen die Gehaltsabrechnung für alle 17.000 Beschäftigten, zahlen Wohngeld und Studienbeihilfen aus. Dafür bekommt Arvato 25 Millionen Euro im Jahr, insgesamt also 200 Millionen. Wenn der Vertrag 2013 nicht verlängert wird, können die 516 Beschäftigten in ihr altes Arbeitsverhältnis zurückkehren.167 Arvato hat somit nur einen Bruchteil der Beschäftigten und vor allem einfache Arbeiten übernommen, aber sich auch die Verwaltung aller Daten zu Steuern, Gehältern, Wohngeld, Einwohnern, Sozialhilfe usw. gesichert. Arvato entwickelt die gesamte Software, stellt die Computer 162 | Vgl. Werner Rügemer: Die Berater, Bielefeld 2004, S. 92f. 163 | Accenture: eGovernment für die Stadt Erlangen, Erlangen 2003. 164 | Vgl. eGovernment in Nordrhein-Westfalen, Behörden Spiegel Juli 2007, S. 36. 165 | Bertelsmann Stiftung/Initiative D21/Clifford Chance (Hg.): eGovernment und Public Private Partnership. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit der Universität Kassel. Reihe PPP für die Praxis, Gütersloh/Kassel Juni 2003. 166 | Behörden Spiegel Juli 2007, S. 34. 167 | Frank Wörner u.a.: Privat oder Staat?, WDR 5 26.8.2007.
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und die Wartung und digitalisiert und vereinheitlicht die Abläufe. Die von Arvato übernommenen Angestellten werden zwar tariflich wie bisher bezahlt, aber die Leistung wird in Vorbereitung leistungsabhängiger Bezahlung genau gemessen. So wird etwa registriert, wie oft das Telefon klingelt, bevor der Mitarbeiter abhebt.168 Gegenüber den Bürgern bleibt Bertelsmann/Arvato allerdings auf Tauchstation. Die Bürger sehen keine Veränderung, denn die 516 ArvatoBeschäftigten sind im Dienst weiter in die dunkelgrün-weiße Uniform des Councils gekleidet. Kein Arvato-Angestellter sagt, dass er bei Arvato angestellt ist. Arvato will nicht beunruhigen, und außerdem sollen die Bürger möglichst nicht persönlich ins Amt kommen, sondern elektronisch kommunizieren und im Callcenter anrufen. Arvato hat sein Angebot durch das Versprechen verschönt, dass in Yorkshire 600 neue Arbeitsplätze entstehen werden. Es soll ein großes Callcenter aufgebaut werden, das für die regionale Wirtschaft Business Services anbietet. Dann soll noch in einem Joint Venture mit dem Council ein neues Unternehmen aufgebaut werden, das anderen Städten und Landkreisen Verwaltungsarbeiten verkauft. Freilich sind die Versprechen auch sechs Jahre nach Beginn noch nicht eingelöst. Nach offizieller Darstellung hat das Projekt nichts mit Einsparungen zu tun. Arvato bekommt sogar etwas mehr, als die Erledigung in Eigenregie kosten würde. Das Ziel ist vielmehr, im Ranking für gute Verwaltung eine bessere Einstufung zu erreichen und auf diesem Wege mehr zentralstaatliche Zuweisungen zu bekommen. Nichts Genaues weiß man allerdings nicht, denn auch in East Riding ist das Vertragswerk geheim. Durchgedrückt hat den Vertrag die konservative Mehrheit im Kreisparlament, Labour und die halbe Fraktion der Liberaldemokraten waren dagegen. Auch daran kann man übrigens erkennen, dass die Regierung Blair/Brown ihr Programm eher mit der konservativen als mit der eigenen Partei durchgezogen hat. Die vergleichsweise guten Bedingungen, die Arvato hier gewährt hat, zumindest soweit öffentlich bekannt, sind dadurch bedingt, dass der Council East Riding selbst im PPP-vernarrten England die einzige Behörde ist, die sich auf das Experiment einlässt. Arvato ist deshalb sehr flexibel und lässt sich den Eintritt in die öffentliche Verwaltung etwas kosten. Die erhofften Geschäfte sind gewaltig: Der »Verwaltungsmarkt« in England wird auf 8,7 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Ganz Europa soll aufgemischt werden: »Später zielen wir natürlich auch auf Zentraleuropa und vor allem auf Deutschland.«169 Der »deutsche Markt für Verwaltungsdienstleistungen« sei sogar »um die 20 Milliarden Euro schwer«, schwärmte damals der Deutschland-Chef von Arvato, Rolf Buch.170 168 | Das Rathaus wird zum Profitcenter, die tageszeitung 3.1.2007. 169 | Deutsche treiben Knöllchen der Briten ein, Kölner Stadt-Anzeiger 23.2. 2005. 170 | Ausgerechnet Arvato, Brand Eins 5/2009.
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»Würzburg integriert!« Erst nach mehrjähriger Suche wurde Arvato in Deutschland fündig. Im Mai 2007 unterschrieb die Würzburger CSU-Oberbürgermeisterin Pia Beckmann einen PPP-Vertrag. Zehn Jahre lang sollte Arvato Government Services die integrierte Abwicklung aller Verwaltungsleistungen über eine zentrale eGovernment-Plattform und über ein Bürgerbüro organisieren. Dadurch sollten etwa 70 bis 75 Personalstellen abgebaut, ein finanzielles »Einsparpotenzial« von 27 Millionen Euro sollte erschlossen werden. Als erste Kommune in Deutschland wollte Würzburg alle Verwaltungsabläufe von einem Privatunternehmen neu organisieren lassen. Arvato gab sich noch flexibler als in Yorkshire: Man bestand nicht wie dort darauf, einen Teil des Personals arbeitsvertraglich zu übernehmen. Man wusste, dass man das in Deutschland besser (noch) nicht machen sollte. Arvato bestand auch nicht auf einem festen jährlichen Entgelt wie in East Riding; vielmehr sollte das in den zehn Jahren zu erschließende Einsparpotenzial, soweit es realisiert wird, zwischen der Stadt und Arvato geteilt werden. Arvato finanzierte das gesamte Projekt vor.171 »Sollten sich keine Einsparungen ergeben, erhält der Partner auch keine Vergütung. Dieses Risiko ist das Unternehmen aufgrund der enormen Marktchancen, die sich aus der Zusammenarbeit mit der Stadt Würzburg als Pilotkommune ergeben, bewußt eingegangen.«172 Die Oberbürgermeisterin war stolz auf ihre Pionierrolle für Arvato. Das Bertelsmann-ABC hat sie schnell gelernt. Die »fallorientierte Leistungserbringung« trete an die Stelle der bisher »funktionsorientierten Leistungserbringung«: Bei einem Umzug z.B. brauchen die Bürger sich nicht mehr an mehrere Verwaltungsstellen zu wenden, sondern haben einen Ansprechpartner, der sich um alle Prozesse kümmere. »So wird unsere Verwaltung schneller, besser und bürgernäher. Gleichzeitig können die Verwaltungskosten gesenkt werden«, erklärte die Oberbürgermeisterin.173 Vom PPP-Projekt waren zum einen einfache Verwaltungsvorgänge erfasst, sie wurden wie in East Riding bei der öffentlichen Präsentation in den Vordergrund geschoben: Einwohneranmeldung, Passangelegenheiten, Geburts- und Ehedokumente, Führerschein, Kfz-Anmeldung, Parkscheine, Fundbüro, Hundesteuer, Registrierung neuer Unternehmen. Warum die Stadtverwaltung sich gerade bei diesen einfachen Vorgängen nicht selbst auf die »fallorientierte Leistungserbringung« umstellen und z.B. für den Umzug eines Bürgers einen Ansprechpartner bereitstellen konnte, wurde vor der Auftragsvergabe an Arvato nicht untersucht. Die Stadt Würzburg hatte durch die enge Zusammenarbeit mit dem Würzburger Universitätsinstitut von Professor Rainer Thome (Betriebs171 | RSBK (Hg.): PPP Kompakt 09/2007, S. 2. 172 | Die Oberbürgermeisterin der Stadt Würzburg: Antwort an Die Linke Würzburg auf den Offenen Brief 1.8.2007. 173 | http://www.arvatogov.de/action=wuerzburg 31.8.2007.
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wirtschaft und Wirtschaftsinformatik), mit dessen Unternehmen IBIS und mit Thome als eGovernment-Beauftragter der bayerischen Staatsregierung bereits eines der modernsten Internetportale. Gerade in Würzburg wäre der Einstieg von Arvato nicht nötig gewesen, jedenfalls wenn man von den veröffentlichten Zielen des PPP-Projekts ausging. Wozu also Arvato?
Porträt: Ar vato Arvato ist der größte Bereich innerhalb des Konzerns Bertelsmann, eine global operierende Holding für etwa 300 Tochterfirmen mit 47.000 Beschäftigten: Herstellung von CD-ROM, DVDs u.Ä., Druckereien, Buchclubs, Brief-, Zeitungs- und Paketdienste (Arvato Logistic Services), Inkassounternehmen. Die meisten Tochterunternehmen lassen vom Namen her keine Beziehung zu Bertelsmann bzw. Arvato erkennen: Hermes ist für Briefzustellung zuständig, infoscore bearbeitet Daten. Der Bereich Arvato Government Services besteht seit 2006. Er überträgt Praktiken des privatwirtschaftlichen Outsourcing und der digitalen Arbeitsorganisation, z.B. aus dem Miles & More Programm der Lufthansa, auf die öffentliche Verwaltung. Er übernimmt kommunale Verwaltungen wie in East Riding (England) und in Würzburg. Arvato (und nicht etwa die Bertelsmann Stiftung) ist Mitveranstalter der Kämmerertage, einer geschlossenen Veranstaltung für leitende Mitarbeiter der Kämmereien der großen deutschen Städte, der Exekutive und Legislative auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene. Arvato infoscore ist bzw. war der größte Sammler und Verwerter von Personen- und Unternehmensdaten, z.B. der Post, der Telekom (Telefonauskunft 11818), von Schuldnerdateien (Schufa), von Callcentern und von Bahn- und Lufthansakunden (Bahncard, Miles & More). Die Arvato-Unternehmen sind Teil der »längsten Wertschöpfungskette der Welt« (http://www.arvato-infoscore. de). Die gesammelten Datensätze werden auf Zielgruppen hin analysiert, segmentiert, typisiert, psychografisch bewertet (Kauf- und Reaktionsmuster). Zielgruppenpotenziale und Zusammenhänge in großen und bisher unverbundenen Datenbeständen werden ermittelt. Es werden Kundenwertigkeiten (Customer Lifetime Value) und semiometrische Profile von Menschengruppen erstellt (»Wertewelten für Marketingzwecke abbilden«). Deshalb gehört der Zugang zu Daten, die nur über die öffentliche Verwaltung zu bekommen sind (Lohnabrechnungen, Steuern etc.), zu den Objekten der Arvato-Begierde. Viele Vorarbeiten waren bereits geleistet. Seit 2003 hatte die Landesregierung das Projekt »eGovernment in Würzburg« mit 800.000 Euro gefördert. 2005 vergab das Bundeswirtschaftsministerium für »Würzburg integriert!« den mit 10.000 Euro dotierten Best Practice Award. Arvato hatte sich außerdem ausbedungen, auch bisher ungenannte Nachunternehmer einzusetzen, die von der Stadt nicht abgelehnt werden konnten, wie aus dem Geheimvertrag in Verbindung mit Anlage 1 (Ver-
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zeichnis der möglichen Nachunternehmer, das von Arvato ohne Absprache ergänzt werden kann) hervorgeht. Das erste Einsparpotenzial bestehe im Abbau der geplanten 70 bis 75 Personalstellen, dafür werde aber lediglich die »natürliche Fluktuation« genutzt, so die Oberbürgermeisterin.174 Die personalpolitische Praxis und Perspektive der Stadtverwaltung sieht allerdings anders aus: Der städtische Projektleiter Dr. Bernd Schmitt stellte »Würzburg integriert!« in den Rahmen der EU-Dienstleistungsrichtlinie.175 Außerdem beschäftigt die Stadtverwaltung Ein-Euro-Jobber auf festen Stellen. Das zweite Einsparpotenzial wurde in der Einschränkung des Besucherverkehrs gesehen. Das wurde dadurch verschleiert, dass neben der zentralen e-Plattform unter großem Getöse im Rathaus ein zentrales »Bürgerbüro« eingerichtet wurde, als »Anlaufstelle für alle Situationen, in denen Bewohner und ihre Stadtverwaltung miteinander in Austausch treten«. Das sollte gut klingen, bedeutete allerdings: Nur noch in einem einzigen, zentralen Büro sollen die Bürger körperlich erscheinen dürfen. In der Endstufe sollten die Bürger ihren Verkehr mit der Verwaltung möglichst vollständig vom eigenen PC zuhause per E-Mail oder über ein Callcenter abwickeln. Dabei sollten sie einen möglichst großen Teil der Arbeit selbst übernehmen. Drittens sollten sich Einsparungen dadurch ergeben, dass Privatunternehmen außerhalb der städtischen Verwaltung aus eigenem Interesse »öffentliche« Terminals einrichten. Auch über sie sollten Bürger Zugang zur integrierten Internet-Plattform der Stadt haben. Diese Terminals sind aber nicht wirklich öffentlich, sondern sollten »in Kooperation mit städtischen Tochtergesellschaften, Banken und der Würzburger Wirtschaft«, also in privaten Geschäftsräumen, auf Kosten der Unternehmen eingerichtet werden.176 Eine zusätzliche Einnahme sollte sich die Stadt wie in East Riding dadurch erschließen, dass mit Arvato ein gemeinsames neues Unternehmen aufgebaut wird, das anderen Kommunen eGovernment-Lösungen verkauft. Die genauen Vertragsinhalte werden auch in Würzburg geheim gehalten. Z.B. zu den lukrativen Verwertungsrechten des in Würzburg entwickelten Prototyps und zur sonstigen Verwendung der Daten durch Arvato sagt die Oberbürgermeisterin nichts. Sie könne die Öffentlichkeit und die gewählten Ratsvertreter nur insoweit informieren, »soweit die Geheimhaltungspflicht nicht verletzt wird. […] Bitte haben Sie Verständnis, dass angesichts des Pilotcharakters konkretere Aussagen in vielen Punkten
174 | Die Oberbürgermeisterin ebd. 175 | http://www.wuerzburg.de/buerger/egov 4.9.2007. 176 | e(lectronic) Government. Masterplan für die Stadt Würzburg. Einführung und Fortschreibung der elektronischen Verwaltung in der Stadt Würzburg, http:// www. wuerzburg.de/de/verwaltungspolitik/rathaus/projekte 5.9.2007.
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hier nicht möglich sind.«177 Die Oberbürgermeisterin hätte auch beim besten Willen kaum etwas Konkretes sagen können, da der Vertrag mit Arvato vergleichsweise äußerst kurz und pauschal war und beispielsweise auch keinerlei Angaben zum Datenschutz enthielt. Warum ein Pilotprojekt konkrete Aussagen unmöglich machen soll, ist nicht einsichtig; genauso gut wäre das Gegenteil sinnvoll. Die Oberbürgermeisterin verwies aber auf eine Autorität, die als vertrauenswürdig gelten und sozusagen das Nichtwissen der Öffentlichkeit ausgleichen soll: »Vertrag und Konzeption wurden jedoch von der Stadt Würzburg in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik der Universität sowie externen Rechtsexperten erarbeitet, um für die Stadt ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen.«178 Wer die externen Rechtsexperten sind, sagte die Frau nicht. Für den Fall von Streitigkeiten hatte Arvato sich, wie es bei PPP üblich ist, vertraglich ausbedungen, dass die Parteien nicht vor ein öffentliches Gericht gehen, sondern vor ein privates Schiedsgericht. Übrigens sei als Hinweis auf die Kompetenz der Stadt Würzburg im Umgang mit Großinvestoren Folgendes erwähnt: Sie kaufte von der Deutschen Bank Zinsderivate. Mit den Zinsderivaten, die eine Wette auf den Abstand zwischen kurz- und langfristigen Zinsen darstellen, wollte die Stadt ihre Zinslast senken. Solche Angebote haben auch andere Städte angenommen, in denen sich clever dünkende Oberbürgermeister und Kämmerer »modernen Finanzprodukten« aufgeschlossen zeigten. Die Wette auch in Würzburg ging daneben, zwar nicht für die Deutsche Bank, aber für die Stadt. Das vom Bundesverband PPP 2007 und 2008 mit dem Innovationspreis ausgezeichnete Projekt war schon ein Jahr später definitiv gescheitert. Schon kurz nach Beginn stellte sich die an sich banale Tatsache heraus, dass die Bürger sich auf elektronischem Wege gar nicht ausweisen konnten, weil sie keinen elektronisch lesbaren Personalausweis hatten und weil sie auch keine Geräte hatten, die einen solchen Personalausweis hätten lesen können. Zweitens entwickelten, was man verstehen kann, die betroffenen Mitarbeiter der Stadtverwaltung keine nachhaltige Motivation, an der Abschaffung ihrer Arbeitsplätze besonders aktiv mitzuwirken. Sie meldeten sich lieber krank oder machten Dienst nach Vorschrift, wie die örtliche Zeitung Mainpost verschiedentlich berichtete. Das hatte zudem zur Folge, dass sich immer mehr Bürger über die Wartezeiten beschwerten, die noch länger waren als zuvor. Drittens überprüfte der bayerische Landesbeauftragte für Datenschutz die Datensicherheit im Projekt. Er stellte Forderungen, die Arvato und Stadtverwaltung nicht erfüllen konnten: Der Zugriff der Projektmitarbeiter auf die Bürgerdaten muss auf die unmittelbare Aufgabenerfüllung 177 | Die Oberbürgermeisterin ebd. 178 | Ebd.
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beschränkt bleiben; die Benutzerprofile aus den verschiedenen Ämtern dürfen nicht zusammengeführt werden; die Sicherheit der Datenübertragung und Verschlüsselung muss gewährleistet sein. Viertens kündigte Professor Thome seinen Beratervertrag mit der Stadt; er ziehe sich daraus zurück, weil er keinen Fortschritt des Projekts erkennen könne, und er wolle sich nicht dem Vorwurf aussetzen, dass er Geld bekomme, aber nichts leiste.179 Fünftens wurde die fundamentalistische Einzelkämpferin für das Projekt, die CSU-Oberbürgermeisterin, im April 2008 abgewählt. Der SPDNachfolger Georg Rosenthal hatte zwar nie ein Hehl aus seiner Skepsis gemacht, konnte sich aber nicht durchringen, das Projekt offensiv zu kritisieren oder den Vertrag zu kündigen. Die Sprachregelung geht mehr oder weniger kunstvoll in die Richtung, dass das Projekt nicht gescheitert, sondern nur »nicht realisiert« worden sei. Auch Arvato/Bertelsmann schleichen sich am liebsten klammheimlich davon. Im April wurde beschlossen, das zuständige Berliner Büro von Arvato Government Services sang- und klanglos zu schließen. Der zuständige und so erfolglose Bereichsleiter Christoph Baron hat Arvato verlassen, die übrigen Mitarbeiter »gehen in der breiten Arvato-Struktur auf«.180
L ebensgefährlich – A utobahn A 1 B remen –H amburg Die finanziell umfangreichsten PPP-Projekte sind die des Bundes. Die Bundeswehr hat daran den Löwenanteil.181 Von Toll Collect war schon die Rede (vgl. S. 122). Daneben vergibt die Bundesregierung, vertreten durch das Verkehrsministerium, Aufträge zu Neubau und Sanierung sowie zum langjährigen Betrieb von Autobahnabschnitten. Derzeit sind es elf Projekte mit insgesamt etwa 600 Kilometern: Vier Projekte laufen, acht sind in der Planungsphase. Das ist zwar immer noch nicht die traumhafte Größenordnung wie in den USA, wo 10.000 Kilometer an Maut-Highways auf diese Weise betrieben werden,182 aber es ist im Verständnis der Investoren ein Einstieg. Die Investoren erhalten wie bei den Tunnels in Rostock und Lübeck eine »Anschubfinanzierung« in zweistelliger Millionenhöhe und 20 bzw. 30 Jahre lang einen Anteil an den Mautgebühren. Deren Höhe ist wie bei Toll Collect geheim – es dürfte sich insgesamt um einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag handeln. Verkehrsminister Stolpe (SPD) begann 2003 mit Toll Collect, sein Nachfolger Tiefensee (SPD) begann mit den ersten Autobahnabschnit179 | Vorbildliche Pleite in Würzburg, Neues Deutschland 29.6.2010. 180 | Ausgerechnet Arvato, Brand Eins a.a.O., ebd. 181 | Aus Platzgründen können sie hier nicht berücksichtigt werden. 182 | Federal Highway Administration: Current Toll Road Activity in the US. A Suvery and Analysis, January 2009.
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ten, der seit 2009 amtierende Verkehrsminister Ramsauer (CSU) will den Durchbruch in neue Dimensionen. »Ich verspreche mir viel von öffentlich-privaten Partnerschaften. Wir haben jetzt vier solche Projekte ausprobiert und gute Erfahrungen damit. Das ist günstiger, da wird staufreier und schneller gebaut. Demnächst starten wir die nächste Tranche mit acht Projekten. Da ist noch mehr drin.« Neben der angeblich besseren Leistung hat die Bundesregierung ein zweites Motiv: der »stabile Haushalt«, das heißt: keine neuen Schulden. »Mir ist natürlich daran gelegen, dass mein Haushalt stabil bleibt. Ich muss mich auch den Regeln der Schuldenbremse unterwerfen. […] Auch deshalb müssen wir mehr öffentlich-private Partnerschaften eingehen. Dann wird gebaut, dass es eine wahre Freude ist.«183 Die Aufträge gehen an dieselben Global Player, die auch bei Schulen, Messehallen, Tunnels usw. die Nase vorn haben: Hochtief, Bilfinger Berger, Vinci, Bouygues, Strabag, Royal Bam Group, Laing. Hochtief etwa hat weltweit 1000 Kilometer Autobahnen unter Vertrag, neben den 40 Kilometern der A 4 zwischen Gotha und Eisenach vor allem in den USA, in Griechenland und Australien – und in Deutschland auch den Lübecker Trave-Tunnel (vgl. S. 132).
Je mehr LK W durchgeschleust werden … Gute Erfahrungen, weniger Stau, stabiler Haushalt: Die Ankündigungen des Ministers halten der Wirklichkeit nicht stand. Ob er lügt oder es nicht besser weiß – wir wissen es nicht. Das umfangreichste Projekt, das bereits läuft, ist die Autobahn A 1 zwischen Bremen und Hamburg. 2008 schloss das Verkehrsministerium mit der Projektgesellschaft A1 mobil GmbH den Vertrag: Bis 2038 soll das Konsortium unter Führung von Bilfinger Berger die 72 Kilometer sanieren, von vier auf sechs Spuren erweitern und 30 Jahre lang betreiben. Zum Betrieb gehört nicht nur Salz streuen im Winter, Gras mähen auf den Seitenstreifen und die Leitplanken reparieren, sondern auch Brücken, Aus- und Zufahrten instand halten, Park- und Rastanlagen pflegen, die Fahrbahndecke flicken, Verkehrsschilder auswechseln etc. Dafür erhalten die Investoren – zum Konsortium gehören noch der britische Infrastruktur-Konzern John Laing und das Bauunternehmen Johann Bunte – einen variablen Anteil an der LKW-Maut, die monatlich auf der Strecke anfällt; der Bund behält einen festen Betrag für sich. Die reinen Baukosten, die bis 2012 anfallen sollen, in denen auch die Anschubfinanzierung enthalten ist, wird vage mit »über 400 Millionen Euro« angegeben. Die Regierung rechnet bis zum Jahr 2038 mit einer Gesamtausgabe von 1,017 Mrd. Euro.184 183 | »Wer die Globalisierung will, braucht Verkehrswege«, Interview mit Peter Ramsauer, Süddeutsche Zeitung 24.12.2009. 184 | Bundeshaushaltsplan 2010, Übersichten Teil X: ÖPP-Projekte und privat vorfinanzierte Baumaßnahmen 28.12.2010, S. 73.
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Es dürfte sich für die gesamte Laufzeit um einen Betrag über einer Milliarde Euro handeln; wie viel es im Jahre 2038 tatsächlich geworden sein werden, ist auch deshalb unklar, weil das Investoren-Entgelt auf den jeweiligen monatlichen Mauteinnahmen beruht, die nach Abzug des festen Betrags für den Staat übrig bleiben: Je mehr LKW durchfahren, desto höher das Entgelt. Und wie viele LKW bis zum Jahre 2038 durchgefahren sein werden – das ist natürlich noch offen. Wie viel Entgelt die Investoren bisher bekommen haben? »Über die Höhe dieser Einnahmen dürfen wir keine Angaben machen«, erklärt Lutz Hoffmann, der Geschäftsführer von A1 mobil GmbH.185 Und die Bundesregierung darf dazu auch keine Angaben machen, denn sie hat sich auf Verlangen der privaten Seite vertraglich zur Wahrung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verpflichtet, und das Entgelt gehört zu diesen Geheimnissen, die Abgeordnete und Bürger nicht erfahren dürfen.186 Klar aber ist, dass es diese Berechnungsmethode des Entgelts in sich hat. Sie führt dazu, dass dieser Autobahnabschnitt zum gefährlichsten im deutschen Autobahnnetz wurde. Die Investoren sind nämlich daran interessiert, dass möglichst viele LKW durchfahren – trotz der zahlreichen Baustellen und trotz deshalb stark verengter Fahrspuren. »Wir refinanzieren uns über die rege Nutzung der Strecke«, sagt Geschäftsführer Hoffmann dazu.187 Die »rege Nutzung« sieht so aus: Die Hauptspur ist drei Meter breit, die Überholspur zwei Meter. Um von jedem gefahrenen Meter zu profitieren, haben die Investoren die Ausfahrten möglichst kurz bemessen; das führt zum plötzlichen Bremsen und kurzfristigen Abbiegen. Seit Beginn der Arbeiten häuften sich deshalb die Unfälle mit Toten und Verletzten. Bei den Unfällen haben sich die Rettungskräfte angewöhnt, in doppelter Besetzung von beiden Seiten anzurücken, weil sie damit rechnen müssen, dass wegen der dichten und engen Belegung der Fahrspuren nur die Feuerwehrfahrzeuge von einer Seite durchkommen, die üblichen »Rettungsgassen« gibt es hier nicht.188 Erst die öffentliche Anklage des Skandals in den regionalen Medien führte dazu, dass sich die Investoren einige Umleitungen abringen ließen. Allerdings trägt A1 mobil GmbH die Kosten dafür im Wesentlichen nicht. Die Umleitungsschilder, Warnanlagen und die Videoüberwachung muss der Staat bezahlen – die Investoren berufen sich darauf, dass dazu im PPP-Vertrag nichts geregelt sei.189
185 | NDR online 12.2.2010. 186 | Ausverkauf der Autobahnen, Financial Times Deutschland 17.9.2009. 187 | Ebd. 188 | Deutschlands gefährlichste Straße, Die Zeit 15.7.2010. Die Zeitung erwähnt allerdings nicht, dass es sich um ein PPP-Projekt handelt. 189 | ARD Plusminus 27.10.2009.
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36.000 geheime Seiten Der Vertrag hat etwa 36.000 Seiten und ist in 162 Ordnern abgeheftet. Er unterliegt der Geheimhaltung. Sind Umleitungen – unter welchen Bedingungen sie einzurichten sind und wer sie zu bezahlen hat – wirklich nicht geregelt? Wie wird genau das Entgelt berechnet? Hat der Staat eine Gewinngarantie gegeben, etwa für den Fall, dass »zu wenig« LKW durchfahren? Sind die Vertragsstrafen wirklich nur im 1000-Euro-Bereich? Und beschränkt sich die Haftung der Fremdkapitalgeber bei Insolvenz der A1 mobil GmbH auf acht Millionen Euro, wie es gerüchteweise heißt?190 Wie haftet der Investor für Mängel, die durch Subunternehmen verursacht werden? In welchem Zeitraum müssen die Mängel beseitigt werden, ohne Strafzahlungen nach sich zu ziehen? Kann der Investor die Entgeltforderungen weiterverkaufen (»verbriefen«)? Wie lange haftet der Investor für Schäden nach Ende der Vertragslaufzeit? Solche Fragen müssten einen Abgeordneten oder einen sorgfältigen Journalisten eigentlich interessieren. Aber auch Bundestagsabgeordnete bekommen den Vertrag nicht. Sie dürfen ihn lediglich in der »Geheimschutzstelle« des Bundestags einsehen, und auch erst, nachdem sie eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben haben. Sie dürfen in der demokratischen Dunkelkammer keine Kopien machen, dürfen lediglich etwas handschriftlich notieren, dürfen aber auch dies nicht ins Parlament einbringen oder sonst wie an die Öffentlichkeit gelangen lassen. Die Redakteure diverser TV-Magazine haben sich bemüht, den Vertrag zu sehen. Sie durften nicht einmal in die Geheimschutzstelle. Sie durften lediglich die zwei Aktenschränke abfilmen, in denen die weißen Rücken der 162 Ordner fein säuberlich nebeneinanderstehen. Auf einem Teilabschnitt zeigten sich erhebliche Mängel: Die Fahrbahndecke, einige Monate vorher erst aufgetragen, zerbröselte bis in die Tiefe von vier Zentimetern. Schlaglöcher bildeten sich. Bilfinger Berger sprach von einem »ungewöhnlichen Phänomen« und schob die Schuld auf einen ungenannten Subunternehmer, der vermutlich schlechtes Material geliefert habe.191 Umgehend erstellte die TU Darmstadt im Auftrag von Bilfinger Berger ein Gutachten, wonach das »Material« die Schuld trage, nicht der Investor. Das Gefälligkeitsgutachten stammt vom Massivbauinstitut der TU, das auch über seinen Freundesverein massiv für PPP wirbt – der Vereinsvorsitzende Dr. Ing. Gerd Simsch arbeitet bei Bilfinger Berger.192 Das Erpressungspotenzial auf Seiten des Investors ist erheblich. Die von ihm gegründete Projektgesellschaft A1 mobil GmbH hat lediglich ein 190 | ARD Plusminus 13.4.2010. 191 | Schrott-Autobahn A1: Dem Pfusch auf der Spur, NDR »Markt« 9.11.2009; A1 wird zur Bundesbröselautobahn, Spiegel online 11.3.2010. 192 | h t t p://w w w.i f m.t u - dar m s t a d t .d e/c a g /Fr e un d eVe r e in/v o r s t .h t m 17.4.2010.
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eingezahltes Eigenkapital von 36.000 Euro. Sie ist der Vertragspartner der Bundesregierung. Wenn der Investor mit den Einnahmen aus den Mautgebühren nicht zufrieden ist, kann er die Projektgesellschaft schnell in die Insolvenz schicken – oder eben Nachforderungen erheben. Die Investoren und ihre Berater achten offenbar darauf – wie im Falle der Umleitungen –, dass in den umfangreichen Vertragswerken nicht alle Eventualitäten geregelt werden. Das ist bei der Komplexität und der langen Laufzeit nicht schwer. Auch das erleichtert Nachforderungen.
Der Bundesrechnungshof rechnet nach Der Bundesrechnungshof überprüfte die von Verkehrsminister Ramsauer genannten vier »erfolgreichen« PPP-Projekte mit Autobahnabschnitten. Das Urteil ist vernichtend. Die Bundesregierung habe darauf verzichtet, die Kosten der konventionellen Beauftragung überhaupt auszurechnen. Das PPP-Verfahren sei erheblich teurer. Die »Transaktionskosten« für die private juristische, technische und finanzielle Beratung, für die Ausschreibung, für die komplexen Vertragsverhandlungen und -gestaltungen und für die intensive jahrzehntelange Vertragskontrolle sowie für Rechtsstreitigkeiten sind beträchtlich.193 Ein Risiko bestehe darin, dass die Investoren nur den sogenannten »Lebenszyklus« im Auge haben, nach der Vertragslaufzeit aber die Verantwortung an den Staat abgeben: Der Private verfolge »nicht eine am Lebenszyklus orientierte, sondern eine an der Konzessionslaufzeit orientierte Erhaltungsstrategie«194 . Die Verträge seien bei aller Länge unvollständig und würden von den Investoren zu Nachforderungen genutzt.195 Zudem zeige die Verbindung von PPP und Mautentgelt, dass – wie schon bei den beiden Tunnel-Projekten in Rostock und Lübeck – hier eine Hintertür für die Pkw-Maut geöffnet werde.196 Trotz dieser Erkenntnisse treibt »ein eingeschworenes Netzwerk aus Politik, Bauwirtschaft, Banken und Beratern die PPP-Bündnisse unbeirrt« voran, stellt eine der Finanzbranche nahestehende Zeitung fest.197 Zu diesem Netzwerk gehören neben Gefälligkeitsgutachtern noch Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftskanzleien wie Freshfields und CMS Hasche Sigle, von denen »viele für beide Seiten arbeiten. Sie beraten den Bund bei den Gesetzen und die Baufirmen bei der Vergabe.« Deshalb werde die Wirt-
193 | Der Präsident des Bundesrechnungshofes: Gutachten zu Öffentlich Privaten Partnerschaften (ÖPP) im Bundesfernstraßenbau, 5.1.2009, V 3-20060201, S. 17 und 26. »Eine Veröffentlichung ist nicht zulässig«, heißt es im Impressum. Die Bundesregierung hat versucht, die Veröffentlichung zu verhindern. 194 | Ebd. S. 24. 195 | Ebd., S. 20. 196 | Ebd., S. 33. 197 | Ausverkauf der Autobahnen, Financial Times Deutschland 17.9.2009.
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schaftlichkeit »nicht ergebnisoffen geprüft«, die öffentliche Hand trage die Nachteile.198 Für das nächste Projekt, den Autobahnabschnitt A 8 zwischen Ulm und Augsburg, hat die Beratungsfirma Alfen Consult die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung gemacht. Die Firma gehört dem bekannten Gefälligkeitsgutachter und PPP-Lobbyisten Hans-Wilhelm Alfen. Er hat eine Professur an der Bauhaus-Universität Weimar und gleichzeitig das private Beratungsunternehmen. Der Baukonzern Hochtief finanzierte verschiedene PPP-Forschungsprojekte bei Alfen. Und Hochtief bewirbt sich um den Auftrag für die A 8.199 Der Bundesrechnungshof warnt, dass nach allen bisherigen Erfahrungen auch für die A 8 die PPP-Finanzierung für den Staat nachteilig sein wird; trotzdem zahlt die Bundesregierung die »Anschubfinanzierung« noch vor Jahresende 2010 aus.200
Die Privatisierung der Straßen geht weiter PPP sei »keine Privatisierung« bzw. »keine materielle Privatisierung«, behaupten Ramsauer und die Investoren, sondern eine »alternative Beschaffungsvariante«. Die Autobahnen blieben ja im Eigentum des Staates. Damit wollen sie die gestiegene Kritik an Privatisierungen widerlegen. Doch verbunden mit Geheimhaltung und extensiver Risikoübernahme verliert hier der Eigentümer die Herrschaft über sein Eigentum. Und durch Mautgebühren, die hier erstmalig nicht dem Staat, sondern den Privaten zufließen,201 ist ein Autobahn-Projekt nach dem PPP-Muster eine Privatisierung. Das trifft auch deshalb zu, weil hier öffentliche Verkehrsleistungen durch die Nutzer – LKW-Speditionen, Pkw-Fahrer, also durch die Bürger – direkt finanziert werden. Diese »Umstellung von der Haushalts- auf die Nutzerfinanzierung« sei eine volle Privatisierung, stellt die Gewerkschaft ver.di fest.202 Diese Befürchtung wird durch die Befürworter selbst bestätigt, die so verbissen den Privatisierungscharakter leugnen. Nach der Kritik des Bundesrechnungshofs an der geplanten PPP-Ausführung der A 8 hat das Verkehrsministerium unter Ramsauer eine neue Variante der Autobahnfinanzierung entwickelt: Danach sollen private Investoren Autobahnabschnitte in Eigenregie bauen und selbst eine Maut erheben. Der Staat erhielte auf diese Weise neue Straßen und müsste nicht aus seinen Mauteinnahmen einen Teil an die Investoren abgeben. Diese könnten die Maut
198 | Ebd. 199 | Vgl. das Porträt Alfen in diesem Buch, S. 85. 200 | Bremsende Prüfer, Der Spiegel 51/2010, S. 84. 201 | Bundesrechnungshof a.a.O., S. 36. 202 | ver.di Bundesfachkommission Straßenbauverwaltung: PPP im Straßenbau. Stellungnahme, Berlin 2009.
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völlig frei selbst festlegen.203 Der Gesetzgeber müsste dafür »natürlich« eine neue Grundlage schaffen, denn nach Gesetz sind Mauteinnahmen für Private nur bei Tunnels und Brücken erlaubt – siehe die Tunnels in Rostock und Lübeck.
E in weites F eld PPP hatte nach Ansicht der Bundesregierung schon im Jahre 2007 auch »in Deutschland den Durchbruch geschafft«.204 Anfang 2007 wurden von der PPP-Szene 46 vergebene Aufträge gezählt, 2006 sei mit 18 vergebenen Aufträgen das »erfolgreichste Jahr« gewesen.205 Insgesamt waren Ende 2010 etwa 160 Projekte vergeben und 115 in Planung. Regionale Schwerpunkte sind die Bundesländer (in dieser Reihenfolge) Nordrhein-Westfalen (73), Hessen (36), Baden-Württemberg (28), Bayern (25), Niedersachsen (23), Sachsen-Anhalt (18), Brandenburg (14), Sachsen (8), Hamburg (6), Rheinland-Pfalz (5), Thüringen (5), Berlin (5), Bremen (2), Saarland (2).206 Etwa 35 davon sind Schulen, Sporthallen u.Ä. (u.a. Offenbach, Frankfurt, Pforzheim, Freiburg, Jülich, Mülheim an der Ruhr, Monheim, Frechen, Köln, Engelskirchen, Leverkusen, Münster, Witten, Bedburg, Düren, Barleben, Magdeburg, Sülzetal, Coswig, Zerbst, Biederitz-Möser, Zörbig u.a.); dieser Zählung liegen nicht einzelne Schulen zugrunde, sondern PPP-Projekte, die – wie beim Landkreis Offenbach im Extremfall – 49 Einzelschulen umfassen können (vgl. S. 108). Zu den von Kommunen, Landkreisen und auch Bundesländern vergebenen Aufträgen zählen weiter Krankenhausgebäude (Logistikzentrum des Klinikums Dortmund, Uniklinik Leipzig, Uniklinik Gießen), Gefängnisse (Justizvollzugsanstalten Burg, Hünfeld, Offenburg), Rathäuser/ Kreishäuser u.Ä. (Köln, Gladbeck, Unna, Esslingen, Ludwigsburg, Heidelberg), Finanz- und Justizzentren (Kassel, Wiesbaden, Heidelberg), Bäder (Leimen, Hannover), Kindertagesstätten. Bei manchen Gebäude- und Trägerarten gibt es bisher jeweils ein Projekt: eine Berufsakademie (Mannheim), ein Therapiezentrum (Essen), eine Verkehrsmanagement-Zentrale (Berlin), eine Gemeindestraße (Harsewinkel), ein Altenheim (Hilzingen), ein Medienhaus (Mülheim an der Ruhr), eine Philharmonie (Hamburg), ein Polizeipräsidium (Südosthessen), ein Polizeirevier (Wiesbaden), eine Stadtentwässerung (Braunschweig), Messehallen (Köln), Straßenbeleuch203 | Private sollen Autobahnen bauen und selber Maut kassieren, Handelsblatt 27.12.2010. 204 | Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Erfahrungsbericht Öffentlich-Private-Partnerschaften in Deutschland, Berlin 2007, S. 33. 205 | Detlef Knop (Hg.): PPP Jahrbuch 2007, Frankfurt a.M. 2007, S. 2. 206 | http://www.ppp-plattform.de 27.12.2010 (Website des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie).
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tung (Braunschweig). Der Bund hat ein gutes Dutzend Aufträge vergeben bzw. in Planung, die meisten für Autobahnen. Die Akteure arbeiten eifrig an der Erschließung neuer Objektbereiche, so insbesondere bei Krankenhäusern,207 dann bei Hochschulen,208 Casinos und Kasernen der Bundeswehr209 sowie bei Land-, Kreis- und Gemeindestraßen.210 Zahlreiche Machbarkeitsstudien sind in der politischen Diskussion. Von Investorenseite dominieren weltweit, aber auch in Deutschland, die großen Baukonzerne: Hochtief, Bilfinger Berger, Strabag (Österreich), Serco (Großbritannien), Royal BAM Group (Niederlande) und SKE/Vinci (Frankreich). Bei manchen scheinbaren Mittelständlern handelt es sich in Wirklichkeit um verkappte Tochtergesellschaften der Großen, so bei Müller-Altvatter, das zu BAM, und Kirchner, das zu Serco gehört. Nur bei einer Handvoll kleiner Projekte kamen regionale Unternehmen zum Zuge. In manchen Städten werden als Investoren die eigenen Stadtwerke, Wohnungsgesellschaften u.Ä. eingeschaltet werden (Hamburg, Wolfsburg, Karlsruhe). Als Banken dominieren die öffentlich-rechtlichen Banken: Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), Macquarie, Europäische Investitionsbank (EIB), Südleasing/Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), Hessische Landesbank (Helaba), Westdeutsche Landesbank (WestLB), HSH Nordbank, die Deutsche Bank und Eurohypo sind dabei, gelegentlich darf eine Stadtsparkasse mitmachen. Auch bei den Beratern herrscht eine klare Hierarchie. Bei großen Projekten dominieren US-Kanzleien (Freshfields, Clifford Chance) und USWirtschaftsprüfer (Price Waterhouse Coopers, KPMG, Ernst & Young), bei kleineren Projekten dürfen auch deutsche ran (Rödl & Partner, Heuking Kühn Lüer Wojtek). Die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und die Europäische Investitionsbank (EIB) vergeben zum Anschub günstige Förder207 | Vgl. Price Waterhouse Coopers: Gutachten zur Bewertung von öffentlichprivaten Partnerschaftsmodellen in der Krankenhausfinanzierung, o.O. 2007 (im Auftrag des Hessischen Sozialministeriums); VBD Beratungsgesellschaft: PPP – Erfolgsfaktoren für die Aufgaben- und Risikoverteilung zwischen öffentlichen und privaten Partnern im Gesundheitswesen 15.10.2007; Deutscher Wissenschaftsrat: Empfehlungen zu Public Private Partnership und Privatisierungen in der universitären Krankenversorgung Januar 2006. 208 | Vgl. 6. Jahrestagung Public Private Partnership 24.4.2007, workshop Hochschulen, Berichte von Prof. Alfen, Prof. Riemenschneider und Joachim Heintze/Entwicklungs- und Immobilien-Management GmbH. 209 | Ulrich Horsmann: PPP im Verteidigungssektor, in: Detlef Knop (Hg.): PPP Jahrbuch 2005, Frankfurt a.M. 2005, S. 120ff. 210 | Vgl. Beratungs- und Prüfungsgesellschaft BPG, Heuking Kühn Lüer Wojtek Rechtsanwälte u.a.: Machbarkeitsstudie zum Projekt Straßen im Kreis Lippe, o.O. 2006 (im Auftrag des Kreises Lippe).
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kredite, sodass »der Staat« den Wettbewerb zuungunsten der staatlichen Erledigung verzerrt.
Ü berleitungsform : A nstalt des öffentlichen R echts Aufgrund der zunehmenden öffentlichen Kritik an der Privatisierung favorisieren die Akteure inzwischen auch »unverfängliche« Vorformen. Dazu gehören die Stiftung, der Eigenbetrieb, die gemeinnützige GmbH oder auch die Anstalt öffentlichen Rechts (AöR). Die AöR unterscheidet sich von der Körperschaft öffentlichen Rechts. Die AöR kennt weniger demokratische Kontrollmöglichkeiten. Anstalten des öffentlichen Rechts waren zunächst Einrichtungen des Bundes (Bundesanstalt), dann der Bundesländer (Landesanstalt). Es bestehen inzwischen ca. 100 AöR in deutschen Kommunen. Der jeweilige Landesgesetzgeber ermöglicht das, bisher Bayern (seit 1995), RheinlandPfalz (1996), NRW (1998), zuletzt Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Brandenburg. Die »Vorteile« der AöR bestehen in Folgendem: Die Kommune, der Landkreis, überträgt nicht nur das Vermögen eines bisherigen Eigenbetriebs (z.B. Stadtentwässerung, Bauhof) auf die AöR, sondern auch die Kredite, die die Stadt für den Aufbau dieses Vermögens aufgenommen und noch nicht (ganz) zurückgezahlt hat. Damit wird der öffentliche Haushalt – zumindest rein rechnerisch – entlastet. Die Schulden gehen auf die AöR über, die weiter im alleinigen Eigentum der Kommune ist und für die die Kommune weiter haftet. Die AöR ist zwar zunächst im alleinigen Eigentum der Kommune, aber die AöR ist rechtlich selbständig, »rechtsfähig«. Die AöR kann also eigene Personal- und Gebührenpolitik betreiben. Sie kann Personal reduzieren, ohne dass der Stadtrat oder Landkreistag darüber beschließt oder Kenntnis erhält. Die Abwassergebühren etwa werden nicht mehr aufgrund einer offengelegten Kalkulation im Rat beschlossen, sondern die AöR stellt der Stadtverwaltung eine Rechnung aus. Die AöR kann zudem selbständig neue Kredite aufnehmen, kann private Dienste außerhalb der Kommune anbieten, kann privatrechtliche Tochterunternehmen gründen, andere Unternehmen aufkaufen, kann PPP-Projekte ohne Einschaltung des Stadtrats vereinbaren.211 Auch ein ehemaliger Eigenbetrieb kann in dieser Weise als Plattform für PPP dienen, die der Beschlussfassung durch die gewählten Parlamente entzogen ist. Solche Versuche werden gegenwärtig vermehrt unternommen.212 So 211 | Peter Lindt: Errichtung einer Zebra-AöR – Stadt Ingolstadt nutzt neue Instrumente, in: Newsletter der Kanzlei Rödl & Partner Abt. Kommunale Finanzen März 2007. 212 | Vgl. z.B. Landkreis Darmstadt-Dieburg: Organisationsuntersuchung, PPPEignungsprüfung und qualitative Machbarkeitsstudie, erstellt vom Institut für
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veröffentlichte z.B. das Klinikum Ansbach als Anstalt des öffentlichen Rechts im Juni 2010 eine Ausschreibung, um PPP-Investoren für die Sanierung und den Betrieb aller Krankenhausgebäude zur Angebotsabgabe aufzufordern.213
Site und Facility Management GmbH u.a., Darmstadt 2007; die Studie bezieht sich auf den bisherigen Eigenbetrieb Abfallwirtschaft. Vgl. Anna Lena Langer: Die Beteiligung Privater an rechtsfähigen Anstalten des öffentlichen Rechts. Public Private Partnership durch Holding-Modelle, Berlin 2008. 213 | http://www.ppp-projektdatenbank.de 27.12.2010 (Website des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung).
VIII. Der Wirtschaftlichkeitsvergleich
Nach der Bundeshaushaltsordnung sind bei öffentlichen Haushalten die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. Bevor über wichtige finanzwirksame Maßnahmen entschieden wird, sind Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen.1 Deshalb werden vor einer Entscheidung für oder gegen PPP Wirtschaftlichkeitsvergleiche oder Machbarkeitsstudien erstellt. Es wird verglichen: Was würde die öffentlich finanzierte Erledigung kosten? Dies wird mit dem Public Sector Comparator (PSC) erfasst. Der wird dann mit den Kosten verglichen, die die gleiche Aufgabe unter PPP-Regie kosten würde. Das klingt gut und korrekt. Doch das Problem ist: Was wird unter Wirtschaftlichkeit verstanden? Und wer macht die Untersuchung? In der vorherrschenden Praxis wird »wirtschaftlich« eng betriebswirtschaftlich verstanden, auf den jeweiligen öffentlichen Einzelhaushalt bezogen, etwa der Stadt Frankfurt, und, noch enger, auf die Finanzierung des isolierten PPP-Projekts. Es findet aber keine Betrachtung statt, die sich auf den Gesamthaushalt der Stadt und des gesamten Staates bezieht, ebenso nicht auf den Wirtschafts- und Steuerkreislauf. So werden bei der Erstellung des PSC meist die Vorbereitungs- und Transaktionskosten nicht einbezogen, etwa für private Ingenieurfirmen, die mit der Bestandsaufnahme beauftragt werden, oder für Wirtschaftsprüfer und Anwaltskanzleien, die die Ausschreibung organisieren und das Vertragswerk verfassen, oder für die Machbarkeitsstudie selbst.2 Nach dem PPP-Leitfaden der Finanzministerkonferenz sollen die Mehrwert- und die Grundsteuer berücksichtigt werden.3 Erhöhungen der 1 | Bundeshaushaltsordnung 7, Absatz 1 und 2; Entsprechendes gilt für die Landes- und Kommunalhaushalte. 2 | Im Leitfaden »Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen bei PPP-Projekten«, erstellt im Auftrag der Finanzministerkonferenz September 2006, S. 26, wird zwar gefordert, diese Kosten einzubeziehen, sie fehlen allerdings in den meisten Machbarkeitsstudien. 3 | Ebd., S. 32.
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Mehrwertsteuer – wie 2007 um drei Prozent – verteuern ein PPP-Projekt erheblich: Alle Löhne und Gehälter des privaten Betreibers während der langen Betriebsphase werden der öffentlichen Hand in Rechnung gestellt. Bei allen PPP-Projekten, die vor 2007 abgeschlossen wurden, trat diese Verteuerung um drei Prozent ein. Würde der Betrieb durch öffentliche Beschäftigte erledigt, würde keine Mehrwertsteuer anfallen. In allen PPPVerträgen gehen die Erhöhungen der Mehrwertsteuer immer zulasten der öffentlichen Hand. Nicht berücksichtigt werden die Steuerverluste des Staats, die dadurch entstehen, dass PPP-Projekte in der Regel zugleich Steuersparmodelle sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Steuerverluste wegen der jahrzehntelangen Laufzeiten, der hohen Summen, der vermögenden Zielgruppe und der hohen Abschreibungsmöglichkeiten erheblich sind. Es wird auch nicht berücksichtigt, wer letztlich die Kosten für die unterhalb der Marktbedingungen liegenden, günstigen Förderkredite trägt, die von der staatlichen KfW-Bank und der Europäischen Investitionsbank (EIB) für PPP-Projekte bereitgestellt werden. Ebenso wird nicht berücksichtigt, dass öffentliche Zuschüsse (bei den Bundesprojekten, den Autobahnabschnitten und bei den Tunnels werden sie als »Anschubfinanzierung« bezeichnet) vom Bürger bezahlt werden müssen. Nicht berücksichtigt wird weiter die Tatsache, dass die öffentliche Hand doppelt Zinsen bezahlt. Das Argument für die PPP-Version ist ja gerade, dass die öffentliche Hand überschuldet ist und keine Kredite mehr aufnehmen darf. Nun sind in den Mieten und Nutzungsentgelten aber erstens die Zinsen enthalten, die der Investor für seinen Kredit bezahlt, zweitens muss die öffentliche Hand selbst (Kassen-)Kredite aufnehmen, um die Mieten aufbringen zu können, und dafür fallen ebenfalls Zinsen an. Nicht berücksichtigt werden die Verluste im regionalen Wirtschaftskreislauf. Sie entstehen dadurch, dass PPP-Projekte, sobald sie eine gewisse finanzielle Größe erreichen, spätestens ab etwa 50 Millionen Euro, ausschließlich von internationalen Konzernen durchgeführt werden (Hochtief, Bilfinger Berger, Royal BAM Group, Serco, SKE/Vinci, Telekom, Daimler Chrysler, Cofiroute/Vinci). Sie beauftragen als Generalunternehmer nur in Ausnahmefällen regionale Handwerks- und Mittelstandsbetriebe. Nicht berücksichtigt werden die abgebauten Arbeitsplätze und die Niedriglöhne, auf denen die vielgerühmte Effizienz der privaten Erledigung zum großen Teil beruht, sowohl in der Bau-/Sanierungsphase wie auch dann in der jahrzehntelangen Betriebsphase. So werden durch PPP, wie durch Privatisierung allgemein, die Probleme der Arbeitslosigkeit, der volkswirtschaftlich und individuell sinkenden Lohnsumme und der damit zugleich sinkenden Steuereinnahmen und Renten verschärft, und zwar durch Entscheidungen derselben Akteure, die ansonsten vollmundig erklären, dass ihr oberstes Ziel sei, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, den Staatshaushalt zu entlasten etc. Die Folgen wirken sich jedoch nicht nur auf den Bundeshaushalt aus, sondern auch
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auf den jeweiligen Landeshaushalt und den städtischen Haushalt und die individuellen Haushalte der Bürger. Fragwürdig sind die quantifizierten Risikoschätzungen. Für angenommene Wahrscheinlichkeiten von 10, 20, 30 usw. Prozent bei Bau- und Betriebskostenüberschreitung werden mechanisch bestimmte Beträge mit mathematischer Genauigkeit bis hinters Komma errechnet. Da die PPPVerträge bei den Instandhaltungskosten Gleitklauseln und Ausnahmen enthalten, sind die tatsächlichen Kostenüberschreitungen für so lange Zeiträume aber nicht zu schätzen, auch deshalb, weil keinerlei vergleichbare Erfahrungen vorliegen – weder für solche langen Zeiträume noch für die gegenwärtig und zukünftig herrschenden Krisenbedingungen. In keinem Wirtschaftlichkeitsvergleich werden Relationen zwischen bestimmten Baumaterialien und Folgewirkungen etwa für Heizkosten und Sicherheit untersucht. Der Einfluss von niedrigen Löhnen und erhöhter Arbeitsintensität auf die Bau- und Betriebsqualität wird nicht untersucht. Wenn Hausmeister für zwei Schulen statt für eine zuständig sind, wenn für die Reinigungskräfte eines Subunternehmers die zu reinigende Fläche pro Stunde um zehn Prozent erhöht wird, wird lediglich die finanzielle Einsparung ausgerechnet, aber mögliche Folgekosten und Qualitätseinbußen erhöhter Arbeitsintensität bleiben unberücksichtigt. Die zweite entscheidende Frage ist: Wer erstellt die Machbarkeitsstudie? Der PPP-Leitfaden des Bundes fordert zwar, die »Bedarfsfeststellung« habe durch die öffentliche Hand zu erfolgen.4 Aber die heute politisch und administrativ Verantwortlichen haben in der Regel weder den Antrieb noch die Überzeugung, dass die eigenen Ministerialbeamten, die Ingenieure der Hochbauämter und die Experten der Rechnungshöfe usw. diese Aufgabe erfüllen können oder sollen. Deshalb werden private Berater beauftragt, um den zukünftigen Bedarf etwa an Schulräumen und deren Qualität, aber auch die Kosten, die bei der öffentlichen Erledigung anfallen würden, zu erfassen bzw. zu definieren. Deshalb wird dem Vergleich nur der ohnehin grob und in der Regel überhöht geschätzte Aufwand der öffentlichen Erledigung zugrunde gelegt, und zwar nach dem bisherigen »Ist-Zustand« und nicht nach einem möglichen optimierten Zustand. Die PPP-Befürworter gehen davon aus, dass die Arbeit der öffentlichen Verwaltung nicht optimiert werden kann. Der PSC wird also nicht durch die öffentliche Hand selbst erstellt, sondern durch private PPP-Befürworter.
Porträt: Private Sector Participation Consult (PSPC) Das Berliner Unternehmen Private Sector Participation Consult GmbH (PSPC) ist auf PPP-Wirtschaftlichkeitsvergleiche bzw. Machbarkeitsstudien spezialisiert. Es gehört zu einer eigenen Branche, deren Ge- 4 | Ebd., S. 14.
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schäft es ist, die PPP-Wirtschaftlichkeitsvergleiche zu erstellen und für PPP zu werben. Auch diese Berater stellen sich wie Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsanwälte als »unabhängig« dar. Sie sind es jedoch nicht. So hat PSPC für die privatisierungswütige Stadtspitze von Frankfurt a.M. eine Machbarkeitsstudie für ein PPP-Projekt erstellt, Investor ist die Hochtief AG (vgl. S. 86ff.). PSPC drohte mithilfe der Großkanzlei Redeker Sellner Dahs & Widmaier der Frankfurter Neuen Presse (FNP) mit rechtlichen Schritten: Die FNP solle sich verpflichten, nicht mehr wie in ihrer Lokalausgabe »Höchster Kreisblatt« zu verbreiten, dass PSPC ein der PPP-Propagierung verpflichtetes Unternehmen sei und dass PSPC schon öfter für Hochtief-Angebote empfehlende Gutachten erstellt habe. Bei den angegriffenen Stellen handelte es sich um namentlich gekennzeichnete Zitate aus zwei Ausschüssen der Frankfurter Stadtverordneten-Versammlung.5 Dabei lässt sich leicht nachprüfen, dass diese Zitate in vollem Umfang zutreffen. PSPC warb zur Zeit ihrer Klage gegen die Zeitung öffentlich für PPP: »Unsere Kunden profitieren von unseren langjährigen Erfahrungen, PPP-Lösungen zu entwickeln, deren Eignung und Wirtschaftlichkeit zu beurteilen und erfolgreich umzusetzen.«6 Auf der Referenzliste wirbt PSPC mit seinen Auftraggebern: Da ist nicht nur Hochtief mit PPPProjekten in Städten wie Köln, Leverkusen und Berlin. Zudem tauchen in der Referenzliste ausschließlich PPP-Befürworter auf, so das Bundesbauministerium, der BDI, die Europäische Investitionsbank, das Finanzministerium Sachsen-Anhalt, der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, HSH Nordbank, die australische Bank Macquarie, NordLB, Strabag, Wayss & Freytag. In den üblichen PPP-Konferenzen der Lobby treten PSPC-Mitarbeiter ohne Wenn und Aber für eine Ausweitung von PPP und für seine Weiterentwicklung ein.7 Hier ist die PPP-Szene vertreten, ein irgendwie kritischer Auftraggeber ist nicht auszumachen. Zusammen mit den Baukonzernen Bilfinger Berger und Vinci tritt PSPC als Sponsor für PPP-Forschung auf.8 Selbst Gutachten für Projekte, die nach Eingeständnis der Vertragspartner gescheitert sind, werden in der Referenzliste positiv aufgeführt, so der Gesundheits- und Badepark in Leimen,9 bei dem sich schon ein Jahr 5 | Frankfurter Neue Presse 11.6.2007. 6 | http://www.psp-consult.de 27.9.2007. 7 | Vgl. PPP Jahrbuch 2005, S. 133ff., PPP Jahrbuch 2006, S. 107ff. und 139ff., PPP-Jahrbuch 2007, S. 78ff., PPP-Jahrbuch 2008, S. 141ff.; 5. Bundeskongress ÖPP 28.9.2010, der unter Mitwirkung von IBM, Siemens, Behördenspiegel und Partnerschaften Deutschland AG stattfand. 8 | Technische Universität Bergakademie Freiberg/Prof. Dieter Jakob: Umstrukturierung und Erweiterung bestehender Krankenhausstandorte mit Hilfe von Public Private Partnership, Freiberg 2010. 9 | http://www.pspc.de, »Unsere Referenzen« 28.12.2010.
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nach Beginn die Kalkulation des Investors als Milchmädchenrechnung erwiesen hat: Er verlangte wegen fehlender Einnahmen von der Stadt Leimen statt der vereinbarten Jahresmiete von 450.000 Euro das Doppelte – da die Stadt nicht zahlte, ging der Investor in Konkurs.10 Übrigens geht schon aus dem Firmennamen PSPC selbst hervor, dass der private Sektor an öffentlichen Aufträgen beteiligt werden soll.
10 | Werner Rügemer: Wieder baden gegangen, junge welt 16.9.2008; Brisanten Vertragsteil genutzt. Investor zieht sich mit Hinweis auf »Forfaitierung mit Einredeverzicht« zurück, Badische Allgemeine Zeitung, Ausgabe Leimen 1.4.2009.
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IX. Die Effizienzvorteile des Investors
Mithilfe von PPP können die privaten Investoren »Effizienzvorteile« ausschöpfen. Aufgrund des »Trickle Down«-Effekts (Heruntertröpfeln von oben nach unten) sollen sie auch der öffentlichen Hand zugutekommen. Doch es zeigt sich, dass sie beim Privaten bleiben. Die in den Projektanalysen geschilderten Erfahrungen werden in der folgenden Zusammenfassung systematisiert; dabei sind einige Wiederholungen nicht zu vermeiden.
F orfaitierung mit E inrede verzicht Durch den bei PPP in den meisten Fällen vorgenommenen Forderungsverkauf (vgl. S. 116ff.) erhält der Investor die Gesamtsumme aller Entgelte für die gesamten Investitionen spätestens nach Fertigstellung bzw. Sanierung der Gebäude. Durch den Forderungsverkauf refinanziert der Investor die Kredite, die er für die Sanierung oder Errichtung des Gebäudekomplexes, der Autobahn, des Tunnels, der technischen Anlagen usw. aufgenommen hat. Für den Investor ist PPP folglich eine ungewöhnlich günstige Kapitalschöpfung. Mithilfe dieses Effizienzvorteils kann er weitere Projekte finanzieren, andere Unternehmen aufkaufen, die Ausschüttungen an die Aktionäre und/oder die Gehälter und Prämien der Manager in den PPPProjektgesellschaften erhöhen, also alles das tun, was ein »erfolgreiches« Unternehmen tut. Der Investor verkauft zwar die Forderungen erst nach formeller Abnahme der Bauleistung, aber bei praktisch allen komplexen Bauleistungen treten Mängel auch erst nach der Abnahme auf. Deshalb wird heute bei Bauten üblicherweise eine Gewährleistungsfrist von fünf Jahren vereinbart: Während dieses Zeitraums haftet der Bauträger für Mängel, die bei der Abnahme noch nicht sichtbar waren, er muss sie auf eigene Kosten beseitigen – eine Regelung, die bei PPP in dieser Strenge nicht gilt. Deshalb werden hier die Risiken einseitig auf die öffentliche Seite verlagert. Sie ist aufgrund des Einredeverzichts verpflichtet, die verein-
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barte Miete vollständig und pünktlich zu zahlen und muss den Investor auffordern, die Mängel zu beseitigen. Deshalb kommt es häufig zu teuren und langwierigen Rechtsstreitigkeiten. Zusätzliche Risiken zulasten der öffentlichen Seite entstehen dadurch, dass die Bank, die die Forderungen kauft, sie an andere Banken oder Finanzakteure weiterverkaufen kann. Wenn die Investoren (bzw. deren PPP-Projektgesellschaften) in die Insolvenz gehen, muss die öffentliche Seite die Verpflichtungen übernehmen. Dies zeigte sich im Falle der Londoner U-Bahn und in Deutschland etwa im Falle des Freizeit- und Badeparks Leimen.1
L ebensz yklus -A nsat z Eine Besonderheit von PPP ist die »Aufgabenerfüllung über den gesamten ›Lebenszyklus‹«. Das soll zu Effizienzvorteilen führen, weil der Investor ein Gebäude nicht nur baut oder saniert, sondern danach auch jahrzehntelang betreibt, weshalb er – so die fromme Hoffnung – schon in der Bau- und Sanierungsphase natürlicherweise im eigenen Interesse auf Nachhaltigkeit achte und qualitätsvoll arbeite, sodass die anschließenden Betriebs- und Instandhaltungskosten möglichst niedrig ausfallen. Dieses oft so gepriesene »ganzheitliche« Herangehen klingt in manchen Ohren gut, gar sanft grün eingefärbt und lebensfreundlich. Freilich besteht hier ein einfacher, elementarer Widerspruch: Der hier gemeinte Lebenszyklus ist identisch mit der Vertragslaufzeit, dauert also zwischen 15 und meist 30 Jahren. Für derartige Gebäude beträgt aber die übliche Nutzungsdauer, wenn sich die Investition rechnen soll, mindestens 80 bis 100 Jahre. Erfahrungsgemäß beginnen die teuren Instandhaltungen erst etwa nach 30 Jahren. Der Verantwortungshorizont der Investoren endet also genau vor dieser eigentlich problematischen Phase. Die längste Gewährleistungsfrist im Baugewerbe für solche Gebäude beträgt fünf Jahre. Die Gewährleistungsfrist bei PPP nach Ende der Verträge beträgt höchstens zwei Jahre. Der PPP-Lebenszyklus ist also gar nicht der reale Lebenszyklus. Der Investor braucht die Anlagen nur für eine Nutzungsdauer von maximal 30 + 2 zu bauen und auszustatten.
30 J ahre L auf zeit Die Vertragslaufzeiten bei PPP liegen zwischen 15 und 50 Jahren. Ausreißer sind die zehn Jahre bei »Würzburg integriert!« und die zwölf Jahre bei Toll Collect auf der einen Seite und auf der anderen Seite die 50 bzw. 40 1 | Werner Rügemer: Wieder baden gegangen, junge welt 16.9.2008; Brisanten Vertragsteil genutzt, Badische Allgemeine Zeitung, Ausgabe Leimen 1.4.2009; vgl. auch Kap. III zu London sowie die Abschnitte in Kap. VIII und XIV zu Leimen.
IX. D ie E ffizienzvorteile des I nvestors
Jahre beim Trave- und beim Warnow-Tunnel. Für beide waren ursprünglich 30 Jahre vereinbart, aber weil die Investoren sich bei den Gebühren verspekuliert haben, haben sie nachträglich und problemlos eine Verlängerung auf 40 bzw. 50 Jahre durchgesetzt. Die Gefahr der Verlängerung ist also real. Die häufigste Vertragsdauer ist 30 Jahre. Das hat keinen sachlichen Grund, der etwa mit technischen Erfordernissen bei Bau und Unterhaltung von Gebäuden zusammenhinge. Vielmehr sind nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch 30 Jahre die rechtlich äußerste Grenze für die Dauer von Mietverträgen. Nach BGB 544 kann ein Mietvertrag nach 30 Jahren ohne Angabe von Gründen außerordentlich gekündigt werden. Die Investoren haben umso mehr Vorteile und Sicherheiten, je länger der Mietvertrag läuft. Der Generalunternehmer kann in dieser Zeit als Auftraggeber für Subunternehmer eine einzigartige Monopolstellung ausbauen, die er als Generalunternehmer von Anfang an schon hat. Er versammelt bei sich die gesamten Kenntnisse über das Projekt, während die öffentliche Hand schon nach einigen Jahren einem nicht mehr umkehrbaren Dequalifizierungsprozess unterliegt, durch Personalabbau und Kenntnisverlust.
D er G ener alunternehmer Bei PPP wird nur die Funktion des Generalunternehmers ausgeschrieben. Bei größeren Projekten handelt es sich meist um ein Konsortium aus zwei oder drei Unternehmen, oft in der Kombination von Baukonzern und Bank (Royal BAM Group und Südleasing, Hochtief und Commerzbank usw.). Der Generalunternehmer setzt in der Regel nur wenig eigenes Personal ein, etwa den Geschäftsführer der Projektgesellschaft und einige Führungskräfte. Die meisten Arbeiten werden durch Subunternehmen und Subunternehmen von Subunternehmen ausgeführt. Häufig schanzt der Generalunternehmer eigenen Tochtergesellschaften Aufträge zu. Diese Aufträge werden nicht ausgeschrieben, sondern werden vom Generalunternehmer vergeben. Dafür schlägt er in der Regel einen Generalunternehmer-Zuschlag von 15 Prozent auf, der in seinem Angebot enthalten ist. Der Generalunternehmer strebt mithilfe dieser Konstruktion zusätzliche »interne Effizienzgewinne« an. Er bekommt ja sein fixes, meist inflationsindexiertes und mit Preisgleitklauseln versehenes Entgelt für Bau und Betrieb. Er ist deshalb ständig auf der Suche nach jeweils noch billigeren Subunternehmern. Im Frankfurter Bildungszentrum Ostend (vgl. S. 74ff.) war beispielsweise drei Jahre nach Beginn schon das dritte Reinigungsunternehmen tätig. Die ersten beiden haben nicht unbedingt schlechter gereinigt, aber das zweite war billiger als das erste, und das dritte war billiger als das zweite. Wenn der Generalunternehmer eigene Tochterfirmen als Subunternehmer beauftragt, sind für die öffentliche Hand die Strukturen intrans-
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parent. Die Preisgestaltung kann willkürlich werden. Von dem PPP-Projekt des Autobahnabschnitts A 72 (Sachsen) wurde folgendes Muster praktiziert: Der Oberbauleiter des Investors Strabag gründete für Aufgaben wie Erdbau, Pflasterung, Abwasserableitung Scheinfirmen. Diese stellten überhöhte Rechnungen aus, danach wurden sie in die Insolvenz geschickt, die Arbeitsagentur musste die Löhne der ehemaligen Beschäftigten übernehmen.2 Der »Mittelstand«, das lokale und regionale Handwerk, soweit es nicht selbst solche Praktiken übernimmt und seinerseits »Billigheimer« engagiert, wird ausgeschaltet. Dies beklagen auch Architekturbüros.3 PPP ist somit ein Antreiber für die immer weitere Deregulierung des Arbeitsrechts, für immer niedrigere Löhne und, das ist in der Branche ein Strukturelement, für ständigen Rechtsbruch.4
Schwarzarbeit als Mittel für internen Effizienzgewinn Bauarbeiter, so findet die »Finanzkontrolle Schwarzarbeit« der Zollfahndung bei der Überprüfung von Baustellen regelmäßig heraus, bestätigen zunächst, dass sie die nach dem Entsendegesetz vorgeschriebenen 12,50 Euro pro Stunde bekommen. Sie unterschreiben jeden Lohnzettel. Diese Löhne stehen auch in den Büchern der Unternehmen und liegen der Kalkulation eines Generalunternehmers wie Hochtief, Bilfinger Berger, Serco, BAM usw. bei PPP zugrunde. Aber die Arbeiter bekommen real teilweise weniger als 2,50 Euro, 500 bis 600 Euro pro Monat für eine 60-Stunden-Woche. Sie stehen unter Zwang, denn wenn sie die Wahrheit sagen oder den offiziellen Lohn verlangen, werden sie nach Rumänien, Bulgarien oder in die Türkei zurückgeschickt; außerdem haben sie dem Subunternehmer oder dessen Vermittler eine »Sicherheitsleistung« von ein- bis zweitausend Euro gezahlt – die würden sie verlieren. Hochtief bestreitet nicht die niedrigen Löhne, bezeichnet sich aber als »Opfer krimineller Handlungen«.5 Die ohnehin nicht hohen Bußgelder werden nur selten wirklich eingetrieben. Baukonzerne nehmen diese Praktiken nicht nur billigend in Kauf, sondern sie kalkulieren damit routinemäßig. Für einen öffentlichen Auftraggeber sind diese Umstände nicht zu kontrollieren, da er 2 | Betrugsskandal auf der A 72 letzte Ausfahrt Stollberg, Süddeutsche Zeitung 25.2.2007; Bau der Autobahn 72 – Betrug mit System, Frankfurter Allgemeine Zeitung 2.4.2007; Affären: Die Spinne, Der Spiegel 3.11.2008. 3 | Bund Deutscher Architekten (BDA): Stellungnahme zu ÖPP/PPP-Verfahren 19.5.2006. 4 | Vgl. Werner Rügemer: ArbeitsUnrecht. Anklagen und Alternativen, Münster 2009. 5 | Verdacht auf Lohnwucher – Razzia bei Hochtief, Süddeutsche Zeitung 10.5.2007.
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bei PPP nicht der Bauherr ist. Bauherr ist entweder Hochtief selbst wie bei den Schulen in Frankfurt und Köln oder der Finanzinvestor Oppenheim-Esch wie bei den Kölner Messehallen. Während bisher nur Subunternehmer zu Gefängnis verurteilt wurden, steht mit Hochtief erstmalig und wiederholt ein großer Baukonzern wegen des Verdachts auf Beihilfe zum Lohndumping vor Gericht.6
S of t- bz w. F inanzierungskosten Die jeweilige PPP-Projektgesellschaft wird vom Investor nur mit einem minimalen Anfangs-Eigenkapital ausgestattet, meist mit der nach GmbHGesetz vorgeschriebenen Mindestsumme von 25.000 Euro. Wie insbesondere am Beispiel der Kölner Messehallen deutlich wird (vgl. S. 91ff.), nimmt der Investor nicht einfach einen Kredit auf, sondern es kommt ein aufwendiger Finanzierungsmechanismus mit zahlreichen Beteiligten in Gang: Steuerberater, Anlagenvermittler, Projektentwickler, Makler, Banken. Alle berechnen hohe Honorare und Provisionen. Sie sind im Angebot des Generalunternehmers enthalten. Bei den Kölner Messehallen betragen sie etwa 40 Prozent der Gesamtkosten. Unter weniger »verklüngelten«, sondern unter sozusagen »normalen« Bedingungen betragen sie mindestens 20 Prozent. Beim Projekt »Haus des lebenslangen Lernens« des Landkreises Offenbach betragen sie beispielsweise 28 Prozent.7
N achforderungen Wie verschiedentlich dargestellt, gründen die Investoren für jedes PPPProjekt eine eigene Projektgesellschaft, eine GmbH. Diese wird nur mit einem geringen Eigenkapital ausgestattet, oft nur mit der Mindestsumme von 25.000 Euro. So hat beispielsweise die Projektgesellschaft für den Autobahnabschnitt zwischen Hamburg und Bremen – sie heißt A1 mobil GmbH – eine Eigenkapitalausstattung von lediglich 36.000 Euro (vgl. S. 143ff.). Man vergleiche: Die Summe, die während der 30 Jahre als Entgelt für den Investor fließen soll, beträgt nach bisheriger Vereinbarung über eine Milliarde Euro. Das niedrige Eigenkapital der Projektgesellschaft ist als Erpressungsinstrument einsetzbar. Wenn der Investor ein höheres Entgelt fordert als 6 | Fast auf jeder Baustelle gibt es Hungerlöhne, Süddeutsche Zeitung 16.5.2007; Gelder, die von Münchenstift an Hochtief gezahlt wurden, wurden offenbar nicht an die Arbeiter weitergegeben, Süddeutsche Zeitung 10.5.2007; Verdacht auf Lohndumping – Hochtief-Manager angeklagt, Spiegel online 20.5.2009. 7 | Lebenslanges Lernen zahlt sich aus, Financial Times Deutschland 13.11. 2007.
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vertraglich vereinbart, die öffentliche Hand darauf aber nicht eingeht, kann er die Projektgesellschaft schnell in die Insolvenz schicken oder damit drohen. Bei einer solchen Insolvenz muss bzw. müsste die öffentliche Hand die Verpflichtungen des Investors übernehmen. Deshalb geht die öffentliche Hand oft auf die Nachforderungen des Investors ein. Dies wurde in diesem Buch anhand des Londoner U-BahnProjekts (Kap. III), der Tunnel-Projekte in Rostock und Lübeck und der 90 Schulen des Landkreises Offenbach verdeutlicht (Kap. VII).
O utput -M e thode In der Betriebsphase wird der Investor nach der Output-Methode bezahlt. Sie ist »ergebnisorientiert«. Beispielsweise sieht die ergebnisorientierte Reinigung so aus: Statt »jeden zweiten Tag alle Klassenräume einmal reinigen« heißt es jetzt: »Alle Klassenräume müssen sauber sein.« Wie der Investor bzw. das von ihm beauftragte Reinigungs-Subunternehmen das erreicht, wie oft er also reinigt, das bleibt ihm überlassen. Wenn die Reinigung dann doch nicht so gut ausfällt, setzt ein BonusMalus-System ein: Bei schlechter Reinigung kann je nach dem Grad der Schlechtreinigung das Entgelt gemindert werden. Das könnte durchaus sinnvoll sein. Allerdings taucht unter den PPPBedingungen ein Problem auf: Wer stellt die schlechte Reinigung und den Grad der Schlechtreinigung fest? Wer bewertet sie? Wenn die einfachen Kontrollprinzipien wegfallen (wurde jeden zweiten Tag gereinigt oder nicht?), sondern die Qualität bewertet werden soll, dann bedeutet dies einen erhöhten Kontroll- und Bewertungsaufwand. Die Kontrolle regelmäßig durchzuführen – wobei die Reinigung der Fußböden ein vergleichsweise einfacher Fall ist – fällt der öffentlichen Verwaltung schwer, denn sie wird unter dem PPP-Regime personell und finanziell ausgedünnt und das wenige Personal kennt sich im Fortgang des Projekts immer weniger in den Gebäuden aus. In der Realität bewertet sich der Investor selbst. Die Output-Methode führt zu mehr Arbeit für die öffentliche Hand, die diese aber immer weniger leisten kann. Es entsteht auch ein neues Konfliktpotenzial, das zum zusätzlichen Einsatz von Rechtsanwälten usw. führt. Der Investor tendiert dahin, es auf Beschwerden ankommen zu lassen und deren nachhaltige Weiterverfolgung abzuwarten. Wenn sich wegen wiederholter Erfolglosigkeit niemand mehr beschwert – umso besser. Davon profitieren nicht zuletzt die Manager der PPP-Projektgesellschaft. Auch sie sind in ein Bonus-Malus-System eingebunden. Sie erhalten Prämien je nachdem, ob und inwieweit sie für den laufenden Betrieb das fixe Betreiberentgelt ausschöpfen oder nicht. Verbrauchen sie für die Entgelte an die Subunternehmer, für Reparaturen usw. das fixe Betreiberentgelt nicht vollständig, werden sie mit einer Prämie belohnt, die umso höher ausfällt, je weniger sie das Betreiberentgelt verbrauchen und damit
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dem Investor einen zusätzlichen »internen Effizienzgewinn« verschaffen. Prämien gibt es auch dafür, dass es keine Beschwerden mehr gibt. Eine verbreitete Methode besteht darin, die Löhne für die Subunternehmer zu senken und/oder die Arbeitsintensität bei den Subunternehmern zu erhöhen. So empfehlen etwa die Berater von Professor Weiss & Partner, die Reinigungsleistung pro Reinigungskraft von 200 auf 220 Quadratmeter pro Stunde zu erhöhen.8 Manche Manager schreiben in den Gebäuden kahle Wände vor und verbieten den dort Beschäftigten das Aufstellen von größeren Blumentöpfen, um so die Reinigungskosten zu »optimieren«.
S teuervorteile PPP-Projekte werden rechtlich und finanztechnisch so konstruiert, dass sie zugleich als Steuersparmodelle funktionieren. Sie sind es entweder für die Investoren und die von ihnen einbezogenen individuellen Anleger, so etwa bei den Kölner Messehallen (vgl. S. 91ff.), oder sie sind es für die Investoren alleine, wenn keine weiteren Anleger einbezogen sind. So organisiert sich der Staat gleichzeitig einen jahrzehntelangen Steuerverlust, der wesentlich höher liegen dürfte als die ohnehin spekulativen und mehr oder weniger fiktiven »Effizienzvorteile« für die öffentliche Hand. Diese liegen auf die gesamte Vertragszeit gerechnet bei insgesamt lediglich zwischen fünf und zehn Prozent. Die Steuerverluste zugunsten der Investoren dürften sich dagegen jährlich in dieser Größenordnung bewegen. Während der Staat in den letzten Jahren dazu übergegangen ist, die Steuersparmodelle mit geschlossenen Immobilienfonds (nach dem Muster der Kölner Messehallen) einzuschränken, fördert er inzwischen die Steuerbegünstigung für spezialisierte Aktiengesellschaften und für Infrastrukturfonds. Nach den steuerbegünstigten Aktiengesellschaften, die aus aufgekauften Wohnungsbeständen geformt werden können (Real Estate Investment Trusts, REIT), können nun steuerbegünstigte Infrastrukturfonds auch PPP-Projekte (mit-)finanzieren. Diese Fonds wiederum sollen, wie vorher die Immobilienfonds nach dem Muster der Oppenheim-Esch-Holding, auch für individuelle Anleger geöffnet sein, und zwar auch für Kleinanleger, die »nur« ab 15.000 Euro mitbringen. So bietet Hannover Leasing die steuersparende Beteiligung am PPP-Projekt »Haus des lebenslangen Lernens« in Dreieich bei Offenbach an: Der Landkreis Offenbach zahlt 30 Jahre eine Miete, neben der direkten Rendite von sieben Prozent profitiert der Anleger von der Mög-
8 | Monika Storz: Neue Ansätze für den Wirtschaftlichkeitsvergleich, in: Detlef Knop (Hg.): PPP Jahrbuch 2007, S. 102.
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lichkeit, durch seine (durch Kredite erhöhte) Einlage seine Steuerlast zu verringern.9 Bei den Infrastrukturfonds sind institutionelle Investoren »in der Regel mit 95 Prozent ihrer Einkünfte von der Besteuerung freigestellt«10. Die Gewinne individueller Kleinanleger werden dagegen mit 25 Prozent besteuert. Aber sie können sich auch vollständig der Besteuerung entziehen: Sie brauchen ihrer Beteiligung am Infrastrukturfonds nur die Rechtsform eines Unternehmens zu geben (»Briefkastenfirma«) und in Luxemburg zu domizilieren, dann sind die Gewinne entsprechend der Zinsrichtlinie der Europäischen Union vollständig steuerfrei.11 Nach der Änderung des Investmentgesetzes können nun auch Mittelständler ihre Erlöse aus dem Verkauf ihres Unternehmens oder von Unternehmensteilen in PPP-Fonds anlegen und damit Steuern sparen: Der dreieinhalbfache Betrag ihres Anteils, den sie in einen PPP-Fonds eingezahlt haben, wird nicht besteuert (6b-Abschreibung).12 In manchen Fragen ist die Steuerbegünstigung noch strittig, trotzdem setzen die Investoren darauf. So war zu Beginn des zweiten Frankfurter PPP-Projekts mit den vier Schulen unklar, ob der Zinsanteil der Ratenzahlungen für das Darlehen (das der Investor Hochtief aufgenommen hat) der Umsatzsteuer unterliegt oder nicht. Die Kämmerei räumte in ihrer Stellungnahme zum Prüfbericht des Revisionsamtes ein, dass die Wirtschaftlichkeit des PPP-Projekts auch davon abhängt, wie diese Steuerfrage beurteilt wird. Allerdings trage der Bieter Hochtief das Risiko der steuerlichen Anerkennung der Konstruktion. Hochtief genüge die Einschätzung einer von ihr beauftragten Kanzlei, und die Kämmerei teile diese vorbehaltlos.13 Die Anwälte setzen sich bei den Finanzämtern in solchen Fällen für die Interessen der Unternehmen ein, und die Finanzämter sind angewiesen, einen Investor nicht zu verärgern.
9 | Lebenslanges Lernen zahlt sich aus, Financial Times Deutschland 13.11. 2007. 10 | Uwe Steininger/Kornelius Kleinlein: Infrastrukturfonds in Deutschland ohne Dynamik, international ein großer Wachstumsmarkt, Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.6.2007. 11 | Werner Rügemer: Steuerfrei mit der Ein-Euro-GmbH, Freitag 25.3.2005. 12 | Artikel 6b des Einkommensteuergesetzes. 13 | Poker um die PPP-Projekte, Frankfurter Neue Presse 7.7.2007.
X. Keine Partnerschaft
Wie die untersuchten PPP-Projekte zeigen, sind die Risiken für den Staat hoch und in ihren finanziellen Auswirkungen während und nach Ende der jahrzehntelangen Vertragslaufzeiten weder kalkulier- noch beherrschbar. Dagegen tendieren alle Vorteile zugunsten des Privatinvestors. Die »Partner« handeln nicht auf gleicher Augenhöhe, vielmehr sind sie ungleich. PPP ist keine Partnerschaft, sondern ein vielgestaltiger Mechanismus der Ungleichheit. Im Folgenden werden dessen wichtigste Elemente, die in den einzelnen Projekten in unterschiedlicher Gewichtung zur Sprache kamen, systematisch dargestellt.
D as umfangreiche V ertr agswerk Die gewählten Volksvertreter vom Bundestag bis zum Stadtrat sind nicht in der Lage, eine demokratischen Prinzipien entsprechende Kontrolle von PPP-Verträgen auszuüben. Die Vertragswerke sind umfangreich und kompliziert. Die Seitenzahl bewegt sich zwischen 800 (kleines Schulprojekt) und 36.000 (Autobahn A 1). Sie enthalten neben den Rahmen- und Gesellschafterverträgen mehrere zusätzliche Einzelverträge wie den Grundstückskaufvertrag bzw. Sanierungsvertrag, den Betreibervertrag (Facility Management), den Personalüberleitungs- und Personalbeistellungsvertrag, den Finanzierungsvertrag, den Schiedsvertrag, die Vertraulichkeitsvereinbarung, die Vereinbarung über die Forfaitierung mit Einredeverzicht sowie zahlreiche Anlagen und Ergänzungen und Ergänzungsvereinbarungen, wie es insbesondere am Beispiel des Landkreises Offenbach dargestellt wurde. Ein weiterer Grund sind die langen Laufzeiten. Die Investoren und Finanzakteure wollen im je eigenen Interesse möglichst viele Szenarien der Risikoverteilung, die im Laufe von 20 bis 30 Jahren auftauchen können, im Vorhinein regeln. Hinzu kommt die Vielzahl der Beteiligten auf der privaten Seite. Die privaten Investoren als Eigentümer der für jedes PPP-Projekt zu grün-
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denden Projektgesellschaft schließen einen Konsortialvertrag über gegenseitige Rechte und Pflichten und über die Gewinnverteilung (Gründungsvertrag, Joint-Venture-Vertrag). Die Projektgesellschaft schließt einen Generalunternehmervertrag mit dem ausgewählten Bieter. Da dieser aber nur ein minimales Eigenkapital einbringt, treten in der Regel mehrere Fremdkapitalgeber hinzu: Landesbanken, Immobilienfonds, Europäische Investitionsbank und Kreditanstalt für Wiederbau mit günstigen Förderkrediten, inzwischen beteiligen sich auch Private Equity-Investoren und Infrastrukturfonds. Mit ihnen allen müssen gesonderte Darlehensverträge geschlossen werden. »Die vertragliche Struktur von PPP-Projekten ist in der Regel äußerst umfangreich und kann aus bis zu 150 Einzelverträgen zwischen den beteiligten Parteien bestehen«, bilanziert ein beteiligter Projektmanager von Bilfinger Berger.1 Die Verträge sind zudem nicht statisch. Zum einen ändern sich die Bedingungen, wenn etwa die Bauphase (Schulgebäude ist fertiggestellt, Toll-Collect-Sensoreinrichtungen sind aufgestellt und funktionieren etc.) beendet ist und die Betreiberphase beginnt. Dann werden Darlehen wegen günstigerer Zinsen neu verhandelt. Zins- und Währungssicherungsgeschäfte werden getätigt.2 Der Generalunternehmer schließt Unterverträge mit den Subunternehmen. »Zudem gibt es typischerweise direkte Vereinbarungen über Bau, Betrieb und Erhaltung des Vertragsgegenstandes zwischen den finanzierenden Banken, den Sponsoren [damit sind die Investoren und Anleger gemeint, WR] und der Projektgesellschaft sowie versicherungsrechtliche Vereinbarungen zwischen Versicherern und der Projektgesellschaft«, schreiben die Anwälte der Kanzlei Freshfields.3 Zudem wird das deutsche Rechtsparadigma schrittweise außer Kraft gesetzt. »Bei großen Projekten kommt nicht selten hinzu, dass die Finanzierungsverträge entweder unmittelbar dem englischen Recht unterliegen oder sich zumindest die Vertragsstrukturen englischem Recht anpassen.«4 Die Freshfields-Anwälte – sie waren schon führend bei Cross Border Leasing –, die von Toll Collect bis zu Schul-PPP solche Vertragswerke gestalten, geben selbst zu, dass »kleine Gemeinden und mittelständische Unternehmen« mit solchen Vertragswerken überfordert sind.5 Die Erfahrung zeigt aber, dass dies auch für den Bundestag und große Städte
1 | Marco Schweer: PPP bei Schulen – Erfahrungen aus Großbritannien, in: Detlef Knop (Hg.): PPP Jahrbuch 2006, Frankfurt 2006, S. 136. 2 | Michael Schäfer/Nikolaus von Strenge: Müssen gute Verträge lang sein?, in: Detlef Knop (Hg.): PPP Jahrbuch 2007, Frankfurt 2007, S. 99. 3 | Ebd. 4 | Ebd. 5 | Ebd., S. 100.
X. K eine P artnerschaft
zutrifft. Die »Überforderung« wird professionell verstärkt, hergestellt; ein Interesse, sie abzubauen, besteht nicht.
D ie G eheimhaltung Die Geheimhaltungspflicht der Minister, Kämmerer, Oberbürgermeister und Landräte, also der eigentlich »Verantwortlichen«, die die Verträge für die öffentliche Seite unterschreiben, besteht nicht nur gegenüber der Öffentlichkeit, sondern auch gegenüber den gewählten Abgeordneten. Wenn im seltenen Konfliktfall wie beim Frankfurter Bildungszentrum Ostend Abgeordnete (Teil-)Einblick nehmen können (vgl. 74ff.), werden auch sie zur Geheimhaltung verpflichtet, dürfen keine Kopien machen und keine Erkenntnisse an die Öffentlichkeit weitergeben. Das Mitglied eines Stadtrats, zugleich im Aufsichtsrat der Stadtwerke einer westdeutschen Stadt, wollte die Unterlagen einsehen, die bei der Vorbereitung des Stadtwerksverkaufs aufgelaufen waren. Die betreffende Stadtverwaltung ließ sich wie viele andere von der Bank Oppenheim beraten. »Wer als Aufsichtsratsmitglied der Stadtwerke eine von Oppenheim verfasste Verschwiegenheitsverpflichtung nicht unterschrieb, bekam nicht alle Informationen. Von den Verträgen, die im Büro des Stadtdirektors eingesehen werden mussten, konnte man nur handschriftliche Notizen machen.«6 Kein PPP-Vertrag, der bisher in Deutschland abgeschlossen wurde, wurde in seiner vollständigen und rechtsgültigen Form vor der Entscheidung den Mitgliedern des Bundestages, der Landes-, Stadt- und Landkreisräte vorgelegt und der Diskussion im politischen Beschlussgremium zugänglich gemacht. Dort, wo auf nachhaltiges Verlangen die Vertragsunterlagen in eigenen »Datenräumen« unter dem Siegel der Verschwiegenheit einsichtig gemacht werden, können die Abgeordneten nicht sicher sein, dass die Unterlagen vollständig sind bzw. es kommt nachträglich heraus, dass sie gezielt unvollständig waren. Diese Erfahrung haben etwa die Abgeordneten im Frankfurter Römer gemacht. Vereinzelte öffentliche Auseinandersetzungen über die Verträge beginnen bisher lediglich nach der Unterschrift. Die Geheimhaltung gilt selbstverständlich nicht nur für PPP, sondern für alle wesentlichen Formen der Privatisierung, z.B. beim Verkauf öffentlicher Unternehmen, seien dies Wohnungsunternehmen, Stadt- oder Wasserwerke. So lag etwa der 500-seitige Vertrag zum Verkauf der Sparkasse Berlin für die Abgeordneten eine Woche vor der Entscheidung im Geheimschutzraum des Berliner Abgeordnetenhauses aus, die Abgeordneten durften keine Kopien machen und keine Erkenntnisse weitergeben, bevor der Vertrag in nicht-
6 | Mitteilung eines Stadtratsmitglied, das ungenannt bleiben will bzw. muss, an den Autor 20.7.2007.
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öffentlichen Sitzungen des Vermögens- und dann des Hauptausschusses zwar nicht vorgelegt, aber als bekannt vorausgesetzt und abgenickt wurde. Die Geheimhaltung ist zudem strafbewehrt, steht also beim Bruch unter der Drohung von Disziplinar- und Strafverfahren und Schadensersatzklagen.7 Gesetzlich wird die Geheimhaltung auch dadurch geschützt, dass die neuerlichen Informationsfreiheitsgesetze stereotyp zwei Bereiche von der Einsichtnahme ausnehmen: militärische und Betriebsgeheimnisse. Dies betrifft die entsprechenden Gesetze der Europäischen Union, des Bundes und der Bundesländer. Dem ist nur durch den bewussten und öffentlich organisierten Bruch der Geheimhaltungsvorschriften zu begegnen.8
P rivatisierte G eheim -J ustiz In der Regel ist für den Streitfall vorgesehen, dass die Parteien nicht vor ein ordentliches Gericht gehen, sondern vor ein Schiedsgericht. Das ist ein in der Wirtschaft übliches Verfahren. Es soll u.a. verhindern, dass die Öffentlichkeit und Konkurrenten in öffentlicher Gerichtsverhandlung etwas über die Vertragsinhalte erfahren. Das hier hochrangige Schutzgut ist das Betriebsgeheimnis. Für das privat konstituierte Gericht benennen beide Seiten einen Vertreter und einigen sich auf einen »neutralen Dritten«. Im Falle des Toll-Collect-Vertrags argumentiert die Bundesregierung gegen die geforderte Einsicht in den Vertrag: Zum einen könne das Verkehrsministerium nicht rechtssicher beurteilen, welche Teile des Vertrags zu den Betriebsgeheimnissen gehören, und könne deshalb keine geschwärzte Fassung herstellen, die rechtlich sicheren Bestand habe. Zum anderen würde durch die Einsicht und die öffentliche Diskussion »die Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit der Rechtspflegeorgane gefährdet«, weil das Ministerium zugleich eine Schadensersatzklage gegen das Toll-Collect-Konsortium eingereicht habe.9 Das bedeutet: Das Ministerium erklärt sich für inkompetent, den Vertrag rechtssicher zu interpretieren. Es macht sich abhängig von der juristischen Beurteilung durch die privaten Investoren und deren private Berater. Zum anderen sieht das Ministerium die Unabhängigkeit des Privatgerichts durch eine mögliche öffentliche Sachdiskussion gefährdet. Das Ministerium fördert also auf Verlangen der privaten Seite nicht nur die Privatisierung der Justiz, sondern auch die Ausschaltung der öffentlichen Sachdiskussion. 7 | Benedict Ugarte Chacon: Geheimvertrag zum Verkauf der LBB, http://www. nrhz.de 18.7.2007. 8 | Werner Rügemer: Geheimnisverrat ist Bürgerpflicht, junge welt 24.4.2010. 9 | Ministerium: Keine Veröffentlichung des Toll-Collect-Vertrags, FAZ.net 22.5.2006.
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Zu Recht merkte dazu der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit in Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, an, die Entscheidung des Ministeriums sei ein »Armutszeugnis«; es würde u.a. bedeuten, dass »überhaupt nicht mehr über laufende Gerichtsverfahren berichtet werden darf«10. Die PPP-Logik mündet in die Geheimjustiz.
D ie privaten B er ater Mit dem Einstieg des Staates und der Kommunen in »strukturierte Finanzierungen« – Cross Border Leasing, Zinsderivate, Forderungsverkauf, Privatisierung und eben auch PPP – kommt eine neue Akteursgruppe an die Schalthebel: die Berater. Der Staat könnte auch anders und besser qualifizierte Berater beauftragen, aber es werden vorzugsweise diejenigen beauftragt, die jahrzehntelange Erfahrung im angelsächsischen Wirtschafts- und Finanzsystem mitbringen, und am besten holt man sich die in diesen Milieus renommiertesten, teuersten, die zugleich auch die rücksichtslosesten sind. So soll auch ein gewisser Glanz der großen neuen Globalisierungswelt auf die neuen Mitmacher abfallen. Politiker, die ein schlechtes Gewissen haben oder sich sowieso nicht auskennen, suchen Unterstützung durch glanzvolle Namen.11 Berater (BBD, RSBK, Price Waterhouse Coopers, Ernst & Young, McKinsey, Roland Berger etc.) werben für die neue Beschaffungsvariante PPP. Ingenieurfirmen und Consulter erfassen den Bedarf und verfassen die Machbarkeitsstudie bzw. den Wirtschaftlichkeitsvergleich (Alfen Consult, PSPC, Drees & Sommer etc.). Wirtschaftsprüfer organisieren die Ausschreibung, bewerten die Angebote (Ernst & Young, KPMG, Price Waterhouse Coopers u.a.). Steuer- und Anlageberater, Banken und Infrastrukturfonds gestalten die Finanzierung (Ernst & Young, Oppenheim, Deutsche Bank, Stadtsparkasse, Landesbank usw.). Anwälte verhandeln und verfassen die Verträge, formulieren Gesetzesvorlagen (z.B. Freshfields, Clifford Chance, Bird & Bird, Hartson & Hogan, Heuking Kühn Lüer Wojtek). Die Höhe der Honorare und der Glanz des globalen Renommees gehen einher mit der staatlich abgesicherten Unverantwortlichkeit. Falschberatung hat keine Konsequenzen, jedenfalls nicht für die Berater. Sie haften nur bei »vorsätzlicher« Falschberatung. Selbst wenn diese vorliegt, was keineswegs ausgeschlossen werden kann, so ist die strafrechtliche Würdigung als bewusste Vorsätzlichkeit kaum nachweisbar: Die Interessenbindung an die Rendite der Auftraggeber und des eigenen Beratungsunternehmens führt ja gerade dazu, dass Verdrängung widersprechender Fakten zur hier geforderten professionellen Fähigkeit gehört. 10 | Ebd. 11 | Vgl. Werner Rügemer: Die Berater. Ihr Wirken in Staat und Gesellschaft, Bielefeld 2004.
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Gleichzeitig werden die Fachleute aus den öffentlichen Ämtern für Hochbau, Recht, Gebäudeverwaltung usw. weitgehend ausgeschaltet. Diejenigen, deren Stellen nicht abgebaut werden, werden auf Dauer dequalifiziert, Weiter- und Höherqualifizierung wird ihnen verweigert. Ein wachsender Teil dieser Fachleute wird hinausgedrängt, entlassen. Know-how geht dem Staat verloren, bei technischen Anlagen wie Toll Collect und bei eGovernment wechseln riesige Datensätze in die Verfügbarkeit anonymer Konzerngebilde. Die Steuerungs- und Kontrollfunktion des Staates und der Parlamente wird zerstört. Die Rechnungshöfe werden beiseite geschoben, als inkompetent diffamiert, ihre Ergebnisse werden verheimlicht. Bei Konflikten wird wiederum auf private Berater zurückgegriffen, die viel Geld kosten und tendenziell und traditionell auf der Seite der Privatinvestoren stehen.
Tendenzieller R echtsbruch Die neoliberale Wirtschaft und Politik fördern nicht nur die »sozialdarwinistische Enthemmung von Gewaltpotentialen«, konstatieren liberale Gesellschaftskritiker wie Jürgen Habermas.12 Damit einher geht die Förderung von Lügenpotenzialen und Rechtsbrüchen. Die Übermacht der Privatinteressen erleichtert die Tendenz zum Rechtsbruch. Vorschriften zur öffentlichen Ausschreibung werden häufig nicht eingehalten, wie bei den Kölner Messehallen. Berater begründen in umfangreichen Gutachten, dass die Vergabevorschriften auch so interpretiert werden können, dass nicht öffentlich ausgeschrieben werden muss, etwa wenn ein privatrechtliches Tochterunternehmen der Stadt den Auftrag vergibt und – im eng juristischen Sinne – nicht die Stadt selbst. Wenn die Vergabevorschriften eingehalten werden, zunächst, ist die »Nachbesserung« – d.h. die nachträgliche Veränderung der Ausschreibungskriterien, wie am Beispiel von Toll Collect geschildert – im Interesse des »Preferred Bidder« nicht selten. Oder es werden kurz vor Vertragsschluss die Bedingungen geändert, wie etwa beim Bildungszentrum Ostend in Frankfurt, als der Teil des Auftrags für das Betreiben des Gebäudekomplexes herausgenommen und anschließend ohne jegliche Ausschreibung dem Unternehmen zugeschanzt wurde, das den Auftrag für den Bau erhielt. Baukonzerne kalkulieren ihre Profite mithilfe von Subunternehmen, deren Profit auf Rechtsbrüchen – zu niedrige Löhne, nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge – beruht. Gewiss erleichtert die rechtliche Grauzone, die hier auf diesem neuen Gebiet herrscht, ein solches Verhalten. Die Kriterien des Legalen sind unklar. Gerade in dieser Situation ist aber von den Akteuren ein Verhalten 12 | Es strahlt die Philosophie, es wurstelt die Politik, Süddeutsche Zeitung 26.11.2007.
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zu fordern, das sich an den öffentlich verkündeten Zielen orientiert. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, und das mit so vielen Lobbyorganisationen und Sprechern bestückte PPP-Milieu hüllt sich bei jeder bekannt gewordenen Verfehlung in Schweigen und klammheimliche Zustimmung.
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XI. Flucht in die neue Verschuldung
PPP wird mit dem Argument angepriesen, nun könne der hochverschuldete Staat wieder investieren, denn hier werde privates Kapital »mobilisiert«. Das Gegenteil ist der Fall: In Wirklichkeit stellt PPP eine neue Form der Kapitalschöpfung für die Privaten dar. Das Kapital wird nicht für den Staat, sondern für die »Global Player« mobilisiert. Und die Bilanz am Ende der Vertragslaufzeiten ist, so kann heute schon gefolgert werden, vernichtend: Mit PPP gibt der Staat wesentlich mehr aus, als er nach traditioneller Weise tun würde. So stellt PPP eine neue, weit in die Zukunft verlängerte, zusätzliche Staatsverschuldung dar. Selbst wenn man sich auf die eingeschränkte fiskalische Perspektive eines einzelnen städtischen oder staatlichen Haushalts einlässt, also alle Kollateralschäden wie gesamtstaatlichen Steuerverlust, Abbau von Arbeitsplätzen, Einsatz von Niedriglöhnern und Billigfirmen, Verringerung der Lohnsumme, Minderung der Bau- und Betriebsqualität u.Ä. ausklammert, selbst dann kann man nicht von einer »spürbaren Entlastung« der öffentlichen Haushalte durch PPP sprechen. Selbst bei einem angenommenen, aber letztlich unwahrscheinlichen »Effizienzvorteil« von fünf bis zehn Prozent zugunsten der öffentlichen Seite könnten mit den verfügbaren Finanzmitteln sowieso nur fünf bis zehn Prozent mehr Bauten, Sanierungen und Dienstleistungen realisiert werden. Der zur Begründung herangezogene große Investitionsstau kann also logischerweise durch PPP gar nicht aufgelöst werden. Es könnten mit dem vorhandenen Geld bestenfalls fünf bis zehn Prozent mehr als mit der »traditionellen« Verfahrensweise investiert werden. In Frankfurt a.M. etwa sind durch die geschilderten Projekte (Bildungszentrum Ostend und vier neue Schulen) mindestens 450 Millionen Euro auf 20 Jahre gebunden, das sind wesentliche Teile des Schulhaushalts. Bestenfalls kann noch ein weiteres Projekt hinzukommen, bevor die Finanzmittel für die restlichen über 100 Schulen so eingeschränkt werden müssen, dass diese vollständig vergammeln. PPP muss deshalb auf wenige Pilotprojekte beschränkt bleiben. Diese »Leuchttürme« sollen weit in Stadt und Land und in die Welt hinausstrahlen und die Mehrheit
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der anderen Schulen im gnädigen Dunkel belassen. PPP ist nicht verallgemeinerungsfähig. Aber nichts ist so dumm und desaströs, dass es in diesem Milieu nicht praktiziert würde. Es gibt nämlich doch eine Möglichkeit der Verallgemeinerung: Wie gezeigt, werden im Landkreis Offenbach alle 90 Schulen durch PPP saniert und bewirtschaftet. Dies zehrt allerdings den gesamten Haushalt des Landkreises aus. Personal auch außerhalb des Schulbereichs wird in großer Zahl abgebaut, Dienstleistungen werden gestrichen. Der Landkreis wird zur Geisel seines »Leuchtturms«. Durch gesteigerten Patriotismus und abstrakte Disziplinforderungen versucht der Landrat, die PPP-Volksgemeinschaft um das strahlende »Goldene Riesenkalb« zusammenzuhalten. Die Präsidenten der Landesrechnungshöfe haben nach detaillierter Prüfung ausgewählter Projekte schon frühzeitig festgestellt, dass die versprochenen Vorteile für den Staat nicht realisiert werden. Sie stellen zudem fest: »Bei PPP-Projekten treten andere laufende Ausgaben an die Stelle von Zins- und Tilgungslasten und belasten künftige Haushalte in gleicher oder ähnlicher Weise […] PPP-Projekte, die sich die öffentliche Hand konventionell finanziert nicht leisten kann, darf sie sich ebenso wenig alternativ [d.h. mithilfe von PPP, WR] finanziert leisten.«1 Die Rechnungshöfe aller Ebenen haben ihre Kritik zu verschiedenen Aspekten mehrfach wiederholt. Der Bericht des Revisionsamtes der Stadt Frankfurt a.M. wurde ausführlich dargestellt (vgl. S. 74ff.). Der Landesrechnungshof von Baden-Württemberg wies u.a. auf die Fragwürdigkeit von Wirtschaftlichkeitsvergleichen hin.2 Die Präsidenten der ostdeutschen Rechnungshöfe warnten, dass die Risiken einseitig bei der öffentlichen Hand liegen.3 »Der Bayerische Oberste Rechnungshof stellte zu den PPP-Straßenprojekten in Bayern fest: Der ORH hat bei den Investitionen keinen Kostenvorteile festgestellt, die nicht auch bei konventioneller Verwirklichung erreichbar wären. Demgegenüber verteuert die private Vorfinanzierung die Maßnahme.«4 Der Bundesrechnungshof hat ein vernichtendes Urteil über die Autobahnprojekte erstellt (vgl. S. 147).
1 | Bayerischer Oberster Rechnungshof: PPP-Projekte: Rechnungshöfe warnen vor langfristigen Risiken, Pressemitteilung der Präsidenten der deutschen Rechnungshöfe 5.2.2006. 2 | Rechnungshof Baden-Württemberg: Rechnungshof dämpft ÖPP-Euphorie, Pressemitteilung 16.3.2009. Der dazugehörige Bericht heißt »Wirtschaftlichkeitsanalyse von ÖPP-Projekten der ersten und zweiten Generation bei Hochbaumaßnahmen des Landes«. 3 | Rechnungshöfe warnen Kommunen vor privatem Geld, die tageszeitung 28.8.2007. 4 | Bayerischer Oberster Rechnungshof: Öffentlich Private Partnerschaften im Staatsstraßenbau, TNr 18 25.10.2007.
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Doch diese Analysen,5 so gemäßigt sie sind, werden von der Lobby weggewischt. Auseinandersetzung damit gibt es nicht. Totschweigen heißt die Methode. Dabei wissen es auch die Befürworter genau – jedenfalls wenn sie unter sich sind: »Die Verpflichtung zur Zahlung eines laufenden Entgelts in einem ÖPP-Projekt ist einer Kreditaufnahme gleichzustellen.«6 Deshalb stellt der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) fest, dass man gerade mit dem verschuldeten Staat keine PPP-Verträge machen dürfte, eigentlich. Denn privates Kapital müsse immer aus öffentlichen Haushalten oder aus Nutzerentgelten refinanziert werden. Da aber knappe öffentliche Mittel gerade die Ursache für PPP sind, stehen sie zur Refinanzierung nicht zur Verfügung.7 Aber um an Aufträge zu kommen, macht man trotzdem PPP. Denn mithilfe des frühzeitigen Forderungsverkaufs und neuer Finanzprodukte (Infrastrukturfonds) brauchen die privaten Investoren nicht abzuwarten, ob der Staat die jahrzehntelange Mietzahlung durchhält. Sie kommen ja großenteils schon am Anfang zu ihrem Geld. Wie und ob der erpresste bzw. korrupte bzw. haftende bzw. überschuldete bzw. mitorganisierende Staat in Zukunft die Entgelte aufbringen kann, das muss sie nicht kümmern. Sie wissen: Der Staat wird zahlen, und wenn er dafür die steuerund gebührenzahlenden Bürger, vor allem die abhängig beschäftigten Lohn- und Gehaltsempfänger, noch stärker schröpfen oder zu noch niedrigerer Entlohnung zwingen muss als bisher. Das ist die zynische Erfüllung der im PPP-Leitfaden des Bundes geforderten »Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit«.8 PPP mit den dazugehörigen Finanzpraktiken einschließlich der Gewinngarantie ist Teil eines Gesamtverhaltens. Die Bundesregierung, die Europäische Kommission, das politische Establishment, Banken, Investoren und Berater fördern – entgegen ihren öffentlichen Forderungen nach »Haushaltsdisziplin« – nicht die Entschuldung des Staates, sondern das Gegenteil. Sie fördern in vielfältigen praktischen Formen und durch Gesetze diejenigen Finanzakteure, die die weitere Überschuldung und finanzielle Fesselung des Staates betreiben oder bewirken und dafür auch noch staatliche Rückversicherung erhalten. So haben sich auch Banken im Staatseigentum – wie die Westdeutsche Landesbank, die Bayerische Landesbank, die HSH Nordbank, Sächsische 5 | Vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, Sabine Arends, Referat ID 1, Zusammenstellung der Veröffentlichungen aller Rechnungshöfe zu PPP 19.8.2010. Die Zusammenstellung wurde aufgrund einer Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke erstellt. 6 | Ernst & Young: Privatisierungen und ÖPP als Ausweg?, Frankfurt 2007, S. 29. 7 | Thesen des VDV zu ÖPP für die Schieneninfrastruktur, in: PPP Infrastructure April 2007, S. 16. 8 | Leitfaden »Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen bei PPP-Projekten«, erstellt im Auftrag der Finanzministerkonferenz September 2006, S. 15.
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Landesbank (SachsenLB) und die Industriekreditbank (IKB) – durch hochspekulativen Handel mit faulen US-Hypothekenkrediten und anderen Spekulationsgeschäften in die Insolvenz geritten. Sie gehen aber nicht in Insolvenz, werden gar nicht den behaupteten »Gesetzen des Marktes« unterworfen, sondern werden schnell und »unbürokratisch« auf Staatskosten saniert. Auch die großen internationalen Banken wie die Deutsche Bank und die Citigroup werden in den USA, in der Europäischen Union und in Deutschland durch die staatlichen Zentralbanken bzw. die Europäische Zentralbank mithilfe von Überbrückungskrediten saniert.9 Die SachsenLB ist die einzige ostdeutsche Landesbank, gegründet und protegiert durch den langjährigen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, seine Nachfolger und deren dubiose Gefolgschaft. Biedenkopf, der Privatisierungs-Fundamentalist,10 galt und gilt als wirtschaftlich besonders kompetent. Sein Anliegen war das Wohlergehen von Groß- und Finanzinvestoren, denen die sächsischen Landesregierungen Steuervorteile und demokratische Verfahren zu Füßen legten und legen.11 Der größte Anteilseigner der IKB war die bundesstaatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Anteilseigner ist ebenfalls die Bank Oppenheim, die seit Jahrzehnten, über Parteigrenzen hinweg, regierungsnah operierte, korruptive Praktiken eingeschlossen, und einer der großen Privatisierungsakteure in der Bundesrepublik.12 Nach den Worten der KfWVorstandssprecherin Ingrid Matthäus-Meier war die IKB für die Staatsbank »das Ohr am Markt«.13 Als das staatliche »Ohr am Markt« wegen Spekulation mit US-Ramschpapieren bankrott ging, prüfte die Bundesregierung keine Schadensersatzansprüche gegen Vorstand, Aufsichtsrat, Eigentümer und Wirtschaftsprüfer, sondern erfüllte die Forderungen der Banken wie der Deutschen Bank, die der IKB die Kredite für die unseriösen Spekulationen gegeben hatten.14 PPP ist ein neuer finanzieller Rettungsanker für politische und ökonomische Akteure, die im Sinne von Volkswirtschaft und Gemeinschaft keine Verantwortung übernehmen und eigentlich abgewirtschaftet haben. Sie haben die bisherige Überschuldung organisiert. Ohne dies als ihren eigenen Fehler einzugestehen, spielen sie sich jetzt als Retter der von ihnen selbst angerichteten Misere auf. Während sie mithilfe des Ab9 | Werner Rügemer: Wie die Banken nach der Immobilienspekulation auf Kosten der Gemeinschaft gerettet werden, BIG Business Crime 4/2007, S. 30ff. 10 | Vgl. Werner Rügemer: Die zweigeschossige Streuobstwiese. Fünf politische Konkursmärchen aus dem Abwasser-Reich des Königs Kurt von Sachsen, Dresden 1999. 11 | Vgl. ders.: Privatisierung in Sachsen. Eine Bilanz, Dresden 2002. 12 | Vgl. ders.: Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred von Oppenheim, Frankfurt a.M. 2006. 13 | IKB-Zweckgesellschaft Rhinebridge wird abgewickelt, Handelsblatt 20.10.2007. 14 | Handelsblatt 20.10.2007.
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baus von Grundrechten und Sozialstandards und mithilfe von Privatisierungen die traditionelle Staatsverschuldung zu verringern vorgeben, verschärfen sie sie gleichzeitig mithilfe von neuen Formen der verdeckten, indirekten Verschuldung. PPP ist für sie die bequemste Lösung: Unter dem Anschein »innovativer« Lösungen machen sie im Prinzip so weiter wie bisher. Die Akteure bekämpfen öffentlich mit großem Pomp die traditionell herbeigeführte Staatsverschuldung. Die Regierung präsentiere, so lobt die herrschende Meinungsmafia nach jedem rigorosen Sparpaket, »in Rekordgeschwindigkeit gesundete Staatsfinanzen«.15 Aber diese »Gesundung« macht Menschen krank und ohnmächtig. Der Staat schöpft Milliardenbeträge aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung ab, die nicht für Arbeitslose verwandt werden. Der Staat verkauft öffentliches Vermögen, Wohnungen, Stadtwerke, Bahnen, die Preise für die Nutzer steigen. Diese »Gesundung« verarmt die Gemeinschaft. Nach »Finanzkrise« und Bankenrettung geht das Spiel in neuen Dimensionen weiter. Diese »Gesundung« schließlich verarmt diejenigen direkt und persönlich, für die der Staat angeblich da ist. Erhöhung der Mehrwertsteuer, neue staatliche Gebühren, Studien- und Kindergartengebühren, Abschaffung der Lernmittelfreiheit, »Eigenbeteiligungen« bei Renten und medizinischen Diensten, Praxisgebühren, Zusatzversicherungen, Verringerung der Sozialtransfers und so weiter und so fort: Der Staatshaushalt, die Sozialsysteme und die Banken »gesunden«, aber Millionen Menschen werden schrittweise zu Skeletten abgemagert, sie stagnieren, erkranken, hungern, verwahrlosen, sterben früh. Die bis Ende 2010 vergebenen PPP-Aufträge dürften ein Finanzvolumen von schätzungsweise 35 Milliarden Euro darstellen; der Betrag setzt sich aus den anfänglichen Investitionen und den Entgelten für den langfristigen Betrieb zusammen: • Die Bundeswehr hat daran einen Anteil von 12,959 Milliarden Euro (Fürst Wrede Kaserne, LH Bekleidung, Fuhrparkservice, Heeresinstandsetzungslogistik, Simulatorausbildung NH 90, IT-Projekt Herkules). • Die vier laufenden Projekte des Verkehrsministeriums (Autobahnabschnitte) werden mit 3,281 Milliarden Euro veranschlagt.16 • Der Rest sind die ca. 160 laufenden Projekte der Bundesländer und der Kommunen. Berücksichtigt man noch die bisher konkret ausgerechneten fünf der geplanten elf Autobahnabschnitte, dann kommen weitere 3,734 Milliarden Euro hinzu. Berücksichtigt man außerdem die ca. 120 geplanten Länder15 | Geld im Überfluss, Der Spiegel 44/2007 29.10.2007. 16 | Alle Angaben nach Bundeshaushaltsplan 2010, Übersichten Teil X: ÖPP-Projekte und privat vorfinanzierte öffentliche Baumaßnahmen 28.12.2010, S. 73.
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und kommunalen Projekte, dürfte dies etwa mindestens zusätzliche 10 Milliarden Euro ausmachen. Die 35 Milliarden Euro müssten folglich der offiziell in den öffentlichen Haushalten ausgewiesenen Verschuldung hinzugefügt werden, mit der Perspektive, dass dieser Betrag sich in den nächsten Jahren um weitere etwa 13 Milliarden Euro erhöht.
XII. Die Zerstörung der eigentumslosen Privatheit
Die PPP-Investoren verbergen sich hinter anonymen, verwinkelten Rechtskonstruktionen. Die Geldflüsse und internen Effizienzgewinne sollen geheim bleiben. Die finanziellen Verpflichtungen des Staates und der Kommunen werden an unbekannte Finanzakteure weiterverkauft. Der Staat geht langfristige Verpflichtungen ein, die nicht nur den Bürgern, sondern auch den Parlamenten verheimlicht werden. Die in Kenntnislosigkeit gehaltenen Bürger und Volksvertreter sollen »den Investor« als allmächtigen Problemlöser, als Heiligengestalt des Zeitalters und einer besseren Zukunft verehren, anstarren und ihm die Demokratie, den Rechts- und Sozialstaat zu Füßen legen. Die Vertragsfreiheit als wesentliches Merkmal der Privatautonomie wird bei PPP zuschanden. Die politischen Beschlussgremien beschließen Verträge, die sie nicht kennen und nicht kennen dürfen. Die Mängel an den PPP-Billigbauten soll der Bürger, der Schüler, der Lehrer, der Patient ertragen, oder er kann sich im Dschungel der Projektgesellschaften und Subunternehmen zum angeblich »Verantwortlichen« durchschlagen, um zu erfahren, dass der gerade nicht da ist und das persönliche Aufsuchen von »Verantwortlichen« ohnehin ungehörig ist. Jede Detailinformation an Außenstehende über ein unter PPP-Regie stehendes Gebäude untersteht dem ängstlichen Hinweis auf den Investor und auf die Schweigepflicht. PPP zerstört den öffentlichen, demokratischen, republikanischen Raum, indem das private Hausrecht an die Stelle des öffentlichen Rechts tritt. Das vom Privatunternehmen und seinen Anwälten und Wirtschaftsprüfern definierte Betriebsgeheimnis steht über der Demokratie. PPP ist gleichbedeutend mit Verachtung der Demokratie. Nicht nur die Bürger, sondern auch die Abgeordneten, Stadt-, Gemeinde- und Kreisräte werden zu Claqueuren degradiert. Die politischen Beschlussgremien und die Kommunalaufsicht werden zur Akklamations-Staffage. Gewählte Volksvertreter werden als Unmündige behandelt, die die PPP-Verträge ohnehin
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nicht verstehen können. Sie werden als unsichere Kantonisten behandelt, denen man die wichtigen Betriebsgeheimnisse nicht anvertrauen darf. Während die uniformen Massen der Privatbürger mit stundenlanger Tätigkeit am Personal Computer gefüttert werden und ihre eifrige Einsamkeit am hilflosen Ende des digitalen Netzwerks als neue Selbständigkeit gestalten sollen, werden gleichzeitig von den privaten Unternehmen, auch über eGovernment, alle erreichbaren Daten der Nutzer heimlich gesammelt, ausgewertet, neu verknüpft, weiterverkauft. Die auf Wissenschafts- und Expertenebene wie in der Bertelsmann Stiftung ausgearbeiteten Konzepte transformieren den Staatsbürger und den Arbeitenden – ebenso wie den Arbeitslosen – zum »Kunden«, der von autokratischen Eliten gelenkt wird. Es wird ein Menschentyp anvisiert, den Bertelsmann als Konzern mit seinen Massenunterhaltungs-Formaten (RTL, RTL 2, RTL 3, RTL 4, RTL 5, Super RTL, Vox usw.) anspricht, bedient, unterhält, ablenkt mit Softporno, albernen Börsenberichten, Skandalgeschichten, Autorennen, Live-Zerfleischungen von publizitätssüchtigen Nobodys: Gefördert wird das außengeleitete, desinformierte, gesellschaftlich ohnmächtige Individuum, dem seine intrinsische Motivation entgleitet, das in Konkurrenz mit seinen ebenfalls benachteiligten Mit-Individuen nach dem jeweils nächsterreichbaren finanziellen Anreiz schnappen und sich zugleich als fröhlicher Teil der großen Unterhaltungsgemeinschaft fühlen soll. Nicht nur Bertelsmann will die Gesellschaft und die politischen Prozeduren nach dem Modell eines durchtechnisierten, autoritären Konzerns umgestalten. Eine Macht- und Informationselite trifft die Entscheidungen, die Mehrheits-Bürger sollen als tariffreie und zugleich leistungsorientierte Arbeitsbienen arbeiten. In ihrer arbeitsfreien Zeit sollen sie nicht als Bürger, sondern als Kunden agieren; dabei zeichnen sich die Kunden allerdings nicht dadurch aus, dass sie gut bedient werden, sondern dass sie selbst dienen und die Verwaltungsarbeit, die bisher staatliche und kommunale Behörden erledigten, so weit wie möglich selbst übernehmen. Privatisierung fördert, steigert, schützt gerade nicht die private Aktivität und die Privatheit der Bürger, sondern hebt sie tendenziell auf. Das einklagbare Recht auf Schutz der Privatsphäre der Staatsbürger ist eine Errungenschaft von Demokraten aus dem Kampf gegen Fürsten- und Obrigkeitswillkür. Dieses Recht kommt nun nicht mehr den Individuen als Staatsbürgern zu, sondern den juristischen Personen, insbesondere den großen Investoren und Finanzakteuren. »Das Ende der Privatsphäre«1 gilt für sie gerade nicht. Wenige geschützte Groß-Privateigentümer bestimmen, durchdringen und zerstören die Privatheit der Individuen, die über kein oder nur geringes Privateigentum verfügen. Privatisierung fördert, schützt die Privatheit 1 | Vgl. Peter Schaar: Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in den Überwachungsstaat, München 2007.
XII. D ie Z erstörung der eigentumslosen P rivatheit
der Großinvestoren und zerstört die staatsbürgerliche Privatheit, also eine Quelle der Freiheit und der Zivilität. Wer kein nennenswertes Eigentum besitzt und dessen Macht einsetzen kann, hat keine Privatheit mehr oder nur noch eine hilflose, pervertierte. Auch Recht und Justiz passen sich dem an. Das neue Medienrecht bzw. die Medienrechtspraxis machen es möglich, dass Unternehmen »Persönlichkeitsrechte« für sich einklagen und deren Verletzung mit hohen Strafen ahnden lassen können. Zu diesen Rechten gehört nach Grundgesetz das Recht des Einzelnen auf Achtung und Entfaltung seiner Persönlichkeit gegenüber dem Staat und im privaten Rechtsverkehr. Im Besonderen gehören dazu das Recht auf den eigenen Namen, am eigenen Bild, auf die eigene Urheberschaft und auf die personenbezogenen Daten.2 Nun aber fordern Konzerne, Banken und Finanzakteure diese Persönlichkeitsrechte für sich, und dies gerade in der Situation, in der sie sich selbst immer mehr anonymisieren und die bisherigen Publizitätspflichten nach Aktien-, GmbH- und Handelsrecht unterlaufen. Diese Entwicklung begann übrigens in den USA, wo Unternehmen durchsetzten, als Individuen mit dem Recht auf freie Rede anerkannt zu werden, um wie Bürger Geld an Parteien spenden zu können.3 So reklamiert z.B. die Bank Sal. Oppenheim, bis zum Bankrott 2009 einer der einflussreichen Privatisierungsakteure in Deutschland (vgl. S. 100), »Persönlichkeitsrechte« für sich und verfolgt deshalb Autor, Verlag und Vorwortverfasser des Buches »Der Bankier« mit zahlreichen juristischen Verfahren.4 PPP fördert Arbeitslosigkeit, Niedriglöhnerei und Arbeitsverdichtung. Denn in der »günstigeren Personalbewirtschaftung«, verbunden mit Tarifflucht, liegen wesentliche Effizienzgewinne, die als Vorteile von PPP gepriesen werden. So verschärfen die Unternehmen, Berater und Politiker, die PPP als Heilmittel verkaufen, gleichzeitig das Problem, das sie zu beheben vorgeben. Damit werden auch in die Erledigung von öffentlichen Aufgaben die wachsende Asozialität und Grausamkeit eingeführt, die inzwischen für die neoliberal gestaltete Arbeitswelt typisch sind. Dass mit solchen Methoden und (de)motivierten Beschäftigten zudem die Qualität der Dienstleistungen sinkt, ist eine unausweichliche Konsequenz. Mit PPP wird auf die Dauer die Dienstleistung nicht nur schlechter und teurer. Sie bewirkt auch keine Privatisierung im möglicherweise positiven Sinne. Nicht die Privatheit der Bürger wird gestärkt in dem Sinne, dass sie ihre Persönlichkeit kräftigen und selbst aktiv werden und bei der Lösung gemeinschaftlicher Aufgaben mitwirken können. Gestärkt wird lediglich die Privatheit der Finanzakteure, die sich hinter ihren Betriebs2 | Vgl. Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Art. 2, Absatz 1. 3 | David Harvey: A Brief History of Neoliberalism, Oxford/New York 2005, S. 49 und 181. 4 | Hans See: Privatzensur. Vorwort zu Werner Rügemer: Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred Freiherr von Oppenheim, 3. geschwärzte Auflage, Frankfurt a.M. 2006, S. 7ff.
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geheimnissen und hinter dem Staat verstecken, sich in anonymisierten Tochtergesellschaften von Tochtergesellschaften unkenntlich machen, sich auf das Privatrecht nach angelsächsischem Vorbild zurückziehen und vor der Haftung fliehen.
XIII. Zurück zum Staat?
Die wachsende Skepsis in der Bevölkerung wird von den Privatisierungsund PPP-Akteuren aufmerksam beobachtet und nervös registriert. Die Bürger wollen ihren Staat wiederhaben; sie seien der neuen Unsicherheiten müde und wollten wieder »Sicherheit«, so stellen die Ideologen fest. Die neue Sehnsucht nach dem Staat krieche durch die Leserbriefspalten und Umfragen, polemisiert der neoliberale Staatskritiker. »Wir wollen keine Coca-Cola-Schule, schreien Lehrer und Lokalpolitiker.«1 So wird die ersehnte »Rückkehr zum Staat« als neue Kuscheligkeit und populistischer Sirenengesang politischer Weicheier diffamiert.
D as primitive K lischee »S ta at oder P rivat« Nichts ist dem Staatskritiker und Privatisierungsbefürworter zu dämlich, um für seine Sache zu werben. So erkennt er die angebliche Kümmerlichkeit des Staates auch an Folgendem: Bei einem Abendessen mit dem Bundespräsidenten in Schloss Bellevue werde man gerade mal mit vier Gängen abgespeist, während der Berlin Capital Club bei seinem beliebten Überraschungsmenü großzügig zwölf Gänge biete.2 Dieses »Argument« hat in seiner primitiven Dämlichkeit und Direktheit durchaus einen wahren Kern. So sind und denken diese Leute wirklich. Wo es für sie selbst mehr zu fressen gibt, da gieren sie hin, da erspähen sie das überlegene System. Überall da, wo die neoliberalen Konzepte umgesetzt wurden – und zu ihnen gehören Privatisierung und PPP –, überall da sind die Armutsund Reichtumsrelationen zurückgekehrt, wie sie etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschten – vor Einführung der Demokratie. Mit Privatisierung und PPP eignen sich die Finanzakteure zu Schleuderpreisen und Er-
1 | Financial Times Deutschland 6.9.2007: Das Comeback des Jahres. 2 | Financial Times Deutschland 6.9.2007.
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pressungsbedingungen den öffentlichen Reichtum an, der im Laufe eines Jahrhunderts aufgebaut wurde.3 Richtig ist: Privatisierung im Allgemeinen und PPP im Besonderen kommen nicht über Nacht. Die Entdemokratisierung und Überschuldung des Staates, seine heimliche und offene, seine berechtigte und seine demagogische Diskreditierung haben einen langen Vorlauf und viele Gründe. Deshalb besteht die Alternative keineswegs darin, zu dem Staat zurückzukehren, der die Misere verschuldet hat und schon wieder eine falsche Lösung propagiert. Die »Rückkehr zum Staat« ist ohnehin nicht die Lösung. Der primitive Gedankenhaushalt der Privatisierungs-Fundamentalisten zeigt sich auch in der klischeehaften Entgegensetzung »Staat oder privat«. Das Problem ist nicht so einfach, jedenfalls nicht so primitiv. Den bisherigen Staat, den Staat der Privatisierer und Bankenretter, wollen wir nicht zurück. Nun kommen vielfach Rückverstaatlichung und Rekommunalisierung auf die Tagesordnung. So hat ein Verbund von 50 Stadtwerken, geführt von Frankfurt, Hannover und Nürnberg, für drei Milliarden Euro die Thüga AG gekauft. Diese Holding bündelt 40 Stadtwerks-Beteiligungen, die vom Energiekonzern Eon im Laufe des letzten Jahrzehnts zusammengekauft worden waren. Ein solcher Verbund kann als Marktmacht für den Einkauf von Energie durchaus günstig sein; allerdings entfernen sich insbesondere die großen Stadtwerke von »ihren« Städten und Bürgern, behindern alternative Energieproduzenten, setzen ihre Gewinne für überregionale und internationale Expansion ein. Die neue Thüga sucht zudem einen internationalen Großinvestor, der als strategischer Partner die Marktmacht absichern soll.4 So kann aus einem kommunalen Verbund schnell ein neuer Konzern werden, der für die Bürger hohe Preise und keine ökologische Alternative bringt und den politischen Einfluss noch weiter einschränkt – das ist keine Re-Kommunalisierung nach neuen Prinzipien. Zwischen 2011 und 2015 laufen in Deutschland etwa 1000 Konzessionsverträge aus, in denen Kommunen auf ihrem Territorium den Energiekonzernen für einen befristeten Zeitraum zwischen 10 und 30 Jahren den Bau und den Betrieb von Leitungsnetzen für Gas und Strom einräumten. Wenn die Kommunen die Netze selbst betreiben, ist der Gewinn daraus höher als die Abgaben, die sie von den Konzernen bekommen. Das wird jetzt allmählich begriffen. Allerdings sind für die Übernahme und den Betrieb Kapital und kompetentes Personal erforderlich, die jetzt nicht so einfach zur Verfügung stehen.5 In Hamburg beispielsweise läuft im Jahre 2014 die Konzession an den Vattenfall-Konzern für das Energienetz aus. Die Initiative »Unser Ham3 | Vgl. David Harvey: A Brief History of Neoliberalism, Oxford/New York 2005, S. 152ff. 4 | Die neue Thüga öffnet sich dem Kapitalmarkt, Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.6.2010. 5 | Unterschätzte Risiken, Süddeutsche Zeitung 12.7. 2010.
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burg – unser Netz«, zusammengesetzt aus Umwelt- und Verbraucherverbänden sowie kirchlichen Organisationen, fordert nicht nur den Rückkauf durch das Land Hamburg, sondern: Die Netze für Strom, Gas und Fernwärme sollen überhaupt wieder in das öffentliche Eigentum überführt werden.6 Bisher ist der Rückkauf nur in einigen kleineren Städten gelungen.7 Die Interessen der Mehrheit und der gegenwärtigen Stadtoberen können durchaus zeitweise zusammenfallen. So wurde die Forderung des Stuttgarter Wasserforums, die 2002 an Energie Baden-Württemberg (EnBW) verkauften Neckarwerke Stuttgart (Gas, Strom, Wasser) zurückzukaufen, lange belächelt. Doch am 17.6.2010 beschloss der Stuttgarter Gemeinderat den Rückkauf. In diesem Fall ist Geld da, weil die 2002 erlöste Summe nicht ausgegeben, sondern angelegt wurde.8 Ob und zu welchem Preis es zum Rückkauf kommt, ist offen. Gleichzeitig balgen sich Großinvestoren um die überregionalen und Hochspannungsnetze. Vattenfall hat sein Hochspannungsnetz an den belgischen Netzbetreiber Elia und den australischen Infrastrukturfonds Industry Funds Management (IFM) verkauft, nachdem die Verhandlungen mit Goldman Sachs, Allianz und Deutsche Bank gescheitert waren.9 Eon hat sein Netz an den niederländischen Netzbetreiber Tennet verkauft. Die EU treibt diese Verkäufe mit der Begründung voran, dass Transparenz und Wettbewerb gefördert werden. Doch Motiv und Ergebnis sind bisher ähnlich wie bei der vorherigen Phase der Deregulierung des Energiemarktes: globalisierte Oligopolbildung. Wenn diese Entwicklung nicht gestoppt wird, bleibt die Rede von der Rekommunalisierung eine leere Versprechung.
D ie einfache und intelligente A lternative Bei aller inszenierten Dramatik wird das wahre Ausmaß der öffentlichen Verschuldung verheimlicht. Wie in den seit 1990 gebildeten Schattenhaushalten des Zentralstaats und der Banken schlummern in den Kommunen jahrzehntelange heimliche Zahlungsverpflichtungen, die in Public-Private-Partnership-Verträgen, in Renommierprojekten, in Krediten privatrechtlicher städtischer Tochterunternehmen und in den Pensionen kommunaler Beamter10 versteckt sind. Auch durch die zunehmende Nutzung von kurzfristigen Kassenkrediten wird das Ausmaß der Verschul6 | http://www.unser-netz-hamburg.de 15.11.2010. 7 | Die Linke im Bundestag: Für starke Kommunen mit leistungsfähigen Betrieben, März 2010, S. 15. 8 | http://www.s-wasserforum.de 15.11.2010. 9 | Vattenfall-Netz geht an Elia, Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.3.2010. 10 | Die Zahl der kommunalen Pensionisten steigt von 105.000 im Jahre 2005 auf 165.000 im Jahre 2035, Welt am Sonntag 21.3.2010.
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dung verschleiert. Durch PPP werden auf allen Ebenen des Staates neue Schattenhaushalte gebildet. Hier ist erst einmal ein Kassensturz nötig, der alle Tricks berücksichtigt. Bürgerhaushalte haben Konjunktur. Was Stadtobere zunächst strikt abgelehnt haben, nutzen sie heute gern für ihre Zwecke. Der im brasilianischen Porto Allegre entwickelte Bürgerhaushalt sollte ursprünglich der intensiven öffentlichen Diskussion und Beschlussfassung über den kommunalen Haushalt dienen. Dazu lud die dortige Stadtverwaltung zu großen Versammlungen ein.11 Nach der begeisterten Aufnahme des Konzepts in Deutschland nahm sich auch die Bertelsmann Stiftung der Frage an und nahm dem Bürgerhaushalt seinen alternativen Charakter.12 So schmücken sich heute in Deutschland etwa 140 Stadtverwaltungen mit einem Bürgerhaushalt. Er wird ohne öffentliche Versammlungen durchgezogen. Die Bürger können sich – was ja viel moderner ist – übers Internet beteiligen. Dabei wird aber z.B. die Frage, wie die Stadt vom Staat mehr Einnahmen bekommen kann, grundsätzlich ausgespart. Vielmehr sollen die Bürger nur vorschlagen, wie und wo mehr und besser gespart werden kann: Es geht um »bügerbeteiligte Haushaltssicherung«.13 Ein Widerstand, der sich für die Interessen der Einwohnermehrheit einsetzt, muss sich deshalb in aller Regel gegen die eigenen Stadtoberen und gegen die Ratsmehrheiten richten – sie waren und sind Mittäter und Mitverursacher der weiterdauernden Finanz- und Wirtschaftskrise. Bei ihnen sind die immer häufigeren Bürger- und Volksbegehren und -entscheide überhaupt nicht beliebt. Als neues Argument gegen Bürgerbegehren wird jetzt gehäuft die Finanzkrise herangezogen: »Die Alternativvorschläge sind nicht finanzierbar«. So setzt sich in Erftstadt eine Bürgerinitiative für den Erhalt der Schwimmbäder ein, weil sie auch für den Schwimmunterricht der Grundschulen und für den Vereinssport notwendig seien. Doch die Ratsmehrheit aus CDU, FDP und Grünen erklärte das Bürgerbegehren für unzulässig, weil der Kommune das Geld für die Bäder sowieso fehle und Bürgerbegehren nur zulässig seien, wenn sie auch eine Finanzierungsalternative bieten.14 So wird unverblümt wegen der Verschuldung die Demokratie ausgesetzt. Aber ohne neue Formen der Demokratie ist keine Verbesserung möglich. Dies ist kein leichter Weg, denn die Mehrheit der Bürger hat trotz der rituellen Beschwörung »Die Kommunen sind die Basis der De11 | www2.portoalegre.rs.gov.br/portal_pmpa_novo/; Misereor u.a. (Hg.): Vom Süden lernen. Porto Alegres Bürgerhaushalt wird zum Vorbild für direkte Demokratie, 2002. 12 | Bertelsmann Stiftung/Hans-Böckler-Stiftung: Der Bürgerhaushalt, Güters loh 2002. 13 | Aus der Not in die Tugend, Die Zeit 8.7.2010. 14 | Bürgerbegehren scheitert in Erftstadt an Geldmangel, Kölner Stadt-Anzeiger 8.7.2010.
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mokratie« kaum das Bewusstsein, dass ihnen das kommunale Eigentum gehört. Punktuelle lokale Abwehrbündnisse und Bürgerinitiativen gegen die alte und die neue »Spar«politik sind zahlreich, im Jahr 2010 zahlreicher als je zuvor. Abwehr war und ist häufig – und aber auch häufig nicht erfolgreich, jedenfalls nicht langfristig. Gegenwärtig bilden sich jedoch Formen konzeptionellen Widerstands heraus. Einen systematischen Zugriff praktizieren die Initiativen gegen PPP-Projekte: Hier muss man sich exemplarisch mit einem ausgefeilten strukturierten Finanzprodukt auseinandersetzen und die bessere Alternative für Schulsanierung u.Ä. begründen. Dabei hilft inzwischen eine 2009 gegründete bundesweite Kampagne, die Analysen, Aktionshilfen und Referenten bereitstellt.15 Ebenfalls an einem wesentlichen systematischen Punkt setzt der Berliner Wassertisch an. Er will über ein Volksbegehren die bei Privatisierungen und PPP-Projekten übliche Geheimhaltung16 aufbrechen: Die Verträge über den Verkauf von 49,9 Prozent der Berliner Wasserbetriebe (BWB) an die Konzerne RWE und Veolia sollen offengelegt, die üblichen und auch hier gegebenen staatlichen Gewinngarantien für die privaten Miteigentümer sollen der Öffentlichkeit präsentiert und endlich offen diskutiert werden, um die Legitimation infrage zu stellen.17 Die bisherigen Mehrheitspolitiker versuchen gegenüber Kritikern rituell mit der Frage zu punkten: »Welche realistische und intelligente Alternative habt ihr denn?« Damit wollen sie sagen, dass es zu PPP und weiteren Privatisierungen und zur begleitenden »Spar-« und Kürzungspolitik keine Alternative gebe. Dass eine einfache und sehr intelligente Alternative darin besteht, die bisherigen Mittäter und Mitverursacher der Misere abzulösen, können sie nicht verstehen. Das ist verständlich. Da helfen Argumente und Fakten nur begrenzt, da hilft nur Druck durch die Mehrheit, die sich aus dem illusionären Kuschelkurs der Schicksals- und Volksgemeinschaft in Kommune und Staat verabschiedet. Da hilft, mit anderen Worten, nur Demokratie. Wer nicht hören will, muss fühlen. Den von Parteien und Investoren verwalteten Bürgern wird durch PPP die Infrastruktur und der öffentliche Reichtum nicht geschenkt und verbessert, sondern genommen und verschlechtert. Die Verwalteten sind nun auf ihre eigene Aktivität verwiesen. So besetzen etwa nicht mehr Randgruppen, sondern zwangsverwaltete Arme, unterstützt von Wissenschaftlern und Stadtplanern, unbewohnte und zwangsversteigerte Häuser.18 Gewerkschafter lernen, dass es nicht nur um Lohn und Arbeitsplätze geht, sondern dass sie sich auch um die Finanzierung einer sicheren öffentlichen Infrastruktur kümmern müssen. 15 | http://www.ppp-irrweg.de 21.11.2010. 16 | Werner Rügemer: Geheimnisverrat ist Bürgerpflicht, junge welt 24.4.2010. 17 | http://www.berliner-wassertisch.net 2.12.2010. 18 | Rob Robinson: Wir helfen Armen, Häuser zu besetzen, junge welt 8.7.2010.
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D emokr atische R ück versta atlichung Wesentlicher Inhalt der Gegenbewegung ist der Bruch des zentralen Tabus der »Spar«politik. Nicht im »intelligenten«, d.h. sozial bornierten »Sparen« liegt die Alternative, sondern in neuen Einnahmen. Dabei geht es nicht um solche wie die kommunale Bürgersteuer: Sie würde in neuer Form die bisher schon Geschröpften noch weiter schröpfen. Die Gewerbesteuer muss erhalten bleiben, jedoch auf alle Gewerbetreibenden (Anwaltskanzleien, Ingenieur- und Architektenbüros, Medizinpraxen usw.) ausgedehnt werden. Dass diese mittelständischen Betriebe von der Gewerbesteuer ausgenommen sind, geht übrigens auf das NS-Regime zurück: 1937 wollten sich die Nazis den Mittelstand als systemrelevant gewogen erhalten und befreiten ihn von der Steuer. Warum diese Tradition in einer Demokratie weitergeführt werden soll, ist nicht ersichtlich. Weiterhin müssen hohe Freibeträge bei Gewerbesteuer, Körperschaftssteuer, Erbschaftssteuer usw. abgeschafft und Gewinnverstecke in Finanzoasen geschlossen werden. Es geht um Steuern auf die großen Gewinne, Transaktionen, Vermögen und Erbschaften, und es geht um die Abschaffung von Steuerprivilegien und Steuerhinterziehung. Keine Gesellschaft kann gerecht und auf Dauer bestehen, wenn das Eigentum nicht in die Pflicht genommen wird. Weil die Mehrheit der Bevölkerung die öffentliche Infrastruktur wieder im öffentlichen Eigentum haben will, muss der Staat dafür die Voraussetzungen schaffen. Notwendig ist ein Gesetz zur Förderung der Rück-Verstaatlichung und Rekommunalisierung, verbunden mit einem staatlichen Infrastrukturfonds, der dafür finanzielle Mittel bereitstellt. Das sind Möglichkeiten und Notwendigkeiten auf der Höhe der Krisenzeit. Wie diese einfachen Maßnahmen gegen die herrschende Praxis durchzusetzen sind, darin besteht die eigentliche Probe auf die menschliche Intelligenz: Sie wird von den gegenwärtig herrschenden Sachzwang-Akteuren mit Füßen getreten, kann sich aber in der Assoziation der Freien bekanntlich erst richtig entfalten. Es ist nicht nur die Frage nach »dem Staat«, die wiederkehrt. Es ist vor allem die Frage, welchen Staat wir brauchen. Wer darf, wer soll, wer muss mit am gedeckten Tisch sitzen, an dem die Reichtümer der Gesellschaft verteilt werden? Sind es die wenigen Privateigentümer und ihre zahlreichen Mittäter in Wirtschaft, Politik und Medien, oder sind es alle Staatsbürger? Welcher Gegner der Menschenrechte muss an den Katzentisch (oder auch ins Gefängnis) verwiesen werden? So ist es die Frage nach dem Eigentum, die wiederkehrt, die Frage nach seiner gemeinschaftlichen, demokratischen Gestaltung und Verwaltung.19
19 | Vgl. Werner Rügemer: Privatisierung als neoliberale Staatsumgründung und die Alternative einer kooperativen Ökonomie, in: Horst Müller (Hg.): Die Übergangsgesellschaft des 21. Jahrhunderts, Norderstedt 2007, S. 140ff.
XIV. Gescheiterte Projekte
Für das Scheitern von PPP-Projekten gibt es verschiedene Kriterien. Zunächst bedeutet gegenwärtig jedes PPP-Projekt ein Scheitern. Wie immer es sich entwickelt oder ausgeht – unter den heutigen Bedingungen ist jedes PPP-Projekt riskant und teuer. Jedenfalls für die öffentliche Hand. Die private Seite dominiert, die öffentliche Seite ist unterlegen. Hinzu kommen der Verlust an Steuern und öffentlicher Kompetenz. Die Staatsverschuldung wächst zusätzlich. Die Demokratie wird unterhöhlt. Die menschliche Gemeinschaft scheitert in der demokratischen Gestaltung ihrer Angelegenheiten. Als gescheitert im engeren Sinne können die Projekte gelten, die durch die Regierung oder eine parlamentarische Mehrheit vorgeschlagen oder beschlossen wurden, aber durch öffentliche, meist außerparlamentarische Kritik nicht realisiert werden. Zu dieser wachsenden und sich qualifizierenden Kritik gehören gegenwärtig die Gewerkschaft ver.di, Attac, Rathaus-, Landkreis- und Parlamentsfraktionen der Linken, teilweise auch der Grünen, vereinzelt auch der SPD und der FDP. Solche abgelehnten, zurückgenommenen Projekte gibt es immer mehr, so in Hanau, Wiesbaden, Reutlingen, Bremerhaven, Chemnitz, beim Landschaftsverband Rheinland.1 In Ausnahmefällen bringt sogar ein parlamentarisches Gremium ein Projekt zu Fall. So stellte der Haushaltsausschuss des bayerischen Landtags fest, dass die von der Landesregierung angekündigten Vorteile beim PPP-Projekt des Gefängnisses Gablingen nicht nachweisbar sind. Das bereits beschlossene Projekt wurde nicht realisiert.2 Als gescheitert können weiter die Projekte gelten, die vereinbart und weiter durchgeführt werden, obwohl sie viel teurer werden oder zu anderen katastrophalen Ergebnissen führen. In diesem Sinne sind die in diesem Buch geschilderten Projekte Kölner Messehallen, 90 Schulen des 1 | Eine Übersicht findet sich auf http://www.ppp-irrweg.de 21.11.2010. 2 | Landtag stoppt Gefängnisneubau. Die private Finanzierung für eine neue Haftanstalt war unwirtschaftlich – Justizministerium verliert drei Jahre Zeit, Süddeutsche Zeitung 16.10.2009.
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Landkreises Offenbach und die Maut-Tunnels in Lübeck und Rostock gescheitert (vgl. Kap. VII): Sie laufen zwar weiter, sind aber durch Nachforderungen der Investoren schon in den ersten Jahren unvergleichlich teurer als ursprünglich versprochen und vereinbart. Zu diesen Projekten gehört auch die Hamburger Elbphilharmonie, deren Kosten sich innerhalb weniger Jahre verdreifacht haben.3 Zu den Projekten, die katastrophale Ergebnisse aufweisen, zählt die in diesem Buch ebenfalls geschilderte Autobahn A 1. Sie wurde zur »gefährlichsten Straße Deutschlands«, und die neu aufgetragenen Fahrbahnbeläge waren schon nach wenigen Monaten schadhaft. Ein anderes Beispiel dieser Art ist das Gymnasium im schleswig-holsteinischen Schwarzenbek: Wegen mangelnder Bauausführung durch Subunternehmer wurde der Schulbetrieb monatelang gestört; wegen Schimmelbildung musste der Investor Müller-Altvatter (Royal BAM Group) Klassenräume schließen. Da er sich mit dem Subunternehmer über die Verantwortlichkeit und die Kosten streitet, ist die Lösung des Problems ungewiss.4 Als gescheitert können auch die Projekte gelten, die weitergeführt werden, bei denen aber schon nach kurzer Zeit klar wird: Der aufgrund des Wirtschaftlichkeitsvergleichs »errechnete« Effizienzvorteil wird nicht eintreten. Dies ist etwa beim Kreishaus Unna (Westfalen) der Fall. Angeb lich, so die Berater Ernst & Young, die die Vertragsgestaltung begleiteten, sollte das Bausubstanzrisiko ganz zu lasten des Investors Bilfinger Berger gehen. Als sich jedoch Altlasten mit dem Giftstoff PCB im Baugrund herausstellten (deren Existenz schon seit Jahren vermutet wurde und worüber Bilfinger Berger informiert war) und die Tragfähigkeit wichtiger Betonteile nicht gegeben war, wollte der Investor nicht zahlen. Um den Baufortschritt nicht aufzuhalten, stimmte der Landkreis einem Vergleich zu, der ihn eine einstellige Millionensumme kostete. Sie war höher als der versprochene Effizienzvorteil.5 Das hessische Justizministerium stellte fest, dass das PPP-Gefängnis in Hünfeld nicht den Effizienzvorteil bringt, der dem Vertrag zugrunde liegt. Feierlich vom damaligen Ministerpräsidenten und PPP-Fundamentalisten Roland Koch 2005 eröffnet, zeigte sich schon zwei Jahre später, dass das Gefängnis teurer ist als ein staatliches Gefängnis. Die Mehrkosten betragen jährlich 700.000 Euro.6 Als gescheitert können des Weiteren die Projekte gelten, bei denen der private Investor in die Insolvenz geht und seine Verpflichtungen auf die 3 | Nah am Wasser gebaut. Richtfest eines Skandals – die Elbphilharmonie, Süddeutsche Zeitung 22.5.2010; Vollkommen entkoppelt, Focus 20/2010, S. 68. 4 | Skandal um Schimmel immer größer, Lauenburgische Landeszeitung 8.5.2010. 5 | Adrian Mork, Mitglied des Kreistags Unna: Referat bei der Konferenz des Bundes der Architekten NRW 2008. 6 | Der Traum ist geplatzt. Haftplätze in teilprivatisierter JVA Hünfeld kosten mehr als in staatlichem Gefängnis, Süddeutsche Zeitung 1.4.2008.
XIV. G escheiterte P rojek te
öffentliche Seite abwälzt. Dies ist etwa beim Freizeit- und Badepark Leimen der Fall: Der Bäderbetreiber s.a.b. verlangte schon nach einem Jahr statt der vereinbarten jährlichen Miete von 450.000 Euro das Doppelte. Als die Stadt nicht zahlte, schickte der Investor seine Projektgesellschaft in die Insolvenz. Die Stadt muss nach langwierigen und teuren Verhandlungen und mit einer zusätzlichen Kostenbelastung neu anfangen.7 Während s.a.b. in Leimen schon zwei Jahre nach Vertragsbeginn seine Insolvenz erklärte, dauerte es beim Bäderprojekt in Fürth vier Jahre: 2009 musste die Stadt wieder die Trägerschaft übernehmen, mit zusätzlichen Kosten. Der Investor hat seine kleine Projektgesellschaft aufgelöst und geht selbst ohne weitere Kosten aus der von ihm verursachten Katastrophe hervor.8 Beim Rat- und Kulturhaus der Stadt Gelsenkirchen (Hans-Sachs-Haus) explodierten die Nachforderungen des Investors Xeris, eines Konsortiums aus Deutscher Bank und den Baukonzernen Heitkamp und Imtech. Als das Gebäude nach zwei Jahren entkernt war, stellte sich heraus, dass die Sanierungskosten statt der im Jahre 2005 öffentlich verkündeten 22 Millionen Euro in Wirklichkeit mindestens 143 Millionen betragen würden. Die Stadt stieg aus dem Vertrag aus, was sie eine zweistellige Millionensumme kostete.9 Als gescheitert können auch die Projekte gelten, bei denen es sich um eine verschleppte Insolvenz handelt. Die ist beim Würzburger Projekt »Digitales Bürgerportal« der Fall, das in diesem Buch dargestellt wurde (vgl. S. 137). Der Investor Arvato/Bertelsmann erklärt keine Insolvenz, obwohl das Projekt von beiden Vertragspartnern als gescheitert angesehen und nicht fortgeführt wird. Man will die imageschädliche Insolvenzerklärung und die öffentliche Auseinandersetzung vermeiden. In anderen Fällen weigert sich der Investor jahrelang, seine Insolvenz zu erklären, obwohl er nichts mehr tut. Das ist etwa bei der Therme in Keitum (Insel Sylt) der Fall. Der Investor Deyle/Müller-Altvatter (Royal BAM Group) hat die vereinbarten Zahlungen erhalten, hinterlässt aber eine Bauruine. Er baut 7 | Werner Rügemer: Wieder baden gegangen. Scharping geht mit dem Freizeitund Badepark Leimen unter, junge welt 16.9.2008; Brisanten Vertragsteil genutzt, Badische Allgemeine Zeitung, Ausgabe Leimen 1.4.2009; vgl. auch Kap. VIII. 8 | Vgl. http://www.wasserbündnis.fuerth.org. Zum Bündnis gehören BUND, Attac, ver.di, Mieterverein, Sozialforum u.a. 15.10.2010. 9 | Werner Rügemer: Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz, Münster 2008, S. 136f.; der Gelsenkirchener Oberbürgermeister Oliver Wittke, der den für die Stadt so schädlichen Vertrag vereinbart hatte, musste zurücktreten, fiel dann aber auf der CDU-Leiter nach oben: er wurde Verkehrsminister in der CDU/FDPLandesregierung unter Ministerpräsident Rüttgers; der Gelsenkirchener Kämmerer Kampmann, der mit Wittke den Vertrag ausgehandelt hatte, stieg danach zum Finanzverantwortlichen des WDR auf; das Renommee der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price Waterhouse Coopers, die die Stadt bei der Vertragsgestaltung beraten hatte, wurde in diesen Kreisen offensichtlich nicht beschädigt.
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nicht weiter, weil die Gemeinde nicht auf die Nachforderungen eingeht. Sie ergeben sich u.a. daraus, dass der Investor inzwischen an der bisher von ihm angenommenen künftigen Besucherzahl zweifelt. Die Stadt hat bereits zwei Millionen Euro für ein erfolgloses Schiedsverfahren ausgegeben.10 Die Projekte, die in anderen Staaten nach unterschiedlichen Kriterien als gescheitert gelten, sind Legion. Hier seien nur einige der größten Projekte genannt. Der französische Rechnungshof (Cour des comptes) stellte fest, dass die privat betriebenen Gefängnisse – sie machen etwa die Hälfte aller Gefängnisse in Frankreich aus – wesentlich teurer sind als die staatlichen Gefängnisse und dass die Leistungen der privaten Betreiber schlechter sind. Gleichzeitig sind die Entgelte an die privaten Betreiber langfristig festgelegt, sodass der staatlichen Gefängnisverwaltung nach den Vorgaben ihres Haushalts nichts anderes übrig bleibt, als die Budgets für die staatlichen Gefängnisse zu kürzen; deren Gebäude verfallen immer mehr. Die privaten Betreiber verkaufen den Häftlingen in den Kantinen die Rasierklingen und Brotaufstriche weit über dem Einkaufspreis, gleichzeitig investieren sie weniger als staatliche Gefängnisse in Maßnahmen für Bewährung und Wiedereingliederung. Während in staatlichen Gefängnissen für eine Stunde Berufsausbildung der Häftlinge 7,28 Euro pro Stunde berechnet werden, kassieren die Privaten mehr als das Doppelte, nämlich 17,23 Euro – und das, obwohl sie dafür Personal einsetzen, das weniger qualifiziert ist. Diese Praxis deckt sich in vielen Punkten mit den Erfahrungen bei PPP-Gefängnissen in England.11 Die Insolvenzen der beiden Investorengruppen bei der Londoner U-Bahn wurden in diesem Buch ausführlich dargestellt, ebenso die ausufernden Kosten anderer englischer Projekte (vgl. Kap. II, III und IV). Der französische Konzern Veolia (damals Vivendi) gewann 2001 den PPP-Vertrag zu Bau und Betrieb der Kläranlage von Brüssel, unter anderem mit dem Versprechen, eine neue und hochwirksame Reinigungstechnologie einzusetzen. Die Anlage sollte 2007 in Betrieb gehen. Doch die Reinigungsanlage funktionierte nicht. Veolia forderte über die vereinbarte Miete hinaus zusätzlich 40 Millionen Euro, um die Anlage zu verbessern. Veolia beschuldigte die Stadtverwaltung, dass das Abwasser nun eine andere Zusammensetzung habe und viel mehr Sand enthalte, worauf die Reinigungstechnologie nicht eingestellt sei. In Wirklichkeit stellte sich aber heraus, dass Veolia die Technologie noch nie bei kommunalen Abwässern erprobt hatte, sondern nur bei Industrieabwässern. Die Stadtverwaltung weigerte sich, die 40 Millionen zu bezahlen. Veolia musste täglich 200 Tonnen Klärrückstände per Lastwagen auf Deponien 10 | Keitum Therme – verschwundene Millionen und offene Fragen, Sylt Live 9.7.2008; Ein Fall für die Staatsanwaltschaft? Sylter Spiegel 9.7.2008; Dirk Ipsen (Hg.): Sylt – verraten und verkauft, Sylt-Ost 2008. S. 115ff. 11 | Prisons: la gestion privée épinglée par la Cour des comptes, Le Monde 21.7.2010; zu England vgl. Kap. IV.
XIV. G escheiterte P rojek te
in Deutschland wegschaffen. Veolia wollte sich aus dem Vertrag freikaufen, fand aber keinen Käufer. 2009 schloss der Investor für 10 Tage die Kläranlage, die ungeklärten Abwässer überfluteten die Flüsse Flanderns und die Küste. Zahlreiche Gemeinden klagen wegen Umweltschäden. Die Brüsseler Stadtverwaltung und Veolia verkehren nur noch über ihre Rechtsanwälte. Der Ausgang ist ungewiss.12 Gerade in den Staaten, die von der Lobby als »reif« bezeichnet werden und in denen die meisten PPP-Projekte laufen, sind die gescheiterten Projekte am zahlreichsten. In den USA, Kanada und Australien haben sich die Investoren vor allem bei Straßen, Tunnels und Autobahnen »verrechnet«. Sie haben, um die Verträge zu bekommen, das Verkehrsaufkommen und die Mauteinnahmen viel zu hoch prognostiziert und rufen nun nach zusätzlichen Staatshilfen. Der australische Staat musste Flughafenzubringer, Krankenhäuser, Gefängnisse und eine Sportarena in eigene Trägerschaft zurücknehmen. Auch in postsozialistischen Staaten erwiesen sich Mautstraßen-Projekte als Fehlkalkulation, ebenso Abwasser-ReinigungsProjekte in Lateinamerika, USA, Indien, Tansania, Kenia.13 Man könnte staunen, wie viele Projekte im Bereich der EU scheitern, bei denen der Staat schließlich doch die ganze Verantwortung übernehmen musste, was von der EU-Kommission aber niemals öffentlich reflektiert wird.14 Die gescheiterten Projekte sind auch deshalb aussagekräftig, weil die renommiertesten Investoren (Veolia, Hochtief, Bilfinger Berger, Bouygues, Serco, Royal BAM Group, Bombardier. Bertelsmann etc.), Banken (Macquarie, Commerzbank, Deutsche Bank usw.) und Berater (Ernst & Young, Price Waterhouse Coopers, Alfen Consult u.a.) beteiligt sind. Die Fälle sind ungleich häufiger, als in der Öffentlichkeit bekannt. Die Ministerien, politischen Parteien und großen Medien feiern jeden neuen Vertrag und jedes neue Projekt, aber über die Ergebnisse schweigen sie meist. Auch die PPP-Lobbyisten schweigen in ihren zahlreichen Konferenzen, jedenfalls im offiziellen Teil. Eine endgültige, gesamtwirtschaftliche und politische Auswertung ist ohnehin erst am Ende der jahrzehntelangen Laufzeiten möglich. Schon jetzt deutet sich an, dass PPP als Teil des eigentlich gescheiterten, aber mit Macht und Märchen weitergeführten neoliberalen Modells eine Spur der Verwüstung hinter sich lassen wird – wenn es denn nicht doch zu einer Umkehr kommt.
12 | http://www.corporateeurope.org/water-justice/content/2010/02/aquirisveolias-lost-bet-brussels 17.11.2010. 13 | Dexter Whitfield: Global Auction of Public Assets, Nottingham 2010, S. 223–234. 14 | Public Services International Research Unit (PSIRU): More Public Rescues for More Private Finance Failures – a Critique of the EC Communication on PPPs, Greenwich 2010.
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