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German Pages 186 Year 1978
H E I N O SPEER
Herrschaft und Legitimität
Soziologische
Schriften
Band 28
Herrschaft u n d Legitimität Zeitgebundene Aspekte in Max Webers Herrschaftssoziologie
Von D r . H e i n o Speer
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1978 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1978 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 04277 8
Eine jede Wissenschaft . . . arbeitet mit dem Begriffsvorrat ihrer Zeit. Max Weber
Vorwort Eine Arbeit, die sich von rechtsgeschichtlich-verfassungshistorischer Seite aus mit dem Werk Max Webers beschäftigt und die Ergebnisse der soziologischen, politologischen und methodologischen Weber-Rezeption kaum in ihre Argumentation einbezieht, bedarf vorab der Rechtfertigung. Diese Rechtfertigung liegt sowohl i m Ansatz als auch in der thematischen Durchführung der Arbeit. Die Verabsolutierung wissenschaftlicher Begriffe, die die stete Gefahr eines unreflektierten Umgangs m i t scheinbaren wissenschaftlichen Selbstverständlichkeiten ist, w i r d i n dieser Arbeit durch den Auf weis der Zeitgebundenheit universalhistorisch konzipierter Begriffe und Typen i m Werk Max Webers in Frage gestellt. Die Reflektion auf die jeweilige wissenschaftsgeschichtliche Ausgangslage der gewählten Begrifflichkeit w i r d nicht nur als Ausgangspunkt, sondern auch als Forderung dieser Arbeit gesehen: eine jede Wissenschaft arbeitet m i t dem Begriffsvorrat ihrer Zeit — nur gerät ihr dies allzu oft aus dem Blick. Der maßgebliche Ansatz zu einer Befragung wissenschaftlicher Begriffe auf ihre Zeitgebundenheit hin ging von der Geschichtswissenschaft — und i n ihr besonders von Otto Brunner — aus, die die starre Systematik der rechtswissenschaftlich orientierten Verfassungsgeschichtsschreibung aufbrach und als die Systematik des kontemporären Staats- und Rechtsverständnisses erkannte. Von diesem Ansatzpunkt aus wurde die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung des 19. Jahrhunderts durch E.-W. Böckenförde auf ihren zeitgebundenen Aspekt hin untersucht. Die Ergebnisse dieser Arbeit ermutigten dazu, den methodologischen Ansatz der Gegenüberstellung zweier wissenschaftlicher Darstellungsebenen — einer vergangenen und der gegenwärtigen — und der Ausdeutung ihrer Differenz auch auf einen Autor wie Max Weber anzuwenden. Die Person und das Werk Max Webers konnten dafür wegen ihrer gegenwärtigen Bedeutung und ihrer stark rechtsgeschich';lich-verfassungshistorisch ausgerichteten Darstellung als besonders fruchtbar in Angriff genommen werden. Aus dsm unerschöpflichen Material des Weberschen Werkes mußten dabei Begriffe und Idealtypen ausgewählt werden, die dem Vorver-
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Vorwort
ständnis und der Vorkenntnis eines Rechtshistorikers angemessen waren: Herrschaft, Legitimität, die verfassungsgeschichtlichen Ausformungen des Idealtypus der traditionalen Legitimität und schließlich die Stadtsoziologie. Die tragenden Begriffe der Weberschen Herrschaftssoziologie — Herrschaft und Legitimität — spielen eine entscheidende Rolle in der soziologischen und politologischen Diskussion, vor allem auch i m Anschluß an Max Weber. I m Hinblick auf den universalhistorischen Anspruch der Weberschen Soziologie wurden diese Grundkategorien häufig ungeprüft als überzeitlich gültig akzeptiert und übernahmen die Rolle wissenschaftlicher Versatzstücke. Außer Betracht blieb dabei freilich, daß gerade Herrschaft und Legitimität als Zentralbegriffe der Politologie und der ihr vorausgehenden Wissenschaften i n den Begriffsrahmen und die Denkschemata der Zeit ihrer Entstehung und Ausformung eingepaßt sein müssen. Bei der Untersuchung dieser Kategorien i n dieser Arbeit zeigte sich freilich, daß m i t der Gegeneinanderhaltung der Weberschen Begriffe und der gegenwärtigen rechtsgeschichtlichen Sicht der von Weber paradigmatisch herangezogenen Phänomene noch keine Ausdeutung möglich war. Diese mußte i m Einzelfall sehr verschlungenen Wegen i n die Staatslehre und die Rechtstheorie folgen, um aufweisen zu können, wo Max Webers begriffliche Vorbilder zu suchen seien. Angesichts des fehlenden wissenschaftlichen Apparates zu „Wirtschaft und Gesellschaft" ist diese Arbeit dabei darauf angewiesen, wissenschaftsgeschichtliche Abhängigkeiten zwischen dem Werk Max Webers und der wissenschaftlichen Literatur seiner Zeit durch direkten Vergleich evident werden zu lassen — einen unmittelbaren Nachweis einer Abhängigkeit etwa durch die Zitierung eines bestimmten Autors durch Max Weber gibt es i n den seltensten Fällen*. A n Begriffen und Typen aus anderen Wissenschaftsbereichen i m Werk Max Webers dürften sich ähnliche Zeitgebundenheiten aufweisen lassen wie dies i m Rahmen dieser Arbeit möglich war — hier kam es auf den spezifisch rechtshistorischen Zugang zu Max Webers Werk an. Daß dies ein fruchtbarer Zugang war, hoffe ich durch das Ergebnis der Arbeit zu zeigen. Die Arbeit stellt die geringfügig überarbeitete Fassung einer Dissertation dar, die der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität * Auch der von J. Winckelmann 1976 herausgegebene Erläuterungsband zur fünften Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft" k a n n den wissenschaftlichen Apparat zu Webers Werk nicht ersetzen. Angesichts der unterschiedlichen Zielsetzung wurde darauf verzichtet, diesen Band noch einzuarbeiten.
Vorwort
Bielefeld vorgelegen hat. Ich bin für den Anstoß zu dieser Arbeit wie für ihre Betreuung meinem Lehrer, Herrn Prof. Dr. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde, zu Dank verpflichtet — und dies nicht nur wissenschaftlich, sondern ebenso i m menschlichen Bereich. Dieser tief empfundene Dank sei hiermit ausgesprochen. Für die Aufnahme dieser Arbeit i n die Reihe „Soziologische Schriften" danke ich Herrn Ministerialrat a. D. Prof. Dr. J. Broermann. Heino Speer
Inhaltsverzeichnis Kapitel
I
Herrschaft
15
1. M a x Webers Definition von Herrschaft
15
2. Herrschaft als zeitbedingter Begriff
18
3. Herrschaft u n d Gegenseitigkeit
24
a) Der Herrschaftsbegriff der altständischen Gesellschaft b) Der neuzeitliche Herrschaftsbegriff
Kapitel
25 31
II
Legitimität
42
1. Charismatische Legitimität
42
2. Traditionale Legitimität
50
3. Rationale Legitimität
71
4. Der Legitimitätsbegriff
86
Kapitel
III
Traditionale Herrschaft 1. Patrimonialismus 2. Politische Gewalt u n d Hausgewalt
93 94 100
3. Das Verhältnis von H e r r n und Beherrschten innerhalb der p a t r i monialen Herrschaft 112 4. Feudalismus a) Das Lehenswesen b) Feudalismus u n d Ständestaat c) „Feudalismus" als Idealtypus
118 118 128 133
12
Inhaltsverzeichnis Kapitel
IV
Stadtsoziologie
147
1. Der Begriff der okzidentalen Stadt
148
2. Die illegitime Herrschaft der Stadtgemeinde
159
Zusammenfassung
167
Literaturverzeichnis
173
Abkürzungs Verzeichnis AcP
= Archiv f ü r die civilistische Praxis
ARSPh
= Archiv f ü r Rechts- und Sozialphilosophie
HRG
= Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. von Adalbert Erler — Ekkehard Kaufmann, Bd. 1 ff., B e r l i n 1971 ff.
HZ
= Historische Zeitschrift
ZfgesStW
= Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft
ZRG (GA)
= Zeitschrift der Savigny-Stiftung f ü r Rechtsgeschichte, Germanistische A b t e i l u n g
Kapitel I Herrschaft 1. Max Webers Definition von Herrschaft Der Begriff der Herrschaft bildet einen der Zentralpunkte i m soziologischen System Max Webers. „Eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen . . . w i l l " 1 , muß Herrschaft als Phänomen menschlichen Handelns bereits vom Quantitativen her beachten; Herrschaft begegnet überall: „Herrschaft i n ihrem allgemeinsten, auf keinen konkreten Inhalt bezogenen Begriff ist eines der wichtigsten Elemente des Gemeinschaftshandelns. Zwar zeigt nicht alles Gemeinschaftshandeln herrschaftliche Struktur. Wohl aber spielt Herrschaft bei den meisten seiner Arten eine sehr erhebliche Rolle. . . . Ausnahmslos alle Gebiete des Gemeinschaftshandelns zeigen die tiefste Beeinflussung durch Herrschaftsgebilde 2 ." So w i r d verständlich, daß Max Weber einen großen Teil seines Hauptwerkes „Wirtschaft und Gesellschaft" der Herrschaftssoziologie gewidmet hat. Macht und Herrschaft gehören zu den soziologischen Grundbegriffen, die Max Weber zu Beginn seines Werkes definiert 3 . „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht. . . . Der Begriff Macht ist soziologisch amorph. Alle denkbaren Qualitäten eines Menschen und alle denkbaren Konstella1
Wirtschaft und Gesellschaft, S. 1. Das W e r k w i r d stets zitiert nach der Ausgabe: Grundriß der Sozialökonomik, I I I . Abteilung, Wirtschaft u n d Gesellschaft, bearbeitet von M a x Weber, Tübingen 1922, u n d i m folgenden abgekürzt: WuG. m i t Seitenangabe. Soweit der revidierte Text der von Johannes Winckelmann besorgten fünften Auflage, Tübingen 1972, benutzt ist, w i r d dies vermerkt. 2 WuG., S. 603. 3 Die hier entwickelten Definitionen werden freilich i m Verlauf des Werkes ständig wiederaufgenommen, verändert u n d neu geformt. M a n w i r d daher nur i n den seltensten Fällen den durchgehenden Gebrauch einer bestimmten Definition feststellen können. Wenn i n dieser A r b e i t dennoch manchmal eine Definition gegen die andere ausgespielt w i r d , so handelt es sich dabei lediglich u m ein heuristisches Prinzip, das einen ersten Zugang zu den Prämissen des Weberschen Werkes bahnen soll. Angesichts der Wissenschaftstheorie M a x Webers, derzufolge seine Begriffe und Kategorien nominaler N a t u r sind und die Wirklichkeit weniger erfassen als erfaßbar machen u n d sie gestaltend ordnen, erscheint dies auch gerechtfertigt.
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Kap. I : Herrschaft
tionen können jemand in die Lage versetzen, seinen Willen i n einer gegebenen Situation durchzusetzen." „Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden . . Λ " Diese Definition von Herrschaft umfaßt für Max Weber allerdings bei weitem nicht alle Formen der Herrschaft: innerhalb eines weiteren, dem Begriff der Macht angenäherten Begriffes von Herrschaft unterscheidet er als polare Gegensätze die Herrschaft kraft Interessenkonstellation von derjenigen kraft Autorität 5 . Herrschaft i m ersteren Sinne ist bedingt durch den Einfluß, den eine monopolistische Stellung oder auch eine bestimmte technische Fertigkeit auf das — formal lediglich dem eigenen Interesse folgende — Handeln anderer nimmt, während Herrschaft kraft Autorität unabhängig von jeglichem Interesse auf einer schlechthin bestehenden Gehorsamspflicht beruht. Herrschaft i n dem weiteren Begriffsumfang, der durch jene Gegensätze gekennzeichnet ist, wäre freilich wegen der damit notwendig verbundenen Unschärfe des Begriffes für die Wissenschaft unfruchtbar: „ W i r wollen i m folgenden den Begriff der Herrschaft in dem engeren Sinn gebrauchen, welcher der durch Interessenkonstellation, insbesondere marktmäßig bedingten Macht, die überall formell auf dem freien Spiel der Interessen beruht, gerade entgegengesetzt, also identisch ist m i t : autoritärer Befehlsgewalt 6 ." Diese Eingrenzung des Herrschaftsbegriffes auf ein Verhältnis kraft „Befehlsgewalt und Gehorsamspflicht" 7 scheint jegliches eigene Interesse des Herr schaftsunterworfenen aus dem Phänomen der Herrschaft zu verbannen; Herrschaft w i r d dem oben beschriebenen Begriff von Macht 8 insoweit angenähert, als die Durchsetzung des eigenen Willens auch gegen Wider4 WuG., S. 28 f. Eine umfassendere Definition findet sich WuG., S. 606: „ U n t e r »Herrschaft 4 soll hier also der Tatbestand verstanden werden: daß ein bekundeter W i l l e (,Befehl') des oder der »Herrschenden' das Handeln anderer (des oder der ,Beherrschten') beeinflussen w i l l u n d tatsächlich i n der A r t beeinflußt, daß dies Handeln, i n einem sozial relevanten Grade, so abläuft, als ob die Beherrschten den I n h a l t des Befehls, u m seiner selbst willen, zur M a x i m e ihres Handelns gemacht hätten (,Gehorsam')." 5 WuG., S. 604. β WuG., S. 606. Reinhard Bendix, M a x Weber — Das Werk, München 1964, A n m . 13 zu S. 221, ist der Ansicht, daß es sich u m eine „ w i l l k ü r l i c h e terminologische Abgrenzung" handele u n d daß Weber die Herrschaft k r a f t I n t e r essenkonstellation nicht aus dem Auge verloren habe. Es w i r d zu zeigen sein, daß diese Abgrenzung einer inneren Notwendigkeit i n M a x Webers Stellung zu Herrschaft u n d Staat entspricht. 7 WuG., S. 604. 8 Macht i m Sinne der Durchsetzungschance des eigenen Willens gegen das Widerstreben anderer, WuG., S. 28. Der Begriff von Macht, den Weber i n WuG., S. 604, verwendet, ist wesentlich unschärfer: Macht w i r d hier lediglich als Oberbegriff zu Herrschaft verstanden, das Moment des potentiellen Widerstrebens fällt fort. Ebenso WuG., S. 603: „Herrschaft ist . . . ein Sonderfall von Macht." Hier zeigt sich, wie schwankend der Sprachgebrauch bei M a x Weber ist.
1. M a x Webers Definition von Herrschaft
17
streben das K r i t e r i u m für Herrschaft zu bilden scheint. Die Abgrenzung zwischen Herrschaft und Macht w i r d schwierig, denn als reine Verwirklichung seines Begriffes von Herrschaft kraft Autorität dürfte Max Weber das „durchweg unfreiwillig(e) und für den Unterworfenen normalerweise unlösliche(n) reine(n) Autoritätsverhältnis (z. B. der Sklaven) . . ." 9 angesehen haben. Angesichts dieser gleitenden Übergänge w i r d es verständlich, wenn Weber den Wert seiner Definition dari n sieht, m i t ihrer Hilfe „überhaupt zu fruchtbaren Unterscheidungen innerhalb des stets übergangslosen Flusses der realen Erscheinungen zu gelangen" 10 , und ihre Stringenz mildert: „Natürlich bleibt auch i n jedem autoritären Pflichtverhältnis faktisch ein gewisses M i n i m u m von eigenem Interesse des Gehorchenden daran, daß er gehorcht, normalerweise eine unentbehrliche Triebfeder des Gehorsams 11 ." Somit bietet sich zur Abgrenzung der Herrschaft von der Macht letztlich nur das Interesse am Gehorchen an, wenn die Herrschaft kraft Autorität in ihrer reinsten Form als Sklaverei m i t dem Begriff von Macht identisch ist. Herrschaft in diesem Sinne darf freilich nicht mehr nur als institutionalisierte Machtausübung begriffen werden, wie dies — stets i m Anschluß an Max Weber — i n der heutigen Soziologie geschieht 12 . Nicht die Ausübung von Macht i n geordneten Bahnen, unter und innerhalb der Rechtsordnung, macht das Wesen von Herrschaft aus, sondern allein die innere Einstellung des Beherrschten bzw. Machtunterworfenen vermag es, Macht und Herrschaft zu kennzeichnen. Bei der Unterscheidung von Macht und Herrschaft handelt es sich — w i l l man überhaupt an ihr festhalten — nicht um einen quantifizierbaren Unterschied i n dem Sinne, daß bei der Macht das Moment des eigenen Interesses vernachlässigbar gering geworden ist, während es bei Herrschaft noch eine Rolle spielt. Gerade der qualitative Sprung innerhalb der psychischen Einstellung ist das Konstituens für den Unterschied von Macht und Herrschaft. Macht w i r d i n dem Augenblick zu Herrschaft, i n dem der Unterworfene dem Willen des anderen nicht mehr widerstrebend, sondern aus eigenem Interesse, gleich, worauf dieses beruht, folgt 1 3 . ö WuG., S. 605. io WuG., S. 606. u WuG., S. 605. Vgl. hierzu WuG., S. 122: „ E i n bestimmtes M i n i m u m an Gehorchenwollen, also: Interesse (äußerem oder innerem) am Gehorchen, gehört zu jedem echten Herrschafts Verhältnis." ι 2 Als ein Beispiel: René König, A r t i k e l Herrschaft, i n : Fischer-Lexikon der Soziologie, F r a n k f u r t 1967, S. 119, aber auch Otto Brunner, Neue Wege der Verfassungs- u n d Sozialgeschichte, 2. Aufl. Göttingen 1968, S. 70. is I n diesem Sinne meint Otto Stammer, Politische Soziologie, i n : A r n o l d Gehlen, H e l m u t Schelsky (Hrsg.), Soziologie. E i n L e h r - u n d Handbuch zur modernen Gesellschaftskunde, 2. Aufl. Düsseldorf—Köln 1955, S. 257: H e r r schaft „ . . . setzt aber die Anerkennung bestehender Machtverhältnisse durch die Beteiligten voraus . . . " . 2 Speer
18
Kap. I : Herrschaft
Max Webers Herrschaftsbegriff scheint so zumindest i n seiner A b grenzung von dem Begriff der Macht bereits die Notwendigkeit einer Typologie der Legitimitätsarten, d. h. einer Typologie des Interesses am Gehorchen, zu enthalten. Das Wesen von Herrschaft impliziert den Bezug auf einen Legitimitätsglauben 1 4 . Auch der Bruch innerhalb der Begrifflichkeit des Systems kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Herrschaft letztlich nur legitime Herrschaft sein kann 1 5 ; illegitime Herrschaft wäre Macht, reines Gewaltverhältnis 1 6 .
2. Herrschaft als zeitbedingter Begriff Max Webers Begriff von Herrschaft wie auch der von Macht gehören seiner Kategorienlehre an und treten m i t dem Anspruch auf, i n jeder nur denkbaren geschichtlichen Situation gleichermaßen verwendbar zu sein. I n der Tat hat die ständige Umformung und die dari n liegende Formalisierung des Weberschen Begriffssystems zumindest den Erfolg gehabt, zeitgeschichtliche Bezüge, die i n den Begriffsprägungen enthalten waren, zu verbergen und die Fiktion einer generellen Anwendbarkeit aufzubauen 17 . W i l l man dennoch den wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund aufdecken, vor dem sich die Begriffe Max Webers entwickelt haben, so scheint hierzu die „bewährte philologische Methode, die an Hand der Texte nach Einflüssen und letzten Stellungnahmen sucht", weitgehend auszuscheiden: „nur an vergleichsweise wenigen Stellen finden sich noch eindeutige Spuren zeitgeschichtlicher 14 Daß die Festlegung des Herrschaftsbegriffes auf die F r e i w i l l i g k e i t des Konsenses ebenso unzureichend ist wie die Festlegung auf die Zwangsmöglichkeit, n i m m t Niklas Luhmann, Grundrechte als Institution. E i n Beitrag zur politischen Soziologie, B e r l i n 1965, S. 142, A n m . 13, an. Von dem Standpunkt des strukturellen Funktionalismus aus ist politische Herrschaft weniger durch Zwang u n d freiwilligen Konsens begründet als durch die Abstimmung „des Generalisierungsprozesses der Herrschaftslegitimation" m i t anderen Generalisierungsrichtungen : Luhmann, Grundrechte, S. 145. 15 Z u einem anderen Ergebnis gelangt Brunner, Neue Wege, S. 70 f. Er verweist darauf, daß Macht u n d Herrschaft als soziologische Kategorien zunächst „ohne Bezug auf den Begriff des Rechts definiert werden können. Notwendigerweise erhebt sich daher die Frage nach ihrer Rechtmäßigkeit, nach ihrer L e g i t i m i t ä t ' . Denn es gibt nach M a x Weber sowohl legitime wie illegitime Herrschaft u n d Macht." Dies soll freilich nicht geleugnet werden, doch ist daran festzuhalten, daß Herrschaft definitionsgemäß zur L e g i t i m i t ä t h i n tendiert, Macht jedoch nicht. Dies gilt auch für die nichtlegitime Stadtherrschaft, vgl. dazu unten K a p i t e l I V , Abschnitt 2. Diese beiden Begriffe sind von Brunner w o h l etwas zu einheitlich gesehen worden. N i m m t man M a x Weber beim Wort, so läßt sich diese Einheitlichkeit nicht durchhalten. ie Brunner, Neue Wege, S. 70. 17 So auch Wolf gang J. Mommsen, Universalgeschichtliches u n d politisches Denken bei M a x Weber, i n : Historische Zeitschrift Bd. 201 (1965), S. 557 ff., S. 562.
2. Herrschaft als zeitbedingter Begriff
19
Auffassungen, die man als Anhaltspunkte benutzen könnte, um Webers Werk einer bestimmten geistesgeschichtlichen Position zuzuordnen 18 ." Eine andere Möglichkeit, die Mommsen und Abramowski ergriffen haben 19 , besteht darin, Max Webers Kategorien an seiner geschichtsphilosophischen Konzeption zu messen und zu deuten. Diese Methode führt freilich nur zu einer Festlegung der Akzente innerhalb des Werkes Max Webers. So betont Abramowski das Interesse Webers am Aufkommen des okzidentalen Rationalismus 20 und Mommsen leitet eine Bevorzugung der charismatischen Herrschaftsform aus dem Persönlichkeitsideal Max Webers und seiner Auffassung von den treibenden Kräften der Geschichte ab 2 1 . Das Verdienst Mommsens, i m Anschluß an Fleischmann 22 die weitgehende Ubereinstimmung zwischen Weber und Nietzsche aufgedeckt zu haben, kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß hiermit nur eine geschichtsphilosophische Einstimmung, der Hintergrund eines heroischen Lebensgefühles geklärt worden ist. Für die Einordnung der Herrschaftssoziologie i n eine bestimmte dogmengeschichtliche Situation ist damit nichts gewonnen: der Stellenwert bestimmter Begriffe i m Werk Max Webers und seine möglicherweise wertbezogene Einstellung zu ihnen vermögen nur sehr wenig über ihren Zusammenhang m i t einem bestimmten Entwicklungsstadium der Wissenschaftsgeschichte auszusagen. So scheint also nur die Analyse der Weberschen Kategorien selbst als Methode übrigzubleiben, u m die zeitgebundenen Implikationen des Weberschen Herrschaftsbegriffes erfassen zu können. Und es ist gerade die fast völlige Formalisierung des Herrschaftsbegriffes, die Tatsache, daß Herrschaft ein „auf keinen konkreten Inhalt bezogene(r) Begriff" 2 3 ist, die den Zugang liefert. Herrschaft beschränkt sich nach der Definition Max Webers letztlich auf ein Verhältnis der Uber- und Unterordnung und enthält als einziges Kennzeichen die Struktur von Befehl und Gehorsam, in der sie sich ganz erschöpft. Jegliche Motivation des Gehorsams w i r d definitionsgemäß aus der Betrachtung von Herrschaft ausgeklammert, auch wenn „ein bestimmtes M i n i m u m an Gehorchen18 Mommsen, H Z 201, S. 560. io Mommsen, H Z 201, S. 557 ff., und Günter Abramowski, Das Geschichtsb i l d M a x Webers. Universalgeschichte am Leitfaden des okzidentalen Rationalisierungsprozesses ( = Kieler Historische Studien Bd. I), Stuttgart 1966. 20 So Abramowski, S. 121: „Die modernste — u n d das heißt bei i h m : die rationalste — F o r m bildet den Bezugspunkt des gesamten typologischen Systems." Das bedeute aber, so meint Abramowski, keine „naive, methodisch unangemessene Übertragung moderner Begriffe auf historisch zurückliegende Verhältnisse". si So Mommsen, H Z 201, S. 587: Der Begriff des Charisma ist „Archetyp seiner Herrschaftssoziologie". 22 Eugene Fleischmann, De Weber à Nietzsche, i n : Archives Européennes de Sociologie Bd. 5 (1964), S. 190 ff. 2 3 WuG., S. 603. 2*
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Kap. I : Herrschaft
wollen . . . zu jedem echten Herrschafts Verhältnis" 24 gehört. Gehorsam liegt nur dann vor, wenn die „Beherrschten den Inhalt des Befehls, um seiner selbst willen, zur Maxime ihres Handelns gemacht" 25 haben. Die Struktur von Befehl und Gehorsam als begriffliches M i t t e l der Organisationssoziologie ist hingeordnet auf eine Situation, i n der allein ein Teilnehmer des Systems Träger der Entscheidung ist 2 6 und alles weitere Handeln innerhalb des Systems sich i n zwei Bereiche aufteilen läßt: systemerhaltendes und entscheidungsverwirklichendes Handeln, d. h. aber immer rationales Handeln, das sich unter den Begriff der Verwaltung als Komplementärbegriff zu Herrschaft subsumieren läßt. Die Organisation, auf die ein Herrschaftsbegriff dieser A r t ausgerichtet ist, muß eine Entscheidungsspitze haben und darf Dezentralisation von Entscheidungsfunktionen nicht oder jedenfalls nur i n geringem Maße kennen. Es ist dies — als Arbeitshypothese formuliert — die Organisationsform des neuzeitlichen Verfassungsstaates m i t seiner Trennung von Regierung und Verwaltung, an der sich dieser Herrschaftsbegriff orientiert. Freilich bezieht Max Weber Herrschaft stets auf Verwaltung und umgekehrt 2 7 , aber eben stets genau i n dem Sinne, den diese Unterscheidung i m Verfassungsstaat besitzt, wo Regierung der Ort der spezifisch politischen Entscheidung und Verwaltung der Ort ihrer Durchführung ist. Dies allein kann freilich noch nicht genügen, u m den Zusammenhang von Herrschaftsbegriff und modernem Staat plausibel zu machen. Ein jeder moderne Herrschaftsbegriff muß schließlich zumindest dies leisten: den modernen Staat als wesentlichste Herrschaftsform in sich zu enthalten. Einen weiteren Zugang, der i n der weitgehenden Formalisierung des Herrschaftsbegriffes liegt, bietet die hierzu erforderliche Ausgrenzung sehr vieler gemeinhin noch zu einem vorwissenschaftlichen Wortgebrauch von Herrschaft zählender Bereiche aus dem Begriffsumfang, wie Max Weber i h n wählt. I n der Frontstellung gegen die Einbeziehung dieses oder jenes Bereiches menschlichen Handelns i n den strengen Begriff von Herrschaft zeichnet sich die Anlehnung des Herrschafts24 WuG., S. 122. 25 WuG., S. 606. Die inhaltliche Entleerung u n d Formalisierung w i r d schon sprachlich i n der sich an K a n t anlehnenden Formulierung deutlich. 26 Niklas Luhmann, Zweck-Herrschaft-System. Grundbegriffe u n d Prämissen M a x Webers, i n : Bürokratische Organisation, hrsg. von Renate Mayntz, K ö l n — B e r l i n 1968, S. 43. 27 Vgl. WuG., S. 126: „ . . . Herrschaft ist i m Alltag p r i m ä r : Verwaltung." und WuG., S. 607 : „,Herrschaft 4 interessiert uns hier i n erster Linie, sofern sie m i t »Verwaltung 4 verbunden ist. Jede Herrschaft äußert sich u n d f u n k tioniert als Verwaltung." Renate Mayntz, M a x Webers Idealtypus der Bürokratie und die Organisationssoziologie, i n : Mayntz, Bürokratische O r ganisation, S. 33, betont m i t Recht, für M a x Weber seien Herrschaft und V e r w a l t u n g „keine Gegensätze, sondern zwei ständig i n Spannung m i t e i n ander stehende Prinzipien, die immer gemeinsam auftreten".
2. Herrschaft als zeitbedingter Begriff
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begriffes an eine bestimmte geistesgeschichtliche Situation ab, der die gleichen Frontstellungen gemeinsam sind. Wenn auch die Scheidung zwischen herrschaftlichen und nichtherrschaftlichen Erscheinungen stets fließend ist und Max Weber weitgehend anerkennt, daß beinahe jede menschliche Beziehung herrschaftlich strukturiert sein kann, so formuliert Max Weber seinen Herrschaftsbegriff zumindest so scharf 28 , daß ein wesentlicher Bereich, der dem Herrschaftsbegriff „gelegentlich" 2 9 zugeordnet worden ist, aus diesem Begriffsumfang nunmehr völlig ausscheidet. Dies ist der „gesamte Kosmos des modernen Privat rechts", sind alle „Ansprüche, die das Recht dem einen gegen den oder die anderen zuweist". Die in den privatrechtlichen Ansprüchen liegende „Gewalt, dem Schuldner oder dem Nichtberechtigten Befehle zu erteilen", darf nicht „als eine Dezentralisation der Herrschaft in den Händen der kraft Gesetzes »Berechtigten'" aufgefaßt werden. Das Recht, Befehle zu erteilen und Gehorsam dafür zu finden, Kern des Weberschen Herrschaftsbegriffes, w i r d hier aus diesem ausgeschieden. Die Begründung, die Weber hierfür liefert, ist kaum einleuchtend: der Gläubiger kann seinen Anspruch gegen den Schuldner nicht direkt durchsetzen, sondern er bedarf hierfür der Vermittlung durch den richterlichen Befehl an den Verurteilten 3 0 ; die Herrschaft liegt nicht bei dem Inhaber des Rechts, sondern bei der staatlichen Gewalt. Das Moment der legitimen Anwendung von Gewalt w i r d zum Merkmal der Herrschaft, ein Moment, das politischen Verbänden, in letzter Konsequenz aber dem neuzeitlichen Staat, vorbehalten ist 3 1 . Der Begriff der Herrschaft w i r d auf den Staat zugeschnitten, danach von ihm abgelöst, und schließlich w i r d nur dasjenige unter den Herrschaftsbegriff subsumiert, was der Herrschaft des modernen Staates entspricht. I n der Trennung von Privatrecht und Herrschaft w i r d der Privatrechtsbereich aus dem Bereich legitimer Gewaltsamkeit ausgeklammert, durchaus entsprechend der Definition des modernen Staates: „dem heutigen Staat formal charakteristisch ist . . . , daß es legitime' Gewaltsamkeit heute nur noch inso28 Vgl. WuG., S. 123: „Scharfe Scheidung ist i n der Realität oft nicht möglich, klare Begriffe sind aber dann deshalb n u r umso nötiger." 29 Dieses und die folgenden Zitate WuG., S. 604. Es handelt sich bei dieser gelegentlichen Zuordnung u m die von Friedrich Carl von Savigny entwickelte Lehre v o m subjektiven Recht als Herrschaftsrecht, die Weber hier i m Auge hat. Z u dem versteckten Zusammenhang dieser Lehre u n d des Weberschen Herrschaftsbegriffes vgl. weiter unten. 30 Vgl. WuG., S. 604: „ . . . die Befehle z. B. der richterlichen Gewalt an den Verurteilten (müssen) doch von jenen ,Befehlen 4 des Berechtigten selbst an den noch nicht verurteilten Schuldner qualitativ geschieden werden . . . " 31 Vgl. WuG., S. 29: „Staat soll ein politischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen Zwanges für die Durchführung der Ordnungen i n Anspruch n i m m t . "
22
Kap. I : Herrschaft
weit gibt, als die staatliche Ordnung sie zuläßt oder vorschreibt (z. B. dem Hausvater das »Züchtigungsrecht 4 beläßt . . .) 32 ." Trotzdem anerkennt Max Weber i n gewissen Fällen die herrschaftliche Struktur des privatrechtlichen Bereiches auch dort, wo Gewaltsamkeit als M i t t e l der Durchsetzung von Befehlen ausscheidet, indem er dem Arbeitgeber ein Herrschaftsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer zuspricht — weniger freilich auf Grund des arbeitsrechtlichen Anspruches als auf Grund der Einordnung des Arbeiters in den stets herrschaftlich geordneten Betrieb; nicht die rechtliche, sondern die tatsächliche Qualifikation gibt hier den Ausschlag 33 . Es ist also nicht die Ausscheidung des Moments legitimer Gewaltsamkeit aus dem Bereich des Privatrechtes, die dieses aus dem Umfang des Herrschaftsbegriffes ausgrenzt. Und auch die Doppelseitigkeit privatrechtlicher Beziehungen allein rechtfertigt es für Max Weber noch nicht, die gesamte Privatrechtsordnung nicht-herrschaftlich zu verstehen: doppelseitige Herrschaftsbeziehungen erkennt Weber durchaus an 3 4 . Das unterscheidende Merkmal muß — wenn die aufgezeigten Möglichkeiten als Erklärung ausscheiden — i n einem anderen, wesentlich formaleren Bereich gesucht werden: das unterscheidende Merkmal für die Klassifizierung einer bestimmten zwischenmenschlichen Beziehung als Herrschaftsbeziehung ist die Frage, worauf der Gehorsam gegenüber dem Befehl beruht. Herrschaft ist „überall da und nur da . . . , wo . . . für gegebene Anordnungen, rein als solche, ,Gehorsam' " 3 5 beansprucht und gefunden wird. Gerade dies ist in den privatrechtlichen Beziehungen, die Max Weber i m Auge hat, allerdings nicht der Fall. Weber orientiert sich an der Rechtsfigur des gegenseitigen Vertrages, bei dem i n der Tat die Leistung des einen (in der Weberschen Terminologie: sein Gehorsam gegenüber dem Befehl des anderen) allein um der Leistung des anderen willen erbracht wird. Tauschverhältnisse sind keine Herrschaftsverhältnisse, weil dem „Gehorsam" eine Motivation immanent ist. Der „Kosmos des modernen Privatrechts" w i r d auf Tauschverhältnisse reduziert und unterfällt nicht mehr dem Begriffsumfang von Herrschaft. Was sich in dieser Abgrenzung abzeichnet, ist mehr als die bloße Formalisierung des Gehorsams i m Sinne einer kantischen Maxime. Der Ausklammerung der Motivationsstruktur auf der Seite des Gehorchenden entspricht die Ausklammerung des Zweckmomentes auf der Seite der Herrschenden. Zweck der Herrschaft und Interesse am Gehorchen 32 33 34 35
WuG., WuG., WuG., WuG.,
S. 30. S. 123. S. 607. S. 607.
2. Herrschaft als zeitbedingter Begriff
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— zwei Seiten ein und desselben Phänomens — werden aus der Betrachtung von Herrschaft eliminiert und erst bei der eigentlichen Typologie der Herrschaftsformen qua Legitimitätsart 3 6 wieder eingefügt. Herrschaft ohne damit verbundenen Zweckgedanken ist reines M i t t e l zu beliebigen Zwecken 37 , ist i n diesem Sinn Kennzeichen politischer Verbände: „Es w i r d also auch i n diesem Sprachgebrauch das Gemeinsame i n dem Mittel: »Herrschaft 4: i n der Art nämlich, wie eben staatliche Gewalten sie ausüben, unter Ausschaltung des Zwecks, dem die Herrschaft dient, gesucht 38 ." Daß damit die Situation des modernen Staates exakt getroffen ist, bedarf keiner Erläuterung. Der neuzeitliche Staat verzichtet auf die Aufstellung eines inhaltlich bestimmten, übergreifenden Zweckgedankens, da er ihn nicht mehr zu legitimieren vermag; die transzendente Begründung eines Staatszweckes darf auf allgemeinen Konsens nicht mehr rechnen; die Säkularisation des Staates als Emanzipierung aus religiösen und weltanschaulichen Bindungen 3 9 ist irreversibel. Andererseits aber bringt es die Dynamik gesellschaftlicher Entwicklungen m i t sich, daß der Staat ständig vor neue Aufgaben gestellt wird, daß die ihm aufgegebenen Zwecke ständig wechseln. Die Eliminierung des Zweckgedankens aus dem Herrschaftsbegriff bewirkt erst die Anwendbarkeit dieses Begriffes auf den modernen Staat. Fraglich aber ist, ob ein derart formalisierter und den Bedürfnissen der Staatssoziologie angepaßter Herrschaftsbegriff noch dazu imstande ist, vorstaatliche Herrschaftsformen adäquat zu beschreiben, oder ob nicht wesentliche Unterschiede der Herrschaftsstrukturen durch die Anwendung eines solchen Begriffes aus den Augen verloren werden. Die Stellung dieser Frage impliziert ihre Beantwortung zumindest i n dem Sinne, daß die Verbundenheit von formalisiertem Herrschaftsund modernem Staatsbegriff angenommen und als Begriffsverengung aufgefaßt wird. Daß aber der Herrschaftsbegriff Max Webers an der Situation des modernen Staates entwickelt worden ist, w i r d sich m i t letzter Sicherheit nur dann beantworten lassen, wenn man diesen Begriff i n eine Dogmengeschichte von Herrschaft einordnet und dabei se Auch dort aber n u r i m Sinne der Formulierung N. Luhmanns, ZweckHerrschaft-System, S. 42: „ A n die Stelle inhaltlicher Zweckangaben t r i t t die Pauschalakzeptierung etwaiger Zwecke, die ein Herrscher setzt." 37 Luhmann, Zweck-Herrschaft-System, S. 37: „ . . . Weber trägt der T a t sache Rechnung, daß die meisten sozialen Systeme, vor allem politische Systeme, nicht auf spezifische Zwecke und spezifische M i t t e l festgelegt sind, sondern ihre Zwecke u n d M i t t e l ändern können. . . . Ihre theoretische E r fassung setzt daher . . . bei einem M i t t e l (an), das so generalisiert ist, daß es verschiedenen und wechselnden Zwecken dienen kann: der Herrschaft." 38 WuG., S. 30. 3» Hierzu vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, i n : Säkularisation u n d Utopie, Ebracher Studien, Stuttgart—Berlin 1967, S. 75 ff.
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Kap. I : Herrschaft
seine Übereinstimmung m i t spezifisch auf den modernen Staat zugeschnittenen (also letztlich: staatsrechtlichen) Herrschaftsbegriffen feststellt und dabei eine diesen Begriffen gegenüber einem älteren Begriff von Herrschaft gemeinsame Veränderung konstatieren kann, der zugleich eine Veränderung der tatsächlichen Herrschaftsstrukturen entspricht. 3. Herrschaft und Gegenseitigkeit Eine geschichtliche Aufhellung des Herrschaftsbegriffes hat sich, so sehr sie sich i m Rahmen dieser Arbeit auch auf Andeutungen beschränken muß, für Europa wenigstens vorwiegend i n zwei historischen Epochen aufzuhalten: derjenigen der altständischen Gesellschaft vor 180040 und derjenigen des modernen Staates und der von i h m abgehobenen bürgerlichen Erwerbsgesellschaft nach diesem Zeitpunkt. Welche Periodisierungen sich auch für die politische Geschichte als fruchtbar erwiesen haben mögen — für die Verfassungsgeschichte und die Geschichte politischer Ideen gilt der Zeitraum vor 1800 als Einheit, wobei diese Einheit teilweise bis i n die griechische Antike zurückverfolgt w i r d 4 1 . Die Behandlung des geschichtlichen Momentes des Herrschaftsbegriffes i n dieser Arbeit kann nicht die Anforderungen erfüllen, die Otto Brunner 4 2 m i t Recht an sie gestellt hat: „Eine eingehendere Untersuchung (seil, des Herrschaftsbegriffes) müßte die Bedeutungsgeschichte sinnverwandter Wörter wie Gewalt, Obrigkeit, Regierung, Government, Auctoritas, Potestas, Dominium usw. einbeziehen." Dies würde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen. Die Geschichte des Herrschaftsbegriffes kann aber gewissermaßen extrahiert werden aus der Geschichte der Rechts- und Sozialordnung, denn hier ist Herrschaft stets am augenfälligsten vorhanden und steht i m Mittelpunkt theoretischer Erwägungen und Rechtfertigungen.
40 Einen informativen Abriß der altständischen Sozialordnung gibt Hans Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre (Polizeiwissenschaft). E i n Beitrag zur Geschichte der politischen Wissenschaft i n Deutschland. Neuwied—Berlin 1966, S. 50 ff. Vgl. auch Otto Brunner, Inneres Gefüge des Abendlandes, i n : Historia M u n d i Bd. V I , Bern 1958. 41 So für die alteuropäische Adelswelt Otto Brunner, Adeliges Landleben u n d europäischer Geist. Leben u n d Werk Wolf Helmhards von Hohberg, 1612 - 1688, Salzburg 1949. Auch die von Hans Maier u n d W i l h e l m Hennis vertretene Richtung der politischen Wissenschaft n i m m t eine bis zum Kontinuitätsbruch von 1800 i m wesentlichen aufrechterhaltene Tradition politischer Theorien an, die bis zu Aristoteles reicht. 42 Neue Wege, S. 68, A n m . 11.
3. Herrschaft u n d Gegenseitigkeit
a) Der Herrschaftsbegriff
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der altständischen Gesellschaft
Der Frage nach dem Herrschaftsbegriff der altständischen Ordnung muß demnach die Frage nach der Struktur einer Sozialordnung vorangehen, die die uns selbstverständlich gewordene Trennung von Staat und bürgerlicher Erwerbsgesellschaft nicht kennt, für die Staat und Gesellschaft i n dem einheitlichen Begriff der societas civilis sive res publica zusammenfallen 43 . Societas civilis — dieser Begriff kennzeichnet bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts 4 4 die altständische Ordnung und noch i m Jahre 1793 greift August L u d w i g Schlözer bei seinem Versuch, die Trennung von Staat und Erwerbsgesellschaft zu beschreiben, auf diesen alten Begriff zurück: der „Stat" ist „societas civilis cum imperio", die Gesellschaft „societas civilis sine imperio" 4 5 . Kennzeichen des modernen Staates ist es demnach, Herrschaft auszuüben; Kennzeichen der modernen Gesellschaft ist es, herrschaftsfreier Raum zu sein. Wenn Herrschaft hier als unterscheidendes Merkmal dem alten Begriff der societas civilis hinzugefügt wird, u m Staat und Gesellschaft neuzeitlicher Prägung zu kennzeichnen, so muß entweder in dem traditionellen Begriff der societas civilis der Herrschaftsbegriff so selbstverständlich mitgedacht worden sein, daß dies keiner näheren Kennzeichnung mehr bedurfte, oder es muß die bürgerliche Gesellschaft i m alten Sinne herrschaftsfrei konzipiert gewesen sein. Ein Begriff aber, der zur Erfassung der alteuropäischen Sozialordnung von der A n tike bis ins 18. Jahrhundert hinein dienen konnte, mußte notwendig den Bezug zu Herrschaft i n sich enthalten; eine herrschaftsfreie Sozialordnung und damit jeder Begriff einer solchen gehört i n den Bereich der Sozialutopie. Die societas civilis sive res publica der altständischen Sozialordnung ist immer societas civilis cum imperio; eine Monopolisierung der Herrschaft wie auch des Herrschaftsbegriffes auf den Staat ist ihr fremd. Wenn der gesamte Bereich der Sozialordnung herrschaftlich strukturiert ist, so impliziert dies, daß die Teilhabe an der bürgerlichen Gesellschaft an die Ausübung von Herrschaft gebunden ist. I m monopolisierten Herrschaftsbereich des modernen Staates besitzt jeder die gleichen Rechte — zunächst auf dem Gebiet der Erwerbsgesellschaft, dann aber auch als Staatsbürger 46 . Civis der societas civilis hingegen 43 Vgl. hierzu Manfred Riedel, Der Begriff der „Bürgerlichen Gesellschaft" und das Problem seines geschichtlichen Ursprungs, i n : ders., Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, F r a n k f u r t 1969, S. 135. 44 Noch i n der 4. Auflage von J. L. Klüber, öffentliches Recht des teutschen Bundes und der Bundesstaaten, F r a n k f u r t 1840, S. 1, heißt es: „Der Staat (civitas, respublica) ist eine bürgerliche Gesellschaft . . . " 45 Allgemeines Stats Recht, Göttingen 1793, A n m . zu § 44. 46 Z u dieser historischen K l i m a x der Gleichberechtigung vgl. Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform u n d Revolution, Stuttgart 1967, S. 52 ff.
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Kap. I : Herrschaft
kann nur ein Träger von Herrschaft sein. Der grundlegende Unterschied gegenüber der modernen Gesellschaft liegt darin, daß Herrschaft nicht auf denjenigen Bereich beschränkt ist, der heute als staatlich und herrschaftlich definiert ist. Daher muß auch jeder Versuch, die altständische Ordnung lediglich genetisch als Vorläufer der neuzeitlichen Sozialordnung zu verstehen und als Herrschaft somit immer nur dasjenige anzuerkennen, was unter der Geltung des modernen Staatsbegriffes zu seinem, dem herrschaftlich strukturierten Bereich gehört, zum Scheitern verurteilt sein. Der Umfang des altständischen Herrschaftsbegriffes kann durch die Einbeziehung der traditionellen philosophia practica i n die Untersuchung geklärt werden. Die antike praktische Philosophie, aus der das Naturrecht — wissenschaftsgeschichtlich seit dem 19. Jahrhundert der Ort ihrer Behandlung — nur einen kleinen, erst spät verselbständigten Bestandteil darstellt 4 7 , beschränkte sich nicht auf die Politik i m heutigen Sinne. Sie umfaßte bereits i n der Nachfolge des Aristoteles die drei Bereiche der Politik, der Ökonomik und der E t h i k 4 8 ; jeder dieser drei Wissenschaftszweige war Lehre von der Herrschaft: Herrschaft über die Polis, über den Oikos und über die Triebe 4 9 . Spaltet man hiervon die Ethik als ausschließlich auf die Einzelperson bezogen ab, so bleiben als Herrschaftsbereiche i m engeren Sinne die Polis und das Haus. Für Aristoteles ist Bürger des Stadtstaates nur der Hausherr, nicht aber sind es Sklaven, Frauen, Kinder und unselbständige Handwerker; ihnen fehlt die Autarkie, der eigene Herrschaftsbereich. Die Herrschaft über die Polis ist von der Herrschaft über das Haus vielleicht quantitativ, nicht aber qualitativ unterschieden 50 . Herrschaft ist Herrschaft i m Haus oder i n der Gemeinschaft der Hausväter; dieser Umfang des Herrschaftsbegriffes bleibt sich von Aristoteles bis hin zu Kant gleich. Erst bei Kant besteht die bürgerliche Gesellschaft (im alten Sinne) nicht mehr aus Hausvätern, sondern aus selbständigen Eigentümern, während Frauen, Diener und Knechte von der Teilhabe an der societas civilis ausgeschlossen bleiben 5 1 . 47 Vgl. W i l h e l m Hennis, P o l i t i k u n d praktische Philosophie, Neuwied— B e r l i n 1963, S. 28 ff. 48 Hennis, Politik, S. 28 ff.; Maier, Polizeiwissenschaft, S. 201; ders., Die Lehre von der P o l i t i k an den deutschen Universitäten vornehmlich v o m 16. bis 18. Jahrhundert, i n : Dieter Oberndörfer (Hrsg.), Wissenschaftliche Politik. Eine Einführung i n Grundfragen ihrer Tradition u n d Theorie, Freiburg 1962, S. 59 ff., hier S. 65. 4» Brunner, Neue Wege, S. 113. 50 Vgl. hierzu Joachim Ritter, Das bürgerliche Leben, Z u r aristotelischen Theorie des Glücks, i n : ders., Metaphysik u n d Politik. Studien zu Aristoteles u n d Hegel, F r a n k f u r t 1969, S. 57 ff.; vgl. auch Brunner, Neue Wege, S. 112. 51 Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag i n der Theorie richtig sein, taugt aber nicht f ü r die Praxis, i n : ders., Werke, hrsg. von W i l h e l m
3. Herrschaft und Gegenseitigkeit
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Ist die altständische Gesellschaft somit herrschaftlich durchstrukturiert und unterscheidet sich die Herrschaft über die societas civilis nicht von der Herrschaft über das Haus, so kann das K r i t e r i u m für Herrschaft nicht i n ihrem Subjekt liegen, wie dies angesichts der neuzeitlichen Monopolisierung der Herrschaftsgewalt beim Staat i m 19. Jahrhundert möglich ist. Das Konstituens von Herrschaft als übergeordnetem Begriff muß entweder i n dem Herrschaftsobjekt oder aber i n der Herrschaftsbeziehung zwischen Subjekt und Objekt liegen. Der Gegenstand der Herrschaft gibt freilich zu ihrer Kennzeichnung wenig her; das Haus und die bürgerliche Gesellschaft sind vielmehr erst durch die Herrschaft konstituiert worden. Anders freilich steht es m i t der Beziehung zwischen Herrschaftsträger und Herrschaftsunterworfenem, m i t der Herrschaftsausübung. Die philosophia practica der alteuropäischen Ordnung besteht weitgehend, ja fast ausschließlich aus der Regelung der Ausübung von Herrschaft. Gemeinsames Merkmal aller Herrschaft ist hierbei die Bezogenheit auf das Wohl der Herrschaftsunterworfenen, des einzelnen i n der Herrschaft über das Haus wie auch der Hausväter und — durch sie vermittelt — der Hausangehörigen i n der Herrschaft über die societas civilis. Ungeachtet aller Verschiedenheiten, die sich notwendig i m Verlauf einer mehr als zweitausendjährigen Entwicklung der praktischen Philosophie i n Fassung und Akzentuierung dieses Gedankens ergeben, kann der Begriff des Gemeinwohles doch als Kennzeichen einer jeden Herrschaftsausübung innerhalb der altständischen Herrschaftsordnung aufgefaßt werden 5 2 . Der Herrschaftsbegriff ist teleologisch ausgerichtet 53 ; Herrschaft ist nicht um ihrer selbst willen, sondern gleichermaßen u m des Herrschenden wie um des Beherrschten willen existent. Darmstadt 1966, Bd. V I , S. 151. Einen noch späteren Beleg für den Terminus Weischedel, 2. reprographischer Nachdruck der Ausgabe Wiesbaden 1960, „Hausvater" i n dieser Bedeutung liefert Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. Stuttgart 1966, S.95: F ü r J. J. Wagner, Der Staat, 1815, S. 135, besteht der Staat n u r aus Hausvätern. Auch M a x Weber kennt diesen Begriff noch, allerdings n u r i n der nichtlegitimen Stadtgemeinde: „Diese wurde eine Konföderation der einzelnen Bürger (Hausväter) . . . " WuG., S. 531. 52 Bei Aristoteles ist Zweck der Herrschaft das gute Leben der einzelnen; bei Thomas von A q u i n finden sich zahlreiche Stellen, i n denen Herrschaft durch ihren Sinn f ü r das Gemeinwohl legitimiert w i r d : De regimine P r i n cipum, lib. I, cap. 1 - 3 ; erst bei K a n t fällt die teleologische Ausrichtung am Gemeinwohl infolge seiner kritizistischen H a l t u n g fort. Auch H. Maier, Polizeiwissenschaft, S. 312: „ . . . ging es vor allem u m den Nachweis, daß Recht, Friede und Wohlfahrt zwar verschiedene Staatszwecke sind, die sich m i t zunehmender K o m p l e x i t ä t der Gesellschaftsstrukturen gegeneinander verschieben, daß sie jedoch geschichtlich innerhalb des Kontinuums einer einheitlichen Rechtskultur und Rechtsanschauung erwachsen sind, die noch das Denken der frühen A u f k l ä r u n g . . . m i t bestimmt und geprägt hat." 5 3 Hennis, Politik, S. 62: „Über das Problem der Herrschaft, den Herrscher, Fürsten, Regenten ist seit der A n t i k e nie anders gedacht worden als i n unlösbarem Zusammenhang m i t dem Telos der Herrschaft."
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Kap. I : Herrschaft
D i e teleologische A u s r i c h t u n g v o n H e r r s c h a f t a m B e g r i f f des Gem e i n w o h l e s i n d e r p r a k t i s c h e n P h i l o s o p h i e findet i h r e E n t s p r e c h u n g i n d e r h i s t o r i s c h aufscheinenden S t r u k t u r d e r H e r r s c h a f t i n d e r a l t s t ä n dischen Gesellschaft. D e r B e g r i f f des G e m e i n w o h l e s spielte h i e r eine ü b e r r a g e n d e R o l l e , mochte auch sein I n h a l t anders u n d v i e l l e i c h t auch j e w e i l s k o n k r e t e r gefaßt sein als b e i A r i s t o t e l e s o d e r T h o m a s v o n A q u i n 5 4 . D i e U n t e r s u c h u n g e n d e r m o d e r n e n Verfassungsgeschichtsforschung h a b e n g e z e i g t 5 5 , daß H e r r s c h a f t i m M i t t e l a l t e r b e g r e n z t w a r u n d i h r e n S i n n f a n d a n d e m W o h l d e r Beherrschten. H i e r w i r d H e r r schaft n i c h t m e h r , w i e dies bis i n die ersten J a h r z e h n t e dieses J a h r h u n d e r t s h i n e i n geschehen ist, v e r s t a n d e n als bloße A u s ü b u n g v o n G e w a l t ü b e r die G e w a l t u n t e r w o r f e n e n , d i e z w a r als A u s ü b u n g v o n Recht, aber ü b e r i m G r u n d e Rechtlose, gesehen w u r d e . D e m Herrschaftsrecht des A d l i g e n entsprach i n dieser Sicht k e i n Recht des B e h e r r s c h t e n ; die V e r b i n d u n g v o n H e r r s c h a f t u n d Recht g i n g i n s Leere. Dagegen i s t H e r r s c h a f t f ü r das h e u t e w o h l ü b e r w i e g e n d e V e r s t ä n d n i s gekennzeichn e t d u r c h das M o m e n t d e r T r e u e 5 6 u n d d e r G e g e n s e i t i g k e i t 5 7 ; die A u s ü b u n g v o n H e r r s c h a f t r e c h t f e r t i g t sich so d u r c h die G e w ä h r u n g v o n Schutz u n d S c h i r m f ü r die B e h e r r s c h t e n 5 8 u n d w a r e i n g e b u n d e n i n 54 Hierzu vgl. Maier, Polizeiwissenschaft, S. 81 ; Fritz Kern, Gottesgnadent u m u n d Widerstandsrecht i m früheren Mittelalter, 4. unveränderte Aufl. Darmstadt 1967, S. 123, betont den Unterschied zwischen dem germanisch gefaßten u n d dem kirchlichen Staatszweck, indem er den (germanischen) Rechts- und Ordnungsstaat dem (christlich-mittelalterlichen) Wohlfahrts- und Kulturstaat entgegenstellt. Auch W. Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten i n der deutschen Staats- u n d Rechtsentwicklung, Festschrift A l f r e d Schultze zum 70. Geburtstag, Weimar 1934, reprograph. Nachdruck Darmstadt 1968, zeigt, daß der Begriff des Gemeinwohles i m Mittelalter weitgehend übereinstimmt m i t Rechts- u n d Friedenswahrung. 55 Bahnbrechend auch hier die Arbeiten Otto Brunners. Vgl. aber die grundlegende K r i t i k von K a r l Kroeschell, Haus und Herrschaft i m frühen deutschen Recht, Göttingen 1968 ( = Göttinger rechtswissenschaftliche Studien Bd. 70), S. 11 - 16. Da Kroeschells Einwände darauf abzielen, daß „ H e r r schaft" zuwenig das Moment der Rechtsverwirklichung i n sich enthalte (S. 46 f.), kann hier, w o es lediglich darum geht, einen Kontrastbegriff von „Herrschaft" gegenüber demjenigen von M a x Weber aufzuzeigen, an dieser kritisierten „herrschaftlichen" Sicht festgehalten werden. Eine Berücksichtigung der Ansicht Kroeschells, die eine den Rahmen dieser A r b e i t sprengende erhebliche Vertiefung der rein rechtshistorischen Fragestellung bedeuten würde, könnte den Kontrast gegenüber dem Herrschaftsbegriff M a x Webers n u r noch deutlicher werden lassen, da dieser weder das Moment des Gemeinwohles, geschweige denn das der rechtlichen Bindung i n sich enthält. 56 Vgl. Hans K u h n , Die Grenzen der germanischen Gefolgschaft, i n : Z R G (GA) Bd. 73 (1956), S. 17: M a n „weiß . . . wohl, daß den Germanen das andere E x t r e m (seil, der Treue), Befehlen und Gehorchen i m strengen Sinne, u n gewohnt gewesen ist u n d man, von Knechtschaft u n d Hörigkeit abgesehn, nichts andres als ein Treuverhältnis erwarten kann". 57 Kern, Gottesgnadentum, S. 152 f.: Treue „ . . . birgt i n sich den Vorbehalt, daß der eine Teil sie dem anderen nur insoweit schuldet, als auch der andere Teil seine Treupflicht hält".
3. Herrschaft u n d Gegenseitigkeit
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Recht u n d H e r k o m m e n . W a r diese R e c h t f e r t i g u n g n i c h t m e h r gegeben, so besaßen die B e h e r r s c h t e n e i n o r i g i n ä r e s Recht d a r a u f , aus d e m H e r r s c h a f t s v e r b a n d auszuscheiden oder sich a k t i v gegen d e n H e r r n z u s t e l l e n 5 9 . H e r r s c h a f t r e i c h t i m m e r n u r so w e i t , w i e Schutz u n d S c h i r m reichen: k a n n d e r G r u n d h e r r seine B a u e r n i m F a l l d e r F e h d e n i c h t m e h r schützen, so s i n d sie b e r e c h t i g t , seinem „ F e i n d " z u h u l d i g e n u n d sich d a m i t v o r ü b e r g e h e n d u n t e r seinen Schutz z u s t e l l e n 6 0 . W e n n auch d e r G e d a n k e des Widerstandsrechtes v o r w i e g e n d a m B e i s p i e l d e r m i t t e l a l t e r l i c h e n K ö n i g s h e r r s c h a f t erforscht w o r d e n i s t 6 1 u n d d i e Idee des G e m e i n w o h l e s v o n d e r F o r s c h u n g w e i t g e h e n d ebenfalls a u f d e n m i t t e l a l t e r l i c h e n „ S t a a t " b e s c h r ä n k t w u r d e 6 2 , so scheint doch g r u n d s ä t z l i c h k e i n U n t e r s c h i e d z w i s c h e n d e n verschiedenen H e r r schaftsformen zu bestehen. D i e H a u s h e r r s c h a f t ist d e r B a u s t e i n des 58 Einen kurzen Abriß gibt Maier, Polizeiwissenschaft, S. 52 ff. Er allerdings betont, daß das ursprünglich zwischen Bauern u n d Grundherr bestehende reine Gewaltverhältnis erst durch den kirchlichen Amtsgedanken modifiziert u n d daß die gewaltbezogene Herrschaftsordnung n u r durch den Einfluß der Kirche gesprengt worden sei. Für W. Schwer, Stand u n d Ständeordnung i m W e l t b i l d des Mittelalters, Paderborn 1934, beruht die herrschaftsständische Ordnung des Mittelalters auf „ B l u t u n d Erbe, Macht u n d Habe" (S. 58) ; Herrschaft ist reines Gewaltverhältnis. Erst der Einfluß der Kirche verlangt eine Legitimierung der Herrschaft durch die Bezogenheit auf den anderen, durch den Gedanken des Berufes, u n d wandelt so die ursprünglich rein herrschaftsständische i n eine berufsständische Ordnung um. Ähnlich, allerdings m i t dem Verdacht eines Zusammenhanges zwischen nationalsozialistischer Ideologie u n d Betonung des germanischen Treuegedankens, Frantisek Graus, Über die sogenannte germanische Treue, i n : Historica Bd. 1, Prag 1959, S. 71 ff., S. 120. Die überwiegende Ansicht der deutschen verfassungsgeschichtlichen Forschung bezieht das Moment der Gegenseitigkeit der Herrschaftsbeziehung i n seiner A u s w i r k u n g auf die Treue u n d den Gedanken von Schutz u n d Schirm bereits auf die germanische Zeit. Z u dieser Auseinandersetzung überhaupt vgl. Walter Schlesinger, Randbemerkungen zu drei Aufsätzen über Sippe, Gefolgschaft u n d Treue, i n : Alteuropa und die moderne Gesellschaft. Festschrift für Otto Brunner, Göttingen 1963. Die Treue als bestimmendes Moment der germanischen Gefolgschaft anerkennt auch K u h n , S. 8, S. 12. Das rechtliche Moment der „Treue" zeigt Hans Hattenhauer, Z u r A u t o r i t ä t des germanisch-mittelalterlichen Rechts, i n : Z R G (GA) Bd. 83 (1966), S. 258 ff., auf. 59 Kern, Gottesgnadentum, S. 152: „ W e n n also der K ö n i g das Recht bricht, verliert er ohne weiteres, eben durch sein Handeln, den Anspruch auf den Gehorsam der Untertanen." Vgl. auch v. Lassberg (Hrsg.), Der Schwabenspiegel, 133: „ W i r sullen den herrn darumbe dienen, daz si uns beschirmen. Beschirmen si uns nit, so sind w i r inen nicht dienstes schuldig nach rechte." 60 Otto Brunner, L a n d u n d Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs i m Mittelalter, 5. Aufl. Darmstadt 1965, S. 88. 61 K e r n zieht zwar auch manchmal das Verhältnis von Lehnsherrn u n d Lehnsmann heran; seine Arbeit (Anm. 54) bezieht sich jedoch ausschließlich auf die Königsherrschaft. 62 Merk, Der Gedanke, S. 34, f ü h r t nur wenige Stellen an, aus denen hervorgeht, daß auch die Herrschaft i n der Genossenschaft an das gemeine Beste gebunden ist.
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mittelalterlichen Herrschaf tsgefüges; ein struktureller Unterschied zwischen ihr und der Herrschaft des Königs ist nicht festzustellen 63 . Der einheitliche Herrschaftsbegriff der altständischen Gesellschaft umfaßt so alle Grade der Herrschaft von derjenigen über das ganze Haus bis zu derjenigen über das Königreich und enthält als wesentlichstes Moment die Eingebundenheit der Herrschaft i n das Recht 64 und damit ihre Begrenzung durch das Wohl der Beherrschten. Auch die Auflösung der altständischen Ordnung, ein sich über Jahrhunderte hinweg erstreckender Prozeß, änderte an dem geschilderten Herrschaftsbegriff nichts. Zwar versuchte der neuzeitliche Territorialstaat m i t Erfolg, das Herrschaftsgefüge von seiner personalen auf eine sachliche, flächenbezogene Grundlage umzustellen; die Stände, Teilhaber an der landesherrlichen Gewalt, mußten i n dem Zentralisierungsprozeß der Macht, der zum modernen Staat hinführen sollte, weichen. Die ständische Ordnung freilich blieb faktisch unberührt, wurde aber i n zunehmendem Maße funktionslos. A u f den Herrschaftsbegriff hatte dies noch keine Auswirkungen. I m Gegenteil: erst der fürstliche Absolutismus — vor allem i n den protestantischen Ländern — konnte den m i t dem Herrschaftsbegriff verbundenen Gedanken des gemeinen Wohles über die i m Mittelalter gegebene Beschränkung auf Rechtsund Friedenswahrung ausweiten i m Sinne der älteren Tradition politischen Denkens 65 . Die Renaissance der Scholastik an den protestantischen Universitäten bereitete durch die an Aristoteles orientierte A u f fassung vom Wesen des Gemeinwohles den Wohlfahrtsstaat vor; erst hier entfaltete sich die seit jeher vorhandene Ausrichtung der Herrschaft am Wohle der Beherrschten ganz 66 . 63 Walter Schlesinger, Herrschaft u n d Gefolgschaft i n der germanischdeutschen Verfassungsgeschichte, i n : Herrschaft u n d Staat i m Mittelalter, hrsg. von H e l l m u t Kämpf, Darmstadt 1964, S. 138 f. Schlesinger bezieht die Gleichartigkeit der Herrschaftsformen auf diejenige des Königs u n d der anderen Herren — aber Herren sind eben stets Herren i m Hause, w i e B r u n ner, L a n d und Herrschaft, S. 255, zumindest f ü r die spätmittelalterliche Zeit nachgewiesen hat. Kritisch hierzu Kroeschell, Haus u n d Herrschaft, S. 17 ff. 64 Diese Bezogenheit von Herrschaft u n d Recht i n der neueren Verfassungsgeschichtsforschung leugnet Kroeschell, Haus u n d Herrschaft, S. 45 ff. Auch eine stärker an S t r u k t u r u n d F u n k t i o n des Rechts innerhalb der „herrschaftlichen" Erscheinungen orientierte Betrachtung müßte hinsichtlich des Herrschaftsbegriffes M a x Webers, u m den es hier geht, zu gleichen Ergebnissen gelangen. 65 Maier, Polizeiwissenschaft, S. 204 ff. Maier betont freilich, daß der Aristotelismus n u r so lange die politische W i r k l i c h k e i t des Territorialstaates bestimmen konnte, „ . . . als dieser noch überwiegend i n personalen Beziehungen aufging . . . " (S. 205). Daneben t r i t t nach u n d nach die an der ratio status orientierte Kameralistik als Handlungslehre des m e r k a n t i l i s t i schen Staates. Ebenso H. Maier, Ältere deutsche Staatslehre u n d westliche politische Tradition, Tübingen 1966, S. 18 ff. 66 Noch Christian Wolff, der freilich „auf Grund der Einflüsse seiner i n Schlesien verbrachten Jugend der Scholastik" nahesteht (so Hans Thieme,
3. Herrschaft und Gegenseitigkeit
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Die Zentralisierung der Macht i n der Person des Landesherrn mußte auf die Struktur der darunterliegenden Herrschaftsschichten nicht notwendig Einfluß nehmen und i n der Tat ist auch zu bemerken, daß die m i t dem Wandel vom Personenverbands- zum Flächenstaat verbundenen Strukturänderungen die Herrschaftsordnungen soweit unbeeinflußt gelassen haben, daß die Anschauung von „Herrschaft" i n der Praxis unverändert bis zum Übergang der societas civilis zur bürgerlichen Erwerbsgesellschaft bleiben konnte. Der absolutistische Staat erkaufte sich seinen Machtzuwachs m i t der Anerkennung bestehender Herrschaftsordnungen, soweit diese daraus keinen Anspruch auf Teilhabe an der staatlichen Macht ableiteten. Er hatte genug damit zu tun, den Einfluß der Stände auf den Staat abzuwehren und konnte es sich — bis i n das 19. Jahrhundert hinein — nicht leisten, die Basis der ständischen Ordnung i n Grund- und Hausherrschaft anzutasten 67 . Die aus dem Mittelalter überkommene Herrschaftsstruktur blieb bis zum Untergang der altständischen Gesellschaft an der Wende zum 19. Jahrhundert nahezu unberührt; der Herrschafts begriff der societas civilis freilich wurde bereits vorher Wandlungen unterworfen: die veränderte Lage zwischen Staat und unterstaatlichen Herrschaftsgefügen fand ihren ersten Ausdruck in einer Sozialphilosophie, die als Wegbereiter und Verteidiger des modernen Staates begrifflich das sich selbst überlebende alte Herrschaftsgefüge überholte. b) Der neuzeitliche Herrschaftsbegriff Die neue Staats- und Sozialphilosophie hatte sich bereits i m Mittelalter angebahnt in der Abkehr von der begriffsrealistischen Sicht des Das Naturrecht u n d die europäische Privatrechtsgeschichte, Basel 1954, S. 24), schreibt i n § 983 seiner Grundsätze des N a t u r - u n d Völkerrechts, Halle 1754 (hier zitiert nach dem Auszug i n : Georg Lenz [Hrsg.l, Deutsches Staatsdenken i m 18. Jahrhundert, Neuwied—Berlin 1965, S. 309 ff.), daß „ . . . die Herrschaft i n einem Staat i n dem Recht besteht, dasjenige anzuordnen, was zu Beförderung des gemeinen Bestens erfordert w i r d . . . " u n d versteht unter dem gemeinen Besten: „Die Wohlfahrt eines Staats aber (salus civitatis) bestehet i n dem Genuß des hinlänglichen Lebensunterhalts, der Ruhe u n d der Sicherheit . . . " (§ 972). 67 Vgl. Fritz Härtung, Der aufgeklärte Absolutismus, i n : Hans Hubert Hof mann (Hrsg.), Die Entstehung des modernen souveränen Staates, K ö l n — B e r l i n 1967, S. 152 ff. H ä r t u n g betont, daß auch der aufgeklärte Absolutismus n u r i n zwei Fällen seine erklärte Absicht verwirklichen und Bauernbefreiungen vornehmen konnte — i n Baden und i m josephinischen Österreich. Die Zurückhaltung gegenüber dem kleinsten Strukturelement der altständischen Herrschaftsordnung, der Hausherrschaft, kennzeichnet H ä r t u n g m i t jener Episode, i n der noch 1801 der Impfzwang als unvereinbar „ m i t der jedem Hausvater zukommenden unbestreitbaren Freiheit" abgelehnt wurde (S. 166). Die Hausherrschaft wurde, wie Koselleck, Preußen, S. 62 ff., gezeigt hat, erst durch das preußische Allgemeine Landrecht zumindest teilweise aufgelöst; die dem Hausvater noch verbliebenen Rechte w u r d e n auf den Hauseigentümer übertragen. Aus dem herrschaftlichen Begriff des Hauses wurde so ein wirtschaftlicher Begriff.
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Kap. I : Herrschaft
Kosmos, auf der die hierarchische Ordnung der Welt und die Rechtfertigung der altständischen Herrschaftsordnung geruht hatte. Träger dieser Abkehr war der Nominalismus, m i t dem sich später epikuräistisches Gedankengut zur neuzeitlichen, individualistisch orientierten Sozialphilosophie verbinden sollte. Das Fazit dieser Entwicklung war die Abkehr von der alten Naturrechtslehre, die i n der Konzeption gleichgeordneter Triebe ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Selbsterhaltungstrieb, Liebe zu Gott und Liebe zum Nächsten geschaffen hatte. Kennzeichen jener neuen, neoepikuräistisch-nominalistischen Naturrechtslehre war nunmehr die einseitige Hervorhebung des Selbsterhaltungstriebes, dem als Korrektur allein die Offenbarung als quasipositives Naturrecht gegenüberstand 68 . I n der Staatsphilosophie drückte sich diese Entwicklung i n der Figur des Herrschaftsvertrages aus. Die i m Naturzustand unverbunden und a-sozial nebeneinander lebenden Individuen bedurften eines Anstoßes, u m sich i n eine nicht mehr als selbstverständlich akzeptierte Herrschaftsordnung einzufügen. M i t der Aufgabe und zugleich Übertragung ihrer Rechte auf den Staat beendeten sie den bellum omnium contra omnes. Von der Figur des Vertrages her konnte der Staat allerdings nicht mehr und keine weitergehenden Herrschaftsbeziehungen enthalten, als dies bei seiner Gründung vereinbart worden war. Die sich aus dem mittelalterlichen ordoGedanken ergebende Rechtfertigung der Herrschaft wurde unter Geltung der neuen Staatsphilosophie abgelöst durch die kontraktmäßige Vereinbarung von Über- und Unterordnung; die Gleichheit des Naturzustandes konnte nur durch Vereinbarung herrschaftlich geordnet werden. Herrschaft ist nunmehr begrenzt durch den Herrschaftsvertrag, d. h. aber durch das egoistische Interesse der Parteien. Die Lehre von der Herrschaft mußte angesichts dieser Akzentverschiebungen grundlegenden Wandlungen unterworfen werden. Die bislang selbstverständliche Korrespondenz zwischen Rechten und Pflichten — entstanden eben aus der Gleichberechtigung von Selbsterhaltungs- und Sozialtrieb — wurde abgelöst durch die Betonung der Berechtigungsseite. Die Vorrangigkeit des Selbsterhaltungstriebes machte das egoistische Interesse am Uberleben zum Maß aller Dinge; das Gemeinwohl mußte — verursacht durch die epikuräistischen, teils auch hedonistischen Züge der modernen Naturrechtslehren — hinter dem Eigennutz zurückstehen. Der Verpflichtungscharakter des Rechts wurde dabei freilich nicht völlig außer Acht gelassen oder gar aufgegeben, aber er erfuhr eine Umgestaltung, die die Stringenz dieses Gedankens letztlich beseitigte. Die bis heute nachwirkende, von Kant bis i n das 68 Eine gute Darstellung der traditionellen u n d modernen Entwicklungslinie des Naturrechts u n d ihrer fast undurchdringlichen Verwobenheit i n einer Übergangszeit gibt Walter Euchner, Naturrecht und P o l i t i k bei John Locke, F r a n k f u r t 1969.
3. Herrschaft u n d Gegenseitigkeit
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Extrem gesteigerte Trennung von Recht und Moral 6 9 , von Innen und Außen erlaubte es, die bislang i m Recht — und damit i m Herrschaftsbegriff — mitgedachte Verpflichtung gegenüber Dritten von der Ausübung des Rechtes oder der Herrschaft zu trennen und der moralischen Seite zuzuordnen. Die egoistisch und individualistisch strukturierte Berechtigungsseite wurde dem Rechtsbereich zugeordnet, während die Pflichtenlehre i n den Bereich der Moral verwiesen wurde und zwar innerlich verbindlich, aber rechtlich nicht erzwingbar war. Diese Aushöhlung der Pflichtenlehre unter formaler Beibehaltung ihrer Inhalte ging so weit, daß auf der einen Seite ein Pflichtenkatalog aufgestellt, auf der anderen Seite aber betont wurde, der naturrechtlichen Verbindlichkeit sei bereits dann Genüge getan, wenn dem anderen kein Schaden zugefügt werde 7 0 . Der Gedanke des Gemeinwohles war damit aus dem Herrschaftsbegriff eliminiert; Herrschaft erfuhr ihre Rechtfertigung nicht mehr durch die Berücksichtigung des Wohles der Beherrschten, jedenfalls nicht mehr i n einem relevanten Maße. Denn wenn auch der Gedanke der socialitas noch beibehalten wurde, so gab es nunmehr als Instanz, die über seine Befolgung wachen konnte und sollte, nur mehr das eigene Gewissen. Diese Entleerung des Rechts- und Herrschaftsbegriffes von verpflichtenden Momenten entsprach den Bedürfnissen der sich innerhalb der altständischen Ordnung entwickelnden bürgerlichen Erwerbsgesellschaft. Das Bürgertum, den Schutz des absolutistischen Staates genießend, fühlte sich stark genug, auf Schutz und Schirm unterstaatlicher Herrschaftsgewalten verzichten zu können. Der Bestand herrschaftsständischer Ordnungen hatte seine Funktion verloren und konnte nur mehr als Hemmschuh bürgerlichen Erwerbsstrebens verstanden werden. Den Pflichten der Beherrschten standen keine adäquaten Verpflichtungen der Herrschenden mehr gegenüber. Dieser Entwicklung entsprach die optimistische Theorie des Liberalismus. Durfte das Bürgertum nur ungestört seinen eigenen Interessen nachgehen, so war damit zugleich die bestmögliche Entwicklung des Gemeinwohles gesichert. Das unverbundene, individualistische und atomistische Nebeneinanderleben der Menschen 71 führte letzten Endes doch zur Har69 Diese Trennung ist bei Grotius u n d Pufendorf noch nicht sichtbar; erst Thomasius und Wolff entwickeln diesen Gedanken; vgl. F r i t z von Hippel, Z u m A u f b a u und Sinnwandel unseres Privatrechts, Tübingen 1957, S. 44, Anm. 34, u n d S. 49, A n m . 44, sowie Maier, Staatslehre, S. 12, S. 14. 70 v. Hippel, S. 44, S. 49, m i t weiteren Nachweisen. 71 W i l h e l m von Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der W i r k samkeit des Staats zu bestimmen, Stuttgart 1962, S. 24: „Das höchste Ideal des Zusammenexistierens menschlicher Wesen wäre m i r dasjenige, i n dem jedes n u r aus sich selbst u n d u m seiner selbst w i l l e n sich entwickelte." Humboldts Schrift k a n n f ü r das Selbstbewußtsein des damaligen Bürgertums als paradigmatisch gelten.
3 Speer
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Kap. I : Herrschaft
monie des Ganzen; der einzelne, indem er für sich sorgte, sorgte zugleich auch für das Ganze. Dies ist der Ort, an dem die Entwicklung des modernen Herrschaftsbegriffes 72 ihren eigentlichen Anfang nimmt. Das Erwerbsbürgertum bedurfte eines Rechts- und Herrschaftsbegriffes, der dem einzelnen Freiheit genug ließ, um sich i n der für i h n günstigsten Weise m i t anderen Individuen vertraglich je nach seinen jeweiligen Interessen zu verbinden; der Freiheit genug ließ, u m die Bindung tatsächlich auf das vertraglich Gewollte zu beschränken und — anstatt den gesamten Status des anderen zu erfassen — jeweils nur einen Teil der Person i m Kontrakt band. Diesen Rechtsbegriff hat Friedrich Carl von Savigny entwickelt. Savigny hatte das subjektive Recht, den Zentralbegriff seines Privatrechtssystems, m i t Herrschaft gleichgesetzt und definiert als „die der einzelnen Person zustehende Macht: ein Gebiet, w o r i n ihr Wille herrscht und m i t unserer Einstimmung herrscht". Das „Rechtsverhältnis, von welchem jedes einzelne Recht nur eine besondere, durch A b straktion ausgeschiedene Seite darstellt", besteht darin, „daß dem individuellen Willen ein Gebiet angewiesen ist, i n welchem er unabhängig von jedem fremden Willen zu herrschen h a t " 7 3 . Das subjektive Recht gewährt generell Herrschaft über Personen und Sachen und bietet damit dem einzelnen einen Freiheitsraum zur Entfaltung seiner sittlichen Autonomie 7 4 . I n gewissem Sinn zeigt sich i n dieser Auffassung, die private Rechte als Herrschaftsrechte versteht, noch die Nachw i r k u n g der altständischen, durch und durch herrschaftlich strukturierten Gesellschaftsordnung. Aber i n dem subjektiven Recht als Herrschaftsrecht über Personen handelt es sich eben doch nicht mehr um das Recht auf die Herrschaft über die gesamte Person, sondern nur über einen aus dem personalen Bereich herausgenommenen, rechtlich begrenzten Teil, der einer in sich von vornherein eingeschränkten Herrschaft unterworfen wurde. Der Rechtsbegriff als Begriff von Herrschaft w i r d aufgeteilt in Herrschaft über Sachen und solche über Per72 U n d vielleicht — w e n n man Kroeschells Ablehnung des Herrschaftsbegriffes folgt — des Herrschaftsbegriffes als „allgemeiner Kategorie" oder als „modernen Allgemeinbegriffes v o m menschlichen Zusammenleben" ; K r o e schell, Haus u n d Herrschaft, S. 19, S. 50. 73 Die Zitate aus: Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, B e r l i n 1840, S. 7. 74 Den hier zutagetretenden Zusammenhang zwischen Savigny u n d K a n t betont Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. Göttingen 1967, S. 352, u n d ders., Gründer und Bewahrer, Göttingen 1959, S. I l l , S. 135. Hierzu auch Hans Kiefner, Der Einfluß Kants auf Theorie u n d Praxis des Zivilrechts i m 19. Jahrhundert, i n : J. Blühdorn, J. Ritter (Hrsg.), Philosophie u n d Rechtswissenschaft. Z u m Problem ihrer Beziehung i m 19. Jahrhundert, F r a n k f u r t 1969, S. 3 ff. Ebenso Rudolf Gmür, Savigny u n d die Entwicklung der Rechtswissenschaft, Münster 1962, S. 26 f.
3. Herrschaft u n d Gegenseitigkeit
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sonen. Nur die Herrschaft über Sachen kann für eine Rechtsauffassung, die an der Rechtslehre Immanuel Kants orientiert ist, unbeschränkt sein; die Herrschaft über Personen w i r d stets nach dem kantischen Prinzip der Vermittlung der Freiheit des einen m i t derjenigen des anderen eingeschränkt sein müssen 75 . Dies ist für Savigny die Vorbedingung der Anwendung des Herrschaftsbegriffs auf Personen: „Wäre nun diese Herrschaft eine absolute, so würde dadurch i n dem Andern der Begriff der Freyheit und Persönlichkeit aufgehoben; w i r würden nicht über eine Person herrschen, sondern über eine Sache . . . Soll dieses nicht seyn, wollen w i r uns vielmehr ein besonderes Rechtsverhältniß denken, welches i n der Herrschaft über eine fremde Person, ohne Zerstörung ihrer Freyheit, besteht, so daß es dem Eigenthum ähnlich, und doch von i h m verschieden ist, so muß die Herrschaft nicht auf die fremde Person i m Ganzen, sondern nur auf eine einzelne Handlung derselben bezogen werden; diese Handlung w i r d dann, als aus der Freyheit des Handelnden ausgeschieden, und unserm Willen unterworfen gedacht 76 ." Der umfassende Herrschaftsbegriff der altständischen Ordnung ist damit aufgegeben. Rudimentär und i n jedem Falle von dem Gedanken der Zweckbindung entleert lebt er weiter i n der Auffassung der subjektiven Rechte als Herrschaftsrechte, w i r d aber sonst beschränkt auf den Staat und die Familie. Die Familie, bürgerliches Surrogat des ganzen Hauses, ist der Ort, an dem die außerstaatliche Herrschaft geduldet w i r d ; die väterliche Gewalt w i r d als ebenso originär wie die des Staates gedacht. Savignys Herrschaftsbegriff, dem Privatrecht angehörend und kaum noch an den altständischen Begriff von Herrschaft erinnernd, führt direkt h i n zu der einzigen Wissenschaftsdisziplin, die Herrschaft i m weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts als ihren Gegenstand betrachtet hat: der Staatsrechtswissenschaft. Die Übertragung des privat rechtlichen Begriffes von Herrschaft auf das Gebiet des Staatsrechts und die zunehmende Vereinnahmung des Herrschaftsbegriffes i n die Begrifflichkeit von Staatslehre und Staatsrecht fügen sich nahtlos ein i n die Geschichte der Staatsrechtswissenschaft i m 19. Jahrhundert. M i t der allmählichen Entwicklung der Theorie von der Rechtspersönlichkeit des Staates und der ständigen Übertragung pandektistischer Begriffe und Methoden auf das Gebiet des Staatsrechts wurde auch der Herrschaftsbegriff für das Staatsrecht monopolisiert. 75 I. Kant, Metaphysik der Sitten, i n : Werke, Bd. I V , S. 337: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die W i l l k ü r des einen m i t der W i l l k ü r des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann." 76 Savigny, System, S. 338 ff. 3*
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Kap. I : Herrschaft
Die Reichsstaatsrechtslehre zu Ende des 18. Jahrhunderts vermochte sich noch nicht zur Zusammenfassung des Bündels der einzelnen Hoheitsrechte zu dem Begriff der Staatsgewalt durchzuringen 77 . Zwar kannte das allgemeine Staatsrecht — die spätere allgemeine Staatslehre — den Begriff einer höchsten Gewalt i m Staate bereits i n verhältnismäßig frühen Zeiten 7 8 , aber i m positiven Staatsrecht war für einen derartigen Begriff bis zum Ausgang des Reiches kein Raum. Dies mochte zum Teil daran liegen, daß es sich hier um die Staatsrechtslehre nicht nur des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation m i t seiner sehr zweifelhaften obersten Gewalt handelte, sondern ebenso u m diejenige seiner Territorien. Der sehr unterschiedliche Ausbau der Landeshoheit erforderte entweder die Beschränkung auf die Beschreibung der positiven Rechtslage oder aber die Schaffung eines Begriffes, in dem die einzelnen Hoheitsrechte relativ unverbunden nebeneinander bestehen konnten. Ein solcher Begriff war m i t dem Terminus der „Landeshoheit" 7 9 gegeben, i n dem sich eine Zusammenfassung der einzelnen Hoheitsrechte über ihre Legitimierung durch den Staatszweck anbahnte 80 . Aber die Umkehr i n der Begründung der einzelnen Hoheitsrechte wurde letztlich doch erst m i t dem insoweit von Romeo Maurenbrecher vollendeten 8 1 Begriff der Staatsgewalt geschaffen. Erst durch Maurenbrecher wurde die Staatsgewalt aus einem Brennpunkt, in dem sich Hoheitsrechte verschiedensten Ursprungs sammelten, zur Quelle der Hoheitsrechte selbst umgewandelt. Nun flössen die Hoheitsrechte aus der einheitlichen Befehlsgewalt hoheitlichen Charakters. Die Staatsgewalt wurde so zum Zentralpunkt des Staatsrechtssystems. Zuordnungspunkt für diesen neuen Begriff blieb freilich, wie auch schon für die Hoheitsrechte, der Monarch 82 . Die Staatsgewalt wurde 77 Hierzu vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz u n d gesetzgebende Gewalt. Von den Anfängen der deutschen Staatsrechtslehre bis zur Höhe des staatsrechtlichen Positivismus, B e r l i n 1958, S. 53 ff. Über J. L. K l ü b e r heißt es (S. 84): „ V o n der einheitlichen, universalzuständigen Staatsgewalt ist noch keine Rede." Vgl. auch die Nachweise bei Krüger, S. 824 f. 78 Klaus Hespe, Z u r Entwicklung der Staatszwecklehre i n der deutschen Staatsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, K ö l n — B e r l i n 1964, S. 34, A n m . 37. Hespe zitiert als ein Beispiel Hippolithus a Lapide. 79 Dazu vgl. H e l m u t Quaritsch, Staat und Souveränität. Bd. I : Die G r u n d lagen, F r a n k f u r t 1970, S. 403 f. 8 0 Hespe, S. 35 ff. 81 Quaritsch, S. 406, m i t früheren Nachweisen. Quaritsch betont insoweit die Rolle Klübers, bei dem die „Hoheitsrechte . . . jetzt nicht mehr Einzelbefugnisse, sondern lediglich Ausprägungen und Anwendungsfälle der Staatsgewalt' . . . " seien. 82 Ulrich Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, 1. Teil, Dogmengeschichtliche Darstellung, Tübingen 1959, S. 81 f. Obwohl sich die Staatsrechtslehre i n der Zeit des Deutschen Bundes verstärkt u m die Herausarbeitung der Rechtspersönlichkeit des Staates bemühte, mußte — entsprechend der politischen Situation jener Zeit — vorläufig noch die Person des Monarchen zum Zuordnungspunkt f ü r die Staatsgewalt als universellem Herrschaftsrecht dienen.
3. Herrschaft u n d Gegenseitigkeit
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zunächst als sein Recht aufgefaßt. I n der weiteren Entwicklung machte sich freilich das Bedürfnis bemerkbar, sich stärker gegen die „patrimoniale" Staatsauffassung des 18. Jahrhunderts 8 3 und vor allem K a r l L u d w i g von Hallers, die größere Aktualität besaß, zu wenden: nicht mehr der Monarch durfte Inhaber der Staatsgewalt sein, sondern die Rechtspersönlichkeit des Staates 84 . Damit war die Gefahr gebannt, den Monarchen als „Eigenthümer an der Souveränetät" betrachten zu müssen, wie Maurenbrecher dies noch getan hatte 8 5 . Der Staat war unversehens zu einer selbständigen Persönlichkeit geworden. Diese Verselbständigung des Staates von der Person des Monarchen blieb für die Entwicklung der Staatsrechtslehre von entscheidender Bedeutung. Es war zwar m i t dieser Konstruktion der Notwendigkeit ausgewichen worden, die Staatsgewalt i n der A r t eines privaten Eigentumsrechtes auffassen zu müssen, aber der hierin sich geltend machende Einfluß der Pandektenwissenschaft auf die Staatsrechtslehre, des privaten auf das öffentliche Recht war nicht nur nicht ausgeschaltet, sondern i m Gegenteil noch verstärkt worden. Bereits Maurenbrecher 86 hatte i n seiner Replik gegen Albrecht diesem vorgeworfen, m i t seiner Konstruktion des Staates als juristischer Person bewege er sich auf dem Boden des Privatrechts. Und Gerber, der sich i n seiner Schrift „Uber öffentliche Rechte" von 1852 noch gegen diese Konstruktion gewandt hatte 8 7 , wußte u m diese Gefahren, wenn er schreibt, m i t dieser Lehre käme man wiederum nur auf das „privatrechtliche Subjektsverhältniß" 8 8 . Die gesamte Theorie der Rechtspersönlichkeit des Staates konnte ihren privatrechtlichen Ursprung niemals verleugnen; die Kategorie der 88 Besonders Carl Friedrich von Gerber, Über öffentliche Rechte, Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1913, Darmstadt 1968, S. 3, wendet sich 1852 gegen diese Staatsauffassung, die er freilich f ü r jene Zeit als gerechtfertigt ansieht durch die W i r k l i c h k e i t der „altständischen Verfassung". F ü r die Rolle, die die Staatsgewalt f ü r Gerber spielt, ist es bezeichnend, w e n n er über den Patrimonialstaat schreibt: „Streng genommen ist dies gar kein wirklicher Staat, sondern n u r eine Summe historisch hergebrachter Hoheitsrechte m i t äußerer privatrechtlicher Beglaubigung, welche die Stelle der Staatsgewalt vertreten sollte." 84 Eduard Albrecht hatte i n seiner Rezension von Maurenbrechers G r u n d sätzen des heutigen deutschen Staatsrechts, i n : Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, reprograph. Nachdruck Darmstadt 1962, S. 4, gefordert, den Staat als juristische Person zu denken. es Zitiert nach Gerber, Über öffentliche Rechte, S. 43. se Romeo Maurenbrecher, Die deutschen regierenden Fürsten u n d die Souveränetät, F r a n k f u r t 1839, S. 276 ff. 87 M i t ausdrücklicher Nennung seines Lehrers Albrecht, gegen den er hier (S. 12 ff.) Stellung n i m m t . 88 Gerber, Über öffentliche Rechte, S. 16. Hierzu Häfelin, S. 132, A n m . 54. Seine spätere H a l t u n g hierzu hat sich teilweise gewandelt, wie Peter von Oertzen, Die Bedeutung C. F. von Gerbers f ü r die deutsche Staatsrechtslehre, i n : Festgabe f ü r Rudolf Smend zum 80. Geburtstag, Tübingen 1962, S. 194, feststellt.
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Kap. I : Herrschaft
juristischen Person war dem Privatrecht entlehnt und mußte notwendig andere privatrechtliche Kategorien nach sich ziehen. Privatrechtliche Elemente machten die geforderte Einheit des öffentlichen Rechtes von vornherein illusorisch. A n dieser Stelle w i r d der Zusammenhang zwischen dem Begriff des subjektiven Rechts bei Savigny und dem Herrschaftsbegriff des späteren staatsrechtlichen Positivismus offenbar. Die Staatsgewalt — zuerst i n ihrer Zuordnung zur Person des Monarchen, dann zur Person des Staates — mußte als subjektives Recht verstanden werden. Der bloße Wechsel i n der Bezugsperson änderte an dieser Auffassung nichts. Die Beschränkung, die dem subjektiven Recht als Herrschaftsrecht über Personen i n der Systematik Savignys auf Grund der kantischen Rechtslehre auferlegt worden war, brauchte angesichts der Andersartigkeit des Rechtssubjekts nicht beibehalten zu werden: das subjektive Recht des Staates ist die allumfassende Staatsgewalt 89 . A u f sie w i r d unbedenklich der spezifisch privatrechtliche Begriff der Willensmacht angewandt 9 0 . Alle Versuche, die bei der Entwicklung der Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates mitübernommenen, dem Privatrecht entstammenden Begriffe von denjenigen Merkmalen zu reinigen, die diesen Ursprung nur zu deutlich verrieten, mußten scheitern. Denn nicht nur die pandektistische Methode wurde auf den Bereich des öffentlichen Rechts übertragen 9 1 — erklärlich aus der weitaus besseren begrifflichen Durcharbeitung der Pandektenwissenschaft —, sondern se Häfelin, S. 80: „Das System der Staatsrechtslehre ging grundsätzlich aus von den beiden Fragen nach den Subjekten u n d ihren Rechten. Dementsprechend wurde die Staatsgewalt bereits als ein subjektives Recht aufgefaßt, zu dem sich die Vielzahl von Hoheitsrechten vereinigte . . . " 00 Vgl. C. F. von Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. Leipzig 1880, S. 3: „Die Willensmacht des Staates ist die Macht zu herrschen; sie heißt Staatsgewalt." Ebenso S. 21. Es ist Hespe, S. 38, Recht zu geben, w e n n er auf den Zusammenhang m i t dem Willensbegriff des deutschen Idealismus als des Vermögens der absoluten Freiheit hinweist. Aber dies ändert nichts daran, daß dieser Willensbegriff ursprünglich auf den Begriff der natürlichen Person zugeschnitten w a r u n d daß erst die Übertragung dieses Begriffes auf den Staat die Anwendung systematisch damit verbundener Begriffe i m Staatsrecht ermöglichte. 91 „Es mag schon jetzt ausgesprochen werden, daß m i r der einzige Weg einer sicheren Begründung des positiven Staatsrechts i n seiner formellen Wiederannäherung an das Privatrecht zu liegen scheint . . . " , Gerber, Über öffentliche Rechte, S. 24. Vgl. hierzu Böckenförde, Gesetz u n d gesetzgebende Gewalt, S. 217 f., u n d Otto von Gierke, Labands Staatsrecht u n d die deutsche Rechtswissenschaft, i n : Schmollers Jahrbuch, Neue Folge 7. Jahrgang, S. 1097 ff., photomech. Nachdruck, 2. Aufl. Darmstadt 1961, S. 25 ff. Laband überträgt ganz bewußt privatrechtliche Begriffe auf das Staatsrecht, sieht i n ihnen jedoch n u r „juristische Wesenheiten quasikategorialer Existenz" (Böckenförde, S. 217). Gierke weist m i t Recht darauf hin, daß die zivilistischen Begriffe „keineswegs bereits den ganzen u n d vollen Rechtsgedanken" enthielten, sondern eben durch ihren Ursprung den öffentlich-rechtlichen Aspekt vernachlässigen müßten, S. 27.
3. Herrschaft u n d Gegenseitigkeit
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die gesamte Stellung des Staates war identisch m i t der des privatrechtlichen Subjekts. Zwar wurde versucht, „dem fingirten Subjekt statt der Vermögensrechte Herrschaftsrechte" 92 zuzuschreiben, aber damit war nichts gewonnen. Die Ersetzung des Terminus „Vermögensrecht" durch den Begriff „Herrschaftsrecht" ist angesichts der Fassung des subjektiven Rechts durch Savigny nur die Ersetzung des einen privatrechtlichen Begriffes durch einen anderen. Freilich darf darüber nicht vergessen werden, daß der Herrschaftsbegriff in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter der Geltung des staatsrechtlichen Positivismus aus dem Privatrecht bereits weitgehend eliminiert und tatsächlich das Konstituens für den Staatsbegriff und damit das öffentliche Recht geworden w a r 9 3 . Ein Bestandteil der privatrechtlichen Begriffswelt des Staatsrechtes war isoliert und verabsolutiert worden und konnte vermöge dieser Isolierung schließlich zum unterscheidenden Merkmal alles Staatlichen werden. Die i m Tatsächlichen vorhandene, spätestens i n der Mitte des 19. Jahrhunderts abgeschlossene Monopolisierung der Zwangsgewalt durch den Staat zieht die Monopolisierung des Herrschaftsbegriffes für den Staat m i t sich 94 . So konnte eine „Lehre vom Herrschen als wesentlichem Merkmal der Staatsgewalt" entstehen, deren Begründer C. F. von Gerber war 9 5 . Für Gerber und die i h m nachfolgende positivistische Staatsrechtslehre ist Herrschaft das typische Merkmal des Staates 96 . 02 Gierke, Labands Staatsrecht, S. 30. 98 Gerber allerdings stellt 1864 — Über die Theilbarkeit deutscher Staatsgebiete, i n : Gesammelte juristische Abhandlungen, 2. Ausgabe Jena 1878, S. 447, A n m . — erst die Forderung auf, den Herrschaftsbegriff aus dem Privatrecht zu eliminieren. U n d Stintzing-Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Bd. I I I 2, München—Leipzig 1910, S. 831, geben w o h l n u r die übereinstimmende Meinung der Staatsrechtslehre wieder, wenn es dort heißt: „Entscheidend ist aber dafür (seil, für die Verselbständigung des Staatsrechts) geworden der Begriff der Herrschaft, des Herrschaftsrechts, den j a freilich auch das Privatrecht, wennschon i n etwas anderem Sinne, kennt, den aber Gerber f ü r das Staatsrecht m i t solcher Energie umgestaltet, dann als staatsrechtlich ausschlaggebenden so fest i n Anspruch n i m m t , daß damit allein schon eine neue Epoche des Staatsrechts begründet ist . . . " 94 Vgl. Paul Laband, Das Staatsrecht des deutschen Reiches, Bd. I, 2. Aufl. Freiburg 1888, S. 6 4 1 : „Herrschen ist das Recht, freien Personen (und Vereinigungen von solchen) Handlungen, Unterlassungen u n d Leistungen zu befehlen u n d sie zur Befolgung derselben zu zwingen. H i e r i n liegt der K e r n p u n k t f ü r den Gegensatz der öffentlichen u n d der Privatrechte. Das P r i v a t recht kennt eine Herrschaft n u r über Sachen . . . I m heutigen Recht gibt es — von dem i n der familienrechtlichen Gewalt enthaltenen, geringfügigen Rest abgesehen — keine Privatunterthänigkeit u n d keine Privatgewalt; der Staat allein herrscht über Menschen. Es ist dies sein specifisches Vorrecht, das er m i t Niemandem theilt. Sein W i l l e hat allein die K r a f t , den W i l l e n der I n d i v i d u e n zu brechen, über Vermögen, natürliche Freiheit u n d Leben derselben zu verfügen." 95 So Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 7. Neudruck der 3. Aufl., Darmstadt 1960, S. 429, A n m . 3.
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Kap. I : Herrschaft
W u r d e auch gegen diese L e h r e — besonders v o n d e r organischen Staatslehre eines O t t o v o n G i e r k e — W i d e r s p r u c h erhoben, d e r d a n n f r e i l i c h b i s z u r v ö l l i g e n A u s s c h a l t u n g des Herrschaftsbegriffes aus d e m G e b i e t des ö f f e n t l i c h e n Rechts f ü h r t e 9 7 , so b l i e b d e r Sieg doch d e r p o s i t i v i s t i s c h e n Schule v o r b e h a l t e n . I m staatsrechtlichen P o s i t i v i s m u s l i e g t d e n n auch d e r U r s p r u n g des Herrschaftsbegriffes v o n M a x W e b e r . D i e ausdrückliche A b g r e n z u n g seines Herrschaftsbegriffes gegen A u f f a s s u n g e n , die auch i m P r i v a t rechtsbereich H e r r s c h a f t s s t r u k t u r e n w a h r n e h m e n w o l l e n 9 8 , e n t s p r i c h t d e r F r o n t s t e l l u n g des P o s i t i v i s m u s gegen die V e r w e n d u n g des H e r r schaftsbegriffes i m P r i v a t r e c h t 9 9 u n d spiegelt die E m a n z i p i e r u n g s b e s t r e b u n g e n d e r Staatsrechtswissenschaft gegenüber d e r P a n d e k t i s t i k wider. V o r allem aber: Webers Definition v o n Herrschaft entspricht g e n a u d e r j e n i g e n , die P a u l L a b a n d i n seinem einflußreichen L e h r b u c h des Staatsrechts e n t w i c k e l t h a t t e : „ H e r r s c h e n i s t das Recht, f r e i e n P e r sonen . . . H a n d l u n g e n , U n t e r l a s s u n g e n u n d L e i s t u n g e n zu b e f e h l e n u n d sie z u r B e f o l g u n g derselben z u z w i n g e n 1 0 0 . " Das K e n n z e i c h e n d i e ses Herrschaftsbegriffes i s t seine F o r m a l i s i e r u n g , die seine U b e r t r a 96 v.Gerber, Grundzüge, S. 3, A n m . 3: „Das W o r t u n d den Begriff ,Herrschen' nehme ich als einen specifisch dem Staatsrecht angehörenden i n Anspruch. Er bezeichnet den e i g e n t ü m l i c h e n Willensinhalt der Staatspersönlichkeit." Entgegen der Auffassung v. Oertzens, Die Bedeutung, hat Hespe w o h l m i t Recht u n d i n Übereinstimmung m i t der bisher herrschenden Interpretation darauf hingewiesen, daß die Grundhaltung Gerbers bereits i n seiner Schrift „Über öffentliche Rechte" angelegt sei. Vgl. die instruktiven Zitate bei Hespe, S. 44 ff. Als ein weiteres Beispiel für die Bedeutung des Herrschaftsbegriffes i m Staatsrecht: „Herrschen ist das K r i t e r i u m , das die Staatsgewalt von allen anderen Gewalten unterscheidet." Jellinek, Staatslehre, S. 430. 97 Häfelin, S. 113 ff. Hugo Preuss beispielsweise bejahte zwar die H e r r schaf tsgewalt der Gesamtperson, erweiterte dies jedoch v o m Staat auf alle Gesamtpersonen, wobei die Gemeinden den historischen Vorrang erhielten. Julius Fricker, ZfgesStW. Bd. 25 (1869), S. 30 - 41, hingegen faßte Herrschaft als unorganischen Begriff auf u n d verweigerte i h m die Geltung i m Bereich des Staatslebens. H i e r i n macht sich die unhistorische, der Problematik des 19. Jahrhunderts entspringende Entgegensetzung von Herrschaft u n d Genossenschaft bemerkbar, bei der die Genossenschaft zumindest der Intention nach als herrschaftsfreier Raum betrachtet w i r d . Vgl. hierzu Brunner, Neue Wege, S. 69. Brunner rechnet Herrschaft u n d ihre Betonung der bürokratisch-anstaltlichen u n d Genossenschaft der demokratisch-liberalen K o m ponente der deutschen Staatsrechtswissenschaft zu. 98 Vgl. oben S. 21. 99 Vgl. oben A n m . 93. 100 v g l . oben A n m . 94; ebenso Laband i n der Besprechung von Otto Mayers Theorie des französischen Verwaltungsrechts, i n : Archiv f ü r öffentliches Recht, Bd. 2 (1887), S. 159. Vgl. die Stelle bei v. Gierke, Labands Staatsrecht, S. 35, i n der der Zusammenhang zwischen beiden Herrschaftsbegriffen besonders deutlich w i r d : „ N u r was i n die Formel von .Befehlen u n d Gehorchen' hineinpaßt, ist i h m echter u n d spezifischer Stoff von staatsrechtlichen Befugnissen u n d Verbindlichkeiten."
3. Herrschaft u n d Gegenseitigkeit
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gung auf andere Gebiete gestattet, und das gänzliche Absehen von normativen und teleologischen Momenten. Laband steht hier an einem Wendepunkt des Positivismus 1 0 1 . War bei Gerber der Staatszweck i m mer noch i n seinem System enthalten — die Zweckbestimmung des Staates kennzeichnet die rechtlichen Grenzen der Staatsgewalt 1 0 2 —, so ist die Staatsrechtslehre Labands ohne jeglichen Bezug auf den Zweckgedanken konzipiert. Die Erfüllung der Staatsaufgaben geschieht im rechtsfreien Raum, kann also nicht Gegenstand der Staatsrechtslehre werden. Die normative Anfüllung des Staates, die m i t der Übernahme des Persönlichkeitsbegriffes einherging 1 0 3 , mußte i n dem Augenblick wegfallen, da der Persönlichkeitsbegriff als rein juristischer Begriff gefaßt wurde. Der Staat ist nunmehr wieder Mechanismus zur Erfüllung bestimmter Zwecke, die aber aus der juristischen Betrachtung ausgeschlossen bleiben. Der Staat ist „sich selbst Zweck, so daß ihm rechtlich kein Hindernis entgegensteht, sein Bereich ins Beliebige, selbst ins Unvernünftige auszudehnen" 104 . Der Zusammenhang m i t dem Herrschaftsbegriff Max Webers ist nicht zu verkennen. I n der formalen Definition von Herrschaft und zugleich i n dem Ausscheiden jeglichen Zweckmomentes in der Betrachtung von Herrschaft spiegelt sich die Haltung des staatsrechtlichen Positivismus wieder. Während der Positivismus aber den Zweckgedanken entbehren konnte, weil er aus einem Legitimitätsreservoir lebte, das unerschöpflich schien, mußte m i t der Ausweitung des Herrschaftsbegriffes vom Staat auf das Gemeinschaftshandeln als solches durch Max Weber das Zweckmoment oder eine vergleichbare Kategorie i n die Erörterung einbezogen werden. Der Herrschaftsbegriff war zu formal geraten, als daß er in dieser Fassung noch brauchbar gewesen wäre zur soziologischen Klassifizierung des Gemeinschaftshandelns: er bedurfte der Ergänzung. Als solche bot sich die den Zweckgedanken als Unterfall i n sich enthaltende Frage nach dem Grund für die Akzeptierung von Herrschaft an. Der Herrschaftsbegriff wurde differenziert durch die Typologie der Legitimitätsarten. 101 Hespe, S. 54 ff. 102 Hespe, S. 52; vgl. v.Gerber, Grundzüge, S. 49 f.: „Selbstverständlich aber ist es, daß dieses Gewaltrecht n u r innerhalb der Schranken besteht, welche für die Staatsgewalt überhaupt gelten, u n d daß es auch nur i n den Formen ausgeübt werden darf, welche das Recht hierfür feststellt. Es ist aber die eigenthümliche N a t u r dieses Gewaltverhältnisses, daß die U n t e r werfung nicht als eine Minderung des Rechts, sondern als eine Wohltat empfunden w i r d ; denn der ganze Zweck desselben ist die Gewährleistung einer gedeihlichen Existenz i n der Volksgemeinschaft." 103 Der Persönlichkeitsbegriff des deutschen Idealismus u n d damit auch derjenige der Historischen Schule hatte den Zweckgedanken i n sich enthalten, vgl. Hespe, S. 20 ff. 104 M a x Seydel, Der Bundesstaatsbegriff, i n : ZfgesStW. Bd. 28 (1872), S. 186: zitiert nach Hespe, S. 58.
Kapitel
II
Legitimität 1. Charismatische Legitimität Zu den drei reinen Typen der legitimen Herrschaft gehört — von Max Weber wegen seiner Außeralltäglichkeit stets an letzter Stelle genannt und behandelt — der Typus der charismatischen Legitimität. Seine Legitimitätsgeltung beruht „auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen" 1 . Der Begriff des „Charisma" w i r d von Max Weber eingehend definiert: „,Charisma' soll eine als außeralltäglich (ursprünglich, sowohl bei Propheten wie bei therapeutischen wie bei Rechts-Weisen wie bei Jagdführern wie bei Kriegshelden: als magisch bedingt) geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als m i t übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem anderen zugänglichen Kräften oder Eigenschaften oder als gottgesendet oder als vorbildlich und deshalb als ,Führer' gewertet w i r d 2 . " Der Legitimitätsgrund des Charisma liegt i n dem „affektuellen (insbesondere: emotionalen) Glauben" 3 an die charismatische Qualität des Führers; dieser Glaube w i r d von den Anhängern und dem charismatisch Begabten als Pflicht aufgefaßt: die Anerkennung der charismatischen Herrschaft durch die Beherrschten folgt hieraus als „Pflicht der kraft Berufung und Bewährung zur Anerkennung dieser Qualität Aufgerufenen" 4 . Faktisch abgesichert w i r d die Anerkennung durch die Bewährung des Charisma, die das Anzeichen und die Garantie der Fortdauer der charismatischen Begabung ist 5 . „Bleibt die Bewährung dauernd aus . . . , so hat seine charismatische Autorität die Chance, zu schwinden 6 ." WuG., S. 124. WuG., S. 140. WuG., S. 19. WuG., S. 140. 5 Vgl. hierzu die Rolle des Erfolges f ü r die Anerkennung des Charisma bei K a r l Holl, Enthusiasmus und Bußgewalt beim griechischen Mönchtum, Leipzig 1898, S. 188. M a x Weber zitiert das W e r k als eine Quelle seines Charisma-Begriffes. 6 WuG., S. 140. ι 2 a 4
1. Charismatische Legitimität
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Der Begriff des Charisma ist bei Max Weber inhaltlich nicht gebunden. Die A r t der charismatischen Begabung bleibt für die sich von Werturteilen freihaltende Soziologie Max Webers außer Betracht. Weber bezieht den Typus der charismatischen Legitimität allein auf die formale Struktur des Verhältnisses zwischen dem charismatisch Begabten und dessen Anhängern: „Wie die betreffende Qualität von irgendeinem ethischen, ästhetischen oder sonstigen Standpunkt aus ,objektiv' richtig zu bewerten sein würde, ist natürlich dabei begrifflich völlig gleichgültig: darauf allein, wie sie tatsächlich von den charismatisch Beherrschten, den ,Anhängern' bewertet wird, kommt es an 7 ." So gewinnt Max Weber einen äußerst weitgefaßten, nur auf die Legitimitätsstruktur, nicht aber auf die Legitimitätsgeltung bezogenen Begriff, der es ihm ermöglicht, so unterschiedliche Erscheinungen wie Berserkertum, Schamanismus, Prophetie und Dämonie zusammenzufassen. Der Begriff des Charisma w i r d von der i n seiner Definition paradigmatisch noch enthaltenen Heiligkeit oder zumindest sakralen Verortung abgelöst und auf eine irgendwie geartete, jedenfalls aber i n irgendeinem Sinne außeralltägliche Qualität erweitert 8 . Max Weber macht selbst darauf aufmerksam, daß der Begriff des Charisma der altchristlichen Theologie entstamme und der Sache — wenn auch nicht dem Begriff — nach zuerst von Rudolph Sohm i n dessen „Kirchenrecht" entwickelt worden sei 9 . Diese Entwicklung führte Sohm durch die besonderen Implikationen seines Rechtsbegriffes dahin, den Begriff des Charisma als Gegenbegriff zu konzipieren und erst dadurch seinen Inhalt zu bestimmen. Die altchristliche Kirche ist für Sohm durch ihre rechtsfremde, charismatische Organisation gekennzeichnet. Die Ubereinstimmung zwischen dem Begriff des Charisma bei Sohm und bei Weber geht bis i n Einzelheiten und w i r d nur an einer, allerdings der wichtigsten, Stelle durchbrochen.
7 WuG., S. 140. 8 Weber zielt m i t seiner folgenden Bemerkung zweifellos auf das Phänomen des Charisma ab: „ . . . nach allen Erfahrungen der Ethnologie scheint die wichtigste Quelle der Neuordnung der Einfluß von I n d i v i d u e n zu sein, welche bestimmt gearteter »abnormer* (vom Standpunkt der heutigen Therapie nicht selten — aber auch: nicht etwa immer oder regelmäßig — als »pathologisch4 gewerteter) Erlebnisse u n d durch diese bedingter Einflüsse auf andere fähig sind." WuG., S. 375. 9 WuG., S. 124. Bei dem angeführten Werk handelt es sich u m : Rudolph Sohm, Kirchenrecht, Bd. 1: Die geschichtlichen Grundlagen, Leipzig 1892. Es w i r d freilich nicht recht deutlich, weshalb Weber den Begriff „Charisma" bei Sohm n u r der Sache nach zu finden können glaubt: I m weiteren w i r d sich zeigen, w i e sehr der Sohmsche Begriff bereits den wesentlichen I n h a l t enthält, der dann bei M a x Weber begegnet. E r ist allerdings — u n d hierin ist der Präzisierung Webers (WL., S. 482) recht zu geben — bei Sohm nicht als Typus konzipiert.
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Kap. I I : L e g i t i m i t ä t
Die Struktur der charismatischen Beziehung ist bei Rudolph Sohm und Max Weber identisch. I n beiden Fällen t r i t t die gleiche Ambivalenz zwischen der Freiwilligkeit der Anerkennung durch die Beherrschten und der Pflicht zur Anerkennung des bestehenden Charisma auf. „Das Charisma fordert Anerkennung und . . . Gehorsam seitens der übrigen. . . . Aber: der Gehorsam, welchen das Charisma fordert, vermag kein Gehorsam kraft formalen Rechtsgesetzes, sondern nur ein freier Gehorsam zu sein, ein Gehorsam, welcher aus der Überzeugung geboren wird, daß wirklich Gottes Wille durch das M i t t e l dieses Begabten Gehorsam fordert. Die charismatische Organisation hat für ihr Thätigwerden die freie Anerkennung des Charismas (in dem Handelnden) von S e i t e n der übrigen Gemeindemitglieder zur Voraussetzung, — eine A n erkennung, welche nur aus Liebe geboren werden kann 1 0 ." Ganz ebenso spricht Max Weber von der Freiwilligkeit der Anerkennung des Charisma 1 1 , wobei freilich die freie Anerkennung gleichzeitig als Pflicht der Beherrschten aufgefaßt wird. Dies stimmt m i t Sohms Ansicht überein: „Sobald die Versammlung erkannt hat, daß Gott i n dem Lehramt w i r k t , ist ihre Gestattungs- und Zustimmungshandlung, wenngleich formell frei, doch sittlich Pflicht 12" Die Labilität der charismatischen Organisation, die erst dann beseitigt zu sein scheint, wenn ihr Charakteristikum der Freiwilligkeit der A n erkennung durch die Anerkennungspflicht ersetzt worden ist, folgt daraus, daß Charisma und kirchliche Organisation bei Sohm Gegenbegriffe zu Recht und Staat darstellen. Das Recht ist formaler Natur und gegenüber Religion und Sittlichkeit neutral. Allein dadurch vermag es einen Freiheitsraum für die jeweilige sittliche Entfaltung des einzelnen zu schaffen: „Das Recht w i l l die Befreiung des Willens durch Aufhebung des Kampfes der verschiedenen menschlichen Willen gegeneinander . . . 1 3 ." Diese Regulierungsfunktion vermag das Recht jedoch nur dann zu übernehmen, wenn der Staat seinem Begriff entsprechend als „die Macht, welche das Rechtsgesetz vollstreckt", zugleich „die Macht über den Machtverhältnissen" ist 1 4 . Macht und Zwangsgewalt sind i m Staat konzentriert. Die autonome Rechtsetzungsgewalt der Korporationen des öffentlichen Rechts — wie der Kirchen 1 5 — hat keine unmittelbare Verpflichtungskraft, wie sie dem Recht i m Rechtssinne zukommt. „Autonomes und vereinbartes Recht schafft keine Regulierung von 1° Sohm, Kirchenrecht, S. 27. n WuG., S. 140. 12 Sohm, Kirchenrecht, S. 56. ι» Rudolph Sohm, Das Verhältnis von Staat u n d Kirche, Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1873, Darmstadt 1965, S. 11. 14 Sohm, Staat u n d Kirche, S. 13. is Sohm, Staat u n d Kirche, S. 28 ff.
1. Charismatische Legitimität
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Machtverhältnissen, sondern setzt sie voraus, w i r d erst innerhalb . . . der staatlich garantierten Friedens- und Vollzugsordnung möglich 1 6 ." So kann die Kirche keine vom Staat unabhängige rechtliche Organisation und keine rechtliche Zwangsgewalt besitzen, denn besäße sie diese, so würde sie damit dem Begriff des Rechts widersprechen, der aus sich heraus nur den Staat schaffen kann 1 7 . Oder aber die Kirche müßte zum Staat werden und damit ihrem Charakter als Heilsanstalt widersprechen. Der Ubergang zwischen der eigentlich kirchlichen Organisation und der bereits verrechtlichten und damit verfälschten Gestalt der Kirche liegt für Rudolph Sohm dort, wo die Freiwilligkeit der A n erkennung des Charisma durch die Anerkennungspflicht ersetzt wird. Es w i r d „der Gemeinde allerdings das Prüfungsrecht (bestritten), sobald ein erprobter, als wahrhaftig erkannter Prophet redet. Darin liegt aber bereits der Ansatz zu einer Ausbildung von Kirchenrecht . . . 1 8 ." Die Labilität der charismatischen Ordnung führt m i t geschichtlicher Notwendigkeit zur Verrechtlichung der Kirche: Der „Mangel rechtlicher Ordnung gefährdet die Stellung der Ältesten selbst. . . . Wie dann, wenn die Versammlung den Weisungen der Ältesten den Gehorsam verweigert? Dieser Augenblick w i r d kommen, und i n demselben Augenblick w i r d die Einführung rechtlicher Ordnung als geschichtliche Notwendigkeit sich erweisen 19 ." Damit ist vor geprägt, was Max Weber zu der Einsicht führen sollte: N i m m t die charismatische Beziehung „den Charakter einer Dauerbeziehung . . . an, so muß die charismatische Herrschaft, die sozusagen nur i n statu nascendi i n idealtypischer Reinheit bestand, ihren Charakter wesentlich ändern: sie w i r d traditionalisiert oder rationalisiert (legalisiert) . . ." 2 0 . Die Ubereinstimmung m i t Sohm w i r d von Weber fast noch über den Punkt hinausgeführt, an dem sich eigentlich die Bruchstelle zwischen beiden Begriffen von Charisma befindet. Für Sohm ist das Charisma der Geist Gottes, an dem jeder Christ i n höherem oder niedrigerem Maße teilhat: „Folglich ist jeder wahre Christ charismatisch begabt und damit zur Thätigkeit in der Kirche berufen 2 1 ." Über diese allgemeine Gabe hinaus gibt es die Charismen der Lehrgabe und der praktischen Bewährung des Christentums, die beide zur Führung i n der kirchlichen Organisation befähigen 22 . Die Allgemeinheit des Charisma bei Sohm 16 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung i m 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen u n d Leitbilder, B e r l i n 1961, S. 193 f. 17 Sohm, Staat u n d Kirche, S. 16 f. is Sohm, Kirchenrecht, S. 55, A n m . 19 Sohm, Kirchenrecht, S. 156. 20 WuG., S. 143. 21 Sohm, Kirchenrecht, S. 28. 22 Sohm, Kirchenrecht, S. 29, S. 109.
Kap. I I : Legitimität
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widerspricht jedoch den Anforderungen, die dieser Begriff als Legitimationsgrundlage von Herrschaft bei Max Weber erfüllen muß. Die charismatische Herrschaft ist auf den Glauben an die charismatische Begabung des Führers gestützt, nicht aber auf die Begabung seiner Anhänger. Dennoch akzeptiert Weber die charismatische Begabung der Herrschaftsunterworfenen, leitet allerdings folgerichtig daraus die Qualifikation für die Übernahme von Führungsstellen innerhalb der charismatischen Organisation ab. Er spricht davon, daß es „ n u r Berufung nach Eingebung des Führers auf Grund der charismatischen Qualifikation des Berufenen" und „nur charismatisch, i m Umfang des Auftrags des Herren und: des eigenen Charisma, beauftragte Sendboten" gebe 23 . Der Begriff des Charisma w i r d trotz aller Übereinstimmungen von Max Weber gegenüber der Verwendung bei Rudolph Sohm durch die Heraushebung des Momentes der bloßen Außeralltäglichkeit derart verallgemeinert und verflacht, bis letztlich nur noch der reine Begriff der Außeralltäglichkeit und Außergewöhnlichkeit übrigbleibt. Max Weber nimmt den von Sohm m i t einer Stoßrichtung gegen die A u f fassung von dem Rechtscharakter der urchristlichen Kirche versehenen Begriff aus seiner spezifischen Situation heraus, hebt ihn von dieser ab und typisiert i h n derart, daß von der ursprünglich gemeinten Teilhabe des einzelnen am Geist Gottes wenig mehr bleibt. Charisma bedeutet nunmehr nur noch die irgendwie geartete Herausgehobenheit eines einzelnen aus der Schar seiner Anhänger, die i h m um dieser Herausgehobenheit w i l l e n folgen. Max Weber hat i n seiner Strukturierung des Begriffes Charisma die idealtypische Methode der Begriffsbildung konsequent durchgeführt. Aus einer bestimmten historischen Situation w i r d ein diese Situation präzise beschreibender Begriff abgelöst und von allen Merkmalen gereinigt, die gerade dieser Situation entsprechen und sie beschreiben. Der nunmehr allgemein formulierte Begriff vermag zur Beschreibung auch anderer Situationen dienen, verliert jedoch durch seine Typisierung gerade die ursprüngliche Präzision und kann i m Grunde durch einen beliebigen anderen Begriff ersetzt werden. Gerade bei dem Begriff „Charisma" w i r d dies i n der weiteren Entwicklung der soziologischen Forschung deutlich. Denn Charisma i m Sinne bloßer Außeralltäglichkeit bedeutet hier nichts anderes als Führungsqualität 2 4 . Erst die Einschränkung des Begriffsumfanges auf tatsächlich magisch oder 23 WuG., S. 141; ebenso WL., S. 482. Der hier weitgehend zugrundegelegte Begriff der „ F ü h r u n g " ist i n seiner Allgemeinheit entscheidend durch Theodor Geiger geprägt. Vgl. dessen A r t i k e l „ F ü h r u n g " i n : A l f r e d Vierkandt (Hrsg.), Handwörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1931, S. 136 ff. 24
1. Charismatische Legitimität
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religiös bedingte Führerqualitäten — also die Zurückführung des Begriffes auf seinen Ursprung — vermag den idealtypischen Begriff wieder für eine soziologische Betrachtung brauchbar zu machen. So ist es kein Zufall, daß der Begriff des Charisma i m wesentlichen nur i n der ethnologischen Forschung zur Charakterisierung von religiös oder magisch bestimmten Herrschaftsordnungen benutzt w i r d 2 5 . W i r d dieser Begriff i n der Soziologie verwandt, so zeigt sich meist, daß dies i m Rahmen der generellen Übernahme des Weberschen Begriffsapparates und auch wohl nur zur Kennzeichnung historischer Tatbestände dient und wegen der geringen Bedeutung der als Charisma bezeichneten Erscheinung für das jeweils behandelte Gebiet tragbar ist 2 6 . A u f demjenigen Gebiet der Soziologie aber, das sich hauptsächlich m i t vergleichbaren Erscheinungen beschäftigt: der Gruppensoziologie und -dynamik, taucht der Begriff des Charisma nicht mehr i n erwähnenswertem Maße auf 2 7 . Charisma müßte auf diesen Wissenschaftsgebieten als die Qualität der Führer von informellen, d. h. nicht schon organisatorisch verfestigten Gruppen auftauchen 28 . Gerade hier zeigt sich jedoch, daß der Idealtypus der charismatischen Führung zwar einerseits die genügende Abstrahierung durch die Bezugnahme allein auf außeralltägliche Eigenschaften enthält, daß er andererseits aber noch zu sehr durch die religiös-magische Komponente gefärbt ist, als daß er diese Führereigenschaften genügend präzise und neutral beschreiben könnte. Die Außeralltäglichkeit des Führers taucht in den Theorien der Gruppendynamik i n zwei Formen auf, die beide nichts mehr m i t der ursprünglich religiösen Herausgehobenheit des Führers zu tun haben: zum einen genügt jede Form der Abgehobenheit des Führers gegenüber der Gruppe, die ihn „sichtbar" macht und die Projektion von Gruppenwünschen sowie die anschließende Identifikation der Gruppenmitglieder 25 Die allgemein auf die Legitimitätstypen Webers gemünzte Bemerkung Brunners, Neue Wege, S. 78, g i l t besonders für die charismatische Legitimität. So beschäftigt sich die ebd., A n m . 53, zitierte Untersuchung E. Salzmanns, i n : ARSPh. Bd. 45 (1959), S. 399 ff., m i t einer religiös gebundenen Ordnung. Auch O. H. von der Gablentz beschäftigt sich m i t dem religiösen Moment des Charisma: Religiöse Legitimation politischer Macht, i n : C.-J. Friedrich, B. Reifenberg (Hrsg.), Sprache u n d Politik. Festgabe f ü r Dolf Sternberger zum 60. Geburtstag, Heidelberg 1968, S. 165 - 188. 26 So etwa bei Victor A . Thompson, Hierarchie, Spezialisierung, u n d organisationsinterner Konflikt, i n : R. Mayntz (Hrsg.), Bürokratische Organisation, K ö l n — B e r l i n 1968, S. 220. 27 Peter R. Hofstätter, Gruppendynamik, Hamburg 1971, erwähnt das charismatische F ü h r e r t u m n u r einmal als „eine seltene Ausnahme" (S. 158) u n d damit w o h l i n dem auf das Religiöse bezogenen Sinn, während George C. Homans, Theorie der sozialen Gruppe, 5. Aufl. Köln—Opladen 1970, diesen Begriff überhaupt nicht verwendet. 28 R. König, A r t . „Herrschaft", i n : Fischer-Lexikon Soziologie, Neuausgabe F r a n k f u r t 1967, S. 124: Das Führungssystem der informellen Gruppenorganisation „ist v ö l l i g personengebunden".
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Kap. I I : Legitimität
ermöglicht 29 . Das Phänomen von Identifikation und Projektion ist denn auch — freilich von der Seite des Führers aus gesehen — der Ort, an dem die mögliche Bindung der Führung an eine religiöse Ordnung manifest wird. Auch der Führer leistet „Projektion und Identifikation, diesmal aber in Richtung nach oben sowohl als nach unten. Das eigene Ziel w i r d einmal auf die Überwelt projiziert, es sei dem Willen der Gottheit . . . gemäß, zum anderen aber auf die Gruppe, als ob es ihr Ziel wäre. I m A k t der Identifikation ist der Führer aber zugleich Vollstrecker des üb er weltlichen Planes und des Willens der Gefährten 30 ." Aber auch dies bedeutet keine Annäherung an den Weberschen Typus der charismatischen Legitimität. Denn dieser Typus ist gerade der einzige, bei dem der Legitimitätsanspruch gegenüber dem tatsächlich vorhandenen Legitimitätsglauben eine verschwindend geringe Rolle spielt, bei dem es also nicht darauf ankommt, inwieweit Legitimität beansprucht wird, sondern darauf, wieweit dem Anspruch des Führers ein entsprechender Glaube der charismatisch Beherrschten gegenübersteht. Die Außeralltäglichkeit w i r d andererseits aber i n der Gruppensoziologie auf eine Vorbildlichkeit i n dem Sinne beschränkt, daß der Führer die jeweiligen Gruppennormen möglichst weitgehend verwirklichen muß 3 1 . Die sachliche Entsprechung zwischen diesem Typus der Führerschaft und dem Weberschen Begriff des Charisma zeigt sich nicht nur an der Beschreibung der Vorbildlichkeit als Führereigenschaft, sondern auch daran, daß die Bewährung als wesentliches Element der Führung immer mitgedacht w i r d : „Der soziale Rang eines Führers t r u g m i t dazu bei, daß seinen Anordnungen gehorcht wurde, aber wenn in den Augen der Anhänger eine Entscheidung positive Folgen hatte, so befestigte sie ihrerseits wiederum seinen Rang 3 2 ." Der Verzicht der Gruppensoziologie auf die Verwendung des Begriffes Charisma, wie Max Weber i h n geprägt hat, scheint darauf zu beruhen, daß dieser Typus in seiner Verallgemeinerung auf das bloße Merkmal der Außeralltäglichkeit dennoch nicht denjenigen Grad an Allgemeinheit erreicht hat, der für seine Verwendung als Kategorie der Führung innerhalb von informellen Gruppen erforderlich gewesen wäre. Der Begriff Charisma trägt seinen Ursprung trotz jeden — wenn auch bei Max Weber mehr verbalen — Versuches der Verallgemeinerung so deutlich m i t sich, daß er auf die Beschreibung von Führung i n religiös oder magisch orientierten Gruppen beschränkt bleibt. 29 Z u dieser auf Freud zurückgehenden Analyse der Führerschaft vgl. Hofstätter, Gruppendynamik, S. 154 f. 30 Hofstätter, Gruppendynamik, S. 156 f. 31 Homans, Theorie, S. 395: „ . . . i n der kleinen Gruppe (ist) die Person m i t dem höchsten sozialen Rang diejenige . . . , welche i n ihrem Verhalten der Erfüllung der Gruppennormen am nächsten kommt." 32 Homans, Theorie, S. 191.
1. Charismatische Legitimität
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Die Ursache hierfür scheint in der Zwitterstellung zu liegen, die der Terminus Charisma bei Weber einnimmt. Max Weber spricht von Charisma einmal als einem Begriff, das andere Mal als einem Typus 3 3 ; über die endgültige Einordnung dieses Begriffes i n seine wissenschaftsmethodologischen Einteilungen dürfte Max Weber sich selbst nicht recht i m klaren gewesen sein. Diese Unklarheit deutet jedenfalls darauf hin, daß Charisma nicht einfach als Idealtypus eingestuft 34 und seine Brauchbarkeit durch die Annäherung bestimmter historischer Erscheinungen an ihn erwiesen werden kann. Dennoch aber hat „Charisma" durch seine Entstehung so viel m i t einem historischen Idealtypus gemeinsam, daß die Schwierigkeiten idealtypischer Begriffsbildung sich auch an ihm ausprägen. Daß es sich hierbei freilich nicht um einen historischen, sondern allenfalls um einen soziologischen Idealtypus handelt, ergibt sich aus der von J. Janoska-Bendl vorgenommenen Bestimmung 3 5 : „Klassifikationen, wie Max Weber sie in ,Wirtschaft und Gesellschaft' gibt, fallen i n dem Maß unter die historischen Idealtypen, als sie 1. nicht Durchschnittstypen sind, also kausal relevante (genetische) Merkmale hervorheben, als sie 2. nur für historisch begrenzte Bereiche, nicht für jede mögliche Gesellschaft gelten." Bei den soziologischen Idealtypen handelt es sich hingegen um „,reine Typen des Geschehens', bzw. reine Typen sozialen Handelns, die sich vom historischen Idealtypus scheinbar nur durch ihre Verallgemeinerung, also durch ihre Konstruktion i m Hinblick auf alle möglichen Gesellschaften unterscheiden". Die Entstehung eines Idealtypus „durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise garnicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einheitlichen Gesichtspunkten fügen, zu einem i n sich einheitlichen Gedankengebilde" 36 dürfte sowohl für den historischen wie für den soziologischen Idealtypus identisch sein. Sie unterscheiden sich nur i n der A r t der Einzelerscheinungen, durch deren Auswahl und Steigerung der Idealtypus entsteht. Während der soziologische Idealtypus an generell vorfindbaren Erscheinungen des menschlichen Handelns unabhängig von Raum oder Zeit orientiert ist, bildet sich der historische Idealtypus an einer konkreten historischen Situation, die er zu „gesteigerter Eindeutigkeit" typisiert. So erklärt sich nun auch die ambivalente Stellung des Typus „Charisma" bei Max Weber und seine Unverwendbarkeit in der unhisto33 WuG., S. 124; WL., S. 482. 34 So Alexander v. Schelting, Die logische Theorie der historischen K u l t u r wissenschaft von M a x Weber u n d i m besonderen sein Begriff des Idealtypus, in: Archiv für Sozialwissenschaft u n d Sozialpolitik, Bd. 49 (1922), S. 734, S. 728. 35 J u d i t h Janoska-Bendl, Methodologische Aspekte des Idealtypus. M a x Weber und die Soziologie der Geschichte, B e r l i n 1965, S. 50 f. 3β WL., S. 191. 4 Speer
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rischen Soziologie wie auch andererseits seine Verwendbarkeit i n historisch orientierten Wissenschaften. Max Weber hat einen soziologischen Idealtypus dadurch zu schaffen versucht, daß er die Typisierung einer bestimmten historischen Situation über die Gewinnung eines historischen Idealtypus hinaus zu steigern versuchte. Die historische Situation der altchristlichen Kirchenorganisation, wie Rudolph Sohm sie dargestellt hatte, ist i n all ihren Einzelheiten und Charakteristika i n Max Webers Begriff des Charisma eingeflossen. Max Weber hatte erkannt, daß die von Sohm geschilderten Erscheinungen einen immer wiederkehrenden Typus sozialen Handelns darstellen. Nicht erkannt hat er jedoch, daß es soziales Handeln i n bestimmten historischen Konstellationen war, das sein Interesse erweckt hatte: die Führung in religiös oder magisch bestimmten Gruppen. Hätte er nun die Ergebnisse Rudolph Sohms derart typisiert, daß er die konkrete Situation der altchristlichen Kirche verallgemeinert hätte zu der Lage i n religiös oder magisch orientierten Gruppen, so hätte er einen brauchbaren — historischen — Idealtypus erhalten, der eben nicht i n allen, sondern nur in entsprechend orientierten Gesellschaften Geltung hätte beanspruchen können. Dies ist freilich auch die häufigste Verwendung des charismatischen Legitimitätstypus bei Max Weber m i t Ausnahme seiner Behandlung der plebiszitären Führerdemokratie. Durch die weitere Verallgemeinerung jedoch, die die religiöse Herausgehobenheit einer bloßen Außeralltäglichkeit opfert, w i r d der historische Idealtypus zu einem soziologischen Idealtypus umgeformt, der für alle Gesellschaftsformen in allen Zeiten Geltung beansprucht. Die Verschränkung beider Arten von Idealtypen i n einem Begriff erklärt, weshalb er jeweils nur durch die Eliminierung eines seiner Bestandteile brauchbar zu sein scheint und verwandt wird. 2. Traditionale Legitimität Der zweite Typus der Legitimitätsgeltung, durch den Max Weber den entteleologisierten und auf die Struktur von Befehl und Gehorsam reduzierten Herrschaftsbegriff m i t Leben anzufüllen versucht, ist derjenige der traditionalen Legitimität. Der Begriff des Traditionalismus hat dabei i n der Nachfolge des Typus der traditionalen Herrschaft und des traditionalen Handelns bei Max Weber eine erhebliche Verbreitung erfahren. Eine nähere Betrachtung zeigt, daß der Gebrauch des Wortes — auch unter Bezug auf Max Weber — unterschiedlich ist und läßt somit Zweifel an der Geschlossenheit dieses Legitimitätstypus aufkommen. K a r l Mannheim 3 7 hält beispielsweise den Traditionalismus 37 K a r l Mannheim, Wissenssoziologie. A u s w a h l aus dem Werk. Hrsg. von K . Wolff, Berlin—Neuwied 1964, S. 408 ff., S. 412.
2. Traditionale Legitimität
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i m Sinne Webers für eine „formalpsychische Eigenschaft, die mehr oder minder i n jedem Individuum lebendig ist" und die „eben nur das Festhalten am Althergebrachten bedeutet". Demgegenüber kann unter Traditionalismus auch diejenige geistesgeschichtliche Richtung verstanden werden, der es „ u m die Bewahrung und Fortbildung des geschichtlich Überkommenen" 3 8 geht und der Gestalten wie Edmund Burke, de Maistre und Bonald zugerechnet werden können. Eine weitere Bedeutung schließlich läßt sich unmittelbar aus einem Satz Webers entnehmen: „Traditional soll eine Herrschaft heißen, wenn ihre Legitimität sich stützt und geglaubt w i r d auf Grund der Heiligkeit altüberkommener (von jeher bestehender) Ordnungen und Herrengewalten 39 ." Traditionalismus wäre sonach als Geisteshaltung zu verstehen, bei der die Heiligkeit des Altüberkommenen den Maßstab für das Handeln abgibt. Eine Zusammenstellung derjenigen Sätze, i n denen Max Weber von Traditionalismus oder von dem Typus der traditionalen Legitimität spricht, zeigt einerseits die Betonung des sakralen Momentes für die Handlungsorientierung. So beruht die Heiligkeit der Tradition „auf der Furcht vor unbestimmten, magischen Übeln, welche den Neuerer selbst . . . von Geistern, deren Interessen dadurch irgendwie berührt wurden, treffen könnten. Was dann m i t Entwicklung der Gotteskonzeptionen durch den Glauben ersetzt w i r d : daß die Götter das Althergebrachte als Norm gesetzt haben und es deshalb als heilig schirmen würden 4 0 ." Ebenso steht die Sakralordnung i m Vordergrund, wenn es heißt: Die „ legitime' Existenz (seil, der Rechtsnormen) beruht entweder auf der absoluten Heiligkeit bestimmter Gepflogenheiten als solcher, von denen abzuweichen bösen Zauber oder die Unruhe der Geister oder den Zorn der Götter hervorrufen kann. Sie gelten als ,Tradition' wenigstens theoretisch als unabänderlich 41 ." I m gleichen Sinn setzt Weber i n seiner Religionssoziologie 42 den Akzent einmal allein auf die Verletzung der Sakralordnung innerhalb der traditionalen Legitimität, denn die traditionale Herrschaft kennt ein „System unverbrüchlicher, w e i l als absolut heilig geltender, Normen, deren Verletzung magische oder religiöse Übel i m Gefolge hat . . . " . Andererseits jedoch scheint Webers Traditionalismus auch i n dem Sinne verstanden werden zu können, wie Mannheim dies angenommen 38 Waldemar Besson, A r t i k e l „Historismus", i n : W. Besson (Hrsg.), FischerL e x i k o n Geschichte, F r a n k f u r t 1961, S. 107. 39 WuG., S. 130. 40 WuG., S. 681. 41 WuG., S. 401; die Verbesserungen i n : M a x Weber, Rechtssoziologie, hrsg. von Johannes Winckelmann, Neuwied—Berlin 1960, S. 181, sind nicht übernommen. 42 M a x Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 5. Aufl. T ü bingen 1963, Bd. I, S. 270.
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hat: als Festhalten am Althergebrachten. So definiert Max Weber 4 3 : „Es soll i m nachfolgenden: ,Traditionalismus' die seelische Eingestelltheit auf und der Glaube an das alltäglich Gewohnte als unverbrüchliche Norm für das Handeln heißen, und daher ein Herrschaftsverhältnis, welches auf dieser Unterlage, also: auf der Pietät gegen das (wirklich oder angeblich oder vermeintlich) immer Gewesene ruht, als ,traditionalistische Autorität' bezeichnet werden. Die wichtigste A r t der auf traditionalistischer Autorität beruhenden, ihre Legitimität auf Tradition stützenden Herrschaft ist der Patriarchalismus . . . " I n der Rede „Politik als Beruf" gilt als Legitimitätsgrund „die Autorität des ,ewig Gestrigen': der durch unvordenkliche Geltung und gewohnheitsmäßige Einstellung auf ihre Innehaltung geheiligten Sitte: ,traditionale' Herrschaft, wie sie der Patriarch und der Patrimonialfürst alten Schlages übten" 4 4 . Gelegentlich spricht Weber auch von „dem Glauben an die Unverbrüchlichkeit des immer so Gewesenen als solchen", von „durch die Tradition geheiligten Normen" 4 5 oder von der „durch Herkommen geheiligten Eigenwürde" 4 6 von Personen. Die hierin liegende Unsicherheit in dem Gebrauch der Begriffe „Traditionalismus" und „traditionale Herrschaft" deutet auf ein Zentralproblem des Typus der traditionalen Legitimität hin. Gerade die Funktion des Legitimitätstypus, die spezifische Besonderheit der jeweiligen Handlungsorientierung zu zeigen, kann ein derart unscharf gefaßter Begriff nicht leisten. Das Verhältnis zwischen Tradition und Sakralordnung stellt sich in diesen Formulierungen zwar als Begründungsverhältnis dar — es ist jedoch umkehrbar. Das eine Mal beruht die Heiligkeit der Tradition auf ihrer Übereinstimmung m i t einer magisch oder religiös gefaßten Ordnung: erst die Furcht vor religiösen oder magischen Sanktionen garantiert die Bindung an die Tradition. Das andere Mal aber besitzt die Tradition einen sakralen Eigenwert: sie ist heilig, gerade weil sie Tradition ist. Das geschichtlich Gewordene rechtfertigt sich hier selbst durch die bloße Tatsache des Gewordenseins. Einen ersten Ansatzpunkt zur Auflösung der hierin liegenden Problematik liefert die Definition des traditionalen Handelns durch Max Weber 4 7 : „Das streng traditionale Verhalten steht . . . ganz und gar an der Grenze und oft jenseits dessen, was man ein ,sinnhaft' orientiertes Handeln überhaupt nennen kann. Denn es ist sehr oft nur ein dumpfes in der Richtung der einmal eingelebten Einstellung ablaufendes Reagie« 44 45 4β
RelSoz. Bd. I, S. 269. M a x Weber, Gesammelte Politische Schriften, München 1921, S. 398. WuG., S. 679. WuG., S. 101.
47 WuG., S. 12.
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ren auf gewohnte Reize. Die Masse alles eingelebten Alltagshandelns nähert sich diesem Typus, der nicht nur als Grenzfall in die Systematik gehört, sondern auch deshalb, weil . . . die Bindung an das Gewohnte in verschiedenem Grade und Sinne bewußt aufrecht erhalten werden kann: i n diesem Fall nähert sich dieser Typus dem von Nr. 2." — d. h. dem Typus wertrationalen Handelns. Die Bandbreite des Begriffes des Traditionalismus reicht somit von demjenigen Begriff, den K a r l Mannheim übernommen und als „bloß formal-reaktiv" 4 8 bezeichnet hat, bis hin zu einem dem wertrationalen Typus angenäherten Handlungstyp. Wenn aber die reflektierte Bindung an das Gewohnte für Max Weber beinahe schon eine wertrationale Orientierung darstellt, so fragt sich, ob nicht die Struktur der traditionalen Legitimität von Max Weber falsch gesehen worden ist und es sich in Wirklichkeit hierbei nicht um einen Unterfall der wertrationalen Legitimität handelt. Hier wäre das Legitimitätsverhältnis eindeutig klargestellt: der Glaube an die „Geltung des als absolut gültig Erschlossenen" 49 , das sich in der Tradition manifestiert und für das die Tradition ein Anzeichen ist, könnte den letzten Legitimierungsgrund für das Festhalten und Einhalten der Tradition sein. Diese Vermutung w i r d sich dann erhärten, wenn einerseits der geschichtsphilosophische Bezug, i n dem Geschichte als legitimierend konzipiert ist, als wertrational erkannt werden kann und andererseits in den als traditionalistisch geltenden Rechts- und Herrschaftsordnungen oder aber i n der geistesgeschichtlichen Erscheinung des „Traditionalismus" ebenfalls ein wertrationaler Bezug aufgewiesen werden könnte. Dann aber stellt sich die Frage, auf welcher spezifischen wissenschaftsgeschichtlichen Situation die Ausgliederung angeblich traditionalistischer Legitimationsformen aus dem Bereich des wertrationalen Legitimitätstypus durch Max Weber beruht. Die vorausgesetzte Übereinstimmung zwischen Geschichte und einer außergeschichtlich-sakralen oder außergeschichtlich-profanen Ordnung ist das Thema nahezu aller Geschichtsphilosophien gewesen. Sie stellt zugleich ein Paradigma wertrationaler Orientierung dar. Denn erst der Glaube an einen außer- oder auch innerweltlichen Heilsplan vermag hier die Geschichte zu legitimieren: die außergeschichtliche Ordnung, an deren unverbrüchliche Geltung geglaubt wird, realisiert sich i n der Geschichte und liefert so den Maßstab für die Beurteilung alles historischen Geschehens. Dabei kann der legitimierende Faktor das Heilsgeschehen der christlichen Eschatologie sein oder aber der demgegenüber als „säkularisiert" erscheinende Fortschrittsglauben neuzeitlicher Geschichtsphilosophien 50 . Die Struktur des Verhältnisses zwischen Ge48 49
Mannheim, Wissenssoziologie, S. 413. WuG., S. 19.
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schichte und der jeweiligen Ordnung, an der sie gemessen wird, bleibt gleich 51 ; i m Vergleich zwischen christlicher Eschatologie und neuzeitlichem Fortschrittsglauben ist die Identität der Funktion, der gleiche Stellenwert i m „formalen System der Welterklärung" 5 2 das entscheidende Moment gegenüber allen inhaltlichen Unterschieden. Eine Geschichtsphilosophie, die ihren Bezugspunkt außerhalb der Geschichte gewählt oder ihn unhistorisch an ihr Ende als ihre Aufhebung gestellt hat, kann der Geschichte und damit dem Gewordenen als solchem nur hierüber einen Wert beimessen. Das Verhältnis zur Geschichte selbst kann dabei freilich durchaus unterschiedlich sein. Von diesem Standpunkt aus können Geschichte und Geschichtsschreibung — so wie dies innerhalb der christlichen oder auch der naturrechtlich orientierten Geschichtsbetrachtung der Fall war — nur als bloße Beispielsammlung aufgefaßt werden; gegenüber der Unwandelbarkeit der Seinsordnung bleibt jegliche Veränderung innerhalb der geschichtlichen Welt akzidentiell: die Geschichte „ist bestenfalls ,Magistra vitae', das heißt sie liefert ,Exempla' für die Tugenden und Laster, für das dauernde, von der ,Virtus' bestimmte Menschenbild" 53 . Einen größeren Eigenwert als hier erlangt das historische Geschehen erst i n den neuzeitlichen Geschichtsphilosophien, die den innerweltlichen Fortschritt als Ziel der Geschichte konzipiert und das Heilsgeschehen in die Welt hineingeholt haben. Die Konstanz der Seinsordnung w i r d abgelöst durch ihre grundsätzliche Veränderbarkeit, die aber stets eine Veränderlichkeit zu einem Fortschritt hin darstellt. Die Geschichte k u l m i niert i n einem quasi-eschatologischen Endzustand, i n dem der Fortschritt sein Ziel erreicht hat und die Geschichte aufgehoben ist. Aber auch hier w i r d die Vergangenheit an einem von außen herangetragenen 50 Die These von der Säkularisierung christlichen Gedankengutes innerhalb der neuzeitlichen Geschichtsphilosophie stammt w o h l von W i l h e l m Dilthey, Einleitung i n die Geisteswissenschaften, Gesammelte Schriften Bd. I , 5. Aufl. Stuttgart—Göttingen 1962, S. 98 ff., u n d ist von K a r l L ö w i t h , W e l t geschichte u n d Heilsgeschehen, 5. Aufl. Stuttgart 1967, aufgegriffen u n d ausgeführt worden. Dagegen n u n aber W i l h e l m Kamiah, Utopie, Eschatologie, Geschichtsteleologie, Mannheim 1969, S. 49, S. 58 ff., u n d Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, F r a n k f u r t 1966. 51 Insofern anders Blumenberg, Legitimität, S. 23: „Der formale Unterschied liegt darin, daß die Eschatologie von einem i n die Geschichte einbrechenden, i h r selbst transzendenten u n d heterogenen Ereignis spricht, während die Fortschrittsidee von einer der Geschichte immanenten u n d i n jeder Gegenw a r t mitpräsenten S t r u k t u r auf die Z u k u n f t extrapoliert." Dabei ist freilich zu bedenken, daß der Fortschritt nicht ins Unendliche progredieren kann, sondern auf einen Endpunkt h i n angelegt ist, i n dem die Geschichte einerseits aufgehoben u n d andererseits gerechtfertigt ist. 52 Blumenberg, Legitimität, S. 41, S. 43. 53 Brunner, Neue Wege, S. 32; vgl. dazu auch Reinhart Koselleck, Wozu noch Geschichte?, i n : HZ., Bd. 212 (1971), S. 6 f.
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Maßstab gemessen; sie ist — wie auch die Gegenwart — lediglich Vorstufe der Zukunft, in der die geschichtliche Erfüllung erreicht wird. Die rechtfertigende Kraft der Geschichte selbst kann sich aus einer derartigen geschichtsphilosophischen Konstruktion nicht ergeben. Immer ist es eine außergeschichtliche Komponente, die das Gewordene zu legitimieren vermag. Das Gewordene aber, die Geschichte, legitimiert allein wegen ihrer Ubereinstimmung m i t der ihr übergeordneten Seinsstruktur. Von traditionaler Legitimität oder traditionaler Handlungsorientierung kann hier nicht die Rede sein: dies wäre nur dann möglich, wenn der Geschichte als solcher ohne Rückbezug auf eine außergeschichtliche Ordnung rechtfertigende Kraft zukäme. Der Anwendungsbereich des Begriffes „Traditionalismus" und seiner Unterbegriffe „Patriarchalismus" und „Patrimonialismus" auf historische Erscheinungen ist bei Max Weber nahezu unabsehbar groß. Dies rührt daher, daß sein universalhistorisches Interesse vorwiegend dem Aufkommen des okzidentalen Rationalismus galt 5 4 und die charismatische wie auch die traditionale Legitimitätsform demgegenüber mehr oder weniger als Auffangformen des übrigbleibenden historischen Materials konzipiert wurden 5 5 . Der Charismatismus bildet jeweils eine zeitlich beschränkte Ausnahmeform von Herrschaft, da er an die Person des charismatisch Begabten gebunden ist und m i t der Veralltäglichung des Charisma in die Herrschaftsform des Traditionalismus übergeht 56 . Angesichts der sich daraus ergebenden Unmöglichkeit, sämtliche von Max Weber unter den Begriff „Traditionalismus" subsumierte historische Erscheinungen m i t dem Idealtypus zu vergleichen, dürfte es gerechtfertigt sein, die Rechts- und damit die Herrschaftsordnung des Mittelalters in Europa paradigmatisch zur Kontrolle der Aussagekraft des Idealtypus der traditionalen Legitimität heranzuziehen. Dabei w i r d selbstverständlich nicht verkannt, daß die idealtypische Struktur des Begriffes der traditionalen Herrschaft lediglich dazu dienen soll, die Nähe oder Ferne einer bestimmten historischen Erscheinung zu dem Begriff zu messen; eine völlige Entsprechung zwischen Idealtypus und konkreter historischer Situation zu fordern, würde das Wesen und den Zweck idealtypischer Begriffsbildung verfehlen 57 . Aber der Idealtypus 54
RelSoz. Bd. I, S. 1, u n d Abramowski, Geschichtsbild, S. 13 f. Traditionale u n d charismatische Herrschaft werden beispielsweise durch dasjenige beschrieben, was ihnen i m Vergleich zur rationalen Herrschaftsform fehlt, WuG., S. 131, S. 141. Vgl. auch Abramowski, Geschichtsbild, S. 120: „ . . . charismatische u n d traditionalistische Herrschaftsstrukturen dienen M a x Weber hauptsächlich als Folie f ü r die Charakteristik der Rationalität des modernen Staates." So auch Bendix, M a x Weber, S. 294. sc Abramowski, Geschichtsbild, S. 126 f. 57 M a x Weber betont stets selbst die Gefahr, die darin liegt, „daß man glaubt, i n jenen theoretischen Begriffsbildern den ,eigentlichen 4 Gehalt, das 55
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muß zumindest das leisten, daß sein Kern — hier die spezifische Legitimitätsstruktur — überhaupt eine historisch gegebene Struktur der Rechtfertigung von Herrschaft t r i f f t und annähernd beschreibt. Die mittelalterliche Rechtsanschauung w i r d nach wie v o r 5 8 am prägnantesten in der Schrift „Recht und Verfassung i m Mittelalter" 5 9 von Fritz Kern beschrieben. Das mittelalterliche Recht ist „,altes 4 Recht und es ist ,gutes' Recht" 6 0 ; das Alter und die Qualität des Rechtes sind untrennbar miteinander verbunden. Rechtsneuerung kann jeweils nur i m Gewände der Besserung des alten Rechts, das durch die Unzulänglichkeit der Menschen nicht mehr in seiner ursprünglichen Form besteht, auftreten 6 1 . Dies korrespondiert deutlich m i t Max Webers Begriff einer traditionalistischen Rechtsordnung; das Problem der Rechtsetzung innerhalb einer derartigen Ordnung ist bei ihm ebenso formuliert 6 2 . Damit aber w i r d nur bestätigt, daß das Alter des Rechts eine Rolle spielt bei seiner Rechtfertigung, nicht jedoch, welchen Stellenwert innerhalb des spezifischen Rechtfertigungszusammenhanges das Alter besitzt. Hier findet sich die entscheidende Differenz zwischen Weber und Kern: Während Max Weber die Tradition als den „Glauben an die Unverbrüchlichkeit des immer so Gewesenen als solchen" 63 bezeichnet, so lautet die Formulierung Kerns beinahe entgegengesetzt: „Das Recht ist ein Stück der Weltordnung; es ist unerschütterlich 64 ." Diese Formulierung scheint bis heute Gültigkeit zu besitzen 65 . Hier ergibt sich eine deutliche Übereinstimmung zwischen der mittelalterlichen Rechts,Wesen4 der geschichtlichen Wirklichkeit f i x i e r t zu haben, oder daß man sie als ein Prokrustesbett benutzt, i n welches die Geschichte hineingezwängt werden soll . . . " WL., S. 195. 58 Vgl. aber die Einwände von Hattenhauer, Z u r Autorität, S. 258 ff. Aber wenn hier das Moment der Rechtsmagie stärker betont w i r d , so w i r d dadurch 59 Zitiert nach der Ausgabe Basel ohne Jahr, zuerst i n HZ., Bd. 120 (1919). co Kern, Recht, S. 11. ei Kern, Recht, S. 38 ff. 62 WuG., S. 19: „Ohne Neuoffenbarung von Ordnungen w a r i n Epochen der Geltung des strengen Traditionalismus die Entstehung neuer Ordnungen, d. h. solcher, die als ,neu' angesehen wurden, n u r so möglich, daß diese als i n Wahrheit von jeher geltend u n d nur noch nicht richtig erkannt oder als zeitweise verdunkelt u n d nunmehr wieder entdeckt behandelt wurden." Vgl. auch Rechtssoziologie, S. 179. 63 WuG., S. 679. 64 Kern, Recht, S. 13. 65 Vgl. Ernst-Wolf gang Böckenförde, Der Rechtsbegriff i n seiner geschichtlichen Entwicklung, Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. 12 (1968), S. 145 ff., hier S. 149- 152; vgl. auch Götz Landwehr, K ö n i g t u m u n d Landfrieden, i n : Der Staat, Bd. 7 (1968), S. 84: „Die Rechtsordnung erscheint als Teil der ewigen Weltordnung u n d gilt wie diese unwandelbar." Ebenso S. 97: „ . . . die mittelalterliche Verfassung kennt keine gesetzgebende Gewalt, da das Recht, zumindest der Idee nach, als unwandelbare Daseinsordnung gedacht w i r d . " So auch — statt vieler — W. Ebel, Geschichte der Gesetzgebung i n Deutsch-
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anschauung und dem Typus der wertrationalen Legitimität: der Glaube an die übergreifende Seinsordnung, deren Teil das Recht ist, beinhaltet zugleich den Glauben an die Unverbrüchlichkeit des Rechts. Dabei ist das Alter des Rechts nicht etwa selbst Legitimitätsgrund, sondern lediglich Beweiszeichen und Erkenntnisgrund für die Übereinstimmung von Recht und Seinsordnung. Otto Brunner hat dies prägnant so formuliert: Das Recht „ist nicht gut, weil es alt ist, sondern alt, weil es als gut gilt"66. Wenn damit auch gezeigt sein dürfte, daß die mittelalterliche Rechtsanschauung einen wertrationalen, nicht aber traditionalistischen Bezug aufweist 6 7 , so darf darüber nicht außer acht gelassen werden, daß sich auch in neueren Lehrbüchern der Rechtsgeschichte Stellen finden, die Max Webers Auffassung zu stützen scheinen. So heißt es beispielsweise bei Hermann Conrad 6 8 : „Das Recht . . . war dem Germanen eine altüberlieferte und daher heilige Ordnung der Lebensverhältnisse, i n die nicht eingegriffen werden durfte." Und Bernhard Rehfeldt schreibt über die Geltung des Rechts bei den Germanen: „Daß die Vorfahren es seit je so gehalten hatten, war der Grund, warum man es halten sollte 69" Es drängt sich hier jedoch die Vermutung auf, daß sich in diesen Formulierungen die Schwierigkeiten manifestieren, m i t denen eine neuzeitlich orientierte Rechtsauffassung — ebenso wie die an der neuzeitlichen Rationalität orientierte Soziologie Max Webers — zu kämpfen haben wird, wenn sie die davon völlig verschiedene Rechtsoder Rechtfertigungsstruktur vorrationaler Zeiten begrifflich fassen will. Die gleichen Formulierungen, i n denen letztlich unentschieden bleibt, ob der legitimierende Rückbezug auf die Geschichte wertrationaler oder traditionalistischer Natur ist, finden sich in der Literatur über den land, 2. Aufl. Göttingen 1958, S. 12 ff., und Quaritsch, Staat, S. 119 f.; vgl. auch Hermann Krause, K ö n i g t u m u n d Rechtsordnung i n der Zeit der sächsischen und salischen Herrscher, i n : Z R G (GA), Bd. 82 (1965), S. 58. 66 Brunner, Neue Wege, S. 75; vgl. auch ders., L a n d u n d Herrschaft, S. 133 - 146. N u n auch Rolf Grawert, Historische Entwicklungslinien des neuzeitlichen Gesetzesrechts, i n : Der Staat, Bd. 11 (1972), S. 3: „Das ,Alter' dieses Rechts ergibt sich nicht aus der Tradition von Vergangenem i n Gegenwart, sondern umgekehrt aus seiner Zeitlosigkeit, Invarianz u n d Unverfügbarkeit." 67 Vgl. aber Hattenhauer, Z u r Autorität, S. 272 : „Der Zauber ist die A u t o r i t ä t des alten Rechtes u n d der Grund dafür, daß es befolgt w i r d . Das Recht selbst ist Zauber." Bei aller Differenzierung, die Hattenhauer gegenüber K e r n vornimmt, ist ihre Position gegenüber einer rein traditionalistischen Rechtsgeltungslehre, u m die es hier geht, doch einheitlich. 68 Hermann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. I : Frühzeit und M i t t e l alter, Karlsruhe 1954, S. 40. 69 Bernhard Rehfeldt, Recht, Religion und M o r a l bei den frühen Germanen, i n : ZRG (GA), Bd. 71 (1954), S. 1 ff., S. 8.
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geistesgeschichtlichen Traditionalismus. So formuliert Carl Schmitt in seiner „Politischen Romantik" 7 0 : „Die Berufung auf die Dauer ist das gegebene konservative und traditionalistische Argument. Nur der dauernde Bestand rechtfertigt jeden Zustand, das longus tempus ist als solches der letzte Rechtsgrund . . . " ; das andere Mal jedoch sieht Schmitt bei Burke, Bonald und de Maistre ein Gefühl dafür vorhanden, „daß der Grund alles historisch-politischen Geschehens i n einer überindividuellen Macht liegt, wobei ,Grund' bei ihnen sowohl die kausale Erklärung wie die normative Rechtfertigung, die Legitimierung, bedeutet" 7 1 . Damit bewegt C. Schmitt sich auf einer wertrationalen Argumentationsebene. Das „traditionalistische" Moment klingt — ebenfalls für Burke, Bonald und de Maistre — bei Herbert Marcuse an 7 2 : „das Geschichtliche w i r d als solches, ohne Rücksicht auf seinen materiellen Inhalt, zur absoluten Macht, die den Menschen bedingungslos dem Bestehenden als schon immer Gewesenem, als Dauerndem unterwirft." Das wertrationale Moment innerhalb des „Traditionalismus" w i r d jedoch durchaus zutreffend gesehen, wenn es kurz vorher 7 3 heißt: „Wenn demgegenüber jetzt Staat und Gesellschaft unmittelbar als göttliche Institution und ihre Autorität darüber hinaus entweder i n ihre bloße Existenz oder bloße Dauer oder in eine mystische äme nationale (de Maistre) gelegt wird, so bedeutet dies eine Erhebung des bestehenden Herrschaftssystems über jede mögliche Rechtfertigung vor der Einsicht und den Bedürfnissen der Individuen. Die Staat und Gesellschaft umspannende autoritative Ordnung ist ineins die ,göttliche und natürliche' Ordnung der Dinge." K u r t Lenk 7 4 sieht den wertrationalen Bezug des geistesgeschichtlichen Traditionalismus richtig: „Das Insistieren auf ewigen Wesensgehalten, auf Herkommen, Sitte, Geschichte und positivem Recht . . . offenbart das verzweifelte Bemühen, der Geschichte einen über sie selbst hinausweisenden Sinn abzugewinnen." Auch er jedoch verdeckt die Legitimitätsstruktur von Edmund Burkes Theorie, wenn er versucht, sie dadurch aufzudecken, daß er ihr den wertrationalen Bezug auf die göttliche Ordnung abschneidet 75 . Diese wenigen Zitate zeigen bereits, daß über die besondere A r t der Legitimation innerhalb des geistesgeschichtlichen Traditionalismus Un70
C. Schmitt, Politische Romantik, 3. Aufl. B e r l i n 1968, S. 92. Schmitt, Politische Romantik, S. 119. 72 Studien über A u t o r i t ä t u n d Familie. Forschungsberichte aus dem I n stitut für Sozialforschung, Paris 1936, photomechanischer Nachdruck ohne Ort, ohne Jahr (Junius-Drucke), S. 196. 7 s Marcuse, Studien, S. 190. 74 K u r t Lenk, Konservatismus, i n : Der bürgerliche Staat der Gegenwart. Formen bürgerlicher Herrschaft I I , hrsg. von Reinhard K ü h n l , Reinbek bei Hamburg 1972, S. 131 ff., S. 133. 75 Lenk, Konservatismus, S. 136. 71
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Sicherheit besteht. Zwar w i r d auf der einen Seite der hinter der Geschichte stehende Bezug auf eine außergeschichtliche und sich in der Geschichte i m besten Falle manifestierende Ordnung gesehen. Andererseits aber w i r d dieser Bezug durch die vordergründige Aufgabe der Geschichte verdunkelt, das jeweils Bestehende zu rechtfertigen, ohne daß hierbei auf die zu dieser Zeit nicht mehr unbefragt hingenommenen Strukturen theologischer oder naturrechtlicher Weltbegründung rekurriert werden müßte. Die Wertrationalität der alteuropäischen Ordnung entzieht sich der Diskussion, indem sie die Geschichte als rechtfertigende Kraft vorschiebt und nur gelegentlich hinter ihr in ihrer eigentlichen, überkommenen Legitimitätsfunktion erscheint. Zugleich ist in diesem Prozeß eine dialektische Entwicklung aufgezeigt: Die Dynamisierung der alteuropäischen Ordnung i m 18. Jahrhundert treibt das psychische Moment der traditionalistischen Empfindung zur reflektierten Formierung; aus dem Traditionalismus als formalpsychischem Moment w i r d die politische Richtung des Konservatismus 76 . I n dieser Umformung, in der ein psychisches Moment sich seiner selbst bewußt und damit „Agglomerationskern" (Mannheim) einer politischen Bewegung wird, verwirklicht sich die begriffliche Bandbreite des „Traditionalismus" bei Max Weber: aus dem dumpfen, i n der Richtung der einmal eingelebten Einstellung ablaufenden Reagieren auf gewohnte Reize w i r d die bewußte Aufrechterhaltung der Bindung an das Gewohnte 77 . Die Erhebung der Tradition zu einem selbständigen Legitimierungsprinzip beruht aber in diesem Falle auf der mehr oder weniger stillschweigenden Einbeziehung außertraditionalistischer Ordnungsbezüge in das Argumentationsgefüge des Traditionalismus 7 8 . Die bewußte Aufrechterhaltung der Bindung an das Gewohnte kommt entgegen der Auffassung Max Webers dem Typus der wertrationalen Legitimität nicht etwa nur annähernd gleich — sie stellt selbst einen Unterfall wertrationalen Handlungsbezuges dar. Denn das Entscheidende an dieser A r t der Legitimitätsgeltung ist der Glaube an die unverbrüchliche Geltung einer Seinsordnung, die sich in der Geschichte manifestiert und um derentwillen die Geschichte dem Menschen erst den Handlungsmaßstab abgeben kann. Die Wurzel für jene besondere Form des Traditionalismusbegriffes freilich, die ohne einen wertrationalen Bezug die Geltung einer Ordnung lediglich auf die Eingeübtheit des alltäglich Gewohnten stützt, liegt in einer bestimmten Linie der rechtstheoretischen Diskussion i m 76
Mannheim, Wissenssoziologie, S. 418 ff. 77 WuG., S. 12. 78 Vgl. zu der naturrechtlichen Orientierung von Burkes Traditionalismus Leo Strauss, Naturrecht u n d Geschichte, Stuttgart 1956, S. 332: „Transzendente Maßstäbe können aufgegeben werden, wenn der Maßstab dem Prozeß innew o h n t ; ,das Tatsächliche u n d Gegenwärtige ist das Vernünftige'." Ebenso auch Krüger, Staatslehre, S. 55.
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neunzehnten Jahrhundert: Es w i r d sich bei der Verfolgung der Diskussion um den Geltungsgrund des Gewohnheitsrechtes innerhalb der deutschen Rechtswissenschaft i m neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhundert zeigen lassen, daß hier der später von Max Weber nicht mehr erkannte Ubergang von der wertrational-traditionalistischen Begründung einer normativen Ordnung zu einer rein traditionalistischen Begründung angelegt und vor gezeichnet ist. Dabei jedoch prägt sich in dieser scheinbar fachwissenschaftlichen Diskussion wiederum der Strukturwandel aus, der die Geisteswissenschaften i m Durchgang durch den Positivismus des neunzehnten Jahrhunderts ergriffen hat. Legitimitätsvorstellungen lassen sich vorzüglich an dem Stand der Reflexion der Geltung von Rechtsordnungen ablesen. Die A r t , in der die Rechtsgeltung begründet wird, entspricht der zugrunde liegenden Legitimitätsvorstellung: sie erscheint sogar angesichts der Einbettung von Herrschaft i n rechtliche Kategorien als der einzige Bereich, i n dem Legitimitätsvorstellungen ins Bewußtsein gebracht werden. Soll die Frage nach dem Wesen der traditionalen Legitimität aus einer rein historischen Fragestellung herausgelöst werden, so bedarf es dazu angesichts der streng rationalen Begründungsstrukturen der europäischen Neuzeit des Blickes auf ein Gebiet, das aus jener Struktur herausfällt. Die rationale Legitimität von Rechtsordnungen stellt sich i m neunzehnten Jahrhundert weniger als Problem inhaltlicher denn als solches formaler Rationalität: es geht nicht um die materiale Legitimität der Rechtsordnung, sondern um ihre Legalität 7 9 . Für die Legitimität von Normen ist entscheidend nur ihre lückenlose Ableitbarkeit nach formalen Regeln aus dem Willen des Gesetzgebers. Anders ist dies allein bei demjenigen Normenbereich, der außerhalb — und daher immer wieder i n Frage gestellt — des Legitimitätsbezuges auf den Gesetzgeber steht: dies ist das Gewohnheitsrecht. Das Gewohnheitsrecht macht die ihm eigene Legitimitätsvorstellung gegen diejenige des Gesetzesrechts geltend und ist zu einer erhöhten Reflexion angesichts des Bemühens des Gesetzgebers gezwungen, die Legalität der Norm als einzigen Geltungsgrund zu verabsolutieren und damit i n der Gleichsetzung von Legalität und Legitimität ein Rechtssetzungsmonopol zu konstituieren. Wenn überhaupt, dann ist es die unter diesem Gesichtspunkt im neunzehnten Jahrhundert und — unter dem Eindruck der großen Kodifikationen — gegen Ende des Jahrhunderts geführte Diskussion um die Geltung von Gewohnheitsrecht, in der sich außerrationale, aktuell-traditionalistische Rechtfertigungselemente manifestiert haben könnten und anhand derer mögliche Einflüsse auf die Fassung 79 Hierzu vgl. Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Neuwied— B e r l i n 1969.
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des Typus der traditionalen Legitimität bei Max Weber nachgewiesen werden können. Aus zwei Gründen scheint es naheliegend, den Überblick über diese Diskussion bei der Historischen Rechtsschule zu beginnen. Zum einen stand ihr wissenschaftliches Bemühen unter dem Zeichen des Rückzuges auf die geschichtliche K r a f t des Rechts gegenüber aufklärerischrationalistischen Gesetzgebungsbestrebungen des endenden achtzehnten und beginnenden neunzehnten Jahrhunderts, so daß hier eine Reflexion der rechtfertigenden K r a f t von Geschichte innerhalb der Normbegründung erwartet werden kann. Zum anderen scheint das Gewohnheitsrecht i m Mittelpunkt ihrer wissenschaftlichen Bemühungen gestanden zu haben. Das Hauptwerk des neben Friedrich Carl von Savigny bedeutendsten Vertreters der Historischen Rechtsschule, Georg Friedrich Puchta, heißt lapidar „Das Gewohnheitsrecht" 80 . Der Geschichtsbezug der Historischen Schule ist jedoch ungeschichtlich: „Die Geschichte w i r d nicht als der eigentliche Modus des Geschehens begriffen, sondern zum Entfaltungsraum einer Natur-Entwicklung reduziert, die sich aus einem immanenten Prinzip organisch vollzieht 8 1 ." Ist dies richtig, so liegt bei der Historischen Schule wiederum nur ein solches Geschichtsverhältnis vor, in dem die Geschichte als in einer prästabilierten Harmonie m i t einer übergreifenden, letztlich ungeschichtlichen Ordnung stehend gedacht wird. Diese Ordnung ist die Ordnung der Natur; es handelt sich hier um ein „na tur theoretisches Element" 8 2 , das die geschichtlich überkommene Struktur erst zu rechtfertigen vermag. Läßt sich aus dem Geschichtsverhältnis der Historischen Schule kein rein traditionalistisches Legitimationsdenken ableiten, so gilt dies erst recht von der Lehre des Gewohnheitsrechtes. Denn: „die historische Schule (ist) bei all' ihren Leistungen auf dem Gebiete dieser Lehre doch tief in einer A r t naturrechtlicher Methode verfangen 83 ." Eine rein traditionalitische Theorie des Gewohnheitsrechts müßte seine Geltung auf die bloße Übung durch die Gesamtheit des Volkes oder zumindest der 80 Georg Friedrich Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Bd. I, Erlangen 1828, Bd. I I , Erlangen 1837. 81 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts, i n : Collegium Philosophicum. Studien Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, Basel—Stuttgart 1965, S. 16. 82 Böckenförde, Historische Rechtsschule, S. 18. Vgl. dazu K . Mautz, E i n leitung zu: Heinrich Leo, Z u einer Naturlehre des Staates, F r a n k f u r t 1948, S. 13: „Das geschichtliche Sein erscheint so als die Entfaltung eines natürlichen Seins, i n welchem es bereits als ,Keim' vor seiner Entfaltung angelegt ist: der Naturbegriff ist geschichtlich geladen, der Geschichtsbegriff natürlich, d. h. übergeschichtlich fundiert." S3 Ernst Zitelmann, Gewohnheitsrecht und I r r t h u m , i n : AcP., Bd. 66 (1883), S. 323 ff., hier S. 419 f.
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von dem jeweiligen Hechtssatz Betroffenen stützen. Gerade das ist es jedoch, was sowohl von Savigny als auch von Puchta entschieden abgelehnt wird: Die Übung ist Erkenntnisgrund des Gewohnheitsrechtes, nicht aber dessen Entstehungsgrund; die bloße Gewohnheit vermag es nicht, den qualitativen Sprung von Brauch und Sitte zum Rechtssatz zu vollziehen. Es liegt allerdings „ i n der Natur vieler Bestimmungen eine relative Gleichgültigkeit", „es kommt bey ihnen nur darauf an, daß irgend eine feste Regel gelte oder als geltend bekannt sey . . . und so kann allerdings die Gewohnheit als solche auf die Rechtsbildung Einfluß haben" 8 4 . Erst dort also, wo es um eine inhaltlich gleichgültige Regelung geht, wo das materiale Gerechtigkeitsdenken nicht i m Spiele ist, vermag es die Tradition, einen Rechtssatz zu schaffen. Die Gewohnheit kann somit ein „mitwirkender Entstehungsgrund" 85 für das Gewohnheitsrecht sein und zuweilen wohl auch alleiniger, wenn nämlich der Natur des Rechtssatzes nach eine Richtigkeitsüberzeugung nicht gefordert werden kann. Dies bleibt jedoch Ausnahme und bestätigt die Regel. Ein Gleiches gilt für die von Puchta vertretene Gewohnheitsrechtstheorie: Für die Entstehung von Gewohnheitsrecht ist die Überzeugung von der Richtigkeit wesentlich. Das hiermit eingeführte materiale K r i terium der Überzeugung ist in der Folge auf verschiedene Objekte bezogen worden: Die Überzeugung kann einmal darauf abzielen, daß der Gewohnheitsrechtssatz der Gerechtigkeit entspreche 86 oder daß er — geltendes — Recht sei 87 . Während i m ersteren Fall der Geltungsgrund des Gewohnheitsrechtes i n der Übereinstimmung m i t der überpositiven Rechtsordnung liegt, so bleibt er i m letzteren Falle überhaupt unberührt. Denn die Überzeugung, daß etwas Recht sei, umgeht die Frage nach der Rechtsgeltung, weil sie die Geltung als Recht immer schon voraussetzt. Der Kern der Überzeugungstheorien liegt für Ernst Zitelmann 8 8 i n der Überzeugung, daß der Gewohnheitsrechtssatz „ i n und an sich selbst geltendes Recht" sei. Auch hier w i r d die Geltung unbefragt hingenommen: „Warum ist denn die allgemeine Rechtsüberzeugung . . . Recht? Was gibt ihr diese Kraft 8 9 ?" Die A n t w o r t auf diese Frage bleibt Puchta bewußt schuldig, denn die Frage selbst läßt er sich gar nicht erst stellen: Es „kann in der That gar nicht die Frage entSavigny, System, S. 36. August Sturm, Revision der gemeinrechtlichen Lehre v o m Gewohnheitsrecht unter Berücksichtigung des neuen deutschen Reichsrechts, Leipzig 1900, S. 45; so auch Zitelmann, Gewohnheitsrecht, S. 377 f. 86 Die von Zitelmann so genannte Gerechtigkeitstheorie, Gewohnheitsrecht, S. 382 ff. 87 Nach Zitelmann die Rechtmäßigkeitstheorie, Gewohnheitsrecht, S. 384 f. 88 Zitelmann, Gewohnheitsrecht, S. 404. 89 Zitelmann, Gewohnheitsrecht, S. 424. 85
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stehen, ob und aus welchem Grunde das Gewohnheitsrecht gültig sey? denn es läßt sich keine andere A n t w o r t darauf geben, als die: das G.R. besteht und gilt aus dem Grunde, aus welchem Recht überhaupt gilt . . ." 9 0 . Die Überzeugungstheorien verschiedenster Ausprägung 9 1 sollten i n der Gewohnheitsrechtsdiskussion des neunzehnten Jahrhunderts die entscheidende Rolle spielen. Ihnen allen gemeinsam ist, daß sie die Rolle der Übung, das traditionalistische Element i n der Begründung des Gewohnheitsrechtes, zugunsten der Überzeugung eines bestimmten Personenkreises von der Richtigkeit des Gewohnheitsrechtssatzes vernachlässigen und damit erst gar nicht zu der Frage nach dem Geltungsgrund des Gewohnheitsrechtes gelangen. Zwar w i r d stets ein Geltungsgrund angeführt und erörtert — bei näherer Prüfung ergibt sich jedoch stets, daß die Geltung des Gewohnheitsrechtes m i t der unbefragten Geltung einer übergesetzlichen Rechtsordnung erklärt wird. Der Überzeugungstheorie stand zumindest bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts nur die sogenannte Gestattungstheorie m i t einer Modifikation — der Duldungstheorie — gegenüber. I n ihnen w i r d der Geltungsgrund des Gewohnheitsrechtes in die Gestattung oder stillschweigende Duldung durch den Gesetzgeber verlegt 9 2 . Die Gestattungstheorie ist bereits i m achtzehnten Jahrhundert — jedoch unter gänzlich anderer Fragestellung — entwickelt worden. Die Unterteilung des Rechts in natürliches und positives Recht setzte einen anderen Begriff von positivem Recht voraus, als ihn der Gesetzespositivismus im neunzehnten Jahrhundert entwickeln mußte. Positiv war alles Recht, das nicht bereits inhaltlich durch die Grundentscheidungen des Naturrechts gebunden war und sonach als einziger Rechtsbereich dem Bereich der gesetzgeberischen W i l l k ü r angehören durfte. Zum positiven Recht gehörten alle diejenigen Normen, die „ i n der Natur der Dinge an sich keinen zureichenden Grund haben" 9 3 würden — i m Grunde handelt es sich also um den gleichen Rechtsbereich, i n dem für Savigny die bloße Übung als Entstehungs- und Geltungsgrund genügte. Hier war keine andere Legitimation als diejenige durch den dezisionistischen Gesetzgeber möglich: es war zwar erforderlich, eine Regelung zu treffen, worin diese aber inhaltlich bestand, war gleichgültig. Das Gewohn90 Puchta, Gewohnheitsrecht, Bd. I, S. 180 f. 91 Vgl. hierzu M a x Rümelin, Die bindende K r a f t des Gewohnheitsrechts, Tübingen 1929, S. 17 ff., u n d Sturm, Gewohnheitsrecht, § 5. 92 Z u den Ausprägungen dieser Theorie i m einzelnen vgl. Sturm, Gewohnheitsrecht, S. 28 ff., u n d Zitelmann, Gewohnheitsrecht, S. 361 ff. 93 L. J. Höpfner, Theoretisch-practischer Commentar über die Heineccischen Institutionen, F r a n k f u r t 7. Aufl. 1803, zitiert bei J. Blühdorn, Z u m Zusammenhang von „Positivität" u n d „ E m p i r i e " i m Verständnis der deutschen Rechtswissenschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts, i n : Positivismus i m 19. Jahrhundert, hrsg. von Jürgen Blühdorn und Joachim Ritter, F r a n k f u r t 1971, S. 123 ff., S. 125.
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heitsrecht mußte angesichts dieser Unterscheidung zum größten Teil unter den Begriff des positiven, durch den Gesetzgeber legitimierten Rechts fallen. Zwar gab es auch einen Bereich des „Gewohnheitsrechtes", der inhaltlich gebunden war, aber dann handelte es sich eben um das ius naturale; die historische Erscheinung der Gewohnheit blieb gegenüber der Ubereinstimmung m i t den naturrechtlichen Grundsätzen akzidentiell und bildete lediglich ein weiteres Zeichen der Vernünftigkeit. M i t der Hineinverlegung der Richtigkeitsvermutung aus dem Bereich des nichtpositivierten Naturrechts in den Bereich der positiven Gesetze — vor allem als Positivierung des revolutionären Naturrechts in den großen Kodifikationen des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts 9 4 — wandelte sich die Geltungsproblematik des Gewohnheitsrechtes um. Es bestand zwar noch als erratischer Block neben dem in positive Gesetze gegossenen Naturrecht weiter, entbehrte nunmehr aber der naturrechtlichen Legitimation, da diese auf das positivierte Recht übergegangen war. Der „naturrechtliche" wie auch der „positivrechtliche" Teil des Gewohnheitsrechtes bedurften nunmehr einer einheitlichen Legitimierung, die so freilich nur die Billigung durch den Gesetzgeber abgeben konnte. Denn der Gesetzgeber besaß nun nicht allein die dezisionistische Legitimation auf dem früheren Gebiet des positiven Rechts, sondern er war darüber hinaus zum personifizierten Hüter des Naturrechts avanciert. Die Gestattungstheorie führte zwar auch unter diesen veränderten Umständen ein eigenständiges Leben, mußte sich aber die Argumente entgegenhalten lassen, die sich aus dem veränderten Umfang des Begriffes eines Gewohnheitsrechts ergaben. Die Gleichsetzung von überpositivem und positivem Gewohnheitsrecht eliminierte die Durchschlagskraft des überpositiven Gewohnheitsrechtes gegenüber Gewohnheitsrechtsverboten des Gesetzgebers als Argumentationsmöglichkeit: es war nunmehr nicht länger einsichtig, wie ein Gewohnheitsrecht, das auf der Billigung durch den Gesetzgeber beruhen mußte, sich i n historisch aufweisbaren Fällen auch gegen i h n durchzusetzen vermochte 95 . Die Gewohnheitsrechtstheorien des juristischen Positivismus hätten sich bei einiger Konsequenz gegenüber ihrem Ausgangspunkt einer der Gestattungstheorien anschließen müssen. Wenn das Recht — i m Unterschied zur Historischen Schule — nicht mehr Manifestation des Volksgeistes, sondern nur mehr des Gesetzgebers ist 9 6 , so hätte das Gewohn94 Theodor Vieweg, Positivismus und Jurisprudenz, i n : J. Blühdorn, J. R i t ter (Hrsg.), Positivismus, S. 105 ff., S. 107. 95 Dies w a r das Hauptargument gegen die Gestattungstheorien, vgl. Rümelin, Die bindende K r a f t , S. 18. 96 A l f Ross, Theorie der Rechtsquellen, Leipzig—Wien 1929, S. 178.
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heitsrecht nunmehr seine Rechtfertigung auch i n dem Willen des Gesetzgebers finden müssen und nach der Gestattungstheorie auch finden können. Daß dies nicht geschah, sondern daß i m Gegenteil die Theorie der Historischen Schule, wonach die Geltung des Gewohnheitsrechtes auf der jeweiligen Uberzeugung von seiner Richtigkeit beruht, nahezu ungebrochen weitergeführt wurde, ist ein Zeichen dafür, wie sehr der juristische Positivismus innerlich an inhaltliche Kriterien gebunden war. Die unbefragte Hinnahme aller formell ordnungsgemäß erlassenen Gesetze geht von der unausgesprochenen Prämisse aus, daß der Gesetzgeber das inhaltlich Richtige zum Gesetz erheben werde 9 7 . Ein solches stillschweigend mitgedachtes Korrigens der immerhin theoretisch möglichen W i l l k ü r müßte aber bei dem Gewohnheitsrecht entfallen, wenn sein einziger Geltungsgrund die nur einmal generell geäußerte Gestattung durch den Gesetzgeber wäre. Inhaltliche Kriterien für das Gewohnheitsrecht könnte es dann nicht geben, da der rationale Entscheidungsprozeß durch den Gesetzgeber bei der Entstehung des Gewohnheitsrechtes keine Rolle spielen würde. Somit mußte der Positivismus zurückgreifen auf die inhaltlich abgesicherte Theorie der Historischen Schule, bei der i n der Überzeugung der Gemeinschaft von der Richtigkeit des Gewohnheitsrechtssatzes zugleich die Gewähr für diese Richtigkeit lag. Erweitert wurde die Uberzeugungstheorie lediglich durch die Forderung, daß zu der Überzeugung noch die faktische Ausübung des Rechtssatzes — also seine positive Geltung — hinzukommen müsse. Uberzeugung und Übung konnten nunmehr als gleichberechtigte Entstehungsgründe für Gewohnheitsrecht gelten; die Übung war immerhin aus ihrer Rolle als bloßem Erkenntnisgrund herausgenommen worden und hatte sich als formaler Geltungsgrund dem inhaltlichen der Uberzeugung beigesellt. Der juristische Positivismus hatte sich allerdings bei einigen seiner Vertreter auch zu einer Haltung durchgerungen, die seiner Ausgangsbasis gerechter wurde und den faktischen Geltungsgrund der Übung zumindest teilweise i n den Vordergrund stellte. So gilt zwar auch bei Bernhard Windscheid, daß sich i n der Übung die Rechtsüberzeugung der Übenden manifestiere, aber die Übung selbst kann i n manchen Fällen — die weiter gesteckt sind als bei Savigny — auch Entstehungsgrund des Gewohnheitsrechtes allein sein: „der Macht der Thatsache, welche sich länger behauptet, vermag sich kein menschliches Gemüth zu entziehen; was lange Zeit gewesen ist, erscheint uns blos deswegen, Vgl. hierzu Ernst Forsthoff, Rechtsstaat i m Wandel, Stuttgart 1964, S. 16 f. I n der W i r k u n g vergleichbar, aber i n der Begründung anders ist die von der Begriffsjurisprudenz aufgestellte RichtigkeitsVermutung, m i t der das positive Recht prämiiert ist: „die logische Begriffs- u n d Systemgerechtigkeit eines wissenschaftlichen Satzes (begründet) auch seine Richtigkeit . . . " ; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 434. 5 Speer
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weil es gewesen, als Recht 98 ." Wenn hier auch ein Anklang an die Legitimationsstruktur des Volksrechtes erkennbar sein dürfte 9 9 , so ist doch der Übergang zu einer rein traditionalistisch orientierten Legitimation des Gewohnheitsrechtes deutlich. Und Dernburg 1 0 0 faßt als Rechtsquelle des Gewohnheitsrechts die dem Menschen innewohnende Ehrfurcht vor dem Althergebrachten auf. I n der bei i h m auftretenden Verwurzelung des Gewohnheitsrechtes i m Gesamtvolk läßt sich freilich die material gebundene Rechtfertigungsstruktur der Volksgeisttheorie erkennen. Anders w i r d dies erst i n dem Zeitpunkt, da sich eine Unterart des juristischen Positivismus herausbildet: der juristische Naturalismus 1 0 1 . Er beschränkt sich i n Anlehnung an die positivistische Doktrin der Zeit auf die Herausarbeitung naturwissenschaftlich begründbarer Rechtfertigungsstrukturen für die Rechtsgeltung. Das Recht w i r d nunmehr nicht i n dem juristisch verselbständigten Willen der Volksgesamtheit begründet und kann seine Geltung auch nicht mehr auf die Überbleibsel der Volksgeisttheorie stützen: es bedarf nur einer wissenschaftlicheren Erklärung der Rechtsgeltung. War den Juristen des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts der Zugang zu der Deduktion von Normen aus absolut geltenden Sätzen auch versperrt, so blieb ihnen — i n Übereinstimmung m i t dem wissenschaftlichen Geist des Positivismus — noch der Weg über die induktive Methode, um das Phänomen der Rechtsgeltung zu erforschen. Dabei wurde die Frage nach dem Geltungsgrund zunächst in den Hintergrund gedrängt, da die A n t w o r t auf diese Frage „tief i n die Metaphysik oder i n die Religion" 1 0 2 hineinführen müsse. Der Geltungsgrund eines Satzes könne nur jeweils m i t objektiv gültigen Kriterien erhellt werden — da diese jedoch unerkennbar sind, verlagert sich das Problem i n die Subjektivität der psychischen Persönlichkeit: nicht mehr der absolute Geltungsgrund soll herausgearbeitet werden, sondern nur mehr der subjektive Grund für die 98 Vgl. Sturm, Gewohnheitsrecht, S. 59; Bernhard Windscheid, Lehrbuch der Pandekten, Bd. I, 7. Aufl. F r a n k f u r t 1891, S. 40. 99 „ . . . das Deutsche Recht gilt aus dem Grunde, w e i l es Volksrecht ist. Es ist durch Übung entstanden, aber schon so lange entstanden, daß es uns als unzweifelhaftes Recht g i l t " ; Sturm, Gewohnheitsrecht, S. 51. Das Volksrecht bedarf für seine Geltung keiner Gewohnheit; n u r bei inhaltlich gleichgültigen Sätzen vermag für Beseler — u n d hierin gleicht er sich Savigny an — die Gewohnheit einen Rechtssatz zu begründen. 100 Heinrich Dernburg, Pandekten, Bd. I, S. 57; nach Sturm, Gewohnheitsrecht, S. 58. 101 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 452 : „Der Positivismus hatte die Voraussetzung einer überpositiv verpflichtenden Rechtsidee aus seinem methodischen Bewußtsein verdrängt; seit sich die juristische K o n s t r u k t i o n nicht mehr durch sie legitimieren konnte, mußte sich einem unerschrockenen Wirklichkeitssinn die E r k l ä r u n g des Rechts aus realen Ursachen aufdrängen." 1( >2 Zitelmann, Gewohnheitsrecht, S. 452.
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Befolgung eines geltenden Satzes 103 . Dies reduziert sich i m weiteren Verlauf dahin, daß nur noch gefragt w i r d : „woher wissen w i r überhaupt, daß Gesetze gelten 1 0 4 ?" Der Ubergang von der Frage nach dem Geltungsgrund von Recht zu der Frage nach der Begründung unseres Wissens von dieser Geltung bedeutet einen „Sprung über eine unüberbrückbare K l u f t " 1 0 5 . Der Verzicht auf die Uberbrückung dieser K l u f t vermag jedoch eine zureichende Geltungstheorie zu begründen: so wie die Geltung von Naturgesetzen nur auf induktivem Wege erkannt werden kann, so ist es auch m i t der Geltung von Rechtssätzen. „Die ewige Rechtfertigung der Geltung des Gewohnheitsrechts liegt vielmehr nur i n jener eigenthümlichen Erscheinung, daß ein normal denkender Mensch die Vorstellung, daß eine rechtliche Ordnung gelte, dann erzeugt, wenn er das längere thatsächliche Herrschen dieses Satzes beobachtet und erwartet, daß dieses thatsächliche Herrschen auch noch länger andauern werde 1 0 6 ." Die Legitimation des Gewohnheitsrechtes w i r d somit auf die rein traditionalistische, formal-psychische innere Eingestelltheit des Menschen gegründet, wonach einmal eingelebtes Handeln weiter tradiert w i r d 1 0 7 . Der Sprung zwischen Rechtsgeltung und dem Wissen von dieser Geltung blieb einer Theorie, die das Phänomen der Rechtsgeltung zu erforschen suchte, als Aufgabe. Zwischen beiden Problemen mußte eine Verbindung hergestellt werden, die es erlaubte, die Rechtsgeltung auf eine eindeutig erkennbare psychische Komponente zurückzuführen. Die Lösung dieses Problems geschah durch die Einführung eines Rechtstriebes als psychischer Ursache für die Rechtsgeltung, wobei der Rechtstrieb jedoch i m einzelnen unterschiedlich gefaßt wurde. Zum einen war er der psychische Trieb, dem Gewohnten als solchem zu gehorchen 108 , zum anderen war es ein besonderer Trieb zur Befolgung von 10 3 Jellinek, Staatslehre, S. 332: Z u r Erkenntnis des Wesens des Rechts gibt es zwei Möglichkeiten: „Entweder man sucht die N a t u r des Rechts als einer v o m Menschen unabhängigen, i n dem objektiven Wesen des Seienden gegründeten Macht zu erforschen, oder man faßt es als subjektive, d. h. innermenschliche Erscheinung auf. . . . Der hier befolgten Methode gemäß haben w i r das Recht n u r als psychologische, d. h. innermenschliche Erscheinung zu betrachten." 104 Zitelmann, Gewohnheitsrecht, S. 452. 105 Zitelmann, Gewohnheitsrecht, S. 460. 106 Zitelmann, Gewohnheitsrecht, S. 459. 107 Es fragt sich, wieweit hier nicht schon die dem i n d u k t i v vorgehenden Empirismus offenbar eigentümliche Vorstellung w i r k s a m ist, daß die Realität bereits regelhaft geformt sei u n d die Gesetze n u r noch empirisch erkannt werden müßten (so f ü r Johann Stephan Pütters an Hume geschultem Empirismus J. Blühdorn, Z u m Zusammenhang von „Positivität" und „ E m pirie", S. 139). Denn die Voraussetzung dafür, daß etwas als Recht gilt, ist, daß es als Regel bereits angewendet w i r d . tos v g l . die Darstellung bei Sturm, Gewohnheitsrecht, § 9.
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Recht, der physiologisch nachweisbar sein und seinen Sitz i n Organen des Stirnhirnes haben sollte 1 0 9 . Auch diese Konstruktion aber vermochte es nicht, die Rechtsgeltung anders zu begründen als m i t der rein faktischen Geltung über längere Zeit hinweg. Zwar steht hinter der Rechtsgeltung der Rechtstrieb als nicht weiter ableitbare Konstante und eliminiert alle sonstigen Komponenten der Rechtsgeltung. Aber der Rechtstrieb kann immer nur den Impuls geben, Recht zu befolgen; die gerade i n Frage stehenden Geltungsunterschiede zwischen Recht, Sitte, Brauch und Mode kann der Rechtstrieb nicht erklären, sondern setzt sie voraus. Die faktische Übung, die Befolgung eines Satzes als Rechtssatz übernimmt die Funktion der Rechtsbegründung; der Rechtstrieb hat nunmehr lediglich die Aufgabe, die Geltung des einmal als Recht begründeten Satzes zu garantieren. Diese Entwicklung kulminiert i n dem Begriff der „normativen Kraft des Faktischen" bei Georg Jellinek. Wenn das Recht für ihn „nur (eine) . . . psychologische, d. h. innermenschliche Erscheinung" 1 1 0 ist, so kann es nur „auf rein psychologischen Elementen ruhen" 1 1 1 . Der Geltungsgrund des Rechts w i r d auch hier subjektiviert — konsequent, da auf die Abstützung durch absolut geltende Sätze verzichtet werden mußte — und i n die Psyche des einzelnen verlegt. Auch Jellinek anerkennt einen Rechtstrieb, der einer Norm die Eigenschaft zuerteilt, motivierend auf das Handeln des einzelnen zu wirken: „Diese Fähigkeit entspringt aber aus der nicht weiter ableitbaren Überzeugung, daß w i r verpflichtet sind, sie (d. h. die Rechtsnormen) zu befolgen 112 ." Jellinek aber geht über die bisherige Problemstellung hinaus. Er erkennt, daß m i t der Annahme einer derartigen psychischen Fähigkeit nur die Rechtsbefolgung, nicht aber die Rechtsgeltung erklärt w i r d : „das Recht (ist) . . . außerstande, sein eigenes Dasein zu behaupten" 1 1 3 ; die Rechtsgeltung muß sich aus einer anderen psychischen Komponente als der Überzeugung, daß Recht befolgt werden müsse, ergeben. Zur Lösung dieses Problems muß Jellinek „bis zu den letzten psychologischen Quellen des Rechts vordringen" 1 1 4 . Die Entstehung einer Rechtsnorm und damit ihre Geltung beruht auf „der nicht weiter ableitbaren Eigenschaft unserer Natur, kraft welcher das bereits Geübte physiologisch und psychologisch leichter reproduzierbar ist als das Neue" 1 1 5 . Diese Eigenschaft des Men109
So Sturm, Gewohnheitsrecht, S. 24. no Staatslehre, S. 332. i n Staatslehre, S. 334. us Staatslehre, S. 333. na Staatslehre, S. 336. 114 Staatslehre, S. 337.
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sehen schafft aus der reinen Faktizität des sich Wiederholenden die qualitativ davon unterschiedene Vorstellung einer Norm: das Sein erlebt in der formal-psychischen, traditionalistischen Eingestelltheit des Menschen seine Metamorphose in ein Sollen. Hier ist der Ubergang, i n dem aus der Theorie der Geltung des Gewohnheitsrechtes i m neunzehnten Jahrhundert der Begriff der traditionalistischen Legitimität bei Max Weber wird. Es läßt sich freilich, da der wissenschaftliche Apparat zu „Wirtschaft und Gesellschaft" nicht vorhanden ist, nicht mehr rekonstruieren, wieweit hier eine direkte und bewußte Übernahme der von Zitelmann und Jellinek aufgestellten Theorie durch Max Weber vorliegt. Sicher ist, daß er den Aufsatz von Ernst Zitelmann gekannt hat, da er sich in seiner Rechtssoziologie — wenn auch in gewissem Sinne negativ — auf die Theorie des Gewohnheitsrechtes bei Zitelmann beruft 1 1 6 . Sicher ist ebenso, daß Max Weber das Werk Georg Jellineks genau gekannt hat und gerade i n seiner Herrschaftssoziologie durch ihn beeinflußt worden ist 1 1 7 . Entscheidend für unsere Fragestellung ist, daß die Rechtsgeltungstheorie des juristischen Naturalismus i n der Form, die sie durch die Diskussion um den Geltungsgrund des Gewohnheitsrechtes i m neunzehnten Jahrhundert erhalten hatte, durch Max Weber übernommen und bei i h m in einen universalhistorischen Zusammenhang gestellt wurde. Dabei veränderte sich jedoch ihr Stellenwert. Die Entwicklung dieser Rechtsgeltungstheorie war die notwendige Folge einer gegenüber der alteuropäischen Form veränderten A r t der Welterklärung. Nicht 115 Staatslehre, S. 338. Vgl. die damit übereinstimmende Ansicht M a x Webers von der „urwüchsigen Konzeption von Rechtsnormen . . . : daß anfangs rein faktische Gewohnheiten des Sichverhaltens infolge der psychologischen ,Eingestelltheit 4 1. als v e r b i n d l i c h ' empfunden u n d m i t dem Wissen von ihrer überindividuellen Verbreitung 2. als ,Einverständnisse' i n das halb oder ganz bewußte ,Erwarten' des sinnhaft entsprechenden Handelns anderer hineingehoben werden, denen dann 3. die sie gegenüber den Konventionen' auszeichnende Garantie von Zwangsapparaten zuteil w i r d . " WuG., S. 397. Vgl. ebenso WuG., 2. Teil, Kap. V I , § 2, über die Übergänge zwischen „Rechtsordnung, Konvention u n d Sitte", u n d WuG., S. 375, hier zitiert nach dem verbesserten Wortlaut i n : Rechtssoziologie, S. 65: „an die von uns i n ihrer psychophysischen Realität hinzunehmenden, organisch bedingten Regelmäßigkeiten k n ü p f t sich die Konzeption verbindlicher Regeln' an." ne WuG., S. 397. 117 Vgl. seine Ansprache über Jellinek anläßlich der Hochzeit von dessen Tochter, i n : Marianne Weber, M a x Weber. E i n Lebensbild. Heidelberg 1950, S. 520: „ N u r darf gerade ich vielleicht erwähnen, w i e sehr zu dem, was m i r das Schicksal überhaupt vergönnte zu leisten, wesentlichste Anregungen aus seinen großen Arbeiten kam. U m n u r einige Einzelheiten zu berühren: die Scheidung naturalistischen u n d dogmatischen Denkens i m ,System der subj e k t i v e n öffentlichen Rechte' für methodische Probleme, die Prägung des Begriffs der ,sozialen Staatslehre' f ü r die K l ä r u n g der verschwimmenden Aufgaben der Soziologie . . . "
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mehr die wertrationale, auf den Glauben an die absolute Geltung bestimmter Werte gerichtete Legitimitätsart konnte als Erklärung für die Geltung bestimmter Normen herangezogen werden; die „externe Legitimität" (N. Luhmann) mußte durch eine systemimmanente Legitimitätsform abgelöst werden. Für die positiven Gesetze war dies die Legitimation durch das Gesetzgebungsverfahren. Wo es jedoch um die Geltung von Normen ging, die nicht durch den Gesetzgeber legitimiert waren, mußte eine andere Systemimmanenz gefunden werden: es war diejenige der menschlichen Psyche. Unverrückbare, allen Menschen innewohnende psychische Momente mußten nun den Geltungsgrund für derartige Normen abgeben. Damit war aber auch das Wissenschaftsideal des Positivismus erreicht: an die Stelle nicht weiter hinterfragbarer metaphysischer Vorstellungen von Wahrheit trat nunmehr die durch die exakte Wissenschaft der Psychologie nachprüfbare Komponente jener psychischen Eigenschaft, die aus dem Sein ein Sollen werden ließ. Und diese Komponente wies den weiteren Vorteil auf, daß sie — auf anderem als dem naturwissenschaftlichen Gebiet — ein Paradigma für ein induktives Vorgehen war und somit die Methodik des Positivismus selbst bestätigte. Diese Rechtsgeltungstheorie ist sicherlich möglich und brauchbar für eine Epoche, die die Frage nach der Geltung angeblich absoluter Werte als sinnlos aus der wissenschaftlichen Diskussion ausgeschieden hatte. Fragwürdig w i r d sie jedoch, wenn sie auf Zeiten angewendet wird, die diese positivistische Reduktion der Welterfahrung noch nicht kannten: es kommt — gerade für Max Weber — nicht darauf an, ob etwa der Ubergang vom Faktischen zur Norm die psychologisch exakte Beschreibung der Legitimitätsbegründung ist. Entscheidend ist vielmehr, welcher A r t der Legitimitätsglaube 1 1 8 jeweils ist: i n ein weithin ungebrochenes System wertrationaler Welterklärung aber paßt die psychologische Reduzierung auf die Normativität des Faktischen nicht. Denn nicht das Faktische erzeugt hier die Norm, sondern umgekehrt ist es die Norm, deren Existenz durch das Faktische angezeigt wird. M i t der Konzeption des Typus einer rein traditionalistischen Legitimität übernimmt Max Weber die Rechtsgeltungstheorie seiner Zeit, formt sie i n eine universalhistorische Kategorie 1 1 9 um und verfälscht damit u n w i l l kürlich die A r t der Herrschaftslegitimierung vorrationaler Zeiten. 118 Johannes Winckelmann, L e g i t i m i t ä t u n d Legalität i n M a x Webers Herrschaftssoziologie, Tübingen 1952, S. 25: „ I m Zentrum seiner empirischen Analyse der Herrschaft steht f ü r i h n der . . . typische Legitimitätsglaube als Herrschaftsgrundlage . . . " 119 Es fällt allerdings auf, daß M a x Weber andererseits die Übertragbarkeit der „juristischen K o n s t r u k t i o n der Geltungsbedingungen des »Gewohnheitsrechts 4 " auf „die faktische Entstehung der empirischen »Geltung* nicht durch Satzung geschaffenen Rechts" ablehnt. Denn: „ A l s Aussagen über die t a t -
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3. Rationale Legitimität Der dritte Typus der Legitimitätsgeltung, der zur Anfüllung des reduzierten Herrschaftsbegriffes m i t Leben dient, ist der für die moderne Herrschaftssoziologie am wichtigsten gewordene Typ. Er beruht „auf dem Glauben an die Legalität gesatzter Ordnungen und des A n weisungsrechtes der durch sie zur Ausübung der Herrschaft Berufenen . . . (legale Herrschaft)" 1 2 0 . Legalität liegt bei „formal korrekt und i n der üblichen Form zustandegekommenen Satzungen" 1 2 1 vor. Die Legalität muß freilich ihre Legitimität erst noch erweisen, denn der Grund für die Fügsamkeit der Herrschaftsunterworfenen gegenüber Satzungen, die formal korrekt zustandegekommen sind, w i r d von Max Weber hier nicht angesprochen. Die „Legalität kann als legitim gelten a) kraft Vereinbarung der Interessenten für diese; b) kraft Oktroyierung auf Grund einer als legitim geltenden Herrschaft von Menschen über Menschen und Fügsamkeit" 1 2 2 . Dieser Regreß von der rationalen Legitimität auf die Legalität, von der Legalität wiederum auf deren spezifische Legitimität bedarf der Aufschlüsselung. Die Legitimität einer legalen Satzung kann zunächst auf der Vereinbarung der Betroffenen beruhen. Dann aber fragt sich, ob über den Geltungsgrund dieser Satzung damit überhaupt etwas ausgesagt ist. Die Vereinbarung als Form legitimiert nur dann, wenn nicht schon die Inhalte legitimieren: käme dem Inhalt der Vereinbarung ein — geglaubter — Wahrheitswert zu, so bedürfte es zu dessen Geltung nicht erst der Vereinbarung. „Wahrheit ist selbstevident. Daß sie sich ausbreitet und anerkannt wird, versteht sich von selbst. Wer ihr nicht zustimmt, dem kann man Sinn und Verstand absprechen 123 ." Sieht man so von der inhaltlichen Legitimierung ab, so bleibt als Geltungsgrund einer Vereinbarung nur ihre formale Struktur übrig. Einsichtig ist dies bei einstimmig gefaßten Vereinbarungen: hier orientiert sich der Handelnde deswegen an dem Bestand einer Satzung, weil er damit lediglich seinem eigenen Willen folgt, der — zufällig — m i t dem Willen der anderen übereinstimmt. Problematisch w i r d die Legitimierung einer Vereinbarung erst dann, wenn sie auf dem Majoritätsprinzip sächliche Entwicklung von Recht i n der Vergangenheit, gerade i n den Zeiten ganz oder fast ganz fehlender ,Gesetzgebung 4 wären diese juristischen Begriffe unbrauchbar u n d historisch unwirklich." WuG., S. 397. Freilich scheint M a x Weber hier unter „juristischer K o n s t r u k t i o n " nicht die Rechtsgeltungstheorie des juristischen Naturalismus u n d Jellineks verstanden zu haben, denn sonst müßte sich sein E i n w a n d gegen i h n selbst richten. Dafür spricht auch das Zitat WuG., S. 397, oben A n m . 115. 120 WuG., S. 124. 121 WuG., S. 19. 122 WuG., S. 19. 123 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 22.
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beruht: „sobald die Geltung einer paktierten Ordnung nicht auf einmütiger Vereinbarung beruht, — wie dies i n der Vergangenheit oft für erforderlich zur wirklichen Legitimität gehalten wurde —, sondern innerhalb eines Kreises von Menschen auf tatsächlicher Fügsamkeit abweichend Wollender gegenüber Majoritäten . . . , dann liegt tatsächlich eine Oktroyierung gegenüber der Minderheit v o r " 1 2 4 . Die Legitimität einer oktroyierten Satzung jedoch beruht — wie Max Weber ausdrücklich definiert — auf „einer als legitim geltenden Herrschaft von Menschen über Menschen und Fügsamkeit" 1 2 5 . Somit reduziert sich das Problem der Legitimierung von Legalität auf zwei Möglichkeiten: entweder — und dies ist i n einer nur verschwindend geringen Anzahl von Fällen gegeben — gründet sich die Geltungskraft einer Satzung auf die Selbstbindung der Betroffenen, wobei die Zustimmung jedoch nicht — wie i n den naturrechtlichen Staatstheorien — als hypothetisch gedacht werden kann, sondern i m konkreten Einzelfall vorliegen muß. Dann aber ist fraglich, inwieweit hier noch von Herrschaft, die sich zu legitimieren hätte, gesprochen werden kann: der einzelne folgt gerade nicht dem Herrschaftsrecht anderer, sondern nur seinem eigenen Willen. Oder aber — und dies ist die andere Möglichkeit der Legitimierung von Legalität —: die Legitimität der legalen Satzung beruht allein auf dem Herrschaftsrecht derjenigen, die die Satzung oktroyiert haben. „Die Fügsamkeit gegenüber der Oktroyierung von Ordnungen durch einzelne oder mehrere setzt, soweit nicht bloß Furcht oder zweckrationale Motive dafür entscheidend sind, sondern Legalitätsvorstellungen bestehen, den Glauben an eine i n irgendeinem Sinn legitime Herrscha/tsgewalt des oder der Oktroyierenden voraus, wovon daher gesondert zu handeln ist 1 2 6 ." Die Legitimitätsart der legalen Herrschaft ist somit identisch m i t der spezifischen Legitimitätsart der Herrschenden; sie kann charismatisch, traditional oder rational sein. Verfolgt man diesen Gedanken, so zeigt sich jedoch, daß die legitimierende Rückbeziehung legaler Herrschaft auf ihre eigene Kategorie nicht möglich ist: bezieht sich das Herrschaftsrecht desjenigen, der eine Ordnung oktroyiert, wiederum auf eine Ordnung, so verlagert sich das Problem der Legitimität nur auf eine andere Stufe innerhalb der Hierarchie der Normen, ohne dadurch der Lösung näher gerückt zu sein. Denn auch dann beruht das Herrschaftsrecht des Oktroyierenden auf charismatischer, traditionaler oder rationaler Legitimität 1 2 7 . !24 WuG., S. 19 f.; ebenso WL., S. 469 f. Z u m Aufkommen des Mehrheitsprinzipes aus der Einstimmigkeit der V e r w i l l k ü r u n g heraus vgl. Ebel, Zur Geschichte der Gesetzgebung, S. 20 ff., und ders., Der Bürgereid als Geltungsgrund u n d Gestaltungsprinzip des deutschen mittelalterlichen Stadtrechts, Weimar 1958, S. 19 f., S. 36 ff. 125 WuG., S. 19. 126 WuG., S. 20.
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Der eigentliche Geltungsgrund der Ermächtigungsnorm für die Oktroyierung von Satzungen — und damit allein wäre der Typus der legalen Herrschaft vollständig erfaßt — w i r d von Max Weber i m Rahmen von „Wirtschaft und Gesellschaft" nicht berührt 1 2 8 . Der Hinweis auf das legitimierende Herrschaftsrecht der Oktroyierenden kann als Lösungsmöglichkeit nicht befriedigen; er führt jeweils nur zu den spezifisch nichtrationalen Legitimitätsarten des Charisma und der Tradition. Es fragt sich, ob Max Weber damit an dem Grundproblem der Legalität vorbeigegangen ist. Denn i m Rahmen der „Soziologischen Grundbegriffe" ist für Max Weber nicht wesentlich, warum legalen Satzungen gefolgt wird, sondern daß ihnen gefolgt w i r d : „Die soziologische Frage ist lediglich die: wann, für welche Gegenstände und innerhalb welcher Grenzen und — eventuell — unter welchen besonderen Voraussetzungen . . . fügen sich dem Leiter die Verbandsbeteiligten und steht ihm der Verwaltungsstab und das Verbandshandeln zu Gebote, wenn er ,Anordnungen trifft', insbesondere Ordnungen oktroyiert 1 2 9 ." Der Legitimitätsgrund der legalen Herrschaft w i r d dadurch aus der soziologischen Betrachtungsweise ausgeklammert: Die Fügsamkeit nicht nur gegenüber den formal korrekt gesatzten Ordnungen, sondern auch gegenüber jenen Normen, die die Normsetzungskompetenz erst schaffen, w i r d als Faktum hingenommen. Max Weber gibt jedoch an anderer Stelle 1 3 0 eine Bestimmung des Geltungsgrundes rationaler Herrschaft. Sie hält sich i n dem Rahmen, der bereits bei der Behandlung des Typus der traditionalen Legitimität aufgedeckt werden konnte: der psychische Faktor der Eingewöhnung i n einmal eingelebtes Handeln läßt aus der zunächst rein faktischen Machtordnung eine Herrschaftsordnung werden. „Der Bestand auch bei weitem der meisten, ihrem Grundcharakter nach legalen Herrschaftsverhältnisse ruht, soweit bei ihrer Stabilität der Legitimitätsglauben m i t spricht, auf gemischten Grundlagen. Traditionale Eingewöhnung und ,Prestige' (Charisma) rücken m i t — dem letztlich ebenfalls eingelebten — Glauben an die Bedeutung der formalen Legalität zusammen . . . 1 3 1 . " Noch deutlicher w i r d dies, wenn Max Weber die Geltungs127 v g l . die Darstellung bei Heinz Hartmann, Funktionale A u t o r i t ä t und Bürokratie, i n : Mayntz, Bürokratische Organisation, S. 191 ff. 128 Eine Ausnahme bildet die kurze Bemerkung WuG., S. 153 f., die sich i m Rahmen der unten angeführten Stellen hält. Der Prestige-Glauben zugunsten der Herrschenden „ist bei der ,legalen' Herrschaft nie rein legal. Sondern der Legalitätsglauben ist ,eingelebt', also selbst traditionsbedingt." Vgl. unten Anm. 130 - 132. 129 WuG., S. 27. 130 Es handelt sich hierbei u m die etwa 1913 entstandenen Hinweise i n dem Kategorienaufsatz und dem posthum i n den Preußischen Jahrbüchern p u b l i zierten Aufsatz.
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weise rationaler Satzungen m i t derjenigen des Einmaleins vergleicht: „Das Einmaleins w i r d uns als Kindern ganz ebenso ,oktroyiert' wie einem Untertan eine rationale Anordnung eines Despoten. Und zwar i m innerlichsten Sinn, als etwas von uns i n seinen Gründen und selbst Zwecken zunächst ganz Unverstandenes, dennoch aber verbindlich ,Geltendes4. Das ,Einverständnis' ist zunächst also schlichte ,Fügung' in das Gewohnte, weil es gewohnt ist 1 3 2 ." Und weiter heißt es: Es „ w i r d ein dem durchschnittlich verstandenen Sinn in irgendeiner A n näherung entsprechendes Handeln »traditionell' — wie w i r sagen — eingeübt und meist ohne alle Kenntnis von Zweck und Sinn, ja selbst Existenz, der Ordnungen innegehalten. Die empirische ,Geltung' gerade einer nationalen' Ordnung ruht also dem Schwerpunkt nach ihrerseits wieder auf dem Einverständnis der Fügsamkeit in das Gewohnte, Eingelebte, Anerzogene, immer sich Wiederholende 133 ." Es scheint, als habe Max Webers Bemühen um die Aufweisbarkeit empirischer Legitimitätsgründe es ihm unmöglich gemacht, sich bei der Begründung der Legitimität legaler Herrschaft auf eine theoretische Rechtfertigung des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates zu stützen. So läßt er die Legitimierung dieser Staatsform außer Betracht, die auf einer „prästabilisierten und präsumierten Kongruenz von Recht und Gesetz, Gerechtigkeit und Legalität" 1 3 4 beruht. Dabei w i r d das Prinzip des Mehrheitsentscheides — bei Max Weber nur eine verschleierte Form der Rechtsoktroyierung und damit der Herrschaftsausübung — derart eingebaut, daß sich hieraus nicht etwa die „quantitativ größere oder geringere Vergewaltigung der überstimmten und damit unterdrückten Minderheit" 1 3 5 ergibt, sondern nur die Feststellung der je schon latent vorhandenen und vorausgesetzten Ubereinstimmung und Einmütigkeit. Wesentlich für ein RepräsentationsVerständnis, das die Position von Rousseau miteinbezieht, ist die „— vorhandene oder herzustellende — soziale und ideale Homogenität der Gesellschaftsmitglieder" 1 3 6 . Bei Max Weber hingegen t r i t t das Problem der Reprä131 W L , S. 484. 132 W L , S. 471. 133 WL., S. 473. Der gleichen Ansicht ist Fritz Loos, Z u r W e r t - und Rechtslehre M a x Webers, Tübingen 1970. Die A r b e i t wurde m i r erst nach Fertigstellung des Abschnittes bekannt. „ . . . die Einstellung der »Außenseiter 4 (seil, i m Gegensatz zum Verwaltungsstab der legalen Herrschaft), die Weber für die Unterscheidung der Legitimitätsvorstellungen primär heranzieht . . (kann) k a u m als ,zweckrational 4 (möglicherweise aber als »traditional 4 , wenn nicht gar als »eingelebte Einstellung 4 . . . ) charakterisierbar sein. 44 Vgl. dort S. 124 ff., S. 125, A n m . 95. 134 Carl Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, B e r l i n 1958, S. 276. 135 Schmitt, Aufsätze, S. 284. 136 Grawert, Historische Entwicklungslinien, S. 21. Vgl. zu dem Versuch, den Parlamentarismus als „Legitimation durch Verfahren 4 4 zu verstehen, das gleichnamige Werk von N. Luhmann.
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sentation i n „Wirtschaft und Gesellschaft" lediglich in der empirischsoziologischen Betrachtung der verschiedenen Erscheinungsformen der Repräsentation — appropriierte, ständische, gebundene und freie Repräsentation sowie Repräsentation durch Interessenvertreter 137 — auf, während der m i t der Repräsentationsverfassung möglicherweise verbundene Sinn außer Betracht bleibt. Dieses Absehen von dem jeweiligen Repräsentationsverständnis wäre einerseits konsequent: nicht die theoretische, sich auf einem hohen Reflexions- und Abstraktionsgrad bewegende Legitimierung von Staatsformen durch die Staatsphilosophie oder Staatslehre vermag eine allgemein aufweisbare Einverständnisgeltung herzustellen. Andererseits jedoch können es nicht Gründe der empirischen Aufweisbarkeit allein gewesen sein, die Max Weber zu dieser Einschränkung geführt haben. Dies würde das Vorliegen eindeutigen demoskopischen Materials voraussetzen, das es dem wenigstens der Intention nach empirisch vorgehenden Soziologen unmöglich machen würde, seine Legitimitätsgründe auf andere als die empirisch vorgegebenen Materialien zu stützen. Da dies bei dem Stand der damaligen soziologischen Forschung jedoch nicht der Fall war und Max Webers Einschränkung nicht durch nicht weiter ausdeutbares Tatsachenmaterial vorgeprägt war, muß die Erklärung hierfür in dem Zusammenhang gesucht werden, der Max Webers herrschafts- und rechtssoziologische Theorien m i t den Staats- und Rechtstheorien seiner Zeit verbindet. Das Verhältnis Max Webers zu der Legitimierungsweise des legalen Staates w i r d ohne Berücksichtigung dieses Zusammenhanges in zwei gegensätzlichen Arten gesehen; beide verfehlen jedoch die Intention Max Webers und ihre Ausprägung i n seinem Werk. So meint etwa Reinhard Bendix 1 3 8 , der Zirkelschluß: „Recht ist legitim, wenn es gesatzt ist; und die Satzung ist legitim, wenn sie i n Ubereinstimmung m i t den dafür vorgeschriebenen Verfahrensregeln festgelegt worden ist", sei von Max Weber beabsichtigt gewesen. Gerade seine Haltung zum modernen Staat — nicht als Staatsrechtler, sondern als Soziologe — habe dazu geführt, daß er „die vom Staat verfolgten Ziele und die spezifischen Glaubensüberzeugungen, auf denen seine Legitimität ruhte, aus seiner Definition ausschloß" 139 . Dies ist jedoch auf zweifache Weise unrichtig. Einmal muß gerade die soziologische, Geltungsvorstellungen empirisch behandelnde Betrachtungsweise des Staates auf die Glaubensüberzeugung der Staatsbürger rekurrieren, um die Legitimitätsart des Staates erfassen zu können. Zum anderen aber ist es — wie noch gezeigt werden w i r d — gerade Max Webers staatsrechtliche, oder bes137 WuG., S. 171 ff. 138 Bendix, M a x Weber, S. 318. 139 Bendix, M a x Weber, S. 318.
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ser: juristische, Einstellung zum Staat, die die Einbeziehung metajuristischer Legitimationsweisen i n das Gefüge legaler Herrschaft für ihn ausschließen mußte. Johannes Winckelmann hingegen hat in seiner Schrift: „Legitimität und Legalität i n Max Webers Herrschaftssoziologie" nachzuweisen versucht, daß Max Weber unter dem Typus der rationalen Herrschaft nur eine wertrationale Legitimität verstanden habe und daß Legalität allein — ohne die Rückbindung an übergreifende Normen — niemals zu legitimieren vermöge. „Max Webers Legitimitätsbegriff [hat] eine (echte) Legitimierung im Auge, nämlich die K r a f t der Legitimation consensu omnium anerkannter wertrationaler Prinzipien (im Gegensatz zu traditionalen oder religiösen Ordnungsprinzipien oder charismatischer Beglaubigung). . . . Nur diejenigen Satzungen sind normativ legitimiert, die der Verwirklichung und Bewahrheitung jener obersten allgemein gültigen — wertrational verstandenen — Prinzipien und Postulate dienen . . . 1 4 °." Inwieweit erst die Bindung des Gesetzgebers an außerpositive, deshalb aber nicht unbedingt überpositive Bedingungen eine formal legale Herrschaft zu legitimieren vermag, braucht hier nicht weiter behandelt zu werden 1 4 1 . Es ist inzwischen jedenfalls deutlich genug herausgearbeitet worden, daß die These von der grundsätzlich nur auf wertrationaler Basis erfolgenden Legitimierung der legalen Herrschaft im Werk Max Webers keine Stütze findet 142. Max Weber hat den Typus der legalen Legitimität i n seiner reinen Form allein auf die Anerkennung der Faktizität einer Machtlage gestellt, wobei diese aus sich selbst heraus Verfahrensregeln aufstellt und sich durch die Einhaltung der Regeln wiederum legitimiert. Damit hat Max Weber die unter seinen Voraussetzungen — seinem Rechtsbegriff auf der einen Seite und dem legalen Herrschaftsbegriff auf der anderen Seite — einzig konsequente Legitimierungsart gewählt; sie beruht jedoch mehr auf den Anforderungen, die seine rechtstheoretische Ausrichtung, als auf denen, die seine soziologische Intention gestellt hatten. Zur Ausdeutung der rechtstheoretischen Position, die Max Webers Typus der legalen Herrschaft zugrundeliegt, ist es erforderlich, den Zusammenhang zwischen Rechtsbegriff und legalem Herrschaftsbegriff näher herauszuarbeiten. Der Typus der legalen Herrschaft ist weit 140 Winckelmann, Legitimität, S. 60 f. 141 Vgl. die Darstellung bei Böckenförde, Die Historische Rechtsschule, S. 25 ff.; Hans Welzel, A n den Grenzen des Rechts. Die Frage nach der Rechtsgeltung, Köln—Opladen 1966, S. 29 ff.; Hermann Heller, Staatslehre, Leiden 1934, S. 191. 142 So grundlegend Wolfgang J. Mommsen, M a x Weber u n d die deutsche Politik, Tübingen 1959, S. 414 ff., und A l f r e d Karsten, Das Problem der Legitimität i n M a x Webers Idealtypus der rationalen Herrschaft, Dissertation Hamburg 1960, S. 25 ff., S. 35 ff.
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stärker als die übrigen Herrschaftstypen an einen spezifischen Rechtsbegriff gebunden. Die Herrschaftsordnung ist hier m i t der Rechtsordnung weitgehend identisch; gehorcht w i r d den formal korrekt zustandegekommenen Satzungen, nicht jedoch dem Herrschaftsträger, dessen Herrschaftsrecht jeweils nur i n einem Rückgriff auf die letzten Legitimierungsgrundlagen zur Erscheinung kommt. Die Rechtsordnung — so w i r d man sagen können, obwohl diese Unterscheidung bei Max Weber kaum angesprochen ist — stellt den Alltagsfall der legalen Herrschaft dar, das Herrschaftsrecht des Rechtsetzenden hingegen t r i t t nur i m Krisenfall in Erscheinung. Die legale Herrschaft beruht auf der Vorstellung, „daß also der typische legale Herr: der ,Vorgesetzte', indem er anordnet und m i t h i n befiehlt, seinerseits der unpersönlichen Ordnung gehorcht, an welcher er seine Anordnungen orientiert .. . " 1 4 3 . Die Vorstellung von dem Wesen des Rechts, die dem Typus der legalen Herrschaft zugrundeliegt, w i r d von Max Weber allerdings nur kurz angesprochen: es ist ein „Kosmos abstrakter, normalerweise: absichtsvoll gesatzer Regeln" 144. Diese Formulierung vom Recht als einem Kosmos weist auf die Beschreibung hin, die Max Weber i n seiner Rechtssoziologie auf den juristischen Positivismus bezieht: er besteht „ i n dem bis i n die jüngste Vergangenheit i m wesentlichen unangefochtenen A x i o m von der logischen ,Geschlossenheit' des positiven Rechts" 145 . Es liegt die Vermutung nahe, daß der Typus der legalen Herrschaft den Rechtsbegriff des rechtswissenschaftlichen Positivismus voraussetzt. Der Rechtsbegriff des Positivismus, präziser der Begriffsjurisprudenz, stellt für Max Weber das zumindest vorläufige Ende des abendländischen Rationalisierungsprozesses auf dem Gebiet des Rechts dar 1 4 6 . Das „unaufhaltsame Schicksal der fortschreitenden Rationalisierung" 1 4 7 prägt sich auch i m Rechtsleben aus; die „Stadien der Rechtsrationalisierung" 1 4 8 münden in die systematische Rechtsetzung und Rechtspflege durch Fachjuristen 149 . Dabei ist die Systematisierung „ i n jeder Hinsicht ein Spätprodukt. . . . Nach unserer heutigen Denkgewohnheit bedeutet 143 WuG., S. 125. 144 WuG., S. 125. 145 WuG., S. 501. 146 So auch Manfred Rehbinder, i n : M a x Weber zum Gedächtnis, hrsg. von R. K ö n i g u. Joh. Winckelmann, Köln—Opladen 1963, S. 481 ff., der allerdings von einer positiv wertenden Haltung M a x Webers gegenüber diesem Rechtsbegriff ausgeht: der „(Idee-)Typ des formal-rationalen Rechts . . . [sei] das der Gegenwart adäquate Idealrecht". Vergleichbar ist die Bemerkung von Bendix, M a x Weber, S. 294, der von „der legalen Herrschaft als der K r ö n u n g der abendländischen K u l t u r " spricht. 147 Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, 2. Aufl. D a r m stadt 1964, S. 157. ι 4 » J. Winckelmann i n seiner Einleitung zu Webers Rechtssoziologie, S. 30. 14® W u G , S. 503.
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sie: die Inbeziehungsetzung aller durch Analyse gewonnenen Rechtsätze derart, daß sie untereinander ein logisch klares, i n sich logisch widerspruchloses und, vor allem, prinzipiell lückenloses System von Regeln bilden, welches also beansprucht: daß alle denkbaren Tatbestände unter eine seiner Normen müssen logisch subsumiert werden können, widrigenfalls ihre Ordnung der wesentlichen Garantie entbehre 1 5 0 ." Max Weber bezeichnet hier präzise die Rechtsauffassung der Begriffsjurisprudenz 1 5 1 und deutet die Legitimierungsart der einzelnen Norm vermittels der Teilhabe am Normgefüge an. Die „methodisch-logische Rationalität . . . der gemeinrechtlichen Jurisprudenz" 1 5 2 ist damit erfaßt. Die Ausgestaltung dieses Rechtsbegriffes als einer formalen Rationalisierung des Rechts im Gegensatz zu der materialen Rationalisierung des Naturrechts einerseits und der Freirechtsschule andererseits führt zu seiner typologischen Überhöhung. Die Erklärung hierfür scheint allerdings nicht dabei stehenbleiben zu dürfen, daß Max Weber hier seinem Gesetz der fortschreitenden Rationalisierung zum Opfer gefallen sei 1 5 3 . Dies setzte voraus, daß Max Weber den Rationalisierungsprozeß auch in seinen unpolitischen Schriften werthaft i m Sinne eines Evolutionismus betrachtet hätte. Wenn schon eine Zurückführung auf bestimmte, dem Werk Max Webers innewohnende Wertungen vorgenommen werden soll, so erscheint es vertretbarer, die Rolle der Rationalität i m Sinne der Interpretation K a r l Löwiths als die „Bedingung der freien Selbstverantwortung des einzelnen inmitten allgemeiner H ö r i g k e i t " 1 5 4 aufzufassen. Diese, von L ö w i t h aus den wertbezogenen, „politischen" Ausführungen Max Webers gewonnene Interpretation deckt sich m i t der Funktion des Rechtsformalismus, wie Max Weber sie i n seiner Rechtssoziologie aufzeigt: „Denn indem der spezifische Rechtsformalismus den Rechtsapparat wie eine technisch rationale Maschine funktionieren läßt, gewährt er dem einzelnen Rechtsinteressenten das relative Maximum an Spielraum für seine Bewegungsfreiheit und insbesondere für die rationale Berechnung der rechtlichen Folgen und Chancen seines Zweckhandelns 155 ." Damit hat Max Weber eine wenn auch kaum ausgesprochene, so doch immer mitgedachte Voraussetzung des Rechtspositivismus aufgedeckt: daß nämlich erst die formale Rechtsordnung den Freiheitsraum für das Individum schafft 156 . 150 WuG., S. 395. 151
Vgl. die Darstellung bei Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 430 ff. 152 WuG., S. 396. 153 So allerdings Rehbinder, i n : M a x Weber zum Gedächtnis, S. 481 ff. 154 K a r l L ö w i t h , Gesammelte Abhandlungen, Stuttgart 1960, S. 30. Vgl. die Behandlung des Rationalitätsproblems ebd., S. 19 ff. iss WuG., S. 468. 156 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 431.
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Von dieser Voraussetzung her erklärt sich Max Webers Abgrenzung des Typus des formal-rationalen Rechts gegenüber Erscheinungen wie der Freirechtsschule. Denn sie wie auch die durch wirtschaftliche Interessen geforderte und durchgesetzte Anfüllung des formal strukturierten Rechts m i t materialen Inhalten stellen eine Durchbrechung der unausgesprochenen Legitimitätsgrundlagen des formalen Rechts dar und ersetzen sie durch eine gänzlich andere, an materialen Inhalten orientierte Basis. Jede Anreicherung des formal-rationalen Rechts m i t materialen Inhalten mußte dem Recht etwas von seinem Charakter als Freiheitsverbürgung nehmen. Aus dieser Verbindung zwischen dem Recht als Entfaltungsraum für das Individuum einerseits und seiner formalen Rationalität andererseits erklärt sich zumindest teilweise der Verzicht auf die materiale Begründung des Rechtsbegriffes der Begriff sjurisprudenz und damit der Legitimität der legalen Herrschaft bei Max Weber 1 5 7 . Nicht erklärt ist damit aber, weshalb nun an die Stelle einer materialen Legitimierung diejenige durch die faktische Anerkennung t r i t t ; nicht miteingeschlossen ist ferner die eigentliche Rechtsgeltungstheorie des juristischen Positivismus. Sie scheint bei flüchtigem Hinsehen allein i n der nicht weiter hinterfragten Zurückführung des Rechts auf den Staat als dessen Urheber zu beruhen. Der Staat w i r d als Willenseinheit — als juristische Person — betrachtet; das Gesetz ist demnach der „erklärte Staatswille" 1 5 8 . „Von diesem Gesichtspunkt aus ergibt sich . . . die voluntaristisch-politische Theorie, die unabgeleitete Gültigkeit des Gesetzes . . . 1 5 9 . " Bei näherer Betrachtung jedoch zeigt sich, daß die Rechtsgeltungstheorie des Rechtspositivismus auf der Gleichsetzung von effektiver Wirksamkeit und normativer Geltung beruht und daß diese Gleichsetzung die Ansicht zur Voraussetzung hat, das Recht sei ein i n sich geschlossenes System von Normen. Die der Begriffsjurisprudenz immanente Vorstellung von der logischen Geschlossenheit des Rechts 160 hatte erhebliche Auswirkungen auf die Frage nach dem Geltungsgrund des Rechts. Die geschlossene Systematik des Rechts beruht auf einer dem Recht innewohnenden Vernünftigkeit, wobei die Rechtsbegriffe, Rechtsinstitute und Rechtssätze jeweils konkrete Ausprägungen dieser Vernunft sind und ihre Existenz 157 Auch Loos, Z u r W e r t - u n d Rechtslehre M a x Webers, S. 129, betont, daß der „Glauben an die Bedeutung der formalen Legalität" ( W L , S. 484) „ k e i n Glaube an die formale Legalität als solche, sondern an die durch sie gesicherten materialen Werte der Freiheit u n d Gleichheit der Staatsbürger" sei. Zugleich aber weist Loos auf, daß „wesentliche Elemente des traditionellen liberalen Rechtsstaatsbegriffs i n Webers rationalem Recht u n d rationaler Herrschaft keinen Stellenwert m e h r " besäßen; a.a.O., S. 131. 158 Ross, Theorie der Rechtsquellen, S. 178. 159 Ross, Theorie der Rechtsquellen, S. 180. 160 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 433 ff.
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hieraus legitimiert w i r d 1 6 1 . Als Folge hiervon kann die Frage nach dem Geltungsgrund des Rechts ausgeklammert werden: der einzelne Rechtssatz ist immer schon vorgeformt und enthalten in dem übergeordneten Rechtsinstitut, so wie dieses i n dem übergeordneten Rechtsbegriff. Es „ist die Schaffung eines neuen Rechtsinstitutes, welches einem höheren und allgemeineren Rechtsbegriff überhaupt nicht untergeordnet werden kann, gerade so unmöglich wie die Erfindung einer neuen Naturk r a f t " 1 6 2 . Neue, aus dem Begründungs- und Systemzusammenhang fallende Rechtssätze kann es sonach nicht geben 1 6 3 ; alles Recht ist i n das System eingebunden und hat Teil an dessen überpositiver Legitimierung. Dabei drängt freilich der Vergleich zwischen den Anforderungen der Systematik einerseits und dem tatsächlich gegebenen Rechtsstoff andererseits die Begriffsjurisprudenz zu einer „rechtsschöpferischen Systematik" 1 6 4 , die sich vor einer „Vermischung . . . m i t der Geschichte des Rechts und der Theorie der Gesetzgebung" 165 hüten muß. Die Systematik des Rechts emanzipiert sich so nicht nur von dem historisch überlieferten Rechtsstoff, sondern auch von der Theorie der Rechtsentstehung, da es eine originäre, systemunabhängige Entstehung von Rechtsnormen bei der alles bereits keimhaft i n sich enthaltenden und sich stets nur selbst entfaltenden Kraft der begriffsjuristischen Systematik nicht geben kann. Positivierung des Rechts ist genau das, was dieser Begriff aussagt: lediglich die Setzung dessen, was bereits schon der rechtlichen Systematik nach gilt. Dabei kann es „schwierig sein, bei einzelner neuer Erscheinung i m Rechtsleben zu erkennen, aus welchen juristischen Elementen das rechtliche Wesen derselben zusammengesetzt i s t " 1 6 6 , aber es ist i n jedem Falle möglich, die Ubereinstimmung von positivem Recht und begrifflicher Systematik festzustellen. Dies zeigt sich deutlich bei K a r l Bergbohm 1 6 7 , der den Begriff der Positivierung des Rechts erst gar nicht auf die Rechtssatzung durch den Gesetzgeber beschränkt: „Positives Recht . . . umschließt auch die nicht161 So für Puchta Walter Wilhelm, Z u r juristischen Methodenlehre i m 19. Jahrhundert, F r a n k f u r t 1958, S. 78. Vgl. auch Heinrich Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, München—Berlin 1964, S. 380: Das Recht erscheint „als ein Gefüge von Begriffsgebilden, die konstruktiv nach der Methode rationaler Logik gewonnen werden und i n der rechtlichen Normenordnung als ratio scripta ihren Ausdruck finden". 162 Paul Laband, Das Staatsrecht des deutschen Reiches, Bd. I, 1. Aufl. Tübingen 1876, S. V I . 163 Z u der Auffassung von der Regelhaftigkeit aller Realität, die hier zugrundeliegen dürfte, vgl. oben A n m . 107. 164 Wilhelm, Methodenlehre, S. 89. iss J. F. Kierulff, Theorie des gemeinen Civilrechts, Bd. I, Altona 1839, S. X X I V . ΐ6β Laband, Staatsrecht, Bd. I, S. V I . 167 K a r l Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, Leipzig 1892.
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staatlichen und nicht i n Worten formulierten Normen, sofern sie nur Rechtsnormen sind. Alles Recht ist positiv, alles Recht ist ,gesetzt' und nur positives Recht ist Recht. Ungesatztes Recht giebt es also wohl, ungesetztes keins .. . 1 6 8 . " Der Begriff der Positivität des Rechts dient hier lediglich als Hilfe zur Abgrenzung geltenden Rechts gegenüber geltensollendem Recht. Recht ist alles, was als Recht gesetzt ist und deshalb gilt: „Das positive Recht, wenn es dies ist, hat seine Begründung und Rechtfertigung schon in seinem Bestehen.. . 1 6 9 . " Bergbohm bezieht sich bei der von ihm nur angedeuteten Problematik der Rechtsgeltung angesichts der pleonastischen Beziehung von Positivität und Geltung auf Kierulff: „ n u r was als Recht funktioniert, das ist Recht, sonst nichts; und alles das ist Recht, ohne Ausnahme 1 7 0 ." Versucht man, hinter diesen nichts erklärenden Gleichsetzungen zur tatsächlichen Geltungsgrundlage des Rechts vorzustoßen, so gelangt man wiederum nur zur logischen Geschlossenheit des Rechts: „ E i n Recht, und wenn es fast nichts an geregelten Stoffen umfaßt, ist etwas allemal i n lückenloser Ganzheit Dastehendes. Wer dürfte es auch kompletieren, ohne sich zur Rechtsquelle aufzuwerfen 1 7 1 ?" Die Verschiedenheit von Rechtssystem und Gesetz w i r d dabei streng betont: „Die Gesetze sind nicht das Recht, sie bedeuten nur Rechtsgedanken, die jeder selbst nacherzeugen muß aus den gegebenen Gedankenweckern: den Worten des Gesetzes 172 ." Das Recht aber „bedarf niemals der Ausfüllung von außen her, denn es ist jeden Augenblick voll, weil seine innere Fruchtbarkeit, seine logische Expansionskraft i m eigenen Bereich jeden Augenblick den ganzen Bedarf an Rechtsurteilen deckt" 1 7 3 . Die Folgerungen hieraus für die Legitimierung einzelner Rechtssätze werden deutlich, wenn Bergbohm der naturrechtlichen Lehre die Konsequenzen entgegenhält, die sich aus der Voraussetzung eines vollständigen ideellen Rechtssystems ergeben — die aber identisch sind m i t den Konsequenzen, die sich aus der Annahme eines vollständigen positiven Rechtssystems ergeben müssen: „Wer auch nur einen Begriff nach naturrechtlicher Methode bildet, der macht sich anheischig, die ganze äußere Thatsachenwelt mittels ähnlich gebildeter Begriffe zu erfassen; wer auch nur einen idealrechtlichen Satz zugesteht, der verstrickt sich i n ein vollständiges Idealrechtssystem 174 ." Die „logische Expansionskraft" des Rechtssystems bedingt durch die Annahme eines Begriffes die Annahme des gesamten Systems; einer besonderen Rechtfertigung bedarf es daher nicht. 168 Bergbohm, Jurisprudenz, S. 51 f., Anm. 169 Bergbohm, Jurisprudenz, S. 400. 170 Bergbohm, Jurisprudenz, S. 80; zu K i e r u l f f ebd., Anmerkung. " ι Bergbohm, Jurisprudenz, S. 384 ff. 1 7 2 Bergbohm, Jurisprudenz, S. 382. 17 3 Bergbohm, Jurisprudenz, S. 386 ff. 174 Bergbohm, Jurisprudenz, S. 394. 6 Speer
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Es liegt i m Wesen dieser Auffassung, daß sie das Recht seiner Definition nach als schlechthin gegeben anerkennen muß. Der Rechtsgeltungsbegriff des Positivismus ist tautologisch: Recht ist das, was als Recht gilt. „Nur das Recht ist, welches lebendig w i r k t , und nur das practische Recht, das geltende, nicht das bloß vorgeschriebene gelten sollende ist das lebende Recht 1 7 5 ." Das Gesetzesrecht ist von dem allgemeinen Recht nur durch die Formalien seiner Entstehung unterschieden; die lediglich formale Abhebung des positivierten Rechts vom Rechtssystem zeigt sich — wenn auch unter anderem Blickwinkel und m i t anderen Intentionen — in der Trennung von formellem und materiellem Gesetzesbegriff bei Laband 1 7 6 . Der von der Rechtsqualität abgehobene Positivierungsakt steht nunmehr auch für Materien zur Verfügung, die keine Rechtssatzqualität mehr besitzen. Das begriffsjuristisch erfaßbare, logisch geschlossene System des Rechts scheidet sich von dem in Gesetzen geformten Rechtsstoff. M i t dem Fortgang der Kodifikationen gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts werden die Rechtsbegriffe und damit der Rückgriff auf übergesetzliche Normen nur noch zur Ausfüllung von Lücken verwandt. Die Einbeziehung des Gesetzesrechts i n das Gesamtsystem des Rechts verbot es, aus dem lediglich formalen Unterschied zwischen Gesetz und Rechtsnorm unterschiedliche Geltungsgründe abzuleiten. Die positivierte Rechtsnorm war allein durch den formalen A k t der Positivierung aus dem System der Normen herausgehoben, ohne daß sich dadurch etwas an der allen Normen gemeinsamen Geltungsgrundlage geändert hätte. Vergegenwärtigt man sich, daß der Rechtspositivismus den Begriff der Geltung m i t demjenigen der Wirksamkeit gleichgesetzt hatte, so zeigt sich, daß die Geltungsgrundlage einer Rechtsnorm nicht mehr i n einer irgendwie gearteten materialen Qualität gesucht und gefunden werden konnte. Für die Wirksamkeit einer Norm ist es unerheblich, welchen Inhalt sie besitzt oder auch wie sie zustandegekommen ist. Nur die i m Sinn eines wissenschaftlichen Positivismus aufzeigbaren Fakten der tatsächlichen Wirksamkeit einer Norm lassen sie zu einer Rechtsnorm werden. Auch „die Gesetze [können] ,Recht' nur insoferne hervorbringen, als sie sich verwirklichen, als die Normen aus der ,papiernen Existenz' heraustreten, um sich i m menschlichen Leben als eine Macht zu bewähren" 1 7 7 . I n dem Bemühen, die Wirksamkeit einer Norm und damit ihre Qualität als Rechtsnorm festzustellen, 175
Kierulff, Theorie des gemeinen Civilrechts. S. 5. Hierzu vgl. Böckenförde, Gesetz u n d gesetzgebende Gewalt, S. 229 f. 1 7 7 Alexander H o l d von Ferneck, Die Rechtswidrigkeit, Jena 1903, S. 11. Ebenso August Thon, i n : Grünhut's Zeitschrift Bd. 7, S. 247 f., A n m . 13 — zitiert bei Ernst Rudolf Bierling, Z u r K r i t i k der juristischen Grundbegriffe, Bd. 2, Gotha 1883, S. 352: „Die Befehle der gesetzgebenden Organe sind nur insofern Recht, als sie w i r k e n . . . " 176
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konnte der Rechtspositivismus begreiflicherweise nicht auf die statistische Messung der Effektivität rekurrieren. Weder waren die sachlichen noch die theoretischen Voraussetzungen hierfür gegeben. Der Rechtspositivismus bedurfte vielmehr einer Theorie, die es ermöglichte, die Wirksamkeit einer Rechtsordnung und damit ihre Verpflichtungskraft pauschal zu ermitteln 1 7 8 . So mündete der Rechtspositivismus auf dem Gebiet der Rechtsgeltung i n die Anerkennungstheorie ein 1 7 9 . I n ihrem Ursprung stützte die Anerkennungstheorie 180 bei Carl Theodor Welcker 1 8 1 die Geltungskraft des Rechts auf die individuelle Anerkennung jeder einzelnen Norm durch jeden einzelnen Rechtsadressaten. Die Labilität einer derartigen Rechtsgeltung führte jedoch dazu, daß i m weiteren Verlauf der Entwicklung die individuelle Anerkennung immer mehr verflüchtigt und schließlich de facto fingiert wurde. Einerseits wurde die individuelle Anerkennung ersetzt durch die generelle Anerkennung: „Dazu, daß ein Complex von Normen als ,Recht' anzusehen ist, ist nicht erforderlich, daß die Normen von sämmtlichen einzelnen Rechtsgenossen anerkannt werden. Als generelle Macht bedarf es lediglich der Anerkennung seitens der weitaus überwiegenden Zahl der Gebundenen 182 ." Die Frage nach der positiven Geltung einer Norm ist damit i n den Bereich der massenpsychologischen Aufweisbarkeit geraten 183 . Hier zeigt sich, daß der Rechtsgeltungsbegriff des Rechtspositivismus inhaltlich an die bestehenden Anschauungen von dem, was Recht ist und sein soll, gebunden und damit abgesichert ist. Denn „solche Anerkennung ist nur gegeben, wenn die Norm ihrem wesentlichen Inhalt nach bereits gegolten hat, oder wenn ihre Erlassung in den daran betheiligten Kreisen als ein Bedürfnis empfunden wurde — eine Erscheinung, die zuletzt darin gründet, daß die Menschen das Seiende und nur das Seiende als das Seinsollende betrachten" 1 8 4 . 178 Welzel, A n den Grenzen des Rechts, S. 13, sieht die F u n k t i o n dieser Theorie darin, daß sie „die folgenschwere Identifikation der Positivität (Faktizität) der Rechtsgeltung m i t der bloßen ,Durchsetzbarkeit' eines Befehles . . . (abwehrt) u n d das Recht schon auf der Ebene der Positivität v o m bloßen Macht- oder Zwangsakt" unterscheidet. 179 Ernst Rudolf Bierling, einer der Hauptvertreter der Anerkennungstheorie, betont stets seine rechtspositivistische Haltung. Es „ist die Überzeugung davon, daß n u r dem positiven Rechte der T i t e l »Recht4 zukommt, die stillschweigende, aber nie zu übersehende Voraussetzung jeder juristischen Prinzipienlehre i n unserem Sinne". E. R. Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 1, Neudruck der Ausgabe Tübingen 1894, Aalen 1961, S. 5, A n m . 1. 180 v g i # ihre Darstellung bei Welzel, A n den Grenzen des Rechts, u n d H a n s - L u d w i g Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, B e r l i n 1966, S. 84 ff. 181 Hierzu Welzel, A n den Grenzen des Rechts, S. 8 f , u n d Schreiber, Der Begriff, S. 85 ff. 182 Hold v. Ferneck, Die Rechtswidrigkeit, S. 188. !83 Jellinek, Staatslehre, S. 334, A n m . 1. 184 H o l d v. Ferneck, Die Rechtswidrigkeit, S. 32. So auch Jellinek, Staatslehre, S. 337: „Der Mensch sieht das i h n stets Umgebende, das von i h m
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A u f der anderen Seite aber w i r d die generelle Anerkennung einer individuellen Norm ersetzt durch die individuelle Anerkennung des Normensystems. A u f diesem Wege hoffte man den Schwierigkeiten zu begegnen, die sich bei der Begründung der Verpflichtungskraft einer Norm, die durch die Mehrheit der Rechtsadressaten anerkannt war, für diejenigen ergeben mußte, die die betreffende Norm nicht anerkennen mochten. Dieses Problem, das Max Weber dazu geführt hatte, das Mehrheitsprinzip nicht als Legitimitätsgrundlage, sondern als spezifische Form der Ausübung von Herrschaft anzusehen, ist bereits 1877 von Bierling 1 8 5 scharf formuliert worden: „Es würde augenscheinlich Nonsens sein, die Gehorsamspflicht irgendeiner Minorität gegenüber der Majorität aus einem reinen Zahlenverhältnis ableiten zu wollen 1 8 6 ." Auch für Bierling ist das Majoritätsprinzip nur ein Fall von Herrschaft. Denn „das einzige Prinzip . . . , auf welches das Majoritätsprinzip allenfalls zurückgeführt werden könnte, [ist] das . . . Machtprinzip . . . 1 8 7 . " Die individuelle Anerkennung des Normsystems w i r d aber zugleich inhaltlich entleert und letztlich fingiert: „Ist auch nur der eine Satz anerkannt, daß Anordnungen gewisser Personen i m Staat die Volksgenossen binden sollen, so sind eben damit alle Anordnungen dieser A r t so lange m i t anerkannt, als jener eine Satz anerkannt ist. Umgekehrt muß derjenige, der irgendeine dieser Anordnungen als Recht in Anspruch nimmt, regelmäßig auch den Grund anerkennen, aus welchem er sie allein i n Anspruch nehmen kann 1 8 8 ." Die Übereinstimmung zwischen der Anerkennungstheorie als Rechtsgeltungstheorie des Rechtspositivismus und der Theorie der Legitimität der legalen Herrschaft bei Max Weber fällt ins Auge. I n beiden Fällen w i r d die Geltung des Rechts- bzw. des Herrschaftssystems entweder auf die Anerkennung der Rechtsordnung i m Ganzen oder auf die A n erkennung des Rechtssetzungsrechts der Herrschaftsträger gegründet. Dabei sind jedoch zunächst nicht verschiedene Legitimitätsarten angesprochen, sondern nur verschiedene Anwendungsfälle eines einheitlichen Legitimitätstypus: der Alltags- und der Krisenfall. I n dem Normalfall legaler Herrschaft w i r d die Legitimität durch den „Glauben an die Legalität gesatzter Ordnungen" 1 8 9 hergestellt. Dem entspricht die fortwährend Wahrgenommene, das ununterbrochen von i h m Geübte nicht n u r als Tatsache, sondern auch als Beurteilungsnorm an, an der er A b weichendes prüft, m i t der er Fremdes richtet." 185 Z u Bierlings Ausprägung der Anerkennungstheorie vgl. Schreiber, Der Begriff, S. 90 - 97. 186 E. R. Bierling, Z u r K r i t i k der juristischen Grundbegriffe, Bd. 1, Gotha 1877, S. 79. ist Bierling, Z u r K r i t i k , Bd. 1, S. 79. 188 Bierling, Z u r K r i t i k , Bd. 1, S. 135 f. 189 WuG., S. 124.
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Anerkennung des Rechtssystems durch denjenigen, der auch nur eine Rechtsnorm für sich i n Anspruch nimmt. Hier zeigt sich die Nachwirkung der rechtspositivistischen Auffassung von der logischen Geschlossenheit des Rechtssystems: wie es grundsätzlich möglich ist, aus einer Norm den gesamten Normenkomplex zu erschließen, so ist es möglich, aus der Anerkennung einer Norm auf die Anerkennung des Systems zu schließen. Diese sozusagen automatisch und bewußtlos hergestellte Legitimität des Rechts- und Herrschaftssystems i m Alltagsfall dürfte der Grund dafür gewesen sein, daß Max Weber zu ihrer weiteren Begründung lediglich das „Einverständnis der Fügsamkeit in das Gewohnte, Eingelebte, Anerzogene, immer sich Wiederholende" 1 9 0 herangezogen hat. Hierin t r i f f t er sich m i t der bei Alexander Hold von Ferneck und Georg Jellinek aufzeigbaren Ableitung der Geltung des Normsystems aus dem Bestand des Seienden 191 . Die normative Kraft, die dem Faktischen durch die Anerkennungstheorie beigemessen wird, zeigt sich deutlich bei Bierlings Behandlung derjenigen „Rechtsnormen, deren äußerliche Einführung oder Setzung gewaltsam entgegen dem vorher bestehenden Rechte, sei es durch Oktroyierung von oben her, sei es durch Revolution, erfolgt i s t " 1 9 2 . Zwar fordert Bierling auch i n einer derartigen Situation die „direkte, thatsächliche" Anerkennung durch alle Rechtsgenossen, um den Bestand der Normen zu sichern 193 . Durch die Entleerung des Anerkennungsbegriffes kann die Anerkennung immer schon als gegeben vorausgesetzt werden: zum einen genügt auch die stillschweigende Anerkennung der Rechtsnorm, zum anderen aber ist es kein Wesensmerkmal der Anerkennung mehr, daß sie freiwillig erfolgt. Auch die durch Gewalt erzwungene Anerkennung einer Norm vermag sie zu legitimieren und gilt als echte Anerkennung 1 9 4 . Die Gleichsetzung von Effektivität und Legitimität der Rechtsordnung durch den Rechtspositivismus zeigt i m Fall der revolutionären Normsetzung ihre Konsequenzen: wenn eine Macht sich — gleich, m i t welchen M i t teln — durchgesetzt hat und ihren Anordnungen Gehorsam verschaffen kann, so hat sie definitionsgemäß auch die Anerkennung der Rechtsgenossen gefunden und gilt als legitim. Die andere Möglichkeit der Legitimitätsbegründung legaler Herrschaft — durch die Rückbeziehung auf das Herrschaftsrecht des Rechtsetzenden—führt bei Max Weber allerdings weiter als bei Bierling. Während Bierling diese A r t der Anerkennung nur als Faktum benötigt, um die Wirksamkeit auch einzelner Anordnungen der Rechtsetzenden 100 WL., S. 473. 191
H i e r i n zeigt sich ein besonderer, von M a x Weber freilich nicht als solcher gekennzeichneter Legitimitätstypus; vgl. Abschnitt 4 dieses Kapitels. 192 Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 1, S. 110 f. 1 9 3 Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 1, S. 111. 1 9 4 Schreiber, Der Begriff, S. 93.
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unabhängig von der Wirksamkeit eines geschlossenen Normsystems zeigen zu können, kommt es Max Weber auf die Erklärung der Anerkennung an. Freilich muß er hier — wenn auch unausgesprochen — den Typus der legalen Legitimität verlassen: das Herrschaftsrecht, auf dem die Geltung einer gesatzten Ordnung beruht, kann niemals i m letzten Grunde auch auf einer gesatzten Ordnung gegründet sein. So bleiben nur die Legitimitätstypen der charismatischen bzw. wertrationalen oder aber der traditionalen Herrschaft übrig, um die Legitimität der legalen Herrschaft für den Fall zu begründen, daß die alltäglich gegebene Legitimation durch die Einfügung in das Gewohnte nicht mehr ausreicht oder noch nicht erreicht ist. Der eigentliche Geltungsgrund der legalen Herrschaft ist bei Max Weber sonach m i t dem Geltungsgrund identisch, den die — individuelle und generelle — Anerkennungstheorie für das Rechtssystem entwickelt hatte. Das Bestehende führt kraft einer psychischen Eigenschaft des Menschen zu einer normativen, verpflichtenden Ordnung und legitimiert sich so selbst. Diese Eigenschaft w i r k t als Katalysator, der aus dem bloßen Sein ein Sollen werden läßt 1 9 5 . 4. Der Legitimitätsbegriff Max Webers Übernahme der Anerkennungstheorie i n den Legitimationszusammenhang der legalen Herrschaft wie auch die Zurückführung der Legitimität der traditionalen Herrschaft auf die rein faktische Anerkennung eines gegebenen Zustandes lassen den der Herrschaftssoziologie zugrundeliegenden Legitimitätsbegriff fragwürdig werden. Fragwürdig deshalb, weil Max Weber das Problem der Legitimität selbst darin sieht: „auf welche letzten Prinzipien die ,Geltung' einer Herrschaft . . . gestützt werden kann 1 9 6 ." Diese letzten Prinzipien scheint Max Weber i n dem von ihm gemeinten Sinn in seiner Herrschaftssoziologie nicht zu erreichen. Verfolgt man sie so, wie sie i m Werk Max Webers auftreten, so läßt sich anstelle der vier Geltungsgründe — Tradition, affektueller und wertrationaler Glaube so195 v g l . oben Abschnitt 2 dieses Kapitels, A n m . 115. M a x Weber hat die Identität von Seiendem und Geltensollendem scharf abgelehnt (Rechtssoziologie, S. 267). F ü r M a x Webers Rechtslehre k a n n von einer Übernahme der Anerkennungstheorie, die Sein u n d Sollen verbindet, nicht gesprochen werden; richtig insoweit Loos, Z u r W e r t - u n d Rechtslehre, S. 109. Der „Dualismus von Sein u n d Sollen" muß aber — wie sich i n der Legitimitätstheorie gezeigt hat — nicht unbedingt zu dieser scharfen Trennung führen. Aus dem Sein w i r d schließlich nicht unversehens ein Sollen, sondern erst über das Bindeglied jener psychischen Eigenschaft des Menschen, aus dem Faktischen Normen abzuleiten. Das Sollen hat somit, u n d dies ist für M a x Weber wichtig, seinen Ursprung i m Menschen. WuG., S. 611.
4. Der Legitimitätsbegriff
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wie Legalitätsglaube 197 — eine Zuteilung der Geltungsgründe vornehmen. Die Legitimitätsgeltung kann entweder beruhen auf einem Glauben oder aber auf der schlichten Anerkennung der Faktizität. Der Glaube begründet die Legitimitätsgeltung in den Fällen des Charisma und der Wertrationalität. Es ist entweder der Glaube an die Vorbildlichkeit der Herrscherpersönlichkeit oder aber der Glaube an die absolute Gültigkeit bestimmter Werte, der diesen Legitimitätsformen zugrundeliegt. Die Anerkennung der faktischen Gegebenheit hingegen legitimiert die traditionale und die legale Herrschaft. Diese Dichotomie zwischen Glauben und Anerkennung w i r d deutlicher, wenn ihre Auswirkung auf die Herrschaftsformen ins Auge gefaßt wird: nur der Glaube an die Vorbildlichkeit eines Menschen oder an Werte kann revolutionär wirken und eine bestehende Herrschaftsform stürzen. Die charismatische Herrschaft „stürzt (innerhalb ihres Bereichs) die Vergangenheit um und ist i n diesem Sinn spezifisch revolutionär" 1 9 8 . Und für die wertrationale Geltung des Naturrechts 1 9 9 heißt es: „Das Naturrecht . . . ist die spezifische Legitimitätsform der revolutionär geschaffenen Ordnungen 2 0 0 ." Der traditionale oder legale Typus der Legitimitätsgeltung hingegen kann aus sich heraus immer nur das Bestehende oder aber — nachträglich — oktroyierte Änderungen des Bestehenden rechtfertigen. Es ist bei der Behandlung der traditionalen wie auch der legalen Herrschaft nicht deutlich geworden, weshalb Max Weber hier als legitimierenden Faktor die Anerkennung der Faktizität anstelle eines bestimmten Glaubens einsetzt. Allein der wissenschaftsgeschichtliche Zusammenhang m i t der Rechtsgeltungstheorie des Rechtspositivismus konnte die Ausformung dieser Legitimitätstypen transparenter machen. Wenn aber schon diese Theorie ihren eigentlichen Gegenstand in der Gleichsetzung von faktischer Wirksamkeit und normativer Geltung verfehlt, so steht zu vermuten, daß Max Weber ebenso die Intentionen seines Legitimitätsbegriffes verfehlt, wenn er diese Rechtsgeltungstheorie i n seine Legitimitätstheorie übernimmt. io? WuG., S. 19. 198 WuG., S. 141. 199 WuG., S. 19. M a x Weber hat die Wertrationalität stets n u r als H a n d lungstypus aufgefaßt u n d sie zu den Geltungsgründen legitimer Ordnungen gezählt, sie aber nicht als eigenständigen Typus legitimer Herrschaft ausgeformt; vgl. die Übersicht bei Winckelmann, Legitimität, S. 36. Die Übereinstimmung zwischen charismatischer u n d wertrationaler Legitimitätsgeltung zeigt die Beziehung zwischen Charisma u n d Naturrecht (WL., S. 482) : „ . . . für den Demagogen [schwinden die legitimen Ordnungen gegenüber der Neuschaffung] k r a f t des von i h m verkündeten u n d suggerierten revolutionären ,Naturrechtes 4 " dahin. 200 WuG., S. 496.
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Der Legitimitätsbegriff ist eng m i t dem Geltungsbegriff verbunden. Die Geltung einer Ordnung ist die Chance, daß soziales Handeln an der Vorstellung von dem Bestehen einer legitimen Ordnung orientiert ist 2 0 1 . Die Geltung setzt voraus, daß die Handlungsorientierung deshalb erfolgt, weil die Maximen der jeweiligen Ordnung „als irgendwie für das Handeln geltend: verbindlich oder vorbildlich, angesehen werden" 2 0 2 . Geltung ist Glaube an Verbindlichkeit oder Vorbildlichkeit; das „Prestige der Vorbildlichkeit oder Verbindlichkeit" ist das Prestige der Legitimität 2 0 3 . Der Legitimitätsbegriff Max Webers beruht sonach darauf, daß eine Ordnung kraft ihrer Verbindlichkeit oder Vorbildlichkeit als geltend angesehen wird. Es gibt freilich noch andere Motivationen, die zu der Orientierung einer Handlung an einer Ordnung führen können. Sie werden jedoch begrifflich scharf von der Legitimitätsgeltung abgesetzt: zuunterst — am Grade ihrer Stabilität gemessen — steht die Orientierung an rein zweckrationalen Motiven. I h r folgt „die von allen häufigste A r t der inneren Haltung", „die lediglich kraft Sitte, infolge der Eingelebtheit eines Verhaltens, erfolgende Orientierung an dieser" 2 0 4 . „Die Übergänge von der bloß traditional oder bloß zweckrational motivierten Orientierung an einer Ordnung zum LegitimitätsGlauben sind natürlich in der Realität durchaus flüssig 205." Es sind jedoch Übergänge zwischen qualitativ verschiedenen Kategorien. Es zeigt sich, daß der Legitimitätsbegriff Max Webers allein auf dem Glauben an die Verbindlichkeit bzw. Vorbildlichkeit einer Ordnung beruht 2 0 6 . Die charismatische und die wertrationale Legitimitätsgeltung erfüllen zweifelsohne diesen Legitimitätsbegriff. Anders ist dies bei den Typen der traditionalen und der legalen Legitimität. Die ursprünglich „bloß traditional" gefaßte Anerkennung des Faktischen steigert sich zwar von der Sitte 2 0 7 zur Verbindlichkeit der Legitimität: „Die urwüchsige Konzeption der Rechtsnormen könnte . . . rein theoretisch am einfachsten so gedacht werden: daß anfangs rein faktische Gewohnheiten des Sichverhaltens infolge der psychologischen ,Eingestelltheit' ... als »verbindlich' empfunden ... werden 2 0 8 ." Aber diese Versoi WuG., S. 16. 202 WuG., S. 16. 203 WuG., S. 16. 204 WuG., S. 16. 205 WuG., S. 16. 206 Vgl. WuG., S. 153: „überhaupt ist festzuhalten: Grundlage jeder H e r r schaft, also jeder Fügsamkeit, ist ein Glauben ..." 207 „Brauch soll heißen Sitte, w e n n die tatsächliche Übung auf langer Eingelebtheit beruht." WuG., S. 15. „ g e l t e n ' einer Ordnung soll uns also mehr bedeuten als eine bloße durch Sitte oder Interessenlage bedingte Regelmäßigkeit eines Ablaufs sozialen Handelns." WuG., S. 16. 208 WuG., S. 397.
4. Der Legitimitätsbegriff
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bindlichkeit ruht weniger auf einem bewußten Verhältnis zu dem, was immer schon war, als auf der psychologischen Erscheinung der leichteren Reproduzierbarkeit des Vertrauten 2 0 9 . Die Verbindlichkeit der legalen Herrschaft und der traditionalen Ordnung erreicht i n der Regel nicht den Reflexionsgrad, der bei Max Webers Definition von Legitimitätsgeltung vorausgesetzt wird. Erreicht sie ihn jedoch, so scheint der jeweilige Legitimitätstypus bereits verlassen und derjenige der Wertrationalität erreicht zu sein. Daraus folgt, daß Legitimitätsgeltung für Max Weber zwei Bedeutungen besitzt, je nachdem, ob es sich u m diejenige der charismatischen bzw. wertrationalen oder aber der legalen bzw. traditionalen Legitimität handelt. Das eine Mal bedeutet Legitimitätsgeltung reflektierte Orientierung an der Verbindlichkeit einer Ordnung: normative Geltung. Das andere Mal bedeutet sie mehr oder weniger unreflektierte Hinnahme einer Ordnung: effektive Geltung. Normativität und Effektivität werden i n Max Webers Legitimitätsgeltungsbegriff m i t der gleichen Funktion eingesetzt. Damit aber verwischt Max Weber die Grenzen seines Legitimitätsbegriffes. Bei der Behandlung der legalen Legitimität zeigt sich deutlich, daß Max Weber hierbei i m Grunde nicht eine bestimmte Legitimitätsform i m Auge hat, sondern nur eine Effektivitätsform. Ein Handeln w i r d „eingeübt und meist ohne alle Kenntnis von Zweck und Sinn, ja selbst Existenz, der Ordnungen innegehalten. Die empirische ,Geltung 4 gerade einer nationalen' Ordnung ruht also dem Schwerpunkt nach ihrerseits wieder auf dem Einverständnis der Fügsamkeit i n das Gewohnte, Eingelebte, Anerzogene, immer sich Wiederholende 210 ." Angesprochen ist damit nur die tatsächliche, nicht aber die normative Geltung einer Ordnung: „Die Normanforderungen können auf diese Weise auch unbewußt, ohne Kenntnis der Rechtsunterworfenen von dem Gebot oder Verbot der Norm, erfüllt werden 2 1 1 ." Die „Legitimitätsgründe" Max Webers i n den Formen der traditionalen und der legalen Legitimität berühren das normative Wesen der Legitimitätsgeltung i m Grunde nicht. Diese Gründe liefern eine Erklärung dafür, daß eine Ordnung wirksam ist und befolgt wird. Sie vermögen aber keine Erklärung dafür zu geben, warum eine Ordnung als allgemein verbindlich empfunden wird. Sicherlich hat Max Weber aus dieser Schwierigkeit den Ausweg gesucht, das immer schon so Gewesene auch als so gesollt hinzustellen. 209 v g l . hierzu WuG., S. 12. 2 *o WL., S. 473. Vgl. WuG., S. 154: „der Legalitätsglauben ist »eingelebt4, also selbst traditionsbedingt: — Sprengung der Tradition vermag i h n zu vernichten." 211
Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, S. 440.
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Und damit hat er auch — anders als etwa Hans Kelsen — keine Grenzüberschreitung zwischen dem Bereich der Faktizität und dem Bereich der Normativität vorgenommen 212 . Denn das Bestehende vermag nicht schon durch die Tatsache seines Bestehens und seiner Wirksamkeit zu legitimieren, sondern erst durch den hinzutretenden Glauben 2 1 3 der Menschen an seine Verbindlichkeit. Das Faktische w i r d zwar umgeformt in eine Norm, aber es w i r d eben umgeformt: durch den Glauben der Menschen, der dem Bestehenden den Charakter des Normativen vermittelt. „Mögen auch viele tatsächliche Verhaltensübungen eine Tendenz zum Normativwerden aufweisen, so können sie doch den Normativcharakter nicht selbsttätig aus sich heraus erzeugen, sondern es bedarf dazu eines geistigen Setzungsaktes, der dem faktisch Geübten das Stigma der Verbindlichkeit aufprägt 2 1 4 ." Dieser geistige Setzungsakt aber, der den Typen der traditionalen und der legalen Legitimität hinzugedacht werden müßte, um aus ihnen echte Legitimitätstypen werden zu lassen, w i r d von Max Weber nur als psychische Komponente innerhalb der Haltung gegenüber dem Bestehenden angedeutet, erlangt aber keine wirkliche Relevanz und erstarkt nicht zum Legitimitäts glauben. Niklas Luhmann hat zu Recht bemerkt: „Max Webers Begriff der rationalen Legitimität auf Grund des Glaubens an die Legalität gesatzter Ordnungen . . . läßt nicht ausreichend erkennen, wie solche Legitimität der Legalität soziologisch möglich ist 2 1 5 ." Aber auch für den Begriff der traditionalen Legitimität gilt, daß er nicht erkennen läßt, „wie solch ein Glauben Zustandekommen k a n n " 2 1 6 . Der Grund dafür liegt darin, daß Max Weber bei diesen beiden Legitimitätsbegriffen erst gar nicht den Glauben an die Verbindlichkeit der Ordnungen berührt, 212 So aber die K r i t i k Welzels, A n den Grenzen des Rechts, S. 28: „Das für das Rechtsproblem Bemerkenswerte an diesen Gedankenreihen — den Rickert-Weber-Radbruchschen ebenso wie den Kelsenschen — ist, daß sie zwar m i t starken Worten von dem ,allerelementarsten Gegensatz zwischen Sein u n d Sollen' u n d von deren völliger gegenseitiger Unabhängigkeit ausgehen, daß sie aber i m Verlauf ihrer Gedankenkette eines der beiden ,elementaren' Beziehungsglieder — das Sollen — ausfallen lassen, w e i l sie es zuletzt auf das ,Sein' i n Gestalt der faktisch-überlegenen Befehlsmacht reduzieren." Dies gilt deshalb nicht f ü r M a x Weber, w e i l bei i h m nicht die reine Faktizität, sondern erst die psychische Einstellung der Menschen, die aus der Faktizität eine N o r m a t i v i t ä t formt, zu legitimieren vermag. Daß damit freilich der Legitimitätsglaube nicht erreicht ist, dürfte deutlich geworden sein. 213 Oder durch die psychische Einstellung des Menschen gegenüber dem Bestehenden — wobei fraglich ist, w a n n hier von Glauben gesprochen w e r den kann. 214 Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, S. 447 f. 215 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 28 f. 216 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 29, Anm. 5.
4. Der Legitimitätsbegriff
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sondern sich m i t dem Aufweis ihrer Wirksamkeit auf Grund einer psychischen Einstellung der Menschen begnügt. W i l l man dies als Legitimitätsform anerkennen, so gelangt man zu dem Ergebnis, daß die Geltung einer legalen oder traditionalen Ordnung auf der Erscheinung beruht, daß eine Ordnung deshalb als geltend anerkannt wird, weil sie bereits gilt. Die faktische Wirksamkeit w i r d m i t der normativen Geltungskraft gleichgesetzt. Die Grundfrage der Legitimität aber: „Warum sollte eine Norm deshalb für mich gelten, weil andere sie befolgen?" 217 w i r d dadurch nicht beantwortet. Und so anerkennt Max Weber denn auch, daß eine Legitimität, die sich nicht auf einen Glauben, sondern allein auf die Eingelebtheit eines Verhaltens stützt, verhältnismäßig labil ist. Es besteht kein Grund, weshalb die legale oder traditionale Legitimität auch dann noch motivierend wirken sollte, wenn der einzelne das Gebiet der Eingelebtheit des Verhaltens verläßt und sich reflektiert gegenüber der jeweiligen Ordnung verhält. Max Weber selbst hat den Unterschied angedeutet, der jener Dichotomie zugrundeliegt: zwar ist seine Aussage lediglich auf die charismatische Legitimität bezogen, aber angesichts der identischen Funktion von charismatischer und wertrationaler Legitimität bei der Begründung revolutionärer Ordnungen scheint es gerechtfertigt, sie generell auf den Unterschied zwischen der Legitimation durch den Glauben und derjenigen durch die „Fügsamkeit i n das Gewohnte" zu beziehen. „Die charismatische Herrschaft ist, als das Außeralltägliche, sowohl der rationalen . . . als der traditionalen . . . schroff entgegengesetzt. Beide sind spezifische Alltags-Formen der Herrschaft, — die (genuin) charismatische ist spezifisch das Gegenteil 2 1 8 ." So erklärt sich auch, daß die Labilität der Legitimierung einer Ordnung allein durch die Eingelebtheit für Max Weber keinen Grund bedeutet, auf andere Legitimierungsmöglichkeiten auszuweichen. Gerade im Alltagsfall w i r d Herrschaft nicht auf ihre letzten Legitimierungen befragt, sondern als das Gewohnte und immer schon Gewesene hingenommen. Wenn Max Weber an anderer Stelle betont: „Aber Sitte oder Interessenlage so wenig wie rein affektuelle oder rein wertrationale Motive der Verbundenheit könnten verläßliche Grundlagen einer Herrschaft darstellen. Zu ihnen t r i t t normalerweise ein weiteres Moment: der Legitimitätsglaube" 2 1 9 , so steht dies m i t dem teil weisen Verzicht auf den Aufweis eines solchen Glaubens bei der Behandlung der Legitimitätstypen in Widerspruch. Die v/eiteren Ausführungen Webers an dieser Stelle zeigen jedoch den Grund für die ambivalente Behandlung 217 Welzel, A n den Grenzen des Rechts, S. 21. 218 WuG., S. 141. 210 WuG., S. 122.
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Kap. I I : Legitimität
des Legitimitätsglaubens auf: Max Weber betrachtet das Legitimitätsproblem aus zwei verschiedenen Blickwinkeln, trennt aber die hieraus sich ergebenden Begriffsdifferenzierungen i m Verlauf der Durchführung seiner Herrschaftssoziologie nicht genügend voneinander. Zum einen w i r d Legitimität gleichgesetzt m i t der Orientierung des Handelns der Herrschaftsunterworfenen an dem Bestand einer Ordnung. Der Blickwinkel ist hier von den Herrschaftsunterworfenen aus auf die Herrschaftsordnung gerichtet. Unter diesem Blickwinkel erscheint als häufigstes Motiv der Fügsamkeit die Eingelebtheit i n das Gewohnte. Zum anderen aber w i r d der Legitimitätsglaube i n den Vordergrund gestellt. Der Blickwinkel ist hier von den Herrschaftsträgern aus auf die Herrschaftsunterworfenen gerichtet. „ M i t h i n ist es zweckmäßig, die Arten der Herrschaft je nach dem ihnen typischen Legitimitätsanspruch zu unterscheiden 220 ." Angesichts der Labilität eingelebten, affektuellen oder rein wertrationalen Handelns ist es verständlich, daß der Legitimitätsanspruch der Herrschaftsträger sich nicht hierauf, sondern vielmehr auf den Glauben an die Verbindlichkeit und Vorbildlichkeit ihrer Ordnung bezieht. Auch hier gilt die Unterscheidung von Alltags- und Krisenfall: i m Alltagsfall genügt die jeweils vorhandene Handlungsorientierung der Herrschaftsunterworfenen, und sei sie lediglich eingelebt, um den Bestand der Herrschaftsordnung zu garantieren. I m Krisenfall hingegen sind die Herrschaftsträger gezwungen, auf ihren Legitimitätsanspruch und den dadurch bei den Herrschaftsunterworfenen vorausgesetzten Legitimitätsglauben zurückzugreifen. Die nicht konsequent durchgeführte Trennung zwischen der Legitimitätsvorstellung der Herrschaftsunterworfenen einerseits und dem Legitimitätsanspruch der Herrschaftsträger andererseits führt dazu, daß in der Herrschaftssoziologie Max Webers eine Diskrepanz zwischen den tatsächlich aufgewiesenen Legitimitätsgründen und den Anforderungen, die der Legitimitätsbegriff an sie zu stellen hätte, aufzuweisen ist 2 2 1 . So wie die tatsächlich vorhandenen Geltungsvorstellungen den jeweiligen Legitimitätsanspruch der Herrschaftsträger i n der Regel nicht erreichen, so erreichen die Geltungsgründe von Herrschaft bei Max Weber i n der Regel nicht den Anspruch, den sein Legitimitätsbegriff an sie stellt.
220 WuG., S. 122. 221 Diese Vermengung von Legitimitätsanspruch und Legitimitätsvorstellung i n der Durchführung der Weberschen Herrschaftssoziologie scheint R. Mayntz, Soziologie der Organisation, Reinbek bei H a m b u r g 1963, S. 106, nicht zu sehen.
Kapitel
III
Traditionale Herrschaft Nachdem i n den ersten beiden Kapiteln dieser Arbeit die grundlegenden Begriffe der Weberschen Herrschaftssoziologie auf ihre Verortung i n der Rechts- und Staatswissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts hin abgefragt worden sind, werden sich die beiden folgenden Kapitel m i t einem Teil des historischen Materials, das Max Weber zur Ausfüllung seiner Herrschaftssoziologie herangezogen hat, beschäftigen. Dabei kann es nicht um eine erschöpfende Analyse der zeitgebundenen Momente i n Max Webers Sicht der Universalgeschichte — als des eigentlichen Stoffes seiner Herrschaftssoziologie — gehen. Dies würde voraussetzen, daß bei einem kursorischen Gang durch die Weltgeschichte, wie Weber ihn vorgenommen hat, auf den gegenwärtigen und den damaligen Wissensstand rekurriert würde und aus der jeweiligen Differenz Rückschlüsse auf die versteckten Intentionen Webers und die Implikationen seiner wissenschaftsgeschichtlichen Stellung gezogen würden. Ein solches Vorgehen würde — abgesehen davon, daß die dafür erforderlichen historischen und wissenschaftsgeschichtlichen Kenntnisse heute wohl nur noch i n den seltensten Fällen i n einer Person vereinigt sind — der Arbeitsweise Webers nicht gerecht werden. Die universalgeschichtlich angelegte Ausfüllung der Herrschaftssoziologie m i t geschichtlichem Material beruht — wie Weber selbstverständlich zugibt — kaum auf eigenen Quellenstudien. Eine Aufrechnung des heutigen Wissensstandes gegenüber demjenigen Webers würde somit nicht ihn selbst, sondern nur seine Quellen treffen können. Wichtiger scheint es zu sein, an einigen ausgewählten Beispielen zu zeigen, inwiefern die Verarbeitung dieses historischen Materials zu Begriffen und Typen die erkenntnistheoretische und wissenschaftsgeschichtliche Situation Webers widerzuspiegeln vermag. Dies soll an den von Max Weber ausführlich behandelten Erscheinungen des Patrimonialismus, des Feudalismus und schließlich der mittelalterlichen okzidentalen Stadt versucht werden. Sie stehen i m Rahmen dieser Arbeit stellvertretend für andere Gegenstände des Weberschen Interesses, bei deren Untersuchung sich vermutlich ähnliche Ergebnisse herauskristallisieren würden.
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Kap. I I I : Traditionale Herrschaft
1. Patrimonialismus Die Formen traditionaler Herrschaft unterscheiden sich für Max Weber je nach Existenz und A r t eines Verwaltungsstabes 1 . Dabei sind die Fälle der Herrschaftsausübung ohne Verwaltungsstab die „primären Typen der traditionalen Herrschaft" 2 . Sie scheiden sich i n Gerontokratie und primären Patriarchalismus: „Gerontokratie heißt der Zustand, daß, soweit überhaupt Herrschaft i m Verband geübt wird, die (ursprünglich i m wörtlichen Sinn: an Jahren) Ältesten, als beste Kenner der heiligen Tradition, sie ausüben. . . . Patriarchalismus heißt der Zustand, daß innerhalb eines, meist, primär ökonomischen und familialen (Haus-) Verbandes ein (normalerweise) nach fester Erbregel bestimmter Einzelner die Herrschaft ausübt 3 ." Sobald ein Verwaltungsstab gebildet wird, verwandeln sich Gerontokratie und Patriarchalismus i n den Patrimonialismus. Dabei rekrutiert sich der Verwaltungsstab primär patrimonial, d. h. aus „traditional, durch Pietätsbande, m i t dem Herrn Verbundenen" 4 ; er kann aber auch extrapatrimonial aus solchen Personen gebildet werden, die kein Pietätsverhältnis zu dem Herrn besitzen. Die Verwaltungs- und damit Herrschaftsausübung i m Patrimonialismus teilt sich in der Regel i n einen patrimonialen und einen extrapatrimonialen Bereich auf, von welchen der letztere der sekundäre ist. „ A l l e m i t Dauerzuständigkeit versehenen Beauftragten sind zunächst Hausbeamte des Herrn, ihre nicht hausgebundene (,extrapatrimoniale') Zuständigkeit ist eine an ihren Hausdienst nach oft ziemlich äußerlichen sachlichen Verwandtschaften des Tätigkeitsgebiets angelehnte oder nach zunächst ganz freiem Belieben des Herrn . . . ihnen zugewiesene Zuständigkeit 5 ." Das Wesen des Patrimonialismus besteht i n der besonderen A r t der Zuordnung der Herrschaftsmittel zur Person des Herrn oder dem Verwaltungsstab: „Die patrimoniale und insbesondere die ständisch-patrimoniale Herrschaft behandelt, i m Fall des reinen Typus, alle Herrengewalten und ökonomischen Herrenrechte nach A r t privater appropriierter Chancen 6 ." Herrschaft findet beim Patrimonialismus i n den Formen des Privatrechtes statt 7 . Damit ist zugleich der begriffliche U r 1
Dazu vgl. unten Kap. I I I 4. WuG., S. 133. WuG., S. 133. WuG., S. 131. WuG., S. 132. 6 WuG., S. 136 ff. Hierbei ist darauf hinzuweisen, daß Weber unter P a t r i monialismus einmal die „private", unpolitische Herrschaft, zum anderen die politische Herrschaft nach A r t der privaten Herrschaft verstanden hat. So auch A r n o l d Zingerle, M a x Weber und China, B e r l i n 1972, S. 46. 7 „Appropriierte Chancen" sind Rechte, konkret: Eigentumsrechte, vgl. WuG., S. 23. 2 3 4 5
1. Patrimonialismus
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sprung des Terminus „Patrimonialismus" für Max Weber angesprochen: die Staatstheorie Carl L u d w i g von Hallers, die den Staat geschichtlich und systematisch als einen Komplex von Eigentumsrechten aufgefaßt hatte. Max Weber hat auf diesen Ursprung ausdrücklich hingewiesen: „Der Begriff selbst stammt bekanntlich (in konsequenter Fassung) aus Hallers Restauration der Staatswissenschaft 8 ." Die Übernahme dieses Begriffes durch Max Weber i n seinen herrschaftssoziologischen Begriffsapparat impliziert durch seine lange Geschichte in der deutschen staatsrechtlichen und verfassungsgeschichtlichen Literatur des 19. Jahrhunderts zugleich die Übernahme bestimmter wissenschaftsgeschichtlicher Positionen. Max Webers Auffassung von der verfassungsgeschichtlichen Ausgestaltung der vorrationalen Epochen scheint damit vorgeprägt zu sein. Zu der Zeit, als Max Weber die Begriffe „Patrimonialstaat" und „Patrimonialismus" i n seine Herrschaftssoziologie übernahm, galt ihre Geschichte durch Georg von Belows „Der deutsche Staat des Mittelalters" 9 als weitgehend geklärt, v. Below führte den Begriff allein auf C. L. von Haller zurück: „Das Wort Patrimonialstaat hat zweifellos Haller selbst geprägt. Vor ihm ist wohl Ausdruck und Begriff Patrimonialgerichtsbarkeit i n Gebrauch. Dagegen dürfte es sich nicht nachweisen lassen, daß jemand vor Haller vom Patrimonialstaat gesprochen hätte, aus dem einfachen Grunde, weil von niemand früher eine Anschauung vom Staat vorgetragen worden war, die der seinigen, durch jenes Wort so vortrefflich bezeichneten, entsprach 10 ." I n den Ergänzungen zur ersten Auflage seines Werkes unterstrich v. Below dies noch: es „ist mein Nachweis, daß die Theorie vom Patrimonialstaat auf K. L. v. Haller zurückgeht, allgemein anerkannt worden" 1 1 . Es braucht hier nicht weiter untersucht zu werden, ob demgegenüber die Zurückführung dieses Begriffes auf Hugo Grotius richtig ist oder nicht 1 2 . Sicher ist, daß jedenfalls gegen Ende des 18. Jahrhunderts der Begriff „Patrimonialstaat" bereits eine ausgebreitete Verwendung i n der publizistischen Literatur gefunden hatte 1 3 . Dabei wohnte ihm — wie auch, freilich m i t wechselnden Betonungen, i m weiteren Verlauf der Entwicklung — eine gewisse Stoßrichtung inne. Die Publizistik der Landesfürstentümer benutzte den Terminus, um die β WuG., S. 137. » 1. Aufl. Leipzig 1914; 2. Aufl. Leipzig 1925. Hier w i r d die 2. Auflage benutzt, ίο v. Below, Staat, S. 6. 11 v. Below, Staat, S. X X V I . 12 So Krüger, Staatslehre, S. 139, Anm. 23. Ablehnend v. Below, Staat, S. 6 Anm. 2. Vgl. auch Romeo Maurenbrecher, Die deutschen regierenden Fürsten u n d die Souveränität. F r a n k f u r t a. M. 1839, S. 35, A n m . 1. ι 3 So K . Beyerle, A r t i k e l : Patrimonialstaat, i n : Staatslexikon, 5. Aufl. Freiburg 1931, Bd. I V S. 75 ff., und die Darstellung bei Brunner, Land und Herrschaft, S. 146 ff.
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Kap. I I I : Traditionale Herrschaft
Eigenständigkeit und Eigenberechtigung der landesfürstlichen Herrschaft gegenüber dem Kaisertum des Heiligen Römischen Reiches zu begründen. Der römisch-rechtliche Begriff des „imperium" konnte dafür aus naheliegenden Gründen nicht herangezogen werden, war doch sein Träger primär der Kaiser. „So nahm man denn den Begriff des Patrimoniums auf, des Privatvermögens des Fürsten. Damit hatte man einen Begriff aus der Sphäre des ,Privatrechtes', der wohlerworbenen Rechte, die dem Eingriff des Imperators als princeps legibus solutus entzogen war, und konnte darauf eine vom Kaiser nicht ableitbare fürstliche Gewalt aufbauen 14 ." Nach dem Zerfall des Reiches war diese Abstützung der landesfürstlichen Herrschaft nicht mehr erforderlich. Der Begriff des „Patrimonialstaates" erhielt eine neue Ausrichtung, diesmal gegen die Vertragstheorie und die Theorie von der Volkssouveränität 15 . Während C. L. v. Haller seine Patrimonialstaatstheorie ausdrücklich auf die Funktion des Grundeigentums als der Grundlage aller Macht bezog 16 , wandte Romeo Maurenbrecher sich gegen die Verknüpfung von Grundeigentum und staatlicher Herrschaft und wollte als Patrimonialstaatstheorie nur noch die Lehre von dem eigentumsgleichen Recht der Fürsten an der Landeshoheit verstanden wissen: „Die Souverainität ist aber nicht blos ein juristischer Begriff, sondern sie ist etwas Gegenständliches, das man besitzen, erwerben und verlieren kann. Insbesondere fasst das deutsche Staatsrecht sie von Alters her als das Privatrecht ihres Inhabers auf, und zwar nach Analogie des Eigenthums, so dass den deutschen Souveränen daran quasi dominium und quasi possessio zusteht, so gut wie den Privatleuten an ihren Rechten und Gerechtigkeiten 17 ." M i t der Entwicklung der Theorie von der Rechtspersönlichkeit des Staates mußte jedoch diese Auffassung aus dem staatsrechtlichen Begriffsarsenal eliminiert werden. Der Landesherr wurde je nachdem entweder als Anstaltsherr oder aber als Organ des Staates gesehen; das Staatsrecht war eine eigenständige, gegenüber dem Privatrecht scharf abgegrenzte Sphäre geworden. Für die privatrechtliche Auffassung von der Beziehung zwischen Landesherr und Staatsgewalt war kein Raum mehr. Der Begriff des „Patrimonialstaates" wurde nunmehr aus einer 14
Brunner, L a n d u n d Herrschaft, S. 148. Brunner, L a n d u n d Herrschaft, S. 148. 16 v. Below, Staat, S. 2, zitiert Hallers Restauration der Staatswissenschaften, Bd. I I I , 2. Aufl. W i n t e r t h u r 1820 ff., S. 164: „Es k a n n aber auch ,kein herrschaftliches Verhältnis i n die Länge bestehen, w e n n es sich nicht zuletzt an ein Grundeigenthum fesselt'." Z u v. Haller vgl. auch W i l h e l m Hans von Sonntag, Die Staatsauffassung Carl L u d w i g von Hallers, Jena 1929, u n d Heinz Weilenmann, Untersuchungen zur Staatstheorie Carl L u d w i g von H a l lers, Diss. phil. Bern 1955. 17 Romeo Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, F r a n k f u r t a. M. 1843, S. 245. 15
1. Patrimonialismus
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aktuellen zu einer rein historischen Kategorie: Patrimonialstaat als Bezeichnung der scheinbar privatrechtlich organisierten mittelalterlichen Herrschaftsordnung und als „Gegenbild für alle älteren Verfassungsformen . . d e n e n offenkundig eine Staatssouveränität unbekannt war"18. So w i r d der Begriff aus der Staatslehre in die Rechts- und Verfassungsgeschichte übernommen und erfährt hier seine weitere Entwicklung. „Was nicht staatliche Herrschaft, öffentliche Gewalt ist, kann nur patrimoniale Gewalt sein, Ausfluß von Besitz und Eigentum 1 9 ." Dabei läßt sich bei der Betrachtung der Verfassungsgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts feststellen, daß der Anwendungsbereich des Begriffes „Patrimonialismus" bis hin zu dessen gänzlicher Eliminierung immer mehr eingeschränkt wird. I m Grunde war es gleichgültig, welcher Zeit dabei i m einzelnen eine privatrechtliche Herrschaftsordnung zugeschrieben wurde 2 0 . Dies waren Akzentverschiebungen, die an der grundsätzlichen Aufteilung der mittelalterlichen Ordnung i n privatrechtliche und öffentlichrechtliche Bereiche nichts änderten und die darin liegende Problematik unberührt ließen. Erst m i t dem Sieg der „juristischen" Rechtsgeschichte wurde dies anders. Diese verabsolutierte ausdrücklich den Begriffsapparat des 19. Jahrhunderts und hatte das Bewußtsein seiner Zeitgebundenheit verloren. Die Scheidung von Staat und Gesellschaft, von öffentlich und privat wurde nunmehr auf alle Epochen angewandt; „Staat" wurde zu einer überzeitlichen Kategorie und der Gegenbegriff des „Patrimonialismus" wandelte sich für die juristischen Rechtshistoriker zu einer Chimäre derjenigen, die die staatliche Natur des mittelalterlichen Reiches verkannten. Die vorausgesetzte Staatlichkeit irgendwelcher verfassungsgeschichtlicher Epochen wäre durch die Akzeptierung eines derartigen Begriffes in Frage gestellt worden. Damit aber mußten die bislang als privat und patrimonial angesehenen Herrschaftsrechte anders begründet und abgeleitet werden: sie galten nunmehr nicht als eigenständige Rechte der Grund- oder Lehnsherren, die m i t dem Grundeigentum verbunden und damit privatrechtlicher Natur gewesen wären, sondern als Rechte des Staates, die dieser den ursprünglich privaten Grundherren übertragen und sie damit zu Trägern öffentlichrechtlicher Gewalt gemacht hatte: „ . . . der einzelne, der Hoheitsrechte, insbesondere einen öffentlichen Gerichtsbezirk erwirbt, [wird] staatliche Person 21 ." Die Usurpierung und Allodialisierung staatlicher Rechte konnte deren Rechtscharakter nicht verändern; sie blieben staatliche Rechte. 18
Brunner, Land u n d Herrschaft, S. 148. Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung, S. 137. 20 Vgl. dazu generell die Darstellung bei Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung, passim. 2 * v. Below, Staat, S. 273 f. 19
7 Speer
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Beide Auffassungen, diejenige von dem patrimonialen, privaten Charakter der Feudalherrschaft wie auch diejenige, die die durchgehend staatliche Natur der mittelalterlichen Herrschaftsordnung aufzuweisen suchte, orientierten sich so an dem durch die Entwicklung von Staat und Gesellschaft i m 19. Jahrhundert vorgegebenen Begriffsrahmen. Ob die mittelalterliche Herrschaftsordnung als privat oder als staatlich angesehen wurde, konnte nichts daran ändern, daß i n beiden Fällen die Scheidung von öffentlichrechtlich und privatrechtlich, die Trennung von Staat und Erwerbsgesellschaft auf das Mittelalter übertragen wurde. Jede dieser Auffassungen bildete so das Gegenstück zur anderen, ohne daß der gemeinsame unhistorische Bezugsrahmen verlassen worden wäre; die Übertragung der Begriffswelt des 19. Jahrhunderts auf das Mittelalter verstellte den Blick auf die gänzlich andere Begriffswelt und Herrschaftsstruktur des Mittelalters. Max Webers Stellungnahme i n dem Streit um die Staatlichkeit des Mittelalters scheint durch die Übernahme des Begriffes „Patrimonialismus" zur Kennzeichnung vorrationaler Herrschaftsstrukturen eindeutig bestimmbar zu sein: die Annahme einer i m wesentlichen privatrechtlichen Herrschaftsordnung ist damit impliziert. Es darf freilich nicht übersehen werden, daß Max Webers eigene Äußerungen hierzu ambivalent sind. Er anerkennt beispielsweise den Bestand von nicht-privaten Herrenrechten und -gewalten i m Mittelalter und unterläuft damit seine eigene Begrifflichkeit: „soweit die Gerichtsherrlichkeit und andere Rechte politischen Ursprungs nach A r t privater Berechtigungen behandelt wurden, scheint es für unsere Zwecke terminologisch richtig, von ,patrimonialer' Herrschaft zu sprechen 22 ." Spezifisch politische Rechte, behandelt nach A r t privater Berechtigungen, dies beinhaltet eine — i n Max Webers Fall entsprechend seiner Intention — universalhistorische Scheidung von politisch und privat, eine Scheidung, für deren nur scheinbare Aufhebung i n bestimmten verfassungsgeschichtlichen Epochen der Begriff des „Patrimonialismus" als Bezeichnung gewählt wird. Damit scheint Max Weber sich jenen Verfassungshistorikern angeschlossen zu haben, die weder von einer nur privaten noch von einer nur staatlichen Herrschaftsordnung des Mittelalters ausgegangen waren, sondern von einer solchen, die — ursprünglich rein staatlicher Natur — in privatrechtliche Formen gefaßt worden war. Die wahre Natur der politischen Rechte, ihre Zuordnung zu der universalhistorischen Kategorie des Politischen w i r d nicht davon berührt, daß sie zeitweise — unter der Herrschaft des Patrimonialismus — anders behandelt worden waren. Deutlich w i r d dies durch die Zustimmung, die Georg von Below durch Max Weber erfährt: „Terminologisch werde ich den Begriff des WuG., S. 37.
1. Patrimonialismus
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»Patrimonialismus' auch und gerade für gewisse Arten politischer Herrschaft festhalten müssen. Aber die absolute Scheidung zwischen haus-, leib- und grundherrlicher Gewalt und politischer Herrschaft — für die es ja gar kein anderes Kriterium gibt, als daß sie jenes alles aber nicht ist (sondern M i l i t ä r - und Gerichtsgewalt 23 ), werden Sie hoffentlich genügend betont finden. Diese Hauptthese Ihres Buches ist von vornherein glatt gewonnen. Ich werde nur nachweisen, daß dieser Unterschied so alt ist wie die Geschichte 2*." M i t der Kennzeichnung eigenständiger, wenn auch jeweils m i t dem Grundeigentum verbundener Rechte, wie es dem ursprünglichen Gebrauch dieses Begriffes i m 18. Jahrhundert, bei v. Haller und i n der verfassungsgeschichtlichen Forschung noch etwa bei G. L. v. Maurer der Fall gewesen war, hat dies nichts mehr zu tun. Unter „Patrimonialismus" w i r d hier vielmehr eine Herrschaftsstruktur verstanden, bei der die öffentliche oder politische Gewalt i n den Händen Privater liegt, ihnen übertragen oder von ihnen usurpiert worden ist, bei der sie i n der A r t privater Berechtigung, i n der A r t des Eigentums behandelt wird, ohne doch diesen Kategorien zu unterfallen. Die „patrimonialen" Rechte bleiben, wenn auch nicht staatliche, so doch politische Rechte. Darin scheint ein gewisser Fortschritt zu liegen, w i r d doch die Ineinssetzung der Herrschaftsstruktur des Mittelalters und derjenigen des neuzeitlichen Staates bereits terminologisch vermieden. Es fragt sich jedoch, ob dieser terminologischen Differenzierung eine Differenzierung i n der Sache selbst entspricht. Max Weber hat es bewußt vermieden, den Terminus „Staat" so zu gebrauchen, wie dies etwa G. v. Below tat: als überzeitliche Kategorie. Das Gemeinschaftshandeln eines präbendal und feudal abgewandelten patrimonialen Gebildes ist für Weber „ m i t modernen publizistischen Kategorien nicht konstruierbar und auf . . . [es ist] der Name ,Staat' i m heutigen Sinne des Wortes eher noch weniger anwendbar . . . , als auf rein patrimoniale politische Gebilde" 2 5 . Auch Carl Schmitt hebt diese begriffliche Enthaltsamkeit Webers hervor: „ I n Max Webers Soziologie hat das Wort [Staat] einen geschichtlich-konkreten Sinn; Staat ist für Max Weber eine spezifische Leistung und ein Bestandteil des occidentalen Rationalismus und darf schon deshalb nicht m i t Herrschaftsorga23 M a x Weber hält sich hierbei — auch wenn er an anderer Stelle (WuG., S. 684) von der hausherrlichen Gerichtsgewalt spricht — i m Rahmen der von der italienischen Jurisprudenz eingeführten Unterscheidung zwischen iurisdictio als Herrschaftsgewalt u n d proprietas als Eigentum, vgl. Brunner, L a n d u n d Herrschaft, S. 244, m i t weiteren Nachweisen. Dazu vgl. WuG., S. 733: „ . . . politischen Herrschaftsgewalt u n d das heißt hier prinzipiell: Gerichtsgewalt . . . " 24 Abgedruckt bei v. Below, Staat, S. X X V . Weber bezieht sich hier auf die erste Auflage dieses Werkes und seine bereits 1914 fertiggestellten Teile von „Wirtschaft u n d Gesellschaft". 2 ® WuG., S. 735.
7*
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nisationen anderer Kulturen und Epochen gleich benannt werden 2 6 ." Es erscheint aber zweifelhaft, ob allein diese terminologische Haltung genügt, um Max Weber „von den retrospektiven Suggestionen . . . , die m i t einem verallgemeinernden Gebrauch des Wortes Staat verbunden sind" 2 7 , freizusprechen. Zwar vermeidet Weber den einen Terminus des „Staates" und der „Staatlichkeit", aber er orientiert sich dafür an dem Begriff des Politischen, den er überall dort einsetzt, wo beispielsweise Sohm oder v. Below von Staatlichkeit gesprochen hätten. Dem Bereich des Politischen steht — von ihm scharf abgegrenzt — ein Bereich des Privaten gegenüber. Der Begriff des Staates w i r d durch den Begriff des Politischen ersetzt, ohne daß sich an der Begriffsstruktur, an den Gegenbegriffen und Gegenpositionen etwas geändert hätte. Ausgesprochen w i r d diese Gleichsetzung von Georg Jellinek: „ ,Poli tisch' heißt ,staatlich 4 ; i m Begriff des Politischen hat man bereits den Begriff des Staates gedacht 28 ." 2. Politische Gewalt und Hausgewalt Der Begriff des „Politischen" als Gegenbegriff zum „Privaten" scheint durch die eigenen Ausführungen Max Webers in „Wirtschaft und Gesellschaft" wie auch i n seiner Rede „Politik als Beruf" hinreichend i m Sinne eines reinen Machtbegriffes umrissen worden zu sein. Das Politische i m weitesten Sinn „umfaßt jede A r t selbständig leitender Tätigkeit" 2 9 . I m engeren Sinne ist Politik jedoch nur „die Leitung oder die Beeinflussung der Leitung eines politischen Verbandes, heute also: eines Staates" 30. Das Kennzeichen eines jeden politischen Verbandes aber ist das besondere Mittel, m i t dem er seine — inhaltlich nicht weiter bestimmbaren — Ziele verfolgen kann: die physische Gewaltsamkeit. „,Politik' würde für uns also heißen: Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er umschließt 31 ." Max Weber ist sich darüber i m klaren, daß es i n der Vergangenheit viele Verbände gegeben hat, die „Gewaltsamkeit als legitimes Mittel verwendet [haben] und verwenden" 3 2 . Zur Abgrenzung dieser von den spezifisch politischen Verbänden dient ihm das Merkmal, daß der politische Verband „die Herrschaft seines Verwaltungsstabes und seiner Ordnungen für ein Gebiet in Anspruch n i m m t und gewalt26 27 28 2» so 31 32
Schmitt, Aufsätze, S. 384. Schmitt, Aufsätze, S. 384. Jellinek, Staatslehre, S. 180. PolSchr., S. 396. PolSchr., S. 396. PolSchr., S. 397. WuG., S. 29.
2. Politische Gewalt und Hausgewalt
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sam garantiert. Wo immer für Verbände, welche Gewaltsamkeit anwenden, jenes Merkmal zutrifft — seien es Dorfgemeinden oder selbst einzelne Hausgemeinschaften oder Verbände von Zünften oder von Arbeiterverbänden (,Räten') — müssen sie insoweit politische Verbände heißen 33 ." Der Kampf um die Macht und die Ausübung der Macht auf einem bestimmten Gebiet ist sonach das Kennzeichen des Politischen. Daß hierbei das Modell des modernen geschlossenen Flächenstaates zugrunde gelegt ist, scheint evident: erst die Herrschaft über ein bestimmtes Gebiet macht eine Herrschaft zur politischen Herrschaft. Wilhelm Hennis 34 hat darauf hingewiesen, daß in diesem Politikbegriff jeglicher Zusammenhang m i t dem älteren, noch zweckgebundenen Begriff der Politik verlorengegangen ist. Faßt man jedoch die Abgrenzung zwischen dem Bereich der privaten und dem der politischen Gewalt ins Auge, wie Max Weber sie für traditional, besonders aber: patrimonial orientierte Herrschaftsordnungen konzipiert hat, so fällt gegenüber der Charakterisierung politischer Verbände auf, daß in dieser Bestimmung des Politischen noch ein anderes Moment mitzuschwingen scheint, das sich nicht auf den reinen, zweckfreien Machtbegriff reduzieren läßt. Max Weber hatte es gegenüber Georg von Below als seine Aufgabe bezeichnet, die Scheidung zwischen dem privaten und dem politischen Bereich als universalhistorisch gültig zu erweisen. I n der Ausführung dieser Aufgabe zeigt sich auch hier zunächst der Rückbezug des Politischen auf den modernen Fall des politischen Verbandes, den institutionellen Flächenstaat. Gemeinschaften aller möglichen A r t — Sippen, religiöse Gemeinschaften, Sportgemeinschaften etc. — kennen das auch der politischen Gemeinschaft innewohnende Merkmal der Gewaltsamkeit: „Es ist der Ernst des Todes, den eventuell für die Gemeinschaftsinteressen zu bestehen, dem Einzelnen hier zugemutet w i r d 3 5 . " „Von solchen Gemeinschaften unterscheidet sich für die soziologische Betrachtung die politische Gemeinschaft zunächst nur durch die Tatsache ihres besonders nachhaltigen und dabei offenkundigen Bestandes als einer gefestigten Verfügungsmacht über ein beträchtliches Land- oder zugleich Seegebiet. Daher fehlt ihr diese Sonderstellung in der Vergangenheit, je weiter zurück, desto mehr 3 6 ." Die Uberzeitlichkeit der Kategorie des Politischen scheint durch diese Bemerkung aufgehoben, die Trennung von privat und politisch als 33 WuG., S. 29. 34 Z u m Problem der deutschen Staatsanschauung, i n : Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 7. Jahrgang 1959, S. 1 - 23, hier zitiert nach: Die E n t stehung des modernen souveränen Staates, Hrsg. H. H. Hofmann, K ö l n — B e r l i n 1967, S. 73 ff. 35 WuG., S. 614. 36 WuG., S. 614.
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Kap. I I I : Traditionale Herrschaft
historisch bedingt. Freilich bezieht sich dies nur auf den politischen Verband, der als historische Erscheinung gesehen wird. Er entsteht aus der wirtschaftlichen Erwerbsgemeinschaft, die die Form der Haus- oder Sippengemeinschaft besitzt. „Unter den Bedingungen undifferenzierter Wirtschaft ist . . . die Sonderstellung einer Gemeinschaft als einer politischen oft nur schwer konstruierbar 3 7 ." Und: „Noch bei relativ entwickelten Güterbesitzverhältnissen kann ein gesonderter politischer Verband und können selbst alle Organe eines solchen völlig fehlen 3 8 ." Die Zurückverlegung der Existenz eines politischen Verbandes geht bei Max Weber trotz jener Intention offensichtlich nicht so weit wie manchmal i n der Verfassungsgeschichtsschreibung und Staatslehre des 19. Jahrhunderts. Dort wurde der dem Begriff des politischen Verbandes funktionell gleichwertige Begriff des Staates teilweise derart vorausgesetzt, daß er bereits i n dem Bestand auch nur einer Familie gegeben war: „Allerdings w i r d die Familie früher gewesen sein als der Staat; aber das war dann auch keine Familie i n unserem Sinne, sondern eine, die wesentlich auch ein Staat war .. . 3 9 ." Während damit die Dominanz des Staatlichen über das Private betont wurde, kehrt sich dieses Verhältnis bei Max Weber auf Grund seiner universalhistorischen Kenntnisse um. Das Primäre ist der unpolitische Haus- oder Sippenverband, zu dem die politische Vergemeinschaftung bei Bedarf — dann aber als irrevisible Entwicklung — hinzutritt. Die politische Vergemeinschaftung w i r d als historisch spätere Erscheinung gegenüber der bloßen Erwerbsgemeinschaft aufgefaßt. Politische Gewalten aber existieren auch schon in unpolitischen Verbänden. Die Trennung von privaten und politischen Gewalten w i r d damit vor die Trennung von Erwerbsgemeinschaft und politischer Gemeinschaft und nahezu an den Ursprung der Geschichte zurückverlegt. M i t dieser Differenzierung zwischen politischen und unpolitischen Gewalten innerhalb der noch unpolitischen Verbände ergeben sich für Max Weber jedoch Schwierigkeiten, die vor allem die Abgrenzung zwischen beiden Bereichen betreffen. Dabei zeigt sich zweierlei: Einmal prägt sich i n dieser Abgrenzung die Eigenart der idealtypischen Begriffsbildung i m Hinblick auf die Geschichtsauffassung Max Webers aus und zum anderen w i r d der Einfluß einer konkreten historischen Situation auf eine scheinbar universalhistorische Abgrenzung sichtbar. Die Hausherrschaft stellt für Max Weber m i t den Formen der Sippenherrschaft die Urform der traditionalen Herrschaft dar; der Keim der — noch unpolitischen — patriarchalischen Herrschaftsstruktur „liegt in 37 WuG., S. 615. 38 WuG., S. 618. 39 Heinrich Leo, zitiert bei v. Below, Staat, S. 15.
2. Politische Gewalt und Hausgewalt
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der Autorität eines Hausherrn innerhalb einer häuslichen Gemeinschaft" 40 . Die „Quelle des auf Pietät ruhenden Autoritätsglaubens" ist dabei jeweils die physische oder geistige Überlegenheit des Hausherrn und damit beispielsweise „für den Knecht seine Schutzlosigkeit außerhalb des Machtbereichs seines Herrn" 4 1 . Die Hausgewalt ist zumindest idealtypisch schrankenlos; ihre Einschränkung erfolgt — wenn überhaupt — heteronom und w i r d privat-, straf- oder sakralrechtlich sanktioniert 4 2 . Soweit dennoch innerhalb der Hausherrschaft ein Anspruch der Herrschaftsunterworfenen auf Gegenseitigkeit entsteht, kann dieser sich nur als „Brauch" artikulieren, ohne zunächst die Möglichkeit zu haben, in rechtliche Formen überzugehen 43 . Aus der rein patriarchalen, hausherrschaftlichen Gewalt entsteht erst dann eine patrimoniale Herrschaftsstruktur, wenn die Hausgemeinschaft dezentralisiert w i r d : „die mittels Ausgabe von Land und eventuell Inventar an Haussöhne oder andere abhängige Haushörige dezentralisierte Hausgewalt . . . [wollen w i r ] eine ,patrimoniale' Herrschaft nennen 44 ." Dabei w i r d freilich nicht die Hausgewalt dezentralisiert, sondern nur die Hausgemeinschaft i n ihrem räumlichen Bereich 45 . Die Dezentralisierung der Hausgemeinschaft schwächt allerdings die Hausgewalt 4 6 . Dadurch allein aber bildet sich noch keine politische Herrschaftsform heraus; die patrimoniale Herrschaft ist unpolitische Hausherrschaft. Politisch w i r d Herrschaft erst dann, wenn sie aus dem Bereich der Hausgewalt übergreift auf andere Hausgewalten: „Die Gewinnung einer politischen' Herrschaft, das heißt der Herrschaft eines Hausherrn über andere , nicht der Hausgewalt unterworfene Hausherren bedeutet dann die Angliederung von, soziologisch betrachtet, nur dem Grade und Inhalt, nicht der Struktur nach verschiedenen Herrschaftsbeziehungen an die Hausgewalt 47 ." Wenn schon die Struktur der privaten wie der politischen Herrschaft sich nicht unterscheiden, so zeigt sich i m weiteren, daß auch der Inhalt politischer Herrschaftsrechte kein 40 WuG., S. 679. « WuG., S. 680. 42 WuG., S. 680. 43 WuG., S. 682. 44 WuG., S. 683. 45 Schlesinger, Herrschaft u n d Gefolgschaft, S. 141: „Das »Haus* umfaßt . . . nicht nur die Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Herrn, sondern einen Komplex zugehöriger Wohnstätten . . . " 46 WuG., S. 682. 47 WuG., S. 684. Die verfassungsgeschichtliche Situation, auf die diese Beschreibung der Entstehung politischer Rechte paßt, ist exakt diejenige der Entstehung der Landeshoheit u n d damit der Beginn des modernen Staates. Vgl. die Beschreibung bei Schlesinger, Herrschaft und Gefolgschaft, S. 189. Auch hier zeigt sich die Orientierung des Weberschen Begriffs des Politischen am neuzeitlichen Staat.
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brauchbares Unterscheidungsmerkmal abzugeben vermag. „Welches der Inhalt der politischen Gewalt ist, entscheidet sich nach sehr verschiedenen Bedingungen. Die beiden für unsere Vorstellung spezifisch politischen Gewalten: Militärhoheit und Gerichtsgewalt, übt der Herr i n voller Schrankenlosigkeit über die ihm patrimonial Unterworfenen als Bestandteil der Hausgewalt 4 8 ." Nicht einmal das anscheinend allein noch zur Unterscheidung übrigbleibende Merkmal der graduellen Verschiedenheit beider Herrschaftsbereiche vermag eine brauchbare Differenzierung zu liefern; die politischen Rechte tendieren dahin, die Intensität der privaten Rechte zu erreichen. Daher ist „ . . . i m Mittelalter Herkunft von Pflichtigkeiten aus politischer oder aus patrimonialer Gewalt oft sehr schwer zu unterscheiden . . ." 4 9 . Wenn Max Weber trotz dieser offensichtlich inhaltlich nicht feststehenden und i m Verlauf der Geschichte immer wieder verschwimmenden Abgrenzung des politischen vom privaten Bereich an ihr festhält, ja ihr sogar eine universalhistorische Gültigkeit beilegt, so zeigt sich hier eine Schwierigkeit, die m i t Max Webers Wirklichkeitsauffassung zusammenhängt. „ . . . das Leben [bietet uns], sobald w i r uns auf die A r t , in der es uns unmittelbar entgegentritt, zu besinnen suchen, eine schlechthin unendliche Mannigfaltigkeit von nach- und nebeneinander auftauchenden und vergehenden Vorgängen, ,in' uns und ,außer 4 uns 5 0 ." Die Ordnung dieses „ . . . ungeheuren chaotischen Stromes von Geschehnissen, der sich durch die Zeit dahinwälzt" 5 1 , erfolgt durch Begriffe, die „gedankliche M i t t e l zum Zweck der geistigen Beherrschung des empirisch Gegebenen sind" 5 2 , „die nicht die empirische Wirklichkeit sind, auch nicht sie abbilden, aber sie in gültiger Weise denkend ordnen lassen" 53 . Dabei ist es selbstverständlich, daß die „Objektivität" jeglicher Erkenntnis von der der Begriffsbildung zugrunde liegenden Wertbeziehung beeinflußt ist, daß die Wertbeziehung aber wiederum von den einer K u l t u r jeweils immanenten Werten abhängig ist. Die Folgerung hieraus ist für Max Weber eindeutig: „eine jede Wissenschaft, auch die einfach darstellende Geschichte, arbeitet m i t dem Begriffsvorrat ihrer Zeit 5 4 ." Max Weber hat die Wert- und damit Zeitgebundenheit wissenschaftlicher Begriffe i n seinem „ Objektivitäts"-Aufsatz i m wesentlichen nur auf idealtypische Begriffe bezogen. Es ist freilich evident, daß eine der48 « so si 52 53 54
WuG., S. 684. WuG., S. 685. WL., S. 171. WL., S. 214. WL., S. 208. WL., S. 213. WL., S. 207.
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2. Politische Gewalt und Hausgewalt
artige Wirklichkeitsauffassung in bezug auf jeden Begriff gilt, besonders aber Auswirkungen auf derart grundlegende Kategorien haben muß, wie es diejenige des „Privaten" und des „Politischen" sind. W i r d die gesamte Wirklichkeit nach derartigen Kategorien geordnet und ermöglicht erst eine solche Ordnung die Erfassung der Wirklichkeit, so ergibt sich daraus, daß diese grundlegenden Kategorien überzeitliche Geltung haben müssen 55 . Nur: Max Weber hat eben nicht den Nachweis geliefert, daß der Unterschied zwischen dem Bereich des Privaten und dem des Politischen „so alt ist wie die Geschichtesondern er hat den Unterschied als überzeitlich existent vorausgesetzt und von dieser Voraussetzung aus eine Wirklichkeit, die eine derartige Trennung möglicherweise nicht kannte und die dann m i t dieser Unterscheidung nicht zu erfassen ist, geordnet. Die Ordnungsfunktion jener Grundkategorien scheint i m Verhältnis zu den Idealtypen derart zu überwiegen, daß es nunmehr weniger darauf ankommt, ob die Einordnung der Wirklichkeit durch die betreffende Kategorie adäquat ist, als darauf, ob sie wirksam ist. So ist die Kategorie des Politischen durch Max Weber zwar als universalhistorisch gültig konzipiert, aber sie kann doch die Merkmale der bestimmten historischen Situation, an der sie geformt ist, nicht verleugnen und muß so ihre Aufgabe verfehlen. Freilich muß hier berücksichtigt werden, daß die Möglichkeit zeitgebundener Verformungen bei der Bildung von Idealtypen evidenter ist als bei den soziologischen Grundkategorien und daß daher auch möglicherweise die wissenschaftliche Vorsicht, die bei dem Gebrauch von Idealtypen selbstverständlich ist, dort vernachlässigt wird, wo es sich um jene Kategorien handelt, die erst den Boden für die Bildung von Idealtypen bereiten. Bei der Fassung der grundlegenden Kategorien ist der Einfluß der jeweiligen historischen und individuellen Situation gravierender, aber auch — zumindest ohne historischen Abstand — schwerer durchschaubar als bei den historischen Idealtypen. Wieweit die Kategorie des Politischen bei Max Weber an einer bestimmten historischen Situation geformt ist und wieweit dabei bestimmte zeitgebundene Denkkategorien eingeflossen sind, zeigt sich, wenn die für Max Weber entscheidende Abgrenzung zwischen „privat" und „politisch" herausgearbeitet wird. Als letztlich unterscheidendes Merkmal zwischen der politischen und der unpolitischen, privaten Herrschaft stellt sich allein die Beschränktheit der politischen und die Unbeschränktheit der privaten Rechte und Gewalten heraus. Der Bereich des Politischen w i r d unter dem Geltungsbereich patrimonialer Herrschaftsstrukturen als ein Defizit an Gewaltrechten gegenüber dem Ge55 E i n Beispiel hierfür S.427 - 474.
liefert
der „Kategorien"-Aufsatz
Webers,
WL.,
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biet der privaten Herrschaftsrechte aufgefaßt: „ i n dem Fehlen der selbstherrlichen, Zwangsmittel anwendenden Autorität liegt auf diesem Gebiet die kenntlichste Scheidung der ,bloß' politischen Herrschaft von der Hausherrschaft 56 ." Max Weber hält diese Unterscheidung durch: die hausherrliche Gerichtsgewalt ist so unbeschränkt wie die hausherrliche Militärgewalt 5 7 . „Die ,Gerichtsgewalt' des Häuptlings den nicht Hausunterworfenen gegenüber ist dagegen in allen Epochen bäuerlicher Dorf Wirtschaft eine wesentlich nur schiedsrichterliche Stellung 5 8 ." Eine dauernde Militärgewalt über extrapatrimonial Beherrschte muß sich erst herausbilden und verfestigen: „Die perennierende Militärhoheit eines politischen Patrimonialherrn w i r d dann gleichfalls nur eine dem Grade nach von der patrimonialen Heerfolgepflicht verschiedene Aufgebotsgewalt gegenüber den politisch Beherrschten 59 ." Das gleiche Verhältnis gilt für die unbeschränkte Abgabepflicht innerhalb der privaten und die ursprüngliche Abgabenfreiheit innerhalb der politischen Herrschaftsverhältnisse: „Während das alte Kennzeichen der ,Freiheit' das Fehlen der nur aus patrimonialen Beziehungen ableitbaren regelmäßigen Abgabenpflicht und der Freiwilligkeitscharakter der Leistungen für den Herrscher ist, müssen m i t voller Entfaltung der Herrengewalt auch ,freie', d. h. nicht der Patrimonialgewalt des Herrn unterworfene Untertanen dazu durch leiturgische oder steuermäßige Leistungen beitragen, die Kosten seiner Fehden und Repräsentation zu bestreiten. Der Unterschied beider Kategorien drückt sich dann regelmäßig nur in der engeren und festeren Begrenzung jener Leistungen und in gewissen Rechtsgarantien für die ,freien', d. h. nur politischen, Untertanen aus 60 ." M i t der Betonung der Unbeschränktheit der privaten Herrschaftsrechte geht ihre Einstufung i n die Kategorie des Eigentums Hand in Hand: „gerade die primitiv patriarchale Auffassung . . . [behandelt] die Hausgewalt durchaus eigentumsartig 61 ." Nun darf sicherlich nicht darüber hinweggesehen werden, daß Max Weber diese Kategorisierung einer „primitiven" Rechtsauffassung unterstellt. Der Sprachgebrauch Webers i m Zusammenhang m i t den Herrschaftsrechten innerhalb eines patrimonialen Gebildes legt es jedoch nahe, auch bei i h m eine Auffassung zu vermuten, die private Herrschaftsrechte nur i n der Kategorie von Eigentumsrechten erfassen kann: Die Behandlung „nach A r t 56 WuG., S. 685. 57 WuG., S. 684. 58 WuG., S. 684. 59 WuG., S. 685. 60 WuG., S. 685. 61 WuG., S. 680.
2. Politische Gewalt u n d Hausgewalt
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privater appropriierter ökonomischer Chancen" 62 ist gerade das Kennzeichen der patrimonialen Herrschaftsauffassung. Der Vergleich der Rechtsstellung des Hausherrn gegenüber den ihm direkt unterworfenen Mitgliedern seines Hauses m i t derjenigen eines Eigentümers verweist auf den Bereich des römischen Rechtes und dessen Eigentumsbegriff: „ . . . die absolute, lebenslängliche und erbliche Despotie des Hausvaters . . . erstreckt sich auf Frau, Kinder, Sklaven, Vieh, Arbeitswerkzeug, auf familia pecuniaque des römischen Rechtes, das überhaupt diesen Typus i n klassischer Vollendung zeigt. Dieses dominium ist absolut, und nur eine Abwandlung davon ist es, wenn i n bezug auf die Frau von manus, i n bezug auf die Kinder von potestas gesprochen w i r d 6 3 . " U m so näher scheint die Erfassung von Herrschaftsrechten mit dem Begriff des Eigentums zu liegen, als auch im Mittelalter der Terminus „dominium" in vergleichbarer Bedeutung auftritt. „Dominium" ist hier Oberbegriff zu „imperium" und „proprietas" : dominium secundum proprietatem stellt das Eigentum des einzelnen dar, während dominium secundum imperium die Stellung des Fürsten bezeichnet 64 . Freilich stellt sich dieser Wortgebrauch nur oberflächlich als identisch dar. Dominium ist eben nicht mehr das Eigentum i m Sinne des klassischen römischen Rechts, sondern es ist bereits geformt durch die herrschaftliche, m i t einer Trennung von privatem und öffentlichem Recht nicht erfaßbare Lebensordnung: „Das Wort dominium für sich kommt nur in süddeutschen Urkunden, und auch hier nur ausnahmsweise, i n dem Sinne von ,Eigentum' vor. Sonst w i r d es durchweg als gleichbedeutend m i t Herrschaft . . . i n den verschiedensten Richtungen, welche dieses Wort i m Mittelalter angenommen hat, gebraucht 65 ." Entspricht so der mittelalterliche Begriff des dominium bereits nicht mehr dem Inhalt, der i n der klassischen Zeit der römischen Jurisprudenz damit verbunden worden war 6 6 , und mußte erst der Einfluß der es WuG., S. 136 f. 63
Wg., S. 58. Vgl. zu diesem Sprachgebrauch auch Sohm / Mitteis / Wenger, Institutionen, 17. Aufl. B e r l i n 1949, S. 168. β* Brunner, L a n d u n d Herrschaft, S. 244 f. 65 R. Schröder/E. v. Künssberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 7. Aufl. Berlin—Leipzig 1932, S. 789, A n m . 62. Vgl. auch R. Schröder, Das Eigentum am K i e l e r Hafen, i n : Zeitschrift der Savigny-Stiftung f ü r Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Bd. 26 (1905) S. 40 f. u n d Andreas Heusler, Institutionen des Deutschen Privatrechts Bd. I, Leipzig 1885 ( = B i n dings Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft I I 2,1) S. 95: „ . . . daß der Sprachgebrauch des Mittelalters unter dominium nicht das Eigentumsrecht an Sachen i n streng zivilistischem Sinne versteht, sondern damit die H e r r schaft, die Gewalt bezeichnet." Dazu vgl. die zusammenfassende Darstellung von H. K . Schulze und W. Ogris, i n : Adalbert Erler u. Ekkehard Kaufmann, Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Bd. I , B e r l i n 1971, Sp. 754 - 757.
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G l o s s a t o r e n 6 7 d e n klassischen B e g r i f f des d o m i n i u m w i e d e r i n das gem e i n e Recht e i n f ü h r e n , so h a t die E r f o r s c h u n g des a l t r ö m i s c h e n Rechts i n d e n l e t z t e n J a h r z e h n t e n gezeigt, daß auch d e r a l t r ö m i s c h e B e g r i f f d o m i n i u m e i n e n a n d e r e n I n h a l t h a t t e . L e o p o l d W e n g e r b e t o n t die grundsätzliche I d e n t i t ä t der H a u s g e w a l t i n i h r e n E r s c h e i n u n g s f o r m e n : d e r G e w a l t ü b e r Personen oder ü b e r Sachen 6 8 . A b e r es ist eben H a u s gewalt, H e r r s c h a f t , u m die es sich h i e r h a n d e l t , n i c h t E i g e n t u m des Hausherrn an Haus u n d Hausangehörigen. Der individualistische Eigent u m s b e g r i f f des klassischen J u r i s t e n w i r d j e t z t n i c h t m e h r a u f die F r ü h z e i t des römischen Rechtes b e z o g e n 6 9 — oder es w i r d ü b e r h a u p t das Bestehen v o n I n d i v i d u a l e i g e n t u m v e r n e i n t 7 0 . D e m n a c h w i r d n i c h t die H a u s h e r r s c h a f t als eigentumsgleiches Recht betrachtet, w i e M a x W e b e r dies a n g e n o m m e n h a t t e 7 1 , sondern u m g e k e h r t spaltete sich aus der H a u s h e r r s c h a f t erst d e r klassische E i g e n t u m s b e g r i f f a b 7 2 . 66 Franz Wieacker, Entwicklungsstufen des römischen Eigentums, i n : Das neue B i l d der Antike, Hrsg. H. Berve, Bd. I I , Leipzig 1942, S. 160: „Eigentum (dominium, proprietas) ist auch dem vollentwickelten klassischen Recht eine m i t der actio in rem gegen jedermann durchsetzbare Rechtslage an einem körperlichen Gegenstand, i n welcher die größtmögliche Fülle der Besitz-, Nutzungs- u n d Verfügungsgewalt u n d der Ausschluß jedes Nichteigentümers von Teilen dieser Gewalt vorausgesetzt ist. . . . Dies kann i n der modernen Begriffssprache i n der Tat nicht anders ausgedrückt werden als die absolute, totale, ausschließliche und unteilbare rechtliche Herrschaft des einzelnen über die Sache." So auch Sohm / Mitteis / Wenger, Institutionen, S. 282. 67 Zur Fassung des Begriffs „ d o m i n i u m " bei den Glossatoren vgl. Ernst Landsberg, Die Glosse des Accursius und ihre Lehre v o m Eigenthum, Leipzig 1883, S. 92 ff. 68 Leopold Wenger, Hausgewalt und Staatsgewalt i m römischen A l t e r t u m , i n : Miscellanea Francesco Ehrle, Bd. I I , Roma 1924, S. 33. 69 Vgl. zur Wandlung des dominium ex iure Q u i r i t i u m als Gewaltrecht über Personen und Sachen zur proprietas bonitaria Franco Negro, Das Eigentum, München—Berlin 1963, S. 13 f. ™ Wieacker, Entwicklungsstufen, S. 178 f. 71 Vgl. aber SWg., S. 201 : „Der Staat macht an der Schwelle des Hauses H a l t u n d das Hausrecht (»dominium'), welches Frau, Kinder, Sklaven, Vieh (familia pecuniaque) m i t gleicher absoluter Schrankenlosigkeit umfaßt, ist der K e i m des abstrakten Eigentumsbegriffes." Es k o m m t aber für uns entscheidend darauf an, daß u n d wie ein Zusammenhang zwischen Herrschaftsu n d Eigentumsbegriff von M a x Weber gesetzt wurde. Uberwiegend dürfte Weber w o h l doch die Kausalität anders gesehen haben: v o m Eigentums- zum Herrschaftsbegriff. 72 Wieacker, Entwicklungsstufen, S. 178 f.: „Bonfante lehrte zuerst, i n den Machtbegriffen dominium, manus u n d potestas etwas ursprünglich Gleichbedeutendes verstehen: die unteilbare Fülle der personen- u n d sachenrechtlichen Herrengewalt des Hausvaters über Frau, Kinder, Freigelassene, Knechte und Sachen des Hauses, die erst nachmals i n die differenzierte Anschauung einer hausherrlichen (potestas), eheherrlichen (manus) u n d sachenrechtlichen Gewalt (dominium) auseinandertrat. . . . M i t dieser heute herrschenden Einsicht w a r der Ursprung der selbstherrlichen Totalität des Eigentums i n einer Herrschaftsge wait über Personen erkannt." So schon i m Grunde Heusler, Institutionen, Bd. I S. 95. Heusler sieht die gleiche E n t -
2. Politische Gewalt u n d Hausgewalt
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Diese Auffassung des Verhältnisses von Herrschaft und Eigentum, von imperium und dominium, wie sie bei Max Weber zu finden ist, spiegelt die Einstellung wider, die die aufkommende bürgerliche Erwerbsgesellschaft gegenüber Herrschaft und Eigentum eingenommen hatte 7 3 . Die Verdeckung der herrschaftlichen und die Hervorhebung der eigentumsartigen Bedeutung von „dominium" entspricht den Bedingungen, unter denen das 19. Jahrhundert das Verhältnis von Herrschaft und Eigentum sehen mußte. Dabei geht es freilich weniger um die Rolle des Eigentumsbegriffes i n der bürgerlichen Gesellschaft als um die grundsätzliche Unfähigkeit, außerstaatliche Herrschaft auch nur als historische Erscheinung zu akzeptieren. Der Staat war der einzige legitime Herrschaftsträger geworden 74 . Damit ergab sich zugleich die Auffassung von der Gesellschaft als herrschaftsfreiem Raum 7 5 . Dies widersprach jedoch von vornherein der durch ihre Aufgabenstellung vorgegebenen Struktur der Erwerbsgesellschaft. Als Austragungsort der Auseinandersetzung der Individualinteressen 76 war die bürgerliche Gesellschaft eo ipso auf eine Vielfalt von Über- und Unterordnungsverhältnissen hin angelegt 77 . Die angebliche Herrschaftsfreiheit innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft konnte sich somit nur auf die Freiheit von staatlicher Herrschaft beziehen, damit die private Herrschaft sich desto ungestörter — freilich nach dem Gesetz des harmonischen Ausgleichs der Interessen — entfalten konnte. v o m einheitlichen Herrschaftsrecht zur Trennung von „ m u n t " und „gewere" auch i m deutschen Recht, a.a.O., S. 98. 73 Auch M a x Weber ü b e r n i m m t die Unterscheidung von i m p e r i u m und dominium; i m p e r i u m bezeichnet bei i h m die Bann- und Amtsgewalt, der diametral der Bereich des dominium gegenübersteht, vgl. WuG., S. 481, S. 685 u n d Wg., S. 58. Freilich setzt diese Unterscheidung einen ausgebildeten Staat voraus: Vgl. zur U m b i l d u n g des Verhältnisses beider Begriffe i n der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Krüger, Staatslehre, S. 822. „ D o m i n i u m " als Herrschaftsbegriff meint Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung, S. 119, wenn er schreibt: Das „ v ö l l i g unpolitische, alles ,dominiums 4 entkleidete, zu privatem Grundbesitz gewordene Eigentum gibt es erst i n einer Welt, i n der alle Herrschaftsgewalt bei einer einheitlichen Staatsgewalt konzentriert u n d monopolisiert ist u n d dieser eine entpolitisierte Gesellschaft privater Untertanen gegenübersteht." 7 * Vgl. oben Kap. I. 75 Vgl. die Nachweise bei Krüger, Staatslehre, S. 342 f. 76 Lorenz von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung i n Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, Bd. I, Darmstadt 1959, S. 43: „Das Interesse . . . ist daher das Prinzip der Gesellschaft." 77 v.Stein, S. 45: „ . . . das Prinzip der Gesellschaft [isti die Unterwerfung der einzelnen unter die anderen einzelnen, die Vollendung des einzelnen durch die Abhängigkeit des anderen . . . " Vgl. auch Rudolf Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte i n Deutschland, 3. Aufl. Darmstadt 1966, S. 9: „Diese w i r t s c h a f t l i c h e Ordnung verbreitet über alle Zweige des menschlichen Lebens eine Abhängigkeit, die m i t zahllosen, wenn auch meist unsichtbaren, Fäden jeden einzelnen von dem Willen anderer abhängig macht." Wicklung
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Der Begriff, m i t dessen Hilfe die Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb der Gesellschaft erfaßt werden konnte, durfte nunmehr freilich nicht der durch den Kampf gegen die „feudalen" unterstaatlichen Herrschaftsgewalten 78 diskriminierte Begriff der Herrschaft sein. Vielmehr bot sich nun der Begriff des subjektiven Rechts als der einheitlichen Willensmacht über Personen und Sachen an 7 9 . Freilich w i r d hier das subjektive Recht in der Form des Herrschaftsrechtes über Personen als eingeschränkt durch die Freiheit des anderen gedacht; nur das subjektive Recht des Eigentums ist als Sachherrschaft uneingeschränkte Herrschaft 80 . Diese Verbindung des Rechts- m i t dem Herrschaftsbegriff und die Monopolisierung des Bereiches der unbeschränkten Herrschaft i n dem Begriff des Eigentums lassen es erklärlich werden, daß persönliche Abhängigkeiten und Herrschaftsverhältnisse zumindest dann nur m i t der Kategorie des Eigentums oder eines eigentumsartigen Rechts erfaßt werden können, wenn es sich um die historische Form eines rechtlich kaum oder gar nicht eingeschränkten Herrschaftsverhältnisses handelt. Für die Einordnung einer derartigen, nicht-staatlichen Herrschaftsform blieb eben nur eine privatrechtliche Kategorie offen und dies konnte nur die Kategorie des Eigentums sein, da diejenige des subjektiven Rechts über Personen i n sich bereits die Einschränkung durch die Aufrechterhaltung der Freiheit des anderen enthielt. Bei der vorausgesetzten Trennung von privaten und politischen oder staatlichen Gewalten stand für eine Herrschaftsform, die ungeschieden private und politische Rechte i n sich enthielt, wie es bei der Hausgewalt der Fall war, und die zugleich dem von vornherein nur „privat" denkbaren Bereich des Unpolitischen, Nicht-Staatlichen angehörte, nur mehr die Kategorie der uneingeschränkten privaten Herrschaft i n Form des Eigentumsrechtes übrig 8 1 . Von hier aus w i r d einsichtig, daß die Hausgewalt gerade wegen ihrer Uneingeschränktheit für Max Weber m i t dem Eigentum verglichen werden mußte, um i n ihrer Eigenart adäquat erfaßt werden zu können. Zugleich w i r d damit verständlich, weshalb politische Rechte nur als beschränkt gedacht werden können. Zwar war der Begriff der Herr78 Dazu Brunner, Neue Wege, S. 136: „Die prinzipielle Ablehnung von Herrschaft als persönliche Abhängigkeit, deren schroffste Form eben die Sklaverei darstellte, von eigenständigen, v o m Staat unabhängigen H e r r schaftsrechten, w a r begründet i n der Monopolisierung der Staatsgewalt i m neuzeitlichen Staat, i m Begriff der Souveränität." 79 Vgl. hierzu und zum folgenden oben Kap. I, S. 34 ff. 80 Z u den wirtschaftlichen u n d sozialen Grundlagen dieses Eigentumsbegriffes vgl. die kurze Bemerkung bei Wieacker, Entwicklungsstufen, S. 156 f. 81 Ohne von der Rechtsnatur des Eigentumsbegriffes auszugehen, k o m m t Brunner, Neue Wege, S. 140, zu dem gleichen Ergebnis: „ . . . für eine isolierte ,wirtschaftliche' Sicht [blieb] das »Eigentum', der »Landbesitz', das gegebene Substrat und die Grundlage der Macht . . . "
2. Politische Gewalt und Hausgewalt
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schaft nunmehr ein ausschließlich dem Bereich des Staatlichen angehörender Begriff geworden. Aber dem Staat konnte keine rechtlich uneingeschränkte Herrschaft mehr zugebilligt werden. Die Entleerung des Herrschaftsbegriffes vom Zweckgedanken erforderte eine Einschränkung von außen her, als rechtliche Qualifikation. Auch begrifflich war der Bereich des Staatlichen durch seine Konfrontation m i t dem selbständigen Bereich der Gesellschaft schon eingeschränkt: die Trennung von Staat und Gesellschaft setzt die Existenz eines staatsfreien Raumes voraus. Staatliche und damit — i n der Projizierung auf „vorstaatliche" Zeiten — politische Rechte mußten von vornherein als ebenso eingeschränkt gedacht werden, wie unpolitische Rechte wenigstens i n der Kategorie des Eigentums als uneingeschränkt gedacht werden durften. Diese Unterscheidung von politischen und daher eingeschränkten und unpolitischen und daher uneingeschränkten Rechten stellte C. F. von Gerber sehr deutlich heraus: „Diese Unterwerfung [seil, der Untertanen gegenüber dem staatsrechtlichen Willen des Herrschers] ist jedoch keine unbeschränkte, denn sie ist 1) nur eine staatliche; da der Staat keineswegs das gesamte Gesellschaftsleben der Menschen i n sich aufnimmt, sondern es nur von einer einzelnen Seite her berührt, so bleibt ein großer Theil desselben aus diesem Kreise ausgeschieden. Darin liegt ganz besonders der Gegensatz gegen die privatrechtliche Beherrschung, die Leibeigenschaft, Sklaverei, welche die gesammte Persönlichkeit des Einzelnen dem individuellen Willen des Andern preis giebt, und gegen den privatrechtlichen Staat, der sich i m Wesentlichen den letzteren Gedanken aneignet. Die staatsrechtliche Unterwerfung ist lediglich die Theilnahme an der organischen Verbindung i m Staatsleben. Aber auch innerhalb dieses Kreises ist sie eine beschränkte, denn i n einem geordneten Staate sind 2) die rechtlichen Gränzen, i n denen sich die Staatsgewalt bewegen muß, genau bestimmt, und die Unterwerfung jedes Einzelnen unter die öffentliche Gewalt findet nur statt nach Maßgabe eben dieser Gränzen 82 ." Die Gleichsetzung von staatlich-politisch und eingeschränktem Herrschaftsrecht ist unter den Bedingungen der Trennung von Staat und Erwerbsgesellschaft ebenso begriffsnotwendig wie diejenige von Eigentumsrecht und uneingeschränktem Herrschaftsrecht. Die — uneingestandene — Ubertragung dieser Trennung auf Zeiten, die keinen Staat i m neuzeitlichen Sinne und damit auch nicht die scharfe Trennung zwischen politischem und privatem Bereich kannten, muß zu einer Aufteilung der Herrschaftsrechte in der A r t Max Webers führen: auf der einen Seite die private, patrimoniale und nur m i t den Kategorien des Eigentums erfaßbare Herrschaft, die aus der eigentumsartigen Hausgewalt entspringt, und auf der anderen Seite die politische, eingeschränkte Herr82
v. Gerber, Über öffentliche Rechte, S. 75.
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schaft, deren autogener Ursprung vorausgesetzt, aber nicht erklärt wird. Damit aber hat Max Weber zumindest für den Bereich vorrationaler Herrschaftsformen die Ineinssetzung von Politik und Macht vermieden und auf die an der Aufrechterhaltung eines selbständigen Freiheitsraumes durch das Politische orientierte Begrenzung des staatlichpolitischen Bereiches rekurriert. 3. Das Verhältnis von Herrn und Beherrschten innerhalb der patrimonialen Herrschaft Innerhalb des Idealtypus der traditionalen Herrschaft gibt es für Max Weber verschiedene, je nach ihrer Intensität abgestufte Herrschaftsbereiche. A m intensivsten ist der Bereich der Hausgewalt und der ihr zugehörigen patrimonialen Herrschaft, dann folgt die extrapatrimoniale, „politische" Herrschaft, die ihrerseits i n einen traditionsgebundenen und einen traditionsfreien Bereich aufgeteilt ist. Nur in letzterem vermag der Herr ohne Rücksicht auf die Tradition w i l l kürlich zu handeln. Auch innerhalb der patrimonialen und der extrapatrimonialen Herrschaftsformen läßt sich eine Abstufung der Herrschaftsintensität gegenüber den Herrschaftsunterworfenen feststellen: Die patrimoniale Herrschaft beruht auf dem Eigentum einmal über Leute, das andere Mal über Land. Innerhalb ihrer lassen sich demnach die leibherrlichen Hintersassen, deren Kennzeichen die fehlende Freizügigkeit und die Ungemessenheit ihrer Leistungsverpflichtung gegenüber dem Herrn ist, von den grundherrlichen Hintersassen unterscheiden 83 . Diese genießen Freizügigkeit und die grundsätzliche Gemessenheit ihrer Leistungsverpflichtungen, die auf der wirtschaftlichen Grundlage der Herrschaft: der Ausgabe von Land gegen Dienste, beruht. I m Bereich der extrapatrimonialen Herrschaft besteht überhaupt nur eine Verpflichtung für politische Zwecke; die Beherrschten genießen Freizügigkeit und die freie Verfügung über den Besitz sowie Gemessenheit der Leistungen. Bereits außerhalb des Stufenbaues der traditionalen Herrschaft stehen die freien Ding- und Heergenossen, die nicht einmal für politische Zwecke pflichtig sind. Für die Ausgestaltung des patrimonialen Herrschaftstyps ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Herrn und Beherrschten entscheidend. Die Herrschaft ist hier — zumindest i m Bereich der Leibherrschaft — am intensivsten; die Einseitigkeit des Weberschen Herrschaftsbegriffes, der allein die Struktur von Befehl und Gehorsam kennt und in seiner idealtypischen Reinheit ein „Recht" der Beherrschten verneint, zeigt sich hier am deutlichsten. Dennoch w i r d auch inneres W u G , S. 689 u. 693.
3. Das Verhältnis von H e r r n u n d Beherrschten
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halb der patrimonialen Herrschaftsform die Herrschaftsgewalt des Patrimonialherrn als eingeschränkt gedacht: die zunächst i m rein Faktischen bleibende Einschränkung verfestigt sich zu einer rechtlichen Ausgestaltung des Herrschaftsverhältnisses. „Dies Abhängigkeitsverhältnis selbst bleibt ein Pietäts- und Treueverhältnis. Eine auf solcher Grundlage beruhende Beziehung aber, mag sie auch zunächst eine rein einseitige Herrschaft darstellen, entfaltet aus sich heraus stets den Anspruch der Gewaltunterworfenen auf Gegenseitigkeit, und dieser Anspruch erwirbt durch die ,Natur der Sache' als ,Brauch' soziale Anerkennung. . . . Auch der Herr ,schuldet' also dem Unterworfenen etwas, zwar nicht rechtlich, aber der Sitte nach 84 ." Das Vorbild dieses Verhältnisses zwischen Herrn und patrimonial Beherrschten findet sich sowohl i m alten Rom als auch i m europäischen Mittelalter 8 5 . Innerhalb der „feudalen Klientel" Roms sind „ . . . die gegenseitigen Beziehungen . . . geregelt durch einen traditionellen, ziemlich festen Sittenkodex, welcher aber, seines religiösen Charakters wegen, dem bürgerlichweltlichen ,Landrecht' (germanistisch ausgedrückt) des Stadtstaates fremd ist, von ihm gar nicht erfaßt werden kann, dennoch aber, da er von hoher praktischer Bedeutung ist, i n seiner Existenz auch nicht einfach ignoriert w i r d : die Zwölftafeln verfluchen den Patron, der dem Klienten die Treue nicht hält . . . , wie der Sohn verflucht war, der den Vater schlägt: in beiden Fällen gab es eben keinen staatlichen Richter 8 6 ." Wesentlich ist hierbei, daß das patrimoniale Herrschaftsverhältnis von Max Weber völlig aus dem Bereich des Rechtlichen herausgenommen w i r d ; die absolute Verfügungsmacht des in der A r t eines Eigentümers aufgefaßten patrimonialen Herrn duldet auch i n dem Bereich, der über den der ursprünglichen Hausgewalt hinausgeht, keine Einschränkung. Freilich steht der Herr den Herrschaftsunterworfenen faktisch relativ ohnmächtig gegenüber; durch diese Ohnmacht w i r d der theoretisch schrankenlose Bereich seines Herrschaftsrechtes eingeschränkt. Die so entstehende Ordnung ist „eine dem Recht nach labile, faktisch aber sehr stabile Ordnung" 8 7 . „Diese traditionelle Ordnung kann sich der Herr veranlaßt sehen, i n die Form einer Hof- und Dienstordnung zu bringen. . . . Die erlassene Ordnung entbehrt natürlich jeder rechtlichen Verpflichtung für den Herrn 8 8 ." Erst „ i m Anschluß an solche Ordnungen [kann sich] eine genossenschaftliche Rechtsbildung vollziehen, die eine sehr starke faktische Bindung des Herrn an seine 84 WuG., S. 682. 85 M a x Weber bezieht sich bei der Darstellung ausdrücklich auf die „leges" der hadrianischen Zeit u n d die Hofrechte des Mittelalters, WuG., S. 683. 86 SWg., S. 203. Vgl. zur Stellung der römischen K l i e n t e l auch Webers Stadtsoziologie, WuG., S. 592 f. 87 WuG., S. 683. 88 WuG., S. 683. 8 Speer
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eigenen Verfügungen entwickelt" 8 9 . Gegenüber der einheitlichen Herrengewalt bildet sich so die Genossenschaft heraus: „Denn jede solche Ordnung macht die ihr Unterstellten aus bloßen Interessengenossen zu Rechtsgenossen (einerlei ob i m juristischen Sinn), steigert dadurch ihr Wissen von der Gemeinsamkeit ihrer Interessen und damit die Neigung und Fähigkeit, sie wahrzunehmen, und führt dazu, daß die Gesamtheit der Unterworfenen nun dem Herrn, zunächst nur gelegentlich, dann regelmäßig, als eine geschlossene Einheit gegenübertritt 9 0 ." Die Darstellung ist deutlich genug: Auch die Rechtsbildung innerhalb des patrimonialen Herrschaftsverhältnisses führt zu keinem „Recht" der Beherrschten gegenüber dem Herrn. Genossenschaftliche Rechtsbildung — das besagt hier nichts anderes als rechtliche Ordnung der Verhältnisse innerhalb der Genossenschaft der Beherrschten, aber ohne ihre M i t w i r k u n g und ohne eine daraus erwachsene Eigenberechtigung der Genossenschaft gegenüber dem Herrn 9 1 . Sucht man die Wurzeln dieser Auffassung, so führt der Weg über die Identifizierung oder zumindest Annäherung von patrimonialem Herrschaftsrecht und absolutem Eigentumsrecht nicht weiter: Innerhalb des Rechtsinstitutes des Eigentums kann eine vergleichbare Situation schon deshalb nicht entstehen, weil die Rechtsobjekte, die dem modernen Eigentumsbegriff unterfallen, nicht zu Subjekten werden können, wie dies bei der Emanzipation der patrimonial Beherrschten von dem Herrn der Fall sein kann. Ein Rückgriff auf die Genesis des Weberschen Herrschaftsbegriffes scheint hier eher zu Ergebnissen führen zu können. War der Herrschaftsbegriff Webers an dem Begriff der Staatsgewalt i n der deutschen Staatslehre des 19. Jahrhunderts orientiert, so steht zu vermuten, daß die Stellung des Herrschaftsträgers Ähnlichkeiten aufweist m i t derjenigen des Trägers der Staatsgewalt. I n der Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts war die Frage nach dem Träger der „inneren" Souveränität und nach ihrem Inhalt problematisch geworden. Die Verfassungen der vormärzlichen Zeit konnten zwar noch 89 WuG., S. 683. 90 WuG., S. 683. 91 Daß durch diese Auffassung von dem Entstehen der Hofrechte die Eigenart des Zusammenspiels von Herrschaft u n d Genossenschaft verkannt w i r d , ist evident; vgl. dazu K . Bosl, Frühformen der Gesellschaft i m mittelalterlichen Europa, München—Wien 1964, S. 312 f.: die leges familiae „sind kein D i k t a t des Dienstherrn, sondern sie geben sich zumeist als das Ergebnis eines Forderns oder Verhandeins, der gesellschaftlichen D y n a m i k einer, wenn auch unfreien, herrschaftlichen Genossenschaft, die freilich später darüber hinaus sich zur freien ritterschaftlichen Korporation erhob". Hier k o m m t es freilich mehr auf die Aufschlüsse an, die sich für die Zeitgebundenheit M a x Webers aus seinem Verständnis des Rechtssetzungsrechts ergeben, als auf die Wurzeln dieser Sicht des Verhältnisses von Herrschaft und Genossenschaft.
3. Das Verhältnis von H e r r n u n d Beherrschten
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als Rechtsgewährungen der Fürsten verstanden werden 9 2 : Träger der Souveränität schien damit der Fürst zu bleiben, der sich selbst in ihrer Ausübung in bestimmten Fällen an die M i t w i r k u n g der Ständeversammlung gebunden hatte. Damit entstand jedoch eine Eigenberechtigung der Stände, die zu der Frage führen konnte, ob die Souveränität des Fürsten bei einem Mitwirkungsrecht der Stände noch ungebrochen sei 93 . Die Lösung dieser Problematik wurde i n der Konzeption einer einheitlichen Staatsgewalt gefunden, die die Willensmacht des als Rechtspersönlichkeit verstandenen Staates war. Der Staat als juristische Person wurde Träger der Souveränität 94 . Fürst und Ständeversammlung wurden als Organe der Rechtspersönlichkeit des Staates verstanden. Freilich wurde durch diese Konstruktion eine m i t dem Souveränitätsproblem entscheidend verbundene Frage aus der weiteren Diskussion ausgeklammert: Die Frage nach der Grenze der inneren Souveränität. Die Beantwortung dieser Frage schien freilich auch nicht aktuell zu sein, war doch die Staatsgewalt in der Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates durch die Aufteilung zwischen Monarch und gesetzgebender Versammlung als Staatsorgane kontrolliert. Die M i t w i r kungsrechte allein bedeuteten Kontrolle genug, um die Grenzen der Staatsgewalt aus dem Blickwinkel verschwinden lassen zu können. Aber auch wo die Lehre Albrechts von der Rechtspersönlichkeit des Staates sich noch nicht durchgesetzt hatte, waren doch dem Monarchen als Souverän und Inhaber der Staatsgewalt „durch das Bundesrecht und die jeweilige Landesverfassung . . . unüberwindbare Rechtsschranken" gesetzt 95 . Die nur interne gegenseitige Kontrolle der Staatsorgane führte freilich in der Folge dazu, daß die innere Souveränität gleich der äußeren als unbeschränkt angesehen werden konnte. Wenn auch manchmal eine Selbstbindung des Souveräns an seine eigenen Handlungen, d. h. an die von ihm erlassenen Gesetze, angenommen wurde 9 6 , so wurde sie doch teilweise rundweg abgelehnt 97 . 92 Vgl. E.-W. Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie i m 19. Jahrhundert, i n : E.-W. Böckenförde (Hrsg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815-1918), K ö l n 1972, S. 148: „Die V e r fassung stellt sich dar als eine — allerdings verbindliche — Selbstbeschränkung der monarchischen Gewalt, sie ist Begrenzung, nicht Grundlage der monarchischen Herrschaft." 93 Vgl. dazu die Darstellung bei Quaritsch, Staat, S. 481 ff. 94 v g l . Thomas Ellwein, Das Erbe der Monarchie i n der deutschen Staatskrise, München 1954, S. 271, u n d allgemein Häfelin, Rechtspersönlichkeit, S. 66 ff. Die Staatssouveränität als W a h l eines dritten Weges zwischen Fürsten- u n d Volkssouveränität n i m m t Quaritsch, Staat, S. 497, an. 95 Quaritsch, Staat, S. 497. Ellwein, Monarchie, S. 270: „Der Rechtsstaat des Nachmärz wurde . . . nicht durch das über dem Staate stehende Recht bestimmt w i e i m Vormärz, sondern beschränkte sich selbst durch die von i h m selbst gegebene Rechtsordnung, w i e j a analog der absolute Monarch sich durch die von i h m gegebene Verfassung selbst beschränkte.
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Kap. I I I : Traditionale Herrschaft
Kennzeichnend ist hier Auffassung, die in dem Lehrbuch des deutschen Staatsrechts von Meyer-Anschütz vertreten wurde. Zwar gab es Schranken, aber doch nur solche politischer A r t , die aus dem Staatszweck erwuchsen: „Die Souveränität des Staates schließt jede Bindung desselben durch einen höheren Willen aus. Dagegen ist die Bindung desselben durch seinen eigenen Willen, d. h. durch Übernahme vertragsmäßiger Verpflichtungen gegenüber anderen Staaten, m i t dem Wesen der Souveränität vollkommen vereinbar. Der Einheitsstaat ist stets souverän. Er ist formell durch keine Schranke gebunden, i n diesem Sinne also omnipotent. Allerdings bestehen auch für ihn materielle Schranken, welche durch den Staatszweck gegeben sind. Diese Schranken w i r d eine verständige und umsichtige Staatsleitung niemals verkennen, aber es steht ihr kein äußeres Hindernis entgegen, über dieselben hinauszugehen 98 ." Die Folgerungen hieraus für das Verhältnis zwischen Staat und Untertan sind evident: „ . . . Verpflichtungen . . . , welche der Staat seinen Untertanen gegenüber übernimmt, sind für ihn keine rechtliche Schranke, da er sich stets in der Lage befindet, dieselben i m Wege der Gesetzgebung wieder zu beseitigen 99 ." Auch die wohlerworbenen Rechte der Staatsbürger stellen keine Schranke für den Souverän dar; ihre Wahrung ist nur Forderung der „Gesetzgebungspolitik" 1 0 0 . Damit ist der Punkt erreicht, an dem der Staat als absoluter Souverän in seiner Omnipotenz und Omnikompetenz sich gegenüber nur einen letztlich rechtlosen Untertanen akzeptiert: „Ist der Staat aber souverän, so ist das Individuum ein bloßer Untertan und jeder Anspruch, gegenüber dem Staat ein eigenes Recht zu fordern, ist unzulässig; denn es würde jene Souveränität zerstören 101 ." Daß die historische Wirklichkeit sich von jener theoretischen Überspitzung des Souveränitätsgedankens unterschied, braucht freilich nicht besonders betont zu werden. Die Ubereinstimmung zwischen der Stellung des Untertanen gegenüber dem von allen Schranken befreiten Souverän und der des patri97 Z u r Gegenposition vgl. Georg Jellinek, Gesetz und Verordnung, Freiburg 1887, S. 261 Anm. 1. 98 Georg Meyer / Gerhard Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 6. Aufl. Leipzig 1905, S. 22, S. 27 und S. 555. Ebenso Gerhard Anschütz, Der Ersatzanspruch aus Vermögensbeschädigungen durch rechtmäßige Handhabung der Staatsgewalt, i n : Verwaltungsarchiv, Bd. 5 (1897) S. 14 f. Vgl. auch M a x Seydel, Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, Würzburg 1873 (photomechanischer Nachdruck F r a n k f u r t — B e r l i n 1967) S. 8 ff.; M a x von Seydel, Das Staatsrecht des Königreiches Bayern ( = Handbuch des öffentlichen Rechts von Marquardsen, Bd. I I 4. Abtheilung, 2. Aufl. Freiburg—Leipzig 1894), S. 19. 99 Meyer / Anschütz, Staatsrecht, S. 22 Anm. 11. 100 Meyer / Anschütz, Staatsrecht, S. 555. So auch M a x Seydel, Grundzüge, S. 14 f., u n d das Zitat aus O. Bähr, Der Rechtsstaat, ebd. S. 9 f. 101 Dieses Zitat ist bei Ellwein, Monarchie, S. 265, ohne A u t o r und F u n d stelle angegeben.
3. Das Verhältnis von H e r r n u n d Beherrschten
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monial Beherrschten — auch innerhalb seiner Genossenschaft — gegenüber dem Patrimonialherrn bei Max Weber ist deutlich. Freilich soll damit nicht eine nur für Max Weber geltende Abhängigkeit seiner verfassungsgeschichtlichen und herrschaftssoziologischen Ansichten von den Auf fasungen der deutschen Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts behauptet werden 1 0 2 . Auch i n den Werken der Verfassungs- und Rechtsgeschichte seiner Zeit finden sich Belege, die seine Auffassung stützen. So bezeichnet H. Siegel 1 0 3 das Hofrecht, um dessen Einordnung es hier letztlich geht, zwar als Recht, aber doch nur als „läßliches" — und das heißt wohl: zur Verfügung des Herrn stehendes — Recht. Es überwiegt jedoch bei weitem die Auffassung, die das Hof recht als Vollrecht anerkennt, wenn es auch Recht für einen bestimmten Personenkreis und bestimmte Rechtsbeziehungen ist. Aus der völligen Unfreiheit und damit Rechtlosigkeit der vorfränkischen Zeit emanzipieren sich die Hintersassen: „sie werden mehr und mehr als Personen anerkannt und ihnen Rechte zugesprochen. Ein besonderer Ausdruck ihrer mittelalterlichen Rechtsstellung ist das Hofrecht und das Hofgericht, die für sie geschaffen werden. Das Hofrecht ist das in dem privaten Gericht des Grundherrn zur Anwendung gelangende Recht; aber es ist auch eben Recht: nur nach festen rechtlichen Normen werden die dem grundherrlichen Hofgericht unterworfenen Personen behandelt 1 0 4 ." Entscheidend in unserem Zusammenhang ist, daß Max Weber das Verhältnis zwischen dem Patrimonialherrn und seinen „Untertanen" nur in der A r t sehen kann, wie es durch das Verhältnis von Staat und Untertan in derjenigen Richtung der Staatsrechtslehre vorgeprägt war, der er seinen Herrschaftsbegriff entnommen hatte. Die Begrenztheit der politischen Rechte, die zu der Scheidung von patrimonialen und politischen Gewalten geführt hatte, ist hier freilich aus dem Blickfeld geraten. Aber es ist nicht erstaunlich, wenn Max Weber das eine M a l seinen Anknüpfungspunkt in der Staatsrechtslehre des frühen Positivismus etwa eines Gerber sucht und das andere Mal i m späten Positivismus. Denn beide Male geht es Weber nicht primär u m das Verhältnis von politischer Gewalt und Einzelnem, sondern um dasjenige 102 Aber schon Otto Hintze, Gesammelte Abhandlungen, 2. Aufl. Göttingen 1962 ff., Bd. I I S. 142, hat i m Zusammenhang m i t Webers Auffassung v o m Herrschaftsverband und seiner Zurückdrängung des genossenschaftlichen Elementes an M a x von Seydel erinnert. 103 Heinrich Siegel, Deutsche Rechtsgeschichte, 3. Aufl. B e r l i n 1895, S. 49. 104
Georg von Below, Probleme der Wirtschaftsgeschichte, Tübingen 1920, S. 35. Z u m jetzigen Forschungsstand vgl. den A r t i k e l Hofrecht i n : HRG., Bd. I I Sp. 213 ff. I n seiner Rechtssoziologie, S. 140 f., folgt Weber der Ansicht Andreas Heuslers und erkennt eine Wandlung der „Sonderrechte" v o m Statusrecht zu Rechten, „welche je für eine soziale oder ökonomische Sonderbeziehung galten", an. „Das Hofrecht galt für die Beziehungen grundherrlicher Höfe . . . "
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Kap. I I I : Traditionale Herrschaft
von Patrimonialherrn und Beherrschtem. Wo der Eigentumsbegriff nicht ausreicht, zieht Max Weber sich auf den Begriff der rechtsetzenden und darum nicht rechtsgebundenen Staatsgewalt zurück. Ein Widerspruch würde hierin nur liegen, wenn man eine bewußte, absichtsvolle Anlehnung Webers an eine bestimmte dogmatische Richtung annehmen wollte. So aber geht es lediglich darum, die Denkformen aufzuspüren, die Max Weber durch die wissenschaftliche Situation seiner Zeit zur Verfügung gestellt worden sind. Jedenfalls: Wer zur Rechtsetzung befugt ist, kann an das selbstgesetzte Recht nicht gebunden sein; die eigentumsgleiche Herrschaft des Patrimonialherrn w i r d nicht schon dadurch weniger absolut und entspricht nicht schon dadurch weniger der Struktur von Befehl und Gehorsam, daß der Herr seine Herrschaft in Rechtsformen bringt. 4. Feudalismus a) Das Lehenswesen Max Weber stellt dem Begriff der Hausherrschaft, die sich zum eigentlichen Patrimonialismus ausweitet und an der er den Begriff der traditionalen Herrschaft entwickelt hat, den Begriff des Feudalismus gegenüber. Die Hausherrschaft ist „patriarchaler Patrimonialismus", der Feudalismus hingegen ein Grenzfall hin zum ständischen Extrem dieser Herrschaftsform 105 . Dabei unterscheidet den Feudalismus vom Patrimonialismus vor allem der Wegfall des „weiten Bereichs der W i l l k ü r " " 1 0 6 ; er ist „Grenzfall der patrimonialen Struktur i n der Richtung der Stereotypierung und Fixierung der Beziehungen von Herren und Lehensträgern" 1 0 7 . Die Grundlage der patriarchalen und patrimonialen Herrschaft: die Pietäts- und Treuebeziehung, w i r d verrechtlicht zu einem auf Vertrag beruhenden Treueverhältnis: „Die persönliche Treuepflicht w i r d . . . aus dem Zusammenhang der allgemeinen Pietätsbeziehungen des Hauses losgelöst und auf ihrer Grundlage dann ein Kosmos von Rechten und Pflichten entfaltet . . . 1 0 8 . " I n dieser „patrimonialen" Komponente des Feudalismus w i r d eine der verfassungsgeschichtlichen Wurzeln des Lehenswesens sichtbar: „Die Ableitung der Vasallität aus einem unfreien Dienstverhältnis" 1 0 9 , äußerlich gekennzeichnet durch den Handgang (homagium), auf dem die Dienstpflicht des Lehnsträgers beruht 1 1 0 . Dieses patrimoniale Moment w i r k t frei105 ioe io? ioe
WuG., WuG., WuG., WuG.,
S. 735. S. 724. S. 724. S. 724.
109 Heinrich Mitteis, Lehnrecht u n d Staatsgewalt, Darmstadt 1958 (photomechanischer Nachdruck der ersten Auflage von 1933), S. 32.
4. Feudalismus
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lieh nur formal nach: „die ,Kommendation' ist trotz der daher entlehnten Formen keine Hingabe in die Hausgewalt 1 1 1 ." Eine andere Komponente des Feudalismus sieht Max Weber in der Veralltäglichung charismatischer Beziehungen, wobei es freilich scheint, als wolle Max Weber damit dieselbe Erscheinung — nur unter einem anderen Blickwinkel — erfassen: es kann „die feudale Treuebeziehung zwischen Herren und Vasallen auf der anderen Seite auch als Veralltäglichung eines nicht patrimonialen, sondern charismatischen Verhältnisses (der Gefolgschaft) behandelt werden . . ." 1 1 2 . Die lehnsrechtliche Erscheinung dieser Komponente ist der Treueid (fidelitas), der „ganz offenbar aus dem Gefolgschaftsrecht" stammt 1 1 3 . Seien es nun die patrimoniale oder die charismatische Wurzel des Feudalismus — gemeinsam ist ihnen in den Augen Max Webers die Verrechtlichung und damit Eingrenzung eines ursprünglich rechtsfreien absoluten Herrschaftsanspruches. Zumindest für die aus dem unfreien Dienstverhältnis entspringende Wurzel des Feudalismus t r i f f t sich Max Weber hierin mit der Charakterisierung, die Heinrich Mitteis 1 1 4 gegeben hat: „Es w i r d sich zeigen, daß ein ursprünglich einseitiges herrschaftsrechtliches Gehorsamsverhältnis umgestaltet w i r d durch das Eindringen des Begriffs der Treue zu einem gegenseitigen Vertrag zweier gleichstehender Parteien 1 1 5 ." Persönliche Treuebeziehung und Dienstpflicht stellen jedoch nur die eine Hälfte der feudalen Beziehung dar. I h r Korrelat ist das Lehen. Freilich unterfallen für Max Weber auch solche Herrschaftsbeziehungen, bei denen die persönliche Treue nicht m i t einer Lehensvergabe verno Mitteis, Lehnrecht, S. 481. i n WuG., S. 725. WuG., S. 724. Vgl. auch ebd. S. 729: „der Gefolgschaftspietät [entstammen] . . . vor allem die Normen der spezifischen w i e persönlichen Vasallentreue . . . " Die Auffassung von der Gefolgschaft als Wurzel der Vasallität geht bis auf Montesquieus „Esprit des Lois" zurück. 113 Mitteis, Lehnrecht, S. 46. Vgl. die K r i t i k dieser Theorie bei K u h n , Grenzen, S. 1 ff., besonders S. 52 ff., u n d — i h m folgend — Bosl, Frühformen, S. 160 f. 114 Mitteis, Lehnrecht, S. 14. Iis w i e w e i t Herrschaft überhaupt als einseitiges Verhältnis betrachtet werden kann, wurde schon oben, Kap. I. behandelt. Hier genügt es, festzustellen, daß die S t r u k t u r der germanischen Gefolgschaft wie auch der Gefolgschaft des gallorömischen Rechtskreises gerade i n diesem P u n k t umstritten ist, vgl. den A r t i k e l „Gefolgschaft" von K . Kroeschell, i n : HRG., Bd. I Sp. 1433 - 1437, u n d die dort angegebene Literatur. Es scheint jedoch fraglich, ob man die Gegenseitigkeit des Herrschafts- und Gefolgschaftsverhältnisses erst m i t der beginnenden Vasallität ansetzen kann, wie dies Mitteis und — i h m m i t einer mißverständlichen Verweisung auf Francois Louis Ganshof, Was ist das Lehnswesen?, 2. Aufl. Darmstadt 1967, S. 6, folgend — Erich Wyluda, Lehnrecht und Beamtentum, B e r l i n 1969, S. 16, unternehmen. Vgl. dazu auch W. Schlesinger, Randbemerkungen, S. 11 ff. 112
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Kap. I I I : Traditionale Herrschaft
bunden ist, dem Idealtypus des Feudalismus; es ist dies der freie, gefolgschaftliche Feudalismus, den Max Weber bei den japanischen Samurai und der merowingischen trustis als gegeben ansieht 116 . Der Lehensbegriff bei Max Weber ist sehr weit gefaßt und enthält i n sich „jede Verleihung von Rechten, insbesondere von Nutzungen am Grund und Boden oder von politischer Gebietsherrschaft gegen Dienste i m Krieg oder in der Verwaltung" 1 1 7 . Dieser Lehensbegriff stimmt zwar überein mit dem ebenso weiten Begriff des Benefizium, wie er in der Geschichte des Lehenswesens begegnet 118 : lassen sich doch auch Frauenhauslehen, d. h. Lehen, deren Objekt ein Bordell war, Schandesel- und Galgenlehen nachweisen 119 . Eine Eingrenzung gegenüber dem Begriff des Benefizium w i r d jedoch von Max Weber durch das funktionale Synallagma von Lehen und Kriegs- oder Verwaltungsdienst vorgenommen. Auch diese Eingrenzung vermag aber den Feudalismus als ständische Herrschaftsform noch nicht zu konstituieren: auch rein patrimoniale Beziehungen können hierunter subsumiert werden. Jede patrimoniale Herrschaftsbeziehung, die nicht allein auf leibherrlicher Grundlage beruht und bei der der Herr im Bedarfsfalle auf die kriegerischen Fähigkeiten des Belehnten zurückgreifen kann, unterfällt diesem Lehensbegriff und müßte somit auch dem Idealtypus des Feudalismus angehören 120 . Auf Grund dieses weiten Lehensbegriffes unterfallen für Max Weber auch Erscheinungen, die eigentlich dem reinen Patrimonialismus angehören, einem ebenso weiten Begriff des Lehenswesens: so die Ministerialenlehen, das frührömische precarium, die laeti des römischen Kaiserreiches, die russischen Kosaken und schließlich die Versorgung der ägytischen Soldaten durch Landvergabe. Auf dem weitgefaßten Lehensbegriff fußt auch die Klassifikation der „ i m weiteren Sinne des Worts ,feudalen' Beziehungen . . . : 1. ,leiturgischer' Feudalismus . . . 2. matrimonialer' Feudalismus, und zwar a) ,grundherrlich' . . . b) ,leibherrlich' . . . c) gentilizisch . . . 3. ,freier' ne WuG., S. 725. I i 7 WuG., S. 725; aus dieser Formulierung scheint hervorzugehen, daß M a x Weber die Unterteilung der Lehensobjekte i n Sachen u n d Rechte nicht teilt. Dazu vgl. W. Ebel, Über den Leihegedanken i n der deutschen Rechtsgeschichte, i n : Studien zum mittelalterlichen Lehnswesen, Vorträge und Forschungen Bd. V, Lindau—Konstanz 1960, S. 30. us Mitteis, Lehnrecht, S. 471, u n d Ganshof, Lehnswesen, S. 37. Ii» Vgl. Georg Michael Weber, Handbuch des i n Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg L u d w i g Böhmers, Bd. I - I V , Leipzig 1807 - 1811, hier Bd. I I S. 540 ff. Vgl. auch die Beispiele für Gewerbelehen, die W. Ebel, Leihegedanken, S. 23 f., aus diesem Handbuch gezogen hat, sowie die Aufzählung S. 14. ι 2 0 Eine Abgrenzung nach unten n i m m t Ganshof, Lehnswesen, S. 37, vor, der aus dem Begriff des Benefizium ausdrücklich die „ a n Leute aus dem Hausgesinde vergebene Leihe" ausscheidet. Daß aber auch bäuerliche G r u n d holde zur Begründung niederer Leiheverhältnisse Mannschaft und Treueid leisteten, betont Bosl, Frühformen, S. 288.
4. Feudalismus
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Feudalismus und zwar: a) ,gefolgschaftlich' . . . b) ,präbendal' . . . c) ,lehensmäßig' . . . d) ,stadtherrschaftlich' . . . W i r haben es an dieser Stelle wesentlich m i t den drei Formen des ,freien' Feudalismus zu tun und unter diesen wiederum vornehmlich m i t dem erfolgreichsten: dem okzidentalen Lehensfeudalismus, neben dem w i r die anderen Typen nur vergleichsweise in Betracht ziehen 121 ." Diese Fülle heterogener Erscheinungen innerhalb der „ i m weiteren Sinn des Worts ,feudalen' Beziehungen" fordert eine begriffliche Eingrenzung. Schon der weitere Lehensbegriff war von Max Weber nur hypothetisch formuliert worden: „Wenn unter ,Lehen' jede Verleihung von Rechten . . . gegen Dienste i m Krieg oder i n der Verwaltung verstanden w i r d . . . " 1 2 2 — als Folgerung stellt sich freilich heraus, daß dann ein wesentlich ständischer Begriff des Feudalismus nicht gewonnen werden kann, sondern auch Bereiche des patrimonialen Teiles der traditionalen Herrschaftsform unter den damit verbundenen Feudalismusbegriff fallen müssen. Die erforderliche Eingrenzung w i r d dadurch vorgenommen, daß das Merkmal der ständischen Differenzierung als weitere Begriffskomponente dem Lehensbegriff hinzugefügt wird: die Leihe muß soziale Hervorgehobenheit verursachen oder voraussetzen. Leiturgischer und patrimonialer „Feudalismus" „stehen dem eigentlichen Lehen i n der Funktion und auch in der rechtlichen Behandlung nahe, ohne doch m i t ihm identisch zu sein. Sie sind es nicht, weil es sich zwar um privilegierte Bauern, aber eben, sozial angesehen, doch um Bauern (oder doch um ,kleine Leute') handelt — um eine A r t von Lehensverhältnis zu Plebejerrecht . . . 1 2 3 . " Das eigentliche Lehenswesen w i r d von Max Weber deutlich definiert: „Echte Lehensbeziehungen i m vollen technischen Sinn bestehen 1. zwischen Mitgliedern einer sozial zwar in sich hierarchisch abgestuften aber gleichmäßig über die Masse der freien Volksgenossen gehobenen und ihr gegenüber eine Einheit bildenden Schicht, und kraft der Lehensbeziehung steht man 2. i n freiem Kontraktverhältnis und nicht in patrimonialen Abhängigkeitsbeziehungen zueinander 124 ." Diese Beschränkung des Personenkreises, innerhalb dessen Lehensbeziehungen i m technischen Sinne möglich sind, w i r d ergänzt durch eine weitere Einschränkung des Lehensbegriffes, die freilich i n der funktionalen Bestimmung des Lehens bereits angedeutet ist. Innerhalb der Typologie der Herrschaftsformen 125 w i r d unter Lehen nur „die WuG., S. 725 f. * 2 2 WuG., S. 725. 123 WuG., S. 725. Als „eine Schicht plebejischer Kriegsleheninhaber" zeichnet Weber die römischen Klienten, WuG., S. 593. *24 WuG., S. 725. ™ WuG., Erster Teil, K a p i t e l I I I § 12 b — Feudalismus.
be-
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Kap. I I I : Traditionale Herrschaft
Appropriation von Herrengewalten und Herrenrechten" 1 2 6 verstanden. Die Lehensbeziehungen enthalten somit folgende Komponenten: Herrengewalten und -rechte 1 2 7 werden gegen militärische und verwaltungsmäßige Dienste 1 2 8 an freie Leute m i t spezifisch ständischer, auf hoher sozialer Ehre beruhender 1 2 9 Lebensführung 1 3 0 appropriiert. Dabei besteht zwischen der Lehensvergabe und den geschuldeten Diensten wie auch der Treue Verpflichtung ein synallagmatisches Band; der Verzicht auf das Lehen läßt die Treueverpflichtung hinfällig werden 1 3 1 . Angesichts dieser genauen Bestimmung des Lehenswesens läßt sich sein Vorbild leicht identifizieren. Es ist dies das Lehenswesen i n Deutschland und Frankreich am Ausgang seiner klassischen Zeit im zwölften und dreizehnten Jahrhundert. Erst in dieser Zeit verfestigt sich das Band zwischen Vasallität und Benefizium 1 3 2 ; gleichzeitig führt die Übertragung der Lehre vom Rechtsgrund eines Vertrages auf das Lehensrecht 133 dazu, daß das Lehen als Gegenleistung für die Dienstund Treueverpflichtung angesehen wird. Erst seit diesem Zeitpunkt diente man „vom Lehen oder zumindest für das Lehen" 1 3 4 . Dem korrespondiert die Entwicklung, daß die ursprünglich einseitig nicht aufkündbare Beziehung zwischen Lehnsherren und Vasall 1 3 5 seit dem späten 11. oder gar erst dem 12. Jahrhundert durch Treuaufsage des Vasallen und gleichzeitigen Lehensverzicht aufgelöst werden kann 1 3 6 , 126 WuG., S. 148. 127 WuG., S. 148. ™ WuG., S. 148, S. 725. *2» WuG., S. 729. 130 WuG., S. 148. 131 WuG., S. 727. 132 Mitteis, Lehnrecht, S. 518 ff., wendet sich freilich gegen eine zwingende Verbindung beider Elemente. Zustimmend W. Ebel, Leihegedanken, S. 13. Vgl. auch Carl Stephenson, The Origin and Significance of Feudalism, i n : The American Historical Review Bd. 46 (1941), S. 798, A n m . 38. 133 Ganshof, Lehnswesen, S. 167; Mitteis, Lehnrecht, S. 129. 134 Ganshof, Lehnswesen, S. 166. Die Frage des Verhältnisses zwischen Lehen und Leistung des Lehensträgers ist umstritten. Vgl. einerseits Mitteis, Lehnrecht, S. 522 u n d S. 311, sowie ders., Der Staat des hohen Mittelalters. Grundlinien einer vergleichenden Verfassungsgeschichte des Lehnzeitalters, 8. Aufl. Weimar 1968, S. 339; andererseits aber Alfons Dopsch, Beneficialwesen und Feudalität, i n : Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung Bd. 46 (1932), S. 15, u n d E. Klebel, Territorialstaat und Lehen, i n : Studien zum mittelalterlichen Lehnswesen, Vorträge und Forschungen Bd. V, S. 197: „ . . . der Gedanke des Limitansystems der Spätantike, daß das Gut ein Entgelt für die Heeresverpflichtung ist, k a n n i n keinem der angeführten Fälle seine Bestätigung finden. Vielmehr w i r d man die Heerespflicht allein auf die i m Lehen enthaltene Treueverpflichtung zurückzuführen haben." Klebel verweist darauf, daß das Verhältnis zwischen dem Umfang der Heeresfolge und der dinglichen Grundlage des Lehens urkundlich nicht zu klären sei. 135 Ganshof, Lehnswesen, S. 103. 136 Ganshof, Lehnswesen, S. 104.
4. Feudalismus
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während — und hierauf legt Max Weber seinen Akzent 1 3 7 — umgekehrt der Lehensherr dem Vasallen wegen der „vollen lehensmäßigen Appropriation der Herrengewalten" 1 3 8 das Lehen nur i m Falle der Felonie entziehen kann 1 3 9 . Auf den gleichen Zeitpunkt i n der Entwicklung des Lehenswesens weist die von Max Weber betonte ständische Stellung der Lehensträger hin. Sie setzt die Abschließung des Kreises der möglichen Lehensträger nach außen hin voraus, die erst durch die Entstehung der Heerschildordnung i m zwölften und ihre Verfestigung durch die Darstellung in den Rechtsspiegeln des dreizehnten Jahrhunderts vorgenommen worden w a r 1 4 0 . Freilich ist hierbei zu bedenken, daß diese Fixierung eines bestimmten Zustandes in den Rechtsbüchern keinesfalls eine absolute Normierung bedeutet. Ein Verstoß gegen die Grundsätze des Lehenrechtes brachte zwar den Lehensträgern unter Umständen Nachteile ein 1 4 1 , hatte aber nicht die Unwirksamkeit der Belehnung zur Folge. Das tatsächlich geübte Lehenrecht bleibt auch nach der Entstehung der Heerschildordnung hinsichtlich des Kreises der Lehensträger nach unten hin weitgehend offen. Hier gilt, was Heinrich Mitteis i n bezug auf die in den Spiegeln als notwendig angesehene Verbindung von Vasallitätsvertrag und Bodenleihe formuliert hat: „ M i t dieser Erhebung eines qualifizierten Falles zum Normalfalle war aber das Lehnrecht zugleich dogmatisiert und i n gewissem Sinne zugleich versteinert, kanonisiert, von der lebendigen Fortbildung abgeschnitten 142 ." Der an dem Entwicklungsstand des Lehenswesens i n seiner hoch- und auch schon nachklassischen Zeit gebildete Begriff Max Webers stellt so den Brennpunkt 1 4 3 dar, i n dem die verschiedensten Entwicklungslinien aus dem Zeitstrom der Vergangenheit konvergieren und von dem aus sie divergierend i n die weitere Entwicklung der Zukunft ausstrahlen. Ein qualifizierter Fall w i r d zum Normalfall: Randerscheinungen, die unter einem anderen Gesichtspunkt durchaus m i t dem Lehenswesen hätten zusammengefaßt werden können 1 4 4 , scheiden endgültig aus der suchung. Dies gilt insbesondere für die m i t der ständischen Qualifika137 WuG., S. 149. 138 WuG., S. 146. 139 Vgl. dazu aber Mitteis, Lehnrecht, S. 677 ff., der der Felonie als Treuverletzung die Dienstverletzung als G r u n d für den Lehensverlust gegenüberstellt. 140 Zur Heerschildordnung vgl. G. M. Weber, Lehenrecht, Bd. I I I S. 50 f., und Schröder / v. Künssberg, Rechtsgeschichte, S. 431 f. 141 Mitteis, Lehnrecht, S. 438. 142 Mitteis, Lehnrecht, S. 131. 143 Schon Hintze, Abhandlungen, Bd. I I S. 144, macht auf dieses statische Moment bei Weber aufmerksam. „Die Kategorie der Entwicklung spielt i n seinen Betrachtungen nur eine untergeordnete Rolle. Sie mußte zurückgedrängt werden, wenn die Systematik klar u n d durchsichtig herauskommen und die Soziologie sich nicht i n Geschichte auflösen sollte." 144 Vgl. dazu Ebel, Leihegedanken, S. 11 ff.
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tion der Lehensträger und m i t der Rolle des Lehenswesens als politischer, gerade nicht-patrimonialer Herrschaft verbundene Problematik. Max Weber hat infolge dieser Auffassung des Lehensnexus als politischer, ständisch qualifizierter Herrschaftsform die Ministerialenlehen aus seinem „technischen" Begriff des Lehenswesens herausgenommen. I n gewisser Weise stimmt er hierin m i t der Systematik der Heerschildordnung überein. Zwar enthielt die Heerschildordnung die Ministerialen wie auch die unfreien, „einschildigen" Ritter als jeweils besonderen Schild 1 4 5 . Aber es war die dienstrechtliche Komponente, die Herkunft der Ministerialität aus der Unfreiheit der familia, die sich im Lehensrecht bei der Belehnung durch die entbehrlich erscheinende Mannschaftsleistung bemerkbar machte und infolge deren die Ministerialenlehen ursprünglich nicht als rechte Lehen behandelt wurden 1 4 6 . Der gleiche Grund führte Max Weber dazu, die Ministerialenlehen auszuscheiden. Das patrimoniale, dienstrechtliche Element schien zutiefst den Anforderungen zu widersprechen, die Max Weber an den Begriff des Lehenswesens gestellt hatte. Dabei korrespondieren einander zwei Komponenten: Ist das Lehenswesen eine Erscheinungsform politischer, nicht-patrimonialer Herrschaft, so muß es — angesichts der grundsätzlichen Eingeschränktheit des Politischen und seiner Beziehung gerade nur auf Freie — Herrschaftsverteilung unter Freien sein. Dabei besitzt Max Weber eine durchaus sozialständische Auffassung vom Wesen der Freiheit: Sie ist, wenn auch hierarchisch abgestuft, so doch Freiheit i m Sinne der Teilnahme an dem staatlichen, nicht-privaten Herrschaftszusammenhang 147 . Diese staatsbürgerliche Freiheit ist m i t privater Abhängigkeit unvereinbar: Patrimonialismus und Lehnswesen vermögen zwar Ubergänge zu bilden, sind aber prinzipiell voneinander zu trennen. Dabei ist es freilich selbstverständlich, daß patrimoniale Herrschaftsbeziehungen verlehnt werden können; die Lehensbeziehung ist politischer, die Beziehung des Belehnten zum Lehensobjekt ist dann patrimonialer Natur: „Da Grundherrschaften das normale Lehensobjekt sind, ruht jedes wirkliche Feudalgebilde auf patrimonialer Unterlage 1 4 8 ." Die andere Komponente ist diejenige der ständischen Qualifikation, die durch die Einschränkung des Lehensbegriffes auf politische Herrschaft erst ein wesentliches Begriffsmerkmal werden kann. Die Schicht der Lehensträger steht nicht nur geschlossen über der Schicht der Unfreien, sondern sieht unter sich auch noch „die Masse der freien VolksBetrachtung aus oder treten erst gar nicht in das Blickfeld der Unter145 Zur Heerschildordnung vgl. oben Anm. 140; zur Ministerialität vgl. G. M. Weber, Lehenrecht, Bd. I S. 110 ff., und Bosl, Frühformen, S. 277 ff. 146 Mitteis, Lehnrecht, S. 446. 147 Z u m Begriff der Freiheit vgl. Brunner, Neue Wege, S. 187 ff. * 4 8 WuG., S. 726.
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genossen" 149 ; sie ist ein Adelsstand. Die Ausübung staatlicher Herrschaft innerhalb des Lehensnexus setzt Gleichheit zwischen Lehnsherrn und -träger voraus, und wenn es auch die hierarchisch abgestufte Gleichheit innerhalb der einen sozialständischen Schicht gegenüber den Schichten der Freien und Unfreien ist: „die Lehensbeziehung [kann] i n voller Ausprägung nur einer Herrenschicht angehören 150 ." Der Lehenskontrakt ist für Max Weber folgerichtig eine „Verbrüderung zu (freilich) ungleichem Recht" 1 5 1 . Aus dieser Verbrüderung bezieht die Schicht der Lehensträger ihre spezifische soziale Ehre; es ist das Treueverhältnis zwischen Herrn und freiem Gefolgsmann, das den Lehensträger potentiell gleichwertig seinem Herrn gegenübertreten läßt. Freilich ergeben sich hier Schwierigkeiten hinsichtlich der Abgrenzung zwischen der Ehre und damit dem Sozialstatus der Vasallen einerseits und der Ministerialen andererseits. Das feudale Rittertum „wurde zentral durch den feudalen Ehrbegriff und dieser wieder durch die Vasallentreue des Lehensmannes bestimmt . . ." 1 5 2 . Diese ständische Ehre ist — neben der einheitlichen Stellungnahme nach innen — „durch die A r t der Beziehung zum H e r r n " 1 5 3 charakterisiert. Da diese Beziehung „stets ein extrapatrimoniales Verhältnis darstellt" 1 5 4 , ist die ständische Ehre eine Funktion der bloß politischen, nicht aber patrimonialen Beherrschung der Lehensträger. Erst diese Voraussetzung der Trennung von politischer Herrschaft über Freie und privater Herrschaft über Unfreie ermöglicht die Unterscheidung von Vasallenehre und Dienerehre — die Max Weber selbst freilich wieder aufheben muß: Patrimonial Beherrschte wie die Ministerialen sind ursprünglich nur Träger einer durch den Dienst, nicht aber durch die Treue bedingten Ehre: „Der okzidentale Ministeriale auf seiten der durch Herrengunst . . . bedingten sozialen Ehre [war] . . . Träger eines eigentümlichen, persönlichen ständischen Würdegefühls, welches die persönliche ,Ehre', nicht nur das amtsbedingte Prestige, zur Grundlage hatte. Aber bei dem Ministerialen ist es völlig offenkundig . . . , daß die innere Lebenshaltung . . . durch das okzidentale Rittertum mitbedingt w a r 1 5 5 . " i4» WuG., S. 725. 150 WuG., S. 732. 151 WuG., S. 148. 152 WuG., S. 722. 153 WuG., S. 722. 154 WuG., S. 722. Vgl. auch die Unterscheidung zwischen patrimonialer Diener- u n d Beamtenehre u n d der Vasallenehre, die Weber m i t der ständischen Stellung des Beamten begründet, WuG., S. 732. 155 WuG., S. 722. Die idealtypische Beschränkung des „hochgespannten Pflichten- und Ehrenkodex" auf den „außerhalb aller patrimonialen U n t e r ordnung stehenden freien" Lehensmann findet sich WuG., S. 727. Generell läßt sich freilich sagen, daß M a x Webers Unterscheidung i n diesem Punkt terminologisch nicht durchgehalten w i r d , vgl. WuG., S. 729 f. M i r scheint aber, daß gegenüber diesen terminologischen Unklarheiten die sachliche Differenzierung erhalten bleibt.
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Diese „Mitbedingung" hätte Max Weber darauf aufmerksam machen können, daß die von ihm getroffene Unterscheidung zwischen der Ehre des Dienstes und der Ehre der eben nicht als Dienst betrachteten Vasallität einer Überprüfung bedürftig ist. Durch die Trennung von patrimonialer und politischer Herrschaft, von Freiheit und Unfreiheit als sozialständischer Qualifikation kann Max Weber die Voraussetzungen der mittelalterlichen Freiheit, die jeweils eine konkrete Freiheit innerhalb einer konkreten Herrschaftsbeziehung ist, nicht in den Griff bekommen. Zugleich verstellt sich ihm der Blick für die enge Bezogenheit von Dienst und Freiheit, von Dienst und sozialer Qualifikation 1 5 6 . Scheidet für Max Weber die Komponente des Dienstes aus der Definition des Feudaladels aus, so ist von seinem Standpunkt aus der soziale Aufstieg vermöge des Dienstes hin zum Adel nur als Sonderfall 1 5 7 , als Übergang aus dem patrimonialen in den herrschaftlich politischen Bereich denkbar 1 5 8 . Gerade dies aber scheint eine der Hauptbedingungen der Adelsbildung gewesen zu sein 1 5 9 : „Das Rittertum ist . . . i n seiner ursprünglichen Konzeption ein Dienst, so daß der miles teils einer Gruppe zugehören muß, die kraft ihres Status den dienstverpflichteten servi zugehört, also Höriger ist, teils allein kraft des Dienstes als abhängig betrachtet werden kann 1 6 0 ." Damit soll freilich nicht ein Selbstverständnis des mittelalterlichen Adels geleugnet werden, das sich scharf gegen die Gruppe der Ministerialen abgrenzt 161 . Hier geht es jedoch weniger um die Abschließung des Adels nach unten h i n 1 6 2 , als 156 Vgl. dazu Bosl, Frühformen, S. 156 ff. 157 V g l . WuG., S. 694. 158 Die Schicht der Lehensträger muß so einer germanischen Uradelsschicht oder zumindest einer von dieser nicht allzu weit entfernten Schicht von Freien angehört haben. Den Aufstieg aus der Unfreiheit i n das R i t t e r t u m betont Arno Borst, Das R i t t e r t u m i m Hochmittelalter, i n : Saeculum Bd. 10 (1959), S. 213 ff., S. 218 ff. zumindest für Frankreich. 159 Vgl. Bosl, Frühformen, S. 156 ff., S. 166: „Neu ist Kuhns Hinweis auf die Freiheit als gestaltendes Prinzip der Gefolgschaft; ist dieses richtig, dann hat die Gefolgschaft keinen wesentlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Aufbau der adeligen Führungsschicht geleistet, da Führer u n d Gefolgsmann ebenbürtig waren." iß» R. Scheyhing, A r t i k e l „ A d e l " i n : HRG. Bd. I Sp. 48. Die enge Beziehung zwischen Königsnähe und damit Königsdienst und der Herausbildung der mittelalterlichen Adelsfamilien betont K a r l Schmid, Über die S t r u k t u r des Adels i m früheren Mittelalter, i n : Jahrbuch für fränkische Landesforschung, Bd. 19 (1959), S. 1 ff. Als lediglich letzter, aber qualitativ nicht unterschiedener „Adelsschub" stellt sich so der Aufstieg der Reichsministerialen dar. Vgl. dort S. 23. Die Rolle des Dienstes bei der Entstehung des Adels betont auch K u h n , Grenzen, S. 56 ff., S. 65 f. ιοί Dazu vgl. Hatto Kallfelz, Das Standesethos des Adels i m 10. u n d 11. Jahrhundert, Diss. phil. Würzburg 1960, S. 58, und die dort angeführten Stellen bei Lampert von Hersfeld. Vgl. auch Borst, Rittertum, S. 223. ι 6 2 Daß diese erst i m 14. Jahrhundert vorgenommen worden ist, n i m m t R. Scheyhing, A r t i k e l „ A d e l " , i n : HRG. Bd. I Sp. 50, an. Vgl. auch die Bemerkung von Klebel, Territorialstaat, S. 209: „ . . . w i r wissen j a gar nicht, wie man vor dem Durchdringen des Briefadels adelig werden konnte."
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um die grundsätzliche Trennung zwischen den Bereichen des hausherrschaftlich gebundenen, privaten Dienstes und der politischen Beherrschung von Freien m i t der sich daraus ergebenden Vasallenehre. Eine solche Unterscheidung von privater und politischer Sphäre muß sich bis in feinste Verästelungen der traditional konzipierten Herrschaftsformen hinein ausprägen: Eine Herrschaftsform, die Privates und Politisches ungeschieden i n sich vereinigt — wie die Adelswelt des Mittelalters —, kann in denjenigen Erscheinungen, i n denen die später relevant werdenden Entwicklungen noch nicht angebahnt sind, nur als Ubergangsform zwischen zwei idealtypischen Extremen angesehen werden. Die Trennung von privatem und politischem Bereich bei Max Weber beruht auf der immer wieder durchdringenden Ansicht von der Einheitlichkeit der Staatsgewalt innerhalb des Komplexes von Staat und Erwerbsgesellschaft. I m einzelnen w i r d dies deutlicher, wenn Max Weber die Auswirkungen des Feudalismus auf die Herrschaftsstruktur beschreibt. Dabei zeigt sich auch, daß sein Feudalismusbegriff weitgehend von der Feudalismus-Diskussion des 18. und 19. Jahrhunderts beeinflußt worden ist 1 6 3 . Der Feudalismus ist aus der Sicht einer Zeit, die nur mehr eine einheitliche Staatsgewalt kennt und sich dieser zu bedienen weiß, um die alten, nur mehr noch als privat verstehbaren Abhängigkeiten zu lösen, die Dezentralisation der Herrschaftsgewalt innerhalb eines ursprünglich einheitlichen politischen Verbandes. Staatliche Gewalten und Rechte werden durch Private usurpiert; die bereits erfolgte Usurpation w i r d i m besten Falle nachträglich durch Privileg legitimiert. „ . . . der politische Verband ist völlig ersetzt durch ein System rein persönlicher Treuebeziehungen .. . 1 6 4 . " Dabei w i r d die einheitliche Herrschaftsgewalt innerhalb des Verbandes nicht nur begrifflich vorausgesetzt, sondern auch historisch: „ . . . der einzige Rest der alten unmittelbaren verbandsmäßigen Herrengewalt ist der fast stets bestehende Grundsatz: daß dem Lehensherren die Herren-, vor allem: die Gerichtsgewalten, zustehen, da, wo er gerade weilt 165." So wie die traditionale Herrschaft sich generell als ein Defizit an Rationalität gegenüber neuzeitlich-okzidentalen Herrschaftsformen darstellt und von dorther bestimmt wird, so stellt sich i m besonderen Falle der Feudalismus als Defizit an zentralisierter Staatlichkeit dar: Das lß 3 Z u m Feudalismusbegriff besonders Brunner, Neue Wege, S. 128 ff., und die kurze Zusammenfassung i n : Handwörterbuch der Sozialwissenschaf ten, Bd. I I I , Stuttgart 1961, S. 509. Vgl. auch Stephenson, The Origin, S. 788 - 812. Stephenson gibt einen guten Überblick über den Verlauf der wissenschaftlichen Diskussion von Montesquieu bis zu Heinrich Brunner u n d Guilhiermoz, verzichtet aber darauf, die Leitbilder, die hinter den jeweiligen Standpunkten verborgen sind, näher zu untersuchen. ιβ4 WuG., S. 149. ics WuG., S. 149.
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voll entwickelte Feudalsystem ist die „weitestgehende Form systematischer Dezentralisation der Herrschaft" 1 6 6 . Bei dem Begriff des Feudalstaates oder — bei Max Weber — des Feudalismus als Herrschaftsstruktur „ w i r d der Begriff der innerstaatlichen Souveränität, der einheitlichen Staatsgewalt, des ,Monopols der legitimen Gewalt' (Max Weber), des ,Rechtsmonopols der staatlichen Gesetzgebung' als zum Wesen des Staates gehörig vorausgesetzt. Sie ist auch i m Feudalstaat da, nur ,zerstüekelt'" 167 . Diese „Zerstückelung" drückt sich bei Max Weber darin aus, daß der Feudalismus für ihn Gewaltenteilung bedeutet: „ N u r nicht, wie diejenige Montesquieus, eine arbeitsteilig-qualitative, sondern eine einfach quantitative Teilung der Herrenmacht 1 6 8 ." b) Feudalismus und Ständestaat Hier w i r d auch das besondere Interesse deutlich, das Max Weber wohl zu der Wahl des Lehenswesens gerade i m 12. und 13. Jahrhundert als Objekt seiner herrschaftssoziologischen Betrachtung geführt hat. Die Institutionalisierung und Verfestigung des Lehenswesens — korrespondierend m i t dem Aufbau einer durchgehenden ständischen Ordnung — legte die Entwicklungslinien für den Aufbau des modernen Staates fest. Der i n diesem Zeitpunkt beginnende Ausbau der Landesherrschaften erfolgte in der Auseinandersetzung m i t den Ständen. Von erheblicher Bedeutung ist dabei — gerade für Max Webers an der Bürokratie orientierte Betrachtungsweise 169 — die Verwaltung und das Beamtentum. Für Max Weber stellte nun aber das Lehenswesen eine Form dezentralisierter Verwaltung dar: „ F ü r die Lokal Verwaltung also gab der Lehensverband den lokalen Amtsträgern i m Effekt eine erbliche Appropriation und Verbürgtheit ihrer Herrschaftsrechte, für die Zentralverwaltung aber stellte er dem Herren keine kontinuierlich verwertbaren Arbeitskräfte zur Verfügung .. . 1 7 0 . " I n aller Schärfe zeigt sich hier, wie sehr Max Weber den mittelalterlichen Herrschaftsverband als Verwaltungseinheit neuzeitlichen Gepräges gesehen und von da aus bestimmt hat. Webers Einsicht in die gegensätzlichen Interessen des Herrn und der Lehensträger führt ihn freilich nicht dazu, die Bedeutung der ständischen Korporationen für die Entstehung der neuzeitlichen Repräsentationsverfassungen in den Blick zu bekommen, wie dies bei den teilweise an Weber orientierten Untersuchungen Otto Hintzes über die Typologie der ständischen Verfassungen und die welt166 WuG., S. 730. 167 Brunner, Neue Wege, S. 136. 168 WuG., S. 733. 169
Brunner, Neue Wege, S. 155. 170 WuG., S. 735.
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geschichtlichen Bedingungen der Repräsentativverfassung 171 der Fall war. Zwar besteht eine primitive Vorstufe des Staatsvertragsgedankens, der für Weber zum Konstitutionalismus führt. Aber es ist noch ein Vertrag „zwischen dem Herrn und den Trägern der von ihm abgeleiteten Gewalt", ohne daß die Unterwerfung der jeweils paktierenden Beherrschten oder ihrer Repräsentanten „als Quelle des Rechtes des Herrn gedacht w i r d " 1 7 2 . Und wenn der Ständestaat behandelt wird, so nicht auch unter dem Gesichtspunkt der altständischen Freiheitsrechte 173 , sondern nur i m Hinblick auf die Anforderungen der Verwaltung. „Der Ständestaat entstand, nachdem einmal die Zusammenfassung der Lehensträger zu einer Rechtsgenossenschaft vorhanden war, aus sehr verschiedenen Anlässen, dem Schwerpunkt nach aber als eine Form der Anpassung der stereotypierten und daher unelastischen Lehen- und Privilegiengebilde an ungewöhnliche oder neu entstehende Verwaltungsnotwendigkeiten 1 7 4 ." Dabei fällt auf, daß die Wurzel des ständestaatlichen Dualismus zwischen Landesherrn und Landständen hier i n der Rechtsgenossenschaft der Lehensträger gesehen w i r d 1 7 5 . Außer acht bleibt, daß die Landstände zwar zum Teil aus Lehensträgern bestehen, daß in ihnen aber jeder Träger eigenständiger Herrschaftsrechte seinen Sitz hat. Nicht die lehensrechtliche, sondern die landrechtliche Qualifikation ist maßgebend: „Der Besitz eines solchen landesunmittelbaren Hauses ist Voraussetzung der Landesstandschaft . . , 1 7 6 . " Entsprechend der geringen Bedeutung, die das Lehensrecht i n manchen Fällen für den Ausbau der Landeshoheit besaß, war auch die Landstandschaft nicht an eine Lehensbeziehung zum Landesherrn geknüpft 1 7 7 . Das Bern Hintze, Abhandlungen, Bd. I, S. 120 ff., S. 140 ff. 172 WuG., S. 733. 173 Dazu vgl. Brunner, Neue Wege, S. 187 ff.; Dietrich Gerhard, Regionalismus und ständisches Wesen als Grundthema europäischer Geschichte, i n : H. Kämpf, Herrschaft u n d Staat, S. 332 ff. ; K u r t v. Raumer, Absoluter Staat, korporative Libertät, persönliche Freiheit, i n : H. H. Hof mann, Die E n t stehung des modernen souveränen Staates, S. 173 ff. 174 WuG., S. 736. 1 7 5 So auch WuG., S. 151: Das „Ringen des H e r r n m i t dem lehensmäßigen Verwaltungsstab — welches i m Okzident . . . vielfach zusammenfällt, j a teilweise identisch ist m i t seinem Ringen gegen die Macht der StändeKorporationen ...". 176 Brunner, L a n d u n d Herrschaft, S. 412. 177 Z u r Bedeutung des Lehenswesens für die Landesherrschaft vgl. B r u n ner, L a n d und Herrschaft, S. 370, u n d Klebel, Territorialstaat, S. 222: „Lehenhoheit muß nicht Landeshoheit zur Folge haben . . . " Vgl. auch Hintze, Abhandlungen, Bd. I, S. 133. Den Unterschied zwischen Lehenskurie u n d Landständen betont schon Georg von Below, System und Bedeutung der landständischen Verfassung, i n : ders., T e r r i t o r i u m und Stadt, Historische Bibliothek Bd. 11 (1900), S. 163 - 282, hier S. 168 f.; ein genetisches Verhältnis zwischen beiden Institutionen n i m m t Mitteis, Staat, S. 361 u. 434, an. 9 Speer
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stehen eigenständiger, autogener Herrschaftsrechte 178 kann aber für eine Staatsanschauung, die i m Lehensstaat nur die Dezentralisation staatlicher Herrschaftsrechte sieht und somit eine einheitliche Staatsgewalt neuzeitlicher Prägung voraussetzt, nicht relevant werden. Tauchen Herrschaftsrechte auf, die nicht in den Delegationszusammenhang des Lehens- oder Amtsrechtes verwiesen werden können 1 7 9 , so handelt es sich um Usurpationen von Teilen der Staatsgewalt, deren nachträgliche Legitimierung durch Privileg erfolgt 1 8 0 . Unter diesem Gesichtspunkt w i r d auch eine Erscheinung wie der mittelalterliche Herrschaftsvertrag betrachtet, der als Vertrag jeweils eigenberechtigter Herrschaftsträger innerhalb einer sie alle übergreifenden Ordnung 1 8 1 weder als Staatsvertrag i m Sinne der Naturrechtslehren — und dies betont freilich auch Max Weber 1 8 2 — noch aber als Vertrag zwischen Herren und „Beliehenen" zutreffend beschrieben wird. Nahezu selbstverständlich ist es angesichts dieser grundsätzlichen und überall durchscheinenden Auffassung von dem Wesen des mittelalterlichen Herrschaftsverbandes, daß die Landstände von Max Weber i n dem Abschnitt über die Repräsentation abgehandelt werden. Zwar ist die „ständische (eigenrechtliche) Repräsentation" „insofern nicht »Repräsentation 4, als sie primär als Vertretung und Geltendmachung lediglich eigner (appropriierter) Rechte (Privilegien) angesehen w i r d " 1 8 3 . Damit scheint ein wesentliches Merkmal der Stellung der Landstände erfaßt zu sein. Denn sie sind eben nicht „Vertreter", „Repräsentanten" eines einheitlichen Staatsvolks — gleich, worauf deren Stellung nun immer beruhen mag. Als Herrschaftsträger handeln sie m i t dem Landesherrn zusammen i n Ausübung ihrer eigenen Herrschaftsrechte; erst das Zusammenwirken von Landesherrn und Landständen macht das „Land" aus. „Aber sie hat insofern Repräsentationscharakter (und w i r d daher gelegentlich auch als solche angesehen), als die Rückwirkung der Zustimmung zu einem ständischen Rezeß über die Person des Privileginhabers hinaus auf die nichtprivilegierten Schichten, nicht nur der Hintersassen, sondern auch anderer, nicht durch Privileg stän178 Bei der „Eigenberechtigung" der okzidentalen Patrimonialherren handelt es sich für M a x Weber der Sache nach u m „private", patrimoniale Herrschaft, bei der der Patrimonialherr „als ein Grundherr neben u n d über anderen Grundherren steht", WuG., S. 713. 179 Die Begriffe des Lehens u n d des Amtes stellen als Herrschaftsformen des politisch- und des privat(patrimonialen)-traditionalen Bereiches K o m plementärbegriffe dar. Ihre Kombination scheint den Gesamtbereich m i t t e l alterlicher Herrschaftsformen — m i t Ausnahme der Stadtherrschaft — zu erfassen. Z u m patrimonialen A m t vgl. WuG., S. 695 ff. !80 So auch sehr deutlich Hintze, Abhandlungen, Bd. I, S. 147. lei Brunner, L a n d u n d Herrschaft, S. 357 f. u n d S. 427. iss WuG., S. 733. 3 WuG., S. 7 .
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disch B e r e c h t i g t e r , w i r k t , i n d e m ganz r e g e l m ä ß i g d e r e n Gebundenheit d u r c h die A b m a c h u n g e n der P r i v i l e g i e r t e n als s e l b s t v e r s t ä n d l i c h vorausgesetzt oder a u s d r ü c k l i c h i n A n s p r u c h g e n o m m e n w i r d 1 8 4 . " Z w e i heterogene E l e m e n t e s i n d i n diesem R e p r ä s e n t a t i o n s t y p u s v e r b u n d e n : das H a n d e l n i n A u s ü b u n g eigener Rechte u n d W a h r n e h m u n g eigener Interessen e i n e r s e i t s 1 8 5 w i e andererseits d i e W i r k u n g f ü r andere, n i c h t u n m i t t e l b a r B e t e i l i g t e 1 8 6 . Daß diese V e r t r e t u n g s w i r k u n g d e r L a n d stände n i c h t d e n historischen G e g e b e n h e i t e n entspricht, h a t die F o r schung d e r l e t z t e n J a h r z e h n t e g e z e i g t 1 8 7 : D i e W i r k u n g d e r ständischen Rezesse ist b e s c h r ä n k t a u f die nach d e m L a n d r e c h t a n i h n e n b e t e i l i g t e n L a n d s t ä n d e . W e d e r g e l t e n sie u n m i t t e l b a r f ü r das K a m m e r g u t des L a n d e s h e r r n 1 8 8 , noch g e l t e n beispielsweise die L a n d f r i e d e n u n m i t t e l b a r ohne die f ü r i h r e G e l t u n g k o n s t i t u t i v e E i d e s l e i s t u n g 1 8 9 oder erstreckt sich d i e V e r b i n d l i c h k e i t d e r Reichstagsbeschlüsse auch a u f abwesende Reichsstände190. N o c h e i n w e i t e r e r P u n k t b e k r ä f t i g t die A n s i c h t , M a x W e b e r habe d e n H e r r s c h a f t s a u f b a u des M i t t e l a l t e r s l e d i g l i c h als staatliche O r d 184 WuG., S. 172. M a x Weber folgt damit der zu seiner Zeit herrschenden Ansicht von dem Repräsentationscharakter der Landstände. Vgl. v. Below, System, S. 246 f. Gegen die Bindungswirkung landständischer Rezesse damals Fr. Tezner, Die landesfürstliche Verwaltungsrechtspflege i n Österreich vom Ausgang des 15. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Heft 2, Wien 1902, S. 46 ff. 185 H a r t w i g Brandt, Landständische Repräsentation i m deutschen Vormärz, Neuwied—Berlin 1968, S. 62, A n m . 58, setzt den Repräsentationsbegriff C. L. von Hallers m i t dem der ständisch-eigenrechtlichen Repräsentation bei Weber gleich. Er übersieht dabei freilich, daß es nur das über das Eigenrechtliche hinausschießende Moment der Bindungswirkung ist, das für M a x Weber konstituierend für den Repräsentationsbegriff ist. 186 I n anderem Zusammenhang (Rechtssoziologie, S. 145 f. = WuG., S. 437 f., wobei dort auf S. 438, erste Zeile, das entscheidende „nicht" fehlt) betont M a x Weber für das frühe mittelalterliche Recht „die überall urwüchsige Vorstellung: daß ein Beschluß n u r den binde, der daran teilgenommen u n d sich i h m angeschlossen habe, daß also Einstimmigkeit erforderlich sei . . . " Die Übertragung dieser Erkenntnis auf die ständischen Rezesse hätte den Repräsentationscharakter der Stände i n Frage stellen müssen. 187 Vgl. Brunner, L a n d und Herrschaft, S. 414 ff., u n d Quaritsch, Staat, S. 185 ff., jeweils m i t weiteren Nachweisen. 188 Quaritsch, Staat, S. 187. Erst über die Person des Landesherrn w i r d das Kammergut einbezogen. Wenn man schon von „Vertretung" sprechen w i l l , so n u r i n bezug auf Landesherrn u n d Landstände gemeinsam. Das aber ist etwas grundsätzlich anderes als der von M a x Weber gemeinte Begriff der Repräsentation. 18 » Ebel, Gesetzgebung, S. 47, für die Landfrieden: Der „Satzungscharakter begründete aber auch die besondere Notlage des neuen Rechts: es konnte allgemeine Geltung n u r haben, wenn auch alle sich i h m eidlich unterworfen hatten." Vgl. auch Krause, Dauer, S. 226. N u r deklaratorische W i r k u n g m i ß t der Eidesleistung zu Joachim Gernhuber, Die Landfriedensbewegung i n Deutschland bis zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235 ( = Bonner rechtswissenschaftliche Abhandlungen Heft 44), Bonn 1952, S. 77 uö. 190 Robert Scheyhing, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, K ö l n — Berlin 1968, S. 33. 9"
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nung zu sehen vermocht: Weber setzt eine einheitliche Rechtsordnung voraus, der alle „Staatsbürger" unterstehen. Heben sich einige Bürger durch ständische Qualifikation aus der Masse der Staatsbürger heraus, so kann dies nur eine Folge von Privilegierungen sein. Gegenüber einer Rechtsordnung, die international auf die Gleichheit aller ausgerichtet zu sein scheint, kann eine ständische Gliederung nur durch eine Sondernorm, das Privileg, hervorgerufen werden. Die ständischen Körperschaften sind demgemäß Privilegienkörperschaften 191 . Dadurch bestätigt sich, daß Max Weber von einer einheitlichen Rechtsordnung im Sinne des objektiven Rechts und von einer einheitlichen Staatsgewalt ausgeht. R. Scheyhing 192 hat zu Recht betont: „Die Landstände sind von der Theorie des 18. Jahrhunderts als Privilegienkörperschaften verstanden worden, eine Deutung, die auch heute noch vertreten wird. Man kann diesen Aussagen für das späte Mittelalter zustimmen, wenn man die hier angesprochene Privilegierung nicht allzu betont im Sinne von Vorrechten versteht, was ja die Vorstellung einer ,Normalrechtslage' des Untertanen als Vergleichsmaßstab voraussetzt, die man für das späte Mittelalter nicht als gegeben ansehen kann." Gerade dieses Verständnis von „Privileg" i m Sinne von „Vorrecht" gegenüber einer allgemeinen Rechtslage findet sich jedoch bei Max Weber 1 9 3 . Freilich ist dies nicht so zu verstehen, daß Max Weber expressis verbis von der Existenz einer einheitlichen, objektiven Rechtsordnung im Mittelalter gesprochen und die Privilegien als i n diese eingebettete subjektive Rechte angesehen hätte. Der Unterschied zwischen Rechtsschöpfung und Rechtsfindung wie auch „die Rechtsnorm sowohl wie das subjektive Recht auf ihre »Anwendung' [fehlt] . . . auch da, wo das objektive Recht als subjektives ,Privileg' gilt und also der Gedanke einer ,Anwendung' objektiver Rechtsnormen als der Grundlagen der subjektiven Rechtsansprüche nicht konzipiert i s t " 1 9 4 . Bei genauerer Betrachtung der Ausführungen Max Webers über derart gestaltete 191 WuG., S. 172. M a x Weber setzt den Akzent freilich mehr auf die Eigenberechtigung der Stände als auf ihre ständische Privilegierung, WuG., S. 137. Dabei darf der Begriff der Eigenberechtigung freilich nicht i m Sinne von Unabgeleitetheit verstanden werden. Eigenständige Rechte sind für M a x Weber immer entweder durch Usurpation und nachträgliche Privilegierung oder durch Privilegierung u n d darauffolgende Appropriation entstanden. 192 Scheyhing, Verfassungsgeschichte, S. 27. 193 Felix Rachfahl, Waren die Landstände eine Landesvertretung? i n : Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, V e r w a l t u n g u n d Volkswirtschaft i m Deutschen Reich, 40. Jg. (1916), S. 1141 - 1180, hier S. 1161 f., betont: „ . . . nicht qua Summe der Grundobrigkeiten v e r t r i t t der A d e l seine h i n t e r sässigen Bauern, sondern auf G r u n d landesherrlicher Privilegien . . . " u n d meint, die Vertretung sei „Vollmacht als eine private Berechtigung . . . " . Auch Mitteis, Staat, S. 360, spricht i n dem Zusammenhang von „privilegierten Klassen". ι 9 * WuG., S. 393; vgl. auch WuG., S. 745.
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Rechtsordnungen und das Wesen der Privilegien zeigt sich jedoch, daß trotz dieses — vordergründig betrachtet — sachadäquaten Sprachgebrauches 195 unterschwellig die Konzeption einer objektiven Rechtsordnung und der aus ihr entspringenden subjektiven Rechte lebendig ist. Die Funktion des objektiven Rechts als Quelle der subjektiven Rechte w i r d von Max Weber in der politischen Macht des Fürsten wiedergefunden: „ . . . die Rechtsschöpfung [vollzieht sich] . . . in der Art, daß der Fürst, dessen eigene politische Macht als ein von ihm legitim erworbenes subjektives Recht gilt in der gleichen Art, wie irgendwelche gewöhnlichen Vermögensrechte, von dieser Machtfülle etwas abveräußert, indem er anderen . . . unter seiner Garantie ebenfalls subjektive Rechte (Privilegien) verleiht, deren Existenz dann von der fürstlichen Rechtspflege respektiert wird. Soweit dies der Fall ist, fallen dann ,objektives' und ,subjektives' Recht, ,Norm' und ,Anspruch' in der A r t in eins, daß die Rechtsordnung — denkt man sich den Zustand in seine letzten Konsequenzen aus — den Charakter eines Bündels von lauter Privilegien annehmen müßte 1 9 6 ." Scheint diese letztere Schilderung auch — wenn man den Terminus „Privilegien" durch denjenigen der „Einzelrechte" ersetzt 197 und den gegenseitigen Bezug aller Rechte mitdenkt, wie dies durch Max Weber geschehen ist 1 9 8 — einigermaßen zutreffend den mittelalterlichen Rechtszustand zu beschreiben, so darf darüber doch nicht vergessen werden, daß bei Max Weber über diesem „Bündel von lauter Privilegien", von subjektiven Rechten das überragende subjektive Recht des Fürsten an der politischen Macht steht. I n ihm als der Quelle aller anderen subjektiven Rechte hat Max Weber eine A r t von Grundnorm des mittelalterlichen Rechts gedacht. c) „Feudalismus"
als Idealtypus
Faßt man den Begriff des „Feudalismus" bei Max Weber näher ins Auge, so fällt auf, daß er als Begriff nirgends explizit entwickelt worden ist. Zwar spricht Weber von „ i m weiteren Sinne des Wortes ,feu195 v g l . Krause, Dauer, S. 210: „ . . . man darf nicht vergessen, daß ein Privileg i m Mittelalter einen Hoheitsakt darstellt, der objektives Recht schafft" und die Modifikation: Krause, Königtum, S. 22: „Subjektive Berechtigung einer Person und objektiv geltendes, einen größeren oder kleineren Kreis ergreifendes Recht liegen ungeschieden ineinander." 196 WuG., S. 484; vgl. auch WuG., S. 735, wo „die dem Fürsten verliehene Macht als dessen persönliches, durch die Lehens- u n d sonstigen Gewaltträger anzuerkennendes und zu verbürgendes ,Privileg' als seine ,Prärogative'" gilt. Diese Formulierung übernimmt dann nahezu wörtlich Hintze, Abhandlungen, Bd. I, S. 123. 197 Scheyhing, Verfassungsgeschichte, S. 12: Es „erscheint also ,das Recht' i m wesentlichen als eine Summierung von Rechten". S. 15: „ . . . Auffassung des Rechts als einer Summe von Einzelrechten." 198 Vgl. oben Anm. 196, und Scheyhing, Verfassungsgeschichte, S. 12 f.
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dalen' Beziehungen" 199 und klassifiziert diese so, daß die drei Haupttypen des leiturgischen, patrimonialen und freien Feudalismus m i t ihren sieben Unterabteilungen entstehen. Dies ist teilweise als die Aufstellung von Idealtypen gewertet worden 2 0 0 . A n anderer, zeitlich späterer Stelle jedoch 201 grenzt Max Weber diesen weiten, auf dem untechnischen Lehensbegriff beruhenden Begriff von Feudalismus selbst ausdrücklich ein. Nur der Lehens- und der Pfründenfeudalismus tragen zu Recht die Bezeichnung „Feudalismus": „Alle anderen, Feudalismus' genannten, Formen von Verleihung von Dienstland gegen Militärleistungen sind in Wirklichkeit patrimonialen (ministerialischen) Charakters .. . 2 0 2 . " Und erst recht wendet Max Weber sich gegen eine noch weitere Fassung des Feudalismus-Begriffes: „ I m weitesten Sinn pflegt man alle ständisch-privilegierten militaristischen Schichten, Institutionen und Konventionen ,feudal' zu nennen. Dies soll hier als ganz unpräzis vermieden werden 2 0 3 ." Die Beschränkung auf den Lehens- und Pfründenfeudalismus findet sich auch in der ebenfalls nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Vorlesung Webers über Wirtschaftsgeschichte 204 : „Es [d. Feudalsystem] findet sich in zwei Formen, indem die Herrengewalt entweder als Pfründe oder als Lehen vergeben wird." Es steht außer Zweifel, daß beide Formen des Feudalismus von Max Weber als Idealtypen konzipiert worden sind. Bei der Behandlung des Verhältnisses von Idealtypus und Geschichte 205 führt Max Weber die Begriffe „feudal" und „patrimonial" paradigmatisch an, um dann fortzufahren: „Damit m i t diesen Worten etwas Eindeutiges gemeint sei, muß die Soziologie ihrerseits ,reine' (,Ideal'-)Typen von Gebilden jener A r t entwerfen, welche je in sich die konsequente Einheit möglichst vollständiger Sinnadäquanz zeigen, eben deshalb aber i n dieser absolut idealen reinen Form vielleicht ebensowenig je i n der Realität auftreten, wie eine physikalische Reaktion, die unter Voraussetzung eines absolut leeren Raums errechnet worden ist." Die Konstruktion des (Lehens-)Feudalismus als Idealtypus ergibt sich auch aus seiner Definit i o n 2 0 6 : „Lehensmäßige Verwaltung (Lehens-Feudalismus) bedeutet bei voller — in dieser absoluten Reinheit ebensowenig wie der reine Patrimonialismus jemals zu beobachtender — Durchführung . . . " Wenn der Begriff des Lehensfeudalismus von Max Weber aber als Idealtypus 199 WuG., S. 725. So zumindest dürfte Bendix, M a x Weber, S. 282, zu verstehen sein. 201 WuG., S. 148 ff.; vgl. zum Aufbau des Werkes u n d seiner Entstehung Johannes Winckelmann, M a x Webers Opus Posthumum, i n : ZfgesStW. Bd. 105 (1949), S. 368 ff. 2 2 WuG., S. 148. 203 WuG., S. 153. 2 °4 Wg., S. 69. 205 WuG., S. 10. 206 WuG., S. 149; vgl. auch WuG., S. 150. 200
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konzipiert worden ist, so muß er sowohl i n seiner Konstruktion als auch in seiner Anwendung den Anforderungen entsprechen, die Max Weber an die idealtypische Begriffsbildung und -Verwendung gestellt hat. Die idealtypische Begriffsbildung arbeitet m i t dem Material, das die geschichtliche Wirklichkeit zu liefern imstande ist 2 0 7 . Aus diesem Material w i r d der Idealtypus „gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbilde. I n seiner begrifflichen Reinheit ist dieses Gedankenbild nirgends in der Wirklichkeit empirisch vorfindbar, es ist eine Utopie . . . 2 0 8 . " Wendet man diese Grundsätze auf den Idealtypus des Lehensfeudalismus an, so stellt sich die Frage, welche der i n ihm enthaltenen Komponenten einseitig gesteigert ist und wodurch der Typus des okzidentalen Lehensfeudalismus zu einem utopischen Gedankenbilde wird. Es wurde oben gezeigt, daß Max Webers Begriff eines Lehensfeudalismus genau dem dogmatisierten Stand des europäischen Lehenswesens zur Zeit seiner Hochblüte entspricht. Jedes der wesentlichen Merkmale dieser historischen Erscheinung ist in Max Webers Begriff einbezogen worden 2 0 9 . Die einseitige Steigerung, die aus der historischen Institution des Lehenswesens einen Idealtypus zu gestalten vermöchte, kann — wenn überhaupt — angesichts der Ubereinstimmung von geschichtlichem Material und den Merkmalen des Typus nur noch die Generalisierung 210 des Lehenswesens als Herrschaftsform sein. Der Begriff des Lehenswesens scheint dort zum Idealtypus zu werden, wo die Struktur des Herrschaftsverbandes allein durch das Lehenswesen bestimmt w i r d 2 1 1 . Durch diese Generalisierung scheint zumindest 2
07 WuG., S. 9. 8 WL., S. 191. 209 Daran ändert die oben an dem Feudalismus-Begriff vorgebrachte K r i t i k nichts. Daß M a x Weber sich bei seiner Schilderung des Lehenswesens an das V o r b i l d des Lehenswesens i m Europa des 12. u n d 13. Jahrhunderts halten wollte, ist deutlich genug. Daß i h m dies nicht u n d w a r u m i h m dies nicht gelungen ist, ist eine andere Frage. 210 Janoska-Bendl, Methodologische Aspekte, S. 38, betont, daß M a x Weber unter „gedanklicher Steigerung" „ w o h l das i m Auge [hatl, was er später ,Isolierung und Generalisierung 4 nennt". Diese Auffassung bewahrt zwar die heuristische F u n k t i o n des Idealtypus, läuft aber Gefahr, seinen I r r e a l i tätscharakter zu vernachlässigen. 211 Dies zeigt sich daran, daß M a x Weber i n seiner Definition n u r quantitative Generalisierungen v o r n i m m t : „ A l l e Herrengewalt reduziert sich . . . der politische Verband ist völlig ersetzt . . . " , WuG., S. 149. U n d : „die w i r k l i c h idealtypische lehensmäßige V e r w a l t u n g [ist] nirgends durchgesetzt worden", WuG., S. 150, eben w e i l die Herrengewalt idealtypisch als auf die M i t t e l des Lehenswesens beschränkt gedacht w i r d . 2
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formal die Anforderung an die idealtypische Begriffsbildung erfüllt zu sein. Es fragt sich jedoch, ob die bloße quantitative Steigerung eines der innerhalb eines komplexen Herrschaftsverbandes auftretenden Herrschaftsmittel geeignet ist, die Funktion der idealtypischen Begriffsbildung zu übernehmen. „ I n allen Fällen, rationalen wie irrationalen, entfernt sie [d. h. die sich der Idealtypen bedienende Soziologie] sich von der Wirklichkeit und dient der Erkenntnis dieser in der Form: daß durch Angabe des Maßes der Annäherung einer historischen Erscheinung an einen oder mehrere dieser Begriffe diese eingeordnet werden kann 2 1 2 ." M i t Hilfe eines Idealtypus des Lehensfeudalismus müßte somit i n einem konkreten Einzelfall gesagt werden können, was daran dem Idealtypus entspricht. Hier aber w i r d die Funktion des lediglich durch quantitative Steigerung und Verallgemeinerung gewonnenen „Idealtypus" problematisch. Die Einzelmerkmale, die der Idealtypus in sich enthält, sind alle der historischen Wirklichkeit entnommen und lassen sich demzufolge an allen Erscheinungen, die dieser konkreten historischen Wirklichkeit angehören, wieder auffinden. Es ist dies die gleiche Erscheinung, die Carlo A n t o n i 2 1 3 für Webers Auffassung vom mittelalterlichen Stadtbürgertum festgestellt hat: „Der ,Idealtypus' des Bürgertums, wie er an der handwerklichen und kaufmännischen Bevölkerung der mittelalterlichen Städte Nordeuropas festgestellt ist, gilt nur für diese Bevölkerung i n ihrer geschichtlichen Besonderheit; er ist nicht ideal, sondern geschichtlich. Und damit löst sich die Soziologie vollständig i n Geschichte auf." Jeder Einzelfall aus der Geschichte des europäischen Mittelalters, der für die Anwendung der idealtypischen Methode i m Hinblick auf den Typus „Feudalismus" in Frage käme, wäre bereits dadurch als „feudal" in einem idealtypischen Sinne gekennzeichnet, daß er dem institutionalisierten Lehenswesen entstammen würde. Der Idealtypus des Lehensfeudalismus kann i m europäischen Mittelalter nichts anderes erfassen, als was seinem Begriff genau entspricht. Freilich ließe sich feststellen, was an einer bestimmten Herrschaftsstruktur „feudal" und was „patrimonial" ist. Aber zu dieser Feststellung bedarf es keines Idealtypus; es ergibt sich jeweils aus dem vorliegenden Quellenmaterial, das den Institutionen des Lehenswesens eingeordnet werden kann oder nicht. Der Idealtypus ist freilich für Max Weber ein M i t t e l zur gedanklichen Bewältigung der Wirklichkeit. Dies ist er deshalb, weil die Wirklichkeit in sich ungeordnet und chaotisch ist; die Wirklichkeit be212 WuG., S. 10. 213 Carlo Antoni, V o m Historismus zur Soziologie, Stuttgart 1950, S. 248.
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darf der Begriffe, u m erst erfaßbar und verstehbar zu werden 2 1 4 . Abgesehen davon, daß dieser Wirklichkeitsbegriff in sich problematisch ist 2 1 5 , vernachlässigt Max Weber die Möglichkeit einer Vorstrukturierung der Wirklichkeit vor aller wissenschaftlichen Begriffsbildung. Die historische Realität, die m i t dem Terminus „Feudalismus" oder „Lehenswesen" erfaßt wird, ist in sich bereits geordnet. Das Lehenswesen als Erscheinung des Rechtslebens hat die unendlich vielen Komponenten der geschichtlichen Wirklichkeit — soweit sie i n irgendeinem Zusammenhang m i t ihm stehen — bereits geformt. Gegenüber einer solchen in sich schon strukturierten Wirklichkeit aber verfehlt die idealtypische Methode ihren Gegenstand: Dient sie der Erkenntnis ihres Gegenstandes, so w i r d sie dort überflüssig, wo der Gegenstand in sich selbst bereits geformt und damit erkennbar und unterscheidbar ist 2 1 6 . Norbert Elias hat bei der Entwicklung seines Begriffes der „Figuration" 2 1 7 die Behauptung aufgestellt, es handele sich bei den Idealtypen Max Webers um „Modelle von bestimmten, in langsamem Fluß befindlichen Figurationen" 2 1 8 . Ohne dieser Behauptung für alle Idealtypen Max Webers zustimmen zu müssen, kann darin doch eine jedenfalls für den Idealtypus des Lehensfeudalismus zutreffende Betrachtungsweise gesehen werden. Für diesen Typus gilt, was Elias generell formuliert: „Die Modelle des Beamtentums, der Stadt, des Staates oder der kapitalistischen Gesellschaft, die er auszuarbeiten suchte, bezogen sich durchaus nicht auf Zusammenhänge von Menschen, auf Figurationen interdependenter Individuen, die er als Forscher lediglich, um Ordnung in etwas schlechterdings Ungeordnetes zu bringen, in sein Beobachtungsmaterial hineinsah. Diese Figurationen sind ebenso wirklich, wie die einzelnen Menschen, die sie bilden 2 1 9 ." Erst recht muß dies für solche „Figurationen" gelten, deren Aufbau und Bestand durch Rechtsnormen gesichert und vorgegeben ist, wie dies bei dem Verhältnis von Lehenswesen und Lehensrecht der Fall war. 2
*4 WL., S. 207 f. 5 Vgl. dazu Julius Jakob Schaaf, Geschichte u n d Begriff, Tübingen 1946, S. 42 ff. 216 Schaaf, Geschichte, S. 51, weist insofern darauf hin, daß die „geschichtlichen Tatsachen selbst, die eben selbst schon geformt, keiner Formung von außen her mehr bedürfen". 2 17 Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft, Neuwied—Berlin 1969, S. 28. 218 Dabei sei darauf hingewiesen, daß der von Elias verwendete Modellbegriff eher dem Begriff des Typus verwandt ist, wie i h n Theodor Schieder, Unterschiede zwischen historischer u n d sozial wissenschaftlicher Methode, i n : Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Geschichte u n d Soziologie, K ö l n 1972, S. 292, i m Anschluß an die dort zitierten Aufsätze von Fritz Machlup (Ordo, Bd. 12 [1960/61] S. 21 - 57) und Georg Weippert, Die idealtypische Sinn- und Wesenserfassung u n d die Denkgebilde der formalen Theorie. Z u r Logik des „Idealtypus" und der „rationalen Schemata", in: ZfgesStW. 100 (1940), S. 257 - 308, gegenüber dem Modellbegriff abgrenzt. 2 9 * Elias, Gesellschaft, S. 28. 21
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Dabei muß freilich bedacht werden, daß diese rechtliche Vorstrukturierung des historischen Materiales in sich selbst eine Abstraktion der geschichtlichen Wirklichkeit darstellt. Denn: „Ebensowenig wie es ,die' Gotik, ,die' Scholastik, ,die' Mystik usw. gibt, ebensowenig gibt es das mittelalterliche Lehnrecht als solches 220 " Faßt man das Lehenswesen als nicht allein durch rechtliche Momente geformte historische Erscheinung — und daß dies der Intention Max Webers entspricht, zeigt seine Betonung der ständischen Qualifikation innerhalb des Lehenswesens — so stellt sich hier weniger die Frage nach dem Verhältnis der rechtshistorischen 221 als vielmehr der sozialgeschichtlichen Begriffsbildung zur idealtypischen. Dieses Verhältnis kann von der Funktion beider Betrachtungsweisen her bestimmt werden. Dient der Idealtypus der individualisierenden Geschichtsbetrachtung, indem er durch den Auf weis von Gemeinsamkeiten gerade das jeweils Besondere und seine Genesis an bestimmten historischen Erscheinungen herausarbeiten will, so dient umgekehrt die sozialgeschichtliche Begriffsbildung der Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und von „Strukturen". Der Verfassungs- 222 und Sozialhistoriker betrachtet das Quellenmaterial unter dem Gesichtspunkt, wie sich aus ihm eine über den individuellen Fall hinaus bedeutsame Strukturierung der geschichtlichen Erscheinungen ablesen läßt. Diese Strukturierung mag unmittelbar durch Normen gegeben sein. Muß sie erst aus einzelnen Vorgängen erschlossen werden, so kann dazu nur ein solches generalisierendes Verfahren dienen 2 2 3 , das zu Durchschnittswerten 224 führt. Ein solcher Durchschnittswert kann beispielsweise in dem Satz liegen, daß die Begründung eines Lehensverhältnisses durch die Leistung von Mannschaft und Treueid 220 Mitteis, Lehnrecht, S. 2. 221 Die neuere, an der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik orientierte Rechtsgeschichte neigt dazu, wegen ihres hermeneutisch bedingten „ V o r urteils" ausschließlich Rechtserscheinungen i n den Blick zu bekommen, vgl. besonders Franz Wieacker, Der gegenwärtige Stand der Disziplin der neueren Privatrechtsgeschichte, i n : Eranion für G. S. Maridakis, Bd. I, A t h e n 1963, S. 339 ff., u n d ders., Notizen zur rechtshistorischen Hermeneutik, Nachrichten der Akademie der Wissenschaften i n Göttingen, Philologisch-historische K l a s se 1963, Nr. 1, u n d — i h m folgend — Kroeschell, Haus, S. 48 ff. 222 Hierzu sei bemerkt, daß es für die hermeneutischen Rechtshistoriker eine gesonderte Verfassungsgeschichte nicht geben kann. Die Verfassung als Rechtsordnung impliziert für den Historiker das gleiche Vorverständnis von Recht, das die Rechtsgeschichte zu konstituieren bestimmt ist; vgl. Wieacker, Notizen, S. 11. 223 Schieder, Unterschiede, S. 298: „ . . . die Generalisierung der an Einzeltatsachen gemachten Beobachtungen [ist] eine absolut dominierende A u f gabe . . . gegenüber der Beschreibung von Einzelphänomenen. Jeder Einzelfall hat seinen Wert nicht i n sich selbst, sondern gilt nur als Beitrag, als Test für eine allgemeine Einsicht." Den so verstandenen Sozialwissenschaf ten nähert sich die Sozialgeschichte an. 224 W i l l i a m O. Aydelotte, Quantifizierung i n der Geschichtswissenschaft, i n : H.-U. Wehler (Hrsg.), Geschichte und Soziologie, S. 260.
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geschieht. Die sehr häufigen Abweichungen von diesem Satz kommen für den Verfassungs- und Sozialhistoriker dann in Betracht, wenn er nicht den Aufbau des Lehenswesens, sondern den Aufbau eines besonderen Lehensverhältnisses untersuchen w i l l . So hat es die Sozial- und Verfassungsgeschichte nicht m i t Idealtypen im Sinne von Max Weber zu tun, sondern m i t klassifikatorischen oder Gattungsbegriffen. Durch diese Begriffe ist die historische Wirklichkeit, an der Max Weber seinen Idealtypus bildet, vorgeformt. Aber erst die idealtypische Steigerung eines oder mehrerer Momente dieser Gattungsbegriffe führt dann zu einem Idealtypus, der auch als Strukturtypus i m Sinne Th. Schieders 2 2 5 verstanden werden könnte. So ist der „Lehensfeudalismus" als Idealtypus zur Erfassung von Herrschaftsformen des europäischen Mittelalters unbrauchbar. Aber nicht wegen der Substanzlosigkeit, die K a r l Bosl 2 2 6 gegenüber der Verwendung von Idealtypen in der Geschichtswissenschaft als Hinderungsgrund angenommen hat, sondern i m Gegenteil wegen der zu großen Substanzhaftigkeit dieses Begriffes 227 . Ein idealtypischer Begriff, der alle Merkmale des von ihm gemeinten Gegenstandes i n sich aufgenommen hat und nur den Umfang ihrer Geltung steigert, verliert m i t der Möglichkeit, Annäherungswerte zwischen der Wirklichkeit und ihrer einseitigen Steigerung festzustellen, seine Funktion: Der Idealtypus „hat, wenn er zu diesem Ergebnis [d. h. der Konstatierung einer Differenz zwischen Idealtypus und Wirklichkeit] führt, seinen logischen Zweck erfüllt, gerade indem er seine eigene Unwirklichkeit manifestierte" 2 2 8 . Gegenüber dieser K r i t i k an den historischen Idealtypen w i r d freilich teilweise betont 2 2 9 , Max Webers Intention sei i n „ W i r t schaft und Gesellschaft" eher „klassifizierend und beschreibend als kausal zuordnend" gewesen und daher trete „der Idealtypus zwar klassifikatorisch und terminologisch, aber nicht heuristisch i n Funktion". Auch wenn man dem zustimmt, liegt darin eine Defunktionalisierung der jeweiligen Idealtypen. Werden sie klassifikatorisch benutzt, so 22 5 Theodor Schieder, Staat u n d Gesellschaft i m Wandel unserer Zeit, München 1958, S. 182. 226 K a r l Bosl, Der „Soziologische Aspekt" i n der Geschichte, i n : M a x Weber, Gedächtnisschrift der L u d w i g - M a x i m i l i a n s - U n i v e r s i t ä t zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages 1964, hrsg. durch K . Engisch, B. Pfister, J. Winckelmann, B e r l i n 1966, S. 52. 227 Brunner, Neue Wege, S. 129, hat denn auch den Weberschen Begriff des Lehensfeudalismus von dem Begriff des Feudalismus bei O. Hintze und H. Mitteis abgehoben. I h r e Begriffsbildung beschreibt er treffend so: „ A n einem konkreten historischen Objekt w i r d ein relativ gesättigter, anschaulicher Typenbegriff gebildet; dieser w i r d durch Vergleich m i t analogen Erscheinungen soweit generalisiert, daß schließlich das ursprüngliche Objekt, das der ganzen Erscheinung den Namen gegeben hat, als Sonderfall erscheint." 228 WL., S. 203. 229 Janoska-Bendl, Aspekte, S. 44.
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handelt es sich eben nicht mehr um Idealtypen, deren Unwirklichkeit für die Erfüllung ihrer Funktion maßgebend ist. Hinzu kommt, daß der Idealtypus wesentlich durch die „Sinnadäquanz" bestimmt ist und daß diese Verstehbarkeit i h n von den Gattungsbegriffen unterscheidet 230 . „Der Geltungsbereich des Idealtypus w i r d durch den jeweils gemeinsamen Sinn bestimmt, nicht durch die Gemeinsamkeit der Merkmale 2 3 1 ." Als genetischer Begriff aber w i r d die Steigerung einzelner Elemente der Wirklichkeit beim Idealtypus immer gerade zu einer gesteigerten, eindeutigeren „Verstehbarkeit" führen. Wenn nun aber die Erstreckung der Herrschaftsform des Lehenswesens auf den gesamten Herrschaftsverband die einzige Steigerung ist, die festgestellt werden kann, so scheint damit einer gesteigerten Verstehbarkeit der historischen Erscheinung „Feudalismus" nicht gedient zu sein. Benutzt man die Terminologie Weipperts, so steht zur Charakterisierung des Begriffes „Lehensfeudalismus" bei Max Weber ein Terminus zur Verfügung, der die oben angedeutete Weise der Begriffsbildung innerhalb der Sozial- und Verfassungsgeschichte kennzuzeichnen vermag: der Durchschnittstypus. „Der Durchschnittstypus steht in einem grundsätzlich anderen Verhältnis zur Wirklichkeit. Bei ihm fällt das Moment der »Steigerung 4, der Stilisierung 4 , der absichtlichen ,Entfernung' von der Wirklichkeit fort. Der Durchschnittstypus könnte als der Gattungsbegriff i m Gebiet der verstehbaren Wirklichkeit angesprochen werden. Dem Durchschnittstypus kann nämlich die Wirklichkeit als »Exemplar' eingeordnet werden. Er hebt an den zu beobachtenden Erscheinungen die gemeinsamen (verstehbaren) Faktoren hervor, er bringt die individuellen Unterschiede auf eine Linie, er treibt gewissermaßen Ausgleich. Gerade das ist es aber, was der Idealtypus vermeidet 2 3 2 ." Gleich ob man nun den „Lehensfeudalismus" als „Gattungstypus" im Sinne von Heinz Haller 2 3 3 , als „Durchschnittstypus" (G. Weippert) oder als klassifikatorisch benutzten Idealtypus (J. Janoska-Bendl) bezeichnet: die Funktion eines voll ausgebildeten Idealtypus kann er nicht erfüllen. Sein wesentliches Moment ist die Beschreibung des mittelalterlichen Lehensfeudalismus in Europa. Es fragt sich daher, ob die Verwendung dieses Begriffes durch Max Weber i n den beiden eigentlich für die idealtypische Methode wichtigsten Dimensionen zu brauchbaren Ergebnissen führen kann. Es handelt sich zum einen um die Dimension der geschichtlichen Entwicklung, zum anderen um die Dimension der universalgeschichtlichen 230 231 232 233 Köln
So Weippert, Sinn- und Wesenserfassung, S. 257 ff., S. 266. Weippert, Sinn- und Wesenserfassung, S. 268. Weippert, Sinn- und Wesenserfassung, S. 271. Heinz Haller, Typus und Gesetz i n der Nationalökonomie, Stuttgart— 1950, S. 26 ff.
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Betrachtung. Bereits oben wurde die K r i t i k O. Hintzes an den Weberschen Idealtypen zitiert, die vor allem die mangelnde Einarbeitung des Entwicklungsgedankens i n ihnen beinhaltet 2 3 4 . Dieser K r i t i k ist zumindest insofern zuzustimmen, als die Orientierung Webers an einem bestimmten, rechtshistorisch festgelegten Entwicklungsstand seine Fassung des Lehensfeudalismus bestimmt. Andererseits aber scheint Max Weber es gerade durch die Fixierung auf einen Begriff des Lehenswesens als Institution und die gedankliche Steigerung des Lehenswesens von einer Teilstruktur des Herrschaftsverbandes zur ausschließlichen Herrschaftsform erreicht zu haben, daß diejenigen Momente, die das Lehenswesen als politische Form schließlich entleeren sollten, scharf herausgearbeitet werden konnten. Es handelt sich hierbei i m wesentlichen darum, daß angesichts der Verrechtlichung und Verdinglichung des Lehenswesens — in der Weberschen Terminologie handelt es sich um die „volle lehensmäßige Appropriation der Herrengewalten" 2 3 5 — die Stellung des Lehensherren „hochgradig p r e k ä r " 2 3 6 wird. Der lehensmäßige Verwaltungsstab befindet sich i m vollen Besitz der Verwaltungsmittel und ist — angesichts der vernachlässigbar gering gewordenen Bedeutung der Dienstpflicht — nur durch die persönliche Treue m i t dem Herrn verbunden. Aus den gegensätzlichen Interessen entspringt ein „Ringen des Herren m i t dem lehensmäßigen Verwaltungsstab" 2 3 7 , bei dem der Herr hauptsächlich darauf angewiesen ist, die unmittelbare Bindung der Untervasallen an ihn durchzusetzen. Gelingt dies nicht, so kann er versuchen, „sein Recht zur Kontrolle der Verwaltung der verbandsmäßigen Herrengewalten zu sichern" 2 3 8 . Dies w i r d aber nur dann gelingen, wenn „der Herr einen eigenen Verwaltungsstab sich schafft oder wieder schafft oder ihn entsprechend ausgestaltet" 239 . Aus der Steigerung des Lehensfeudalismus zur ausschließlichen Herrschaftsform w i r d so eine der Wurzeln der Entstehung des Beamtentums gewonnen. Freilich fragt es sich, ob dazu überhaupt diese gedankliche Steigerung notwendig gewesen wäre und ob sie tatsächlich i n diesem Falle von Max Weber durchgeführt worden ist. Bestand die lehensmäßige Appropriation der Herrengewalten, wie dies Max Weber annimmt und wie es aus der Verdinglichung des Lehenswesens hervorgeht, so handelt es sich bei der Verabsolutierung des Lehenswesens als Herrschaftsform dennoch nur um einen Gradunterschied. Ob der Lehensherr nur einen bestimmten Prozentsatz oder alle seine Herrengewalten ver234 235 236 237 238 239
v g l . oben S. 123, Anm. 143. WuG., S. 146. WuG., S. 150. WuG., S. 151. WuG., S. 150. W u G , S. 150.
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lehnt hat, läßt die grundlegende Problematik der Rückbindung der rechtlich aus seinem Einflußbereich genommenen Herrengewalten an ihn unberührt. Sie ist i n beiden Fällen die gleiche. Für die Erfassung des Verhältnisses von Lehensherr und Lehensträger ist m i t dieser Steigerung nichts gewonnen. Dies setzt allerdings voraus, daß der Komplex der Lehensbeziehungen isoliert von den anderen innerhalb eines Herrschaftsbereiches bestehenden Herrschaftsbeziehungen betrachtet werden kann, ohne daß dem eine idealtypische Isolierung hätte vorangehen müssen. Aber daß dies der Fall war, ergibt sich bereits dadurch, daß Lehensbeziehungen Rechtsbeziehungen sind, daß sie dem Rechtsinstitut des Lehensrechtes unterfallen und sich so bereits isoliert dem Blick des Historikers darbieten. Die Brauchbarkeit der idealtypischen Methode liegt für Max Weber innerhalb der Geschichtswissenschaft hauptsächlich darin, daß die Abweichung historischer Individuen — und das sind je nach dem Erkenntnisinteresse 240 Persönlichkeiten, Herrschafts- oder Wirtschaftserscheinungen oder ganze Epochen — von diesem Typus bestimmt werden kann. Dies hat zur Folge, daß spezifische, in dem benutzten Idealtypus gerade nicht vorhandene Sinnzusammenhänge i n ihrer Bedeutung für die geschichtliche Entwicklung schärfer herausgestellt und einer isolierten Betrachtung unterzogen werden können. Durch die Herausarbeitung des Gemeinsamen verschiedener historischer Erscheinungen kann gerade ihre Verschiedenheit in den Blick kommen 2 4 1 . Nicht nur dies: Durch die genetische Funktion des Idealtypus vermag ein universalhistorischer Vergleich auch die Ursachen bestimmter Differenzierungen innerhalb der universalhistorisch dem Typus unterfallenden Erscheinungen aufzuweisen. A n die Stelle eines einheitlichen Sinnzusammenhangs der Weltgeschichte t r i t t so die Kombination von mehreren, stärker individualisierten Sinnzusammenhängen, die zugleich das Gemeinsame an geschichtlichen Erscheinungen, ihre Unterschiede und die Ursachen für diese unterschiedlichen Entwicklungen herauszuarbeiten vermag. Bedenkt man, daß der Idealtypus des Lehensfeudalismus bei Max Weber in Wahrheit nur klassifikatorische, nicht aber genetische Funktion besitzt, so steht seine universalhistorische Verwendbarkeit i n Frage. Dies muß insofern verwundern, als der Feudalismus eines der Paradebeispiele für universalgeschichtliche Betrachtung geworden ist. Der Begriff sumfang von „Feudalismus" ist freilich jeweils sehr unterschiedlich gefaßt worden: er reicht von der Beschränkung auf die Struktur 240 WL., S. 181. 241 Vgl. dazu Theodor Schieder, Geschichte als Wissenschaft, München— Wien 1965, S. 203, der die Aufgabe der Ideal typen M a x Webers eben darin sieht, „ A n h a l t für historische Individualisierung zu sein".
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des fränkischen Lehenswesens über die Ansicht: „Feudalism is primarily a method of government, not an economic or social system . . , " 2 4 2 bis hin zur populären Charakterisierung der Lebensgewohnheiten bestimmter sozialer Klassen 243 . Es soll hier nicht interessieren, wieweit diese jeweiligen Begriffe von „Feudalismus" methodologisch brauchbar sind und welche sozial- und geisteswissenschaftlichen Entwicklungen an diesen Fassungen ablesbar sind. Dies hat i n beispielhafter Weise Otto Brunner i n seiner Begriffsgeschichte des Wortes „Feudalismus" unternommen 2 4 4 . Hier kommt es nur darauf an, wieweit Max Weber seinen Begriff des „Lehensfeudalismus" universalhistorisch verwendet hat und welche Folgerungen sich für die universalhistorische Verwendung des Begriffes daraus ergeben, daß es sich nicht um einen Idealtypus, sondern um einen klassifikatorischen Typus handelt. Max Weber verwendet an verschiedenen Stellen seines Werkes den Terminus „Lehensfeudalismus" zur Charakterisierung außereuropäischer Herrschaftsformen und bezieht umgekehrt Beispiele aus anderen Kulturen i n die Darstellung dieses Typus ein. Betrachtet man die einzelnen Stellen jedoch näher, so ergibt sich, daß es sich i n keinem der angezogenen Fälle um einen Lehensfeudalismus i m Sinne Webers handelt. Dies w i r d durch den Unterschied zwischen idealtypischer und klassifikatorischer Begriffsbildung bedingt. Bei einem Idealtypus kann und soll die Annäherung einer geschichtlichen Erscheinung an den Typus festgestellt werden. Durch den Grad der Annäherung und die spezifischen Unterschiede gegenüber der einseitigen Steigerung eines oder mehrerer Merkmale kann dann die jeweilige Erscheinung genetisch eingeordnet werden. Bei einem klassifikatorischen Typus hingegen sind bei dem Objekt der Betrachtung die einzelnen Merkmale des Typus entweder vorhanden oder sie sind es nicht — i m ersteren Fall handelt es sich dann um den Lehensfeudalismus, i m zweiten Fall um etwas anderes, das auch anders benannt werden muß. Dies zeigt sich deutlich am Beispiel Japans 2 4 5 : Japan hat — m i t dem okzidentalen Mittelalter — am reinsten den Feudalismus entwickelt 2 4 6 , 242
Rushton Coulborn, ed., Feudalism i n History, Princeton 1956, S. 4. *3 Brunner, Neue Wege, S. 130. 244 O. Brunner, „Feudalismus". E i n Beitrag zur Begriffsgeschichte. A b handlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, geistesund sozialwissenschaftliche Klasse 10, Wiesbaden 1958, jetzt i n : Neue Wege, S.128 - 159. 245 Hier kann freilich nicht versucht werden, auf die Frage nach dem feudalen Charakter bestimmter Epochen der japanischen Geschichte einzugehen. Vgl. dazu E. O. Reischauer, Japanese Feudalism, i n : Coulborn, Feudalism, S. 26 ff. ; Yasudasa Yawata, Religionssoziologische Untersuchungen zur Geschichte Japans, i n : M a x Weber zum Gedächtnis, S. 361 ff.; ferner O. Hintzes grundlegenden Aufsatz: Wesen u n d Verbreitung des Feudalismus, i n : Abhandlungen, Bd. I S. 84 f f , S. 111 ff. 2« W g , S. 70. 2
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Kap. I I I : Traditionale Herrschaft
aber „Japan ist seit dem 10. Jahrhundert . . . zu einem präbendalen Lehenssystem übergegangen" 247 . Generell unterscheidet Max Weber die Beziehungen der Daimyos zum Shogun — hier liegt ein „stark durch Eigenkontrolle des Herrn (Bakufu) temperierter Lehensfeudalismus" 248 vor — von den Beziehungen der Samurai zu ihren jeweiligen Herren, den Daimyos oder dem Shogun — hier handelt es sich u m freien, gefolgschaftlichen Feudalismus nur kraft der persönlichen Treuebeziehung 2 4 9 . Die Lehen der Samurai waren keine Herrenrechte und -gewalten, sondern Reisrentenpfründen; dem japanischen Feudalismus fehlt so „die grundherrliche Struktur des Benefizialwesens" 250 . Aber auch der „temperierte Lehensfeudalismus" zwischen Shogun und Daimyos stellt sich näherer Betrachtung nicht als Lehensfeudalismus dar. Denn die Möglichkeit, daß Daimyos bei Verfehlungen wie die persönlichen Vasallen des Shogun — soweit sie Daimyo-Herrschaften innehatten — jederzeit auch ohne Verfehlung versetzt werden konnten, „zeigt . . . , daß die ihnen verliehene Herrschaft ein A m t und kein Lehen w a r " 2 5 1 . Die kurze Bemerkung Webers über den Lehensfeudalismus i n China 2 5 2 — vor Schi Hoang T i habe es teilweise einen Lehensfeudalismus gegeben und die Rentenlehen seien von den Gebietslehen nominell getrennt gewesen — w i r d durch die Ausführungen über den feudalen und präbendalen Staat in China innerhalb des Aufsatzes über Konfuzianismus und Taoismus 253 ergänzt. Dabei scheint Max Weber hier tatsächlich eine Parallele zum europäischen Lehensfeudalismus gesehen zu haben. Anders war freilich die Appropriation der Lehen: „ I m Okzident war die Erblichkeit der Lehen erst Entwicklungsprodukt" 2 5 4 , in China dagegen waren die Lehen den Sippen appropriiert und dort qualifizierte erst die Zugehörigkeit zu einer Sippe zu dem Besitz eines Amtslehens. „Der Gegensatz gegen den Okzident war natürlich i n mancher Hinsicht relativ, aber i n seiner Bedeutsamkeit immerhin nicht gering 2 5 5 ." Ähnlich betrachtet Max Weber das Lehenswesen i n Indien, wo es unter der Herrschaft der Radschputen „Zuweisung von grundherrlichen und Jurisdiktionsrechten an die Mitglieder des herrschenden 247 Wg., S. 69. 248 WuG., S. 151. 2 *ö WuG., S. 726. 250 WuG., S. 729. 2 51 WuG., S. 728. 2 2 * WuG., S. 150 f. 2 53 RelSoz. Bd. I, S. 314 ff. 2 54 RelSoz. Bd. I, S. 315. 2 55 RelSoz. Bd. I, S. 315.
4. Feudalismus
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Radschputenclans durch das Stammeshaupt, gegen Militärdienste, m i t der Pflicht der Huldigung und Ländereienzahlung beim Herrenfall und Verlust bei Verletzung der Pflichten" 2 5 6 gegeben habe. Das russische Lehenssystem 257 wiederum steht dem europäischen näher als das japanische 258 . „ I n Rußland wurden Lehen (pomjestje) gegen eine bestimmte Dienstpflicht gegenüber dem Zaren und Übernahme von Steuerhaftung verliehen 2 5 9 ." A u f diese Bemerkungen beschränkt sich bei Max Weber die Verwendung des so groß angelegten Begriffes eines Lehensfeudalismus. Es zeigt sich hier, daß die klassifikatorische Funktion des Terminus „Lehensfeudalismus" bis zu der genetischen Funktion eines eigentlichen Idealtypus nicht vorzudringen vermag. Ein Anlegen dieses Begriffes an andere historische Erscheinungen als diejenigen des okzidentalen Mittelalters kann jeweils nur die Ubereinstimmung in Einzelheiten feststellen, ohne daß dadurch bereits eine innere Gleichförmigkeit konstatiert werden könnte 2 6 0 . „Äußerliche Ähnlichkeit des alten Feudalismus m i t dem okzidentalen bestand also, trotz der innerlichen Unterschiede, in weitgehendem Maße 2 6 1 ." Für die Aufhellung der innerlichen Unterschiede aber vermag der klassifikatorische Typus nichts zu leisten, denn als Klassifikationsbegriff ist er zu komplex, besitzt er zu viele Einzelmerkmale für den universalhistorischen Vergleich 2 6 2 . Für die universalhistorische Verwendung des Terminus „Lehensfeudalismus" gilt die Warnung Th. Schieders: „Bei dem an sich so fruchtbaren Institutionenvergleich w i r d man besonders behutsam äußere Ähnlichkeiten und innere Strukturverwandschaften unterscheiden und die vergleichende Methode auf diese zweiten einschränken müssen 263 ." 25β WuG., S. 726. 257 Vgl. Hintze, Abhandlungen, Bd. I, S. 108 ff., u n d Manfred Hellmann, Probleme des Feudalismus i n Rußland, i n : Studien zum mittelalterlichen Lehnswesen. Vorträge u n d Forschungen Bd. V, S. 235 ff. 258 w g , S. 69. 259 w g , S. 69. 260 Vgl. die eben schon angeführte Bemerkung Weipperts, Sinn- und Wesenserfassung, S. 268: „Der Geltungsbereich des Idealtypus w i r d durch den jeweils gemeinsamen Sinn bestimmt, nicht durch die Gemeinsamkeit äußerer Merkmale. Wo i n der Geschichtswirklichkeit ein anderer Sinn, eine andere Wertverwirklichung auftaucht, w i r d darum ein anderer Idealtypus notwendig, auch dann, wenn die äußeren Merkmale unverändert bleiben, der Gattungsbegriff dieser Wirklichkeit also seine Geltung behalten würde." 261 RelSoz. Bd. I, S. 318. 262 Brunner, Neue Wege, S. 158, hat dies generell auf einen exakten Begriff des Feudalismus bezogen. Da aber M a x Webers Begriff des Lehensfeudalismus klassifikatorisch alle Merkmale des historisch exakten Begriffes enthält und eben kein Idealtypus ist, gilt diese Verneinung der universalhistorischen Brauchbarkeit auch u n d gerade f ü r seinen Begriff des Lehensfeudalismus. 263 Schieder, Geschichte als Wissenschaft, S. 210. 10 Speer
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Kap. I I I : Traditionale Herrschaft
D a b e i m u ß f r e i l i c h bedacht w e r d e n , daß die B e m e r k u n g e n ü b e r die V e r w e n d b a r k e i t des Weberschen B e g r i f f e s eines L e h e n s f e u d a l i s m u s n u r a u f diesen b e s c h r ä n k t sind. I n d e m B e g r i f f des P f r ü n d e n f e u d a l i s m u s scheint M a x W e b e r h i n g e g e n d e r historischen F o r s c h u n g e i n brauchbares I n s t r u m e n t f ü r die vergleichende Geschichtsbetrachtung i n die H a n d gegeben zu h a b e n 2 6 4 .
264 Brunner, Neue Wege, S. 129. Freilich fragt es sich hier, ob es nicht terminologisch vorzuziehen wäre, den Begriff des Feudalismus allein auf das europäische Lehenswesen zu beschränken. Vgl. die unterschiedlichen Ansichten hinsichtlich der Terminologie, die Unterschiede i n der Universalhistorie verdecken, bei Joseph R. Strayer / Rushton Coulborn, i n : Coulborn, Feudalism, S. 3; Stephenson, Feudalism, S. 797; Marc Bloch, Feudal Society, Chicago 1961 (amerikanische Ubersetzung von „ L a Société Féodale", besorgt von L. A. Manyon), S. 446 f.; Lawrence Krader, Feudalism and the Tatar Policy of the Middle Ages, i n : Comparative Studies i n Society and History, Bd. 1 (1959) S. 76 ff. Vgl. aber den Vorschlag von Eckhard M ü l l e r Mertens, V o m Regnum Teutonicum zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, i n : Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. 11 (1963) S. 319 ff., S. 324 f.: „es ist ein Problem, ob der von der Forschung bislang als normativ betrachtete okzidentale Feudalismus nicht eine Sonderform darstellt u n d ob die Bestimmung des Feudalismus nicht von den Verhältnissen i n Byzanz u n d i m alten Osten ausgehen muß."
Kapitel
IV
Stadtsoziologie Max Webers Stadtsoziologie, die i m achten Kapitel des zweiten Teiles von „Wirtschaft und Gesellschaft" ihren Platz hat 1 , bietet eine i n sich geschlossene, stark historisch angereicherte und universalgeschichtlich konzipierte Typologie der Stadt dar 2 . Uber ihren Wert für den Historiker bestehen freilich sehr unterschiedliche Ansichten. K a r l Bosl beispielsweise meint generell zum Weberschen Idealtypus und speziell zu demjenigen der europäischen Stadt 3 : „Daß der ,Idealtypus' ein wissenschaftlicher Begriff ist, der sich von der geschichtlichen W i r k lichkeit abhebt, die er begreifen w i l l , die aber nicht i n den Begriff eingeht, weil sie sich selbst nicht ausspricht, das macht ihn zwar zu einem brauchbaren Werkzeug wissenschaftlicher Zusammenfassung geschichtlicher Fakten, aber birgt vom Standpunkt des Historikers aus so viele Fehlerquellen i n sich, wie der Webersche Idealtypus der europäischen Stadt zeigt, daß man entweder ihn aufgeben oder bekennen muß, daß noch sowenig historische Vorarbeiten geleistet und Einzelfakten erarbeitet sind, daß er vorläufig an Substanzlosigkeit notwendig leiden muß 4 ." Dieser Skepsis eines Historikers gegenüber der idealtypischen Methode steht die grundsätzliche Zustimmung gerade zur Stadtsoziologie entgegen, die ein Stadtgeschichtsforscher so formuliert hat 5 : „Ist 1 Zuerst als selbständiger Aufsatz posthum i m Archiv für Sozialwissenschaft u n d Sozialpolitik, Bd. 47 (1921) S. 621 ff., veröffentlicht. Nach dem Plan für den Grundriß der Sozialökonomik w a r die Stadtsoziologie aber von Anfang an f ü r den Abdruck i n „Wirtschaft und Gesellschaft" v o r gesehen. 2 Ganz wesentlich hierzu auch die Ausführungen i n dem A r t i k e l „ A g r a r verhältnisse i m A l t e r t u m " , i n : SWg., S. 1 ff. Hier ist die Typologie der antiken wie auch der mittelalterlichen Stadt teilweise sogar schärfer herausgearbeitet als i n der Stadtsoziologie. 3 Bosl, Der „Soziologische Aspekt", S. 52. 4 Vgl. die Ansicht Bosls, M a x Weber habe „einen allgemeingültigen ,Idealtyp 4 der Stadt" gefordert ( K a r l Bosl, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft i m deutschen Mittelalter [ = Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 7], München 1973, S. 193). A u f die I r r i g k e i t dieser Ansicht hat A b r a mowski, Geschichtsbild, S. 107, Anm. 82, aufmerksam gemacht. Expressis verbis findet sich die Zielsetzung typologischer Betrachtungsweise Webers i n S W g , S. 257. 5 Carl Haase, Die Stadt des Mittelalters, Bd. I, Darmstadt 1969, S. 2. Vgl. auch A l f r e d Heuss, M a x Webers Bedeutung f ü r die Geschichte des griechisch-
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Kap. I V : Stadtsoziologie
sein Aufsatz . . . auch i n vielen Einzelheiten überholt, so könnte man doch rückschauend vermuten, daß, stärker als alle Anmerkungsapparate es erkennen lassen, dieser große Wurf Webers zum Ausgangspunkt der modernen Städteforschung geworden ist." Diese unterschiedlichen Wertungen der wissenschaftlichen Brauchbarkeit und Qualifikation von Webers universalhistorischer Stadtsoziologie forderten i m Grunde zu einem genauen Vergleich m i t der heutigen Lage der Stadtgeschichtsforschung heraus. Ein solcher Vergleich müßte freilich unter der Fragestellung dieser Arbeit auf drei verschiedenen Ebenen arbeiten: einmal müßte der Forschungsstand der Stadtgeschichtsforschung zur Zeit Webers durch einen Vergleich m i t der gegenwärtigen Forschungslage auf seine jeweiligen zeitgebundenen Elemente hin untersucht werden und daraus müßten die verschiedenen zeitgebundenen Einflüsse auf das Werk Webers wie auch schließlich die Verortung dieser Einflüsse im Gesamtrahmen seiner Herrschaftssoziologie herausdestilliert werden. Wer sich auch nur kurz m i t der Wissenschaftsgeschichte der Stadtgeschichtsforschung beschäftigt hat, w i r d ermessen können, daß ein solches Unterfangen den Rahmen der hier vorliegenden Arbeit bei weitem sprengen würde. Daher sollen — insbesondere deshalb, weil es Zusammenfassungen der Weberschen Stadtsoziologie und des Weberschen Stadtbegriffes an leicht greifbaren Stellen gibt 6 — hier nur zwei Probleme herausgegriffen werden: der Stadtbegriff Webers als Rechtsbegriff der Stadt und ferner die Stadtgemeinde als Modellfall eines illegitimen Herrschaftsverbandes. 1. Der Begriff der okzidentalen Stadt Max Weber sieht sich i n seiner Stadtsoziologie der grundlegenden Schwierigkeit gegenüber, universalhistorisch verwendbare Bestimmungen ihres Begriffes erst aufstellen zu müssen. Die einzige Gemeinsamkeit aller möglichen Stadtdefinitionen und der von Weber entwickelten Stadttypen liegt darin, daß die Stadt als „eine (mindestens relativ) geschlossene Siedlung, eine ,Or tschaft' . . . , nicht eine oder mehrere einzeln liegende Behausungen" 7 aufgefaßt werden muß. Alle weiteren römischen Altertums, i n : HZ., Bd. 201 (1965), S. 529 ff., S. 543; Edith Ermen, Die europäische Stadt des Mittelalters, Göttingen 1972, S. 124 ff.; Gerhard Dilcher, Rechtshistorische Aspekte des Stadtbegriffs, i n : V o r - und F r ü h formen der europäischen Stadt i m Mittelalter, hrsg. von H. Jankuhn, W. Schlesinger, H. Steuer, Bd. I ( = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften i n Göttingen, Philologisch-historische Klasse, 3. Folge Nr. 83), Göttingen 1973, S. 12-32. β So z.B. Abramowski, Geschichtsbild, S. 83 -117, und H. Callies, Der Stadtbegriff bei M a x Weber, i n : Jankuhn (Hrsg.), V o r - u n d Frühformen der europäischen Stadt, S. 56 - 60. WuG., S. 5 1 .
1. Der Begriff der okzidentalen Stadt
149
Merkmale, die dem historischen Erscheinungsbild „Stadt" zugerechnet werden können, sind entweder i n sehr verschieden großem Maße bestimmend für die geschichtliche Entwicklung geworden oder treten gar in einzelnen Kulturkreisen überhaupt nicht auf. Gegenüber der damit gegebenen Möglichkeit, die einzelnen Kriterien eines möglichst umfassend gedachten Stadtbegriffes i n vielfältiger Weise zu kombinieren und damit den Stadtbegriff zu differenzieren, unternimmt es Max Weber nur, zwei große Stadttypen zu entwickeln: den Typus der orientalischen Stadt einerseits und den der okzidentalen Stadt andererseits. Die typologischen Merkmale des Idealtypus „Stadt" gewinnt Weber durch drei verschiedene Betrachtungsweisen: die ökonomische, die topographische und die politisch-rechtliche. Wirtschaftlich gesehen ist die Stadt auf den Markt ausgerichtet: „die Stadt (im hier gebrauchten Sinn des Worts) ist Marktansiedlung 8 ." Das K r i t e r i u m des Marktes erlaubt einerseits Differenzierungen innerhalb des ökonomischen Stadtbegriffes i m Hinblick auf den Ursprung der Kaufkraft der Marktkonsumenten 9 , erschwert aber andererseits eine Abgrenzung gegenüber anderen geschlossenen Siedlungen. Auch „Dörfer" besitzen — regelmäßig oder nur gelegentlich abgehaltene — Märkte und Städte, „deren Insassen . . . zu einem weit größeren Bruchteile als sehr viele i m Rechtssinn als ,Dorf er 4 geltende Orte, nur von eigener Landwirtschaft lebten" 1 0 , sind keine Ausnahmeerscheinung. Auch das topographische Merkmal der Befestigung erlaubt keine endgültige Abgrenzung zwischen „Stadt" und „Nicht-Stadt"; es kommt grundsätzlich allen größeren Siedlungen zu 1 1 . Wenn auch i m Okzident die Befestigung einer Siedlung die Entstehung der Stadt beeinflussen kann 1 2 , so liegt doch andererseits gerade in der Eigenverantwortlichkeit für die Befestigung das Kennzeichen, durch das sich das chinesische Dorf von der chinesischen Stadt unterscheidet 13 . Das Merkmal der Befestigung genügt — auch in Verbindung m i t den ökonomischen Komponenten — nicht, um einen idealtypischen Begriff der Stadt konstituieren zu können 1 4 . » WuG., S. 514. Weber unterscheidet hier die Fürsten-, Konsumenten-, Produzenten-, Händler- oder Ackerbürgerstadt „nach ihren jeweils vorwiegenden ökonomischen Komponenten" ( W u G , S. 516), ohne von diesen Unterscheidungen weiterhin allzu großen Gebrauch zu machen. 10 W u G , S. 518. n W u G , S. 519 f. 12 M a x Weber bezieht sich hierbei vorwiegend auf die englischen „boroughs" und den Leistungsverband der an der Befestigungsherstellung u n d -erhaltung beteiligten „Bürger", vgl. W u G , S. 520. 13 RelSoz. I S. 381. 14 Vgl. dazu einerseits: Siegfried Rietschel, M a r k t und Stadt i n ihrem rechtlichen Verhältnis. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Stadtverfassung. Leipzig 1897, S. 150: „Der Unterschied zwischen Stadt und M a r k t 9
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Kap. I V : Stadtsoziologie
Die bisher genannten ökonomischen und topographischen Merkmale des Stadttypus können — i n verschiedener Intensität und Kombination — nicht nur auf die orientalische wie die okzidentale Stadt gleichermaßen zutreffen, sondern sie können ebenso bei jeder nicht-städtischen Siedlungsform auftreten. Eine Ausgrenzung der „Stadt" aus den verschiedenen Siedlungsformen läßt sich allein unter Berücksichtigung ökonomischer und topographischer Momente nicht vornehmen. Das unterscheidende Merkmal liegt vielmehr i n dem bisher nicht angesprochenen Bereich des Politischen 15 : die okzidentale Stadt ist „ein i n irgendeinem Umfang autonomer Verband: eine ,Gemeinde' m i t besonderen politischen und Verwaltungseinrichtungen" 1 6 . I n dieser Bestimmung, die der Abgrenzung der okzidentalen von der orientalischen Stadt dient, ist der Begriff der Gemeinde m i t demjenigen des — zumindest teilweise — autonomen politischen Verbandes i n eins gedacht, so daß gegenüber der orientalischen Stadt ein einheitliches Begriffsmerkmal entsteht. Ein Blick auf die Besonderheiten der antiken Stadt jedoch zeigt, daß diese Ineinssetzung von Max Weber nicht durchgehalten werden kann. Die sachlich erforderliche Trennung von „Gemeinde" und „autonomem politischen Verband" innerhalb des einheitlichen Typus der okzidentalen Stadt aber gewährt wiederum einen Durchblick auf den wissenschaftsgeschichtlichen Standpunkt, der Max Webers Stadtbegriff zugrundeliegt.
ist . . . darin zu suchen, daß die Stadt befestigt ist, der M a r k t aber nicht. Die Stadt ist ein M a r k t , der zugleich B u r g ist." Andererseits: Walther Gerlach, Uber den Marktflecken- und Stadtbegriff i m späteren Mittelalter u n d i n neuerer Zeit, i n : Festgabe Gerhard Seeliger zum 60. Geburtstag, dargebracht von R. Bemman u. a., Leipzig 1920, S. 141 - 159, u n d neuerdings: Carl Haase, Die mittelalterliche Stadt als Festung, i n : C. Haase (Hrsg.), Stadt, Bd. I S. 377 - 407. 15 Dabei sei n u r am Rande bemerkt, daß die Unanwendbarkeit des „ p o l i tischen" Stadtbegriffes auf die orientalische Stadt ( „ . . . sie [die chinesische Stadtl w a r keine ,Gemeinde' m i t eigenen politischen Sonderrechten". RelSoz. I S. 291) es überhaupt als fraglich erscheinen läßt, welchen Stadtbegriff Weber hier zugrundelegt. Denn konstitutiv für die Gemeinsamkeiten des orientalischen Stadttypus ist letztlich nur, daß er eben keine „Gemeinde" ist. Ansonsten aber besitzt zum Beispiel das chinesische Dorf eine Reihe von Eigenschaften, die seine Unterstellung unter die Kategorie der „Stadt" rechtfertigen w ü r d e n (vgl. z. B. RelSoz. I S. 381), ohne daß auf der anderen Seite die Bezeichnung „Stadt" f ü r andere Erscheinungen irgendwie begründet würde. A n einer Stelle spricht Weber freilich von dem „ökonomischen Stadtcharakter" „asiatischer u n d orientalischer Siedlungen" (WuG., S. 526). Bedenkt man jedoch, daß gerade das ökonomische Moment der „ M a r k t ansiedelung" auch Dörfern zukommen kann, so scheint M a x Weber hier doch von einem vorgegebenen Stadtbegriff auszugehen, der den Wert seiner vergleichenden Stadtsoziologie i n Frage stellt. Auch hier zeigt sich, w i e sehr M a x Weber die okzidentalen Verhältnisse als Maßstab und die außereuropäischen Verhältnisse nur als Hintergrund benutzt. 16 WuG., S. 518.
1. Der Begriff der okzidentalen Stadt
151
I n n e r h a l b des I d e a l t y p u s d e r o k z i d e n t a l e n S t a d t lassen sich g r u n d legende D i f f e r e n z i e r u n g e n zwischen der a n t i k e n u n d südeuropäischen S t a d t einerseits u n d d e r m i t t e l a l t e r l i c h e n u n d n e u z e i t l i c h e n S t a d t n ö r d l i c h d e r A l p e n andererseits t r e f f e n 1 7 , die es r e c h t f e r t i g e n , besondere S t a d t t y p e n f ü r i h r e E r f a s s u n g zu b i l d e n . B e i d e m T y p u s d e r a n t i k e n S t a d t beispielsweise v e r b i e t e t es die siedlungsmäßige u n d politische Kombination von Zentralsiedlung und Umland, „Stadt" und „ L a n d " zu t r e n n e n 1 8 . I m U n t e r s c h i e d dazu stehen „ S t a d t " u n d „ L a n d " sich n ö r d l i c h d e r A l p e n auch d o r t scharf gegenüber, w o das U m l a n d p o l i tisch v o n d e r S t a d t beherrscht w i r d 1 9 . A u c h ö k o n o m i s c h gesehen besteh e n g r u n d l e g e n d e Unterschiede zwischen d e r a n t i k e n S t a d t w i r t s c h a f t des sich selbst als h o m o p o l i t i c u s v e r s t e h e n d e n S t a d t b ü r g e r s u n d d e r m i t t e l a l t e r l i c h e n S t a d t w i r t s c h a f t , b e i d e r d e r S t a d t b ü r g e r sich als h o m o oeconomicus p a r excellence e r w e i s t 2 0 . So g r a v i e r e n d diese D i f f e r e n z i e r u n g e n auch s i n d u n d so großen W e r t M a x W e b e r a u f die A u s a r b e i t u n g d e r U n t e r s c h e i d u n g e n i m e i n z e l n e n auch l e g t , so scheinen beide T y p e n d e r o k z i d e n t a l e n S t a d t doch e i n gemeinsames M e r k m a l zu besitzen, das i h r e Z u s a m m e n s c h l i e ß u n g gestattet u n d sie e i n d e u t i g v o n d e m T y p u s d e r o r i e n t a l i s c h e n S t a d t a b h e b t : „ Z u diesen U n t e r s c h i e d e n 17 wg., S. 277. ι» Z u r antiken Polis vgl. insbesondere SWg. 1 - 288 u n d WuG., S. 552 ff. Aus dem vielfältigen Schrifttum zum Verhältnis von Stadtsiedlung u n d Land innerhalb der Polis und der südeuropäischen Stadt vgl. zum Beispiel: André Aymard, Les cités grecques à l'époque classique, i n : Recueils de la Société Jean Bodin, Τ. V I , L a ville. Institutions administratives et judiciaires (Brüssel 1954) S. 49 ff. ; Ernst Kirsten, Die griechische Polis als historisch geographisches Problem des Mittelmeerraumes, Colloquim Geographicum Bd. V, Bonn 1956; Fritz Gschnitzer, Gemeinde u n d Herrschaft. Von den Grundformen griechischer Staatsordnung. Sitzungsberichte der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse Bd. 235, 3. Abhandlung, Graz—Wien—Köln 1960; E d i t h Ennen, Z u r Typologie des Stadt-Land-Verhältnisses i m Mittelalter, i n : S t u d i u m Generale Bd. 16 (1963) 5. 447 ff.; Gerhard Dilcher, Die Entstehung der lombardischen Stadtkommune ( = Untersuchungen zur deutschen Staats- u n d Rechtsgeschichte, Neue Folge Bd. V I I ) , Aalen 1967; Dietrich Claude, Die byzantinische Stadt i m 6. Jahrhundert, München 1969; Friedrich Vittinghoff, Zur Verfassung der spätantiken „Stadt", i n : Vorträge u n d Forschungen Bd. I V , Darmstadt 1970; Fritz Dörrenhaus, Urbanität u n d gentile Lebensform. Der europäische Dualismus mediterraner u n d indoeuropäischer Verhaltensweisen, entwickelt aus einer Diskussion u m den Tiroler Einzelhof, i n : Erdkundliches Wissen Heft 25 (1971). io W g , S. 285. 20 Vgl. hierzu zum Beispiel F. Steinbach, Der geschichtliche Weg des wirtschaftenden Menschen i n die soziale Freiheit und politische Verantwortung ( = Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes NordrheinWestfalen, Geisteswissenschaften, Heft 15), Köln—Opladen 1954, passim; Brunner, Neue Wege, S. 217; A. H. M. Jones, Die wirtschaftliche Grundlage der athenischen Demokratie, i n : Die Welt als Geschichte 14 (1954) S. 10 ff.; Fritz M. Heichelheim, Wirtschaftsgeschichte des Altertums v o m Paläolithikum bis zur Völkerwanderung der Germanen, Slaven u n d Araber, Bd. I (Leiden 1938) S. 398 f.
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Kap. I V : Stadtsoziologie
t r i t t nun aber als entscheidend hinzu die Qualität der antiken sowohl wie der typischen mittelalterlichen Stadt als eines anstaltsmäßig vergesellschafteten, m i t besonderen und charakteristischen Organen ausgestatteten Verbandes von ,Bürgern', welche i n dieser ihrer Qualität einem nur ihnen zugänglichen gemeinsamen Recht unterstehen, also ständische ,Rechtsgenossen' sind 2 1 ." Es fällt auf, daß Max Weber die ursprüngliche Ausrichtung des okzidentalen Stadttypus auf die — zugleich als autonomer politischer Verband gedachte — „Stadtgemeinde im vollen Sinn des Wortes" 2 2 angesichts der Notwendigkeit, auch die antike Polis mitzuerfassen, durch den Begriff des „anstaltsmäßig vergesellschafteten . . . Verbandes" modifizieren muß 2 3 . Die Ursache dafür ist darin zu suchen, daß Max Webers „Gemeinde" als autonomer Verband spezifischen Einschränkungen unterliegen muß. Zwar kann die politische Ausgestaltung der Gemeinde von Heteronomie und Heterokephalie bis zu Autonomie und Autokephalie reichen, aber die völlige Autonomie und Autokephalie scheinen dennoch die Ausnahme zu bilden, bei der der Gemeindebegriff ein nur implizit erscheinendes, aber dennoch wesentliches Merkmal verliert: die Ausrichtung auf einen übergeordneten politischen Verband, aus dessen Bereich sich die Gemeinde erst herausbildet. Für die antike Polis und ihre Entstehung aus autonomen Siedlungen, ohne die Konfrontation m i t militärisch überlegenen oder gleichwertigen Herrschaftsverbänden, bedeutet dies, daß der Gemeindebegriff auf sie erst anwendbar wird, wenn sie ihre ursprüngliche Autonomie und Autokephalie zumindest teilweise verliert: „Endgültig entstand der ,Gemeinde-Begriff in der Antike i m Gegensatz zum ,Staat' allerdings erst durch ihre Eingliederung i n den hellenistischen oder römischen Großstaat, welche ihr auf der anderen Seite die politische Selbständigkeit nahm 2 4 ." Der antiken Polis fehlt das Essentiale der mittelalterlichen und mitteleuro21 WuG., S. 529. 22 WuG., S. 522. 23 Dabei sei darauf hingewiesen, daß die Polis — abgesehen von der fraglichen Unterstellung unter den Gemeindebegriff — Anforderungen nicht erfüllen kann, die die Grundlage aller Stadtdefinitionen darstellen: W i r d das Polisgebiet selbst als „Stadt" bezeichnet, so fehlt dieser „Stadt" eben gerade die Eigenschaft, eine zusammengehörige Siedlung zu sein — die rechtlich-politische Einheit u n d Zusammengehörigkeit des topographisch eindeutigen Dualismus von Polissiedlung u n d U m l a n d ersetzt i n diesem Falle die siedlungsmäßige Einheit als Grundlage der Stadtdefinition. Der politische Verband der Polis ist keine „Ortschaft", sondern besteht aus „Ortschaften" u n d Herrschaftssitzen, deren ständisch qualifizierte Bewohner Rechtsgenossen sind. F ü r den politischen Verband freilich ist die Qualität „Siedlung" kein notwendiges Begriffsmerkmal, w o h l aber für die Gemeinde. So erklärt sich die Verwendung der Kategorie „autonomer Verband" für die antike Polis, einer Kategorie, die gleichermaßen f ü r den „Staat" wie für die „Stadt" zutrifft. 24 WuG., S. 531.
1. Der Begriff der okzidentalen Stadt
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päischen Stadt: die Entstehung i m Rahmen eines größeren Herrschaftsverbandes und die Ausrichtung auf wie gegen diesen Verband 2 5 . Die „Gemeinde" ist nur denkbar i m Rückbezug auf den „Staat" und eine Stadt ohne diesen Rückbezug kann von Max Weber nur als autonomer politischer Verband in der Abgrenzung von der Gemeinde verstanden werden. Max Webers Entgegensetzung von Stadtgemeinde und Staat fügt sich nahtlos in die überkommene verfassungsgeschichtliche Sicht der mittelalterlichen Stadt ein. War der neuzeitliche Staat m i t seinem Monopol legitimer Gewaltsamkeit der Bezugspunkt der verfassungsgeschichtlichen Forschung, so konnte die Stadt nur als Untergliederung des „Staates" verstanden werden — was sich deutlich in der Stellung der Stadtgeschichte innerhalb der Inhaltsverzeichnisse der gängigen Lehrbücher der Rechtsgeschichte bemerkbar macht — und erhielt ihre politische Qualifikation erst durch den Rückbezug auf den übergreifenden politischen Verband des Staates 26 . Die Autonomie und Autokephalie der Gemeinde forderte zumindest dort eine Ausrichtung auf den Staat — oder vorstaatliche Herrschaftsverbände —, wo der Legitimitätsbezug der Herrschaftsstruktur in Frage stand. Für Max Weber ist es bezeichnend, daß er trotz der Betonung der eidgenossenschaftlichen (und für ihn illegitimen) Komponente der Stadtwerdung 2 7 nicht etwa Otto v. Gierkes Auffassung von der „Staatlichkeit" der Stadt gerade als reinem Genossenschaftsverband 28 teilen kann. Es sind i m Gegenteil die genossenschaftlichen Elemente der Stadtverfassung, die Max Weber daran hindern, die Stadt als Staat zu sehen: sein Staat ist Herrschaftsträger, seine Stadt aber ist weitgehend genossenschaftlich durchgeformter revolutionärer politischer Verband, der seine Herrenrechte zunächst gegen den Staat durchzusetzen hat. Eine Identität von Staat und Gemeinde — hinter der sich die Anerkennung autonomer Herrschaftsrechte der Stadtgemeinde verbergen könnte — gibt es für Max Weber nicht: daher kann der Begriff der Stadt als politischer Gemeinde von Max Weber auf die antike Polis erst dort angewandt werden, wo sie in den übergreifenden politischen Verband des hellenistischen oder römischen Staates eingegliedert ist. Entspricht die Ausrichtung der „Gemeinde" auf einen übergeordneten Herrschaftsverband der durchgehenden Auffassung Max Webers und seiner Zeit von dem Wesen der Staatlichkeit als Quelle aller 2
5 SWg., S. 259 f. 6 Vgl. hierzu K . S. Bader, Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. I I , Köln—Graz 1962, S. 387 f. 27 Dazu vgl. unten Abschnitt 2. 28 Vgl. Otto von Gierke, Genossenschaftsrecht Bd. I I , B e r l i n 1873, S. 573 und öfter. 2
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„untergeordneten" politischen Verbände, so beruht die konkrete Ausgestaltung des Gemeindebegrifies bei Max Weber wie auch die Verwendung des Gemeindebegriffes i n der vergleichenden Stadtsoziologie auf der Ubereinstimmung zwischen den erkenntnistheoretischen Prämissen Webers und denen der positivistischen rechtsgeschichtlichen Forschung seiner Zeit. Max Webers Gemeindebegriff ist der rechtsgeschichtliche Gemeindebegriff, der zu seiner Zeit gültig war. Noch die Handbücher des Privat- und Staatsrechts des ausgehenden alten Reiches hatten unbefangen einen Stadtbegriff verwendet, der m i t historischem Material angereichert war und die geschichtliche Kontinuität des Heiligen Römischen Reiches in den Begriff einbezog 29 . Erst der beginnende Historismus, der Geschichte nicht mehr als „Modus des Geschehens" 30 , sondern als bewußten Anknüpfungspunkt „ f ü r die Gestaltung der Gegenwart" 3 1 versteht, vermag diese Begrifflichkeit nicht mehr so unbefangen als die seine anzuerkennen und verzichtet unausgesprochen sowohl auf die Verwendung des alten Stadtbegriffes als auch auf die Erarbeitung eines neuen, der historischen Fragestellung angemessenen Begriffes der Stadt. Erleichtert w i r d dieser abrupte Bruch m i t der Geschichtlichkeit des Stadtbegriffes durch den scheinbar unhistorischen Neubeginn der kommunalen Selbstverwaltung i m 19, Jahrhundert 3 2 , so daß schließlich der geschichtlich angereicherte, aber auf die gegenwärtigen rechtlichen und praktischen Probleme bezogene Stadtbegriff der privat- und staatsrechtlichen Handbücher zum einen nicht mehr der gegenwärtigen Rechtslage (nach der Reform der kommunalen Selbstverwaltung) entsprach und von daher obsolet wurde und zum anderen seine gegenwartsbezogene Geschichtlichkeit durch den bereits erfolgten Bruch m i t der Geschichte nicht mehr als die eigene aufgefaßt und damit bewahrt werden konnte. Die Stadtgeschichtsforschung geht seit Beginn des 19. Jahrhunderts von einem Begriff ihres Gegenstandes aus, dessen Fassung unreflektiert der Beschäftigung m i t diesem Gegenstand vorausgeht 33 . Differenzierungen beziehen sich auf 29 Vgl. zum Beispiel J. Fr. Runde, Grundsätze des allgemeinen deutschen Privatrechts, 1. Aufl. Göttingen 1791, S. 286 ff.; W. A. Fr. Danz, Handbuch des heutigen deutschen Privatrechts, Bd. I V , 3. Ausgabe Schweinfurt 1801, S. 282 ff. ; C. J. A. Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen P r i v a t rechts . . . , Landshut 1824, S. 128 ff. 30 Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung, S. 24. 31 Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung, S. 18; vgl. auch ders., Historische Rechtsschule, S. 16. 32 Dazu vgl. F. Steinbach/E. Becker, Geschichtliche Grundlagen der k o m munalen Selbstverwaltung i n Deutschland ( = Rheinisches Archiv Bd. 20), Bonn 1932, S. 19 u. 73 ff. 33 Dies gilt für C. F. Eichhorn (Über den Ursprung der städtischen V e r fassung i n Deutschland, i n : Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft Bd. 1 [1815] S. 147 - 247 u n d Bd. 2 [1816] S. 165 - 237) ebenso w i e für K . D.
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die „äußerlichen" Entwicklungsmerkmale der städtischen Siedlung, durch die aber die Identität ihres Gegenstandes nicht in Frage gestellt wird34. Ein Wandel in dieser Betrachtungsweise mußte i n dem Zeitpunkt eintreten, in dem die Rechts- und Verfassungsgeschichte selbst ihr Begriffssystem juristisch-positivistisch ausrichtete. Die Verwendung eines Undefinierten und stillschweigend als allgemeingültig vorausgesetzten Stadtbegriffes genügte nicht mehr; es mußte ein juristisch präziser Begriff entwickelt werden, unter den alle in Frage kommenden historischen Erscheinungen subsumiert werden konnten. Wie eine Rechtsnorm prinzipiell alle nur denkbaren Variationen des geregelten Sachverhaltes unter sich begreift und die Rechtsfolge für sie bindend feststellt, so unterfallen dem rechtshistorischen Begriff der Stadt, der selbst nur als Teil eines zusammenhängenden rechtshistorischen Begriffssystems Geltung besitzt, alle diejenigen Erscheinungen, die die i m Stadtbegriff enthaltene Kombination von Begriffsmerkmalen vollständig aufweisen können. Aus der für Differenzierungen immer noch offenen, weil begrifflich nicht scharf fixierten Benennung eines geschichtlichen Erscheinungsbildes ist damit der Ordnungsbegriff der „Stadt i m Rechtssinn" geworden. So unterschiedlich nun auch die Ansichten über die Entstehung der „Stadt" sein konnten — immer ging es nur um die Entstehung der „Stadt i m Rechtssinn" 35 . Es gab unterschiedliche Akzentuierungen genug hinsichtlich der Frage, welches der begrifflichen Merkmale der „Stadt i m Rechtssinn" bei der Geschichte ihrer Entstehung i m Vordergrund gestanden haben könnte. Aber diese Akzentuierungen beruhten nur auf der spezifischen Fragestellung, m i t der das Grundproblem der Entstehung der Stadtverfassung angegangen wurde. Die Begriffsmerkmale selbst, aus denen sich der Begriff der „Stadt i m Rechtssinn" zusammensetzte, waren bei allen Forschern seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts — ausgesprochen oder unausgesprochen — dieselben. Hüllmanns Werk Das Städtewesen des Mittelalters (4 Bde., Bonn 1826 ff.) und dessen Geschichte des Ursprungs der Stände i n Deutschland (2. Aufl. B e r l i n 1830), w o sich (S. 530) auch nicht mehr als Ansatzpunkte zu einer Definition der Stadt finden. Der Bruch m i t der historischen K o n t i n u i t ä t des Stadtbegriffes, der angesichts ihrer Verwurzelung i n der historischen T r a dition des Reiches (dazu vgl. Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung, S. 42 ff., S. 48 ff.) erstaunt, mag sich aus der Reform der K o m m u n a l verfassung erklären, die den Rückgriff auf die Geschichte entbehrlich erscheinen ließ. Auch W i l h e l m A r n o l d (Verfassungsgeschichte der deutschen Freistädte i m Anschluß an die Verfassungsgeschichte der Stadt Worms, 2 Bde. Hamburg—Gotha 1854) konnte noch auf die begriffliche K l ä r u n g seines Gegenstandes verzichten. 34 E i n Beispiel f ü r die unreflektierte Scheidung zwischen historischem und gegenwartsbezogenem Stadtverständnis bei Arnold, Freistädte, Bd. I S. 11. 35 Vgl. dazu K . Kroeschell, Stadtrecht und Stadtrechtsgeschichte, i n : C. Haase (Hrsg.), Stadt Bd. I I S. 297.
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Als einer der ersten scheint Rudolph Sohm diesen Begriff benutzt zu haben 3 6 : im Jahr 1890 spricht er von der „Entstehung der Stadt i m Rechtssinn" 37 und führt Merkmale auf, die nicht nur in den Lehrund Handbüchern der deutschen Rechtsgeschichte, sondern auch bei Max Weber kennzeichnend für das Vorliegen einer „Stadt" geworden sind: Markt, Exemtion von „Landgericht und Landrecht und damit verbunden die Ausbildung eines besonderen Stadtgerichts und Stadtrechts" 38 . Die Stadt konstituiert sich politisch-rechtlich gegen den übergreifenden Herrschaftsverband des Staates, grenzt sich damit begrifflich gegenüber dem Land ab und w i r d zur Gemeinde in dem oben angeführten Sinn: „ I m fränkischen Reich waren die Städte ohne administrative Sonderstellung in die Gau- und Hundertschaftsverfassung einbezogen, so daß ein öffentlich-rechtlicher Unterschied zwischen Stadt und Land nicht obwaltete. Als der Begriff der Stadt i m Rechtssinn sich ausgebildet hatte, gehörten zu ihren Merkmalen das Marktrecht, das Stadtgericht, das Recht der Befestigung und das Dasein einer Stadtgemeinde 39 ." Der Begriff der „Stadt i m Rechtssinn" setzt nun freilich die Existenz eines außerrechtlichen Stadtbegriffes voraus, dessen Anwendungsbereich die „Stadt" vor der Ausbildung des Rechtsbegriffes der Stadt ist. Aber als außerrechtlicher Begriff kann dieser Begriff nicht zum Gegenstand der rechtsgeschichtlichen Forschung werden: er ist anwendbar auf „Städte" i m ökonomischen oder siedlungsgeographischen Sinne und ist außerstande, die rechtsgeschichtliche Forschung zu tangieren 40 . Ein ähnliches Verhältnis ist bei Max Weber zwischen dem rechtlichen und dem außerrechtlichen Begriff der Stadt festzustellen. Zwar scheiden die Momente „Wirtschaft und Gesellschaft" nicht aus seiner soziologischen Betrachtungsweise aus. Aber diese ist doch stärker, als es von Webers Ansatzpunkt her verständlich ist, auf den rechtsgeschichtlichen Begriff der Stadt fixiert und nimmt ihn als Maßstab für den universalhistorisch-soziologisch konzipierten Stadtbegriff. Die inhaltliche Fassung seines Stadtbegriffes wie auch teilweise seine Funktion entspre36 Angesichts seiner wissenschaftsgeschichtlichen Position erschiene auch die Einführung dieses Begriffes durch i h n konsequent, vgl. dazu Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung, S. 187 ff. 37
R. Sohm, Die Entstehung des deutschen Städtewesens, Leipzig 1890, S. 91. ss Ebenda. 39 Heinrich Brunner, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte, Leipzig 1901, S. 142. Ebenso die begriffliche Fassung bei Richard Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 1. Aufl. Leipzig 1887, S. 588 f. Vgl. auch für die karolingische Epoche bei Weber WuG., S. 574. 40 Das gleiche gilt für die Sphäre des Außerrechtlichen innerhalb der „Stadt i m Rechtssinn". Wirtschaftliche u n d gesellschaftliche Erscheinungen scheiden notwendig aus der so verstandenen rechtsgeschichtlichen Forschung aus; vgl. dazu Brunner, L a n d und Herrschaft, S. 120.
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chen Begriff und Funktion der „Stadt i m Rechtssinne": „Eine Stadtgemeinde i m vollen Sinn des Wortes hat als Massenerscheinung . . . nur der Okzident gekannt. . . . dazu gehörte, daß es sich um Siedlungen mindestens relativ stark gewerblich-händlerischen Charakters handelte, auf welche folgende Merkmale zutrafen: 1. die Befestigung — 2. der Markt — 3. eigenes Gericht und mindestens teilweise eigenes Recht — 4. Verbandscharakter und damit verbunden — 5. mindestens teilweise Autonomie und Autokephalie, also auch Verwaltung durch Behörden, an deren Bestellung die Bürger als solche irgendwie beteiligt waren 4 1 ." Die grundsätzliche Ubereinstimmung zwischen den einzelnen Formulierungen Max Webers und der rechtsgeschichtlichen Literatur seiner Zeit freilich ist eher als eine selbstverständliche Voraussetzung seiner weitgehend auf eigene Forschungen verzichtenden universalhistorischen Bemühungen denn als eine tieferliegende Gebundenheit seines Denkens an die wissenschaftsgeschichtliche Situation seiner Zeit zu werten. Wesentlicher ist der Funktionswert, der diesem Rechtsbegriff der Stadt i n der Stadtsoziologie Max Webers zugebilligt wird. Die Funktion des Begriffes der „Stadt i m Rechtssinn" ist bei Max Weber weitgehend dieselbe wie i n der positivistischen Rechtsgeschichte: der Begriff erlaubt es, den Gegenstand der Stadtsoziologie eindeutig zu bestimmen. Zwar behalten auch für die okzidentale Entwicklung der siedlungsgeographische und der ökonomische Stadtbegriff einen gewissen selbständigen Stellenwert — die Zentrierung der Stadtsoziologie aber erfolgt auf die Stadt i m engeren Sinne, i n der sich siedlungsgeographischer, ökonomischer und rechtlicher Stadtbegriff miteinander verschmelzen. Daß aber der Begriff der „Stadt i m Rechtssinn" bei Max Weber diese Ordnungsfunktion übernehmen kann, ergibt sich aus den methodologischen Prämissen Webers. Die soziologische Fragestellung Webers muß sich von ihrem wissenschaftstheoretischen Ausgangspunkt her der juristisch-positivistisch gewordenen Begrifflichkeit der Rechtsgeschichte anschließen, um eine Ordnung i n das chaotische historische Material hineinbringen zu können 4 2 . Die Identität der erkenntnistheoretischen Ausgangslage bei Max Weber und i n der positivistischen Rechtsgeschichte führt allerdings nicht dazu, daß die Funktionsidentität des Rechtsbegriffes der Stadt über einen bestimmten Punkt hinausgetrieben wird. Während der Begriff der Stadt i m Rechtssinn für die Rechtsgeschichte nämlich ein definitorischer Begriff ist, bei dem die Möglichkeit seiner Anwendung auf historisches Material darüber entscheidet, ob eine „Stadt" in diesem Sinn vorliegt, so ist die Zielsetzung des Weberschen Stadtbegriffes eine gänzlich andere. Die idealtypische Über« WuG., S. 522. Vgl. Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung, S. 197.
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höhung einzelner Elemente des geschichtlichen Erscheinungsbildes „Stadt" zu einem zwar i n sich geschlossenen, aber eben doch nur als Gedankengebilde zu verstehenden und zu benutzenden einheitlichen Begriff der Stadt führt in der Anwendung des Begriffes auf einzelne geschichtliche Erscheinungen zu dem umgekehrten Erfolg wie i n der rechtsgeschichtlichen Begrifflichkeit: nicht die lückenlose Subsumierung unter den Begriff ist das Ziel, sondern umgekehrt die Feststellung, welche Besonderheiten des Forschungsobjektes dem idealtypischen Begriff nicht entsprechen — wieweit das Objekt i m konkreten Fall vom Idealtypus abweicht und wodurch diese Abweichung zu erklären ist 4 3 . I m Umgang freilich m i t dem Idealtypus der okzidentalen Stadt läßt Max Weber die Möglichkeit und die Notwendigkeit einer Differenzierung, die den Idealtypus vor dem starren Ordnungsbegriff der Stadt i m Rechtssinn auszeichnet, weitgehend außer acht. Das zentrale Merkmal seines Stadtbegriffes — die Existenz einer „Gemeinde" — w i r d i n seinem historischen Geltungsbereich relativiert 4 4 , ohne daß daraus aber die möglichen und i m Rahmen der idealtypischen Methode erforderlichen Konsequenzen gezogen worden wären. Für Max Weber bestand die Möglichkeit, auf Grund seines Idealtypus der okzidentalen Stadt zu einer differenzierten Typologie des okzidentalen Städtewesens durchzudringen: Gerade der Hinweis auf die beschränkte Geltung seines, i m Rahmen der Typenbildung verabsolutierten Gemeindebegriffes hätte es ihm ermöglicht, Zwischenformen, die das ökonomische, topographische und politische Merkmal der „Stadt" i n verschiedenem Maße erfüllen, typologisch differenziert zu erfassen. Max Webers Stadtsoziologie bot m i t ihrem idealtypologischen Ansatz die Chance, den einheitlichen Idealtypus der okzidentalen Stadt entsprechend den verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten der i n ihm verbundenen typologischen Merkmale aufzulösen i n eine Vielzahl von Stadttypen. Damit wäre i m Anschluß an Max Weber in der Stadtgeschichtsforschung schon vor Jahrzehnten das möglich gewesen, was erst vor wenigen Jahren auf Grund der Untersuchungen von C. Haase erfolgt ist: Einen differenzierten, aus verschiedenen Kriterien zusammengesetzten und zeitlich wie räumlich jeweils verschieden geformten Stadtbegriff zu bilden und dadurch die absolute Geltung des Begriffes der Stadt i m Rechtssinn zu relativieren 4 5 . « Vgl. SWg., S. 257. 44 „ A n diesem Maßstab i n seinem vollen Umfang gemessen waren freilich auch die Städte des okzidentalen Mittelalters nur teilweise u n d diejenigen des 18. Jahrhunderts sogar nur zum ganz geringen T e i l w i r k l i c h „Stadtgemeinden'." WuG., S. 522. Weber teilt hier übrigens die zu seiner Zeit — bis auf Gustav Schmoller — übliche u n d erst durch die Untersuchungen F. Steinbachs und seiner Schule korrigierte Unterschätzung der Selbständigkeit der Städte gegenüber den absolutistischen Landesherrn; dazu vgl. Steinbach/ Becker, Grundlagen, S. 73 ff.
2. Die illegitime Herrschaft der Stadtgemeinde
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Max Weber selbst hat diesen Schritt nicht vollzogen. Es kam ihm freilich auch nicht auf eine differenzierte Erfassung des abendländischen Städtewesens in diesem Sinne an; die Stadt des Okzidents interessierte ihn weniger i m Hinblick auf ihre verfassungsmäßigen Unterschiedlichkeiten und Entwicklungen als vielmehr i m Hinblick auf die Auswirkungen der den Bürgern durch die Gemeindeverfassung gewährten rechtlich-politischen Selbständigkeit auf die Entwicklung der abendländischen Rationalität und des abendländischen Staates 46 .
2. Die illegitime Herrschaft der Stadtgemeinde Das Interesse an der Entstehung der abendländischen Rationalität in der okzidentalen Stadt bedingt es, daß bestimmte, universalhistorisch auftretende Probleme überhaupt aus dem Gesichtskreis Webers verschwinden. So kann die Frage, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um eine Stadt i m siedlungsgeographischen und ökonomischen Sinne entstehen zu lassen, das Interesse Webers nicht fesseln: i n diesem Sinn ist die Stadt eine universalhistorische Konstante, ein vorgegebenes Phänomen, das erst dort interessant wird, wo unterscheidende Merkmale hinzutreten, die die Differenzierung i n verschiedene Stadttypen und damit die Untersuchung der okzidentalen Stadt und ihres Bürgertumes ermöglichen. Nicht die Herausbildung der Stadt als eines universalgeschichtlichen Phänomens, sondern vielmehr nur die Herausbildung der okzidentalen Stadt, der Stadt i m Rechtssinn ist das zentrale Anliegen Webers. Dadurch sind Richtung und weiterer Verlauf der Untersuchungen bereits festgelegt. Die Stadt i m Rechtssinn setzt begrifflich den Bezug zu einem übergeordneten Herrschaftsverband voraus, aus dessen Ordnung sie sich erst — und zwar meist gewaltsam — emanzipieren muß, um ihren Begriff erfüllen zu können. Die Betonung dieses agonalen Momentes i n der Stadtentstehung durch Max Weber hat entscheidende Konsequenzen i n einem Rahmen wie der Herrschaftssoziologie, in der Herrschaft legitimiert werden muß und i n der die bereits bestehende Herrschaftsordnung gewöhnlich einen Legitimitätsvorschuß genießt. So kann denn auch die Herausbildung der okzidentalen Stadtgemeinde typologisch nur als ein sich 45 Vgl. dazu die grundlegende Untersuchung von C. Haase, Die Entstehung der westfälischen Städte ( = Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für westfälische Landes- u n d Volkskunde, Reihe I, Heft 11) 1. Aufl. Münster 1960, 2. Aufl. ebd. 1965, vgl. besonders S. 2 - 11. Dazu auch E. Ennen, Die Stadt zwischen Mittelalter u n d Gegenwart, i n : Haase (Hrsg.), Stadt Bd. I, S. 416 ff. 4 « Vgl. W g , S. 270 ff. und RelSoz. I S. 9 ff.
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i m Bereich der Illegitimität abspielender Vorgang erfaßt und beschrieben werden. Der entsprechende Abschnitt innerhalb der Stadtsoziologie wurde folgerichtig von Max Weber in seinem ursprünglichen Plan zu Abteilung I I I des Grundrisses der Sozialökonomik lapidar überschrieben: „Die nichtlegitime Herrschaft. Typologie der Städte 47 ." Die Illegitimität der Stadt ist freilich kein notwendiges Merkmal ihrer Entwicklung; die Stadtgemeinde kann sich auch legitim heranbilden: „durch (wirkliche und fiktive) Privilegien der politischen und eventuell auch der grundherrlichen Gewalten 4 8 ." „Aber oft und zwar gerade i n den wichtigsten Fällen handelte es sich um etwas ganz anderes: eine, formalrechtlich angesehen, revolutionäre Usurpation 4 9 ." Der Bürgerverband ist also — typologisch gesehen — „das Ergebnis einer politischen Vergesellschaftung der Bürger trotz der und gegen die legitimen 4 Gewalten" 5 0 . Die Illegitimität der Stadtgemeinde besteht folglich darin, daß sie den bestehenden Legitimitätszusammenhang der jeweiligen Herrschaft abschneidet, die Herrschaftsrechte des bisherigen Herrn für sich usurpiert oder aber vergleichbare Herrschaftsrechte neu begründet und eine spezifische eigene Legitimation aufrichtet. Diesen letzteren Punkt innerhalb der illegitimen Entwicklung der abendländischen Stadt berührt Max Weber i n seiner Stadtsoziologie freilich kaum. Das entscheidende Moment ist für ihn die Ablösung der alten, „herrschaftlichen" Stadtherrschaft durch eine neue, „genossenschaftliche" Stadtherrschaft. Die Umbildung der illegitimen Herrschaft der Bürgergemeinde zur legitimen Stadtherrschaft w i r d von Max Weber vernachlässigt. Es muß sie aber — gerade für Max Weber — gegeben haben. Herrschaft ist auf Dauer ohne Legitimität nicht denkbar; die Legitimität ist der Komplementärbegriff zur Herrschaft, ohne den diese ihren spezifischen Sinn verliert. Die Stadtentwicklung ist kein Vorgang, der sich auf eine einmalige revolutionäre Usurpation von Herrenrechten beschränkt; die revolutionäre Usurpation wiederholt sich immer von neuem. Die Aufrichtung der Geschlechterherrschaft ist Usurpation gegenüber dem Stadtherrn 5 1 ; die Zunftherrschaft entsteht durch eine neue Revolution gegenüber den Geschlechtern 52 und der italienische Popolo ist „eine politische Sondergemeinde innerhalb der Kommune . . . : i m eigentlichen Wortsinn ein Staat i m Staate, der erste ganz bewußt illegitime und revolutionäre 47
Winckelmann, M a x Webers Opus Posthumum, S. 371. WuG., S. 535. 49 WuG., S. 535. so WuG., S. 535. si WuG., S. 537. 52 WuG., S. 552. 48
2. Die illegitime Herrschaft der Stadtgemeinde
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politische Verband" 5 3 . Für die nächste Stufe der Stadtentwicklung gilt das Prinzip der Illegitimität ebenso: „Überall fühlten sich die Tyrannen und galten sie als spezifisch illegitime Herren 5 4 ." Diese immer wieder erneuerten Wellen der Illegitimität sind aber nur deshalb möglich, weil sich die Illegitimität der Herrschaft bereits zur Legitimität gewandelt hat und weil erst die nunmehr legitim gewordene Herrschaft das Ziel illegitimer Angriffe sein kann. Das Wesen der Illegitimität muß von daher bestimmt werden. Eine bloß negative Beschreibung i m Sinne von Herrschaft ohne Legitimitätsanspruch oder -geltung würde die Möglichkeit und Notwendigkeit ihres Umschlagens i n legitime Herrschaft verfehlen. So kann Illegitimität für Max Weber immer nur relativer und temporärer A r t sein: sie ist Illegitimität gegenüber einem konkreten Herrschaftsrecht, das Legitimität für sich i n Anspruch nimmt und als legitim geglaubt wird. Illegitim ist Herrschaft, wenn und soweit sie sich erfolgreich gegen einen bestehenden Herrschaftsanspruch gerichtet hat. Für die Natur der Legitimität ergeben sich daraus Aufschlüsse. Legitimität beinhaltet, wenn Illegitimität sich zu Legitimität wandeln und selbst wieder von illegitimer Herrschaftsübung durchbrochen werden kann, das Moment des Zeitablaufes. Herrschaft — auch und besonders solche revolutionären Ursprungs — hat die Tendenz, als legit i m geglaubt und anerkannt zu werden. Primär beruht diese Legitimierung auf Gewöhnung; es handelt sich um traditionale Legitimität. Sekundär errichtet die traditional bereits legitimierte Herrschaft einen besonderen Legitimitätsanspruch und damit auch Legitimitätsglauben rationaler, charismatischer oder traditionaler A r t . Sobald die Herrschaft stetig geworden ist, strebt sie nach Legitimität 5 5 . Von daher w i r d auch verständlich, weshalb Max Weber sich m i t den besonderen LegitimitätsVoraussetzungen der „illegitimen" Stadtherrschaft nicht weiter beschäftigt hat. Eine mehr akzidentielle Form der Legitimierung freilich hat er aufgezeigt: diejenige durch die bestehenden legitimen Gewalten. Die illegitime Herrschaft innerhalb der Stadt kann eine „formalrechtlich entscheidende Bestätigung dieses Zustandes durch die legitimen Gewalten" 5 6 erlangen. Damit ist sie i n den bereits bestehenden Legitimierungszusammenhang eingeordnet. Aber dies geschieht weder immer noch ist es für die Entstehung der Stadtgemeinde wesentlich. Die andere Form der Legitimierung ergibt sich auf selbstverständlichere und zugleich unmerklichere A r t : durch Zeitablauf und Gewöhnung. Die Legitimität der mittelalterlichen Stadtgemeinde — 53 54 55 56
WuG., WuG, WuG, WuG,
11 Speer
S. 562. S. 571. S. 757. S. 535.
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gegenüber dem bisherigen Träger der legitimen Stadtherrschaft — ist ein Beispielsfall für traditionale Legitimierung. Deutlich w i r d dies dort, wo Max Weber die trotz formaler Legitimität illegitime Stadttyrannis behandelt 57 . Die „langfristigen höchsten Beamten" des Popolo erreichen die zuerst faktische, später rechtliche Erblichkeit 5 8 . Und schließlich gibt die ökonomische Unabkömmlichkeit der Stadtbürger der Signorie die Chance, „zu einem erblichen patrimonialen Fürstentum sich auszuwachsen. Wurde sie dies, so trat sie damit in den Kreis der legitimen Gewalten ein 5 9 ." Die gänzlich andersartige Form der Legitimierung der Stadtherrschaft nach innen bekommt Max Weber jedoch anscheinend nicht in den Blick. Er erkennt zwar die Bedeutung des rational gesatzten Rechts für die Stadt: „Die rechtliche Errungenschaft [bei der Bildung der Stadtgemeinde] aber war . . . die Kodifikation eines besonderen rationalen Rechtes für die Stadtbürger 6 0 ." Und für die Polis, wohl aber auch für die mittelalterliche Stadt 6 1 , gilt hier: „Das Recht wurde Anstaltsrecht für die Bürger und Insassen des Stadtgebietes als solcher . . . und es wurde zugleich zunehmend rational gesatztes Recht 62 ." Diese „autonome Rechtssatzung der Stadt als solcher und innerhalb ihrer wieder der Gilden und Zünfte" 6 3 hat Max Weber nicht zu einer Frage nach dem Geltungsgrund dieses Satzungsrechts veranlaßt. I n der Selbstbindung der Schwurgenossen gegenüber der beschworenen Satzung bahnt sich aber die rationale Legitimität der Neuzeit an: „daß beliebiges Recht durch Paktierung . . . rational . . . gesatzt werden könne m i t dem A n spruch auf Nachachtung mindestens durch die Genossen des Verbandes 64 ." Die Satzung innerhalb der Stadt bindet, weil und insoweit die Stadtbürger an ihr mitgewirkt haben 65 . Traditionale Legitimierung innerhalb einer selbst schon traditional verstandenen Herrschaftsordnung, wie es diejenige des europäischen Mittelalters für Max Weber ist — dies läßt eine Folgerung hinsichtlich der Entstehung der städtischen Schwurbrüderschaft zu, die Max Weber zwar nicht ausdrücklich gezogen hat, die aber geeignet ist, die Frage nach dem Charakter des revolutionären Ursprunges der Stadtgemeinde 57 W u G , S. 570 f. 58 WuG., S. 571. 50 W u G , S. 573. so WuG., S. 538. 61 „ I n den mittelalterlichen Städten hatte die Durchführung der Herrschaft des Popolo ähnliche Konsequenzen." W u G , S. 569. 62 W u G , S. 568. 63 W u G , S. 575. 64 W u G , S. 125. 65 Vgl. aber die Entwicklung, die zu einem Gebotsrecht des Rates f ü h r t : Ebel, Gesetzgebung, S. 54.
2. Die illegitime Herrschaft der Stadtgemeinde
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zu beantworten. Max Weber hat sich in seiner Typologie der Herrschaft m i t dem Verhältnis von traditionaler Legitimität und revolutionärem Widerstand gegen die traditional legitimierte Herrschaft beschäftigt: „Die tatsächliche A r t der Herrschaftsausübung richtet sich darnach: was üblicherweise der Herr (und sein Verwaltungsstab) sich gegenüber der traditionalen Fügsamkeit der Untertanen gestatten dürfen, ohne sie zum Widerstand zu reizen. Dieser Widerstand richtet sich, wenn er entsteht, gegen die Person des Herrn (oder: Dieners), der die traditionalen Schranken der Gewalt mißachtete, nicht aber: gegen das System als solches (,traditionalistische Revolution') 66 ." M i t dieser Unterscheidung zwischen dem Widerstand gegen die Person des Herrn und dem gegen das System als solchem hat Max Weber exakt den Punkt getroffen, der die Ausübung des Widerstandsrechtes bei gleichzeitiger Akzeptierung der übergreifenden Ordnung von dem neuzeitlichen Revolutionsbegriff trennt, für den die Person des Herrn und seine Qualitäten nebensächlich sein können, weil er auf das Herrschaftssystem selbst zielt 6 7 . Nun hat Max Weber freilich die revolutionäre Usurpation von Herrenrechten und -gewalten durch die entstehende Stadtgemeinde nicht ausdrücklich unter den Terminus der „traditionalistischen Revolution" gefaßt. Auch bei ihm konstituiert sich die Stadtgemeinde m i t ihrer Heranbildung eigener Verwaltungsinstitutionen zur Verwaltung eigener Herrschaftsrechte ebenso im Kampf gegen die Person des Stadtherrn wie nach innen. Zum einen handelt es sich u m die Usurpation der verschiedensten Herrenrechte über die stadtsässigen Leute, gerichtet gegen Leib- und Grundherren innerhalb und außerhalb des Stadtgebietes 68 . Zum anderen aber anerkennt Max Weber die Bedeutung des Stadtherrn bei der Entstehung der Stadtgemeinde zumindest insofern, als er der revolutionär entstandenen Schwureinung der Stadtbürger eine genügend große Vorbildwirkung zuschreibt, um die Stadtgründer freiwillig zur Akzeptierung der — jeweils freilich verschieden großen — Stadtautonomie zu bewegen 69 . Darüber hinaus freilich kann die Verfestigung der Stadtautonomie auch von Max Weber nicht nur als allein gegen den Stadtherrn gerichteter Prozeß gesehen werden; die Stadtgemeinde bildet sich gleichermaßen nach innen wie nach außen heraus. Für den Beginn der Stadtgemeindebildung allerdings 66 WuG., S. 130 f. 67 Vgl. K a r l Griewank, Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung, Weimar 1955, S. 9 ff. Z u m Widerstandsrecht vgl. die nach wie vor maßgebende Arbeit von K u r t Wolzendorff, Staatsrecht und N a t u r recht i n der Lehre v o m Widerstandsrecht gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt, 2. Neudruck der Ausgabe 1916, Aalen 1968. 68 S W g , S. 259 f.; vgl. Bosl, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, S. 194: „ A b e r die Usurpation vollzieht der Stadtherr, der Leib-, G r u n d - und Schutzherr ist und w i r d . " 6» W u G , S. 541. 11*
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bleibt für Max Weber die revolutionär verstandene Schwurgemeinschaft der Stadtbürger das wesentlichste Element. Und für diesen Punkt vermag der Begriff der traditionalistischen Revolution wirksam zu werden. Heute w i r d zwar nicht mehr die alleinige Wurzel der Entstehung der Stadtgemeinde i n der revolutionären Eidgenossenschaft der Stadtbürger gesehen 70 , wie dies den Ergebnissen der Arbeiten von Hans Planitz entsprechen würde 7 1 . Neben ihr und vor ihr steht der genossenschaftliche Zusammenschluß der stadtsässigen Leute; die Nachbarschaftsgemeinde innerhalb des noch unselbständigen Stadtbezirks 72 und vielfältige andere genossenschaftliche Erscheinungen bereiten auf diesem Gebiet die Entstehung einer Stadtgemeinde vor 7 3 . Ist so die revolutionäre Eidgenossenschaft nicht die alleinige Vorläuferin der Stadtgemeinde, so ist auch nicht einmal der revolutionäre Eid die alleinige Wurzel für die Schwurverbrüderung innerhalb der Stadtgemeinde. Neben ihm und vor ihm steht der kollektiv dem Stadtherrn zu leistende Eid der stadtsässigen Leute 7 4 . Bei all diesen Einschränkungen für die Entstehung der eidgenossenschaftlich bestimmten Stadtgemeinde aber gilt doch für die conjuratio „revolutionären" Inhalts, daß sie erst unter dem Gesichtspunkt des Widerstandsrechtes ihren eigentlichen Sinn erhält 7 5 . Diese conjuratio war eben nicht Revolution i n einem neuzeitlichen Sinne, sondern Ausübung des Widerstandsrechts, Kampf um das alte Recht 76 . Wie dies sich jeweils i n den Augen derer darstellt, gegen die sich das Widerstandsrecht richtet, kann hier außer Betracht bleiben. Die Städte selbst 70 Dilcher, Entstehung, S. 188: Die „coniurationes gehörten dem Bereich des Widerstandsrechts an. Da sie hierdurch eher unter einem negativen Aspekt standen, sich m i t dem Erreichen oder Nichterreichen eines Zieles auflösten, immer n u r Teile der Stadtbevölkerung umfaßten, waren sie keine vollgültigen Vorläufer des kommunalen Eidbundes." 71 Vgl. zum Beispiel H. Planitz, Die deutsche Stadtgemeinde, i n : Haase, Stadt Bd. I I , S. 57 : „Die Stadtgemeinde w a r das Ergebnis einer revolutionären Bewegung, die sich gegen den bischöflichen Stadtherrn richtete." 72 Kroeschell, Stadtrecht, S. 284; Ennen, Stadt, S. 111. ™ Ennen, Stadt, S. 106. Dilcher, Entstehung, S. 182, betont dabei die genossenschaftsbegründende W i r k u n g des „Genießens" gleicher Privilegien, die aber noch keine Gemeinde i m Rechtssinne zu schaffen vermag, sondern n u r eine Gemeinschaft der Einwohner des Stadtbezirks. 74 Dilcher, Entstehung, S. 189: „ H i e r haben w i r eine zweite Entwicklungslinie neben der der coniurationes: Eide, die ein Herrschaftsverhältnis begründen oder bestärken, auf Dauer berechnet sind u n d die ganze Stadtbevölkerung umfassen." 7 3 Dilcher, Entstehung, S. 86 f , S. 188. ™ So m i t Recht Bosl, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, S. 194: „Der ,revolutionäre 4 Charakter der beschworenen ,Einung 4 kann auch dort, wo er bezeugt ist oder vermutet werden kann, n u r sehr maßvoll gewesen sein (Nordwesteuropa, Rheintal) und n u r positive, nicht ordnungsstörende Zwecke gehabt haben."
2. Die illegitime Herrschaft der Stadtgemeinde
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freilich bedienten sich auch kaum der Begriffe der „conjuratio" oder „conspiratio" und bezeichneten ihre besondere Rechtsstellung lieber als consuetudo, schon um der Frage nach der Berechtigung der Ausübung eines Widerstandsrechtes ausweichen zu können. „So traf das staufische Verbot aller coniurationes nicht die Schwureinung der Stadt, sondern nur Städtebünde und ähnliche politische Pakte. Barbarossa suchte eher, die Schwurverbände der Städte auf die Person des Herrschers auszurichten und damit zur Errichtung eines breiten Untertanenverbandes zu benutzen 77 ." Die conjuratores jedenfalls handelten nicht i n dem Bewußtsein, revolutionär „das System als solches" umstürzen zu wollen. Die conjuratio „revolutionären" Inhalts hatte nur den Zweck, die Rechte der Stadtbürger gegen diejenigen zu verteidigen, die sie bedrohten 78 . Sie richtete sich „gegen die Person des Herren (oder: Dieners), der die traditionalen Schranken der Gewalt mißachtete . . ." 7 9 . Zeigt sich so in der Verbindung des Begriffes der „traditionalistischen Revolution" m i t der städtischen Schwurgenossenschaft, daß Max Weber die spezifisch unrevolutionäre, weil systemimmanent bleibende Natur der städtischen Schwureinung hätte erkennen müssen, so verwundert demgegenüber seine Uberakzentuierung des revolutionären, nichtlegitimen Charakters der europäischen Stadtentwicklung. Die herrschaftliche Komponente der Stadtentwicklung, die Beteiligung der Stadtherren an der Herausbildung der Stadtgemeinde nicht nur i n den Gründungsstädten, ihre Beteiligung an den Schwurgenossenschaften 80 bekommt Max Weber nicht i n den Blick. Aber auch wo es nur u m die revolutionäre Schwurgenossenschaft geht, w i r d ihre Charakterisierung als illegitim nur dadurch ermöglicht, daß Max Weber sie als nichtrevolutionär i m Sinne der „traditionalistischen Revolution" ansieht und die Stadtentwicklung als gegen die Herrschaftsordnung des Mittelalters gerichtet auffaßt. Illegitimität bedeutet Durchbrechung des bestehenden Legitimitätszusammenhanges, bedeutet Revolution gegen das System als solches. Gerade das aber ist dort ausgeschlossen, wo es lediglich um die Ausübung eines — vermeintlichen oder wirklichen — Widerstandsrechtes geht. Zwar bahnt sich in der okzidentalen Stadt des M i t telalters der Beginn eines besonderen rationalen, neuzeitlichen Herrschafts- und Legitimationszusammenhanges an, aber eben i n den Formen und m i t den Intentionen des Widerstandsrechtes 81 . 7 7 Dilcher, Entstehung, S. 151. 78 Vgl. Griewank, Revolutionsbegriff, S. 23: „ . . . selbst offensichtliche Klassenpolitik des neuaufkommenden reichen Bürgertums gegen feudalen Stadtadel w i r d i n rechtlichen Formen betrieben, die der allgemein anerkannten ständischen Verschiedenheit Rechnung zu tragen suchen." 7» WuG., S. 130 f. so Bosl, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, S. 194.
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Illegitimität auf der einen Seite, Vernachlässigung der herrschaftlichen Beteiligung an der S tad tent Wicklung auf der anderen Seite — damit hat Max Weber den revolutionären Charakter der europäischen Stadtentwicklung aus einigen wenigen Erscheinungen herausdestilliert und typologisch überhöht. Daß diese typologische Überhöhung fruchtbar war und wie sehr sie es war, zeigen die Arbeiten von Hans Planitz, die m i t ihrer Betonung der revolutionären, eidgenossenschaftlichen Entstehung der Stadtgemeinde einen neuen Abschnitt in der Stadtgeschichtsforschung darstellten 82 . Und wenn diese Form des Idealtypus der europäischen Stadtentwicklung heute korrigiert wird, so hat sie — von dem Anspruch Max Webers her — ihren wissenschaftlichen Zweck erfüllt: „ . . . es gibt Wissenschaften, denen ewige Jugendlichkeit beschieden ist, und das sind alle historischen Disziplinen, alle die, denen der ewig fortschreitende Fluß der K u l t u r stets neue Problemstellungen zuführt. Bei ihnen liegt die Vergänglichkeit aller, aber zugleich die Unvermeidlichkeit immer neuer idealtypischer Konstruktionen i m Wesen der Aufgabe 8 3 ."
81 Noch i m 14. u n d 15. Jahrhundert ist der neuzeitliche Revolutionsbegriff unbekannt, vgl. Griewank, Revolutionsbegriff, S. 119 ff. 82 Vgl. Kroeschell, Stadtrecht, S. 283 f. 83 WL., S. 206.
Zusammenfassung Die Zielsetzung dieser Arbeit war es, die zeitbedingten Elemente i n Max Webers Herrschaftssoziologie aufzuspüren. Wenn dies auch zum Teil nur unter Begehung großer Umwege möglich war, da direkte A n haltspunkte, wie sie i n jedem anderen wissenschaftlichen Werk allein durch den Anmerkungsapparat gegeben sind, hier fehlen, so dürfte doch deutlich geworden sein, wie sehr Max Weber aus dem begrifflichen und methodologischen Inventar der Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts gelebt hat und zu verstehen ist. Die Verankerung der Denkschritte und Begriffsbildungen Webers i n der Wissenschaftsgeschichte mag zwar von seinem Anspruch her, universalgeschichtliche Soziologie zu betreiben, befremdlich erscheinen, ist aber nur eine Folge der notwendigen Zeitgebundenheit aller Wissenschaft. Max Weber selbst hat dies in seinem programmatischen Aufsatz über „Die »Objektivität' sozial wissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis" anerkannt. Es ist bedauerlich, daß eine direkte Zurückführung der soziologischen Begriffe auf andere Autoren etwa der Allgemeinen Staatslehre nur i n den seltensten Fällen möglich ist. Aber gerade dadurch w i r d deutlich, wie sehr Weber das geistige Kontinuum seiner Zeit i n sich aufgenommen und aus den divergentesten Richtungen der Wissenschaft und innerhalb einzelner Wissenschaftszweige aus den divergentesten Schulen das geschöpft hat, was er zum Aufbau seiner universalhistorischen Soziologie brauchen konnte. So zeigte sich an der Herausbildung eines allgemeingültigen Herrschaftsbegriffes, daß in diesem Begriff die Entwicklung des Staates und der von ihm abgehobenen Gesellschaft i m 19. Jahrhundert ihre tiefgreifenden Spuren hinterlassen hat. Dies ist nicht verwunderlich angesichts einer Speziai Wissenschaft wie der Rechtsund Verfassungsgeschichte, deren Bestreben dahin ging, die Existenz eines öffentlichen Rechts und einer privaten Gesellschaft schon i n fränkischer Zeit aufzuweisen, die unbekümmert um daraus erwachsende Schwierigkeiten den Begriff einer höchsten Staatsgewalt und des neuzeitlichen Gesetzes in Zeiten zurückverlegte, die zwar eine Rechts- und Herrschaftsordnung in vielfältig abgestufter Form kannten, aber denen der Begriff des Staates notwendig fremd sein mußte. Die Reduzierung des Herrschaftsbegriffes bei Max Weber auf eine einfache Struktur, i n der Befehl und Gehorsam sich ohne Regulativ gegenüberstehen, entspricht bis in die Einzelheiten den Anforderungen, die der moderne
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Staatsbegriff und der Begriff der Staatsgewalt an einen Herrschaftsbegriff stellen durften. Die Gegenseitigkeit aller Herrschaft aber w i r d durch Max Weber in das Korrektiv der Legitimität verlegt, wo sie jedoch infolge von deren rein psychologischer Ausrichtung nur einen unzureichenden Platz findet. Es gehört freilich zu den großen Leistungen Webers, daß er eine Korrektur seiner eigenen Begrifflichkeit i m Einzelfall vorgenommen hat und sein Bemühen um allgemeingeschichtliche Begriffe nur selten Herr werden ließ über das geschichtliche Material. Die Untersuchung der Legitimitätstypen hat bei ihrer Zurückführung auf letzte Geltungsgründe anstatt der Dreiteilung in charismatische, traditionale und rationale Legitimität eine Dichotomie ergeben, die die Anerkennung der bloßen Faktizität der Macht einerseits und den Glauben an vorbildliche Persönlichkeiten oder an Werte andererseits i n sich schloß. Dabei konnte der wissenschaftsgeschichtliche Ort jedes der drei Legitimitätstypen in etwa abgesteckt werden. Die charismatische Legitimität beruht als Typus auf der Verallgemeinerung eines geschichtlichen Sonderfalles, bei der aber doch gerade die historisch besonderen Eigenarten der historischen Form des Urchristentums als Vorbild für den Typus beibehalten werden. So kommt es trotz aller Verallgemeinerung doch zu keinem universalgeschichtlich brauchbaren Legitimitätstypus, wie auch der Verzicht der modernen Soziologie auf die Verwendung dieses Typus zeigt. Der Typus der charismatischen Legitimitätsgeltung bleibt beschränkt auf religiös begründete soziale Ordnungen und vermag die Alltäglichkeit der Herrschaft eben gerade nicht zu umfassen. Der Typus der traditionalen Legitimitätsgeltung wiederum zeigt sehr schnell das Dilemma, das in dem Problem der Wertgeltung für die Legitimitätsfrage steckt. Eine konsequente Begründung dieses Legitimitätstypus auf die rechtfertigende Kraft des Gewohnten zeigt der näheren Betrachtung schnell die Zweiteilung i n wertrationale Legitimität und i n Legitimität vermöge der normativen Kraft des Faktischen. Dabei wurde gezeigt, wie sehr Max Webers Fassung des traditionalen Legitimitätstypus notwendig an der wissenschaftlichen Diskussion um den einzigen Ort, wo dieses Problem behandelt werden konnte: der Frage nach der Geltung des Gewohnheitsrechtes, orientiert ist. Hier aber entsteht aus der Unmöglichkeit des Rekurses auf eine Wertgeltung der Begriff der normativen K r a f t des Faktischen als psychologischer Grundlage der Legitimitätsgeltung. Für Max Weber gilt dabei, daß er nicht unvermittelt aus dem Sein ein Sollen werden läßt, sondern diese Transformation i n eine psychische Eigenschaft des Menschen verlegt: das bereits Seiende w i r d als Gesolltes geglaubt.
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Der Typus der legalen (rationalen) Legitimität wiederum weist zwei verschiedene Legitimierungsarten auf. Zum einen t r i t t i m Krisenfall, i n dem erst das Herrschaftsrecht der das Recht setzenden Herrschaftsträger hinterfragt wird, die legitimierende Kraft des Gewohnten oder aber die Wertrationalität als Legitimierungsfaktor auf. Zum anderen aber besitzt die spezifische Herrschaftsform der rationalen Legitimität — die Rechtsordnung — eine besondere, auf den Alltagsfall zugeschnittene Legitimierung, die Max Weber dem rechtswissenschaftlichen Positivismus seiner Zeit entnimmt. Eine materiale Legitimierung über eine Wertverwirklichung innerhalb der Rechtsordnung hätte dem Charakter der formalen Rationalisierung des Rechts und damit seiner Möglichkeit, Freiheitsverbürgung für den einzelnen darzustellen, widersprochen. Schied aber diese Legitimierungsform aus, so blieb nur übrig, die Geltung des Rechts auf die Anerkennung der Geltung durch die Rechtsunterworfenen zu stützen. Max Weber begegnet hierin der Anerkennungstheorie des juristischen Positivismus, die aus der Inanspruchnahme auch nur einer Norm des i n sich geschlossenen Normsystems die Anerkennung des gesamten Systems folgert. So kann der Typus der rationalen Legitimitätsgeltung letztlich nicht als eigenständiger Legitimitätstypus gelten, da die in i h m enthaltenen Legitimitätsgründe diejenigen der normativen Kraft des Faktischen oder aber der Wertrationalität darstellen. Bei der Untersuchung der verschiedenen Herrschaftstypen beschränkt sich die Arbeit auf den Typus der traditionalen Herrschaft, wobei zunächst der Patrimonialismus begegnet. Max Weber hat diesen Begriff der Verfassungsgeschichtsforschung seiner Zeit entnommen, für die er als Bezeichnung der sich in privaten Formen bewegenden, an sich aber staatlichen Herrschaft des Mittelalters, der ,Feudalanarchie', diente. Die gleiche Funktion übernimmt der Begriff bei Max Weber, der die Ausübung politischer Rechte i n Form privater Berechtigungen darunter subsumiert und so die mittelalterliche Ungeschiedenheit von p r i vat' und ,öffentlich' verfehlt. Wenn Weber auch nicht von einem Bestand des Staates i m Mittelalter ausgeht, so konzipiert er doch eine universalhistorische Trennung von politischem und privatem Bereich, für deren nur scheinbare Aufhebung der Begriff des patrimonialismus' zur Verfügung gestellt wird. Aus der patriarchalischen Hausherrschaft, i n der die politische Gewalt noch verborgen liegt, entsteht durch räumliche Ausgliederung anderer Hausherrschaften die patrimoniale Herrschaft, die ihrerseits durch Angliederung fremder Hausherrschaften zur politischen Herrschaft wird. Dabei zeigt sich i n den Schwierigkeiten, die einer sauberen Trennung von ,privat' und ,politisch' i m Einzelfall gegenüberstehen, wie sehr diese Begriffe dem chaotischen Strom der Geschichte nur ok-
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troyiert sind, um Ordnung schaffen zu können. Der Begriff des Politischen entstammt hierbei dem Begriffsvorrat von Max Webers Epoche: er ist die grundsätzlich beschränkte staatliche Herrschaft gegenüber dem einzelnen als Träger eigener Rechte. Die Unbeschränktheit der privaten Herrschaft hingegen w i r d in der Kategorie des Eigentums gedacht: das absolute Sachenrecht steht i m 19. Jahrhundert zur Verfügung, um unbeschränkte Herrschaft begrifflich erfassen zu können. Das patrimoniale, eigentumsgleiche Herrschaftsrecht kennt aus sich heraus keine rechtliche Begrenzung. Rechtlich geregelte Beschränkung der patrimonialen Herrenmacht kann nur vom Herrn ausgehen. Hier t r i t t freilich ein anderer Strang der Staatsrechtslehre als Vorbild für Webers Herrschaftssoziologie auf: das Rechtssetzungsrecht des patrimonialen Herrn w i r d dem Rechtssetzungsrecht des Gesetzgebungsstaates gleichgestellt, das entsprechend der inneren Souveränität des Staates nicht — auch nicht durch Selbstbindung — eingeschränkt werden kann. So bildet der Staat für den Idealtypus der patrimonialen Herrschaft ein zweifaches Vorbild: einmal formt sich an ihm als nur eingeschränkt denkbarem Herrschaftsgebilde das Bild der politischen Gewalt, während das andere Mal seine unbeschränkte innere Souveränität die Stellung der patrimonialen, unpolitischen Herrschaft bestimmt. Einen weiteren bedeutsamen Teil der traditionalen Herrschaft, den Feudalismus, erfaßt Max Weber in seiner schon verrechtlichten und dogmatisierten Form der Hochblüte des Lehnswesens i m Abendland. Der qualifizierte Fall dieses Feudalismus w i r d zum Normalfall, an dem vergleichbare Erscheinungen gemessen werden. Dabei orientiert sich die Stellungnahme Max Webers zur Bedeutung des Feudalismus weitgehend an der Feudalismusdiskussion des 18. und 19. Jahrhunderts: Feudalismus stellt die Dezentralisation einer ursprünglich bestehenden Herrschaftsgewalt innerhalb eines ursprünglich einheitlichen politischen Verbandes dar. Dieser Verband ist konzipiert als neuzeitliche Verwaltungseinheit, zu deren verwaltungsmäßiger Dezentralisation das Lehnswesen seinen Teil beiträgt. So ist es nur konsequent, daß die ständische Vertretung ihren Ursprung allein in der Rechtsgenossenschaft der Lehensträger zugeschrieben bekommt, da für die Teilhabe allodialer Herrschaftsträger an der dezentralisierten Staatsgewalt kein Raum sein kann. Die ständische Beteiligung an der Herrschaftsausübung i m Land gilt als Repräsentation und der Fürst als die Quelle allen subjektiven Rechts. Das Vorbild des Staates bei der Beschreibung patrimonialer Herrschaftsformen ist unverkennbar. Der Feudalismus ist von Max Weber als Idealtypus konzipiert worden, dem es jedoch an der einseitigen Steigerung eines seiner Elemente zu einem utopischen Gedankenbilde gerade fehlt. Der Typus des Feu-
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dalismus stellt genau das europäische Lehnswesen im Hochmittelalter dar. Damit aber handelt es sich bei ihm letztlich um keinen idealtypischen, sondern um einen klassifikatorischen oder Gattungsbegriff, aus dem heraus erst durch die Steigerung eines Begriffselementes ein Idealtypus gebildet werden könnte. Der „Typus" des Lehensfeudalismus kann somit — wie sich auch in seiner universalgeschichtlichen Verwendung durch Max Weber zeigt — nicht i m Sinne eines Idealtypus zur Kontrastierung der Wirklichkeit verwandt werden. Als klassifikatorischer Begriff vermag er nur äußere Ähnlichkeiten aufzuzeigen und kann nicht dazu dienen, den gemeinsamen Sinn deutlich werden zu lassen. Das letzte Kapitel der Arbeit beschäftigt sich m i t Ausschnitten aus Max Webers Stadtsoziologie. Dabei zeigt sich, daß Max Weber trotz seiner universalhistorischen Intention seinen Stadtbegriff an dem Rechtsbegriff der Stadt ausrichtet, wie er i m Anschluß an Rudolph Sohm von der positivistischen Stadtgeschichtsforschung und Rechtsgeschichte seiner Zeit entwickelt worden ist. Dieser Rechtsbegriff der Stadt aber setzt den Bezug auf die übergreifende Rechtsordnung des Staates voraus: die Gemeinde als Zentrum dieses Stadtbegriffes vermag sich nur in der Auseinandersetzung m i t dem ihr übergeordneten politischen Verband des Staates herauszubilden. Die idealtypische Durchformung des Stadtbegriffes hätte Max Weber — i m Gegensatz zur positivistischen Rechtsgeschichte m i t ihrem als Ordnungsbegriff verstandenen Stadtbegriff — dazu befähigt, eine differenzierte Typologie der okzidentalen Stadt zu schaffen, wie sie sich in den letzten Jahren heranzubilden scheint. Daß er diese Aufgabe nicht unternommen hat, liegt wohl an der Ausrichtung seines Interesses auf die Entstehung des okzidentalen Rationalismus, die die Ausformung seiner Stadtsoziologie bestimmt. Das Aufkommen des okzidentalen Rationalismus innerhalb der Städte scheint sich für Max Weber nicht in den Bahnen der überkommenen Herrschaftsordnung bewegen zu können: die Städte sind für ihn das einzige Beispiel illegitimer Herrschaft. Dabei vergißt Max Weber jedoch einerseits die M i t w i r k u n g des Stadtherrn an der Entwicklung der Stadt und andererseits den von ihm geprägten Begriff der traditionalistischen Revolution, die sich zwar gegen die Person des Herrn, nicht aber gegen die Herrschaftsordnung selbst erhebt. So ist die Stadt für ihn der Ort der illegitimen, sich gegen den Herrschaftszusammenhang wendenden und eigenberechtigten Herrschaft. Der Rechtsgrund dieser illegitimen Herrschaft liegt in der Schwurgenossenschaft der Stadtbürger. Damit aber ist Weber der Begründer einer bedeutsamen, wenn auch heute teilweise überholten Stadttheorie geworden. Sein Idealtypus der mittelalterlichen okzidentalen Stadt hat
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die Aufgabe erfüllt, die allen idealtypischen Bildungen gestellt ist: den Boden zu bereiten, auf dem sie korrigiert und ersetzt werden können. Die Arbeit beschäftigte sich mit der Zeitgebundenheit in Max Webers Begrifflichkeit. Insofern mag es verwundern, daß eine Reflektion auf die Ursachen dieser Zeitgebundenheit i m Text fehlt und nur an den beiden Beispielen der charismatischen Legitimität und des FeudalismusBegriffes auf die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen eingegangen worden ist, denen die Zeitgebundenheit der befragten Idealtypen und Begriffe entspringt. Das hat zwei Gründe: Zum einen liegt die Erkenntnis, daß jede Wissenschaft m i t dem Begriffsvorrat ihrer Zeit arbeitet, als Selbstverständlichkeit vor allem Aufbau wissenschaftlicher Begrifflichkeit — auch und gerade für Max Weber. Zum anderen aber macht es der Umgang Webers m i t seinen eigenen Begriffen, Kategorien und Typen unmöglich, generelle Erkenntnisse aus ihrer jeweiligen Verwendung abzuleiten. Max Weber verwendet sie als Rüstzeug für den Umgang m i t der Universalgeschichte stets nur heuristisch und bei aller allgemeinen Fassung und äußeren Formulierung als allgemeingültiger Definition doch immer nur auf seinen konkreten Zweck bezogen. So erklärt es sich, daß die Ausformung dieser Begriffe je nach ihrem Kontext wechselt, daß ein Idealtypus zum klassifikatorischen Begriff w i r d und umgekehrt. Methodologische Aspekte lassen sich nur aus Max Webers methodologischen Arbeiten ablesen, nicht aber aus seinem jeweils wechselnden Umgang m i t seiner Begrifflichkeit. Insofern läßt sich bei Max Weber immer nur i m Einzelfall eine Zeitgebundenheit dieser oder jener Aspekte eines Begriffes herausarbeiten, ohne daß es möglich wäre, ihn — außer auf die erkenntnistheoretische Grundlegung seines Zuganges zur Wirklichkeit — generell festzulegen. Eine Wirklichkeitsauffassung, die davon ausgeht, daß die durch den Menschen entwickelten Begriffe die Wirklichkeit denkend ordnen, w i r d — insbesondere bei einer universalhistorisch-vergleichenden Ausrichtung — immer mehr zu zeitgebundenen Fassungen der Begriffe gelangen müssen als dies der Fall wäre bei einer Auffassung, die dem Zugang zur Begrifflichkeit der Quellen den Vorrang gäbe. Die i n sich amorphe Wirklichkeit kann denkend nur i m Gedankenvorrat der eigenen Zeit geordnet werden — zu zeigen, wie dies i m konkreten Fall bei Max Weber ausgesehen hat, war das Ziel dieser Arbeit.
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