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German Pages 158 Year 1997
ANGELO O. ROHLFS
Hennann von Mangoldt (1895 -1953)
Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 71
Hermann von Mangoldt (1895-1953) Das Leben des Staatsrechtiers vom Kaiserreich bis zur Bonner Republik
Von
Angelo O. Rohlfs
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Rohlfs, Angelo 0.: Hennann von Mangoldt : (1895 - 1953) ; das Leben des Staatsrechtlers vom Kaiserreich bis zur Bonner Republik I von Angelo o. Rohlfs. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zur Rechtsgeschichte; H. 71) Zug!.: Kiel, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-08869-7
Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Gennany ISSN 0720-7379 ISBN 3-428-08869-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9
In Angedenken an Volker und Wilfried Wittenberg
Vorwort Die vorliegende Arbeit hätte nicht entstehen können ohne die unbürokratische Hilfsbereitschaft und das Verständnis der Mitarbeiter des Bundesarchivs, des Landesarchivs Schleswig-Holstein, des Geheimen Preußischen Staatsarchivs, des Militärgeschichtlichen Forschungsamts, der Universitätsarchive Jena und Tübingen, des Walter-Schücking-Instituts, der Marine-Offizier-Vereinigung, des Archivs für Christlich-Demokratische Politik sowie nicht zuletzt der Bibliothekarin des Bundespräsidialamts, Frau Sabine Krug. Ihnen allen sage ich: Danke! Weiterhin schulde ich Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig nachdrücklich Dank dafür, daß er trotz seiner Ernennung zum Bundesminister der Justiz und der damit verbundenen Zeitknappheit stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat. Zudem gilt mein aufrichtiger Dank der Unterstützung und freundlichen Aufnahme durch Frau Waltraut v. Mangoldt und Herrn Professor Dr. Hans v. Mangoldt. Die Veröffentlichung erfolgt mit fmanzieller Unterstützung durch die Präsidentin des Deutschen Bundestages. Hamburg, im Oktober 1996
Angelo 0. Rohljs
Inhaltsverzeichnis Einleitung .................................................................................................................. 13 Erster Teil
Kaiserreich und Weimar 1. FaIllilie und Jugend ............................................................................................... 15 1. Die Großeltern .................................................................................................. 16 2. Das Elternhaus ........ ............................ ................ .............. ................................ 17 3. Die Jugend- und Schuljahre ............................................................................. 19 II. Erster Weltkrieg ..................... .... .... ......................................... .... .......................... 20 III. Königsberger Jahre - auf Umwegen zur Rechtswissenschaft ................................ 24
1. Wieder das Wasser - der Reichswasserschutz .................................................. 2. Referendar, Doktorand und Assistent ............................................................... 3. Habilitation ....................................................................................................... 4. Die erste Professur ............................................................................................
24 25 26 34
Zweiter Teil
Drittes Reich 1. Letzte Friedensjahre - Professor in Tübingen ........................................................ 37 II. Zweiter Weltkrieg ................................................................................................. 54
1. Im Wehrdienst auf See - Professor in Jena ....................................................... 54 2. Professor in Kiel ............................................................................................... 60 Dritter Teil
Bundesrepublik Deutschland 1. Neuanfang in Schleswig-Holstein ......................................................................... 64
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Inhaltsverzeichnis
1. Faulück und die weite Welt des Völkerrechts - Wiederaufbau von Universität
und Institut ... ...... .................. ..... ..... ......... ... ............ ................. ..... ................. ..... 64 2. Zwischen Hunger und Hoffnung - Provinziallandtag, Vorläufige Verfassung und Innenminister ... ........ .. ....... ....... ....... ....... .... ................ ....... ..... .......... ..... ....... 70 11. Parlamentarischer Rat und Bonner Grundgesetz .................. ....... ...................... ..... 83 1. Die Entstehung des Parlamentarischen Rates ........ ................ ....... ...... ....... ..... ..... 83 2. Organisation des Parlamentarischen Rates .............. ... ... .... ......... ........ ..... ....... ..... 85 3. Der Mangoldt macht die Menschenrechte - Arbeit im Grundsatzausschuß ......... 88 a) Die Präambel- die politisch-historische Dimension ........................................ 92 b) Die Bundespräsidentenwahl, Mehrheit im Bundesrat - der Systematiker ...... 107 c) Die Bundesflagge - der Marineoffizier ........................................................... 109 d) Der Gleichheitssatz des Artikel 3 Absatz 1 GG - späte Frucht ....................... 115 e) Das Bundesverfassungsgericht - falscher Lorbeer .......................................... 121
lli. Professor unter dem Grundgesetz ....................................................................... 125
Zusammenfassung .................................................................................................. 133
Anhang I. LebenslaufHermann von Mangoldts .................................................................. 139 11. Bibliographie Hennann von Mangoldts .............................................................. 142 1. Chronologische Übersicht seiner Schriften ....... .......... .... ......... ... ..... ..... .... ..... 142 2. Besprechungen seiner Schriften ..................................................................... 145 3. Literatur über Hermann v. Mangoldt .............................................................. 146
QueUen- und Literaturverzeichnis ................... ......... ..... .................. ................. ..... 148 I. Ungedruckte Quellen ........................................................................................... 148 1. Archivalien ..................................................................................................... 148 2. Briefe, Gespräche und Erinnerungen .............................................................. 149 11. Gedruckte Quellen und Literatur .. ............... .... ...... .... ........ ..... ...... ...... ....... ......... 150 1. Protokolle, Dokumente und Verzeichnisse ..................................................... 150 2. Literatur .......................................................................................................... 150
Personenverzeichnis ... ................ ................... ............. ............................................. 156
Abkürzungsverzeichnis ADB Ast. Asto BAB BAKO BAP BA-MA BBG BSW d.R. DVO GSA KAdm LASL
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NDB RWS SM SS StS TH UAJ UAKI UATÜ VAdm
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Allgemeine Deutsche Biographie Außenstelle Admiralstabsoffizier Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv Koblenz Bundesarchiv Potsdam Bundesarchiv-Miltärarchiv Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums Befehlshaber Sicherung West der Reserve Durchfiihrungsverordnung Geheimes Staatsarchiv Konteradmiral Landesarchiv Schleswig Innenministerium des Landes Schieswig-Hoistein Landessatzung Militärgeschichtliches Forschungsamt Mobilisierung nicht beamteter außerordentlicher (professor) Neue Deutsche Biographie Reichswasserschutz Seiner Majestät Sommersemester Staatssekretär Technische Hochschule Universitätsarchiv Jena Universitätsarchiv Kiel Universitätsarchiv Tübingen Vizeadmiral Vorläufige Verfassung Wintersemester zur See
Einleitung "Staatsrechtlern bleibt die öffentliche AnerkennWlg zumeist versagt."
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Diese ernüchternde Bilanz über die Resonanz eines Lebenswerks stammt selbst von einem angesehenen Mitglied der Staatsrechtslehrervereinigung. Die Widerlegung oder Bestätigung dieser Aussage war hingegen nicht der Auslöser, aber immer wieder Ansporn während der Abfassung der vorliegenden Arbeit. Den 100. Geburtstag Hermann v. Mangoldts am 18. November 1995 zum Anlaß nehmend, widmet sich die vorliegende Arbeit dem Leben und Wirken des Staatsrechtlers. Das nicht besonders lange, aber an Aufgaben so reiche Leben Hermann v. Mangoldts umfaßte die verfassungsrechtlichen Epochen unseres Jahrhunderts. Vom Kaiserreich bis hin zur Bonner Republik sollte sich ihm in besonderer Weise Gelegenheit zur nachhaltigen Betätigung bieten. Das Leben v. Mangoldts ist gewissermaßen ein Kaleidoskop der jüngeren deutschen Geschichte: seine Jugendjahre verbrachte er im Kaiserreich, in der Weimarer Republik hatte er sich für die akademische Laufbahn entschieden, deren Höhepunkt er als Soldat im Dritten Reich erlebte. Nach dem Ende des Krieges beteiligte er sich als Hochschullehrer und Politiker am politischen und akademischen Neuaufbau Schleswig-Holsteins und schließlich hat er im Parlamentarischen Rat an der Ausarbeitung des Grundgesetzes und somit am Aufbau der Bonner Republik mitgewirkt. Vor dem Hintergrund der Geschichte gewinnt das Nachzeichnen seines Lebensweges eine über die bloße Beschreibung hinausgehende Qualität; Einblicke in die Verfassungsgeschichte werden möglich. Die sie bestimmenden Umstände und Zusammenhänge treten hervor. Dadurch wird das Verständnis über die Vergangenheit und für ihre Protagonisten erhöht und das Wissen um einen kurzen Zeitraum der Entwicklung unserer Rechtswissenschaft vermehrt. Das Leben eines Menschen ist eben immer auch ein Stück Geschichte. Eine jede biographische Arbeit lebt von Zeitzeugenberichten. Sie machen die Darstellung erst richtig lebendig und anschaulich. Obwohl in historischen Dimensionen seit dem Ende des Ersten Weltkrieges nicht gerade eine lange
I
Prof.Dr. Wilhelm G. Grewe in einem Gespräch mit dem Verfasser am 13.7.1995.
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Einleitung
Zeit vergangen ist, reicht sie aus, wn die Lebensuhr der meisten Menschen ablaufen zu lassen. Daher gibt es heutzutage nur wenige Weggefährten Hermann v. Mangoldts, auf deren Erinnerungen zurückgegriffen werden konnte. Das ist gerade im Hinblick auf die Beschreibung der Persönlichkeit v. Mangoldts und die Erhellung der Gründerjahre der Bundesrepublik bedauerlich, da in dieser Zeit häufig aufgrund mündlicher Absprachen vorgegangen wurde und der dokwnentarischer Eifer wegen anderer drängender Probleme nicht den heutigen Umfang besaß. Von dieser Einschränkung abgesehen, ist reichlich Material vorhanden, das es ermöglicht, den Lebensweg v. Mangoldts nachzuzeichnen. Der Gang der Untersuchung folgt dem Lebenslauf v. Mangoldts. Da die vorgenommene Gewichtung sich zuallererst an dem vorgefundenen Quellenmaterial ausrichtet, ist es durchaus möglich, daß eine Schieflage zwischen dem "wirklichen" und dem dokwnentierten Wesen v. Mangoldts vorliegt. Nicht jeder Beitrag ist daher gleichermaßen berücksichtigt worden, nicht jedes fiir die Persönlichkeitsentwicklung bedeutsame Ereignis fand Aufmerksamkeit. Abgesehen von den so vorgegebenen Bedingungen erschien es wichtig, in staatsrechtlicher Hinsicht besonderes Augenmerk auf die Ausarbeitung des Grundgesetzes zu legen. Dabei wurde eine Beschränkung in zweifacher Hinsicht vorgenommen. Zwn einen hinsichtlich der ausgewerteten Quellen und zum anderen hinsichtlich der behandelten Beratungsgegenstände. So wurde die Entstehungsgeschichte einiger ausgewählter Grundrechtsartikel inklusive der Präambel aufgrund der Materialien der CDU/CSU-Fraktion, des Ausschusses fiir Grundsatzfragen, des Hauptausschusses und des Plenwns des Parlamentarischen Rates erläutert. Bei der Auswahl der Grundrechtsartikel wiederwn war der Leitgedanke, solche auszuwählen bei denen v. Mangoldt sich stark eingebracht hat bzw. deren Endfassungen erkennbar seine Handschrift aufwiesen. Die in dieser Hinsicht zwangsläufige Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes bringt es mit sich, daß die vorliegende Arbeit nicht den Anspruch auf eine Gesamtwürdigung des wissenschaftlichen Werkes und der Persönlichkeit Hermann v. Mangoldts erheben kann. Vielmehr geht es darum, seine berufliche und wissenschaftliche Entwicklung, wo möglich oder nötig, anhand seiner Werke und auch der historischen Rahmenbedingungen zu erarbeiten. Dabei lautete die leitende Fragestellung: "Wo begann der Lebensweg Hermann von Mangoldts, welche Überzeugungen gewann er im Laufe der Zeit und was konnte er aus den Erfahrungen seines Lebens in das neue staatsrechtliche Fundament Deutschlands einbringen? "
Erster Teil
Kaiserreich und Weimar I. Familie und Jugend Der Weg Hennann v. Mangoldts begann wie der eines jeden Menschen nicht erst bei seiner Geburt. Vielmehr wurde auch er in eine konkrete politischgesellschaftliche Situation und ein Geflecht von gewachsenen Traditionen sowie Beziehungen hineingeboren, deren Wurzeln in der Vergangenheit liegen. Diese Rückbeziehung bestimmt unmerklich die menschliche Entwicklung, wobei von der Familie - als nächstem Beziehungsfaktor - über Jahre maßgebende Einflüsse ausgehen. In gebotener Kürze seien daher die familiären Gegebenheiten Hennann v. Mangoldts dargestellt. Die Familie v. Mangoldt ist ein sächsisches uradeliges Geschlecht, das im Jahre 1261 mit dem Namen ManegoIdus erstmals urkundlich erwähnt wurde.' Die Stammreihe der Familie beginnt 1328 mit Heinrich, genannt Manegolt, in Weißenfels und Posern. Von dort gelangte die Familie Anfang des 16. Jahrhunderts in das Vogtland und von dort später eine Linie nach Westfalen. Die männlichen Abkömmlinge der Familie bekleideten in der langen Geschichte der Familie allezeit respektable Ämter und Dienstposten im sächsischen Staatsdienst. Die mit hohen Ehren verbundenen Dienststellungen wurden allerdings erst zu Beginn des 19 Jahrhunderts erlangt. Von nun an gewann die Familie in Sachsen entscheidend an Bekanntheit und Berühmtheit.' So war earl Ernst Adolph v. Mangoldt Landstallmeister in Moritzburg, Hans Julius August v. Mangoldt Generalleutnant und Gustav Traugott v. Mangoldt Geheimer Regierungsrat im Ministerium des Innern. Erich Gustav Karl Ferdinand v. Mangoldt-Reiboldt bekleidete als Königlicher Kammerherr und Hofmarschall sicherlich das Amt mit dem meisten Prestige. Der Urgroßvater Hennann v. Mangoldts, Karl Georg Julius v. Mangoldt, war als Präsident des Oberappellationsgerichts in Zwickau höchster Richter Sachsens. Vor dem Hintergrund der jüngsten deutschen Vergangenheit gibt es .dazu eine bemerkenswerte Wiederholung der Geschichte: der Sohn Hennann v. Mangoldts, Hans v. Mangoldt, Professor in Tübingen, bekleidete als Mitglied
,
Die Erwähnung eines Mangoidus, Nobilis im Jahre 1089 läßt sich nicht urkundlich absichern. 'Vgl. Eintrag bei: Kneschke, Adels-Lexicon Bd. VI, S.114.
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Erster Teil: Kaiserreich und Weimar
des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs wiederum das höchste Richteramt Sachsens. Die Familiensaga erzählt, daß der Verlust des Gutes Schilbach im Vogtland den Zwang auslöste, "ordentlichen Berufen" nachgehen zu müssen. Dies soll der Grund für den Weg an die Universität gewesen sein, den erstmals der bereits erwähnte Urgroßvater Hermann v. Mangoldts beschritten hat. In der Folge sollten mehrere Mitglieder der Familie eben diesen Weg beschreiten und sich der akademischen Laufbahn verschreiben: Bislang hat jede Generation mindestens einen "Professor v. Mangoldt" hervorgebracht und so einen Arbeiter in den Weinberg der Wissenschaft' entsandt. 1. Die Großeltern
Der Großvater Hermann v. Mangoldts, Hans Karl Emil (1824-1868)5, studierte Jura und Staatswissenschaften in Leipzig und in Genf. Dorthin wechselte er 1844 , da er sich als Mitglied einer burschenschaftlichen Studentenverbindung die Strafe des "consilium abeundi" zuzog. 1845 ging er von dort nach Tübingen, wo er 1847 zum Doktor der Staatswissenschaften promovierte. Danach in seine sächsische Heimat zurückgekehrt, trat er in die Dienste des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten ein und übernahm die Leitung des offiziösen Dresdner Journals. Als aber die Regierung im Jahre 1850 die 1848 erlassenen Verfassungsänderungen außer Kraft setzte, regte sich erneut der Burschenschafter in Hans Karl Emil v. Mangoldt und er reichte seine sofortige Entlassung ein. In der Folgezeit beschäftigte er sich, von seinem ehemaligen Leipziger Lehrer Georg Hanssen gefordert, mit nationalökonomischen Studien, wobei er seit 1852 den Lebensunterhalt für seine junge Familie - 1853 heiratete er die Großkaufmannstochter Luise v. Lengerke6 - als Chefredakteur der amtlichen Weimarer Zeitung verdiente. Durch die Heirat mit der wohlhabenden Tochter änderten sich die Lebensumstände nicht unmittelbar. Dennoch, ihr Eintritt in Hans Karl Emil v. Mangoldts Leben war spürbar. Auf der einen Seite hat die Weltgewandtheit' der in Philadelphia geborenen Großmutter Hermann v. Mangoldts eine Offenheit neuen Ideen gegenüber in den familiären Alltag hineingebracht, die sich auf akademischer Ebene mit den neuen Wegen der Forschung ihres Ehemannes deckte. Und auf der anderen Seite gelang es der , So Adolph Wagner in der Trauerrede auf v. Mangoldts Großvater. Zitat bei v. Mangoldt, Reden zu seinem Gedächtnis, S. 9. 5 Vgl. Eintrag in: ADB Bd 28, S. 190-193 sowie NDB Bd16, S. 30-31. 6 Siehe Eintrag in NDB Bd. 16, S. 30. , Für Einzelheiten s. Jugenderinnerungen.
I. Familie und Jugend
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vennögenden Ehefrau in den folgenden neun Jahren, ohne feste Besoldung des Ehemannes, die Familie zu finanzieren. Da sich nämlich die Hoffnungen v. Mangoldts auf eine Übernahme in den sächsisch-weimarischen Staatsdienst aufgrund seiner burschenschaftlichen Vergangenheit und "politischen Unzuverlässigkeit" zerschlugen, verließ der Großvater Hennann v. Mangoldts 1854 das Blatt und entschloß sich immerhin schon 30 Jahre alt - für eine akademische Laufbahn. Im folgenden Jahr habilitierte er sich bei Georg Hanssen in Göttingen und nahm seine Tätigkeit als Privatdozent dortselbst auf. Obwohl es politische Bedenken gegen den ehemaligen Burschenschafter gab, wurde v. Mangoldt 1858 zum unbezahlten außerordentlichen Professor ernannt. An der früheren burschenschaftlichen Betätigung in Leipzig scheiterten in der Folge allerdings zwei Berufungen. Erst auf Empfehlung von Carl Knies wurde er 1862 dessen Nachfolger als ordentlicher Professor der Nationalökonomie und Cameralwissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.. Als einziger Vertreter seines Faches an der Universität entwickelte er nun eine rege wissenschaftliche Tätigkeit, die ihm einen Ruf nach Prag einbrachte, den er allerdings ausschlug. Mit noch nicht 44 Jahren starb Hans Karl Emil v. Mangoldt am 19. April 1869, während eines Kuraufenthaltes in Wiesbaden, an einem Herzschlag. Er hinterließ seine 34 jährige Frau und sieben Kinder (das achte wurde nach seinem Tode geboren) im Alter von 14 Jahren bis zu sechs Wochen. Darunter war als ältestes Kind Hans Karl Friedrich, der Vater Hennann v. Mangoldts. Trotz der nur kurzen - in etwa zehn Jahre währenden - wissenschaftlichen Schaffenszeit gilt Hans Karl Emil v. Mangoldt heute als "( ... ) einer der bedeutendsten deutschen Wirtschaftstheoretiker des 19. Jahrhunderts ( ... ).", Durch seine Arbeiten, insbesondere zum verallgemeinerten Rentenbegriff Ricardos, zur Preisbildung und der Produktionstheorie, bereitete er der neoklassischen Theorie den Boden. In der eigenen Generation kaum beachtet, gelangten v. Mangoldts Ansätze dafür nach seinem Tode durch Theoretiker wie Edgeworth, Knight, Schäffle und Schumpeter zu entsprechender Bedeutung: 2. Das Elternhaus
Der Vater Hennann v. Mangoldts ist heute noch den Studenten der Mathematik durch das von ihm begründete und nach seinem Tode von Konrad Knoop überarbeitete erscheinende Werk "Einführung in die höhere • Vgl. Eintrag in: NDB Bd.16, S.30. Vgl. ebd. S.31.
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2 Roblfs
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Erster Teil: Kaiserreich und Weimar
Mathematik für Studierende und zum Selbststudium" bekannt. Das Geburtsjahr und der Geburtsort Hans Karl Friedrich v. Mangoldts standen unter dem Stern der Wissenschaft und können mit ein wenig Verständnis für Sinnbilder, als Leitsterne seines Lebens angesehen werden. Bekanntermaßen wurde er am 18. Mai 1854, im Jahr der Habilitation des Vaters, in Weimar, der Stadt der Klassik, geboren. Im Alter von neunzehn Jahren nahm er in Göttingen das Studium der Mathematik auf. 1876 wechselte er nach Berlin, wo er 1878 bei seinem Lehrer earl Theodor Weierstraß promovierte und daraufhin das Staatsexamen in Göttingen ablegte. Als Hilfslehrer am protestantischen Gymnasium in Straßburg widmete er sich auch weiterhin der Wissenschaft und habilitierte sich 1880 in Freiburg i. Br., der ehemaligen Wirkungsstätte seines Vaters, bei Ferdinand Lindemann (hier strahlt der Stern des Geburtsjahres, das gleichzeitig das Jahr der väterlichen Habilitation war).
Im Jahre 1882 begann die akademische Karriere. Nach der Umhabilitation nach Göttingen erhielt Hans v. Mangoldt im Jahre 1884 einen Ruf als ordentlicher Professor an die Technische Hochschule Hannover von wo aus er 1886, dem Jahr seiner Hochzeit mit Gertrud Sauppe, an die Technische Hochschule Aachen wechselte. Seine Ehefrau war die jüngste Tochter des Göttinger Philologen und Professors Hermann Sauppe (hier leuchtet der Stern des Geburtsorts Weimar als Stadt der Klassik), dessen Name noch durch die "Sauppe-Stiftung " in Philologenkreisen geläufig ist. So klar wie der Vater in der wissenschaftlichen Arbeit war, so lebensfroh war die Mutter Hermann v. Mangoldts im Alltag. Sie war der lebendige Mittelpunkt der Familie. Sie war es, die den Kindern durch ihre eigene Musikalität das Instrumentenspiel nahebrachte und dafür sorgte, daß Musikunterricht erteilt wurde. Dem Vater hingegen wird eine derartige Unmusikalität nachgesagt, daß er den übenden Kindern ein "idealer Zuhörer" war. In Aachen kam 1894 als erstes Kind die Tochter Hertha zur Welt. Im folgenden Jahr, dem Eröffuungsjahr des "Kaiser-Wilhelm-Kanals", des heutigen Nord-Ostsee-Kanals, erblickte Hermann das Licht der Welt. Zwei Jahre später folgte die jüngere Schwester Luise. Zeitgleich übernahm der Vater das Rektorat der Technischen Hochschule Aachen, ein Amt, das er bis 1901 innehatte und infolgedessen er 1900 zum Geheimen Regierungsrat ernannt wurde. Als Benjamin der Familie wurde der jüngste Sohn Walter im Jahre 1903 geboren. Ein Jahr später verzog die Familie nach Danzig, wo der Vater Hermann v. Mangoldts als Gründungsrektor der Technischen Hochschule Danzig den Höhepunkt seiner akademischen Laufbahn erlebte.
1. Familie und Jugend
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3. Die Jugend- und Schuljahre
Im Danziger Villenvorort Langfuhr, Hermannshöfer Weg 8, bewohnte die Familie ein großzügiges Haus, das der gesellschaftlichen Stellung des Vaters entsprach. Die Familie konnte zwar nicht auf ererbte ReichtümerIO zurückgreifen, doch versetzte sie das Rektoreneinkommen in die Lage, das gut situierte Leben einer Professorenfamilie im Kaiserreich. zu führen Nicht zu vernachlässigen ist in diesem Zusammenhang schließlich die Zugehörigkeit zum Adel, die seinerzeit auch in Akademikerkreisen von Bedeutung war, ganz zu schweigen von dem gesellschaftlichen Ansehen, das diese Kombination im wilhelminischen Deutschland mit sich brachte. Das Leben im Hause v. Mangoldt verlief beschaulich. Von den Auseinandersetzungen, die den sozialen und politischen Wandel hervorbringen sollten, war im Alltag der Kinder nichts zu spüren. Die Kindheit Hermann v. Mangoldts verlief in ruhigen Bahnen. Es war das typische wohlbehütete Leben eines Professorenhaushalts im Kaiserreich. Hauspersonal ging der Mutter zur Hand, Professorenrunden und gegenseitige Einladungen wurden von Theaterbesuchen und saisonabhängigen Festen abgelöst. Die Kinder erhielten Musikunterricht Hermann v. Mangoldt lernte das Geigen- und Bratschenspiel - eine Begebenheit, die vierzig Jahre später in einem anderen Zusammenhang Aktualität erlangen sollte." Claus-Nis Martens schrieb in seiner Arbeit über den späteren Kieler Kollegen Walther Schoenborn von dieser Zeit, daß seinerzeit "( ... ) alles in Ruhe und Ordnung schien, wo Neues nur entstehen konnte, wenn es sich organisch an das Alte reihte und wo Sittsamkeit und Fleiß die bindenden Kräfte des Fortschritts waren. Soziale Konflikte, politischer Extremismus und der Lärm des Kulturkampfes dürften in der Familie Schoenborn lediglich als Grollen eines weit entfernten Gewitters vernommen worden sein. ( ... )." 12
Zwar war Schoenborn 12 Jahre älter als v. Mangoldt, doch war "das Gewitter" selbst in den Jugendjahren v. Mangoldts um die Jahrhundertwende noch weit genug entfernt. In dieser Zeit des femen Donners besuchte v. Mangoldt im Alter von sechs bis acht die Vorschule in Aachen und nach dem Umzug nach Danzig bis 1908 das Conradinum in Langfuhr. Im Anschluß daran verbrachte er ein Jahr auf dem Realgymnasium St. Johann in Danzig und besuchte letztlich das Kronprinz-Wilhelm-Realgymnasium in Langfuhr. Von Anbeginn an war v. Mangoldt ein guter Schüler. Bis hin zum Reifezeugnis
'0
Waltraut v. Mangoldt in einem Brief an den Verfasser v. 15. Juli 1995. Nach dem Zweiten Weltkrieg wandte sich ein ehemaliger Mitschüler aus der Musikschule an Hermann v. Mangoldt und bat ihn um Empfehlung von geeigneten Verwaltungsjuristen für das Bundeskanzleramt, nachdem v. Mangoldt den Wechsel seines Assistenten Hartwig Bülck dorthin verhindert hatte. 12 Siehe Martens, Walther Schoenborn, S.17/18. 11
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Erster Teil: Kaiserreich und Weimar
sollte sich dies nicht ändern. Das Zeugnis der Reife des Kronprinz-WilhelmRealgymnasiums vom 19. März 1914" bestätigt ihm in Betragen und Fleiß ein "sehr gut". Die naturwissenschaftliche Begabung des Vaters scheint bei ihm ebenfalls vorhanden zu sein. In Mathematik, Physik, Chemie und Linearzeichnen glänzt v. Mangoldt ebenfalls mit einem "sehr gut". Ob die ständigen Ermahnungen des Vaters bei Tisch, daß "der Käse stets in einem Kubus geschnitten werden müsse", hierzu beigetragen haben, scheint zumindest fraglich. Doch macht diese Eigenart das durch und durch mathematisch sachliche Wesen des Vaters deutlich. Der akademische Hintergrund des Elternhauses und die in der Schule erbrachten Leistungen legten für Hermann v. Mangoldt den Gang an die Universität nahe. So war es dann auch nicht verwunderlich, daß im Abgangszeugnis stand, daß v. Mangoldt nach Verlassen der Schule das Studium des Bauingenieurwesens aufnehmen wollte. Wieso v. Mangoldt diesen Wunsch hegte, ließ sich nicht mehr ermitteln. Möglicherweise spielte die mathematische-naturwissenschaftliche Ausrichtung im Elternhaus eine Rolle. Die naturwissenschaftliche Begabung war zumindest bei seinem jüngeren Bruder Walter festzustellen. Dieser nahm das Studium der Elektrotechnik auf, veröffentlichte schon in jungen Jahren ein gutes Dutzend Aufsätze über Generatoren und Starkstrom - mehr als sein älterer Bruder - und brachte es mit seiner technischen Begabung bereits frühzeitig in verantwortliche Positionen sowie letztlich bis in den Vorstand der Siemens-Schuckert Werke. Doch es sollte anders kommen, als die Beteiligten dachten: Das "feme Grollen" entludsich im Gewitter des 1. Weltkrieges und machte den Plan Hermann v. Mangoldts zunichte.
11. Erster Weltkrieg" Am 1. April 1914, keine zwei Wochen nachdem v. Mangoldt das Abitur bestanden hatte, meldete er sich mit 19 Jahren als Einjährig-Freiwilliger Baueleve bei der Kaiserlichen Deutschen Marine und nicht an der Universität. Wie es zu dieser Entscheidung für die Marine kam und ob der Griff nach dem blauen Tuch der ersten Geige eine Flucht vor dem Maschinenbaustudium war, das von Mangoldt dem Reifezeugnis nach aufnehmen wollte oder sollte, ist nicht mehr sicher zu rekonstruieren. Sicherlich spielte die damals verbreitete Kriegseuphorie ebenso wie die unmittelbare Nähe zum Meer eine Rolle bei dieser Entscheidung. "Im Besitz von Waltraut v. Mangoldt. " Nach Auskunft der Deutschen Dienststelle fiir die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemalign Deutschen Wehrmacht v. 7.7.1995 sind die Personalunterlagenv. Mangoldts bis auf drei Karteikarten verlorengegangen.
11. Erster Weltkrieg
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Die hierin begründete Beziehung zum Wasser und zur Marine wird v. Mangoldt sein Leben lang nicht loslassen und seinen Lebensweg nachdrücklich beeinflussen. In dieser Zeit geschlossene Freundschaften sollten ihn sein Leben lang begleiten. Seinerzeit weiß v. Mangoldt von den Konsequenzen dieses Schrittes für sein weiteres Leben nichts. Der 1. Weltkrieg begann für v. Mangoldt mit einem Kommando im IV. Geschwader auf SM Linienschiff "Zähringen"." Im Verband des IV. Geschwaders nahm er am 26./27. August 1914 an dem Vorstoß zur Entsetzung des in der östlichen Ostsee aufgelaufenen Kleinen Kreuzers "Magdeburg" teil. Auf Höhe von Bornholm machte das Geschwader jedoch kehrt, da die "Magdeburg" inzwischen gesprengt war. Weitere Fahrten fiihrten v. Mangoldt Anfang und Ende September wiederum in die östliche Ostsee. In der Zeit vom 5. Dezember 1914 bis zum 4. Juli 1915 war die "Zähringen" im Sicherungsund Vorpostendienst in der Nordsee eingesetzt. Daran anschließend verlegte sie in die Ostsee, um unter der Führung Großadmirals Prinz Heinrich v. Preußen auf SM Linienschiff "Braunschweig" an einem Unternehmen gegen den Rigaischen Meerbusen teilzunehmen. Zu dem geplanten Einbruch in den Meerbusen und der beabsichtigten Beschießung von Pernau und Dünamünde kam es allerdings nicht; die Aktion war ein Fehlschlag. Das letzte Unternehmen auf der "Zähringen" bestand in Vorstößen in die Gewässer um Gotland und Hufvudskär, bei denen es zu keiner Feindberührung kam. Daraufhin lief sie Libau und Danzig an, wo sie sich den nach Kiel laufenden Schiffen "Prinz Heinrich", "Schwaben", "Wettin" und "Wittelsbach" anschloß." In Kiel angekommen wechselte v. Mangoldt im November 1915 bis zur Auflösung des Geschwaders am 18. Dezember 1915 auf das SM Linienschiff "Elsass", 17 das dem Befehlshaber der Aufklärungsschiffe in der östlichen Ostsee, Vizeadmiral Erhard Schultz, mit Sitz in Libau als Flaggschiff diente. 1I Das erste Jahr auf See verlief insgesamt ohne Feindberührung. Auf der "Elsass" schloß v. Mangoldt Freundschaft mit den Leutnants Frledrich Ruge und Erlch Alfred Breuning. Keiner der drei jungen Offiziere wußte, daß sie sich 25 Jahre später - wiederum als Soldaten - in Paris begegnen werden. Das folgende Kommando fiihrte ihn bis März 1916 auf das ehemalige Flaggschiff des IV. Geschwaders, SM Linienschiff "Wittelsbach"", das seit dem 11. November 1915 in der Strander Bucht bei Schilksee vor Anker lag. Seit Anfang Februar diente die zur neu geschaffenen 1. Marine Inspektion
U
Siehe Ehrenrangliste, S. 823.
'6 Vgl. HildebrandtIRöhr/Stein, Kriegsschiffe Bd.6, S. 68-70.
Siehe Ehrenrangliste, S. 823. Vgl. HildebrandtIRöhr/Stein, Kriegsschiffe Bd.2, S.65-67. '9 Siehe Ehrenrangliste , S. 823.
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Erster Teil: Kaiserreich und Weimar
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gehörende "Wittelsbach" als Exerzierschiff für die RekrutenausbildWlg. 20 Seine BeförderWlg zum Leutnant z.S.d.R. im September 1916" erlebte v. Mangoldt in Laboe, wo er bis März 1917 als Führer eines Bootes der SperrfahrzeugDivision-Kiel die Minensperre vor Kiel Wld die Balkensperre in der Kieler Förde zu sichern hatte." Beinahe fünfunddreißig Jahre später sollte v. Mangoldts Eigenschaft als Marineoffizier erneut dazu fUhren, daß er in Kiel vor Anker ging; dann allerdings als Ordinarius. Vom März 1917 bis Mai 1918 wurde er nach Brügge zur U-Flottille Flandern kommandiert, wo ihm als Adjutant des Kommandeurs der Flottille, Korvettenkapitän Bartenbach , am 14. Februar 1918 das EK 2. Klasse verliehen wurde." Gleichzeitig machte sich v. Mangoldt auch Gedanken über sein berufliches Fortkommen nach Kriegsende, wobei das Studium des Schriftwechsels mit den Eltern nahelegt, daß der Anstoß hierzu aus dem Elternhause kam: "( ... ) Auch ich dachte schon mal an ein Studium der Chemie oder Physik, mußte aber bei diesen Überlegungen zu dem Schluß kommen, daß ich mich einerseits wohl ganz gern diesem Studium gewidmet hätte, daß ich andrerseits dann aber nach Beendigung des Studiums einer zu unsicheren Zukunft gegenüber gestanden hätte, da man bekanntlich in technische Betriebe, d.h. große, nur mit den besten Verbindungen hineinkommt, und in dem reinen Lehrberufe hätte ich mich doch nie viel besser gestanden als der Offizier, weil ich den großen Ausgaben der Studienzeit die feste Anstellung und den damit verbundenen Lebensunterhalt während dieser Jahre als Offizier gegenüberstellen mußte. ( ... )"24
Obgleich erst vor dem Anfang seiner akademischen AusbildWlg, also noch vor dem Beginn seines Arbeitslebens, schloß v. Mangoldt im Verlauf des Briefes schon die Umstände der PensionierWlg in seine Überlegoogen mit ein: "Die Gefahr der frühen Pensionierung liegt augenblicklich bei der Marine nicht so sehr nahe nach meiner Ansicht, da die Marine Offiziere braucht und sich dauernd vergrößert. ( ... )"
Vgl. HildebrandtlRöhr/Stein, Kriegsschiffe Bd.6, S.53-56. Am 16.9.1916, siehe Ehrenrangliste, S. 823. 11 Siehe Brief des Deutschen Marinebundes e.V. v. 8.8. 1995. 23 Anband der Karteikarten ist eine Verwendung als Adjutant nicht vermerkt, allerdings anband der Eintragungen in der Karteikarte der Hochschullehrer im Bestand des BA KO R 21110013 belegt. 2. Siehe v. Mangoldt in einem Brief an die Eltern v. 17.9.1917, im Besitz Waltraut v. Mangoldts. 20
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II. Erster Weltkrieg
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In diesem Pwtkt sollte die Geschichte v. Mangoldt nur kurze Zeit später eines besseren belehren. Die letzten Kriegsmonate gelangte v. Mangoldt zwn unmittelbaren Fronteinsatz; er wurde zur Torpedobootflottille Flandern versetzt. Zunächst war er Wachoffizier auf dem kleinen Torpedoboot "A45" und letztlich Kommandant des Torpedoboots "A66". Auf diesen Booten (mit 1/29 bzw. 1/50 Mann Besatzung) versah er überwiegend Minenräwndienste vor der flandrischen Küste." Inwieweit v. Mangoldt mit seinem Torpedoboot an Vorstößen der Flottille gegen den feindlichen Handelsverkehr oder an der Beschießung von feindlichen Hafenanlagen offensiv am Kriegsgeschehen teilnahm26, konnte anhand der einschlägigen Berichte über die Kriegs-ereignisse in der Nordsee nicht sicher festgestellt werden. Das Kriegsende nahte. Die Räwnung der Stützpwtkte an der flandrischen Küste Ende September 1918 bedeutete das Ende des deutschen Engagements vor England. Die Flottille verließ die Stützpwtkte mit dem Ziel, möglichst viele schwimmende Einheiten in deutsche Häfen zu bringen." Damit war fiir v. Mangoldt das "Gewitter des 1. Weltkrieges" beendet. Am 28. Februar wurde er als Oberleutnant z.S.d.R aus dem aktiven Dienst entlassen.
Die Wirrnisse in der Folge des Kieler Matrosenaufstandes sorgten auch bei v. Mangoldt fiir Unsicherheit in der Lebensplanung. Im November 1918 hatte er seinen Eltern geschrieben, daß er immer noch keine feste Verwendung gefunden habe und tätigkeitslos herumsäße Die Zeit vertrieb er sich durch allerhand Studien, unter denen die der Mathematik als oberstes stand. In einem Brief an die Eltern führte er hierzu aus: n( ... ) Die Durchsicht Deines 1. Bds. macht mir fast gar keine Schwierigkeiten, und ich habe das Gefühl, daß ich die Vorbereitungskurse für Notabiturienten keineswegs notwendig hätte. ( ... ) Nun zu meinen späteren Absichten. Ich habe unter gar keinen Umständen vor, jetzt noch Schiffbau oder Maschinenbau zu studieren, schon allein aus dem Grunde, weil es in der kommenden Zeit darauf ankommen wird, möglichst schnell etwas zu werden, und weil zu den ersteren Studien noch eine Zeit von 1 Jahr praktischer Tätigkeit hinzukommt, wodurch also die Examina um ein weiters Jahr hinausgeschoben würden. Ich dachte zunächst einmal an ein Studium des Wasserbaus, also Fluß-, Hafen-, Kanalbau und halte das auch insofern für aussichtsreich, als ich mit den dadurch erworbenen Kenntnissen sehr gut die Möglichkeit haben würde im Ausland unterzukommen, falls sich mir im Inland nach Beendigung des Studiums kein Unterkommen bieten würde. Ich dachte dabei speziell an Südamerika, das meiner Ansicht gerade für Wasserbau noch ein weites Feld der Tätigkeit bietet. Andererseits dachte ich aber auch schon an Hoch- und 2' Vgl. den in den Tübinger Personalakten befindlichen Lebenslauf v. Mangoldts v. 1.7.1939, UA TÜ Sign. 601153. 26 Vgl. Groß, Seekriegführung, S. 188/89. 27 Vgl. Der Krieg zu See VII, S.225ff. und S. 333f.
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Erster Teil: Kaiserreich und Weimar
Tiefbau und evtl. an Chemie und möchte Dich bitten, mir einmal etwas über Deine Ansicht über die Aussichten dieser Studien zu schreiben. ( ... )"21
Der väterliche Einfluß führte wohl dazu, daß v. Mangoldt sich zu Beginn des Jahres 1919 im Zwischensemester im Fach Bauingenieurwesen an der TH Danzig.
111. Königsberger Jahre - auf Umwegen zur Rechtswissenschaft 1. Wieder das Wasser - der Reichswasserschutz
Das im Januar 1919 aufgenommene Studium des Bauingenieurwesens gab v. Mangoldt bereits im Mai (Sommersemester) desselben Jahres wieder auf. Sein Herz schlug stärker für das Wasser und eine wirkliche Aufgabe. Am 19. Mai trat er in die Haff- und Flußflottille des Ostpreußischen Freiwilligenkorps ein, von wo aus er am 1. Oktober in den Reichswasserschutz (RWS) übernommen wurde. Die beiden folgenden Jahre versah er als Führer eines Reichswasserschutzkommandos "( ... ) unter zeitweise sehr schwierigen Verhältnissen ( ... ).",. in Labiau Dienst. Von dort wurde er im September 1921 nach Tilsit versetzt, wo er im Stabe des Bezirks erneut als Adjutant eingesetzt wurde. Seine Aufgaben als Adjutant muß v. Mangoldt gut bewältigt haben. Jedenfalls hatte er sich in Tilsit für die Stabsarbeit qualifiziert und wurde schon Ende Mai 1922 in den Stab der Bezirksleitung Ostpreußen versetzt. Zu Beginn seiner Tätigkeit dort war v. Mangoldt zunächst als Schriftoffizier eingesetzt. Später wurde er Polizei- und Personalreferent. Im Rahmen dieser Tätigkeit war v. Mangoldt auch mit polizeirechtlichen Fragen befaßt. Waltraut v. Mangoldt schreibt hierzu, daß aus dieser Berührung mit Rechtsfragen in v. Mangoldt der Wunsch erwachte, Rechtswissenschaften zu studieren." Im Wintersemester 1922/23 begann Hermann v. Mangoldt neben seiner Tätigkeit beim Reichswasserschutz mit dem Jurastudium an der AlbertusUniversität in Königsberg. Der Vater v. Mangoldts wird diesen Schritt nicht gutgeheißen haben, hielt er im allgemeinen nicht viel von Juristen." Am 31. März 1926 schied v. Mangoldt auf eigenen Wunsch aus dem Reichswasserschutz aus. Mit seiner Qualifikation sah er in der Polizei arbeit nun kein Betätigungsfeld mehr und das erste Staatsexamen nahte. Die Folge seines "Vgl. v. Mangoldt in einem Brief an die Eltern v. 29.11.1918, im Besitz Waltraut v. Mangoldts. ,. Siehe Dienstleistungszeugnis über v. Mangoldt v. 31.3.1926, im Besitz Waltraut v. Mangoldts. JO Vgl. Waltraut v. Mangoldt, S. 222. JI Vgl. Waltraut v. Mangoldt, S. 222.
III. Königsberger Jahre - auf Umwegen zur Rechtswissenschaft
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freiwilligen Ausscheidens war der Verlust sämtlicher Ansprüche auf Bezüge oder Übergangsgebührnisse. Das Dienstleistungszeugnis vom Reichswasserschutz bescheinigte v. Mangoldt: "( ... ) In allen StellWlgen des Außen- Wld Innendienstes hat er sich vorzüglich bewährt Wld Wlter zeitweise sehr schwierigen Verhältnissen, (... ), sehr Gutes geleistet. Seinen Vorgesetzten war er stets eine sehr wertvolle Hilfe. Infolge seines taktvollen Wld kameradschaftlichen Wesens war er bei Vorgesetzten Wld Gleichgestellten besonders beliebt; seine Untergebenen behandelte er richtig Wld wußte sie geschickt anzuleiten. Er scheidet aus dem Dienste des Reichswasserschutzes auf eigenen WWlsch, um sich der juristischen Laufbahn zu widmen. Sein Weggang bedeutet für das Polizei-Offizierkorps des Reichswasser-schutzes einen großen Verlust. ( ... )"'2
Die anschließenden Monate verbrachte v. Mangoldt mit der Examensvorbereitung. Trotz der vorangegangen Doppelbelastung durch die Berufstätigkeit und der relativ kurzen Zeit für die ausschließliche Beschäftigung mit dem examensrelevanten Materie hat er den ersten Tag des Referendarexamens, den 7. Juli 1926 mit der Note "gut" bestanden, den zweiten Teil der Prüfung, am 10. Juli brachte er mit der Note "befriedigend" hinter sich. Zwar hatte Hermann v. Mangoldt letztlich nur sieben Semestern studiert, doch der Krieg und der anschließende Dienst bei der Wasserschutzpolizei hatte ihn altersmäßig zurückgeworfen. Erst im Alter von 30 Jahren begann er den juristischen Vorbereitungsdienst, der ihn zunächst wieder zurück in seine Heimatstadt Danzig führte. 2. Referendar, Doktorand und Assistent
Die Staatsanwaltschaft in Danzig war die erste Station v. Mangoldts. Am 20. August 1926 trat er dort sein Referendariat an. Bis zum 20. September 1929 leistete er - von Danzig nach Königsberg wechselnd - noch Dienst beim Amtsgericht in Danzig, beim Amts-, Land-, und Oberlandesgericht in Königsberg sowie in der Rechtsanwaltskanzlei seines Onkels in LÜIleburg." Die Zeugnisse dieser Ausbildungsstationen waren nicht mehr aufzufmden. Lediglich die fein säuberlich geführte Urlaubskartei befand sich noch bei den Akten. Während des Referendariats arbeitete er gleichzeitig als Doktorand bei Professor Herbert Kraus an seiner Dissertation mit dem Titel "Grundprobleme des deutschen öffentlichen Binnenschiffahrtrechts". Am 18. Februar 1928 wurde v. Mangoldt mit der Beurteilung "summa cum laude" zum Doktor beider Rechte promoviert. Noch als Referendar trat v. Mangoldt am 15. April 1929 Siehe Anm. 31. "Siehe NachweisWlg der BeschäftigWlg, BA KO Bestand R 21.
II
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Erster Teil: Kaiserreich Wld Weimar
eine Stelle als Assistent am Institut für Luftrecht an, dessen Direktor Professor Hans Oppikofer34 , ihn später animiert haben soll, die wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen. Auf dem Weg dorthin hatte v. Mangoldt zuvor noch die große juristische Staatsprüfung abzulegen. Mit der Note "vollbefriedigend" nahm er diese Hürde am 14. März 1930." Der Weg in den Weinberg der Wissenschaft war geebnet.
3. Habilitation Wie v. Mangoldt bzw. Fritz v. Hippel auf das Thema "Geschriebene Verfassung und Rechtssicherheit in den Vereinigten Staaten von Amerika" gekommen war, ist heute nicht mehr aufzuklären. Waltraut v. Mangoldt schreibt zu der Habilitation ihres Ehemannes, daß Hans Oppikofer v. Mangoldt geraten hatte, sich zu habilitieren und ihn sodann an Ernst v. Hippel vermittelte. Das Gutachten v. Hippels und die Antwort auf die Frage, ob es Zufall war, daß gerade der gleichaltrige v. Hippel als Betreuer empfohlen wurde, bleibt im Nebel der Vergangenheit verborgen. Ebenso wie v. Mangoldt und viele andere war v. Hippel als Kriegsfreiwilliger im 1. Weltkrieg in Flandern gewesen. Während v. Mangoldt im Verlauf des Krieges jedoch an der Küste Flanderns Dienst versah, stand v. Hippel in Flandern bei Ypern und Langemarck im zermürbenden Grabenkrieg an der Front. Beiden gemeinsam sind gleichwohl die "(00') Seelenerlebnisse einer Generation junger Menschen, die fast von der Schulbank hinweggerissen wurden, um sich dem Tode zu stellen. (00.),,3. Insofern war es nicht verwunderlich, daß v. Mangoldt ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu v. Hippel gehabt hat. Um ausreichend Zeit für die Habilitation zu haben, ließ sich v. Mangoldt nunmehr Gerichtsassessor - vom I. April 1930 an vom Reichsjustizdienst beurlauben." Er war hauptberuflich Assistent am Institut für Luftrecht und begleitete daher von Anfang an die von Oppikofer angestrengte Herausgabe des "Archiv für Luftrecht". Die Beschäftigung im Institut fiihrte so auch zur intensiven Beschäftigung mit dem damals neuen Rechtsgebiet des Luftrechts und fand ihren ersten Niederschlag in der Veröffentlichung "Neuere Fragen aus dem Luftrecht der Vereinigten Staaten von Amerika"."
34 Hans Oppikofer, in Bem geboren, emigrierte 1939 in die Schweiz, wo er bis zur EmeritierWlg an der Universität Zürich lehrte. " Siehe Entwurf der EmennWlgsurkWlde v. 22.3.1930, BA KO Bestand R 21. 3. Siehe v. Hippel, Kriegsfreiwilliger, Zum Geleit. " Siehe Personalakte v. Mangoldts, BA KO Bestand R 21. " Eisenbahn- Wld Verkehrsrechtliche EntscheidWlgen Wld AbhandlWlgen 1930, S. 146.
Ill. Königsberger Jahre - auf Umwegen zur Rechtswissenschaft
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Neben der Bibliothek des Instituts für Luftrecht nutzte v. Mangoldt für die Literatur- und Quellenrecherche überwiegend die Bibliothek des Kaiser Wilhelm-Institus für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Berlin. Wegen der häufigen Aufenthalte dort nahm er sich in Berlin bei Familie Schmitz in der Burgstrasse 3 ein Zimmer zur Untermiete. Nach bereits einem guten Jahr intensiver Arbeit vollendete v. Mangoldt seine Habilitationsschrift. Es ist nicht schwer vorstellbar, daß v. Mangoldt sich in diesem Jahr "mächtig ins Zeug gelegt hat"; für ihn ging es bei der zügigen Abfassung der Habilitation natürlich auch darum, den bestehenden Altersnachteil aufzuholen. Die Gutachten über die Habilitationsschrift sind, wie bereits erwähnt, nicht zu ermitteln gewesen. Sie müssen aber positiv ausgefallen sein, denn in unmittelbarer Folge der Habilitation am 1. Juli 1931 schüttete Fortuna ihr Füllhorn über v. Mangoldt aus: Zum Wintersemester 1931/32 wurde er zu einem der 19 Privatdozenten im öffentlichen Recht an deutschen Universitäten ernannt. 39 Im "Berliner Tageblatt" vom 20. Oktober 1931 steht hierzu, daß der "( ... ) Gerichtsassessor Dr. Hermann von Mangoldt als Privatdozent für öffentliches Recht und Luftrecht in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Königsberg zugelassen worden ( ... ),,40 ist. Gleichzeitig wurde ihm die venia legendi für öffentliches Recht und Luftrecht erteilt. Am 2. November 1931 hielt er seine akademische Antrittsvorlesung mit dem Titel "Die preußische Polizeirechtsreform"." In dem ersten Band des von Oppikofer nunmehr herausgegebenen "Archiv für Luftrecht" veröffentlichte v. Mangoldt in diesem Jahr einen weiteren luftrechtlichen Beitrag, der als Fortführung des 1930 veröffentlichten Artikels über das amerikanische Luftrecht gedacht war." Zudem setzte er sich in einem ebenfalls in diesem Jahre erschienenen Aufsatz überraschenderweise mit zivilrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Löschung von Hypotheken auseinander. 4J Weitaus stärker als die Auseinandersetzung mit luftrechtlichen Fragestellungen sollten ihn indes die in seiner ersten Untersuchung des amerikanischen Staats- und Verfassungsrechts zu Tage geforderten Ergebnisse zum Rechtsstaat und zur Rechtssicherheit beeinflussen bzw. prägen. Schon im ersten Satz der Einleitung zur 3. Vgl. v. Ferber, Lehrkörper, S. 203. Insgesamt gab es seinerzeit an den deutschen Universitäten vom Emeritus bis zum Lehrbeauftragten 99 Lehrkäfte im öffentlichen Recht. 40 Siehe "Berliner Tageblatt" v. 20.10.1931. Ein Artikel darüber befindet siche auch in der "Deutsche Allgemeine Zeitung" v. 17.9.1931. 41 Veröffentlicht in Fischers Zeitschrift für Verwaltungsrecht Bd. 68 (1932), S. 289318. " Das Luftrecht der Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 1930, Archiv für Luftrecht Bd. 1, S. 22. 43 Löschung von Hypotheken in der Rückwirkungszeit, Unrichtigkeit des Grundbuchs und Anwendung des § 892 im Aufwertungsrecht, ACP Bd. 134, S. 81.
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Erster Teil: Kaiserreich und Weimar
Habilitationsschrift: "Vom Rechte, nicht von Männem werden wir beherrscht. ( ... )"" wird in aller Kürze und Eindringlichkeit zum Ausdruck gebracht, worum es v. Mangoldt ging. Während v. Mangoldt auf "dem Weinberg der Wissenschaft" daran arbeitete, dem wahren Sinn dieses Satzes vom "govemment of laws" näherzukommen, waren in der politischen Arena Deutschlands Kämpfe im Gange, die letzten Endes den Gegensatz der v. Mangoldtschen Erkenntnisse hervorbringen sollten. Die mustergültigen Ausführungen zum Rang der Verfassung innerhalb der Normenpyramide zeigen klar v. Mangoldts logischen ductus: zu Beginn wird eine Hypothese aufgestellt, deren Beweis bzw. -versuch sich dann anschließt. Zwar schrieb v. Mangoldt im Vorwort der Buchausgabe von 1934, daß er es bewußt vermieden hätte, Vergleiche mit dem deutschen Recht zu ziehen, doch scheint es bisweilen so, als hätte v. Mangoldt dem deutschen Leser einen Spiegel vorhalten und sagen wollen: "Schau her, so ist es richtig." Insbesondere wird dies im Zusammenhang seiner Ausführungen zum Sinn und Zweck des formalen Elements einer Verfassung deutlich, wo nicht ausdrücklich auf Deutschland, aber immerhin auf "die europäischen Verfassungen" Bezug genommen wurde." Schon in dem bloß formalen Element der Verfassung erblickte v. Mangoldt eine notwendige Stütze der Rechtssicherheit:
"C ... ) Sinn der formalen
Auszeichnung ist es, dem Verfassungsrecht die Eigenschaft eines höheren Rechts, einen Vorrang vor allem anderen Recht zu sichern. Dadurch soll dem gesamten Regierungssystem eine gewisse innere Festigkeit und Beständigkeit gegeben werden, ( ... ). Damit wird die im Interesse der Rechtssicherheit erforderliche Klarheit für den Staatsbürger gesichert sein. ( ... )""
Wie eine Vorhersage mutet es heutzutage an, wenn v. Mangoldt inmitten der politischen Auseinandersetzung zwei Jahre vor dem faktischen Tod der Weimarer Reichsverfassung äußerte, daß "( ... ) mit dem bloß formalen Prinzip der Bindung an das Gesetz ... sich auch das despotische WiIlkürregiment eines einzelnen oder die alles gleichmachende alle Werte vernichtende Herrschaft der Masse rechtfertigen (ließe, Anm. d. Verf.). ( ... )"47 Quasi in Kurzversion war hier bereits die Debatte um die "Legalität der Machtergreifung"" erkannt worden. Im Anschluß an die eben getroffene Feststellung konstatierte v. Mangoldt folgerichtig: .. Siehe v. Mangoldt, Geschriebene Verfassung, S. 1. "Vgl. v. Mangoldt, Geschriebene Verfassung, S. 26 . .. Siehe ebd. 47 Siehe ebd., S. 7.
ill. Königsberger Jahre - auf Umwegen zur Rechtswissenschaft
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"Einem Staatswesen wird sein Charakter nicht etwa schon oder allein durch den Satz von der Bindung an das Gesetz aufgeprägt, sondern erst durch die inhaltliche Ausgestaltung, die dieser Satz C... ) enthält.C ... ).""
Ob v. Mangoldt bei diesen Worten die Schwäche der Weimarer Reichsverfassung vor Augen hatte? Deutlich zeigen sie jedoch, daß v. Mangoldt um die Bedeutung einer Koppelung von formellen Elementen mit dem materiellem Gehalt einer Verfassung wußte. Im weiteren Gang der Darstellung setzte sich v. Mangoldt mit dem Verfahren einer Verfassungsänderung auseinander. Die von ihm befürwortete amerikanische Lösung einer Trennung von einfachem Gesetzgeber und verfassunsgänderndem Gesetzgeber "C ... ) liegt im Interesse der allgemeinen Rechtssicherheit; sie dient einer kontinuierlichen, ununterbrochenen gedeihlichen Fortentwicklung des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens, letztlich den staatlichen Zwecken überhaupt. ( ... )"'0
Ein wenig später heißt es dann sogar, daß es feststehen dürfte, daß es diesen Zielen keineswegs dienlich sein würde, wenn die Verfassung mit einer qualifizierten Mehrheit der Legislative geändert werden könnte." Ob dem deutschen Leser ein Jahr nach der "Machtergreifung" die tiefe und bittere Bedeutung dieser Zeilen bei der Lektüre vor Augen stand, ist zumindest zweifelhaft. Im weitaus größten Teil der Arbeit untersuchte v. Mangoldt die Frage, wie die Kontrolle des Verfassungsvorrangs gewährleistet würde. Eingehend setzt er sich mit der Frage auseinander, wie die Kontrolle funktioniert. Dabei schlägt v. Mangoldt den Bogen von der verfassungsrechtlichen Verankerung der Gewaltenteilung bis hin zu Details der Anstellungsbedingungen der Richter. Alles in allem zeigt die Abhandlung, "( ... ) daß in dem amerikanischen Rechtssysteme für eine formal-juristische Sicherung von Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit eine Fülle von Anregungen enthalten sind. Und diese Anregungen können bei dem Ausbau eines jeden Regierungssystems von Nutzen sein. Denn jedes Regierungssystem, mag es auch den Anspruch auf absolute Neuheit machen können, pflegt doch eine Reihe von alt überkommenen ... Instituten zu verwenden. ( ... )""
" Zur Haltung der zeitgenössichen Staatsrechtslehre in dieser Frage siehe den Überblick m.w.N. bei Dannemann, Legale Revolution, S. 9ff. 49 Siehe ebd. '0 Siehe ebd., S.41. ,. Vgl. v. Mangoldt, Geschriebene Verfassung, S. 42. II Siehe ebd., S. 151.
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Erster Teil: Kaiserreich und Weimar
An welches Regierungssystem Hennann v. Mangoldt bei diesen Worten wohl gedacht haben mag. Schon beschleicht einen das Gefühl der Bedrückung, nicht frei sprechen zu können. Warum sonst hat v. Mangoldt nicht das Kind beim Namen genannt. In diesem Zusammenhang klingt der anschließende Satz: "( ... ) Aus diesen Gründen dürfte auch eine Studie, welche sich wie die vorstehende eingehender mit den Erfahrungen des amerikanischen Volkes auf. diesem Gebiete beschäftigt, gerade in der heutigen Zeit in Deutschland nicht ohne Interesse sein. ( ... )""
beinahe wie eine Entschuldigung, der "nationalen Revolution" und ihrer Rechtserneuerung, durch die Arbeit auch noch Ratschläge erteilen zu wollen. Als Privatdozent erhielt v. Mangoldt nun ein Dozentenstipendium und die Kolleggelder der von ihm veranstalteten Übungen und Seminare. Als frisch bestallter Dozent wurde v. Mangoldt zu Beginn des Jahres 1932 Mitglied in der Staatsrechtslehrervereinigung", die noch im selben Jahre ihr vorläufiges Ende fand." An der Universität hielt er im laufenden Sommersemester erstmals eine reguläre Vorlesung: "Internationales Privatrecht". Zudem veranstaltete er ein luftrechtliches Proseminar,'" Das anschließende Wintersemester bot er ein verwaltungsrechtliches Seminar an." Im Sommer 1933 wurde v. Mangoldt als Privatdozent die Vertretung des "beurlaubten" Professors Albert Hensel übertragen", wobei es bei Kenntnis der Tatsachen unerträglich ist, in diesem Zusammenhang heutzutage von "beurlaubt" zu sprechen. Der Irrsinn der nationalsozialistischen Rassenideologie trug hier in § 3 des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933'· seine ersten Früchte. Diese Vorschrift regelte zunächst die "Beurlaubung" - mit der folgenden Entlassung - von Beamten, die nicht "arischer Abstammung" waren. Wesentliches Kriterium für dieses Merkmal war schon die jüdische Religionszugehörigkeit. 60 Vor diesem Hintergrund kam die "Beurlaubung" zustande. Professor Albert Hensel emigrierte 1933 nach Italien an die Universität Pavia, nachdem zuvor seinem Vater, Kurt Hensel, der als Professor " Siehe ebd. " Siehe v. Mangoldts Angaben auf dem Fragebogen "Mitgliedschaften in Beamtenvereinigungen" vom 3.10.1935, BA KO Bestand R 2l. "Vgl. Limperg, Veränderungen, S. 59. ," Vgl. Hochschulkalender 11l. Ausg. SS 1932, S. 165. "Vgl. Hochschulkalender 112. Ausg. WS 1932/33, S. 170. " Siehe Brief des Dekans Oppikofer an den Reichsminister für Wissenschaft v. 30.3.1935, UA TÜ Sign. 126/409. " RGBI. I, S. 175. 60 Vgl. l. DVO zum BBG v. 1l.4.1933 (RGBI. I, S. 195), Nr. 2 zu § 3.
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der Mathematik an der Universität Marburg lehrte, aufgrund seiner jüdischen Abstammung die venia legendi entzogen worden war. - Noch im Herbst desselben Jahres beging Albert Hensel in Pavia Selbstmord. In diesem Sommersemester wiederholte v. Mangoldt die Vorlesung "Internationales Privatrecht" und hielt noch eine "Übung im Öffentlichen Recht" ab:' Die dunklen Schatten, die diese Ereignisse auf die Albertus-Universität unter ihrem Rektor, dem Philologen Professor Georg Gerullis warfen und die nur Vorboten der kommenden Finsternis über ganz Deutschland sein sollten, konnten v. Mangoldt nicht davon abhalten, am 12. Februar 1934 dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen beizutreten. Das Wintersemester 1933/34 wies auffällig viele Bemerkungen "NN" im Hochschulkalender auf. Die Folgen, deren Anfang die "Beurlaubung" Hensels nur sein sollte, waren nun deutlich zu spüren. Von Mangoldt las Finanz- und Steuerrecht, das Fach, in dem Albert Hensel seine wissenschaftlichen Meriten erworben hatte - und erneut Verwaltungsrecht. 62 Von April desselben Jahres bis Mai 1935 war er zugleich Führer der Dozentschaft der juristischen Fakultät, deren Dekan sein ehemaliger Chef am Institut für Luftrecht Hans Oppikofer war. Claus-Nis Martens schreibt in seiner Arbeit über Walther Schoenborn und dessen Mitgliedschaft im BNSDJ, daß eine solche Mitgliedschaft fiir Hochschullehrer Zwang gewesen sei." Die von Martens zur Begründung angefiihrte Anordnung (Nr. 51) des Reichskommissars Frank vom 12. Dezember 1933 64 hatte jedoch nicht per se die Zwangsmitgliedschaft aller Professoren im BNSDJ zur Folge. Sie betraf die Hochschullehrer nur insoweit, als sie bestimmte, daß "C ... ) alle mit dem Recht verwurzelten Berufsstände ( ... )" ausschließlich in den BNSDJ gehören; in diesem Zusammenhang wurde unter anderem Ende November 1933 die Fachgruppe Hochschullehrer im BNSDJ unter der Leitung von Carl Schmitt gegründet. 6' Von Zwang kann nur insofern gesprochen werden, als es von nun an zu befürchten galt, sich als Nichtmitglied Problemen im beruflichen Fortkommen auszusetzen. Eine gezielte und organisierte Erfassung aller Professoren, die tatsächlich einen Beitrittszwang hätte auslösen können, wurde nicht durchgefiihrt. Beispielsweise Professor Wilhelm G. Grewe, damals ebenfalls Privatdozent, trat dem BNSDJ nicht bei:' Dementsprechend kommt Michael Sunnus in seiner Arbeit" zu dem Ergebnis, daß es zu keiner Zeit eine Zwangsmitgliedschaft im Juristenbund gab. Letzten 61
Vgl. Hochschulkalender 113. Ausg. SS 1933, S. 170. "Vgl. Hochschulkalender 114. Ausg. WS 1933/34, S. 170. "Vgl. Martens, Schoenbom, S. 98. " Siehe DR 1934,20. 61 Vgl. earl Schmitt, Bericht, S. 17. "Nach eigenen Angaben im Gespräch am 13. Juli 1995. 67 Der NS-Rechtswahrerbund (1928-1945), S. 25, 114ff.
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Erster Teil: Kaiserreich und Weimar
Endes spricht gegen die Annahme von Martens von der "Zwangsmitgliedschaft" , daß ein hundertprozentiger Organisationsgrad der Hochschullehrer sowie anderer juristischer Berufe im BNSDJ nie erreicht worden ist. Obwohl also offiziell keine Repressalien angedroht waren, wurde die Anordnung des Reichsfachgruppenleiters: "( ... ) Die Gaue hätten daraufhinzuwirken, daß sämtliche Assistenten, Dozenten und Professoren, soweit sie die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft im BNSDJ erfüllen, den Aufnahmeantrag umgehend einzureichen. ( ... ) Die Gaufachberater reichen sobald alsmöglich einen ausführlichen Bericht über diejenigen namentlich festzustellenden Assistenten, Dozenten und Professoren, die nicht Mitglieder des BNSDJ sind, ein. In diesem Bericht ist anzugeben, warum die Betreffenden nicht Mitglieder sind. ( ... ),,61
zweifellos benutzt, um Druck auf Einzelne Nichtmitglieder auszuüben. Nach dem Fall der zweiten deutschen Diktatur auf deutschem Boden sind die Möglichkeiten und Mittel totalitärer Systeme dafiir hinreichend bekannt. Ob und gegebenenfalls wie stark schon zuvor versucht wurde, durch Inaussichtstellen von Nachteilen und dergleichen, v. Mangoldt zum Eintritt in den BNSDJ "bewegen" war nicht mehr nachprüfbar. Bei allen psychischen Schwierigkeiten eines Nachgeborenen sich in die damalige Situation des Drucks und Sogs der "Bewegung" einerseits und dem Schrei des Gewissens andererseits, hineinzuversetzen, bleibt festzuhalten, daß der Beitritt v. Mangoldts zum BNSDJ ein - wenn auch schwaches Arrangement mit dem System war. Sunnus schreibt dazu, der Beitritt "(... ) signalisierte guten Willen ohne hohen Einsatz und tat den Loyalitätsanforderungen unterhalb der Schwelle des Parteieintritts Genüge.( ... )"" Das war der Preis, den das Vorwärtskommen in der beruflichen Laufbahn verlangte und den Hermann v. Mangoldt zu zahlen bereit war. Erstmals las v. Mangoldt im Wintersemester 1934/35 "Völkerrecht".'· In diesem Herbst erschien die Habilitation auf dem Buchmarkt." Jetzt lassen sich auch die oben angesprochenen "Entschuldigungen" v. Mangoldts erklären. Anfang des Jahres erging nämlich vom BNSDJ die Anordnung72 , daß alle juristischen Hochschullehrer von allen Veröffentlichungen einschließlich der Zeitungsaufsätze rückwirkend bis zum 1. Januar 1930 jeweils ein Exemplar
,.
61 Siehe ebd., S. 115 und Fn. 311. .. Siehe ebd., S. 176. Vgl. Hochschulkalender 115. Ausg. WS 1934/35, S. 159. " Vgl. Ausführungen v. Mangoldts in seinem Gesuch um Gewährung eines Reisestipendiums nach England v. 16.12.1934, UA TÜ Sign. 126/409. 72 DR 1934, S. 66.
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dem BNSDJ zuzusenden hätten. Ohne Frage ist hiermit zum Teil die mehr oder weniger deutliche nationalsozialistische Einfärbung vieler Schriften zu erklären." Die erste Besprechung des Werks in der Juristischen Wochenschrift" schwelgt ganz im Stil der "nationalen Revolution". Der Rezensent - ein Rechtsanwalt Reuß aus Berlin - der neuen Sache ergeben, konstatiert, "( ... ) daß uns das Buch des Verf. in eine geistige Atmosphäre führt, die noch ganz mit dem liberalen Freiheits-Pathos des vergangenen Jahrhunderts gesättigt ist. Jedoch zeigt der Verf., der augenscheinlich der Suggestion dieser Atmosphäre weitgehend erlegen ist, nur unzulänglich, daß der liberale Freiheitsgedanke, ( ... ), in Amerika selbst in eine entscheidende Krisis eingetreten ist. ( ... )."
Aus heutiger Sicht erscheint diese Bewertung wie eine Auszeichnung. Dies umso mehr, wenn Reuß in seiner Besprechung zum Ende hin "das Mißtrauen und Unverständnis des liberalen Freiheitsverständnisses" mit Argumenten von Ernst Rudolf Huber und Thedor Maunz zu widerlegen und zu entlarven versucht: "( ... ) Dem liberalen Mißtrauen fehlt die seelische Resonanz für das echte Führertum, dessen Aufkommen es durch ein erstickendes Kontrollsystem niederzuhalten sucht. Wie das liberale Denken eine rechtliche Bindung nur da anerkennt, wo es eine Kontrolle weiß, so verwechselt es auch das Institut des Führertums, das "verantwortliche Bindung ohne Kontrolle" voraussetzt (Huber, ArchÖffR. NJ. 24, 248; Maunz, Neue Grundlagen des Verwaltungsrechts, S.20/21) mit persönlicher Willkür oder Despotie. ( ... )"
Die Geschichte hat anderes gezeigt. Trotz dieser "unzeitgemäßen" Auffassungen v. Mangoldts und der ihm nachgesagten kritischen Haltung dem Nationalsozialismus gegenüber'l fällt in diese Zeit überraschenderweise eine Veröffentlichung, in der Hermann v. Mangoldt in ungewöhnlich plakativer Weise aus wehrpolitischen Erwägungen vor der Überfremdung der deutschen Wirtschaft warnt. Er fordert, "( ... ) daß die Aktienmajorität wichtiger deutscher Industriezweige deutsch bleiben muß, und deutsch auch die Untemehmensleitung, damit eine Geschäftspolitik gewährleistet werden kann, die deutschen Interessen entspricht. ( ... ) Das technisch und wirtschaftlich hochentwickelte Deutsche Reich wird es, gerade unter seiner heutigen kraftvollen Regierung, nicht dulden, im Zuge der Abschüttelung politischer
" Vgl. Kunkel, Professor im Dritten Reich, S. 131. '4 Juristische Wochenschrift 1934,2760. 'I Vgl. Waltraut v. Mangoldt, S. 223. 3 Rohlfs
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Erster Teil: Kaiserreich und Weimar Bevormundung durch wirtschaftliche Überfremdung auf die Dauer wehrpolitisch benachteiligt zu sein. (... )" 76
Mit diesem Beitrag bewegte sich v. Mangoldt zwar nicht einmal in die Nähe der geistigen Atmosphäre von Otto Koellreuter, Max Boehm, Falk Ruttke", Ernst-Rudolf Huber oder anderer Apologeten des neuen Rechts. Doch auch unter Berücksichtigung der oben bereits angesprochenen erzwungenen Einfärbung zeigt der Aufsatz, daß v. Mangoldt sich nicht gänzlich der Stimmung oder Begeisterung der Zeit hat verschließen können. Hierbei gilt es jedoch, die besonderen Umstände dieser "Versailles-Generation" zu berücksichtigen. Nicht ohne Grund - und nicht nur wegen empirisch nachweisbarer Fakten wie Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Verelendung der Massen und politischer Unsicherheit wird der Nationalsozialismus am Anfang einen so starken Zulauf gehabt haben. Eine solche Betrachtung vernachlässigt die psychische Dimension der Akteure; ihre Sozialisation und Prägung. Nicht Fakten machen Geschichte, sondern Menschen und als solche sind wir von Hoffnungen und Idealen ebenso beeinflußt, wie von erlebten und vorgelebten Vorurteilen.
4. Die erste Professur Die Fakultätskollegen waren mit v. Mangoldt zufrieden. Mitte Februar 1935 hatten sie daher beschlossen, den Minister für Wissenschaft71 zu bitten, v. Mangoldt zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernennen zu wollen. "( ... ) Dr. von Mangoldt hat sich zwar erst im Herbst 1931 habilitiert, die Fakultät glaubt ihn aber trotzdem schon jetzt vorschlagen zu sollen, weil er wegen militärischen Dienstes bei der Marine während der ganzen Dauer des Weltkrieges erst in der Nachkriegszeit mit dem Studium beginnen konnte und aus diesen Gründen verhältnismäßig spät zur Habilitation kam. Er ist heute 39 Jahre alt. Literarisch ausgewiesen ist Dr. von Mangoldt durch eine Reihe vorzüglicher wissenschaftlicher Aufsätze, insbesondere aber durch sein im Herbst vorigen Jahres erschienenes Buch über "Geschriebene Verfassung und Rechtssicherheit in den Vereinigten Staaten von Amerika". Auch als Lehrer ist Mangoldt sehr geschätzt. Die ihm im Sommer 1933 vom Herm Minister übertragene Vertretung des damals
7. Siehe Deutsche Wehr Nr. 35, v. 30.8.1934, 510/511. " Zu den drei erstgenannten siehe Steinmetz, Universität Jena, S.634ff. 7I Seit dem Gesetz v. 1.5.1934 (RGBl. I, S. 142) war das Reich fiir Hochschulangelegenheiten zuständig.
III. Königsberger Jahre - aufVmwegen zur Rechtswissenschaft
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beurlaubten Professor Hensel hat er mit Geschick und offensichtlichem Erfolg durchgeführt. (... )" 79 Die Bitte der Fakultät wird von Professor Gerullis "wännstens befürwortet" und an den Minister weitergeleitet. Die Bemühungen der Fakultät blieben nicht ohne Erfolg. Bereits am 15. Juni 1935 wurde der "Dozent Herr Gerichtsassessor Dr. v. Mangoldt" zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor an der Universität Königsberg ernannt." Damit waren die Geldsorgen v. Mangoldts noch nicht gebannt. Kurz nach seiner Ernennung richtete v. Mangoldt ein Gesuch an den Minister für Wissenschaft. Er bat für die Semesterferien des Sommersemesters 1935 um eine Beihilfe in Höhe von RM 600,-, um seine Studien im amerikanischen Verfassungsrecht weiterführen zu können. Aufgrund der Angaben zur finanziellen Situation sind v. Mangoldts damalige Einkünfte bekannt: "( ... ) Er bezieht nur ein Dozentenstipendium von 128,- RM monatliche Auszahlung. An Kolleggeldern hat er im W.S. 1934/35 rd. 1000,- RM und in dem laufenden
Sommer-Semester rd. 700,- RM eingenommen. (... ) Auch bitte ich, in eine Prüfung einzutreten, ob nicht das v. Mangoldt gewährte Dozentenstipendium, das ihm auch mit den Kolleggeldem keine Existenzgrundlage bietet, zu erhöhen sein wird. (... )"'1 Und wiederum hatten die von "wännster Befürwortung" begleiteten Bemühungen Erfolg. Lediglich zwei Wochen später wurde die Universitäts-kasse vom Wissenschaftsministerium angewiesen, v. Mangoldt die begehrten 600,- RM zuzüglich bereits bewilligter 300,- RM Reisebeihilfe" auszu-bezahlen. Außerdem wurde das Stipendium um beinahe ein Drittel - auf 200,- RM erhöht. 83 Das war immerhin ein Anfang. Im Wintersemester 1935/36 - jetzt auch als nichtbeamteter Professor im Hochschulkalender geführt - konnte v. Mangoldt erstmalig seine Kenntnisse des amerikanischen Verfassungsrechts an der Universität anbringen: er veranstaltete ein Seminar für ausländisches Staatsrecht, insbesondere des
Siehe Brief des Dekans Oppikofer an den Rektor Gerullis v. 30.3.1935, VA TÜ 126/409. o Vgl. Brief des Reichs- und Preußischen Ministers fiir Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung W I P von Mangoldt a v. 15.7.1935, VA TÜ Sign. 126/409. • 1 Siehe Brief des Kurators u.K. 3150 an den Reichsminister fiir Wissenschaft v. 19.6.1935, VA TÜ Sign. 126/409. " Die Reisebeihilfe sollte einem Aufenthalt in England dienen, der anschließend aber aufprund der mangelnden Devisen nicht durchgefiihrt werden konnte. • Siehe Brief des Reichsministers Wissenschaft Az.: W I P von Mangoldt b an den Kurator v. 3.7.1935, VA TÜ Sign. 126/409. 79
Si~.
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Erster Teil: Kaiserreich und Weimar
Staatsrechts der USA." Aus Unterlagen des Reichswissenschaftsministeriums geht hervor, daß sich in dieser Zeit die beiden Universitäten Göttingen und Frankfurt am Main über v. Mangoldt infonniert hatten." Für welchen Lehrstuhl v. Mangoldt dort vorgesehen war und warum es im Ergebnis nicht zu einem entsprechenden Ruf kam, ließ sich nicht mehr feststellen. Nur drei Monate nach der Ernennung zum n.b.a.o. Professor in Königsberg erfolgte dann der erste Ruf.
"Ygl. Hochschulkalender 116. Ausg. WS 1935/36, S. 128. 11 Ygl. Karteikarte Reichsforschunggsrat, BA Ast. Zehlendorf.
Zweiter Teil
Drittes Reich I. Letzte Friedensjahre - Professor in Tübingen Nachdem Ernst Rudolf Huber, der zu dieser Zeit an der Universität Kiel lehrte, im Herbst 1934 den Ruf nach Tübingen abgelehnt hatte, war die Fakultät zunächst bestrebt, Professor Walz aus Breslau als Nachfolger für den nach Leipzig gegangenen Professor Gerber zu gewinnen.'· Der Reichs- und Preußische Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung teilte hierzu nur kurz und knapp mit, "( ... ) daß Prof. Dr. Walz in Breslau nicht zu entbehren ist (... )." Daraufhin wurde eine neue Vorschlagsliste mit den Professoren Friesenhahn, Horneffer, Schüle und v. Mangoldt als Kandidaten erstellt. Die eingeholten Gutachten über v. Mangoldt, deren Inhalt leider nicht bekannt ist, "( ... ) weil die gutachterlichen Äußerungen durchweg in vertraulichen Privatbriefen enthalten sind (... )"." erstatteten Felix Genzmer und sein "Habilitationsvater" Ernst v. Hippe!. Dem Übersendungsschreiben des Rektors an den Reichsminister war der neuen Rechtslage entsprechend eine Stellungnahme des Leiters der Dozentschaft beigefügt, der sich zur Wiederbesetzungssituation wie folgt äußerte: "( ... ) Zunächst muß ich betonen, dass sowohl im Hinblick auf die Gesamtverhältnisse an der Universität als auch diejenigen der Fakultät die Besetzung wenigstens eines der beiden Lehrstühle (Anm. d. Verf.: es war auch ein Strafrechtslehrstuhl zu besetzen) mit einem ausgesprochenen Nationalsozialisten dringend notwendig ist. Auch ist die Berufung von Personen, welche mit dem Stahlhelm in Verbindung stehen, unerwünscht, da solche Verbindungen schon bei einigen Fakultätsmitgliedern bestehen. Wenn ich höre, daß Prof. Wal z (Breslau) noch immer nicht für Tübingen in Betracht gezogen werden kann, so scheint mir von den für die öffentlich-rechtliche Professur Vorgeschlagenen Dr. F r i e sen h ahn am geeignetsten. Auch gegen Dr. S. Vgl. Brief des Dekans Prof. Feine v. 27.9.1934 und des Rektors Prof Fezer v. 9.10.1934, UA TÜ Sign. 315/12. " Siehe dessen Brief Az.: W I P 935 v. 6.6.l935 an den Kultusminister in Stuttgart, UA TÜ Sign. 315/12. '8 Siehe Brief des Rektors Prof. Focke Tagebuch Nr. 1693 v. 3.7.1935 an den Reichsminister Wissenschaft, UA TÜ Sign. 315/12.
Zweiter Teil: Drittes Reich
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v. Man goi d t hätte ich abgesehen von der obigen allgemeinen Bemerkung keine Bedenken. ( ... )"89
Die Bedenken, daß v. Mangoldt kein ausgesprochener Nationalsozialist war, taten seinem Fortkommen in der akademischen Laufbahn keinen Abbruch. Mit Schreiben vom 1. Oktober 1935 ersuchte der Reichsminister fiir Wissenschaft Hermann v. Mangoldt "( ... ), vom Winter-Semester 1935/36 ab in der rechtsund wirtschaftswissenchaftlichen Fakultät der Universität Tübingen die Vertretung der freigewordenen Professur fiir öffentlichen Recht wahrzunehmen. (00.),,90 Hierzu wurde das Kultusministerium in Stuttgart ermächtigt, die Vergütung fiir den Vertretungsauftrag festzusetzen und die Berufungsverhandlungen mit v. Mangoldt, dessen Ernennung zum planmäßigen außerordentlichen Professor fiir den 1. April 1936 in Aussicht genommen wurde, einzuleiten. Endlich - im Alter von 39 Jahren - war der finanzielle Engpaß überwunden. Die Ernennung zum außerordentlichen planmäßigen Professor war zwar noch nicht erfolgt, dennoch ersuchte der Kultusminister in Stuttgart am 5. November 1935 den Rektor der Universität Tübingen, v. Mangoldt gemäß der Besoldungsgruppe B 2 Stufe 3 RM 6700,- sowie RM 540,- Wohnungsgeld jährlich91 auszubezahlen, da er die Vertretung bereits übernommen habe. Welch ein Gefühl der Freude und Erleichterung mag dies in ihm ausgelöst haben! Mußte er doch die zurückliegenden neun Jahre mit einem Bruchteil dessen auskommen, sich gleichzeitig ständig um die Sicherung der schmalen Einnahmen bemühen und zudem das berufliche Fortkommen, d.h. die akademische Arbeit mit Nachdruck vorantreiben. Bis zur Auflösung seiner Königsberger Wohnung in der Beeckstr. 36 zum 1. April 1936 wohnte v. Mangoldt in Tübingen in der Gartenstr. 18. Danach zog er um in die Hermann-Kurz-Str. 25. Im Sommersemester 1936 wurde v. Mangoldt vollständig in den Lehrbetrieb integriert. Er las donnerstags und freitags zweistündig "Staatsregierung und staatliche Gliederung. Geschichtliche und rechtsvergleichende Formenlehre", montags, dienstags und freitags einstündig "Kirchenrecht" sowie mittwochs und donnerstags einstündig "Anwendung fremden Rechts". Zudem veranstaltete er ein Öffentlichrechtliches Seminar.·2 •• Siehe Brief des Leiters der Dozentenschaft an den Rektor Prof. Focke v. 3.7.1935, VA TÜ Sign. 315/12.
90 Siehe Brief des Reichsminister Wissenschaft Az.: W I P 1657 v. 1.10.1935, VA TÜ SiW' 126/409. I Vgl. Brief des Kultusministers TagebuchNr. 16275 v. 5.11.1935, VA TÜ Sign. 126/409. • 2 Siehe Vorlesungsverzeichnis SS 1936, S. 50-53.
1. Letzte Friedensjahre - Professor in Tübingen
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Während im ausgehenden Jahr 1936 auf politischer Ebene an der "Achse Berlin - Rom" sowie am deutsch - japanischen Antikominternpakt gearbeitet wurde, lag der Ernennungsvorschlag zwn außerordentlichen Professor noch beim Stellvertreter des Führers, der seine endgültige Zustimmung noch nicht erteilt hatte:3 Erst am 26. Januar 1937 - zeitgleich mit dem Inkrafttreten des neuen Beamtengesetzes - wurde v. Mangoldt rückwirkend zwn 1. April 1936 zwn planmäßigen außerordentlichen Professor an der Eberhard-KarlsUniversität Tübingen ernannt. .. Damit wurde er endgültig Mitglied einer Fakultät, die seinerzeit wissenschaftliche Heimstatt so bekannter Juristen wie beispielsweise Heck, Stoll und Genzmer war. Im Wintersemester 1936/37 las er Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag einstündig "Verfassung" und gab dazu jeweils Mittwoch und Samstags von 8.00-9.00 Uhr Übungsstunden. Weiterhin las er Dienstag und Donnerstag einstündig "Völkerrecht"." Wissenschaftlich arbeitete v. Mangoldt verstärkt an der Vollendung des Werks "Rechtsstaatsgedanke und Regierungsformen in den Vereinigten Staaten von Amerika". Wie auch zuvor für die Abfassung der Habilitation bediente er sich des Bestands der Bibliothek des Kaiser-WilhelmsInstituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht unter der Leitung von Professor Bruns in Berlin. Obwohl er in Tübingen täglich mit Veran-staltungen beschäftigt war, machten es seine häufigen Aufenthalte in Berlin erforderlich, sich ein Zimmer in Berlin zu nehmen. Abermals zog er zur Familie Schmitz in die Burgstraße. Die intensive Arbeit an seiner zweiten großen Schrift fiihrte dazu, daß der Name v. Mangoldts im Jahre 1936 bloß im Zusammenhang von Besprechungen seiner Habilitation im Archiv des öffentlichen Rechts" und in der Prager Juristischen Zeitschrift·7 erschien. Zu dem ausdrücklichen Verzicht v. Mangoldts auf rechtsvergleichende Bemerkungen im Rahmen der Habilitation fiihrte Carl-Hermann Ule·1 im Archiv des öffentlichen Rechts aus: "( ... ) Diese Beschränkung ist um so mehr gerechtfertigt, als die völlig verschiedenen Grundlagen der amerikanischen und der deutschen Staatsgestaltung einen Vergleich
.3 Vgl. Brief des Reichsministers Wissenschaft Az.: W I P Nr. 2345. an den Kultusminister in Stuttgart v. 8.11.1936, UA TÜ Sign. 126/409. 94 Erlaß des Reichsministers Wissenschaft Az.: W I P 1908/36 (a) v. 26.1.1937, UA TÜ Sign. 126/409. 9l Siehe Vorlesungsverzeichnis WS 1936/37 und SS 1937, S. 50,51. 96 AöRBd. 27 (1936), 375-377. 97 Prager Juristische Zeitschrift 1936, S. 746. 9. Ule war seinerzeit Professor an der Universität Kiel.
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Zweiter Teil: Drittes Reich
nur in einem sehr beschränkten Sinne zulassen, wenn nicht überhaupt ausschließen. Der nationalsozialistische Staat steht dem Problem einer geschriebenen und nur erschwert abänderbaren Verfassung, ( ... ), völlig anders gegenüber als die amerikanische Staatsauffassung. Dem nationalsozialistischen Staatsdenken ist ein solcher Verfassungsbegriff fremd. (... ) Die Bedeutung einer Arbeit wie der vorliegenden kann deshalb allein darin bestehen, daß sie von der rechtlichen Gestaltung und den tatsächlichen Auswirkungen des Verhältnisses von geschriebener Verfassung und Rechtssicherheit ... ein zutreffendes, anschauliches und ... belebtes Bild entwirft, das dem Leser eine selbständige Beurteilung gestattet. Dieses Ziel hat der Verfasser in vollem Umfange erreicht. ( ... )"
Daß v. Mangoldt den Vergleich mit der deutschen Situation vielleicht deshalb nicht ausdrücklich ziehen wollte, um nicht erklärtennaßen die Gegenposition beziehen zu müssen, sondern möglicherweise hoffte, diese unterschwellig einbringen zu können, kam Ule offensichtlich nicht in den Sinn. Auch dann nicht, als er sich kritisch mit den Schlußbemerkungen v. Mangoldts auseinandersetzte, die zumindest aus heutiger Sicht den eben genannten Schluß geradezu aufdrängen: "( ... ) Der optimistischen Beurteilung durch den Verfasser wird sich ein deutscher Betrachter heute freilich nicht mehr anschließen können, nachdem nicht nur bei uns, sondern auch wohl für die Vereinigten Staaten deutlich geworden ist, daß ein Staats aufbau, der wie der amerikanische durch ein System von checks und balances gekennzeichnet ist, in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Umwälzungen versagen muß, weil er eine Volksführung zu neuen Zielen und auf neuen Wegen unmöglich macht. Dem Verfasser kann auch nicht zugestimmt werden, ... , daß die in dem amerikanischen Rechtssystem enthaltenen Anregungen für eine formaljurlstische Sicherung von Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit "bei jedem Regierungssystem, möge es sonst auch den Anspruch auf absolute Neuheit machen können, doch eine Reihe v~>n alt überkommenen und irgendwo in der Welt erprobten Institutionen zu verwenden pflege". (... )"
Den erhobenen Zeigefinger und die Warnung dieser Zeilen, erblickte Ule nicht. Diesen Inhalt des Werks hatte offensichtlich der zweite Rezensent, der Privatdozent an der Universität Prag Franz Adler, erkannt und vor Augen gehabt, als er verhalten, aber unmißverständlich ausführte: "( ... ) Die vorliegende, bereits 1934 erschienene Schrift gibt eine guten Überblick über Sinn und Bedeutung des sog. starren Charakters der Verfassung der nordamerikanischen Union ( ... ). Das ganze Buch - und das scheint auch in der Absicht des Verfassers zu liegen - erbringt den Beweis, daß zur Erlangung weitgehender Rechtssicherheit und einer gewissen Kontinuität der Rechtsentwicklung Einrichtungen wie die von ihm erörterten, im modernen Staaten kaum entbehrt werden können. (... )"
1. Letzte Friedensjahre - Professor in Tübingen
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Zwischenzeitlich erhielt v. Mangoldt einen Ruf an die Hansische Universität nach Hamburg99 -Er unterbrach seine Vorlesung "Verwaltung"IOO, um am 18. Juni 1937 auf Einladung des Rektors der Hansischen Universität, dem Professor für Geschichte Adolf Rein, in Hamburg einen Vortrag zum Thema "Verwaltung und Verwaltungsrecht zu halten". Nach seiner Rückkehr teilte er dem Dekan der Tübinger Fakultät, Hans Erich Feine, in einem Brief vom 4. Oktober allerdings mit, "( ... ) daß ich heute das Reichserziehungsministeriwn gebeten habe, von meiner Berufung nach Hamburg Abstand zu nehmen. Ich freue mich aufrichtig, in Tübingen innerhalb einer Fakultät und eines Landes verbleiben zu können, denen ich mich 101 stets besonders verbunden gefiihlt habe, ( ... )"
Das Glückwunschschreiben Feines zum erhaltenen Ruf verbarg dann auch nicht die Freude, darüber, daß v. Mangoldt den Ruf ausgeschlagen hat und in Tübingen bleiben würde. "( ... ) Für illre Mitteilung vom 4.10.37 ( ... ) danke ich llinen bestens. Ich spreche llinen zu der Berufung nach Hamburg im Namen der Fakultät und im eigenen Namen die herzlichsten Glückwünsche aus. Ganz besonders freut es mich, dass Sie den Ruf abgelehnt haben und weiterhin unserer Fakultät angehören werden. Ich hoffe, dass unsere Zusammenarbeit, die so schön und verheissungsvoll begonnen hat , auch weiterhin zu den besten Ergebnissen fur die Universität und fur Württemberg fiihren wird. ( ... )" 102
Die positive Folge der Ausschlagung ließ folglich nicht lange auf sich warten. Nachdem v. Mangoldt am 14. Oktober 1937 zum Oberleutnant z.S. d.R. ernannt worden ist, erwog der Kultusminister in Stuttgart am 6. November 1937, ihn zum Ordinarius zu ernennen. lO) Die Universität legte dem Kultusminister etwa einen Monat später die Personalnachweise vor und vergaß nicht, darauf hinzuweisen, daß sie die Ernennung zum ordentlichen Professor begrüßen würde. 104 Dem Brief lag zudem eine Stellungnahme des Leiters der Dozentenschaft der Universität Tübingen, Schwenk, bei, in der über v. Mangoldt folgendes steht: 99 Vgl. Brief des Rektors Prof. Rein Az.: A 110.10.2 v. 2.3.1936 an den Rektor der Universität Tübingen, UA TÜ Sign. 126/409. 100 Siehe Vorlesungsverzeichnis WS 1936/37 und SS 1937, S. 83. 101 Siehe. Briefv. 4.10.1937, UA TÜ Sign. 601153. 102 Siehe. Briefv. 13.10.1937, UA TÜ Sign. 601153. 10) Vgl. Brief des Kultusministers in Stuttgart TagebuchNr.16687 v. 6.11.1937 an den Rektor der Universität Tübingen, UA TÜ Sign. 126/409. 104 Vgl. Brief des Rektors TagebuchNr. 3198 v. 17.12.1937 an den Kultusminister in Stuttgart, UA TÜ Sign. 126/409.
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"( ... ) Mangoldt ist nicht Parteigenosse. Er gehört seit dem 12.4.1934 dem NSluristenbund an. Von einer aktiven Betätigung in einer Gliederung der Partei ist mir nichts bekannt. Von der Dozentenschaft Königsberg, (... ), wurde er als politisch zuverlässig bezeichnet. Von der Studentschaft wird M. nicht übermäßig geschätzt. Er sucht aber stets Kontakt mit den Studenten und ist für jede Möglichkeit, die sich ihm von studentischer Seite zur Aussprache bietet, dankbar. Man hat den Eindruck, als ob von M. ehrlich bestrebt ist an einer Neubelebung der Unterrichtsform an der Universität gestaltend mitzuwirken. (... )" .10l
Seine Veröffentlichungen in dieser Zeit beschränkten sich auf einen Aufsatz mit dem ungewöhnlich anmutenden Titel "Ärzte und Heilpraktiker in Rechtsprechung und Gesetzgebung der Vereinigten Staaten von Amerika"l06 Die einleitenden Sätze dieses Aufsatzes: "( ... ) Bei der Neuordnung des gesamten Rechts im Dritten Reiche ist im Hinblick auf die besondere Bedeutung, die der Rassenhygiene im neuen Staate zukommt, der öffentlichen Gesundheitspflege von Anfang an stärkste Aufmerksamkeit geschenkt worden. (... )"
muten vor dem Hintergrund der Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 seltsam unbedarft an. Wenn hieraus zwar auf die positive Kenntnis v. Mangoldts von der Erneuerung des Rechts und der Bedeutung der Rassenhygiene geschlossen werden kann, so wird durch die folgenden Ausführungen doch nur eines deutlich; das aktuelle Thema diente als Aufhänger fiir den Aufsatz. Inhaltlich verfing er sich nicht in den Fallstricken der Ideologie: "( ... ) Aufgabe dieser Zeilen soll es in der Hauptsache sein, die Stellung der amerikanischen Ärzte und Heilpraktiker innerhalb der staatlichen Ordnung, insbesondere der öffentlichen Gesundheitspflege herauszuarbeiten. Es wird m.a. W. zu prüfen sein, ob und inwieweit in den Vereinigten Staaten Kurierfreiheit besteht oder ob Ärzte und Heilpraktiker bestimmte berufliche Voraussetzungen erfüllen 10' müssen, und wie die Zulassung verfahrensmäßig ausgestaltet ist. ( ... )"
Die Besprechung des Aufsatzes durch Beyreis lOl fiel moderat aus. Die vom Leiter der Dozentschaft Schwenk angesprochene "Neubelebung" des Unterrichts traf nun auch v. Mangoldt. Nachdem er sich in den vorangegangen Semestern mit klassischem Vorlesungsstoff abseits der "Bewegung" halten konnte, war er - nach Gieseler (SS 1936) und Genzmer (WS 1936/37) - im 10l
Ebd.
106 Siehe AöR N.F. 28. Band (1937), S.155-193 (155). 10' 101
Siehe ebd., S. 156. In: Der öffentliche Gesundheitsdienst 1937, S. 449.
I. Letzte Friedensjahre - Professor in Tübingen
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Wintersemester 1937/38 am Montag und Dienstag jeweils einstündig mit der Vorlesung "Volk und Staat" betraut. Zudem hielt er ein Seminar zum Thema "Volk und Volksgruppe im Staatsrecht" ab. Weiterhin las er Völkerrecht und gab eine Übung im öffentlichen Recht für Vorgeruckte. 109
In einer bei den Personalunterlagen der Universität Tübingen befmdlichen Erklärung vom 23. Januar 1938 gab v. Mangoldt Auskunft über seine persönliche Situation. Der Anlaß des Schreibens und der Weg in die Personalakte ist nicht bekannt. In äußerst sachlicher, aber eindringlicher Art äußert sich v. Mangoldt über seinen bisherigen Lebensweg: "( ... ) Daß ich bisher nicht geheiratet habe, hat im wesentlichen folgende Gründe: Die sehr späte Umstellung auf einen neuen Beruf , die nach meinem Ausscheiden aus dem Dienste eines Polizeioffiziers beim Reichswasserschutz am 31.III.1926 notwendig wurde, erforderte äußerste Kraftanspannung, da Referendar-, Doktor- und Assessorexamen, Habilitation und gerichtlicher Vorbereitungsdienst mit Rücksicht auf mein Alter (über 30 Jahre) auf ein Minimum an Zeit zusammengedrängt werden mußten. Außerdem ergab sich durch das Umsatteln, das wegen der Freiwilligkeit des Ausscheidens aus dem Polizeidienste nicht durch die Gewährung einer Pension erleichtert wurde, eine derartige Unsicherheit der Lebensstellung, daß eine Heirat schon dadurch unmöglich wurde. Ferner zog ich mir durch die übergroße Anspannung, die mir die Jahre 1923 bis 1932 in meist doppeltem Ptlichtenkreise brachten, sehr erhebliche, jetzt überwundene gesundheitliche Störungen zu. Als ich dann seit meiner Berufung nach Württemberg in der Lage war, der Frage einer Heirat näher zu treten, hat sich leider nicht alles so entwickelt, wie ich es gehoffi hatte. So ist u.a. ein Versuch an konfessionellen Schwierigkeiten (meinen protestantischen Grundauffassungen) gescheitert. Ich selbst habe aufs stärkste den Wunsch, sobald wie möglich zu heiraten, und hoffe auch, daß sich dieser Wunsch in absehbarer Zeit verwirklichen lassen wird. (... ),,110
Wie deutlich wird hier die Einsamkeit und die kraftzehrende Anstrengung, die sich hinter dem Erreichten verbirgt. Obwohl nichts "nachteiliges" über v. Mangoldts Ausgestaltung der Vorlesung in Erfahrung zu bringen war, mußten Genzmer und Gieseler wohl zur Disziplinierung im anschließenden SS 1938 wieder die Vorlesung "Volk und Rasse" übernehmen. Von Mangoldt las stattdessen Mittwoch und Donnerstag einstündig "Geistiges Schaffen" und erneut "Anwendung fremden
109
110
Siehe Vorlesungsverzeichnis WS 1937/38, S.51, 52. Siehe Aufzeichnungen v. 23. Januar 1938, UA TÜ Sign. 126/409.
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Zweiter Teil: Drittes Reich
Rechts".' I I Seit Königsberg beschäftigte er sich zudem im Rahmen eines Seminares das erste Mal wieder vertieft mit dem Polizeirecht. 112 Endlich, nach vierjähriger Arbeit erschien die zweite große Schrift v. Mangoldts: "Rechtsstaatsgedanke und Regierungsformen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die geistigen Grundlagen des amerikanischen Verfassungsrechts". Im Schrifttum wurde der Fertigstellung der Fortsetzung von "Geschriebene Verfassung" "( ... ) mit Interesse entgegengesehen (... )".113 Abgesehen von den Schwierigkeiten bei der Abfassung des Werkes, mußte v. Mangoldt nun auch um die Veröffentlichung kämpfen. Rechtswissenschaftliche Verleger winkten ab. 11' Vermutlich dämmerte ihnen zwischenzeitlich die kritische Position v. Mangoldts gegenüber dem Führerstaat. Erst mit Hilfe eines Wirtschaftsverbandes konnte das Buch schließlich in der Essener Verlagsanstalt erscheinen. Umso mehr mußte es v. Mangoldt verwundern, daß sich die Verkünder des neuen Rechts dennoch seiner Erkenntnisse bedienten. In dem an einigen Fakultäten im Jahre 1943/44 gehaltenen Vortrag von earl Schmitt "Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft" bemühte dieser ausgerechnet die Lehre vom "due process" für die von ihm propagierte "Wahrung des rationalen Menschseins".lu Der rote Faden der Abhandlung ist dem Titel unschwer zu entnehmen. Während v. Mangoldt bei "Geschriebene Verfassung und Rechtssicherheit" sein Augenmerk auf die formale Ausgestaltung des Verfassungsrechts richtete, "( ... ) so soll jetzt in die geistigen Grundlagen eingefiihrt werden. ( .. f6 Zu Beginn erläuterte er, weshalb "( ... ) Eine in dieser Weise ausgerichtete Auseinandersetzung mit dem geistigen Gnmdgehalt des Verfassungs- und Regienmgssystems eines fremden großen Volkes ... gerade in heutiger Zeit als eine besonders dankbare Aufgabe erscheinen (muß, Anm. d. Verfassers). Hört man in Deutschland heute doch immer wieder betonen, daß es für die Erkenntnis aller Rechtsgestaltung vor allem darauf ankomme, nicht am Formalen haften zu bleiben, sondern die geistigen Hintergründe, die Einordnung des einzelnen Rechtsverhältnisses in die Gesamtheit des staatlichen und völkischen Lebens zu erkennen. (.. / '
Siehe Vorlesungsverzeichnis WS 1938, S. 52, 53. Siehe ebd., S. 54. 113 Vgl. Zeitschrift fiir öffentliches Recht 1939, S. 478. 11' Vgl. Waltraut v. Mangoldt, S. 223. 111 Vgl. earl Schmitt, Aufsätze, S. 422f. 116 Siehe v. Mangoldt, Rechtsstaatsgedanke und Regienmgsformen, Vorwort. 117 Siehe ebd., S. 4. 111
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Es bleibt unklar, ob v. Mangoldt hier geschickt vor dem Wind der - im wahrsten Sinne des Wortes - herrschenden Meinung segelte oder ein sacrificium intellectus darbrachte. Bei der weiteren Lektüre beschleicht einen das Gefühl, daß er die Einleitung zum Glätten der durch "Geschriebene Verfassung" aufgeworfenen völkischen Wogen benutzte. Jedenfalls machen die weiteren Ausfiihrungen deutlich, daß er beispielsweise versuchte, die Ansichten Ules aus dessen Besprechung der "Geschriebene Verfassung" über die grundlegenden Unterschiede und Gegensätzlichkeiten beider Rechtssysteme, mit einem rhetorischen Kniff in den Griff zu bekommen: Eine Untersuchung dieser "Gegensätzlichkeit", so v. Mangoldt, mache schließlich erst deutlich, wo die Unterschiede - und erstaunlicherweise auch Parallelen lägen. Wie schon zuvor verzichtete v. Mangoldt erneut ausdrücklich darauf, Vergleiche mit dem deutschen Recht zu ziehen. Ebenso wies er auf die besondere Bedeutung der Rechtsvergleichung in der damaligen Situation hin. 11. Und wieder hielt er in den ersten Sätzen der Untersuchung dem deutschen Leser einen Spiegel vor, indem er einen amerikanischen Richter zitiert: "( ... ) Die Stärke der Verfassung liegt nicht in der Sprache des geschriebenen Dokwnents, sondern in dem Glauben des Volkes an die Grundsätze, die sie verkörpert. ( ... ) Wir glauben immer noch an die persönliche Freiheit, und wenn wir auch gewillt sind, uns als gute Patrioten an jeder Anstrengung zu beteiligen, wn die wirtschaftliche Notlage zu überwinden, so haben wir doch nicht den Glauben aufgegeben, daß Leben, Freiheit und die Verfolgung des eigenen Glücks die unveräußerlichen Rechte der Menschen sind und daß der Staat nur zum Zweck der Sicherung dieser Rechte da ist. (... ),,119
Es konnte ihn nicht überraschen, daß die Reaktionen auf das so eingeleitete Werk unterschiedlich ausfielen. Die zehn Besprechungen"· reichten vom "völkischen Besinnungsaufsatz" bis hin zur seriösen wissenschaftlichen Würdigung. Alfred Verdroß schrieb in der Zeitschrift fiir öffentliches Recht nach einer objektiven Zusammenfassung des Inhalts: "( ... ) Das Werk ist überaus lehrreich. Es wird daher allen, die sich mit der amerikanischen Rechtswelt beschäftigen, das Eindringen in diesen verwickelten Stoff sehr erleichtern. (... )" 12.
Vgl. v. Mangoldt, Rechtssicherheit und Regierungsforrnen, xxm, XXIV. Siehe ebd., S. 1. 12. Siehe die Übersicht über v. Mangoldts Schriften im Anhang. 12. Siehe Verdroß, in: Zeitschrift fiir öffentliches Recht Bd. 20, S. 132. 111 119
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Es ist eine Binsenweisheit, daß jeder Rezensent aus einem zu besprechenden Buch das herausliest, was ihm nützlich erscheint. So ist die Besprechung v. Rozyckis im Gegensatz zu den sachlichen Ausführungen von Verdross deutlich ideologisch geprägt: "( ... ) Der Wert der im übrigen sehr eingehenden Untersuchung des Verfassers, (... ), liegt für uns vor allem darin, daß sich aus ihnen wertvolle Erkenntnisse für die Gebundenheit fremden Rechts an das betreffende Volkstum und wichtige Nutzanwendnungen für unser eigenes Recht ergeben. So sehr das amerikanische Recht auch liberaler Natur ist, so hat es doch keineswegs eine abstrakte liberalistische Ideologie zum Inhalt, sondern es ist überall in stärkster Weise dem amerikanischen Volkstum verbunden. Dadurch unterscheidet es sich sehr wesentlich von der Weimarer Verfassung, die uns volksfremde Theoretiker bescherten und in deren volksfremde Formen Sie den lebendigen Organismus des deutschen Volkes zu ,,122 zwangen untern ah men. () ...
Zurück zum blhalt der Untersuchung v. Mangoldts. Die alles durchdringende Staatsidee zu erläutern, war nach seinen eigenen Angaben der Anlaß für die Untersuchung. Er wollte die Fundamentalsätze der Verfassung herausarbeiten und prüfen, in welchen Sätzen ihr geistiger Gehalt seinen Niederschlag gefunden hat. Gleichermaßen sollte Wirkung dieser Sätze in der Wirklichkeit des Rechts dargestellt werden. In diesem Zusammenhang stehen Ausführungen v. Mangoldts, die bei den Verfassungsberatungen praktische Konsequenzen haben werden. Er äußerte sich dahingehend, daß es für den materiellen Verfassungssatz eine in seiner Natur begründete Eigenheit sei, daß er allgemein gehalten sei. Folglich gewönne er erst in seiner Anwendung auf die Vielzahl der von ihm erfaßten Fälle seine wahre, konkrete Gestalt. l23 Von dieser Feststellung ausgehend erarbeitete v. Mangoldt die Ausgestaltung und die praktischen Auswirkungen des Freiheitssatzes (due process) und des Gleichheitssatzes (equal protection). Das muß v. Mangoldt so überzeugend gelungen sein, daß Friedrich A. v. Hayek in seiner "Verfassung der Freiheit" im Zusammenhang mit der Entwicklungsgeschichte richterlicher Überprüfung auf v. Mangoldts Erörterungen zum Thema "allgemeine Gesetze" in "Rechtsstaatsgedanke und Regierungsformen" hinweist. 124 Die Wirkung des Gleichheitssatzes in der Praxis veranschaulichte v. Mangoldt anband der Rechtsprechung amerikanische Gerichte zur Gleichbehandlung von Weißen und Farbigen. Besonders dieser Abschnitt durfte schon wegen der Thematik offizieller Aufmerksamkeit gewiß sein. Diejenigen, die sich erhofften, darin juristische Unterstützung für den Rassenwahn zu Siehe Rozycki, in: Deutsche Vertwaltung 1939, S. 31, 32. Vgl. v. Mangoldt, Rechtsstaatsgedanke und Regierungsformen, S. 3. 124 Vgl. Friedrich A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 240, Anm. 54. 122 123
I. Letzte Friedensjahre - Professor in Tübingen
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fmden, wurden enttäuscht. Angesichts der Ereignisse in Deutschland geht von der nüchternen leidenschaftslosen Schilderung v. Mangoldts heutzutage ein kalter Hauch aus. Der dokumentarischen Wahrheit in seinen Ausführungen verpflichtet, konnte v. Mangoldt aber nicht anders vorgehen. Jede andere Fonn der Darstellung hätte Wertung hervorgebracht, wo Objektivität verlangt war. Eine solche Vorstellung von Wissenschaft war Hennann v. Mangoldt seinem Wesen nach fremd. Eine Ahnung seiner eigenen Ansicht in dieser Angelegenheit kann dennoch der Zusammenfassung arn Ende des Abschnitts entnommen werden: "( ... ) In einem hat dieses Schrifttum allerdings recht. Davon, daß die Farbigen in den Vereinigten Staaten völlig die gleichen Rechte wie die Weißen genießen, kann gegenwärtig ( ... ) keine Rede sein. Der Satz, daß Gleichheit vor dem Gesetz Gewährleistung materieller Gleichheit bedeutet, gilt im Verhältnis der verschiedenen Rassen zueinander für die politischen Rechte an sehr vielen Orten ... heute praktisch sicherlich nicht. ( ... )"'2l
Aber nur einige Sätze später führte er sibyllinisch aus: "( ... ) Kaum ein Satz bedurfte nun wohl mehr einer solchen Begründung aus den konkreten Gestaltungen als die oben vorangestellte Regel, daß von Natur Ungleiches auch ungleich zu behandeln sei. Und wo ist diese Regel wohl von jeher umstrittener gewesen als im Rassenrecht. ( ... )" 126
War das der Mut eines Mannes, der keine Rücksicht auf die Folgen seines Handelns nimmt? War das die Unberührtheit von den Gedanken des Nationalsozialismus, die Walter Jellinek in seinem Nachruf meinte? Oder war es nicht vielmehr der Versuch, keine Schuld auf sich zu laden, aber dennoch nicht aktiv Widerstand zu leisten, sondern mitzumachen, um beruflich voranzukommen. Als Quintessenz der Auseinandersetzung mit dem Gleichheitssatz können folgende Sätze angesehen werden: "( ... ) der Satz von der equal protection of the laws (schließt, Anm. d. Verf.) eine unterschiedliche Behandlung voneinander abweichender Tatbestände keineswegs aus, nur muß diese rechtliche Differenzierung auf einer vernünftigen Grundlage beruhen. Es dürfen also weder durch Gesetz ( ... ) Maßnahmen getroffen werden, die im Erfolge zu einer nicht zu rechtfertigenden, ungerechten oder willkürlichen Diskriminierung fiihren, ( ... )"'''
l2l
Siehe v. Mangoldt, Rechtsstaatsgedanke und Regierungsformen, S. 312.
127
Siehe ebd.
"6 Siehe ebd., S. 313.
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Bei der Lektüre dieser Sätze drängt sich der Vergleich mit der ungleich hölzernen Fonnulierung von Gerhard Leibholz auf, der bereits 1925 folgendermaßen ausführte: "( ... ) In diesem Sinne kann die Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetz definiert werden, als die nach dem jeweiligen Rechtsbewußtsein nicht willkürliche Handhabung des an die Adresse von Rechtssubjekten gerichteten Rechtes durch den Gesetzgeber und die Vollziehung ( Justiz und Verwaltung). ( ... ).,,121
Im Jahre 1938 ahnte keiner der beiden etwas von einer späteren Zusammenarbeit. Am 1O. August 1938 ging v. Mangoldts geäußerter Wunsch nach einer baldigen Heirat in Erfüllung. In Berlin-Steglitz heiratete er Dr. Ingeborg Meister, die Tochter des ehemaligen Staatssekretärs im preußischen Innenministerium, Dr. Friedrich Meister, den die Nationalsozialisten nach der Machtübernahme 1933 mit der Ernennung zum Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts auf ein Abstellgleis "befördert" hatten. Nach der Heirat zog v. Mangoldt mit seiner Frau um in die Hechingerstr. 14. Die Fakultätskollegen schenkten dem frischverheirateten Ehepaar zum Einzug eine Gelenkleselampe und eine Obstschale mit Früchten, die von Frau Schnaith, der Inhaberin der Tübinger Obsthalle mit je einem Pfund Äpfeln, Birnen und Pflaumen sowie Trauben "gerichtet" wurde."9 Im letzten Friedenssemester, dem WS 1938/39, las v. Mangoldt Mittwoch und Donnerstag von 8.00 bis 9.00 Uhr "Ausgewählte Kapitel aus dem besonderen Teil des Verwaltungsrechts" sowie erneut "Völkerrecht". Zur "Übung im öffentlichen Recht für Vorgerückte" am Freitag von 18.00 bis 20.00 Uhr kam ein "Verkehrsrechtliches Seminar" hinzu. In der Württembergischen Verwaltungszeitschrift erschien am 15. März 1939 ein Beitrag v. Mangoldts, dessen bloßer Titel heutzutage Ressentiments hervorruft. In seiner rechtsvergleichenden Betrachtung "Rassenrecht und Judentum"'JO verglich v. Mangoldt die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Rassenrechts der Länder Deutschland, Italien; Ungarn und der Vereinigten Staaten von Amerika. Ganz wohl ist einem heute nicht bei der Lektüre des Aufsatzes, der folgendennaßen beginnt: "( ... ) Die Geschichte der Völker aller Kontinente zeigt deutlich die großen Gefahren, die aus einer Vermischung des eigenen mit stark artfremden Blute drohen. Immer
'" Siehe Leibholz, Gleichheit, S. 87. Siehe Quittungen der Tübinger Obsthalle und der Beleuchtungszentrale Hartmann in Stuttgart, VA TÜ Sign. 601153. 130 Von Mangoldt, Rassemecht und Judentum, in Württembergische Verwaltungszeitschrift 1939, S. 49-51. 129
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wieder haben die Völker zu den einschneidendsten Maßnahmen gegriffen, um einer solchen Überfremdung vorzubeugen. Niemals vorher ist die ganze Frage aber mit der gleichen Schärfe wie heute im Dritten Reiche und in einzelnen mitteleuropäischen Ländern als Rassenproblem erkannt und gleichzeitig auch in der Gesetzgebung als solches behandelt worden. ( ... )" 131
Erstaunlicherweise bediente sich v. Mangoldt bei der Rechtfertigung der menschenverachtenden Gesetze der gängigen platten Parole, daß aufgrund der Bevölkerungsverhältnisse in Mitteleuropa eine Überfremdung nur von den Juden ausginge. Schließlich würde in Deutschland jetzt nichts anderes geschehen, als in früheren Zeiten in der angelsächsischen Welt. Das heutige Unverständnis gipfelt jedoch in folgenden Zeilen: "( ... ) Diese Gesetzgebung hält im übrigen auch nach der ethischen Seite den Vergleich mit den Maßnahmen der angelsächsischen Welt aus. Keineswegs handelt es sich bei ihr, wie das immer wieder vom Auslande behauptet wird, nur um eine jeder höheren Ideale bare Reaktion ( ... ). Vielmehr werden mit ihm ganz andere, und zwar hohe ethische Ziele verfolgt. Die durch diese Gesetze gesicherte Reinhaltung des Blutes ist nicht Selbstzweck, sondern wie der Führer im "Kampf' (S. 434) gesagt hat, "ist der höchste Zweck des völkischen Staates die Sorge um die Erhaltung derjenigen rassischen Urelernente, die, als kulturspendend, die Schönheit und Würde eines höheren Menschtums schaffen". ( ... )"
Bewegte v. Mangoldt sich damit immer noch unterhalb der Schwelle des persönlich vorwertbaren? War er nach sechs Jahren immer noch in der euphorischen Stimmung nach der Machtergreifung? Wie kam v. Mangoldt dazu, seine Erkenntnisse aus "Rechtsstaatsgedanke und Regierungsformen" dergestalt zu bemänteln? Das Ende der Untersuchung hingegen weist wieder in eine andere Richtung. Der Leser solle seine Entscheidung selber treffen, zu wessen Gunsten der Vergleich ausfallen müßte. Glaubte er doch nicht an das, was er zwei Seiten zuvor geschrieben hatte und benutzte ein aktuelles Thema wiedereinmal nur als Aufhänger? In der Sache brachte v. Mangoldt jedenfalls gegenüber den Ergebnissen aus "Rechtsstaatsgedanke und Regierungsformen" keine Neuigkeiten. Er verwertete lediglich schon bekanntes aus seiner Habilitationsschrift. Die erste Frage allerdings bleibt bestehen. Die grundlegenden politischen Veränderungen waren - wie in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens - auch im Universitätsalltag zu spüren. Wolfgang Kunkel erinnert sich diesbezüglich, daß vor allem gegen die jüngeren Professoren, die der Ablehnung des Nationalsozialismus verdächtig waren, Material gesammelt wurde. In den Vorlesungen wären nicht selten Spitzel, Studenten oder Assistenten anwesend gewesen, die vom NS131
Siehe ebd., S. 49.
4 Rohlfs
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Studentenbund oder -Dozentenbund aufgrund ausdrücklicher Anweisung beauftragt waren, den betreffenden Professor zu beobachten. lJ2 Sicherlich gab es zu jeder Zeit Berichte von Studenten über die Stärken und Schwächen der Professoren. Wenn aber die Vorlesungen gezielt auf "Ideologietreue" der Professoren überprüft werden, handelt es sich wn nichts anderes, als eine besonders niederträchtige Art der Bespitzelung. Vor diesem menschenverachtenden systemimmanenten Mechanismus und Hintergrund ist der folgende Vorgang zu bewerten, der geradezu beispielhaft das erneuerte Universitätsleben beleuchtet. Der Fachgruppenleiter Rechtswissenschaft, Referendar Reinhold Beck, Hilfsassistent bei Professor Genzmer, hat "( ... ) Kameraden aus fast allen juristischen Vorlesungen gebeten, mir Gutachten über die einzelnen Vorlesungen abzugeben. Dabei erhielt ich über Prof. Genzmers Vorlesung "Verfassung" einen Bericht, in dem Prof. Genzmer vorgeworfen wurde, dass er sich über die SA abfällig geäußert habe und dass er auch sonst gewisse Bemerkungen gemacht habe, die politisch zu beanstanden seien. Auf Grund dieses Berichts, den ich gar nicht unter irgendwelchen politischen Gesichtspunkten eingefordert hatte, sondern nur, um der Fakultät in Bezug auf die Vorlesungen gewisse Anregungen geben zu können, unterrichtete ich den Studentenfiihrer m Universität Tübingen über die Angelegenheit; ( ... )"
Im weiteren Verlauf findet sich der Bericht, der v. Mangoldts Vorlesungen "Völkerrecht" und "Ausgewählte Kapitel des Verwaltungsrechts" sowie die "Vorgerücktenübung" betrifft. 134. In der Vorlesung "Völkerrecht" wurde "( ... ) als Fehler angesehen, dass der Vorlesung eine strenge Systematik fehlte. Anerkannt wurde, dass Prof. v. Mangoldt einen ausreichenden Überblick über die einzelnen Stoffgebiete des Völkerrechts gab. ( ... )".
In der "Übung fiir Vorgerückte" "( ... ) hat es sich als sehr vorteilhaft gezeigt, Fälle bearbeiten zu lassen, wie sie tatsächlich in der Praxis vorkommen. ( ... ) Es wurde ferner mitgeteilt, daß Prof. v. Mangoldt hohe Anforderungen stellte, die Arbeiten streng beurteilte, aber auch gründlich besprach. (... ) Allerdings möge er mehr auf den einzelnen Studenten eingehen; manches mal wurden Kameraden dadurch von der aktiven Teilnahme abgeschreckt, dass sie glaubten, Prof. von Mangoldt behandle sie mit einer etwas zu sehr betonten Überlegenheit. ( ... )" Vgl. Kunkel, Professor im Dritten Reich, S. 122. Siehe Selbstanzeige von Reinhold Beck v. 9.5.1939, UA TÜ Sign. 601153. 134 Siehe ebd. ll2
m
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Wiederum kam es auf politischer Ebene zu einer Verzögerung der Ernennung v. Mangoldts. Erst am 4. Mai 1939 wurde v. Mangoldt rückwirkend zum 1. April 1939 zum ordentlichen Professor auf Lebenszeit ernannt. '" Daraufhin gratulierte der Dekan Professor Georg Eisser: "( ... ) Namens der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät spreche ich TImen zur Ernennung zum ordentlichen Professor die besten Glückwünsche aus. Wir freuen uns mit TImen, dass Sie jetzt die Endstufe der akademischen Laufbahn erreicht haben und hoffen auf eine erspriessliche Fortsetzung der schönen Zusammenarbeit, an der wir uns auch in den vergangenen Jahren erfreuen durften. In kollegialer Begrüssung Wld mit Heil Hitler! (... )""6 Drei Tage später bedankte sich v. Mangoldt für die Glückwünsche und fügte hinzu, daß es ihm eine besondere Freude sei, daß er diese Ernennung in Tübingen erleben dürfe, in dem er so viel freundliche Unterstützung und Entgegenkommen im Kollegenkreis gefunden habe. 137 In seinem ersten Semester als Ordinarius las v. Mangoldt von Montag bis Freitag um 9.00 bis 10.00 Uhr "Verwaltung" und hielt Mittwoch von 8.00 bis 9.00 Uhr sowie Donnerstag von 10.00 bis 11.00 Uhr eine dazugehörige Übung ab. Ergänzend besprach er vor dem Wochenende - am Freitag verwaltungsgerichtliche Entscheidungen und hielt ein Seminar zum Volksgruppenrecht ab. 131 Mit dem bereits erwähnten Referendar Beck mußte sich v. Mangoldt noch einmal auseinandersetzen. Hintergrund war, daß Beck, als Leiter einer Arbeitsgemeinschaft des "Reichsberufswettkampfes der Studenten" Bücher aus dem Völkerrechtlichen Seminar entliehen hatte, ohne dazu berechtigt zu sein und diese nicht einmal in das Leiheft eingetragen hatte. Deshalb entzog v. Mangoldt Beck bis zur Klärung der Angelegenheit die Erlaubnis, das Seminar zu benutzen und forderte ihn zur Rückgabe des Schlüssels auf. Diese unscheinbare Begebenheit weitete sich zu einem universitärem Politikum aus: v. Mangoldt schrieb an den Rektor, dieser gab die Sache an den Studentenführer weiter, selbiger schrieb wiederum v. Mangoldt usw.
'" Siehe Erlaß des Reichsministers Wissenschaft Az.: W P von Mangoldt 3 g (b) v. 4.5.1939, VA TÜ Sign. 126/409. Damit wird v. Mangoldt eine Planstelle der
Reichsbesoldungsordnung H Gruppe 1 zugewiesen, die ihm ein jährliches GfWldgehalt von RM 8000,- zzgl. RM 1000,- Vnterrichtsgeldgarantie einbringt. "6 Siehe Briefv. 2. Juni 1939, VA TÜ Sign. 601153. 137 Siehe Briefv. 5. Juni 1939, VA TÜ Sign. 601153. l3B Siehe Vorlesungsverzeichnis SS 1939, S. 52, 54.
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Erwähnenswert ist der "Fall Beck" deshalb, weil er das Neben- und Ineinander von Partei und Universität und deren Rivalität deutlich macht. Es ging v. Mangoldt längst nicht nur um die Bücher, obwohl er Unregelmäßigkeiten gegenüber sehr abgeneigt war, sondern um seine Kompetenzen als Direktor des Völkerrechtlichen Seminars. Wenigstens hier wollte er die Partei draußen haben. Die Reaktion des Studentenfiihrers Goerlich läßt erkennen, daß dieser v. Mangoldts Absichten erkannt hatte und seinerseits den Absolutheitsanspruch der Partei durchsetzen wollte. "( ... ) Ich lasse daher keinen Zweifel, dass ich über die Art Wld Weise der BehandlWlg eines deutschen Akademikers, der sich in der Studentenf'iihrung, Tag für Tag nicht nur im studentischen Interesse, sondern auch im Interesse der gesamten Universität aufopfert Wld wie erwähnt als einziger Assistent seine Zeit für die Erntehilfe opfert, ohne persönlich irgend welche Vorteile zu haben, reichlich erstaWlt bin Wld mich gezwungen sehe, in die Angelegenheit einzugreifen Wld meinen vorgesetzten Dienststellen zu gegebener Zeit Kenntnis zu geben. Nach meiner Ansicht sollte die Universität froh sein, politisch aktive Menschen als Assistenten zu erhalten. Insbesondere scheint mir dies in der Rechtswissenschaft ein Erfordernis zu sein. Ich verstehe daher diese BehandlWlg keineswegs. ( ... )" 139
Die hierauf folgende Antwort v. Mangoldts war alles andere als geeignet, die Auseinandersetzung friedlich beizulegen: "( ... ) Da es sich bei dem festgestellten Fehlen von Büchern im völkerrechtlichen Seminar um eine reine VerwaltWlgsangelegenheit handelt, die Sie als Studentenführer nicht das mindeste angeht, beabsichtige ich nicht, auf den Inhalt Ihres Briefes näher einzugehen. ( ... ) Damit haben Sie sich eines klaren Übergriffes in die VerwaltWlg des allein meiner verantwortlichen LeitWlg Wlterstehenden völkerrechtlichen Seminars schuldig gemacht. ( ... ) Im übrigen lege ich gleichzeitig wegen Ihres nach Form Wld Inhalt Wlgehörigen Schreibens bei dem Herm Rektor der Universität Beschwerde gegen Sie ein. ( ... )"140
Die Angelegenheit beschäftigte v. Mangoldt derart, daß er sich sogar im Urlaub mit ihr befaßte. Von Gaschum aus legte er die angekündigte Beschwerde beim Rektor ein. In seinem Brief an den Rektor vom 6. August 1939 vergaß er nicht, darauf hinzuweisen, daß dem Studentenfiihrer klar gemacht werden müsse, daß solche Einmischungen in die Verwaltung des Seminars unbedingt unterbleiben müssten. Schließlich bat er den Rektor,
139 Siehe Brief des Studentenführes an v. Mangoldt v. 31.7.1939, UA TÜ Sign. 601153. ". Siehe Briefv. Mangoldts an den Studentenführer, UA TÜ Sign. 601153.
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"( ... ) den Herrn Studentenfiihrer wegen des mir versteckt gemachten Vorwurfes unakademischen Verhaltens und der Drohung mit weiteren Schritten gegen mich energisch zurückzuweisen. Diese Vorwürfe sind ebenso unbegründet wie ungehörig. ( ... )"141
Aber Dr. Goerlich stand v. Mangoldt in PWlcto Ausdauer nicht nach. Nachdem der Rektor ihm das Schreiben v. Mangoldts übermittelt hatte, erwiderte er: "( ... ) Bei den fehlenden Büchern ( ... ) handelt e sich, ( ... ) um Bücher, die an Teilnehmer der Arbeitsgemeinschaft "Die politischen Methoden des Bolschewismus in Südost-europa und deren Bekämpfung" ( ... ). Es ist daher sachlich nicht richtig, dass mich die Angelegenheit als Studentenfiihrer "nicht das mindeste angeht". ( ... ) der Herr Rektor ist nicht meine vorgesetzte Dienststelle. Ich unterstehe vielmehr ausschließlich den Dienststellen des Reichsstudentenfiihrers, ( ... ). Eine Beschwerde ist daher an eine dieser Dienststellen zu richten. ( ... )" 142
Diese Antwort brachte das Faß zum Überlaufen. Ein letztes Mal antwortete v. Mangoldt. Entschlossen wiederholte er seinen Standpunkt: "( ... ) Da Thr Schreiben vom 11.8. ergibt, dass Sie sich über die Grenzen Threr Zuständigkeit auch nach meinem Schreiben vom 6. noch nicht klar geworden sind, bin ich zu meinem Bedauern genötigt, ... noch deutlicher zu werden. Der durch den Regierungsreferendar Beck verursachte Fehlbestand ... geht Sie nur insoweit etwas an, als es Thre Aufgabe sein dürfte, dabei mitzuwirken, dass sich Thre Amtsleiter nicht derartige Ordnungswidrigkeiten zuschulden kommen lassen, wie sie in dem zu Erörterung stehenden Falle vorgekommen sind. ( ... ) Da ich von einem weiteren Schriftwechsel mit Ihnen keine Förderung der Sache mehr erwarten kann, darf ich Sie bitten, Thre etwaigen weiteren Eingaben in der Angelegenheit an den Herrn Rektor zu richten, ( ... ). Ich selbst werde nicht mehr antworten. ( ... )"143
Mit diesen scharfen Worten wagte sich v. Mangoldt weit vor. Immerhin griff er nicht nur einen Mann der Partei an, sondern Wlausgesprochen das ganze System der OrdnWlgsdualität. I44 Und v. Mangoldt konnte für seine Loyalität lediglich die Mitgliedschaft im BNSDJ sowie seine WehrübWlgen als Ausdruck "nationaler GesinnWlg"I41 anführen. Seine VeröffentlichWlgen, Siehe Briefv. Mangoldts an den Rektor v. 6.8.1939, VA TÜ Sign. 601153. Siehe Brief des Studentenfiihrers an v. Mangoldt v. 11.8.1939, VA TÜ Sign. 601153. 143 Siehe Brief v. Mangoldts an den Studentefiihrer v. 14.8.1939, VA TÜ Sign. 601153. 144 Vgl. Rohlfs, Verfassungsstrukturen, S. 123. I., Siehe hierzu auch Kunkel, Professor im Ddtten Reich, S. 126. 141
142
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insbesondere seine beiden Aufsätze zur Überfremdung und zum Rassenrecht, hätten einer aufmerksamen Prüfung auf Ideologietreue nicht standgehalten. Sie hätten ihn lediglich entlarvt. Abgesehen von der hierbei deutlich hervortretenden Ordnungsdualität verdeutlicht der "Fall Beck", daß v. Mangoldt nicht bereit war, Regelverletzungen hinzunehmen. Seine Beschäftigung mit Amerika hatte ihn gelehrt, welche Bedeutung Verfahrensund Zuständigkeitsvorschriften zukommt und wie wichtig es für ihre Aufrechterhaltung ist, daß die Menschen in diesem Geiste handelten: "( ... ) Die Stärke der V erfassung liegt nicht in der Sprache des geschriebenen Dokuments, sondern in dem Glauben des Volkes an die Grundsätze, die sie verkörpert. ( ... ),,"6
11. Zweiter Weltkrieg 1. Im Wehrdienst auf See - Professor in Jena Mitte August endete für Hermann v. Mangoldt die gepriesene schwäbische Idylle abrupt. Das Vorlesungsverzeichnis wies für das Wintersemester 1939/40'41 noch eine Vorlesung "Völkerrecht" auf, die bis Weihnachten jeweils Montag bis Freitag von 12.00 bis 13.00 Uhr stattfinden sollte und dann ab Neujahr am Dienstag und am Freitag jeweils von 12.00 bis 13.00 Uhr. Dazu sollte es indes nicht kommen. Schon wieder sollte die Unfähigkeit zum Frieden der Vernunft einen Strich durch die Rechnung machen. Während die offiziellen Akten ausweisen, daß v. Mangoldt am 4. Mobilmachungstag, dem 4. September, mit seinem letzten Dienstgrad als Kapitänleutant d.R. zur Kriegsmarine einberufen wurde''', ist er nach Aussage seines Sohnes bereits Mitte August remobilisiert worden. In "Räuberzivil", d. h. in Uniform ohne Hoheits und Dienstgradabzeichen sowie mit der Handelsflagge am Stock war er als Kommandant eines Fischdampfers auf der Doggerbank eingesetzt, um den dänisch-englischen Funkverkehr abzuhören. Zeitgenössische Photographien aus dem August 1939, auf denen sich v. Mangoldt unter anderem auf der Brücke seines Fischdampfers ablichten ließ, stützen diese Aussage. Auf noch näher bekanntzugebenden Befehl sollte die Tarnung fallengelassen werden und die Reichskriegsflagge gehißt werden; so geschah es dann auch am 1. September.
'46 Siehe v. Mangoldt, Rechtsstaatsgedanke und Regierungsfonnen, S. 1. "7 Siehe Vorlesungsverzeichnis WS 1939/40, S. 60.
,.. Siehe Rangliste 1939.
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Die laufenden Schulungskurse v. Mangoldts bei der Kriegsmarine"9 mögen das ihrige dazu beigetragen haben, daß der Name dort nicht gänzlich in Vergessenheit geraten war und möglicherweise so zu der frühen Einberufung geführt haben. Noch im September erschien im Archiv fiir Luftrecht der zuvor fertiggestellte Aufsatz mit dem Titel "Das Brüsseler Abkommen über die Hilfeleistung und Bergung von Luftfahrzeugen auf See"ll. Ganz losgelassen hatte ihn die luftrechtliche Materie scheinbar nicht, wenn auch die stärkere völkerrechtliche Ausrichtung des Beitrages erkennbar ist. Die erste offizielle Verwendung führte v. Mangoldt als Kommandant eines Vorpostenbootes in der 2. Vorpostenflottille nach Wilhelmshaven. Die Flottille, die im September 1939 mob-mäßig aus acht Fischdampfern gebildet wurde, war bis zum Beginn des sogenannten Westfeldzugs in der Nordsee zum Vorpostendienst eingesetzt. Militärisch erwähnenswerte Einsätze des Verbandes ließen sich fiir diese Zeit nicht nachweisen. Mit dem Fortschreiten der Westoffensive verlegte die Flottille an die Nordküste Frankreichs, nach St. Malo. '" Hier in Frankreich sollte v. Mangoldt die längste Zeit des Krieges verbringen. Nur fiir die kurze Zeit des Urlaubs wird v. Mangoldt dann und wann in die Heimat zurückkehren und so im Rahmen eines Heimaturlaubs bei der Geburt seines ersten Sohnes Hans am 10. Mai 1940 in Tübingen sein können. ll ' Obwohl sich v. Mangoldt im Kriegsdienst auf See befand und infolgedessen nicht auf einen umfangreichen wissenschaftlichen Apparat zurückgreifen konnte, veröffentlichte er Mitte September den Aufsatz "Verfassungsrecht und Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten von Amerika". ll3 Der Titel täuscht allerdings ein wenig über den Inhalt. Der Untertitel macht deutlicher worum es geht "Ein Rück- und Ausblick"; geschickt nutzte v. Mangoldt die anstehenden Präsidentenwahlen, um die Eigenarten des amerikanischen Verfassungsrechtsdenkens vorzustellen. Wen wird es wundem, wenn er als dessen Kern die Sätze von der Freiheit des Einzelnen und der allgemeinen Freiheit. Hier fmdet sich in kurzer und prägnanter Form eine Zweitverwertung von "Rechtsstaatsgedanke und Regierungsformen" wieder. Über den Sinn des Gleichheitssatzes erfahren wir nichts Neues, nur Kürzeres: "( ... ) Noch einmal kurz zusammengefaßt, bedeutet also das Vorstehende: Gleiches soll gleich,
149 Vgl. den in den Tübinger Personalakten befindlichen Lebenslauf v. Mangoldts v. 1.7.1939, UA TÜ Sign. 601153. ". Archiv für Luftrecht Bd. 9 (1939), S. 91. "I Vgl. LohmannJHildebrandt, Kriegsmarine, S. 76,77. Il2 Vgl. Briefv. Mangoldts an den Rektor der Universität Tübingen v. 23.5.1940, UA TÜ Sign. 126/409. ll3 Reichsverwaltungsblatt 1940, S. 485.
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Ungleiches ungleich behandelt werden. (... )",>4 Die einleitenden Worte v. Mangoldts über die "verständnislose Haltung Roosevelts gegenüber dem neuen Deutschland" sind vermutlich auf die geforderte Einsendung aller Veröffentlichungen zurückgehen. Der Krieg fiihrte nun auch zu spürbaren personellen Veränderungen im Universitätsbetrieb. Zum Sommersemester 1940 wurde das Universitätsjahr der Eberhard-Karls-Universität auf Trimester umgestellt. Die Fakultät mußte zu den Wegberufungen Blomeyers und Krellers noch die Einberufungen zur Wehrmacht von Schönfeld, Kern, Eißer, Heck, Baur und Breuning verkraften.'" Hinzu kam Anfang August 1940, daß nun auch v. Mangoldt einen Ruf an die Friedrich-Schiller-Universität Jena erhalten hatte. Ende September schienen dann die Gerüchte über den Ruf nach Jena in Tübingen durchgesickert zu sein. Der Dekan jedenfalls "drahtete" v. Mangoldt diesbezüglich ins Feld und bat ihn dringend, den Ruf nicht anzunehmen, bis nicht auch mit Stuttgart verhandelt worden sei.'" Die Fortberufung v. Mangoldts aus Tübingen war nach der Berufung der Professoren Blomeyer - ebenfalls nach Jena - und Kreller nach Wien die dritte innerhalb weniger Wochen, so daß der Dekan Professor Moeller schon von Auflösungserscheinungen der Fakultät sprach. Dabei ging Moeller aufgrund des herzlichen Verhältnisses mit v. Mangoldt davon aus, ihn halten zu können. In dem eben erwähnten Brief schrieb er: "( ... ) Ich bin nun beschäftigt, diesen Auflösungsprozeß der Fakultät, soweit ich das kann, zu hemmen. Thr Fall sollte da ja wohl der einfachste sein. Schliesslich ist es ungewöhnlich, in eine immerhin etwas kleinere Universität in einem kleineren deutschen Land abzuwandern. Wenn Sie gerne in Berlin sein wollen, so liegt Jena näher, aber diese Reisen müssten Thnen doch wohl von irgend einer Instanz vergütet werden. Dann aber fahren Sie schließlich bequemer im Schlafwagen von Tübingen, als wenn Sie halbe Tage in der schönen Gegend um Halle entlangrollen. Wenn Thnen Jena oder richtiger Berlin mehr geboten hat, so finde ich das ebenso berechtigt wie erfreulich. Aber ich könnte mir denken, dass die fragliche Verbesserung Thnen auch in Tübingen gewährt wird, wenn Sie erklären, dass Sie alsdann zu bleiben bereit sind. ( ... )""7
,>4 Siehe v. Mangoldt, Verfassungsrecht und Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten von Amerika, Reichsverwaltungsblatt 14.9.1940, S. 488. ", Siehe Vorlesungsverzeichnis 1. Trimester 1940, S. 58. ". Vgl. Brief von Prof. Moeller an v. Mangoldt v. 18.9.1940, UA TÜ Sign. 601153. "7 Siehe ebd.
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Hierin sollte sich Moeller irren. Zwar hatte v. Mangoldt um von seiner Seite aus Klarheit zu schaffen, Moeller in einem Brief vom 12. OktoberI" mitgeteilt, daß es ihm Anfang August nicht leicht gefallen sei, dem Reichswissenschaftsministerium sein Einverständnis für einen eventuellen Ruf nach Jena zu geben, da er an Tübingen und dem Schwabenländle hänge. Da er aller-dings im Vergleich zu jüngeren Kollegen bei der Besoldung in Tübingen nicht gut behandelt worden sei, sei ihm im Interesse seiner Familie nur diese Wahl geblieben. Zudem brächte ihn Jena näher an das Bruns' sche Institut in Berlin heran, wo er häufiger zu arbeiten gedächte. Moellers Bemühungen bei dem Rektor der Universität und bei dem Württembergischen Kultminister das "hochgeschätzte, verdiente, angesehene und gleichermaßen bei Kollegen und Studenten beliebte Mitglied der Fakultät"l" in Tübingen zu halten, sollten letztlich ohne Erfolg bleiben. Während der mit Engagement geführten Berufungsverhandlungen wurde v. Mangoldt an der Front am 19. August 1940 das Eiserne Kreuz 1. Klasse verliehen. Der Dekan, Hero Moeller, nahm namens der Fakultät mit Freude von dieser Ehrung und hohen Auszeichnung Kenntnis, gratulierte v. Mangoldt hierzu und wünschte ihm für die kommenden Wochen das Beste. l60 Daß in der Berufungsangelegenheit aber durchaus auch mit harten Bandagen gekämpft wurde und die Bemühungen der Fakultät schon innerhalb der eigenen Universität, wenn nicht torpediert so doch zumindest nicht unterstützt wurden, zeigte die an das Ministerium in Stuttgart gerichtete Stellungnahme des DozentenfUhrers der Universität. Nach dem "Fall Beck", schien dies die Reaktion der politischen Amtsträger auf v. Mangoldts Geradlinigkeit und Beharrungsvermögen zu sein: "( ... ) Als stellvertretender Rektor der Universität müsste ich es bedauern und mißbilligen, wenn auch im Falle Man g o I d t wieder vom Reichserziehungsministerium aus ein " fair play" bei den Berufungsverhandlungen verhindert und Mangoldt einfach "durch Überbieten" auf der rein wirtschaftlichen Seite nach Jena gezwungen würde. Ein Verfahren, bei dem der einen Universität ein "Ankauf' zu denselben Bedingungen verboten wird, zu dem die andere ausdrücklich kaufen darf ( ... ) , bedeutet eine ausdrückliche Herabsetzung Tübingens und Württembergs, die wir nicht hinzunehmen gewillt sind. Soviel zum Grundsätzlichen. Als Dozentenführer und als ein, die besondere Person im Aufbau der Gesamtuniversität betrachtender Führer des Rektoramts bin ich gerne bereit, die Berufung von Mangoldts nach Jena anzuerkennen, und ich kann besondere I" Vgl. Briefv. Mangoldts an Prof. Moeller v. 12.10.1940 TagebuchNr. 610, UA TÜ Siw:. 126/409. ,. Siehe Brief Prof. Moeller an den Rektor v. 18.9.1940 ,UA TÜ Sign. 126/409. 160 Vgl. Briefv. 26.8.1940, UA TÜ Sign. 601153.
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Massnahmen zur Verhinderung seines Abgangs nicht befürworten. V. Mangoldt ist ein korrekter, braver Mann, der zur Zeit in einem aufreibenden Wehrdienst sich \ll1ter Auszeichn\ll1g als Marineoffizier einsetzt. Hochschulpolitisch ändert dies nichts an der Tatsache, dass er kein aufbauendes Element \ll1serer Universität ist. Er ist als Völkerrechtler eng, ohne eigene Gedanken, rein literarisch denkend \ll1d arbeitend; er ist massgebend beteiligt an den beschämenden Schwierigkeiten, die von der juristischen Fakultät den Haber'schen Versuchen zum Aufbau einer Tübinger kolonialwissenschaftlichen Arbeit entgegengesetzt wurden. Ganz entscheidend im Hinblick auf die Tübinger Auslandswissenschaft erscheint es durchaus gegeben, ihn wenn irgend brauchbarer Ersatz in Aussicht steht - im Frieden, aber ohne Tränen seines Weges ziehen zu lassen. ( ... )"'61
Am 31. Oktober 1940 reiste v. Mangoldt, der sich zu einem vierzehntägigem Heimaturlaub in Tübingen befand, nach Jena, um sich mit "( ... ) Rücksicht auf meinen Ruf die Jenaer Verhältnisse einmal anzusehen. ( ... ),,'62 Schlußendlich gelang es auch dem Kultministerium in Stuttgart, das aufgrund der Moellerschen Aktivitäten Kontakt mit Berlin aufgenommen hatte, nicht, die gleichen finanziellen Bedingungen zu erwirken. Anfang Dezember hat das Ringen in der Heimat ein Ende. Auf drahtliehe Anfrage v. Mangoldts am 2. Dezember bei Moeller drahtete dieser unverzüglich das Ergebnis zurück. Dem Stuttgarter Personalreferenten im Kultusministerium, Ministerialrat Dr. Bauer, sei von Berlin mitgeteilt worden, daß eine Gleichstellung der Tübinger Bezüge mit den in Jena in Aussicht gestellten aus grundsätzlichen Erwägungen nicht stattfinden könne. Vier Tage später antwortete v. Mangoldt aus St. Malo: "( ... ) Ich dank Ihnen \ll1d allen beteiligten Herren bei dieser Gelegenheit nochmals herzliehst für Ihre fre\ll1dlichen \ll1d für mich so ehrenvollen Bemüh\ll1gen, mich in Tübingen zu halten, und bedaure es umso mehr, daß der erhoffte Erfolg nicht . . (),,'63 emgetreten 1St. ...
Noch am selben Tage teilte v. Mangoldt auch dem Dekan der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Jena, Professor Schultze von Lasaulx, mit, daß er "( ... ) soeben die Berufungsvereinbarung für Jena unterzeichnet habe, also den Ruf annehme.( ... )""" Trotz der erfolglosen Tübinger Bemühungen und des nun definitiven Weggangs, erhielt v. Mangoldt zur ersten Kriegsweihnacht von den Kollegen
'6' Siehe Brief des Rektors an den Kultusminister v. 25.10.1940, UA TÜ Sign. 126/409. '62 Siehe Briefv. Mangoldts an den Dekan v. 22.10.1940, UA J Bestand K Nr.533. '63 Siehe Briefv. Mangoldts an Prof. Moeller v. 6.12.1940 TagebuchNr. 711, UA TÜ Si~. 601153 . ... Siehe Briefv. Mangoldts an den Dekan v. 6.12.1940, UA J Bestand K Nr. 533.
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aus Tübingen für sich und seine Besatzung" ein Weihnachtspaket mit allerlei Gaben".'6' Mit dem Jahreswechsel 1940/41 wechselte v. Mangoldt auch die Universität. Mit Wirkung zum 1. Januar 1941 wurde Hermann v. Mangoldt am 30. Dezember 1940 vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, als Nachfolger von Ulrich Scheuner, zum ordentlichen planmäßigen Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena berufen. Gleichzeitig wurde er zum Direktor des Juristischen Seminars ernannt. Sein Gehalt betrug RM 9300,- jährlich zzgl. RM 2000,- garantierter Einnahmen aus Unterrichtsgeldern. Das waren immerhin RM 2300,- mehr als in Tübingen. I66 Während der gesamten Zeit, in der v. Mangoldt Ordinarius an der FriedrichSchiller Universität war, hielt er aufgrund seines Militärdienstes in Frankreich nicht eine einzige Vorlesung. Bei seinem Weggang nach Kiel bedauerte er diese Tatsache. In einem Brief an den Dekan, Walter Krusch, schrieb er hierzu: "( ... ) Ich würde es natürlich auf das höchste bedauern, wenn ich Jena verlassen müßte, ohne dort überhaupt gelehrt zu haben und die durch den Krieg veranlaßte nur nominelle Zugehörigkeit zu der Fakultät würde rückblickend immer eine 167 Enttäuschung für mich sein. ( ... )"
In den Vorlesungsverzeichnissen wurde er dementsprechend zwar beim Lehrkörper der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät geführt, doch bedingt durch den Kriegsdienst bei der Marine verbringt v. Mangoldt nur den Heimaturlaub bei seiner Familie in Jena. Die Wohnungssuche schien in Jena erfolgreicher gewesen zu sein als in Tübingen. Über die neu bezogene Wohnung in der Schillbachstr. 39 schrieb v. Mangoldt, daß sie größer, bequemer und heller als die in Tübingen sei. Dafür sollte er sie nur während seines jeweils vier Wochen dauernden Heimaturlaubs zu sehen bekommen. Von Anfang Januar bis zum 4. März 1941 war v. Mangoldt aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes beurlaubt worden. Zur Erholung hielt er sich in Gaschurn/ Montafon auf. Von dort schrieb er nach Jena, daß er gern im Laufe des Februar nach Jena kommen wolle, um mit der Übernahme des Ordinariats zusammenhängende Fragen, zu besprechen. 161
Am 6. März 1941 wurde v. Mangoldt von der 2. Vorpostenflottille1St. Malo zum Stab des Befehlshabers Sicherung West (BSW) versetzt, der sich bis dahin in Trouville befand. I69 Bei den kurzen Wegen in der Kriegsmarine war v. w
-
Vgl. Briefv. 11.l2.1939, UA TU Sign. 601/53. 166 Vgl. Abschrift des Briefes WP 3520/40 (a) v. 30.12.1940, UA J Bestand BA Nr. 2151. 167 Siehe Briefv. Mangoldts an den Dekan v. 25.1.1943, UA J Bestand K Nr. 533. 16' Vgl. Briefv. Mangoldts an den Dekan v. 4.2.1941, UA J Bestand K Nr.533. 169 Siehe Lohmann!Hildebrandt, Kriegsmarine, Bd. 1, S. 76, 77.
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Mangoldts Freude, aber sicherlich nicht die Überraschung groß, dort seinen Weltkriegskameraden Ruge wiederzutreffen, der es inzwischen zwn Vizeadmiral und BSW gebracht hatte. Im Stab Ruges übernahm v. Mangoldt die Funktion des 2. Admiralstabsoffiziers und hatte im Rahmen dieser Tätigkeit Infonnationen über die Feindlage zu sammeln und vorzutragen sowie das Tagebuch zu führen. Im Stabe selbst wurden die Einsätze der Minensuch- und Räumflottillen, Vorposten- und U-Jagdflottillen, der Sperrbrecher und Minenleger im Bereich der 2., 3. und 4. Sicherungsdivision geplant und koordi-niert. 170 Eine Beteiligung v. Mangoldts an der Planung des Durchbruchs der Schlachtschiffe Gneisenau, Prinz Eugen und Scharnhorst, von der Walter Strauß berichtet I1l , kann nicht widerlegt, aber auch nicht bestätigt werden. Ein gutes Jahr später, am 1. Mai 1942 kam in Jena v. Mangoldts zweiter Sohn, Manfred Georg Albrecht, zur Welt, der 1995 in Hamburg verstorben ist. 2. Professor in Kiel Im Januar 1943 machte v. Mangoldt dem Dekan der Jenaer Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Mitteilung von einem Ruf an die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Der Dekan, Walter Krusch, berichtete seinerseits dem Rektor der Universität Ende Februar 1943, "( ... ) daß Herr Professor von Mangoldt einen Ruf als Nachfolger des Prof. Ritterbusch an die Universität Kiel erhalten hat. Der Ruf ist vor allem deshalb erfolgt, weil Herr von Mangoldt höherer Marineoffizier ist und das Oberkommando der Kriegsmarine ein Interesse an der Besetzung des Stuhles mit einem solchen hat. ( ...)"172
In der Tat spielten diese Erwägungen offiziell eine nicht unerhebliche Rolle. Da diese Qualifikation allerdings nicht für den zuvor favorisierten Professor Smend gefordert war, liegt der Schluß nahe, daß es sich jedoch nur um einen vorgeschobenen Grund handelte, der eine Berufung v. Mangoldts forcieren sollte, nachdem Smend den Ruf ausgeschlagen hatte. Neben v. Mangoldt standen Arnold Köttgen und Hans Franzen auf der Vorschlagsliste, wobei der Dekan Professor Brandt keinen Zweifel daran ließ, daß er v. Mangoldt wollte. "( ... ) Es besteht hier die Absicht, diesem Institut im Verhältnis zur Kriegsmarine eine besondere Stellung zu geben, es gewissermassen als juristisches Schwesterinstitut zum Institut fiir Weltwirtschaft zu einer auch fiir das gesamte Bildungswesen der Kriegsmarine einflussreichen Stätte zu machen. ( ... ) Gelänge es durch die Siehe Brief des Deutschen Marinebundes e.V. vom 8.8.1995. Vgl. Walter Strauß, Zum Gedächtnis, S. 247. 172 Siehe Briefv. 23.2.1943,UA J Bestand K Nr. 533.
170 171
Ir. Zweiter Weltkrieg
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Gewinnung eines anerkannten Gelehrten, der über gute Verbindungen zur Kriegsmarine verfügt, diese Gedanken zu realisieren, so würde der Wissenschaft an einer sehr gewichtigen Stelle ein bedeutender Einfluss gesichert sein. Als eine solche Persönlichkeit kommt aber gerade der ordentliche Professor Dr. H. von Mangoldt in Betracht. Er ist ein früherer aktiver Marineoffizier, der über allerbeste Beziehungen zu einflussreichen Kreisen der Kriegsmarine verfügt, zudem auch jetzt wieder. Er ist im Oberkommando der Kriegsmarine, Abteilung Frankreich, in Paris tätig und auch seiner ganzen wissenschaftlichen Richtung nach vorzüglich für Kiel geeignet. ( ... )"173
Nachdem v. Mangoldt sich bereits am 27. Januar grundsätzlich bereit erklärt hatte, den Ruf anzunehmen, zogen sich die Berufungsverhandlungen dennoch bis in die Sommermonate hinein. Am 17. Juni 1943 ernannte der Reichsminister Rust v. Mangoldt rückwirkend zum 1. April 1943 zum Ordinarius an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Finanziell hatte sich v. Mangoldt auf RM 11000,- Jahresgehalt und RM 3000,- gewährleisteten Einnahmen an Unterrichtsgeldern verbessert und verdiente damit deutlich mehr, als ihm nach seinem Dienstalter zugestanden hätte. 174 Zudem trat er mit der Leitung des angesehenen Instituts für Internationales Recht die Nachfolfe so bedeutender Gelehrter wie Theodor Niemeyer und Walter Schücking an. 17 Doch ebenso wie in Jena, sollte v. Mangoldt auch in Kiel vorerst keine Vorlesung halten. Seine vordringlichste Aufgabe bestand in der kurzen Zeit seines ersten Aufenthaltes vor allem darin, die umfangreiche Bibliothek des Instituts für Internationales Recht vor der drohenden Zerstörung zu bewahren und für ihre Auslagerung zu sorgen. Als Ausweichquartier für die ca. 30.000 Bücher und annähernd 100.000 Zeitungsausschnitte fiel die Wahl auf den großen Saal der Bahnhofswirtschaft im Dorf Faulück, etwa auf der halben Strecke zwischen Kappeln und Süderbrarup mitten auf dem "platten Land" gelegen. Anschließend rief der Dienst v. Mangoldt wieder nach Paris, wo zwischenzeitlich ein Befehlshaberwechsel stattgefunden hatte. Der bisherige Befehlshaber Admiral Ruge war nach Berlin versetzt worden. Dessen Nachfolger Admiral Breuning 176 war v. Mangoldt ebenfalls aus dem 1. Weltkrieg bekannt, wo die drei als Leutnants bereits Freundschaft geschlossen hatten. Die Gewissenhaftigkeit und das Pflichtbewußtsein v. Mangoldts sollten auch während des Krieges auszeichnungswürdig sein. Am 28. Dezember 1943 173 Siehe Brief des Dekans Brandt an das Wissenschaftsministerium v. 17.12.1942, GSA B Sign. I HA Rep. 76 Nr. 728. 174 Siehe Erlaß v. 17.6.1943, GSA B Sign. I HA Rep. 76 Nr. 728. 17l Diese ursprüngliche Bezeichnung hatte v. Mangoldt wieder erwirkt, nachdem das Institut unter Prof. Paul Ritterbusch "Institut für Politik und Internationales Recht" geheißen hatte. 176 Siehe Lohmann IHildebrandt, Kriegsmarine, Bd. 1, S. 62.
Zweiter Teil: Drittes Reich
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wurde Hermann v. Mangoldt das Deutsche Kreuz in Silber verliehen. Als am 25. August 1944 die Alliierten in Paris einmarschierten, befand sich v. Mangoldt schon auf dem Weg nach Deutschland. Aufgrund seiner Herzmuskelschwäche sowie eines Leidens an Gallen- und Nierensteinen ist er in das Marine-Kurlazarett nach Garmisch-Partenkirchen eingewiesen worden, wo er sich bis Ende Oktober zur Genesung aufhielt. 177 Anschließend nahm er Urlaub und während an der Ostfront die Deutschen auf dem Rückzug waren, fuhr er zu seiner Familie nach Jena. Aus gesundheitlichen Gründen entließ die Kriegsmarine Hermann v. Mangoldt schließlich zum Jahresende 1944 als Korvettenkapitän d.R.. Er hatte sein Soll erfüllt, zum Volkssturm wurde er nicht mehr einberufen. Im November traf v. Mangoldt aus Berlin kommend in Kiel ein, um seine Tätigkeit an der Universität aufzunehmen. Er zog nach Faulück, wohin er bereits die Bibliothek des Instituts aus der Dänischen Straße hatte auslagern lassen, um sie der Vernichtung durch den zunehmend einsetzenden Bombenkrieg zu entziehen. Die materielle Auszehrung des Krieges war überall spürbar. Für die Beheizung und Beleuchtung des Arbeitsraumes in Faulück mußte v. Mangoldt dem örtlichen Bürgermeister die Kriegswichtigkeit des Instituts nachweisen. Dazu schrieb er an den Rektor: "( ... ) Gelegentlich einer Unterredung mit dem Leiter der Abteilung Völkerrecht der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes, Herrn Geheimrat Rödiger, erklärte mir dieser, daß eine Unterstützung der amtlichen Stellen durch die Völkerrechtswissenschaft dringend erwünscht sei. Es sei bisher viel zu wenig nach dieser Richtung geschehen und die Folgen davon seien in der Gegenwart schon sehr spürbar. Z.B. fehle es der Zeitschrift rur Völkerrecht, die auch unter den jetzigen Umständen als besonders kriegswichtig unbedingt weiter erscheine solle, völlig an zureichenden Aufsätzen und sonstigem Material. Er begrüsse daher die Pläne zur Aktivierung des Instituts aufs wärmste und sage jede Unterstützung zu. Da bei der engen Verknüpfung aller völkerrechtlichen Fragen mit der Politik des Reiches enge Fühlung mit den leitenden Stellen Voraussetzung fiir eine erfolgreiche Veröffentlichungstätigkeit des Instituts ist, wurde vereinbart, daß ich etwa alle zwei Monate in Berlin alle auftauchenden Fragen mit Herrn Geheimrat Rödiger und seinen Referenten besprechen soll. Bei einem weiteren Besuch ( ... ) ergab sich, daß schon jetzt sehr wichtige kriegsrechtliehe Fragen vorliegen, rur die das Auswärtige Amt dringend die Bearbeitung durch einen Gelehrten und entsprechende Veröffentlichung wünscht. Ein entsprechender Antrag wird mir voraussichtlich in den nächsten Tagen zugehen. Ausserdem wird im Auswärtigen Amt von maßgeblicher Stelle eine Entscheidung
177
Waltraut v. Mangoldt Brief an den Verfasser v. 17.7.1995.
H. Zweiter Weltkrieg
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herbeigeführt, die mir erlauben soll, die in Brückenberg in Schlesien untergebrachten Akten des Auswärtigen Amtes einzusehen, wn wichtige kriegsrechtliche Fragen, wie etwa die Behandlung der Lazarettschiffe baldigst auf Grundlage des einwandfreien amtlichen Materials ( .... ) durchzuführen. ( ... )"111
Ein halbes Jahr vor Kriegsende, einen Monat, nachdem die Amerikaner Aachen besetzt hatten und die Wehrmacht die Vorkrlegsgrenzen aufgab, kann v. Mangoldt nicht ernsthaft davon ausgegangen sein, aus wissenschaftlichen Gründen noch nach Schlesien reisen zu können. Bei seiner Kenntnis der militärischen Lage wird die sehr unbestimmt gehaltene Schilderung der "Kriegswichtigkeit" denn wohl eher der Versorgung mit Strom und Wänne gedient haben.
In der ländlichen Abgeschiedenheit von Faulück erlebte Hermann v. Mangoldt das Ende des Krieges und das klägliche Ende des nationalsozialistischen Systems ohne seine Familie. Seine Frau und die beiden Söhne waren in Jena geblieben, die lange Abwesenheit auf See wird ihren Teil zum Scheitern der Ehe beigetragen haben. Daß die Zukunft dem fünfzigjährigen Professor trotz alledem die Gelegenheit eines Neuanfangs bringen sollte und ihm die Möglichkeit eröffnete, auf den Trümmern der Diktatur das Fundament eines demokratischen Deutschlands zu legen, ahnte er angesichts der menschlichen und politischen Wirren des Zusammenbruchs nicht.
171
Briefv. Mangoldts an den Kurator der Universität v. 24.11.1944.
Dritter Teil
Bundesrepublik Deutschland I. Neuanfang in Schleswig-Holstein Die Situation in Schleswig-Holstein im ausgehenden Krieg und in den Anfängen der Bonner Republik war wesentlich gekennzeichnet von dem überproportional hohen Flüchtlingsanteil (1,2 Millionen Flüchtlinge auf 1,5 Millionen Einwohner) und der Zerstörung bzw. des den Demontagebestimmungen unterliegenden Hauptindustriezweiges, der Schiffbauindustrie. Bis auf die größeren Städte gab es in dem durch die Agrarstruktur geprägten Land allerdings keine nennenswerten Zerstörungen. Die dringendsten Alltagsprobleme bestanden demgemäß zuvörderst in der Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen, was angesichts der "Bevölkerungs-explosion" anfänglich eine schier unlösbare Aufgabe darstellte. Woher die Unterkünfte bekommen, wo sollten die Flüchtlinge angesiedelt werden, wie die Lebensmittelversorgung sicherstellen, wie sollte das Ausbreiten von Seuchen und Krankheiten verhindert werden. Das war die Situation, in der v. Mangoldt sich anschickte, dem Institut fiir Internationales Recht wieder Leben einzuhauchen. Seiner Art entsprechend, war dieses "Hauchen" eher ein kräftiger und gleichbleibend starker Wind, als ein "akademisches Flötenkonzert". Diesbezüglich führt Walter Jellinek in seinem Nachruf über v. Mangoldt aus: "( ... ) Nach dem Kriege leistete er, 1945 bis 1946 als Dekan seiner Fakultät und 1947 bis 1948 als Rektor, fruchtbare Aufbauarbeit, deren Bedeutung nur ermessen kann, der weiß, welch kraftvollen Einsatzes es im Chaos der Zeit nach dem Zusammenbruch bedurfte, um das akademische Leben neu zu wecken. ( ... )" 179
1. Faulück und die weite Weit des Völkerrechts-
Wiederaufbau von Universität und Institut
Die Bedingungen, die v. Mangoldt vorfand, waren also alles andere als ideal. Die Bibliothek des Instituts befand sich in Faulück. Das Institut selbst erlitt im ersten schweren Nachtangriff am 24. Juli 1944 erhebliche Beschädigungen. Die Fenster und das Dach waren kaputt und etliche Brandbomben haben das ihrige dazu beigetragen, einige Räume unbenutzbar zu machen. Für den Lehrbetrieb stand es daher momentan nicht zur Verfügung. 179
Siehe Walter Jellinek über v. Mangoldt, in: Reden zu seinem Gedächtnis, S. 11.
1. Neuanfang in Schleswig - Holstein
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Es gab anfangs keinen Assistenten. Lediglich die Bibliothekarin Fräulein Reese, die den gesamten Krieg hindurch die Stellung gehalten hatte, war als Hilfe vorhanden. Diese erwies sich bei der zu bewältigenden Organisationsarbeit schnell als unverzichtbare Stütze des Instituts. Umfangreicher Schriftverkehr setzte ein, mit dem v. Mangoldt die personelle und materielle Ausstattung des Instituts verbessern bzw. wiederherstellen wollte. Um eine ungefähre Vorstellung von der Dimension dieser Aufgabe zu erhalten, seien nur einige Themen aus dem Inhaltsverzeichnis eines Ordners "Institutsräume" aufgezählt, mit denen v. Mangoldt sich seinerzeit tagtäglich zu befassen hatte, um überhaupt das akademische Leben zu ermöglichen: "( ... ) Bereitstellung von Eisenscheinen fiir die Heizungsanlage, Lieferung von Telefonapparaten mit drei anstelle von fünf Knöpfen, Bereitstellung von Bezugscheinen rur Öfen und 8 kg Ofenrohr, Einrichtung getrennter Stromzähler nach Stockwerken und Mietern, Neubelegung von freigewordenen Räumen durch andere Universitätseinrichtungen, Bereitstellung von 20 qm Glas fiir Fensterreparatur, Antrag auf Lieferung einer Eingangstür und einer Tür fiir das Geschäftszimmer, Rückforderung eines Holztisches, Anfertigung von Bücherborden, Instituts- und Türschildern sowie Karteikästen aus Fichtenholz. ( ... )"
Bis zur Eröffnung der Universität war also ein gutes Stück Arbeit zu leisten. Zum Wintersemester 1945 sollte die Universität wieder eröffnet und der Lehrbetrieb, der seit dem schweren Nachtangriff am 24. Juli 1944 praktisch aufgehört hatte, wieder aufgenommen werden. ISO In ehemaligen Gebäuden der Firmen Electro Acustic GmbH und Hanseatische Apparatebaugesellschaft Neufeld und Kuhnke wurde am 27. November 1945 die Christian-AlbrechtsUniversität in der "Neuen Universität" feierlich eröffnet. Zum Sommersemester 1946 hatte v. Mangoldt die Dekanatsgeschäfte der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät übernommen und sich vornehmlich um die Wiedereinrichtung des Seminars und der Studienordnung gekümmert. ", Die Fakultät wies jeweils drei ordentliche Professoren für Recht und Staatswissenschaften aus. Unter deren Dozenten sich seinerzeit auch Karl Schiller befand, der eine "Übung zur Volkswirtschaftspolitik" abhielt. Obwohl er seit seiner Mitgliedschaft im ersten, von den Engländern ernannten, Landtag zusätzlich noch mit dem politischen Aufbau des Landes ausreichend beschäftigt war, las v. Mangoldt zudem Mittwoch von 8.00 bis 10.00 Uhr und Donnerstag 8.00 bis 9.00 Uhr sowie von 11.00 bis 12.00 Uhr "Staatsrecht" und Freitag von 8.00 bis 10.00 Uhr "Polizeirecht". In den Abendstunden am Donnerstag, von 19.30 bis 21.00 Uhr, gab er letztlich ein "Völkerrechtliches Seminar".'" ISO Vgl. Larenz als Dekan der Fakultät, in: Überblick über die Ereignisse seit dem Sommersemester 1944, Bericht v. Dezember 1944. "' Siehe Vorlesungsverzeichnis SS 1946, S. 4. 18' Siehe Vorlesungsverzeichnis SS 1946, S. 16, 17.
5 Rohlfs
Dritter Teil: Bundesrepublik Deutschland
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Die erste Veröffentlichung nach dem Kriege erschien in diesem Jahr. Mit "Kriegsdokumente über Bündnisgrundlagen, Kriegsziele und Friedenspolitik der Vereinten Nationen" setzte v. Mangoldt die Reihe der Veröffentlichungen des Instituts für Internationales Recht fort. Überall waren die Bemühungen v. Mangoldts spürbar, das Institut und alte Verbindungen wiederzubeleben. Seine Tätigkeit an der Universität und im Landtag machten seine Anwesenheit in Kiel immer häufiger notwendig. So zog er von Faulück nach Kiel, in die Hansastr. 76, wo er bis zum Juni wohnte. Vermutlich hatte er es seiner Stellung als Landesminister zu verdanken, daß er anschließend ein Haus in der Bismarckallee 26 zugewiesen bekam. Dort wohnte er bis zu seinem Umzug in die Graf Spee Str. 9, im Jahre 1950. Die Zeiten waren anfangs wohl derartig unsicher und oder v. Mangoldt so selten zu Hause, daß er es für sicherer erachtete, das Haus von einem privaten Sicherheitsdienst bewachen zu lassen.
Im Wintersemester 1946/47 war v. Mangoldt immer noch Dekan und zusätzlich Kommissarischer Direktor des Juristischen Seminars. "3 Wiederum übernahm v. Mangoldt drei Veranstaltungen. Neben "Staatsrecht" - wie im Semester zuvor - las er darüber hinaus "Völkerrecht" und bot ein "Staatsrechtliches Seminar" an.'" Das Sommersemester 1947 brachte v. Mangoldt die Ehre des Rektoramts der Universität ein. Dazu natürlich aber auch die mit der Übernahme des Amtes verbundene Arbeit, über deren Mangel v. Mangoldt ob seiner Tätigkeit im Provinziallandtag ohnehin nicht klagen konnte. Zu seiner Entlastung übergab er dafür das Amt des Dekans an Erich Schneider, blieb aber noch Prodekan.'" Die Anstrengungen der letzten Semester, insbesondere die Arbeit im Landtag forderten ihren Tribut. Von Mangoldt gab nur noch zwei Veranstaltungen. Erstmals in seiner Zeit als Hochschullehrer las er "Verfassungsgeschichte der Neuzeit" und wiederum "Verwaltungsrecht" ."6 Das anschließende Wintersemester 1947/48 behielt er den Umfang der Lehrverpflichtung bei. Als Rektor war es ihm nicht möglich, mehr Veranstaltungen anzubieten. Weiterhin war er Prodekan. Dienstag, Donnerstag und Freitag las er jeweils eine Stunde "Ausländisches Staats- und Verwaltungsrecht" sowie Mittwoch von 10.00 bis 12.00 Uhr und Freitag von 10.00 bis 11.00 Uhr "Besonderer Teil des Verwaltungsrechts insbesondere Polizeirecht" ."7 Von seiner politischen Tätigkeit im Landtag inspiriert, griff v. Mangoldt das Thema Neuaufbau einer deutschen Staatsgewalt auf. Auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht hielt er hierüber einen
113
Siehe Vorlesungsverzeichnis WS 1946/47, S. 7 und 13.
I" Siehe ebd., S. 18. III 116
117
Siehe Vorlesungsverzeichnis SS 1947, S.ll. Siehe ebd., S. 25. Siehe Vorlesungsverzeichnis WS 1947/48, S. 26.
I. Neuanfang in Schleswig - Holstein
67
Vortrag, der anschließend als Heft 33 der Veröffentlichungen des Instituts gedruckt wurde.'" Zusammen mit Rudolf Laun"9 , dem Leiter der Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht an der Universität Hamburg, gab v. Mangoldt 1948 die erste deutsche Völkerrechtszeitschrift nach dem Kriege heraus: das Jahrbuch für internationales und ausländisches öffentliches Recht. Von Mangoldt hielt es für unbedingt erforderlich, nicht nur Material zu sammeln, sondern die in den Instituten erarbeiteten Ergebnisse weiteren Kreisen in Deutschland zugänglich zu machen. Damit wollte er die jahrelange Abgeschlossenheit Deutschlands von der Außenwelt überwinden und auf diese Weise zur Eingliederung Deutschlands in die Umwelt und zur Erhaltung des Friedens beitragen. '90 Aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen Grundlage der Unternehmung drohte die Einstellung. Es gelang Hermann v. Mangoldt in enger Zusammenarbeit mit dem Nordwestdeutschen Rundfunk und dem HansBredow-Institut für Rundfunk und Fernsehen in Hamburg, dem Kieler Institut eine Funk- und Rundfunkrechtliche Abteilung anzugliedern und dadurch finanzielle Unterstützung zu erhalten. Desweiteren hatte er durch einen Verlagswechsel günstigere Konditionen erreichen können. Durch familiäre Beziehungen erschien das Jahrbuch ab dem Heft 4/1948 im Verlag seines Vetters, Günther Ruprecht, bei Vandenhoek und Ruprecht in Göttingen. Im ersten Band des Jahrbuchs erschien v. Mangoldts Beitrag "Das Kriegsverbrechen und seine Verfolgung in Vergangenheit und Gegenwart". '9' Geschrieben hatte er den Beitrag allerdings schon 1944/45. Fernab vom Lärm des Zusammenbruches hatte er die Ruhe in Faulück genutzt und die Anregung von Viktor Böhmert aufgegriffen, sich mit den völkerrechtlichen Grundlagen für die Verfolgung von Kriegsverbrechen auseinanderzusetzen. Als die Ausarbeitung im Juni 1945 vollendet war, sah sich v. Mangoldt mit dem Problem der Veröffentlichung konfrontiert. Die Schwierigkeiten, die 50 Seiten starke Arbeit zu veröffentlichen waren sowohl in materieller alsauch in politischer Hinsicht nicht so leicht zu überwinden. In seinem Nachruf schrieb Viktor Böhmert über die Arbeit:
111 Hennann v. Mangoldt, Grundsätzliches zum Neuaufbau einer deutschen Staatsgewalt, Hamburg 1947. IB9 Durch den Untergang der Donaumonarchie hatte Laun, der Österreicher war, das Adelsprädikat verloren. Für dessen Söhne fertigte v. Mangoldt kostenlos ein Gutachten an, nach dem die Wiederaufnahme des Prädikats "von" rechtmäßig sei. '90 So v. Mangoldt in einem Brief an James T. Shotwell, den Präsidenten des Carnegie Endowment for International Peace v. 14.8.1949. '9' Siehe v. Mangoldt in: Jahrbuch fiir Internationales und Ausländisches öffentliches Recht Bd. 1 (Heft 2/3), 1948, S. 283-334.
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Dritter Teil: Bundesrepublik Deutschland
"( ... ) Es ist gewiß ein Zeichen großer wissenschaftlicher Abgeklärtheit und Sachlichkeit, wenn ein Gelehrter eine Abhandlung über ein hochpolitisches Thema, das ein ganzes Volk leidenschaftlich bewegt, nach einer Periode tiefgreifender Umwälzung so zum Drucke geben kann, wie er es vor dieser Umwälzung abgefaßt hat. Die Veröffentlichung ist darüber hinaus ein Zeichen eines jeden Utilitarismus abholden Gerechtigkeitssinnes. (... )" 191
Es kann nicht verwundern, daß v. Mangoldt als gewissenhafter Dokumentar, wie wir ihn bereits kennengelernt haben, bei seiner Analyse zu anderen Ergebnissen gekommen war, als die Alliierten. Was im Londoner Statut vom 8. August 1945 und im Kontrollratsgesetz Nr. 10 am 20. Dezember 1945 als geltendes Völkerrecht ausgegeben wurde deckte sich nicht mit der vorhergehenden völkerrechtlichen Praxis. Abgesehen von einer völkerrechtlichen Würdigung des Nürnberger Völkerstrafrechts läßt der Beitrag einen Wesenszug v. Mangoldts erkennen: das Festhalten am Überkommenen. Das wird bei den Gelegenheiten noch deutlicher werden, wo v. Mangoldt qua Amt etwas "Neues" erarbeiten soll. I" Das Sommersemester 1948 begann mit der Übergabe des Rektorats an Heinrich Rendtorff. In der Fakultät gab er auch das Amt des Prodekans ab. I " Die "neu gewonnene Freiheit" nutzte v. Mangoldt und bot sogleich eine Veranstaltung mehr an. Vierstündig las er erstmals "Allgemeine Staatslehre". Zum festen Repertoire hingegen gehörte fiir v. Mangoldt die Vorlesung "Völkerrecht. Wie ein Vorzeichen fiir die kommende Tätigkeit im Parlamentarischen Rat las er zudem einstündig "Rechtsvergleichende Betrachtungen zum geistigen Gehalt moderner demokratischer Verfassungen". I" Während der Zeit im Parlamentarischen Rat hielt v. Mangoldt dem Vorlesungs-verzeichnis nach zwei Vorlesungen und veranstaltete ein Seminar. Zu den Klassikern v. Mangoldts gehörte dabei die Vorlesung "Anwendung fremden Rechts" und das "Völkerrechtliche Seminar".I9' Die Drucklegung des Vor-Iesungsverzeichnisses erfolgte vor der Wahl zum Parlamentarischen Rat, die v. Mangoldt ebenfalls daran hinderte, seinen eingereichten und dringend notwendigen Urlaub vom 1. August bis zum 9. September vollständig nehmen zu können. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung in Bonn, sollte es ihm nicht möglich sein, fiir die Vorlesungen den Weg nach Kiel anzutreten; v. Mangoldt blieb die Woche über in Bonn und die Vorlesungen fielen aus. So gut es eben ging, kam er an den Wochenenden nach Kiel, um am Institut nach dem rechten zu sehen. Im
1., Siehe v. Mangoldt, Reden zu seinem Gedächtnis, S. 34. 193 Viktor Böhmert sagt ebd., S. 36 hierzu sehr schön, daß v. Mangoldt auf dem Boden des lex lata stand und nicht auf dem Boden des lex ferenda. I" Siehe Vorlesungsverzeichnis SS 1948, S. 8,9. 19' Siehe ebd., S.26, 27. 196 Siehe Vorlesungsverzeichnis WS 1948/49, S.29, 30.
I. Neuanfang in Schleswig - Rolstein
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Sommersemester 1949 wiederholte er die beiden Vorlesungen und strich das Seminar:·' Walter Rudolf, damals Student im zweiten Semester, heute Professor in Mainz, erinnert sich daran, daß die Veranstaltungen v. Mangoldts in dieser Zeit, trotz der Fertigstellung des Grundgesetzes Mitte des Semesters, häufig ausgefallen waren. '91 Allerdings endeten mit den Beratungen nicht die übernommenen Verpflichtungen. Vielmehr ergaben sie sich erst: die GutachterAufträge. Die Anstrengungen v. Mangoldts den Anschluß des Instituts an die weite Welt des Völkerrechts wiederherzustellen, wurde durch die Anerkennung der UNO als "recognized center for the studies of international affairs" belohnt. Als Empfangsbücherei der UNO erhielt das Institut von nun sämtliche Publikationen und Protokolle der UNO. Die Aufwärtsentwicklung setzte nachhaltig ein. Der Tätigkeitsbericht fiir das Jahr 1948 legt hiervon beredtes Zeugnis ab: "( ... ) Die alten Beziehungen zu ausländischen Behörden und Instituten konnten wieder aufgenommen werden, soweit dies nicht schon im vorigen Etatsjahr geschehen war. So z.B. zum Internationalen Roten Kreuz, Internationalen Arbeitsamt, der Panamerikanischen Union, dem Vereinten Büro für Urheberrecht und gewerblichen Rechtsschutz und dem Zentralamt für internationalen Eisenbahnverkehr. Zahlreiche neue Beziehungen wurden angeknüpft, u.a. zu den Vereinten Nationen, zur Internationalen Gesundheitsorganisation, zum Weltnachrichtenverein, zur internationalen Luftfahrtorganisation. Verschiedene ausländische Institute und Gesellschaften wandten sich an das Institut wegen der Aufnahme der Zusammenarbeit, so z.B. das griechische Völkerrechtsinstitut in Athen, das Institut für politische Studien in Madrid, ein völkerrechtliches Institut in Buenos Aires. ( ... )"'99
Die Strapazen, aber auch die Befriedigung und das Sendungsbewußtsein der geglückten Arbeit in Bonn werden das ihrige dazu beigetragen haben, das sich v. Mangoldt im Wintersemester 1949/50 weniger verausgabte und insgesamt nur fünf Stunden Lehrveranstaltungen anbot, wovon allerdings drei Stunden auf die Vorlesung "Staatsrecht moderner Demokratien" fiir Hörer aller Fakultäten entfielen. 2°O
'97 Siehe Vorlesungsverzeichnis SS 1949, S. 35, 36. '91 Prof.Dr. Walter Rudolfin einem Brief an den Verfasser v. 11.9.1995.
'99 Tätigkeitsbericht für das Etatsjahr 1948, S. 3/4. 200
Siehe Vorlesungsverzeichnis WS 1949/50, S. 42, 43.
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2. Zwischen Hunger und Hoffnung - ProvinziaUandtag, Vorläufige Verfassung und Innenminister Die auf der Konferenz von Teheran (28. 11. -1. 12. 1943) eingesetzte European Advisory Commission (EAC) ordnete ausweislich ihres Protokolls vom 14. 11. 1944 die bisherige preußische Provinz Schleswig-Holstein fiir den Fall eines alliierten Sieges der britischen Besatzungszone zu. Diese britische Besatzungszone wurde nach dem Sieg über Deutschland in drei Korpsbezirke unterteilt. Das Hauptquartier des fiir Schleswig-Holstein zuständigen VIII. Korps lag in Plön. Diese Bezirke waren gleichzeitig Verwaltungsregionen, mit der Besonderheit, daß Hamburg als vierte Region ohne eigenes Korps hinzukam. In diesen Korpsbezirken übte der jeweilige Korpskommandeur gleichzeitig die Funktion des Militärgouverneurs der Britischen Zone auf regionaler Ebene aus. Nach der vorübergehenden Übernahme der vorgefundenen Verwaltungsstrukturen, begann schon in der zweiten Hälfte des Jahres 1945 die administrative Umgestaltung und Neuorganisation. 20 ' Im Zuge dieser Entwicklung wurde der bisherige preußische drei stufige Verwaltungsaufbau mit einem Oberpräsidium, Regierungspräsidium und Provinzial verband durch die Zusammenfassung des Oberpräsidiums und des Regierungspräsidiums zu einer einzigen Behörde ersetzt. Knapp einen Monat später, am 30. Januar 1946, folgte die Überleitung des Provinzialverbandes auf die bestehenden Ämter des neuen Oberpräsidiums. 202 Nachdem seit Januar 1946 die Zulassung der Parteien zu Provinzverbänden genehmigt worden war, begann die Militärregierung mit den Vorbereitungen ein parlamentarisches Gremium auf Landesebene einzurichten. Dem ersten Oberpräsidenten Schleswig-Holsteins, Theodor Steltzer, wurde mitgeteilt, daß beabsichtigt sei, einen "Council" mit 40 Ratsmitgliedern zu ernennen. 203 In diesem sollten nicht nur Parteien, sondern sämtliche gesellschaftlichen und berufsständischen Interessen und Gruppierungen vertreten sein. Der "Kieler Kurier" rief daraufhin am 26. Januar 1946 die Bevölkerung auf, an der neuen Vertretungskörperschaft mitzuwirken. Die Resonanz hierauf war derartig groß, daß die Anzahl der Ratsmitglieder auf 60 erhöht wurde. Der neue Schlüssel sah die Verteilung der Mitglieder auf folgende Gruppierungen vor: 204
20' Ausführlich hierzu u.a. Kurt Jürgensen, Die Gründung des Landes SchleswigHolstein nach dem Zweiten Weltkrieg, Neumünster 1969 und Klüver Brandt, Geschichte Schleswig-Holsteins, Kiel 1976. 202 Vgl. Waller, Entstehung, S. 38. 203 Vgl ebd., S. 55. 204 Vgl. Schreiben der Militärregierung Az.: 312/A&LG/8515/22 vom 7.2.1946, abgedruckt in: AsmuslMaletzke, Das Haus an der Förde, S. 13tf.
I. Neuanfang in Schleswig - Holstein
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Bauern: 3, Erziehungswesen: 3, Flüchtlinge: 5, Frauen: 5, Freie Berufe: 5, Gewerkschaften: 4, Kirche: 3, Kreise: 21, Parteiabgeordnete: 10 und Universität: 1.
Daraufhin beauftragte die Militärregierung Personen ihres Vertrauens damit, Personenvorschläge entsprechend ihrer Zugehörigkeit zu den entsprechenden Gruppierungen einzureichen. Aus den Vorschlägen wurden nach einer Überprüftmg der politischen Vergangenheit die zu ernennenden Mitglieder ausgewählt. In seiner Eigenschaft als Dekan der juristischen Fakultät erschien v. Mangoldt geeignet, da er kein Parteigenosse gewesen war, als gut belewnundet und wurde daher als Vertreter der Universität in den "Council" entsandt. Der so zusammengestellte "Provinziallandtag" sollte zunächst lediglich die Provinzialverwaltung beraten und deren Vorschläge prüfen. Ein eigenständiges Initiativ- oder gar Kontrollrecht war nicht vorgesehen. Doch schon am 20. Februar 1946 forderte der Militärgouverneur G. P. Henderson Oberpräsident Steltzer auf, Ausschüsse für die demokratische Kontrolle der einzelnen Abteilungen der Landesverwaltung bilden zu lassen und zudem "so schnell wie möglich einen kleinen Ausschuß" für die Ausarbeitung einer Verfassung einzurichten.'·'
Am 26. Februar 1946 - kaum eine Woche später - war es dann soweit: im Neuen Stadttheater in Kiel wurde der erste ernannte "Provinziallandtag" durch den höchsten britischen Vertreter der "Region Schleswig Holstein" , den Kommandeur des 8. britischen Korps, Generalleutnant Sir Evelyn Barker sowie im Beisein des Militärgouverneurs Brigadegeneral Gail Patrick Henderson und anderer britischer sowie deutscher Repräsentanten eröffuet. Detailliert war in dem Eröffuungsbefehl der Militärregierung geregelt, daß Deutsche und Engländer unterschiedliche Eingänge zu benutzen haben und daß Steltzer bis zur Wachabnahme durch den Korpskommandeur und Begrüssung der englischen VIPs im Foyer "in den Kulissen zu warten habe". Nach den obligatorischen Eröffuungsreden verließen die Engländer das Theater'" und die Arbeit des Provinziallandtages begann. Noch in dieser Sitzung wurde dem Drängen der Militärregierung Rechnung getragen, indem quasi ad hoc der Ausschuß für die Ausarbeitung einer Geschäftsordnung sowie einer Verfassung eingesetzt wurde. Per Zuruf aus dem Plenum wurden als Mitglieder benannt: Carl Schröter für die CDU, Karl Albrecht, Andreas Gayk und Wilhelm Kuklinski für die SPD
2.'
Vgl. ebd. sowie ergänzendes Schreiben Az.: 312/A&LG/8515/35 v. 20.2.1946, in: Wortprotokolle des 1. ernannten Landtages, S.ll. Vgl. Provincial Council, Programme for official opening, abgedruckt in: Wortprotokolle des 1. ernannten Landtages, S. 14. ab~druckt
Dritter Teil: Bundesrepublik Deutschland
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und Elisabeth Jensen, Hennann v. Mangoldt, Otto Siewert und Georg Witt bislang ohne Parteizugehörigkeit. Als professionellen Fachmann in Sachen öffentliches Recht bestimmten die Ausschußmitglieder v. Mangoldt zum Vorsitzenden. 207 Dieser nahm die ihm übertragene Aufgabe trotz seiner erheblichen Arbeitsbelastung an der Universität zügig in Angriff. In der ersten Sitzung am Dienstag, den 5. März im Dienstzimmer des Oberpräsidenten stützte sich der Ausschuß auf einen von der CDU eingebrachten Vorschlag und bemühte sich, in den strittigen Punkten zu einer Einigung zu gelangen. Als dies nicht gelang, überarbeiteten v. Mangoldt und der Sekretär des Provinziallandtages, Regierungsrat Wonnit,20I diese Fragen noch einmal. In der darauffolgenden Woche, am Montag den 11. März hatte der Ausschuß diese Bestimmungen im einzelnen durchgesehen, so daß auch dort die Wünsche der Fraktionen weitgehend berücksichtigt werden konnten. 209 Den so erarbeiteten Entwurf, konnte v. Mangoldt schon in der zweiten Sitzung des Provinziallandtages vorstellen. In dieser Sitzung, am 13. März im Theater am Wilhelmplatz dienten die Anfangsworte des ersten Sachbeitrags v. Mangoldts im Provinziallandtag einer Entschuldigung: "( ... ) Meine Damen und Herren! Ich bitte zu entschuldigen, wenn ich keinen vollendeten Bericht vorlegen kann, da ich erst heute morgen erfahren habe, daß dieser Bericht von mir erstattet werden soll. ( ... ),,210
Interessant wäre es, zu erfahren, wann für ihn "heute morgen" gewesen ist; denn als er dies sagte, war es 10.20 Uhr. Sodann ging v. Mangoldt deduktiv vor, zuerst erläutert er die allgemeinen Erwägungen des Ausschusses über die Geschäftsordnung und daran anschließend stellte er im Besonderen die strittigen Punkte vor. "( ... ) Zunächst war der Grundsatz, von dem der Ausschuß ausgegangen ist, der, daß diese Geschäftsordnung zurzeit nur eine vorläufige sein kann, daß sie zwar alle Vorschriften enthält, die fiir das Wirken des Landtages unbedingt erforderlich sind, ( ... ) daß aber, wo Einzelfragen von vornherein ergeben, daß das Endergebnis noch nicht abzusehen ist, daß man sie auf die Entwicklung der Dinge abstimmen muß, solche Bestimmungen einer späteren Regelung vorbehalten werden sollten. ( ... ),,211
207
Vgl. ebd., S.21, 22.
201 Später wurde Wormit Ministerialdirektor im Innenministerium und veranstaltete gemeinsam mit v. Mangoldt Ringvorlesungen fiir Verwaltungsbeamte. 209 Vgl. Wortprotokolle 1. ernannter Landtag v. 13.3.1946, S. 10. 210 Siehe Wortprotokolle 1. ernannter Landtag v. 13.3.1946, S. 9. 211 Ebd.
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In der weiteren Beratung diskutierten die Abgeordneten unter anderem darüber, ob der Oberpräsident dem Provinziallandtag vorstehen sollte oder ein "besonderer Landtagspräsident" . 212 Desweiteren wurde der Punkt erörtert, ob die Ausschüsse öffentlich tagen sollten oder nicht. Von Mangoldt fiihrte dazu aus, daß die nicht öffentliche Sitzung den entsprechenden Regelungen des Reichstages sowie der Landtage entsprächen, schon hier zeigte sich v. Mangoldts Neigung, am Überkommenen und Bewährten festzuhalten. Steltzer äußerte am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt: "( ... ) Wir haben von dem Bericht des Geschäftsordnungsausschusses Kenntnis genommen. Im übrigen hatten Sie illre Zustimmung erteilt, daß die Erörterung und Beschlußfassung über diese Geschäftsordnung mit Rücksicht darauf, daß Thnen die Geschäftsordnung erst heute im Entwurf zugehen konnte, auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt werden soll. (... ) Es liegt auch im Sinne der stillschweigend gebildeten Beschlüsse, daß wir bei Meinungsverschiedenheiten über die Geschäftsführung, die etwa in der heutigen Sitzung entstehen sollten, auf die Bestimmungen 213 dieser Geschäftsordnung heute schon zurückgreifen. (... )"
Weiterhin wurde die Wahl der zu bildenden Hauptausschüsse auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt. Als Steltzer den Tagesordnungspunkt 3 "Wahl des Verfassungsausschusses" aufrief, belehrten ihn Stimmen aus dem Plenum eines besseren: "( ... ) Es ist in der interfraktionellen Ausschußsitzung dazu Stellung genommen worden, daß die Rechte auf die Mitglieder des Geschäftsordnungsausschusses übergehen. ( ... ),,214 Schließlich forderte Steltzer den Ausschuß noch auf, "die Arbeiten über die Verfassung schon jetzt aufzunehmen. ( ... )""'Auf diesem Wege eröffnete sich für den Staatsrechtler v. Mangoldt erstmalig die Gelegenheit, an der Ausarbeitung einer Verfassung mitzuwirken. Doch zurück zur Geschäftsordnung; in der 3. Sitzung des Provinziallandtages knapp einen Monat später, am 11. April im Hörsaal des Milchforschungsinstituts nahm v. Mangoldt - immer noch als "Gast CDU" - die Erörterungen über die Geschäftsordnung wieder auf: "( ... ) Meine Damen und Rerren! Bei der Beratung der Geschäftsordnung im Ausschuß haben sich wesentliche Änderungen gegenüber dem Vortrage, den ich Thnen in der letzten Sitzung hielt, nicht mehr ergeben. Es wurden einzelne kleine Streichungen, wie sie aus den Abänderungsvorschlägen, die gedruckt vorliegen, ersehen, erforderlich, darunter einige Streichungen auf Wunsch der MilitärVgl. ebd., S. 1l. Siehe ebd., S. 16. 214 Siehe ebd., S. 17. 2Il Ebd. 212 213
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regierung. Es bedurfte keines Abgehens von dem grundsätzlichen Standpunkte, den der Ausschuß eingenommen hatte, um diese Streichungen vorzunehmen. ( ... ),,216
Die Erläuterung der Änderungen war dementsprechend kurz, so daß der vorliegende Entwurf der Geschäftsordnung ohne Diskussion einstimmig angenommen wurde. 217 Anschließend wählten die Abgeordneten den Pastor Dr. Paul Husfeldt, CDU ebenfalls einstimmig zum Präsidenten des Provinziallandtages. Die Antrittsrede Husfeldts und der Überblick, den der SPD-Abgeordnete Pohle im Laufe der Sitzung über die Versorgungslage im Lande gab, sind als Zeugnis gut geeignet, die Atmosphäre im Provinziallandtag und die Aufgaben, die die Abgeordneten zu bewältigen hatten, zu illustrieren. Eindrucksvoll tritt in den Beiträgen das Nebeneinander von Wollen und Müssen, von Geist und Notwendigkeit zu Tage, dem die Abgeordneten ausgesetzt waren. Durchdrungen von dem Wunsch, den Menschen einerseits die Idee der Demokratie nahezubringen und der Menschenwürde wieder ihren Platz zukommen zu lassen, müssen sie zuvor in viel dringenderem Maße für die elementaren Voraussetzungen des Lebens, wie Nahrung und Unterkunft sorgen und diese sicherstellen. Bei einer Bevölkerungszunahme in der gesamten Provinz von nahezu 80% und einer Zerstörung des Wohnraumes - beispielsweise in Kiel von beinahe 50% - drängt sich die immense Schwierigkeit, die Grundbedürfnisse befriedigen zu können, förmlich auf. Der gerade gewählte Präsident des Provinziallandtages Husfeldt widmete sich in seiner Antrittsrede den geistigen Grundlagen und ideellen Beweg.. den: 211 grun "( ... ) Wir finden als vordringliche Aufgabe die erste Lesung einer Landesverfassung als der rechtlichen Grundlage der politischen Willensbildung vor. Und es tut gut, sich in dieser Stunde zu vergegenwärtigen, was dieses Vorhaben bedeutet. Ein Leben ohne Verfassung, der Willkür ausgeliefert, ist dasselbe wie ein Mensch ohne Knochengerüst, also eine Absurdität. Trotz aller Schwierigkeiten der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage, trotz aller Sorgen und Nöte der Gegenwart muß daher für jedermann, der nicht an dem Zustande der Rechtlosigkeit ein persönliches Interesse hat, die Begründung einer neuen Landesverfassung einer der vordringlichsten Maßnahmen sein, die die gegenwärtige Situation uns zu tun auferlegt. Damit ist in unserer heutigen Tagesordnung die Wiederherstellung eines Zustandes proklamiert, den viele deutsche Menschen als den schwersten Verlust der letzten 12 Jahre zu Siehe Wortprotokolle 1. ernannter Landtag v. 11.4.1946, S. 11. Vgl. ebd., S. 15. 211 Siehe ebd,. S.17.
216 217
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beklagen hatten (Richtig!) und dessen Mangel unzähligen Menschen das Leben kostete. Es ist die Wiederherstellung eines Zustandes, dessen grundlegende und hervorragende Bedeutung den meisten Kindern und Jugendlichen nur dem Namen nach oder überhaupt nicht bekannt sein dürfte, obwohl er doch zu den elementarsten Voraussetzungen des modernen politischen Lebens überhaupt gehört. Es ist die Wiederherstellung eines Zustandes, von dem nicht nur die beste Überlieferung unseres freiheitsgewohnten und liberalen schleswig-holsteinischen Landes zu erzählen weiß, ( ... ) sondern von dem auch die gesamte Tradition des europäischen Abendlandes ihre stolzesten historischen Erinnerungen bezieht. ( ... )"
Nach dieser grundlegenden Einfiihrung kam Husfeldt auf die Verpflichtung und Aufgabe der neuen Demokratie zu sprechen: "( ... ) Es droht die Gefahr, daß die Angst, die 12 Jahre lang den Geist der Menschen gefangen nahm, und die jede Selbständigkeit und Entschlußfreudigkeit von ihnen nahm, nunmehr fiir das Gebot der Mitarbeit eine lähmende Fessel wird. Wenn ein furchtloses Leben verheißen wird, so muß Aussicht bestehen, daß es auch bei denen eintreten kann, welche schuldlos oder jedenfalls nur aufgrund inneren oder äußeren Zwanges jener Bewegung beitreten mußten, die nun in einem Meer von Blut und Tränen untergegangen ist. Es muß auch einmal ausgesprochen werden, daß dieses mit zu den ethischen Verpflichtungen einer neuen Demokratie gehören muß. Geschieht dies nicht, so wird nicht nur dem Nihilismus und der Anarchie der Weg geöffnet, sondern es wird vor allem auch jener Müdigkeit und Angst der Weg bereitet, die sich auch auf diejenigen erstreckt, die politisch keine Belastung aufzuweisen haben. Wenn es uns nicht gelingt, Mut und Vertrauen wiederherzustellen, dann werden alle Bemühungen um Verfassungen ( ... ) rein "äußerlich" und damit vergeblich sein und bleiben. ( ... ),,219
Vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung und der damit aufgeworfenen Frage nach dem Umgang mit der Zugehörigkeit zu SED, MfS USW., zeigen die Ausführungen, daß die Fragen der moralischen Verantwortlichkeit nicht neu sind, daß sie zumindest schon einmal gestellt wurden. Ob sie richtig beantwortet sind, scheint bei der Beurteilung der aktuellen Debatte zweifelhaft. Doch mag die Geschichte dies abschließend beurteilen. Weiter geht es mit der Verpflichtung des Einzelnen, die das Gebot der Stunde vorgibt: "( ... ) Wenn soviel Menschen fiir eine falsche Idee in den Tod gehen mußten, warum sollten wir uns fiirchten, fiir die Sache der Gerechtigkeit unseren Kopf hinzuhalten. (Bravo!) ( ... ) Die Bevölkerung, deren Organ wir sind, soll wissen: Mitarbeit! Das ist es, was die Katastrophe allein abwehren kann. Und wenn man aus Gründen politischer Belastung auf Zeit seine hohe Stellung oder sein Amt nicht weiter haben kann, so greife man getrost zum Spaten. Wir sind so tief gesunken, daß dieses keinem mehr zur Schande gereicht. Nur die Arbeit aus der Tiefe, vom Schuttplatz bis 219 Siehe ebd., S. 20.
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zum Schrebergarten, vom Fischfang bis zur Landarbeit, vermag uns wieder hochzubringen. Oder soll der "Arbeiter" das allein tun? Wir sind alle Arbeiter, so, wie wir alle Bürger sind. ( ... )"220
Den Gipfel und Abschluß bildet der beinahe beschwörende Dreiklang: "( ... ) Wir haben noch Werte! Laßt sie uns wieder heben aus dem Schutt, der uns umgibt. Wir haben noch Liebe! Laßt sie uns wieder wecken aus den Trümmern, die um uns liegen - und in uns. Wir haben noch Boden unter den Füßen. laßt ihn uns bebauen, so gut wir es vermögen. (... ),,221
Demgegenüber stehen die ernüchternden Ausführungen des Abgeordneten Pohle über die tatsächliche Versorgungslage mit Lebensmitteln. Auch hier zeigt sich vor dem aktuellen Bosnien-Herzegovina-Konflikt die historische Dimension. "( ... ) Wenn aus Bosnien, Montenegro, Kroatien und Dalmatien die Kunde kommt, daß dort 1,5 Millionen Kinder am verhungern sind und im westlichen Kroatien die Menschen Gras essen, um sich am Leben zu erhalten, dann wird selbst dem leichtfertigsten Gerüchtemacher klar, daß wir uns im Herzen Europas in einer Ernährungskatastrophe unvorstellbaren Ausmaßes befinden. Der Arbeiter in der Stadt, der als Ersatzfrühstücksbrot eine Steckrübenscheibe verzehrt, wird nicht begreifen können, wenn aus Argentinien die Nachricht kommt, daß man dort die Getreidereserven an Weizen und Mais verfeuert. (... ) ( ... ) Wir sind mit den noch wenigen vorhandenen Reserven, die augenblicklich im Bezirk Schleswig-Holstein greifbar sind, in wenigen Wochen total ausgeschöpft. Um die gegenwärtige, bereits halbierte Brotration, aufrechterhalten zu können, ( ... ) benötigen wir rur Hamburg und Schleswig-Holstein einen Zuschuß von 120000 Tonnen Getreide. Wir sind in den ersten beiden Wochen des Monats Mai zu Ende. Aus Eigenem könnten wir auch die halbierte Brotration nicht mehr decken. ( ... ) Das ist die Lage in ihrer ganzen Entsetzlichkeit, wie sie uns von den Vertretern der Landwirtschaft dargestellt worden ist. Sie hat uns alle erschüttert. ( ... )"222
Im Vergleich zu der sachlichen und bedrückenden Schilderung der prekären Lebensmittelsituation mutet die pathetische Rede Husfeldts beinahe grotesk an. Doch genau diese Gleichzeitigkeit von innerem Antrieb und äußerer Not prägt die Stimmung. Bei allem Pathos dieser Rede gehen die Abgeordneten in Erledigung der Tagesordnung zum nächsten Punkt über. Es wurden die zur
Siehe ebd., S. 21. Siehe ebd., S.22. 222 Siehe ebd., S. 31.
220 221
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Kontrolle der Provinzialverwaltung vorgesehenen sieben Hauptausschüsse gewählt. Deren Vorsitzende waren: Innere Verwaltung, Abg. v. Mangoldt, CDU; Haushalt und Finanzen, Abg. Andresen, CDU; Landwirtschaft, Ernährung und Forsten, Abg. Rickers, CDU; Wirtschaft und Verkehr, Abg. Diekmann, SPD; Volksbildung, Abg. Kuklinski, SPD; Volkswohlfahrt, Abg. Pohle, SPD; Volksgesundheit, Abg. Matthews, KPD.
Bei der Erörterung wurde v. Mangoldt bei der CDU gefiihrt, obwohl er der Partei noch nicht beigetreten war. Er hatte seit der letzten Sitzung des Landtages nicht mehr als den Status "Gast CDU". Insoweit liegt auch Walter Strauss mit den Ausfiihrungen in seinem Nachruf nicht rlchtig. 223 Strauß schreibt, daß v. Mangoldt als Mitbegründer der Christlich-DemokratischenUnion von Schleswig-Holstein seit 1946 Landtagsabgeordneter war. Von einer offiziellen Rolle als Mitbegründer der CDU Schleswig-Holstein kann jedoch keine Rede sein. Nach Auskunft des Landesverbandes ist v. Mangoldt dort nicht einmal aktenkundig'24 und auch im Archiv für Christlich Demokratische Politik der Konrad Adenauer Stiftung findet sich kein Hinweis auf sein parteipolitisches Engagement; nicht einmal das genaue Datum seines Parteieintrittes ist zu ermitteln. Inwieweit v. Mangoldt hinter den Kulissen eine Rolle gespielt haben mag, ist daher rein spekulativ. Aufgrund einer interfraktionellen Absprache wurde desweiteren eine Umbesetzung des ständigen Ausschusses "Verfassung und Geschäftsordnung" vorgenommen. Von den bisherigen Mitgliedern waren v. Mangoldt und Georg Witt nun der CDU zugeordnet und bildeten mit Carl Schröter die "CDUFraktion". Bei der SPD verblieb aus nur Wilhelm Kuklinski; neu hinzu kamen Heinrich Fischer und Erlch Arp. Letztlich war auch die KPD mit Otto Preßler vertreten.'" Unverändert jedoch verblieb der Ausschußvorsitz in den Händen v. Mangoldts. Nun erst stand die "vordringliche Aufgabe", die erste Lesung der Verfassung an. V. Mangoldt trug als Berichterstatter in bekannter Weise zuerst die allgemeinen Erwägungen des Ausschusses vor und sodann erläutert er einzelne Bestimmungen. Als ersten Gedanken, von dem der Ausschuß bei seinen Beratungen am 29. März ausging, nannte v. Mangoldt die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für Regierung und Verwaltung. Wenn v. Mangoldt dann ausfiihrt, daß er den treffenden Worten des Präsidenten zu diesem Punkte nur zustimmen könnte, liegt es nahe, ihm - dem überzeugten Verfechter des Rechtssicherheits- und Rechtsstaatsgedankens - den Zuruf "Richtig!" 223
••
Vgl. Strauß, DOV 53, S. 247 (248). 224 Schreiben des Landesverbandes S.-H. an den Autor v. 12.4.1995. '" Siehe Wortprotokolle l. ernannter Landtag v. 1l.4.1946, S. 23.
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zuzuschreiben. Doch gibt das Protokoll über den Urheber des Zurufs keinerlei Auskunft und zudem dürfte dies bei v. Mangoldts Zurückhaltung und Abneigung gegen alles Laute unwahrscheinlich sein. Und wieder kommt ein Gesichtspunkt zum Tragen, der schon bei der Erarbeitung der Geschäftsordnung von Bedeutung war: die Vorläufigkeit der Arbeit. Diese aber nicht in dem Sinne, daß die Verfassung eine nur vorübergehende Erscheinung sei, sondern vielmehr, daß n( ... ) heute vielfach noch nicht mit Sicherheit zu übersehen (ist, Anm. d. Verf.), wie sich auf den einzelnen Gebieten die Verhältnisse entwickeln werden, es müssen viele Fragen erst reif werden. Wir müssen uns darüber klar sein, daß fiir manche der Einrichtungen, die hier geschaffen werden noch keine Erfahrungen vorliegen und diese Erfahrungen erst gesammelt werden müssen. Es muß aber eine gesetzliche Grundlage vorhanden sein. Diese (... ) muß andererseits den Entwicklungen Platz lassen; es muß eine entsprechende Beweglichkeitsgewähr gegeben sein. (... )"226
Der Grundgedanke der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit einer Verfassung läßt sich schon in der Habilitationsschrift22 v. Mangoldts finden: n( ... ) Jede Verfassung müsse den veränderten Bedingungen einer neuen Zeit angepaßt werden können; werde sie diesen Forderungen nicht gerecht, so werde sie über kurz oder lang den Stürmen der Zeit zum Opfer fallen. (... ) diese Sätze sind von besonderem Interesse, weil sie in so überzeugender Weise auf der einen Seite den Wert der Beständigkeit des Verfassungsrechts betonen und auf der anderen Seite doch auch den durch das fortschreitende Leben bedingten Wechsel der rechtlichen Grundauffassungen nicht vernachlässigen wollen. ( ... )"221
Neben Ausführungen über die Wünsche der Militärregierung zur Öffentlichkeit der Provinziallandtagssitzungen, der Ernennung von Beamten sollen hier noch die Punkte der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Landesregierung erwähnt werden. Trotz v. Mangoldts Präferenzen fiir Amerika in Sachen Staatsorga-nisation konnte er sich im Ausschuß nicht mit Vorschlag einer starken Präsi-dentenstellung durchsetzen. Bei der Frage der Landesregierung ist die Entscheidung fiir das Kollegialprinzip gefallen. Der Landespräsident soll primus inter pares sein. 229 Letztlich zeigte sich v. Mangoldt, erfreut über den Wunsch der Militärregierung, n( ... ) daß bei Eingriffen des Landes in die Rechte der Selbstverwaltungskörperschaften oder in die Rechte eines einzelnen diesen Selbstverwaltungskörperschaften
Siehe ebd., S. 54. Zur Habilitation im Einzelnen I. Teil 11.3. 22. Siehe v. Mangoldt Geschriebene Verfassung, S. 30,31. 229 Vgl. ebd., S. 58. 226 227
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Wld den einzelnen ein Recht der Klage im VerwaltWlgsstreitverfahren gegeben wird. ( ••• ),,230
Eine solche Regelung fand bei v. Mangoldt natürlich großen Anklang. Gegen 16.55 Uhr vertagte der Provinziallandtag die allgemeine Aussprache über die Verfassung auf die vierte Sitzung, am 24. April vertagt. Diese Sitzung wurde dann noch weitere zweimal vertagt, bis sie am 6. und 7. Mai, wiederum im Hörsaal der Milchforschungsanstalt stattfand. Während dieser Sitzung231 fand allerdings keine zweite Lesung statt, vielmehr sprach v. Mangoldt einzig in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Ausschusses für Innere Verwaltung über die Frage des Aufbaus der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Neuorganisation der Polizei. Insbesondere bei dem letztgenannten Thema konnte der Ausschuß aufv. Mangoldts Wissen zurückgreifen; setzte er sich doch schon im Jahre 1931 in seiner Königsberger Antrittsvorlesung "Die Reform des preußischen Polizeirechts"m mit dem Polizeirecht auseinander und verfUgte er doch neben seinen akademischen Kenntnissen zugleich über langjährige praktische Erfahrungen im aktiven höheren Polizeidienst. Als hätte sich der Landtag, wie er seit dem 14. Mai offiziell hieß, zur Verabschiedung der ersten Landesverfassung nach dem Kriege einen besonders festlichen Rahmen geben wollen, trat er erst über einen Monat später, in der fiinften Sitzung, am 12. Juni 1946 im Festsaal der Pädagogischen Akademie Kiel-Hassee zusammen. Gleich zu Beginn trug v. Mangoldt - nunmehr mit dem Titel eines Landesministers versehen - erneut aus dem Ausschuß für Innere Verwaltung und dessen Bemühungen in Sachen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Polizeiorganisation sowie seit neuestem auch über die Bestrebungen einer einheitlichen Gemeindegestaltung vor. Gegen Mitte der Sitzung begann die zweite Lesung der Verfassung. Der Verfassungsausschuß war in der Zwischenzeit nur am 15. Mai zusammengetreten und hat überwiegend redaktionelle Änderungen beschlossen, die v. Mangoldt in Kürze vorträgt. Daran schloß sich eine Aussprache über einzelne Artikel an. In ihr wird hauptsächlich darüber gesprochen, ob die bisherigen Amtschefs den Titel "Landesminister" und der bisherige Oberpräsident den Titel "Landespräsident" oder "Landesamtspräsident" tragen solle und wie die Ernennung der Beamten durch die Landesregierung durchzufiihren sei. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der "Schlagabtausch" zwischen v. Mangoldt und dem Abgeordneten Harckensee, Gast-CDU:
Siehe ebd. Vgl. Wortprotokolle I. ernannter Landtag v. 6./7.5.1946, S. 12, 13. 231 Veröffentlicht in: Fischers Zeitschrift für die VerwaltWlg Bd. 68 (1932), S. 289318. 230 231
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"( ... ) Hier ist ein stilistischer Fehler unterlaufen. Es heißt: Die Landesregierung besteht aus dem Landespräsidenten und den Vorsitzenden der Hauptausschüsse. Einer dieser Landesminister wird vom Landtag zum ständigen Vertreter des Landespräsidenten ernannt. Es müßte hier heißen: Die Landesregierung besteht aus dem Landespräsidenten und den Landesministem. Einer dieser Landesminister wird vom Landtag (... )"
Daraufhin erteilte der Präsident Husfeldt v. Mangoldt das Wort: "( ... ) In der Ausschußsitzung ist darüber gesprochen worden. Ich darf darauf verweisen, daß in der vorhergehenden Bestimmung über die Hauptausschüsse ausdrücklich besagt ist, daß die Vorsitzenden der Hauptausschüsse die Landesminister sind. (... ) Man muß die Bestimmungen im Zusammenhang lesen. Man muß den Artikel 11 in Zusammenhang mit Artikel 12 lesen. (... )"233
Da sprach ganz der Professor. Welcher Jurastudent hat während des Studiums nicht unzählige Male den Satz zu hören bekommen: "Der gute Jurist liest einen Paragraphen davor und einen danach!" Es folgte eine Mittagspause von 13.05 Uhr bis 14.20 Uhr, in der n( ... ) das Mittagessen ... an Hand des Gutscheines im Kasino eingenommen werden ( ••• ),,234 konnte. Nach der Wiedereröffnung ging es zügig der Abstimmung entgegen. Der Präsident, Dr. Husfeldt: "( ... ) Wir schreiten dann zur Abstimmung über die Verfassung en bloc. Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wer für die Verfassung ist, den bitte ich, die rechte Hand zu erheben. - Ich bitte um Gegenprobe. - Die Verfassung ist gegen zwei Stimmen angenommen! ( ... )"m
Das war alles. Der Landtag hatte eine Verfassung fiir Schleswig-Holstein beschlossen; v. Mangoldts Arbeit in dieser Hinsicht war zu Ende gebracht. Der weitere Weg der Verfassung war weniger gerade, als der bisherige. Die britische Kontrollkommission erteilte in der Folgezeit nicht die erforderliche Genehmigung, so daß die sogenannte Vorläufige Verfassung (VV) formell keine Rechtskraft erlangte. Aus den ersten Gemeinde- und Kreistagswahlen im Herbst 1946 ging die SPD als stärkste Partei hervor. Die Militärregierung ernannte aufgrund der veränderten Mehrheitsverhältnisse einen neuen, den zweiten Landtag. Theodor Steltzer wurde zwar wieder Ministerpräsident, v. Mangoldt bekleidete Siehe Wortprotokolle 1. ernannter Landtag v. 12.124.6.1946, S. 33. 234 Siehe ebd., S. 7. 23' Siehe ebd., S. 49. 233
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allerdings nicht mehr das Amt des Innenministers. Bis zu seinem Tode war er einfacher Landtagsabgeordneter und als "prominentes Mitglied der CDU,,236 in diversen Ausschüssen vertreten, wie dem Ausschuß für Inneres und Verwaltung, dem Ausschuß für Volksbildung und Erziehung, dem Ausschuß für Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuß sowie dem Wahlrechtsausschuß. 237 Der Nachfolger v. Mangoldts als Innenminister, Hermann Lüdemann nahm auf der fünften Sitzung des zweiten ernannten Landtages, am 28. Februar 1947 im Ratssaal des Lübecker Rathauses zur offenen Verfassungsfrage Stellung: "( ... ) Trotz dieses fonnalen Mangels (der fehlenden Genehmigung, Anm. d. Verf.) glaube ich den gegenwärtigen Stand aber doch richtig wiederzugeben, wenn ich feststelle, daß die in der Verfassung niedergelegten Grundsätze von den obersten Organen des Landes als bindende Verfahrensregeln für die politische Willensbildung betrachtet worden sind und weiterhin betrachtet werden. ( ... ),,231 Als Mitglied des Landtages war v. Mangoldt zwar an dem langwierigen Geburtsvorgang der Landessatzung (LS) von 1949 beteiligt, jedoch übernahm er in diesem Falle nicht mehr die "Patenschaft für das Kind", wie er es zuvor für die Vorläufige Verfassung getan hatte. 239 Der Einfluß seiner Arbeit an der Vorläufigen Verfassung auf die Landessatzung ist beschränkt. Lediglich in einzelnen eher formalen Bestimmungen ist die Handschrift v. Mangoldts noch zu erkennen. So ist die Bestimmung des Artikel 9 Absatz 3 VV: "Der Landtag muß mindestens einmal alle zwei Monate zu einer Beratung zusammentreten." teilweise in Artikel 10 Absatz 2 LS übernommen worden: "Der Landtag tritt in der Regel monatlich, mindestens jedoch alle zwei Monate, zusammen." Ebenso finden sich Züge der VV in Artikel 34 Absatz 3 LS. Dessen Bestimmung: "Die Gesetze und Rechtsverordnungen treten, wenn nichts anderes bestimmt ist, mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem sie verkündet worden sind." gleicht der in Artikel 17 Absatz 2 VV: "Die Gesetze treten, soweit sie nicht anderes bestimmen, mit dem 14. Tag nach dem Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Amtsblatt erscheint, in dem sie veröffentlicht werden." Daneben findet sich die nun in Artikel 15 Absatz 1 236 Siehe Redebeitrag des Abgeordneten Gayk und des Präsidenten Katz, in: Wortprotokolle 2. ernannter Landtag v. 10.4.1947, S. 6. 237 Vgl. Wortprotokolle 2. ernannter Landtag v. 20.12.1946, S. 15-17 sowie S. 65. 231 Siehe Wortprotokolle 2. ernannter Landtag v. 28.2.1947, S. 7. 239 Zur Entstehungsgeschichte der Landessatzung, siehe insbesondere Waller, Entstehung, rn.w.N. 6 Rohlfs
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LS geregelte Einrichtung eines UntersuchWlgsausschusses schon in Artikel 11 Absatz 4 VV. Darüber hinaus sind bis auf die grWldlegenden ÜbereinstimmWlgen im Staatsaufbau, kawn Ähnlichkeiten zu finden. Zu sehr ist die VV von den Gegebenheiten der "Besatzung" geprägt Wld als solche ein klassischer Fall für die ZeitgebWldenheit einzelner FonnulierWlgen Wld Aufuahme bestimmter RegelWlgen einer VerfassWlg. Inwieweit der Entwurf des früheren Oberbürgenneisters von Kiel, Dr. Tschadek'40, der zwnindest in den Beratungen des VerfassWlgsauschusses am 29. März 1946 vorgelegen hat', Berücksichtigoog bei der Ausarbeitung gefunden hat Wld damit eine Miturheberschaft Tschadeks begründet, läßt sich nicht mehr aufklären. Gleichwohl stellt sich durchaus die Frage, woher der v. Mangoldfsche Entwurf die kommWlalrechtlichen Kenntnisse bezieht. Abgesehen hiervon erscheint es dennoch durchaus legitim, im Anschluß an Frank R. Pfetsch '42 v. Mangoldt aufgrWld seines Beitrages zur Vorläufigen VerfassWlg als "VerfassWlgsvater" zu bezeichnen. Der Einfluß v. Mangoldts auf die VV läßt sich, abgesehen von der Konzeption Wld Struktur, insbesondere an der Präambel erkennen, deren leitender Gedanke neben der "Vorläufigkeit" , das Bestreben war, eine rechtliche GrWldlage staatlichen Handelns zu schaffen. Schließlich ist der Gesamteindruck der VV deutlich dadurch geprägt, sich der kommenden EntwicklWlg anpassen zu können Wld dennoch das Verhältnis des Bürgers Wld der staatlichen Institutionen rechtlich verbindlich Wld klar zu regeln. Damit griff v. Mangoldt Gedanken auf, die er zuvor in "Geschriebene VerfassWlg" folgendennaßen zum Ausdruck gebracht hatte: "( ... ) Jede Verfassung müsse den veränderten Bedingungen einer neuen Zeit angepaßt werden können; werde sie diesen Forderungen nicht gerecht, so werde sie '.3 über kurz oder lang den Stürmen der Zeit zum Opfer fallen. ( ... )"
Und noch stärker bezogen auf die "Rechtsstaatsgedanke Wld RegierWlgsfonnen":
Offenheit
schrieb
er
in
"( ... ) Die Verfassung soll im allgemeinen ruhender Pol in der Erscheinungen Flucht sein und damit dem gesamten innerstaatlichen Recht die feste und dauerhafte '40 Der Entwurf selbst konnte nicht mehr aufgefunden werden. ,., Vgl. Ausschußprotokoll v. 1.4.1946 über die Sitzung v. 29.3.1946, in: Akte "Vorläufige Verfassung". '.2 Pfetsch zählt in Verfassungspolitik, S. 130 solche Personen zu den "Verfassungsvätern", die maßgeblich zur konzeptionellen und inhaltlichen Ausgestaltung beigetragen haben und die Herstellung besorgt oder mitgestaltet haben. W Siehe v. Mangoldt, Geschriebene Verfassung, S. 30.
11. Parlamentarischer Rat und Bonner Grundgesetz
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Grundlage geben, die Voraussetzung einer kontinuierlichen und von Erschütterungen freien Entwicklung des Staatswesens ist. Die Verfassung soll die Einhaltung der einheitlichen Linie sichern, die trotz a11 der ständig wechselnden Anforderungen des politischen Lebens vorhanden sein muß, ( ... )"'41
Weiterhin schimmert der Gedanke der Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit bei den Bestimmungen über die Verwaltungsgerichtsbarkeit durch. Zwar wurden sie von der Militärregierung "gewünscht", jedoch hatte v. Mangoldt selbst diese Frage auch schon im Ausschuß zur Diskussion gestellt, jedoch eine weitere Befassung nicht gewagt, da die Dinge im Ausschuß noch nicht übersehen werden konnten.'" Aufgrund seiner exzellenten Rechtskenntnisse und seiner Tätigkeit als Professor an der Kieler Universität nahm v. Mangoldt bis zu seinem Ausscheiden aus der CDU-Landtagsfraktion eine exponierte Stellung ein, infolge deren er vom Landtag als Vertreter Schleswig-Holsteins in den Parlamen-tarischen Rat entsandt wurde. Mit großer Genugtuung sollte Hermann v. Mangoldt die Wahl zu Parlamentarischen Rat annehmen. Dadurch erhielt er zum zweiten Male die seltene Gelegenheit, sich als Staatsrechtslehrer an der Ausarbeitung einer Verfassung beteiligen zu können. Was im Einzelnen auf ihn zukommen sollte, wußte v. Mangoldt natürlich nicht. Daher war ihm auch nicht bewußt, daß bei dem zu erarbeitenden Verfassungswerk politische Kräfte eine stärkere Rolle spielen sollten, als das in Schleswig-Holstein der Fall gewesen war. Diese Dimension der Aufgabe war auch fiir Hermann v. Mangoldt neu und sollte ihm Grenzen aufzeigen.
11. Parlamentarischer Rat und Donner Grundgesetz 1. Die Entstehung des Parlamentarischen Rates"·
Die historisch-rechtlichen Wurzeln des Parlamentarischen Rates reichen zurück bis zur Londoner Konferenz im Februar 1948. Die dort vereinbarten sogenannten "Londoner Empfehlungen" enthielten den Auftrag an die drei westlichen Militärgouverneure, die westdeutschen Ministerpräsidenten mit der Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung zur Beratung und Ausarbeitung einer Verfassung fiir das Gebiet der Westzonen zu beauftragen. Diesem Auftrag wurde mit der Übergabe der aus drei Dokumenten bestehenden
'24\44 Siehe v. Mangoldt, Rechtsstaatsgedanke und Regierungsformen, S. 326. 24.
515.
Vgl. Wortproto11e 1. ern. Landtag v. 11.4.1946, S.58,59. Näher zur Entstehungsgeschichte BracherlEschenburg, Geschichte Bd.l, S.459-
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Dritter Teil: BWldesrepublik Deutschland
"Frankfurter Dokwnente,,'47 am 1. Juli 1948 an die deutschen Ministerpräsidenten Rechnung getragen. Im hier interessierenden Dokwnent I autorisierten die Militärgouvemeure die Ministerpräsidenten "eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen, die spätestens am 1. September 1948 zusammentreten sollte." Die Abgeordneten dieser Versammlung sollten von den einzelnen Landtagen - nach einem noch zu verabschiedenden Wahlgesetz gewählt werden. Mit ihren auf dem Rittersturz bei Koblenz verabschiedeten Stellungnahmen'" zu den einzelnen Dokwnenten machten die Ministerpräsidenten weitere Verhandlungen erforderlich. Nach schwierigen gemeinsamen Verhandlungen am 19./20. Juli in Frankfurt und einer Ministerpräsidentenkonferenz am 21./22. Juli im Jagdschloß Niederwald bei Rüdesheim wurde am 26. Juli 1948 in Frankfurt die gewünschte Übereinstimmung in einem gemeinsamen SchlußKommunique dokwnentiert". Unmittelbar im Anschluß daran begannen die Ministerpräsidenten mit der Verwirklichung der Beschlüsse. Sie veröffentlichten am selben Tage eine "Vereinbarung der Ministerpräsidenten über den Parlamentarischen Rat"'!O und das vom - bereits am Vortage eingesetzten "Ausschuß von Sachverständigen für Verfassungsfragen"m erarbeitete "Modell eines Gesetzes über die Errichtung des Parlamentarischen Rates"m. welches von den einzelnen Landtagen bis zum 25. August angenommen wurde'!) und die Modalitäten der Mitgliederwahl des Parlamentarischen Rates näher ausgestaltete. Darüber hinaus richteten sie ein "ständiges Büro" zur Koordination der Arbeit ein und entschieden sich nach telefonischer Absprache am 16. August für Bonn als Tagungsort des zukünftigen Parlamentarischen Rates, da die verträumte Universitätsstadt im Krieg weniger als andere Städte gelitten hatte und einigermaßen annehmbare Unterbringungsmöglichkeiten bot.'!· Die noch ausstehenden Wahlen in den Landtagen fanden in der Zeit vom 6. und 31. August statt. Insgesamt wurden 65 Abgeordnete gewählt, d.h. 1 Abgeordneter auf 750. 000 Einwohner. Hermann v. Mangoldt ist in der 14. Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtages am 9. August 1948 zusammen mit Andreas Gayk, dem Kieler Bürgermeister, Dr. Rudolf Katz, dem 247 Abgedruckt in: v. Mangoldt, Kommentar, EinleitWlg S.4-6. ,•• Abgedruckt in: v. Münch,.Bonner Kommentar, S.44-48. ,." Ebd. S.50, 51. '!OEbd.
m Bekannter ist der Ausschuß durch seine Tagoog in Herrenchiernsee vom 10. bis zum 23. August, deren Ergebnisse als "Herrenchiemsee Bericht" geläufig sind. m Siehe Anm. 252. m Vgl. Ley, Mitglieder, Fn.3. '54 Vgl. BracherlEschenburg, Geschichte Bd. 1, S. 484.
11. Parlamentarischer Rat und Bonner Grundgesetz
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Landtagspräsidenten und Carl Schröter, dem Landesvorsitzenden der CDU, zum Abgeordneten des Parlamentarischen Rates gewählt worden"'· Über die bloße Tatsache hinaus, daß v. Mangoldt nun zum wiederholten Male die seltene Gelegenheit erhielt, eine Verfassung mitzugestalten, war noch nicht abzusehen, welchen Einfluß v. Mangoldt haben wird. Für die Dauer seines Aufenthaltes in Bonn war v. Mangoldt ein Zimmer in der Nähe der Pädagogischen Akademie im Hause der Familie Winzen in der Koblenzer Str. 264 zugewiesen worden, das pro Tag DM 5,- kostete2l 6 • Das Haus steht heute noch. Allerdings wechselten die Eigentümer und der Straßenname. Die Straße heißt nunmehr Adenauerallee und in dem ehemaligen Wohnhaus zwischen der FDP-Bundeszentrale und dem Haus der Geschichte befmdet sich die indische Botschaft. Seit der Entscheidung fiir Bonn wurde die Pädagogische Akademie am Rhein eilig zum Parlamentsgebäude umgebaut. Der Sitz des Ratspräsidenten sollte das repräsentative "Zoologische Forschungsinstitut und Museum Alexander Koenig Reichsinstitut Bonn" sein, das schräg gegenüber der Villa Hammerschmidt, dem Elternhaus Alexander Koenigs, an der heutigen Adenauerallee liegt. In dem klassizistischen Rahmen des Museums fand am 1. September vor der Konstituierung des Parlamentarischen Rates ein Festakt statt, zu dem der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Karl Arnold, eingeladen hatte. Im Anschluß daran trat der Parlamentarische Rat in der Pädagogischen Akademie zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Wann immer es der volle Terminkalender erlauben sollte, fuhr v. Mangoldt nach Kiel. Anfangs eigneten sich dafiir nur einzelnen Wochenenden; ab April 1949 jedoch bot er schon wieder Lehrveranstaltungen an, die allerdings sehr häufig ausfielen. 217 2. Organisation des Parlamentarischen Rates In seiner konstituierenden Sitzung wählte der Parlamentarische Rat - in Anlehnung an die Weimarer Gepflogenheiten 2ll - unter dem Vorsitz seines Alterspräsidenten Adolph Schönfelder (SPD) sein Präsidium. Diesem gehörten neben Dr. Komad Adenauer (CDU) als Präsident, Adolph Schönfelder (SPD) und Dr. Hermann Schäfer (FDP) als Vizepräsidenten, die vier Schriftführer Dr.
Siehe Wortprotokoll des 1. gewählten Landtages v. 9.8.1948 S. 13. Siehe Liste über die Unterbringung der CDU- und CSU-Abgeordneten, ACDP 1122, Nr.080/3. 217 Prof.Dr. Walter Rudolfin einem Brief an den Verfasser v. 11.9.1995. 2lB Vgl. BracherlEschenburg, Geschichte, S. 485. 2ll
216
Dritter Teil: BWldesrepublik Deutschland
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Helene Weber (CDU), Jean Stock (SPD), Helene Wessei (Z) und Dr. Max Becker (LDP) an. Nach der Geschäftsordnung"·, die allerdings erst in der 5. Plenarsitzung am 22. September 1948 angenommen wurde'60, bestand der PR aus der Vollversanunlung, dem Präsidium, dem Ältestenrat, dem Geschäftsordnungsausschuß dem Hauptausschuß sowie sieben weiteren Fachausschüssen. Darüber hinaus wurden während der Beratungen weitere zwei - von der Geschäftsordnung nicht vorgesehene - Ausschüsse konstituiert: der Allgemeine Redaktionsausschuß und der Fünferausschuß bzw. der Siebenerausschuß. Nachstehende Übersicht zeigt ein Organisationsschema des PR:'·'
Präsidium
Ältestenrat Geschäftsordnungsausschuß
I
Plenum
f-----1 f-----1
Hauptausschuß
Fünferausschuß .n
Si
iA.lIgemeiner Redaktionsausschu
Grundsatzfragen I
Organisation des Bundes
I
Rechtspflege
I
GrundsatzfragenJ
r
ahlrechtsfrage1
H
Finanzfragen I
I IjZuständigkeits- I fragen
Noch am Tag der Konstituierung wurde in einer interfraktionellen Besprechung im Büro von Konrad Adenauer die Anzahl der Ausschüsse und die Zahl ihrer Mitglieder festgelegt'·'. Nach Beratungen des Ältestenrates am 8.
'I. §§ 15,16 GO PR.
'60 Siehe Steno Berichte, S. 68.
'6' Die Grafik ist dem Buch entnommen.: S.233. ,., V gl. BayHStA, NL Pfeiffer / 72.
Wemer Soergel, Konsensus Wld Interessen,
II. Parlamentarischer Rat Wld Bonner GrWldgesetz
87
und 9. April 1948 hierüber'" wurde in der 3. Plenarsitzung am 9. September 1948 der "Ausschuß fiir Grundsatzfragen und Grundrechte" formell eingesetzt'''. Mit 12 stimmberechtigten Mitgliedern war dieser Ausschuß mit 2 Mitgliedern mehr besetzt, als die übrigen. Die personelle Besetzung zeigt, welche hohe Bedeutung dem Ausschuß zugemessen wurde. Die Fraktionen entsandten in diesen Ausschuß einige ihrer prominentesten Mitglieder'·' Für die CDU/CSU waren neben v. Mangoldt, Karl Sigmund Mayr, Dr. Anton Pfeiffer, losef Schrage und Dr. h.c. Helene Weber vertreten. Die SPD entsandte Prof. Dr. Ludwig Bergsträsser, Friederike Nadig, Prof. Dr. Carlo Schmid, Hans Wunderlich und Dr. h.c. August Zinn. Der spätere Bundespräsident Prof. Dr. Theodor Heuss kam fiir die FDP und Wilhelm Heile fiir die DP. Stellvertretende Mitglieder waren Theophil Kaufmann, Lambert Lensing, Dr. Kaspar Seibold, Dr. Adolf Süsterhenn und Ernst Wirmer fiir die CDU sowie Dr. Fritz Eberhard, Dr. Elisabeth SeIbert, Hermann Runge, Dr. Willibald Mücke und Rudolf Heiland fiir die SPD. Die FDP und DP hatten keine Stellvertreter benannt. Der Vorsitz sollte aufgrund interfraktioneller Abmachungen der CDU zufallen. Am 15. September 1948 fand im Zimmer 178 im 2. Stock der Pädagogischen Akademie'" die konstituierende Sitzung des Ausschusses statt, auf der v. Mangoldt einstimmig zum Vorsitzenden und Theodor Heuss zum Schriftführer gewählt wurden,'·' In der Folge tagte der Ausschuß 36 Mal und ist damit auch Sachen Sitzungshäufigkeit Spitzenreiter unter den Fachausschüssen'''. Lediglich an der Sitzung vom 20. Oktober 1948 hat v. Mangoldt nicht teilgenommen, obwohl er bei der tags zuvor und zwei Tage darauf stattfindenden Fraktionssitzung anwesend war'69. Die Sitzungen fanden regelmäßig im Zimmer 178 im 2. Stock statt. Nur ausnahmsweise wurde in der Bibliothek oder im Zimmer 81 im Erdgeschoß getagt270. Heutzutage befinden sich hier Büroräume von Mitarbeitern der Bundesratsverwaltung. Vor dem Plenarsaal des Bundesrates erinnert eine ,., Siehe VereinbarWlgen im Ältestenausschuß, SitzWlgen v. 8./9.4.1948, DrS. Nr. 16. ,.. Siehe Sten. Berichte, S. 57. '65 Vgl. PikartJWerner, Ausschuß S. XI. ,.. Vgl. PikartJWerner, Ausschuß, S. XXIV. ,., Vgl. PikartiWerner, Ausschuß, S. 1. Daneben war V. Mangoldt noch Mitglied des Hauptausschusses und stv. Mitglied des Ausschusses für VerfassWlgsgerichtshof und Rechtspflege sowie nach dem Rücktritt V. Brentanos im April 1949 Mitglied des AlI§emeinen Redaktionsausschusses. , Vgl. PikartlWerner, Ausschuß, Einl. Fn. 34. '69 Siehe Salzmann, Fraktion, S.82ff. Wld 84ff. 270 Vgl. PikartJWerner, Ausschuß, S. XXIV.
Dritter Teil: BlUldesrepublik Deutschland
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Gedenktafel lediglich daran, daß in diesem Saal das Grundgesetz angenommen wurde; das es in diesem Gebäude auch erarbeitet worden ist, bleibt im Dunklen. 3. Der Mangoldt macht die Menschenrechte 271 Arbeit im Grundsatzausschuß
-
In der ersten Sitzung am 15. September wurde nach der Konstituierung und der Übernahme des Vorsitzes durch v. Mangoldt noch die Tagesordnung für die zweite Sitzung am nächste Tag beschlossen: "( ... ) 1. Vorläufige Umgrenzung der Arbeit des Ausschusses, 2. Bestimmung der Berichterstatter, 3. Feststellung der Sachgebiete, über die sie referieren sollen."m Zu Beginn dieser von 11.00 Uhr bis 12.35 Uhr dauernden Sitzung am 16. September273 trugen Carlo Schmid und Anton Pfeiffer ihre Erfahrungen als Mitglieder des Verfassungskonvents in Herrenchiemsee vor. Pfeiffer empfiehlt, "( ... ) um die Gefahr zu vermeiden, daß die Arbeit unseres Ausschusses zerflattert und sich ins Uferlose verliert, ( ... ) eine Besprechungsgrundlage zu nehmen. ( ... ),,274 Er ist der Auffassung, daß "( ... ) der Bericht von Herrenchiemsee im Hinblick auf die nüchterne, rein sachliche Verhandlungsform und die vollkommen objektive Art der Darstellung sich ( ... ) als durchaus zweckdienliche Beratungsgrundlage anbietet. ( ... )"m Dem schloß sich Schmid an: "( ... ) Ich bin mit den Darlegungen des Herrn Dr. Pfeiffer weithin einverstanden. Auch ich glaube, wir brauchen für lUlsere Arbeit eine Art Leitfaden, sei es auch nur als Disposition für die einzelnen KapitellUlserer BeratlUlg. Zu diesem Zweck scheint mir das Memorandum von Herrenchiemsee nicht lUlgeeignet zu sein. Dieses Memorandum ist, darüber sind wir lUlS alle klar, keine Vorlage; es hat überhaupt keinen offiziellen Charakter. Es ist eine Arbeitshilfe, nicht mehr. ( ... )"2,.
Von Mangoldt griff dies auf und pflichtete Carlo Schmid bei, daß es das Beste sei, zunächst bestimmte Punkte herauszugreifen und nach einem Programm einen Punkt nach dem anderen zu behandeln: "( ... ) Daher sollten wir schon heute einen Beratungsgegenstand festlegen, den wir am nächsten Dienstag zu behandeln gedenken. ( ... ),,277 Von Schmid kam dann der Vorschlag, sich zuerst dem Kapitel zuzuwendenden, dem der logische Prius zukommt, den Siehe ABC des Parlamentarischen Rates v. 23.5.1949, NL Heuss/418. Siehe Pikart/Wemer, Ausschuß, S. 2. m Ebd. S. 3. 214 Ebd. S. 5. 27l Ebd . "6 Ebd. S. 6. 277 Ebd. S. 9. 271
272
11. Parlamentarischer Rat und Bonner Grundgesetz
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Grundrechten. Zudem dürften diese nur geringe Kontroversen hervorrufen. m Doch schon setzte eine Debatte ein, in der eine Vielzahl von Problemen angerissen wird, die den Ausschuß im Laufe der Arbeit wieder begegnen wird: Grundrechte versus Deklamationen, Garantie der Grundrechte und Hoheitsgewalt, Bindung der Verwaltung an Grundrechte, Sicherung des Einzelnen, Klassische Grundrechte, Staatsform, Grundgesetz versus Verfassung. Zudem gilt es, die mögliche Reaktion der Alliierten auf das geschaffene Werk zu berücksichtigen. Schließlich begegnete Theodor Heuss den Bedenken gegenüber der alliierten Haltung: ,,( ... ) Wir brauchen eine Diskussion über den Charakter des Staates nicht zu fürchten. Wir müssen den Ausdruck der Volkssouveranität irgendwie Ausdruck geben. Keinesfalls dürfen wir den provisorischen Charakter des Grundgesetzes auf die Qualität unserer Arbeit übergreifen lassen. Wir müssen die geographische und politische Begrenztheit des Gebietes, das wir erfassen, hinnehmen; aber grundSätzlich müssen wir davon ausgehen, daß wir etwas schaffen, was für die deutsche Geschichte von Bedeutung ist. (... )"279
Vor dem Hintergrund fast 50jähriger Geltung des Grundgesetzes mutet der letzte Teil des Satzes beinahe prophetisch an. Pfeiffer nahm den Gedanken von Heuss auf und sagt: "( ... ) Unsere Arbeit ist ein weiterer, bedeutsamer Schritt auf dem Weg zu einer endgültigen, für ganz Deutschland geltenden Verfassung. ( ... ) Ich denke wir sollten ohne jede Begrenzung unsere Aufgabe anpacken, lieber zwei oder drei Sitzungen mehr darauf verwenden, den Problemkreis aber erschöpfend durcharbeiten. (... )"
Die Sitzung endete mit dem Beschluß: "( ... ), in der nächsten Sitzung mit der Behandlung der Grundrechte zu beginnen. Dr. Bergsträsser wird das Referat, die Herren Zinn und Dr. v. Mangoldt werden das Korreferat übernehmen.,,21· In dieser kurzen Sitzung lag der gesamte Verlauf der Ausschußarbeit schon verborgen. Die einfache, aber prägnante Art sich der Herausforderung zu stellen ("zwei oder drei Sitzungen mehr"), Problemkreise, die später noch harte Diskussionen hervorbringen ("Klassische Grundrechte, Provisorium, Name, Präambel") und auch der Umgangston ("Saudummes Geschwätz, Logischer Prius") prägen die gesamte Arbeitsatmosphäre.
Noch am selben Nachmittag fand eine CDU/CSU Fraktionssitzung statt, in der sich v. Mangoldt ausführlich zu dem Problemkreis Bundesrat oder Senat äußert. Ausdrücklich verwies er auf die amerikanischen Erfahrungen mit dem Ebd. Ebd. S. 1l. 21. Ebd. S. 14. 271 279
Dritter Teil: Bundesrepublik Deutschland
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Senatsprinzip und forderte eine Verbindung beider Prinzipien, um die Länder, denen schließlich die Ausführung der Bundesgesetze obläge, an der Gesetzgebung zu beteiligen. 211 Fünf Tage später, am 21. September in der dritten Sitzung des Grundsatzausschusses begann die Arbeit an den Grundrechten mit dem angekündigten Bericht Ludwig Bergsträssers über die Entstehung und Entwicklung der Grundrechte. Daran schloß sich das Referat von Georg-August Zinn über die Staatsrechtliche Betrachtung der Grundrechte an. Anschließend eröffnete v. Mangoldt die Diskussion. Nachdem daraufhin die Redner nicht wie erwartet Fragen stellten, sondern die Gelegenheit fiir allgemeine Erörterungen nutzten, lenkte v. Mangoldt die Diskussion knapp in andere Bahnen: "( ... ) Damit wir bald zu festen Beschlüssen kommen, möchte ich einige der wichtigeren Fragen •• • • ( ) " 282 prazlSleren ... . Nunmehr das Ruder in der Hand ließ v. Mangoldt die Diskussion nicht mehr abschweifen. Sogleich wurde - ohne ausführliche Begründung, denn die Erfahrungen der Vergangenheit sprechen dafiirm der Beschluß gefaßt, daß die Grundrechte nicht in den Landesverfassungen, sondern in die Bundesverfassung aufgenommen werden. Mit straffer Führung - v. Mangoldt sprach überwiegend selbst und ließ sich nur bestätigen - wurde in kurzer Folge beschlossen, vorverfassungsmäßige Grundrechte in die Verfassung aufzunehmen, die Grundrechte so weit wie möglich zu konkretisieren, sie in einem eigenen Abschnitt darzustellen und schließlich, daß die Grundrechte neben der Verwaltung und Rechtsprechung auch den Gesetzgeber binden sollen. Einem Punkt, der uns aus den Beratungen zur Vorläufigen Verfassung SchleswigHolsteins bekannt ist, begegnen wir jetzt wieder: der Vorläufigkeit des hier zu erarbeitenden Verfassungswerkes: "( ... ) Was den provisorischen Charakter des Grundgesetzes angeht, so bin auch ich der Auffassung, daß das, was wir als klassische Grundrechte bezeichnen, unbedingt in die Verfassung hinein muß. Andererseits müssen wir aber auch wieder bescheiden sein in dem, was wir aufnehmen. Gerade darin liegt das Provisorische unserer Arbeit an dem Verfassungswerk. Manche Entwicklungen können wir heute noch gar nicht übersehen, und insoweit wäre es falsch, uns in allgemeinen Sätzen für die Zukunft festzulegen. ( ... )"2"
Anschließend gelang es einigen Rednern doch noch einmal, die Diskussion auf allgemeine Erörterungen zu bringen, bis v. Mangoldt wieder eingriff: Siehe Salzmann, Fraktion, S. 12-15. Siehe PikartfWemer, Ausschuß, S. 40. 213 Ebd. 21. Siehe ebd., S. 45. 211
212
11. Parlamentarischer Rat und Bonner Grundgesetz
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"( ... ) Vielleicht lassen wir die Frage zunächst offen. ( ... ) Damit können wir, glaube ich, die allgemeine Erörterung abschließen und an die Prüfung der Frage herangehen, was wir unbedingt in den Grundrechtsteil aufnehmen wollen. Da gilt es, daß wir uns zunächst über die klassischen Grundrechte klar werden. Es ist auch für die Fraktionsbesprechungen von wesentlicher Bedeutung zu wissen, was wir in den Grundrechtsteil aufnehmen wollen. Herr Bergsträsser gibt uns vielleicht einen Überblick darüber, was nach seiner Auffassung zu den klassischen Grundrechten zu rechnen ist. ( ... ) Auf diese Weise gewinnen wir ein Programm das als Grundlage für die Beratungen in den Fraktionen dienen kann. ( ... )"'"
Bis zur nächsten Sitzung wollten dann Bergsträsser, Zinn und v. Mangoldt einen Bericht über die Freiheitsrechte ausarbeiten und Fonnulierungen wnstrittener Herrenchiemsee-Artikel vorbereiten. ". Eine gute Woche nach der Konstituierung des Ausschusses in der vierten Sitzung, am 23. September 1949, wurden dann schon Formulierungen der Grundrechtsartikel erarbeitet. Wie sah diese Arbeit aus? Welcher Gestalt war die von Pikart und Werner konstatierte "( ... ) souveräne Gesprächsfiihrung v. Mangoldts, der bei Abschweifungen in den Diskussionen die Debatte immer wieder auf das Thema zurückzubringen wußte (... )" und unter der gelegentlich fast so etwas wie eine heitere akademische Atmosphäre entstand.'" Welchen Anteil hat v. Mangoldt an der Ausschußarbeit? Worin bestand die von Jellinek erkannte "außerordentliche Leistung,,211 im Ausschuß fiir Grundsatzangelegenheiten und der "maßgebende Einfluß auf die Gestaltung des Grundgesetzes", den Leibholz2" v. Mangoldt zuschrieb? Inwiefern liegt v. Unruh richtig, wenn er feststellt, daß v. Mangoldt seine Vorstellungen von der Verfassung eines Rechtsstaates weitgehend verwirklichen konnte. 2.. Um eine Antwort auf diese Fragen zu geben, einen Hauch der Atmosphäre einzufangen, in der das Grundgesetz entstanden ist, aber auch und gerade, wn die Persönlichkeit v. Mangoldts hervortreten zu lassen, soll nachfolgend die Entstehung ausgewählter Grundrechtsartikel nachgezeichnet werden. Das so entstehende Bild kann nur fragmentarisch die Person v. Mangoldts und dessen Wirken wiedergeben. Hier und dort wird es möglich sein, mit deutlichem Pinselstrich die Konturen herauszuarbeiten, an anderer Stelle wiederum verdunkelt die Patina des Alters das Bild: Die Vielzahl der 2&l
Siehe ebd., S. 50.
2" Vgl. ebd. ,So 6l.
'" Vgl. ebd., S. XXII.
Siehe Jellinek über v. Mangoldt, in: Reden zu seinem Gedächtnis, S. 16. Siehe Leibholz, in:v. Mangoldt, Kommentar, S. V. 2.. Vgl. v. Unruh, Einflüsse, S. 463.
m 2"
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Dritter Teil: BWldesrepublik Deutschland
Beratungsebenen und der Mangel an Zeitzeugen macht es nicht möglich, den Weg einer Idee, einer Formulierung und deren Beratungsgang mit Sicherheit aufzuzeigen. So kann v. Mangoldt beispielsweise in der Fraktion oder im Redaktionsausschuß des Grundsatzausschusses überstimmt worden sein oder sich bei interfraktionellen Gesprächen von einer anderen Meinung überzeugt haben lassen. Ganz zu schweigen von den Gesprächen mit Kollegen hinter den Kulissen des Hauptausschusses. Woher also der Anstoß kam bleibt zumeist im Dunkeln. So verbleibt lediglich die Möglichkeit, den Augenblick festzuhalten, in dem der Gedanke auf dem Papier der Stenographen das Licht der Welt erblickt und ihm auf seinem papiernen Weg zu folgen. a) Die Präambel - die politisch-historische Dimension
Schon sehr früh, in der zweiten Sitzung des Grundsatzausschusses, waren sich die Abgeordneten über die Bedeutung der zu erarbeitenden Präambel einig. Carlo Schmid brachte die Auffassung auf die prägnante und überspitzte Formulierung, daß die Präambel alles Entscheidende enthalte; ihr gegenüber sei alles andere sekundär. 291 - In seiner vorab gegebenen Einschätzung "( ... ) Über die BedeutWlg der Präambel ist man sich doch im allgemeinen in gleicher Weise klar: sie soll sagen, was ist Wld nicht was gewollt wurde; ( ... ) Welche Punkte hier fragwürdig sind, weiß man. Ich glaube, man kann mit ganz wenigen Worten darüber hinwegkommen. ( ... )"292
sollte sich Schmid hingegen irren. Die Ausarbeitung der Präambel war eine der zeitraubendsten Aufgaben des Ausschusses. Sie beschäftigte den Ausschuß selbst dann noch über viele Stunden und Sitzungen hinweg, als über den Inhalt Übereinstinunung gefunden worden war. An der Frage der sprachlichen Ausgestaltung schieden sich nicht nur die politischen, sondern erst Recht die akademischen Geister. In der sechsten Sitzung, am 5. Oktober, schlug v. Mangoldt für die weitere Arbeit vor, daß Georg August Zinn und Theodor Heuss ihre Entwürfe der Präambel vortragen sollten. Im Anschluß daran würde sich dann eine Generaldebatte über einzelne Punkte anschließen können. "3 Die von v. Mangoldt dabei angesprochenen Punkte lesen sich bereits wie die Tagesordnung der folgenden Sitzungen; beinahe sämtliche im Zusanunenhang mit der Präambel später tatsächlich diskutierten Fragen sah er bereits:
291 292 293
Vgl. Pikart/Wemer, Ausschuß, S. 14. Siehe Pikart/Wemer, Ausschuß, S. 155. Vgl. ebd., S. 155.
11. Parlamentarischer Rat und Bonner Grundgesetz
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"( ... ) also Frage des Namens, Frage des Staatsfragrnents oder wie man das überhaupt zum Ausdruck bringen will, Stellung des Besatzungsstatuts, ( ... ) dann etwa ein Bekenntnis zur gesamtdeutschen Einheit, was meiner Anschauung nach unbedingt in die Präambel hinein müßte, das Bekenntnis, daß dieser Bund, wie er hier gebildet wird, jedenfalls nicht vollkommen ist, ( ... )"'94
Einen Tag später, in der siebten Sitzung des Ausschusses, fand die erste inhaltliche Beratung über die Präambel statt. Nach den Vorträgen von August Zinn und Theodor Heuss begann eine Diskussion über die Entwürfe. Im Verlauf der Aussprache über den räumlich-substantiellen Geltungsbereich des Grundgesetzes gelangt Schmid zu Erörterungen über das Für und Wider der Partizipialkonstruktionen. Als schönes Beispiel für die über weite Strecken lockere akademische Atmosphäre der Beratungen seien die Ausführungen hier wiedergegeben: "( ... ) Dann der Einwand gegen die Partizipialkonstruktion in der Herrenchiemseer Präambel. Ich verstehe die allgemeine Abneigung in Deutschland gegen die Partizipialkonstruktion nicht. Sie stellen natürlich an die Konzentrationsfähigkeit des Lesers Anforderungen. Ich halte sie aber nicht fiir eine undeutsche Form. Man hat sie sich nur abgewöhnt, weil sie schwieriger zu handhaben ist. (Dr. Heuss: Wer einmal den Cicero durchgemacht hat, hat es intus.) Das ist die entsetzliche Folge des deutschen Sprachunterrichts in den deutschen Schulen, durch die Sie und ich noch gegangen sind. Gutes Deutsch fand man im Preußischen Exerzier-Reglement, weil darin die berühmten "knappen" Sätze enthalten waren. Gewiß, der knappe Satz ist eine Stilform, aber die Periode ist auch eine Stilform. Ich möchte sagen, es ist die noblere und eigentlich die humanere, weil sie die Möglichkeit gibt, einen Gedanken in all seinen Verästelungen in einem Satz zum Ausdruck zu bringen und so jedem einzelnen Satze die Dignität eines selbständigen gedanklichen Fortschritts zu geben. ( ... )",.,
Angesichts dieser "linguistischen Entrückung" gewinnt die Aussage über v. Mangoldts "souveräne Gesprächsführung"'·' ungemein an Eindruckskraft. Dies um so mehr, als daß einige Mitglieder des Ausschusses sich durch solche Ausführungen zu einer Replik animiert fühlten, die es im Rahmen der ohnehin knapp bemessenen Zeit - wenn möglich - zu verhindern galt. In Kenntnis dieser Tatsache ist es nicht verwunderlich, daß v. Mangoldt frühzeitig drängte:
'94 Siehe ebd., S. 154. ,., Siehe ebd., S. 160. '96 Vgl. ebd., XXII.
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Dritter Teil: Bundesrepublik Deutschland
"( ... ) Es erscheint mir wichtig, daß wir einmal die Punkte zusammenstellen, die wir unbedingt in die Präambel aufgenommen haben möchten. Wenn wir festgestellt haben, welche Punkte wir in der Präambel verkörpert sehen wollen, müssen wir doch einen Redaktionsausschuß zusammensetzen, der die verschiedenen Meinungen zusammenbringt. Es ist unzweckmäßig, das in der großen Versammlung zu machen, 297 es hält uns nur ungeheuer lange auf. (... )"
Gleichwohl dehnte sich die Erörterung aus. Auch v. Mangoldt überwand seine selbstauferlegte Zurückhaltung in politischen Angelegenheiten, als es wn die Frage ging, ob das Grundgesetz nur die Ordnung fiir einen Teil Gesamtdeutschlands darstelle und unterstützte den verunsicherten Vertreter Berlins Jakob Kaiser: "( ... ) Ich bin genau der gleichen Auffassung, daß wir in der Gestaltung den Anspruch erheben müssen, eine Ordnung zu schaffen, die von dem Ganzen ohne weiteres übernommen werden kann. ( ... )"'91
Am nächsten Tag war es wieder v. Mangoldt, der es darauf absah, einen Redaktionsausschuß einzusetzen. Immer wieder griff v. Mangoldt in die Diskussion ein und fonnulierte Richtlinien fiir den Redaktionsausschuß. '99 In der Frage des Namens hielt er fest: "( ... ) Dann dürfen wir allgemein feststellen: Republik Deutschland. (... ),,300 Im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht hieß es dann: "( ... ) worüber wir uns geeinigt hatten, der Gedanke des Selbstbestimmungsrechts, daß also dieses Grundgesetz kraft des Selbst-bestimmungsrechts entworfen wird, daß dabei aber auch um Ausdruck gebracht wird: dieses Selbstbestimmungsrecht kann heute infolge des Besatzungsregimes und der gesamten Lage noch nicht in voller Freiheit ausgeübt werden.( ... )"JOI
Im weiteren Verlauf lenkte v. Mangoldt die Aufinerksamkeit auf das Bekenntnis zur Einheit Deutschlands. Gleichzeitig wollte er aber auch zwn Ausdruck bringen, daß das Grundgesetz nur fiir einen Teil Deutschlands gelte. Siehe ebd., S. 162. 165. '99 Bei v. DoemminglFüssleinlMatz, Entstehungsgeschichte, S. 23/24 findet sich folgende Darstellung: "Die Gedanken, die in der Präambel Ausdruck finden sollten, wurden in der siebten Sitzung eingehend diskutiert und danach vom Vorsitzenden, Abg. Dr. v. Mangoldt (CDU) in der achten Sitzung (7.10.48) des Grundsatzausschusses als Richtlinie fiir die mit der Formulierung betraute Redaktionskommission festgestellt: ( .. ),." Es folgen dann acht Punkte. 00 Siehe ebd., S. 175. 301 Siehe ebd. '97
'9' Siehe ebd., S.
11. Parlamentarischer Rat und Bonner Grundgesetz
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In diesem Zusanunenhang schlug v. Mangoldt dann folgende Formulierung vor: "( ... ) Für das Gebiet, für das die Vertreter der Länder am soundsovielten im Parlamentarischen Rat in Bonn zu dieser Arbeit zusammengetreten sind. - Das ist meiner Auffassung nach eine sehr schöne Formulierung auch deshalb, weil damit das geschichtliche Entstehen dieses Verfassungswerkes in der Präambel niedergelegt ist, ( ••• ).,,302
Weiterhin müsse fiir die nicht erfaßten Teile Deutschlands eine Aufnahme stets möglich sein. Ferner wies er noch auf die Frage der Kontinuität des neuen Bundesstaates im Verhältnis der Weimarer Republik hin. Dabei ging v. Mangoldt in Übereinstimmung mit den Mitgliedern des Ausschusses davon aus, daß das Deutsche Reich fortexistiere. 303 Daraus folge, daß nicht die staatliche Ordnung überhaupt, sondern nur die Hoheitsbefugnisse in einem Teil Deutschlands neu organisiert werde. Schließlich betonte v. Mangoldt noch die Bedeutung des Namens des zu schaffenden Staatsgebildes. Die dadurch angeregte Diskussion beendete v. Mangoldt mit dem knappen Hinweis, daß die Dinge soweit geklärt seien, daß der Reaktionsausschuß an die Arbeit gehen könnte. 304 Die Ausführungen von Theodor Heuss, die er vor seiner Benennung zum Mitglied dieses Ausschusses machte, vermitteln einen ungefähren Eindruck wie die Abgeordneten über den Sinn und die Ausgestaltung der Präambel dachten: (... ) wir müssen achtgeben, daß wir nicht in Journalismus machen, also die Präambel als einen abgekürzten politischen Leitartikel zur Tageslage machen. Das darf nicht sein. Die Sache muß auch eine gewisse Magie, (... ) haben. ( ••• ),,30' Als Mitglieder des Redaktionsausschusses wurden schließlich Heuss, Kaiser, Kroll, Schmid, Weber, Zinn und v. Mangoldt benannt. Der Zeitdruck sorgte fiir ein Treffen schon am nächsten Tag. Carlo Schmid trug das Ergebnis der Bemühungen dem Grundsatzausschuß am Dienstag, den 12. Oktober vor: "( ... )1. Aus der Präambel solle demnach ersehen werden können, was durch das Grundgesetz bewirkt werden solle und was nicht. 2. Weiter solle aus ihr hervorgehen, ob Deutschland als staatliches Gebilde noch existiere oder aber neu geschaffen werden müsse. Also, ob der Parlamentarische Rat konstitutiv oder lediglich organisatorisch tätig werde. 3. Ebenso solle die Präambel über die Quelle der deutschen Staatsgewalt Aufschluß geben.
Siehe ebd., S. 176. Vgl. ebd., S. 177. 304 Vgl. ebd., S. 183. 3" Siehe ebd. 302 303
96
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4. Zudem solle der Übergangscharakter des GfWldgesetzes, das Provisorische zum Ausdruck kommen. 5. Gleichfalls solle in einer "Art kurzen GeschichtserzählWlg" erläutert werden, warum Wld wieso es zu der Notwendigkeit gekommen wäre, fiir die noch existierende Republik eine neue Organisationsform zu schaffen, die allerdings nur fiir eine Teil des Gebietes der deutschen Republik gälte. 6. In diesem Zusammenhang solle auch deutlich gemacht werden, daß die Mitglieder des Parlamentarischen Rates nur von einem Teil des Deutschen Volkes gewählt wurden, aber aufgfWld innerer Legitimation stellvertretend fiir das Ganze handeln würden. 7. Schließlich solle die Präambel ein Bekenntnis zur Einheit Deutschlands enthalten, daß das Deutsche Volk aufgefordert bliebe in seiner Gesamtheit Wld in gemeinsamer EntscheidWlg Wld VerantwortWlg die nationale Einheit Wld die zu schaffende Freiheit neu zu gründen, d.h. in neue Formen zu bringen. ( ... ),,)06
Von diesen Punkten ausgehend, hatte der Redaktionsausschuß folgende Fassung der Präambel erarbeitet: "( ... ) 1. Die nationalsozialistische Zwingherrschaft hat das deutsche Volk seiner Freiheit beraubt; Krieg Wld Gewalt haben die Menschheit in Not Wld Elend gestürzt. 2. Das durch die VerfassWlg von Weimar vom 11. August 1919 aufgebaute staatliche Gefiige der deutschen Republik wurde zerstört. 3. Dem deutschen Volk ist aber das Wlverzichtbare Recht auf freie GestaltWlg des nationalen Lebens geblieben. 4. Die BesetzWlg Deutschlands durch fremde Mächte hat die AusübWlg dieses Rechts schweren EinschränkWlgen Wlterworfen. 5. Erfiillt von dem Willen, seine Freiheitsrechte zu schützen, die Einheit der Nation zu erhalten Wld eine neue staatliche OrdnWlg Deutschlands vorzubereiten, hat das deutsche Volk vertreten durch die in den Ländern Baden, Bayern usw. gewählten Männer Wld Frauen des am 1. September 1948 zu Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rates, die von den Abgeordneten Groß-Beriins beraten wurden Wld getragen waren von dem Vertrauen Wld bewegt von der HOffnWlg aller Deutschen, fiir das Gebiet, dessen BevölkefWlg diese Abgeordneten entsandt hat, zur Schaffung einer den Aufgaben der Übergangszeit dienenden OrdnWlg der Hoheitsgewalt dieses GfWldgesetz beschlossen. 6. Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, in gemeinsamer EntscheidWlg Wld VerantwortWlg die OrdnWlg seiner nationalen Einheit Wld Freiheit in der Republik Deutschland zu vollenden. ( ... ),,)07
Zum Aufbau des Entwurfs führte Schmid aus, daß im ersten Absatz der "Tatbestand" zu sehen sei, während der zweite Absatz erklärte, was durch das )06 )07
Vgl. Pikart/Werner, Ausschuß, S. 230. Siehe ebd., S. 251/252.
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Grundgesetz gewollt würde; quasi die "Rechtsfolge" darstelle. Es ist nicht schwer zu erraten, wer diesen Gedanken im Redaktionsausschuß aufbrachte: klar tritt an dieser Stelle v. Mangoldts juristisch-systematisches Denken zu Tage. JOI In der anschließenden Aussprache kritisierten SuhrJ09 und Bergstraesser3lO insbesondere die schwierige Lesbarkeit, die dem normalen Bürger das Verständnis erschweren würde, "( ... ) Schließlich schreiben wir das Grundgesetz nicht nur für die Staatsrechtslehrer, sondern für die Masse des Volkes, für die Öffentlichkeit, die es lesen soll.( ... ),,311 Weiterhin wurde die Formulierung des Anteils der Berliner Vertreter bei den Beratungen als ungenügend empfunden. Letztlich verstieg sich die Diskussion in die etymologische und historische Dimension des Wortes "Zwingherrschaft": Frau Helene Weber eröffnete den Reigen mit ihren "Bedenken" gegen das Wort "Zwingherrschaft". Jakob Kaiser stellte daraufhin die Frage, ob es sich überhaupt um ein "übliches" Wort handele. Das griff Ludwig Bergstraesser auf, indem er anfügte, daß Zwangsherrschaft etwas "von außen Kommendes" bedeute und der National-sozialismus nun nicht von außen gekommen sei, sondern von innen. Die literaturgeschichtliche Herkunft des Wortes wurde dann von Carlo Schmid erläutert. Friedrich Schiller habe es in Wilhelm Tell verwandt. Und jener Landvogt GeBIer sei übrigens Schweizer gewesen und keineswegs ein Mann der von außen kam. Das konnte Bergstraesser so nicht gelten lassen und rief in Erinnerung, daß GeBIer vom Hause Habsburg beauftragt war und unterstützt wurde.'" Illustrativ zeigt sich hier wiederholt, daß die Abgeordneten bei ihren Beratungen nicht nur die politisch-historische oder staatsrechtliche Bedeutung vor Augen hatten. Nichtsdestotrotz führten solche akademischen Auseinandersetzungen selten zu einem handfesten Ergebnis, sondern regelmäßig nur zu einer Verlängerung und Ausuferung der Aussprache, die v. Mangoldt dann wieder auf den Punkt zu bringen hatte. So ist es nicht verwunderlich, daß er äußerst selten einen Beitrag zu solchem Disput beisteuerte, sondern sich als Moderator verstand, der die Beiträge zusammenfaßte und Positionen herausarbeitete bzw. Erörterungen einfach abbrach, um voranzukommen. Vor diesem Hintergrund geht von den Erläuterungen im Kommentar v. Mangoldts: "( ... ) Die Präambel hat denn auch ihre heutige Gestalt erst nach langwierigen
JOI
VgJ. ebd., S. 231/232. VgJ. ebd., S. 235 und S. 245. 310 Vgl. ebd., S. 237,238. 311 Siehe ebd., S. 236. '" Vgl. ebd., 238. J09
7 Rohlfs
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Beratungen und vielfachen Umfonnulierungen gewonnen ( ... ),,313 bescheidenes Understatement aus. Auf dem Weg der "langwierigen Beratungen" fand am selben Abend eine Aussprache in der CDU/CSU Fraktion über die Präambel statt.'" Anton Pfeiffer teilte am nächsten Tag dem Grundsatzausschuß die Auffassung der Fraktion mit, daß der Entwurf bei der Fraktion sehr geringe Zustimmung gefunden habe. Er sei unübersichtlich und stilistisch mangelhaft. Letztlich sei er nicht aus einem Guß und entbehre der notwendigen Feierlichkeit, die von einer Präambel erwartet werden könne.'" Was Pfeiffer nicht mitgeteilt hat, war der Beschluß der Fraktion über den Namen des Bundes. Mit 18 von 19 Stimmen hatte sich die Fraktion auf "Bundesrepublik Deutschland" geeinigt"', nachdem Theodor Heuss diesen Vorschlag bereits in der Ausschußsitzung am 6. Oktober gemacht hatte. 317 Die Kritik Pfeiffers gipfelte in dem Vorschlag, zunächst die Punkte festzulegen, deren Erwähnung in der Präambel fiir notwendig gehalten werde. Von Mangoldt machte ihn darauf aufmerksam, daß dies bereits geschehen sei und führte die Punkte noch einmal auf. Dadurch ließ sich Pfeiffer überzeugen. Nun begann die zähe Auseinandersetzung um Ausdruck und Fonnulierungen. Satz fiir Satz wurde erneut durch die Stilmaschine gedreht und auf Konsensfähigkeit hin untersucht. Die Vorschläge und Anregungen glichen einander so sehr, daß die Mitglieder sie kaum auseinanderhalten konnten.'" Und wieder war es v. Mangoldt der den Blick fiir die praktischen Notwendigkeiten hatte: eine schriftliche Beratungsgrundlage würde vieles erleichtern. Daraufhin unterbrach er die Sitzung fiir eine 15 minütige Pause, in der Schmid, Zinn und Kaufmann ihre Vorschläge schriftlich ausarbeiteten. Auf dieser Grundlage beendete der Ausschuß nach eingehender Debatte der Vorschläge die erste Lesung der Präambel mit zwei Entwürfen; eine Version wurde als "Fassung des Redaktionsausschusses" bezeichnet, die andere als "Entwurf Zinn"."9 Hier begann der Weg der Präambel aber keinesfalls ebener zu werden. In der Fraktionssitzung am nächsten Tag, dem 14. Oktober 1948 war die Kritik an der Präambel keineswegs verstummt. Kaufman und Blomeyer stellten sogar Gegenvorschläge vor. Von Mangoldt wies nochmals auf die J1)
Siehe v. Mangoldt, Kommentar, S. 29, 30.
"4 Vgl. Salzmann, Fraktion, S. 75.
'" Vgl. PikartiWerner, Ausschuß, S. 263. 316 Vgl. Salzmann, Fraktion, S. 75. 317 Siehe PikartlWerner, Ausschuß., S. 171; mit dem Hinweis, daß Heuss in der Sitzung sagte, daß der Vorschlag nicht von ihm, sondern von einem Freund stamme; später jedoch die Idee fiir sich reklamierte. 311 Vgl. ebd. den Beitrag Pfeiffers, S. 270. "9 Vgl. ebd., S. 287 Anm. 36.
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Entstehung der "Fassung Redaktionsausschuß" hin und gab zu verstehen, daß er als Fraktionsredner in der Plenarsitzung nicht gegen diese Fassung sprechen könnte."· Das mußte er auch nicht. In der sechsten Plenarsitzung am 20. Oktober32l sprach dann Adolf Süsterhenn an seiner Stelle, was Theodor Heuss veranlaßte, zu sagen: "( ... ) Es war ganz gut, daß Herr Dr. Süsterhenn gesprochen hat. Denn wenn Herr Schmid vorher sprach und wenn Herr von Mangoldt dagewesen wäre, so wäre das ein bißchen wie eine Augurenbegegnung gewesen. ( ... )"'"
Trotz der parteiinternen Auseinandersetzungen wird durch die hiervon hervorgerufene Heiterkeit die ungezwungene und entspannte Atmosphäre spürbar, in der die Beratungen stattgefunden hatten. Inhaltlich fand in dieser Sitzung gewissermassen eine verkürzte Wiederholung der Diskussionen im Grundsatzausschuß statt ohne, daß es zu einer Beschlußfassung über die "Fassung Redaktionsausschuß" kam. Die zweite Lesung der Präambel, die in der 19. Sitzung des Ausschusses, am 9. November aufgenommen wurde, begann ganz im Zeichen der überwiegenden Ablehnung, die der bisherigen "Fassung des Redaktionsausschusses" entgegengebracht worden war. In der Presse kam die Präambel schlecht weg, dem Ausschuß lagen neue Entwürfe vor und auch in den Fraktionen fand sie kaum Anklang. Von Mangoldt formulierte das so: "( ... ) Die Präambel hat in der Form, in der wir sie niedergelegt haben, doch in weiten Kreisen starke Kritik gefunden, so daß wir uns die Frage der Präambel noch einmal durch den Kopf gehen lassen und prüfen müssen, ob wir irgend etwas von den uns eingereichten Entwürfen verwenden können. ( ... )"m
Daher wurden zunächst die eingegangenen Vorschläge diskutiert, die im Ergebnis allesamt verworfen wurden. Zum bayerischen Vorschlag sagte Bergstraesser, der klinge so, als wenn eine neue Handelsgesellschaft gegründet und in den Zeitungen veröffentlicht würde.'" Unter Berücksichtigung der Kritik hatte v. Mangoldt selbst eine andere Formulierung erarbeitet, die den Beratungen zugrundegelegt wurde. Von Mangoldts Version lautete:
". Vgl. Salzmann, Fraktion, S. 80. 32l Steno Berichte über die Plenarsitzungen, S. 69ff. 322 Siehe ebd., S. 74. m Siehe PikartiWemer, Ausschuß, S. 497. Und die Ausfiihrungen zur Kritik in den Anm. 4 und 5. m Vgl. ebd., S. 499.
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Dritter Teil: Bundesrepublik Deutschland
"( ... ) 1. Erfüllt von dem Willen, an Stelle des zerstörten staatlichen Gefüges der in Weimar geschaffenen Republik eine neue staatliche Ordnung zu errichten, damit die Grundlage für einen Bundesstaat Deutschland zu schaffen und in ihm die Einheit der Nation zu erhalten, haben die deutschen Länder Bayern usw. zu dem am 1. September 1948 in Bonn zusammengetretenen Parlamentarischen Rat entsandt. 2. Im Vertrauen auf Gott und die wiedererweckten sittlichen Kräfte des Deutschen Volkes, in der Überzeugung, daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben ist und daß die entsandten Abgeordneten berechtigt sind, als Vertreter aller Deutschen zu handeln, in dem festen Willen, die jüngst so schwerverletzten Freiheitsrechte des Deutschen Volkes zu schützen und der so schwer geschändeten Menschenwürde zur vollen Anerkennung zu verhelfen, in der Erwartung, daß das geeinte Deutschland zum Wohle der Menschheit in einem vereinten Europa als gleichberechtigtes Glied mitwirken wird, zugleich aber in dem Bewußtsein, daß die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte die Ausübung eines freien nationalen Selbstbestimmungsrechts schweren Einschränkungen unterworfen hat und daß auch die Verwirklichung des in diesem Grundgesetz enthaltenen deutschen Willens von der Haltung der Besatzungsmächte abhängt, wurde unter Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Beriins von diesen Vertretern der Deutschen Einheit dieses Grundgesetz geschaffen, dem deutschen Volke in den beteiligten Ländern zur Annahme vorgelegt und für deren Bereich beschlossen. 3. Das Deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, auf dieser Grundlage in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit im Bundesstaat Deutschland zu verwirklichen. ( ... )"'"
Deutlich erkennbar sind die Bemühungen v. Mangoldts, der Kritik Rechnung zu tragen und die Unterschiede zur bisherigen "Fassung des Redaktionsausschusses". Doch gemessen an der endgültigen Fassung lag noch gutes Stück Wegstrecke vor den Mitgliedern des Ausschusses. Sogleich setzte wieder eine grundsätzliche Debatte ein, aber erst in der 21. Sitzung, am 16. November wurde an den Formulierungen gearbeitet. Zu Beginn dieser Sitzung resümierte v. Mangoldt über die bisherigen Diskussionen: "( ... ) ganz entsprechend der Stimmung in unserer Jugend besteht auch sonst ein starker Zug zur Sachlichkeit und fort von allem Pathetischen. Nach zwei Richtungen müssen wir uns also in der Präambel beschränken: wir müssen auf der einen Seite das Pathetische und auf der anderen Seite den Leitartikel-Stil zu vermeiden suchen, den Herr Kollege Heuss mit Recht immer als so unerwünscht bezeichnet hat. ( ... )"326
'" Siehe v. Doemming/FüssleinlMatz, Entstehungsgeschichte, S. 32. 326 Siehe Pikart/Werner, Ausschuß, S. 554.
II. Parlamentarischer Rat und Bonner Grundgesetz
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An der folgenden Aussprache über jeden einzelnen Satz waren Bergstraesser, Heuss, Pfeiffer und v. Mangoldt maßgeblich beteiligt. Schon zu Beginn machte v. Mangoldt einen Abänderungsvorschlag seiner eigenen Fassung. Er fand anstelle des bisherigen englischen und fränzösischen Stils "erfiillt von dem Willen" die Fonnulierung "in dem Willen" besser. 127 Diesen Auftakt empfand auch Anton Pfeiffer als eine gute Wort- und Lautkadenz. 321 Theodor Heuss wiederholte seine im Plenum vorgetragene Kritik darüber, daß der "Parlamen-tarische Rat" in der Präambel überhaupt genannt würde; schon der "saudumme" Name wäre doch keine Bezeichnung, sondern ein Verlegenheitswort. 329 Besonders engagiert wurde darum gerungen, ob die "Länder" das Grundgesetz beschlossen hätten oder "das deutsche Volk in den Ländern Bayern usw.". Nachdem sich diese Varianten herauskristallisiert hatten und die Diskussion hierüber dennoch nicht verstummen wollte, zog v. Mangoldt die Zügel wieder an: "( ... ) Ich glaube, wir brauchen die Sache hier gar nicht zu lösen; darüber wird es im Hauptausschuß noch eine Diskussion geben. Wir könnten zwei Fassungen nebeneinander stellen, und dann mag der Hauptausschuß darüber entscheiden. Es ist ja wesentlich, daß wir diese Dinge fördern. ( ... ),,330
Es folgten noch einige Wortstreichungen, insbesondere wurde im zweiten Absatz der Kritik von Heuss Rechnung getragen und die Bezugnahme auf Bonn und das Datum gestrichen; dann war die zweite Lesung der Präambel beendet. Dem Hauptausschuß wurde anschließend nachstehende Fassung übennittelt (Zur besseren Vergleichbarkeit sind die Sätze durchnumeriert): "( ... ) 1. Entschlossen, die Einheit der Nation zu erhalten, Variante I: hat das deutsche Volk in den Ländern Bayern usw .. Variante II : haben die deutschen Länder Bayern usw.. Abgeordnete entsandt, um in diesem Grundgesetz dem staatlichen Leben in einer Bundesrepublik Deutschland eine neue Form zu geben. 2. Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen und im Vertrauen auf die sittlichen Kräfte des deutschen Volkes, in der Überzeugung, daß dem deutschen Volke das unverzichtbare Recht geblieben ist, sein nationales Leben frei zu gestalten, in dem Willen, nach einer Zeit der Willkür und Gewalt die alten Freiheitsrechte und die geschändete Menschenwürde zu schützen und zu wahren, in der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Wohle der Menschheit dienen wird, 327
Vgl. ebd., S. 558. Vgl. ebd., S. 559. 32. Vgl. ebd., S. 560. 330 Siehe ebd., S. 563. 32.
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zugleich in der Erkenntnis, daß die Besetzung Deutschlands durch fremde Mächte die Ausübung eines freien nationalen Selbstbestimmungsrechts schweren Einschränkungen unterworfen hat, wurde unter Mitwirkung der Abgeordneten Groß-Berlins dieses Grundgesetz als verfassungsmäßige Ordnung des staatlichen Lebens geschaffen, dem deutschen Volke in den beteiligten Ländern zur Annahme vorgelegt und für deren Bereich beschlossen. 3. Bei der Durchfiihrung ihres Auftrages haben sich die Abgeordneten als stellvertretend auch für jene Deutschen empfunden, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt war. 4. Das Deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung seine nationale Einheit und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland zu vollenden. ( ... )"'31
Der Hauptausschuß entschied sich in seiner ersten Lesung der Präambel, am 10. Dezember 1948 mit einer Mehrheit von 14 gegen 7 Stimmen für die Variante I. Ansonsten wurde nur das Wort "geschändete" vor Menschenwürde gestrichen. Die Diskussion hielt sich nur deshalb in Grenzen, weil der Vorsitzende des Ausschusses, Carlo Schmid, - die Erfahnmgen aus dem Grundsatzausschuß vor Augen - nach v. Mangoldts einleitenden Bemerkungen darum bat, "( ... ) daß wir zum mindesten in dieser ersten Lesung bei der Besprechung der einzelnen Absätze nicht allzu viel Philologie treiben möchten, ( ... ). Der Redaktionsausschuß hat ja noch die Möglichkeit, das eine oder andere redaktionell zu bessern. Auch wir selber werden in der zweiten Lesung mehr Ruhe und Muße haben, die Fassungen noch auf ihre stilistische Perfektion hin zu überprüfen und JJ2 entsprechend zu verbessern. (... )"
Überraschenderweise präsentierte der Redaktionsausschuß, bestehend aus den Abgeordneten Heinrich v. Brentano, August Zinn und Thomas Dehler, drei Tage später eine Fassung, die nur in Grundzügen Übereinstimmungen mit dem Entwurf des Grundsatzausschusses aufwies. m Die redigierte Präambel war wesentlich kürzer und verzichtete insbesondere auf die von v. Mangoldt initiierte "Geschichtserzählung" . Der Redaktionsausschuß stellte seinem Entwurf die Überlegung voran, daß eine Präambel nur wenige markante Gedanken beinhalten sollte, die den Wesensgehalt der Verfassung kennzeichneten. So gesehen sei die vom Hauptausschuß beschlossene Präambel zu umfangreich. Der Vorschlag lautete schlicht und ergreifend: m
Der Wortlaut folgt der Anlage des Kurzprotokolls (pR 11.48-277). Vgl. auch PikartlWerner, Ausschuß, S. 576 Anm. 21. JJ2 Siehe Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 306. m Siehe PikartiWerner, Ausschuß, S. 876.
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"( ... ) 1. Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk in den Ländern Bayern usw. kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. 2. Es hat auch für jene Deutsche gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. 3. Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. ( ... )"334
In der letzten SitZWlg vor der Weihnachtspause wurde nicht über die Präambel verhandelt. Der Grundsatzausschuß hat sich erst im neuen Jahr wieder mit der Präambel befaßt. Über die Weihnachtszeit hatte sich v. Mangoldt Gedanken darüber gemacht, wie weit der Ausschuß den redaktionellen Wünschen des Redaktionsausschusses entgegen kommen könnte. 331 Die 33. SitZWlg, am 19. Januar 1949 wies als einzigen Tagesordnungspunkt die Aussprache über den Vorschlag des Redaktionsausschusses aus. Einleitend fragte v. Mangoldt, "( ... ) ob wir an dieses Zusammenstreichen herangehen wollen, so wie es der Redaktionsausschuß vorgesehen hat, oder ob wir an der etwas weiteren Form festhalten wollen. ( ... ),,336
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Ausschuß an seiner ursprünglichen Konzeption festhielt und die vom Hauptausschuß beschlossene Fassung allein stilistisch überarbeitete. In dieser Form legte der Grundsatzausschuß nach wiederholter Beratung am 26. Januar 1949 die Präambel dem Hauptausschuß zur dritten Lesung vor. 337 Die Arbeit des Ausschusses an der Präambel war damit beendet. Der Zufall wollte es, daß v. Mangoldt als Nachfolger v. Brentanos im Allgemeinen Redaktionsausschuss im Mai nocheinmal die Gelegenheit erhalten sollte, für "seine" Präambel einzutreten. Nun begann ein Hin und Her der Empfehlungen. Der Allgemeine Redaktionsausschuß empfahl am 25. Januar erneut seine Fassung vom 13. Dezember 1948.'" Zur Klärung der AuseinandersetZWlgen um die Rolle der zweite Kammer in der Gesetzgebung und über die Finanzverwaltung wurde zwischenzeitlich der - in der Geschäftsordnung nicht vorgesehene - interfraktionelle "FÜllferausschuß" einberufen, dem Schmid und Menzel für die SPD, v. Brentano und Kaufmann für die CDU sowie HöpkerAschoff für die FDP angehörten. In seinem voll durchformulierten "Grund-
Siehe Parlamentarischer Rat Grundgesetz (Entwürfe), S. 85. Vgl. ebd., S. 910. 336 Siehe Pikart/Werner, Ausschuß, S. 967. 337 Siehe ebd., S. 981 Anm. 7. 331 Siehe Parlamentarischer Rat Grundgesetz (Entwürfe), S. 117. 334 33l
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Dritter Teil: Bundesrepublik Deutschland
gesetzentwurf. Vorschlag des Fünferausschusses für die dritte Lesung des GG im Hauptausschuß" vom 5. Februar 1949 sprach er sich für die Präambel in der Fassung des Grundsatzausschusses aus.'" Der Hauptausschuß wiederum, faßte in seiner 47. Sitzung am 8. Februar keinen formellen Beschluß über die Präambel; nur die vom Fünferausschuß vorgeschlagenen redaktionellen Änderungen wurden beraten und angenommen. Somit galt im großen und ganzen noch die vom Grundsatzausschuß erarbeitete Fassung. In der Fraktionssitzung, am 16. Februar ist entschieden worden, daß v. Mangoldt die Berichterstattung für die Grundrechte im Plenum übernehmen solle. 34• Die kommenden Wochen sollten die Verfassungsbemühungen des Parlamentarischen Rats in eine ernste Auseinandersetzung mit den Alliierten führen und werden Aufschluß darüber geben, welche Rolle v. Mangoldt auf dem politischen Parkett seiner Fraktion spielte. Nach der dritten Lesung des Grundgesetzes im Hauptausschuß am 10. Februar sollte vor der Aussprache im Plenum des Parlamentarischen Rates die Zustimmung der Alliierten zu dem Entwurf vorliegen. Daher wurde der Entwurf den Militärgouverneuren zur Stellungnahme zugeleitet, die ihn anschließend zwei Wochen lang prüften. Am 2. März überreichten die Militärgouverneure einer Delegation des Parlamentarischen Rates in Frankfurt ein Memorandum und teilte der Abordnung mit, daß der Entwurf in acht Punkten keine Zustimmung erfahren hätte. Kurz vor dem Abschluß der Arbeit geriet die Arbeit am Grundgesetz in ihre ernsteste Krise. 341 Die Alliierten lehnten insbesondere die Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern und die Finanzverfassung ab. Letztere gewährleiste ihrer Meinung nach keine genügende Unabhängigkeit der Länder gegenüber dem Bund. Es galt, daß angespannte Verhältnis zu den Alliierten wieder zu normalisieren. Diese Bemühungen wurden durch die Auseinandersetzungen der CDU/CSU mit der SPD in den Kernfragen erschwert. Dennoch gelang es dem um Hans Seebohm für die DP und Johannes Brockmann für das Zentrum, vergrößerten "Fünferausschuß", dem "Siebenerausschuß", einen Komprorniß zu erarbeiten. Zu den am 18. März überreichten Gegenvorschlägen teilten die Militärgouverneure am 25. März lapidar mit, daß sie den im Memorandum vom 2. März niedergelegten Grundsätzen nicht entsprächen. Das Veto der Alliierten zum Grundgesetz schien damit eindeutig. Das Klima wurde zwar durch die Beschlüsse der Außenministerkonferenz in Washington zum Besatzungsstatut verbessert, doch gelang es der CDU/CSU nicht, eine Verständigung mit den Sozialdemokraten in der Frage der Finanzverfassung herbeizuführen.
33' 340 341
Siehe ebd., S. 173. Vgl. Wemer, Fraktion, S. 402. Vgl. BracherlEschenburg, Geschichte, S. 498.
11. Parlamentarischer Rat und Bonner Grundgesetz
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Die häufigen Fraktionssitzungen, zum Teil dreimal am Tag, sprechen fiir sich. Eile war geboten, die ins Stocken gekommenen Beratungen wieder in Gang zu bringen. Hinter den Kulissen begannen nun Versuche, die Absichten der Alliierten in Erfahrung zu bringen. Die SPD vertrat die Auffassung, den Alliierten gegenüber endlich einmal in einer Frage fest bleiben zu müssen, so daß die Deutschen einmal einen Sieg über die Alliierten erreichten."2 Adenauer hingegen wollte die Alliierten nicht provozieren und deshalb den Beanstandungen nachgeben. In die Zeit dieser politischen Turbulenzen fiel zudem nochdie zweite Heirat v. Mangoldts. Nachdem die erste Ehe geschieden worden war, heiratete er am 9. April in Wyck auf Föhr Waltraut Hunnius, eine Tochter des Gründers und Rektors der Baltenschule in Misdroy, Dr. earl Hunnius. Zwei Tage zuvor hatte er auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft fiir Völkerrecht aufgrund eines "eigenartigen Anlasses,,343 mit Walter Jellinek Freundschaft geschlossen. Zurück nach Bonn. Im Ergebnis sollten die Sozialdemokraten mit ihrer Ansicht der Stärkebekundung gegenüber den Alliierten Recht behalten. Nach dem "Nein von Hannover" des erweiterten Partei vorstands am 20. April ließen die Alliierten am 22. April dem Parlamentarischen Rat eine Note zukommen. Die Verbindung war also nicht abgerissen; die Alliierten wollten einen westdeutschen Staat. Der "geforderte Preis" war ihnen nicht zu hoch. Adenauer hatte sich verkalkuliert. In Frankfurt wurden dann am 25. April alle noch offenen Fragen zwischen den Alliierten und den deutschen Parteien geklärt. Die Abmachungen wurden in einer interfraktionellen Sitzung fixiert und dem Allgemeinen Redaktionsausschuß zur Bearbeitung übergeben. Die Krise war behoben, die Beratungen kamen wieder in Fluß. Hinsichtlich der Präambel blieb der Allgemeine Redaktionsausschuß hart. In seiner Stellungnahme vom 2. Mai hielt er nach wie vor an der Empfehlung der kurzen Präambel fest."< Da die Beratungen des Allgemeinen Redaktionsausschusses nicht protokolliert wurden, läßt sich heute nicht mehr ergründen, warum v. Mangoldt sich mit seiner Auffassung gegenüber Dehler und Zinn nicht hat durchsetzen können. Ob auch in diesem Zusammenhang das Memorandum der Alliierten vom 2. März zu einem Umdenken geführt hat, scheint zweifelhaft; war die Präambel doch nicht unmittelbar von der Kritik betroffen. Allenfalls der v. Mangoldt engagiert verfochtene Hinweis auf die Beschränkungen durch die Besetzung hätte den Unmut der Alliierten hervorrufen können. Möglicherweise war durch die alliierte Intervention 3.2 Vgl. die Erklärung von Carlo Schmid in, Salzmann, Fraktion, S. 457. 3.3 Vgl. Jellinek in: v. Mangoldt, Reden zu seinem Gedächtnis, S. 27. 344
Siehe ebd., S. 195,196.
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Dritter Teil: Bundesrepublik Deutschland
der Wille geschwächt worden, die eigene Fassung "durchzupauken" oder Anstoß zu erregen. Wie dem auch sei, es müssen jedoch gewichtige Gründe für die kurze Präambel gesprochen haben, denn v. Mangoldt schlug nun sogar der Fraktion vor, diese Fassung anzunehmen. So geschah es dann auch. Das Protokoll der Fraktionssitzungen bemerkt zu diesem Vorgang lapidar: "( ... ) Es wird dann in die Besprechung der Vorlage des Redaktionsausschusses eingetreten: Präambel: Neue Fassung von der Fraktion angenommen. ( ... )".'" Drei Tage später stellte August Zinn in der 57. Sitzung Hauptausschusses im Namen von Thomas Dehler und v. Mangoldt den Antrag, die Präambel in der Fassung der dritten Lesung des Hauptausschusses durch den Vorschlag des Redaktionsausschusses zu ersetzen. Die gesamte Arbeit sollte nunmehr in demokratischer Weise einer Entscheidung zugefiihrt werden. Der Vorsitzende, Carlo Schmid ließ darüber abstimmen: der Antrag wurde mit 18 gegen 1 . Stunme angenommen. ". Keine vorangegangene Erörterung, keine Nachlese in der Fraktion. Im Verhältnis zur Wortgewaltigkeit der vorangegangen Auseinandersetzungen um die Präambel fällt deren Beschluß beinahe stumm aus. Am 5. Mai erhob Carlo Schmid, als Generalberichterstatter, in der zweiten Lesung des Grundgesetzes im Plenum des Parlamentarischen Rates abschließend seine Stimme zur Präambel: "( ... ) Dem Grundgesetz ist eine Präambel vorangestellt. Diese Präambel ist mehr als nur ein pathetischer Vorspruch. Sie zählt - ( ... ) - die konstitutiven Faktoren auf, die wirksam geworden sind, und sie besagt, was geschaffen werden sollte und was noch nicht geschaffen werden konnte. Diese Präambel enthält also rechtlich erhebliche Feststellungen, Bewertungen, Rechtsverwahrungen und Ansprüche zugleich. ( ...)"347
Das Plenum nahm die Fassung des Hauptausschusses aus der vierten Lesung gegen 2 Stimmen und drei Stimmenenthaltungen an."" In der dritten Lesung des Grundgesetzes im Plenum, am 8. Mai, wurde die Präambel dann endgültig ohne Erörterung angenommen."· Ein mühsamer und langwieriger Weg war beendet. In seinem Kommentar kann v. Mangoldt nicht auf Kritik an der kurzen Präambel verzichten: "( ... ) Die ursprüngliche, ... sehr viel weitere Fassung der Präambel ist erst bei der allgemeinen Schlußdurchsicht des Werks in der 4.
'" Vgl. Salzmann, Fraktion, S. 530. 346 Vgl. Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 744. 3.7 Siehe Steno Berichte über die Plenarsitzungen, S. 17l. 3'" Siehe ebd., S. 175. 3••
Siehe ebd., S. 221.
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Lesung des Hauptausschusses gefallen. (... ),,350 Den tatsächlichen Beratungsgang gibt er mit dieser Version nicht vollständig wieder. Nur ungern wird v. Mangoldt dem politischen Druck der März/April Krise gewichen sein und seine Überzeugungen zugunsten der "reibungslosen" Annahme des Grundgesetzes durch die Alliierten geopfert haben. Die Protokolle der Fraktionssitzungen machen gerade vor dem Hintergrund dieser Krise deutlich, daß v. Mangoldt nicht zur politischen Führungsriege der Fraktion gehörte. Während er damit beauftragt war, die Haltung der FDP in Sachen "Polizeibrief" zu eruieren35l und auch die letzten Vorschläge der Fraktion zu den Formulierungen der Grundgesetzartikel sämtlich mit dem Hinweis versehen waren "Zurückgestellt zur Besprechung mit Dr. v. Mangoldt"m, wird sein Name im Zusammenhang mit der März/April Krise nicht einmal erwähnt. Hingegen dominieren in diesen Tagen die Namen Adenauer, v. Brentano, Kaufmann, Laforet, Lehr, Pfeiffer, Strauß und Süsterhenn. Diese Feststellung wird noch dadurch unterstützt, daß sich im Nachlaß Konrad Adenauers nur sehr vereinzelte Hinweise auf eine Korrespondenz mit v. Mangoldt befinden, die sich zudem überwiegend auf Vorgänge nach der Zusammenarbeit im Parlamentarischen Rat beziehen. b) Die Bundespräsidentenwahl, Mehrheit im Bundesrat - der Systematiker
Auf die Spuren, die das mathematische Erbe v. Mangoldts insbesondere bei der Entstehungsgeschichte des jetzigen Artikel 54 Grundgesetz (in den Beratungen Artikel 75), hinterlassen hat, wies bereits Walter Jellinek in seinem Nachruf hin.'" Es mag dahinstehen, ob tatsächlich ein innerer Zusammenhang zwischen Mathematik und Rechtswissenschaft besteht, wie Jellinek angesichts der Tatsache, daß v. Mangoldts Vater Professor der Mathematik war, angenommen hat; v. Mangoldts Beitrag zur endgültigen Fassung dieses Artikels ist charakteristisch und findet sich selbst in zeitgenössischen Beschreibungen seiner Wesensart. Der britische Verbindungsoffizier Chaput de Saintonge schrieb ihm neben seiner ausgesprochenen maritimen Neigung dazu siehe unten c) - nämlich auch eine "pedantische Ader" zu. 35.
Siehe v. Mangoldt, Kommentar, S. 30. Vgl. Salzmann, Fraktion, S. 546. Bei dem "Polizeibrief' handelte es sich um eine Stellungnahme der Alliierten zur Kompetenzverteilung Bund-Länder in Polizeian§~legenheiten; abgedruckt bei v. Mangoldt Kommentar als Anhang Nr. 1. Vgl. ebd., S. 534 und 537. '" Walter Jellinek, in: von Mangoldt Reden zu seinem Gedächtnis, Veröffentlichungen der Schleswig-Holsteinischen Universitätsgesellschaft N.F. Nr. 6, Kiel 1953, S.10-32. 35. Vgl. Pommerin, Mitglieder, S. 576. 350 351
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Dritter Teil: Bundesrepublik Deutschland
Nachdem der Formulierungsvorschlag des Artikel 75 Grundgesetz längst aus dem Fachausschuß in den Hauptausschuß gelangt war, sich dort bereits in der dritten Lesung befand - also ausreichend Gelegenheit fiir alle Beteiligten bestanden hatte, Ungenauigkeiten zu bemerken - meldete sich v. Mangoldt bei der Beratung der Fassung des Fünferausschusses zu Wort. "( ... ) Zu Absatz 5 nur eine redaktionelle Änderung .... Es heißt in der Fassung des Redaktionsausschusses: "Mehrheit der Stimmen der Mitglieder der Bundesversammlung erhält." Dieses Wort "erhält" steht am Ende des ersten und des zweiten Satzes. Am Ende des ersten Satzes könnte man ein anderes Wort wählen, "Auf sich vereinigt" habe ich vorgeschlagen. Außerdem darf es nicht heißen: "Mehrheit der Stimmen der Mitglieder", sondern es muß heißen: "die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder". Wir unterscheiden zwischen der Mehrheit der Mitglieder im Bundestag und in der Bundesversammlung ... und der Mehrheit der Stimmen im Bundesrat. Deshalb müssen wir hier konsequent sein und sagen: "Die Stimmen der Mehrheit der · I'leder (....) ,,311 MItg Dieser Argumentation schloß sich der Hauptausschuß an und ohne Frage ist diese "unscheinbare Verbesserung,,31' entscheidend. Es besteht ein deutlicher Unterschied zwischen "der Mehrheit der Stimmen der Mitglieder" und "den Stimmen der Mehrheit der Mitglieder". Während im ersten Fall die Mehrheit der Stimmen von Bedeutung ist, also denkbar wäre, daß derjenige gewählt ist, der bei weniger abgegebenen Stimmen, als die Bundesversammlung Mitglieder zählt, gibt im zweiten Fall, die Mehrheit der Mitglieder den Ausschlag. Die praktische Relevanz des v. Mangoldfschen Beitrags ist in der beinahe fünfzig Jahre währenden Praxis der Bundespräsidentenwahlen gleich Null: der erste Fall ist bislang nicht einmal eingetreten. Dennoch, einzig die klare Unterscheidung v. Mangoldts bringt das Gewollte zum Ausdruck und fügt sich in die Systematik des Grundgesetzes ein. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls das Bestreben v. Mangoldts zu erwähnen, die Mehrheitsmodalitäten im Bundesrat einer gesetzlichen Regelung zuzuführen. In der 51. Sitzung des Hauptausschusses, am 10. Februar 1949 also wiederum im fortgeschrittenen Stadium der Beratungen - wartet v. Mangoldt erneut mit einem "kleinen redaktionellen Zusatz" auf. Dem Artikel 138 c-6, dem heutigen Artikel 122 Grundgesetz, sollte eine ähnliche Legaldefinition fiir den Begriff "Mehrheit der Stimmen des Bundesrates" hinzugefügt werden. Der Antrag v. Mangoldts wird allerdings ohne Begründung abgelehnt. 317 Der Zusammenhang zwischen Recht und Mathematik liegt in diesem Fall einerseits in der Frage, ob Beschlüsse des Bundesrates mit 311 Siehe Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 641. 31' Siehe Jellinek, Reden zu seinem Gedächtnis, S. 14. 317 Vgl. Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 678.
11. Parlamentarischer Rat und Bonner Grundgesetz
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relativer oder mit absoluter Mehrheit gefaßt werden müssen und andererseits, mit welcher Mehrheit der Bundestag solche Beschlüsse des Bundesrates zurückweisen kann. Denkbar sind nämlich drei Abstimmungsvarianten im Bundesrat: eine Mehrheit der Ja-Stimmen gegenüber den Nein-Stimmen (einfache Abstimmungsmehrheit), eine Mehrheit der Ja-Stimmen gegenüber den Nein-Stimmen zuzüglich der Enthaltungen (Mitgliedermehrheit) und eine Zwei-Drittel-Mehrheit.'" Entsprechend sah v. Mangoldt es bei Bundesratsbeschlüssen, die mit einfacher Mehrheit gefaßt worden sind, für ausreichend an, wenn der Bundestag diesen Beschluß ebenfalls mit einfacher Mehrheit zurückweist. Das Grundgesetz hingegen verlangt für die Überwindung eines Einspruchs des Bundesrats immer die Mitgliedermehrheit. Die entsprechende Regelung des Art. 52 Abs. 3 Grundgesetz, damals noch Artikel 68, sieht nur vor, daß der Bundesrat Beschlüsse mindestens mit der Mehrheit seiner Stimmen faßt. Was unter dieser "Mehrheit der Stimmen" zu verstehen ist, bleibt uns das Grundgesetz schuldig. Diese Problematik, die in den Anfangsjahren der Republik erhebliche verfassungsrechtliche Kontroversen auslösen sollte, sah v. Mangoldt voraus und wollte deshalb eine klare systematische Lösung schaffen. Den Willen, 'einen Sachverhalt so klar wie möglich auszudrücken und die bohrende Art, darin nicht nach zu geben, ist seit den Verfassungsberatungen in Schleswig-Holstein, wo v. Mangoldt bei der Formulierung über Zusammensetzung der Landesregierung ähnlich beharrlich argumentierte; ganz zu schweigen von dem "Fall Beck" in Tübingen, bekannt. c) Die Bundesflagge - der MarineoffIZier
Die elfte Sitzung, am 14. Oktober 1948 war die Geburtsstunde eines leidenschaftlich gefiihrten Streits über die Bundesfarben, der erst im Plenum entschieden werden sollte. Zu Beginn war v. Mangoldt der Auffassung, daß die zukünftige Nationalversammlung hierüber zu entscheiden hätte und bis dahin die Farben der Weimarer Republik gelten sollten.'" In der anschließenden kurzen Aussprache hierüber zeigten sich bereits die verschiedenen Standpunkte. Carlo Schmid akklamiert vor dem Hintergrund der Geschichte der Sozialdemokratie schwarz-rot-gold für die SPD. Während Heuss auch die innerdeutschen Aspekte einer Entscheidung über die Farben im Auge hatte und daher für schwarz-rot-gold war, argumentierte v. Mangoldt überwiegend formal. Er war der Auffassung, daß es nicht zweckmäßig sei, den Flaggenstreit durch eine Entscheidung vorwegzunehmen. Vielmehr ginge es darum, organisatorische Bestimmungen zu schaffen, damit der Staatsapparat arbeiten könne.
JII Vgl. Jellinek, Reden zu seinem Gedächtnis, S. 13. Jl·Vgl. Pikart/Wemer, Ausschuß, S. 300.
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Dritter Teil: BWldesrepublik Deutschland
Erstaunlicherweise brachte Pfeiffer - nicht v. Mangoldt - die Diskussion wieder auf den Punkt, indem er feststellte: "( ... ) Wir haben die Wahl zwischen zwei Formulierungen. Wir sagen entweder: Der BWld führt die Farben schwarz-rot-gold, oder wir sagen: Bis zur RegelWlg durch ein BWldesgesetz führen die BWldesbehörden usw. die Farben schwarz-rot-gold. Ich vermag nicht mit einiger Genauigkeit vorherzusagen, wie Wlsere Fraktion in ihrer Gesamtheit entscheiden wird. Ich möchte bitten, diesen Punkt jetzt zu verlassen, damit wir Gelegenheit haben, in der Fraktion StellWlg zu nehmen. ( ... ),,360
Bei der am Nachmittag desselben Tages stattfindenden Fraktionssitzung unterstrich v. Mangoldt nochmals, daß er der Meinung sei, die Frage von der zu wählenden Nationalversammlung entscheiden zu lassen. Das Ergebnis der Sitzung war allerdings nicht mehr als ein Vertagungsbeschluß in dieser Frage für den Grundsatzausschuß. 361 Die unterschiedlichen Beratungsebenen im Parlamentarischen Rat brachten es mit sich, daß die Arbeit in den Ausschüssen auch verzögert werden konnte. Die Schwierigkeit beispielsweise in der CDU/CSU-Fraktion in der Frage der Bundesfarben zügig eine einheitliche Meinungsbildung herbeizuführen, behindert den Ausschuß in seiner Arbeit; es kommt zu Verzögerungen. 3. ' Nachdem v. Mangoldt den Vertagungswunsch seiner Fraktion im Grundsatzausschuß am 15. Oktober durchgebracht hat und die Klärung dieser Frage auf den 20. Oktober vertagte, konnte die Fraktion in ihrer Sitzung am 22. Oktober noch immer keine Einigung herbeiführen. Vor der Fraktion wiederholte v. Mangoldt, daß zunächst die Vorfrage geklärt werden müsse, wer für die Lösung der Frage zuständig sei, der Parlamentarische Rat oder die zukünftige Bundesregierung, wohingegen von anderer Seite dringend ein gemeinsames Vorgehen mit der DP und der FDP empfohlen wurde. 3• 3 In der Ausschußsitzung vom 20. Oktober, an der v. Mangoldt nicht teilgenommen hatte, vertraten Heuss und Bergstraesser wiederholt die Auffassung, daß andere Farben als schwarz-rot-gold nicht in Frage kämen. Nur die CDU/CSU äußerte sich noch nicht. Am 26. Oktober wurde in der CDU/CSU Fraktion immerhin darüber Einigung erzielt, daß der Parlamentarische Rat die Farbenfrage entscheiden könne und daß an die alten Farben schwarz-rot-gold angeknüpft werden sollte. 364
360
Siehe ebd., S. 303.
3., Vgl. Salzmann, Fraktion, S. 81. Vgl. Pikart/Wemer, Ausschuß, S. XXIV. Vgl. Salzmann, Fraktion, S.86. 364 Vgl. ebd., S. 87.
3.2 3.3
II. Parlamentarischer Rat und Bonner Grundgesetz
111
Einen Tag später hingegen, spielte v. Mangoldt dann selbst auf Zeit. Er gab im Ausschuß noch nicht die Haltung seiner Fraktion bekannt, sondern erklärte lediglich, daß die Frage so weit reif sei, daß er sich im Namen der Fraktion in der nächsten Sitzung dazu äußern könnte, ob die Frage überhaupt in das Grundgesetz aufgenommen werden sollte.'" Endlich, am 3. November war es soweit: v. Mangoldt gab bekannt, daß seine Fraktion die Bundesfarben im Grundgesetz geregelt wissen wollte. Zur Frage der Zusammenstellung fiihrte er aus: "( ... ) Es bestehen gegen die reine Trikolore aus den verschiedensten Gründen noch gewisse Widerstände, einmal aus der schlechten Erkennbarkeit, zweitens aus dem Grunde, daß etwas Neues geschaffen werden sollte, daß die alte Trikolore aus den geschichtlichen Zusammenhängen heraus in ziemlich breiten Kreisen gewisse Widerstände findet. Da müßte bei uns noch eine Entscheidung herbeigeführt werden. ( ... ),,366
Darauf entgegnete Bergstraesser, daß dem Ausschuß sehr erwünscht sei, daß diese Entscheidung möglichst bald erfolge. Für die SPD gäbe es ohnehin nur die Trikolore. Heuss griff den Vorschlag einer Kreuzgestaltung der CDU auf und lehnte ihn als zu gekünstelt ab; auch er ist für die Trikolore. Nun meldete sich Mayr zu Wort: "( ... ) Ohne den Beschluß meiner Fraktion vorwegzunehmen, darf ich wohl aussprechen, daß die überwiegende Mehrheit die Trikolore ablehnt. Grundsätzlich sind wir für die Farben schwarz-rot-gold. Wir haben sehr viel Sympathie für einen der letzten Entwürfe gezeigt, ( ... ) das ist das Kreuz mit den Farben schwarz-rot-gold aufgeteilt in den vier Ecken. Gerade diese Kreuzaufteilung hat uns sehr gut gefallen. Wir bleiben also bei den Grundfarben schwarz-rot-gold, wollen aber etwas völlig Neues schaffen. (. .. ),,367
Die folgende Äußerung v. Mangoldts: "(00') tatsächlich wäre die Zusammenstellung mit dem Kreuz für die See sehr viel sichtiger (00.),,36. ist typisch für ihn: es spricht der Marineoffizier. Die Erfahrungen auf See lassen ihn sein ganzes Leben nicht los. Welch' Wunder; immerhin hat er beinahe zehn Jahre seines Lebens in der schweren See des Krieges verbracht. Daraufhin entgegnete Greve: "Das Argument mit der Sicht auf See ist m.E. so schlecht, wie es alt ist." Das konnte v. Mangoldt nicht auf sich sitzen lassen:
Vgl. Pikart/Wemer, Ausschuß, S. 425. Siehe Pikart/Wemer, Ausschuß, S. 466. 367 Siehe ebd., S. 467. 368 Siehe ebd., S. 468-469. 36>
366
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Dritter Teil: Bundesrepublik Deutschland
"Ich bin zehn Jahre zur See gefahren und bin den ganzen letzten Krieg auf See gewesen. Davon weiß ich auch etwas." Greve aber konterte: "( ... ) Solange Sie direkte Sicht haben, sehen Sie die Flagge schwarz-rot-gold genauso wie jede andere, im übrigen nehmen Sie das Fernglas. Auf diese mehr oder weniger an den Haaren herbeigezogenen Gründe, wie sie zur Zeit der Verfassung von Weimar zum Ausdruck gebracht wurden, einzugehen. lohnt sich wirklich nicht. ( ... )"
Von Mangoldt gab sich versöhnlich und stimmte Greve teilweise zu,"( ... ) aber ganz ablehnen kann man diese Dinge nicht. Tatsächlich ist gerade diese Zusammenstellung sehr schwer zu sehen." Nocheinmal konterte Greve, indem er darauf hinwies, daß die Flagge hauptsächlich im Hafen gefiihrt wird. Doch v. Mangoldt gab nicht nach: "Auf hoher See ist das Flaggenzeichen sehr wichtig." Nun nahm das Zwiegespräch die Ausmaße einer Diskussion an. Zimmermann widersprach v. Mangoldt in seiner Eigenschaft "als ehemaliger Seemann" und brachte die Sache auf den Punkt: "( ... ) denn wir haben, bevor wir die drahtlose Telegraphie hatten, unsere Signale mit Flaggen gegeben, mit gelb usw. Als man die schwarz-weiß-rote Flagge zur Handelsflagge mit einer geradezu beschämend kleinen Gösch genommen hat, ist da mehr eine Gesinnung zum Ausdruck gekommen. ( ... )"
Weiter fuhr Zimmermann fort: "Wenn die Flagge auf hoher See gezeigt wird, dann wird sie nur mit dem Glas erkannt. In Belgien sind es ja auch die gleichen Farben. Ich habe nie gehört, daß die belgisehe Flagge dadurch in ihrer Sichtbarkeit beeinträchtigt wird. (... )" Trotz dieser klaren Worte konnte v. Mangoldt nicht auf eine Erwiderung und ein näheres Eingehen auf das Flaggenalphabet verzichten: "( ... ) Es dreht sich jetzt allein um die Farbenzusammenstellung. Wenn Sie das internationale Flaggenalphabet ansehen, dann finden Sie, daß dort auf diese Farbenzusammenstellung außerordentliches Gewicht gelegt ist und gut sichtbare Verwürfelungen eine besondere Rolle spielen. Sie finden dort vor allem auch die Kreuzform und die Farben rot-weiß.( ... ) Drei Streifen nebeneinander finden Sie im internationalen Flaggenalphabet so gut wie überhaupt nicht. Das zeigt, daß die Frage der Sichtbarkeit doch nicht so unwesentlich ist, wie das hier ausgesprochen wurde. ( ... )"
Sobald die Marine ins Spiel kommt, tritt v. Mangoldts Vergangenheit als Offizier deutlich zu Tage. Ansonsten wäre es nicht zu erklären, weshalb der so strenge und sachliche Vorsitzende bei diesem Thema die Übersicht über die entscheidende Frage verliert und die Frage der Bundesflagge auf die rein seemännische Sichtbarkeit reduziert. Aber die Zeit im blauen Tuch läßt ihn nicht los. Der britische Verbindungsoffizier Chaput de Saintonge formuliert
11. Parlamentarischer Rat und Bonner Grundgesetz
113
diese Eigenart v. Mangoldts so:" ( ... ) In private conversation, Mangoldt is inclined to be either pedantic or reminiscent, talking at great length either on legal points or on his experiences in the Gennan navy.( ... ),,369 Die Erinnerungen an die Marine kennen wir schon aus der Aufbauzeit in Kiel, wo v. Mangoldt auf den Hinweis auf das hohe Niveau eines von ihm abgehaltenen Seminars geantwortet haben soll, "Das sei wohl selbstverständlich, es seien schließlich Marineoffiziere unter den Teilnehmern." Theodor Heuss führte die Aussprache in der ihm eigenen schmunzelnden Art auf die eigentliche Frage zurück: "( ... ) Über die Sache mit der See sind wir uns einig, die Sichtigkeit spielt praktisch keine Rolle, nur für den Zweck der Signalgebung. Aber da die Deutschen in der überwiegenden Mehrzahl kein seefahrendes Volk sind, sondern diese Flagge bei anderen Gelegenheiten vorgesetzt bekommen, entsteht die Frage gar nicht vom Symbolcharakter, sondern von ästhetisch wirkungsvollen Charakter. ( ... )"
Jetzt erst war v. Mangoldt wieder bei der Sache. In Anlehnung an die Fonnulierung der Weimarer Verfassung schlägt er vor, zu sagen "( ... ) der Bund führt die schwarz-rot-goldene Flagge, (... ).310 Nach dem Einwand von Wilhelm Heile, wie bei dieser Fonnulierung andere Bundessymbole farblich zu gestalten seien, fonnulierte v. Mangoldt um in: "( ... ) Die Farben des Bundes sind schwarz-rot-gold. (... ),,311 Mit diesem Kompromiß ging es wieder in die Fraktionen. Die der CDU/CSU traf sich noch am selben Nachmittag. Doch mehr als ein Eingehen als auf die parteipolitische Dimension der Frage wurde nicht erreicht. Adenauer hielt am Kreuz fest und war der Meinung, daß viel erreicht würde, wenn man die SPD zur Aufuahme eines Kreuzes in die Flagge bewegen könnte. J12 Deutlicher kann der unterschiedliche Ansatz nicht sein. Während v. Mangoldt nach anfänglicher Marine-Irrung die Sache selbst im Auge hatte, dachte Adenauer in anderen Bahnen: über die bloße Problemlösung hinaus, ging es ihm auch um die politische Dimension, um politisches Kräftemessen. Zwei Tage später, in der nächsten Sitzung des Ausschusses, am 5. November, trug Anton Pfeiffer den Vorschlag der CDU/CSU Fraktion vor, der auf rotem Grund ein schwarzes liegendes Kreuz und auf diesem aufgelegt ein goldenes Kreuz vorsähe. J1J Dem widersprach sogleich Bergstraesser indem er auf die schon bekannte Haltung der SPD hinweist: Trikolore und sonst gar nichts. Sofort schloß sich Heuss an und wiederholte seine Ausführungen, daß
Siehe Pommerin, Mitglieder, S. 576. Siehe ebd., S. 470. 311 Siehe ebd., S. 471. J12 Vgl. Salzmann, Fraktion, S. 121. J1J Vgl. PikartlWerner, Ausschuß, S. 485.
369
310
8 Rohlfs
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Dritter Teil: Bundesrepublik Deutschland
er gegen "Kunstgewerbe" seL'" Die Debatte wurde schärfer und persönliche Angriffe blieben nicht aus. Als der Abgeordnete Stock gegen Carl Schröter wetterte, daß der sehr lange Zeit auf schwarz-weiß-rot geschworen habe, greift v. Mangoldt ein und machte sich zum Anwalt seines Landtagskollegen. Ebenso wies er Bergstraesser in seine Schranken, als dieser sagte, daß alle guten Demokraten die Trikolore wählen würden und damit gleichzeitig die Anhänger anderer Vorschläge disqualifizierte; v. Mangoldt hielt eine solche Verschärfung der Diskussion nicht für zweckmäßig, worauf Bergstraesser das Gesagte zurücknahm.'" Aber auch diese Sitzung wurde ohne greifbares Ergebnis beendet. Zum Abschluß faßte v. Mangoldt das weitere Vorgehen zusammen: "( ... ) Ich würde sagen, die Dinge sind jetzt genügend diskutiert. ( ... ) Das ist vielmehr eine Angelegenheit, die in die interfraktionellen Besprechungen und zur Abstimmung im Plenum oder im Hauptausschuß gehört. Deshalb möchte ich vorschlagen, daß wir zwei Entwürfe vorlegen, den alte Entwurf, ... nach welchem die Bundesfarben schwarz-rot-gold sind, und den anderen Entwurf von unserer Seite, ( ••• )"376
In der zweiten Lesung wurde im Ausschuß hierüber nicht mehr diskutiert. J77 Der Ausschuß kam überein, die Frage im Hauptausschuß klären zu lassen. Doch dort waren die Positionen ebenso verhärtet"', wie im Grundsatzausschuß, so daß erst im Plenum3,. eine Entscheidung herbeigeführt werden konnte. Nachdem die CDU/CSU ihre Forderung nach dem Kreuz fallen gelassen hatte, war der Weg frei für die heute geltende Formulierung des Artikel 22 Grundgesetz: " Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold". In den entsprechenden Erläuterungen des Kommentars zu Artikel 22 Grundgesetz zeichnet v. Mangoldt das zähe Ringen um die Formulierung nach. Er zeigt sich dort als guter Verlierer und gleichzeitig als bescheidener Gewinner. Immerhin gibt er zu der von ihm ins Spiel gebrachten Frage der Sichtbarkeit die Einschätzung "als an den Haaren herbeigezogen" wieder. Zudem erklärt er, daß der Ausschuß sich den Vorschlag Heiles zu eigen machte, obwohl die Formulierung in Wirklichkeit von ihm selbst stammte und Heile lediglich auf die Gestaltungsproblematik anderer hoheitlicher Symbole hingewiesen hatte. J74
Vgl. ebd., S. 486. Vgl. ebd., S. 492. 376 Siehe ebd., S. 494. J77 Vgl. ebd., S. 541. m Vgl. Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 265f.. 379 Vgl. Steno Berichte über die Plenarsitzungen, S. 226f..
m
11. Parlamentarischer Rat \Uld Bonner Gr\Uldgesetz
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d) Der Gleichheitssatz des Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz - späte Frucht
Die Vennutung liegt nahe, daß Hennann v. Mangoldt mit besonderer Leidenschaft an der Erarbeitung des Gleichheitssatzes mitgewirkt hat. Immerhin widmete er dessen Untersuchung den Großteil von "Rechtsstaatsgedanke und Regierungsfonnen". Die Protokolle der Ausschußsitzungen zeigen indes, daß v. Mangoldt bei den Beratungen ebenso sachlich wie kooperativ an das Thema herangegangen ist, wie zuvor bei anderen Artikeln. Bereits die Weimarer Reichsverfassung enthielt in Artikel 109 den Satz: "Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich." Der Entwurf von Herrenchiemsee fonnulierte in Artikel 14: "Vor dem Gesetz sind alle gleich." Bei v. Mangoldts Neigung, das Wesentliche heraus- und voranzustellen, ist es nicht verwunderlich, daß die Fonnulierung des Artikel 14 Herrenchiemsee-Entwurf im Grundsatzausschuß keine Zustimmung fand. Nachdem der interne Redaktionsausschuß zweimal zusammengetreten war und an den Fonnulierungen gearbeitet hatte, stellte Bergstraesser schon in der sechsten Sitzung, am 5. Oktober 1948 die heute als Artikel 3 Absatz 1 geltende Fassung des Artikel 18 vor. Der Redaktionsausschuß war auf die Fonnulierung "alle Menschen" gekommen, weil das voller und klarer klänge und hatte sie anstelle des nüchternen "alle" gesetzt. Der Vorschlag Bergstraessers, dem Satz der Gleichberechtigung von Mann und Frau einen Satz hinzuzufügen, der die gleiche von Frauen und Jugendlichen Entlohnung regele, fand insbesondere bei v. Mangoldt keinen Anklang. Er warnte vor die Konkretisierung des Gleichheitssatzes in diese spezielle Richtung, da hierdurch Wünsche hervorgerufen würden, gleiches auch in andere Richtungen zu unternehmen. Zudem würde der Grundrechtsteil in seiner Ausgestaltung gefährdet werden, da der Vorschlag in das Gebiet der sozialen und kulturellen Ordnung hineinführe, von der im Grundrechtsteil abgesehen werden sollte."· Mit der humoristischen Begleitung von Theodor Heuss: "( ... ) Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich, insbesondere vor der Reichsbesoldungsordnung. ( ... ),,381 verschwand Artikel 18 bis zur zweiten Lesung der Grundrechtsartikel von der Tagesordnung. Erst in der 26. Sitzung kam er als Artikel 19 auf die Tagesordnung. Zwischenzeitlich wurde in der CDU/CSU Fraktion der Antrag Bergstraessers in modifizierter Fonn aufgegriffen. Helene Weber wollte der SPD zuvorkommen und deshalb die gleiche Entlohnung von Mann und Frau bei gleicher Arbeit festgeschrieben wissen. Gegen die taktischen Erwägungen konnte sich
38. Vgl. PikartiWemer, Ausschuß, S. 143.
381 Siehe ebd., S. 145.
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Dritter Teil: Bundesrepublik Deutschland
v. Mangoldt mit dem Hinweis, daß das schon im bisherigen enthalten sei nicht durchsetzen. Der vom Allgemeinen Redaktionsausschuß in erster Lesung formulierte Artikel, der nun als Artikel 1b nach vorne gerückt war und offensichtlich von Thomas Kritik'" beeinflußt war, lautete: "( ... ) 1. Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich. 2. Der Gesetzgeber muß Gleiches gleich, Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. 3. Jedoch darf niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Heimat oder Herkunft, seiner religiösen oder politischen Anschauung bevorrechtigt oder benachteiligt werden. ( ... )"313
Am 30. November begann die zweite Lesung des Artikels mit Ausführungen v. Mangoldts zum Gleichheitssatz. Unverständnis äußerte v. Mangoldt darüber, daß der Allgemeine Redaktionsausschuß die Gleichheit nur auf "Deutsche" beschränken wollte. Es schien ihm nicht gut möglich, den Freiheitsstaat auf "jeden" zu beziehen und den Gleichheitssatz einzuschränken. Hinter diesen wenigen Worten des Unverständnisses verbarg sich eine der tiefgreifenden Neuerungen gegenüber der Weimarer Verfassung. Später schrieb v. Mangoldt hierüber: "( ... ) überall dort, wo es sich nicht um engstens mit der Staatsangehörigkeit zusammenhängende Rechte handelt, (sind, Anm. d. Verf.) die Grundrechte als a 11gern ein e M e n s c h e n r e c h t e ausgestaltet. Anders zu verfahren hätte 31. geheißen, den Rechtsstaatsgedanken gegenüber Ausländern zu verneinen. ( ... )"
Eingehend erörterte v. Mangoldt im weiteren Verlauf die Frage, ob die Formulierung "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich" treffe, was eigentlich gemeint sei und nicht zu ungewollten Konsequenzen fUhren würde. Es kommt einem dabei vor, als hätte er "Rechtsstaatsgedanke und Regierungsformen" vor sich liegen gehabt'" '" Richard Thoma (1874-1957), bis zur Emeritierung Professor in Bonn, hatte v. Mangoldt unter Bezugnahme auf ein Treffen am 15. Oktober eine kritische Würdigung des vom Grundsatzausschuß beschlossenen Grundrechtskatalogs übersandt. Dem Art. 19 wollte er einen vierten Absatz hinzufügen, der besagte, daß die Gesetzgebung Gleiches gleich und Ungleiches verschieden behandeln sollte. Näheres siehe Pikart/Werner, Ausschuß, S. 361, Fn. 1-3. 313 Siehe Pikart/Werner, Ausschuß, S. 578. 314 Siehe v. Mangoldt, Grundrechte und Grundsatzfragen des Bonner Grundgesetzes, AöR N.F. 75 (1949), S. 278. m Auf den Seiten 20 lf., 205ff. und 231 finden sich die entsprechenden Gedanken.
11. Parlamentarischer Rat und Bonner Grundgesetz
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"( ... ) alle Menschen müssen gleich behandelt werden, es soll ihnen in der gleichen Behandlung ein sogenannter "minimum standard of free society" gewährleistet werden. Das ist die Verbindung von Gleichheitssatz und Freiheitssatz. Die Gleichheit besteht darin, daß ein "minimum standard of free society" allen gewährleistet wird. (... ) Meiner Anschauung nach muß der Gesetzgeber hinsichtlich eines Mindestmaßes an Rechten alle gleich behandeln. Dann gibt es darüber hinaus einzelne Rechte und Pflichten, bei denen er auf Grund einer Verschiedenheit, ( ... ), verschieden behandeln kann. ( ... ) Wenn man sagt: Alle Menschen sind gleich, so zeigt sich eben, daß sie praktisch nicht vollkommen gleich sind, sondern es gewisse Dinge gibt, die auf Grund der bei den Menschen nun einmal naturgegebenen Nuancierung zu einer anderen Regelung fUhren müssen. (... )""6 In unmittelbarem Zusammenhang mit der Gewährleistung dieses "minimum standard of free society" wurde die Frage diskutiert, ob hierdurch auch der Gesetzgeber gebunden werden würde. Unter der Weimarer Verfassung war diese Frage stark umstritten gewesen. Auch hier sollte das Grundgesetz eine Fortentwicklung der bisherigen Kodifikation darstellen. Von Mangoldt führte dazu aus: "( ... ) Der Gleichheitssatz hat in der Weimarer Verfassung bestanden. Nur ist die Ausdeutung, daß er eine Weisung auch an den Gesetzgeber ist, erst durch die Rechtsprechung hereingekommen. Das hat dazu gefUhrt, daß er in der Rechtsprechung vorsichtiger ausgelegt worden ist. ( ... ) Wir gehen hier schon einen Schritt weiter und sagen diese Norm bindet auch den Gesetzgeber. Wenn ein Gesetz einmal erlassen ist, sind im Sinne dieses Gesetzes alle Menschen gleich zu behandeln. Nun kommt aber der Grundsatz, daß dieser Satz auch den Gesetzgeber bindet. Daraus könnte man herleiten, der Gesetzgeber kann keine Gesetze machen, in denen er Menschen ungleich behandelt. In der Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz liegt die Schwierigkeit. (... )"'" Unter Anknüpfung an den Satz vom "minimum standard of free society" schlug v. Mangoldt vor, dem Artikel einen weiteren Satz hinzuzufiigen, in dem zum Ausdruck kommen solle, daß der Gesetzgeber bis auf diesen "minimum standard" Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln könne: "( ... ) Die Rechte aus dem Grundrechtskatalog bilden die unüberschreitbare Grenze fiir die verschiedene Behandlung. ( ... >",SI Nach längerer Diskussion einigte sich der Ausschuß auf den Vorschlag v. Mangoldts:
3B6 Siehe PikartlWerner, Ausschuß, S. 740, 741. '" Siehe PikartlWerner, Ausschuß, S. 742. m Siehe ebd., S. 745.
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"( ... ) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden. ( ... )"319
In der ersten Lesung des Hauptausschusses, am 3. Dezember, ging es vornehmlich um die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Nocheinmal wurde die Diskussion des Grundsatzausschusses wiederholt. SeIbert sah es als eine Selbstverständlichkeit an, daß das Grundgesetz weiter gehen müsse als die Weimarer Verfassung und daher die Gleichberechtigung sich nicht nur auf staatsbürgerliche Rechte und Pflichten beschränken könne. Von Mangoldt wiederholte seine Bedenken, daß nicht abgesehen werden könne, welche Folgen die Formulierung "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" habe und im übrigen im dritten Absatz das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts enthalten sei. Der Hauptausschuß nahm die Fassung des Grundsatzausschusses unverändert an. 390 In der zehn Tage später vom Allgemeinen Redaktionsausschuß vorgelegten Fassung vom 13. Dezember, in der er auch die Präambel "zurechtgestutzt" hatte, wurde der Gleichheitssatz überraschenderweise wieder zum Deutschen-Grundrecht umgestaltet. In der Begründung hieß es dazu: "( ... ) Das entspricht auch der Weimarer Verfassung. Der Ausländer kann verfassungsrechtlich dem Inländer nicht gleichgestellt werden, z.B. nicht hinsichtlich Wahlen, Versammlungsfreiheit und Grunderwerbsfreiheit. Die Rechtsgleichheit fiir "alle Menschen" wäre allenfalls in einer Satzung der UN angebracht. ( ... ),,391
Weiterhin strich der Ausschuß v. Mangoldts errungenen Zusatz, der den "minimum standard" sichern sollte, da dies schon durch die Wesensgehaltgarantie gewährleistet würde und verschob den Artikel hinter die Freiheit der Wissenschaft (Artikel 6). In der zweiunddreißigsten Sitzung des Grundsatzausschusses, der ersten Sitzung im neuen Jahr, am 11. Januar 1949 erfahren wir etwas über die Systematik der Grundrechtsartikel. Klaus Stern schreibt hierzu: "( ... ) Ganz anders liegt es mit dem Aufbau des Grundrechtskatalogs. Hier gab es erhebliche Umstellungen, ohne daß freilich immer deutlich gemacht wurde, warum eine andere Plazierung gewählt wurde. Eine klar konzipierte Systematik läßt sich jedenfalls nicht ausmachen. Gelegentlich waren Gründe des inhaltlichen Zusammenhangs oder doch wenigstens der sachlichen Nähe genannt worden, häufig war es Intuition der Verfassungsväter und -mütter. Immerhin gab es in einigen Fällen tiefer ansetzende Überlegungen: ( ... ),,392
Siehe ebd., S. 747. Vgl. Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 206ff. 391 Siehe Parlamentarischer Rat, Grundgesetz (Entwürfe), S. 87. 392 Siehe Stern, Staatsrecht, S. 1839. 319 390
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Dem stehen die von v. Mangoldt in diesem Zusammenhang geäußerten Gründe der gestalteten Ordnung entgegen. Während der Beratungen zum heutigen Artikel 3 Grundgesetz bemerkte er, daß über den Grundrechten die Menschenwürde stehen würde. Dann aber folgten gleichberechtigt nebeneinander der Freiheits- und Gleichheitssatzl9l , als die beiden großen bestimmenden Rechte. Und daran schlössen sich die einzelnen Freiheitsrechte als Spezialisierung der allgemeinen Freiheit an. 39' Diese klare Vorstellung, die von "Intuition" weit entfernt ist, verkennt Stern in seiner Einschätzung. Ebenso die systematische Ader und schon bekannte stringente Gedankenfiihrung v. Mangoldts, der die Qualifizierung seiner Arbeit als "Intuition" sicher nicht als Lob empfunden hätte. Wie schon zuvor, wenn v. Mangoldt die Verwirklichung des Rechtsstaats gefährdet sah, wich er nicht von seiner Ansicht ab. Mit dem ihm eigenen Durchhaltevermögen setzte v. Mangoldt eine Woche später dem Hauptausschuß, am 18. Januar 1949 die Gründe auseinander, warum der Gleichheitssatz nicht als Deutschen-Grundrecht ausgestaltet werden sollte. Seiner Auffassung nach gebietet es das Prinzip des Rechtsstaates, daß nicht nur die Deutschen vor dem Gesetz gleich behandelt werden, sondern alle Menschen. Von diesem allgemeinen Grundsatz könne es in einem Staat, der die Menschenwürde als obersten Grundsatz postuliere - insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Geschichte - keine Abweichungen geben. Vor allen Dingen wies er die Gegner dieser Überzeugung auf das Zusammenspiel der Grundgesetzartikel hin. So würden in einzelnen Bestimmungen Einschränkungen gegenüber Ausländern vorgenommen, die eine Gleichbehandlung von Deutschen und Ausländern in jeder Hinsicht ausschlössen. Bei der Abstimmung setzte sich diese Auffassung dann auch durch und so erhielt Artikel 4 Absatz 1 wieder die Fassung des Grundsatzausschusses. l9' Der Absatz 2 wurde nach längeren Ausführungen von SeIbert dergestalt geändert, daß die Gleichberechtigung sich nicht mehr nur auf die staatsbürgerlichen Rechte und Ptlichte bezöge und - auf Antrag von Helene Weber hin - die Gesetzgebung dies auf allen Rechtsgebieten zu verwirklichen habe. Ein Gedanke übrigens, der bei den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundesrat und Bundestag im Jahre 1993 mit vertauschter Rollenverteilung wieder aktuell geworden war. Der Allgemeine Redaktionsausschuß schloß sich der Fassung des Hauptausschusses am 25. Januar an, schlug aber in Absatz 2 die Streichung des zweiten Satzes vor. l " In der Fraktion setzte sich v. Mangoldt mit Erfolg fiir die Vgl. PikartiWerner, Ausschuß, S. 928. Vgl. ebd., S. 918. 19' Vgl. Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 544. l .. Vgl. Parlamentarischer Rat, Grundgesetz (Entwürfe), S. 120. 19l 194
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Dritter Teil: Bundesrepublik Deutschland
Wiederaufnahme der gestrichene Sätze ein. Dem folgte der Fünferausschuß am 5. Februar allerdings nicht. Erneut fielen v. Mangoldts Errungenschaften im ersten Absatz dem Vorschlag zum Opfer. Ohne Begründung strich der Fünferausschuß in Absatz 1 Satz 2 und 3.'·7 Der Hauptausschuß stimmte am 5. Februar diesem Vorschlag ohne Gegenstimme zu.'" Der Allgemeine Redaktionsausschuß, dem v. Mangoldt seit dem 29. April angehörte, empfahl dem Hauptausschuß in seiner Stellungnahme vom 2. Mai für die vierte Lesung der Grundrechte diese Formulierung.'" Sie wurde drei Tage später in der 57. Sitzung des Hauptausschusses einstimmig angenommen. Wo war v. Mangoldt? Er meldete sich in den Diskussionen nicht zu Wort. War er mit der Fassung "Alle Menschen" zufrieden? Hatte er sich überzeugen lassen, daß der Hinweis auf einen "minimum standard" nicht erforderlich sei? Der politische Druck der MärzlApril Krise hatte wohl auch hier seine Spuren hinterlassen. In der zweiten Lesung im Plenum, am 6. Mai, ist Artikel 3 in der Fassung des Hauptausschusses gegen zwei Stimmen angenommen worden.'oo So ging er dann auch in die Schlußabstimmung am 8. Mai, wo über Artikel 3 überhaupt nicht mehr diskutiert worden ist. In zeitgenössischen Äußerungen v. Mangoldts findet sich ein Ausdruck des Bedauerns über die Streichung der Sätze "Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden." Nach Auffassung v. Mangoldts fiihre die Streichung leider dazu, dem Artikel die Eindeutigkeit zu nehmen. •.. Ähnlich formuliert er im Kommentar, daß wohl ein Mißverständnis im Fünferausschuß zu der Empfehlung gefiihrt habe, die Sätze fallenzulassen.'o2 Die Zurück-fiihrung auf ein "Mißverständnis" legt den Schluß nahe, daß v. Mangoldt versucht hatte, im Gespräch mit Mitgliedern des Fünferausschusses deren Beweggründe zu erfahren. So läßt sich auch der Hinweis erklären, daß eine materielle Änderung nicht beabsichtigt gewesen sei. Obwohl der Beitrag v. Mangoldts zum Wortlaut des Artikel 3 Grundgesetz sich darin beschränkt, daß er vor dem Hintergrund der Diskussion über die Weimarer Verfassung "Alle Deutschen" durch "Alle Menschen" ersetzt hatte, lebt der gestrichene Zusatz "Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln." in den Kommentierungen des Grundgesetzes und in der Rechtsprechung fort. Die Vermutung liegt nahe, daß sich Gerhard Leibholz als Richter am Bundesverfassungsgericht bei dem ersten Urteil zum Gleich-
.. Vgl. Verhandlungen des Hauptauschusses, S. 613.
,'.7 Vgl. Parlamentarischer Rat, Grundgesetz (Entwürfe), S. 173. ,.. V gl. Parlamentarischer Rat, Grundgesetz (Entwürfe), S. 196 . • 00 Vgl. Steno Berichte über die Plenarsitzungen, S. 175.